Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie [Bilingual ed.] 3110216310, 9783110216318

Luke-Acts is the first early Christian writing to which serious historiographical interest can be attributed. In view of

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Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie [Bilingual ed.]
 3110216310, 9783110216318

Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
Fragen um Lukas als ‚Historiker’ und den historiographischen Charakter der Apostelgeschichte: Eine thematische Annäherung
Zur Stellung der Apostelgeschichte im Kontext der antiken Historiographie
Die Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im sogenannten Deuteronomistischen Geschichtswerk
Historiographische Tendenzen in der LXX
“Do You Understand What You are Reading?” The Understanding of the LXX in Luke-Acts
Circular or Teleological, Universal or Particular, With God or Without? On 1–2 Maccabees and Acts
Traumdarstellungen bei Josephus und Lukas
Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis in der Apostelgeschichte im Vergleich mit Herodot, Thukydides und Polybios
„Exzentrische“ Formen der Historiographie im Hellenismus
Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes
Der bonus dux. Tacitus’ Agricola und der lukanische Paulus
Irony and Truth: The Value of De Historia Conscribenda for Understanding Hellenistic and Early Roman Period Historiographical Method
Spurensuche: Apostelgeschichte und Paulusbriefe als Zeugnisse einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus
Warum fand die Apostelgeschichte keine Fortsetzung in der Antike? Elf Thesen zu einem ungelösten Problem
Die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten
Luke-Acts and the Investigation of Apostolic Tradition: From a Life of Jesus to a History of Christianity
Eusebs Rezeption der Apostelgeschichte in der Vita Constantini
Inconvenient Truths: Early Jewish and Christian History Writing and the Ending of Luke-Acts
Die Gattung der Apostelgeschichte
Die Proömien des lukanischen Doppelwerks (Lk 1,1–4 und Apg 1,1–2)
Did “Luke“ Write Anonymously? Lingering at the Threshold
Das Geschichtswerk des Lukas als Institutionsgeschichte. Die Vorbereitung des Zweiten Logos im Ersten
Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte
Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora: Ein Beitrag zum Gottesvolk-Verständnis bei Lukas
Die letzten Worte des lukanischen Paulus: Zur Bedeutung von Act 28,25-28 für das Paulusbild der Apostelgeschichte
Backmatter

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Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von

James D. G. Dunn · Carl R. Holladay Hermann Lichtenberger · Jens Schröter Gregory E. Sterling · Michael Wolter

Band 162

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie Herausgegeben von Jörg Frey, Clare K. Rothschild und Jens Schröter Unter Mitarbeit von Bettina Rost

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISSN 0171-6441 ISBN 978-3-11-021631-8 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Cover design: Christopher Schneider, Laufen

Vorwort Der vorliegende Band geht im Kern zurück auf ein Symposium, das am 15./16. März 2007 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München stattfand. Anlass war der durch ein Forschungsstipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglichte Forschungsaufenthalt von Clare K. Rothschild am Lehrstuhl von Jörg Frey im akademischen Jahr 2006/2007. Da Clare Rothschild mit ihrer Chicagoer Dissertation zur Rhetorik der Historiographie im lukanischen Werk (Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II/175, Tübingen 2005) einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um den Ort der Apostelgeschichte im Rahmen der antiken Historiographie geleistet hat, bot es sich an, die durch sie repräsentierte Forschungstradition zur Diskussion zu stellen, um so die weitere Vernetzung der deutschen und der nordamerikanischen Bibelwissenschaft zu fördern. Im interdisziplinären Diskurs von Vertretern der klassischen Altertumswissenschaften, Bibelwissenschaftlern und Patristikern sollten Aspekte der besonders in Nordamerika betriebenen rhetorisch orientierten Forschung erörtert und mit anderen Fragestellungen zur Konzeption des lukanischen Werks sowie zu den Hintergründen und zur Entstehung der frühchristlichen Historiographie ins Gespräch gebracht werden. Die beim Münchener Symposium gebotenen Vorträge wurden ergänzt durch eine größere Zahl zusätzlicher Beiträge, durch die vor allem das Panorama der Kontexte der lukanischen Historiographie vollständiger erfasst sowie die Frage nach Gattung und Konzeption des lukanischen Werks vertieft werden sollte. Das Symposium wurde am Lehrstuhl von Jörg Frey geplant und durch die von der Humboldt-Stiftung gewährten Betreuungsgelder finanziert, wobei insbesondere der damaligen Sekretärin Brigitte Becker für ihre umsichtige Organisation zu danken ist. Die Redaktion der Beiträge und die Erstellung der Druckvorlage erfolgte am Lehrstuhl von Jens Schröter in Leipzig, was ohne die äußerst planvolle, zuverlässige und gründliche Mitarbeit der Lehrstuhlassistentin Bettina Rost nicht möglich gewesen wäre. Sie hat auch die Korrekturen gelesen. Die Register hat cand. theol. Birte Janzarik (München/Tübingen) erstellt.

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Vorwort

Allen Beteiligten sowie den Verlagsvertretern Dr. Albrecht Döhnert und Carsten Burfeind, die den Band in gewohnt freundlicher Professionalität betreut haben, gilt unser herzlicher Dank. Der Erstherausgeber dankt der Krupp-Stiftung für die Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen eines Forschungsjahres als Senior Fellow am Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald, während dessen der Abschluss des Bandes erfolgen konnte. Besonderer Dank gilt darüber hinaus der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, durch deren Förderung die hier dokumentierte transatlantische Forschungskooperation und der Aufbau weiter reichender freundschaftlicher Verbindungen über Sprach- und Schulgrenzen hinweg ermöglicht wurde. März 2009

Jörg Frey (München / Greifswald) Clare K. Rothschild (Chicago) Jens Schröter (Leipzig)

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................ V JÖRG FREY Fragen um Lukas als ‚Historiker’ und den historiographischen Charakter der Apostelgeschichte: Eine thematische Annäherung ........................................................... 1 JENS SCHRÖTER Zur Stellung der Apostelgeschichte im Kontext der antiken Historiographie ..................................................................... 27 I. Israelitische und frühjüdische Kontexte THOMAS RÖMER Die Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im sogenannten Deuteronomistischen Geschichtswerk ............................................ 51 MARTIN MEISER Historiographische Tendenzen in der LXX ........................................... 77 GREGORY E. STERLING “Do You Understand What You are Reading?” The Understanding of the LXX in Luke-Acts ............................... 101 DANIEL R. SCHWARTZ Circular or Teleological, Universal or Particular, With God or Without? On 1–2 Maccabees and Acts ...................................... 119 MANUEL VOGEL Traumdarstellungen bei Josephus und Lukas .................................... 130

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Inhaltsverzeichnis

II. Griechisch-römische Kontexte JOACHIM MOLTHAGEN Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis in der Apostelgeschichte im Vergleich mit Herodot, Thukydides und Polybios ............................................................... 159 MARTIN HOSE „Exzentrische“ Formen der Historiographie im Hellenismus .......... 182 STEFAN KRAUTER Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes ....... 214 MANFRED LANG Der bonus dux. Tacitus’ Agricola und der lukanische Paulus ........... 244 CLARE K. ROTHSCHILD Irony and Truth: The Value of De Historia Conscribenda for Understanding Hellenistic and Early Roman Period Historiographical Method ............................................................... 277 III. Frühchristliche Kontexte HEIKE OMERZU Spurensuche: Apostelgeschichte und Paulusbriefe als Zeugnisse einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus ............................. 295 ROLAND KANY Warum fand die Apostelgeschichte keine Fortsetzung in der Antike? Elf Thesen zu einem ungelösten Problem ...................... 327 FRANÇOIS BOVON Die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten ..................................................................................... 349 CHRISTOPHER MOUNT Luke-Acts and the Investigation of Apostolic Tradition: From a Life of Jesus to a History of Christianity .......................... 380

Inhaltsverzeichnis

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ANDREAS MÜLLER Eusebs Rezeption der Apostelgeschichte in der Vita Constantini ..... 393 PAUL A. HOLLOWAY Inconvenient Truths: Early Jewish and Christian History Writing and the Ending of Luke-Acts ............................. 418 IV. Zu Gattung und Konzeption der Apostelgeschichte DETLEV DORMEYER Die Gattung der Apostelgeschichte ...................................................... 437 MICHAEL WOLTER Die Proömien des lukanischen Doppelwerks (Lk 1,1–4 und Apg 1,1–2) ................................................................. 476 A. J. DROGE Did “Luke“ Write Anonymously? Lingering at the Threshold ........ 495 HUBERT CANCIK Das Geschichtswerk des Lukas als Institutionsgeschichte. Die Vorbereitung des Zweiten Logos im Ersten .......................... 519 FRIEDRICH AVEMARIE Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte ...................................... 539 BETTINA ROST Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora: Ein Beitrag zum Gottesvolk-Verständnis bei Lukas ................................................. 563 ENNO EDZARD POPKES Die letzten Worte des lukanischen Paulus: Zur Bedeutung von Act 28,25-28 für das Paulusbild der Apostelgeschichte .............. 605 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren dieses Bandes ................. 627 Stellenregister .......................................................................................... 631 Autorenregister ....................................................................................... 670 Register zu antiker Historiographie ..................................................... 688

Fragen um Lukas als ‚Historiker’ und den historiographischen Charakter der Apostelgeschichte: Eine thematische Annäherung JÖRG FREY Es ist ein Gemeinplatz – oder eben ein „Lehrbuchwissen“ –, dass Lukas der erste christliche Historiker sei.1 Trotz verschiedenartig motivierter Versuche, die Anfänge der urchristlichen Geschichtsschreibung schon früher, z. B. in der Vorgehensweise des ältesten Evangelisten, Markus, zu verorten,2 oder auch dem lukanischen Werk noch nicht das Prädikat ‚Historiographie‘ zuzuerkennen und dieses im frühen Christentum erst auf die Werke Eusebs anzuwenden,3 findet diese These nach wie vor breite Zustimmung. Zumindest die Schrift, die dann bald – bei ihrer Verbreitung oder schon durch den Autor selbst4 – den Titel pravxei~ ajpostovlwn erhielt, dürfte kaum ohne Wissen um andere, ähnliche Titel 1

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Vgl. dazu E. Plümacher, Art. „Geschichtsschreibung IV: Biblisch“, RGG4 III, 807f. (808): „Der G. ist in der urchristlichen Lit. nur eine einzige Schrift zuzuordnen: die … Apostelgeschichte.“ Vgl. bereits M. Dibelius, „Der erste christliche Historiker“ (1948), in id., Aufsätze zur Apostelgeschichte, ed. Heinrich Greeven (FRLANT 60, Göttingen 41961) 108-119; neuerdings in Anschluss daran auch D. Marguerat, The First Christian Historian. Writing the Acts of the Apostles (SNTSMS 131, Cambridge 2002), s. auch M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (Stuttgart 1979) 5462, und J. Schröter, „Actaforschung seit 1982 III. Die Apostelgeschichte als Geschichtswerk“, ThR 72 (2007) 383-419 (403-419). Schon einer der frühen Kritiker, Wilhelm Martin Leberecht de Wette, hatte geurteilt, man könne „das Ganze [d.h. Lk und Apg] als den einem Freunde gewidmeten Versuch einer christlichen Kirchengeschichte ansehen“ (W. M. L. de Wette, Lehrbuch der historisch kritischen Einleitung in die kanonischen Bücher des Alten und Neuen Testaments. Zweiter Theil, die Einleitung in das Neue Testament enthaltend [Berlin 21830] 204). So E.-M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie (WUNT 194, Tübingen 2006), dort bes. 76-116; ead., „Der jüdisch-römische Krieg (66–70 n. Chr.) und das Markus-Evangelium. Zu den ‚Anfängen‘ frühchristlicher Historiographie“, in ead. (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin/New York 2005) 213-236. So zuletzt D. Timpe, Römische Geschichte und Heilsgeschichte (Hans-Lietzmann-Vorlesungen 5, Berlin/New York 2001) 55ff. So z. B. J. Jervell, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 1998) 56, unter Verweis auf M. Hengel, Die Evangelienüberschriften (SHAW 3/1984, Heidelberg 1984) 33. Vgl. auch J. Schröter, „Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte“, in E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie (s. Anm. 2) 237-262 (237 Anm. 1).

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wie z.B. die pravxei~ ∆Alexavndrou des Kallisthenes oder um die Rede von pra'xei~ Kuvrou im Eingang von Xenophons Kyroupädie (I 2,16) mit einer solchen klassifizierenden Überschrift versehen worden sein. Wenn das Werk zumindest in der frühen Rezeption als Bestandteil solcher pravxei~-Literatur gewertet wurde, liegt eine Einordnung in die antike Historiographie hier noch näher als beim Lukas-Evangelium bzw. allgemeiner bei der vom Evangelisten Markus geschaffenen biographischkerygmatischen Sondergattung ‚Evangelium‘. Fragt man, wie sich der Anspruch des lukanischen Autors als ‚Historiker‘ der ersten Christenheit äußert, so kann man natürlich zunächst auf die Proömien zu seinen beiden Werken (Lk 1,1-4; Apg 1,1-2) verweisen, wobei das zum Evangelium – scheinbar – das historiographisch ertragreichere ist.5 Hier spricht der (nach wie vor anonym bleibende) Autor immerhin mit eigenem Ich (Lk 1,3: e[doxe kajmoiv)6, erwähnt Vorgänger seiner dihvghsi~ und eigene Recherchen und beansprucht, seinen Stoff seinen Adressaten bzw. dem Widmungsträger Theophilus genau (ajkribw`~) und in gutem (oder ‚richtigem‘) Arrangement (kaqexh`~) zu präsentieren, um ihm (und allen Lesern) dadurch Einsicht in die ‚Zuverlässigkeit‘ (ajsfavleia) der christlichen Lehre zu vermitteln. Ist damit zumindest auch ‚historische‘ Zuverlässigkeit gemeint, so finden sich andererseits in diesem programmatischen Text natürlich auch Hinweise auf die theologische Deutung der erzählten Begebenheiten (peplhroforhmevnwn) und auf den Kontext der christlichen Verkündigung und Unterrichtung, auf die sich der Autor bezieht (uJphrevtai tou` lovgou, kathcei`n) und auf deren ‚Vergewisserung‘ er offenbar mit seinem ‚historischen‘ Werk zielt. Der auctor ad Theophilum präsentiert sich somit nicht nur als Historiker, sondern bekundet zugleich ein theologisches Interesse. Darüber hinaus dokumentiert das Proömium – wie viele andere lukanische Texte – ein stilistisches Vermögen, das die meisten anderen neutestamentlichen Autoren, zumal den ‚Vorgänger‘ Markus, in den Schatten stellt. Diese zunächst etwas oberflächliche Bestandsaufnahme zum Lukas-Proömium lässt sich ergänzen durch eine Vielzahl von Beobachtungen, die den historiographischen Charakter des Werkes bestätigen: Mehr als alle anderen neutestamentlichen Autoren bietet Lukas die ‚weltgeschichtliche‘ Einordnung der von ihm erzählten Geschichte. Kein anderer frühchristlicher Autor erwähnt die römischen Kaiser Au5 6

S. zu beiden Prologen auch den Beitrag von M. Wolter in diesem Band, dort auch Überlegungen zur Frage, warum der Prolog zur Apostelgeschichte derart ‚verkürzt‘ ist und keine ‚Inhaltsangabe‘ des Werkes bietet. Ein solches ‚Ich‘ begegnet in den Evangelien sonst nur noch in der redaktionellen Schlussnotiz des Johannesevangeliums (Joh 21,25; vgl. 21,24: ‚wir‘; s. noch Joh 19,35).

Fragen um Lukas als Historiker: Einführung

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gustus und Tiberius (Lk 2,1f.; 3,1), nur Lukas ‚synchronisiert‘ das Auftreten Johannes des Täufers und Jesu mit der Chronologie der Herrschenden, und seine Erwähnung der Begegnung des Paulus mit dem Proconsul Lucius Gallio in Korinth (Apg 18,12) bietet bis heute den wichtigsten Fixpunkt zur Erstellung einer Chronologie der paulinischen Mission. Dass der lukanische Paulus am Ende in der Welthauptstadt Rom sein Evangelium predigt, bestätigt noch einmal abschließend den universalen Horizont der lukanischen Konzeption. Die Forschung hat – spätestens seit der Programmschrift von Martin Dibelius – auf weitere Aspekte aufmerksam gemacht, durch die sich der auctor ad Theophilum auch im Sinne antiker Parallelen als Historiker erweist. Er hat nicht nur Traditionsgut gesammelt, sondern die ihm verfügbaren Überlieferungen „in einem bedeutungsvollen Zusammenhang“ miteinander verknüpft7 und so allererst eine zusammenhängende Geschichte ‚geschaffen‘. Er hat den Erzählstoff zudem durch Reden interpretiert, in denen nicht nur die Bedeutung einzelner ‚Wendepunkte‘, sondern auch der ‚Richtungssinn‘ des gesamten Geschehens verdeutlicht wird. Dabei lassen sich in der literarischen und ‚rhetorischen‘ Ausgestaltung – ganz unabhängig vom theologischen ‚Programm‘ – eine Vielzahl von Parallelen zu anderen antiken Historikern aufweisen,8 die die Zuordnung des lukanischen Werks zur Historiographie in einem noch näher zu bestimmenden Sinn bestätigen. Doch ist damit erst ein Feld neuer Fragen eröffnet, das der präziseren Bearbeitung bedarf. Ich möchte im Folgenden einführend und mit einem besonderen Blick auf die Forschungsgeschichte vier Fragenkreise benennen, vor deren Hintergrund sich die Beiträge des vorliegenden Bandes bewegen. Eingehen möchte ich kurz auf das Problem der von einem Historiker zu fordernden ‚Zuverlässigkeit‘ (1.), auf die Frage nach der theologischen Legitimität des historischen Programms des Lukas (2.), auf die Frage nach dem literarischen Charakter seines Werks (3.) und schließlich auf die theologische Gestalt seiner ‚heilsgeschichtlichen‘ Konzeption (4.). Diese vier Fragenkreise bilden natürlich nur einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle der interessanten Aspekte, die das 7

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M. Dibelius, „Der erste christliche Historiker“ (s. Anm. 1) 110. Hier besteht allerdings – gegen Dibelius – kein Gegensatz zum Vorgehen im Evangelium; freilich war für den Stoff des Evangeliums ein solcher Zusammenhang schon durch Markus vorgegeben, während er für die Apostelgeschichte erst zu konzipieren war. Vgl. nach den Arbeiten von Dibelius exemplarisch E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte (StUNT 9, Göttingen 1972); id., „Lukas als griechischer Historiker“, PRE.S 14 (1974) 235-264; id., „Die Apostelgeschichte als historische Monographie“, in id., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, ed. Jens Schröter/Ralph Brucker (WUNT 170, Tübingen 2004) 1-14, sowie die ausführliche Diskussion bei D. Marguerat, The First Christian Historian (s. Anm. 1).

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lukanische Werk zu bedenken gibt – sie sind aber im Horizont des Themas ‚Lukas als Historiker‘ bzw. ‚Lukas und die Historiographie‘ besonders prominent.

1. „Facts or Fiction” – Die Frage nach der historischen ‚Tatsachentreue‘ des Lukas und nach dem Geschichtswert seines Werks Ein Teil der Probleme hat seine Wurzel in der mit der kanonischen Rezeption des lukanischen Werks gegebenen ‚Wahrheitsvermutung‘ – wobei offen bleibt, ob die ajsfavleia, die der auctor ad Theophilum seinen Lesern vermitteln will (Lk 1,4), mit jener ‚Zuverlässigkeit‘ übereinstimmt, die seine späteren Interpreten in seinem Werk gerne finden wollten. Doch die Differenzen zu den Angaben der paulinischen Briefe und die inhomogene Anlage des Werks, das nur zu Beginn von den ‚Aposteln‘ handelt, in seinem zweiten Teil hingegen nur noch die Mission eines Zeugen, nämlich des Paulus, verfolgt, waren schon sehr früh aufgefallen.9 Die neuzeitliche Kritik hat sich daher an der Frage der historischen Faktentreue der ersten ‚Geschichte des Urchristentums‘ und damit an der Frage nach der ‚Wahrheit‘ des traditionell übermittelten Bildes der christlichen Anfänge entzündet. Auf dem Spiel standen damit die ‚apostolischen‘ Anfänge der christlichen Kirche, die von Lukas betonte Einheit der Urgemeinde und das traditionelle Bild der paulinischen Mission. Exemplarisch für die Kritik steht der Begründer der Tübinger ‚Tendenzkritik‘ Ferdinand Christian Baur, der – im Banne seiner eigenen hegelianischen Geschichtstheorie – die Apostelgeschichte als einen relativ späten Versuch wertete, das paulinische und das petrinische Erbe miteinander zu versöhnen. Ansatzpunkt seiner Beurteilung ist der Vergleich der Angaben des Lukas mit den Daten der authentischen Paulusbriefe, wobei nach Baurs Ansicht „bei der großen Differenz der beiderseitigen Darstellungen die geschichtliche Wahrheit nur entweder auf der einen oder auf der andern Seite seyn kann; auf welcher der beiden Seyten aber sie anzunehmen ist, kann nur durch den unbestreitbaren geschichtlichen Kanon entschieden werden, daß 9

Vgl. bereits die detaillierte Kritik bei de Wette, Lehrbuch (s. Anm. 1) 204-209, der für den Autor die Benutzung und freie Bearbeitung von Quellen sowie teilweise einen Mangel an Nachrichten annimmt sowie kritisch den Anschluss an schwankende Überlieferung und auch historische Missgriffe (z.B. zu Apg 5,36) vorwirft.

Fragen um Lukas als Historiker: Einführung

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diejenige Darstellung den größern Anspruch auf geschichtliche Wahrheit zu machen hat, die als die unbefangenere erscheint und nirgends das Interesse verräth, ihren geschichtlichen Stoff einem besondern subjectiven Zwecke unterzuordnen.“10

Diese ‚unbefangenere‘ Darstellung ist Baur zufolge für die apostolische Zeit in den paulinischen Briefen gegeben, die als authentische Quelle der Apostelgeschichte gegenüber prinzipiell vorzuziehen seien. Zwischen Paulus und Lukas bestehe mithin das gleiche Verhältnis, wie es Baur auch zwischen den synoptischen Evangelien und Johannes vorliegen sieht. Auch letzteres bietet nach seinem Urteil eine spät ins 2. Jahrhundert zu datierende Versöhnung der in der älteren Überlieferung vorliegenden Gegensätze, v.a. zwischen dem ‚petrinischen‘ Judenchristentum und dem Paulinismus.11 Das gemäß dieser ‚Tendenzkritik‘ über die Apostelgeschichte auszusprechende Urteil ist klar: Das lukanische Werk ist „keine rein objective, sondern nur eine durch ein subjectives Interesse alterierte Darstellung“12, d. h. eine subjektiv-tendenziöse Verfälschung der wahren, durch die echten Paulusbriefe bezeugten Geschichte. Mit dieser Position wurde Baur zum Vorreiter einer radikalen Lukaskritik, die weit über seine Schüler hinaus die Forschung, zumindest im deutschen protestantischen Kontext, bestimmte und sich bis heute in einer Grundskepsis gegenüber den lukanischen Angaben,13 der Wahrnehmung einer historischen Alternative zwischen Paulus und Lukas und z.T. gewagten Spätdatierungen des lukanischen Werks14 fortsetzt. Das negative Urteil über den historischen Wert des lukanischen Werks verband sich dabei nicht selten mit einer negativen Bewertung seines theologischen Programms15 und seiner literarischen Fähig10 11 12 13

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F. Ch. Baur, Paulus der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre. Ein Beitrag zu einer kritischen Geschichte des Urchristenthums (Stuttgart 1845) 5. Zur Johannesdeutung Baurs s. J. Frey, Die johanneische Eschatologie I: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus (WUNT 96, Tübingen 1997) 32-36. Ibid. Als „Tendenzschrift“ firmiert die Apostelgeschichte im Anschluss an Baurs Forschungen auch bei E. Zeller, Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht (Stuttgart 1854) 316f. So konnte schon Adolf von Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, vol. II/1 (Leipzig 1897) IX, feststellen: „Die Voraussetzungen der Baur’schen Schule sind allgemein aufgegeben, allein noch geblieben ist in der Kritik der altchristlichen Schriften ein unbestimmtes Mißtrauen, ein Verfahren, wie es ein böswilliger Staatsanwalt übt, oder wenigstens eine kleinmeisterliche Methode, die sich an allerlei Einzelheiten heftet“. So nach wie vor in der Linie der alten (und in der Bultmann-Schule erneuerten) Lukaskritik H. Koester, Einführung in das Neue Testament (Berlin 1980) 749; id., Ancient Christian Gospels. Their History and Development (London 1991) 334: „as late as the first decades of the 2d century“. S. zur Kritik M. Hengel, Die vier Evangelien und das eine Evangelium von Jesus Christus (WUNT 224, Tübingen 2008) 322 Anm. 970. S. dazu u. Abschnitt 2.

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keiten. So hat schon der ‚Begründer‘ der klassischen Formgeschichte in der neutestamentlichen Wissenschaft, Karl Ludwig Schmidt, in seinem grundlegenden Beitrag über die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte geurteilt, „daß bei Lukas das Wollen und das Können in einem eigentümlichen Mißverhältnis zu einander stehen“, – wobei er allerdings mildernd hinzufügt, es sei „der Stoff“, der „ihm eine Grenze gesetzt hat“.16 Natürlich hat die Kritik zahlreiche gelehrte Gegenreaktionen hervorgerufen, und die Reihe der prominenten Verteidiger des lukanischen Werks und seines historischen Wertes reicht von Joseph Barber Lightfoot17 über Adolf von Harnack18 und Hans Lietzmann bis zu Martin Hengel19. Im angelsächsischen Bereich fand die radikale historische Kritik der Tübinger Schule wie auch die theologische Kritik der Bultmann-Schule ohnehin keine große Zustimmung,20 darüber hinaus lässt sich beobachten, dass bedeutende Althistoriker dem lukanischen Werk oft mehr historisches Zutrauen entgegenbrachten als spezialisierte

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K. L. Schmidt, „Die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte“, in H. Schmidt (ed.), Eucharisterion. Studien zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, vol. II (FRLANT 36/2, Göttingen 1923) 50-134 (132). M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (s. Anm. 1) 25, bemerkt dazu, dass Schmidt wohl allzu sehr von der rabiaten Kritik Overbecks beeindruckt war und deshalb einen zu breiten Graben zwischen der antiken biographischen Literatur einerseits und den Evangelien und der Apostelgeschichte andererseits wahrnahm. Zu Lightfoot s. B. N. Kaye, “Lightfoot and Baur on Early Christianity“, NT 26 (1984) 193-224; M. Hengel, „Bischof Lightfoot und die Tübinger Schule“, ThBeitr 23 (1992) 5-33; G. R. Treloar, Lightfoot the Historian. The nature and role of history in the life and thought of J. B. Lightfoot (1828–1884) as churchman and scholar (WUNT II/103, Tübingen 1998). S. A. v. Harnack, Lukas der Arzt (Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament I, Leipzig 1906); id., Die Apostelgeschichte (Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament III, Leipzig 1908); id., Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte (Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament IV, Leipzig 1911). Vgl. M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (s. Anm. 1) 54-61; id., „Der Historiker Lukas und die Geographie Palästinas“, ZDPV 99 (1983) 147-183; id., „Der Jude Paulus und sein Volk: Zu einem neuen Acta-Kommentar“, ThR 66 (2001) 338368; id., „Der Lukasprolog und seine Augenzeugen: Die Apostel, Petrus und die Frauen“, in S. C. Barton/L. T. Stuckenbruck/B. G. Wold (eds.), Memory in the Bible and Antiquity (WUNT 212, Tübingen 2007) 195-242; id./A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels (WUNT 108, Tübingen 1998) 9-26. S. etwa das monumentale Werk F. J. Foakes-Jackson/K. Lake (eds.) The Beginnings of Christianity, 5 vols. (London 1920–1933); weiter s. H. J. Cadbury, The Making of LukeActs (New York 1927); id., The Book of Acts in History (London 1955); C. K. Barrett, Luke the Historian in Recent Study (London 1961); id., A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, 2 vols. (ICC, Edinburgh 1994/98), sowie C. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History (WUNT 49, Tübingen 1989).

Fragen um Lukas als Historiker: Einführung

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Theologen.21 Vermutlich ist ihnen schmerzlicher bewusst, dass die Überlieferungslage in der Alten Geschichte über weite Strecken sehr lückenhaft und schwierig ist, so dass das frühe Christentum und seine Überlieferungen hier keine grundsätzliche Ausnahme bildet.22 Die Erträge dieser gründlichen historischen Arbeiten zum lukanischen Werk sind beträchtlich. Sie reichen von der kritischen Zurückweisung der Spätdatierungen Baurs, die im Grunde schon zu Harnacks Zeit weitgehend erfolgt war, über die bessere Wahrnehmung der jüdischen Identität des Paulus23, aber auch der lukanischen Kenntnis des Judentums24, und den Aufweis der historischen Plausibilität zahlreicher Einzeldaten und Szenenbilder. Wesentlich, wenngleich nicht unumstritten sind die Erörterungen zugunsten älterer Quellen in der Apostelgeschichte25 und einer ‚konservativen‘ Quellenverarbeitung sowie v. a. die

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So neben Adolf von Harnack insbesondere Eduard Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums, vol. 3 (Stuttgart 1923), oder auch Hans Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, vol. 1 (Berlin ³1953). S. dazu M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (s. Anm. 1) 11-21. Polemisch formuliert die Althistorikerin H. Boterman, Das Judenedikt des Kaisers Claudius (Hermes Einzelschriften 71, Stuttgart 1996) 14-43 (24 Anm. 39): „Wenn die Althistoriker ihre Quellen so ‚kritisch‘ bearbeiteten wie die meisten Theologen, müssten sie ihre Akten über Herodot und Tacitus schließen.“ – Allerdings zeigt sich in der neueren Forschung auch die umgekehrte Tendenz, dass Althistoriker und Klassische Philologen stärker wahrnehmen, „dass eben jene kritische Distanz, die Exegeten gegenüber dem Dokumentationsanspruch ihrer konfessorischen Texte seit langem pflegen, auch gegenüber den klassischen Historiographen sehr angebracht ist“ (s. K. Backhaus, „Lukas der Maler. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese [BThS 86, Neukirchen-Vluyn 2007] 3066 [37 Anm. 20]). Ein Beispiel ist etwa die kritische Revision des Domitian-Bildes aufgrund der Wahrnehmung der Positionierung der bestimmenden DomitianBiographen im Rahmen der unter Nerva proklamierten Erneuerung, die ihrerseits die alte Annahme einer Christenverfolgung unter Domitian historisch fragwürdig gemacht hat und damit die Diskussion um den Hintergrund z.B. der Johannesapokalypse beeinflusst. S. die Diskussion bei L. L. Thompson, The Book of Revelation. Apocalypse and Empire (Oxford 1990) 95-115. Ähnliches gilt für das Nerobild, das inzwischen sehr viel differenzierter zu zeichnen ist; s. dazu S. Krauter, Röm 13,1-7 – Paulus und der politische Diskurs der neronischen Zeit (Habil.-Schrift München 2009; erscheint in WUNT). Vgl. M. Hengel (mit R. Deines), „Der vorchristliche Paulus“, in M. Hengel, Paulus und Jakobus: Kleine Schriften III (WUNT 141, Tübingen 2002) 68-192; J. Frey, “Paul’s Jewish Identity“, in id./D. R. Schwartz/St. Gripentrog (eds.), Jewish Identity in the Greco-Roman World (AJEC 71, Leiden 2007) 285-321. So dezidiert im Kommentar von J. Jervell, Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 1998); s. dazu M. Hengel, „Der Jude Paulus und sein Volk“ (s. Anm. 19). S. etwa die abgewogene Argumentation von F. Hahn, „Zum Problem der antiochenischen Quelle in der Apostelgeschichte“, in id., Studien zum Neuen Testament 2, ed. J. Frey/J. Schlegel (WUNT 192, Tübingen 2006) 139-154.

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breite Diskussion um die ‚Wir‘-Stücke der Apostelgeschichte,26 in denen sich – wie Martin Hengel mit Nachdruck betont hat – die partielle ‚Augenzeugenschaft‘27 des auctor ad Theophilum niedergeschlagen haben könnte. Freilich wurde eine solche in der theologischen Debatte lange Zeit heftig bestritten – wobei sich eine solche Einschätzung nicht selten aus der theologischen Kritik am lukanischen Werk und der Wahrnehmung der theologischen Differenzen zu Paulus speiste. Strittig bleiben dennoch zahlreiche historische Detailfragen: Trotz vieler guter Argumente wird sich die Frage nach dem römischen und tarsischen Bürgerrecht des Paulus mangels zusätzlicher Quellen nicht definitiv lösen lassen, und die Grundtendenz der Interpreten in der Einschätzung des lukanischen Werks gibt dann den Ausschlag zwischen Zutrauen und Skepsis. Die Isolation von Quellen hinter der Apostelgeschichte ist angesichts der stilistischen Kompetenz des Autors notorisch schwierig, so sehr mit solchen Quellen zu rechnen ist. Im Blick auf die Wir-Stücke lässt sich auch für die Aufnahme eines Itinerars oder für das Vorliegen eines bloßen Stilmittels der historiographischen Darstellung argumentieren, und selbst wenn der Autor tatsächlich ein Paulusbegleiter und insofern partiell ein Augenzeuge der erzählten Geschehnisse sein sollte, ist damit über die mögliche Freiheit der Darstellung, ja selbst über die mögliche Einbeziehung fiktionaler oder romanhafter Elemente in sein Geschichtswerk noch nicht entschieden. D. h. aber, das Grundproblem der Interpretation lässt sich auch durch eine ‚konservativere‘ Beantwortung der Einleitungsfragen nicht beseitigen: Die Beobachtung einer ‚Darstellungstendenz‘ des Lukas und wesentlicher Differenzen zu den paulinischen Selbstaussagen lässt sich nicht leugnen, ganz gleich, ob der Abstand des Autors von den Geschehnissen geringer war und ob dieser teilweise auf eigene Kenntnisse rekurrieren konnte oder nicht. Was Baur und nach ihm viele andere v.a. protestantische Interpreten allerdings unterschätzt haben, ist, dass auch Paulus in seinen Briefen nicht ‚objektiv‘ schreibt, sondern z. B. in der Behauptung seiner Unabhängigkeit von den Jerusalemern in Gal 1–2 ein sehr massives

26 27

C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen (WUNT 56, Tübingen 1991); J. Wehnert, Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte (GTA 40, Göttingen 1989). S. auch A. J. M. Wedderburn, “The ‘we’-passages in Acts: On the horns of a dilemma“, ZNW 93 (2002) 78-98. S. zuletzt M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s. Anm. 19) 9-26. Eine Autorschaft durch einen Paulusbegleiter ist auch nach dem neuesten großen Kommentar von M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5, Tübingen 2008) 8, die natürlichste Interpretation der Wir-Stücke.

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Darstellungsinteresse verfolgt.28 Trotz des geschichtlichen Abstandes von vielleicht drei Jahrzehnten29 sollte man daher das lukanische Werk nicht einfach als ‚Sekundärliteratur‘ gegenüber der Primärquelle Paulus bezeichnen, vielmehr sind in der historischen Rekonstruktion des Urchristentums alle möglichen Quellen, auch die Apostelgeschichte, kritisch, d. h. unter Beachtung ihres historischen Ortes, ihrer literarischen Form und ihrer Intention einzubeziehen. Wo Paulus und Lukas sich widersprechen, gehört zwar meist Paulus die Priorität, doch kann deshalb nicht alles, was in den Paulusbriefen nicht belegt ist, als lukanische Fiktion gelten.30 Die Diskussion um die historische ‚Tatsachentreue‘ des Lukas rührt zugleich an die grundsätzliche Frage, was denn füglich von einem ‚Historiker‘ zu erwarten ist – nicht nur nach heutigen Kategorien, sondern insbesondere nach antikem Usus. Dabei ist die ältere und neuere Diskussion um das Wesen von Historiographie zur Kenntnis zu nehmen. Die Zweifel am Geschichtswert des lukanischen Werks haben sich in der Forschung des 19. und weithin auch des 20. Jahrhunderts mit dem Ranke’schen Ideal historischer ‚Objektivität‘ verbunden, wie es sich in dem berühmten Diktum komprimiert, der Historiker habe lediglich zu sagen oder zur Darstellung zu bringen, „wie es eigentlich gewesen“.31 Der nach dem Ideal des Historismus und im Anschluss daran auch nach dem Credo einer historisch-kritischen ‚Orthodoxie‘ unter der Theologenzunft von einem Historiker zu fordernden Unparteilichkeit konnte Lukas natürlich nicht genügen, wenn er schon in seinem Proömium (Lk 1,1-4) historische ‚Methode‘ und theologisches ‚Verkündigungsinteresse‘ (Lk 1,4) verbindet. Wo man die Dichotomie von Historie und Deutung oder gar Verkündigung betonte, konnte Lukas nicht als ‚wirklicher‘ Historiker, sondern ‚lediglich‘ als Verkündiger erschei28 29

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Hengel/Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s. Anm. 19) 10: „Paulus berichtet in der Regel cum ira et studio.“ S. ibid., 9-18, die scharfe Abrechnung mit der s. E. letztlich unkritischen Lukaskritik. Ich gehe von einer Datierung um 80–85 n. Chr. aus; s. dazu J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke, 2 vols. (AncB 28, Garden City 1981/86) I, 57; C. K. Barrett, Acts I (s. Anm. 20) XLIII. Eine spätere Datierung des lukanischen Werks lässt sich m. E. nicht begründen, insbesondere ist die von vielen vertretene Ansetzung des lukanischen Werks nach dem Matthäusevangelium sehr problematisch, wie ein Vergleich der jeweiligen Aussagen über den Tempel und seine Zerstörung zeigt. S. dazu jetzt die Argumentation bei Hengel, Evangelien (s. Anm. 14) 320-350. Ein Beispiel der kritischen Verknüpfung von Daten aus beiden Quellen bietet der Aufsatz von H. Omerzu in diesem Band. Leopold Ranke, Sämmtliche Werke, 54 Bde. (Leipzig 1867–1890), Bd. 33/34, VII. Das Zitat schließt an eine Formulierung bei Thukydides II,48 an; vgl. aber auch Lukian, Hist. Conscr. 39. Zum Problem s. Th. Nipperdey, „Zum Problem der Objektivität bei Ranke“, in W. J. Mommsen (ed.), Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft (Stuttgart 1988) 215-222

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nen.32 In diesem ‚Streit der Fakultäten‘ schien der Historiker und Theologe Lukas jedenfalls als Historiker nicht genügen zu können. Das ‚naive‘ Vorurteil, dass mit dem Attribut ‚Historiker‘ bzw. ‚Historiographie‘ ipso facto Kriterien wie „‚Tatsachentreue‘ und ‚Zuverlässigkeit‘“ gegeben sein müssten, wird bis in neueste theologische Lehrbücher hinein kolportiert, wenn dann beflissen hinzugefügt wird, dass der Verfasser der Apostelgeschichte „nicht ohne Weiteres nach heutigen Maßstäben als zuverlässiger Historiker bezeichnet werden“ könnte.33 Die Rede von den ‚heutigen‘ Maßstäben soll wohl die von Ranke und v. a. Droysen34 geprägte Tradition der Historik bezeichnen, wobei freilich übersehen wird, dass auch diese Altmeister der modernen Geschichtswissenschaft (wie die großen antiken Historiker selbst) sehr wohl um das notwendige Moment des Schöpferischen und der Interpretation in der historischen Arbeit gewusst haben. Die neuere Diskussion innerhalb der Geschichtswissenschaft hat jedoch eine ganz andere Wendung genommen und den konstruktiven Charakter jeder Geschichtsdarstellung verstärkt ins Bewusstsein gerückt35 – was nun auch mit entsprechender Verzögerung in der historisch-kritischen Bibelwissenschaft wahrgenommen wird.36 Jede ‚Erzählung‘ vergangener Geschichte enthält mithin ‚fiktionale‘ Elemente, schon allein in der Auswahl und im Arrangement ihres Stoffs, sie bietet zugleich immer eine Selbstverortung des Interpreten, der sich zu dem von ihm bearbeiteten Stoff in irgendeiner Weise ‚positioniert‘. D. h., es werden „alle Aussagen über Vergangenes zu Aussagen über die Bezie32 33 34 35

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So z. B. bei Martin Dibelius, „Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung“, in id., Aufsätze zur Apostelgeschichte (s. Anm. 1) 120-162 (157): „Im letzten ist er aber dann doch nicht Historiker, sondern Prediger“. So D. Rusam, „Die Apostelgeschichte“, in M. Ebner/S. Schreiber (eds.), Einleitung in das Neue Testament (Studienbücher Theologie 6, Stuttgart 2008) 229-249 (234). Vgl. J. G. Droysen, Historik. Historisch-kritische Ausgabe (Stuttgart 1977ff.). S. etwa H. White, Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses (Stuttgart 1986); J. Rüsen, Rekonstruktion der Vergangenheit. Grundzüge einer Historik II: Die Prinzipien der historischen Forschung (Göttingen 1986); id., „Narrativität und Objektivität“, in J. Stückrath/J. Zbinden (eds.), Metageschichte. Hayden White und Paul Ricœur (Baden-Baden 1997) 303-326; H. J. Goertz, Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität (UTB 17035, Stuttgart 2001); id., „Abschied von ‚historischer Wirklichkeit‘. Das Realismusproblem in der Geschichtswissenschaft“, in J. Schröter (ed., mit A. Eddelbüttel), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive (Berlin 2004) 1-18. S. dazu die Darstellung von K. Backhaus, „Spielräume der Wahrheit: Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung“, in id./G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen (s. Anm. 22) 1-29; zur Applikation auf das lukanische Werk id., „Lukas der Maler“ (s. Anm. 22); weiter G. Häfner, „Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion“, ibid., 67-96. S. auch den Sammelband von J. Schröter (ed., mit A. Eddelbüttel), Konstruktion von Wirklichkeit (s. vorige Anm.).

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hung zu Vergangenem, aber nicht über die Vergangenheit selbst“.37 Das Ideal historischer ‚Objektivität‘ ist aus dieser Sicht als unerreichbar, ja erkenntniskritisch als illusionär zu betrachten. Eine Konsequenz daraus ist: Die Tatsache, dass Lukas in dieser Hinsicht alles andere als ‚unparteiisch‘ ist und dass seine ‚Tatsachentreue‘ an vielen Stellen fraglich ist, kann nicht davon abhalten, ihn als einen Historiker zu klassifizieren. Der detaillierte Vergleich mit den verschiedenen Formen antiker Geschichtsschreibung kann auf dieser Basis erst unternommen werden. Damit wird die Frage nach der historischen Referenz des lukanischen Werks natürlich nicht einfacher, sondern eher noch komplizierter. Doch scheint die verhängnisvolle Dichotomie von Historie und Rekonstruktion (und damit auch Konstruktion, Interpretation und Fiktionalität) jedenfalls von Seiten der Geschichtswissenschaft her überwindbar zu sein.

2. „Historie oder Kerygma“ – Die Frage nach der theologischen Legitimität des lukanischen Programms Eine zweite, vorwiegend auf die deutsche protestantische Theologie beschränkte Diskussion ist hier zu erwähnen, wenngleich diese weithin selbst schon ‚Geschichte‘ geworden ist: die Frage nach der theologischen Legitimität des lukanischen Programms. Insbesondere im Rahmen der Schule Rudolf Bultmanns, methodisch im Zeichen des redaktionsgeschichtlichen Ansatzes, erfuhr das lukanische Werk schärfste Kritik, die sich jedoch nun nicht mehr nur an seinen historischen Unzulänglichkeiten, sondern an seiner Theologie entzündet.38 Vorreiter dieser Kritik war der kulturkritische Kirchenhistoriker und Nietzsche-Freund Franz Overbeck, der zumindest eine Zeit lang der Baur-Schule zugehört, sich aber dann von ihr abgewandt hatte. Nach seinem Verständnis der ‚christlichen Urliteratur‘ durften die Evangelien eigentlich keine Fortsetzung finden, so dass die Einfügung der urchristlichen Tradition in einen umfangreicheren und fortlaufenden Geschichtsverlauf deren eschatologischen und weltverneinenden Charakter gerade zerstören musste. Von ihm stammt wohl eine der 37 38

So H. J. Goertz, Unsichere Geschichte (s. Anm. 35). S. den kritischen Bericht von W. G. Kümmel, „Lukas in der Anklage der heutigen Theologie“, ZNW 63 (1972) 149-165 (= id., Heilsgeschehen und Geschichte 2 [MThSt 16, Marburg 1978] 87-100). Erich Gräßer erwähnt selbst im Rückblick auf seine eigene Studienzeit: „Jedenfalls hatten wir für die damalige Lukas-Kritik rasch die Parole ‚Haut den Lukas!‘ zur Hand“ (E. Gräßer, „Studien zur Acta-Forschung. Rückblick und Ausblick“, in id., Forschungen zur Apostelgeschichte [WUNT 137, Tübingen 2001] 1-47 [16]).

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schärfsten Polemiken gegen das lukanische Werk: Die Tatsache, dass er „dem Evangelium mit der Apostelgeschichte eine Fortsetzung“ gibt, sei „eine Taktlosigkeit von welthistorischen Dimensionen, der größte Exzeß der falschen Stellung, die sich Lukas zum Gegenstand gibt. ... Lukas behandelt historiographisch, was keine Geschichte und auch so nicht überliefert war.“39

Nachdem die kulturkritische Position Overbecks für die Dialektische Theologie und methodisch für die Entwicklung der klassischen Formgeschichte bedeutsam geworden war, wurde nach 1945 durch Philipp Vielhauer eine neue Rezeption der Ideen Overbecks eingeleitet.40 Das lukanische Werk rückte nun in schroffen Gegensatz zu Paulus als dem wichtigsten Vertreter des ‚eschatologischen‘ Bewusstseins der urchristlichen Zeit. Nicht die historischen Differenzen, sondern der theologische Graben zwischen Paulus und Lukas gewann nun entscheidende Bedeutung. Zusammenfassend formuliert Vielhauer: „Der Verfasser der Apg ist in seiner Christologie vorpaulinisch, in seiner natürlichen Theologie, Gesetzesauffassung und Eschatologie nachpaulinisch. Es findet sich bei ihm kein einziger spezifisch paulinischer Gedanke. Sein ‚Paulinismus‘ besteht in seinem Eifer für die universale Heidenmission und in seiner Verehrung für den größten Heidenmissionar.“41

Im Vergleich mit der urchristlichen Parusieerwartung und der eschatologischen Verkündigung des Apostels musste die ‚Historisierung‘ der urchristlichen Überlieferung als ein theologischer ‚Sündenfall‘ erscheinen. Lukas gerät dabei unter das Verdikt des ‚Frühkatholizismus‘42, da in seinem Werk die ursprünglich eschatologische Auffassung des Urchristentums verlassen und eine heilsgeschichtliche Betrachtungsweise eingeführt wurde. Zudem habe Lukas den Versuch einer ‚Sicherung‘ 39

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F. Overbeck, Christentum und Kultur, ed. C. A. Bernoulli (Basel 1919 [Nachdr. Darmstadt 1963]) 78. Zum Verständnis von Overbeck und seiner Position s. H.-Ch. Emmelius, Tendenzkritik und Formengeschichte. Der Beitrag Franz Overbecks zur Auslegung der Apostelgeschichte im 19. Jahrhundert (Göttingen 1975). Ph. Vielhauer, „Franz Overbeck und die neutestamentliche Wissenschaft“, EvTh 10 (1950/51) 193-207 (= id., Aufsätze zum Neuen Testament [ThB 31, München 1965] 235252). Ph. Vielhauer, „Zum ‚Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“, EvTh 10 (1950/51) 1-15 (= id., Aufsätze zum Neuen Testament [s. Anm. 40] 9-27 [dort 26]). Dieser schroff abwertend gebrauchte Terminus fasst zusammen, was die (überwiegend protestantischen) Ausleger dieser Zeit in einer Reihe späterer Schriften des Neuen Testaments an Tendenzen wahrnahmen – i. d. R. als einen ‚Abfall‘ von der idealen Urzeit und eine Hinführung zu späteren großkirchlich-‚katholischen‘ Verhältnissen. Impliziert sind dabei (etwa bei Ernst Käsemann) drei Komponenten: „die Veränderung der Eschatologie, die Umbildung der Ekklesiologie und die Einführung eines Amtsbegriffs“ (so in seiner kritischen Besprechung F. Hahn, „Das Problem des Frühkatholizismus“, in id., Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch [Göttingen 1986] 39-56 [43]).

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der christlichen Tradition unternommen durch den Rekurs auf historische Kontinuität, wie sie z. B. die Institution der auf die Zwölf eingegrenzten Apostel repräsentiert.43 Käsemanns Beschreibung der lukanischen Sichtweise liest sich nahezu Punkt für Punkt als Verketzerung des ersten christlichen Historikers: „Sein Jesus ist der Stifter der christlichen Religion, das Kreuz ein Mißverständnis der Juden, welche die atliche Weissagung nicht begriffen haben, die Auferstehung die danach notwendige Korrektur des menschlichen Versagens durch den Weltenlenker. Die Lehre Jesu bringt eine höhere Moral, die Wunder sind in die Welt platzende, himmlische Macht und Herrlichkeit bekundende Mirakel. Die Geschichte Jesu wird etwas ganz und gar Zurückliegendes, wirklich Historie, nämlich initium Christianismi. Als solche kann sie denn auch mit der Geschichte der Apostel verbunden werden. Sie tritt nun der eigenen Gegenwart des beginnenden Frühkatholizismus als heilige Vergangenheit, als die Epoche der großen Wunder, des rechten Glaubens und der ersten Liebe entgegen, ein Modell dessen, was es um Kirche sein soll und sein darf. Das ist dabei herausgekommen, dass heilsgeschichtliche Betrachtungsweise die urchristliche Eschatologie ablöste.“44

Im Kontext der ‚Orthodoxie‘ der Bultmann-Schule war nun der Historiker und Theologe Lukas als Theologe durchgefallen, und zwar gerade aufgrund seines ‚Sündenfalls’ in die Historie, aufgrund der Konstruktion einer durchlaufenden ‚Heilsgeschichte‘, der zufolge Christus nicht mehr das Ende der Geschichte war, sondern die ‚Mitte der Zeit‘45 und damit der „Anfang einer neuen Heilsgeschichte, der Geschichte des Christentums“46. Aus der Orientierung am Maßstab des ‚echten‘ Paulus und seinem eschatologischen Selbstverständnis war nun die theologische Alternative ‚Lukas oder Paulus‘ geworden. Wie man sich zwischen beiden zu entscheiden hatte, war in dieser Diskussionslage – zumal im Kontext protestantischer Tradition und existentialtheologischen Denkens – sehr klar. Der Theologe Lukas war zu verwerfen. Dass Rudolf Bultmann den ersten christlichen Historiker auf gerade einmal zwei 43

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So E. Käsemanns 1949 gehaltener Vortrag „Amt und Gemeinde im Neuen Testament“, in id., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1 (Göttingen 1960) 109-134 (132): „Lukas hat zum ersten Male, soweit wir zu sehen vermögen, die frühkatholische Traditions- und Legitimitätstheorie propagiert.“ Id., „Neutestamentliche Fragen von heute“, ZThK 54 (1957) 1-21 (20 = id., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 2 [Göttingen 1964] 11-31 [29]): Lukas ist „der erste Repräsentant des werdenden Frühkatholizismus“. Ernst Käsemann, „Das Problem des historischen Jesus“, ZThK 51 (1954) 125-163 (137 = id., Exegetische Versuche und Besinnungen 1 [s. Anm. 43] 187-214 [199]). So die Programmschrift von Hans Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17, Tübingen 1954). So R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments (Tübingen 1953) 470.

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Seiten seiner Theologie behandelt, zeigt die abgrundtiefe Verachtung, die er wie auch viele seiner Schüler Lukas entgegenbrachten. Als Historiker konnte Lukas in dieser Diskussion ohnehin nicht zu Ehren kommen. Eine ‚vergegenständlichende‘ Geschichtsbetrachtung musste im herrschenden Paradigma der Existentialtheologie mit ihrem Interesse an der Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins47 als irrelevant, da die Existenz des Menschen nicht ansprechend und damit letztlich als theologisch unsachgemäß erscheinen. So verbanden sich in der Forschung ein hermeneutisch bestimmtes Desinteresse an der ‚konkreten‘ Geschichte mit der überkommenen Skepsis gegenüber den Angaben des lukanischen Werks. In weiten Teilen der redaktionsgeschichtlich orientierten Forschung – etwa in den bedeutenden Kommentaren von Hans Conzelmann und Ernst Haenchen – trat die Frage nach dem historischen Quellenwert und damit dem ‚Geschichtswert‘ der Apostelgeschichte in den Hintergrund.48 Erst die neuere Diskussion zeigt wieder eine größere Offenheit, die Fragen nach der historischen Referenz der jeweiligen Einzelepisoden aufzunehmen.49 Im Hintergrund stehen dabei der weitgehende Plausibilitätsverlust des existentialtheologischen Paradigmas und die internationale und interdisziplinäre Öffnung der exegetischen Diskussion. Im Rückblick fällt auf, dass in der theologischen Diskussion der Bultmann-Schule und ihrer Interpretation des lukanischen Werks der Kontext anderer antiker Autoren weithin ausgeblendet blieb. Geleitet vom hermeneutischen Interesse an einem ‚sachgemäßen‘ Verständnis der christlichen Verkündigung und einem – mehr oder weniger eng definierten – ‚Kanon im Kanon‘ blieben die Texte der antiken Historiker bedeutungslos, ja selbst der Anschluss an die alttestamentliche und frühjüdische Tradition wurde als eine fragwürdige Suche nach Kontinuität angesehen, die das ‚Neue‘ des urchristlichen Selbstverständnisses zu verdunkeln drohte. So berechtigt und notwendig die hermeneutische Frage nach den sachlichen Implikationen des lukanischen Programms ist, bleiben doch der rein innerkanonische Blickwinkel und die alleinige Orientierung am ‚echten‘ Paulus und am Ideal einer frühesten Zeit fragwürdig. Der 47 48

49

Vgl. R. Bultmann, „Zum Problem der Entmythologisierung“, in Kerygma und Mythos VI/1, ed. H.-W. Bartsch (Hamburg-Bergstedt 1963) 20-27 (21-23). Dieselbe Tendenz zeigt sich auch dort, wo man neuerdings die Redaktionsgeschichte durch die Rhetorik ersetzt und nun primär nach der rhetorischen Stilisierung und Wirkung des lukanischen Werkes fragt. Vgl. J. B. Tyson, “From History to Rhetoric and Back. Assessing New Trends in Acts Studies“, in T. Penner/C. VanderStichele (eds.), Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse (SBL. Symposion Series 20, Atlanta [GA] 2003) 23-42. Vgl. aus dem deutschen Sprachraum G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar (Göttingen 1987).

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Historiker und Theologe Lukas beansprucht auch innerhalb des neutestamentlichen Kanons sein Eigenrecht, das historisch, literarisch und theologisch eine andere Würdigung verdient. Wo man Lukas nur am Maßstab seines ‚Helden‘ Paulus bzw. der authentischen Paulusbriefe misst, bleibt zweifelhaft, ob man den Autor unverzerrt wahrnehmen und ihm theologisch wie historisch gerecht werden kann. In Abwandlung eines von James D. G. Dunn geprägten (und auf Johannes bezogenen) Slogans50 ließe sich hier formulieren: ‚Let Luke be Luke!‘

3. Die Frage nach dem literarischen Charakter und der Gattung der Apostelgeschichte Mit den beiden vorgeführten Fragenkreisen ist ein dritter bereits angedeutet: die Frage nach dem literarischen Charakter des lukanischen Werks und damit nach der Gattung der Apostelgeschichte. Die beiden schon im Lukas-Proömium erkennbaren Aspekte Geschichtsschreibung und Verkündigung markieren die Pole, zwischen denen sich die Diskussion bewegt, wobei natürlich die Frage nach der intendierten und erreichten historischen ‚Tatsachentreue‘ im Hintergrund steht. Hatte die deutsche kerygmatische Theologie Lukas mit pejorativem Akzent als „Erbauungsschriftsteller“51 eingeordnet, so war das Werk v.a. in der angelsächsischen Forschung eher als (glaubwürdige) Historiographie eingestuft worden.52 In einem Teil der neueren Vorschläge zur Bestimmung des literarischen Charakters der Apostelgeschichte klingt diese klassische Dichotomie von Historie und Verkündigung nach. Dies gilt insbesondere für die Einordnung des Werks in die Kategorie des Romanhaften bzw. der Unterhaltungsliteratur.53 Im Anschluss an die alte Einordnung der urchristlichen Literatur als ‚Volksliteratur‘ wird die Entgegensetzung von Historie und Kerygma nun im Sinne von ‚gelehrter‘ Historie und ‚populärer‘ Unterhaltungsliteratur interpretiert, doch ist der Anstoß dafür nach wie vor, dass Lukas den Ansprüchen an einen wirklichen ‚Historiker‘ nicht genügen zu können 50 51 52 53

Vgl. J. D. G. Dunn, “Let John be John. A Gospel for its Time“, in P. Stuhlmacher (ed.), Das Evangelium und die Evangelien (WUNT 26, Tübingen 1983) 309-339. So E. Haenchen, Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 1956, 71977) 114. Zu dieser Dichotomie der Forschung s. auch T. B. Phillips, “The Genre of Acts: Moving Towards a Consensus?“, CBR 4.3 (2006) 365-396 (365f.). So bei R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987). Vgl. vor Pervo bereits die Einordnung des Werks als „Apostelroman“ bei H. Koester, Einführung (s. Anm. 14) 484. Die Einordnung der Apostelgeschichte als Roman schließt insofern an die Bewertungen der Bultmann-Schule an.

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schien.54 So formuliert Richard Pervo als Ausgangspunkt seiner Überlegungen im direkten Anschluss an Ernst Haenchen: „[Luke] was bumbling and incompetent as a historian yet brilliant and creative as an author.“55 Insofern lebt sein Vorschlag, die Apostelgeschichte dem romanhaften Genre zuzuordnen,56 fast mehr von der Skepsis gegenüber ihrer historischen Referenz als von der tatsächlichen Ähnlichkeit in Stoff und Darstellung mit anderen antiken Romanen.57 Bleibt bei diesem Vorschlag die Frage nach dem Verhältnis der Apostelgeschichte zum Lukasevangelium ungelöst, so ist diese der Ausgangspunkt der von Charles Talbert vorgeschlagenen Einordnung beider in die Kategorie der Biographie.58 Dabei wird der Charakter des Doppelwerks im Vergleich mit antiken Philosophenbiographien als Darstellung des Lebens des Schulgründers und seiner Nachfolger bestimmt.59 Allerdings scheint die biographische Kategorie eher für die Evangelien passend zu sein, während sie nur einen Teil der Apostelgeschichte60, den Weg und das Wirken des Paulus, der den Lesern exemplarisch vorgeführt wird, zu erfassen vermag. Insofern bleibt für die meisten Interpreten eine Einordnung der Apostelgeschichte in den Rahmen der Historiographie die beste Lösung. Dabei bleibt die Wahrnehmung der Differenzen gegenüber der ‚kritischen’ Historiographie eines Herodot oder Thukydides,61 die nun 54 55 56 57

58 59 60 61

Pervo, Profit with Delight (s. Anm. 53) 11. Ibid., 3. Pervo postuliert auch eine sehr enge gattungsmäßige Verbindung mit den apokryphen Apostelakten (ibid., 131). Zur präziseren Differenzierung s. hingegen den Beitrag von François Bovon in diesem Band. Ähnliches ließe sich auch für die Einschätzung der Apostelgeschichte als Imitation antiker Epen zeigen. Vgl. D. R. MacDonald, Does the New Testament Imitate Homer? Four Cases from the Acts of the Apostles (New Haven 2003); s. zuvor seine Entdeckung in Verbindung mit dem Markusevangelium: id., The Homeric Epics and the Gospel of Mark (New Haven 2000). Auch dort steht die historische Frage im Hintergrund, s. ibid., 3: „The common solution avers that Mark intended to write a biography of sorts but was humbugged by the unreliable, legendary traditions available to him. In this book I argue, however, that the key to Mark’s composition has less to do with its genre than with its imitation of specific texts of a different genre: Mark wrote a prose epic modeled largely after the Odyssey and the ending of the Iliad.“ So Ch. Talbert, Literary Patterns, Theological Themes, and the Genre of Luke-Acts (Missoula [MT] 1974). Talbert, Literary Patterns (s. Anm. 58) 134. Zur Aufnahme des Motivs von Gründer und Nachfolgern s. jetzt auch C. H. Talbert/P. Stepp, “Succession in Mediterranean Antiquity“, SBL Seminar Papers 1998, vol. I (Atlanta 1998) 148-179. So D. E. Aune, The New Testament in Its Literary Environment (Philadelphia 1987) 77: „Acts cannot be forced into a biographical mold.“ Vgl. Marguerat, The First Christian Historian (s. Anm. 1) 21: „We must resist the temptation to turn the author of Acts into a Christian Thukydides; he is closer in thought to a Flavius Josephus or the authors of the books of Maccabees.“ S. auch den Beitrag von Joachim Molthagen in diesem Band.

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durch verschiedene Modifikationen und Spezifikationen, hinsichtlich der Thematik, der Darstellungsweise und der Intention erklärt werden. Eine thematische Spezifizierung hatte ja bereits die alte Bezeichnung des Werks als „Versuch einer christlichen Kirchengeschichte“62 impliziert. Freilich sind die Differenzen zum späteren Werk Eusebs evident, und an der Kontinuität kirchlicher ‚Institutionen‘ zeigt Lukas noch wenig Interesse. Eine relativ unbestimmte Spezifizierung bietet auch der von zahlreichen Interpreten derzeit favorisierte Begriff der „historischen Monographie“63, der unterschiedliche Stadt-, Provinz- und Völkergeschichten oder auch Berichte über Philosophenschulen erfassen und so auch diese „Spezialgeschichte“64 der missionarischen Entfaltung der Jesusbewegung einschließen kann. Dabei sollte man den Gesichtspunkt des ‚Speziellen‘ nicht überbetonen,65 da die Apostelgeschichte ihren Stoff selbst in universale Perspektiven stellt (Apg 26,26). Hinsichtlich der Darstellungsweise nimmt Daniel Marguerat die Taxonomie von Geschichtswerken nach Paul Ricoeur auf, die von der dokumentarischen Historiographie eine erklärende und eine poetische unterscheidet, wobei die Grenzen fließend sind, die Apostelgeschichte aber große Nähe zur poetischen Geschichtsschreibung aufweist.66 In dieselbe Richtung geht Eckhard Plümacher, wenn er die Apostelgeschichte der hellenistischen Geschichtsschreibung67 mit einem tragischpathetischen oder mimetischen Darstellungsstil zuordnet, dem es eben nicht nur um eine nüchtern-kritische Darstellung, sondern um die Verlebendigung des Erzählten ging. Erst unter Berücksichtigung dieser Varianten antiker Geschichtsschreibung kann es gelingen, sich von verengten Voraussetzungen, was denn Historiographie genannt werden könne, zu befreien. Dass mimetische Historiographie nicht ‚neutral‘ und ‚wertfrei‘ sein will, sondern ungeniert ihre Perspektive vorträgt, ist angesichts der antiken Parallelen evident.68 Die Intention der lukanischen Historiographie wird dabei häufig als apologetisch angesehen.69 Freilich ist das 62 63 64 65

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So de Wette, Lehrbuch (s. Anm. 1) 204. Vgl. Plümacher, „Die Apostelgeschichte als historische Monographie“ (s. Anm. 8); s. bereits Conzelmann, Die Mitte der Zeit (s. Anm. 45) 6f. So Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (s. Anm. 1) 37. So ordnet etwa D. E. Aune, The New Testament in Its Literary Environment (s. Anm. 60) 77, das Werk als volkstümliche „general history“ ein. Ibid., 140: Diese Gattung erlaube es dem Autor „to conceptualize Christianity on analogy to an ethnic group... as an independent religious movement in the process of emerging from Judaism to which it is its legitimate successor“. Marguerat, The First Christian Historian (s. Anm. 1) 8-10. S. die Arbeiten o. Anm. 8. Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 22) 30, spricht daher von einer „intentionale[n] Geschichte der christlichen Erstepoche“. S. dazu Marguerat, The First Christian Historian (s. Anm. 1) 27f.

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Werk weder – wie spätere Apologien – an politische Autoritäten noch überhaupt an pagane oder jüdische Leser adressiert, sondern an Christen oder Sympathisanten, also ‚insider‘. Als nach innen gerichtete ‚apologetische Geschichtsschreibung‘70 entfaltet das Werk die Identität der neuen ‚christlichen‘ Bewegung, indem deren Ursprünge und ihre von Gott selbst bestätigte Legitimität zur Darstellung gebracht werden. Die Frage bleibt, ob man innerhalb der Kategorien antiker Historiographie zu einer weiteren Präzisierung kommen kann oder ob die Zuordnung der Apostelgeschichte zu einer spezifischen Untergattung eventuell eine unangemessene Verengung darstellt. Deutlich ist jedoch, dass es erst aufgrund der breiteren Vergleichung antiker Parallelen möglich ist, das Werk als Historiographie zu erfassen, ohne dass damit zugleich ein Urteil über die historische ‚Tatsachentreue‘ gefällt wäre.71 Hier hat die neuere Diskussion die Verengungen älterer Fragestellungen überwunden und die Tür zu einem besseren literarischen Verständnis des lukanischen Werks aufgestoßen.

4. Ein theologisches Programm? Ein letzter Fragenkreis betrifft das theologische Programm, das Lukas mit seinem Doppelwerk – und insbesondere in seinem zweiten Teil – verfolgt. Geht es dem auctor ad Theophilum wirklich um eine nach heutigem Verständnis unangemessene historische ‚Absicherung‘ des Glaubens? Hatte die kerygmatheologische Forschungsrichtung das lukanische Werk einseitig vom Phänomen der Parusieverzögerung her bestimmt gesehen und als (unsachgemäße) Reaktion auf dieses Phänomen gelesen,72 so ist dieser Topos in der heutigen Forschung kaum mehr von zentraler Bedeutung. Und an die Stelle einer dogmatischen ‚Vermessung‘ des lukanischen Denkens am Maßstab der Theologie des Paulus ist die verstärkte Beachtung des lukanischen Paulusbildes getreten, das – wenngleich in einzelnen Zügen fiktional – Wesentliches der

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S. dazu G. E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts & Apologetic Historiography (NT.S 64, Leiden et al. 1992), der die Apostelgeschichte so mit den ‚Volksgeschichten‘ eines Manetho, Berossos, Artapanos oder den Antiquitates des Josephus zusammensieht. Cf. Phillips, “Genre“ (s. Anm. 52) 385: „History, at least in the antiquity, is not a genre which preludes [sic!] the inclusion of fiction.“ Vgl. grundlegend E. Gräßer, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte (BZNW 22, Berlin 1957).

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‚Botschaft‘ des Lukas kommuniziert. Über alledem ist Lukas als eigenständiger Historiker und Theologe zu würdigen.73 Dies betrifft insbesondere sein Verhältnis zur Geschichte und seine in der älteren Forschung meist negativ bewertete Konzeption der ‚Heilsgeschichte‘. Zwar präsentiert Lukas als einziger neutestamentlicher Autor detaillierte Abrisse der Geschichte Israels (Apg 7,2-53; 13,1625)74, doch findet sich eine Anknüpfung an die alttestamentliche Verheißungsgeschichte im Grunde auch schon bei Paulus, sehr dezidiert auch bei Matthäus und – in unterschiedlicher Ausprägung – bei weiteren urchristlichen Autoren. ‚Heilsgeschichte‘75 ist daher, wie Knut Backhaus zu Recht feststellt, „nicht ein Denkmodell, das Lukas etwa im Gegensatz zu Paulus zu propagieren sucht und auf das er mit einer etwas sensibleren Theologie auch hätte verzichten können. Sie ist vielmehr unausweichlich das Ergebnis einer geschichtlichen Darstellung der christlichen Anfänge, sofern diese religiöses Sinnwissen voraussetzt und stiftet.“76 Die grundsätzliche Infragestellung der Legitimität eines solchen Denkens lässt sich – wie etwa in der Theologie der BultmannSchule – allein aus dogmatischen Motiven verstehen.77 Dabei geht es Lukas keineswegs darum, eine ‚Geschichte‘ neben oder hinter der ‚Weltgeschichte‘ zu postulieren, sondern darum, die Entstehung und den Weg der Gemeinde Jesu und insbesondere auch die Öffnung für die Völker nicht in irgendwelchen politischen Gegebenheiten, sondern im Willen und im Plan des Gottes Israels zu verankern. Mit der Reflexion dieses Themas verbindet sich in der neueren Forschung besonders die Wiederentdeckung des Judentums in der Darstellung des Lukas, der in seiner christlichen Ursprungsgeschichte durch die Aufnahme von Septuaginta-Stil, szenische Kolorierung und eine Vielzahl biblischer Motive die Anknüpfung an die biblische Heilsgeschichte markiert.78 Ungeachtet der Tatsache, ob man in Lukas selbst einen Heidenchristen oder eher einen Gottesfürchtigen sehen will, ist das Maß der Kenntnis jüdischer Überlieferungen und Konven73 74 75 76 77

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S. die Darstellung von P. Pokorny, Die Theologie der lukanischen Schriften (FRLANT 175, Göttingen 1997). S. dazu den Beitrag von Gregory E. Sterling in diesem Band. S. dazu jetzt den Band von J. Frey/St. Krauter/H. Lichtenberger (eds.), Heil und Geschichte (WUNT, Tübingen 2009), dort den Beitrag von James D. G. Dunn, “Luke as Salvation History“. Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 22) 56. Backhaus fügt hinzu (ibid., 56 Anm. 76): „Wo der lukanische Entwurf angefochten wird, geht es entweder um einen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Heilsdefinitionen bzw. Ordnungsansprüchen oder um den (begründungspflichtigen) Vorbehalt gegen eine Verbindung von geschichtlichem und religiösem Sinnwissen überhaupt.“ Dies ist programmatisch herausgearbeitet bei Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 4).

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tionen beachtlich. Mehr als bei irgendeinem anderen neutestamentlichen Autor reflektiert Lukas den Jerusalemer Tempel als Ort jüdischer und urchristlicher Frömmigkeit, aber auch der Verwerfung des Paulus und der definitiven Wendung des Heils zu den Heiden (Apg 21,27-30). Die Zerstörung Jerusalems ist für ihn noch ein bedrängendes Ereignis (Lk 21,24), das er aus relativ naher Perspektive und in mitleidvoller Trauer kommentiert (Lk 23,28). Trotz der universalistischen Wendung zeigt Lukas am deutlichsten – und historisch sicher sachgemäß –, dass das Urchristentum zunächst eine jüdische messianische Bewegung war.79 Insofern drängt sich desto mehr das Problem auf, wie es zur mehrheitlichen Ablehnung der Botschaft Jesu durch seine Zeitgenossen bzw. der christlichen Verkündigung durch die Synagoge und zu der – für Lukas schon absehbaren – Trennung der Wege zwischen Synagoge und werdender Kirche kommen ‚musste‘. Nicht zufällig dienen die „letzten Worte des lukanischen Paulus“80 der Erklärung dieses bedrängenden Problems. Auch hier zeigt sich Lukas in der Ausgestaltung von Schlüsselszenen weniger als ‚dokumentarischer‘, denn als ‚erklärender‘ und poetisch-pathetischer Historiker, der aus den ihm verfügbaren Überlieferungen seine Geschichte schreibt, um seinen Adressaten ihren Ort in der Heilsgeschichte Gottes mit Israel und den Völkern anzuweisen. Dabei zeigt sich zugleich, dass sich die Theologie des auctor ad Theophilum nicht redaktionsgeschichtlich aus isolierten Bemerkungen herausarbeiten lässt, sondern Lukas als Erzähler Theologe und als Theologe Erzähler ist und als solcher wahrgenommen werden will.

5. Zu Aufbau und Inhalt des vorliegenden Bandes Es gibt viele Gründe, sich historiographisch und theologisch breit mit dem lukanischen Werk zu befassen. Dabei ist nach seinen biblischen und theologischen Deutemotiven ebenso zu fragen wie nach seinen rhetorischen und historiographischen Techniken – wobei zwischen Rhetorik und Theologie ebenso wenig eine Alternative eröffnet werden darf wie zwischen den geschichtlichen ‚Fakten‘ und ihrer Deutung. Wesentlich ist daher, für die Diskussionen um das lukanische Werk einen möglichst weiten Raum zu eröffnen. Wir dürfen den auctor ad Theophilum weder allein an der paulinischen Theologie messen, noch 79 80

S. dazu M. Hengel, „Das früheste Christentum als eine jüdische messianische und universalistische Bewegung“, in id., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II (WUNT 109, Tübingen 1999) 200-218. So der Titel des Beitrags von Enno Edzard Popkes in diesem Band.

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allein an Herodot oder Thukydides. Wir müssen seine Verwendung der griechischen Bibel, der Septuaginta ebenso in Betracht ziehen wie seine Anlehnung an die Konventionen zeitgenössischer Geschichtsschreibung. Josephus ist gleichermaßen heranzuziehen wie Lukian. Und auch der Vergleich mit späteren christlichen Werken, wie etwa den apokryphen Apostelakten oder dann der nächsten ‚großen‘ Kirchengeschichte, dem erst mehr als 200 Jahre später entstandenen Werk Eusebs, lässt die Besonderheit und die Bedeutung des lukanischen Werks erkennen. Der vorliegende Band will die mit dem Thema gestellten Fragen in gebührender Weite und Tiefe aufnehmen. Er konzentriert sich daher auf die Frage nach dem Verhältnis des lukanischen Geschichtswerks, speziell der Apostelgeschichte, zur antiken Geschichtsschreibung. Dabei sollen Fragen der historiographischen Konzeption und Durchführung des lukanischen Werks sowie Probleme der Methoden und Kategorien zur Näherbestimmung seines historiographischen Charakters erörtert werden. Der Aufbau entspricht der Zielsetzung. Nach den beiden einführenden Beiträgen soll zunächst der Bereich der israelitischen und frühjüdischen Historiographie abgeschritten werden (I), danach werden Kontexte aus der griechisch-römischen paganen Welt beleuchtet (II) und schließlich Kontexte aus dem frühen Christentum (III). Ein letzter Teil bietet Studien zur Gattung und Konzeption des lukanischen Werks (IV). Allen Studien gemeinsam ist die methodische Einsicht, dass die Eigenart des lukanischen Werks nicht allein durch textimmanente Analysen, sondern nur im Rahmen von umfassenden Vergleichen mit einer breiten Palette von Texten unterschiedlicher Gattung aus verschiedenen Überlieferungsbereichen näher bestimmt werden kann. Dabei sind Geschichtsdarstellungen aus der biblischen und frühjüdischen Tradition ebenso zu berücksichtigen wie die Vielzahl von Texten aus der griechisch-römischen Tradition und die Zeugnisse der erst viel später nach einer ‚Pause‘ von gut zwei Jahrhunderten weitergeführten christlichen Geschichtsschreibung. Erst durch die Vergleichung von anderen historiographischen Werken, aber auch von Werken anderer Gattung (wie Epos, Roman, Apostelakten etc.) wird der literarische Charakter des lukanischen Werks präziser bestimmbar. Dabei geht es nicht primär um die Feststellung genetischer ‚Einflüsse‘, sondern um die Ausleuchtung der Besonderheiten der Darstellung, die sich im Horizont unterschiedlicher Kontexte in Analogie und Differenz zeigen. Die bloße Einordnung der Apostelgeschichte in den Rahmen der ‚Historiographie‘ löst nämlich, wie Jens Schröter in seinem einführenden Beitrag deutlich macht, wesentliche Fragen nach der konkreten Aus-

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gestaltung der lukanischen Erzählung oder ihrem Geschichtswert noch nicht, vielmehr zeigt gerade der Blick auf antike ‚Anleitungen‘ zum Schreiben von Geschichte (wie z. B. Lukians Schrift Quomodo historia conscribenda sit)81, dass sich antike Autoren und Rezipienten der konstruktiven und poetischen Momente von ‚Geschichtsschreibung‘ evtl. bewusster waren als manche der vom theologischen Historismus beeinflussten Rezipienten der kanonisch gewordenen ‚Geschichte‘ der „Taten der Apostel“. Die im Interesse an der Wahrheit der kanonischen Texte gelegentlich aufgestellte Alternative von historischer Zuverlässigkeit und rein fiktionaler Gestaltung ist jedenfalls für ein Verständnis des lukanischen Werks zu eng. Der Blick auf die antiken Kontexte kann hier den Horizont erweitern. Wesentlich sind hier zunächst die biblischen und frühjüdischen Horizonte (Teil I), wobei der Septuaginta für Lukas besondere Bedeutung zukommt. Der Beitrag von Thomas Römer informiert dazu über die Diskussion zu den Anfängen der Geschichtsschreibung in Israel und beschreibt – nachdem die Existenz des klassischen ‚Jahwisten‘ und sein Profil als Begründer israelitischen Geschichtsdenkens in salomonischer Zeit inzwischen weithin bezweifelt wird –, inwiefern das deuteronomistische Geschichtswerk – obgleich es selbst eine theologische Konstruktion der Vergangenheit darstellt – als die erste zusammenhängende Darstellung der Geschichte Israels und Judas gelten kann. Mit der deuteronomistischen Geschichtsschreibung ist zugleich ein wesentlicher Bezugspunkt der Geschichtstheologie der Apostelgeschichte erfasst. Auf dem Hintergrund der historiographischen Tendenzen der spätalttestamentlichen und frühjüdischen Literatur des 3. Jahrhunderts v. Chr. beschreibt Martin Meiser die historiographischen Tendenzen der Septuaginta, wobei er in interessanter Weise auf die Parallelen zur antiken Homer-Philologie hinweist, um danach den Blick auf entsprechende Gestaltungstendenzen im lukanischen Werk zu lenken. Auch hier ergibt sich ein interessanter Bezugsrahmen für die Art und Weise, in der Lukas seine Geschichte formt. Die Verwendung der Septuaginta im lukanischen Werk wird von Gregory E. Sterling exemplarisch anhand der Rede des Paulus im pisidischen Antiochien (Apg 13,16-41) untersucht, wobei der Blick auch auf andere frühjüdische Texte wie z. B. den pseudo-philonischen Liber Antiquitatum Biblicarum fällt, die ergänzend neben der Septuaginta die erzählerische Darstellung der Geschichte 81

S. zur Problematik der Interpretation dieser Schrift auch den Beitrag von Clare K. Rothschild in diesem Band. Vgl. zu den poetischen Momenten antiker Historiographie insbesondere Clare K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History (WUNT II/175, Tübingen 2005), sowie – in teilweise engem Anschluss daran – K. Backhaus, „Spielräume der Wahrheit“ (s. Anm. 36).

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Israels beeinflusst haben. Die lukanische Konzeption einer aus der Geschichte Israels bis hinein in die paulinische Mission durchlaufenden Heilsgeschichte wird so aus frühjüdischen Modellen und insbesondere der Septuaginta verständlich. Ein weiterer wichtiger Textbereich der frühjüdischen Historiographie wird in dem Beitrag von Daniel R. Schwartz fruchtbar gemacht, der das lukanische Werk in den durch das erste und zweite Makkabäerbuch eröffneten Raum von Möglichkeiten jüdischer Existenz in der griechisch-römischen Welt einzeichnet. Schließlich führt Manuel Vogel anhand des Motivs der Traumdarstellungen einen instruktiven Vergleich zwischen dem lukanischen Werk und dem Werk des Flavius Josephus vor, wobei sich überraschenderweise ergibt, dass Lukas doch relativ zurückhaltend und sehr selektiv mit dem breiten Arsenal von Traummotiven umgeht, was im Blick auf die theologische Konzeption des lukanischen Werks zu bedenken ist. Nach dem israelitisch-jüdischen Traditionsbereich kommt in einem zweiten Schritt der Bereich der griechisch-römischen Historiographie zur Geltung. Am Anfang steht dabei im Beitrag von Joachim Molthagen der Vergleich mit den klassischen Meistern der griechischen Historiographie, Herodot als dem ‚Vater‘ der griechischen Historiographie, Thukydides als dem Meister der methodenbewussten Geschichtsdarstellung, und Polybios als dem am besten erhaltenen Historiker der hellenistischen Zeit. Vor dem Hintergrund dieser Autoren lassen sich Themen, Geschichtsverständnis und Darstellungsweise des Lukas profilierter herausarbeiten – auch in den Zügen, in denen das lukanische Werk als theologische Geschichtsschreibung nicht in der Tradition der ‚klassischen‘ griechischen Historiker steht. Eine instruktive Weitung des Horizonts bietet Martin Hose, wenn er auf – im Unterschied zur lange beherrschenden thukydideisch-polybianischen Geschichtsschreibung – so genannte „exzentrische“ Formen der Historiographie rekurriert und dabei lange eher vergessene hellenistische Historiker vor Augen führt, die ihre Werke nach geographischen oder biographischen Gesichtspunkten strukturierten und vielfältige fiktionale Elemente oder ‚Beglaubigungsapparate‘ in ihre Werke einbauten und so ihren Lesern einen spezifischen ‚Mehrwert‘ präsentierten. Die Breite der Gattung ‚Historiographie‘ in der Antike wird damit in einer für das Verständnis des lukanischen Werks als Geschichtswerk entscheidenden Weise herausgestellt. Die Reihe der Detailvergleiche wird eröffnet durch Stefan Krauters Beitrag zum Verhältnis von Historiographie und Epos, konkret zum Verhältnis des lukanischen Werks zu Vergils Aeneis. Dabei ergeben sich trotz der klaren gattungsmäßigen Differenzen schließlich doch interessante intertextuelle Perspektiven auf Aspekte der geschichtstheologi-

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schen Konzeption des lukanischen Werks. In einem zweiten Detailvergleich lenkt Manfred Lang die Aufmerksamkeit auf das Leben des Julius Agricola und vergleicht diese Vita mit der lukanischen Paulusdarstellung. Dies eröffnet sowohl Perspektiven im Blick auf die Frage der Gattung der Apostelgeschichte, die historiographische und biographische Züge trägt, als auch auf die Konzeption, mit der der Autor anhand der Darstellung einer exemplarischen Person bzw. einer Identifikationsfigur seinen Lesern ein Sinnangebot für ihr eigenes „Leben in der Zeit“82 vorlegt. Der letzte Beitrag zum griechisch-römischen Umfeld thematisiert noch einmal die Frage der Methode antiker Historiographie. In einer neuen Interpretation der Schrift Lukians Quomodo historia conscribenda sit unter Berücksichtigung der in dieser Schrift anklingenden Ironie macht Clare K. Rothschild deutlich, dass auch die scheinbar klare Darstellung der Prinzipien der Geschichtsschreibung nicht zur oberflächlichen ‚Anwendung‘ taugt, sondern eine Diskussion um die Probleme und Schwierigkeiten dieser Ideale eröffnet. Der dritte Teil der ‚Kontextualisierung‘ wendet sich schließlich den frühchristlichen Parallelen zum lukanischen Werk zu. Dabei kommen zuerst die Paulusbriefe und die Frage der historischen Auswertung der Apostelgeschichte in Verbindung mit den authentischen Paulinen ins Blickfeld. In dieser seit Ferdinand Christian Baur heftig diskutierten Frage führt Heike Omerzu am Beispiel der komplexen Frage nach einer ephesinischen Gefangenschaft des Paulus die Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer historischen Auswertung beider Zeugnisse vor. Einer vermeintlich ‚leichten‘, aber in sich äußerst spannenden Fragestellung geht Roland Kany in seinem Beitrag nach: der Frage nämlich, warum die Apostelgeschichte in der Antike keine Fortsetzung fand. Die Suche nach Gründen dafür und Möglichkeiten einer Weiterführung führt zugleich die Werke des Papias, des Hegesipp und die Chronographien des Hippolyt und des Julius Africanus vor Augen, lässt aber letztlich die Eigenart des lukanischen Programms und seiner spezifischen Situation hervortreten. Eine weitere mögliche ‚Fortsetzung‘ der Apostelgeschichte, nämlich die apokryphen Apostelakten, vergleicht François Bovon in seinem Beitrag formal und inhaltlich mit dem lukanischen Werk. Dabei zeigt sich auch in diesem Horizont trotz aller Gemeinsamkeiten die spezifische Eigenart des lukanischen Werks wie auch der einzelnen späteren Apostelakten. Christopher Mount interpretiert das lukanische Werk unter Voraussetzung einer späten Datierung 82

S. der ursprüngliche Titel der Habilitationsschrift von M. Lang, jetzt publiziert als: Die Kunst christlichen Lebens. Rezeptionsästhetische Studien zum lukanischen Paulusbild (ABG 29, Leipzig 2008).

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im Sinne einer Integration der älteren apostolischen Überlieferungen in einen reichsrömischen Kontext und der Schaffung eines Rahmens für die spätere christliche Geschichtsschreibung. Andreas Müller untersucht schließlich die Rezeption der Apostelgeschichte in der Vita Constantini Eusebs und schlägt so den Bogen zur christlichen Geschichtsschreibung des vierten Jahrhunderts, während Paul Holloway am instruktiven Beispiel des Abschlusses der Kirchengeschichten von Euseb und Theodoret von Cyrrhus die konzeptionelle Bedeutung des Schlusses eines Geschichtswerks herausstellt und von hier aus Perspektiven für das Verständnis des rätselhaften Abschlusses der Apostelgeschichte gewinnt. Ein letzter Teil mit Beiträgen zur Gattung und Konzeption des lukanischen Werks schließt den Band ab. Zunächst nimmt Detlev Dormeyer ausführlich die Forschungsdiskussion um die Gattung der Apostelgeschichte als Einzelwerk und als Teil des lukanischen Doppelwerks auf und erörtert eine Vielzahl antiker Paralleltexte, um am Ende einen eigenen Vorschlag zur Gattungsbestimmung zu formulieren. Michael Wolter wendet sich den Prologen zum Lukasevangelium und zur Apostelgeschichte zu und interpretiert beide in ihrem Zusammenhang und ihrer Differenz. A. J. Droge geht gleichfalls vom lukanischen Proömium aus, interpretiert dieses jedoch als eine fiktionale Selbstvorstellung eines anonymen Autors und verbindet das hier vorgestellte Ich mit dem der Wir-Stücke zum Bild einer (späten) pseudonymen Autorfiktion. In einem erneut an die Vergleiche aus den ersten Teilen anknüpfenden Beitrag interpretiert Hubert Cancik das lukanische Doppelwerk als Institutionsgeschichte, in der sich das Leben des Stifters (d. h. Jesus) in der Geschichte seiner Schule fortsetzt, und vergleicht diesen Befund am Ende mit den Berichten über Pythagoras und seine Schule. In durchaus analoger Weise beschreibt Friedrich Avemarie die Apostelgeschichte als eine Fortsetzung der Geschichte Jesu, wobei er insbesondere die darin erzählten wunderhaften Episoden – die Visionen, Heilungen und Geistes-Manifestationen – als Taten Jesu Christi interpretiert. Die beiden letzten Beiträge nehmen schließlich die Fragen der jüdisch-‚christlichen‘ Trennung und der Stellung der entstehenden Heidenkirche zum Gottesvolk Israel auf: Bettina Rost bietet eine eingehende Interpretation des Aposteldekrets (Act 15,28f.) in seinem Kontext, und Enno Edzard Popkes analysiert die Schluss-Szene des Werks (Act 28,25-28) und die Funktion des darin rezipierten Verstockungsmotivs, wobei sich von hier aus nicht nur Einsichten im Blick auf die lukanische Verarbeitung der schmerzlichen Abtrennung der christlichen Gemeinde von der Synagoge ergeben, sondern auch Perspektiven auf das differenzierte

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theologische Verhältnis des auctor ad Theophilum zu seinem ‚Helden‘, dem Apostel Paulus. Die Beiträge dieses Bandes zeigen auf ihre Weise, dass mit der Einordnung des Lukas als ‚Historiker‘ die Frage nach dem literarischen Charakter seines Werkes und nach seiner theologischen Konzeption ebensowenig gelöst ist wie die stets virulente Frage nach der historischen Referenz seiner Darstellung. Notwendig ist der weite und präzise Blick auf die unterschiedlichen Kontexte, in denen sich sein Werk betrachten lässt, um das Bewusstsein dafür zu wecken, welche literarischen und rhetorischen Arbeitsweisen und Möglichkeiten zur Verfügung standen und akzeptiert waren, welcher Art die Historiographie des Lukas ist und worin sich Lukas als Historiker und frühchristlicher Theologe dann doch von seinen frühjüdischen, griechischen, römischen und späteren christlichen ‚Kollegen‘ unterscheidet.

Zur Stellung der Apostelgeschichte im Kontext der antiken Historiographie* JENS SCHRÖTER Wenn die Apostelgeschichte im Folgenden im Kontext der antiken Geschichtsschreibung behandelt wird, ist bereits vorausgesetzt, dass sie sich in dieser Perspektive sinnvoll interpretieren lässt.1 Dabei handelt es sich um eine in der Forschung seit langem akzeptierte und auch gegenwärtig weithin geteilte Sicht.2 Die Zuweisung zur Gattung des antiken * 1 2

Für Korrekturen, Hinweise und sonstige Hilfe danke ich meiner Mitarbeiterin Bettina Rost sehr herzlich. Zur neueren Diskussion dieses Themas vgl. J. Schröter, „Actaforschung seit 1982: III. Die Apostelgeschichte als Geschichtswerk“, ThR 72 (2007) 383-419. Vgl. etwa C. K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, vol. II (ICC, Edinburgh 1998) cxi-cxvii; H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7, Tübingen 11963) 7-13; R. I. Denova, The Things Accomplished Among Us. Prophetic Tradition in the Structural Pattern of Luke-Acts (JSNT.S 141, Sheffield 1997) 81-87, 102104; M. Dibelius, „Der erste christliche Historiker“, in id., Aufsätze zur Apostelgeschichte, ed. H. Greeven (Berlin 51968) 108-119 (bes. 110-116); id., „Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung“, ibid., 120-162 (bes. 125, 151-157); W. Eckey, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom, vol. I (Neukirchen-Vluyn 2000) 20-31; J. A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 31, New York et al. 1998) 5560, 127; C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, ed. C. H. Gempf (WUNT 49, Tübingen 1989) 63-100; J. Jervell, Die Apostelgeschichte (KEK III, Göttingen 1998) 76-79; T. Johnson, The Acts of the Apostles (Sacra Pagina Series 5, Collegeville [MN] 1992) 3-7; K. Löning, Das Geschichtswerk des Lukas, vol. 1: Israels Hoffnung und Gottes Geheimnisse (Stuttgart 1997) 19-25; D. Marguerat, “How Luke wrote history“, in id., The First Christian Historian. Writing the ‘Acts of the Apostles’ (MSSNTS 121, Cambridge 2002) 1-25; W. J. McCoy, “In the shadow of Thucydides”, in B. Witherington (ed.), History, Literature, and Society in the Book of Acts (Cambridge et al. 1996) 3-32 (bes. 23); D. W. Palmer, “Acts and the ancient historical monograph”, in B. W. Winter/A. D. Clarke (eds.), The Book of Acts in Its Literary Setting (The Book of Acts in Its First Century Setting I, Grand Rapids [MI]/Carlisle 1993) 1-29; E. Plümacher, „Lukas als griechischer Historiker“, PRE.S 14 (1974) 235-264 (bes. 244-249, 257-261); id., „Apostelgeschichte“, TRE 3 (1978) 483-528 (bes. 502-506, 509-515); id., „Die Apostelgeschichte als historische Monographie“, in id., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, ed. J. Schröter/R. Brucker (WUNT 170, Tübingen 2004) 1-14; id., „Cicero und Lukas. Bemerkungen zu Stil und Zweck der historischen Monographie“, ibid., 15-32; id., „Terateiva. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte“, ibid., 33-83; id., „Wirklichkeitserfahrung und Geschichtsschreibung bei Lukas. Erwägungen zu den Wir-Stücken der Apostelgeschichte“, ibid., 85-108; id., „Die Missionsreden der Apostelgeschichte und Dionys von Halikarnass“, ibid., 109-

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Romans nach Art der apokryphen Apostelakten, wie sie vor allem Richard Pervo favorisiert hatte, hat sich dagegen nicht durchsetzen können.3 Auch der Versuch, die Apostelgeschichte als Biographie zu verstehen,4 konnte letztlich nicht überzeugen. Zu beachten ist allerdings, dass die Zuweisung zur antiken Geschichtsschreibung weder die Frage nach der konkreten literarischen Gestaltung noch diejenige nach der historischen Referenz der Apostelgeschichte beantwortet. Der Grund hierfür ist, dass die historiographische Literatur der Antike ein breites Spektrum mit vielfältigen Beziehungen zu romanhafter und mythischer Literatur umfasst. Das zeigt sich auch in der Apostelgeschichte, wenn etwa in den Erzählungen von wunderbaren Heilungen oder übernatürlichen Gefängnisbefreiungen, für die sich Lukas der von Ernst Haenchen als „dramatische Szenentechnik“ oder „dramatischer Episodenstil“ bezeichneten Erzählweise bedient,5 die fließenden Grenzen zwischen einer am tatsächlich Geschehenen orientierten und einer die göttliche Lenkung des Geschichtsverlaufs hervorhebenden Darstellungsform erkennbar sind. Die Zuweisung zur Historiographie gibt demnach noch keine Auskunft darüber, wie die Apostelgeschichte bezüglich ihrer Intention und ihres Geschichtswertes genauer zu charakterisieren ist. Zu beachten ist jedoch, dass sie sich in ihrem historiographischen Konzept als Fortschreibung der Geschichte Israels präsentiert und damit einer spezifi-

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125; C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT II/175, Tübingen 2004) 17-20; G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas (ThHK 5, Berlin 1983) 30 mit Anm. 62b; S. Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19 (BZNW 133, Berlin/New York 2005) 57-80; G. E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography (NT.S 64, Leiden et al. 1992) 1-19; A. Weiser, Die Apostelgeschichte (Leipzig 1989 = ÖTK 5/1.2, Gütersloh 1981/1985) 24f.; B. Witherington, The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary (Grand Rapids [MI] 1998) 2f., 24-39; J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte (RNT, Regensburg 1994) 16f. R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987). Vgl. auch H. Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit (Berlin/New York 1980) 484. Deutlich differenzierter ist die Behandlung der Gattungsfrage in Pervos kürzlich erschienenem Kommentar: Acts. A Commentary (Hermeneia, Minneapolis 2009) 14-18. So vor allem C. H. Talbert, Literary Patterns, Theological Themes and the Genre of LukeActs (SBL.MS 20, Missoula [MT] 1974); id., What is a Gospel? (Philadelphia 1977). Vgl. auch L. C. A. Alexander, “Acts and Intellectual Biography“, in Winter/Clarke, Book of Acts (s. Anm. 2) 31-63. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK III, Göttingen 71977) 117 mit Anm. 1. Vgl. dann vor allem E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte (SUNT 9, Göttingen 1972) 80-136; id., „Stichwort: Lukas, Historiker“, ZNT 9 (2006), Heft 18, 2-8; M. Hengel, „Zur urchristlichen Geschichtsschreibung“, in id., Studien zum Urchristentum (Kleine Schriften VI, WUNT 234, Tübingen 2008) 1-104: 44f. 48-50.

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schen Sicht auf die Geschichte als vom Gott Israels gelenktem Ereigniszusammenhang verpflichtet ist.6 Das kommt etwa in den Reden des Petrus, Stephanus und Paulus zum Ausdruck, in denen auf die Geschichte Israels als Deutungshorizont der erzählten Ereignisse rekurriert wird. Es wird weiter an der Darstellung des Geschichtsverlaufs deutlich, der von Gott mittels der Zeugen der Christusbotschaft gelenkt wird. Da sich Lukas dabei zugleich Darstellungsformen der zeitgenössischen hellenistisch-römischen Historiographie bedient, steht er – wie in analoger Weise auch Josephus – am Schnittpunkt von israelitischjüdischer und hellenistischer bzw. römischer Geschichtsschreibung.7 Es wäre demnach unzureichend, den historiographischen Charakter der Apostelgeschichte dadurch erweisen zu wollen, dass dem hier Berichteten der Status tatsächlich geschehener Ereignisse zugewiesen wird.8 Dabei wäre nur unzureichend gewichtet, worauf Martin Dibelius bereits vor längerer Zeit hingewiesen hatte, dass nämlich die „Kunst des Historikers“ darin besteht, „den Sinn der Ereignisse zu erhellen“ und „das in Erfahrung Gebrachte in einem bedeutungsvollen Zusammenhang zu verknüpfen“.9 Es ist darum auch wenig überzeugend zu urteilen, dass „die Frage nach dem Verfasser und seiner Nähe zu den geschilderten Ereignissen“ ein „entscheidender Faktor bei der Beurteilung eines Geschichtswerkes ist“.10 Dabei wird ein Aspekt – nämlich die Nähe des Verfassers zu den von ihm berichteten Begebenheiten – für die Beurteilung der Apostelgeschichte als Geschichtswerk einseitig in den Vordergrund gerückt, der für antike Geschichtswerke jedoch keineswegs allein ausschlaggebend, oft nicht einmal von hervorgehobener Bedeutung ist. Der Charakter des lukanischen Werkes kann allerdings auch nicht ausschließlich durch Rekurs auf den Topos der göttlichen Vorsehung in

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Das wird auch von Pervo, Acts (s. Anm. 3) 15f., zu Recht betont. Vgl. etwa Marguerat, Historian (s. Anm. 2) 25: „Luke is situated precisely at the meeting point of Jewish and Greek historiographical currents. His narrative devices are heavily indebted to the cultural standard in the Roman Empire, that is, history as the Greeks wrote it. However, contrary to the ideal of objectivity found in Herodean and Thucydidean historiography, Luke recounts a confessional history. [...] The quest for causality which animates the Graeco-Roman historian is exclusively theological for Luke. He shows a complete lack of interest in other causes. This characteristic incontestably links Luke’s narrative with biblical historiography. Judaeo-Christian historia has no other ambition than to point to God behind the event.” Ein derartiger Versuch findet sich jetzt wieder in der kürzlich erschienen Dissertation von A. Mittelstaedt, Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes (TANZ 43, Tübingen 2006). Dibelius, „Der erste christliche Historiker“ (s. Anm. 2) 110. So R. Riesner, „Die historische Zuverlässigkeit der Apostelgeschichte“, ZNT 9 (2006), Heft 18, 38-43: 38.

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der hellenistischen Historiographie bestimmt werden.11 Dabei wäre übersehen, dass Lukas zwar mit Darstellungsformen griechisch-römischer Geschichtsschreibung durchaus vertraut ist, sie aber seinem eigenen Geschichtsbild dienstbar macht, das an der Lenkung der Geschehnisse durch den Gott Israels orientiert ist und für das die Geschichte Israels den Deutungsrahmen bereitstellt. Die Stellung des lukanischen Werkes innerhalb der antiken Historiographie ist dabei, wie sich noch genauer zeigen wird, durch eine spezifische Modifikation dieser Geschichte gekennzeichnet, die durch die Ausbreitung der Christusbotschaft bewirkt wird. Vor diesem Hintergrund soll in den folgenden Ausführungen der Ort der Apostelgeschichte innerhalb der antiken Historiographie genauer umrissen werden. Dazu wird mit einigen Bemerkungen zum Verhältnis von dokumentarischem und literarischem Charakter von Geschichtswerken eingesetzt. Dem folgt ein Blick auf einige charakteristische Merkmale der Geschichtsdarstellung des Lukas, bevor zum Abschluss ein kurzes Fazit im Blick auf die Beurteilung der Apostelgeschichte als antikes Geschichtswerk gezogen wird.12

1. Geschichtsschreibung und historische Referenz 1.1 Bemerkungen zur neueren geschichtswissenschaftlichen Diskussion im Blick auf die Apostelgeschichte In der neueren geschichtswissenschaftlichen Diskussion ist das Verhältnis von Ereignissen der Vergangenheit und deren literarischer Verarbeitung in Geschichtsdarstellungen intensiv diskutiert worden.13 Damit rückte ein Merkmal von Geschichtsschreibung in den Blick, das in methodischen Reflexionen über den Charakter historiographischer Werke schon immer eine Rolle gespielt hat, dabei allerdings auch oft umstritten war. So ist die Affinität von Geschichtsschreibung und Dichtung be11 12

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Einen solchen Versuch hat J. T. Squires in seiner Untersuchung The plan of God in Luke-Acts (MSSNTS 76, Cambridge 1993) unternommen. Vgl. auch J. Schröter, „Neutestamentliche Wissenschaft jenseits des Historismus“, in id., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons (WUNT 204, Tübingen 2007) 9-22; id., „Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums. Reflexionen zur Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive“, ibid., 37-54; id., „Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte“, ibid., 223-246. Programmatisch etwa bei A. C. Danto, Analytic Philosophy of History (Cambridge 1965; dt.: Analytische Philosophie der Geschichte, Frankfurt 1974).

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reits in der Antike gesehen worden14 und rückte am Beginn der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft durch Wilhelm von Humboldt und Johann Gustav Droysen wieder in den Blick. Humboldt wies dabei insbesondere auf die schöpferische Tätigkeit des Geschichtsschreibers hin, die derjenigen des Dichters bzw. Künstlers zu vergleichen sei15, wogegen Droysen die Bedeutung der Interpretation für die historische Arbeit herausstellte, in welcher der Geschichtsschreiber als Erzähler aus dem historischen Material einen aus seiner Sicht entworfenen Zusammenhang herstellt.16 Entscheidend dabei ist die Einsicht, dass erst die ordnende, interpretierende Tätigkeit des Geschichtsschreibers aus den zufälligen Überresten, ungeordneten und lückenhaften Erinnerungen und vereinzelten literarischen Zeugnissen der Vergangenheit ein verstehbares Ganzes erzeugt. Droysen bezeichnete deshalb die Interpretation als denjenigen Schritt, durch den die historische Arbeit an ihr Ziel gelangt, indem sie die vorausgehenden Arbeitsgänge der Heuristik und Kritik vollendet.17 In ähnlicher Weise hatte Humboldt formuliert, dass das erforschte Geschehene durch die Intuition des Geschichtsschreibers zu einem Ganzen verbunden werden müsse.18 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde unter dem Einfluss des linguistic turn der konstruktivistische Charakter von Geschichtsdarstellungen etwa von Hayden White, Gabrielle Spiegel und Hans-Jürgen Goertz19, etwas zurückhaltender auch von Chris Lorenz, 14 15 16 17

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Vgl. W. Rösler, „Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike“, Poetica 12 (1980) 283-319. W. v. Humboldt, „Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers“ (1821), in id., Schriften zur Anthropologie und Geschichte (= Werke in fünf Bänden, Band 1), ed. A. Flitner/K. Giel (Darmstadt ³1980) 585-606. J. G. Droysen, Historik. Textausgabe von P. Leyh (Stuttgart-Bad Cannstatt 1977). Vgl. besonders den Abschnitt „Die erzählende Darstellung“, ibid., 229-249. Vgl. Droysen, Historik (s. Anm. 16) 431: „Das Ergebnis der Kritik ist nicht ‚die eigentliche historische Tatsache’, sondern, daß das Material bereit gemacht ist, eine verhältnismäßig sichere und korrekte Auffassung zu ermöglichen. Die Gewissenhaftigkeit, die über die Resultate der Kritik nicht hinausgehen will, irrt darin, daß sie der Phantasie überläßt, mit ihnen weiter zu arbeiten, statt auch für die weitere Arbeit Regeln zu finden, die ihre Korrektheit sichern.“ Humboldt, „Aufgabe“ (s. Anm. 15) 585: „Das Geschehene aber ist nur zum Theil in der Sinnenwelt sichtbar, das Uebrige muss hinzu empfunden, geschlossen, errathen werden.“ H. White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa (Frankfurt/M. 1991); id., Auch Klio dichtet. Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses (Stuttgart 1986); G. M. Spiegel, The Past as Text. The Theory and Practice of Medieval Historiography (Baltimore/London 1997); ead. (ed.), Practicing History. New Directions in Historical Writing after the Linguistic Turn (New York 2005); H. J. Goertz, Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität (Stuttgart 2001); id., „Abschied von ‚historischer Wirklichkeit’. Das Realismusproblem in der Geschichtswissenschaft“, in J. Schröter (ed.) [mit A. Eddelbüttel], Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive (Berlin 2004) 1-18.

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Jörn Rüsen und Paul Ricœur herausgestellt.20 Dabei wurde die Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit bei der Erstellung von Geschichtsentwürfen verschiedentlich mit dem Begriff der „Erinnerung“ charakterisiert. Dieser spielt auch in dem Werk von Johannes Fried eine wichtige Rolle, mit dem die Grundlage für die Disziplin einer „historischen Memorik“ gelegt werden soll.21 Fried fasst den Erinnerungsbegriff allerdings nicht in erster Linie als produktive hermeneutische Kategorie auf, sondern stellt vor allem die Unzuverlässigkeit von Gedächtnis und Erinnerung heraus, die es durch historische Forschung zu überwinden gelte. In positiver Weise nimmt dagegen Paul Ricœur auf die Kategorien „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ Bezug. Er hatte sich bereits in seinem großen Werk „Zeit und Erzählung“22 mit dem Verhältnis von literarischer und historischer Darstellung befasst und dies in einer hieran anschließenden Darstellung auf die Kategorien „Gedächtnis“ und „Vergessen“ ausgeweitet.23 Ricœur geht es dabei vor allem um den die Vergangenheit „repräsentierenden“ Charakter von Geschichtsdarstellungen. Eine an Gedächtnis und Erinnerung orientierte Auffassung von Geschichtsschreibung lässt dabei Ricœur zufolge auch die ethische Verantwortung gegenüber der Vergangenheit zutage treten. In neuerer Zeit sind diese Ansätze auch in der neutestamentlichen Wissenschaft aufgenommen und diskutiert worden. Verwiesen sei hierfür zunächst auf die Arbeiten von Daniel Marguerat, der in diversen Aufsätzen zur Apostelgeschichte bzw. zum lukanischen Werk insgesamt betont hat, Lukas werde gerade dadurch zum Historiker, dass er die ungeordneten Fakten in eine Ordnung bringe, die sie zu einer Gründungsgeschichte des frühen Christentums werden lassen.24 Im Anschluss an Ricœur stellt er dabei drei Typen von Geschichtsschreibung heraus: einen dokumentarischen, einen erklärenden sowie einen poietischen, identitätsstiftenden Typus.25 Dabei sieht Marguerat keine distinkte Trennung zwischen diesen drei historiographischen Dimen20

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C. Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie (Köln 1997); J. Rüsen, Rekonstruktion der Vergangenheit. Grundzüge einer Historik II: Die Prinzipien der historischen Forschung (Göttingen 1986); id., „Narrativität und Objektivität“, in J. Stückrath/J. Zbinden (eds.), Metageschichte. Hayden White und Paul Ricœur. Dargestellte Wirklichkeit in der europäischen Kultur im Kontext von Husserl, Weber, Auerbach und Gombrich (Baden-Baden 1997) 303-326; P. Ricœur, Geschichtsschreibung und Repräsentation der Vergangenheit (Münster et al. 2002); id., Temps et récit, 3 vols. (Paris 1983–1985 [dt.: Zeit und Erzählung, München 1988–1991]); id., „Erzählung, Metapher und Interpretationstheorie“, ZThK 84 (1987) 232-253. Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik (München 2004). Siehe Anm. 20. P. Ricœur, Gedächtnis, Geschichte, Vergessen (München 2004). Marguerat, Historian (s. Anm. 2) 32-34. Ibid., 8.

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sionen, sondern betrachtet sie als Funktionen, die in Geschichtswerken nebeneinander stehen können. Dies gelte auch für die Apostelgeschichte, die als Ursprungsgeschichte des Christentums der jüdischen Geschichtsschreibung näher stehe als der griechischen: Lukas sei der „theologischen Geschichtsschreibung“ zuzuordnen, die nicht in derselben Weise wie die griechische auf kritische Sichtung des Materials und Distanzierung des Autors von seinem Stoff verpflichtet sei.26 Mit Marguerat (und Dibelius) lässt sich demnach formulieren, dass Lukas sich gerade darin als Historiker erweist, dass er seinem Stoff eine bestimmte Formung verleiht, dabei allerdings der israelitisch-jüdischen Form der Geschichtsbetrachtung näher steht als der paganen hellenistisch-römischen.27 Hinzuweisen ist schließlich auf einen kürzlich erschienenen Band, in dem sich die katholischen Münchener Neutestamentler Knut Backhaus und Gerd Häfner dem Thema der Konstruktivität historiographischer Entwürfe widmen.28 Häfner befasst sich dabei mit dem in der neueren geschichtswissenschaftlichen Diskussion problematisierten Begriff des historischen Faktums.29 Er stellt heraus, dass ein historisches Faktum nicht schon dadurch existiert, dass sich ein Ereignis in der Vergangenheit zugetragen hat. Vielmehr bedarf es der sprachlichen Fixierung sowie der Einordnung in einen – notwendigerweise aus späterer Sicht entworfenen – Zusammenhang, damit aus dem Ereignis eine historische Tatsache wird. Das Ereignis selbst löst sich dabei allerdings nicht in seine Interpretation auf. Vielmehr bleiben Geschichtsentwürfe angewiesen auf Überprüfbarkeit an den Spuren der Vergangenheit. Häfner betont demnach – ähnlich wie bereits Ricœur –, dass Konstruktion und Rekonstruktion bei der historischen Arbeit stets ineinander liegen und nicht als Alternative aufgefasst werden dürfen. Backhaus widmet sich im selben Band der Apostelgeschichte als „der christlichen Erstepoche“.30 Er rekurriert auf das Verhältnis von dokumentarischem Anspruch und intentionaler Darstellung, um daran zu demonstrieren, wie Lukas „in der Apostelgeschichte das Gedächtnisbild des Urchristentums“ zeichnet.31

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Ibid., 21. Ibid., 22f. Vgl. auch oben Anm. 7. K. Backhaus/G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThSt 86, Neukirchen-Vluyn 2007). „Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion“, ibid., 67-96. K. Backhaus, „Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./Häfner, Historiographie (s. Anm. 28) 30-66. Ibid., 31, dort kursiv.

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Im Anschluss an diesen kleinen Überblick lässt sich festhalten, dass in der Apostelgeschichte ein eigenes, im Rahmen antiker Historiographie zu beschreibendes Verhältnis von dokumentarischem Anspruch und Entwurf eines Geschichtsbildes vorliegt. Lukas verbindet Ereignisse aus der Frühzeit des Christentums – das Leben der Jerusalemer Gemeinde, die Mission von Philippus und Petrus, die Bekehrung des Paulus, die von Antiochia ausgehende Mission des Barnabas und Paulus, das Jerusalemer Aposteltreffen, die selbständige Mission des Paulus, seine Überstellung nach Rom – so miteinander, dass daraus das Bild eines kontinuierlichen Verlaufs entsteht, der zugleich die erste Phase der Geschichte des Christentums bildet. Lukas hat den berichteten Ereignissen also durch seinen Geschichtsentwurf eine bestimmte Bedeutung verliehen, die sich an der Gesamtanlage, aber auch an charakteristischen Einzelaspekten seiner Darstellung ablesen lässt. So hebt er bestimmte Geschehnisse, wie etwa die Bekehrung des Paulus (Apg 9; 22; 26) oder die Ausgießung des Geistes auf die Heiden (Apg 10; 11), dadurch hervor, dass sie mehrfach berichtet werden, gestaltet andere, wie die Erzählungen von wunderbaren Gefängnisbefreiungen (Apg 5; 12; 16), unter Heranziehung mythischer Motive aus und ordnet sie so an, dass daraus ein Bild von der Entwicklung des Urchristentums entsteht, das auf die Mission des Paulus zuläuft, mit dessen Wirken die Trennung der Kirche vom Judentum verbunden ist. Diese Trennung und damit die selbständige Existenz der Kirche neben dem Judentum als Folge von Gott bewirkter historischer Entwicklungen verständlich zu machen, kann als die entscheidende Intention der lukanischen Geschichtsdarstellung bezeichnet werden.32 Gegen eine zu starke Betonung des konstruktiven Elements von Geschichtsdarstellungen wurde eingewandt, dass damit ein an die Quellen gebundener und an ihnen überprüfbarer Zugang zur Vergangenheit zur Disposition gestellt würde. Zudem handle es sich um einen Zugang, der für die kritische Arbeit an den Quellen wenig ergiebig und letztlich auch nicht erforderlich sei. In der Apostelgeschichtsforschung schlägt sich dies in dem eingangs bereits erwähnten Zugang nieder, der den historiographischen Charakter damit begründen will, dass der Verfasser in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zu den von ihm berichteten Ereignissen gestanden habe, vermutlich sogar deren

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Vgl. M. Wolter, „Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte“, in C. Breytenbach/J. Schröter (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher (AGJU 57, Leiden/Boston 2004) 253-284.

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Augenzeuge gewesen sei, weshalb seine Schilderung als im Wesentlichen zuverlässig zu gelten habe.33 Diese Einwände haben darin ein partielles Recht, dass sie darauf aufmerksam machen, dass der dokumentarische Anspruch des Lukas nicht zugunsten seiner Intentionen und theologischen Aussageabsichten als unwesentlich beurteilt werden darf. Allerdings muss der dokumentarische Wert der Apostelgeschichte stets im Zusammenhang seiner Absicht und Darstellungsweise interpretiert werden. So wäre es etwa unzureichend, mit dem Verweis auf spezifische Verhältnisse in Städten der Asia oder Makedoniens, Straßenverläufe im inneren Kleinasien oder Amtsbezeichnungen römischer und kleinasiatischer Behörden, die Lukas gekannt hat, den Geschichtswert der Apostelgeschichte demonstrieren zu wollen. Derartige zum allgemeinen kulturellen Wissen der Zeit gehörende Kenntnisse, die prinzipiell jedem antiken Autor zugänglich waren, besagen zunächst nicht mehr, als dass Lukas mit ihnen seiner Darstellung einen „realistischen Effekt“ verleihen wollte.34 Der Geschichtswert der Apostelgeschichte erschließt sich dagegen erst anhand des Zusammenhangs von dokumentarischem Anspruch und intentionaler Darstellung. Für das Thema dieses Bandes seien deshalb zunächst folgende Aspekte festgehalten: Der an dem Erinnerungsbegriff orientierte Zugang zur Geschichtsschreibung bedeutet keine Außerkraftsetzung der historischen Kritik des Quellenmaterials. Es steht vielmehr außer Zweifel, dass diese notwendig ist, um den dokumentarischen Charakter von Geschichtsdarstellungen und ihre Verpflichtung auf die erhaltenen Spuren der Vergangenheit zu gewährleisten. Zugleich gilt jedoch, dass sich Geschichtsdarstellungen keineswegs in einer solchen dokumentarischen Dimension erschöpfen. Die Ereignisse der Vergangenheit werden vielmehr durch Versprachlichung und Einordnung in einen aus späterer Perspektive entworfenen Zusammenhang stets einer Interpretation aus der Sicht des Geschichtsschreibers unterworfen. Ein zentrales Merkmal von Geschichtsdarstellungen besteht deshalb darin, die Ereignisse der Vergangenheit in einen solchen Zusammenhang einzuordnen

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Vgl. etwa Hemer, Acts (s. Anm. 2), sowie die unzureichende Differenzierung zwischen historischem Material und lukanischer Darstellung in etlichen Beiträgen in D. W. J. Gill/C. Gempf (eds.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting (The Book of Acts in Its First Century Setting II, Grand Rapids [MI]/Carlisle 1994), in R. Bauckham (ed.), The Book of Acts in Its Palestinian Setting (The Book of Acts in Its First Century Setting IV, Grand Rapids [MI]/Carlisle 1995), sowie bei B. Rapske, The Book of Acts and Paul in Roman Custody (The Book of Acts in Its First Century Setting III, Grand Rapids [MI]/Carlisle 1994). Vgl. Marguerat, Historian (s. Anm. 2) 11.

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und auf diese Weise ihre Bedeutung für die je eigene Gegenwart herauszustellen. 1.2 Referenz und Darstellung in antiken Geschichtswerken: Ein Blick auf Lukian von Samosata Die Kriterien für kritische Sichtung des historischen Materials in der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft sind von denjenigen, die für antike Geschichtswerke vorauszusetzen sind, zweifellos zu unterscheiden. Gleichwohl lässt sich auch hinsichtlich der Letzteren erkennen, dass kritische Maßstäbe für ihre Abfassung formuliert wurden. Verdeutlicht sei dies an einem Blick auf Lukians Abhandlung über die Grundlagen der Geschichtsschreibung.35 Lukian grenzt die historische Darstellung in seinem Werk dadurch von der Dichtung ab, dass sie vor allem der Wahrheit und erst in zweiter Linie auch der Schönheit, also einer gefälligen Darstellungsform, verpflichtet sei. Dabei hat er solche Historiker vor Augen, die ihre Werke vorrangig zu Lobreden auf die Herrschenden verwenden oder sich in geradezu lächerlicher Weise darum bemühen, die großen Vorbilder Herodot und Thukydides nachzuahmen. Lukian verspottet diese Historiker als Schreibtischgelehrte, die über die Begebenheiten und Orte, von denen sie berichten, nur unzureichend informiert seien, Wesentliches und Unwesentliches nicht unterscheiden könnten und die Gegenden, von denen sie schreiben, nicht aus eigener Anschauung kennen würden. Nach dieser Schmährede auf die Historikerzunft seiner Zeit formuliert Lukian sodann diejenigen Maßstäbe, die für eine Geschichtsdarstellung leitend sein sollen: Der Geschichtsschreiber solle sich nicht fürchten, also nicht von der Gunst eines Herrschers abhängig machen. Er solle zudem – wie Lukian in positiver Hervorhebung von Thukydides gegenüber Herodot betont – nicht die Bewunderung seiner Zeitgenossen suchen, sondern sich stattdessen daran orientieren, seiner Nachwelt einen zuverlässigen Bericht des Geschehenen zu überliefern. Schließlich solle er sich einer nüchternen, klaren Sprache bedienen und sich gekünstelter rhetorischer Darstellung enthalten. Auch hier hat Lukian offenbar Darstellungen von Geschichtsschreibern seiner eigenen Zeit vor Augen. 35

Lukian, PWS DEI ISTORIAN SUGGRAFEIN (Luciani Opera, Tomus III, Libelli 44–68, ed. M. D. MacLeod [Oxford 1980]; dt.: Wie man Geschichte schreiben soll, ed., trans. H. Homeyer [München 1965]).

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Im Blick auf die konkrete Durchführung gibt Lukian sodann im letzten Teil seiner Schrift den Rat, der Geschichtsschreiber solle aus den Geschehnissen (pravgmata) eine angemessene Auswahl treffen und Mühe darauf verwenden, diese einer mehrfachen Prüfung zu unterziehen. Einen Vorrang haben dabei solche Ereignisse, bei denen er selbst dabei gewesen sei. Den so gewonnenen Grundbestand solle er sodann zunächst in einen Rohentwurf bringen, dem anschließend eine wohlgeformte Gestalt zu verleihen sei. Dem Ganzen stehe in der Regel ein Proömium voran, in dem sich der Geschichtsschreiber der Gunst der Zuhörer versichern und sie auf das Thema einstimmen solle. Wenn eine Person als Redner eingeführt wird, sei darauf zu achten, dass sie der Person und der Sache (proswvpw/ kai; pravgmati) entsprechend rede. Die Reden seien zudem Gelegenheiten, bei denen der Geschichtsschreiber seine eigene rhetorische Kunstfertigkeit zeigen und die Wirkmächtigkeit von Reden demonstrieren könne (plh;n ejfei'taiv soi tovte kai; rJhtoreu'sai kai; ejpidei'xai th;n tw'n lovgwn deinovthta, 58). Schließlich fordert Lukian den Geschichtsschreiber dazu auf, nicht nach dem Lob der Zeitgenossen zu trachten, sondern dessen eingedenk zu sein, dass der eigentliche Ruhm darin besteht, von der Nachwelt als jemand geehrt zu werden, der unerschrocken der Wahrheit gedient habe. Lukian hat bei seiner Schrift selbstverständlich hellenistisch-römische Geschichtsschreiber seiner Zeit vor Augen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass auch jüdische bzw. urchristliche Autoren wie Josephus oder Lukas mit der Diskussion über die für die Abfassung von Geschichtswerken geltenden Maßstäbe ihrer Zeit vertraut waren. Die Ausführungen Lukians als eines Autors aus dem zweiten Jahrhundert sind deshalb im Blick auf die historiographischen Maßstäbe, die für die Apostelgeschichte vorauszusetzen sind, durchaus erhellend. Zu nennen sind folgende Aspekte. Zunächst zeigt sich eine enge Affinität der Geschichtsschreibung zur Dichtung, die gerade deshalb von dieser abgegrenzt werden muss. Diese Nähe ergibt sich daraus, dass in beiden Fällen zusammenhängende Darstellungen von Ereignissen verfasst werden, was zu dem von Beginn an – in der griechischen Geschichtsschreibung also seit Herodot – bestehenden Problem der nicht eindeutig zu vollziehenden Abgrenzung zwischen solchen Erzählungen, die sich auf tatsächlich Geschehenes, und solchen, die auch mythische und wunderhafte Episoden enthalten, geführt hat. Zu erinnern ist diesbezüglich an Ciceros berühmtes Diktum, in dem er Herodot als den pater historiae bezeichnet, um sogleich hinzu-

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zufügen, dass sich auch bei ihm innumerabiles fabulae fänden.36 Cicero rekurriert dabei in analoger Weise wie Lukian darauf, dass die Geschichtsschreibung der Wahrheit (veritas) verpflichtet sei, die Dichtung dagegen dem Vergnügen (delectatio). Dass dieser Aspekt auch für die Apostelgeschichte von Belang ist, ergibt sich schon daraus, dass hier verschiedentlich wunderhafte Vorgänge, etwa Gefängnisbefreiungen durch Engel oder plötzlich einstürzende Kerkermauern oder Heilungen durch den Schatten des Petrus und die Schweiß- und Taschentücher des Paulus, erzählt werden, die bei Cicero und Lukian vermutlich unter das Verdikt von Berichten gefallen wären, die einer auf ajlhvqeia bzw. veritas verpflichteten Geschichtsdarstellung nicht angemessen sind. Zur Beglaubigung von Geschichtsdarstellungen kann bei antiken Historikern des Weiteren auf die Augenzeugenschaft hingewiesen werden, die die Authentizität der berichteten Ereignisse sichere. Bekanntlich begegnet dieser Topos an zwei Stellen auch im lukanischen Werk. Dies ist zum einen der Verweis auf die aujtovptai im Prolog des Lukasevangeliums, zum anderen sind es die sogenannten „Wir-Berichte“ in der Apostelgeschichte. Mit Ersterem stellt Lukas sein Werk als zuverlässig erkundeten Bericht über die Ereignisse dar, die er im Folgenden erzählen wird,37 mit Letzterem hebt er die Vertrauenswürdigkeit des Erzählten dadurch hervor, dass er auf eigene Beteiligung an einigen der Reisen des Paulus verweist.38 Für die Intention, die sich mit diesen Abschnitten verbindet, ist es dabei weniger wichtig, ob sich die in dem „Wir“ implizierte Behauptung eigenen Erlebens historisch verifizieren lässt oder aber Lukas auf den Bericht eines anderen Augenzeugen zurückgreift. Entscheidend ist vielmehr, dass Lukas auf diese Weise den Anspruch geltend macht, dass die berichteten Ereignisse seinem Werk den Status eines Geschichtswerkes verleihen. Als drittes Merkmal, das sich dem Text Lukians entnehmen lässt, ist schließlich die literarische Gestaltung zu nennen. Lukian beschreibt diese in der Weise, dass zunächst die Tatsachen ermittelt und in die Form eines ersten Entwurfs gebracht werden sollen, der dann weiter zu formen sei. Hier zeigt sich das Bewusstsein für die Notwendigkeit literarischer Gestaltung, die sich auch durch die Verpflichtung auf die „Wahrheit“, also auf tatsächlich geschehene Ereignisse, die ohne Übertreibung darzustellen sind, nicht erübrigt. Bemerkenswert ist, dass 36 37 38

Cicero, De legibus 1,5. Vgl. M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5, Tübingen 2008) 57-68; M. Hengel, „Der Lukasprolog und seine Augenzeugen: Die Apostel, Petrus und die Frauen“, in id., Studien zum Urchristentum (s. Anm. 5) 242-297. Zu den „Wir-Berichten“ vgl. A. M. Wedderburn, “The ‘We-Passages‘ in Acts: On the Horns of a Dilemma“, ZNW 93 (2002) 78-98.

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Lukian in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Gestaltung von Reden hinweist und dem Geschichtsschreiber dabei die Freiheit zum rJhtoreu'sai ausdrücklich einräumt. Vermutlich zeigt sich hier der Einfluss des Thukydides, dessen Gestaltung eindrücklicher Reden, gründend auf seinem bekannten programmatischen Satz, er sei bei ihrer Formulierung der xuvmpasa gnwvmh tw'n ajlhqw'" lecqevntwn gefolgt39, zu der bei Lukian erkennbar werdenden Sicht auf die Freiheit des Geschichtsschreibers geführt hat, in den Reden die eigenen rhetorischen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Im Blick auf die Apostelgeschichte ist wiederum von Interesse, dass auch Lukas in der durch Thukydides begründeten Tradition steht, Personen proswvpw/ kai; pravgmati gemäß reden zu lassen, wobei die verschiedenen Redner (Stephanus, Petrus, Paulus) allerdings durch die jeweiligen Reden in je eigner Weise charakterisiert werden. Lukian ist demnach ebenso wie Lukas bewusst, dass die Bedeutung des Geschehenen durch die Gestaltung des Historikers erhoben und zur Anschauung gebracht werden muss. Historische Ereignisse wie etwa die Steinigung des Stephanus oder die Mission des Paulus stellen für sich genommen erst das „Rohmaterial“ dar, aus dem der „Richtungssinn“ (Dibelius) der Geschichte des Urchristentums zu erheben ist. Die Apostelgeschichte als ein der Geschichtsschreibung zuzurechnendes Werk ist demnach dadurch charakterisiert, dass sie den Ereignissen eine spezifische Formung verleiht, die man als ihre „Fabel“ oder ihren „Mythos“ bezeichnen kann. Bis zu welchem Grad dabei auf Mittel der Verlebendigung und Ausmalung zurückgegriffen werden darf, war dabei in der antiken Historiographie durchaus umstritten. Dass jedoch aus vergangenen Ereignissen ausgewählt, diese wiederum nicht vollständig erzählt, sondern perspektivierend dargestellt und in einen größeren Sinnzusammenhang eingeordnet werden müssen, um Bestandteil einer Geschichtsdarstellung zu werden, ist ein für jedes historiographische Werk geltender Grundsatz. Dass in der Apostelgeschichte mit Ausschmückungen, übertreibenden Darstellungen und sogar frei Erfundenem zu rechnen ist, verwundert dabei angesichts des diesbezüglichen Spektrums in der antiken Historiographie nicht.40 Die Problematik des Verhältnisses von tatsächlich geschehenen Ereignissen und Erdichtetem, die sich in der griechischen Historiographie seit ihren Anfängen konstatieren lässt, macht 39

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Thukydides, I 22,1. Vgl. dazu Schröter, „Konstruktion“ (s. Anm. 12) 47-52, sowie S. E. Porter, “Thucydides 1.22.1 and Speeches in Acts: Is there a Thucydidean View?“, in id., Studies in the Greek New Testament. Theory and Practice (Studies in Biblical Greek 6, New York et al. 1996) 173-193. Vgl. dazu vor allem Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 2).

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vielmehr deutlich, dass das Ideal, nur das tatsächlich Geschehene zu berichten, von einigen Autoren wie Lukian oder auch Polybius als Maßstab eingefordert wurde, aber keineswegs die tatsächlich gängige Praxis widerspiegelt. Polybius etwa wehrt sich vehement dagegen, Geschichtsschreibung und Tragödie miteinander zu vermischen.41 Die Verpflichtung auf Berichte von tatsächlich Geschehenem war demnach gerade nicht gängige Praxis der antiken Historiographie. Die israelitische Geschichtsschreibung ist von dieser Konstellation dadurch unterschieden, dass die Forderung einer Beschränkung auf das tatsächlich Geschehene hier keine analoge Tradition besitzt.42 Dass die Geschichte Israels als von Gott gelenktes Geschehen begriffen wird, der sein Volk führt, bewahrt oder auch durch Strafen erzieht und der sich darüber hinaus als Herr auch der anderen Völker erweist, ist ein der israelitischen Geschichtsauffassung inhärentes Merkmal. Die Differenzierung von tatsächlich Geschehenem und Ausschmückungen oder Erfindungen sowie die damit verbundene Forderung, Geschichtsschreibung solle sich an den tatsächlichen Ereignissen orientieren, ist hier dagegen nicht anzutreffen.43 Die in der griechischen Tradition seit Herodot zu konstatierende Begrenzung der „Erkundungen“ (iJstorivai) auf „das unter Menschen Geschehene“ (ta; genovmena ejx ajnqrwvpwn)44 sowie die damit verbundene Absetzung von mythischer Darstellungsweise hat demnach in der israelitisch-jüdischen Tradition keine Parallele, weil Geschichte hier vom Wirken des Gottes Israels her begriffen wird, das den geschichtlichen Ereignissen Sinn und Zusammenhang verleiht. Das gilt auch für die Apostelgeschichte, die an diese Tradition israelitisch-jüdischen Geschichtsdenkens in spezifischer Weise anknüpft. Dies soll im nächsten Teil exemplarisch präzisiert werden.

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to; ga;r tevlo" iJstoriva" kai; tragw/diva" ouj taujtovn, ajlla; toujnantivon (II,56,11). Zur Differenzierung zwischen verschiedenen Formen geschichtlichen Bewusstseins in der Antike sowie der damit verbundenen Wahrheitsansprüche vgl. H. Cancik, Mythische und historische Wahrheit. Interpretationen zu Texten der hethitischen, biblischen und griechischen Historiographie (SBS 48, Stuttgart 1970). Die erste Reflexion auf den Charakter von Geschichtsdarstellungen findet sich im Proömium von 2 Makk. Dabei grenzt sich der Verfasser dezidiert von seinem Vorgänger Jason und dessen an Genauigkeit und tieferem Eindringen in die Geschehnisse orientierten Vorgehen ab (2,19-32). In dieser Weise charakterisiert bekanntlich Herodot sein Werk im Proömium.

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2. Charakteristika des lukanischen Werkes Im Folgenden werden einige Facetten notiert, die auf je eigene Weise die Stellung der Apostelgeschichte innerhalb der antiken Geschichtsschreibung beleuchten. Bemerkenswert ist zunächst, dass sich das lukanische Werk bereits mit dem Prolog des Lukasevangeliums von anderen Schriften des Urchristentums abhebt und einen literarischen Anspruch anmeldet. Die nächsten Analogien zu diesem Prolog finden sich in der wissenschaftlichen Fachprosa der hellenistischen Zeit45, woraus allerdings keine Alternative zwischen „Fachprosa“ und historiographischen Werken abzuleiten ist.46 Lukas beschreibt sein Vorhaben unter Rückgriff auf Topoi, die sich auch in historiographischen Werken finden und charakterisiert sein Werk auf diese Weise als zuverlässigen Bericht über vergangene Ereignisse. An Analogien ist zunächst Josephus zu nennen, der in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Lukas schreibt. Sowohl in „Bellum Judaicum“ als auch in den „Antiquitates“ begründet Josephus sein Vorgehen damit, dass seine Vorgänger ihre Darstellungen entweder mit ungenügender Kenntnis oder aus unlauteren Motiven verfasst hätten. In Bell. I 1,1 verweist er zudem darauf, dass der Krieg der Juden gegen die Römer der größte aller bisherigen Kriege sei, und stellt sich in 1,3 mit seinem eigenen Namen vor. Dabei hat ganz offensichtlich das Proömium des Thukydides Pate gestanden, in dem sich ähnliche Stilmittel finden.47 Als weitere Analogie sei die Anabasis des Alexanderhistorikers Flavius Arrianus aus dem zweiten christlichen Jahrhundert genannt. Wie Lukas und Josephus weist auch Arrianus auf Vorläufer hin, die er allerdings namentlich benennt. Es handelt sich dabei um Ptolemaios I. und Aristobulos, die beide am Feldzug Alexanders teilgenommen hatten, worauf Arrian ausdrücklich hinweist. Wie auch Lukas verweist Arrianus demnach auf Augenzeugen, die diejenigen Dinge überliefert haben, die im Folgenden zur Darstellung kommen werden. Es lassen sich also verschiedene Motive – Ich-Form, Nennung des Gegenstandes, Verweis auf Augenzeugen – feststellen, die der Lukas-

45 46 47

Vgl. L. C. A. Alexander, The Preface to Luke’s Gospel. Literary Convention and Social Context in Luke 1.1-4 and Acts 1.1 (MSSNTS 78, Cambridge 1993). Vgl. dazu auch den Beitrag von M. Wolter in diesem Band, unten S. 476-494. Thukydides beginnt – wie auch Herodot – mit der Nennung seines eigenen Namens und bezeichnet sodann den Krieg der Peloponnesier gegen die Athener als den denkwürdigsten aller Kriege, die je geführt worden sind (I 1).

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prolog mit Proömien anderer historiographischer Werke teilt.48 Im Vergleich mit diesen macht das Proömium des Lukas allerdings einen weniger programmatischen Eindruck. Es ist kaum zu erkennen, dass Lukas sein Werk mit Hilfe des Proömiums in literarischer oder inhaltlicher Hinsicht in spezifischer Weise charakterisieren würde. Stattdessen spricht er lediglich davon, dass er die Dinge, die sich zugetragen haben und die durch Augenzeugen zuverlässig überliefert worden sind, in der richtigen Ordnung wiedergeben wird. Die zweite Facette bezieht sich auf das Verhältnis von dokumentarischer und poietischer Darstellung in der Apostelgeschichte. Erläutert sei dies anhand der Komposition von Apg 12. Lukas schildert in diesem Kapitel die Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus durch Agrippa I., die anschließende Verhaftung und wunderbare Befreiung des Petrus und seinen Weggang aus Jerusalem sowie schließlich den Tod Agrippas, der sich bei einem Festakt in Cäsarea als Gott verehren lässt, darauf vom Engel des Herrn geschlagen wird und, von Würmern zerfressen, stirbt. Innerhalb der größeren Erzählung stehen diese Ereignisse, deren Zusammenhang auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, zwischen der großen Szene der Begegnung von Petrus und Kornelius (Apg 10–11) sowie der von Antiochia ausgehenden Mission von Paulus und Barnabas (Apg 13–14). Damit befinden sie sich an einem Punkt der Darstellung, an dem Lukas die Verlagerung des Zentrums der urchristlichen Geschichte von Jerusalem nach Antiochia schildert. In genau diesem Zusammenhang erhalten die genannten Ereignisse nun auch ihre Bedeutung für die lukanische Geschichtsdarstellung. Der Beschreibung dieser Begebenheiten durch Lukas liegen zweifellos zuverlässige Informationen über tatsächlich geschehene Ereignisse zugrunde. Dazu gehören vermutlich das Vorgehen Agrippas gegen führende Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde, die Flucht des Petrus aus Jerusalem, Auseinandersetzungen zwischen der aufstrebenden Küstenstadt Cäsarea und den phönizischen Hafenstädten Tyros und Sidon (12,20) sowie der Tod Agrippas, der bei Josephus auf ähnliche Weise wie bei Lukas geschildert wird.49 Lukas verarbeitet diese Begebenheiten so, dass sie sich in den größeren Zusammenhang der von ihm entworfenen Geschichte des frühen Christentums einordnen. Dazu werden die genannten Ereignisse in 48 49

Zu weiteren Aspekten vgl. D. D. Schmidt, “Rhetorical Influences and Genre: Luke’s Preface“, in D. P. Moessner (ed.), Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy (Harrisburg 1999) 27-60. Ant. 19,343-352. Vgl. dazu H.-J. Klauck, „Des Kaisers schöne Stimme. Herrscherkritik in Apg 12,20-23“, in id., Religion und Geschichte im frühen Christentum. Neutestamentliche Studien (WUNT 152, Tübingen 2003) 251-267.

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einen Rahmen gestellt, der aus dem Kommen einer antiochenischen Delegation nach Jerusalem (11,27-30) sowie deren Rückkehr nach Antiochia (12,25) besteht. Die dazwischen berichteten Geschehnisse erhalten damit die Funktion, den Übergang von Jerusalem nach Antiochia zu veranschaulichen: Durch den Tod des Jakobus und den Weggang des Petrus ist die Existenz des Zwölferkreises faktisch beendet. Die Erzählung von der wunderbaren Befreiung des Petrus macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass Gott gleichwohl weiterhin den Gang der Geschichte lenkt. Mit der Befreiungserzählung nimmt Lukas dabei – wie auch in Kap. 5 und 16 – das in antiker Mythologie und Geschichtsschreibung, vor allem in der Dionysos-Tradition, aber auch bei dem jüdisch-hellenistischen Historiker Artapanos begegnende Motiv der wunderbaren Befreiung aus dem Gefängnis auf.50 Im Kontext von Apg 12 wird dieses Motiv auf eigene Weise verarbeitet. Durch die Befreiung und anschließende Begegnung des Petrus mit der im Haus von Maria, der Mutter des Johannes Markus, versammelten Gemeinde wird deutlich, dass sich Gott gegen den Verfolger der Gemeinde durchgesetzt und seinen Zeugen vor dem Verderben bewahrt hat. Durch das im Anschluss berichtete Ende des Königs Agrippa wird dies dadurch besiegelt, dass der Tod des Widersachers der Gemeinde – und damit des Feindes von Gottes Geschichtsplan – geschildert wird. Mit dieser Darstellung der Ereignisse schildert Lukas somit zum einen, dass Gott auch dann Herr der Geschichte bleibt, wenn sich irdische Machthaber gegen seine Zeugen wenden und diese verfolgen, inhaftieren und sogar töten. Des Weiteren wird deutlich, dass das Zentrum der weiteren Entwicklung Antiochia sein wird, von wo aus dann Barnabas und Saulus zur Heidenmission aufbrechen werden (13,1-3). Lukas hat demnach Informationen über Ereignisse aus der Frühzeit des Christentums, Nachrichten über politische Konstellationen sowie das mythologische Motiv der wunderbaren Gefängnisbefreiung zu einer Darstellung verarbeitet, deren übergreifender Sinnzusammenhang darin liegt, dass sich Gott als Herr der Geschichte erweist, der auch den Weg der Mission über Antiochia in die Völkerwelt hinein lenken wird. Zugleich macht Lukas deutlich, dass die Widersacher Gottes seine Souveränität nicht in Frage stellen können. Schließlich wird erkennbar, dass in der Apostelgeschichte politische Ereignisse wie die Herrschaft Agrippas nur aus einer auf die Entstehung der Kirche bezogenen Perspektive in den Blick treten.

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Vgl. dazu J. B. Weaver, Plots of Epiphany. Prison-Escape in Acts of the Apostles (BZNW 131, Berlin/New York 2004).

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Abschließend soll ein Blick auf die in der Apostelgeschichte geschilderten Wunder geworfen werden. Lukas erzählt des Öfteren von Machttaten der Apostel und des Paulus und scheut dabei auch vor der Schilderung magischer Praktiken nicht zurück. Diese Episoden dienen an einigen Stellen der Beschreibung von Begegnungen der Zeugen Jesu mit paganer Religiosität. Ein Beispiel hierfür ist die Heilung des Gelähmten durch Paulus in Lystra (Apg 14,8-18), die dazu führt, dass die heidnischen Lykaonier Barnabas und Paulus als Zeus und Hermes verehren und Paulus damit zur Verkündigung des einen Schöpfergottes herausfordern. Damit vergleichbar ist die Episode auf Malta, wo die Tatsache, dass Paulus durch den Biss der giftigen Schlange nicht stirbt, wiederum dazu führt, dass er von den Inselbewohnern für einen Gott gehalten wird.51 An anderen Stellen erwähnt Lukas magische Wunderheilungen durch seine Protagonisten. Die deutlichsten Beispiele hierfür sind die bereits erwähnten Krankenheilungen durch den Schatten des Petrus bzw. durch die Schweiß- und Taschentücher des Paulus.52 Petrus und Paulus werden in diesen Erzählungen in deutliche Nähe zu heidnischen Magiern gerückt. Das wird schon daran erkennbar, dass – anders als in der Episode in Lystra, wo Heiden Paulus und Barnabas als auf Erden wandelnde Götter betrachten – Lukas bei der Beschreibung der magischen Heilungen keineswegs auf Distanz zu den beschriebenen Vorgängen geht, sondern sie als positive Erweise der von den Zeugen Jesu ausgehenden Wunderkräfte schildert. Die nächsten Analogien zu diesen Motiven finden sich in Berichten über besondere Wunderkräfte, die sich auf Menschen oder Gegenstände übertragen können, die mit ihnen in Berührung kommen, bzw. in Berichten über die in verschiedenen Kulturen belegte Auffassung, dass der Schatten Teil seines Besitzers ist und dessen Kraft übertragen kann. In antiken Texten wird dies etwa vom Schatten von Menschen, aber auch von Pflanzen und Tieren berichtet.53 Wenn Lukas diese Vorstellung auf Heilungen durch Petrus und Paulus überträgt, greift er demnach ein Motiv auf, dem zufolge die heilende Kraft von Wundertätern schon dadurch wirksam wird, dass man in Kontakt mit deren Kleidung oder ihrem Schatten kommt. Dies wird in Lk 6,19 bereits von Jesus selbst berichtet, wenn es dort heißt: kai; pa'" oJ o[clo" ejzhvtoun a{ptesqai aujtou', o{ti duvnami" par∆ aujtou' ejxhvrceto

51 52 53

Apg 27,1-6. Apg 5,15; 19,11f. Vgl. Plinius, Hist. Nat. VIII,106; XVII,89-91; XXVIII,68-69; Aelian, Nat. anim. VI,14; Cicero, Tusc. III,12; Pausanias, VIII,38,6.

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kai; ija'to pavnta". Hier ist es also die duvnami" Jesu, die durch bloße Berührung seiner Kleidung von ihm ausströmt. Wichtig für die Darstellung der Apostelgeschichte ist nun, dass Lukas die Wunderheiler Petrus und Paulus trotz der äußerlichen Vergleichbarkeit mit heidnischen Magiern zugleich von diesen unterscheidet. Dem dient bereits die Konfrontation mit anderen Wundertätern wie Simon Magus, BarJesus in Apg 8,5-24 und 13,6-12 oder den jüdischen Exorzisten in Ephesus in Apg 19,13-17, denen sich die Zeugen Jesu stets als überlegen erweisen. Damit macht Lukas deutlich: Aufgrund der Kraft Gottes, die in den Zeugen Jesu wirkt, erweisen sie sich als mächtiger als heidnische und jüdische Wundertäter. Terminologisch wird dies durch die Wendung shmei'a kai; tevrata ausgedrückt. Diese begegnet zunächst in Apg 2,43 und 5,12 zur Charakterisierung der Taten der Apostel, in 6,8 wird das Wirken des Stephanus auf diese Weise beschrieben, in 14,3 dasjenige von Paulus und Barnabas in Ikonion. In 15,12 berichten Paulus und Barnabas sodann auf dem Apostelkonzil, dass Gott selbst durch sie shmei'a kai; tevrata unter den Heiden gewirkt habe. Außerhalb der Apostelgeschichte wird der Ausdruck in Mk 13,22/Mt 24,24 und Joh 4,48 für das Wirken von Pseudochristussen bzw. für dasjenige Jesu verwendet. Paulus gebraucht ihn in Röm 15,19; 2 Kor 12,12 (gemeinsam mit dunavmei") zur Kennzeichnung der shmei'a tou' ajpostovlou. In 2 Thess 2,9 beschreibt der Ausdruck das trügerische Wirken des Gesetzlosen, in Hebr 2,4 das machtvolle Handeln Gottes. Es handelt sich also um einen Ausdruck, der im Neuen Testament dazu dient, das machtvolle Wirken Gottes, Jesu und der Apostel zu charakterisieren, der aber auch dasjenige von Widersachern Gottes beschreiben kann, die die Menschen dadurch in die Irre führen, dass sie machtvolle Taten in trügerischer Absicht vollbringen. In der Apostelgeschichte ist der Ausdruck stets für die machtvollen Taten der Zeugen Jesu gebraucht, dagegen nie in ambivalenter Weise für diejenigen heidnischer oder jüdischer Magier. Auf diese Weise stellt Lukas diese Taten in die Tradition der durch Gott in der Geschichte Israels bewirkten Zeichen und Wunder. Der Hintergrund dieser Verwendung liegt in der Septuaginta. Hier bezeichnet der Ausdruck vor allem die machtvollen Taten Gottes, die er bei der Herausführung Israels aus Ägypten durch Mose (und Aaron) bewirkt hat.54 Darauf bezieht sich auch seine Rezeption in jüdischen Texten.55 Daneben kann

54 55

Ex 7,3.9; 11,9f.; Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 11,3; 26,8; 29,2; 34,11; Y 134,9. Vgl. Weish 10,16; Bar 2,11; vgl. auch Sir 36,5. Vermutlich ist dieser Bezug auch für Weish 8,8 sowie Dan 4,2; 6,28 (q) anzunehmen.

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der Ausdruck auch generell Machttaten Gottes oder eines Propheten bezeichnen, die als Strafe wirken oder ambivalent sein können.56 Die ausschließlich positive, auf die Machttaten Gottes bezogene Verwendung bei Lukas wird durch einen Blick auf diejenigen Stellen deutlich, die davon sprechen, dass Gott durch Menschen, die in seinem Auftrag handeln, Machttaten wirkt. In Apg 4,30 bittet die Jerusalemer Gemeinde Gott darum, er möge ijavsei" kai; shmei'a kai; tevrata durch seinen heiligen Knecht Jesus geschehen lassen. In 2,22 nennt Petrus in seiner Rede die dunavmei" kai; tevrata kai; shmei'a, durch die Gott Jesus von Nazaret beglaubigt hat. Dieses machtvolle Handeln Gottes steht in Beziehung zu dem unmittelbar zuvor angeführten Joelzitat. Die entsprechende Wendung lautet in der Septuaginta: tevrata ejn tw'/ oujranw`/ kai; ejpi; th'" gh'". Lukas fügt shmei'a hinzu, so dass er nunmehr lautet: tevrata ejn tw'/ oujranw`/ a[nw, kai; shmei'a ejpi; th'" gh'" kavtw. Schließlich wird in 7,36 innerhalb der Stephanusrede mit Hilfe dieses Ausdrucks eine explizite Verbindung zur Exoduserzählung hergestellt, wenn es heißt, dass Gott vierzig Jahre hindurch tevrata kai; shmei'a in Ägypten, am Roten Meer und in der Wüste gewirkt hat. Lukas charakterisiert die Taten der Zeugen Jesu demnach als Fortsetzung des machtvollen Handelns Gottes in der Geschichte Israels und durch Jesus. Gott wirkt seine machtvollen Taten durch die Zeugen Jesu zunächst unter den Juden, dann auch unter den Heiden. Lukas erweitert auf diese Weise also die Bedeutung der biblischen Wendung tevrata kai; shmei'a, die in der biblischen Überlieferung vor allem im Zusammenhang des Exodusgeschehens beheimatet ist, durch das Wirken der Zeugen Jesu in die griechisch-römische Welt hinein. Die Wendung tevrata kai; shmei'a dient dabei dazu, die Legitimität und Vollmacht des Wirkens der Christuszeugen herauszustellen: Nur ihre Machttaten stellen eine Fortsetzung des Wirkens Gottes in der Geschichte Israels dar und sind dadurch von denen anderer Wundertäter grundsätzlich unterschieden. Fassen wir diesen Befund zusammen, so zeigt sich: Lukas macht bereits im Proömium zu seinem Doppelwerk den Anspruch geltend, in zuverlässiger Weise von den Ereignissen um Jesus und die ersten Zeugen der Christusbotschaft zu berichten. Das tut er auf die Weise, dass er Ereignisse aus der Zeit des frühen Christentums als Bestandteil des Geschichtsplanes des Gottes Israels interpretiert. Dabei bedient er sich auch mythologischer Motive und solcher Darstellungsweisen, die die Protagonisten des Geschehens in die Nähe heidnischer Wundertäter 56

Dtn 13,2f.; 28,46; Jes 8,18; Neh 9,10.

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rücken. Die Geschichte des frühen Christentums wird auf diese Weise in den kulturellen Horizont der griechisch-römischen Welt gestellt, der so zugleich als Raum für das Wirken des Gottes Israels erscheint. Wenn sich Lukas Darstellungsformen der paganen antiken Historiographie bedient, tut er dies demnach so, dass dadurch die Geschichte der entstehenden Kirche als Fortsetzung der Geschichte Israels interpretiert wird. Damit erhalten die von antiken Historikern kritisierten Darstellungen wunderhafter, übernatürlicher Vorgänge eine neue Bedeutung, indem sie nunmehr als Erweise der Macht des Gottes Israels erscheinen, die sich durch das Wirken der Christuszeugen auch in den heidnischen Bereich hinein erstreckt.

3. Resümee Die spezifische Stellung der Apostelgeschichte innerhalb der antiken Geschichtsschreibung ist dadurch charakterisiert, dass sie auf der Grundlage der Geschichte Israels deren Fortsetzung durch das Wirken der Zeugen des auferweckten und erhöhten Jesus beschreibt. Dazu ordnet Lukas die Geschehnisse um das Wirken dieser Zeugen so an, dass der Eindruck einer kontinuierlichen ersten Phase der Geschichte des Christentums entsteht, die nach der Erhöhung Jesu einsetzt und mit der freien Verkündigung des Paulus in Rom endet. Lukas entwirft diese Geschichte als von Gott bewirkten Ereigniszusammenhang, der sich auch in den griechisch-römischen Bereich hinein erstreckt. Dabei bedient er sich gestalterischer Mittel der hellenistisch-römischen Historiographie und macht auf diese Weise deutlich, dass sich die Herrschaft des Gottes Israels durch die Ausbreitung des Christuszeugnisses über die gesamte Erde erstreckt. Man wird dem Werk des Lukas nur gerecht, wenn man diesen größeren Zusammenhang berücksichtigt, in den hinein er die berichteten Ereignisse stellt. Dieser stellt damit zugleich den Interpretationshorizont für die einzelnen Ereignisse sowie für die Kenntnisse über die kulturellen und politischen Gegebenheiten der einzelnen Regionen dar, die Lukas in seinem Werk verarbeitet hat. Als Historiker zeichnet sich Lukas nicht schon dadurch aus, dass er solche Kenntnisse überhaupt besaß. Sein Werk ist vielmehr erst dann angemessen im Kontext der antiken Historiographie beurteilt, wenn der Richtungssinn beachtet wird, der darin liegt, die Ausbreitung der Christusbotschaft „bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8) zu beschreiben.

I. Israelitische und frühjüdische Kontexte

Die Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im sogenannten Deuteronomistischen Geschichtswerk THOMAS RÖMER Für Gerhard von Rad und seine Zeitgenossen waren das „geschichtliche Bewusstsein“ Israels und seine früh einsetzende Geschichtsschreibung ein Spezifikum, durch welches sich das Volk Jhwhs von dem zyklischen Weltverständnis Mesopotamiens und der Levante unterscheidet: „Jenem altorientalischen Weltbild, von den uralten Kulten Mesopotamiens erstellt und ausgegangen, dem sich auch die Völker des syrischen Raums willig unterwarfen, wird von einem kleinen Volk ein völlig anderes Verständnis von Heilsgeschichte gegenübergestellt“1. Dieses geschichtliche Denken findet, laut von Rad, seinen Ursprung bereits in vorstaatlicher Zeit, in den sogenannten heilsgeschichtlichen Credos, die in Dtn 26,5-9; Jos 24 und anderen Texten vorliegen2. Die in der Richterzeit entstandenen Summarien zeigen, dass „Israel die Konzeption von einer linearen Geschichtsstrecke gewonnen [hatte]… durch eine Addition der göttlichen Heilstaten, der man sich da und dort erinnerte“3. Demzufolge war es nur natürlich, dass die Anfänge israelitischer Geschichtsschreibung in den ältesten rekonstruierbaren Dokumenten der hebräischen Bibel gesehen wurden, insbesondere im Werk des Jahwisten.

1. Vom „Jahwist“ zum „Deuteronomist“ Unter dem Einfluss Eduard Meyers4 galt es in der deutschsprachigen alttestamentlichen Forschung zu Anfang des 20. Jahrhunderts als aus1 2 3 4

G. von Rad, Theologie des Alten Testaments. Vol. II: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels (München 51968) 121. Vgl. dazu G. von Rad, „Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch (1938)“, in id., Gesammelte Studien zum Alten Testament I (ThB 8, München 41971) 9-86. v. Rad, Theologie II (s. Anm. 1) 115. Insbesondere E. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme (Halle 1906); zu Meyers Einfluss siehe R. Tomes, “Conjuring History from Texts: Eduard Meyer’s Contribution to Biblical Studies“, in G. J. Brooke/T. Römer (eds.), Ancient and Modern Scriptural Historiography – L'historiographie biblique, ancienne et moderne (BETL 207, Leuven 2007) 47-59.

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gemacht, dass sich die Anfänge israelitischer Geschichtsschreibung mit der Errichtung eines gesamtisraelitischen Königtums unter David bzw. Salomon decken5. Besonders einflussreich war G. von Rads Aufsatz über die Anfänge der israelitischen Geschichtsschreibung (1944)6, in welchem er ausgehend von der Idee, dass sich in der Antiken Welt nur in Griechenland und in Israel ein geschichtliches Denken entwickelt habe, die schriftliche Ausformulierung dieses Denkens in der „salomonischen Aufklärung“ findet, und zwar in der Geschichte von Davids Aufstieg (1Sam 16 – 2Sam 5) sowie in der Thronfolgeerzählung (2Sam 6 – 1Kön 2), „eine[r] Legitimation der Regentschaft Salomos“7, und im jahwistischen Werk, das nach von Rad den Ursprung des Hexateuchs (Gen – Jos) und „eine der größten Leistungen der Geistesgeschichte aller Zeiten“ darstellt.8 Ungefähr gleichzeitig mit von Rads Aufsatz erschien G. Hölschers Studie über die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung9. Hölscher, der im Gegensatz zu von Rad den Jahwisten erst um 800 v. Chr. ansetzt, und ihm ein weit größeres, mit 1Kön 12 endendes, Werk zuschreibt, ist sich mit von Rad darin einig, dass J nicht nur ein Sammler verschiedener Traditionen ist, „sondern ein frei gestaltender Schriftsteller, der seiner Darstellung durchweg ein eigenes Gepräge gibt“10. Nach Hölscher gehört die Thronfolgeerzählung zum Werk des Jahwisten, der sich hier von sagenhaften und mythischen Zügen frei als ein wahrer Historiker zu erkennen gibt, und dessen Geschichtsdarstellung durchaus mit der eines Herodot oder eines Thukydides zu vergleichen ist11. Das Verständnis des Jahwisten als Begründer israelitischen Geschichtsdenkens und dessen Ansetzung in die Frühzeit des israelitischen Königtums hat die alttestamentliche Wissenschaft bis in die 1980er Jahre entscheidend geprägt. Durch die Infragestellung der traditionellen Quellenhypothese und insbesondere des Profils bzw. der Existenz des Jahwisten seit den

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10 11

So schon R. Kittel, Die Anfänge der Hebräischen Geschichtsschreibung im Alten Testament (Leipzig 1896). G. von Rad, „Der Anfang der Geschichtsschreibung im alten Israel (1944)“, in id., Gesammelte Studien zum Alten Testament I (ThB 8, München ³1965) 148-188. G. von Rad, Theologie des Alten Testaments. Vol. I: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels (München ²1958) 57 Anm. 20. G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2–4, Göttingen 91972) 11. G. Hölscher, Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1941/42, Abh. 3, Heidelberg 1942); vgl. auch zehn Jahre später seine Geschichtsschreibung in Israel. Untersuchungen zum Jahvisten und Elohisten (Skrifter utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Lund 50, Lund 1952). Hölscher, Anfänge (s. Anm. 9) 99. Ibid., 79-80.

Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im DtrG

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1970er Jahren erweist sich diese Sicht jedoch als kaum mehr haltbar12. In der, nun mehr als dreißig Jahren andauernden, Pentateuchdiskussion wird der sogenannte Jahwist13 nur noch von wenigen Forschern in die Anfänge der Königszeit datiert. Für die meisten Forscher, die noch mit einem durchgehenden jahwistischen Dokument rechnen, wird dieses in der Regel im Umfeld und meistens später als das „Deuteronomistische Geschichtswerk“ (DtrG) angesetzt. Auch trifft man in Bezug auf J auf recht verschiedene Konzeptionen, wie folgende Beispiele zeigen. Für Van Seters ist der Jahwist ein gegen Ende der babylonischen Zeit wirkender Autor, der seine Texte frei als Prolog zum deuteronomistischen Werk konzipiert, für Levin hingegen ein zwischen Dtn und DtrG anzusetzender Redaktor, dessen Quellen literarkritisch rekonstruierbar sind14. Van Seters und Levin sind sich darin einig, J als einen eher liberalen Historiker bzw. Theologen zu beschreiben, welcher der deuteronomistischen Ideologie kritisch gegenübersteht; M. Rose sieht hingegen J als Fortschreiber deuteronomistischer Anliegen15. Diese widersprüchlichen Charakterisierungen ergeben sich daraus, dass unter J sehr unterschiedliche Texte subsumiert werden. Wenn man von den nicht-priesterlichen Texten in Gen 12ff. ausgeht, kann man J in der Tat als liberal, universalistisch und am Zusammenleben mit anderen Völkern interessiert bezeichnen; legt man den Akzent auf Texte aus der Exodustradition wie z. B. Ex 23,31-33 oder 34,10-13 findet man dieselbe militaristische Konzeption der Landnahme wie im DtrG. Deswegen zeichnet sich in der neueren Forschung eine Tendenz ab, zu einer Art Fragmenten-Theorie zurückzukehren und die Existenz von vorpriesterlichen, den Erzählfaden des Penta- bzw. Hexateuchs voraussetzenden, Dokumenten als unwahrscheinlich zu betrachten. So wird zum Beispiel die literarische Verbindung zwischen den Erzeltern- und der Exoduserzählung erst der Priesterschrift bzw. einem priesterlichen Redaktor zugeschrieben16, der durch Gen 17 und Ex 6 eine chronologische Abfolge 12 13 14

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Für einen ausführlichen Forschungsüberblick vergleiche die Beiträge in A. de Pury/ T. Römer (eds.), Le Pentateuque en question (MoBi 19, Genève ³2002). H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist. Beobachtungen und Fragen zur Pentateuchforschung (Zürich 1976). J. Van Seters, Der Jahwist als Historiker (Zürich 1987); The Life of Moses. The Yahwist as Historian in Exodus-Numbers (Louisville/Kampen 1994); C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157, Göttingen 1993); “The Yahwist: The Earliest Editor in the Pentateuch”, JBL 126 (2007) 209-230. M. Rose, Deuteronomist und Jahwist: Untersuchungen zu den Berührungspunkten beider Literaturwerke (ATANT 67, Zürich 1981). Vgl. insbesondere K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81, Neukirchen-Vluyn 1999), der frühere Arbeiten und Überlegungen aufnimmt. Allerdings ist die These, dass P als erster Genesis und Exodus literarisch zusammenbringt, nicht unbestritten, vgl. z.B. die Einwände von H. Seebass, „Das Erbe

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Thomas Römer

von Patriarchen- und Mosezeit suggeriert sowie eine Chronologie der Gottesoffenbarung in drei Etappen (Urgeschichte: Elohim; Erzeltern: El Shadday; Mose: Jhwh) konstruiert. Weiterhin ist fraglich, ob die nichtpriesterliche Mosegeschichte über den Auszug aus Ägypten bzw. die Offenbarung am Gottesberg hinausging17. Das Buch Numeri erscheint in der heutigen Diskussion als ein spätes und komplexes Produkt, in welchem sich kaum alte „jahwistische“ Texte befinden dürften. Wenn es also keinen die Geschichte von der Schöpfung bis zum Tod Moses bzw. bis zur Landeroberung berichtenden Jahwisten gibt und sich das chronologische Arrangement des Pentateuchs erst später redaktioneller Arbeit verdankt18, wird es immer wahrscheinlicher, dass die Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im DtrG zu suchen sind. Das Adjektiv „judäisch“ ist hier bewusst gewählt, da die gängige Bezeichnung „israelitische Geschichtsschreibung“ missverständlich ist. Da „Israel“ in der Königszeit das sogenannte Nordreich bezeichnet, und erst später zu einem „theologischen“ globalen Begriff für das Volk Jhwhs wird, und da die in der hebräischen Bibel verarbeiteten Geschichtstraditionen allesamt in der Sicht Judas zu uns gekommen sind, scheint mir das Adjektiv „judäisch“ angebrachter, und dies allemal in Bezug auf das DtrG.

Auch wenn man dem Jahwisten als salomonischen Hofschreiber den Abschied geben muss19, heißt dies nicht, dass es keine vordtr geschichtlichen Darstellungen gab. So wird zum Beispiel die sogenannte Thronfolgegeschichte Davids weiterhin von manchen als eine alte den geschichtlichen Ereignissen nahe stehende Erzählung angesehen20, wo-

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Martin Noths zu Pentateuch und Hexateuch“, in U. Rüterswörden (ed.), Martin Noth – aus der Sicht der heutigen Forschung (BThSt 58, Neukirchen-Vluyn 2004) 21-59, und J. Van Seters, “The Patriarchs and the Exodus: Bridging the Gap Between Two Origin Traditions“, in R. Roukema et al. (eds.), The Interpretation of Exodus. Studies in Honour of Cornelis Houtman (CBET 44, Leuven et al. 2006) 1-15. Vgl. dazu R. Albertz, „Die vergessene Heilsmittlerschaft Moses. Erste Überlegungen zu einem spätexilischen Exodusbuch (Ex 1-34*)“ (wird demnächst veröffentlicht). Ich danke Rainer Albertz für die Einsicht in diesen wichtigen Aufsatz. Vgl. die folgenden Sammelbände: J. C. Gertz/K. Schmid/M. Witte (eds.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315, Berlin/New York 2002); T. B. Dozeman/K. Schmid (eds.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation (SBL Symposium Series 34, Atlanta/Leiden 2006). Auf die Frage, ab wann man die für eine Geschichtsschreibung nötige materielle Kultur annehmen kann, soll hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu die wichtige Studie von D. W. Jamieson-Drake, Scribes and Schools in Monarchic Judah. A SocioArcheological Approach (JSOTSup 109, Sheffield 1991). Eine „salomonische Aufklärung“ ist geschichtlich und archäologisch so gut wie ausgeschlossen, vgl. dazu I. Finkelstein/N. A. Silberman, “Temple and Dynasty: Hezekiah, the Remaking of Judah and the Rise of the Pan-Israelite Ideology“, JSOT 30 (2006) 259-285. E. Blum, „Ein Anfang der Geschichtsschreibung? Anmerkungen zur sog. Thronfolgegeschichte und zum Umgang mit Geschichte im alten Israel“, in A. de Pury/T. Römer (eds.), Die sogenannte Thronfolgegeschichte Davids. Neue Einsichten und Anfragen (OBO 176, Fribourg/Göttingen 2000) 4-37; J. Vermeylen, La loi du plus fort. Histoire de la rédaction des récits davidiques de 1Samuel 8 à 1 Rois 2 (BETL 154, Leuven 2000). Einen sehr minimalen Grundbestand aus dem 10. Jh postuliert auch T. Rudnig, Davids

Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im DtrG

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hingegen andere diese erst als dtr, oder gar nach-dtr ansehen21. Da dieses Werk, wenn es je als ein solches unabhängig vom DtrG existiert hat, jedoch nur eine begrenzte Zeitspanne behandelt, kann hier auf eine ausführliche Diskussion desselben verzichtet werden. Im Folgenden soll die Frage einer mehrere Epochen übergreifenden Historiographie behandelt werden.

2. Die Hypothese des DtrG Als M. Noth 1943 ein sich von Dtn bis nach 2Kön erstreckendes DtrG postulierte, bereitete er damit bereits die Abkehr vom Jahwisten als Israels erstem Historiker vor. Dies hatte sein Kritiker O. Eissfeldt sofort bemerkt, der Noth ankreidet, vor dem Deuteronomisten keinerlei umfassende Geschichtsschreibung in Israel anzunehmen, sondern einzig isolierte „Erzählkomplexe von begrenztem zeitlichen Horizont“; denn „J … will er ja nicht eigentlich als Geschichtswerk gelten lassen“, „die erste umfassende, von Israels Aufenthalt am Sinai bis zur Begnadigung Jojachins herabreichende Darstellung der israelitischen Geschichte ist nach ihm doch erst um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. entstanden, eben das deuteronomistische Geschichtswerk“.22 In seinen „Überlieferungsgeschichtlichen Studien“23 fragt Noth nach der Funktion der dtr Texte im Dtn24 und in den Vorderen Propheten und entdeckt eine inhaltliche und kompositionelle Kohärenz. Das Gros der dtr Texte führt er auf die schriftstellerische Persönlichkeit des aus eigener Initiative handelnden Deuteronomisten (Dtr) zurück. Dieser Dtr, der während der Exilszeit, kurz nach 560, wohl in der Gegend von Mizpa und Bethel eine Ätiologie des Untergangs verfasst, verleiht den Büchern Dtn – Kön durch eine „einheitliche Geschichtstheologie“ und durch in den Erzählungsverlauf eingefügte deutende Reden und Kommentare eine stilistische, chronologische und inhaltliche Geschlos-

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Thron. Redaktionskritische Studien zur Geschichte von der Thronnachfolge Davids (BZAW 358, Berlin/New York 2006). C. Y. S. Ho, “The Stories of the Family Troubles of Judah and David: A Study of their Literary Links”, VT 49 (1999) 514-531; J. Van Seters, “The Court History and DtrH: Conflicting Perspectives on the House of David”, in de Pury/Römer, Thronfolgegeschichte (s. Anm. 20) 70-93. O. Eissfeldt, Geschichtsschreibung im Alten Testament. Ein kritischer Bericht über die neueste Literatur dazu (Berlin 1948) 37 und 44. M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Teil 1: Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament (Halle 1943; Darmstadt ³1967). Für Noth gilt es mit der damaligen Forschung für ausgemacht, dass es in den Büchern Gen – Num keine dtr Redaktion gibt, ÜSt (s. Anm. 23) 11.

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senheit25. Insofern ist Dtr kein Editor, der ein bereits vorliegendes Werk retouchiert und herausgibt, sondern der „Verfasser eines umfassenden Traditionswerkes“26, der als erster die in Jos – Kön enthaltenen Überlieferungen als eine zusammenhängende Geschichte konzipiert. Vor Dtr gibt es Noth zufolge keine von der Landnahmezeit bis zum Ende Judas reichende Geschichtsdarstellung27. Für Noth ist das DtrG eine noch für den heutigen Historiker wertvolle Geschichtsquelle: „Der Arbeit von Dtr verdanken wir im wesentlichen unsere gesamte Kenntnis von der Geschichte des Volkes Israels auf dem Boden Palästinas“28. Er räumt jedoch ein, dass es „unmöglich [ist] einer Rekonstruktion der Geschichte Israels einfach die Darstellung von Dtr zugrunde zu legen“29. Die „nächsten Verwandten von Dtr sind jene Geschichtsschreiber der hellenistischen und römischen Zeit, die unter meist anonymer Verwendung älterer Darstellungen die Geschichte nicht ihrer eigenen Zeit, sondern einer mehr oder weniger weit zurückliegenden Vergangenheit geschrieben haben“30. Dtr schreibt seine bei den Ursprüngen Israels ansetzende Geschichte, um die Zerstörung Jerusalems und das babylonische Exil als Strafe Jhwhs für den dauernden Ungehorsam seines Volkes und dessen Könige verständlich zu machen. Dabei hat er in den Ereignissen von 597 und 587 „offenbar etwas Endgültiges und Abschließendes gesehen“31. Die These eines die Bücher Dtn – 2Kön umfassenden Geschichtswerkes ist weiterhin eine der wichtigsten Hypothesen der alttestamentlichen Forschung; allerdings bezeichnet heute der Ausdruck „DtrG“ recht unterschiedliche Konzeptionen, die mit zwei wichtigen Modifikationen von Noths Theorie zusammenhängen32. 25 26 27 28 29 30 31 32

Noth, ÜSt (s. Anm. 23) 5-6, und zur Lokalisierung von Dtr, 110, Anm. 1. Ibid., 89. So ausdrücklich ibid., 10. Ibid., 90. Ibid., 99. Ibid., 12. Ibid., 108. Eine ausführliche Forschungsübersicht kann hier nicht gegeben werden. Siehe dazu T. Römer/A. de Pury, “L'Historiographie Deutéronomiste (HD). Histoire de la recherche et enjeux du débat“, in A. de Pury/T. Römer/J.-D. Macchi (eds.), Israël construit son histoire. L'historiographie deutéronomiste à la lumière des recherches récentes (MoBi 34, Genève 1996) 9-120; englisch: T. Römer/A. de Pury, “Deuteronomistic Historiography (DH): History of Research and Debated Issues“, in A. de Pury/T. Römer/J.-D. Macchi (eds.), Israel Constructs Its History. Deuteronomistic History in Recent Research (JSOT.S 306, Sheffield 2000) 24-141; T. Veijola, „Deuteronomismusforschung zwischen Tradition und Innovation (III)“, ThR 68 (2003) 1-44; M. Witte/K. Schmid/D. Prechel/J. C. Gertz (eds.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten (BZAW 365, Berlin/New York 2006); A. G. Auld, “Narrative Books in the Hebrew Scriptures“, Expository Times 119 (2007) 105-110; A. Scherer, „Neuere For-

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Eine dieser Modifikationen ist die letztendlich auf Wellhausen und Kuenen zurückgehende Annahme einer Erstausgabe des DtrG noch während der Königszeit, unter der Regierung Josias, dessen kultische und politische Reform mit den Anliegen des deuteronomischen Gesetzes und der dtr Theologie konform geht. So wird in der angelsächsischen Forschung überwiegend mit einem josianischen DtrG gerechnet, das wohl mit dem – Dtn 6,4-5 aufnehmenden – Lobpreis Josias in 2Kön 23,25* endete und nach 587 durch die Anfügung von 2Kön 24–25 und die Einfügung von auf das Exil vorverweisenden Texten komplettiert wurde33. In der Tat finden sich innerhalb des DtrG Texte, die sich besser im Kontext des 7. Jh. verstehen lassen, als in der babylonischen oder persischen Zeit. Dazu gehören insbesondere die auf die Zeit Josias34 hinlaufenden Beurteilungen der Könige Israels und Judas, die Annahme einer ewigen davidischen Dynastie, sowie die Wendung, „bis auf diesen Tag“, die scheinbar das Bestehen des judäischen Königtums noch vorauszusetzen scheint35. Einem zur Zeit Josias entstandenen DtrG würde natürlich eine völlig andere ideologische Ausrichtung innewohnen als die von Noth angenommene Ätiologie des Exils. Im Gegensatz zu diesem Modell hat hauptsächlich die deutschsprachige Forschung, weit mehr literarkritisch arbeitend als die angelsächsische, ein Schichtenmodell entwickelt, das versucht, der bereits von Noth beobachteten literarischen Komplexität der dtr Texte36 Rechnung zu tragen, nämlich durch die Unterscheidung dreier Hauptschichten37:

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schungen zu alttestamentlichen Geschichtskonzeptionen am Beispiel des deuteronomistischen Geschichtswerks“, VuF 53 (2008) 22-40. Diese Sicht wurde von F. M. Cross initiiert; vgl. “The Structure of the Deuteronomic History”, Perspectives in Jewish Learning (Annual of the College of Jewish Studies 3, Chicago 1968) 9-24; unter seinen Nachfolgern vgl. R. D. Nelson, The Double Redaction of the Deuteronomistic History (JSOTSup 18, Sheffield 1981); “The Double Redaction of the Deuteronomistic History: The Case is Still Compelling”, JSOT 29 (2005) 319-337; M. A. Sweeney, King Josiah of Judah. The Lost Messiah of Israel (Oxford 2001); J. C. Geoghegan, The Time, Place and Purpose of the Deuteronomistic History. The Evidence of “Until This Day“ (Brown Judaic Studies 347, Providence [RI] 2006). Bezeichnenderweise kann Noth mit 2Kön 22–23 wenig anfangen und sieht in dem Bericht über die Regierungszeit Josias „ein retardierendes Moment“ (ÜSt [s. Anm. 23] 86). Vgl. zu diesen Argumenten auch K. Schmid, „Hatte Wellhausen Recht? Das Problem der literarhistorischen Anfänge des Deuteronomismus in den Königsbüchern“, in Die deuteronomistischen Geschichtswerke (s. Anm. 32) 19-43. Vgl. z.B. die Beobachtungen in ÜSt (s. Anm. 23) zu Jos 1 (41), zu Jos 21,43-45 und 23 (45-47), zu 1Kön 8 (70) und zu 2Kön 17 (85). Allerdings spricht Noth meistens nur von „Zusätzen“, ohne deren Herkunft zu erläutern. Initiiert durch die Unterscheidung von DtrH und DtrN durch R. Smend, „Das Gesetz und die Völker. Ein Beitrag zur deuteronomistischen Redaktionsgeschichte“, in H. W. Wolff (ed.), Probleme biblischer Theologie. Festschrift für Gerhard von Rad (München 1971) 494-509; zu einer Darstellung dieses Modells vgl. W. Dietrich, „Deutero-

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DtrH (der für die Erstausgabe des DtrG verantwortliche „Historiker“), DtrP (der nur in Sam und Kön zu eruierende prophetische Deuteronomist) und DtrN (der auf der Wichtigkeit des Gesetzes beharrende Nomist). Der dtr „Nomist“ wird dabei meistens jedoch als ein Sammelbegriff verstanden, der verschiedene späte dtr Bearbeitungen subsumiert38. Dieses Modell bleibt Noth dahingehend treu, dass auch hier die Anfänge des DtrG in der „Exilszeit“ gesehen werden. In der heutigen deutschsprachigen Forschung scheint die Exilsszeit zu einem beinahe mythischen Einsatzpunkt alles bedeutsamen Schaffens in Juda avanciert zu sein. Dadurch wird in romantischer Weise das Gros der alttestamentlichen Literatur als „Antwort auf das Exil“ verstanden, ohne dass dabei die materiellen Gegebenheiten näher ins Auge gefasst werden (vgl. auch die in andere Sprachen unübersetzbare Terminologie „spätvorexilisch“, „frühnachexilisch“ usw.). Ist es z. B. denkbar, dass ein Individuum bzw. eine Schreibergruppe während des Exils ex nihilo ein Buch wie Könige redigiert? Es werden zwar oft „Quellen“ postuliert, deren Umfang und Inhalt jedoch meistens unscharf bleiben. M. E. ist „nationalistische“ Literatur, die sich hinter Jos oder Sam-Kön leicht erahnen lässt, besser im Kontext einer funktionierenden königlichen Infrastruktur verständlich. Damit soll keineswegs die ideologische Bedeutung des Exils bestritten werden; die theologische Bewältigung desselben war jedoch nur aufgrund einer bereits existierenden literarischen Kultur (zumindest seit dem 8. oder 7. Jh.) möglich.

Die Multiplikation der dtr Schichten kann natürlich zur Auflösung der kompositionellen Kohärenz des DtrG führen; deshalb verteidigen einige Autoren in der Nachfolge Noths ein einheitliches von einem Autor redigiertes Geschichtswerk39.

3. Gibt es ein DtrG? Den verschiedenen Anschauungen über das DtrG steht seit mehr als einem Jahrzehnt die Bestreitung der Existenz desselben gegenüber. Seit Westermanns Kampfschrift40, die alte Einwände gegen ein in Dtn – 2Kön vorliegendes Geschichtswerk zu neuer Geltung bringt,

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nomistisches Geschichtswerk“, RGG4 2 (2000) cols. 688-692, und id., „Vielfalt und Einheit im deuteronomistischen Geschichtswerk“, in J. Pakkala/M. Nissinen (eds.), Houses Full of All Good Things. Essays in Memory of Timo Veijola (Publications of the Finnish Exegetical Society 95, Göttingen 2008) 169-183. So bereits Smend (s.o. Anm. 37), vgl. auch J. Pakkala, Intolerant Monolatry in the Deuteronomistic History (Publications of the Finnish Exegetical Society 76, Göttingen 1999). So besonders J. Van Seters, In Search of History. Historiography in the Ancient World and the Origin of Biblical History (New Haven/London 1983); “The Deuteronomistic History: Can It Avoid Death by Redaction?”, in T. Römer (ed.), The Future of the Deuteronomistic History (BETL 147, Leuven 2000) 213-222; S. L. McKenzie, Art. “Deuteronomistic History”, ABD 2 (1992) 160-168; D. Janzen, “An Ambiguous Ending: Dynastic Punishment in Kings and the Fate of the Davidides in 2 Kings 25.27-30”, JSOT 33 (2008) 39-58. C. Westermann, Die Geschichtsbücher des Alten Testaments. Gab es ein deuteronomistisches Geschichtswerk? (ThB 87, Gütersloh 1994).

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wird die These M. Noths auf verschiedene Weise als ein weiterer Irrweg alttestamentlicher Forschung kritisiert. Dabei wird vor allem zur Geltung gebracht, dass sich die dtr Texte in den verschiedenen Büchern des sog. DtrG dermaßen voneinander unterscheiden, dass sie nicht einer einheitlichen dtr Redaktion zugeschrieben werden können. Das Vorhandensein von dtr Texten und Redaktionen im Dtn und in den Vorderen Propheten wird nicht bestritten; bestritten wird hingegen die Möglichkeit, diese Passagen einer oder mehreren übergreifenden und planvollen Redaktionen zuzuschreiben41. Diese bereits 1994 von E. Würthwein vertretene Position wurde in den letzten Jahren mit etwas unterschiedlichen Nuancen von E. A. Knauf, R. Kratz, E. Aurelius und anderen aufgegriffen42. Nach diesem Modell liegt der Nukleus des sog. DtrG bzw. der dtr Redaktion in Sam – Kön und breitet sich dann in unzählbaren dtr Bearbeitungen und Einschüben nach vorne aus. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die bereits von M. Noth als schwierig erachtete Frage des „Darstellungseinsatzes“ des DtrG. Kann Dtn 1–3 wirklich als Anfang eines bis nach Kön reichenden literarischen Werkes verstanden werden, oder sind die „Rekapitulationen“ von Episoden aus der Wüstenzeit in diesen Kapiteln eher als eine Ein- oder Anbindung des Dtn an den Tetrateuch zu verstehen43? Fiele der Anfang des DtrG dahin, wäre dessen Existenz ernsthaft in Frage gestellt, denn ohne das Dtn kann man kaum von einem DtrG sprechen. Im Folgenden soll versucht werden zu zeigen, dass die erwähnten Modifikationen bzw. Ablehnungen der Noth’schen These nicht zu einer Aufgabe des DtrG führen, da m.E. die Indizien für ein kohärentes Geschichtswerk in Dtn – 2Kön überwiegen.

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Vgl. E. A. Knauf, “L'historiographie deutéronomiste (DtrG) existe-t-elle?“, in Israël construit son histoire (s. Anm. 32) 409-418; H. N. Rösel, Von Josua bis Jojachin. Untersuchungen zu den deuteronomistischen Geschichtsbüchern des Alten Testaments (VT.S 75, Leiden et al. 1999); K. L. Noll, “Deuteronomistic History or Deuteronomistic Debate? (A Thought Experiment)“, JSOT 31 (2007) 311-345. E. Würthwein, „Erwägungen zum sog. deuteronomistischen Geschichtswerk. Eine Skizze“, in Studien zum deuteronomistischen Geschichtswerk (BZAW 227, Berlin/New York 1994) 1-11; R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB 2157, Stuttgart 2000) 155-161; E. Aurelius, Zukunft jenseits des Gerichts. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zum Enneateuch (BZAW 319, Berlin/New York 2003) passim. Vgl. weiterhin die Darstellung der gegenwärtigen Forschungssituation bei C. Frevel, „Deuteronomistisches Geschichtswerk oder Geschichtswerke? Die These Martin Noths zwischen Tetrateuch, Hexateuch und Enneateuch“, in Martin Noth – aus der Sicht der heutigen Forschung (s. Anm. 16) 60-95. So bereits S. Mittmann, Deuteronomium 1,1 – 6,3 literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht (BZAW 139, Berlin/New York 1975), und kürzlich J. C. Gertz, „Kompositorische Funktion und literarhistorischer Ort von Deuteronomium 1–3“, in Die deuteronomistischen Geschichtswerke (s. Anm. 32) 103-123, der Dtn 1–3 als die Numerierzählungen voraussetzende relecture im Rahmen des Pentateuchs verstehen will.

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4. Die Kohärenz des DtrG Die Bestreiter eines DtrG bleiben allesamt eine Erklärung des von Noth beobachteten Phänomens schuldig, dass „Dtr an allen wichtigen Punkten des Geschichtsverlaufs die führend handelnden Personen mit einer kürzeren oder längeren Rede auftreten lässt, die rückblickend und vorwärtsschauend den Gang der Dinge zu deuten versucht … Anderwärts werden die zusammenfassenden Geschichtsbetrachtungen … von Dtr selbst in erzählender Form dargeboten“44. Diese Reden bzw. Geschichtsdeutungen (Jos 1; Jos 23; Ri 2; 1Sam 12; 1Kön 8, 2Kön 17)45, deren Vorbild man in der großen Abschiedsrede des Mose (Dtn 1–30) finden kann, sind eindeutig aufeinander bezogen und untergliedern die Bücher Dtn – 2Kön in verschiedene Epochen. Etwas Vergleichbares findet sich im Tetrateuch nicht. In den meisten dieser Geschichtsbetrachtungen wird auf den möglichen bzw. kommenden Landverlust angespielt (Jos 23,13.16; 1Sam 12,15.25; 1Kön 8,46-49; 2Kön 17,7ff) und der Adressat so auf das kommende Ende vorbereitet. Solche bereits im Dtn vorliegenden Hinweise (vgl. besonders Dtn 28,63-64) sind im Tetrateuch ebenfalls nicht anzutreffen mit Ausnahme einiger weniger und anerkanntermaßen post-dtr und post-priesterlicher Texte wie Lev 26,27-3346. Die kompositionelle Kohärenz von Dtn – 2Kön wird auch durch folgende thematische und sprachliche Beobachtungen gestützt47. So bereitet der Zorn (‫ )אנף‬Jhwhs über Mose (Dtn 1,37) dessen Zorn über Israel vor, der zum Untergang des Nordreiches führt (2Kön 17,18) und danach zum Bericht über das Ende Judas (die Wendung ‫הסיר מעל פניו‬ aus 2Kön 17,18 wird noch einmal in 2Kön 24,3 zu Anfang der Schlusskapitel des DtrG wieder aufgenommen). Die Wurzel ‫אנף‬, welche die Bücher Dtn und Kön aufeinander bezieht48, findet sich nicht im Tetrateuch und nur einmal in den Hinteren Propheten. Weitere sprachliche Argumente, die die Kohärenz von Dtn – 2Kön unterstreichen49, finden 44 45 46 47 48

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ÜSt (s. Anm. 23) 5. Noth rechnet zu diesen noch Jos 12,1-6, aber diese kurze Liste unterscheidet sich wesentlich von den anderen Geschichtssummarien und kann deswegen hier unbeachtet bleiben. Natürlich setzen Texte wie Ex 32 oder Num 13–14 die Zerstörung Jerusalems und die damit verbundenen Deportationen voraus, aber dieses Thema wird nie direkt abgehandelt. Siehe dazu ausführlicher T. Römer, „Entstehungsphasen des ‚deuteronomistischen Geschichtswerkes’“, in Die deuteronomistischen Geschichtswerke (s. Anm. 32) 45-70. Vgl. dazu auch N. Lohfink, „Der Zorn Gottes und das Exil. Beobachtungen am deuteronomistischen Geschichtswerk“, in R. G. Kratz/H. Spieckermann (eds.), Liebe und Gebot. Studien zum Deuteronomium. Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt (FRLANT 190, Göttingen 2000) 137-155. Siehe dazu ausführlicher T. Römer, „Entstehungsphasen“ (s. Anm. 47) 49-55.

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sich z. B. in der Rede von den „anderen Göttern“ (‫)אחרים אלהים‬, denen Israel nicht dienen soll. Diese Wendung ist mit Ausnahme von zwei Stellen50 im Tetrateuch nicht belegt, dafür aber in jedem Buch des DtrG. Ausdrücke wie auf „die Stimme Jhwhs hören“, „aus dem Land vertilgt werden“ u.a. sind ebenfalls in Gen – Num nur sehr selten zu finden, dafür aber umso häufiger im DtrG. Die Rekapitulation der Geschichtsereignisse in Dtn 1–3 setzt kaum die sich im Numeribuch findenden Erzählungen voraus. Erzählerische Parallelen gibt es in Dtn 1–3 eigentlich nur zu der Entlastung Moses (Num 11 und Ex 18), zur Verweigerung der Landnahme (Num 13–14) und zu einigen Episoden der Eroberung des Ostjordanlandes. Es fehlen jedoch mit Ausnahme der Kundschaftergeschichte sämtliche Konflikterzählungen des Numeribuches (Num 11–12*; 16–21*; 25*), welche die Wüstenzeit in einem sehr negativen Licht erscheinen lassen. Bleibt die Frage nach der Herkunft oder nach eventuellen Vorlagen für Dtn 1–3, und es ist möglich, dass einige Num- und Dtn-Texte auf eine gemeinsame Tradition zurückgreifen, welche kaum den im jetzigen Numeribuch vorliegenden Texten entsprechen würde51. Es sei ein Beispiel aus dem NT erlaubt: In 1 Kor 15,5-9 resümiert Paulus die Erscheinungen des auferstandenen Christus an verschiedene Personen. Diese werden z. B. in Lk 24 und Apg 9,1-19; 10,39-43 ausführlich berichtet, wobei es jedoch unmöglich ist, dass der Paulustext trotz seines zusammenfassenden Charakters vom lukanischen Werk abhängig ist. Diese Argumente sprechen dafür, dass Dtn 1–3 zunächst als Einleitung in das DtrG konzipiert wurden. Erweist sich somit die Hypothese eines DtrG als immer noch plausibel, stellt sich die Frage nach dessen Ursprung52. Es gibt in der Tat innerhalb des DtrG eine Reihe von Textkomplexen, deren erste Verschriftung wohl in die neuassyrische Zeit (7. Jh. v. Chr.) gehört: die engen Parallelen zwischen dem „Urdeuteronomium“ und den neuassyrischen Loyalitätseiden53, die enge Anlehnung der Kriegserzählungen in Jos an neuassyrische militärische Propaganda54, die bereits erwähnten auf die Josiazeit hin-

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Ex 20,3 (eine Parallelstelle zu Dtn 5,7) und 22,13. Vgl. die detaillierten Nachweise bei R. Achenbach, Die Vollendung der Tora: Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch (Beihefte der Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte 3, Wiesbaden 2003). Vgl. zum Folgenden ausführlich T. Römer, The So-Called Deuteronomistic History: A Sociological, Historical and Literary Introduction (London/New York ²2007) 45-66. E. Otto, Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsreform in Juda und Assyrien (BZAW 284, Berlin/New York 1999). K. L. Younger, Jr., Ancient Conquest Accounts. A Study in Ancient Near Eastern and Biblical History Writing (JSOT.S 98, Sheffield 1990).

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laufenden Themen, wie die Abschaffung der Höhenheiligtümer, usw.55. So erscheint es wahrscheinlich, die Ursprünge des Deuteronomismus im 7. Jh. anzusetzen. Die übergreifenden Themen und Ausdrücke und insbesondere die „Deutereden“ setzen jedoch allesamt das babylonische Exil voraus. Dem Sachverhalt wird man am ehesten dadurch gerecht, dass man für das 7. Jh. vereinzelte Rollen (Dtn*, Jos*, Sam-Kön*) annimmt, die jedoch noch nicht als eine durchgehende „große Geschichte“ von den mosaischen Anfängen bis zur Zerstörung Jerusalems konzipiert waren. Diese entstand als Antwort auf die Krise von 587 gegen Ende der babylonischen oder zu Anfang der persischen Zeit. Damit ist das DtrG eine Geschichte der Krisenbewältigung.

5. Inwieweit ist das DtrG Geschichtsschreibung? Für M. Noth ist das DtrG eine „aus eigener Initiative“ unternommene „Arbeit eines Mannes“, die „keinerlei offiziellen Charakter“ trägt56. Diese Annahme erscheint heute als anachronistisch und unangemessen, denn die in der hebräischen Bibel vorliegenden Schriften sind keine Autorenliteratur, Kohelet vielleicht ausgenommen. Fast alle alttestamentlichen Schriften sind Traditionsliteratur und durch die Hände mehrerer Kopisten und Redaktoren gegangen, die ihre Werke in Tempel- oder Heiligtums-„Bibliotheken“ verwahrten57. Das DtrG ist insofern mindestens ein Jahrhundert lang hindurch ediert und bearbeitet worden. Es ist kein alttestamentliches Äquivalent zu Herodot oder Thukydides58; das DtrG sowie das chronistische Werk sind keine historia im Sinne einer Untersuchung, die sich auf eine kritische Auswertung und Diskussion von Quellen stützt. Anders als Herodot, der unterschiedliche Berichte überliefert und kommentiert, berichten die Verfasser des DtrG ohne Diskussion von Quellen. Das DtrG verweist zwar auf verschiedene Dokumente, ohne diese jedoch näher zu beschreiben (Jos 10,13; 2Sam 1,18: „Buch des Aufrechten“; 1Kön 11,41: 55 56 57

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S.o. und G. N. Knoppers, Two Nations Under God. The Deuteronomistic History of Solomon and the Dual Monarchies, 2 vols. (HSM 52–53, Atlanta [GA] 1993–1994). ÜSt (s. Anm. 23) 110 und 109. Vgl. dazu E. A. Knauf, Die Umwelt des Alten Testaments (NSK AT 29, Stuttgart 1994) 225-234. Ein materielles Beispiel für die Entstehung und Transmission altorientalischer Texte liefert das Gilgameschepos, vgl. J. H. Tigay, The Evolution of the Gilgamesh Epic (Philadelphia 1982). Van Seters hat oft seinen in der Exilszeit wirkenden Jahwisten mit den ersten griechischen Historikern verglichen (siehe z.B. Der Jahwist als Historiker [s. Anm. 14]). Allerdings spricht der sogenannte Jahwist (wenn es ihn wirklich gegeben hat) nie in der ersten Person. Der Jahwist erscheint eher als ein omniscienter Erzähler, um einen Begriff aus der Narratologie aufzunehmen.

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„Buch der Geschichte Salomos“; 1Kön 14,19 u.ö.: „Buch der Chronik der Könige von Israel“; 1Kön 14,29 u.ö.: „Buch der Chronik der Könige von Juda“). Es ist durchaus damit zu rechnen, dass die Verfasser des DtrG schriftliche Quellen zu ihrer Verfügung hatten, insbesondere königliche Annalen, deren Existenz für Israel und Juda durchaus wahrscheinlich ist59. Die mögliche Verwendung dieser Quellen steht jedoch nicht im Dienste einer wahrheitsgetreuen Wiedergabe der Ereignisse wie es Thukydides beansprucht; noch geht es darum, die Geschichte Israels und Judas objektiv und distanziert darzustellen. Mit Herodot teilt das DtrG jedoch das Anliegen, die Gründe darzustellen, die zu einer bestimmten Situation geführt haben (2Kön 17,7: „Und das geschah, weil die Israeliten gegen Jhwh ihren Gott gesündigt hatten“; 2Kön 24,3: „Dies geschah in Juda auf den Befehl Jhwhs, um sie sich aus den Augen zu schaffen“). Im Rahmen dieses Beitrags kann nicht auf die komplexe zeitgenössische Diskussion über Definition und Wesen von Historiographie eingegangen werden60. Natürlich geht es den Deuteronomisten nicht darum, der Nachwelt mitzuteilen, „wie es eigentlich gewesen“ (von Ranke)61 war. Wenn man sich mit Van Seters Huizingas Definition zu eigen macht, wonach Geschichtsschreibung „is the intellectual form in which a civilization renders account to itself of its past“62, kann das DtrG durchaus als ein solches Projekt verstanden werden. In der Tat wird in Dtn – 2Kön eine chronologische Abfolge von verschiedenen Epochen konstruiert, deren Anliegen es ist, den Sinn von Judas und Israels Geschichte von den mosaischen Anfängen bis zum Untergang der beiden Königreiche darzustellen. Durch die Abgrenzung und Aufeinanderbeziehung der verschiedenen Epochen in den bereits von Noth beobachteten „Reflexionskapiteln“ entsteht ein kohärentes Geschichtsbild trotz der Diversität der aufgenommenen und verarbeiteten Traditionen.

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Nach der Zerstörung Samarias durch die Assyrer (722) können die Annalen des Nordreichs durch Flüchtlinge nach Jerusalem gelangt sein. Vgl. dazu R. J. Evans, In Defence of History (London 1997), mit weiterer Bibliographie, und M. Völkel, Geschichtsschreibung: Eine Einführung in globaler Perspektive (UTB 2692, Köln/Weimar/Wien 2006). Evans zufolge geht es bei von Ranke nicht zunächst um objektive Darstellung der Ereignisse, wie meist behauptet wird, man sollte von Rankes Forderung besser als „how it essentially was“ verstehen, „for Ranke meant not that he just wanted to collect facts, but that he sought to understand the inner being of the past“ (Defence [s. Anm. 60] 17). J. Huizinga, “A Definition of the Concept of History”, in R. Klibansky/H. J. Paton (eds.), Philosophy and History. Essays Presented to Ernst Cassirer (Oxford 1936) 1-10; zitiert von Van Seters, Search (s. Anm. 39) 1.

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6. Die Epochen des DtrG 6.1 Die mosaische Grundlegung (Dtn 1–34*) Es wurde bereits aufgezeigt, dass das Dtn, insbesondere durch die Voranstellung von Dtn 1–3*63 in babylonischer oder frühpersischer Zeit zum „ersten Kapitel“ des DtrG umgestaltet wurde. Dadurch, dass Dtn 1–30 (von späten Unterbrechungen abgesehen) als eine große Abschiedsrede Moses gestaltet ist, liefert es das Modell für alle die späteren Epochen unterteilenden dtr Reden und Kommentare. Die hauptsächliche Funktion des Dtn im Rahmen des DtrG liegt in der Bereitstellung der theologischen Kriterien, mit Hilfe derer die folgende Geschichte gedeutet wird und ihren Sinn gewinnt. Diese sind hauptsächlich das sogenannte Zentralisationsgesetz in Dtn 1264, wodurch der Jerusalemer Tempel zum einzig legitimen Jhwh-Heiligtum erklärt wird, und die durchgehende Warnung, sich mit „anderen Göttern“ abzugeben. So wird die Errichtung von Jhwh-Heiligtümern in Dan und Bethel durch Jeroboam (1 Kön 12) von den Deuteronomisten als „Sünde Jeroboams“ bezeichnet, aufgrund derer das Nordreich zugrunde geht; aber auch vielen judäischen Königen, angefangen mit Salomo, wird vorgeworfen, die jahwistischen „Höhen“ (bamot) weiterhin geduldet zu haben. Neben der Missachtung von Dtn 12 liegt nach Ansicht des DtrG ein weiterer Grund für den Fall Israels und Judas in der Verehrung anderer Götter, insbesondere des Baals und der Asherah65. 63

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Dtn 1–3 ist nicht einheitlich; spätere Einschübe sind leicht zu erkennen, vgl. z.B. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens (FAT 30, Tübingen 2000) 12-109. In Dtn 12 wurde ein aus dem 7. Jh. stammender Text (12,13-18*) in babylonischer (12,8-12) und persischer Zeit (12,2-7 und 20-27) zweifach erweitert, siehe dazu Römer, So-Called (s. Anm. 52) 56-65. Die zur Zeit wieder einmal beliebte These, die Zentralisationsforderung sei eine Erfindung der „exilischen“ Zeit (so z.B. E. Aurelius, „Die fremden Götter im Deuteronomium“, in M. Oeming/K. Schmid [eds.], Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel [AThANT 82, Zürich 2003] 145-169), ist m.E. unlogisch; vgl. auch die berechtigte Kritik von K. Schmid, „Wellhausen“ (s. Anm. 35) 35. Zur Popularität Ascherahs und ihrer Rolle als Jhwhs Paredros siehe S. M. Olyan, Ashera and the Cult of Yahweh in Israel (SBLMS 34, Atlanta 1988). Im Tetrateuch wird Ascherah nur in Ex 34,13 erwähnt. Dahingegen erscheint sie oft in Dtn, Ri und Könige. Jos, Ri und Sam erwähnen auch die „Astarten“. Auch Baal als Gottesname erscheint im Tetrateuch mit einer Ausnahme (Num 22,41) nicht; die Baal-Verehrung des Jhwh-Volkes und seiner Könige wird in Ri und Kön (wie in den Prophetenbüchern) stigmatisiert. Dass das Dtn hauptsächlich von den „anderen Göttern“ spricht (dieser Ausdruck erscheint auch in allen anderen Büchern des DtrG), erklärt sich wohl durch den übergreifenden Charakter dieses Ausdrucks, der auch assyrische und babylonische Gottheiten einschließen kann.

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Weiterhin enthält das dtr Deuteronomium auch Verweise auf die folgende Geschichte: die häufige Erwähnung des Jordanübergangs setzt die Erzählung der Landeroberung des Josuabuches voraus; die Warnung vor dem Abfall von Jhwh, wie sie in Dtn 6,12-15 formuliert ist, wird zu Anfang der Richterzeit vom Volk missachtet (vgl. die z.T. wörtliche Aufnahme des Dtn-Textes in Ri 2,12-14); das Königsgesetz in Dtn 17,14-20 spielt insbesondere auf die Erzählung der Anfänge des Königtums (vgl. 17,14-15 und 1Sam 8,5 und 10,24), auf die Zeit Salomos (vgl. 17,16-17 und 1Kön 11,1-3) und wohl auch auf den frommen König Josia (vgl. 17,18-20 und 2Kön 22–23) an. Auch das Exil, mit dem das DtrG endet, ist in der eröffnenden Moserede bereits präsent. Das große in babylonischer Zeit überarbeitete Fluchkapitel endet mit der Ansage der Vertreibung aus dem Lande: „so wird Jhwh seine Freude daran haben, euch auszutilgen und euch zu vernichten. Ihr werdet aus dem Land, in das du nun hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, herausgerissen werden“ (Dtn 28,63): Diese Ansage erfüllt sich in 2Kön 24 und 25: „Weil Jhwh über Juda und Jerusalem erzürnt war, kam es so weit, dass er sie von seinem Angesicht verstieß (24,20) … So wurde Juda von seinem Land weggeführt (25,21)“. Auch die Rekapitulation der Wüstenereignisse in Dtn 1–3 enthält mit dem Thema von Jhwhs Zorn (s.o.) und dem Ungehorsam der Israeliten (‫לא שמע‬, 1,43), der gehäuft am Ende der Königsbücher wieder erscheint (2Kön 17,14; 18,12; 21,9), Themen, die auf das Ende der Geschichte vorverweisen. Der Anfang des Dtn bereitet so das Ende in Kön vor66. Insofern ist der Anfang des DtrG in gewisser Weise67 mit Herodots Einführung vergleichbar, da auch dieser in seinem Vorwort sein Vorhaben nennt, den Grund (di∆ h}n aijtivhn) des griechisch-persischen Kriegs aufzuzeigen68. Das Dtn liefert seinerseits die Grundlagen für die Ätiologie des Untergangs, als welche man das DtrG in seiner „exilischen“ Form beschreiben kann.

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Nach R. Heckl, Moses Vermächtnis. Kohärenz, literarische Intention und Funktion von Dtn 1–3 (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 9, Leipzig 2004), hat „die Perspektive von Dtn 1–3 (noch?) kein über das Josuabuch hinausgehendes Geschichtswerk im Blick“ (446). Die engen Beziehungen zu Jos sind evident; allerdings scheinen mir in Dtn 1–3 genügend Indizien für einen bis Kön reichenden Zusammenhang gegeben. Allerdings besteht ein grundlegender Unterschied: Die Moserede des Dtn präsentiert sich nie als „Untersuchung“, sondern konstruiert die Geschichte durch Zurückblicke wie auch Voraussagen (vgl. auch Dtn 31,16-18). Siehe dazu Van Seters, Search (s. Anm. 39) 31-40. Nach Van Seters ist auch das abrupte Ende in 2Kön 25 mit dem Ende von Herodots Historia vergleichbar, da in beiden Werken ein Epilog fehlt (40).

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6.2 Landnahme und „goldenes Zeitalter“ (Jos 1–23*) Der Übergang von der Mose- zur Josua-Zeit wird im DtrG durch Dtn 34,1-3*.5-6 und Jos 1,1-7* geschaffen69. Die Gottesrede in Jos 1,1-7* und die Abschiedsrede Josuas in Jos 23*, die durch 21,43-45 vorbereitet wird, umrahmen die Zeit der Landnahme und stellen diese als ein goldenes Zeitalter dar, da sowohl Josua als auch das Volk getreu nach Jhwhs Anweisungen handeln. Die wohl während der assyrischen Zeit redigierten Eroberungserzählungen wurden im Rahmen des DtrG überarbeitet, um aufzuzeigen, dass die Landnahme allein Jhwhs Werk ist. Die als „counter-history“ verfasste Erzählung einer militärischen Landnahme, die sich kaum auf historische Erinnerungen stützen kann, wird in der babylonischen Ausgabe des DtrG in gewisser Weise entmilitarisiert und ritualisiert (vgl. die Jordanüberschreitung in Jos 3–4)70. Die Verfluchung desjenigen Mannes, der Jericho wieder aufbauen wolle durch Josua (Jos 6,26), ist ein Vorverweis auf 1Kön 16,34 und ein Verbindungsglied zwischen den Epochen. Im abschließenden Kommentar, der feststellt, dass alle Verheißungen Jhwhs erfüllt wurden (21,43-45), insistiert Jos 21,44 darauf, dass Jhwh Israel Ruhe vor allen Feinden verschafft hat (‫)וינח‬. Das Verb ‫נוח‬, Hif „A“ (in der Bedeutung „Ruhe verschaffen“) nimmt Dtn 12,10 auf und leitet von Jos 21,44 über 22,4 zur Abschiedsrede Jos 23 über (23,1: „Und nach langer Zeit, als Jhwh Israel Ruhe verschafft hatte vor all ihren Feinden ringsum“)71. Danach findet sich dasselbe Thema zweimal in 2Sam 7 (V. 1 und 11). Schließlich begegnet es noch vor Salomos Gebet zur Tempeleinweihung in dem dtr Vers 1Kön 5,1872. „Die … salomonische Ära … mit dem Tempelbau als 69

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Dtn 34,7-12 wurden von einer Hexateuch- (V. 8-9) bzw. Pentateuch- (V. 7.10-12) Redaktion verfasst. Dabei ging es darum, entweder Dtn-Jos oder Dtn vom DtrG abzutrennen und zum Ende eines Hexa- bzw. Pentateuchs zu machen; vgl. dazu T. Römer/M. Z. Brettler, “Deuteronomy 34 and the Case for a Persian Hexateuch“, JBL 119 (2000) 401-419, und K. Schmid, „Der Pentateuchredaktor: Beobachtungen zum theologischen Profil des Toraschlusses in Dtn 34“, in id./T. Römer (eds.), Les dernières rédactions du Pentateuque, de l'Hexateuque et de l'Ennéateuque (BEThL 203, Leuven 2007) 183-197. Vgl. dazu und zum Folgenden Römer, So-Called (s. Anm. 52) 81-90, 133-136. Nach E. Blum, „Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter. Ein Entflechtungsvorschlag“, in M. Vervenne/J. Lust (eds.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature. Festschrift C. H. W. Brekelmans (BETL 133, Leuven 1997) 181-212, wäre zwischen 21,43-45 und 23 diachron zu differenzieren. Bei Annahme einer direkten Aufeinanderfolge von 21,43-45 und 23 wäre dieses Nebeneinander schwer als Werk eines einzigen Autors begreiflich, falls aber 22,1-6* (die Rückkehr der transjordanischen Stämme) zum ersten DtrG gehörte, wäre 21,43-45 als vom selben Verfasser stammende vorbereitende Einleitung zur Abschiedsrede durchaus einleuchtend. Vgl. dazu auch B. Gosse, “La rédaction deutéronomiste de Deutéronome 12,10 à 1 Rois 5,18 et la tranquillité devant les ennemis d'alentour“, Eglise et Théologie 25 (1994) 323-331.

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ihrem Höhepunkt stellt für DtrH das endgültige Eintreten der in Dtn 12,10 verheißenen Ruhe dar“73. Demgegenüber erscheint das Exil als eine Zeit der Unruhe, wie sie bereits in der Fluchandrohung in Dtn 28,65 transparent wird („und unter diesen Völkern wirst du keine Ruhe [‫ ]מנוח‬haben“). Laut dem ursprünglichen Text von Josuas Abschiedsrede in Jos 23 (der ungefähr die Verse 1*.2-3.9.11.14-16a umfasst74) ist die Eroberung des Landes vollständig abgeschlossen. Der emphatischen Feststellung „alle guten Worte sind erfüllt“ in Jos 23,14 (vgl. 21,45), die in Salomos Rede in 1Kön 8,56 wieder aufgegriffen wird, folgt jedoch unmittelbar die Ansage, dass Jhwh auch alle „schlechten Worte“ (d.h. die Fluchandrohungen von Dtn 28*) über die Adressaten bringen wird, nämlich im Falle eines Bundesbruches, der hier als der Dienst anderer Götter präzisiert wird (23,15-16a). Dieser Bundesbruch realisiert sich zum ersten Mal in der dtr Einleitung in die Richterzeit, in Ri 2,11-12.14-16.18aa2-1975. 6.3 Die Richterzeit: Anarchie und Abfall von Jhwh (Ri 2* – 1Sam 12*) Die Zeit der Richter ist eine von den Deuteronomisten frei erfundene „Zwischenzeit“, um die Epoche zwischen der Konstitution Israels und der Königszeit darzustellen76. Die Basis zur Erfindung der Richterzeit, die wohl erst in der exilischen Ausgabe des DtrG zwischen Jos und Sam eingeschoben wurde, lieferte eine Sammlung von Erzählungen über Helden der nördlichen Stämme, der eine Erzählung über einen judäischen „Retter“ (Ri 3,7-11) vorangestellt wurde77. Im Großen und Ganzen sind in den Richtererzählungen nur wenige dtr Einschübe aus73 74 75

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T. Veijola, Das 5. Buch Mose. Deuteronomium Kapitel 1,1–16,17 (ATD 8,1, Göttingen 2004) 272. Vgl. die Argumente für diese Rekonstruktion in T. Römer, „Das doppelte Ende des Josuabuches: einige Anmerkungen zur aktuellen Diskussion um ‚deuteronomistisches Geschichtswerk’ und ‚Hexateuch’“, ZAW 118 (2006) 523-548. Jos 24 und Ri 1,1–2,5 sind postdtr Einschübe, die die Bücher Josua und Richter voneinander trennen wollen, vgl. dazu den Aufsatz in der vorangehenden Anm. sowie M. Rake, „Juda wird aufsteigen!“ Untersuchungen zum ersten Kapitel des Richterbuches (BZAW 367, Berlin/New York 2006). Es wurde des Öfteren beobachtet, dass 1Sam 1,1 eine Erzähleinleitung darstellt, die die Richterzeit nicht voraussetzt. Interessanterweise spielt diese Erzählung im Gebirge Ephraim, wo auch das Ende des Josuabuches lokalisiert ist, sodass man einen ursprünglichen Übergang von Jos zu Sam ohne Richter erwägen könnte. Vgl. dazu immer noch W. Richter, Die Bearbeitungen des „Retterbuches“ in der deuteronomischen Epoche (BBB 21, Bonn 1964). Klaas Spronk hat in einem Vortrag auf dem SBL Meeting in Auckland (2008) die These vertreten, dass das gesamte Richterbuch erst gegen Ende der Perserzeit als Werk eines mit griechischer Mythologie vertrauten Autors entstanden sei. Diese interessante These wird aber den stilistischen Unterschieden, die innerhalb von Ri auszumachen sind, nicht ganz gerecht.

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zumachen78. Die dtr Deutung der Richterzeit wird gleich zu Anfang in dem Kommentar in Ri 2,11-12.14-16.18aa2-19 vorgenommen. Dem in 2,12 konstatierten Abfall zu den anderen Göttern entspricht die Realisation des angedrohten Schlechten durch Jhwh (vgl. in V. 15 ‫ כל‬und ‫רעה‬ wie in Jos 23,15). In den Versen Ri 2,14f. liegt, wie U. Becker richtig beobachtet hat, eine gewollte Parallelisierung mit Jos 21,43-4579 und wohl auch mit 23,14-16a vor. In der dtr Ausgabe des Richterbuchs fanden sich die Samson-Erzählungen (Ri 13–16) noch nicht, da der 12. Richter (ohne Samson) für die Deuteronomisten Samuel ist, welcher ausdrücklich als solcher beschrieben wird (1Sam 7,15-16, vgl. auch 8,1-6). Schwieriger zu entschieden ist die Frage, ob die „chronique scandaleuse“ in Ri 17–21 bereits in der spät-babylonischen oder früh-perserzeitlichen Ausgabe des DtrG enthalten war80. Der Refrain über die anarchischen Zustände, die aus der Abwesenheit eines Königtums resultieren (17,6; 18,1; 21,25), bereitet jedoch passend die Berichte über die Anfänge des Königtums vor, in welchen Samuel als Übergangsfigur fungiert und die in der dtr Periodeneinteilung das Ende der Richterzeit markieren (1Sam 8–12). In den verschiedenen Erzählungen über die Entstehung der Monarchie, die von den Deuteronomisten kompiliert wurden, alternieren negative (1Sam 8 und 12) und positive (1Sam 9,1– 10,16; 11) Einschätzungen des Königtums, die im Rahmen des DtrG den zwiespältigen Status (so auch in 1Sam 10,17-27) dieser Institution zum Ausdruck bringen, welcher sich auch im Porträt der drei ersten Könige widerspiegelt. Die dtr Richterzeit ist einerseits eine gelehrte Konstruktion anhand von Materialien aus dem ehemaligen Nordreich, andererseits stellt sie die Frage nach der Möglichkeit einer angemessenen menschlichen politischen Organisation, welche die Hoheit Jhwhs nicht in Frage stellt. 6.4 Die Zeit der Anfänge des Königtums (1Sam 12* – 1Kön 8*) Eben darum geht es in Samuels Abschiedsrede, in der sich Samuel beklagt, dass das Volk durch die Forderung eines Königs Jhwhs Souveränität verworfen habe (1Sam 12,12). Die Einordnung von 1 Sam 12 ist in 78 79 80

Die oft als dtr qualifizierten Texte Ri 6,7-10 und 10,6-16 sind sicher später als die exilische Ausgabe des DtrG entstanden, vgl. dazu Römer, „Ende“ (s. Anm. 74) 546567. U. Becker, Richterzeit und Königtum. Redaktionsgeschichtliche Studien zum Richterbuch (BZAW 192, Berlin/New York 1990) 90. Konsequenterweise schreibt er zu Recht den ursprünglichen Text von Ri 2,11-19* „DtrH“ zu. Bisweilen wird die Einfügung dieser wohl ursprünglich selbständigen Erzählungen einem „DtrN“ zugeschrieben.

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der Forschung zurzeit umstritten. Insbesondere die gemeinsame Erwähnung von Mose und Aaron in 12,6-8 verbunden mit der Aussage, dass diese Israel in das Land gebracht hätten81, entspricht nicht dtr Ansichten82. Da es keine klaren literarkritischen Anzeichen gibt, diese Verse von einem älteren Text zu unterscheiden, wird die Abschiedsrede Samuels oft als spät- bzw. sekundär-dtr eingestuft83. Allerdings ist 1Sam 12,1-15*84 parallel zu Jos 23* strukturiert85, und die Möglichkeit einer späteren Retouchierung eines älteren dtr Textes kann nicht völlig ausgeschlossen werden. Dazu kommt, dass die Darstellung der Richterzeit in Ri 2,11ff* in 1Sam 12,9ff* ein passendes Pendant hat86. 1Sam 12* steht im Dienst einer Epochenabgrenzung. Die Richterzeit ist abgeschlossen (die Verse 6-12 rekapitulieren Ri 4 – 1Sam 11), und der Ausgang der nun folgenden Zeit des Königtums wird von dem rechten Jhwhdienst abhängig gemacht (Verse 13-15). Der erste Einschnitt in der Geschichte des Königtums liegt in der Rede Salomons zur Einweihung des Tempels in 1Kön 8, mit welcher die Geschichte der Gründungskönige Israels und Judas zu Ende geht. Die Erzählungen über Saul, David und Salomo werden in der dtr Darstellung, die sicher auf ältere Quellen zurückgreifen kann, zur Beschreibung dreier Typen des Königtums überarbeitet. Die Verwerfung Sauls nimmt in gewisser Weise die Verwerfung des Nordreiches durch Jhwh vorweg; die Aufstiegserzählung Davids wird so umgearbeitet, dass sie zur Verheißung einer ewigen davidischen Dynastie (2Sam 7) passt sowie zu der Verwendung Davids als positive Vergleichsfigur für die judäischen Herrscher in den dtr Königsbeurteilungen der Königsbücher. In der sogenannten Thronfolgeerzählung (2Sam 9 – 1Kön 2*) erscheint David in einem etwas dunkle81

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Es kann hier offen bleiben, ob diese Verse eine alternative, z.B. bei Hekateus von Abdera belegte Vorstellung reflektieren, nach welcher Mose Israel in das Land gebracht hätte (vgl. auch G. W. Ahlström, “Another Moses Tradition“, JNES 39 [1980] 65-69). Nach Aurelius, Zukunft (s. Anm. 42) 181, setzen diese Verse die Priesterschrift voraus. So z.B. T. Veijola, Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie (AASF.B 198, Helsinki 1977) 83ff; J. Nentel, Trägerschaft und Intentionen des deuteronomistischen Geschichtswerks. Untersuchungen zu den Reflexionsreden Jos 1; 23; 24; 1Sam 12 und 1Kön 8 (BZAW 297, Berlin/New York 2000) 162ff; Aurelius, Zukunft (s. Anm. 42) 180ff. Nach Aurelius, Zukunft (s. Anm. 42) 180, der ältere Teil des Kapitels. Zwischen Jos 23* und 1 Sam 12 finden sich folgende Parallelen: Altersangabe (Jos 23,1; 1 Sam 12,3); Rückblick auf Jhwhs Taten (Jos 23,3; 1 Sam 12,8-11); Ermahnung zur Alleinverehrung Jhwhs (Jos 23,11; 1 Sam 12,14); Verheißungen (Jos 23,14; 1 Sam 12,14) und Drohungen (Jos 23,15-16a; 1 Sam 12,15), vgl. ähnlich Aurelius, Zukunft (s. Anm. 42) 182. Die etwas obskure Aufzählung der Richtergestalten in V. 11 könnte ein Anzeichen dafür sein, dass das Richterbuch zur Zeit der Redaktion von 1 Sam 12* seine endgültige Gestalt noch nicht erreicht hatte.

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ren Licht, und es ist schwierig zu entscheiden, ob diese Erzählung, die in den Chronikbüchern fehlt, ursprünglich zum DtrG gehörte87. In der dtr Darstellung repräsentiert der Tempelbauer Salomo gleichermaßen die Chancen und Gefahren des Königtums. Bis zum Tempelbau überwiegt die positive Darstellung des weisen Königs; danach verändert sich das Bild, und es wird deutlich, dass Salomos „Vereintes Königtum“ nicht von langer Dauer sein wird (vgl. bereits die Gottesrede in 1Kön 9,1-9). Die Fassung von Salomos Tempelweihgebet im Rahmen des babylonischen DtrG (in etwa 1Kön 8,22-26.28-40.46-51.54-5688), die an einen älteren Text in 8,1-21* anknüpft, strukturiert die Geschichte wiederum zunächst mit einem Rückblick, und zwar auf die Zeit Davids, für welche, Jos 21,43-45 und 23 vergleichbar, die Erfüllung der göttlichen Verheißungen konstatiert wird (V. 22-26). Danach wird in sehr geschickter Weise der Tempel zu einer Gebetsrichtung für Judäer im Exil bzw. in der Diaspora umgestaltet. In den in 31-51* beschriebenen Gebetsanlässen entfernt sich die Stellung des Beters immer mehr vom Tempel, bis er sich schließlich in einem fremden Land befindet (vgl. V. 31, 35, 4651). Die Anklänge an das kommende Unheil werden dadurch verstärkt, dass die Gebetsanlässe in 8,33-40.46 den Fluchandrohungen von Dtn 28,25-38.64-65 entsprechen89. Das heißt, die Einweihung des Tempels leitet bereits zu den beiden letzten Epochen über, die beide mit einem Exil enden. 6.5 Die Zeit der beiden Königreiche Israel und Juda (1Kön 8* – 2Kön 17*) Die Zeit der Königreiche Israel und Juda, die durch synchrone Notizen über Regierungsantritt und -ende der jeweiligen Könige strukturiert 87 88

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S.o.; vgl. die unterschiedlichen Hypothesen in de Pury/Römer, Thronfolgegeschichte (s. Anm. 20). Bzgl. der literarkritischen Analyse von 1 Kön 8 wird wohl en detail nie Übereinkunft erreicht werden (vgl. den Überblick bei H.-P. Mathys, Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit [OBO 132, Fribourg/Göttingen 1994] 52-55). Oft werden die V. 44-51 als spätere Einfügung angesehen. Kürzlich hat J. Nentel, Trägerschaft (s. Anm. 83) 229ff, die Verse 30-53 insgesamt einer spätdtr Überarbeitung zugeschrieben. Die Beziehungen zu Dtn 12,8ff und Dtn 28* sprechen aber gegen eine solche späte Verortung der gesamten Rede. M.E. gibt es deutliche Indizien dafür, dass V. 41-45 später hinzugekommen sind: Die Idee, dass ein ‫ נכרי‬aus weiter Ferne kommt, um Jhwh anzubeten, setzt wohl das Proselytentum der hellenistischen Zeit voraus; und der Auszug in den Krieg (V. 44-45) ist nach der in V. 33 konstatierten Niederlage nicht sehr logisch. Vgl. die Tabelle bei C. F. Burney, Notes on the Hebrew Text of the Book of Kings (Oxford 1903) 112-115.

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wird, findet ihren Abschluss in der Annexion Israels durch die Assyrer im Jahr 722, welche in 2Kön17 kommentiert wird. Sie wird eingeleitet durch die Erzählungen in 1Kön 9–11*, in welchen Salomo für die Reichsteilung90 verantwortlich gemacht wird. Die dtr Darstellung der Könige Israels und Judas, die sich wohl auf Informationen aus königlichen Annalen stützt, ist dabei nicht in erster Linie an konkreten Informationen interessiert, sondern an einer theologischen Beurteilung der jeweiligen Könige, die jeweils abschließend vorgenommen wird. Könige mit langen Regentschaften und einem gewissen internationalen Ruf wie Omri (1Kön 16,23-27) und Jeroboam II (2Kön 14,23-29) werden höchst kurz abgehandelt; das Interesse der Deuteronomisten liegt fast ausschließlich auf der Stellung der Könige zu dem doppelten Kriterium der Ausschließlichkeitsverehrung Jhwhs im Jerusalemer Tempel91. Demnach werden die Könige des Nordreichs allesamt negativ beurteilt aufgrund der Sünde Jeroboams, der in Bethel und Dan konkurrierende Heiligtümer zum Jerusalemer Tempel errichtet. Selbst der jahwistische Zelot Jehu, dessen Revolution die Deuteronomisten sicher mit Sympathie gegenüber standen, wird letztendlich ebenfalls als sündiger König verurteilt (2Kön 10,28-31). In Bezug auf die judäischen Könige ist das Bild zwiespältiger. Völlig positive Herrscher wie Hiskia und Josia erscheinen erst in der letzten Geschichtsepoche. Eine Reihe von Königen des Südreiches, die mit anderen in scharfem Kontrast stehen, erhalten jedoch bedingt positive Noten, die in der Regel folgendermaßen formuliert sind: „er tat, was recht war in den Augen Jhwhs …, die Höhenheiligtümer jedoch wurden nicht abgeschafft“ (1Kön 15,5; 22,43-44; 2Kön 12,3-4; 14,3-4; 15,3-4; 15,34-45). Hier zeigt sich eindeutig die judäische Perspektive, aus welcher heraus die Deuteronomisten die Geschichte der beiden Königreiche konstruieren. Ein schwieriges Problem stellte die Regierung der aus dem Norden stammenden Königin Athaliah dar, die nach der Ermordung von Achaziah in Jerusalem die Macht ergreift und mindestens sechs Jahre lang ausübt (2Kön 11,3). Damit ist die davidische Linie unterbrochen und die göttliche Verheißung einer ewigen Dynastie in Frage gestellt. Deswegen konstruieren die Deuteronomisten Athaliah als illegitime Herrscherin und behaupten, dass während ihrer Regentschaft die Linie Davids über den versteckt gehaltenen Jungen Joasch weiter bestand. 90

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Ein salomonisches Großreich hat es nicht gegeben. Schwieriger ist zu entscheiden, inwieweit der Norden in Davids und Salomos Königreichen integriert war, zudem die Historizität dieser Könige nur sehr schwer zu erfassen ist; vgl. dazu I. Finkelstein/N.A. Silberman, “Temple and Dynasty“ (s. Anm. 19). Vgl. dazu H.-D. Hoffmann, Reform und Reformen. Untersuchungen zu einem Grundthema der deuteronomistischen Geschichtsschreibung (AThANT 66, Zürich 1980).

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Ein weiteres Charakteristikum der dtr Darstellung der Geschichte von Israels und Judas Königen ist die Einfügung einer Reihe von Prophetenerzählungen, die im jetzigen Bestand der Königsbücher fast ebenso viel Platz einnehmen wie die Berichte über die Könige und deren Taten. Dabei ist umstritten, ob alle diese Prophetenerzählungen (insbesondere die Elia- und Elisaerzählungen) bereits Bestandteil der exilischen Ausgabe des DtrG waren92. Allerdings wird man kaum alle Erzählungen über die Propheten Jhwhs als sekundär ausscheiden dürfen. Nach dtr Auffassung ist Mose der Erzprophet, dem bis zum Ende Israels und Judas eine Reihe weiterer Propheten folgen (siehe Dtn 18,15-19) und zum Gehorsam auf Jhwhs Worte drängen. So findet sich die Feststellung, dass Jhwh unaufhörlich die Israeliten durch seine Propheten gewarnt habe, jene aber nicht auf sie gehört haben, in der dtr Begründung des Untergang des Nordreiches in 2Kön 17,13-14. Der wohl mehrfach überarbeitete Kommentar93 in 2Kön 17*94, der einen aus dem 7. Jh. stammenden Text (17,1-6*. 18. 21-23aa.b)95 integriert, greift bis zum Exodus (V. 7) zurück und stellt die ganze Geschichte Israels als einen dauernden Abfall von Jhwh dar. Allerdings besitzen die gegen die Israeliten vorgebrachten Vorwürfe in 17,9-11 eine enge Parallele in den dtr Anklagen gegen Judas ersten König Rehabeam in 1Kön 14,23-24, womit bereits deutlich wird, dass das Ende Israels im DtrG ein Vorspiel für das Ende Judas ist: „Aber auch Juda hielt die Satzungen Jhwhs, ihres Gottes, nicht, und sie lebten in den Satzungen Israels“ (2Kön 17,19). Damit wird der Leser direkt auf den letzten Abschnitt des DtrG vorbereitet.

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Vgl. S. L. McKenzie, The Trouble with Kings. The Composition of the Books of Kings in the Deuteronomistic History (VT.S 42, Leiden 1991), und S. Otto, Jehu, Elia und Elisa. Die Erzählung von der Jehu-Revolution und die Komposition der Elia-Elisa-Erzählungen (BWANT 152, Stuttgart et al. 2001). Zur diachronen Unterscheidung von 17,7ff* und 17,12-17.20* vgl. W. Dietrich, Prophetie und Geschichte (FRLANT 108, Göttingen 1972) 44 (er schreibt die Verse 7-11 DtrG=DtrH zu); vgl. ähnlich, jedoch mit einer späteren Ansetzung beider Schichten, E. Würthwein, Die Bücher der Könige. 1. Kön 17 – 2. Kön 25 (ATD 11.2, Göttingen 1984) 395-397. V. 8b ist bereits aus textkritischen Gründen als Glosse erkennbar. Möglicherweise ist der gesamte Vers 8 ein Zusatz, denn die nächste Parallele zum seltenen Ausdruck ‫ חקות הגוים‬findet sich in Lev 18,3. In diesem Text ging es ursprünglich um die Legitimierung Judas als das wahre Jhwh-Volk.

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6.6 Die letzten Jahre Judas bis zu seinem Ende (2Kön 17* – 2Kön 25*) Die Geschichte Judas, welche die Zeitspanne von 722 bis ca. 560 abdeckt, enthält Erzählungen über die beiden nach David von den Deuteronomisten am höchsten geschätzten Könige, Hiskia und Josia, welche sich zu Anfang (2Kön 18–20) und in der Mitte (2Kön 22–23) des letzten Geschichtsabschnitts finden. Dadurch wird suggeriert, dass die davidische Dynastie durchaus eine Jhwh wohlgefällige Institution hätte sein können, wenn auch die Nachfolger Hiskias und Josias der religiösen Politik ihrer Väter gefolgt wären. Die Reformkönige Hiskia und Josia rahmen die kurze, aber umso wirksamere Darstellung der Regierungszeit Manasses in 2Kön 21,1-3.59* und 16-18, der als der schlimmste aller judäischen Regenten erscheint, und den eine spätere Redaktion zum allein Schuldigen des Untergangs Judas stilisiert hat (21,10-15; vgl. auch 23,26b)96. Über Manasses wohl geschickte Innen- und Außenpolitik, die ihm eine sehr lange Regierungszeit ermöglichte, wird nichts berichtet. Hingegen bieten die Deuteronomisten eine lange Aufzählung kultischer Vergehen, die sich ohne weiteres als Übertretungen der mosaischen Gesetze in Dtn 16–19 zu erkennen geben97. So stehen sich innerhalb von 2Kön 21–23 die besten und die schlimmsten Könige (zu Amon vgl. 21,19-26) gegenüber98. Für die Redaktoren der babylonischen Ausgabe des DtrG stellte der unrühmliche Tod Josias (23,29), der in scharfem Kontrast zu dem Kommentar in 23,25a („wie er war vor ihm kein König, der von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit seiner ganzen Kraft zu Jhwh umkehrte, ganz nach der Torah Moses“) steht, der die josianische Ausgabe der Königsbücher beschloss, ein theologisches Problem dar. Dies wird durch die Kürze deutlich, in welcher sie über die letzten Tage dieses Königs berichten. Das Orakel der Prophetin Huldah, das einerseits die Zerstörung Jerusalems voraussagt (22,19), andererseits für Josia aufgrund seiner Torahtreue ein Begräbnis ‫ בשלום‬ankündigt (22,20), bewahrheitet sich für die Deuteronomisten darin, dass dem König durch seinen frühen Tod das Miterleben der Katastrophe erspart bleibt und dass er trotz seines Todes in Megiddo von seinen Männern in Jerusalem „bei seinen Vätern“ bestattet wird (23,30). Das Ende Judas wird im DtrG kurz, distanziert und fast ohne jeglichen theologischen Kommen96 97 98

Vgl. dazu K. Schmid, „Manasse und der Untergang Judas: ‚Golaorientierte’ Theologie in den Königsbüchern?“, Bib. 78 (1997) 87-99. Vgl. die Synopse in Römer, So-Called (s. Anm. 52) 160. Die exilische Überarbeitung der Königsbücher hat jedoch das überaus positive Porträt Hiskias bereits etwas abgeschwächt und „displays an interest in Hezekiah’s actions as a partial cause for the Babylonian exile“ (M. Sweeney, King Josiah of Judah [s. Anm. 33] 68).

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tar geschildert. Den vier Nachfolgern Josias wird vorgeworfen, „das Böse in den Augen Jhwhs“ zu tun, „so wie es ihre Väter getan hatten“ (23,32.37; 24,9.19), allerdings werden keine näheren Angaben über die Natur ihrer Vergehen gemacht; die anti-babylonische Politik Jojakims und Zedekiahs wird missbilligend berichtet (24,1.20) und letztendlich als Auslöser des Untergangs Jerusalems dargestellt. Für die Deuteronomisten sind die Babylonier Werkzeuge Jhwhs, durch welche er sein Volk und dessen Könige bestraft (24,2.20). Das Fehlen eines zusammenfassenden Abschlusskommentars kann mit der relativ großen zeitlichen Nähe dieser Ereignisse erklärt werden und der damit fehlenden geschichtlichen Distanz; vielleicht war es aber auch das Anliegen der Deuteronomisten, ein „offenes Ende“ ihrer Geschichte zu konzipieren99.

7. Das „offene Ende“ des DtrG Man kann darüber streiten, welches das ursprüngliche Ende des DtrG war. Es wäre möglich, dass 2Kön 25,21 als solches konzipiert war100. Die Feststellung „und so führte man Juda von seinem Boden in das Exil“ (‫ )ויגל יהודה מעל אדמתו‬ist zu 2Kön 17,23 (‫ )ויגל ישראל מעל אדמתו‬parallel gestaltet. Damit wird das Ende Judas mit dem Israels in Parallele gesetzt und entsteht gleichzeitig der Mythos vom leeren Land, der suggeriert, dass ganz „Israel“ aus seinem Land verbannt wurde, was sowohl den geschichtlichen Fakten als auch anderen biblischen Berichten widerspricht. Mit dieser Idee kommt eine Golah-Ideologie zum Ausdruck, nach welcher das „wahre Israel“ ein „exilisches“ Israel ist101. Falls 2Kön 25,21 das ursprüngliche Ende des DtrG war, muss davon ausgegangen werden, dass dieses bald durch den Zusatz von V. 22-26 erweitert wurde, der die Information über die anarchische Situation im Lande (welche in Jer 40–42 ausführlich dargestellt wird) aufnimmt, damit in gewisser Weise V. 21 korrigiert und nun mit der Flucht der verbleibenden Bevölkerung nach Ägypten endet: „Dann machte sich das ganze Volk auf…und sie zogen nach Ägypten…“. Damit wird im Grunde die ganze Geschichte des Jhwh-Volkes, die ja mit dem Exodus aus

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Es sei daran erinnert, dass auch Thukydides und Herodot ihre Geschichtsdarstellung abrupt beenden. 100 Vgl. dazu Dietrich, Prophetie (s. Anm. 93) 141-142. 101 H. M. Barstad, The Myth of the Empty Land: A Study in the History and Archaeology of Judah during the ‘Exilic’ Period (Symbolae Osloensis Fasc. Suppl. 28, Oslo 1996). Der Konflikt zwischen der babylonischen Golah und der im Land verbliebenen Bevölkerung spiegelt sich insbesondere in den Büchern Esra und Nehemia wider.

Anfänge judäischer Geschichtsschreibung im DtrG

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Ägypten begonnen hatte, annulliert. Negativer hätte man das Ende einer Geschichte kaum ausdrücken können102. Wie ist nun aber der Abschnitt 25,27-30 einzuordnen, mit welchem die Königsbücher in ihrer jetzigen Form zum Abschluss gelangen? Der Bericht über die Verbesserung der Situation Jojachins, der einen Ehrenplatz an der Tafel des babylonischen Königs erhält, wurde nach Noth „hinzugefügt, weil dieses – für die Geschichte an sich belanglose – Ereignis nun einmal noch mit zur Darstellung des Geschickes der judäischen Könige gehörte“103. In keinem Fall sei sie „in dem Sinne gemeint …, dass damit das Morgenrot einer neuen Zukunft erschienen sei“104. Die etwas lakonische Behandlung dieser Verse durch Noth stieß schnell auf Widerspruch; oft las man in ihnen eine mehr oder weniger diskrete Hoffnung auf den Fortgang der davidischen Dynastie oder sogar auf das Kommen eines messianischen Königs105. Allerdings wird damit der Text wohl doch überinterpretiert. Im Gegensatz zu den Chronikbüchern, die Jojachins Nachkommen erwähnen, ist hier von Kindern und eventuellen Nachfolgern keine Rede. Literarisch bedeutsam scheinen mir die Parallelen, die zwischen dem Schicksal Jojachins und den Diasporaromanen in Gen 37–50 (Josephserzählung), Dan 2–6 (Danielerzählungen) und in Esther bestehen. In allen diesen Texten geht es darum, dass ein Exilierter aus seinem Gefängnis geholt wird und eine hohe Stellung am Hof des ausländischen Königs erhält (vgl. 2Kön 25,28; Gen 41,40; Dan 2,48; Est 10,3); diese neue Stellung wird jedes Mal durch einen Kleidungswechsel symbolisiert (2Kön 25,29; Gen 41,42; Dan 5,29; Est 6,10-11; 8,15). In den Diasporaerzählungen geht es darum, zu zeigen, dass das Land des Exils zu einem Land werden kann, in dem man lange leben und sogar eine gute Karriere machen kann. 2Kön 25,27-30 könnte ähnlich interpretiert werden: Das Schicksal Jojachins symbolisiert die Transformation der Exilssituation in eine Diasporasituation. Die Deuteronomisten praktizieren damit die Strategie des „offenen Endes“106, demjenigen des Pentateuchs in seiner jetzigen Form durch-

102 R. E. Friedman, “From Egypt to Egypt: Dtr1 and Dtr2”, in B. Halpern/J. D. Levenson (eds.), Traditions in Transformation. Turning Points in Biblical Faith (Winona Lake [IN] 1981) 167-192. Dtn 28,63-68 sagt bereits Exil und Rückkehr nach Ägypten voraus. 103 ÜSt (s. Anm. 23) 87. 104 Ibid., 108. 105 Die Veröffentlichungen zu diesen Versen sind uferlos. Vgl. den letzten Überblick bei Janzen, “Ending“ (s. Anm. 39). 106 Im jetzigen Kanon der Hebräischen Bibel stellt 2Kön 25,27-30 kein absolutes Ende dar, sondern den Übergang von den Vorderen zu den Hinteren Propheten. In dieser Konstellation kann der Abschnitt noch einmal anders gelesen werden.

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aus vergleichbar. Es ist durchaus möglich, dass sich Lukas für das Ende seiner Apostelgeschichte am Ende des DtrG orientiert hat107.

Abschluss Das DtrG kann als die erste Geschichte Israels und Judas bezeichnet werden. Natürlich handelt es sich nicht um Historiographie im modernen Sinne, sondern um eine theologische Konstruktion der Vergangenheit, die dazu dient, die Gegenwart verständlich zu machen. Nichtsdestotrotz hat das dtr Geschichtsbild bewusst oder unbewusst viele moderne Darstellungen der Geschichte Israels und Judas im ersten Jahrtausend v. Chr. beeinflusst, so dass diese in gewissem Sinne als krypto- bzw. post-dtr beschrieben werden können108. Die archäologische und auch literarische Forschung der letzten Jahrzehnte sollte jedoch das Nacherzählen des DtrG im Rahmen einer wissenschaftlichen Erhebung der Geschichte der Levante im ersten Jahrtausend v. Chr. definitiv unmöglich machen109. Das bedeutet nicht, dass sich in Dtn – Kön keinerlei geschichtlich auswertbare Quellen fänden, im Gegenteil. Allerdings wird der moderne Historiker mit diesen Quellen eine andere geschichtliche Konstruktion erarbeiten, als dies die Deuteronomisten im 6. Jh. v. Chr. taten.

107 Vgl. dazu P. R. Davies, “The Ending of Acts“, The Expository Times 94 (1983) 334-335, und S. Butticaz, La finale des Actes entre parole et silence (Ac 28,16-31). Récits de fondation, mimèsis littéraire et rhétorique du silence (Mémoire de DEA, Lausanne 2005). 108 P. R. Davies, “Method and Madness: Some Remarks on Doing History with the Bible”, JBL 114 (1995) 699-705. 109 Vgl. J. C. Gertz, „Konstruierte Erinnerung. Alttestamentliche Historiographie im Spiegel von Archäologie und literarhistorischer Kritik am Fallbeispiel des salomonischen Königtums“, Berliner Theologische Zeitschrift 21 (2004) 3-29.

Historiographische Tendenzen in der LXX MARTIN MEISER

1. Methodische Vorbemerkungen Die Untersuchung der historiographischen Tendenzen der Septuaginta zeigt für manche oft beobachteten und kritisierten Phänomene im lukanischen Doppelwerk gewisse Parallelen. Diese Tendenzen der Septuaginta sind einzuordnen in allgemeine Tendenzen frühjüdischer Literatur des dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhunderts; ein Vergleich mit griechischer Literatur ergibt, dass sie weniger in griechischer Historiographie als vielmehr in antiker Homer-Philologie ihre Analogien haben. Doch seien einige methodische Reflexionen vorangestellt. 1) Bekanntlich fehlen literaturtheoretische Ausführungen in frühjüdischer Literatur fast1 völlig; so sind wir für die Erhebung historiographischer Tendenzen zumeist auf bloße Indizien angewiesen, die allerdings auch mehrdeutig sein können. 2) Die Septuaginta ist Übersetzungsliteratur. Historiographische Tendenzen können sich daher nicht in einer völlig neuen, bewusst reflektierten Vergangenheitsdarstellung auswirken, sondern nur in bewusster Reflexion auf die Plausibilität einer vorliegenden Darstellung. Die Septuaginta kann sich gegenüber ihren Vorlagen nicht dieselbe Freiheit nehmen wie das Chronistische gegenüber dem Deuteronomistischen Geschichtswerk. Dennoch lohnt der Vergleich mit zeitgenössischer jüdischer Literatur, die nicht Übersetzungsliteratur ist, in der Frage der Behandlung vorausliegender Tradition. 3) Die gelegentliche Nähe der Septuagintalesarten zu Lesarten in Qumran oder dem Samaritanischen Pentateuch2 wirft die Frage auf, 1 2

Die Ausnahmen sind bekannt, vgl. Sir. prol. zum Thema der Übersetzung; 2 Makk 2,19-32 zum Thema der Verkürzung eines fünfbändigen Werkes; Josephus, BJ, prol.; id., Ant., prol.; id., Contra Apionem, prol. In Ex 13,4 SP wird, um einen Widerspruch zu Dtn 16,1 (Auszug Israels zur Nachtzeit) zu vermeiden, die Wendung „am heutigen Tag“ getilgt; in Ex 20,18 SP wird die Abbreviatur „das ganze Volk sah die Stimme … und den Klang des Schofars“ vermieden. Ex 20,18 SP lautet deshalb: Das ganze Volk hörte die Stimmen und den

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ob erst die Übersetzer oder bereits deren hebräische Vorlage geändert haben, vor allem dann, wenn graphisch eine Brücke zwischen vormasoretischer hebräischer oder aramäischer Lesart und Septuagintavorlage besteht. So sehen wir in der Septuaginta in einem gewissen Stadium der Textentwicklung und in einem ihrer Zweige ihr vorläufiges Endprodukt vor uns, nicht ihren Prozess. Man muss mit der Möglichkeit rechnen, dass biblische Texte zunächst noch im hebräisch/aramäischen Traditionsbereich in einem schriftgelehrten Milieu3 bewusst überarbeitet wurden, während sich dann viele der Übersetzer schon weitaus mehr an ihre Vorlage auch bis in Details z.B. der Wort- und Buchstabenfolge etc. gebunden wussten.4 Ferner ist die sekundäre Herkunft der Septuagintalesarten keineswegs immer eindeutig zu erweisen. Nicht selten ist zu den folgenden Beispieltexten eine kontroverse Diskussion zu konstatieren. Deutlich ist jedenfalls: Tendenzen solcher Art sind nicht auf die Septuaginta beschränkt, sondern gehören zur allgemeinen Entwicklung des damaligen Judentums, an denen auch die Septuaginta Anteil hat. 4) Die Septuaginta ist hinsichtlich der Tendenzen der Übersetzung kein einheitliches Werk, sondern deckt ein gewisses Spektrum an frühjüdischer Geistigkeit in dem möglichen Umgang mit Vorlagen ab. Diese Tendenzen sind einzuordnen in allgemeine Tendenzen der frühjüdischen Literatur des dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhunderts. Damit ist der Anschluss zu den folgenden Ausführungen gegeben.

2. Tendenzen in frühjüdischer Literatur des 3. Jhdts. v. Chr. Zunächst soll die frühjüdische Literatur des 3. Jhdts. auf historiographische Tendenzen befragt werden. Der Eigenart dieser Literatur entspricht es, dass nicht nur profanhistorische Sachverhalte zu thematisieren sind. Gegenstand der folgenden Ausführungen sind das Chronisti-

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Klang des Schofars und sah die Fackeln und den brennenden Berg. Zu Gen 2,2 SP/ LXX s.u. Vgl. A. van der Kooij, „Zum Verhältnis von Textkritik und Literarkritik: Überlegungen anhand einiger Beispiele“, in J. A. Emerton (ed.), Congress Volume Cambridge 1995 (VT.S 66, Leiden 1997) 185-202: 198-200. Vgl. dazu S. Kreuzer, „Das frühjüdische Textverständnis und die SeptuagintaVersionen der Samuelbücher. Aspekte des Antiochenischen Textes und der KaigeRezension an Hand von 2Sam 15,1-12“, in W. Kraus/O. Munnich (eds.), La Septante en Allemagne et en France (OBO, Fribourg/Göttingen 2009).

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sche Geschichtswerk sowie, obwohl zeitlich nach der Septuaginta einzuordnen, das Werk des Historikers Demetrius. Es legt sich nahe, gewisse Eigenarten dieser Literatur vorab mit historiographischen Tendenzen griechischer Geschichtsschreiber zu vergleichen, sowohl hinsichtlich der Motivation als auch hinsichtlich der Darstellung selbst. Griechische Historiographie kennt verschiedene Motivationen, warum man Geschichte schreibt: Herodot will bemerkenswerte Taten von Hellenen wie von Barbaren vor dem Vergessen bewahren und ihren Nachruhm erhalten5; Thukydides erstrebt hingegen nicht das Ergötzen, sondern den Nutzen für denjenigen, der „das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird“6; Xenophons „Agesilaos“ hat protreptische Funktion, indem das Lob der Tugenden des Titelhelden „besser im Gedächtnis haften bleiben“ soll7; das Anliegen des von Polybios so heftig getadelten Duris von Samos war nicht, Geschichte mit romanhaften Fälschungen anzureichern, sondern „die Wirklichkeit durch ihre nachahmende Schilderung vorstellbar zu machen“8; Polybios will die Wissbegierigen belehren zu ihrem eigenen Nutzen9, damit sie auch die eigene Gegenwart bewältigen können.10 In der protreptischen Zielsetzung ist das Chronistische Geschichtswerk von ferne Xenophon vergleichbar, im Aufweis theologischer Gesetzmäßigkeiten am ehesten Herodot.11 Hinsichtlich der Darstellung liegt der Vergleich mit Autoren wie Herodot oder Thukydides weniger nahe. Beide stellen ohne Orientierung an durchlaufenden Prätexten Geschichte dar, und zwar mit der bereits bei Hekataios von Milet nachweisbaren Intention12, dass die eigene Darstellung dem tatsächlichen Geschehensverlauf gerecht wird. Schon Herodot präsentiert sich – die folgenden Beispiele sind dem ersten Buch seiner „Historien“ entnommen – als historiographisch reflek-

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Herodot, Historien 1,1. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges 1,22. Xenophon, Agesilaos 11,1. O. Lendle, Einführung in die griechische Geschichtsschreibung von Hekataios bis Zosimos (Die Altertumswissenschaft, Darmstadt 1992) 187. Polybios 2,56,10-13. Polybios 9,25. K. Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus (Stuttgart et al. 1990) 38: Herodot „ist in seiner archaisch-religiösen Einstellung dem Tragiker Sophokles verwandt, während er durch die aufkommende Sophistik mit ihrer rationalen Grundeinstellung nur wenig beeinflußt ist“. „Dies schreibe ich, wie es mir wahr zu sein schien. Denn die Erzählungen der Griechen sind viele und lächerlich, wie sie mir erscheinen“ (FGrHist 1 F 1a).

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tierender Autor durch Hinweise zur Darstellungstechnik13, zur Abhängigkeit von Gewährsleuten im Einzelnen14 sowie zum Grad der Gewissheit über ihre jeweiligen Einzelinformationen15; für die Methodik des weitaus kritischeren16 Thukydides sind Quellenbenutzung, historische Analogie sowie die Überprüfung der archäologischen Evidenz und des topographischen Befundes kennzeichnend.17 Metatheoretische Äußerungen dieser Art fehlen in den Übersetzungsteilen der Septuaginta naturgemäß durchweg. Doch sind die diskutablen Tendenzen keineswegs analogielos im Gesamtspektrum des dritten vorchristlichen Jahrhunderts. Was sich anbietet, ist der Vergleich mit der im 3. Jhdt. beginnenden Homer-Philologie18: Sie arbeitet an einer Textvorlage, die nicht wie Thukydides oder Xenophon an der eigenen Zeitgeschichte interessiert ist, und sie sucht einen sachlich richtigen, widerspruchsfreien, poetisch wertvollen Text herzustellen, bei dem auch gelegentlich (!) Anstößigkeiten getilgt werden (s.u.).19 Historiographische Tendenzen frühjüdischer Literatur ordnen sich ein in Tendenzen der theologischen Stilisierung und der intertextuellen Bezugnahme, wie sie auch sonst in frühjüdischer Literatur begegnen.20 Der Chronist21 präzisiert einzelne Ausdrücke22, ergänzt nach anderen sachlich verwandten Bibelstellen23 oder nach anderen Belegen des13

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So begegnen Vorverweise (1,106,2; 148,1; 185,1), Rückverweise (1,130,3), Angaben zum Ende eines Abschnittes (1,92,4) oder einer Digression (1,140,3). Gelegentlich wird die Entscheidung über das, was er darstellen will, begründet (1,177,1). Manchmal stellt er auch mehrere Versionen nebeneinander (1,1,1-1,45,3; 27,2; 95,1). Herodot, Historien 1,34,8; 82,8; 94,2; 180,3. Dessen Bandbreite reicht von eigenem in Erfahrung gebrachten Wissen (Herodot, Historien 1,105,3; 131,1; 140,1.2; 170,1; 171,2; 196,1) über die wahrscheinliche Hypothese (Herodot, Historien 1,145,1; 172,1; 214,5) und die bloße Vermutung (Herodot, Historien 1,57,1; 97,2; 172,1) bis zur Distanzierung (Herodot, Historien 1,153,1; 187,5; 201,1) und offenen Skepsis (Herodot, Historien 1,75,6; 182,1). Lendle, Einführung (s. Anm. 8) 99. Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 11) 50. So bereits S. Lieberman, Hellenism in Jewish Palestine (New York 21962) 37. Natürlich geht antike Homer-Philologie nicht in dem auf, was hier als Analogie zu frühjüdischer Literatur zu diskutieren ist, sondern thematisiert Fragen, die in frühjüdischer Literatur weithin fehlen, etwa Fragen zum Wortgebrauch und zum Metrum wie Fragen der Echtheit (Xenon stellt die Theorie auf, die Ilias und die Odyssee hätten verschiedene Verfasser, wird aber durch Aristarch kritisiert etc.). Am Beispiel des Tobitbuches sei dies illustriert: Tobit lebt „nach dem Gesetz des Mose“ (Tob 6,13 LXX; Tob 1,8 S). Bezüge vor allem zu den Erzvätergeschichten und zur Josephserzählung sind gegeben, aber auch zum Hiobbuch. Zum Vergleich zwischen Chronistischem und Deuteronomistischem Geschichtswerk vgl. I. Kalimi, Zur Geschichtsschreibung des Chronisten. Literarisch-historiographische Abweichungen der Chronik von ihren Paralleltexten in den Samuel- und Königsbüchern (BZAW 226, Berlin/New York 1995). Zur Datierung der Chronikbücher in das dritte vorchristliche Jahrhundert vgl. G. Steins, „Die Bücher der Chronik“, in E. Zenger et al., Einleitung in das Alte Testament (Kohlhammer Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart 21995) 165-174: 172.

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selben Ausdrucks24, schließt erzählerische Lücken25, benennt anonyme Figuren26, ergänzt Schauplätze27, bietet zusätzliche Vor- und Rückverweise28. Umgekehrt tilgt er entbehrliche Namen29 und nebensächliche Details,30 aber auch größere Zusammenhänge, die nicht in sein theologisches Geschichtsbild passen: Die Kontinuität der eigenen Gegenwart Israels zu den Anfängen ist legitim nur über das Südreich gegeben31, darum lässt er die Darstellung des Nordreiches fast komplett aus.32 Andererseits trägt er Elemente aus dem Pentateuch, vornehmlich aus dem Deuteronomium, in die Bearbeitung ein und sucht das Leben positiv besetzter Figuren als völlig im Einklang mit den Vorschriften des Pentateuch befindlich darzustellen.33 Hierher gehört auch die bekannte Tendenz, Geschichte als Wirkungsfeld der göttlichen Gerechtigkeit zu beschreiben, die sich in striktem Tun-Ergehen-Zusammenhang äußert. Negatives Ergehen wird bei Joram von Juda, Joas und Amazja durch ihr Fehlverhalten motiviert34; umgekehrt kommt es aufgrund der Frömmigkeit Hiskias nicht zur tatsächlichen Eroberung der Städte Ju22 23 24

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Im Huldaorakel 2 Kön 22,16 werden „alle Worte“ des Dtn als Unheilsansagen bezeichnet, was so nur für Dtn 28,15-68 u.a. zutrifft; deshalb präzisiert 2 Chr 34,24: „alle Verwünschungen“. 1 Chr 11,23 ergänzt die Angaben 2 Sam 23,21 mit Elementen aus 1 Sam 17,4.7; 1 Chr 1,28 ergänzt den zweiten Bericht von der Heraufführung der Lade 2 Sam 6,15 mit Elementen aus dem ersten Bericht (2 Sam 6,5 par 1 Chr 13,8). Nach 1 Kön 9,25 hat Salomo dreimal im Jahr Opfer dargebracht. 2 Chr 8,12f. ergänzt aus Dtn 16,16 die Angabe der Feste, weil der Ausdruck „dreimal im Jahr“ zusammen mit der Angabe der Feste sich nur in Dtn 16,16 findet (Kalimi, Geschichtsschreibung [s. Anm. 21] 60f.). 1 Chr 11,5a verdeutlicht gegenüber 2 Sam 5,6b das Subjekt der Aussage „Da kommst du nicht hinein.“ Vgl. ferner 1 Chr 21,15 mit 2 Sam 24,16. In 1 Sam 16,6-13; 17,12 sind nur die ersten drei Brüder Davids namentlich identifiziert; 2 Chr 2,13-15 führt hingegen sieben Namen auf; 2 Chr 23,1 ergänzt gegenüber 2 Kön 11,4 die Namen der Obersten, die sich gegen Athalja verschworen haben (Kalimi, Geschichtsschreibung [s. Anm. 21] 71; ders., Geschichtsschreibung, 70, benennt Parallelen für solche Namensergänzungen in frühjüdischer Literatur). 2 Chr 35,20 ergänzt aus Jer 46,2 den Namen Karkemisch für die in 2 Kön 23,29 genannte Schlacht, obwohl es sich bei den Schlachten in 2 Kön 23,29 und Jer 46,2 um verschiedene Ereignisse gehandelt hat (Kalimi, Geschichtsschreibung [s. Anm. 21] 76). 1 Chr 18,8 erwähnt wie später 2 Sam 8,8 LXX diff. MT, dass Salomo die Kriegsbeute aus den Philisterkriegen Davids für die Ausstattung des Tempels verwendet. Umgekehrt verweist 2 Chr 3,1 im Unterschied zu 1 Kön 6,1 explizit auf die Erscheinung Gottes an der Tenne Ornas (2 Sam 24) zurück. Vgl. 2 Chr 32,21 mit 2 Kön 19,37. So fehlt die Route Joabs bei der Volkszählung 2 Sam 24,5-7 in 1 Chr 21,4. Vgl. 2 Chr 13,4-12. Der Text ist Zusatz gegenüber der Vorlage 1 Kön 15,1-8. Lukas zeigt eine ähnlich einlinige Kontinuität: Die Verbindung der Heidenchristen, für die er schreibt, zu den Ursprüngen besteht nur über die zwölf Apostel und Paulus. Doch muss offen bleiben, ob eine Analogie oder eine literarische Abhängigkeit vorliegt. Beispiele bei Kalimi, Geschichtsschreibung (s. Anm. 21) 115-143. Vgl. 2 Chr 21,11-20 (der Text ist Zusatz gegenüber der Vorlage 2 Kön 8,16-22); 2 Chr 24,24; 25,10.

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das (2 Chr 32,1 diff. 2 Kön 18,13), und die lange Regierungszeit Manasses ist möglich aufgrund seiner Buße (2 Chr 33,12). Der jüdische Historiker Demetrius stellt genaue Zahlenangaben zusammen darüber, wie Jakob in sieben Jahren seine zwölf Kinder bekommen habe35, oder über die Dauer der einzelnen Geschichtsepochen von Adam an bis zum Beginn der Gefangenschaft Israels in Ägypten36. Ferner behandelt er theologische wie historische Fragen, die sich aus der Eheschließung zwischen Mose und Sepphora aus Midian ergeben.37 Das Problem der inneren Stimmigkeit der Exoduserzählung ist in der Frage berührt, woher die Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten auch Waffen zur Verfügung hatten, obwohl sie nur drei Tagesreisen weit hinausziehen wollten. Demetrius antwortet damit, dass sie die Waffen der ertrunkenen Ägypter benutzt hatten.38 Nur als Ausblick sei für das zweite vorchristliche Jahrhundert festgehalten: Vergangenheit wird innerisraelitisch i.w. zu paränetischen, im Gegenüber zu Nichtjuden i.w. zu apologetischen Zwecken bemüht. Exempelreihen illustrieren in Sir 44–49 das, was Gott an frommen Israeliten getan hat (Sir 44,2), in Sap 10,1-21 das rettende Handeln der Weisheit Gottes (Sap 9,19), in 1 Makk 2,51-60 die Glaubenstreue bewährter Israeliten, denen göttliche Hilfe nicht versagt blieb.39 In der Apokalyptik soll die Vorankündigung kommenden Geschehens in der Vergangenheit auch die Gegenwart als unter Gottes Herrschaft stehend verständlich machen; textextern soll das wiederum die Treue zum Gott Israels und zu seinem Gebot nahe legen. Schriftsteller wie der samaritanische Anonymus, Ps.-Hekataios II., Eupolemos, Kleomedes Malchas und Artapanos wollen das hohe Alter des Judentums und damit seine Überlegenheit gegenüber der umgebenden Kultur erweisen.

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Euseb, praep. Ev. 9,21,3-5. Euseb, praep. Ev. 9,21,18. Wie kann Mose Sepphora heiraten, ohne mit seinem eigenen Gesetz (Dtn 7,3) in Widerspruch zu geraten? Demetrius antwortet: An ihrem Namen erkennt er ihre Herkunft von Abraham. Doch wie kann es sein, dass Mose in der siebten und seine Frau in der sechsten Generation nach Abraham geboren sei und dass sie doch gleichzeitig gelebt haben sollen? Demetrius verweist auf das unterschiedliche Zeugungsalter Isaaks und des Vorfahren der Sepphora (Demetrius, bei Euseb, praep. Ev. 9,29,13). Euseb, praep. Ev. 9,29,16 fine. Bereits ab dem fünften vorchristlichen Jahrhundert war auch Homer entsprechend als Quelle moralischer Belehrung gewürdigt worden (vgl. Diogenes Laertios 2,11).

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3. Historiographische Tendenzen der Septuaginta Historiographische Tendenzen der Septuaginta weisen teilweise Ähnlichkeiten mit Tendenzen der antiken Homer-Philologie auf. Eine ihrer Grundsätze lautet: Der erstrebte Homertext muss „in sich schlüssig, er muß sachlich richtig und poetisch wertvoll sein; er kann also keine Fehler enthalten“40. Analog dazu sind in der Septuaginta Tendenzen der Vermeidung textinterner Widersprüche und der Richtigstellung des Geschehensablaufs festzustellen, während kaum ein Interesse daran besteht, biblische Aussagen an den von ihnen unabhängigen Daten der Geschichte oder auch der durch Autopsie oder persönliche Recherchen zugänglichen Gegenwart zu kontrollieren. Tendenzen der dogmatischen Korrektur im Gottesbild und der Idealisierung positiver menschlicher Charaktere lassen sich vergleichen mit dem Grundsatz der antiken Homer-Philologie, dass die Feststellung einer unangemessenen Redeweise in einer Textvorlage zur textkritischen Emendation berechtigt; die dabei verwendete Kategorie des ajprepev~ weist zurück auf die Kategorie des prepev~ in philosophisch-theologischer Diskussion41 um die angemessene Gottesrede. 3.1 Präzisierung ungenauer Angaben Hier lassen sich etliche Parallelen aus der antiken Philologie beibringen. Sachlich unpassende42 wie literarisch verfehlte43 Ausdrucksweise bei Homer wurde zum Gegenstand der Kritik; Anachronismen wurden

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H. Dörrie, „Zur Methodik antiker Exegese”, ZNW 65 (1974) 121-138: 129. Xenophanes, Frgm. 26; vgl. dann später Cicero, nat. de. 3,64; Dion Chrysostomus, or. 12,52; Plutarch, de Iside 78, 383a. Das Wort dai`~ in Il. 1,5 passt nicht: Normalerweise wird es nur für die Mahlzeit bei Menschen verwendet und bezeichnet die gleichmäßig über den Tag verteilten Mahlzeiten. So kann es nach Aristarch weder für die Primitiven der Vorzeit noch für Tiere verwendet werden. Für diese Kritik verweist R. Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus (rde, Hamburg-Reinbek 1970) 146, auf den Einfluss peripatetischer Altertümer-Studien. In Il. 15,56ff. kündigt Zeus seiner Gemahlin den kommenden Verlauf der Geschehnisse an, ab V. 64 nur ungenau. Zenodot scheidet V. 64-76 aus: Sie erscheinen ihm wie ein Prolog des Euripides (H. van Thiel, „Der Homertext in Alexandria“, ZPE 115 [1997] 13-36: 23).

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bei Homer wie bei Euripides aufgespürt44, (vermeintliche) zoologische Ungenauigkeiten bei Homer und Anakreon.45 Präzisierungsvorgänge solcher Art in der Septuaginta gehören mittelbar zum Thema dieser Studie: Nur eine präzise Formulierungsweise der Heiligen Schrift selbst in theologisch belanglosen Details macht diese auch als Geschichtsquelle wirklich glaubwürdig. Doch wurden solche Korrekturen nicht durchgehend vollzogen. Das mag gelegentlich mit der Scheu vor Eingriffen in den „heiligen“ Text begründet sein.46 Hierher gehört zunächst ein grundsätzliches Phänomen: Das plurale tantum ‫ אלוהים‬wird singularisch übersetzt, wenn der Gott Israels gemeint ist, pluralisch, wenn andere Götter angesprochen sind.47 In Gen 7,2f. wird besprochen, wie viele Exemplare jeder Tierart Noah in die Arche nehmen soll. Im Masoretischen Text ist die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren nur bei den Landtieren eingebracht (V. 2), aber nicht bei den Vögeln (V. 3). Da es aber auch unreine Vögel gibt (Lev 11,13-19; 20,25; Dtn 14,11-19), wird in Gen 7,3 LXX eine entsprechende Unterscheidung nachgetragen. 1 Sam 1,23 MT lässt offen, ob die Worte Gottes oder die Worte der Hanna in Erfüllung gehen sollen. 4Q51 i 5 und 1 Sam 1,23 LXX formulieren eindeutig in letzterem Sinn. Die Qumranparallele zeigt, dass solcherlei Exegese nicht auf das hellenistische Judentum begrenzt war. In der zweiten Tempelrede (Jer 26,2) soll Jeremia im Tempelvorhof zu den Städten Judas reden. Jer LXX 33,2 lässt die Erwähnung der Städte aus, da Städte nicht im Vorhof des Tempels gedacht sein können.48

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Angaben (bibliographisch nicht ganz vollständig) bei N. Wilson, „Griechische Philologie im Altertum“, in H.-G. Nesselrath (ed.), Einleitung in die griechische Philologie (Einleitung in die Altertumswissenschaft, Stuttgart/Leipzig 1997) 87-103: 97. Ptolemaios VIII. soll Od. 5,72 konjiziert haben, weil der Wasser-Pastinak, nicht aber das Veilchen zu Kalypsos feuchten Wiesen passt (Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie [s. Anm. 42] 260). Durch die Änderung von keroevssh~ zu ejroevssh~ soll Zenodot bei Anakreon, Frg. 408 PGM, die unnatürliche Vorstellung einer Hirschkuh mit Hörnern beseitigt haben (Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie [s. Anm. 42] 150). Auf die neue Debatte darüber, ab wann die Texte auch in ihren Einzelformulierungen als „kanonisch“ galten, kann hier nicht eingegangen werden; vgl. J. Maier, „Zur Frage des biblischen Kanons im Frühjudentum im Licht der Qumrantexte“, JBTh 3 (1988) 135–146. Vgl. Ex 22,28 LXX; Ruth 1,15f. LXX. Hieronymus, In Jer. 5,36,3 (CC.SL 74, 253).

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3.2 Vermeidung textinterner Widersprüche Auf dem Gebiet der Homer-Philologie hat sich besonders Aristarch hervorgetan, der diejenigen Verse, die eine innere Spannung zu anderen Homerstellen erkennen ließen, als Interpolationen verdächtigte.49 Die Vollendung der Schöpfung wird in Gen 2,2 LXX/SP am sechsten, nicht (so MT) am siebten Tag terminiert: Ein Widerspruch zwischen Gottes Handeln und seinem Sabbatgebot soll vermieden werden. Wieder zeigt die Parallele im samaritanischen Pentateuch den Einfluss dieses Denkens über das hellenistische Judentum hinaus. In Gen 22,2 vermeidet die Wiedergabe von ‫ יחידך‬durch ajgaphtov~ nach Auffassung mancher Exegeten die Schwierigkeit, dass Isaak nicht der einzige Sohn Abrahams ist.50 Doch ist die Deutung umstritten: J. W. Wevers zufolge sind die Begriffe „geliebter Sohn“ und „einziger Sohn“ in späterer Zeit Synonyme.51 Die Szene von der Berufung des Mose enthält in Ex 3,1 MT den Hinweis auf den „Berg Gottes“; Ex 3,1 LXXL spricht nur vom „Berg“: Gott war ja dem Mose noch nicht erschienen.52 2 Sam 6,14 MT zufolge tanzte David mit Musikinstrumenten vor der Lade. Da man aber mit Musikinstrumenten nicht tanzt, sondern musiziert, ist in der Septuaginta entsprechend abgeändert.53 Am 7,14 LXX ändert die Aussage des MT („Ich bin kein Prophet“) ab in die Vergangenheitsform, da Amos seit seiner Berufung ja doch als Prophet tätig war. Andere Passagen sind umstritten. Die Zahl der Nachkommen Jakobs nach Gen 46,27 schwankt zwischen 70 (MT) und 75 (LXX); die Zahl 75 erscheint auch in Ex 1,5 LXX, aber nicht in Dtn 10,22 LXX. Der Sachverhalt wird kontrovers beurteilt: D. Barthélemy rechnet mit der Zahl 75 als der ursprünglichen Angabe54; G. Stemberger hält diese Angabe für eine sekundäre, aber im hebräischen Traditionsbereich ent-

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Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie (s. Anm. 42) 282, mit allgemeinen Verweisen. Dieser Art der Kritik hat, so Pfeiffer, erst die neuzeitliche Einsicht in die Natur mündlich-volkstümlicher Überlieferung ein Ende gesetzt. E. A. Speiser, Genesis (AncB 1, Garden City/New York 1964) 163. J. W. Wevers, Notes on the Greek Text of Genesis (SCSt 35, Atlanta 1993) 316. J. W. Wevers, Notes on the Greek Text of Exodus (SCSt 30, Atlanta 1990) 25. Allerdings ist die Aussage vom tanzenden König nicht generell getilgt, s. 2 Sam 6,20f. D. Barthélemy, “Les Tiqquné Sophérim et la critique textuelle de l’Ancien Testament“, in id., Études d’histoire du texte de l’Ancient Testament (OBO 21, Fribourg/Göttingen 1978) 91-110: 106f.

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standene Lesart55; wieder andere Exegeten vermuten, dass sie erst im Zuge der Übersetzung in die Textüberlieferung eingedrungen ist.56 3.3 Historische Richtigstellung Änderungen solcher Tendenz haben ihren Maßstab zumeist in der Geschichte, wie sie durch biblische Darstellung vermittelt wird, und nur selten in einem historischen Wissen, das jenseits des Studiums biblischer Schriften erworben wird. Die Änderungen der erstgenannten Art sind zumeist Vermeidung textinterner Widersprüche, werden aber hier in einem gesonderten Absatz genannt, da sich das Anliegen der Widerspruchsfreiheit nicht nur auf historiographische Details bezieht. Die großen Geschichtstraditionen, die in diesem Sinne nach korrekter Darstellung verlangen, sind die Landnahme, das assyrische und das babylonische Exil und die Geschichte des nachexilischen Juda. Der Zusatz soi; e[stai in Gen 35,12 LXX überbrückt die Spannung zwischen dem vorhergehenden Perfekt devdwka („ich habe gegeben“) und der Tatsache, dass die eigentliche Landnahme noch nicht stattgefunden hat.57 Das in Num 26,16 zusätzlich eingefügte dev differenziert zwischen denjenigen Söhnen Jakobs, die in Kanaan gestorben waren, und den Teilnehmern an der Wüstenwanderung.58 In Jos 13,2.13 LXX wird in einer Liste der noch nicht eroberten Gebiete bzw. der noch nicht ausgerotteten Völker Cananai`o~ ergänzt. Entweder ist die Formulierung aus V. 3 erwachsen59 oder als gelehrte Glosse unter dem Einfluss von Jos 15,63; 16,10; 17,12f.16; Ri 1,19-35 entstan-

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G. Stemberger, „Die Stephanusrede (Apg 7) und die jüdische Tradition“, in id., Studien zum rabbinischen Judentum (SBAB 10, Stuttgart 1990) 229-250: 233f. J. I. Durham, Exodus (WBC 3, Waco 1987) 2, verweist auf 4QExa. So J. Ebach, Genesis 37-50 (HThK, Freiburg/Basel/Wien 2007) 437 (Lit!). Die Zahl 75 ergänzt zur Angabe des MT (70) die fünf in der LXX V. 20 genannten und wohl aus Num 26,29.35f. ergänzten Nachkommen folgender Generationen; die Zahl 9 in Gen 46,27 ist errechnet aus der Differenz der Zahlenangaben 75 und 66 in V. 26. P. Prestel/St. Schorch, „Genesis“, in W. Kraus/M. Karrer (eds.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. Erläuterungen I (Stuttgart 2009 [im Erscheinen]) z. St., verweisen auf T. V. Evans, Verbal Syntax in the Greek Pentateuch: Natural Greek Usage and Hebrew Interference (Oxford 2001) 148. Auch in Num 27,12 mag sich die Wiedergabe des hebr. ‫ נתתי‬Perf. durch das präsentische ejgw; divdwmi dem Umstand verdanken, dass die eigentliche Landnahme noch nicht erfolgt ist (J. W. Wevers, Notes on the Greek Text of Numbers [SCSt 46, Atlanta 1998] 463). M. Rösel/C. Schlund, „Numeri“, LXX.D (s. Anm. 57) z. St. R. G. Boling, Joshua. A New Translation with Notes and Commentary. Introduction by G. E. Wright (AncB 6, Garden City, New York 1982) 333.

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den60: In mehreren Stammesgebieten wohnen immer noch Kanaanäer, darum muss ihr Gebiet als noch nicht erobert gelten.61 In Am 6,9 LXX wird durch den Zusatz kai; uJpoleifqhvsontai oiJ katavloipoi (und übriggelassen werden …) die Unheilsdrohung leicht abgeschwächt.62 Vielleicht soll der Zusatz im Hinblick auf die nachexilische Geschichte Israels dem Eindruck wehren, als hätte Amos auch Worte gesprochen, die sich nicht erfüllt hätten.63 Dan 7; 8 wird in ∏ 967 vor Dan 5 eingeordnet, um die zu Lebzeiten Belsazars erfolgenden Visionen in den Geschehensablauf vor Belsazars Ermordung (Dan 5,30) einzugliedern.64 In Dan 11,17 kommentieren ∏ 967 wie 4QDanc die Heirat Kleopatras I., der Tochter Antiochos’ III., mit Ptolemaios V. Epiphanes (194/3 v. Chr.). Als Zielsetzung dieser Heirat geben sie an „um ihn zu vernichten“ (MT: um sie, Kleopatra, zu vernichten), wohl in richtiger Auffassung: „Antiochos III. beabsichtigte durch die Verheiratung seiner Tochter nach Ägypten nicht, ihr zu schaden, sondern Einfluss auf Ptolemaios V. zu erhalten.“65 Das ist eines der wenigen Beispiele für eine Korrektur aufgrund nichtbiblischer Tradition. Folgendes Beispiel zeigt jedoch, dass die sachliche Richtigkeit einer Lesart noch nicht zwingend beweist, dass damit auch ihre Genese nur auf diesem Wege erklärbar ist. In Jos 5,6 wird festgestellt, dass die während der Wüstenwanderung geborenen Israeliten nicht beschnitten sind. Die Dauer der Wüstenwanderung wird in den verschiedenen Texttraditionen divergierend angegeben. Nach Jos 5,6 MT sind es 40 Jahre, in Jos 5,6 LXX sind 42 Jahre genannt. Sachlich möglich ist die Lesart der Septuaginta als Kombination von Num 10,11 (Aufbruch am zwanzigsten Tag des zweiten Monats des zweiten Jahres) und Num 14,33f. (vierzig Jahre Wüstenwanderung).66 Vielleicht haben die griechischen Übersetzer in Erinnerung an die genannten Stellen geändert. Den Zusatz kai; duvo kann man aber auch als duplizierende Wiedergabe von ‫ שׁנה‬zu ‫ שׁנה ושׁנים‬auffassen. Dann sind wiederum mehrere Möglichkei60 61 62 63 64 65 66

T. C. Butler, Joshua (WBC 7, Waco 1983) 145. C. den Hertog, „Josua“, LXX.D (s. Anm. 57) z. St. H. W. Wolff, Dodekapropheton, vol. 2: Joel und Amos (BK AT XIV/2, Neukirchen 21975) 324, rechnet mit einem entsprechenden Zusatz bereits auf hebräischer Traditionsstufe. Vgl. A. Schart/E. G. Dafni, „Amos“, in W. Kraus/M. Karrer (eds.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. Erläuterungen II (Stuttgart 2010 [in Vorbereitung]) z. St. Vgl. dazu S. Kreuzer, „Papyrus 967. Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung“, in M. Karrer/W. Kraus (eds.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten (WUNT 219, Tübingen 2008) 64-82: 75f. H. Engel, „Daniel“, LXX.D (s. Anm. 63) z. St. J. Moatti-Fine, Jésus (Josué). Traduction tu texte grec de la Septante. Introduction et notes (BdA 6, Paris 1996) 118.

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ten denkbar: Es kann sich um eine mechanische Wiederholung auf hebräischer Traditionsstufe handeln67, doch ebenso gut um das Ansinnen, von einer vielleicht nur schwer lesbaren Vorlage möglichst nichts zu verlieren und lieber eine Doppelübersetzung vorzulegen.68 Eine intentionale Änderung wird wiederholt den griechischen Übersetzern zugesprochen69, ist aber auch auf der hebräischen Traditionsstufe denkbar. Das Beispiel warnt vor methodisch kurzschlüssigen Folgerungen.70 3.4 Tendenzen der intertextuellen Harmonisierung Gelegentlich ist in der Septuaginta ein Zugewinn heilsgeschichtlicher Bezüge zu notieren. Die Fluterzählung Gen 6 – 8 und die Ladeerzählung 1 Sam 4 – 6 werden durch das gemeinsame Stichwort kibwtov~ verknüpft, das in Gen 6 für ‫תבה‬71, in 1 Sam 4 für ‫ ארון‬steht. In der Erzählung von der Berufung Josuas ergeht an Mose die Aufforderung, noch vor seinem Tode das gelobte Land zu sehen. In Num 27,12 MT lautet diese Aufforderung: „Und JHWH sprach zu Mose: Steig hinauf auf dieses Gebirge Abarim und sieh das Land, das ich den Kindern Israel geben werde.“ Num 27,12 LXX formuliert: „Steig hinauf auf den Berg (scil. Nebo) am jenseitigen Ufer und sieh das Land Kanaan, das ich den 67

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S. Holmes, Joshua. The Hebrew and Greek Texts (Cambridge 1914) 30; Boling, Joshua (s. Anm. 59) 184; erwogen von E. Tov, “Midrash-Type Exegesis in the Septuagint of Josha“, in id., The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint (VT.S 72, Leiden 1999) 153-163: 158. Das Phänomen der Doppelübersetzung begegnet öfters im Josuabuch, s. C. den Hertog, Studien zur griechischen Übersetzung des Buches Josua (Diss. Giessen 1996) 82ff., wie auch in anderen Büchern der Septuaginta. Vgl. Butler, Joshua (s. Anm. 60) 55; M. Rösel, „Die Septuaginta-Version des Josuabuches“, in H.-J. Fabry/U. Offerhaus (eds.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, vol. 1 (BWANT 153, Stuttgart 2001) 197-211: 206; F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta (MJSt 9, Münster 2001) 295. M. N. van der Meer, Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses (VT.S 102, Leiden 2004) 356, will die Möglichkeit einer vom MT differierenden hebräischen Vorlage nicht ausschließen, plädiert jedoch für die Abänderung im Zuge der Übersetzung mit Verweis auf die zahlreichen anderen Änderungen auf griechischer Traditionsstufe und das chronologische Interesse zeitgenössischer jüdischer Schriftsteller wie Demetrius und Eupolemos. Ähnliches gilt auch für den Ort des von Josua einberufenen „Landtages“ nach Jos 24,1; vgl. C. den Hertog, „Josua“, LXX.D (s. Anm. 57) z. St. In Ri 10,8 MT/LXXA ist die Formulierung „in jenem Jahr, 18 Jahre“ auffällig. Auch hier mag eine bewusste Änderung in LXXB vorgenommen worden sein, das dortige kairov~ kann sich aber auch einer innerhebräischen Verschreibung oder Korrektur von ‫ שׁנה‬zu ‫ עת‬verdanken, als dessen Äquivalent kairov~ häufig dient. ‫ תבה‬wird in Ex 2,3.5 nicht durch kibwtov~ wiedergegeben, sondern durch das auch papyrologisch bezeugte qi`bi~, wohl aus Gründen der besseren Anpassung an die Situation (A. Le Boulluec/P. Sandevoir, L'Exode [BdA 2, Paris 1989] 80).

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Israeliten zum Besitz gebe.“ Durch die Zusätze Canaan und ejn katascevsei wird wohl auf die Verheißung Gen 17,8 zurückverwiesen (kai; dwvsw ... pa`san th;n gh`n Canaan eij~ katavscesin aijwvnion).72 Der Wurm, der nach Jon 4,7 die Staude verdorren lässt, wird mit demselben Wort bezeichnet wie in Ex 16,20 der Wurm, der das Manna verdirbt.73 In Jes 11,1 LXX erinnert die Paarung rJavbdo~ (nur hier für ‫„ חטר‬Reis“)/ a[nqo~ an Aarons grünenden Stab in Num 17,23. So ist hier eine hohepriesterliche Gestalt im Blick.74 In 2 Sam 24,25 LXX wird schon auf die Erweiterung des Altarbaus durch Salomo hingewiesen. Doch auch theologisch weniger relevante Details können ergänzt werden: In 2 Sam 14,27 wird das weitere Schicksal der Tochter Absaloms vorausgenommen.75 3.5 Tendenzen der historischen Aktualisierung Gegenwartsbezogene historiographische Tendenzen führen zu Anachronismen, die ihre nächsten Analogien nicht in griechischer Historiographie haben, sondern wiederum in alexandrinischer Homerphilologie: Dort wurden ähnliche Verbesserungen an Homer vorgenommen, „whenever it was not in conformity with the manners of the court of the Ptolemies or the customs of certain Greeks.“76 Orts- und Völkernamen werden in der Septuaginta im Interesse des Gegenwartsbezugs neu formuliert77. Tendenzen der Aktualisierung der Verwaltungssprache78 stehen neben Tendenzen der Loyalität gegenüber 72 73

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M. Rösel/C. Schlund, „Numeri“, LXX.D (s. Anm. 57) zu Num 27,12. Th. Heckel, „Jona“, LXX.D (s. Anm. 63) zu Jon 4,7. Begünstigt sein mag dies schon durch die graphische Nähe der jeweiligen Vorlagen: In Ex 16,20 steht ‫תולע‬, in Jon 4,7 ‫תולעת‬. So ist diese Angleichung auch schon auf der hebräischen Traditionsstufe denkbar. A. van der Kooij/F. Wilk, „Jesaja“, LXX.D (s. Anm. 63) z. St. Umstritten ist hingegen, ob 1 Sam 10,1 LXX mit seinem Vorverweis auf 1 Sam 14 den originalen Text enthält, dem gegenüber der Masoretische Text durch Homoioteleuton einen Verlust erlitten hat (so z.B. P. K. McCarter, I Samuel. A New Translation with Introduction, Notes and Commentary [AncB 8, Garden City/New York 1980] 171), oder ob auch 1 Sam 10,1 in die hier zu besprechenden Tendenzen eingestellt werden darf (so D. T. Tsumura, The First Book of Samuel [NICOT, Grand Rapids/Cambridge 2007] 282). S. Lieberman, Hellenism (s. Anm. 18) 37. ‫„( ארם‬Aram“) wird durch Suvria (Gen 30,20; 33,18; 2 Sam 8,5 u.ö.), ‫ ארם נהרים‬bzw. ‫ פדן‬durch Mesopotamiva (Gen 24,10 bzw. Gen 28,2.5), ‫„( פלשׁתים‬Philister“) verallgemeinernd durch ajllovfuloi wiedergegeben (1 Sam 4,1 u.ö.). Nur einige Beispiele seien genannt. uJpomnhmatogravfo~ (1Chr 18,15; Jes 36,3.22) bezeichnet einen Spitzenbeamten in der Verwaltung des ptol. Königshofs. hJgouvmeno~ (1Chr 9,11 statt der Würdebezeichnung ‫ )נגיד‬ist in äg. Papyri ein gebräuchlicher Titel für den als leitenden Tempelvorsteher amtierenden Priester. Die Bezeichnungen ge-

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den regierenden Ptolemäern79 und gegenüber ptolemäischem Recht80. Diese schließen aber keineswegs Tendenzen der Abgrenzung von Ägypten im Speziellen81 und von hellenistischer Religiosität im Allgemeinen82 aus, wie auch gelegentlich das Bemühen durchscheint, die Geschichte der Vorväter im gegenwärtigen Ägypten zu lokalisieren83 und

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rousiva in Ex 3,16; Num 22,4; Jos 23,2 (von den Israeliten) und dh`mo~ für ‫ משׁפחה‬in Num 1,20 greifen aktuelle Terminologie auf. Israel als e[qno~ in Lev 19,16; Dtn 28,32 ist verfassungsrechtlicher Terminus. Ex 22,28 LXX mahnt zum loyalen Verhalten: Verboten wird das Schmähen von „Göttern“ (‫ אלוהים‬wird hier als Plural übersetzt) und das Lästern der Obrigkeiten „deines Volkes“ (nicht: „in deinem Volk“, was nur auf israelitische Herrscher passt). In Lev 11,5 wird das Wort lagwv~ (Hase) umgangen, um keine provozierende Erinnerung an Lagos, den Vater des Ptolemaios I. aufkommen zu lassen; in Dtn 17,14 LXX wird mit Rücksicht auf das regierende Königshaus der basileuv~-Titel ebenso vermieden (E. J. Bickermann, The Jews in the Greek Age [Cambridge, MA/London 1988] 108) wie in Dtn 17,18 LXX das Wort qrovno~ (T. Pola, „Deuteronomium“, LXX.D [s. Anm. 57] z. St.). Diese Tendenz, den basileuv~-Titel mit Rücksicht auf die Ptolemäer zu vermeiden, findet sich jedoch nicht in der Dodekapropheton-Septuaginta (C. Dogniez, “‘Lost in Translation’: La désignation des chefs dans le Dodekapropheton“, JSJ 39 [2008] 192-210: 195). In Dtn 21,10 LXX ist nicht mehr von der Wegführung von Gefangenen die Rede (Sklavenhandel war königliches Monopol), sondern vom Plündern der Beute. In Dtn 12,11.26 LXX kann man die Wortbildung ejpidekatovn (F. Rehkopf, Septuaginta-Vokabular [Göttingen 1989] 115, übersetzt mit „noch dazu ein Zehntel“) als Reflex auf die profane – mit dekavth bezeichnete – Steuer ansehen, so M. Labahn, „Deuteronomium“, LXX.D (s. Anm. 57) z. St. Jes 19,25 LXX heißt es nicht mehr „mein Volk Ägypten“, sondern „mein Volk in Ägypten“; in Lev 11,17 wird der Ibis in der Liste unreiner Vögel genannt; vgl. dazu M. Görg, „Die Septuaginta im Kontext spätägyptischer Kultur. Beispiele lokaler Inspiration bei der Übersetzungsarbeit am Pentateuch“, in H.-J. Fabry/U. Offerhaus (eds.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, vol. 1 (BWANT 153, Stuttgart 2001) 115-130: 118f. In Jes 65,11 stehen Dämon und Tyche/Glück für die Schicksalsgötter Gad und Meni des hebr. Textes. Agathos Daimon, verbunden mit Agathe Tyche, genoss in Alexandria als Schutzgottheit der Stadt besondere Verehrung. Für die Lesart th`/ Baal in Jer 2,8 überlegt A. Vonach, „ÔH Baal in der Jer-LXX – Erschließung neuer Horizonte als Übersetzungstechnik“, in id./G. Fischer (eds.), Horizonte biblischer Texte. Festschrift für Josef M. Oesch zum 60. Geburtstag (OBO 196, Fribourg/Göttingen 2003) 59-70, eine Anspielung auf den Isiskult. In manchen Teilen der Septuaginta wird zwischen qusiasthvrion für einen jüdischen und bwmov~ für einen nichtjüdischen Altar unterschieden (zu Ex 32,5 s.u.). Vgl. ferner u.a. den polemischen Verweis auf die „heiligen Haine“ (statt der zur Zeit der Septuaginta-Übersetzer obsoleten Astarten) in Dtn 7,5 LXX etc., auf die Vogelzeichen (statt auf das Lospfeilorakel ‫ )קסם‬in 1 Sam 15,23 LXX. In einem Zusatz zu Dtn 23,18 wird das Verbot der Teilnahme an heidnischen Mysterienkulten ergänzt (M. Tilly, Einführung in die Septuaginta [Darmstadt 2005] 78). In Dan 1,20 werden die judäischen Prinzen nicht den „Beschwörern und Magiern“ (so MT), sondern den „Sophisten und Philologen“ (∏ 967) bzw. den „Sophisten und Philosophen“ (LXX) verglichen; der Eindruck soll vermieden werden, dass sich Juden mit heidnischer Magie befasst haben (K. Koch, Daniel [BK AT XXII/1, Neukirchen-Vluyn 1986] 11; H. Engel, „Daniel“, LXX.D [s. Anm. 63] z. St.). M. Rösel, Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta (BZAW 223, Berlin/New York 1994) 241.

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die Bedeutung von Juden in nichtjüdischer Umwelt herauszustellen.84 Unmittelbare zeitgeschichtliche Aktualisierungen sind im Sacharjabuch vermutet worden: Als der König von Sach 9,9f. ist vielleicht der Hohepriester Simon anzusehen85, während in Sach 14,14 eine Anspielung auf Judas Makkabäus vorliegen kann.86 Solche Tendenzen begegnen aber auch in theologisch weniger relevanten Details87: Die Reihenfolge der gemusterten Stämme Israels wird in Num 1,24f. in Übereinstimmung mit Gen 35,22-26 gebracht; ähnlich wird Num 26 an die Darstellung Gen 46 angeglichen. Das Eintrittsalter der Leviten wird in Num 4,3.23.30 LXX auf 25 Jahre festgesetzt (MT jeweils 30 Jahre); das soll zu Num 8,24 ausgleichen. Chronologische Neufixierungen intendieren nicht die Korrektur bisher fehlerhafter Daten dank besserer historischer Kenntnis, sondern geben anderen Ideen Raum – die aber auch je nach eigenen Bedürfnissen wechseln konnten.88 So vertritt der Übersetzer der Genesis v.a. auf Grund des gegenüber dem MT in den Generationen 1-5 und 7 um je 100 Jahre erhöhten Zeugungsalters die längste Chronologie; er rechnet mit einer Gesamtzahl von 2242 Jahren von der Schöpfung bis zur Sintflut (MT: 1656; Smr: 1307). Seine Absicht wird verschieden bestimmt: Vielleicht wollte er mit seinen höheren Zahlengaben und den noch unkorrigierten Daten Ex 12,40 MT; 1 Kön 6,1 MT; 1 Kön 15,2 LXXL; 2 Kön 8,17 LXXL; Esr 3,8f. das erste Jahr des Tempels auf das Jahr 5000 anno mundi fixieren89 oder gegenüber ägyptischen Ursprungsgeschichten ein 84

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Joseph heiratet Aseneth, die Tochter eines ägyptischen Priesters in On (Gen 46,20 MT). Durch die Übersetzung des Städtenamens mit ÔHlivou Povli~ wird auf die in hellenistischer Zeit bedeutende Stadt Heliopolis angespielt, damit indirekt ein weiteres Mal das Ansehen Josephs hervorgehoben. A. van der Kooij, “The Septuagint of Zechariah as Witness to an Early Interpretation of the Book”, in Chr. Tuckett (ed.), The Book of Zechariah and its Influence (Aldershot/ Burlington 2003) 53-64, mit Verweis auf Hos 3,5; Tob 13,13; 1Makk 14,4-15.36 u.a. Th. Pola, „Von Juda zu Judas. Das theologische Proprium von Sach 14,12-21 LXX“, in Karrer/Kraus, Septuaginta (s. Anm. 64) 572-580: 576. Vgl. die Auflistung der Harmonisierungen im Buch Numeri bei G. Dorival, Les Nombres. Traduction du texte grec de la Septante, Introduction et Notes (BdA 4, Paris 1994) 42-43. Zu chronologischen Fragen vgl. allgemein J. Hughes, Secrets of the Times. Myth and History in Biblical Chronology (JSOT.SS 66, Sheffield 1990). Er rechnet mit verschiedenen chronologischen Systemen in den verschiedenen Zweigen der griechischen Textüberlieferung (239) und verortet letztendlich auch die Chronologie der Septuaginta in der ihr zugrundeliegenden hebräischen Texttradition (241). M. Rösel, Übersetzung (s. Anm. 83) 142-144. Zu anderen Deutungsvorschlägen der hohen Jahreszahlen in der Genesis-Septuaginta vgl. ebd., S. 135-142. – Der Übersetzer der Genesis-Septuaginta nahm um dieser seiner Absichten willen sogar eine textinterne Spannung in Kauf: Nach seiner Darstellung hätte Methusalach die Flut noch um 14 Jahre überlebt, was aber den Angaben Gen 7,7; 8,16 widerspricht, nur Noah, seine Frau, seine Söhne und seine Schwiegertöchter hätten die Flut überlebt; zu dem Problem vgl. schon Hieronymus, Hebr. qu. in Gen. 5,25-27 (CC.SL 72, 8 f.).

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hohes Alter des Ursprungs Israels erweisen90, während dem Übersetzer des Exodusbuches eher daran lag, in Ex 12,40 den Aufenthalt Israels in Ägypten durch den Zusatz kai; ejn gh/` Canaan, der also den Zeitraum von den in Gen 12 erzählten Ereignissen an einschließt, zu verkürzen, weil er die Schwierigkeit beheben wollte, dass nach der Genealogie Ex 6,16-20 sich die 430 Jahre91 lediglich auf vier Generationen (vgl. auch Gen 15,16) verteilen92, oder weil er einen solch langen Aufenthalt Israels in Ägypten möglicherweise als peinlich empfand.93 Wieder andere Interessen verfolgt der Übersetzer von 1 Kön 6,1: Er datiert den Beginn des Tempelbaus auf das 440. Jahr nach dem Exodus (statt wie in 1 Kön 6,1 MT auf das Jahr 480), vielleicht, um jeder der in 1 Chr 5,29-34 genannten elf Priestergenerationen von Aaron bis Zadok (I.)94 eine Amtsdauer von 440 Jahren zukommen zu lassen.95 3.6 Theologische Tendenzen In einer Studie über „historiographische Tendenzen“ muss auch auf diese Thematik hingewiesen werden, denn unbeschadet der Steigerung

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G. J. Wenham, Genesis 1-15 (WBC 1, Waco 1987) 130; F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta (MJSt 9, Münster 2001) 296. Wie ist zwischen den 400 Jahren nach Gen 15,13 und den 430 Jahren nach Ex 12,40 MT auszugleichen? Nach S. Kreuzer, „430 Jahre, 400 Jahre oder 4 Generation – Zu den Zeitangaben über den Ägyptenaufenthalt der ‚Israeliten’“, ZAW 98 (1986) 199210: 207, wird die Zeit Josephs in Ägypten als bedrückungsfreie Zeit gegolten haben. Das Problem wird von Philo, Quaestiones in Genesim, nicht erörtert (zu erwarten wäre eine Erörterung nach Philo, qu. Gen. 3,12). J. I. Durham, Exodus (s. Anm. 55) 172; J. W. Wevers, Exodus (s. Anm. 52) 190; S. Kreuzer, „Zur Priorität und Auslegungsgeschichte von Exodus 12,40 MT. Die chronologische Interpretation des Ägyptenaufenthalts in der judäischen, samaritanischen und alexandrinischen Exegese“, ZAW 103 (1991) 252-258: 254. Anders N. Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas (JSHRZ III,4, Gütersloh 21980) 257-302: 289: MT hat in Ex 12,40 den Zusatz „in Kanaan“ ausgelassen, „vielleicht weil der Wortlaut nur von den ‚Kindern Israel’ sprach“ (Kursivierung N.W.) F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel (s. Anm. 90) 296f. Zadok I. gilt als Priester zur Zeit Davids in 2 Sam 8,17; 1 Chr 27,17. J. A. Montgomery/H. S. Gehman, A Critical and Exegetical Commentary on the Books of Kings (ICC 20, Edinburgh 1951) 143; D. J. Wiseman, 1 and 2 Kings (The Tyndale Old Testament Commentaries, Leicester 1993) 104; M. Cogan, 1 Kings. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 10, New York et al. 2000) 236. Doch auch die 480 Jahre gelten als Symbolzahl (J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments [Berlin 31899] 265; Wiseman, ibid.). M. J. Mulder, 1 Kings (Historical Commentary on the Old Testament, Leuven 1998) 231, vermutet deshalb, dass die Septuaginta hier die ursprüngliche Fassung bietet.

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der Aussagen zur Transzendenz Gottes96 gilt doch sein Eingreifen in die Geschichte weiterhin als Fundament antik-jüdischen Glaubens. Aber auch Idealisierung positiver und verschärfende Charakterisierung negativer Gestalten der Geschichte Israels beeinflussen das Geschichtsbild der Rezipienten der Septuaginta. Auch hier lohnt zunächst ein Blick auf die Überlieferungsgeschichte der homerischen Texte wie auf ihre Interpretation in der Antike. Vorstellungen der moralischen Unvollkommenheit homerischer Götter haben zu Platons bekannter Homerkritik geführt; diese wiederum wirkte auf die Textüberlieferung der Ilias in der Weise ein, dass die Klage des Zeus über Sarpedon (Il. 16, 432-458) in einigen Zenodot vorliegenden Handschriften getilgt ist.97 Ferner hat Zenodot in Il. 3,423-427 die Bemerkung über Aphrodites Hilfeleistung98 sowie in Il. 4,88 die Bemerkung, Athene habe Pandaros „gesucht“,99 als unangemessen empfunden, sich dafür aber auch den Tadel des Aristonikos eingehandelt: In der speziellen Situation habe Athene so handeln müssen, um nicht aufzufallen. 3.6.1 Gott ist gut und Urheber des Guten Dieses Motiv ist für griechische philosophische Theologie100 zentral, konvergiert aber auch mit inneralttestamentlicher Einsicht. Ähnlich wie in der Homerexegese werden auch in der Septuaginta bei weitem nicht alle Aussagen modifiziert, die diesem philosophischen Grundsatz widerstreiten. So bleibt z.B. Jes 45,7 („der ich Heil bewirke und Schlimmes schaffe“) ungeschmälert erhalten, ebenso Jes 11,4; Jer 13,14 („ich werde nicht schonen“). An anderen Stellen jedoch finden sich Änderungen. So ist es in Ex 4,24 LXX der Engel JHWHs, nicht JHWH selbst, der Mose angreift; in Ex 15,3 LXX und Jes 42,13 LXX gilt JHWH als „Vernichter von Kriegen“, nicht mehr als „Kriegsmann“. Weitere Stellen, an denen eine solche Tendenz diskutiert werden kann, 96

Nur einige Beispiele seien genannt: Ex 26,1; 27,21 LXX sprechen vom „Zelt des Zeugnisses“ statt vom „Zelt der Begegnung“; Ex 29,45 LXX ist von der Anrufung Gottes statt von seiner Einwohnung die Rede; Gottes Selbstoffenbarung ist nach Ex 33,19 LXX die Offenbarung seines Namens, nicht sein Sichtbarwerden vor den Menschen; Ex 25,7f.; Dtn 33,16 LXX thematisieren das „Erscheinen Gottes“, nicht sein Wohnen. Die unmittelbare Gottesschau wird vermieden (Ex 24,8-11 LXX u.a.), doch es gibt auch Gegenbeispiele, vgl. J. Joosten, “To See God. Conflicting Exegetical Tendencies in the Septuagint“, in Karrer/Kraus, Septuaginta (s. Anm. 64) 287-299: 291-295. 97 Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie (s. Anm. 42) 145. 98 Ibid., 146; van Thiel, „Homertext” (s. Anm. 43) 22. 99 Van Thiel, „Homertext” (s. Anm. 43) 13. 100 Vgl. Platon, rep. II 379a – 383c.

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sind u.a. Gen 4,7101; 15,36 LXX102; 1 Sam 6,19103; Jes 63,3104; Jer 19,9.105 Allerdings ist auch zu diesem Thema an manchen Stellen die textkritische Lage nicht eindeutig. In Jer 21,7 LXX ist es Gott, der Israel nicht verschonen will, in Jer 21,7 MT der König von Babylon. Man kann eine theologische Erleichterung im MT vermuten106, ebenfalls aber erwägen, ob in der Septuagintafassung nicht (der Textfluss verbessert und zugleich) an Jer 13,14 angeglichen werden sollte. Weil Gott grundsätzlich gut ist, hat er auch nichts zu bereuen. Der Gedanke der Reue Gottes wird daher in der Septuaginta weitgehend vermieden, auch in der Absicht, einen Widerspruch zu 1 Sam 15,29 zu vermeiden (MT: „Gott ist nicht ein Mensch, dass er etwas bereuen müsste“; LXX: „Gott ist nicht wie ein Mensch…“). In Gen 6,6 LXX; 1 Chr 21,15 LXX; 1 Sam 15,11 LXX; Jer 20,16 LXX; Jer 49,10 LXX ist das Verbum metanoevw als Wiedergabe des semantisch mehrdeutigen ‫נחם‬ vermieden. In Am 7,3 LXX ist die Konsonantenfolge ‫ נחם‬als Imperativ vokalisiert; so wird aus der Aussage einer tatsächlich erfolgten göttlichen Reue die Bitte des Propheten darum. In Jer 18,8.10 ist dieses Motiv jedoch auch in der Septuaginta beibehalten: Die Möglichkeit einer Reaktion Gottes auf die menschliche Abkehr von Fehlverhalten (Jer 18,8) oder Wohlverhalten (Jer 18,10) sollte wohl nicht abgeschwächt werden.

101 J. W. Wevers, Genesis (s. Anm. 51) 55, der aber auch die Möglichkeit einer Verschreibung von ‫ לפתח‬zu ‫ לנתח‬zu bedenken gibt. Kritisch dagegen M. Rösel, Übersetzung (s. Anm. 83) 105: diairevw dient in der Septuaginta nirgends als Äquivalent für ‫נתח‬. 102 ‫„( וימת‬und er starb“) wird in Num 15,36 LXX ausgelassen; vielleicht erschien es dem Übersetzer als problematisch, den Tod des Gesetzesübertreters durch die von Gott angeordnete Steinigung zu unmittelbar mit dem göttlichen Befehl an Mose in Verbindung zu bringen (M. Rösel/C. Schlund, „Numeri”, LXX.D [s. Anm. 57] z. St.). 103 Vgl. dazu M. Meiser, „Samuelseptuaginta und Targum Jonathan als Zeugen frühjüdischer Geistigkeit“, in Karrer/Kraus, Septuaginta (s. Anm. 64) 323-335: 331. 104 Jes 63,3 LXX redet nicht mehr von blutbespritzten Gewändern Gottes (nur noch die Röte in V. 1f. ist übriggeblieben), sondern davon, dass das Blut zur Erde spritzt. 105 Jer 19,9 heißt im MT ‫„ והאכלתים את־בשׂר בניהם‬und ich [Gott] werde ihnen das Fleisch ihrer Söhne zu essen geben“. Die Septuagintafassung mildert ab: kai; e[dontai ta;~ savrka~ tw`n uiJw`n aujtw`n „und sie werden das Fleisch ihrer Söhne essen“. Diese Abmilderungstendenz ist nicht auf die Septuaginta beschränkt, denn auch 4Q72 hat geändert: ‫„ )וי(אכלו‬und sie aßen/werden essen“. 106 So H.-J. Stipp, „Zur aktuellen Diskussion um das Verhältnis der Textformen des Jeremiabuches“, in Karrer/Kraus, Septuaginta (s. Anm. 64) 630-653: 652. Generell hat H.-J. Stipp Recht mit seiner Bemerkung, dass Tendenzen solcher Art nicht konsistent durchgeführt wurden.

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3.6.2 Idealisierung positiv gezeichneter Menschen 3.6.2.1. Reduzierung eines Fehlverhaltens Auch hier ist ein Blick in die Überlieferungsgeschichte des Homertextes lehrreich. Platon hat die Scheltrede des Achill gegen Agamemnon (Il. 1,225-233) getadelt (rep. III, 389 E); tatsächlich fehlt sie in einigen Handschriften, von deren Text Zenodot abhängig war. In Ex 32,5 LXX wird der Altar, den Aaron für das Stierbild baut, nicht mit dem für nichtjüdische Altäre üblichen Begriff bwmov~ bezeichnet, sondern mit dem Begriff für die legitime(n) Opferstätte(n) Israels, nämlich qusiasthvrion. Der Eindruck soll vermieden werden, Aaron habe die Anbetung eines Kultbildes institutionalisieren wollen.107 Jer 17,1-14 MT zeigt massiv die Sünde Judas auf. In der Septuaginta hat er keine Parallele. Zumindest diskutabel ist die These, dass auf die Übersetzung dieses Teilabschnittes bewusst verzichtet wurde.108 Auf die Vorhaltungen Datans und Abirams Num 16,12-14 reagiert Mose nach Num 16,15 MT mit Zorn, nach Num 16,15 LXX mit Schwermut. Mose wird als beherrschter Mensch dargestellt, wie schon Lev 12,3 von der Demut (MT) bzw. Sanftmut (LXX) Moses zu reden weiß. Diskutabel sind solche Stilisierungen vor allem im Fall der Konfrontation zwischen Menschen und Gott. So sind Samuel109, David110 und Jona111 im Gespräch mit Gott nicht mehr zornig, sondern mutlos. Als unangebracht gilt im antiken Judentum auch die außerplanmäßige Aktivierung von Sexualität. So wird Ruth in Rut 3,7 LXX durch die Auslassung des Verbums ‫„ ותשׁכב‬und sie legte sich“ von dem Verdacht befreit, sie habe eine sexuelle Begegnung mit Boos angestrebt.112

107 E. Tov, “Theologically Motivated Exegesis Embedded in the Septuagint“, in id., The Greek and Hebrew Bible (s. Anm. 67) 257-269: 263f. Doch hält sich der vorausgesetzte Sprachgebrauch nicht durch, vgl. 1 Kön 16,32 LXX (qusiasthvrion tw/` Baal). 108 Dafür plädiert G. Fischer, „Zum Text des Jeremiabuches”, Bib 78 (1997) 305-328: 324. 109 1 Sam 15,11 LXX. 110 2 Sam 6,8 LXX; 1 Chr 13,11 LXX. Diskutabel ist aber für die Belege zu Samuel und David auch eine innergriechische Verschreibung von einer Form von qumovw erzürnen zu ajqumevw mutlos werden. 111 Zu Jon 4,1 vgl. Th. Heckel, „Jona“, LXX.D (s. Anm. 63) z. St., und seinen Verweis auf L. Perkins, “The Septuagint of Jonah: Aspects of Literary Analysis Applied to Biblical Translation“, BIOSCS 20 (1987) 43-53: 45. 112 E. Bons, „Die Septuaginta-Version des Buches Ruth“, BZ 42 (1998) 202-224: 214f.

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3.6.2.2. Übereinstimmung mit der Thora Amrams Ehe mit Jokebed nach Ex 6,20 wird stilisiert: Jokebed gilt nicht mehr als Amrams „Tante“, sondern als „eine Tochter des Bruders seines Vaters“, als seine Cousine. Damit soll eine Übertretung von Lev 20,20 vermieden werden.113 Das Geschichtsbild der Septuaginta wie das der zwischentestamentlichen jüdischen Literatur impliziert an solchen Stellen, dass die Patriarchen bereits die Thora befolgt haben, bevor diese überhaupt gegeben war. 114 In Lev 24,16 LXX wird das Verbot, den Namen Gottes zu lästern (so MT), abgeändert zu dem Verbot, den Namen Gottes überhaupt auszusprechen. Damit wird zeitgenössisch gängigem usus Rechnung getragen.115 In die Erörterung historiographischer Tendenzen gehört dies insofern hinein, als das Bestreben sichtbar wird, die eigene Praxis in der Thora zu begründen, umgekehrt hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit als Geschichtsquelle jede Schwachstelle zu vermeiden. Elkana und Hanna opfern nach 1 Sam 1,21 LXX zusätzlich „alle Zehntfrüchte des Landes“ gemäß Lev 27,30; die in 1 Sam 3,11 genannten Nasiräatsgelübde entsprechen in LXX wie in 4Q51 durch den Zusatz „und Wein wird er nicht trinken“ der Thora (Num 6,5). Davids Gewand nach 2 Sam 6,14 ist kein Priesterschurz (so MT), sondern ein „fremdes Gewand“; seine Söhne werden in 2 Sam 8,18 LXX, der Vorgabe 1 Chr 18,17 MT/LXX folgend, nicht mehr als Priester bezeichnet.116 3.6.3 Verschärfende Charakterisierung negativ gezeichneter Gestalten Bei einigen Murr-Geschichten im Buch Numeri wird der Gegensatz des Volkes zu Gott und zu Mose verschärft; in Num 20,13 LXX ist nicht mehr von einem Streit mit Gott, sondern von Widerspruch und Lästerung die Rede, und das Volk unterstellt Mose in Num 16,13; 21,5 LXX eine bewusste Tötungsabsicht. Aber auch die Schuld Moses und Aarons wird verschärft, nämlich in Num 27,14. Elis Söhne verstoßen nach 113 W. H. Schmidt, Exodus. 1. Teilband: Exodus 1–6 (BK AT II/1, Neukirchen-Vluyn 1988) 294. In Num 26,59 (dort gilt Jokebed als Tochter Levis) wird jedoch nicht korrigiert. 114 Vgl. J. Roloff/E. Weber, „Exodus“, LXX.D (s. Anm. 57) z. St., mit Verweis auf R. Le Déaut, “La Septante, un Targum?“, in R. Kuntzmann/J. Schlosser (eds.), Études sur le Judaïsme hellénistique. Congrès de Strasbourg (1983) (Paris 1984) 147-195: 174 Anm. 135. 115 Tilly, Einführung (s. Anm. 82) 79. 116 Tendenzen dieser Art begegnen nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern auch in der Reformulierung von Vorschriften. Die Vorschrift über die verunreinigende Berührung Lev 22,5 wird in Lev 22,5 LXX/SP und 4QLeve Frg. 8,3 durch die Wendung eJrpetou` ajkaqavrtou präzisiert: Nur die Tiere, die nach Lev 11,29f. zum Verzehr nicht zugelassen sind, bewirken auch bei Berührung, dass man unrein wird.

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1 Sam 2,16 LXX gegen das kaqh`kon und werden damit griechisch gebildeten Lesern als negative exempla vor Augen geführt. Die „Propheten“, die sich nach Jer 26,7; 28,1 MT gegen Jeremia stellen, werden in LXX (Jer 33,7; 35,1) zu Pseudopropheten.117 Aus demselben Grund wird die Bezeichnung des Ananias als Propheten in Jer LXX 35,12.15.17 gemieden.118

4. Ertrag für das Studium der Apostelgeschichte Auch hier ist zunächst auf methodische Probleme zu verweisen. 1) Wir kennen die Quellen der Apostelgeschichte nicht. 2) Lukas hat die Septuaginta wohl kaum im Unterschied zu ihren hebräischen Vorlagen studieren und die von uns erhobenen Tendenzen als literarische und theologische Tendenzen wahrnehmen können. 3) Zahlreiche Schriftzitate im lukanischen Doppelwerk belegen die Bibelkenntnis des Lukas; in der Gestaltung mancher Partien zeigt sich Einfluss des Septuaginta-Stils. Trotzdem muss grundsätzlich offen bleiben, ob sich die Parallelität bestimmter Phänomene in der Septuaginta und bei Lukas eher analogisch oder genealogisch begreifen lässt. 4) Natürlich hat, wie andere Beiträge dieses Bandes belegen, Lukas Anregungen hinsichtlich seiner Historiographie auch anderweitig beziehen können. Einflüsse biblischer Literatur sind methodisch gesehen dann am ehesten bei theologisch einschlägiger Thematik möglich. 4.1 Historische Richtigstellung und Vermeidung von Widersprüchen Inwiefern Lukas korrekturbedürftige Elemente seiner Vorlagen in seiner Darstellung berichtigt hat, muss uns aufgrund der nicht zu klärenden Quellenlage für die Apostelgeschichte119 naturgemäß unzugänglich bleiben. Allerdings gibt es Indizien, dass die Einarbeitung von Quellen und Traditionen nicht immer zu Ausgleichsversuchen zu anderen Tex-

117 Hieronymus, In Jer. 5,38,2; 5,56,2 (CC.SL 74, 255.269). 118 Ibid., 5,61,2 (CC.SL 74, 272f.). 119 Für das Lukasevangelium ist darauf zu verweisen, dass Herodes Antipas I. in Lk 3,1.19; 9,7 korrekt als Tetrarch bezeichnet wird, nicht wie in Mk 6,14 als König.

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ten des lk Werkes geführt haben: In Apg 10,1–11,18 wird von keinem der Beteiligten auf Lk 24,47 zurückverwiesen.120 4.2 Intertextuelle Harmonisierungen Lukas gleicht gelegentlich sowohl Schriftworte als auch Jesusworte seiner eigenen folgenden Darstellung an: Der in Lk 21,27 auftretende, von Dan 7,13 abweichende Singular nefevlh könnte sich einem Bezug auf Lk 9,34121 oder auf Apg 1,9.11 verdanken, wo Jesu Entrücktwerden in einer Wolke als Gegenbild zu seiner Parusie dargestellt wird. Innerhalb des Q-Textes Lk 7,18-23* soll der lk-redaktionelle Vers Lk 7,21 bezeugen, dass tatsächlich in Jesus die Schriftworte aus Jes 29,18; 35,5f. erfüllt sind. Jesu Ankündigung Mk 13,9 ist in Lk 21,12 gemäß der lk Darstellung der Geschichte des Urchristentums umgestaltet worden: Der Begriff fulakaiv ist aufgrund von Apg 5,19 eingefügt, die mk Anordnung hJgemovne~ – basilei`~ ist im Hinblick auf die Reihenfolge Apg 12; 21–26 umgestellt. Im Joel-Zitat Apg 2,17-21 ist in V. 18 fine vielleicht in Anspielung an Num 11,27-29 kai; profhteuvsousin ergänzt: Apg 19,6; 21,9 dokumentiert die Wirklichkeit dessen, dass der Heilige Geist in der christlichen Gemeinde am Werk ist, an Männern wie an Frauen (vgl. Jl 3,2). Die Ergänzung der shmei`a in Apg 2,19 ist im Hinblick auf Apg 2,22; 2,43; 5,12; 6,8 verständlich. 4.3 Tendenzen der Aktualisierung Die Tendenz der Aktualisierung von Orts- und Landschaftsnamen entfällt bei Lukas aufgrund der größeren zeitlichen Nähe zum dargestellten Geschehen. Die Tendenz der Aktualisierung der Verwaltungssprache begegnet bei Lukas in Form der Aktualisierung nicht staatlicher, wohl aber kirchlicher Strukturen: Der lukanische Paulus bewegt sich wie selbstverständlich in einer Kirche, deren Einzelgemeinden von Ältesten geleitet werden, während Paulus von Ältesten schweigt. Das Anliegen der Apostelgeschichte, die politische (sic!) Loyalität der Christinnen und Christen gegenüber der römischen Staatsmacht zu betonen, wird sich eher aktueller Notwendigkeit verdanken. Dabei erzählt Lukas zurückliegende Konflikte mit jüdischen Obrigkeiten so, dass sie

120 Nur deshalb wird Apg 10,1–11,18* als Tradition auch im Einzelnen erkennbar. 121 So W. Wiefel, Das Evangelium nach Lukas (ThHK NT 3, Berlin 1987) 354 Anm 3.

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transparent werden dafür, wie Christen auch aktuelle Konflikte mit nichtjüdischen Obrigkeiten bewältigen können bzw. sollen.122 4.4 Theologische Stilisierungen 4.4.1 Reduzierung von Fehlverhalten Zu den häufig kritisierten schriftstellerischen Tendenzen des Lukas gehört es, innerchristliche Konflikte zu verschweigen123 oder abzumildern124, ebenso, das Fehlverhalten der Jünger Jesu zu entschärfen.125 Im Lichte des in dieser Studie Erarbeiteten wird das Vorgehen des Lukas ein wenig verständlicher. 4.4.2 Übereinstimmung mit der Thora In der Septuaginta mag die Schilderung nachmosaischer Gestalten als thoratreu textpragmatisch gesehen paränetisch motiviert sein: So wie David die in der Thora grundgelegte Sonderstellung der Priester beachtet hat, so soll der Leser allgemein die Thora beachten. Im Bereich der Apostelgeschichte ist hier noch am ehesten Apg 15,21.28f. zu vergleichen: Das Aposteldekret sollte von den Heidenchristen tatsächlich praktiziert werden und bei ihnen ein Mindestmaß kultischer Reinheit gewährleisten. Auch für die historisch nicht zu sichernde Behauptung in Apg 16,3, Paulus habe Timotheus beschneiden lassen, mag Rücksichtnahme auf jüdisches bzw. judenchristliches Verständnis leitend sein. Andernorts im lk Doppelwerk wird die Thoratreue einiger Protagonisten eher aus apologetischen Gründen betont126; ein Einfluss biblischer Geschichtsdarstellung scheint mir dort eher unwahrscheinlich.

122 Apg 5,29.41 sind unabhängig von der Frage verständlich, ob jüdische oder nichtjüdische Subjekte im Konfliktfall das Gegenüber bilden. 123 Vgl. Apg 18,1-17 und die Korintherkorrespondenz des Paulus. 124 Vgl. Apg 6,1-7; 15,36-41. 125 Mk 8,32f.; 14,50 haben im Lukasevangelium keine Parallele. 126 Dass Jesu Eltern als thoratreu geschildert wurden, soll zeigen, dass ein Gegensatz zu dem später nicht an Jesus glaubenden Judentum keineswegs beabsichtigt war. Die Einfügung der Antipas-Szene in Lk 23,6-12 mag sich u.a. dem Anliegen verdanken, Jesu Unschuld Dtn 19,15 gemäß durch zwei Zeugen zu erweisen (vgl. W. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas [ThHK NT 3, Berlin 21961] 424). In Apg 23,5 wird Paulus aus apologetischen Gründen als Jude gekennzeichnet, der sich an die Heilige Schrift gebunden weiß.

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4.4.3 Verschärfende Charakterisierung negativ gezeichneter Figuren Bekannt sind die wirkungsgeschichtlich so verhängnisvollen Verschärfungen in der Darstellung des nicht an Jesus glaubenden Judentums im Verhalten gegenüber Jesus (vgl. Lk 23,1-25) wie gegenüber Stephanus127 und Paulus.128 Diese Tendenzen sind bisher teilweise mit Verweis auf die Hochschätzung des Imperium Romanum durch den dritten Evangelisten, teilweise mit missionarischen Misserfolgen erklärt worden. Am ehesten ergibt sich rezeptionsästhetisch, dass ein antiker Leser des Chronistischen Geschichtswerkes an der lukanischen Darstellung nicht unbedingt Anstoß nehmen musste. Die Tendenz der verschärfenden Charakterisierung kann auch für Apg 12,20-23 erwogen werden, wenn man hier nicht aufgrund der Parallele bei Josephus (Ant 19,343-350) mit einer von Lukas aufgenommenen Tradition rechnen will. Man mag über das magere Ergebnis enttäuscht sein. Methodische Vorsicht lässt kaum ein anderes Ergebnis erwarten.

127 Die Steinigung des Stephanus wird wohl erst durch Lukas zu einem regelrechten Prozess umstilisiert. 128 Selbst das Schema, dass Paulus die Verkündigung stets zunächst in der Synagoge beginnt, kann apologetisch bzw. polemisch motiviert sein: An der wachsenden Distanz zwischen den nicht an Jesus glaubenden Juden und den Christen ist, so der Schriftsteller, Paulus unschuldig; er hat stets den Kontakt mit der Synagoge gesucht.

“Do You Understand What You are Reading?” The Understanding of the LXX in Luke-Acts GREGORY E. STERLING In a well known scene, the author of Acts had Philip the evangelist approach an Ethiopian official who had been to Jerusalem and was headed home. The Ethiopian was reading the Scriptures in his chariot. With a famous wordplay Philip asked: “Do you understand what you are reading?” (a\rav ge ginwvskei~ a} ajnaginwvskei~…) The Ethiopian rejoined: “How can I unless someone guides me?”1 The exchange sets up the author’s explanation of the LXX. The question might, however, be pushed one step back and posed to the author. Who guided the author as “he” read the LXX? Did the author know any retellings of the LXX that shaped the way that he read and understood the story of Israel?2 There are two major speeches in Acts that offer retellings of the story of Israel in the LXX: the speech of Stephen before the Sanhedrin (7:2-53) and the speech of Paul to a synagogue audience at Antioch of Pisidia (13:16-41). In an earlier essay I explored the former and argued that the author drew on a tradition of Hellenistic Jewish historiography that contended for the legitimation of communities in the diaspora, especially in Egypt. It appears likely that the author knew the works of – or at least the historiographical tradition of the works of – Cleodemus Malchus, Pseudo-Eupolemus, and Artapanus.3 I would like to raise the same question for the second major retelling of the story of Israel in Acts. Are there any indications that the Christian author knew earlier Jewish retellings of the LXX that shaped his selection of material? If so, does this material help us understand the function of the material in the speech attributed to Paul?

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Acts 8:26-40, esp. 30-31. All translations are my own unless otherwise noted. I will call the author “Luke” on the basis of tradition and convention. I do not intend to make a statement about the identity of the real author. G. E. Sterling, “’Opening the Scriptures’: The Legitimation of the Jewish Diaspora and the Early Christian Mission”, in D. P. Moessner (ed.), Jesus and the Heritage of Israel (Harrisburg [PA] 1999) 199-225.

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1. The Speech of Paul at Antioch of Pisidia (Acts 13:16-41) The speech is situated at the outset of the Pauline mission (Acts 13–28).4 Paul and Barnabas made their way into the hinterland of Asia, to the city of Antioch. In keeping with his practice, Paul went to the synagogue.5 Following the reading of the law and the prophets, the rulers of the synagogue invited them to address the audience.6 Paul accepted the invitation and used the law and the prophets as a basis for his lovgo~ paraklhvsew~.7 In this way, Luke made a direct connection between the setting and the sermon, just as he did when Jesus spoke at the synagogue service in Nazareth.8 As most interpreters have recognized, the sermon falls into three movements marked off by the explicit address to the audience.9 Each reference consists of a reference to the audience and a call to listen. Acts 13:16 Fellow Israelites and God-fearers, listen. Acts 13:26 Brothers, members of Abraham’s family, and God-fearers among you, the word of this salvation was sent to you.

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There are several full length studies of the speech. These include: M. Dumais, Le langage de l'évangélisation: L'Announce missionaire en milieu juif (Acts 13,16-41) (Recherches 16 Theologie, Tournai/Paris/Montreal 1976); C. A. J. Pillai, Early Missionary Preaching: A Study of Luke’s Report in Acts 13 (Hicksville [NY] 1979); id., Apostolic Interpretation of History: A Commentary on Acts 13:16-41 (Hicksville [NY] 1980); M. F.-J. Buss, Die Missionspredigt des Apostels Paulus im pisidischen Antiochien: Analyse von Apg 13,16-41 im Hinblick auf die literarische und thematische Einheit der Paulusrede (Stuttgart 1980). There are also some important shorter works including D. A. de Silva, “Paul’s Sermon in Antioch of Pisidia”, BSac 154 (1994) 32-49, and M. L. Soards, The Speeches in Acts: Their Content, Context and Concerns (Louisville 1994) 79-88. E.g., Acts 14:1-7, Iconium; 17:1-9, Thessalonica; 17:10-14, Beroea; 17:16-17, Athens; 18:1-10, Corinth; and 18:19-31 and 19:8-10, Ephesus. Cf. 26:11 for a summary statement. For an attempt to reconstruct the synagogue service of this period see P. Billerbeck, “Ein Synagogengottesdienst in Jesu Tagen?”, ZNW 55 (1964) 143-61. Acts 13:15. This is the same expression that the author of Hebrews used to describe the letter (Heb 13:22). Luke calls the speech a lovgo~ swthriva~ in v. 26. Luke 4:16-30. de Silva, “Paul’s Sermon in Antioch of Pisidia” (see n. 4) 34-35, offers a summary of the different bases that result in various outlines: the audience (as I have suggested), topical or thematic analyses, and temporal analyses. Some noteworthy alternatives are four divisions, e.g., H. van de Sandt, “The Quotations in Acts 13,32-52 as a Reflection of Luke’s LXX Interpretation”, Bib 75 (1994) 26-58, esp. 26, where he divided the speech into vv. 17-25, 26-31, 32-37, and 38-41, and U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte (WMANT 5, Neukirchen-Vluyn 1961) 54, who thought that there were six divisions: vv. 15-23, 24-25, 26-31, 32-37, 38-39, 40-41.

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Acts 13:38 Let this be known to you, brothers.

The three parts of the sermon each have a thematic unity. The Story of Israel. The first section is a rehearsal of the story of Israel (13:16-25). The Ancestors 17The God of this people Israel chose (ejxelevxato) our ancestors, advanced (u{ywsen) the people in their residence in the land of Egypt, and with a raised arm led (ejxhvgagen) them out of it. The Wilderness 18For forty years time10 he cared (ejtrofofovrhsen)11 for them in the wilderness. The Inheritance of the Land 19After he had destroyed (kaqelwvn) seven nations in the land of Canaan, he gave them their land as an inheritance (kateklhronovmhsen) 20for four hundred and fifty years.12 The Judges Afterwards he gave (e[dwken) them judges up until Samuel the prophet. Saul 21Then they asked (hj/thvsanto) for a king and God gave (e[dwken) them Saul, the son of Kish, a man from the tribe of Benjamin, for forty years.13 10 11

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Exod 16:35; Num 14:33-34; 32:13; 33:38; Deut 1:32:7; 8:4; 29:4. There is a textual problem: the manuscript evidence is divided between ejtropofovrhsen (“he put up” or “he bore”) and ejtrofofovrhsen (“he nourished” or “he cared for”). The text is drawing from Deut 1:31 where the same split occurs in the mss. The issue is which is the author more likely to have used. Unlike the speech in Acts 7 where the rebellion of the people is emphasized, the emphasis here is on God’s actions. I therefore prefer to read ejtrofofovrhsen. For a helpful discussion see B. M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament (Stuttgart 21994) 357. Others who follow this reasoning include C. K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 vols. (ICC, Edinburgh 1994–98) 1:632, and R. Pervo, Acts (Hermeneia, Minneapolis 2009) 335-36. E. Haenchen, The Acts of the Apostles: A Commentary (Philadelphia 1971) 408; G. Schneider, Die Apostelgeschichte (HThK NT 5.1–2, Freiburg/Basel/Wien 1980– 82) 2:125; and J. A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles (AB 31, New York 1998) 510-11, consider ejtrofofovrhsen a harmonization with Deut 1:31 and prefer ejtropofovrhsen. This is not a biblical figure. For a good summary of how the figure was reached see Barrett, The Acts of the Apostles (see n. 11) 1:633-34. Cf. also E. H. Merrill, “Paul’s Use of ‘About 450 Years’ in Acts 13:20”, BSac 138 (1981) 246-57. This is a traditional number. See also Josephus, A.J. 6.378, where he gives 18 years and 22 for a total of 40, a figure that differs with the number he gives in A.J. 10.143. For details see C. T. Begg, Flavius Josephus: Translation and Commentary, Vol. 4: Flavius Josephus, Judean Antiquities 5–7 (Leiden/Boston 2005) 204.

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David 22When he had removed (metasthvsa~) him, he raised up (h[geiren) David as their king, to whom he said (ei\pen) in a solemn statement (marturhvsa~): ‘I have found (eu|ron) David, the son of Jesse, a man after my heart, who will do (poihvsei) all my will.’ 23From the seed of this person, God, by promise, brought (h[gagen) a savior to Israel, Jesus. John the Baptist 24Before his entrance, John proclaimed (prokhruvxanto~) a baptism of repentance to all the people Israel. 25As John was completing (ejplhvrou) his course, he said (e[legen): ‘What do you suppose (uJponoei`te) that I am (ei\nai)? I am (eijmiv) not he. Look, there is one coming (e[rcetai) after me whose sandals I am (eijmiv) not worthy to untie (lu`sai).’

There are several aspects of this retelling of the story of Israel that we should note. Just as the author carefully marked out the major units of the speech through the repetition of the audience, so he marked off seven moments in the story of Israel through various temporal markers. I have underscored the temporal phrases above to call attention to them. It is worth noting that two of these are not biblical but traditional as indicated in the notes above. The temporal phrases serve not only to summarize a much longer story, but also to indicate the subunits of the rehearsal.14 The opening section on the ancestors lacks a temporal marker and does not need one. It is set off by the temporal phrase that opens the second subunit. The treatment of David lacks a temporal marker other than the opening aorist participle. The omission of a temporal phrase calls attention to the figure of David. The language of the text is also important to note. The retelling is saturated with the language of the LXX, although it does not cite it verbatim beyond the use of selected words and phrases (see the appendix).15 God is the subject of all of the verbal forms except the people’s 14

15

The numbers may have other functions as well. G. Delling, “Israels Geschichte und Jesusgeschehen nach Acta“, in H. Baltensweiler/B. Reicke (eds.), Neues Testament und Geschichte: Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament: Oscar Cullmann zum 70. Geburtstag (Zürich/Tübingen 1972) 191, suggested that the numbers connected the abbreviated events and demonstrated the length of time until the coming of the Messiah. There have been a number of studies that have addressed the specific references in detail. Some of the more important include: Delling, “Israels Geschichte und Jesusgeschehen nach Acta” (see n. 14) 187-97; Pillai, Early Missionary Preaching (see n. 4)

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request for a king (13:21), God’s own expression of confidence that David will do all his will (13:22), and the final section about John. This means that God is the subject of the story of Israel. The pattern is only broken when we come to John who is the immediate precursor to Jesus. We will return to this when we consider the function of the speech in Acts. The subject of the verbs may also help us to understand why the story is so spare in offering details about the heroes of Israel. The speech only mentions four figures by name: Samuel, Saul, David, and John. The omission of the names of the ancestors and Moses calls attention to the establishment of the monarchy. Samuel was, after all, the prophet who anointed the first two kings of Israel. Yet even here, the emphasis is on God who controls history and has guided it to the entrance of Jesus. The scope of the retelling of Israel’s past is striking. The author has elected to tell the story from Genesis through 1 Samuel. Why this selection of events? The first reaction that we might register is that the speech led up to David in order to set up the gospel in the second part that makes an explicit argument that Jesus fulfilled the promise made to David. While there is no doubt that this is correct, we might ask whether it exhausts the possibilities. Several have suggested that the retelling depends on a traditional retelling of Israel.16 We can do better. There are several examples of works that retell the story of Israel with the same scope. The first and most obvious is Ps 77 (78).17 The structure of this psalm and its nature have been widely discussed.18 It is not necessary for us to enter into these discussions other than to note that the psalm extends from the exodus to David or as Beat Weber cleverly wrote: “von Zoan nach Zion”19. The psalm treats the same basic material as the speech in Acts 13:

16

17 18

19

40-41; and F. F. Bruce, “Paul’s Use of the Old Testament in Acts”, in G. F. Hawthorne/ O. Betz (eds.), Tradition and Interpretation in the New Testament: Essays in Honor of E. Earle Ellis (Tübingen/Grand Rapids 1987) 71-79, esp. 71-73. E.g., O. Glombitza, “Acta XIII. 15–41. Analyse einer lukanischen Predigt vor Juden. Ein Beitrag zum Problem der Reden in Acta“, NTS 5 (1958–59) 306-17, esp. 308-10; Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte (see n. 9) p. 50; and Delling, “Israels Geschichte und Jesusgeschehen nach Acta“ (see n. 14) 190. Soards, The Speeches in Acts (see n. 4) 82, also noted the similarity. Some of the major studies include A. F. Campbell, “Psalm 78”, CBQ 41 (1979) 51-79; R. J. Clifford, “In Zion and David a New Beginning: An Interpretation of Psalm 78”, in B. Halpern/J. D. Levinson (eds.), Traditions in Transformation (Winona Lake [IN] 1981) 121-41; E. L. Gruenstein, “Mixing Memory and Design: Reading Psalm 78”, Prooftexts 10 (1990) 197-208, esp. 197-200, where he provides an overview of interpretations; and B. Weber, “Psalm 78: Geschichte mit Geschichte deuten”, TZ 56 (2000) 193-214. Weber, “Psalm 78” (see n. 18) 213.

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Vv. 1-8, an introduction Vv. 9-53, the exodus and wilderness Vv. 54-55, possession of the land Vv. 56-66, judges Vv. 67-72, Zion and David

The culmination in David could have served multiple functions depending on the Sitz im Leben of the psalm.20 Unfortunately, the possibilities extend from the lifetime of David to the Second Temple period. Whether we understand the psalm argued for the Davidic dynasty during the king’s life or one of his descendents or anticipated a future Davidic king, the psalm looked to Zion and David as the final point in the story of Israel. There is another work that retells the story of Israel up to the time of David, the Liber antiquitatum biblicarum of Pseudo-Philo.21 The first century Jewish author relates the story of Israel by drawing on the following biblical traditions: 1-19, the Pentateuch 20-24, Joshua 25-48, Judges 49-65, 1 Samuel

The work ends somewhat abruptly with the death of Saul and anticipation of the reign of David. The suddenness of the final scene has led many to argue that the ending has been lost, a distinct possibility.22 However, there are some good reasons for arguing that the book originally ended at this point.23 The narrative celebrates the righteous ruler. The character of some of the stories about David’s rise to or exercise of power (e.g., the episode with Bathsheba and Uriah) would have required the author to recast the stories appreciably or to offer a selective retelling of David’s life. It is entirely possible that the author elec-

20 21

22 23

For an overview of the positions with a bibliography see J. Goldingay, Psalms, vol. 2: Psalms 42–89 (Grand Rapids 2007) 481. E. Reinmuth, Pseudo-Philo und Lukas: Studien zum Liber Antiquitatum Biblicarum und seiner Bedeutung für die Interpretation des lukanischen Doppelwerks (WUNT 74, Tübingen 1994), has provided a detailed comparison between the two works but did not address the similarity of the scope of their treatments of Israel. Some of the major representatives of this view include M. R. James, The Biblical Antiquities of Philo (Translations of Early Documents Series 1: Palestinian Jewish Texts [Pre-Rabbinic], London 1917; repr. New York 1971) 60-65, 73. E.g., L. Feldman, “Prolegomena”, in James, The Biblical Antiquities of Philo (see n. 22) p. LXXVII, who questions whether it is unfinished; F. J. Murphy, Pseudo-Philo: Rewriting the Bible (New York/Oxford 1993) 16-18, and H. Jacobson, A Commentary on Pseudo-Philo’s Liber antiquitatum biblicarum, 2 vols. (Leiden/New York/Köln 1996) 1: 253-54.

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ted to anticipate the ideal ruler without having to retell the actual life.24 If so, it is another witness to a retelling of the story of Israel culminating in the figure of David. These texts demonstrate that Luke’s retelling of Israel’s story from the ancestors through David is not uniquely Christian. The broad level of agreement in scope among Ps 77(78), Pseudo-Philo, and the speech in Acts 13 suggests that the author was working with an established pattern of retelling Israel’s story. While there are no examples of Hellenistic Jewish historians who shared the same scope, it is entirely possible that there were other treatments similar to these that have been lost. Whether such speculation is valid or not, the pattern is clear. It was possible to retell the story of Israel and bring the culmination to David. Like his Jewish predecessors, Luke elected to bring the retelling of Israel’s story to a culmination in David in order to draw attention to the connection between David and his later descendent.25 The Gospel as the Fulfillment of Scripture. The second part of the speech proclaims the gospel and connects it back to the story of Israel. The section has two distinct subsections: the first proclaims the gospel and the second argues that the gospel is anchored in the Scriptures of Israel. We will look at each briefly. The Gospel Death 27For the residents of Jerusalem and their rulers were ignorant of this one and – although the voices of the prophets are read every Sabbath – fulfilled them by condemning him. 28Although they found no cause of death in him, they asked Pilate to have him executed. Burial 29When they completed everything written about him, they took him down from the tree and laid him in a tomb.26 Resurrection 30But God raised him from the dead. Appearances 31For many days he appeared 24 25

26

So Murphy, Pseudo-Philo (see n. 23) 16-18. There are a number of studies on the connection, e.g., L. Hartman, “David’s son: Apropa Acta 13, 16-41”, Svensk Exegetisk Arsbok 28–29 (1963–64) 117-34, and W. C. Kaiser, Jr., “The Promise to David in Psalm 16 and its Application in Acts 2:25-33 and 13:32-37”, JETS 23 (1990) 219-29, a rather tendentious reading of Ps 16. The Western text of vv. 27-29 is significantly different. For a discussion see Barrett, The Acts of the Apostles (see n. 11) 1:642-43.

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to those who had gone up with him from Galilee to Jerusalem, who are his witnesses to the people.

Many interpreters have noted the striking similarity between this section of the speech and the gospel as Paul laid it out in 1 Corinthians 15: 3-8: 3

For I delivered to you in the first place what I also received,

Death that Christ died on behalf of our sins according to the Scriptures, Burial 4that he was buried, Resurrection that he was raised on the third day according to the Scriptures, Appearances 5and that he appeared to Cephas, then to the twelve, 6then he appeared to more than five hundred brothers at one time – of whom most are still with us, although some have died – 7then he appeared to James, then to all of the apostles, 8and last of all – as if to one born out of time – he also appeared to me.

The similarities are striking. Both emphasize that the death of Jesus fulfilled Scripture, mention the burial en passant, argue that Jesus was raised in fulfillment of Scripture – although Luke does not mention that it was on the third day, and refer to the witnesses. In keeping with his understanding of witnesses,27 Luke does not include any reference to the risen Lord’s appearance to Paul. There can be little doubt that Luke drew on a traditional understanding of the gospel for this section of the speech. The following subunit expands on the claim that Jesus fulfilled the Scriptures in his death and resurrection. Luke drew from three major texts to develop his argument: Psalm 2:7; Isaiah 55:3; and Psalm 15(16): 10.28 27 28

See Acts 1:21-22 for the requirement to be with Jesus from the time of John the Baptist to the resurrection. There are a significant number of studies on the use of citations from the LXX in Acts including J. Dupont, “L’interprétation des psaumes dans les Actes des Apôtres”, in Le Psautier: Ses origenes. Ses problèmes littéraires. Son influence (Orientalia et biblica lovaniensia 4, Louvain 1962) 357-88, who deals with seven citations from the Psalter in Acts; M. Rese, “Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen in den Reden der Apostelgeschichte”, in J. Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres: Traditions, rédaction, théologie (BETL 48, Leuven 1979) 61-79, esp. 62-72, where he provides an overview of scholarship, and p. 72, where he offers a fivefold analysis of the functions of the citations; Sandt, “The Quotations in Acts 13,32-52” (see n. 9) 26-58; and J.

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The Fulfillment of Scripture Psalm 2:7 32We also announce the good news to you about the promise made to our ancestors, 33that God has fulfilled this for us, their descendents, by raising Jesus, as it is written in the second Psalm: You are my son, Today I begot you. Isaiah 55:3 34With respect to the fact that he raised him from the dead no longer to return to corruption, he said: I will give you the holy trusts (ta; o{sia Daui;d ta; pistav) of David. Psalm 16:10 35Since in another place he said: You will not allow your Holy One (to;n o{siovn sou) to see corruption. 36For after David served the will of God in his own generation he died, was added to his ancestors, and saw corruption. 37But God raised Jesus; he did not see corruption.

There are some obvious links among these texts, especially between the ta; o{sia of Isaiah 55:3 and the to;n o{sion of Psalm 16:10. It is possible that Luke drew from an early Christian testimonium for the collection of these texts, although these texts are not brought together elsewhere in the New Testament.29 Whether Luke drew them from a single source or simply knew them as significant royal Messianic texts, the point for our purposes is the same: they demonstrated the connection between David and the Messiah. A Pauline Conclusion. The third and final unit has a distinctive Pauline ring. Like the preceding section, it has two subunits: the first extends an offer of salvation while the second warns against rejection. The Offer of Salvation 38Let this be known to you brothers, that through him the forgiveness of sins is announced to you; from everything that you are not able to be justified by the law of Moses, 39the one who believes in him is justified.

29

Schmitt, “Kerygma pascal et lecture scriptuaire dans l’instruction d’Antioche (Act. 13,22-37)”, in Les Actes des Apôtres, 155-67, who argued that 2 Sam 7:11-14, was the key underlying text. On early Christian testimonia see C. H. Dodd, According to the Scriptures (London 1952), and B. Lindars, New Testament Apologetic: The Doctrinal Significance of the Old Testament Quotations (Philadelphia 1961).

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The Warning 40Pay attention that what was said in the prophets not befall you: 41Look you scoffers; marvel and vanish, because I am working a work in your days, a work that you will not believe even if someone explains it to you.

The offer of salvation is the most Pauline formulation in Luke or Acts: 30 it is the only time that faith and justification are linked. The association of “the forgiveness of sins” with justification is Deutero-Pauline. Paul never used the phrase a[fesi~ aJmartiw`n; a phrase that is a Lukan favorite.31 The closest that the Apostle comes is in Romans 3:25 when he speaks of the pavresi~ tw`n progegonovtwn aJmarthmavtwn. A Pauline disciple may have picked up on this when he equated redemption with “the forgiveness of sins” (ejn w|/ e[comen th;n ajpoluvtrwsin, th;n a[fesin tw`n aJmartiw`n).32 Whether the author of Colossians and the later author of Ephesians drew their inspiration from Romans or not, they did speak of “the forgiveness of sins”. Luke associates this (one of his preferred formulations) with the Pauline justification by faith. The specific formulation has led some to suggest that Luke believed that the law provided justification from many things and where it fell short, faith provided the remedy.33 This, however, puts too fine a point on the formulation.34 It is more likely that Luke simply used a Pauline formulation alongside one with which he was comfortable, “forgiveness of sins”, to represent the Pauline mission. The presence of the Pauline mission in the formulation is evident from the warning.35 Luke altered the citation of Habakkuk 1:5 in one 30

31 32 33 34 35

P. Vielhauer, “On the ‘Paulinism’ of Acts”, in L. E. Keck/L. Martyn (eds.), Studies in Luke-Acts (Philadelphia 1966) 33-50, esp. 41-43, argued against Luke’s knowledge of Paul. He suggested that Luke equated forgiveness of sins and justification, making justification a negative; that justification is associated with Jesus’ resurrection rather than his death; and that this justification is only partial. For a response see Barrett, The Acts of the Apostles (see n. 11) 1:651, who concluded: “Vielhauer then is not wholly right; but he is on the whole right.” The phrase appears 12x in the NT: 1x in Mark (Mark 1:4); 1x in Matthew (Matt 26:28), 1x in Colossians (Col 1:14), 1x in Ephesians (Eph 1:7), and 8x in Luke-Acts (Luke 1:77; 3:3; 24:47; Acts 2:38; 5:31; 10:43; 13:38; 26:18). Col 1:14 which is echoed in Eph 1:7. So A. von Harnack followed by Vielhauer, “On the ‘Paulinism’ of Acts” (see n. 30) 42. So also Haenchen, The Acts of the Apostles (see n. 11) 412 n. 4, and Fitzmyer, The Acts of the Apostles (see n. 11) 518-19. It is worth quoting the words of Haenchen, The Acts of the Apostles (see n. 11) 416-17: “The speech ends with an Old Testament warning that rumbles with the menace of an earth-tremor and drives home the responsibility of the Jews should they reject the message, God has an unexpected and surprising work in store. What is meant is not said. But the reader knows it is the mission to the Gentiles.”

The Understanding of the LXX in Luke-Acts

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significant way (see the appendix): he replaced the relative pronoun o{ with the noun e[rgon to draw attention to an already emphasized element. The work that Luke has in mind is the mission to the Gentiles. The subsequent narrative of the next Sabbath makes this unambiguously clear when the Jews rejected the offer of salvation and Paul and Barnabas turned to the Gentiles (13:44-47). God had begun to work a work in their days.

2. The Function of the Speech Why did Luke situate this speech at the outset of Paul’s mission in Acts? There have been a number of responses to this question. Some have defended the historicity of the speech as a close approximation to the speech that Paul delivered.36 This is problematic on several grounds: it presumes that the author had access to a reliable source for the speech and fails to recognize that the speech does not represent the thought of Paul as we know it from his letters. Martin Dibelius argued that the missionary speeches shared a common outline and represented the preaching of Luke’s day: “This is how the gospel is preached and ought to be preached!”37 More recently some have suggested that the sermon fits the pattern of preaching in Jewish synagogues; however, these reconstructions rest on multiple hypotheses.38 There is another possibility. Martin Dibelius also recognized that the speeches shared a common function with speeches in Hellenistic historiography: they cast light on the surrounding narrative. He wrote: “at vital points in the history of the community Luke has inserted speeches which do not necessarily fit the occasion but which have an obvious function in the book as a whole”. He gave Acts 13 as a specific example: it defends “the rightness of the mission to the Gentiles”39. A number of subsequent scholars have argued that the speeches are authorical compositions intended to illuminate the narrative.40 36 37 38

39 40

E.g., Pillai, Early Missionary Preaching (see n. 4) 67-71, 77-111, esp. 111. M. Dibelius, “The Speeches in Acts and Ancient Historiography”, in H. Greeven (ed.), Studies in the Acts of the Apostles (New York 1956) 165. J. W. Bowker, “Speeches in Acts: A study in Proem and Yelammedenu form”, NTS 14 (1967) 96-111, who is followed by Barrett, The Acts of the Apostles (see n. 11) 1:624. Bowker suggested that the seder was Deut 4:25-26, the haftarah was 2 Sam 7:6-16, and the proem was 1 Sam 13:14. For earlier efforts to situate the speech within a Jewish framework see the summary by Schneider, Die Apostelgeschichte (see n. 11) 2:130. Dibelius, “The Speeches in Acts and Ancient Historiography” (see n. 37) 175. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte (see n. 9) 55, 71, acknowledged the agreement of the speech with standard preaching, but emphasized the connection the author made between the speech and the narrative.

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I am convinced that the final view is correct. Most recognize that the author provided a table of contents for Acts at the outset of the narrative when he had Jesus say to the disciples: “You will receive power when the Holy Spirit comes on you and you will be my witnesses in Jerusalem, in all Judea and Samaria, and to the ends of the earth.”41 The three major geographical divisions correspond to the three major sections of Acts: 1:1–8:3, Jerusalem; 8:4–12:25, Judea and Samaria; 13:1– 28:31, the ends of the earth. It is not an accident that the two speeches that retell the story of Israel are situated at the critical turning points of the narrative.42 I earlier argued that Stephen’s speech set up narrative about Judea and Samaria by arguing that God had always dealt with the people outside of Jerusalem and the temple. Similarly, the speech of Paul defends the Gentile mission. The question is how. We need to return to the structure of the speech. Why did the author divide the speech as he did? The first part relates the story of Israel up to John the Baptist. The span thus covers the story of Israel from the ancestors through John. This aligns with Luke’s broader understanding of history. The evangelist viewed John as the transition point from the period of Israel to the period of Jesus and the Church. He attributed the following logion to Jesus: “The law and the prophets were until John, from that point on the kingdom of God is announced and everyone enters it by force.”43 Later he had Peter introduce the gospel to Cornelius and his house with a reference to John: “You know the message that went throughout Judea, beginning in Galilee after the baptism that John preached.”44 Both texts suggest that John was the terminus for the time of Israel. It is for this reason that Luke situated him within the story of Israel in the speech.45 There has been a debate in scholarship whether Luke thought of history in two or three periods. Hans Conzelmann thought that there were three distinct periods: Israel, Jesus, and the Church.46 Many con41 42

43 44 45

46

Acts 1:8. A number of scholars have pointed out that the speech is located at a critical juncture: Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte (see n. 9) 52; Pillai, Early Christian Missionary Preaching (see n. 4) 50-52, esp. 50; and de Silva, “Paul’s Sermon in Antioch of Pisidia” (see n. 4) 32, 41. Luke 16:16. Acts 10:37. Schneider, Die Apostelgeschichte (see n. 11) 2:134, correctly wrote: “er gehört in die Zeit vor Jesus, tritt vor der ei[sodo~ Jesu auf. Die Sätze über den Täufer (VV 24.25) haben parenthetischen Charakter; V 26 knüpft an V 23 an. Johannes der Täufer gehört in die Zeit der Propheten. Was er laut V 25 über Jesus sagt, ist noch Ankündigung (e[rcetai met∆ ejmev).“ See also Pervo, Acts (see n. 11) 336 n. 52. H. Conzelmann, The Theology of St. Luke (New York 1961) 12-15, 149-51. He was followed by J. Fitzmyer, The Gospel according to Luke, 2 vols. (AB 28–28A, Garden City, New York, 1981–85), 1:179-92, esp. 181-87.

The Understanding of the LXX in Luke-Acts

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temporary scholars think that there are two periods, promise and fulfillment, although fulfillment is frequently subdivided into Jesus and the Church. This subdivision is clearly marked in the double work by the coming of he Spirit: the Spirit descended on Jesus at the outset of his ministry47 and on the disciples on Pentecost.48 The explanations of these events mark new epochs in Luke’s understanding of Heilsgeschichte: the opening of Jesus’ proclamation of the kingdom and the beginning of the church. The author called both “beginnings”. In his preface he referred to “those who from the beginning were eyewitnesses and ministers of the message”49. This means those who accompanied Jesus from the outset of his ministry. Similarly, when Peter defended his offer of salvation to Cornelius before the Jerusalem church he mentioned the decisive event: “As I began to speak, the Holy Spirit fell on them just as it had on us at the beginning.”50 There are thus two beginnings: one in Jesus and one in the church. In an earlier work, I suggested that Luke’s view of Heilsgeschichte matched the literary works with which he was working.51 If we think of the promise and fulfillment, the scheme would look like this: Promise Israel Fulfillment Jesus Church

The Period

The Literary Work LXX Luke Acts

The fascinating aspect of this analysis is that the speech of Paul in Antioch of Pisidia matches this understanding of history. Promise Israel Fulfillment Jesus Church

47 48 49 50 51

The Period

The Unit in the Speech Acts 13:16-25 Acts 13:26-37 Acts 13:38-41

Luke 3:21-22, the baptism, followed by the explanation in 4:16-21, the sermon in the synagogue in Nazareth. The latter includes the citation of Isa 61:1. Acts 2:1-4, the descent, followed by the explanation in 2:17-21 that includes the citation of Joel 3:1-5 (LXX). Luke 1:2. Acts 11:15. G. E. Sterling, Historiography & Self-definition: Josephos, Luke-Acts & Apologetic Historiography (NovTSup 64, Leiden/New York/Köln 1992) 361-62.

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The sermon is thus a brief sketch of Luke’s understanding of Heilsgeschichte and is structured to reflect that grasp. Why place his understanding of Heilsgeschichte at this juncture? It is worth pointing out that there are some striking similarities between this text and the inaugural sermon of Jesus in Nazareth: both take place in a synagogue, both present the protagonist as the homilist for the day, both open the preaching ministry of each protagonist, and both warn against rejection.52 Just as Luke 4:16-30 is widely recognized as a set piece for the gospel, we should recognize that Acts 13:16-41 is a critical speech for the last part of Acts. The outset of the Pauline mission raised the entire issue of the inclusion of the Gentiles into the Church. Luke’s sermon argues that God worked through Israel to bring the savior and that the Pauline mission extends the offer of salvation to all. The Gentile mission is thus part of Heilsgeschichte. It is no accident; it is part and parcel of God’s plan for history.

3. Conclusion The final clause of the speech, “a work that you will not believe even if someone explains it to you”53, is a way of reminding us of the speech as a whole. This is precisely what the speech is intended to do: to explain God’s work. It does so by laying out an understanding of Heilsgeschichte that moves from Israel to Jesus to the Pauline mission. The story of Israel anticipated a Davidic Messiah. Jesus is that Messiah as his resurrection in fulfillment of the Scriptures demonstrates. It was on the basis of the resurrection that Luke had Paul offer salvation, a salvation that justified the believer in a way that the law could not. In this way not only does Jesus stand in continuity with Israel, but so does Paul. The final clause of the speech also reminds us of the author’s preoccupation with understanding the LXX. One of the functions of the risen Christ was to “interpret” the Scriptures54 or “to open the minds” of the disciples so that they could understand them.55 The disciples carried on this function in Acts, especially in the speeches. It is in the speeches that the author cited the LXX and explained the citations in terms of the story of Jesus. 52 53 54 55

D. Marguerat, The First Christian Historian: Writing the Acts of the Apostles (SNTSMS 131, Cambridge 2002) 136-41, compares the two under the heading of prophetic model of rupture. Acts 13:41. Luke 24:25-27, esp. 27. Luke 24:44-49, esp. 45.

The Understanding of the LXX in Luke-Acts

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On two pivotal occasions, he offered sweeping rehearsals of the story of Israel in the LXX. At first glance it might appear that Luke has used distinctly Christian perspectives in order to compose these rehearsals; however, we have shown that he had Jewish models for his understanding of the story of Israel. In this way the speeches encapsulate the author’s understanding of Heilsgeschichte: Christianity grew out of and was the extension of Judaism.

Appendix: The LXX in Paul’s Speech at Antioch of Pisidia56 Acts 13:16-41

Possible LXX Base

16

a[ndre~ ∆Israhli`tai kai; oiJ fobouvmenoi to;n qeovn, ajkouvsate. 17 oJ qeo;~ tou` laou` touvtou ∆Israh;l ejxelevxato tou;~ patevra~ hJmw`n kai; to;n lao;n u{ywsen ejn th/` paroikiva/ ejn gh/` Aijguvptou kai; meta; bracivono~ uJyhlou` ejxhvgagen aujtou;~ ejx aujth`~ 18 kai; wJ~ tesserakontaeth` crovnon ejtrofofovrhsen aujtou;~ ejn th/` ejrhvmw/

19

kai; kaqelw;n e[qnh eJpta; ejn th/` Canavan kateklhronovmhsen th;n gh`n aujtw`n 20 wJ~ e[tesin tetrakosivoi~ kai; tenthvkonta. kai; meta; tau`ta e[dwken krita;~

Deut 4:37

dia; to; ajgaph`sai aujto;n tou;~ patevra~ sou kai; ejxelevxato to; spevrma aujtw`n met∆ aujtou;~ uJma`~ kai; ejxhvgagevn se aujto;~ ejn th/` ijscuvi aujtou` th/` megavlh/ ejx Aijguvptou . . . Deut 1:31

kai; ejn th/` ejrhvmw/ tauvth/, h}n ei[dete, wJ~ ejtrofofovrhsevn se kuvrio~ oJ qeov~ sou . . . Deut 7:1 eja;n de; eijsagavgh/ se oJ kuvrio~ oJ qeov~ sou eij~ th;n gh`n, eij~ h}n eijsporeuvh/ ejkei` klhronomh`sai, kai; ejxarei` e[qnh megavla kai; polla; ajpo; proswvpou sou . . .

Judg 2:16

kai; h[geiren aujtoi`~ kuvrio~ kri-

tav~

56

The LXX texts listed in the synopsis are not exhaustive. In some cases the expression in Acts is paralleled in a number of LXX texts. The point of the synopsis is not to be exhaustive, but to illustrate the pervasive influence of the LXX.

116

Gregory E. Sterling

e{w~ Samouh;l [tou`] profhvtou. 1 Kgdms 8:10

21

kajkei`qen h/jthvsanto basileva

kai; e[dwken aujtoi`~ oJ qeo;~ to;n Saou;l uiJo;n Kiv~, a[ndra ejk fulh`~ Beniamivn, e[th tesseravkonta, 22 kai; metasthvsa~ aujto;n h[geiren to;n Daui;d aujtoi`~ eij~ basileva w/| kai; ei\pen marturhvsa~: eu|ron Daui;d to;n tou` ∆Iessaiv,

kai; ei\pen Samouhl pa`n to; rJh`ma kurivou pro;~ to;n lao;n tou;~ aijtou`nta~ par∆ aujtou` basileva 1 Kgdms 10:21 kai; prosavgei skh`ptron Beniamin eij~ fulav~, kai; kataklhrou`tai fulh; Mattari: kai; prosavgousin th;n fulh;n Mattari eij~ a[ndra~, kai; kataklhrou`tai Saoul uiJo;~ Ki~.

1 Kgdms 15:23

kai; ejxoudenwvsei se kuvrio~ mh; ei\nai basileva ejpi; Israhl

Ps 88(89):21

eu|ron Dauid to;n dou`lovn mou kai; zhthvsei kuvrio~ eJautw/` a[nqrwpon kata; th;n kardivan aujtou`, Isa 44:28 pavnta ta; qelhvmatav mou poihvsei Ps 88:4-5 w[mosa Dauid tw/` douvlw/ mou e{w~ tou` aijw`no~ eJtoimavsw to; spevrma sou 1 Kgdms 13:14

a[ndra kata; th;n kardivan mou, o}~ poihvsei pavnta ta; qelhvmatav mou. 23 touvtou oJ qeo;~ ajpo; tou` spevrmato~ kat∆ ejpaggelivan h[gagen tw/` ∆Israh;l swth`ra ∆Ihsou`n, 24 prokhruvxanto~ ∆Iwavnnou pro; proswvpou th`~ eijsovdou aujtou` bavptisma metanoiva~ panti; tw/` law/` ∆Israh;l. 25 wJ~ de; ejplhvrou ∆Iwavnnh~ to;n drovmon, e[legen: tiv ejme; uJponoei`te ei\nai… oujk eijmi; ejgwv: ajll∆ ijdou; e[rcetai met∆ ejme; ou| oujk eijmi; a[xio~ to; uJpovdhma tw`n podw`n lu`sai. 26 “Andre~ ajdelfoiv, uiJoi; gevnou~ ∆Abraa;m kai; oiJ ejn uJmi`n fobouvmenoi to;n qeovn, hJmi`n oJ lovgo~ th`~ swthriva~ tauvth~

Ps 106(107):20

ajpevsteilen to;n lovgon aujtou`

The Understanding of the LXX in Luke-Acts

ejxapestavlh. 27 oiJ ga;r katoikou`nte~ ejn ∆Ierousalh;m kai; oiJ a[rconte~ aujtw`n tou`ton ajgnohvsante~ kai; ta;~ fwna;~ tw`n profhtw`n ta;~ kata; pa`n savbbaton ajnaginwskomevna~ krivnante~ ejplhvrwsan, 28 kai; mhdemivan aijtivan qanavtou euJrovnte~ h/jthvsanto Pila`ton ajnaireqh`nai aujtovn. 29 wJ~ de; ejtevlesan pavnta ta; peri; aujtou` gegrammevna, kaqelovnte~ ajpo; tou` xuvlou e[qhkan eij~ mnhmei`on. 30 oJ de; qeo;~ h[geiren aujto;n ejk nekrw`n, 31 o}~ w[fqh ejpi; hJmevra~ pleivou~ toi`~ sunanaba`sin aujtw/` ajpo; th`~ Galilaiva~ eij~ ∆Ierousalhvm, oi{tine~ [nu`n] eijsin mavrture~ aujtou` pro;~ to;n laovn. 32 Kai; hJmei`~ uJma`~ eujaggelizovmeqa th;n pro;~ tou;~ patevra~ ejpaggelivan genomevnhn, 33 o{ti tauvthn oJ qeo;~ ejkpeplhvrwken toi`~ tevknoi~ [aujtw`n] hJmi`n ajnasthvsa~ ∆Ihsou`n wJ~ kai; ejn tw/` yalmw/` gevgraptai tw/` deutevrw/: uiJov~ mou ei\ suv, ejgw; shvmeron gegevnnhkav se. 34 o{ti de; ajnevsthsen aujto;n ejk nekrw`n mhkevti mevllonta uJpostrevfein eij~ diafqoravn, ou{tw~ ei[rhken o{ti dwvsw uJmi`n ta; o{sia Daui;d ta; pistav. 35 diovti kai; ejn eJtevrw/ levgei: ouj dwvsei~ to;n o{siovn sou ijdei`n diafqoravn.

kai; ijavsato aujtouv~

Ps 2:7

uiJov~ mou ei\ suv, ∆Egw; shvmeron gegevnnhkav se:

Isa 55:3

ta; o{sia Dauid ta; pistav

Ps 15(16):10

oujde; dwvsei~ to;n o{siovn sou ijdei`n diafqoravn.

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118

Gregory E. Sterling

36

Daui;d me;n ga;r ijdiva/ genea/` uJphrethvsa~ th/` tou` qeou` boulh/` ejkoimhvqh kai; prosetevqh pro;~ tou;~ patevra~ aujtou` kai; ei\den diafqoravn. 37 o}n de; oJ qeo;~ h[geiren, oujk ei\den diafqoravn. 38 gnwsto;n ou\n e[stw uJmi`n, a[ndre~ ajdelfoiv, o{ti dia; touvtou uJmi`n a[fesi~ aJmartiw`n kataggevlletai, [kai;] ajpo; pavntwn w|n oujk hjdunhvqhte ejn novmw/ Mwu>sevw~ dikaiwqh`nai, 39 ejn touvtw/ pa`~ oJ pisteuvwn dikaiou`tai. 40 blevpete ou\n mh; ejpevlqh/ to; eijrhmevnon ejn toi`~ profhvtai~: 41 i[dete, oiJ katafronhtaiv, kai; qaumavsate kai; ajfanivsqhte, o{ti e[rgon ejrgavzomai ejgw; ejn tai`~ hJmevrai~ uJmw`n, e[rgon o} ouj mh; pisteuvshte ejavn ti~ ejkdihgh`tai uJmi`n.

3 Kgdms 2:10

kai; ejkoimhvqh Dauid meta; tw`n patevrwn aujtou` kai; ejtavfh ejn povlei Dauid.

Hab 1:5

i[dete, oiJ katafronhtaiv, kai; ejpiblevyate kai; qaumavsate qaumavsia kai; ajfanivsqhte, diovti e[rgon ejgw; ejrgavzomai ejn tai`~ hJmevrai~ uJmw`n, o} ouj mh; pisteuvshte ejavn ti~ ejkdihgh`tai.

Circular or Teleological, Universal or Particular, With God or Without? On 1–2 Maccabees and Acts* DANIEL R. SCHWARTZ

1. Acts like Second Maccabees: Works of Hellenistic Jewish Historiography If we set aside monographs like the Letter of Aristeas, Third Maccabees, Philo’s Embassy to Gaius and In Flaccum, and Josephus’ Judaean War, which are all devoted to short episodes, on the one hand, and Josephus’ all-embracing Jewish Antiquities, on the other, the result is that First and Second Maccabees are the works of Greco-Roman Jewish historiography most readily comparable to Luke’s Acts of the Apostles. The three works are of similar length, and they deal with events spread over a few decades. More importantly: from the point of view of contents, they all deal with the place of the Jews in a world ruled by a western empire. At first glance, there are obvious similarities between Acts and Second Maccabees. Both were originally written in Greek; both focus not on wars but on religious communities, giving great prominence to martyrs;1 both give much attention to Greek cities, and compare life as a Jew to life according to the laws of a polis (note politeuesthai at 2 Macc 6:1 and Acts 23:1);2 both are quite universalistic, quite open to others * 1

2

This paper is one of several products of a most fruitful period spent, in the spring of 2008, in the congenial context of the Netherlands Institute for Advanced Study. For 2 Maccabees, note that the whole story turns around the pivot of Chs. 6–7, that document martyrdoms at length and are followed by the book’s turning point: God’s wrath turning into mercy (8:5). See esp. J. W. van Henten, The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees (JSJ Supplement 57, Leiden 1997). As for Acts, apart from the basic orientation around Jesus, it is enough to note that, as we shall see, it is the martyrdom of Stephen (Ch. 7) and the ensuring persecution (8:1) that propel the Gospel out from Jerusalem toward the Gentiles (Chs. 8– 11), just as it is the persecution recorded in Ch. 12, that begins with the martyrdom of James the brother of John, that propels the Gospel abroad (Chs. 13ff.). Below we will note how the opening of the story of 2 Maccabees (3:1-3) and its end (15:37) underline the book’s focus upon Jerusalem. As for Acts, the whole story is a move from the Jews’ city to the Romans’, punctuated by Paul’s travels from one polis

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Daniel R. Schwartz

since after all we are all “men”3; both include colorful “death of persecutor” stories, even including the worms (2 Macc 9:9; Acts 12:23); both take care to eliminate any notion that their heroes could be suspected of informing to the government against their fellow Jews (2 Macc 4:5//Acts 28:19), just as they feature wicked informers among the villains of their stories;4 etc. In contrast, there seems to be little to compare between Acts and First Maccabees – a work that focuses upon wars and the dynasty that arose by starting them and winning them. At best, we might point to the way Luke prefers Romans to Greeks,5 something paralleled by First Maccabees’ enthusiasm for the Romans (Ch. 8) – as well as for the Spartans, those most Roman of Greeks,6 who in First Maccabees are always paired with them (12:1-23; 14:16-24).7

3

4 5

6 7

to another along the way. Note, correspondingly, how Paul’s origin in Tarsus, “no mean city”, constitutes his claim to respectability (21:39). Note especially 2 Macc 4:35, where good Gentiles are of course upset about the murder of Onias since he is “a man” (for a similar scene, but without that term, see ibid., v. 49), and Acts 10:1, where the introduction of Cornelius as “a man” guarantees the way the debate about including him will end. Another aspect of this is the way 2 Maccabees (2:21; 8:1; 14:38) characterizes being Jewish as a matter of adherence to “Judaism” – an abstract term that by its nature is available to all people – just like “Hellenism” (4:13) and “foreignism” (both in 4:13). Cf. my “Judaism in 2 Maccabees: A Response to Steve Mason” (forthcoming). 2 Macc 3:4-6; 6:11; 14:37; Acts 16:19-21; 17:6; 18:12-13; 24:1-9. For a caricature of Greeks – who don’t build bridges or roads or win wars, but only sit around and talk about new concepts – that Romans would like to hear, see Acts 17:21 on the Athenians, those quintessential Greeks. Romans, in contrast, are serious people, and don’t have time for such empty “words and names” (18:15). Similarly, note also the excitable mob of eastern Greeks portrayed at 19:24-34 – and the way it is subdued by the fear of Roman law and order (v. 40); and note that Paul’s accusers enlist the services of a rhetor (24:1-9) but do not fool the Roman governor (cf. n. 7, on Josephus). For other Roman protection of Acts’ heroes, see below, n. 14. In general, see P. W. Walaskay, “And so we came to Rome”: The Political Perspective of St. Luke (SNTSMS 49, Cambridge 1983) – who concludes that “throughout his writings, Luke has carefully, consistently, and consciously presented an apologia pro imperio to his church” (p. 64). On Roman “laconism”, see E. Rawson, The Spartan Tradition in European Thought (Oxford 1969) 99-115. So too Josephus, in his Romanizing anti-Greek stance, singles out the Spartans as exceptional, quasi-Roman Greeks. See Against Apion 2.130, 172, 225-231, along with Rawson, ibid., 95-98, and M. Goodman, “Josephus as Roman Citizen”, in F. Parente/ J. Sievers (eds.), Josephus and the History of the Greco-Roman Period: Essays in Memory of Morton Smith (StPB 41, Leiden 1994) 334-336. For Josephus’ repeated attacks upon Greeks as wordy and dishonest, see War 1.13-16, Against Apion 1.23-27, and Life 40. For the Roman prejudices upon which this plays, see for example Plutarch, Life of Marcus Cato, 22-23, and N. Petrochilos, Roman Attitudes to the Greeks (S. Saripolo’s Library 25, Athens 1974).

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2. Acts like First Maccabees: Goes Somewhere However, from another point of view the matter is very different. Namely, if we ask what changed, from the beginning of Second Maccabees to its end, the answer is – very little. The story begins with all just fine – “once upon a time” the Jews observed the laws and the kings respected them, their city, and their Temple (3:1-3), and so too it ends, twelve chapters later, with all just fine and the Jews living happily ever after; the story is created by some ups and downs (actually: downs and ups) in between, and the book ends when the original idyllic situation is restored.8 True, there is some difference between the end and the beginning, insofar as at the outset of the book the Seleucids are ruling Jerusalem and in the end the Jews (“the Hebrews”) are (15:37). But the author makes no effort to flesh that difference out, or even to point it out, just as at the outset of the story he made it seem as if it were really the high priest (3:1), “the high priest of the city” (3:9), who was ruling the city; the Seleucids are far in the background, getting involved only to support Jewish Jerusalem from afar (3:2-3); if they come closer, it was only due to a misunderstanding (3:4ff.). In both First Maccabees and Acts, in contrast, the stories end very differently from the way they begin, and that is indeed the point of each book. They are very teleological books, nothing circular about them. To begin with First Maccabees: it is clearly built to lead us to the conclusion that the Hasmoneans in general, and the line of Simeon in particular, should rule Judaea. Namely, the book begins in Ch. 1 with the troubles that come along with foreign rule, and that chapter ends in the pits of despair with no relief in sight – which sets us up for Ch. 2, which begins with salvation beginning “meanwhile, on the other side of town”, in Modiin,9 just as the rest of the work is built as the story of the successive members of that saving dynasty: Mattathias (Ch. 2), Judas (Chs. 3–9), Jonathan (Chs. 9–12), and Simeon (Chs. 13–16). In case anyone missed the point, moreover, the midst of Simeon’s tenure is punctuated in Ch. 14 by the ratification of a long popular proclamation recounting the Hasmoneans’ accomplishments but focusing upon Sime8

9

Note – as some translations do not – that the use of the genetivus absolutus in 15:37 indicates that it is because the city was again controlled by the Jews that the author can end his book. On the translation of this verse, see D. R. Schwartz, 2 Maccabees (Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin 2008) 556-557. The comparison with the move from the end of Exodus 1 to the opening of Exodus 2 is obvious – just as obvious as the contrast with the move from 2 Maccabees 6–7 to the next chapter, where it is the blood of the martyrs that makes for the turnabout; see esp. 8:3-4. In 1 Maccabees, the suffering of martyrs depicted at the end of Ch. 1 only illustrates the problem; it contributes nothing to the solution.

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on and granting him rule forever (14:41), which apparently implies succession by his sons (who are mentioned ibid., v.49) – and, indeed, when Simon dies, he is succeeded by his son, John Hyrcanus. It is precisely at this point, and with pointed emphasis upon the fact that John succeeded his father (which brought stability to the dynasty, as opposed to brothers succeeding one another, which did not), that the book ends (16:23-24). That is, the book begins with The Problem, foreign rule, and ends with The Solution – Hasmonean rule, having explained, along the way, why that dynasty was worthy of ruling.10 Similarly, the end of Acts is very different from its beginning. The book opens among Jews in Jerusalem, indeed, with Jesus’ command to his disciples that they “remain in Jerusalem” (Acts 1:4), and ends among non-Jews in Rome, right after Paul announces, for the third and final time in this book (13:46-47; 18:6), that he is giving up on the Jews and turning his mission to the Gentiles. And, indeed, the story along the way is structured just as teleologically as is 1 Maccabees. Most generally, we may note that the major move in the book, from Judaean disciples in the first half of the book to Paul, of Tarsus, in the latter half, may be compared to 1 Maccabees’ moves from one Hasmonean to the next. But beyond that as well, and more fundamentally, we may note that the structure of the book embodies thematic moves that propel us along toward its telos. Namely, after beginning in Chs. 1–5 with very Jewish horizons (Acts 1:6-8),11 centering on teaching in the Temple (2:46; 3:1ff.; 4:1; 5:12), 10

11

For a more detailed aspect of the book’s teleological nature, note the way Mattathias, in his deathbed speech (2:65), is made to bequeath rule to Simeon, although that contradicts the facts of the story, which goes on to have Mattathias succeeded first by Judas and then by Jonathan. That is, Mattathias’ deathbed bequest is probably post factum legitimizing, by the winners, of the way things turned out. On this speech, see J. Sievers, The Hasmoneans and Their Supporters From Mattathias to the Death of John Hyrcanus I (SFSHJ 6, Atlanta 1990) 36: “Simon is given a role of prominence, he is to be regarded as father, although he never takes center stage in the account of 1 Macc until 142 BCE. His position may result from the fact that his descendants continued the Hasmonean dynasty. Judah therefore takes second place” – although the immediate continuation of the story, at 3:1, has Judas inheriting his father, however much some harmonizers would rather avoid that fact. Note, for example, that although at 9:31 the Revised Standard Version has no problem rendering kai; ajnevsth...ajnt∆ ...aujtou` by “took the place of his”, when it comes to the exact same plain words at 3:1 they are rendered “took command in his place” – a desperate attempt to hint that Judas’ authority was limited to the military field, thus allowing Simeon to inherit a higher authority. In fact, however, as Sievers notes, there is nothing in the story to indicate that he did; he hardly figures in 1 Maccabees until Ch. 9, and when he did, it is to take orders from Judas (1 Macc 5:17)! In this connection, I will note that I am not satisfied by the traditional understanding of Acts 1:8, that has Jesus referring to a world-wide mission. See, for example, F. F. Bruce, The Acts of the Apostles: The Greek Text with Introduction and Commentary (London ²1952) 71: “The whole verse, including the promise of the Spirit, the gift of pow-

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so those who wanted to be near them had to come to Jerusalem (5:16), Acts moves on successively to undermine, one after another, the three central pillars of Jewish identity, as follows: Chs. 6–7: Undermining of Jewish place: “Hellenists” in the church (6:1), with their Greek names in 6:5, arguing with Jews of Hellenistic Diaspora (6:9); Stephen’s speech emphasizes God isn’t linked to any particular place12 – so when persecution begins there is no theological reason not to scatter elsewhere (8:1, 4; 11:19). Chs. 8–11: Undermining of Jewish descent: Preaching among Samaritans (8:5-25), who for Luke are “members of another genos” (Luke 17:18), and to an Ethiopian eunuch (8:27-39) whose genos is anything but clear;13 introduction of Paul (Ch. 9), who – as readers know – will be an apostle to the Gentiles; baptism of Cornelius (Ch. 10) and its ratification by the Church (Ch. 11) – a story told twice, and at great length, and culminating with the festive proclamation that Gentiles too can be saved (11:18) and followed by notice that, as a matter of fact, some members of the early community had already been preaching to Gentiles (11:19-20). [Chs. 12–14: An interlude, drawing conclusions from the preceding

12

13

er, and the geographical instructions, forms a summary of the narrative of Ac; chs. ivii are placed in Jerusalem, viii-ix in Judaea and Samaria, and x-xxviii take us step by step from Caesarea to Rome”; so too H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7, Tübingen ²1972) 27: “8b enthält Programm und Dispositionsschema des Buches ...”; and, more recently, P. Pokorný, “’…bis an das Ende der Erde’: Ein Beitrag zum Thema Sammlung Israels und christliche Mission bei Lukas”, in id./J. B. Souček (eds.), Bibelauslegung als Theologie (WUNT 100, Tübingen 1997) 315-325. For the question in v. 6 refers to the restoration of the Kingdom of Israel, and the response doesn’t reject that local and national perspective; rather, when speaking about evangelizing, v. 8 refers to Jerusalem, Judaea, Samaria, and the ends of the gê – which here, in context, should mean “land”. Only later, under the impact of the process yet to be described, will Luke’s Paul artistically reinterpret it to mean “earth”. See my “The End of the GH (Acts 1:8): Beginning or End of the Christian Vision?”, JBL 105 (1986) 669-676. And see below, Part III. See esp. Acts 7:2, 9 and 33 (God’s appearances abroad), 44 (the wandering Tabernacle legitimate), 48-49 (but the fixed Temple was not). For this understanding of the speech, see my Studies in the Jewish Background of Christianity (WUNT 60, Tübingen 1992) 117-122. On the one hand “Ethiopian eunuch” doesn’t sound very Jewish, on the other he is said to have been returning from worship in Jerusalem and reading Isaiah, but back on the first hand we may note that non-Jews could do both. Haenchen concluded that Luke meant us to understand the man was a proselyte to Judaism, but that seems to derive mainly from his certainty that Luke wouldn’t want to report evangelization of non-Jews prior to the events of Chs. 10–11; see E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 171998) 271, 274-275. Perhaps, however, we should prefer to think that Luke, by referring first to the Samaritans and then to this hard-to-define individual, is artfully leaving the issue fuzzy, suggesting to us to consider the issue and wonder about it and thus preparing us for the explicit discussion of it that is soon to come.

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two steps of the argument: a persecution can now be followed by a move of the movement abroad, and to non-Jews – why not? But that creates a large number of non-Jewish members of the Church, which in turn raises, in a big way, the question about the last element of Jewish identity (what must these new converts do?), and so brings us to…] Ch. 15: Undermining of Jewish law: the question, what Gentile converts must do, to be saved, is raised frontally, just as frontally as was the ethnic issue in Chs. 10–11, and answered just as clearly: apart from a few tantalizing exceptions (vv. 20, 29), such new Christians need not observe Jewish law. Jewish law is Moses’ law, and those turning to God need not go via Moses (15:19-21). At this point, more or less the middle of the book, Paul is now prepared to return abroad, to the world of the Gentiles, and preach a law-less version of Judaism that promises them salvation. All that is lacking now are a few more cases of Jewish hostility, coupled with Roman protection,14 to make it perfectly clear that the Church’s future is with Rome and without the Jews. Since the theology of that has been prepared, that is the conclusion to which the book makes its way.

3. Three Ways of Dealing with a Non-Jewish World Having thus contrasted Second Maccabees, which ends up by going nowhere, to First Maccabees and Acts – books that lead us along routes that show very significant change, I will now add that the type of story Second Maccabees tells is very familiar from Jewish diasporan historiography. Within the biblical corpus the best example is the book of Esther, which begins with everything fine for the Jews of Persia, and ends the same way, and tells in between a story about their troubles. But the same is true of 3 Maccabees too, where things are fine between Ptolemy IV and his Jewish subjects at the beginning of the book and at the end; and it is just as true of Philo’s In Flaccum, where the Jews and the Romans get along just fine at the beginning of the story and where, by the end of the story, the Roman emperor mercilessly punishes, and demonstratively executes, his unworthy representative in Egypt who had been responsible for the Jews’ sufferings in between. The same probably could be said of Philo’s Embassy to Gaius too, although in this case the happy ending is lost.15 14 15

Acts 18:12-17; 21:30-39; 24-26; J. Dupont, “Aequitas Romana: Notes sur Actes 25,16”, in id., Études sur les Actes des Apôtres (LD 45, Paris 1967) 527-552. In the last paragraph of the book as we have it, where things are as bad as can be, Philo promises a palinode (“recantation”), which presumably wound the story back

On 1–2 Maccabees and Acts

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In all of these cases, the world that the writers bespeak is, accordingly, basically quite static. Now and then things go wrong, and that makes for suffering, although also for interesting stories, but fundamentally things are fine and hence require no major change. Accordingly, they in fact undergo no major change. And there is a general logic to this as well, namely, things are fine because the conditions of Jewish existence are fine: there is a providential God above Who looks after His Jewish subjects, and the temporal rulers, Gentiles, are basically and usually fine as well. When things go wrong, it’s either (as in 2 Maccabees) because of the Jews’ sins16 or else due to some glitch, such as a misunderstanding or the improper interference of some hostile underling of the king – but nothing that reflects the system as it really is, as a rule. Thus, to review our examples: Second Maccabees opens (after the two prefatory chapters) with the emphatic statement that most foreign kings respect the Jews and their institutions (3:1-3), and even when the exceptional Antiochus Epiphanes, due to a misunderstanding (5:11: “he inferred [wrongly] that Judaea was in revolt”), attacks the Jews and robs the Temple, it is underlined that he is quite exceptional: the items he robbed from the Temple were in fact votive offerings given by his own predecessors and colleagues (5:16: “seizing with his profane hands the votive offerings which had been given by other kings for the aggrandizement, honor and respect of the Place”)! Similarly, according to Third Maccabees (1:9-15) Ptolemy IV became angry with the Jews only because he mistakenly interpreted their refusal to allow him entrance into the Temple as if it were an insult directed against him, not realizing that the Jews too were forbidden to enter it. Or, taking another tactic to explain troubles, after 2 Maccabees 11 relates how Antiochus’ successor made peace with the Jews, troubles resume two verses later (12:2) because some local sub-governors wrongly stirred up hostilities (12:2) – just as according to Esther things were basically fine in Persia, to begin with, and the Jews encountered problems only because Haman, who had an ego-problem with Mordechai, managed to mislead the king, for a time, into thinking that the Jews in general are disloyal

16

down to a happy end; see E. M. Smallwood, Philonis Alexandrini Legatio ad Gaium (Leiden 1961, ²1970) 324-325. For a detailed account of the whole episode, which goes so far as to suggest that in fact Gaius’ decision to revoke his plan, reported by Philo, Embassy 333, and Josephus, Antiquities 18.298-301, was final, and that his turnabout reported by Philo at § 337 and by Josephus at §§ 302-304, according to whom he reverted to his original plan, was only an invention of theologically-minded Jewish storytellers who wanted to make sure that God had the last word, see P. Bilde, “The Roman Emperor Gaius (Caligula)’s Attempt to Erect his Statue in the Temple of Jerusalem”, ST 32 (1978) 67-93, esp. 86-89. See esp. the author’s explicit remarks at 4:16-17; 5:17-20; 6:12-17; also the youngest son’s words at 7:38.

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(Esther 3:1-11). Similarly, just as with Esther’s Haman and Ahaseurus, so too with Philo’s In Flaccum: troubles beset the Jews only so long as it took the king to discover the real state of affairs, at which point he stepped in, punished his criminal underling, and restored things to the way they should be. And the same, of course, was the case for Philo’s Embassy, which gives us examples of both types of explanations: both an exceptional emperor, who was crazy and therefore no indication of the general nature of Roman rule, and criminal underlings – Sejanus (§§ 159-161) and Pilate (§§ 304-305), who are of course put in their place by a proper emperor, Tiberius, who of course looked out for his loyal Jewish subjects, just as Augustus too had done (§§ 309-320). That, then, is one way Jews could deal with the non-Jewish world: allow it to rule them, and expect – in return for obedience to the laws of the realm – protection and respect. It is a very diasporan point of view, predicated upon what we would term, today, a separation of religion and state: the Jews understand themselves, qua Jews, as adherents of a religion that does not compete with the state, and in return expect the state to allow them, for that very reason, to observe their religion.17 It is a way that requires no hope for any major change, and, indeed, the books we have surveyed evince no interest in one. Another way to deal with the non-Jewish world is that taken by First Maccabees: it bespeaks, obviously, the desire to achieve Jewish self-rule. Accordingly, it expresses thorough hostility toward non-Jews – at least those who, as opposed to the Romans and the Spartans, are close enough to try to rule Judaea – and assumes they share the same hostility toward Jews. Note especially 1 Maccabees 1:9, where 150 years of Gentile rule, from Alexander the Great until Antiochus IV Epiphanes, are summarized as “much wickedness”; 1:20, where no need is felt to explain why Antiochus Epiphanes attacked Jerusalem;18 and 5:1 and 12:53, where “the Gentiles roundabout” are of course assumed to regularly attack the Jews whenever they can, whether they are up or down. Insofar as this attitude refuses to allow non-Jews to rule Judaea, it might be characterized, in contrast to Second Maccabees, as rejecting a separation of religion and state.19 However, whether it in fact entailed 17

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Compare Shevet Yehudah, Ch. 60, a sixteenth-century work of diasporan historiography, which asserts “the king of Portugal was a gracious king” so of course the Lisbon massacre of 1506 could take place only in his absence; see Y. H. Yerushalmi, The Lisbon Massacre of 1506 and the Royal Image in the Shebet Yehudah (HUCA Supplement 1, Cincinnati 1976) 61. Apparently the author felt that the 150 years of wicked antecedents of this “sinful root” (1:10) were enough explanation. Contrast 2 Macc 5:11, cited above, where if Antiochus attacked Jerusalem it must have been due to a misunderstanding. To phrase this in terms of recent debate (see above, n. 3), it seems clear that the Ioudaioi who interested the author of First Maccabees were “Judaeans”, not “Jews”.

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Jews continuing to adhere to their religion, once they have their state, is another question, to which we shall return. Be that as it may, neither of these two approaches to the non-Jewish world includes any attempt to preach to it, to change it. The first, that of Second Maccabees, posits that world as is; the second, that of First Maccabees, tries to change the Jews’ place in the world by rebelling against it and replacing it, throwing it out of Judaea, which it had invaded. But of the Gentiles who had invaded Judaea, and for them, the author of First Maccabees has no expectations; if the author of Second Maccabees thought they were fine the way they are, the author of First Maccabees thought they were despicable but also incorrigible and anyway not his business, so long as his heroes could keep them far away. So neither had a vision of the future being different from the present: for Second Maccabees the present has always been just fine, basically, and for First Maccabees, while there had been something fundamentally wrong, namely Gentile rule of Judaea, it has now been overcome.20 To the extent the author of First Maccabees is aware of any messianic dreams or prophecies, he has made sure his Hasmoneans fulfilled them; see esp. 14:8-13 together with Zechariah 3:10, 8:4-6, 12 and similar messianic texts elsewhere in the Bible.21 A third approach, which differs from both of those, is that taken by the Church in general, and by Luke, in Acts, in particular. Namely: while similar to Second Maccabees it posits a separation of religion and state and so leaves temporal rule to the non-Jewish powers, and even assumes – again as Second Maccabees – that those powers are basically respecting and respectable, its basic stance, as that of First Maccabees, is that the non-Jewish kingdom ought to be replaced. True, it does that not by fighting it and trying to overcome it, but by preaching to it and attempting to change it thereby into something else. But nevertheless its basic stance is that the world as is is not just fine, and so it holds out a hope of a better one – the kingdom of God. Which leads us to our final observation about the relationship of these three books.

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Note, in this connection, that the author of First Maccabees has nothing to say about the Jews of the Diaspora. Indeed, note that although 1 Macc 9:27 points to the fact that prophecy had ceased as if it were sad, given the fact that prophecy might upset his patron’s rule (14:41) it is difficult to imagine he looked forward to its renewal. See J. A. Goldstein, I Maccabees (AB 41, Garden City, New York 1976) 490-491.

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4. Where is God? In concluding his work with Paul preaching the Kingdom of God (Acts 28:31), after he opened it just as pointedly with Jesus’ disciples asking him about the restoration of the Kingdom of Israel (1:6), Luke is taking a stand on a most basic issue. For while some commentators might prefer to equate the two kingdoms, and point to the end of the book as if it fulfills the mission defined at its outset,22 it seems to me likelier that we are meant to notice the distinction – the universalist formulation at the end of Acts goes together with the universal context. But in doing so, Luke is also taking stands on three basic issues raised by the comparison of First and Second Maccabees. Until now we have pointed out two: Luke is universalistic like Second Maccabees but, like First Maccabees, his story is not one of restoration but, rather, of a trajectory of change. Now we must add, however, that by referring to the universalistic kingdom Paul preaches as the Kingdom of God, Luke is indicating that his story is, in a very basic way, nevertheless more like that of Second Maccabees than that of First Maccabees – for God is very present in the former and all but absent from the latter. After the first few chapters of the book, which apparently reflect a source or sources from the first generation of Hasmoneans, God basically drops out of the story.23 Which means that for First Maccabees God doesn’t do much but men – the book’s heroes – do quite a lot,24 whereas for Second Maccabees God’s job is to keep the status quo and restore it if and when, due to some glitch (such as misunderstanding or upstart underling), or 22 23

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This is part of the general tendency to understand gê in Acts 1:8 as “world”, thus allowing that verse to be the outline and program for the whole book of Acts. For my doubts about that, see above, n. 11. Note that First Maccabees is devoid of the notion that suffering comes as a result of sin; that there are no apparitions or miracles in the book; that it notes there is no more prophecy (see 4:46, 9:27, and above, n. 20); that God (Theos) is not mentioned at all; and that, after the first few chapters, which may reflect a generation that was still more biblically oriented, there is hardly any other reference to the Lord either (Kyrios appears for the last time in Ch. 5), even “Heaven” is mentioned only three times after that chapter, and there is next to no praying (see only 7:41-42, 9:71, 9:46 and the diplomatic window-dressing in 12:11). The situation is diametrically the opposite in 2 Maccabees, from the prayers and apparition in Ch. 3 to those in Ch. 15, via the explicit theology (see n. 16) and the turning point in 8:1-5 and everywhere else as well. For a good example of the way this causes problems for religious interpreters of First Maccabees who are stuck with it being in their sacred scriptures, see M. Adinolfi, Questioni bibliche di storia e storiografia (Brescia 1969) 103-122 – an article asking whether 1 Macc 6:43-46 indeed praises Eleazar. Faced with the fact that those verses portrays Eleazar as a hero who, without any mention of God, wants to “make a name” for himself, something which is reminiscent of the villains of Genesis 11:4, Adinolfi is left with no choice but to answer the question his article poses in the negative. But compare 1 Macc 9:9-10, where Judas too is praised much the same way.

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due to our sins, that is needed.25 That is, what First and Second Maccabees show us is that the obvious options in the ancient Jewish world were either being self-dependent in Judaea or else religious in the Diaspora. Viewed from this point of view, Acts is much closer to Second Maccabees, for God is, of course, very much part of the book. Thus, the way Luke moves from speaking of the Kingdom of Israel, to the Kingdom of God, a move that corresponds to the way he has undermined “Israel” as a geographic, ethnic, or legal category, bespeaks an insistence that even if Paul or other evangelists were to succeed in taking over the world, it would not become their own kingdom. So, to summarize, it seems that if one took First Maccabees’ conviction that something basic in this world is wrong and in need of correction – call that messianism, if you will – and applied it not to Judaea, where Jews could hope to achieve temporal rule (but might also find that having temporal rule made God superfluous),26 but to the world, and combined it with Second Maccabees’ insistence upon God’s role in the world along with its willingness to settle for religion without state and to tolerate Gentiles as positive companions, the result could well be something like Luke’s Acts of the Apostles. To the extent that First and Second Maccabees are representative of their respective versions of being Jewish in the Greco-Roman world, or even of the possibilities of being Jewish in this world no matter when,27 that can indicate, mutatis mutandis, something about the origin of Christianity as well.

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For this comparison, see my “On Something Biblical About 2 Maccabees”, in M. E. Stone/E. G. Chazon (eds.), Biblical Perspectives: Early Use and Interpretation of the Bible in Light of the Dead Sea Scrolls (STDJ 28, Leiden 1998) 223-232. See the rabbis’ caricature of Bar-Kokhba, a latter-day Maccabee, asking God neither to help nor to hinder: y. Ta‘an. 4:6 (68d). I would freely admit that my experiences as a religious Jew in the modern state of Israel have certainly affected my perspectives in discussing the present topic. Here I would echo, mutatis mutandis, a comment by my friend E. S. Gruen, Heritage and Hellenism: The Reinvention of Jewish Tradition (Hellenistic Culture and Society 30, Berkeley 1998) ix: “Some Israeli friends have twitted me for approaching the subject from the skewed perspective of a liberal, secular, diaspora Jew. I plead guilty to the characterization; others can judge how skewed is the perspective.”

Traumdarstellungen bei Josephus und Lukas MANUEL VOGEL Der Auctor ad Theophilum hat Cicero und die Propheten wider sich, und er steht auch im Neuen Testament recht allein da. Dafür hat er Josephus und den Volksglauben auf seiner Seite. Das Phänomen des Traums1 ist alttestamentlich wie antik höchst umstritten, aber die Auffassung, dass Träume einen wesentlichen Teil der Wirklichkeit zugänglich machen, der der Alltagswahrnehmung ansonsten verborgen bleibt, wird auch von ihren Kritikern (mit Ausnahme der Epikureer) nur halbherzig aus dem Weg geräumt. Prophetische Polemik bestätigt die hartnäckige Popularität des Traumglaubens auf ihre Weise. Die weitgehende Abstinenz des Neuen Testaments in dieser Hinsicht2 ist ebenso bemerkenswert wie die relative Sonderstellung der Apostelgeschichte. Lukas schöpft im zweiten Teil seines Doppelwerkes ausgiebig aus dem Fundus antiker Traum- und Visionstopik. Da er im Evangelien-Prolog einen historiographischen Anspruch formuliert, ergibt sich die Frage, wie Traumdarstellungen in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung am Ende des 1. Jh. zu positionieren sind und wie die Apostelgeschichte unter diesen Bedingungen als Geschichtswerk dasteht. Es bietet sich an, bei Josephus nach Antworten zu suchen. Auch Josephus, jüdischer Historiograph und Zeitgenosse des Lukas, hat reichhaltig von antiker Traumtopik Gebrauch gemacht, und auch Josephus weiß sich im historiographischen Diskurs seiner Zeit zuhause. Einmal mehr ste1

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Einen erschöpfenden Überblick und die neuere Lit. bieten N. Birbaumer/B. Maier/M. Albani/M. Rösel/I. Wandrey/C. Walde/B. Heininger/V. Leppin/K. Bosse/C. Morgenthaler/Th. Ahrens, Art. „Traum/Traumdeutung“, RGG4 8 (2005) 563-573. Für den Bereich der Antike vgl. außerdem F. Bovon, “Christians who Dream: The Authority of Dreams in the First Centuries of Christianity”, in id., Studies in Early Christianity (WUNT 161, Tübingen 2003) 144-162. Dies gilt auch für die Johannes-Apokalypse, wo man wegen der Affinität der frühjüdischen Apokalyptik zu Offenbarungsträumen (vgl. die in Anm. 1 genannte Lit.) am ehesten eine positive Rezeption antiker Traum-Motive erwarten dürfte. Auch Paulus rechnet Träume nicht zu den pneumatischen Phänomenen im Leben seiner Gemeinden. Eine positive Wertschätzung von Träumen verraten außer der Apostelgeschichte allein die matthäischen Kindheitsgeschichten (terminologisch: kat∆ o[nar in 1,20; 2,12.13.19.22. Hinzu kommt der Traum der Frau des Pilatus 27,19, ebenfalls kat∆ o[nar). Dazu R. K. Gnuse, “Dream Genre in the Matthean Infancy Narratives“, NovTest 32 (1990) 97-120; M. Frenschkowski, „Traum und Traumdeutung im Matthäusevangelium“, JAC 41 (1998) 5-47.

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hen Lukas und Josephus einander sehr nahe. Über den engeren Bereich offenbarungsrelevanter Träume hinaus gilt: „Die Tradition, in der Lukas Offenbarungswiderfahrnisse narrativ fasst, lässt sich jüdischerseits am besten mit Josephus vergleichen: Wäre dieser Christ geworden, hätte er etwa wie Lukas erzählt“3. Im Folgenden sollen josephische und lukanische Traum- und Visionsdarstellungen unter form- und motivkritischen Gesichtspunkten gesichtet und miteinander verglichen werden. Es wird sich zeigen, ob Lukas mit Josephus weitgehend konform geht, oder ob er ein eigenes Profil in der Verwendung von Traumerzählungen und –motiven erkennen lässt. Zu fragen ist dann, wie diese Beobachtungen zum narrativen und theologischen Konzept der Apostelgeschichte in Beziehung zu setzen sind. Zunächst (I) erfolgt ein kurzer Überblick über die antiken Diskurse zu Traumtheorie und Traumglauben einschließlich der biblisch-jüdischen Traditionen. Anschließend werden in Auswahl die josephischen (II) und dann die lukanischen Texte (III) vorgestellt und daraufhin einem Vergleich nach formkritischen Gesichtspunkten unterzogen (IV). Der Schlussabschnitt (V) formuliert den Ertrag dieses Vergleichs für das Verständnis der Apostelgeschichte.

I. Die Hebräische Bibel enthält zahlreiche Traumerzählungen von den Patriarchen (Abimelech, Jakob, Joseph, Pharao) über die Königzeit (David, Salomo) bis hin zu den Träumen des Danielbuches4. Dem steht bereits innerbiblisch eine z.T. massive prophetische und deuteronomistische (Dtn 13,2-6; Jer 23,25-28, Sach 10,2)5, priesterliche (Num 12,6ff) 3 4

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M. Frenschkowski, Offenbarung und Epiphanie, vol. 1. Grundlagen des spätantiken und frühchristlichen Offenbarungsglaubens (WUNT 2/79, Tübingen 1995) 368. E. L. Ehrlich, Der Traum im Alten Testament (BZAW 73, Berlin 1953); A. Oepke, Art. o[nar, ThWNT 5, 229f; J. Lindblom, “Theophanies in Holy Places in Hebrew Religion“, HUCA 32 (1961) 91-106; R. K. Gnuse, The Dream Theophany of Samuel: Its Structure in Relation to Ancient Near Eastern Dreams and its Theological Significance (Lanham 1984); J.-D. Döhling, „Die Herrschaft erträumen, die Träume beherrschen. Herrschaft, Traum und Wirklichkeit in den Josefsträumen (Gen 37,5-11) und der Israel-Josefsgeschichte“, BZ 50 (2006) 1-30; F. Ahuis, „Die Träume in der nachpriesterschriftlichen Josefsgeschichte“, in F. Hartenstein/M. Pietsch (eds.), Sieben Augen auf einem Stein (Sach 3,9). Studien zur Literatur des Zweiten Tempels. FS I. Willi-Plein (Neukirchen-Vluyn 2007) 1-20. J. Hausmann, „Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht (Jer 23,28) – Ein Beitrag zum Verstehen der deuteronomistischen Wort-Theologie“, in H. Niemann/M. Augustin/W. H. Schmidt (eds.), Nachdenken über Israel, Bibel und Theologie. FS K.-D. Schunck (Frankfurt 1994) 163-175.

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und weisheitliche (Qoh 5,2.6; Sir 34,1-8)6 Traumkritik gegenüber. Diese kritischen Stimmen haben das frühe Judentum jedoch nicht daran gehindert, dem hellenistischen Trend in Richtung einer weiteren Popularisierung und Kultivierung des Traumglaubens7 zu folgen8. Sprechendes Beispiel sind die Zusätze zum griechischen Esterbuch, die die Handlung mit zwei Traumerzählungen rahmen9. Für den aramäischsprachigen Quellenbestand ist auf die Traumszene im Genesis-Apokryphon zu verweisen (1QGenAp XIX,14-23)10. Philo hat dem Traumthema eine umfangreiche eigene Schrift „Über die Träume“ gewidmet, deren voller Titel peri; tou` qeopevmptou~ ei\nai tou;~ ojneivrou~ lautet und die einen hellenistisch-jüdischen Beitrag zur antiken Traumtheorie darstellt11. Von ursprünglich fünf Büchern sind zwei erhalten. Philo unterscheidet wie auch Poseidonius12 drei Arten von Träumen: Solche, die 6 7

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N. Calduch-Benages, “Dreams and Folly in Sir 34(31),1-8”, in I. Fischer/U. Rapp/J. Schiller (eds.), Auf den Spuren der schriftgelehrten Weisen (BZAW 331, Berlin 2003) 241252. Zum Traumglauben auch der gebildeten Schichten vgl. G. Weber, „Traum und Alltag in hellenistischer Zeit“, ZRRG 50 (1998) 22-39, und M. Frenschkowski, „Traum“ (s. Anm. 2) 11. Das Traummotiv in der griechischen und römischen Literatur untersuchen A. H. M. Kessels, Studies on the Dream in Greek Literature (Utrecht 1978), und C. Walde, Die Traumdarstellungen in der griechisch-römischen Dichtung (München 2001), sowie allgemein R. G. A. van Lieshout, Greek on Dreams (Utrecht 1980). Als rein innerpsychisches Phänomen gelten Träume dagegen in EpArist 213-216. In der von H. Bardtke, Zusätze zu Esther (JSHRZ I/1, Gütersloh ²1977) 15-86, verwendeten Zählung handelt es sich um die Zusätze A 1-11 (Traum des Mardochai) und F 1-10 (Rückblick Mardochais auf sein Traumgesicht). Die Inklusion der Erzählhandlung in die beiden Traumpassagen ist so gestaltet, dass die Erzählhandlung des Estherbuches die Bedeutung des allegorischen Traums aufschlüsselt. Mardochai legt sich im zweiten Zusatz den Traum selbst aus, indem er das Erlebte rekapituliert. Abraham hat, bevor er nach Ägypten zieht, einen allegorischen Traum. Er erwacht noch bei Nacht und erzählt den Traum Sara und legt ihn ihr aus (Deutsche Übersetzung bei J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, vol. 1 [München 1995] 218). Für den Bereich der frühen palästinisch-jüdischen Apokalyptik vgl. B. Heininger, Paulus als Visionär. Eine religionsgeschichtliche Studie (HBSt 9, Freiburg 1996) 111-135, und A. Lange, „Divinatorische Träume und Apokalyptik im Jubiläenbuch“, in M. Albani/J. Frey/A. Lange (eds.), Studies in the Book of Jubilees (TSAJ 65, Tübingen 1997) 25-38, und id., “Dream visions and apocalyptic milieus“, in G. Boccaccini, Enoch and Qumran origins. New light on a forgotten connection (Michigan 2005) 27-34. B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 146-159; R. M. Berchman, “Arcana mundi: Magic and Divination in the De Somniis of Philo of Alexandria”, in id. (ed.), Mediators of the divine. Horizons of prophecy, divination, dreams and theurgy in Mediterranean antiquity (Atlanta 1998) 115-154; D. Dodson, “Philo’s ‘De somniis‘ in the Context of Ancient Dream Theories and Classifications”, in Perspectives in Religious Studies 30 (2003) 299312. Bei Cicero, De divinatione 1,64: „Poseidonios nun hält dafür, dass die Menschen auf drei Weisen unter Einwirkung der Götter träumen: erstens schaue die Seele aus eigener Kraft voraus, da ihre Verwandtschaft mit den Göttern sie trage; zweitens sei die Luft voll von unsterblichen Seelen, an denen, gleichsam aufgeprägt, die Kennzeichen der Wahrheit aufschienen; drittens unterhielten sich die Götter selbst mit den Schläfern“ (Übersetzung nach Marcus Tullius Cicero, Über die Wahrsagung – De divinatione.

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Gott von sich aus schickt, andere, die durch den Kontakt der Seele mit der Sphäre der unkörperlichen Geister (bzw. stoisch gedacht: der Weltseele) zustande kommen, und wieder andere, die die Seele aus eigener prognostischer Kraft hervorbringt (Somn. 1,1,1f; 2,1,1-4). Nach Philo enthalten die Träume der ersten Gruppe Botschaften, die aus sich heraus verständlich sind, während die Träume der dritten Gruppe der Kunst der Traumdeutung bedürfen. Die stoische Traumtheorie, auf der Philo fußt, hat Cicero in De divinatione ausführlich dargestellt (Buch 1) und ebenso ausführlich (Buch 2) kritisiert. Stoische Traumtheorie erhält dadurch einen rationalistischen Zug, dass divinatio als durch die göttliche pronoia ermöglichte Einsicht in den determinierten Weltlauf gedacht wurde. Des ungeachtet wurde der Traumglaube auch und gerade in seiner stoischen Ausprägung von der neuakademischen Skepsis massiv kritisiert. Diese skeptische Position lässt Cicero im zweiten Buch von De divinatione zu Wort kommen (2,119-148). Bemerkenswert ist, dass sich die vorgebrachte Kritik größtenteils auf die Rätselhaftigkeit von Traumbotschaften, und, damit zusammenhängend, auf die Inanspruchnahme professioneller Traumdeuter konzentriert (2,131.134.144f. 147). Dunkle Träume sind der Götter unwürdig (2,135). Warum können denn die Götter, was sie sagen wollen, nicht klar und deutlich sagen? (2,133)13. Im Ganzen verfängt Ciceros Kritik freilich nicht, weil sie in skeptischer Manier vieles in Zweifel zieht, nichts aber stringent widerlegt14. Anzumerken ist auch, dass sich derselbe Cicero, wie das berühmte Somnium Scipionis am Ende von De republica zeigt, zumindest literarisch durchaus des Traummotivs bedienen konnte15. Man merkt gerade dem zweiten Buch von De divinatione die argumentativ kaum einholbare Übermacht populären Traumglaubens an. Abwägend urteilt der ältere Plinius, der in der Naturgeschichte mancherlei Traumphänomene gesammelt hat. Er „glaubt“ längst nicht alles, was er referiert, er ist aber doch von der grundlegenden Skepsis eines Cicero weit weg16.

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Lateinisch-deutsch. Herausgegeben, übersetzt, erläutert von Christoph Schäublin [Darmstadt 1991] 69). Cicero vergleicht den durch obskure Traumbotschaften kommunizierenden Gott mit einem Arzt, der seinem Patienten den Rat gibt, von einem „Wesen, erdgeboren, grasbeschreitend, hausmitführend, Blutes bar“ therapeutisch Gebrauch zu machen, anstatt schlicht von einer – Schnecke! Wo er auf die eindeutigen Träume zu sprechen kommt, gerät die Widerlegung sogar überaus schwach: Es sei nicht auszuschließen, heißt es lediglich, dass solche Traumberichte einfach erfunden seien (2,136). A. Önnerfors, „Traumerzählung und Traumtheorie beim älteren Plinius“, RhMus 119 (1976) 360f., sieht dasselbe Verhältnis auch bei Tacitus, „den sichtliche theoretische Ablehnung keineswegs von geschickter praktischer Verwendung literarisch wirkungsvoller Traumerzählungen abhielt“. Dazu ausführlich A. Önnerfors, „Traumerzählung“ (s. Anm. 15).

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Dass die Historiographie bereits in der Zeit der späten Republik ausgiebig von Traumerzählungen Gebrauch gemacht hat, zeigt die beiläufige Notiz in De divinatione 2,136, Ciceros Bruder Quintus, dem in Buch 1 die Verteidigung des Traumglaubens zugefallen war, habe sich zahlreicher historiographischer Beispiele bedient: multa etiam sunt a te ex historiis prolata somnia17. Überblickt man den weiten Bereich der griechischen und römischen Geschichtsschreibung18, so ist in der Epoche von den Perserkriegen bis Alexander v.a. Thukydides zu nennen, der sich darin von seinem Vorgänger Herodot absetzt, dass er Traumberichte in seinem Geschichtswerk konsequent vermeidet. Dagegen finden sich bei Xenophon an mehreren Stellen Traumschilderungen (Anabasis 3,1,11f; 4,3,8 u.ö.)19. In hellenistischer Zeit dringen Traummotive verstärkt in die Geschichtsschreibung ein. Polybios ist unter den Griechisch schreibenden Historiographen mit seiner explizit kritischen Haltung (vgl. Hist 10,2.11; 12,12b.24; 33,21) eine Ausnahme. Die Tendenz geht in Richtung einer unangefochtenen Stellung von Traummotiven in der Geschichtsschreibung, wie sie in der 1. Hälfte des 3. Jh. am deutlichsten bei Cassius Dio zum Tragen kommt20. Aber auch Plutarch ist hier bereits zu nennen, wiewohl er als Biograph nur bedingt dem historiographischen Genus zuzuordnen ist21. Zu den Stellen in den Parallelviten kommen zahlreiche weitere in den Moralia22. Unter den römischen Geschichtsschreibern stehen Cäsar und Sallust der Sachlichkeit des Thukydides nahe. Livius ist dagegen Prodigien zugeneigt und berichtet

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Auch Valerius Maximus bietet in seiner umfangreichen Exempla-Sammlung (Facta et dicta memorabilia 1,7) ein eigenes Kapitel über Träume. Das Folgende nach F. Loretto, Träume und Traumglaube in den Geschichtswerken der Griechen und Römer (Graz Univ. Diss. 1956) 231-250. Weitere Stellen bei Loretto, Träume (s. Anm. 18) 156. Zu den zahlreichen Texten vgl. Loretto, Träume (s. Anm. 18) passim. Die Grenzen waren freilich schon bei Polybios fließend; vgl. Hist 10,21: „[E]s [scheint] mir angezeigt, ebenso wie ich auch bei allen anderen bedeutenden Männern ein Bild von ihrem Wesen und Charakter (ta;~ eJkavstwn ajgwga;~ kai; fuvsei~) zu entwerfen versucht habe, dies auch bei ihm zu tun. Denn es ist widersinnig (a[topon), dass die Historiker über die Gründung von Städten (tw`n povlewn ktivsei~ tou;~ suggrafeva~), wie, wann und durch wen sie erfolgt ist, über ihre Einrichtungen und Verhältnisse eingehend berichten, hingegen sich über Wollen und Wirken der politisch leitenden Männer (ta;~ de; tw`n ta; o{la ceirisavntwn ajndrw`n ajgwgav~) ausschweigen, obwohl dies doch eine weit wichtigere Aufgabe ist. Denn lebendigen Menschen kann man nacheifern und sie sich zum Vorbild nehmen (kai; zhlw`sai kai; mimhvsasqai), tote Gegenstände nicht; nur aus der Erzählung von jenen können daher auch die Leser Belehrung ziehen“. Das Material ist gesammelt und ausgewertet bei K. Berger, „Visionsberichte. Formgeschichtliche Bemerkungen über pagane hellenistische Texte und ihre frühchristlichen Analogien“, in id./F. Vouga/M. Wolter/D. Zeller (eds.), Studien und Texte zur Formgeschichte (TANZ 7, Tübingen 1992) 177-225.

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auch gelegentlich von Träumen23, ebenso Pompeius Trogus und Tacitus24. Besonders zahlreich sind Traumschilderungen in den Kaiserviten Suetons, wie überhaupt das Traummotiv in den Herrscherbiographien der Prinzipatszeit eine herausragende Rolle spielt25. In der zweiten Hälfte des 4. Jh. steht Ammianus Marcellinus für ein abermals gesteigertes historiographisches Interesse am Traumthema, nun verstärkt unter den religiös-philosophischen Vorzeichen des Neuplatonismus26. Aus dem 2. Jh. stammt das einzige vollständig erhaltene Traumhandbuch bzw. –lexikon der Antike, die „Oneirokritika“ des Artemidor von Ephesus27. Die Literaturgattung der Traumbücher verdankte sich dem Bedarf der professionellen Traumdeuter, die auf die umfangreichen Materialsammlungen dieser Werke zurückgriffen. Das älteste uns bekannte Traumbuch ist ägyptischer Provenienz und entstammt der 12. Dynastie (2000–1700 v. Chr.). Das ägyptische Traumbuch „unterscheidet nicht nur zwischen guten und bösen Träumen, sondern auch zwischen zwei Gruppen von Menschen, von denen die einen in der Gefolgschaft des ,guten‘ Gottes Horus sind, die anderen in der des ,bösen‘ Seth-Typhon“28. Das Betrugs-Motiv lässt sich über Homer bis Lukian und Tertullian verfolgen29. Homer unterscheidet zwei „Pforten“, durch die die Träume zu den Menschen kommen, eine aus Horn für die trügerischen und eine aus Elfenbein für die Wahres andeutenden Träume (Od. 19,650ff). Lukian lässt in Vera historia 2,33 die Reisenden auf der Trauminsel auf zwei Tempel treffen, einen des „Trugs“ und einen der „Wahrheit“. Bei Tertullian, der sich (schon in seiner montanistischen Phase) in De anima 45-49 recht ausführlich zu antiker Traumtheorie äußert, werden die trügerischen Träume auf den Einfluss von Dämonen zurückgeführt. 23 24 25 26

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V.a. die ausführliche Szene in 2,36 (Mehrfache Traumerscheinung, der der Träumende zunächst ungehorsam ist, was Zeus mit Strafen belegt). Weitere Texte: 8,6; 21,22; 26,19f. Stellen bei Tacitus (s. jedoch oben Anm. 15): Ann. 1,65; 2,14.27; 11,4.11; 12,13; 16,1; Hist 4,83. Dazu auf breiter Quellenbasis G. Weber, Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike (Stuttgart 2000). Eine christliche Stimme aus dem 3. Jh. ist Origenes, Cels. 1,46: „Viele sind gleichsam wider ihren Willen dem Christentum beigetreten, weil eine geistige Macht ihren Sinn plötzlich so umwandelte, dass sie für den bisher gehassten Glauben zu sterben bereit waren, und im Wachen oder im Traume auf ihr Vorstellungsvermögen einwirkte.“ K. Brackertz (ed.), Artemidor von Daldis, Das Traumbuch. Aus dem Griechischen übertragen, mit einem Nachwort, Anmerkungen und Literaturhinweisen versehen (München 1979). Namen und Fragmente verlorener griechischer Traumbücher sind gesammelt von D. del Corno, Graecorum de onirocritica scriptorum reliquiae (Milano 1969). K. Brackertz, Artemidor (s. Anm. 27) 351. Weitere Stellen bei M. Frenschkowski, Offenbarung (s. Anm. 3) 288.

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Grundlegend ist die Unterscheidung von „natürlichen“ Träumen als rein innerpsychischen Vorgängen und „übernatürlichen“ Träumen mit Zukunftsbedeutung. Artemidor nennt einen Traum der ersten Kategorie ejnuvpnion, einen aus der zweiten o[neiro~, doch ist dies nicht durchweg antiker terminologischer Standard30. Innerhalb der zweiten Gruppe ist entscheidend, ob es sich um einen allegorisch chiffrierten Traum handelt, der der Auslegung bedarf, oder um eine unverschlüsselte Traumbotschaft, die u.a. von Göttern oder Verstorbenen an den Träumenden ergeht. Terminologisch unklar ist in vielen Fällen, ob es sich im konkreten Fall um einen Traum im eigentlichen Sinne handelt, der im Schlafzustand erlebt wird, oder um eine Vision im Dämmer- oder Wachzustand31. Auch die visuellen und auditiven Anteile von Träumen werden terminologisch vielfach nicht klar unterschieden. Auf der Ebene der literarischen Analyse ist u.a. die Frage von Interesse, ob Träume handlungsentscheidend sind oder nicht und ob sie zu einer möglichen Gesamtintention eines Werkes in Beziehung stehen oder aus rein literarischen Erwägungen, etwa zum Zweck der Unterhaltung der Lesenden, in die Darstellung aufgenommen wurden.

II. Josephus32 ist in seiner Wertschätzung von Traumerzählungen repräsentativ für das hellenistische Judentum. Zumal der erste Teil der Antiquitates ermöglicht einen Vergleich zwischen der biblischen und der hellenistisch-jüdischen Valenz von Träumen: Einerseits ignoriert Josephus konsequent die eingangs genannten traumkritischen Passagen der biblischen Schriften, und andererseits reichert er den biblischen Stoff mit zusätzlichen Traumerzählungen an33. Die Unterscheidung von natürlichen, innerpsychischen Träumen und offenbarungsrelevanten Träumen ist ihm geläufig. Letztere sind idealtypisch einzuteilen in eindeutige auditive Traumbotschaften und auslegungsbedürftige symbolische Träume. Mischformen sind häufig. Josephus äußert sich wieder30 31 32 33

Gelegentlich finden sich diätetisch-therapeutische Überlegungen, wie die körperliche Disposition so beeinflusst werden kann, dass der Empfang übernatürlicher Träume begünstigt wird; vgl. etwa Tertullian, De anima 48. Dazu M. Frenschkowski, Offenbarung (s. Anm. 3) 286f. Ausführlich zu den antiken Klassifikationsschemata im Übrigen A. H. M. Kessels, “Ancient Systems of DreamClassification“, Mnemosyne 22 (1969) 389-424. R. K. Gnuse, Dreams and Dream Reports in the Writings of Josephus (AGAJU 36, Leiden 1996); B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 165-170. Wenn er an einigen wenigen Stellen biblische Traumerzählungen auslässt, tut er dies aus Gründen der Erzählökonomie, nicht wegen sachlicher Bedenken gegenüber Träumen.

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holt zur Fähigkeit der Traumdeutung als einer besonderen menschlichen Begabung. Er schreibt sie den von ihm besonders geschätzten Essenern zu (Bell 2,112f; Ant 17,345-348) und stellt sie damit in eine Linie mit den biblischen Propheten, zumal Daniel (der biblisch nicht „Prophet“ heißt, den er aber so nennt). Auch sich selbst reiht er in diese Linie ein, etwa in Bell 5,391-393, wo er seine Rolle mit der Jeremias vergleicht, und er beansprucht ausdrücklich die Fähigkeit zur Traumdeutung, die er der Schriftauslegung zur Seite stellt. Beides führt er auf seine priesterliche Abstammung zurück (Bell 3,352). Eigenartig ist seine Zuordnung der Prophetie zur Geschichtsschreibung: Während die Träume das Medium der Zukunftsansage sind34, schlägt sich die prophetische Fähigkeit des Blicks in die Vergangenheit in zuverlässiger Geschichtsschreibung nieder35. Ein Reflex auf antike Kritik am populären Traumglauben findet sich in CAp 2,206-208.36 Die einschlägigen josephischen Texte wurden von R. K. Gnuse in monographischem Umfang untersucht37. Gnuse erhebt auf der Basis des Konkordanzbefundes zu o[nar, ejnuvpnion, u{pnou~, o[yi~ und favntasma einen Bestand von 54 Texten. Eine Auswahl daraus wird nachfolgend nach formalen und motivischen Gesichtspunkten analysiert. (1) In Bell 1,328 befindet sich Herodes d. Gr., unterstützt von den Römern, im Kampf gegen den Hasmonäer Antigonos. Dieser hat bereits Herodes’ Bruder Joseph in seine Gewalt gebracht und getötet. Herodes träumt davon, erwacht und erhält sogleich von Boten die Todes34

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Vgl. die traumtheoretische Notiz in Ant 2,86 (Kontext ist die Deutung von Pharaos Traum durch Joseph): „Gott sagt aber sicherlich den Menschen die Zukunft voraus, nicht um sie zu erschrecken oder zu betrüben, sondern damit sie in kluger Vorsicht sich Erleichterung verschaffen können, wenn die vorher verkündeten Ereignisse eintreten.“ CAp 1,37: Die Juden haben genaue Kenntnis auch von ihrer Frühzeit, weil die Propheten über tav ... ajnwtavtw kai; palaiovtata kata; th;n ejpivpnoian th;n ajpo; tou` qeou` unterrichtet sind. Deshalb dürfen nur Propheten mit der Geschichtsschreibung betraut werden. Dazu J. M. G. Barclay, Against Apion (Flavius Josephus, Translation and Commentary vol. 10, Leiden 2007) 28f. Josephus gibt an dieser Stelle ein Exzerpt aus Agatharchides (1. H. 2. Jh. v. Chr.) wieder: Am Beispiel Stratonikes, der Tochter Antiochos’ I., die, fehlgeleitet durch einen Traum, in ihr Verderben lief, und der Juden, die wegen ihrer Sabbatobservanz die Eroberung Jerusalems durch Ptolemaios I. hinnahmen, will Agatharchides Widersinn und Verderblichkeit des Aberglaubens demonstrieren. Josephus schaltet diesem Passus ein Hekataios-Exzerpt voran (2,201-204), das die Verspottung und rationalistische Kritik des Brauchs der Vogelschau durch einen Juden zum Inhalt hat. Damit soll exemplarisch deutlich werden, dass die Juden keineswegs irrationalem Aberglauben anhängen. Der Parallelisierung der Einnahme Jerusalems mit dem Geschick Stratonikes hält Josephus entgegen, dass die Sabbatobservanz trotz militärischer Bedrängnis keineswegs den Aberglauben der Juden zu Tage fördert, sondern ihre kompromisslose Gesetzestreue. Zum Ganzen ausführlich J.M.G. Barclay, Against Apion (s. Anm. 35) 117-121. R. K. Gnuse, Dreams (s. Anm. 32).

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nachricht: „Als aber Herodes in Daphne bei Antiochien war, kündigten deutliche Träume den Tod seines Bruders an (o[neiroi safei`~ to;n tajdelfou` qavnaton proshmaivnousin), und als er erregt (meta; tarach`~) vom Lager sprang, traten die Boten mit der Unglücksnachricht ein“. Das Erzählte ist für den Fortgang der Erzählhandlung nicht entscheidend. Herodes erhält beim Erwachen sowieso Kenntnis von der Lage, hätte also auch ohne Traum nicht anders gehandelt. Das Traum-Motiv dient ausschließlich zur Dramatisierung der Handlung und zur psychologischen Ausstattung der Herodes-Figur (Erwachen meta; tarach`~). (2) In Bell 2,111-113 erzählt Josephus die Absetzung des HerodesSohnes Archelaos nach zehnjähriger Willkürherrschaft über Judäa. Bevor er die Vorladung des Kaisers erhielt, soll er Folgendes im Traum gesehen haben (o[nar ijdei`n fasin toiovnde): Er meinte (e[doxen), neun volle, große Ähren zu erblicken, die von Ochsen gefressen wurden. Er ließ aber die Wahrsager und einige Chaldäer (tou;~ mavntei~ kai; tw`n Caldaivwn tinav~) kommen und befragte sie, was nach ihrer Meinung der Traum bedeute. Jeder deutete ihn anders; ein gewisser Simon, der zu den Essenern gehörte, sagte, nach seiner Meinung bedeuteten die Ähren Jahre, die Ochsen aber einen Umsturz der Verhältnisse, weil sie beim Pflügen die Erde aufwürfen. Er werde entsprechend der Zahl der Ähren herrschen, in vielfache Umwälzungen verwickelt werden und dann sein Leben beschließen. Fünf Tage, nachdem er dies gehört hatte, erfolgte seine Abberufung vor das kaiserliche Gericht.

Erzähltechnisch ist hervorzuheben, dass der Autor ein deutliches Signal der Distanzierung setzt: „Man erzählt“ (fasivn) von diesem Traum, und Josephus gibt das, was er selbst nur vom Hörensagen weiß, an passender Stelle wieder. Terminologisch kommt das Diffuse des Traumerlebens durch die Formulierung „er meinte zu sehen“ (e[doxen oJra`n) zum Tragen38. Der Realitätsgehalt des Erzählten wird auf diese Weise doppelt eingeklammert. Auch hier ist der Traum nicht handlungsentscheidend. Archelaos wäre so oder so vor Gericht gestellt und als Herrscher abgesetzt worden. Die Zwischenschaltung des Traumgeschehens lässt den von Josephus als unsympathische Figur gezeichneten Archelaos seines unentrinnbaren Geschicks innewerden, bevor es ihn ereilt. Die divergierenden Auslegungen steigern das Qualvolle dieser Situation durch die bleibende Ungewissheit der bösen Ahnung. Die historisch 38

Damit bewegt sich Josephus innerhalb des terminologisch Üblichen. In den von J. S. Hanson, “Dreams and Visions in the Greco-Roman World and Early Christianity“, ANRW II 23.2, 1395-1427, zusammengestellten Texten liegt der technische Gebrauch von dokevw (mit Ausnahme des aufgenommenen Acta-Textes, dazu s.u.) überall vor. Die bei Artemidor im fünften Buch gesammelten Traumerlebnisse werden stereotyp in der Form „e[doxe ti~ + Infinitiv“ eingeleitet.

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ausweisbare und präzis bestimmbare Aufeinanderfolge von Traum und „Erfüllung“ binnen fünf Tagen ist auf dem Hintergrund antiker rationalistischer Kritik am Traumglauben zu lesen: Archelaos’ Traum unmittelbar vor seiner Abberufung wird als exemplum für die Stichhaltigkeit populären Traumglaubens stilisiert. Nebenbei bringt Josephus die besondere jüdische, hier namentlich die essenische Kompetenz in Fragen der Traumdeutung zur Geltung. (3) Gleich im Anschluss an den Traum des Archelaos berichtet Josephus von einem Traum, den Archelaos’ Frau Glaphyra kurz vor ihrem Tod hatte (Bell 2,114-116). Archelaos hatte um der Ehe mit Glaphyra willen seine Frau Mariamme verstoßen, und die bereits zweimal verwitwete Glaphyra war in erster Ehe mit Archelaos’ Halbbruder Alexander verheiratet. Einleitend notiert Josephus: „Für denkwürdig halte ich (“Axion de; mnhvmh~ hJghsavmhn) auch den Traum seiner Frau Glaphyra“. Auch diese Notiz schafft eine reflexive Distanz des Autors zum Erzählten, indem er die Rezipienten an den Gründen für die Entscheidung, das Berichtete in sein Geschichtswerk aufzunehmen, teilhaben lässt. Er tut es, weil der Traum „der Erinnerung würdig ist“, und zwar wegen der expliziten moralischen Verurteilung Glaphyras: Ihr toter Ehemann aus erster Ehe erscheint ihr traumhalber und tadelt sie wegen ihres „Frevels“39. Auch hier flicht Josephus eine chronologische Notiz ein: Glaphyra starb binnen zweier Tage. (4) Eine weitere Erscheinung eines Verstorbenen, nun aus dem biblischen Bereich, liegt in Ant 6,329-339 vor. Josephus gibt hier die Beschwörung Sauls in En-Dor aus 1Sam 28,3-25 wieder. Hierbei handelt es sich ausdrücklich nicht um einen Traum, sondern um eine Epiphanie im Wachzustand. Das Elend Sauls besteht, wie Josephus in Übereinstimmung mit der biblischen Vorlage notiert, gerade darin, dass Gott überhaupt nicht mehr zu Saul spricht, „weder durch Propheten, noch durch Träume“ (mhvte dia; profhtw`n mhvte di∆ ojneiravtwn, 6,334). (5) Von herausragender Bedeutung ist das Traumthema am für Josephus kritischsten Punkt des Bellum Judaicum, als er nämlich schildert, wie er sich den Römern ergibt (Bell 3,350-354): Als nun Nikanor ihn weiterhin beständig bat, und Josephus die Drohungen der feindlichen Menge hören musste, stieg in ihm die Erinnerung an die nächtlichen Träume auf, durch die ihm Gott die über die Juden hereinbrechenden Schicksalsschläge und das künftige Geschick der römischen Kai39

Tadelnswert ist offenbar bereits der Umstand, dass eine Frau sich herausnimmt, dreimal zu heiraten (zur Misogynie des Josephus vgl. nur Bell 2,121). Da aus der Ehe mit Alexander überdies Kinder hervorgegangen waren, nämlich Tigranes und Alexander II., konnte die Ehe mit Archelaos nicht im Sinne der Leviratsehe (Dtn 25,5f.) legitimiert werden. Somit war sie nach Lev 18,16 ungesetzlich.

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ser gezeigt hatte (ajnavmnhsi~ aujto;n tw`n dia; nukto;~ ojneivrwn eijsevrcetai, di∆ w|n oJ qeo;~ tav~ te mellouvsa~ aujtw/` sumfora;~ proeshvmainen ∆Ioudaivwn kai; ta; peri; tou;~ ÔRwmaivwn basilei`~ ejsovmena). Josephus verstand sich nämlich auf die Deutung von Träumen und auf die Auslegung von Gottessprüchen, die zweideutig geblieben waren (h\n de; ... peri; krivsei~ ojneivrwn iJkano;~ sumbalei`n ta; ajmfibovlw~ uJpo; tou` qeivou legovmena). Da er selbst ein Priester war und aus einem priesterlichen Geschlecht stammte, waren ihm die Weissagungen der heiligen Schriften (tw`n iJerw`n bivblwn profhteivai) gut bekannt. Als er nun zu derselben Stunde durch diese in das Geheimnis Gottes versenkt war und die furchterregenden Bilder der erst kurz zurückliegenden Träume in sich hervorholte (w|n ejpi; th`~ tovte w{ra~ e[nqou~ genovmeno~ kai; ta; frikwvdh tw`n prosfavtwn ojneivrwn spavsa~ fantavsmata), brachte er Gott insgeheim ein Gebet dar und sprach: ,Da es dir gefällt, dass das Volk der Juden, das du geschaffen hast, in die Knie sinkt, und alles Glück zu den Römern übergegangen ist, und du ferner meine Seele erwählt hast, die Zukunft anzusagen (ta; mevllonta eijpei`n), so übergebe ich mich aus freien Stücken den Römern und bleibe am Leben. Ich rufe dich zum Zeugen an, dass ich diesen Schritt nicht als Verräter, sondern als dein Diener tue‘.

Wenngleich die Dramatik des unmittelbaren narrativen Kontexts (Josephus wird von seinen Soldaten massiv mit dem Tode bedroht, sollte er den Versuch unternehmen, sich den Römern zu ergeben) nicht unmittelbar als Reflex seiner persönlichen Situation im und nach dem Krieg gelesen werden kann, dürfte sich in dieser hochgradig apologetischen Szene doch ein von Seiten der Juden erhobener Vorwurf niederschlagen, mit dem Josephus lebenslang zu kämpfen hatte, dass er nämlich sein Volk, als er sich den Römern ergab, im Stich gelassen habe. Josephus galt den Juden zeitlebens als „Verräter“ (prodovth~, Bell 3,344). Josephus beruft sich in dieser Szene auf seine Fähigkeit der Schrift- und Traumdeutung. Bemerkenswert ist, wie beides sachlich und (entgegen aller Erzähllogik) auch szenisch in einander greift: Als Priester ist Josephus mit den „Weissagungen der heiligen Schriften“ vertraut, und während er – mitten in der Aufregung des bevorstehenden Freitods seiner Truppen angesichts der drohenden Einnahme Jotfats durch die Römer! – in die Geheimnisse der Schriften vertieft ist und sich der jüngsten prophetischen Träume erinnert, erkennt bzw. akzeptiert er seinen von Gott gegebenen Auftrag, Römern und Juden „die Zukunft anzusagen“. Die erzählte Rekapitulation seiner Träume funktioniert textpragmatisch als apologetischer Rekurs auf seine von Gott in Dienst genommene Gabe der Schrift- und Traumdeutung. Indirekt wird die psychische Reaktion des Visionärs notiert, wenn das Geschaute als „furcht-

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erregende Bilder“ bzw. „Erscheinungen“ (frikwvdh ... fantavsmata) bezeichnet wird40. (6) In Bell 5,381 – Kontext ist eine Rede, die Josephus an die Aufständischen in Jerusalem gerichtet haben will41 – geht es um den anhand zahlreicher exempla aus der biblisch-jüdischen Geschichte zu erbringenden Beweis, dass „kein Fall vor(liegt), in dem unsere Väter mit der Waffe in der Hand etwas ausgerichtet hätten“ (oujk e[stin o{ ti katwvrqwsan oiJ patevre~ hJmw`n toi`~ o{ploi~, Bell 5,390). Als erstes Beispiel rekurriert Josephus auf einen biblisch nicht notierten Traum des Pharao, als dieser sich Saras bemächtigt hatte (Gen 12,10-20). Abraham hätte Sara wohl mit Waffengewalt befreien können. Stattdessen vertraute er sich der Hilfe Gottes an, die in Gestalt jenes Traumes auch eintraf: Wurde dann nicht schon vor dem nächsten Abend die Fürstin unberührt zu ihrem Mann zurückgesandt, während der Ägypter an diesem Orte (...) ehrfürchtig auf sein Angesicht fiel (proskunw`n de; tovn ... cw`ron), um dann noch schaudernd vor den nächtlichen Erscheinungen (trevmwn ajpo; tw`n ejn nukti; fantasmavtwn) in sein Land zurückzufliehen und die von Gott geliebten Hebräer mit Gold und Silber zu beschenken?

Vom Inhalt des Traumes verlautet nichts, doch wird wie im Falle des Herodes, dem ein Traum den Tod seines Bruders ankündigt (Bell 1,328), die Schreckreaktion des Träumenden notiert (trevmwn). Biblisch spielt das Traummotiv bei der Gefährdung und Bewahrung Saras in Gen 20,3-7 eine Rolle. Gott erscheint Abimelech des Nachts im Traum und warnt ihn davor, Sara zur Frau zu nehmen. Josephus nimmt den ausführlichen Wortwechsel zwischen Gott und Abimelech verkürzt in Ant 1,208f auf, verstärkt aber gegenüber der Genesis-Vorlage das Element

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Gemeint ist nicht ein „heiliger Schauder“, sondern der Schrecken erregende Inhalt der düsteren Zukunftsschau (Niederlage der Juden etc.). Diese Rede ist wie etwa auch die in Jotfat gehaltene unter den üblicherweise fiktiven Reden in Geschichtswerken (für den antiken Diskurs grundlegend Thukydides 1,22,1 und dazu A. J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography. Four Studies [London/Portland, Oreg. 1988] 11-15) insofern ein Sonderfall, als sie vom Autor des Geschichtswerkes selbst gehalten worden sein soll. An der Fiktionalität ist dennoch nicht zu zweifeln, wie zumal an der Rede in Jotfat (Bell 3,362-382) deutlich wird, ist diese doch als exaktes Spiegelbild der Rede des Eleazar ben Jair auf Massada (Bell 7,323-336.341-388) komponiert. Auch in diesem Fall geht es nicht um das, was eine historische Figur (und sei es der Autor) tatsächlich gesagt hat, sondern um die Demonstration der rhetorischen Fertigkeit, in jeder Situation aufgrund ein und derselben Sachlage in jede beliebige Richtung argumentieren zu können. Dass in Jotfat und auf Masada völlig konträre und dabei plausibel begründete Handlungsoptionen propagiert werden (pro und contra Freitod in aussichtsloser Belagerungssituation) ist kein historiographisches Versehen, sondern volle rhetorische Absicht.

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des göttlichen Rettungshandelns42. Der Traum ist ein Modus des göttlichen Eingreifens zugunsten seines Volkes. (7) In Bell 7,347 kommt Eleazar b. Jair in seiner Rede an die Aufständischen auf Masada (Bell 7,323-336.341-388) auf das Traumthema zu sprechen. Es dient ihm als Argument für die Unsterblichkeit der Seele (yuch`~ ajqanasiva) und die wesenhafte Fremdheit der Seele im Gefängnis des Leibes: Der Schlaf indes soll euch nachdrücklichster Beweis meiner Worte sein. In ihm haben die Seelen angenehmste Ruhe vor dem sie fortwährend beanspruchenden Körper und finden so zu sich selbst. Jedoch gemäß ihrer Verwandtschaft (kata; suggevneian) zu Gott treten sie mit ihm in Verbindung, kommen überall herum und sagen vieles voraus von dem, was kommen wird (pavnth me;n ejpifoitw`si, polla; de; tw`n ejsomevnwn proqespivzousi).

Der platonisch gefärbte Gedanke, dass die Seele sich im Schlaf vom Körper löst, plausibilisiert im Rahmen antiker Seelenmetaphysik die populäre Vorstellung, dass Träume Aufschluss über die Zukunft geben können. Die während des Schlafes vom Körper befreite Seele bewegt sich frei durch den Raum und schwingt sich in Himmelssphären empor, wo sie in direkte Kommunikation mit Gott eintritt. Beim Erwachen wird das Erlebte (Geschaute, Gehörte) erinnert. Josephus rezipiert an dieser Stelle ein Stück antiker populärer Traumtheorie. (8) In Ant 1,278-284 gibt Josephus die Theophanie vor Jakob in Bethel (Gen 28,10-22) ausführlich und weitgehend43 sachgetreu wieder. Beispielhaft kann anhand dieses Textes nachvollzogen werden, wie Josephus die Terminologie der LXX mit dem Vokabular hellenistischer Traumschilderungen anreichert. Während sich die biblische Vorlage auf ein einleitendes „er legte sich schlafen“ (ejkoimhvqh), ein zweimaliges (MT: viermaliges) „und siehe“ (kai; ijdou`) und das die Traumszene beendende „und er erwachte“ (kai; ejxhgevrqh) beschränkt, qualifiziert Josephus den Trauminhalt als „Vision“ (o[yi~), die Jakob „im Schlaf“ (kata; tou;~ u{pnou~) „schaute“ (oJra`/). Der simple Realismus der Himmelsleiter wird durch das geläufige „er meinte“ (e[doxen) abgemildert, und anstelle der Engel ist von übermenschlichen „Erscheinungen“ (o[yei~) die Rede. Die Theophanie wird als „deutliche“ (ejnargw`~) visuell-auditive Wahrnehmung ausgewiesen (to;n qeo;n ejnargw`~ aujtw`/ fainovmenon), sie 42

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So richtig R. K. Gnuse, Dreams (s. Anm. 32) 147: „On the whole, the story testifies to how God can thwart an evil king in order to protect the chosen people“, und generell gilt, dass „this theme of divine protection is very important to Josephus“. Hier wird erzählerisch umgesetzt, was Ant 1,14 als Hauptlehre des ganzen Werkes formuliert. Die Abweichungen notiert L. H. Feldman, Flavius Josephus. Translation and Commentary, vol. 3: Judean Antiquities 1-4 (Leiden 2000) 109f.

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bleibt aber, da die Phrase syntaktisch noch von e[doxen abhängig ist, für die Außenperspektive ebenfalls im Bereich des Ahnungshaften. Ausdrücklich notiert wird die psychische Reaktion auf den Traum, wobei diese entgegen dem biblischen Text nicht im Schrecken über die Erscheinung (Gen 28,17), sondern in der Freude über die verheißungsvolle Gottesrede besteht (1,284: oJ de; pericarh;~ genovmeno~). (9) Der Traum Amrams, des Vaters des Mose, in Ant 2,212-217 ist ohne biblische Parallele, steht aber in einer breiten frühjüdischen Tradition (Liber Antiquitatum Biblicarum, rabbinisches Judentum)44. Josephus verwendet den in römischer Zeit besonders in Kaiserbiographien geläufigen Topos der „Ankündigung der Geburt eines Herrschers“45. Während es jedoch in den paganen Texten in der Regel um Herrschaftslegitimation geht, steht die Geburt des Mose bei Josephus ganz im Horizont des göttlichen Rettungshandelns. Amram, dessen Frau schwanger ist, fürchtet den Tötungsbeschluss der Ägypter, wendet sich im Gebet an Gott und fleht um die Errettung seines Volkes. Gott antwortet auf Amrams Gebet, indem er ihm im Schlaf (kata; tou;~ u{pnou~) erscheint und ihm und den Israeliten seine Hilfe zusagt. Bestandteil der göttlichen Antwort ist eine summarische Rekapitulation der bisherigen biblischen Geschichte (2,212-214). An diese Geschichte wird Gott anknüpfen, wenn er in naher Zukunft (nu`n dev) Mose vor dem Zugriff des Pharao bewahren und durch ihn die Israeliten vor den Ägyptern retten wird (2,215-216). Die leichte Geburt des Kindes ist ein erster „Beweis“ (pivsti~) für die Glaubwürdigkeit der im Traum geschauten Prophezeiungen. (10) In Ant 7,147 flicht Josephus in seine Paraphrase von 2Sam 12,1 (Nathan kommt zu David) die Notiz über einen vorherigen Traum Nathans ein: „Gott ... erschien dem Propheten Nathan im Traum und tadelte den König“ (oJ qeo;~ ... tw`/ profhvth/ Navqa/ fanei;~ kata; tou;~ u{pnou~ ejmevmfeto to;n basileva). Die Stelle ist ein Beispiel für die josephische Tendenz, den biblischen Stoff in Ant 1-11 mit Traumszenen anzureichern. Darin schlägt sich zunächst allgemein die Vorliebe des Josephus für das Traumthema nieder. Zugleich macht sich aber auch ein rationalistischer Zug bemerkbar, sofern mit Nathans Traum erklärt wird, wie der Prophet zu Kenntnis und moralischer Bewertung der Machenschaften Davids gelangt ist. Unter der Voraussetzung der zumal seit hellenistischer Zeit verbreiteten Auffassung, dass Träume den Zugang zur Sphäre des 44 45

Dazu L. Feldman, Josephus’s Interpretation of the Bible (Hellenistic Culture and Society 27, Berkeley/Los Angeles/London 1998) 378-381, und R. K. Gnuse, Dreams (s. Anm. 32) 206-209. Die paganen Texte sind gesammelt und kommentiert bei F. Loretto, Traumglaube (s. Anm. 18) 12-52, und G. Weber, Kaiser (s. Anm. 25) 134-173.

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Göttlichen ermöglichen, kann das Traummotiv „übernatürliche“ Vorgänge auch historiographisch plausibilisieren. (11) Der Doppeltraum des jüdischen Hohenpriesters Jaddus (Ant 11,326-328) und Alexanders des Großen (Ant 11,333-335)46 steht ganz im Zeichen des göttlichen Eingreifens zugunsten der Juden. Der Traum als Medium der Kommunikation zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre ist ganz und gar Instrument des göttlichen Rettungshandelns. Auffällig ist die enge narrative Verzahnung von Gebet, Opfer und Traum47: Jaddus fordert das Volk zum Gebet auf, betet selbst auch, bringt Opfer dar und legt sich gleich anschließend, nämlich „nach dem Opfer“ (meta; th;n qusivan) zu Bett. Im Schlaf (kata; tou;~ u{pnou~) spricht Gott dem Hohenpriester Mut zu (ejcrhmavtisen aujtw`/ ... qarrei`n) und instruiert ihn, wie er Alexander begegnen soll. Eigens vermerkt wird die freudige Reaktion des Hohenpriesters (e[cairen megavlw~). Alexanders Traum wird nicht im Rahmen einer Traumszene erzählt, sondern dadurch mit dem Kontext verzahnt, dass er in der passenden Situation rekapituliert wird: Alexander erkennt in Jaddus die priesterliche Gestalt wieder, die ihm vor seinem Übertritt nach Asien im Schlaf (kata; tou;~ u{pnou~) erschienen ist und ihn zur sofortigen Durchführung seines Feldzuges gegen die Perser geraten habe. Deshalb wirft er sich vor Jaddus nieder, um den Gott, dessen Priester Jaddus ist, anzubeten. (12) Der Traum des Johannes Hyrkan in Ant 13,322 hat die Thronnachfolge des Hasmonäers zum Inhalt. Hyrkan will, „als Gott ihm im Traum erscheint“ (fanevnta kata; tou;~ u{pnou~ aujtw`/ to;n qeo;n) wissen, wer ihm dereinst auf dem Thron nachfolgt. Die Antwort, Alexander Jannai werde ihn beerben, betrübt ihn, weil er seine älteren Söhne Aristobul und Antigonos vorzog. Jannai wurde deshalb in der galiläischen Provinz erzogen, doch konnte dies seinen Aufstieg zur Macht nicht aufhalten. Josephus resümiert: oJ mevntoi qeo;~ ouj dieyeuvsato to;n ÔUrkanovn. Diese Traumszene gehört zu denjenigen, die für den Gang der erzählten Ereignisse unerheblich sind, wohl aber exemplifiziert sie die Stichhaltigkeit populären Traumglaubens: Träume, die den Träumenden nicht zusagen, sind besonders glaubwürdig, weil sie sich gewissermaßen gegen deren Widerstand erfüllen. (13) Auch die Vita des Josephus enthält eine Traumszene (Vita 208210). Sie bildet die Mitte des Werkes, womit ihre Bedeutung kompositorisch unterstrichen wird. Diente der Rekurs auf die prophetischen Träume des Josephus in Bell 3,350-354 dazu, die Kapitulation gegen die Rö46 47

Dazu S. Cohen, “Alexander the Great and Jaddus the High Priest according to Josephus”, Association for Jewish Studies Review 7–8 (1982–83) 41-68. So schon in 1Kön 3,4-15 und, darauf fußend, Ant 8,22-25 (Salomos Gebet um Weisheit).

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mer zu rechtfertigen, so geht es hier umgekehrt um die Rechtfertigung des Kampfes. Eine wunderbare Art von Traum schaute ich in jener Nacht (Dia; de; th`~ nukto;~ ejkeivnh~ qaumavsion oi|on o[neiron ejqeasavmhn): Ich hatte mich zu Bett gelegt, traurig über den Brief und aufgewühlt, da schien jemand über mir zu stehen zu kommen und zu sprechen (e[doxav tina levgein ejpistavnta moi): ,Vergiss deine Seelenpein, mein Lieber; entledige dich aller Furcht: Was dich bekümmert, wird dich sehr groß machen und zum allerglücklichsten Menschen; du wirst nicht nur das meistern, sondern noch vieles andere mehr. Gib nur nicht auf. Denke daran, dass du auch gegen die Römer wirst kämpfen müssen (o{ti kai; ÔRwmaivoi~ dei` se polemh`sai). Nachdem ich diesen Traum geschaut hatte, stand ich auf und wollte in die Ebene hinuntergehen.

Die Identität der Traumerscheinung (ti~) bleibt diffus und die Wahrnehmung des Träumenden in der Schwebe (e[doxa). Deutlich wird dagegen die psychische Verfassung des Träumenden vor dem Traum benannt (Traurigkeit wegen der aktuellen Gefährdung). Die militärische Konfrontation mit den Römern erscheint als höhere Notwendigkeit (dei`).

III. Während Josephus traumkritische Texte aus der biblischen Tradition ausblendet, wird bei Lukas mit der Joel-Weissagung (Joel 3,1-5) ein biblischer Text stark gewichtet, der Träume als Offenbarungsmedium ausdrücklich zulässt. Das in Apg 2,17-21 Petrus als Teil seiner Pfingstpredigt in den Mund gelegte Zitat nennt „Weissagung“ (profhteuvsousin oiJ uiJoi; uJmw`n kai; aiJ qugatevre~ uJmw`n), „Erscheinungen“ (oiJ neanivskoi uJmw`n oJravsei~ o[yontai) und „Träume“ (oiJ presbuvteroi uJmw`n ejnupnivoi~ ejnupniasqhvsontai) gleichrangig als Wirkungen des Pfingstgeistes. Im narrativen Kontext soll das Joel-Zitat die Beobachter des Pfingstereignisses davon überzeugen, dass die ekstatischen Phänomene übernatürlich-göttlichen und nicht etwa natürlichen Ursprungs sind, in diesem Fall Trunkenheit. Lukas scheint die Joel-Weissagung aber auch im weiteren Handlungsverlauf im Blick zu haben. Darauf deutet die Erwähnung der im unmittelbaren Kontext entbehrlichen aber zu 2,17 passgenauen vier qugatevre~ ... profhteuvousai des Philippus in 21,9. Auch die Tatsache, dass in der Apostelgeschichte allein der späte Paulus so etwas wie Traumgesichte hat (dazu gleich), könnte von der Joel-Weissagung herrühren (Träumen ist Sache der presbuvteroi). Auffällig ist freilich,

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dass in den Visions- und Epiphanietexten der Apostelgeschichte (wie überhaupt im NT) der in Apg 2,17 aus Joel 3,1 LXX entnommene Terminus ejnuvpnion nicht mehr vorkommt und Lukas auch keinen terminologischen Ersatz bietet. Den vier Texten, in denen notiert wird, dass sich eine Vision „bei Nacht“ ereignet hat48, ist nicht zu entnehmen, ob der Visionsempfänger geträumt hat, ob er durch die Vision vom Schlaf erwacht ist, oder ob er sie ohne vorherigen Weckvorgang einfach im Wachzustand empfangen hat (16,9: kai; o{rama dia; [th`~] nukto;~ tw`/ Pauvlw/ w[fqh, 18,9: ei\pen de; oJ kuvrio~ ejn nukti; di∆ oJravmato~ tw`/ Pauvlw/, 23,11: th`/ de; ejpiouvsh/ nukti; ejpista;~ aujtw`/ oJ kuvrio~ ei\pen, 27,23: parevsth gavr moi tauvth/ th`/ nukti; tou` qeou` ... a[ggelo~). Man könnte hierin einfach eine terminologische Unschärfe sehen, die nichts weiter zu bedeuten hat49, wenn nicht an zwei Stellen in der Apostelgeschichte ein merkwürdiges Licht auf das Phänomen des Schlafes fiele. Die erste Stelle betrifft den eingekerkerten und zwischen zwei Bewachern „schlafenden“ Petrus in 12,6: oJ Pevtro~ koimwvmeno~ metaxu; duvo stratiwtw`n. Der unsanfte Rippenstoß von der Hand des leibhaft erscheinenden und sich handfest bemerkbar machenden Engels taucht den Schlaf des Petrus, von dem er allererst erwachen muss, um der Engelerscheinung gewahr zu werden, in ein ebenso humoriges Licht wie die zweite Schlaf-Szene in 20,9, wo ein junger Mann ob der Länge der paulinischen Predigt einschläft und aus dem Fenster fällt. Es bedarf einer Art Totenerweckung durch Paulus, um den Schläfer wieder in den Stand zu versetzen, der paulinischen Predigt bis zum Ende zu folgen. Es entsteht im Blick auf die vier vorgenannten Stellen der Eindruck, als hegte der Verfasser der Apostelgeschichte eine ironische Distanz zum Schlafzustand als Bedingung der Möglichkeit des Offenbarungsempfangs und habe deshalb nicht expressis verbis von Träumen sprechen wollen. Gerade von 12,5ff aus kann man nicht einfach die oJravmata in 16,9 (Erscheinung des Makedoniers) und 23,11 (Erscheinung des kuvrio~) zu Träumen erklären, denn der in 12,9 notierte Irrtum des Petrus – er weiß nicht, o{ti ajlhqev~ ejstin to; ginovmenon dia; tou` ajggevlou, ejdovkei de; o{rama blevpein – unterläuft ihm im Wachzustand, hat ihn der Engel doch bereits in 12,7 aufgeweckt (h[geiren aujtovn). Petrus meint also nicht, er schlafe, obwohl er doch wach ist, sondern er meint, eine Wachvision zu erleben, obwohl ihm das Geschehen real (ajlhqev~) widerfährt. Auch auf 16,25 ist zu verweisen: Die Szene 48 49

Dazu ausführlich B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 273-297. So neben vielen anderen J. Lindblom, Gesichte und Offenbarungen. Vorstellungen von göttlichen Weisungen und übernatürlichen Erscheinungen im ältesten Christentum (Lund 1968) 28: „Auch wenn nicht direkt vom Schlaf oder Traum, sondern nur von einer Offenbarung bei Nacht gesprochen wird, haben wir doch in den meisten Fällen Anlass zu vermuten, dass an einen Traum gedacht wird“.

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spielt sich „um Mitternacht“ (katav ... to; mesonuvktion) ab, doch Paulus und Silas schlafen nicht, sondern sie beten50. Es verhält sich also so, dass Lukas der Joel-Weissagung mit den vier Nachtgesichten51 des Paulus Genüge tut, diese aber möglicherweise absichtlich nicht terminologisch als Träume kennzeichnet. Diese Beobachtung wie auch die in der Joel-Weissagung formulierte phänomenologische Differenzierung der Wirkungen des Pfingstgeistes in „Weissagung“ (profhteuvein), „Erscheinungen“ (oJravsei~) und „Träume“ (ejnuvpnia) lassen es ratsam erscheinen, die Visionen und Epiphanien der Apostelgeschichte insgesamt in den Blick zu nehmen und hier besonders nach der Rolle des pneu`ma zu fragen. Auch bei einer völligen Außerachtlassung der Joel-Weissagung wird rasch klar, dass das pneu`ma a{gion als Agent visionärer Kommunikation führend ist. Dazu passt, dass das Losverfahren als alternatives Offenbarungsmedium52 bei der Nachwahl des Matthias (1,26) in der chronologischen Konstruktion der Apostelgeschichte vor das Pfingstereignis fällt. Danach tritt im visionären Kontext neben „Gott“, dem „Kyrios“ und (s)einem „Engel“ immer wieder der „(Heilige) Geist“ auf. In 7,55 ist Stephanus, als er den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen sieht, plhvrh~ pneuvmato~ aJgivou, was eine aktuell sich vollziehende Erfüllung mit Heiligem Geist meint53. In 8,26-40 ist es zunächst der „Engel des Herrn“, der Philippus dem Äthiopier entgegen an die Straße nach Gaza beordert, doch übernimmt in 8,29 der Geist die Regie, indem er ihn auffordert, dem Wagen des Kämmerers zu folgen, und der Geist ist es auch, der Philippus nach getaner Arbeit entrückt. Bemerkenswert an dieser Szene ist, dass die zweifellos visionär vorzustellende Intervention des Engels (ejlavlhsen ... levgwn) bzw. des Geistes (ei\pen) ohne jegliche visionäre Motivik gestaltet ist. In äußerster Kürze werden lediglich Adressant, Adressat und Inhalt der visionären Kommunikation genannt. Dies gilt auch für 13,2 (Aussendung von Paulus und Barnabas) wo Lukas ein einfaches ei\pen to; pneu`ma to; a{gion genügt. In 16,6 (Der 50 51

52 53

Beispiel für eine Wachvision bei Nacht ist POxy XI,1381 col. II sqq bei A. Wikenhauser, „Doppelträume“ (s. Anm. 60) 106f: Eine Frau wacht am Krankenbett ihres Sohnes und schaut visionär, was ihr Sohn zeitgleich träumt. B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 57ff, versteht unter „Nachtgesicht“ mit der älteren Literatur einen Vorgang, der wie der Traum auch im Schlaf stattfindet. Hier wird der Terminus dagegen verwendet, um die nächtliche Wachvision vom Traum zu unterscheiden. Im NT singulär. M. Frenschkowski, Offenbarung (s. Anm. 3) 367. Zum paganen Losorakel vgl. Cicero, De divinatione 2,85-87. Auch das leuchtende Angesicht des Stephanus in 6,15 steht für Inspiration (M. Frenschkowski, Offenbarung [s. Anm. 3] 365f. mit Anm. 31 mit religionsgeschichtlichem Vergleichsmaterial). Stephanus ist nicht einfach Pneumatiker, sondern er wird in der Gerichtssituation mit Heiligem Geist erfüllt, was sich phänomenologisch dadurch bemerkbar macht, dass sein Angesicht zu leuchten beginnt.

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Geist hindert Paulus und Timotheus an der Mission in der Asia und in Bithynien) ist unklar, ob an ein visionär kommuniziertes Verbot oder nicht einfach an die äußeren Umstände zu denken ist54. Entsprechendes gilt für 20,22 (Paulus geht als dedemevno~ ... tw`/ pneuvmati nach Jerusalem). Deutlicher weist das 20,23 notierte wiederholte Zeugnis des Geistes an Paulus auf seinem Weg auf visionäre Vorgänge. Undeutlich bleibt dagegen 15,28: Wenn die Jerusalemer Versammlung in ihrem Schreiben an die antiochenische Gemeinde konstatiert: e[doxen ga;r tw`/ pneuvmati tw`/ aJgivw/ kai; hJmi`n etc., dann bildet sich dies narrativ in keiner Weise in den vorausgehenden Verhandlungen und Beratungen des Apostelkonzils ab. Hier geht es wohl gar nicht um eine visionäre Einflussnahme des Geistes, sondern um einen erreichten Konsens, der rückblickend dem nicht näher spezifizierbaren Wirken des Geistes zugeschrieben wird55. Auch in 21,4 (Die Jünger in Tyrus warnen Paulus dia; tou` pneuvmato~ vor der Weiterreise nach Jerusalem) interessiert sich Lukas nicht dafür, ob sich der Geist in Visionen oder anderswie vernehmen lässt56. Wo Lukas ein visionäres Geschehen unzweideutig terminologisch kennzeichnet, verwendet er bis auf 26,19, wo Paulus die Damaskusvision vor Agrippa rückblickend als ojptasiva bezeichnet, durchweg den Terminus o{rama (9,10.12 [unsicher]; 10,3.17.19; 11,5; 16,9.10; 18,9), aber er tut das eben nicht überall. In 7,55 (Stephanus-Vision), 8,26.29.39 (Sendung des Philippus zum Kämmerer), 9,3ff (Damaskusvision), 22,2-11 (Rekapitulation der Damaskusvision), 22,17-21 (Rückblick auf die Tempelvision des Paulus), sowie in 23,11 und 27,23 (Nachtgesichte des Paulus) fehlen nominale Bezeichnungen. Die Abgrenzung zwischen auditiven und visionären Anteilen (hier beschränkt sich Lukas auf das „Stehen“ des visionär Erscheinenden) ist von bemerkenswerter Unschärfe57, wobei das auditive Moment vorherrschend ist. Stets handelt es sich um 54 55 56

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Vgl. dazu die Überlegungen bei B. J. Koet, „Im Schatten des Aeneas. Paulus in Troas“, in R. Bieringer/G. van Belle/J. Verheyden (eds.), Luke and his Readers (BEThL 182, Leuven 2005) 424. Im Blick auf 15,39 (Streit zwischen Paulus und Barnabas und ihre Trennung) ist wenigstens beiläufig darauf hinzuweisen, dass dort, wo Konsense zerbrechen, vom Geist nicht die Rede ist. Rätselhaft bleibt, dass der geistgeleitete Ratschlag (21,4) zum Willen des Kyrios in Widerspruch (21,14) steht. Außerdem hat der Geist Paulus bereits in 20,23 die notwendigen Leiden angekündigt; vgl. die Diskussion bei A. Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitel 13–28 (ÖTK 5/2, Gütersloh 1985) 589f (Ältere Lösungen und eigener Lösungsvorschlag). Beispielsweise kann Barnabas in 9,27 den Aposteln berichten, Saulus habe den Herrn „gesehen“, obwohl Paulus in 9,3ff, von einem hellen Licht geblendet und zeitweilig erblindet, lediglich eine Stimme „hört“. In 18,9 „spricht“ der Herr zu Paulus di∆ oJravmato~. Ein glatter Widerspruch besteht zwischen 9,7 (Die Paulusbegleiter hören die Stimme, sehen aber niemanden) und 22,9 (sie sehen die Lichterscheinung, hören aber nicht die Stimme).

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eindeutige auditive Botschaften, nicht um auslegungsbedürftige allegorische Visionen. Die Petrusvision 10,9ff ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Das in einer Wachvision Geschaute und Gehörte bleibt zunächst unverstanden: dihpovrei oJ Pevtro~ tiv a]n ei[h to; o{rama o} ei\den (10,17a). Zeitgleich stehen Kornelius’ Männer vor der Tür (10,17b.18) und der Geist betätigt sich dadurch als Hermeneut des Geschauten, dass er Petrus nach unten zu den Männern schickt58. Der allegorische Charakter der Vision ermöglicht erzähltechnisch die Inszenierung eines Erkenntnisprozesses auf Seiten des Petrus. Die Vision ist Teil einer narrativen Zerdehnung, die einen schrittweisen Bewusstseinswandel hin zur Kommensalität mit den Heiden anschaulich machen soll. In den übrigen Texten sind entweder „Gott“, der „Kyrios“, ein „Engel“ oder der „Geist“ Adressanten der visionär kommunizierten Botschaft. Auch hier gibt es zwei Ausnahmen59: In 9,11f erfährt Ananias (seinerseits in einer Vision), dass Paulus ihn in visionärer Schau „gesehen“ habe, wie er Paulus durch Handauflegung das Augenlicht wiedergibt, und in 16,9 erscheint Paulus ein Makedonier, der ihn auffordert, nach Makedonien zu kommen. (1) Die erstgenannte Ausnahme ist ebenso wie die allegorische Vision 10,9ff der besonderen Kommunikationssituation geschuldet, die sich ihrerseits der besonderen Dramatik der Erzählhandlung verdankt. Geht es in der visionär angebahnten Begegnung zwischen Petrus und Kornelius um die Überwindung der ritualgesetzlichen Schranke zwischen Judentum und Heidentum, so im Kontext des Damaskusereignisses um die Wandlung des Saulus/Paulus vom Verfolger des frühen Christentums zu seinem wichtigsten Protagonisten. In beiden Fällen erzählt Lukas eine vom Geist angebahnte Begegnung von epochaler Bedeutung. Der dafür nötige narrative Mehraufwand wird teilweise durch verstärkten Rückgriff auf Visions- und Epiphanietopik bewältigt60. (2) Mit der Figur des Makedoniers in 16,9 stattet Lukas den Übertritt des Paulus nach Europa auf ganz ähnliche Weise epiphanal aus, wie es auch Sueton mit Cäsars Übertritt über den 58 59

60

Vision und narrativer Rahmen verhalten sich ähnlich zueinander wie der visionäre Rahmen und die äußere Handlung im griechischen Esterbuch: Das allegorische Rätselbild wird durch die realen Ereignisse entschlüsselt (s.o. Anm. 9). Als ein Sonderfall kommt die Stephanus-Vision hinzu, in der der Kyrios/Menschensohn (zur Rechten Gottes „stehend“, d.h. in anwaltlicher Funktion) bzw. Gott nicht sprechen, sondern Gegenstand der visionären Schau sind. Formal handelt es sich um eine Thronvision, funktional um die Beglaubigung des Stephanus durch den erhöhten Christus vor dem menschlichen Gerichtsforum (vg. dazu K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments [Heidelberg 1984] 286.288). Hierzu gehört auch der Topos der Doppelvision bzw. des Doppeltraums, „d.h. paralleler Offenbarungen, die an zwei verschiedene Personen(kreise) ergehen, aber zu ein und demselben Zweck zusammenwirken“, so die Definition von A. Wikenhauser, „Doppelträume“, Biblica 29 (1948) 100-111, 100, der die paganen und christlichen Vergleichstexte bietet.

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Rubicon tut61. Auffällig ist zugleich, dass Lukas gerade dieses Geschehen durch die narrative Rahmung überdeutlich als Initiative Gottes kenntlich macht: Es ist zuvor der Geist, der sowohl den Weg südwärts in die Asia wie auch in nördlicher Richtung nach Bithynien versperrt und damit den Weg westwärts bis Troas erzwingt, wo Paulus jene Erscheinung hat, und anschließend sind sich Paulus und seine Leute sofort darüber im Klaren, dass sie, wenn sie der Bitte des Makedoniers entsprechen, einem Ruf Gottes selbst folgen (16,10). Weitere Signale für eine theologische Einbindung von Visionen liegen dort vor, wo in der Rahmenhandlung vermerkt wird, dass der oder die Visionsempfänger aktuell mit Gebet oder Gottesdienst befasst waren. Dies ist der Fall in 9,11 (Paulus nach der Damaskusvision), 10,9 (Petrus in Joppe), 10,30 (Kornelius), 13,2 (Aussendung von Paulus und Barnabas) und 22,17 (Paulus empfängt seine visionär-ekstatische Beauftragung zur Heidenmission beim Gebet im Tempel)62. Die Tempelvision des Paulus und die Petrusvision sind überdies die einzigen Stellen, an denen etwas über den psychologischen Status des Offenbarungsempfängers verlautet. Nach 10,10 gerät Petrus, als er sich zum Gebet rüstet, in Ekstase63 (ejgevneto ejp∆ aujto;n e[kstasi~). Entsprechend lautet der IchBericht des Petrus 11,5: ejgw; h[mhn ejn povlei ∆Iovpph/ proseucovmeno~ kai; ei\don ejn ejkstavsei o{rama. Ganz ähnlich berichtet in 22,17 Paulus von sich im Rückblick auf die Tempelvision: kai; proseucomevnou mou ejn tw`/ iJerw`/ genevsqai me ejn ejkstavsei. Die Ekstasen des Petrus und des Paulus sind als besonders hervorgehobene ereignishafte Manifestationen des Pfingstgeistes zu lesen, nicht als Aussagen über divinatorische Fähigkeiten dieser beiden Gestalten64. Ansonsten spielen psychische Dispositionen oder Reaktionen kaum eine Rolle65. Einzige Ausnahme ist das 61

62

63 64 65

Vgl. Sueton, Caesar 31, ähnlich schon Herodot, Historien 7,12 (Xerxes vor dem Feldzug gegen Griechenland). Auch die Erscheinung des jüdischen Hohenpriesters vor Alexander kurz vor seinem Übertritt nach Asien in Ant 11,334 gehört hierher (R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles [Philadelphia 1987] 164 mit Anm. 84). Weitere Parallelen bei A. Wikenhauser, „Religionsgeschichtliche Parallelen zu Apg 16,9“, BZ 23 (1935) 180-186, und B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 275-277. Auch das in 4,31 und 16,25 verarbeitete Theophanie-Element des Erdbebens ist mit Gebeten verknüpft, ebenso das Losorakel bei der Nachwahl des Matthias in 1,26. Zur theologischen und konzeptionellen Bedeutung der Tempelvision des Paulus vgl. O. Betz, „Die Vision des Paulus im Tempel von Jerusalem“, in id., Jesus. Der Herr der Kirche. Aufsätze zur biblischen Theologie II (Tübingen 1990) 91-102. A. Oepke, Art. e[kstasi~, ejxivsthmi, ThWNT 2, fasst den Begriff der Ekstase zu weit, wenn er unter Hinweis auf Apg 7,55; 13,2; 16,6.10f; 18,9f; 22,17ff von „mehr oder weniger ausgeprägt ekstatische[n] Erfahrungen“ spricht. B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 270, sieht in der „Ekstase“ des Paulus in 22,17 lediglich ein „erbauliches Zugeständnis an den hellenistischen Leser“. Entsprechend schwierig gestalten sich religionspsychologische Anfragen an die Visionstexte der Apostelgeschichte, wie S. Vollenweider, „Außergewöhnliche Bewusst-

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Erschrecken des Kornelius als Reaktion auf die Angelophanie in 10,4 (e[mfobo~ genovmeno~). Auch zur körperlichen Disposition der Visionsempfänger verlautet nichts. Allenfalls das in 13,2 erwähnte Fasten (Askese als Vorbereitung auf den Visionsempfang) ist hier zu nennen. Ebenso wird nirgends die Zuverlässigkeit des visionären (visuellen oder auditiven) Sinneseindrucks in Zweifel gezogen. Wieder bestätigt eine Ausnahme die Regel: In 12,9 erliegt Petrus einer Täuschung, jedoch nicht über den Wahrheitsgehalt einer Vision, sondern über den Wirklichkeitsgehalt eines realen Geschehens, das er irrtümlich für ein o{rama hält. Schließlich ist auf die von Lukas in aller Deutlichkeit vollzogene Abgrenzung der frühchristlichen visionären Praxis von Formen der Mantik und des Pneumatikertums hinzuweisen, die er als deren illegitime Variante darstellt. Bemerkenswert ist die kritische Formulierung wJ~ ijdiva/ dunavmei h] eujsebeiva/ in 3,12. Hier geht es zwar nicht um Mantik, sondern um Krankenheilung, aber die Stelle fügt sich in die lukanische Kritik einer habituellen, technischen oder gar kommerziellen Verfügbarkeit von Manifestationen des Pfingstgeistes. Simon Magus ist als Kontrastfigur zu Philippus in ironischer Überzeichnung Inbegriff magischer Instrumentalisierung des Geistes, den er für beliebig delegierbar und erwerbbar hält (8,18f). Verwerflich ist nicht erst, dass Simon sich als hJ duvnami~ tou` qeou` hJ kaloumevnh Megavlh inszeniert. Am Beispiel Agrippas I. wird deutlich, dass schon mit der unwidersprochenen Akklamation als qeou` fwnh; kai; oujk ajnqrwvpou eine kritische Grenze überschritten ist (12,22). Dagegen verwehren sich Paulus und Barnabas in 14,14f massiv gegen ihre Apotheose als Hermes und Zeus durch die Lykaonier und insistieren darauf, dass sie normale Menschen sind. Das tut auch Petrus, als Kornelius sich vor ihm niederwirft: kai; ejgw; aujto;~ a[nqrwpov~ eijmi (10,26). In 16,16 exorziert Paulus einen gewinnträchtigen Wahrsagegeist, obwohl er die Wahrheit sagt.

IV. Hätte Josephus, wäre er Christ geworden, Träume und Visionen ebenso wie Lukas in seinen Werken verarbeitet? Die Antwort lautet natürlich: Wir wissen es nicht. Was wir hingegen detailliert nachvollziehen können, sind die erheblichen Unterschiede, die de facto zwischen beiden Autoren bestehen. Der Vergleich zwischen Lukas und Josephus schärft seinszustände und die urchristliche Religion. Eine alternative Stimme zur psychologischen Exegese“, in G. Theißen/P. v. Gemünden (eds.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums (Gütersloh 2007) 79, notiert.

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das Profil des lukanischen Konzepts gewissermaßen via negationis, dergestalt, dass wir bei Josephus zahlreiche Motive finden, die bei Lukas nur in Spuren vorhanden sind oder überhaupt fehlen. (1) In der Apostelgeschichte fehlt jeder Rekurs auf Theorie und Profession der Traumdeutung. Für Josephus ist dies, wie wir sahen, ein wichtiges Thema: Unter den biblischen Gestalten sind Joseph und Daniel herausragende Traumdeuter, und in seiner eigenen Gegenwart zeichnen sich namentlich die Essener durch außerordentliche Fähigkeiten auf diesem Feld der Divination aus. Nicht zuletzt ist es aber auch Josephus selbst, der sich eine besondere Begabung in der Deutung von Träumen zuschreibt. Er verknüpft diese Gabe mit der Kunst der Schriftauslegung und leitet daraus eine besondere Befähigung zur Geschichtsschreibung ab. Beides führt er auf seine Herkunft aus dem Priesterstand zurück. – Lukas liegt der Gedanke völlig fern, einen eigenen Berufsstand mit der Interpretation von Träumen oder der Kundgabe visionärer Zukunftsschau zu befassen. Vielmehr fällt, wie in Acta 8 Simon Magus und in Acta 16 die wahrsagende Sklavin exemplifizieren, auf professionelles Pneumatikertum ein schlechtes Licht. (2) Josephus schätzt allegorische Visionen. In Bell 2,111-113 lässt er den Herodessohn Archelaos ein Rätselbild schauen, um essenische Traumdeutungskompetenz mit Elementen aus Dan 2 (Nichtjüdische Mantik als unterlegene Konkurrenz) in Szene zu setzen. Bei den Nachtgesichten und Visionen der Apostelgeschichte handelt es sich bis auf eine Ausnahme um unverschlüsselte auditive Botschaften, die keiner Deutung bedürfen. Man kann hier von einer „fundamentalen Disambiguierung des Offenbarungsgeschehens“66 sprechen. Menschlicher Traumdeutungskompetenz fehlt in der Apostelgeschichte überhaupt der Gegenstand. Die von Petrus in Acta 10 geschaute und ihm zunächst unverständliche Szene legt sich gleichsam von selbst aus durch die Begegnungen des Petrus mit den Leuten des Kornelius und dann mit Kornelius selbst. Petrus ist in 10,17 angesichts der Vision das, was ein Essener bei Josephus nie wäre, nämlich „ratlos“. Aus Acta 10,19 mag man eine leise Ironie heraushören, wenn der Geist Petrus bei seinem „Nachsinnen“ über das Geschaute mit dem Hinweis unterbricht, dass unten Besuch auf ihn wartet67. (3) Josephus baut gelegentlich traumtheoretische Überlegungen in seine Darstellung ein, so in Ant 2,86 (Wozu Gott Träume schickt) und in Bell 7,347 (Warum die Seele im Schlaf für die Sphäre des Göttlichen 66 67

So für das NT insgesamt M. Frenschkowski, „Traum“ (s. Anm. 2) 11. Die Erscheinung des Makedoniers in 16,9 ist m.E. nicht, wie B. Heininger, Paulus (s. Anm. 10) 274, meint, als symbolische Vision zu sehen, die der „Deutung“ bedarf. Der Makedonier sagt klar, was er will.

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offen ist). Lukas versagt sich diese Ebene der Reflexion gänzlich. Dass, warum und wie Träume und Visionen funktionieren, wird nirgends thematisiert oder in Frage gestellt. (4) Die josephischen Texte lassen gelegentlich eine Auseinandersetzung mit antiker Kritik des Traumglaubens durchscheinen, etwa wenn Josephus die unverzügliche Erfüllung divinatorischer Träume notiert (Bell 2,113: Archelaos wird binnen fünf Tagen nach dem Traum nach Rom zitiert; Bell 2,116: Glaphyra stirbt nach zwei Tagen), oder mit der Notiz in Ant 13,322, Gott habe den Johannes Hyrkan mit der Traumbotschaft über seine Thronfolge „nicht getäuscht“. Auch das Agatharchides-Zitat in CAp 2,206-208 (Stratonikes Traumgläubigkeit als Ausdruck verderblichen Aberglaubens) und dessen geschickte Einbindung in den apologetischen Kontext gehört hierher. Lukas problematisiert oder verteidigt den Wirklichkeitsgehalt von Träumen und Visionen an keiner Stelle. (5) Josephus folgt darin hellenistisch-römischer Traumtopik, dass er wiederholt die psychische Reaktion des Träumenden bzw. dessen psychischen Zustand vor und/oder nach dem Traum thematisiert (Bell 1,328: Herodes erwacht aus seinem Traum „mit Schrecken“, Josephus’ Traum in Vita 208-210 hilft ihm im Zustand der Traurigkeit auf, u.ö.). Bei Lukas passiert dies nur an einer Stelle, nämlich als Reaktion des Kornelius auf die Angelophanie in 10,4. Kornelius ist zu diesem Zeitpunkt noch kein Christ. Taufe und Geistempfang hat er noch vor sich. Die Angelophanie funktioniert also streng genommen noch nicht nach Maßgabe der Joel-Weissagung. In allen übrigen Fällen ist die psychologische Komponente visionären Geschehens konsequent ausgeblendet. (6) Josephus trägt in seine Traumszenen in Übereinstimmung mit der üblichen Terminologie („e[doxe ti~ + Infinitiv“, v.a. bei Artemidor) ein Moment der Unsicherheit der Wahrnehmung ein (Beispiel: die Traum-Allegorie des Archelaos in Bell 2,111-113: Er „meinte“ zu sehen). Dieser Sprachgebrauch, der dem Umstand Rechnung trägt, dass Träume auch rein natürlichen Ursprungs sein oder sonst wie täuschen können, signalisiert ein Mindestmaß an kritischer Distanz des Erzählers. Bei Lukas findet sich nichts von alldem. Die einzige Stelle, an der eine Sinnestäuschung vorkommt (12,9), bezieht sich nicht auf den Wirklichkeitsgehalt eines Traums, sondern auf eine Verwechselung von Traumund Wachzustand. (7) Weitere Momente einer Distanzierung der Erzählperspektive liegen dort vor, wo Josephus notiert, dass er selbst von einem Traum nur vom Hörensagen weiß (Bell 2,111), oder wo er Überlegungen zur Relevanz des zu berichtenden Traums für den Erzählkontext einflicht (Bell 2,111). Auch in dieser Hinsicht gibt es in der Apostelgeschichte nichts

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Vergleichbares. Die erzählten Nachtgesichte und Visionen sind offenbar für den Erzählfortschritt derart essentiell, dass für eine reflexive Distanz des Autors zum Erzählten kein Raum ist. (8) Anders als bei Lukas gibt es bei Josephus Traumszenen, die für den Erzählforschritt nicht notwendig sind und damit in die Nähe des reinen erzählerischen Ornaments geraten, etwa wenn Herodes d. Gr. im Traum vom Tod seines Bruders erfährt und ihm anschließend ein Bote dasselbe nochmal berichtet (Bell 1,328). Die Anreicherung der Erzählhandlung um Traummotive dient in diesen Fällen in erster Linie oder ausschließlich der Auflockerung oder literarischen Anreicherung der Handlung, mithin der Steigerung ihres Unterhaltungswertes. (9) In der Apostelgeschichte sind – auch dies ist der Logik der JoelVerheißung geschuldet – ausschließlich Christen Empfänger von Nachtgesichten oder Visionen, oder aber solche, die es werden sollen (Saulus, Kornelius). Josephus kennt demgegenüber auch Träume von Akteuren, die nicht zur jüdischen Gemeinschaft gehören, Israel/den Juden sogar potentiell feindlich gegenüber stehen oder als Charaktere negativ bewertet werden. In Bell 5,381 wird der Pharao (über die biblische Vorlage Gen 12,10-20 hinausgehend) durch einen Traum dazu bewogen, Sara ihrem Ehemann und vermeintlichen Bruder Abraham zurückzugeben. Glaphyra wird in einem Traum für ihre gesetzeswidrige Eheschließung getadelt (Bell 2,114-116). Alexander d. Gr. wird durch einen Traum auf die für die Juden günstige Begegnung mit dem jüdischen Hohenpriester vorbereitet. Dass Außenstehende in der Apostelgeschichte keiner Träume oder Visionen gewürdigt werden68, wirkt sich konsequenterweise darin aus, dass Agrippa I., der seine Akklamation als „Stimme Gottes“ frevelhafterweise unwidersprochen lässt, eines qualvollen Todes stirbt, ohne dass ihn ein Traum oder dergleichen über den Sinn seines unzeitigen Sterbens aufklärt (Apg 12,22f), wogegen Josephus ihn eines Prodigiums würdigt, das es ihm ermöglicht, sich gefasst auf seinen Tod vorzubereiten (Ant 19,343-350)69. (10) Die Träume Johannes Hyrkans (Thronfolge), Archelaos’ (Absetzung durch Rom) und Glaphyras (baldiger Tod) lassen die Protagonisten der Unentrinnbarkeit ihres Geschicks innewerden. Diese fatalistische Ausgestaltung des Traummotivs kommt bei Lukas nicht vor. Auch diese Fehlstelle ergibt sich aus der Entwicklung des Themas Träume/ Visionen aus der Joel-Weissagung. (l1) Es gibt bei Lukas keine Erscheinung Verstorbener. Beispiele bei Josephus sind im ersten Teil der Antiquitates die Erscheinung Samuels 68 69

Neutestamentliches Gegenbeispiel ist der Traum der Frau des Pilatus in Mt 27,19. Ausführlich dazu M. Vogel, Commentatio mortis. 2Kor 5,1-10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi (FRLANT 214, Göttingen 2006) 125-129.

Traumdarstellungen bei Josephus und Lukas

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vor Saul und im Bellum der verstorbene Ehemann Glaphyras, der seine Frau im Traum heimsucht. (12) Josephus verwendet in Bell 2,114-116 (Glaphyras Traum) das Motiv der im Traum ausgesprochenen Ermahnung bzw. des Tadels70. Bei Lukas kommt dieses Element auch an denjenigen Stellen nicht vor, an denen ein visionärer Dialog einen kontroversen Zug erhält (Apg 10,14: Weigerung des Petrus, unreine Tiere zu verzehren; 22,19f: Paulus widerspricht dem Kyrios). (13) Lukas greift in der Apostelgeschichte nirgends auf biblische Traumerzählungen zurück. Dies ist kein nur gattungsbedingter Unterschied, der nichts besagen würde, weil für die extensive Bibelparaphrase Ant 1–11 die lukanische Vergleichsgröße fehlt. Formal vergleichbar sind nämlich die lukanischen und josephischen Geschichtssummarien71. In seiner Rede an die Aufständischen im römisch belagerten Jerusalem bedient sich Josephus einer langen Reihe biblischer exempla (Bell 5,380-394), darunter auch der bereits genannte apokryphe Traum des Pharao. (14) Bei Josephus sind nicht nur Träume Bestandteil von Geschichtssummarien, sondern umgekehrt auch Geschichtssummarien Inhalt von Traumbotschaften, so in der Gottesrede in Amrams Traum Ant 2,212214. Wiederum enthält die Apostelgeschichte nichts Vergleichbares. (15) Bei Josephus sind Träume wiederholt Instrument göttlichen Rettungshandelns. Beispiele sind nochmals der Traum des Pharao (Rettung der Ahnfrau) und der Traum Alexanders d. Gr., der die Juden vor einer militärischen Katastrophe bewahrt. In der Apostelgeschichte ereignet sich göttliches Eingreifen dagegen durch reale Intervention (12,510: Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis durch einen Engel; 16,26: Erdbeben), nicht durch Visionen.

V. Von allen neutestamentlichen Autoren macht Lukas in der Apostelgeschichte am ausgiebigsten von Visions- und Traummotiven Gebrauch. Vergleicht man jedoch die zahlreichen lukanischen Texte mit den Traumdarstellungen bei Josephus, wird deutlich, dass Lukas im zweiten Teil seines Doppelwerkes auf den reichen motivischen Fundus, der ihm hierbei zur Verfügung stand, nur sehr selektiv zugegriffen hat. 70 71

Dazu M. Frenschkowski, „Traum“ (s. Anm. 2) 16. Zur jüdischen Tradition umfassend J. Jeska, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels (FRLANT 195, Göttingen 2001).

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Manuel Vogel

Josephus repräsentiert demgegenüber das breite Spektrum an Traumund Visionsdarstellungen, das im Rahmen hellenistisch-römischer Geschichtsschreibung möglich und statthaft war. Dass Lukas diesen Motivbestand weitgehend unausgeschöpft lässt, kann damit erklärt werden, dass er Visionen und Traummotiven eine klar definierte und eng begrenzte Rolle im Erzählganzen der Apostelgeschichte zuweist. Visionen jeglicher Art sind gemäß der in Acta 2,17-21 zitierten Joel-Weissagung strikt als Initiativen und Wirkungen des Pfingstgeistes aufzufassen. Die bei Josephus facettenreich zur Darstellung gebrachten psychologischen Auswirkungen und anthropologischen Möglichkeitsbedingungen divinatorischer Phänomene sind bei Lukas deshalb weitestgehend ausgeblendet. Die Ekstasen des Petrus (10,10) und des Paulus (22,17) implizieren keinen Sonderstatus beider als Ekstatiker. Sie sind ereignishaft zu denken und der narrativen Akzentuierung der Öffnung hin zu den Heiden geschuldet. Ansonsten wehrt Lukas in aller Deutlichkeit jeder Habitualisierung des Pneumatischen. Visionen interessieren Lukas nicht als menschliche Möglichkeit, sondern allein als pneumatische Wirklichkeit. Den Zustand des Schlafs, der im Zentrum des Interesses antiker Traumtheorie steht (bei Josephus: Bell 7,347), thematisiert Lukas mit merklicher Ironie. Dazu passt, dass Lukas zwar wiederholt nächtliche Visionen in die Erzählhandlung einfügt, diese jedoch an keiner Stelle terminologisch eindeutig als Träume kennzeichnet und damit offen lässt, ob sie den Empfänger im Schlaf- oder Wachzustand erreichen. Von Interesse ist im zweiten Teil des lukanischen Doppelwerkes allein, dass mit den in der Joel-Weissagung spezifizierten Wirkungen des Geistes die Kommunikation zwischen dem Kyrios und der Gemeinde (die Lukas gern dialogisch gestaltet: Apg 9,4-6.10-16; 10,1316; 22,7-10; 17-21) weitergeht. Dies erklärt auch, warum im Evangelium Visionen noch keine Rolle spielen: Sie sind erst nach Jesu Weggang als Ersatz für die direkte Kommunikation mit dem irdischen Jesus erforderlich72. Das Losorakel bei der Nachwahl des Matthias (1,26) ist ein Behelf für das kurze Interim zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Dass Lukas psychologische und anthropologische Aspekte weitestgehend ausblendet, ist schließlich für die Frage von Bedeutung, wie sich für Lukas die pneumatischen Phänomene der Anfangszeit zu seiner eigenen Gegenwart verhalten. Die weitgehende Zurückhaltung in der psychologischen Explikation visionärer Vorgänge bis hin zum wiederholt ohne jede Erläuterung notierten „Reden“ des Geistes lässt alle Möglichkeiten seiner Manifestation offen. Nach Acta 15,28 fällt hierunter auch der zwischenmenschlich ausgehandelte Konsens. 72

So die überzeugende These von B. J. Koet, “Divine Communication in Luke-Acts“, in J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142, Leuven 1999) 745-757.

II. Griechisch-römische Kontexte

Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis in der Apostelgeschichte im Vergleich mit Herodot, Thukydides und Polybios JOACHIM MOLTHAGEN

I. Die Apostelgeschichte im Kontext der antiken Historiographie zu würdigen erscheint mir als eine sehr sachgemäße Aufgabe.1 Denn gegen anders lautende Stimmen in der althistorischen wie in der neutestamentlichen Forschung2 ist nach meinem Urteil die Apostelgeschichte durchaus als ein Geschichtswerk anzusprechen, das sich einreihen lässt in die Geschichtsschreibung des griechisch-römischen Altertums und das in ihr seinen eigenen, charakteristischen Platz behauptet.3 Von einem Geschichtswerk möchte ich sprechen, wenn es, gestützt auf sorgfältiges Bemühen um verlässliche Kenntnis, einen größeren Zusammenhang von vergangenem Geschehen darstellt, dabei die Einzelheiten zu einem größeren Ganzen verbindet und eine verstehende Deutung bietet, deren besondere Akzente sich, wie bei näherem Hinsehen deutlich wird, aus der Auffassung des jeweiligen Verfassers von der dargestellten Sa1

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Die hier vorgelegten Ausführungen beruhen auf meinem Beitrag zu dem bibelwissenschaftlichen Symposium zur Apostelgeschichte, das vom Institut für Neutestamentliche Theologie der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München am 15. und 16.3.2007 veranstaltet wurde. Sie behalten die Vortragsform bei. Von althistorischer Seite hat kürzlich D. Timpe, Römische Geschichte und Heilsgeschichte (2001) 55ff, betont, dass der Verfasser des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte nicht als der erste christliche Historiker gelten könne. In der neutestamentlichen Forschung hat die Würdigung des Verfassers der Apostelgeschichte als eines christlichen Erbauungsschriftstellers (so besonders E. Haenchen in seinem Kommentar Die Apostelgeschichte [71977]) und die Frage nach seinen Aussageabsichten und Tendenzen teilweise den Blick für das Geschichtswerk eingeengt. Vgl. dazu jetzt J. Schröter, „Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte“, in E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 129, 2005) 237-262. Vgl. ferner aus dem großen Forschungsbericht von J. Schröter, „Actaforschung seit 1982“, den Teil III: „Die Apostelgeschichte als Geschichtswerk“, ThR 72 (2007) 383-419 (Teile I und II ibid., 179-230 und 293-345, Teile IV – VI in ThR 73 [2008] 1-59; 150-196 und 282-333).

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che und aus seinem Verständnis von Geschichte ergeben. Diese Merkmale charakterisieren die von mir zum Vergleich herangezogenen Geschichtswerke, und sie gelten ebenso für die Apostelgeschichte. Charakteristika der Geschichtsschreibung und des Geschichtsverständnisses, die sich in der Apostelgeschichte finden, sollen im Folgenden untersucht werden. Dabei kann ein Vergleich mit anderen antiken Geschichtswerken den Blick für die anzusprechenden Sachbereiche schärfen und im Ergebnis das eigenständige Profil der Apostelgeschichte hervortreten lassen. Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der hier vorgelegten Studie die Apostelgeschichte nicht in die gesamte Geschichtsschreibung des griechischrömischen Altertums eingeordnet werden kann. Der Vergleich beschränkt sich auf drei griechische Historiker, die zunächst mit wenigen skizzierenden Strichen vorgestellt werden sollen. Es geht um Herodot, dessen Werk schon für Cicero den Anfang der Geschichtsschreibung markierte,4 um Thukydides, den Meister der methodenbewussten und reflektierten politisch-militärischen Geschichtsschreibung, und um Polybios, dem wir das am besten erhaltene Geschichtswerk aus hellenistischer Zeit verdanken. Alle drei Autoren entstammten adligen Familien und nahmen dementsprechend am politischen Leben ihrer Heimat teil. Praktische politische Erfahrung bildete also einen Horizont ihrer Geschichtsschreibung; und für Polybios gehörte die Vertrautheit mit politischen und militärischen Aufgaben auch ausgesprochenermaßen zu den unerlässlichen Voraussetzungen für jeden Verfasser eines Geschichtswerkes.5 Herodot wurde im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. im kleinasiatischen Halikarnassos geboren. Er unternahm, wie sein Werk erkennen lässt,6 weite Reisen, die ihn u.a. nach Ägypten, Mesopotamien und in das nördliche Schwarzmeergebiet führten. Nach der Mitte des 5. Jh. v. Chr., also zur Zeit der größten Blüte der Stadt, lebte er in Athen und verfasste dort sein Geschichtswerk, in dem er nicht nur in unverkennbarer Freude am Erzählen eine Fülle von Geschichten und Informationen vorlegt, sondern eine zentrale Thematik entfaltet. Als roter Faden durchzieht sein Gesamtwerk die Darstellung von der Entstehung und Ausbreitung des persischen Weltreiches einerseits und seinem Konflikt mit den Griechen Kleinasiens und des Mutterlandes andererseits. 4 5 6

Cic. leg. I,1,5 spricht von ihm als dem „pater historiae“. Pol. XII, 25g; vgl. auch XII 25e und h. Vgl. z.B. II,99,1, wo Herodot im Blick auf seine Ausführungen über Ägypten die eigene Anschauung (o[yi~) neben vernünftiger Überlegung (gnwvmh) und dem eigenen Nachforschen (iJstorivh) als seine wichtigsten Erkenntnisquellen nennt.

Apostelgeschichte im Vergleich mit Herodot, Thukydides, Polybios

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Der Athener Thukydides, der Verfasser einer Geschichte des Peloponnesischen Krieges, jener großen innergriechischen Auseinandersetzung, die sich über den Zeitraum von 431 bis 404 v. Chr. erstreckte und in der sich Athen und Sparta mit ihren jeweiligen Verbündeten bekämpften, wurde kurz nach 460 v. Chr. geboren. Er war damit um eine Generation jünger als Herodot. Er nahm selbst an dem von ihm dargestellten Krieg teil, bekleidete 424 v. Chr. das Amt eines athenischen Strategen und verlor damals die thrakische Stadt Amphipolis an die Spartaner. Das führte zu seiner Verbannung durch die Athener und hatte zur Folge, dass er sich bis zum Ende des Krieges vor allem im Herrschaftsgebiet der Spartaner aufhielt. Erst danach kehrte er nach Athen zurück, wo er um 400 v. Chr. starb. Aus seiner Zeitgenossenschaft und seiner persönlichen Lebensgeschichte leitet er eine besondere Kompetenz für sein Geschichtswerk ab: „Ich habe ihn (den Krieg) ganz miterlebt, alt genug zum Begreifen und mit voller Aufmerksamkeit, um etwas Genaues zu wissen, und musste als Verbannter zwanzig Jahre nach meinem Feldzug bei Amphipolis mein Land meiden, war also auf beiden Seiten, auf der peloponnesischen nicht minder, wegen der Verbannung, so dass ich bequem Näheres erfahren konnte.“7 Seine Darstellung des Krieges blieb allerdings unvollendet; sie führt bis in das Jahr 411/10 v. Chr. und bricht dort ab. Polybios, der um 200 v. Chr. in Megalopolis in Arkadien geboren wurde und vermutlich nach 120 v. Chr. starb, lebte zu der Zeit, als Rom seine Herrschaft in den östlichen Mittelmeerraum ausdehnte. Dieser weltgeschichtliche Prozess wurde auch für sein persönliches Leben bestimmend. 167 v. Chr., nach dem Ende des 3. Makedonischen Krieges, kam er als Geisel nach Rom, und zwar in das Haus des L. Aemilius Paulus, der als römischer Heerführer den Krieg gegen Makedonien erfolgreich zum Abschluss gebracht hatte. Polybios wurde Lehrer und Freund von dessen Sohn Scipio Aemilianus, der seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zu den einflussreichsten Politikern und Heerführern Roms zählte. Durch seine Verbindung zum Haus des L. Aemilius Paulus kam Polybios in Kontakt zu den führenden römischen Senatoren seiner Zeit und erhielt durch sie auch Zugang zu Akten aus römischen Archiven.8 Das zentrale Thema seines Geschichtswerkes ist Roms Aufstieg zur antiken Weltmacht. Durch diesen Prozess, der sich nach seiner Auffassung in einem Zeitraum von nicht ganz 53 Jahren vollzog,9 7 8 9

Thuk. V,26,5 (Übersetzung aus: Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges, eingeleitet und übertragen von G. P. Landmann [Zürich/München 21976]). Vgl. z.B. die von Pol. III, 22 - 26,1 vorgelegten karthagisch-römischen Verträge. Pol. I,1,5; III,1,9 u.ö.; gemeint ist der Zeitraum von 220 bis 168 v. Chr., d.h. vom Beginn des 2. Punischen Krieges bis zum Ende des 3. Makedonischen Krieges und der Auflösung der makedonischen Monarchie. Allerdings greift die Darstellung des Po-

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wuchsen für Polybios alle bekannten Teile der Welt zu einer Einheit zusammen, weshalb nur eine weltgeschichtlich orientierte Gesamtdarstellung, die den Leser das Geschehen in den verschiedenen Weltgegenden zusammenschauen lässt, der gewählten Aufgabe gerecht werden konnte.10 Eine solche Ansprüche erfüllende Universalgeschichte beansprucht Polybios vorgelegt zu haben.11 Auch die Vorstellung der Apostelgeschichte darf sich für den vorliegenden Zusammenhang auf wenige knappe Bemerkungen beschränken. Die Einleitungsfragen müssen hier nicht eingehend diskutiert werden, sondern es genügt darzulegen, wie ich angesichts einer in manchen Punkten kontroversen Forschungsdiskussion das Werk einordne.12 Unstrittig ist, wie der Einleitungssatz der Apostelgeschichte (1,1f) ausweist, die Zusammengehörigkeit mit dem dritten Evangelium. Die Apostelgeschichte verbindet also als zweiter Teil eines Doppelwerkes mit dem Evangelium von Jesus von Nazareth, dem Christus, nun die Geschichte der Evangeliumsverkündigung. Darin ist sie einzigartig in der urchristlichen Literatur. Anders als die bis in das 2. Jahrhundert n. Chr. zurückreichende altkirchliche Tradition, die Lukas, einen Begleiter und Mitarbeiter des Apostels Paulus, als Verfasser nennt, und anders als einige Stimmen auch der gegenwärtigen Forschungsdiskussion, die in ihrem Sinne urteilen,13 gehe ich mit der Mehrheit der Forschung davon aus, dass die Apostelgeschichte nicht von einem Augenzeugen, sondern von einem namentlich nicht bekannten Autor im späten 1. Jahrhundert n. Chr., etwa um 90 n. Chr., geschrieben wurde.14

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lybios über diesen zeitlichen Rahmen hinaus. Sie beginnt in den ersten beiden Büchern, die einleitenden Charakter haben (II,71,7-10), mit einem Überblick über die Zeit seit Beginn des 1. Punischen Krieges; und in Abänderung seines ursprünglichen Planes hat Polybios sein Werk bis zu den Kriegen, die Rom um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. gegen Karthago und in Makedonien sowie Griechenland führte, ausgeweitet (III,4). Vgl. Pol. III,1,4 und I,4,1. Erhalten sind von den 40 Büchern (Pol. III,32,2) die ersten 5 fast vollständig, das 6. in wichtigen Teilen und aus den übrigen mehr oder weniger umfangreiche Auszüge; Buch 40 fehlt ganz. Eine gute kurze Übersicht über wichtige Aspekte der neueren Diskussion um die Apostelgeschichte und das Lukasevangelium bietet J. Schröter, „Lukas als Historiograph“ (s. Anm. 3) 237-247. So kürzlich A. Mittelstaedt, Lukas als Historiker (2006). Gegen einen Mitarbeiter des Paulus als Verfasser sprechen gewichtige Gründe. Ich nenne nur zwei, die für mich besonderes Gewicht haben. Während Paulus immer wieder und oft mit Nachdruck betont, dass er Apostel Jesu Christi ist, zählt die Apostelgeschichte ihn nicht zu den Aposteln, sondern verwendet diese Bezeichnung nur für den Zwölferkreis aus den Erdentagen Jesu. (Die einzige Ausnahme, Apg. 14,4 und 14, wo im Blick auf Paulus und Barnabas von „den Aposteln“ die Rede ist, dürfte auf dem Sprachgebrauch einer Vorlage, die dem Verfasser der Apostelgeschichte vorgegeben war, beruhen.) Ferner berichtet die Apostelgeschichte über

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Dass der Verfasser sich sorgfältig bemühte, vorhandene Überlieferungen aufzunehmen, und dass er allem von Beginn an gründlich nachgegangen sei, betont er im Blick auf den ersten Teil seines Doppelwerkes in dem Prolog zum Lukasevangelium,15 und dieser Anspruch darf im weiteren Sinne auch auf den zweiten Teil, die Apostelgeschichte, bezogen werden. Damit beweist der Verfasser eine deutliche Verwandtschaft zu Herodot, Thukydides und Polybios. Bereits Herodot erhebt in dem kurzen Proömium, das er seinem ersten Buch voranstellt, den Anspruch, eine Darlegung seiner Forschung (iJstorivh~ ajpovdexi~) zu bieten; und sein Werk wird dieser Charakterisierung gerecht durch das Bemühen um gesicherte Kenntnis, durch die klare Trennung zwischen zuverlässigen und fragwürdigen Angaben16 sowie durch die reflektierende Darlegung der Ursachen.17 Sehr viel nachdrücklicher stellt Thukydides in seinem Methodenkapitel die Gründlichkeit seiner Recherchen heraus. Er habe sich nicht an die Auskünfte des ersten Besten gehalten, sondern sei Dingen, die er selbst erlebt habe, wie Nachrichten, die andere ihm zugetragen hätten, mit bestmöglicher Genauigkeit bis in die Einzelheiten nachgegangen.18 In ähnlich gründlicher Weise bemühte sich Polybios um verlässliche Kenntnisse. So legt er etwa im Zusammenhang seiner Darstellung vom Ausbruch des 2. Punischen Krieges die zwischen Römern und Karthagern geschlossenen Verträge vor (III,22-27), damit die Leser, die sachliche Belehrung suchen, eine klare Vorstellung von den Rechtsverhältnissen gewinnen, die zwischen Rom und Karthago bestanden, und nicht Fehlurteilen erliegen, die aus der Unwissenheit und Parteilichkeit anderer Geschichtsschreiber erwachsen können.19 Wie für Thukydides ist es auch für Polybios die wichtigste Aufgabe eines Historikers, die

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manche Einzelheiten ganz anders, als Paulus selbst es tut. (Man vergleiche etwa das Ergebnis des sog. Apostelkonzils Apg. 15, 20.28f mit dem Bericht des Paulus in Gal. 2,6-10.) Beides erscheint mir kaum vorstellbar, wenn wirklich ein Mitarbeiter des Paulus die Apostelgeschichte geschrieben hätte. Lk. 1,1-4. In 1,3 spricht der Verfasser von sich als einem parhkolouqhkovti a[nwqen pa`sin ajkribw`~. Vgl. z.B. Her. I,5,3 oder I,140,1. Z.B. Her. VII,4-19: die Gründe für den Zug des Xerxes gegen Griechenland. – Zu Herodots Werk als Darlegung seiner Forschung vgl. J. Molthagen, „Beobachtungen zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis im antiken Griechenland und Israel“, im Anhang zu id., Christen in der nichtchristlichen Welt des Römischen Reiches der Kaiserzeit (1. - 3. Jahrhundert n. Chr.). Ausgewählte Beiträge aus Wissenschaft und freikirchlicher Praxis, ed. H. Halfmann/Ch. Schäfer (2005) 187-205: 189 (zuerst veröffentlicht 2003). Thuk. I,22,2: oi|~ te aujto;~ parh`n kai; para; tw`n a[llwn o{son dunato;n ajkribeiva/ peri; eJkavs tou ejpexelqwvn. Pol. III,21,9f.

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Wahrheit zu erforschen und darzustellen,20 und ebenso wenig wie jener zweifelt er an der Möglichkeit, sie zu eruieren. Dagegen ist der heutigen Geschichtswissenschaft in der Regel bewusst, dass sie mit ihren Bemühungen niemals die objektive Wahrheit erheben, sondern immer nur Bilder von der Vergangenheit entwerfen kann, und zwar Bilder, die zwar methodisch sachgemäß und mit aller Sorgfalt zu erarbeiten sind, die aber gleichwohl begrenzt bleiben durch die Aussagemöglichkeiten der zur Verfügung stehenden Informationsgrundlagen und abhängig von der Fragestellung, den Erkenntnisinteressen, der Erfahrungswelt des jeweiligen Historikers sowie von seinen Grundauffassungen über die in der Geschichte wirkenden Kräfte. Eine solche Einsicht blieb dem Altertum und also auch Thukydides und Polybios verschlossen. Beide waren vielmehr davon überzeugt, dass durch die gewissenhafte und kritische Arbeit des Historikers die Wahrheit über die Vergangenheit gewonnen werde und dass ihre Werke dieser Zielsetzung gerecht wurden. Für den Verfasser des 3. Evangeliums und der Apostelgeschichte dürfte es im Blick auf den zweiten Teil seines Doppelwerkes unvergleichlich schwieriger gewesen sein, die nötige Informationsgrundlage zu gewinnen, als für den ersten Teil. Im Prolog zum 3. Evangelium kann er immerhin auf Vorgänger verweisen, die das Wirken Jesu in Wort und Tat bereits schriftlich dargestellt hatten (Lk. 1,1). In der Tat hatten die ersten christlichen Generationen ein lebenswichtiges Interesse an der Jesusüberlieferung. Dagegen bestand ein vergleichbares Interesse am Ergehen der Apostel oder allgemein der Jünger nicht. Denn für sie alle galt, dass sie, wie Paulus es 2. Kor. 4,5 formuliert, nicht sich selbst verkündigten, sondern Jesus Christus, den Herrn. Immerhin dürfte der Verfasser für die Apostelgeschichte viele einzelne Nachrichten und Erzählungen mündlich in Erfahrung gebracht und auf schriftlichem Wege gesammelt haben.21 Ob und in welchem Umfang ihm auch zusammenhängende Informationen zur Verfügung standen, nach denen er größere Partien der Apostelgeschichte gestalten konnte, bleibt in der Forschung umstritten.22 Mir scheint, dass man mit dieser Möglichkeit 20

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Vgl. Thuk. I,20,2 und 21,1. Polybios betont in I,14,6, dass, wenn man aus der Geschichtsschreibung die Wahrheit wegnimmt, nur eine nutzlose Darlegung übrig bleibt: ejx iJstoriva~ ajnaireqeivsh~ th`~ ajlhqeiva~ to; kataleipovmenon aujth`~ ajnwfele;~ givnetai dihvghma. In XII,25a wendet Polybios diesen Grundsatz auch auf die Wiedergabe von Reden an. Wie man sich die Möglichkeiten der Materialbeschaffung vorstellen kann, hat Haenchen (s. Anm. 2) 97f, dargelegt. Ihm folgt E. Plümacher, Art. „Apostelgeschichte“, TRE III (1978) 483-528: 500f. Vorsichtig positiv urteilt J. Roloff, Die Apostelgeschichte (1981) 9f. Sehr viel optimistischer äußert sich R. Pesch, Die Apostelgeschichte, vol. 1 (1986) 48. Gegen die Annahme

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rechnen muss. Aber keinesfalls verfügte er über einen bereits existierenden Entwurf für eine Geschichte der apostolischen Zeit. Für die Gesamtkonzeption der Apostelgeschichte ist der Verfasser des Doppelwerkes verantwortlich; sie ist seine Schöpfung.

II. Wenn es nun darum geht, die Apostelgeschichte durch den Vergleich mit Herodot, Thukydides und Polybios genauer zu würdigen, sollen nicht die formalen Gestaltungsregeln für antike Geschichtswerke angesprochen werden, sondern inhaltliche Aspekte der Geschichtsschreibung und Fragen nach dem Geschichtsverständnis. Zunächst ist nach der jeweiligen Thematik und ihrer Bedeutung zu fragen. Charakteristisch für die drei griechischen Historiker ist, dass sie nicht einfach Nachrichten über Vergangenes aneinanderreihen, sondern dass ihre Geschichtsschreibung bestimmt ist und auch angestoßen wurde von einem großen Thema. Ein solches Urteil mag im Blick auf Herodot vielleicht überraschen. Denn er breitet ein weit gefächertes Wissen über Länder und Völker aus, und er erzählt viele Geschichten. Nicht selten gewinnen seine geographischen und ethnologischen Exkurse und seine Einzelgeschichten ein starkes Eigengewicht. Aber sie zeigen auch, dass für Herodot die allgemeinen Verhältnisse unverzichtbar wichtig sind, wenn es um die Darstellung von vergangenem Geschehen geht. Sein Werk beschränkt sich nicht auf die politisch-militärischen Vorgänge, sondern bezieht immer wieder landes-, volks- und naturkundliche Fragen, gelegentlich auch staatstheoretische Erörterungen ein.23 Zwar stehen die verschiedenen Bereiche bei Herodot kaum verbunden nebeneinander, sie sind nicht schon zu einer geschlossenen Gesamtsicht verarbeitet; aber die Weite des Horizontes und die Einbeziehung der allgemeinen Verhältnisse erscheinen mir als bemerkenswerte Charakteristika von Herodots Geschichtswerk. Dabei sind die Perserkriege deutlich als sein zentrales Thema zu erkennen. Auf sie hin führen die Ausführungen über den Aufstieg des Perserreiches im ersten Teil des Werkes, und sie werden unmittelbar dargestellt in dem größeren zweiten Teil, in dem Herodot von den Kämpfen zwischen Grie-

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von zusammenhängenden Quellenkomplexen sprechen sich aus z.B. Plümacher, TRE III (s. Anm. 21) 493ff, und G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas (1983) 3ff. Vgl. als Beispiel für das Letztgenannte Her. III,80-83, eine von Herodot gestaltete Diskussion persischer Adliger über Verfassungsformen. Der Abschnitt stellt das älteste erhaltene Dokument für die Reflexion über unterschiedliche Staatsformen in der griechischen Staatstheorie dar.

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chen und Persern in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts v. Chr. berichtet. Dementsprechend erklärt er in seinem kurzen Proömium, er lege sein Werk vor, damit die großen und wunderbaren Taten der Griechen und Barbaren ihren Ruhm behielten – sowohl in anderer Beziehung als auch besonders im Blick darauf, aus welcher Ursache sie einander bekriegten. Viel deutlicher als Herodot stellt Thukydides am Beginn seines Werkes sein Thema heraus. Er hat, wie er in seinem ersten Satz sagt, „den Krieg der Peloponnesier und Athener, den sie gegen einander führten“, aufgezeichnet; und er fügt hinzu, dass er damit gleich bei Kriegsausbruch begann, da er erwartete, dass dieser Krieg groß und bedeutender als alle früheren sein werde (I,1,1). In strenger Konzentration auf die politischen und militärischen Vorgänge hat er sein Vorhaben ausgeführt bis zum Abbruch seiner Darstellung mitten in den Ereignissen des Jahres 411/10 v. Chr. Auch Polybios stellt wiederholt sein Thema klar heraus. Am Anfang seines Werkes sagt er, er wolle Kenntnis darüber vermitteln, wie und durch was für eine Art ihrer staatlichen Verfassung (politeiva) fast die ganze Welt (oijkoumevnh) in nicht ganz 53 Jahren unter die alleinige Herrschaft der Römer gefallen sei (I,1,5). Zu Beginn seines dritten Buches wiederholt er, sein Werk wolle eine Antwort geben auf die Fragen, wie, wann und warum alle bekannten Teile der Welt unter die Herrschaft der Römer gelangt seien.24 Es geht Polybios also um eine deutende und die Ursachen aufhellende Darstellung von Roms Aufstieg zur weltbeherrschenden Macht. Welches Thema sich die Apostelgeschichte stellt, beantworten die in den alten Handschriften gebotenen Überschriften, die von Taten der Apostel (pravxei~ ajpostovlwn) sprechen, nicht in angemessener Weise. Denn weder ist von allen Aposteln die Rede, noch stehen ihre Taten im Mittelpunkt. Auch bietet das Buch keine Geschichte der Urkirche im umfassenden Sinne.25 Einen wichtigen Hinweis auf das Thema gibt vielmehr der Missionsbefehl Jesu an seine Jünger: „Ihr werdet Kraft empfangen, indem der heilige Geist auf euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde“ (1,8). In der Tat stellt die Apostelgeschichte die Ausbreitung des Evangeliums von Jesus Christus einschließlich der po24 25

Pol. III,1,4: pw`~ kai; povte kai; dia; tiv pavnta ta; gnwrizovmena mevrh th`~ oijkoumevnh~ uJpo; th;n ÔRwmaivwn dunasteivan ejgevneto. Vgl. auch III,3,9. Darin stimme ich Timpe, (s. Anm. 2) 56, gerne zu. Aber daraus resultiert für mich noch kein Argument, der Apostelgeschichte die Würdigung als Geschichtswerk zu versagen.

Apostelgeschichte im Vergleich mit Herodot, Thukydides, Polybios

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sitiven oder ablehnenden Reaktionen jüdischer und heidnischer Hörer dar.26 Aber die Apostelgeschichte kann mit ihrer Berichterstattung das im Missionsbefehl formulierte Programm nicht vollständig abdecken, sondern sie endet mit der Ankunft des Paulus in Rom. Diese Stadt war in neutestamentlicher Zeit für die Menschen im römischen Reich nicht das Ende, sondern der Mittelpunkt der Welt. Bezogen auf den weltweiten Missionsbefehl stellt die Apostelgeschichte also die überschaubaren – und wohl auch als grundlegend verstandenen – Anfänge der urchristlichen Mission dar, eben bis zur Ankunft des Paulus im Zentrum der römischen Welt. Neben dem Hauptthema spielen zwei Nebenthemen für die Apostelgeschichte eine wichtige Rolle. Das erste betrifft die christliche Gemeinde und das Leben in ihr. Es tritt besonders in den ersten Kapiteln hervor und wird vor allem an der Jerusalemer Urgemeinde entfaltet. Ihre Zusammenfassung und Zuspitzung erfährt das von der Apostelgeschichte entworfene Bild in den sog. Summarien,27 die die Eintracht unter den zum Glauben Gekommenen hervorheben, von der unter ihnen praktizierten Gütergemeinschaft sprechen und von dem kraftvollen Zeugnis, das die Apostel von der Auferstehung Jesu Christi ablegten. Die Gemeinde stand unter der Gnade Gottes und in gutem Ansehen bei den Menschen. Hinweise auf viele Wunder und Zeichen, die durch die Apostel geschahen, und auf das täglich zu beobachtende Wachstum der Gemeinde runden ein Bild ab, das man sich kaum in der Realität vorstellen kann, das vielmehr ein Ideal zu entwerfen und mit einer gleichsam goldenen Anfangszeit zu verbinden scheint.28 Das zweite Nebenthema betrifft die Stellung Roms bzw. seiner Repräsentanten zu den Christen.29 Die Apostelgeschichte zeichnet davon ein sehr positives Bild.30 Rom übt keinen Zwang in religiösen Angelegenheiten aus, sondern bekämpft nur Verbrechen (18,14ff; 25,18f). Solange Christen keine Straftaten begehen, fehlen also alle Voraussetzungen für einen Konflikt. Roms Repräsentanten sichern den Rechtsfrieden 26

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Diese Auffassung von der Thematik berührt sich vielfach mit den Ausführungen von Schröter, „Lukas als Historiograph“ (s. Anm. 3) 250-253.261f. Sie betont aber stärker die Evangeliumsverkündigung und sieht die „Trennung von Israel und Kirche“ (Schröter 253) nicht als den Fluchtpunkt an, auf den die Darstellung der Apostelgeschichte ausgerichtet ist. Apg. 2,42-47; 4,32-37; 5,12-16. Zur Bedeutung der Summarien vgl. auch das Ende des folgenden Kapitels. Der Einfachheit halber spreche ich von den ersten Anfängen an von Christen, auch wenn die von Jesus ausgehende Bewegung zunächst eine Richtung innerhalb des Judentums war und erst langwierige Trennungsprozesse zu einer Scheidung von Juden und Christen führten. Vgl. J. Molthagen, „Rom als Garant des Rechts und als apokalyptisches Ungeheuer. Christliche Antworten auf Anfeindungen durch Staat und Gesellschaft im späten 1. Jahrhundert n. Chr.“, in id., Christen (s. Anm. 17) 85-97:89-93 (zuerst publiziert 1996).

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in den Provinzen und bemühen sich nach besten Kräften, Ausschreitungen und Gewalt zu unterbinden (21,31-34; 23,16-23). Auch wenn die Apostelgeschichte gelegentlich fragwürdige Verhaltensweisen nicht verschweigt,31 betont sie in der Regel das korrekte Verhalten der römischen Magistrate und Offiziere. Sie erweisen sich daher, indem sie sich an die ihnen vorgegebenen Aufgaben und Regeln halten, im Ergebnis als Beschützer der Christen und Förderer von deren Mission. Die beiden angesprochenen Nebenthemen sind durchaus mit dem Hauptthema verbunden. Denn die Ausbreitung der Christusbotschaft wurde getragen von Gemeinden und führte zur Gründung von Gemeinden; und die Rahmenbedingungen, unter denen das Evangelium von Jesus Christus verbreitet wurde, bestimmte in der Zeit und in den Gegenden, über die die Apostelgeschichte berichtet, Rom. Herodot, Thukydides und Polybios haben ihre Themen nicht beliebig gewählt, sondern diese waren ihnen jeweils durch die Zeitgeschichte vorgegeben.32 Alle drei Autoren stellen in ihren Werken eben jene kriegerischen Auseinandersetzungen dar, die ihrer Generation als das große, bedeutsame, sie prägende Geschehen vor Augen standen.33 Dementsprechend sind sie alle von der hervorragenden Wichtigkeit ihres Themas überzeugt. Für Herodot verdichtete sich in den Perserkriegen des frühen 5. Jahrhunderts v. Chr. ein prinzipieller Gegensatz zwischen Europa und Asien, zwischen dem griechischen Westen und der im persischen Reich zusammengefassten Welt der Barbarenvölker im Osten. Für die Griechen ging es um die Alternative, ob sie in Knechtschaft unter das Joch der Perser gerieten oder in Freiheit leben könnten. Es handelte sich also für Herodot um einen Konflikt von weltgeschichtlicher Dimension und von grundsätzlicher Bedeutung.34 Nach dem Urteil des Thukydides stellte der Peloponnesische Krieg die bei weitem gewaltigste Erschütterung für die Griechen, ja über31

32

33 34

Apg. 18,17; 24,26. Vgl. auch 25,9f: Das Ansinnen des Procurators Festus, auf das Paulus mit seiner Appellation an das kaiserliche Gericht in Rom antwortet, bleibt unklar. Der Wortlaut in V. 9 spricht von einem Ortswechsel, die Reaktion des Paulus lässt eher an einen Instanzenwechsel denken, was gegenüber einem römischen Bürger nach römischem Recht nicht statthaft gewesen wäre. Daneben steht bei Thukydides die Wahl seines Themas und damit die Konzentration seiner Darstellung auf die eigene Gegenwart auch in Zusammenhang mit seiner Auffassung von der Aufgabe eines Historikers und den Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten. Vgl. Thuk. I,1,3; I,20,1.3; dazu Molthagen, „Geschichtsschreibung“ (s. Anm. 17) 193f. Von Thukydides und Polybios lässt sich darüber hinaus sagen, dass die von ihnen dargestellte Thematik auch ihren persönlichen Lebensweg in erheblichem Ausmaß bestimmt hatte. Vgl. Her. I,4,4; VII,11,3; VII,139,4f.

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haupt unter den Menschen dar (I,1,2). Im Vergleich mit ihm seien alle früheren Kriege nicht erheblich gewesen (I,1,3), was Thukydides durch seinen knappen Überblick über die frühere griechische Geschichte (I,219) nachweist und ausdrücklich auch im Blick auf die Perserkriege festhält (I,23). Der Peloponnesische Krieg erweise sich als „das größte aller bisherigen Ereignisse“ (I,21,2). In ähnlicher Weise hebt auch Polybios „das Außerordentliche der Ereignisse“ hervor, über die er schreiben will (I,1,4), und begründet die herausragende Bedeutung seines Themas durch einen Vergleich der Macht Roms mit früheren Großreichen. Diese hätten sich einzelne Teile, die Römer dagegen fast die gesamte Erde untertan gemacht. Ihre Herrschaft sei so umfassend, dass keine frühere Macht sich mit ihnen messen könne und keine spätere sie übertreffen werde (I,2). Ist die Apostelgeschichte im Blick auf den Stellenwert ihrer zentralen Thematik ähnlich zu beurteilen? Kann man sagen, dass ihr Verfasser die Ausbreitung der Christusbotschaft als das aus seiner Sicht für seine Zeit beherrschende Thema aufgenommen und in seinem Geschichtswerk entfaltet hat? Die Frage ist, wie ich meine, durchaus zu bejahen. Ein solches Urteil mag auf den ersten Blick als eine kühne Vermutung erscheinen, aber es entspricht der einzigartigen Bedeutung der Christusverkündigung, die der Verfasser der Apostelgeschichte Petrus vor dem Hohen Rat aussprechen lässt (4,12): „In keinem anderen ist das Heil, es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen.“ Zu berücksichtigen ist ferner, in welcher Perspektive der Verfasser der Apostelgeschichte seine Zeit sieht. Während sich für Herodot der Ablauf der Geschichte darstellt als ein ständiges Auf und Ab, als ein dauernder Wandel, der nicht berechenbar ist,35 und während Thukydides und Polybios, die beide das Lernen aus der Geschichte stark betonen, von einer grundsätzlichen Gleichheit von der Vergangenheit einerseits und der Gegenwart und Zukunft andererseits ausgehen,36 und während, das sei hinzugefügt, in den alttestamentlichen Geschichtswerken die Vergangenheit vor allem wichtig ist als der Weg, der in die Gegenwart führt und diese verstehbar macht,37 sieht der Verfasser der Apostelgeschichte die Zeit, über die er berichtet, ebenso wie seine Gegenwart und die Zukunft umschlossen einerseits von dem Erdenwirken Jesu, das in seiner Passion und Auferstehung gipfelt, und von der Wiederkunft Christi andererseits. In unmittelbarer Verbindung mit der 35 36 37

Vgl. Her. I,5,4. Vgl. Thuk. I,22,4 und Pol. XII,25b. Vgl. Molthagen, „Geschichtsschreibung“ (s. Anm. 17) 197-204.

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Himmelfahrt Jesu, der abschließenden Ostererscheinung des Auferstandenen, womit die Apostelgeschichte an den Schluss des dritten Evangeliums anknüpft, und mit der Verheißung seiner Wiederkunft findet sich ja der Missionsauftrag an die Jünger,38 in dem das Grundthema der Apostelgeschichte anklingt. Für die so durch das Christusgeschehen bestimmte Zeit stellt mit gutem Grund die Ausbreitung der Christusbotschaft das wichtigste Thema dar.39

III. Hinsichtlich ihres Geschichtsverständnisses, besonders wenn es um die Frage nach den bestimmenden Kräften für geschichtliche Abläufe geht, gilt für die hier mit der Apostelgeschichte verglichenen Geschichtswerke in steigendem Maße, was Herodot in seinem Proömium programmatisch feststellt: Geschichte hat es mit dem zu tun, „was durch Menschen geschehen ist“40. Menschen sind also das Subjekt der Geschichte; ihre Entscheidungen und Handlungen bestimmen wesentlich den Gang der Ereignisse. Eine solche Sicht war nicht selbstverständlich. Etwa eineinhalb Jahrhunderte vor Herodot hatte der böotische Dichter Hesiod in seinem Epos „Theogonie“ versucht, alte Göttermythen in einen syste38 39

40

Apg. 1,6-11. Angemerkt sei, dass die Wahl der gegenüber Herodot, Thukydides und Polybios sehr andersartigen Thematik in der Apostelgeschichte wohl auch zu sehen ist vor dem Hintergrund zweier Aspekte, die nicht theologischer Natur sind. Einerseits ist daran zu erinnern, dass während der frühen Kaiserzeit weithin ruhige Verhältnisse im römischen Reich herrschten. Es fehlte also ein herausragender politischer oder militärischer Konflikt, wie er für Herodot, Thukydides und Polybios den Anstoß zu ihrer Geschichtsschreibung gegeben hatte. So klagt Tacitus, ann. IV,32, im Blick auf die Regierungszeit des Tiberius, es habe ein ungestörter, kaum gefährdeter Friede geherrscht, die Verhältnisse in der Stadt Rom seien trübselig gewesen, und der Princeps habe sich nicht darum bemüht, das Reich weiter auszudehnen. Deshalb könne er, Tacitus, nur über Kleines und Unbedeutendes berichten, im Unterschied zu den Autoren, die die alte Zeit des römischen Volkes behandelt hätten. – Andererseits ist die soziale Zusammensetzung der christlichen Gemeinden im 1. Jahrhundert n. Chr. zu berücksichtigen. So weit gesicherte Kenntnisse darüber vorliegen (vgl. die handliche Zusammenfassung des neueren Kenntnisstandes bei E. Plümacher, Identitätsverlust und Identitätsgewinn. Studien zum Verhältnis von kaiserzeitlicher Stadt und frühem Christentum [1987] 31-35), gehörten damals die Christen, auch die wohlhabenderen unter ihnen, nicht dem römischen Senatoren- oder Ritterstand an, deren Mitgliedern die politische Tätigkeit auf Reichsebene vorbehalten war, und sie zählten, vielleicht von der einen oder anderen Ausnahme abgesehen, auch nicht zu den lokalen Honoratioren, in deren Händen die städtische Selbstverwaltung lag. Politische Tätigkeit, die für Herodot, Thukydides und Polybios selbstverständlich war, gehörte also nicht zur Lebenswelt der Christen in neutestamentlicher Zeit, auch nicht für den Verfasser der Apostelgeschichte. Her., Proöm., benennt ta; genovmena ejx ajnqrwvpwn als den Gegenstand seiner Forschung.

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matischen Zusammenhang zu bringen und so eine Entstehungsgeschichte der Welt vorzulegen, und im späten 6. oder frühen 5. Jahrhundert v. Chr. hatte sich Hekataios von Milet bemüht, in seinem Werk „Genealogien“ aus dem Stoff von Mythen und Heldensagen ein Geschichtswerk zu konzipieren. Mythische Erzählungen hat auch Herodot vielfach aufgenommen, aber er lässt sie auf sich beruhen. Wesentlich für das, was er als sicheres Wissen weitergibt, ist das Geschehen unter Menschen. Das zeigen gleich die ersten Kapitel des ersten Buches, in denen der Autor Erzählungen vom gegenseitigen Frauenraub durch Griechen und Orientalen vorlegt. Herodot teilt sie mit, doch dann markiert er einen deutlichen Einschnitt. Er sagt, er wolle nicht entscheiden, ob es so oder anders gewesen sei, sondern den Mann nennen, von dem er sicher wisse, dass er mit den Feindseligkeiten gegen die Griechen begonnen habe (I,5,3). Damit wendet er sich dem Lyderkönig Kroisos zu (I,6) und macht deutlich, dass er die Anfänge des Konfliktes zwischen Griechen und Barbaren eben nicht in der Welt von Mythos und Sage sucht, sondern im geschichtlichen Handeln von Menschen. Über den Menschen walten auch bei Herodot die Götter, oder er spricht im Singular von der Gottheit als der letztendlich die Geschicke der Menschen bestimmenden Instanz. Aber das hebt die Bedeutung der menschlichen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen nicht auf. Vielmehr gilt ihnen das besondere Interesse Herodots, sie rückt er in den Mittelpunkt seiner Darstellung.41 Gegenüber dem traditionellen Reden von den Göttern kann er sich sehr zurückhaltend äußern. Über die Götter wüssten alle Menschen gleich viel oder richtiger gleich wenig (II,3,2). Menschen können sich auch mit Erfolg über Empfehlungen, die als göttliche Willensbekundungen gelten, hinwegsetzen. So vermerkt Herodot mit Bewunderung, dass sich die Athener durch die „Furcht und Schrecken erregenden Orakelsprüche aus Delphi“ (VII,139,6) nicht beirren ließen, für die Freiheit Griechenlands einzutreten. Ihnen sei „nächst den Göttern“ (metav ge qeouv~) die Abwehr des persischen Angriffs und die Rettung der Griechen zu verdanken, urteilt

41

Ein schönes Beispiel dafür sind Herodots Ausführungen VII,4-19 über die Gründe für den Kriegszug, den Xerxes gegen die Griechen unternahm. Von verschiedenen Kräften am Hof des Perserkönigs und ihren unterschiedlichen Interessen ist die Rede, von griechischen Gesandtschaften, die Xerxes aufforderten, in ihrer Heimat zu intervenieren; und schließlich gestaltet Herodot einen persischen Kriegsrat, dessen Teilnehmer er die Argumente für und gegen einen Kriegszug eingehend erörtern lässt. Letztendlich bewirkt dann eine göttliche Erscheinung, dass Xerxes sich zum Krieg entschließt, doch behalten die vorher auf der menschlichen Ebene dargelegten Vorgänge und Argumente ihr Gewicht.

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er abschließend (VII,139,5); und wieder erwähnt er zwar die Götter, legt aber größeres Gewicht auf das Verhalten der Menschen. Die Überzeugung, dass Menschen die Subjekte der Geschichte sind, bestimmt in noch gesteigerter Weise die Darstellung bei Thukydides und Polybios. Beide konzentrieren sich ganz auf das Tun und Ergehen der Menschen, das sorgfältig zu erheben und wahrheitsgemäß mitzuteilen für sie zu den wichtigen Aufgaben eines Historikers gehört. Vor allem sind die Gründe für das jeweilige Geschehen aufzuzeigen, und auch diese liegen ganz im Bereich menschlichen Wollens und Tuns.42 Zwar kann Polybios im Blick auf Roms Aufstieg zur antiken Weltmacht auch von dem schönsten und heilsamsten Wirken der Tyche sprechen,43 doch Gegenstand seiner Darstellung bleibt durchgehend das Verhalten von Menschen. Sein erklärtes Ziel ist es ja aufzuzeigen, durch welche Mittel und Vorgehensweisen die Römer sich die ganze bewohnte Erde untertan gemacht haben (III,3,9). Thukydides geht in seinen Reflexionen über das menschliche Handeln in der Geschichte noch einen bemerkenswerten Schritt weiter. Im Zusammenhang von Ausführungen über Parteikämpfe in den griechischen Städten bemerkt er: „So brach in ständigem Aufruhr viel Schweres über die Städte herein, wie es zwar geschieht und immer wieder sein wird, so lange Menschenwesen sich gleich bleibt, aber doch schlimmer oder harmloser und in immer wieder anderen Formen, wie es jeweils der Wechsel der Umstände mit sich bringt.“44 Damit stellt Thukydides zwei Koordinaten heraus, die geschichtliche Vorgänge bestimmen und von denen her sie zu verstehen sind. Die eine ist eine konstante Größe, nämlich die gleich bleibende menschliche Natur; die andere, der Wechsel der Verhältnisse, stellt eine variable Größe dar. Geschichte wird damit nicht berechenbar, denn Vergangenes wiederholt sich nicht einfach, sondern begegnet „schlimmer oder harmloser und in immer wieder anderen Formen“. Aber die gleich bleibende menschliche Natur verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Deshalb ist es möglich, aus der Geschichte zu lernen, und deshalb wird ein Geschichtswerk zu einem „dauernden Besitz“45, indem es in seiner Darstellung die in der menschlichen Natur liegenden Handlungsantriebe herausarbeitet und aufzeigt, wie sich die jeweiligen Verhältnisse auf sie auswirken.46 42 43 44 45 46

Vgl. Thuk. I,22,2f und 23,4-6; Pol. I,14,6f; III,31,11ff; XII,25b. Pol. I,4,4: to; kavlliston a{ma d∆ wjfelimwvtaton ejpithvdeuma th`~ tuvch~. Thuk. III,82,2; Übersetzung Landmann (s. Anm. 7). Thukydides (I,22,4) bezeichnet sein Werk als kth`ma ej~ aijeiv. Vgl. als Beispiele für eine so gestaltete Darstellung den Exkurs des Thukydides über die Parteikämpfe in den Städten III,82f und seinen Bericht über die Pest in Athen II,47-54.

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Die Apostelgeschichte steht hinsichtlich ihres Geschichtsverständnisses nicht in der Tradition der griechischen oder auch der römischen Geschichtsschreibung, sondern sie ist wie die alttestamentlichen Geschichtswerke als theologische Geschichtsschreibung zu charakterisieren. Auch für diese ist das Denken und Handeln der Menschen durchaus wichtig; es wird eingehend gewürdigt und dargestellt. Aber über den Menschen steht Gott als der Herr seines Volkes und der Welt. Er bestimmt sowohl das Ziel als auch den Gang der Geschehensabläufe; er ist der Herr der Geschichte.47 Prägnant zusammengefasst hat der Verfasser der Apostelgeschichte sein Geschichtsverständnis in dem Gebet der Jerusalemer Urgemeinde in Apg. 4, mit dem sie im Kontext des Kapitels auf das vom jüdischen Hohen Rat gegenüber Petrus und Johannes ausgesprochene Verbot reagiert, weiterhin im Namen Jesu zu wirken. Nach einer Aufnahme des Anfangs von Psalm 2 heißt es in dem Gebet: „Denn in Wahrheit vereinigten sich in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Volksmengen Israels, zu tun was deine Hand und dein Ratschluss vorherbestimmt hatte, dass es geschehen sollte“ (4,27f). Deutlich wird hier beiden Ebenen ihre Bedeutung belassen. Einerseits handelten Herodes Antipas, der jüdische Tetrarch von Galiläa und Peräa, und der römische praefectus Iudaeae Pontius Pilatus, Heiden wie Juden nach ihren Vorstellungen und Normen. Sie folgten ihren Antrieben und Interessen, und sie trugen die Verantwortung für ihr Tun. Aber andererseits ließ sich Gott die Zügel nicht aus der Hand nehmen, sondern durch das Handeln der Menschen geschah nur, was er nach seinem Ratschluss vorgesehen hatte. Letzteres lässt sich nur im Stil eines Bekenntnisses bezeugen, aber eben das zu tun ist unverzichtbar für die Art und Weise, wie die Apostelgeschichte von Geschichte redet.48 Dem Geschichtsverständnis entspricht die Darstellungsweise. Während Thukydides und Polybios die ganz im Bereich menschlicher Handlungen und Verhältnisse gesuchten Ursachen analysieren,49 die Relation 47 48

49

Vgl. Molthagen, „Geschichtsschreibung“ (s. Anm. 17) 199f und 202ff. In wenige Sätze zusammengefasst findet sich eine ähnliche Zuordnung vom Handeln menschlicher Akteure und der Erfüllung der Pläne Gottes auch in der Predigt, die Paulus nach Apg. 13 in der Synagoge des pisidischen Antiochien hält. Dort heißt es, die Bewohner Jerusalems und ihre Oberen hätten Jesus nicht (als den von Gott gesandten Retter) erkannt und gleichwohl durch ihr Urteil über ihn die Stimmen der Propheten erfüllt. Ohne einen Grund für ein Todesurteil gefunden zu haben, hätten sie von Pilatus die Hinrichtung Jesu gefordert (13,27f). Eben damit aber hätten sie, so formuliert es der nächste Vers, nur vollendet, was über ihn geschrieben stehe. Vgl. als Beispiele die umfangreiche Darlegung der Anlässe und Ursachen für den Peloponnesischen Krieg bei Thukydides I,23,4 - 66 und 88 - 118,2 sowie die Erörterung der Gründe für den Ausbruch des 2. Punischen Krieges bei Polybios III,6-12.

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von Ursache und Wirkung herausarbeiten und am Einzelnen das Allgemeine und Exemplarische deutlich machen,50 gestaltet die Apostelgeschichte ihre Berichte so, dass deutlich wird: In und über dem Tun der Menschen lenkt Gott das Geschehen als der Herr der Geschichte. In der Darstellung, die Apg. 13f von der ersten Missionsreise des Paulus und Barnabas gibt, zeigt sich das zum Beispiel daran, dass am Anfang Gott durch seinen Geist die Initiative ergreift. Er fordert die Gemeinde Antiochien (in Syrien) auf, Barnabas und Paulus zu entsenden, und diese machen sich „ausgesandt vom heiligen Geist“ auf den Weg (13,2-4). Am Ende kehren sie nach Antiochien zurück und berichten der Gemeinde, „wie große Dinge Gott mit ihnen getan hatte und dass er den Heiden eine Tür zum Glauben aufgetan habe“ (14,27). Von dieser Klammer, die betont Gott als den eigentlich Handelnden bezeugt, ist alles umgriffen, was in Apg. 13 und 14 über die Orte, die die Missionare aufsuchten, über ihre Aktivitäten, die Christusbotschaft zu verkündigen, über ihr Ergehen und die Wirkungen ihrer Arbeit mitgeteilt wird. Gelegentlich weist die Apostelgeschichte auf Gott als den eigentlichen Lenker der Ereignisse hin, indem sie mitten in einem Geschehenszusammenhang berichtet, dass Gott seinen Leuten Einblick in seine Pläne gewährt. So erfährt Paulus nach ersten Schwierigkeiten, die seine Missionstätigkeit in Korinth hervorgerufen hatte, in einer Vision den Zuspruch Gottes: „Ich bin mit dir, und niemand wird dich antasten, dir Böses zu tun, denn ich habe viel Volk in dieser Stadt“ (18,10). Während der Fahrt nach Rom, als das Schiff in ein schweres Unwetter geraten ist, teilt ein Engel dem Paulus mit, er müsse nach Rom gelangen, dort vor den Kaiser treten, und Gott wolle auch alle Mitfahrenden am Leben erhalten, er habe sie dem Paulus „geschenkt“ (27,24). An markanten Stationen der urchristlichen Missionsgeschichte stellt die Apostelgeschichte mit besonderem Nachdruck heraus, wie sehr Gott selbst der eigentlich Handelnde ist. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür bietet der Bericht über die Bekehrung des römischen Centurio Cornelius in Caesarea (Apg. 10). Ihr misst die Apostelgeschichte eine herausragende Bedeutung bei für die wichtigste Grundsatzentscheidung in der urchristlichen Missionsgeschichte, nämlich die gesetzesfreie Heidenmission als legitim anzuerkennen.51 Cornelius wird durch 50

51

Vgl. als Beispiele für Thukydides die oben Anm. 46 angeführten Passagen, für Polybios seine abschließenden Ausführungen in I,35 zum römischen Vorstoß in das karthagische Nordafrika während des 1. Punischen Krieges (Pol. I,29-34) oder seine einleitenden Bemerkungen I,65,5-9 über die Relevanz des Söldneraufstandes, den Karthago gleich nach der Niederlage gegen Rom im 1. Punischen Krieg nur mit größter Mühe niederwerfen konnte (Pol. I,66-88). Nicht nur wird das Geschehen um die Bekehrung des Cornelius in Apg. 10 sehr ausführlich geschildert, sondern nach Apg. 11,1-18 muss Petrus sein Verhalten im Um-

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einen Engel aufgefordert, einen Mann namens Simon Petrus aus Joppe kommen zu lassen. Am folgenden Tag bereitet Gott den Petrus durch eine besondere Vision darauf vor, mit anderen Maßstäben Gottes zu rechnen, als Petrus es bisher tut, und nicht für unrein zu halten, was Gott gereinigt hat. So eingestimmt und dazu noch vom Geist Gottes direkt angewiesen folgt Petrus den Abgesandten des Cornelius nach Caesarea und predigt dort im Haus des Centurio. Noch während er redet, greift Gott wieder in besonderer Weise ein. Die bei Cornelius Versammelten empfangen den heiligen Geist unter ähnlichen Begleiterscheinungen, wie es die Jünger in Jerusalem zu Pfingsten erlebt haben. Daraufhin ordnet Petrus an, dass der Römer und seine Hausgemeinschaft getauft werden.52 – Vor dem Beginn der Evangeliumsverkündigung in Europa hebt der Bericht Apg. 16,6-10 hervor, wie Gott diesen Schritt in besonderer Weise vorbereitet hat. Im westlichen Kleinasien, wo Paulus mit seinen Mitarbeitern eigentlich missionieren wollte, wurden sie immer wieder vom heiligen Geist daran gehindert. Nach einer Zeit der Ungewissheit erschien dann dem Paulus in einer Vision ein makedonischer Mann, der ihn in sein Land rief. Daraus gewannen Paulus und seine Begleiter die Gewissheit, dass Gott sie nach Makedonien berufen habe, dort das Evangelium zu verkündigen. Sie reisten auf schnellstem Wege dorthin, wo dann Philippi die erste Station ihrer missionarischen Arbeit war. So verfügt die Apostelgeschichte über verschiedene Mittel, immer wieder deutlich zu machen, dass in und über dem, was die Menschen tun, Gott der eigentliche Lenker und Herr der Geschichte ist. Diese Darstellungsweise verleiht dem neutestamentlichen Geschichtswerk sein charakteristisches Profil. In diesem Zusammenhang wären auch die Summarien zum Leben der Urgemeinde in Jerusalem noch einmal zu bedenken.53 Dass ihr Bild von Harmonie und Eintracht, die im Inneren der Gemeinde herrschten, und von Sympathie und Zustimmung, die sie von außen fand, nicht einfach den Gemeindealltag historisch korrekt dokumentiert, macht ein Vergleich mit den Paulusbriefen wahr-

52

53

gang mit Cornelius auch noch einmal in der Gemeinde zu Jerusalem rechtfertigen. In Apg. 15,7-11.14 schließlich liefert die Bekehrung des Cornelius wichtige Argumente für die Entscheidung des sog. Apostelkonzils, bei der Verkündigung der Christusbotschaft an die Heiden diesen nicht das jüdische Gesetz aufzuerlegen. Ein ähnliches Beispiel bietet die Geschichte von der Bekehrung des äthiopischen Hofbeamten Apg. 8,26-40. Ein Engel fordert den in Samaria wirkenden Evangelisten Philippus auf, die von Jerusalem nach Gaza führende Straße aufzusuchen. Als der Wagen des Hofbeamten naht, gebietet der Geist Gottes dem Philippus, hinzuzutreten und sich an das Gefährt zu halten. Daraus ergibt sich ein längeres Gespräch, in dem Philippus dem Fremden das Evangelium von Jesus verkündigt und an dessen Ende der äthiopische Hofbeamte die Taufe empfängt. Vgl. oben Anm. 27 und 28.

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scheinlich, aus denen noch ersichtlich ist, wie viel und leidenschaftlich in der Frühzeit der Gemeinden gestritten wurde.54 Auch die Apostelgeschichte übergeht Spannungen und Auseinandersetzungen im Gemeindeleben nicht völlig, aber sie berichtet darüber in einer Weise, dass nicht der Streit, sondern die einvernehmliche Lösung der Probleme besonders herausgestellt wird.55 Man sollte jedoch die besondere Art, wie die Apostelgeschichte von der Gemeinde redet, auch nicht einfach als ein Idealbild abtun. Wie mir scheint, meint die Apostelgeschichte durchaus die real existierende Gemeinde, schildert sie aber nicht nur so, wie sie sich alltäglich menschlich oder auch allzu menschlich gab, sondern hat ihren Blick immer auch darauf gerichtet, was Gemeinde von Gott her ist und wie sie von daher sein sollte. So entfalten die Summarien eine paränetische Wirkung. Sie fordern dazu heraus, Gemeindeleben in ihrem Sinne zu gestalten. Aber mehr noch haben sie Verheißungscharakter. Sie zeigen, wie Gemeinde in den Augen Gottes aussieht und was Gott in ihr und durch sie wirken will.56

IV. Eng mit ihrem Geschichtsverständnis verbunden ist die Intention, die die Autoren mit ihren Werken verfolgen, und in Verbindung damit die Bedeutung, die sie der Geschichtsschreibung beimessen. Herodot, Thukydides und Polybios äußern sich explizit dazu. Herodot, der ja weiß, dass Glück und Macht der Menschen durchaus keinen Bestand haben (I,5,4), und für den sich deshalb Geschichte als ständige Bewegung und fortwährende Veränderung darstellt, sagt programmatisch in seinem Proömium, er lege seine Forschung dar, „damit nicht durch die Zeit (aus dem Gedächtnis) entschwinde, was durch Menschen geschehen ist“. Der Stolz auf menschliche Leistungen, die es verdient haben, im Gedächtnis fortzuleben, ist unübersehbar. Auch der Stolz auf die Möglichkeit, durch Geschichtsschreibung die Taten der Vergangenheit vor dem Vergessen zu bewahren, scheint mir mitzuschwingen. Diese Möglichkeit will Herodot nutzen, zu diesem Zweck schreibt er. 54 55 56

Vgl. z.B. 1. Kor. 1,10-17; Gal. 2,4f.; Gal. 2,11-21; Phil. 1,15; Phil. 3,2-7 und überhaupt die beiden Korintherbriefe, den Galater- oder den Philipperbrief. Vgl. die Berichte Apg. 6,1-7 über die Einsetzung der Sieben oder 15,1-33 über das sog. Apostelkonzil. Vgl. dazu U. Wendel, Gemeinde in Kraft. Das Gemeindeverständnis in den Summarien der Apostelgeschichte (1998). Eine kurze Vorstellung der Arbeit bietet Schröter, „Actaforschung“ (s. Anm. 3), in ThR 73 (2008) 192f.

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Thukydides und Polybios legen ihre Werke vor, um ein Lernen aus der Geschichte zu ermöglichen.57 Da Menschen die entscheidenden Akteure in der Geschichte sind und da es keinen prinzipiellen Unterschied gibt zwischen der Vergangenheit einerseits und der Gegenwart und Zukunft andererseits, stellt die Geschichte für beide Autoren ein vorzügliches Lernfeld dar. Thukydides schreibt für Leser, die „das Gewesene klar erkennen wollen und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird“. Sein Werk soll ein „dauernder Besitz“, kein „Prunkstück für das einmalige Hören“ sein (I,22,4). Polybios äußert gleich in seinem ersten Satz die Überzeugung, dass nichts geeigneter sei, den Menschen den rechten Weg zu weisen, als die Kenntnis der Vergangenheit (I,1,1). In einem späteren Exkurs führt er aus, dass kein Mensch „weder in privaten noch in öffentlichen Angelegenheiten“ behaupten könne, er sei von sich aus jeder Lage gewachsen. Deswegen sei die Kenntnis der Vergangenheit nicht nur schön, sondern noch weit mehr notwendig (III,31,2ff). Beide Autoren haben als Adressaten vorzugsweise die politisch Handelnden vor Augen;58 sie wenden sich also vornehmlich an Ihresgleichen. Gerade den führenden Politikern soll die Kenntnis der Vergangenheit ermöglichen, die Verhältnisse, in denen sie handeln müssen, richtig einzuschätzen und angemessene, hilfreiche Entscheidungen zu treffen.59 Inwiefern Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen und also ein Lernen aus der Geschichte möglich wird, darüber gibt Thukydides Rechenschaft, indem er die gleich bleibende menschliche Natur und den Wechsel der Verhältnisse als die beiden Koordinaten herausstellt, die die Geschichte bestimmen.60 Eine entsprechende theoretische Reflexion fehlt bei Polybios, aber auch er äußert die Überzeugung, dass es sinnvoll und wichtig ist, ähnliche Situationen der Vergangenheit zu der eigenen in Beziehung zu setzen, weil daraus die Möglichkeit er57

58

59

60

Dieser Aspekt ist gegenüber Herodot durchaus neu. Zwar wird man auch ihm nicht die Absicht absprechen dürfen, in vielfältiger Weise belehren zu wollen. Aber es fehlt bei Herodot die grundsätzliche Vorstellung, die Geschichte sei eine Lehrmeisterin für die Gegenwart, und dem entsprechend fehlt auch die programmatische Absicht, mit seinem Werk die Grundlage für ein Lernen aus der Geschichte zu schaffen. Polybios erwähnt sie ausdrücklich, vgl. I,1,2 und III,31,1-10. Für Thukydides ergibt sich derselbe Befund aus der von ihm betonten Lernmöglichkeit aus der Geschichte einerseits und seiner Konzentration auf die politischen und militärischen Vorgänge andererseits. Die Rolle großer Politiker wird bei Thukydides besonders an dem von ihm bewunderten Perikles deutlich, vgl. II,59 und 65. – Dass auch Polybios insbesondere an sie denkt, zeigen die von ihm III,31,5-8 angeführten Beispiele für ein Lernen aus der Geschichte. Vgl. oben Anm. 44.

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wachse, sich vorausschauend ein Urteil über die Zukunft zu bilden (XII,25b). Die Frage, welche Intention die Apostelgeschichte verfolgt, lässt sich nicht so leicht beantworten, denn die Schrift äußert sich nicht explizit dazu. Eine Antwort muss also aus ihrer Darstellung erschlossen werden. Dabei ist wie bei den griechischen Historikern damit zu rechnen, dass auch in der Apostelgeschichte die Intention eng mit ihrem Geschichtsverständnis korrespondiert. Da diesbezüglich die Apostelgeschichte nicht in der Tradition der griechischen, sondern der alttestamentlichen Geschichtsschreibung steht, darf nicht überraschen, dass die für Herodot einerseits und für Thukydides und Polybios andererseits herausgestellten Intentionen für die Apostelgeschichte nicht gelten. Weder ist ihre Darstellung vom Stolz auf die Taten der Menschen geprägt, noch geht es ihr vordringlich um das Lernen aus der Vergangenheit. Zu fragen ist, wie weit die Apostelgeschichte hinsichtlich ihrer Intention den alttestamentlichen Geschichtswerken entspricht. Diese wollen dazu verhelfen, die Gegenwart zu verstehen und anzunehmen, indem sie den Weg aufzeigen, auf dem diese Gegenwart als Ergebnis menschlichen Handelns und göttlichen Wirkens geworden ist.61 Bestimmt man den Inhalt der Apostelgeschichte als die „Ausbreitung des in Jesus gekommenen Heils zu Israel und den Heiden bis zu dem Punkt, an dem sich Israel als verstockt erweist und deshalb künftig nicht mehr Adressat der Christusverkündigung ist“, dann kann man die „Entstehung der heidenchristlichen Kirche als Fortsetzung der Geschichte Israels“ als das zentrale Thema der von der Apostelgeschichte dargestellten ersten Phase der Christusverkündigung benennen.62 So gesehen ergibt sich eine große Nähe der Apostelgeschichte zu den alttestamentlichen Geschichtswerken, und man könnte ihre Intention in dem Sinne bestimmen, dass sie den Weg aufzeigen wolle, auf dem die heidenchristliche Kirche in der Gegenwart des Verfassers geworden sei. Wahrscheinlich ist damit ein Anliegen der Apostelgeschichte richtig herausgestellt. Aber die Frage nach ihrer Intention muss noch weiter erörtert werden. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Apostelgeschichte, wie dargelegt wurde, anders als die alttestamentlichen Geschichtswerke nicht einfach von ihrer Gegenwart ausgeht. Vielmehr sieht sie diese wie 61 62

Vgl. dazu Molthagen, „Geschichtsschreibung“ (s. Anm. 17) 199f (für die Thronfolgegeschichte Davids) und 202f (für das Deuteronomistische Geschichtswerk). Ähnliches dürfte auch für die Chronik gelten. So Schröter, „Lukas als Historiograph“ (s. Anm. 3) 252.

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die Vergangenheit, über die sie berichtet, und die noch erwartete Zukunft eingefasst und bestimmt von dem Christusgeschehen, nämlich vom Sterben und Auferstehen Jesu einerseits und von seiner Wiederkunft andererseits. Ausgehend von der in solcher Perspektive wahrgenommenen Zeit möchte ich die Intention der Apostelgeschichte im Blick auf ihr Hauptthema darin sehen, dass sie Rechenschaft ablegen will von den grundlegenden Anfängen der Evangeliumsverkündigung. Dabei zeigt sie im Sinne des Missionsbefehls (1,8) insbesondere auf, wie sich bei der Ausbreitung der Christusbotschaft die Verheißung, dass die Jünger Jesu den heiligen Geist und seine Kraft empfangen sollten, erfüllt hat und auf welche Weise die Jünger den an sie gerichteten Sendungsauftrag ausführten – in der Zeit der Anfänge bis zur Predigt des Paulus in Rom. In diesen Rahmen möchte ich auch die Entstehung der heidenchristlichen Kirche einordnen. Mit den beiden Nebenthemen sind weitere Intentionen verbunden. Bezüglich der Darstellung des Gemeindelebens ist an die paränetische Wirkung der Summarien und an ihren Verheißungscharakter zu erinnern. In beidem möchte ich Intentionen der Apostelgeschichte erkennen. Zum zweiten Nebenthema, dem sehr positiv gezeichneten Bild von Rom und seinen Repräsentanten, ist aus althistorischer Sicht zunächst einmal zu sagen, dass es sich als das Ergebnis sachgemäßer Geschichtsschreibung erklärt.63 Auch nach heutigem Urteil waren Roms Herrschaft und die Verwaltungspraxis im Reich geprägt von einer hohen Bedeutung rechtlicher Normen. Das zeigt sehr eindrucksvoll für das frühe 2. Jahrhundert n. Chr. der Briefwechsel zwischen dem jüngeren Plinius, Statthalter der Provinz Pontus-Bithynien, und Kaiser Trajan,64 und das daraus zu gewinnende Bild darf im Wesentlichen auch auf das 1. Jahrhundert n. Chr. übertragen werden. Aufgabe der Statthalter war es, in ihren Provinzen für die Wahrung des Rechts und die Aufrechterhaltung des Friedens zu sorgen, und die meisten Kaiser bemühten sich darum, dass die Reichsverwaltung korrekt arbeitete.65 63

64

65

Vgl. zum Folgenden J. Molthagen, „‚Cognitionibus de Christianis interfui numquam.’ Das Nichtwissen des Plinius und die Anfänge der Christenprozesse“, in id., Christen (s. Anm. 17) 116-145: 138f.140ff (zuerst publiziert 2004), und bereits id., „Rom“ (s. Anm. 30) 93f. Plinius, Briefe, Buch 10. Vgl. als Beispiele die Briefe 33f und 92f (Trajan hält sich an das im konkreten Fall bestehende Recht, auch wenn seine politische Option eigentlich eine andere Entscheidung nahelegt), 58ff (gewissenhafte Behandlung eines Rechtsstreites durch Statthalter und Kaiser), 110f (Grundsätze Trajans bei Rechtsentscheidungen). Die Regierungszeit Kaiser Domitians (81 – 96 n. Chr.), in der wahrscheinlich die Apostelgeschichte verfasst wurde, stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Sueton, Dom. 8,2, bezeugt, dass gerade dieser Kaiser große Sorgfalt darauf verwandte, die Magistrate in Rom und die Statthalter in den Provinzen zu korrekter Wahrneh-

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Besonders wichtig erscheint mir der Hinweis, dass Rom keinen Zwang in religiösen Angelegenheiten ausübte. Es verbot keine Kulte und oktroyierte sie nicht. Wenn es gegen Anhänger eines Kultes einschritt, dann geschah das, weil Verbrechensvorwürfe laut geworden waren, also um Straftaten zu ahnden. Für die breite Bevölkerung gab es keine obligatorische Kultteilnahme, auch nicht im Rahmen des Kaiserkultes.66 Das gilt nicht nur für die peregrine Bevölkerung in den Provinzen, sondern auch für Italien und die römischen Bürger. Insofern entspricht die Darstellung in der Apostelgeschichte grundsätzlich den im römischen Reich herrschenden Verhältnissen. Ferner ist zu beachten, dass aus dem Zeitraum, über den die Apostelgeschichte berichtet, kein Fall bekannt ist, dass ein römischer Statthalter oder gar ein Kaiser gegen die Christen eingeschritten wäre.67 Allerdings war zur Abfassungszeit der Apostelgeschichte im späten 1. Jahrhundert n. Chr. Neros Vorgehen gegen Christen in Rom aus dem Jahr 64 n. Chr. bekannt; und vielleicht wusste der Verfasser der Apostelgeschichte auch schon, dass vor römischen Behörden Christsein ein hinreichender Anklage- und Verurteilungsgrund geworden war.68 Zumindest dürfte ihm bekannt gewesen sein, dass aus der Bevölkerung zunehmend häufiger die Forderung laut wurde, Christen hinzurichten. Vor diesem Hintergrund betrachtet erfüllt die Darstellung von Rom und seinen Repräsentanten in der Apostelgeschichte nicht nur die Aufgabe gewissenhafter Geschichtsschreibung, sondern es lässt sich auch eine besondere Intention erkennen. Bezogen auf die Zeit des Verfassers und seiner ersten Leser geht es um einen Appell an Rom,69 es möge doch an den Grundsätzen seines Rechts festhalten und bei den Traditionen seiner Politik bleiben. Es möge weiterhin keinen Zwang in Glau-

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mung ihrer Aufgaben anzuhalten. Das Ergebnis war, dass römische Amtsträger „sich niemals maßvoller und gerechter zeigten“. Selbstverständlich mussten die Priester ihre kultischen Aufgaben gewissenhaft wahrnehmen, und für die Amtsträger auf Reichsebene oder im lokalen Kontext gehörten Opfer für die Götter und den Kaiser unverzichtbar zu ihrer politischen Tätigkeit. Aber für die breite Bevölkerung gab es keine obligatorische Kultteilnahme vor dem Opferedikt des Decius (249 n. Chr.). Die Ausweisung von Juden aus Rom durch Kaiser Claudius 49 n. Chr. (Apg. 18,2) war keine spezifisch gegen Christen oder Juden gerichtete Maßnahme, sondern wollte Unruhen in der Stadt unterbinden, wie Suet., Claud. 25,4, erkennen lässt: „Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit.“ Das bezeugt 1. Petr. 4,15f. Vgl. dazu J. Molthagen, „Die Lage der Christen im römischen Reich nach dem 1. Petrusbrief. Zum Problem einer domitianischen Verfolgung“, in id., Christen (s. Anm. 17) 48-84: 70-77 (zuerst publiziert 1995). Diese Deutung setzt nicht voraus, dass die Apostelgeschichte für römische Amtsträger geschrieben wurde oder sich vordringlich an nichtchristliche Leser wandte. Christlichen Lesern bot sie mit ihrer Darstellung vom Verhalten römischer Repräsentanten Argumentationshilfen, die bei Konflikten mit Nichtchristen und besonders im Umgang mit städtischen oder römischen Magistraten hilfreich sein konnten.

Apostelgeschichte im Vergleich mit Herodot, Thukydides, Polybios

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bensdingen ausüben, sondern nur Verbrechen gerichtlich ahnden. Ähnlich wie die Apologeten des 2. Jahrhunderts n. Chr. ist die Apostelgeschichte davon überzeugt, dass es dann keinen Grund zur Verurteilung von Christen geben werde.

V. Charakteristika der Geschichtsschreibung und des Geschichtsverständnisses in der Apostelgeschichte wollte die vorliegende Studie erörtern. Insbesondere ging es um die Thematik und ihren Stellenwert, das Verständnis von Zeit und Geschichte sowie um die Intentionen. Der Vergleich mit Herodot, Thukydides und Polybios konnte und sollte nicht den Versuch machen, die Apostelgeschichte in eine Traditionskette zu stellen, die sie unmittelbar mit den griechischen Historikern verbindet. Nach ihrem Geschichtsverständnis, das auch die Wahl der Thematik, die Art der Darstellung und die Intentionen beeinflusst, steht die Apostelgeschichte nicht in der Tradition der griechischen oder auch römischen Geschichtsschreibung. Sehr wohl aber gehört sie zur Gesamterscheinung der antiken Historiographie. Der hier vorgenommene Vergleich hat auf manche Entsprechungen aufmerksam gemacht und sollte zeigen, dass an die Apostelgeschichte sinnvollerweise und mit Erfolg dieselben Fragen bezüglich ihres Geschichtsverständnisses und ihrer Geschichtsschreibung zu stellen sind wie an Herodot, Thukydides und Polybios, auch wenn ihre Antworten in eine charakteristisch andere Richtung gehen. Dadurch wird noch einmal unterstrichen, dass die Apostelgeschichte als ein Geschichtswerk zu würdigen ist und dass sie innerhalb der antiken Historiographie einen durchaus eigenständigen Platz einnimmt.

„Exzentrische“ Formen der Historiographie im Hellenismus1 MARTIN HOSE Für Bernd Seidensticker Die Kategorie der „Gattung“ ist bekanntlich eines der wichtigsten Instrumente literarischer Hermeneutik. Liefert sie doch dem Verfasser eines Textes Richtlinien für dessen Komposition, dem Leser für dessen Verständnis. Freilich sind es in der literarischen Praxis nur Richtlinien, keine ‚Gesetze’. Denn unter einer Gattung pflegt man eine Reihe von Texten zu subsumieren,2 die a) aufeinander bezogen sind und b) eine hinreichende Menge gemeinsamer Merkmale (gewissermaßen ‚Familienähnlichkeiten’) aufweisen, jedoch zugleich auch sich voneinander unterscheiden. Hinzu kommt die Dimension der Zeit, da jede Gattung ihre ‚Geschichte’ hat: In der Regel erfolgt die Bezugnahme von Texten aufeinander in einer zeitlichen Abfolge, die Texte bilden gleichsam eine Kette, die zugleich einen Zeitstrahl darstellt. Innerhalb einer Gattung gibt es daher sowohl den Faktor der Gemeinsamkeiten als auch den der dynamischen Abweichung, der Innovation, die entweder von den jeweils folgenden Texten der Kette aufgegriffen oder verworfen und durch andere Innovationen ersetzt wird. Anfangs- und Endglied einer solchen Kette können daher im Extremfall keine oder wenigstens keine signifikanten Gemeinsamkeiten mehr aufweisen. „Gattung“ ist daher eine nur scheinbar feste Kategorie. In der Literaturgeschichte kann sie eher als ein gemeinsames Dach erscheinen, unter dem ein intensives 1

2

Abgekürzt werden im Folgenden zitiert als: – Formen röm. Geschichtsschreibung: Ulrich Eigler/Ulrich Gotter/Nino Luraghi/Uwe Walter (eds.), Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius (Darmstadt 2003); – Historiographia Antiqua: Historiographia Antiqua. Commentationes Lovanienses in honorem W. Peremans septuagenarii editae (Leuven 1977); – Marincola, Companion: John Marincola (ed.), A Companion to Greek and Roman Historiography, 2 vols. (Oxford 2007); – Purposes of History: H. Verdin/G. Schepens/E. De Keyser (eds.), Purposes of History. Studies in Greek Historiography from the 4th to the 2nd Centuries B. C. (Louvain 1988); – Timpe, Geschichtsschreibung: D. Timpe, Antike Geschichtsschreibung (Darmstadt 2007). Siehe hierzu Wolfgang Raible, „Was sind Gattungen? Eine Antwort aus semiotischer und textlinguistischer Sicht“, Poetica 12 (1980) 320-349.

„Exzentrische“ Formen der Historiographie

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Experimentieren stattfindet. Freilich gibt es einige literarische Gattungen, denen eine Art von unveränderlichem Wesenskern zugeschrieben wird, dessen Preisgabe unmöglich erscheint. So ist nach geläufiger Vorstellung eine Tragödie, die nicht das mit dem Begriff des Tragischen3 bezeichnete Wirkungspotential enthält, nicht denkbar. Die Historiographie nimmt in diesem Zusammenhang eine besondere Stellung ein. Denn obschon man das Gemeinsame der Geschichtsschreibung wohl nicht in einer Kategorie des „Historischen“ ansiedeln könnte, dürfte doch als unverzichtbare Eigenheit der Texte dieser Gattung die Orientierung auf die Aufzeichnung von Geschehen, das als vergangen4 aufgefasst wird, gelten müssen. Gleichzeitig ist die Geschichtsschreibung mit Geschichte und Geschichtswissenschaft verknüpft; der Verfasser auch eines antiken Geschichtswerkes ist ein ‚Historiker’, an den – wie etwa an einen antiken Arzt – die jeweils geltenden Maßstäbe des Faches angelegt werden, unbeschadet des Umstandes, dass – im Gegensatz zur Medizin – das Fach ‚Geschichte’ in der Antike nicht existierte.5 So gibt es prinzipiell zwei Formen, sich antiker Historiographie zu nähern: die eine Form ist die des Historikers, der die antike Historiographie als eine der Informationsquellen bei der Erforschung der Vergangenheit benötigt, die andere die des Literarhistorikers, der die Historiographie als literarische Gattung auffasst, die es zu beschreiben und zu analysieren gilt. Im Folgenden soll das literarhistorische Interesse an der Historiographie im Zentrum stehen – der hier vorgelegte Beitrag ist von einem Literarhistoriker verfasst, den die Entwicklung der Gattung insbesondere als eines Experimentierfeldes interessiert.

I. „Umblick im Trümmerfeld der griechischen Geschichtsschreibung“ nannte 1977 der Althistoriker Hermann Strasburger6 einen Aufsatz, in dem er Bilanz des Erhaltenen und Verlorenen im Bereich der griechischen Historiographie der Antike zog. Im Ergebnis war, wie nicht an3

4 5 6

Dass paradoxerweise die Bestimmung dessen, was das ‚Tragische’ ist, kontrovers bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Vgl. dazu etwa R. Loock, „Das Tragische“, in Hist.Wb.Philos. 10 (1998) 1334-45, bzw. Hans Wagner, Aesthetik der Tragödie von Aristoteles bis Schiller (Würzburg 1987). Zum Begriff der Vergangenheit vgl. Hans-Joachim Gehrke, „Was ist Vergangenheit? oder: Die ‚Entstehung’ von Vergangenheit“, in Christoph Ulf (ed.), Der neue Streit um Troja. Eine Bilanz (München 2003) 72-81. Siehe hierzu Hermann Strasburger, Die Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung (SB Frankfurt 5.3, Wiesbaden 1966). Hermann Strasburger, „Umblick im Trümmerfeld der griechischen Geschichtsschreibung“, in Historiographia Antiqua (s. Anm. 1) 3-52.

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ders zu erwarten, es unvermeidlich, das noch Erhaltene als „Bruchteil eines Bruchteils“ zu charakterisieren, ja sogar als zufällig durch die Gunst der Umstände Überliefertes. Bezeichnend für das Ausmaß des Verlorenen kann folgendes Zahlenverhältnis sein: Aus dem Zeitalter des Hellenismus sind etwa 600 Verfasser von historiographischen Werken namentlich kenntlich.7 Wahrscheinlich ist bereits mit dieser Zahl nur ein Bruchteil der Historiker der Epoche erfasst.8 Dem steht gegenüber, dass kein einziges Geschichtswerk des Hellenismus vollständig erhalten ist. Die durch Handschriften verkörperte Tradition hat die Werke des Polybios, des Diodor und des Dionys von Halikarnass nur in (freilich ansehnlichen) Teilen überliefert. Dies führt zu der fast paradoxen Situation, dass die Genese9 der Gattung Historiographie mit den Historien des Herodot (die ja vollständig erhalten sind), dem Werk des Thukydides (vollständig erhalten, wenn auch vom Verfasser nicht vollendet) und den Hellenika des Xenophon (vollständig erhalten) wesentlich besser greifbar ist als ihre Fortsetzung, ja die in diesen drei Texten ermittelbaren Schreibweisen als „Regeln“ das moderne Verständnis der (antiken) Gattung insgesamt geprägt haben. Unseligerweise hat hierbei seit dem 19. Jahrhundert eine Orientierung ausgerechnet an Thukydides Wurzeln geschlagen, dessen Form der Historiographie damit zum Maßstab für die antike Gattung wurde. Gewiss ist dies nicht erstaunlich, da – im Gegensatz zu Herodot und Xenophon – das Reflexionsniveau des Thukydides den ‚modernen’ Anforderungen an Historiographie am nächsten kommt. In dessen berühmten (und wegen seiner Schwierigkeiten auch berüchtigten) ‚Methodenkapitel’ (1,22) fand und findet die neuzeitliche Geschichtswissenschaft10 das Prinzip der Quellenkritik und damit verbunden der kritischen Erforschung der Vergangenheit mustergültig entworfen. Felix Jacoby konnte erklären, dass mit Thukydides die antike Geschichtsschreibung „die ihr von der Natur gesteckte Grenze und damit das Ziel, nach dem die Entwicklung hinstrebte“, erreicht habe.11 Als umso enttäuschender empfand man, dass 7 8

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Carl Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus, vol. 2 (München 1969) 439. Einen informativen Überblick über die gesamte hellenistische und kaiserzeitliche Historiographie gibt Stefan Rebenich, “Historical Prose“, in Stanley E. Porter (ed.), Handbook of Classical Rhetoric in the Hellenistic Period 330 B.C. – A.D. 400 (Leiden 1997) 265-337. Eine materialreiche Spezialstudie bietet ferner Burkhard Meissner, Historiker zwischen Polis und Königshof (Göttingen 1992). Dies ist zwar eine Vereinfachung, kann sich jedoch auf die antike Einschätzung der Gattungsentstehung berufen, die Cicero, De leg. 1,5, pointiert zusammenfasst, indem er Herodot zum pater historiae erklärt. Vgl. Klaus Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus (Stuttgart/Berlin/Köln 1990) 50. Felix Jacoby, „Griechische Geschichtsschreibung“, Antike 2 (1926) 1-29, hier 24/5, nachgedruckt in Abhandlungen zur griechischen Geschichtsschreibung (Leiden 1956) 7399, hier 95.

„Exzentrische“ Formen der Historiographie

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die antike Gattungsgeschichte hier nicht fortsetzte: „Im übrigen entfernte sich die Geschichtsschreibung bereits im 4. Jh. mehr und mehr vom hohen Standard des Thukydides. An Stelle einer präzisen und detaillierten Analyse der im historischen Prozeß wirksamen Kräfte traten bald die rhetorische Geschichtsschreibung mit ihrer Vorliebe für stilistische Ausgestaltung und moralische Platitüden sowie die dramatische Geschichtsschreibung mit ihrem Streben nach einer am Sensationellen orientierten Darstellungsweise. Erst Polybios, der Begründer der pragmatischen Historiographie, kehrte in Anknüpfung an Thukydides zu dessen hohem Standard zurück. [...]“, schreibt etwa Klaus Meister in seiner informativen Darstellung „Die griechische Geschichtsschreibung“.12 Hinzu kommt, dass die Entstehung der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert die Fokussierung auf das thukydideisch-polybianische Verfahren als Modell der Geschichtsschreibung erleichterte, da sich Droysens Entwurf der Historik (1857) durchsetzte,13 nach dem die entscheidende Operation des Historikers im methodischen Vollzug der historischen Forschung und nicht mehr als poetischer Vollzug der Geschichtsschreibung angesiedelt wird, in Absetzung von etwa Georg Gottfried Gervinus’ Historik (1837), die als ‚Poetik der Geschichtsschreibung’ konzipiert ist.14 Droysens Ponderierung konnte als antizipiert erscheinen in Thukydides’ berühmtem Wort, sein Werk sei kein „Wettkampfbeitrag zum einmaligen Hören, sondern ein Besitz für immer“ (1,22,4), sowie im Insistieren auf dem methodischen Ermitteln des Geschehenen (1,22,2). Diese Konvergenz zwischen der aus der Antike erhaltenen historiographischen Produktion und einer fachwissenschaftlichen Entscheidung hat damit zu einer Form von Wesensbestimmung für die Historiographie geführt, die auf die Wertung der hiervon abweichenden Formen von Historiographie der Antike derart erheblichen Einfluss hat, dass man in der Regel diese ‚anderen’ Formen als minderwertig, da – im Sinne der modernen Geschichtswissenschaft – „unwissenschaftlich“, erachtet. Erst in jüngster Zeit, da sich die moderne Geschichtswissenschaft von Vorstellungen distanziert, sie könne (mit welchen Methoden auch immer) vergangene Wirklichkeiten rekonstruieren,15 wächst 12 13

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Meister, Griechische Geschichtsschreibung (s. Anm. 10) 61/62. Siehe hierzu Jörn Rüsen „Geschichtsschreibung als Theorieproblem der Geschichtswissenschaft. Skizze zum historischen Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion“, in Reinhard Koselleck/Heinrich Lutz/Jörn Rüsen (eds.), Formen der Geschichtsschreibung (Beiträge zur Historik 4, München 1982) 14-35, hier 19. Dass Droysen hierbei Gervinus verkürzt kritisiert, zeigt Gangolf Hübinger, Georg Gottfried Gervinus. Historisches Urteil und politische Kritik (Göttingen 1984) 72. Siehe hierzu insbesondere Hayden White, Auch Klio dichtet. oder Die Fiktion des Faktischen, Studien zur Tropologie des historischen Diskurses (Stuttgart 1986 [zuerst engl. 1978]), hier besonders „Der historische Text als literarisches Kunstwerk“ (S. 101-122)

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das Verständnis für ‚exzentrische’ Formen antiker Historiographie, zumal sich deren Leistung erkennen lässt, Bilder der Vergangenheit zu entwerfen, die in bestimmten Zeitstellungen von den antiken Gesellschaften oder Eliten als gültig akzeptiert wurden. Für den in diesem Beitrag verfolgten Zweck hat freilich die Konzentration der Forschung auf den thukydideisch-polybianischen Typ der Historiographie einen heuristischen Nutzen. Kann er doch im Folgenden als eine der Folien fungieren, vor der sich andere („exzentrische“) Formen von Historiographie abheben lassen, wobei – dies sei nochmals betont – nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese anderen Formen im Hellenismus die Norm, die Folie das Außergewöhnliche darstellten. Was sind nun die Kennzeichen der ‚thukydideisch-polybianischen’16 Geschichtsschreibung? Grundsätzlich lässt sich diese Form der Geschichtsschreibung als Versuch einer Darstellung charakterisieren, die auf eine möglichst genaue und reflektierte Ermittlung der Daten gegründet ist, die zudem Kausalitäten für die geschilderten Ereignisse als nicht metaphysische bestimmt, also auf das Eingreifen der Götter bzw. auf Formen der Prädestination verzichtet. Ferner verlangt diese Form die angestrengte Mitarbeit des Lesers und reduziert den rhetorischen Ornat (ohne freilich völlig auf ihn zu verzichten). Dies führt zu einer kritischen Reflexion über die Rolle der ‚Reden’, die traditionell im Instrumentarium des antiken Historikers eine prominente Position besitzen. Die genaue Datenermittlung erfordert hierbei ein verlässliches chronologisches Gerüst, in das die Daten eingefügt werden: Thukydides bedient sich daher (wohl in Abgrenzung zu seinen Vorgängern wie Herodot) eines annalistischen Prinzips mit einer Jahreseinteilung in

16

und „Die Fiktionen der Darstellung des Faktischen“ (S. 145-160). Vgl. hierzu die instruktive Weiterführung von Knut Backhaus, „Spielräume der Wahrheit: Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung“, in id./Gerd Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (Neukirchen-Vluyn 2007) 1-29. Bereits vor White hatte sich die angelsächsische Forschung zur antiken Historiographie dem Problem der ‚Rhetorizität’ der Geschichtsschreibung zugewandt und von dort aus die Konstruktionskraft der Texte skizziert, siehe hier insbesondere T. P. Wiseman, Clio’s Cosmetics. Three Studies in Greco-Roman Literatur (Leicester 1979), sowie A. J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography (London/Sidney 1988). Vgl. hierzu Elpidio Mioni, Polibio (Padua 1949) 127-131; Konrat Ziegler, s.v. „Polybios” (RE XXI.1) Sp. 1440-1578, hier 1522-24.

„Exzentrische“ Formen der Historiographie

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Sommer- und Winterhalbjahre,17 Polybios (wohl nach dem Vorbild des Timaios) der Datierung nach Olympiaden.18 Die Datenermittlung selbst impliziert ein methodisches Bewusstsein, das insbesondere gegenüber den Aussagen der Quellen sensibilisiert ist. Thukydides thematisiert dies im ‚Methodenkapitel’ (1,22,2), indem er an die Stelle der Erkundigung bei einem beliebigen Gewährsmann (oujk ejk tou' paratucovnto~ punqanovmeno~) bzw. Bewertung nach eigenem Gutdünken kritische Genauigkeit setzt. Diese Datenermittlung wird ergänzt durch ein ‚logisches’ Schlussverfahren, mit dem fehlende Daten durch ‚plausible’ Konstruktionen, die sich auf Indizien (tekmhvria, 1,1,2) und allgemeine Überlegungen stützen, ersetzt werden können. Thukydides exemplifiziert (und reflektiert19) dieses Verfahren bereits in der ‚Archäologie’ (1,2-17). Darüber hinaus sichern beide Autoren ihren Texten dadurch Autorität,20 dass sie sich selbst als kompetent stilisieren, Thukydides, indem er seine Augenzeugenschaft (5,26) und Beteiligung als Stratege (4,104,4/5) hervorhebt, Polybios, indem er – in Abgrenzung von anderen Historikern – darauf insistiert, dass ein Geschichtsschreiber ‚praktische’ Erfahrung haben müsse. Aufgrund der ermittelten Daten ist es Thukydides wie Polybios möglich, ‚Kausalitäten’ des Geschehens offen zu legen und insbesondere zwischen bloßen ‚Anfängen’, tatsächlichen ‚Ursachen’ und ‚Vorwänden’ zu unterscheiden: ajrchv, aijtiva und provfasi~ werden von Thukydides als – freilich semantisch komplizierte21 – Begriffe am Beginn seiner Darstellung eingeführt (1,23,5/6) und von Polybios (22,18) weitergeführt,22 ja, insofern ausgedehnt gebraucht, als er sogar regional verschiedene Handlungsstränge des Geschehens aufeinander bezieht und über die Figur der „Verflechtung“ (sumplokhv) eine neue Kausalkette gewinnt.23 Die so vorgenommene Ursachenermittlung erlaubt einen Verzicht auf das Numinose24 als Instanz im historischen Prozess. Dass jedwedes Geschehen auch Unkalkulierbares enthält, zeigt Thukydides 17 18 19 20 21 22 23 24

Siehe dazu Otto Luschnat, s.v. „Thukydides” (RE Suppl. XII, 1970) Sp. 1085-1354, hier 1132-46 Siehe dazu Ziegler, „Polybios“ (s. Anm. 16) 1564-67, sowie Frank W. Walbank, A Historical Commentary on Polybius, vol. I (Oxford 1957) 35-37. Vgl. 1,10,1/2. Siehe hierzu John Marincola, Authority and Tradition in Ancient Historiography (Cambridge 1997). Zum schwierigen Begriff provfasi~ siehe den erhellenden Aufsatz von Alfred Heubeck, „Provfasi~ und kein Ende“, Glotta 58 (1980) 222-236 (auch in id., Kleine Schriften zur griechischen Sprache und Literatur [Erlangen 1984] 209-223). Siehe Ziegler, „Polybios“ (s. Anm. 16) Sp. 1507 bzw. 1523. Siehe dazu Frank Walbank, “Symploke: Its role in Polybius’ Histories“, YCS 24 (1975) 197-212; Dankwart Vollmer, Symploke (Stuttgart 1990) 1-14 mit weiterer Literatur. Dass bei beiden Historikern an die Stelle des Wunderbaren bzw. des Numinosen das ‚Paradoxe’ tritt, bedürfte einer eingehenderen Untersuchung.

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durch den Aufweis von ‚Zufälligkeiten’, die gleichsam welthistorische Entscheidungen herbeiführen.25 Polybios gebraucht zwar intensiv den Begriff der Tyche, doch bezeichnet er bei ihm ein Verhältnis von Ursache und Wirkung, das der Mensch (noch) nicht durchschaut.26 So heißt es in einem Fragment (36,17,1 bzw. 4): „Polybios tadelt es, allgemeine Ereignisse und Unfälle einzelner dem Schicksal oder Verhängnis zuzuschreiben, und fährt fort: ‚Ich will mich jetzt über diesen Gegenstand aussprechen, soweit es die Art und Weise der pragmatischen Geschichtsschreibung zulässt. Wo es für den Menschen unmöglich oder schwer ist, die Ursachen zu erkennen, da mag man immerhin in der Ratlosigkeit auf die Gottheit oder das Schicksal zurückgreifen. [...] Wo es dagegen möglich ist, die Ursache und Veranlassung eines Ereignisses aufzufinden, da soll man meines Erachtens nicht auf die Gottheit zurückgehen.’“

Dies entspricht dem Verfahren in der Darstellung, in der Polybios bisweilen dezidiert statt des Zufalls oder Schicksals den Menschen als Urheber im Prozess hervorhebt. So schreibt er etwa über die Katastrophe der römischen Flotte 255 v. Chr.: „Die Ursache hierfür ist nicht dem Schicksal, sondern den Anführern zuzuschreiben“, die gegen den Rat der Steuermänner den falschen Kurs gewählt hatten (1,37). Mit dieser Form der Ursachenanalyse verbindet sich eine stärkere Betonung der menschlichen Beweggründe bzw. Triebkräfte, die das Geschehen tragen – mithin eine Psychologie, die bei Thukydides auf drei Grundmotive konzentriert ist: Habgier, Furcht und Ehrgeiz. Hierauf gründet sich wiederum die Annahme einer ‚anthropologischen Konstante’, die aus der Medizin stammt und am Beispiel der Pestschilderung entwickelt wird.27 Thukydides’ Konzept der Anthropologie enthält ausdrücklich auch die Möglichkeit der Depravation des Menschen, die die ‚Pathologie’ (3,82) entwirft. Polybios konstruiert, obschon er die Menschenbilder der hellenistischen Philosophenschulen kennt,28 den Menschen prinzipiell wie Thukydides,29 weicht aber insofern von ihm ab, als er zusätzlich ‚völkerpsychologische’ Betrachtungen einführt:30

25 26 27 28 29 30

Siehe dazu Hans-Peter Stahl, Thucydides. Man’s Place in History (Swansea 2003). Ziegler, „Polybios“ (s. Anm. 16) Sp. 1535. Siehe hierzu zusammenfassend Georg Rechenauer, Thukydides und die Hippokratische Medizin (Hildesheim 1991), wozu die Rezension von Harald Patzer, Gnomon 66 (1994) 577-581, zu vergleichen ist. Siehe die Übersicht bei Ziegler, „Polybios“ (s. Anm. 16) Sp. 1467-71. Vgl. Walter Siegfried, Studien zur geschichtlichen Anschauung des Polybios (Berlin 1928) 41/42. Sie sind auch bei Thukydides in nuce enthalten: 7,27 (thrakische Söldner in Mykalessos).

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Seine ‚Pathologie’ zeigt die Verwilderung des Menschen am drastischen Beispiel der karthagischen Söldner (1,81).31 Thukydides reflektiert über das Stilmittel der direkten Rede32 in einer berühmten Partie (1,22,1): „Und was das betrifft, was die einzelnen wörtlich sagten, entweder, als sie sich anschickten, in den Krieg einzutreten, oder sich bereits in ihm befanden, war es schwierig, den genauen Sachverhalt des Gesagten im Gedächtnis zu bewahren, nicht nur für mich, sondern auch für die, von denen ich es hörte, wie auch für die, die es mir aus anderen Quellen berichteten. Wie nun die einzelnen nach meiner Auffassung über die jeweils vorliegenden Sachverhalte das Nötige eigentlich sagten, wobei ich mich möglichst eng an die politische Gesamteinstellung des tatsächlich Gesagten hielt, so ist es (in meinem Werk) gesagt.“33

Dementsprechend spiegeln die Reden bei Thukydides einerseits das Geschehen (nämlich insofern tatsächlich Reden vor etwa Entscheidungen des Peloponnesischen Bundes oder der athenischen Volksversammlung gehalten wurden), andererseits zeigt sich in ihnen Thukydides’ Auffassung der Situation (woraus sich bei Redenpaaren, die konträre Positionen vertreten, eine indirekte Beleuchtung der Situation aus auktorialer Perspektive ergibt). Polybios scheint auch hieran anzuknüpfen. Er thematisiert mehrfach das Phänomen der Rede im historiographischen Text.34 So schreibt er (12,25b – in Abgrenzung von Timaios35): 31 32

33

34

Zum Kontext siehe Walter Ameling, „Polybios und der Söldnerkrieg“, in Actas del IV Congresso internacional de Estudios fenicos y púnicos (Cadiz 2000) 111-116. Auch Herodot verwendet – in der Tradition des Epos (vgl. A. J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography [London 1988]) – die direkte Rede, erkennt zwar das Problem, selbstkomponierte Reden in ein Geschichtswerk einzulegen, „löst“ es jedoch durch einfaches Insistieren auf deren Faktizität: „und da wurden Reden gesprochen, die zwar etlichen Griechen unglaublich erscheinen, die aber doch gesprochen worden sind“, (3,80 anlässlich der Verfassungsdebatte in Persien, mit Wiederholung des Insistierens durch ein ‚Indiz’ für die Glaubwürdigkeit in 6,43). Die Forschung hat ihm teils geglaubt (J. Wells, “The Persian Friends of Herodotus“, JHS 27 [1907] 37-47; F. Jacoby, s.v. „Herodotos“ [RE Suppl. II, 1913] Sp. 205-520, hier 414; K. von Fritz, Die griechische Geschichtsschreibung [Berlin 1967] vol. I, Text 316), teils dies als Fiktion aufgefasst (D. Fehling, Die Quellenangaben bei Herodot [Berlin/New York 1971] 92/3; H. Schwabl, „Herodot als Historiker und Erzähler“, Gymnasium 76 [1969] 253-272, hier 264). Die hier vorgelegte Interpretation des Redensatzes folgt der (zu Unrecht vergessenen) Arbeit von Franz Egermann, „Thukydides über die Art seiner Reden“, Historia 21 (1972) 575-602. Die neuere Forschung scheint diese Deutung zu übersehen, vgl. etwa S. Hornblower, A Commentary on Thucydides, vol. 1 (Oxford 1991) 59/60 [mit nachträglicher Erwähnung Egermanns], J. Wilson, “What does Thukydides claim for his speeches“, Phoenix 36 (1982) 95-103. Siehe die Zusammenfassung bei Ziegler, „Polybios“ (s. Anm. 16) Sp. 1524-27. Siehe ferner Siegfried Mohm, Untersuchungen zu den historiographischen Anschauungen des Polybios (Diss. Saarbrücken 1977) 51-67.

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„Eine wesentliche Aufgabe der Geschichte ist es, zuerst die wirklich gesprochenen Reden, wie sie immer beschaffen sein mögen, kennen zu lernen, sodann nach dem tieferen Grunde zu fragen, aus dem das Getane oder Gesprochene misslang oder glückte, während die bloße Erzählung des Geschehenen nur unterhält, nicht belehrt. Wird der Grund hinzugefügt, dann wird das Studium der Geschichte erst fruchtbar.“

Ferner distanziert sich Polybios von der Einfügung der Reden aus Schmuckzwecken und insistiert, wie Thukydides, auf der Notwendigkeit, das tatsächlich Gesprochene zu ermitteln: „Vielleicht fragt der eine oder andere, warum wir uns bei einem Stoff, wie ihn eine so bedeutende Unternehmung bietet, die Gelegenheit entgehen lassen, durch Mitteilung der einzelnen Reden ein Prunkstück zu liefern, wie es die meisten Geschichtsschreiber tun, indem sie beide Teile ihre Gründe entwickeln lassen. Dass ich dies Verfahren nicht verwerfe, habe ich an mehreren Stellen meiner Geschichte bewiesen [...]. Aber sowenig es sich meines Erachtens für Staatsmänner ziemt, sich über jeden vorliegenden Beratungsgegenstand weitläufig zu ergehen [...], ebenso soll der Geschichtsschreiber seinen Zuhörern nicht elaborierte Reden zum besten geben oder sein Talent an ihnen zeigen wollen, sondern das wirklich Gesprochene auf dem Grund sorgfältigster Forschung wiedergeben, und zwar nur das Treffendste und Wichtigste davon.“ (36,1a).

Sowohl Thukydides wie Polybios proklamieren in ihren Werken einen Verzicht auf Ergötzung zugunsten von angestrengter Mitarbeit, wofür sie eine Belehrung und einen dauernden Gewinn in Aussicht stellen. So kann Thukydides behaupten, sein Werk sei eher ein „Gewinn für immer als ein Wettkampfstück zum sofortigen Hören“ (1,22,4), und Polybios grenzt ausführlicher Historiker und Tragödienschreiber im selben Sinn voneinander ab: „Die Aufgabe des Geschichtsschreibers ist es nun nicht, durch Erzählung von außerordentlichen Dingen seine Leser in Aufregung zu versetzen, noch auch schickliche Reden zu ersinnen und in der Darstellung der Ereignisse alle Nebenumstände aufzuzählen, wie es die Tragiker tun, sondern durchaus nur das zu berichten, was in Wahrheit getan und gesprochen wurde, und sollte es ganz gewöhnlicher Art sein. Denn der Zweck der Geschichte und der Tragödie ist nicht derselbe, sondern vielmehr der entgegengesetzte. In dem einem Fall ist es Aufgabe, durch die wahrscheinlichsten Reden die Zuhörer für den Augenblick in Aufregung und Gemütsbewegung zu versetzen; in dem anderen aber, durch die tatsächlichen Hand-

35

Siehe hierzu ausführlich Klaus Meister, Historische Kritik bei Polybios (Wiesbaden 1975) 3-55.

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lungen und Reden die Lernbegierigen für alle Zeit zu belehren und anzuleiten.“ (2,56).

Thukydides in knapper Form und Polybios in breiteren Ausführungen entwerfen (und befolgen) also eine Form der Historiographie, die grundsätzlich nach ‚Genauigkeit’ strebt (to; ajkribev~ ist in beiden Texten ein Schlüsselbegriff), Ursachen zu ermitteln trachtet, auf rhetorischen Ornat und Wirkung verzichtet und den Leser ‚belehren’ möchte (Thukydides in allgemeinerer Form über den Menschen, Polybios konkreter mit Blick auf den Politiker, aber auch auf den grundsätzlich an der Geschichte Interessierten). Diesem Zweck ist auch der Stil der Darstellung angepasst, wobei sich Polybios explizit von wirkungsmächtigen Gattungen wie der Tragödie abgrenzt. Hiermit sei skizzenhaft der Typus einer ‚thukydideisch-polybianischen’ Historiographie bestimmt.

II. Historiographie ist in der Antike keine Fachwissenschaft wie etwa die Medizin oder die Rhetorik.36 Die Erforschung der Vergangenheit als Selbstzweck wäre einem antiken Historiker als Motiv seiner Arbeit unverständlich gewesen.37 Dementsprechend war auch die Lektüre von Historiographie in der Antike nicht von einem abstrakten Wunsch nach genereller Kenntnis der Vergangenheit gesteuert.38 Vielmehr resultierte sie aus dem Unterhaltungsbedürfnis,39 dem Wunsch, die Vergangenheit der eigenen Stadt (des eigenen Staates) zu kennen, oder dem Wunsch, stilistisch aus den Texten zu lernen.40 Für darüber hinausgehende Zwe36 37

38 39

40

Siehe hierzu zuletzt Roberto Nicolai, “The Place of History in the Ancient World”, in Marincola, Companion (s. Anm. 1) 13-26. Dass es auch Sammlungen um des Sammelns willen gab – als ‚antiquarische Literatur’ (dazu Arnaldo Momigliano, „Alte Geschichte und antiquarische Forschung“, in id., Ausgewählte Schriften, vol. 2 [Stuttgart 1999] 1-36/ 259-70 [zuerst 1950]; Markus Sehlmeyer, „Die Anfänge der antiquarischen Literatur in Rom“, in Formen röm. Geschichtsschreibung [s. Anm. 1] 157-171) –, steht auf einem anderen Blatt und hat mit der antiken Historiographie nichts zu tun: Wenn etwa Krateros (FGrHist 372) als Verfasser einer Sammlung attischer Volksbeschlüsse in Jacobys Sammlung der Historikerfragmente aufgenommen ist, so liegt dem eine moderne Betrachtungsweise der Gattung (und Jacobys Entscheidung) zugrunde. Vgl. dazu J. Malitz, „Das Interesse an der Geschichte. Die griechischen Historiker und ihr Publikum“, in Purposes of History (s. Anm. 1) 323-349. Für ein solches Bedürfnis könnte etwa die in der sog. Markellinos-Vita des Thukydides (§ 54) geschilderte Begebenheit stehen, nach der der junge Thukydides einer Lesung Herodots beigewohnt und ergriffen geweint habe. Siehe hierzu auch H. W. Parke, “Citation and Recitation: A Convention in Early Greek Historians”, Hermathena 67 (1946) 80-92. Dies bezeugt etwa Quintilian, Inst. or. 10,1,31: Historia quoque alere oratorem quodam uberi iocundoque suco potest. Vgl. auch 10,1,73f.

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cke musste ein Geschichtswerk um Leser mit einer entsprechenden ‚Verlockungsprämie’ werben, d.h. den Nutzen der Lektüre erläutern. Es ist vor diesem Hintergrund nicht zu übersehen, dass Thukydides’ wie Polybios’ Verweigerung gegenüber jeglicher Erleichterung für den Leser Rezeptionsbarrieren schaffen mussten. Dionys von Halikarnass stellte etwa pointiert fest, dass Polybios zu den Historikern gehöre, die niemand bis zum Ende lesen könne.41 So kann es literatursoziologisch nicht verwundern, dass im Hellenismus andere Modelle, die sich geschickter das Leserinteresse zu sichern wussten, in den Vordergrund traten. Der Weg, der hierbei beschritten wurde, führte, wie es scheint, deshalb von Thukydides und Polybios weg, weil deren Konzept der Historiographie augenscheinlich zu komplex war. Zwar boten beide einen ‚Erkenntnisgewinn’ als „Verlockungsprämie“ für den Leser an, doch war das Werk des Polybios, mochte es auch Roms Weg zur Weltherrschaft darstellen, zu unökonomisch, d.h., es stellte (z.B. in Buch 2) zunächst unverbundene Vorgeschichten vor den Leser, um erst spät die „Verknüpfung“ zu leisten, es referierte über weite Strecken Expeditionen mit Zahlen und Namen offenkundig unbedeutender Orte und Akteure. Dies bis zum Ende zu lesen musste in der Tat schwer fallen. Thukydides scheint im Vergleich mit Polybios infolge der Konzentration auf den Peloponnesischen Krieg (den er ja ausdrücklich ungeachtet des Nikias-Friedens als Einheit begreift, 5,26,2) in dieser Hinsicht dem Leser stärker entgegen zu kommen. Doch steht dem die bereits in der Antike immer wieder hervorgehobene schwer verständliche Diktion entgegen, ja auch der Umstand, dass Thukydides trotz der Vielzahl der Akteure (Perikles, Kleon, Nikias, Brasidas, Alkibiades) – oder gerade wegen dieser Vielzahl – dem Rezipienten eine Identifikation mit einem der Protagonisten zu verweigern scheint. Die hellenistische Historiographie weicht diesen Rezeptionsproblemen aus, vielleicht in Auseinandersetzung mit Thukydides und Polybios, wahrscheinlich aber auch, weil sie sich an anderen Vorbildern des 5. oder 4. Jahrhunderts orientierte.42 Zwei große Richtungen dieser ‚anderen’ Geschichtsschreibung sind erkennbar: Die eine lässt sich durch eine stärkere Fokussierung auf ein41

42

De compos. 4,30 (p. 20/21 U.-R.) toigavrtoi toiauvta~ suntavxei~ katevlipon oi{a~ oujdei;~ ujpomevnei mevcri korwnivdo~ dielqei'n, Fuvlarcon levgw kai; Dou'rin kai; Poluvbion [...]; vgl. Hermann Peter, Wahrheit und Kunst. Geschichtsschreibung und Plagiat im klassischen Altertum (Leipzig/Berlin 1911) 264. Dass die Autorität beider Werke nicht in Zweifel gezogen wurde, beweist der Umstand, dass offenkundig nicht versucht wurde, sie zu ersetzen, wobei im Fall des Polybios Dionys von Halikarnass mit seiner „Römischen Frühgeschichte“ den ungeliebten Polybios geradezu kanonisiert, indem er sein Werk zeitlich so zuschneidet, dass er dort endet, wo Polybios beginnt, Poseidonios sein Geschichtswerk dort beginnen lässt, wo Polybios endet.

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zelne Personen, also eine ‚Bio-Strukturierung’43, charakterisieren, die andere durch das Streben nach Synthesen, nach größeren Einheiten des Dargestellten (was einem Leser einen ‚Mehrwert’ der Lektüre verspricht) wie auch der Darstellung. Beginnen wir mit dieser zweiten Richtung. Die Vergrößerung des inneren wie äußeren Umfangs musste die Frage nach der Strukturierung des Geschichtswerks dringlicher machen. Die Buchkultur des Hellenismus entwickelte hierbei zunächst eine äußere Struktur, indem, wie es scheint, bei Werken mit hoher Buchzahl äußerliche Gliederungen in Pentaden, Hexaden und/oder Dekaden gebräuchlich wurden. Die erhaltenen Werkteile etwa des Diodor (Buch 1–5, 11–20) oder Livius (1– 10, 21–45) verdanken sich dieser Gliederung. Auch die nur fragmentarisch erhaltenen Werke, sofern sich bei ihnen überhaupt eine Gliederung nach Büchern erkennen lässt, pflegen diesen Einteilungsprinzipien zu folgen. Neben dieser äußerlichen Gliederung stellte sich für jedes umfängliche Werk die Frage nach einer ‚inneren’ Gliederung, eine Frage, die unabweislich dann entstehen musste, wenn nicht ein zentrales Ereignis (wie bei Thukydides der Peloponnesische Krieg) den Kern des Werkes ausmachte. Bereits Herodot bot hier eine Art von Lösung an, insofern er das umfängliche Thema des Konflikts zwischen Griechen und Barbaren, das in Buch 1 zum Konflikt zwischen Persern und Griechen konkretisiert wird, nicht nur anhand der Geschichte der Expansion des Perserreiches chronologisch entfaltet, sondern innerhalb dieser chronologischen Disposition ein ‚topographisches’ Ordnungsmodell einführt und in der Regel dann, wenn er die Perser in Konflikt mit einem anderen Volk geraten sieht, zu diesem Volk einen Exkurs einfügt, der die Topographie, die Sitten und Gebräuche dieses Volkes erläutert. Im Fall Ägyptens nimmt dieser Exkurs den Umfang eines ganzen Buches ein (Buch 2), im Fall der Skythen große Teile eines Buches (Buch 4). Hieran knüpfte etwa Ephoros (FGrHist 70, ca. 400-330) mit seinen Historiai in 29 Büchern an,44 der nach Auffassung des Polybios ersten Universalgeschichte (5,33,2 = FGrHist 70 T 7), die mit der Rückkehr der Herakliden einsetzte und sich bis zum Heiligen Krieg von 356 erstreckte. (Augenscheinlich starb Ephoros vor Fertigstellung seines Werkes, da ein 30. Buch, das die Geschichte bis zur Belagerung von Perinth durch Philipp weitererzählte, von seinem Sohn hinzugefügt wurde.) 43

44

Begriff nach Christopher Pelling, “Biographical History? Cassius Dio on the Early Principate”, in Mark J. Edwards/Simon Swain (eds.), Portraits. Biographical Representation in the Greek and Latin Literature of the Roman Empire (Oxford 1997) 117-144, hier 117. Siehe hierzu auch den Überblick von Guido Schepens, “Historiographical Problems in Ephorus“, in Historiographia Antiqua (s. Anm. 1) 95-118.

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Diodor (5,1,4) lobt die Ökonomie dieser Historien ausdrücklich: jedes einzelne Buch enthalte die Geschehnisse kata; gevno~, also in einer geographischen Anordnung.45 Dies imitiert auch Diodor selbst,46 da er sein Buch 5 der Geschichte der einzelnen Inseln widmet und der Reihe nach Sizilien (5,2-6), die äolischen Inseln (5,6-9) etc. behandelt. Mindestens in Teilen geographisch strukturiert könnten auch die Geschichtswerke des Demetrios von Kallatis (FGrHist 85: „Über Asien und Europa“, in 20 Büchern) und des Poseidonios47 gewesen sein. Agatharchides von Knidos (FGrHist 86, 2. Jhdt. v. Chr.) folgte einer geographischen Konzeption48 insofern, als er sowohl ein Geschichtswerk mit dem Titel „Ereignisse in Asien“ (in 10 Büchern) als auch eines mit dem Titel „Ereignisse in Europa“ (wohl in 49 Büchern) verfasste. In der Kaiserzeit schließlich führte Appian mit seiner Römischen Geschichte dieses Dispositionsprinzip so weit, dass der Zusammenhang der römischen Expansion in eine Geschichte von Räumen aufgelöst wird: An die Königsgeschichte schlossen sich bei Appian Italiké, Samnitiké, Keltiké, Sikeliké, Iberiké, (Annibaiké), Karchedoniaké etc. bis zu einem ‚Arabischen Buch’ an.49 Eduard Schwartz hat die Renaissance der geographischen Disposition in der Tradition eines Herodot scharf kritisiert: „Während aber bei den alten Ioniern das Überwiegen des Geographischen auf eine tiefere Gesamtanschauung, die den Menschen als Naturprodukt ansah, zurücklief und darum nicht störte, weil sie meist barbarische, geschichtslose Völker behandelten, war die Erneuerung dieser Art in der hellenistischen Geschichtsschreibung ein Rückschritt, eine unlebendige und gelehrte Repristination einer veralteten Form, die von der Polyhistorie der Nachfolger des Kallimachos und Eratosthenes unternommen wurde, um für ihre Sammlungen einen Rahmen zu finden.“50

Übersehen ist in dieser Kritik indes das Problem, vor dem sich die Historiker mit ihren großen Synthesen sahen: nämlich dem Werk eine dem Leser nachvollziehbare Struktur zu geben. ‚Nachvollziehbar’ dürf-

45

46 47 48 49 50

Siehe dazu R. Drews, “Ephorus and History written kata; gevno~“, AJPh 84 (1963) 24455; bzw. id., “Ephorus’ kata; gevno~ History Revisted“, Hermes 104 (1976) 497/8. Über die Bedeutung des Geographischen bei Polybios, Poseidonios und Strabon orientiert Katherine Clarke, Between Geography and History. Hellenistic Construktions of the Roman World (Oxford 1999). Siehe Kenneth S. Sacks, Diodorus Siculus and the first century (Princeton 1990) 18. J. Malitz, Die Historien des Poseidonios (München 1983) 64/5. In seiner Schrift ‚Über das Rote Meer’ 64 (= FGrHist 85 T 3) verweist er auf das Werk des Demetrios, kannte und imitierte es vielleicht. Siehe hierzu insgesamt Verf., Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio (Leipzig/Stuttgart 1994) 154-161. Eduard Schwartz, s.v. „Demetrios (77)“ (RE IV.2) Spp. 2806/7, Zitat 2807.

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te freilich die geographischen Disposition51 gewesen sein, und hierin lag unter Umständen ihre Stärke gegenüber einer Struktur, die ein großes Werk unter einer leitenden Idee zusammenschloss. Beispiele für eine derartige ‚innere’ Strukturgebung über eine ‚Idee’ bieten insbesondere drei Texte, Theopomps Philippika, Poseidonios’ Historien und Diodors Bibliotheke. Theopomp (FGrHist 115, ca. 378/77 – ca. 320) gehört zu den Historikern, die sich offenkundig mit der Tradition der Historiographie, in die sie sich zu stellen im Begriff waren, vertraut gemacht haben. Er verfasste eine Herodot-Epitome und trat mit seinen Hellenika (in 12 Büchern, die die Zeit von 411 bis 394 [Seeschlacht von Knidos] behandelten) in Konkurrenz zu Xenophon als Thukydides-Fortsetzer. Sein ‚opus magnum’ bilden freilich die Philippika in 58 Büchern, eine gewaltige Geschichte des Makedonen-Königs Philipp. Nach dem Zeugnis des Polybios (8,11,1 = FGrHist 115 F 27) war es die Figur dieses Königs, die Theopomp zur Abfassung des Werkes motivierte (und die damit das Element des „Erinnerungswürdigen“ darstellt): „Zu Anfang seiner Geschichte Philipps sagt er [sc. Theopomp], zu dem von ihm unternommenen Werk habe er sich dadurch besonders veranlasst gefunden, dass Europa niemals einen Mann hervorgebracht habe wie Philipp [...].“

Indes entwarfen die Philippika – zur Verwunderung eines Polybios – kein panegyrisches Philipp-Bild, sondern ein Gemälde der Größe auch in den Exzessen: „Und gleichwohl zeichnet er ihn unmittelbar darauf in der Einleitung sowie im ganzen Verlauf seines Werks als einen Mann voll Zügellosigkeit gegenüber dem anderen Geschlecht, so dass er durch seine leidenschaftlichen Begierden in dieser Richtung seine eigene Familie, soviel wenigstens an ihm lag, zu Grunde gerichtet habe, ferner als einen Mann voll Ungerechtigkeit und Arglist, wenn er Freundschaften und Bündnisse einging [...].“ (Polybios 8,11,2).

Theopomp beschritt damit den Weg einer ‚Bio-Strukturierung’ in seinem Werk, reicherte allerdings die Darstellung durch Exkurse an, die eine kulturhistorische Dimension eröffneten. In Buch 8 (ausgehend von Philipps Einmarsch in Thessalien 353/2) fügte er offenbar eine Zusam51

Hingewiesen sei darauf, dass die geographische Einteilung des Stoffes auch für andere Wissensgebiete im Hellenismus verwendet wurde. So verfasste Neanthes von Kyzikos (zu ihm zuletzt Stefan Schorn, „‚Periegetische Biographie’ – ‚Historische Biographie’: Neanthes von Kyzikos [FGrHist 84] als Biograph“, in Michael Erler/ Stefan Schorn, Die griechische Biographie in hellenistischer Zeit [Berlin/New York 2007] 115-156) eine Schrift ‚Mythen nach Städten geordnet’ (FGrHist 84 F 6-12).

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menstellung von ‚Thaumasia’ (es scheint dieser Abschnitt des Werkes sogar unter diesem Titel separat in Umlauf gewesen zu sein52), staunenswerten Begebenheiten aus verschiedenen Teilen der Welt ein. Er referierte hierbei die Auffassung der (persischen) Magier, die Menschen seien unsterblich und würden immer wieder zu neuem Leben erwachen, das All in einer Kreisbewegung immer dasselbe bleiben (F 64). Der Paradoxograph Apollonios53 (Hist. mir. 1 = FGrHist 115 F 67b) notiert, dass Theopomp im Referat derartiger Wunder überdies eine ‚geographische’ Ordnung wahrte.54 Diese Einlage wie auch ein umfänglicher Exkurs (in Buch 10) über die Demagogen in Athen und andere ‚Vielgestaltigkeiten’ (to; poluvmorfon) rechnete der strenge Kritiker Dionys von Halikarnass zu den großen Vorzügen von Theopomps Werk (Ad Pomp. 6, p. 245 U.-R.). Poseidonios’ Historien sind bekanntlich Teil des Gesamt-Problems einer Rekonstruktion der Schriften dieses zweifellos bedeutenden und einflussreichen Stoikers;55 über die Methode zur Ermittlung seines Gedankenguts wird weiterhin gerungen, zu den Historien liefern drei unbestritten bedeutende Fragmentausgaben (Jacoby [FGrHist 87], Edelstein/Kidd,56 Theiler57) unterschiedliche Texte und Anordnungen. Alle weiteren Ausführungen zu Poseidonios sind daher noch unsicherer als die zu anderen fragmentarisch überlieferten Historikern. Zwar findet das Geschichtswerk in der Regel emphatisches Lob: „Seine Geschichtsauffassung war von echter Universalität und bildete eine Synthese aus der Weite herodoteischer Thematik und der Schärfe thukydideischer Ursachenanalyse“, formuliert etwa Klaus Meister.58 Doch bleiben bei nüchterner Betrachtung einige Merkwürdigkeiten: So steht der universalhistorische Entwurf in einem Spannungsverhältnis zu dem Umstand, dass Poseidonios offenbar dezidiert Polybios fortsetzen wollte: „Geschichte im Anschluss an Polybios“ könnte der Titel des Werkes ge52 53

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Vgl. etwa die Einführung des Zitats in F 67b, 69; siehe Jacobys Kommentar S. 365. Dieser Apollonios lässt sich nicht datieren; aufgrund der von ihm erwähnten Autoren (sie reichen nicht über das 3. Jhdt. v. Chr. hinaus) könnte er dem Hellenismus zugehören; siehe Wilhem Schmid, [Wilhelm von Christs] Geschichte der griechischen Literatur, 6. Aufl., Zweiter Teil, erste Hälfte (München 1920) 238 Anm. 7. kai; Qeovpompo~ ejn tai'~ ÔIstorivai~ ejpitrevcwn ta; kata; tovpou~ qaumavsia. Monumental (wie auch einseitig in der Methode der Rekonstruktion) bleiben die Arbeiten von Karl Reinhardt: Poseidonios (München 1921); Kosmos und Sympathie (München 1926); ferner id., s.v. „Poseidonios von Apameia“ (RE XXII.1, 1953) Spp. 558826. Vgl. ferner Kurt von Fritz, „Poseidonios als Historiker“, in Historiographia Antiqua (s. Anm. 1) 163-193. Ludwig Edelstein/Ian G. Kidd (eds.), Posidonius. I. Fragments (Cambridge 1972); II. The Commentary, 2 vols. (Cambridge 1988); III. The Translation of the Fragments (Cambridge 1999). Willy Theiler, Poseidonios, Die Fragmente (Berlin 1982). Griech. Geschichtsschreibung (s. Anm. 10) 168.

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lautet haben.59 Doch wie kann man Polybios, dessen Anliegen die Genese einer ‚Universalgeschichte’ und in deren Rahmen Roms Aufstieg zur Weltmacht ist, der sich ja spätestens 146 mit Karthagos Fall sinnfällig abschließt, fortsetzen? Wenn Poseidonios seine Historien 146 bzw. 145 beginnen ließ, also nach dem Fall von Karthago und Korinth, so lag dem ein stoisches Weltverständnis zugrunde, nach dem die Geschichte ein fortwährender Verfall bis zu einem Weltenende (und der Entstehung einer neuen Welt) kennzeichnet, die griechischen Staaten bereits niedergegangen seien, Rom aber seit 146 in das Stadium der Dekadenz eingetreten sei. Geschichte ist daher für Poseidonios die wachsende Entfernung der Menschen vom (stoischen) Logos. Ein derartiges ‚stoisches’ Grundverständnis der Welt ließ Poseidonios folglich auch die Welt und die Geschichte in einer stoischen Perspektive wahrnehmen – und verhinderte in letzter Konsequenz eine ‚thukydideische Schärfe in der Ursachenanalyse’. ‚Herodoteisch’ erscheint nach Ausweis der Fragmente indes das Spektrum des in die Historien Aufgenommenen; insbesondere durch die von Athenaios in Deipnosophisten zitierten Partien ersteht das Bild eines Geschichtswerks, das Ethnographie enthielt, indem es die Ess- und Trinkgewohnheiten der Kelten schilderte (F 15 bzw. F 18), von Parasiten und Barden bei diesem Volk zu berichten wusste (F 17). Eine gewisse Betonung der Körperlichkeit lässt sich erahnen, wenn von der Fettleibigkeit eines ptolemäischen Prinzen (F 26) die Rede ist; das Interesse an der Natur, sofern sie essbar ist, bezeugen Erwähnungen von Karotten (F 19) oder Kaninchen (F 61). Auch bei Poseidonios ist also eine Vielgestaltigkeit des Berichteten unübersehbar, die den Leser neben der eigentlichen historischen Darstellung im Sinne des Dionys zur weiteren Lektüre motivieren konnte. Eine andere Art von Belohnung stellte Diodor mit seiner Bibliotheke dem Leser in Aussicht: Denn dieses Werk ist in der Tat ein veritabler ‚Bücherschrank’, eine Bibliotheke, in der etwa 50 Geschichtswerke versammelt und in einen einzigen Text verschmolzen sind.60 Den (doppelten) Zweck dieser Sammlung erläutert Diodor im ausführlichen Proöm (1,1-4), das mit einem quasi-hymnischen Preis der Historiographie als Instrument beginnt, durch das Menschen gefahrlos (statt durch eigene Beteiligung an den referierten, bisweilen höchst gefährlichen Unternehmungen) lernen können (Kap. 1/2). Eine zentrale Lehre liege dabei darin, die Fortschritte der Menschheit zu erkennen, die im Laufe 59 60

FGrHist 87 T 1 bzw. T 12b: eine Glosse zum Suda-Artikel Poseidonios lautet: ijstevon o{ti diadevcetai th;n Polubivou iJstorivan Poseidwvnio~ ∆Olbiopolivth~ sofisthv~. Vgl. dazu Verf., „Die Kehrseite der Memoria. oder Über Möglichkeiten des Vergessens von Literatur in der Antike“, Antike und Abendland 48 (2002) 1-17, hier 13.

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der Geschichte an Bildung und Kultur gewonnen habe. Dies aufzuweisen ist das Anliegen Diodors, weswegen er seine Universalgeschichte (im Gegensatz zu verschiedenen Vorgängern) von der mythischen Frühgeschichte bis zu Cäsar reichen lässt (Kap. 3). Statt einer Geschichte des Niedergangs (wie Poseidonios61) bietet damit Diodor eine Geschichte des Fortschritts, der zunehmenden Kultivierung der Welt. Dementsprechend erachtet er Geschichtsschreibung als ein Instrument, diejenigen, die zur Kultivierung der Welt besonders beitragen, zu preisen:62 Dionysos/Osiris (4,1,6), Herakles (1,2,1-5) oder Cäsar (B. 22 bzw. 1,4,7); „Sie alle besingt das Wort der Historiographie mit dem gebührenden Lob auf ewig.“63

III. Während diese Universalgeschichten64 dem Leser ein universales Verständnis der Welt (einschließlich eines Prinzips, nach dem die Geschichte verläuft) anbieten, zudem als Verlockungsprämie Wundererzählungen, bunte Nachrichten aus aller Welt oder Arbeitsersparnis offerieren, finden sich seit dem Frühhellenismus ‚Spezialgeschichten’ mit einem starken biographischen Fokus. Ausgangspunkt für diese Form der Historiographie65 könnte die Figur Philipps gewesen sein, wie Theopomps Philippika nahe legen. Ihren Durchbruch erreicht diese Schreibweise indes sicherlich mit Alexander. Sowohl der Umstand, 61 62 63 64

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Unter dieser Perspektive scheint es kaum nachvollziehbar, dass die Forschung lange Zeit das Proöm als Übernahme aus Poseidonios aufgefasst hat; siehe dazu Sacks, Diodor (s. Anm. 46) 10/11 mit weiterer Literatur. Sacks, Diodor (s. Anm. 46) 180. Siehe ferner Peter Burde, Untersuchungen zur antiken Universalgeschichtsschreibung (Diss. Erlangen-Nürnberg 1974) 43-59. 4,1,4: pavnta~ d∆ oJ th'~ iJstoriva~ lovgo~ toi'~ kaqhvkousin ejpaivnoi~ eij~ to;n aijw'na kaquvmnhsen. Siehe zur Genese und zum Konzept der ‚Universalgeschichte’ Arnaldo Momigliano, “The Origins of Universal History“, in id., Settimo Contributo alla Storia degli Studi Classici e del Mondo Antico (Rom 1984) 77-103; José Miguel Alonso-Núnez, “The Emergence of Universal Historiography from the 4th to the 2nd Centuries B.C.“, in Purposes of History (s. Anm. 1) 173-202; Katherine Clarke, “Universal Perspectives in Historiography“, in Christina Shuttleworth Kraus (ed.), The Limits of Historiography. Genre and Narrative in Ancient Historical Texts (Leiden 1999) 249-279. Dass überdies seit dem 5. Jhdt. – kristallisiert an der Figur Sokrates (siehe Albrecht Dihle, Studien zur griechischen Biographie [Göttingen ²1970]) – eine Tendenz zur Biographie deutlich wird, zeigt deren Niederschlag zunächst im Werk Xenophons (Memorabilien, Kyrupädie, aber auch gerade der Agesilaos); siehe hierzu Michael Reichel, „Xenophon als Biograph“, in Erler/Schorn (s. Anm. 51) 25-43. Dass sich Biographie und Historiographie bisweilen überschneiden, oftmals ineinander übergehen, zeigt Guido Schepens, „Zum Verhältnis von Biographie und Historiographie in hellenistischer Zeit“, in Erler/Schorn (s. Anm. 51) 335-361.

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dass der Alexanderzug sämtliche Erfahrungswerte und Normen der griechischen Welt sprengte, als auch der offenkundige Wettbewerb um die Deutung der Figur Alexanders, sei es ein Wettbewerb politischer Legitimationen, sei es ein Agon der literarischen Ausgestaltungen, zeitigte ein reiches Schrifttum ‚um Alexander’,66 zu dem in einer ersten Generation Augenzeugen (oder vermeintliche Augenzeugen), seit der zweiten Generation67 ambitionierte Literaten beitrugen. Greifbar wird dieser Wettbewerb erst in seinen Endpunkten, den ‚seriösen’ Alexandergeschichten eines Arrian und Curtius Rufus,68 der großen kompilatorischen Biographie Plutarchs sowie in den verschiedenen Versionen des ‚Alexanderromans’,69 in denen das Wunderbare einen wichtigen Platz gefunden hat. Ausgangspunkt für die Betonung des Mirakulösen war bereits die Alexandergeschichte des zum ‚Hofhistoriker’ bestimmten Aristoteles-Neffen Kallisthenes (FGrHist 124), dessen (unvollendetes) Werk sich augenscheinlich noch gegen die Apotheose des Makedonen sträubte (T 8: Arrian [4,11,1ff.] notiert, dass Kallisthenes indirekt gegen die göttlichen Ehren für Alexander opponiert), doch sich gezwungen sah, die Weissagung der Priester im Ammon-Heiligtum von Siwa zu referieren, nach der Alexander Sohn des Zeus sei (F 14a). Möglicherweise in Konkurrenz zu Nearch, Alexanders Admiral, und dessen Bericht über die Fahrt an Indiens Küste entlang (FGrHist 133) entwarf Alexanders ‚Obersteuermann’ Onesikritos ein wundersames AlexanderBild, in dem ein ‚Philosoph in Waffen’70 keinen panhellenischen Rachekrieg (dies könnte Kallisthenes’ Deutung des Alexanderzuges gewesen sein), sondern eine friedlichere Einung der Welt vollzog. Die Schrift des Onesikritos trug den eigenartigen Titel: „Wie Alexander geführt wurde“ (pw'~ ∆Alevxandro~ h[cqh). Soweit aus den Fragmenten erkennbar ist, schilderte dieses Buch wundersame Begegnungen des Makedonen mit den Gymnosophisten in Indien und eine ebenso wundersame Natur. Strabon fällte ein harsches Verdikt über den Autor: ‚Nicht Obersteuermann Alexanders, sondern Obersteuermann der paradoxen Begeben66

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Siehe aus der reichen Literatur die übergreifenden Studien von Lionel Pearson, The Lost Histories of Alexander the Great (New York 1960); Paul Pédech, Historiens compagnons ď Alexandre. Callisthène – Onésicrite – Néarque – Ptolémée – Aristoboule (Paris 1984). Siehe hierzu G. Wirth, „Alexander in der 2. Generation. Sprachreglung und Konstruktion eines Bildes“, in Purposes of History (s. Anm. 1) 203-211. Siehe Nicholas G. L. Hammond, Three Historians of Alexander the Great (Cambridge 1983). Siehe hierzu Reinhold Merkelbach, Die Quellen des griechischen Alexanderromans (München ²1977), der zudem seine Schüler zu Editionen verschiedener Rezensionen dieses Romans angeregt hat. Vgl. ferner David J. A. Ross, Studies in the Alexander Romance (London 1985). Meister, Griechische Geschichtsschreibung (s. Anm. 10) 109.

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heiten müsste man ihn nennen.’71, und Gellius berichtet von einem Bücherfund bei einem Antiquar in Brundisium, bei dem er libri Graeci miraculorum fabularumque pleni, res inauditae incredulae entdeckte – unter den Autoren ist Onesikritos.72 Eine spätere Generation der Alexanderhistoriker ging einen anderen Weg. Wie das Beispiel des Kleitarchos (FGrHist 137) zeigt, pathetisierte man den Alexanderzug; der Brand von Persepolis wurde bei ihm zu einer schicksalhaften Vergeltung für den Brand der Akropolis in Athen (F 11), Alexander stirbt plötzlich auf der Höhe seines Ruhms.73 Bereits Plutarch charakterisierte dies als Versuch, der Alexander-Geschichte einen großen, dramatischen Höhepunkt zu geben: „Einige [sc. unter ihnen Kleitarch] glauben, dies so schreiben zu müssen, als würden sie einen tragischen und pathetischen Schlussakt eines großen Dramas dichten.“74

Auch in Kleitarchs Werk in 12 Büchern sah die Antike eine Vermengung von ‚Dichtung und Wahrheit’, lizensierte dies nach Ausweis Ciceros jedoch. ‚Schließlich sei es Rhetoren erlaubt, in Geschichtswerken zu lügen, damit sie etwas deutlicher ausdrücken könnten.’75 Quintilian brachte es auf die Formel: „Des Kleitarchos Talent wird anerkannt, seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt.“76 Damit war mit den Alexander-Historikern offensichtlich im Paradigma Historiographie eine gewisse Freiheit des Historikers im Umgang mit Fakten endgültig etabliert77 – gänzlich neu jedoch konnte dies nicht erscheinen, zumal bereits bei Herodot (und seinem Nachfolger und Konkurrenten Ktesias) ‚fabulae’ Verwendung gefunden hatten: Bezeichnend ist die Diskussion, die Cicero in seiner Schrift ‚De legibus’ seinem Bruder Quintus und sich selbst in den Mund legt: Als Quintus ausführt, dass sein Bruder offensichtlich der Auffassung sei, dass es für die Geschichtsschreibung andere Regeln als für die Dichtung gebe, erwidert dieser: „Allerdings, Quintus, weil in jener alles auf die Wahrheit Bezug hat, in dieser das meiste auf Unterhaltung; obschon sowohl bei Herodot, dem Vater

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Strabon 15,1,28 = FGrHist 134 T 10 bzw. F 16. Gellius, Noctes Atticae 9,4,1-3 = FGrHist 134 T 12. Vgl. Diodor 17,117; dazu Meister, Griechische Geschichtsschreibung (s. Anm. 10) 121. Plut., Alex. 75: ajlla; tau'tav tine~ w[/onto dei'n gravfein, w{sper dravmato~ megavlou tragiko;n ejxovdion kai; peripaqe;~ plavsante~. Cicero, Brutus 42/43: [...] quoniam quidem concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius. ut enim nunc de Coriolano, sic Clitarchus, sic Stratocles de Themistocle finxit. Inst. or. 10,1,74: Clitarchi probatur ingenium, fides infamatur. Siehe hierzu auch Peter, Wahrheit und Kunst (s. Anm. 41) 61-71.

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der Geschichte, wie bei Theopomp ungezählte fabelhafte Geschichten zu finden sind.“ (De leg. 1,578).

„Bezug auf die Wahrheit“ – dies dürfte wohl auch Kleitarch für sich in Anspruch nehmen, wenn er über seine Fiktionen und Zuspitzungen die ‚tiefere’ Bedeutung des Geschehens herausarbeiten konnte. Deutlicher Kontur gewinnt das hiermit umrissene Problem, wenn man Ciceros Bemerkung im Brutus, Onesikritos und Kleitarch in Beziehung setzt zu einer literaturkritischen Diskussion des Hellenismus, die sich als Auseinandersetzung mit der berühmten Position des Aristoteles über den Unterschied zwischen Dichtung und Geschichtsschreibung in der Poetik verstehen lässt.79 Denn in Kap. 9 der Poetik heißt es: „Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass es nicht Aufgabe des Dichters ist mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d.h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder der Notwendigkeit Mögliche. [...] Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit.“80

Ob der Peripatos nach Aristoteles diese rigide Abgrenzung aufrechterhalten oder modifiziert hat, ist umstritten. Freilich lässt ein Historiker, Duris von Samos, erkennen, dass er die Historiographie der Tragödie (also der Dichtung) annähert. Da Duris als Schüler des Theophrast bezeugt ist,81 kann man fragen, ob seine Form der Historiographie Indiz für eine Veränderung im Peripatos82 ist oder eine individuelle Entscheidung (wie sie augenscheinlich auch Kleitarch traf) bedeutet.83 Angesichts fehlender aussagekräftiger Zeugnisse ist eine Entscheidung kaum 78

79 80 81 82

83

Qu.: Intellego te frater alias in historia leges observandas putare, alias in poemate. M.: Quippe cum in illa ad veritatem Quinte cuncta referantur, in hoc ad delectationem pleraque; quamquam et apud Herodotum patrem historiae et apud Theopompum sunt innumerabiles fabulae. Siehe hierzu Therese Fuhrer, „Hellenistische Dichtung und Geschichtsschreibung. Zur peripatetischen und kallimacheischen Literaturtheorie“, Museum Helveticum 53 (1996) 116-122. Übersetzung von Manfred Fuhrmann. So Athenaios, Deipnos. 4,1 [128 A] bzw. 8,18 [337 D] = FGrHist 76 T 1 und 2. Leider bleibt unklar, was in Theophrasts oder Praxiphanes’ Schriften ‚Über die Geschichtsschreibung’ gestanden hat. Gleichwohl nahmen eine entsprechende theoretische Fundierung der ‚tragischen Geschichtsschreibung’ an Eduard Schwartz, Fünf Vorträge über den griechischen Roman (Berlin ²1943) 123-25 (der seine Position seit 1897 entwickelt hatte, weshalb Paul Scheller, De hellenistica historiae conscribendae arte [Diss. Leipzig 1911], von ihm abhängt), sowie (mit neuer Begründung) Kurt von Fritz, „Die Bedeutung des Aristoteles für die Geschichtsschreibung“, in Histoire et historiens dans ľantiquité (Vandoeuvres-Genève 1958) 85-145. Gegen eine peripatetische Grundlegung argumentierte Frank W. Walbank, “History and Tragedy“, Historia 9 (1960) 216-234. Aus der für Duris bezeugten Schrift ‚Über Euripides und Sophokles’ (FGrHist 76 F 28/29) kann man auf eine Vertrautheit mit der Tragödie schließen.

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möglich. Doch auch ohne eine Herleitung bleibt ein Fragment aus Duris’ ‚Makedonischer Geschichte’ (ein Werk in mindestens 23 Büchern, das die Geschichte Makedoniens von 370 bis zum Tod des Lysimachos 281 behandelte) aussagekräftig: „Duris von Samos sagt im 1. Buch seiner Historien Folgendes: Ephoros und Theopomp blieben sehr weit hinter dem Geschehenen zurück. Denn weder bedienten sie sich der Nachahmung (mimesis) noch des Vergnügens (hedoné) in der Darstellung, sondern sorgten sich nur um das Schreiben.“ (FGrHist 76 F 1). Duris84 scheint hier eine Kritik gegen Ephoros und Theopomp zu entwickeln, nach der ‚bloßes Niederschreiben’ des Geschehenen dazu führt, dass der Text diesem Geschehen nicht gerecht wird, dass vielmehr über eine gewisse Nachahmung ein ‚Vergnügen’ bei den Lesern erweckt werden müsse. Und insofern mimesis und hedoné spezifische Begriffe in der Aristotelischen Poetik darstellen, mit deren Hilfe der Stagirite Dichtung analysiert, scheint eine Nähe zu einer peripatetischen Literaturkritik in F 1 schwer zu leugnen. Duris, so ist zu konstatieren, hat die Analyse der Wirkung von Literatur (und die Herstellung dieser Wirkung) in der Tradition des Aristoteles gelernt. Wie er diese Lehre umsetzte, könnte eine Partie in Plutarchs Perikles-Vita (Kap. 28) beleuchten, bei der nicht allein der Wortlaut des Duris-Fragments (F 67), sondern auch die kommentierende Einbettung des Plutarch signifikant sind. Plutarch erzählt zunächst das Ende des sog. Samischen Krieges: die Samier müssen vor Perikles kapitulieren, der sie die Mauern niederreißen, die Schiffe ausliefern und Reparationen leisten lässt. Dann fährt Plutarch fort (= FGrHist 76 T 8/ F 67): „Duris von Samos setzt zu diesem nach Art der Tragödie hinzu (ejpitragw/dei'), womit er die große Grausamkeit der Athener und des Perikles anklagt, von der weder Thukydides noch Ephoros noch Aristoteles in ihren Geschichtswerken berichten, vielmehr scheint er überhaupt nicht die Wahrheit zu sagen, dass also Perikles die Kapitäne und Matrosen der samischen Schiffe nach Milet bringen und dort auf dem Marktplatz an Pfähle binden ließ. Nach zehn Tagen, als sie schon in furchtbarem Zustand waren, habe er befohlen, ihnen mit Holzknüppeln die Schädel einzuschlagen und dann die Körper ohne Totenpflege vor die Stadt zu werfen. Duris, der nicht einmal dort, wo er nicht persönlich vom Leid betroffen ist, gewöhnlich seine Darstellung innerhalb der Grenzen der Wahrheit gegründet sein lässt,85

84 85

Siehe zur Bedeutung dieser Partie insbesondere Frank W. Walbank, “Tragic history: a reconsideration“, BICS 2 (1955) 4-14, hier 7. Zum griechischen Ausdruck oujd∆ ... eijwqw;~ kratei'n th;n dihvghsin ejpi; th'~ ajlhqeiva~ Philip A. Stadter, A Commentary on Plutarch’s Pericles (Chapel Hill/London 1989) 259.

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scheint hier das Unglück seiner Vaterstadt in umso dunkleren Farben gemalt zu haben, um auf diese Weise die Athener zu verleumden.“

Plutarch verbindet also Duris’ Form der Historiographie ausdrücklich mit der Tragödie (ejpitragw/dei'n) und einem ‚freien’ Umgang mit der Wahrheit. Zur Historiographie gehört für Plutarch Duris indes unzweifelhaft; und wie weit sich für ihn diese Gattung erstreckt, zeigt – gewissermaßen e contrario – seine Einschätzung des Istros (FGrHist 334), eines stärker der Sache verpflichteten Autors, der mit Kallimachos in Verbindung stand und deswegen von der modernen Forschung als ‚Antiquar’ eingestuft wird,86 also als Sammler von Daten, nicht jedoch als deren Interpret. Mit Duris und dem in ähnlicher Weise arbeitenden Phylarch (FGrHist 81), an dem sich Polybios ausführlich abarbeitet (2,56-63),87 scheint die ‚tragische’ Schreibweise der Historiographie einen festen Platz in der Gattung gewonnen zu haben. Es ist bezeichnend, dass Polybios ungeachtet seiner scharfen Kritik an den leserwirksamen Erfindungen oder wenigstens Ausgestaltungen des Phylarch den Fall Philipps V. von Makedonien wie eine Tragödie konzipiert.88 Ferner war mit dieser Schreibweise auch die Lizenz etabliert, nach der der Historiker – um des Publikums, um der Verdeutlichung des Gesamtsinns willen – freier mit der ‚Wahrheit’ schalten könne.89 In besonderer Weise scheint diese Möglichkeit der Historiographie genutzt worden zu sein, als es in Rom galt, aus den wenigen Beständen historischer Erinnerung eine veritable Geschichte zu formen. Die römische Frühgeschichte, ja auch weite Teile der Geschichte der römischen Republik ließen sich bekanntlich nicht durch schriftliche Quellen dokumentieren. Ein beträchtliches Ausmaß an kreativer Phantasie und erhebliche Adaptationsleistung griechischer Mythen kennzeichnet daher die Historiographie Roms (d.h. über Rom wie der Römer) von Beginn an. Während dies die Forschung augenscheinlich zu akzeptieren bereit ist, urteilt sie harsch über eine Gruppe römischer Historiker der ersten Hälfte des 1. Jhdts. v. Chr.: die sog. jüngere Annalistik, Claudius Quadrigarius, Valerius Antias, Licinius Macer und Aelius Tubero.90 Man 86 87 88 89 90

So Meister, Griechische Geschichtsschreibung (s. Anm. 10) 130. Vgl. Guido Schepens, “Polybius on Phylarchus’ Tragic Historiography”, in Guido Schepens/Jan Bollansée (eds.), The Shadow of Polybius. Intertextuality as a Research Tool in Greek Historiography (Leuven 2005) 141-164. So Frank W. Walbank, “Philippos tragodoumenos. A Polybian Experiment”, JHS 58 (1938) 55-68. Dass dies in der Praxis natürlich nichts Neues war, ist aus Thukydides’ Bemerkung über die ‚Logographen’ zu entnehmen: wJ~ logogravfoi xunevqesan ejpi; to; prosagwgovteron th'/ ajkroavsei h] ajlhqevsteron, 1,21,1. Im Folgenden zitiert nach Hans Beck/ Uwe Walter (eds.), Die frühen römischen Historiker, vol. II (Darmstadt 2004) [= FRG].

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pflegte sie der Gewissenlosigkeit zu beschuldigen, mit der sie die historische Überlieferung verdorben und vieles frei erfunden hätten. Aus dem Beruf des ernsthaften Historikers sei eine berufsmäßige ‚annalium confectio’ geworden, die, wie Friedrich Klingner pointiert formulierte, „den haltlosen Sinn der damaligen Römer beleuchtet.“91 Doch Klingner setzt auch fort: „Dennoch will auch das, was diese wunderlichen Schriftsteller geleistet haben, verstanden sein. Sie sind es gewesen, die die halbleeren Räume der frühen republikanischen Zeit in Besitz genommen und, Überliefertes ausweitend, übertreibend, ergänzend, so ausgefüllt haben, dass ihre Vorgänger [...] dagegen wie schüchterne Stümper erscheinen.“

Soweit aufgrund der fragmentarischen Überlieferung erkennbar, handelt es sich bei den vier Werken um Orientierungsangebote in einer Zeit der inneren Krise Roms, gerichtet auch an die italischen Oberschichten, vorgelegt – im Gegensatz zur früheren römischen Historiographie – von Verfassern, die nicht der Oberschicht und damit den Kreisen der politisch Handelnden zugehörten (vielleicht aber in deren Auftrag schrieben).92 Sie bedienten sich äußerlich der ‚strengen’ Form der Annalen, um ihren Texten Autorität zu verleihen, erfanden dabei aber viele Daten und konstruierten Zusammenhänge in der Frühzeit. Am deutlichsten ist diese Konstruktionsleistung bei Valerius Antias zu erkennen – aufgrund der heftigen Polemik des Livius gegen ihn; offenbar erfand Antias Schlachten (F 31), verteilte politische Ereignisse gleichmäßig (und frei) über sonst ereignisarme Zeiträume und übertrieb bei den von ihm in der Regel (als Autorisierungsgestus) exakt genannten Zahlen: adeo nullus mentiendi modus est, bemerkt Livius (26,49,3 = Val. Ant. F 25) scharf; Antias kennt also kein Maß im Lügen. Der Umstand freilich, dass Antias’ Werk (vielleicht im Interesse der Gens Valeria verfasst93) sich bis zu Livius behauptete, ja überdies der Verfasser augenscheinlich unbedenklich zu diesen Fiktionen griff, zeigt, wie ‚gebräuchlich’ die Freiheit des Historikers im Umgang mit seiner Materie im Hellenismus war. Es steht dabei außer Frage, dass sowohl die Geschichtsschreiber wie auch ihre Leser sich dessen bewusst waren, zu91 92

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Friedrich Klingner, „Römische Geschichtsschreibung“, in Römische Geisteswelt. Essays zur lateinischen Literatur (München 51965 [Nachdruck Stuttgart 1979]) 66-89 (zuerst 1937), hier 81. Siehe hierzu insgesamt Dieter Timpe, „Erwägungen zur jüngeren Annalistik“, in id., Geschichtsschreibung (s. Anm. 1) 209-239 (zuerst 1979), sowie Uwe Walter, „Opfer ihrer Ungleichzeitigkeit. Die Gesamtgeschichten im ersten Jahrhundert v. Chr. und die fortdauernde Attraktivität des ‚annalistischen Schema’“, in Formen röm. Geschichtsschreibung (s. Anm. 1) 135-156, zu Antias besonders 152/3. So nach Münzer T. P. Wiseman, Roman Drama and Roman History (Exeter 1998) 75-89, vgl. dazu Walter, „Opfer ihrer Ungleichzeitigkeit“ (s. Anm. 92) 153.

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mal, wenn es um Begebenheiten weit zurückliegender Zeiten ging. Ist es ein Spiel, wenn Claudius Quadrigarius, eben einer jener „wunderlichen Schriftsteller“ in seiner römischen Geschichte auf die Darstellung der Zeit vor dem Galliersturm deswegen verzichtete, weil beim Brand Roms alle alten Aufzeichnungen verloren gegangen seien, die noch existierenden Aufzeichnungen aber Fälschungen darstellten, mit denen Emporkömmlinge alten Adel beweisen wollten?94 Bereits Ephoros95 hatte das Problem genau benannt: „Die, die über die Begebenheiten unserer Zeit ganz präzise berichten, halten wir für höchst vertrauenswürdig, die, die über die alten Zeiten so handeln, betrachten wir als höchst unglaubwürdig, weil wir annehmen müssen, dass es unwahrscheinlich ist, dass alle Taten und die meisten Reden durch so lange Zeit in Erinnerung bleiben konnten.“96 (FGrHist 70 F 9).

Livius97 macht seine Leser wiederholt auf dieses Problem aufmerksam. So schreibt er bereits in der Praefatio (§ 6): „Was vor der Gründung der Stadt oder dem Plan ihrer Gründung mehr mit dichterischen Erzählungen ausgeschmückt als in unverfälschten Zeugnissen der Ereignisse überliefert wird, das möchte ich weder als richtig hinstellen noch zurückweisen. Man sieht es der alten Zeit nach, dass sie den Anbeginn der Städte verklärt [...].“

Und im Proöm zur 2. Pentade fasst er zusammen: „Was von der Gründung Roms bis zu eben ihrer Einnahme die Römer [...] getan haben, habe ich in fünf Büchern dargestellt, Begebenheiten, die sowohl aufgrund ihres allzu hohen Alters sich wie aus großer Entfernung kaum erkennen lassen als auch besonders, weil während dieser Zeiten der Schriftgebrauch selten war, der einzig zuverlässige Schutz der Erinnerung an Taten, und überdies, weil beim Brand der Stadt das meiste, was über-

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Dies wird aus Plutarch, Numa 1,1 (dazu Walter, „Opfer ihrer Ungleichzeitigkeit“ [s. Anm. 92] 148 mit Anm. 47), erschlossen: „Ein gewisser Clodius jedoch behauptet in seiner Zeittafel – so ungefähr lautet der Titel des Büchleins –, jene alten Aufzeichnungen seien bei der gallischen Katastrophe der Stadt zugrunde gegangen, und die jetzt vorliegenden seien nicht der Wahrheit gemäß aufgestellt worden von Männern, die sich gewissen Leuten, welche sich in die ersten Häuser, ohne ihnen tatsächlich anzugehören, einschmuggeln wollten, gefällig zeigten.“ Martin Schrage weist mich auf Thuk. 1,1,3 hin, womit Thukydides prinzipiell bereits dieses Problem anspricht. peri; me;n ga;r tw'n kaq∆ hJma'~ gegenhmevnwn fhsi; tou;~ ajkribevstata levgonta~ pistotavtou~ hJgouvmeqa, peri; de; tw'n palaiw'n tou;~ ou{tw diexiovnta~ ajpiqanwtavtou~ ei\nai nomivzomen, uJpolambavnonta~ ou[te ta;~ pravxei~ aJpavsa~ ou[te tw'n lovgwn tou;~ pleivstou~ eijko;~ ei\nai mnhmoneuvesqai dia; tosouvtwn. Siehe dazu Erich Burck, Das Geschichtswerk des Titus Livius (Heidelberg 1992) 33.

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haupt in den Aufzeichnungen der Priester und anderen öffentlichen und privaten Denkmälern vorhanden war, untergegangen ist.“98

Gleichwohl verfasste Livius die Geschichte der Stadt bis zum Galliersturm in immerhin fünf Büchern, Büchern, die stetig Unsicherheiten ausstellen durch Formulierungen wie ‚incertum est’, ‚parum liquet’ etc., die überdies immer wieder die Fehler der Vorgänger betonen (und bis zum Vorwurf der Lüge, den er, wie gesehen, gegen Valerius Antias erhebt, gehen). Er beteiligte sich damit an einem historiographischen Diskurs, der die wenigen Daten, die als sicher gelten konnten,99 durch Fiktionen (mochte sie auch nicht Livius, sondern seine Vorgänger, die er durchschaute und dies dem Leser mitteilte, geschaffen haben) ergänzte und eine neue Textur des Bildes der Vergangenheit schuf, aber nicht – im modernen Sinn – diese erforschte.

IV. Es ist also zu erkennen, wie sich in der Geschichte der Gattung Historiographie über die Stationen eines Duris, der Jüngeren Annalisten und Livius eine Praxis ausbildet, in der es lizenziert wird, fiktionale Elemente in Geschichtswerke einzubeziehen, gleichzeitig aber auch, diesen Einbezug bei Vorgängern zu tadeln,100 ihn selbst durch ‚Beglaubigungsapparate’ zu markieren. Diese Lizenz nutzt in der frühen Kaiserzeit eine Reihe von Texten systematisch und erweitert damit den Rahmen der Gattung nochmals. Der Trojanische Krieg gehörte unbestritten zu den ‚historischen’ Beständen der antiken Memorialkultur. Thukydides ging wie selbstverständlich von seiner Historizität aus, die römische Gründungslegende war über Aeneas mit ihm unauflöslich verbunden. Allerdings beherrschte das homerische Epos als einzig für gültig

98

Quae ab condita urbe Roma ad captam eandem Romani [...] gessere [...], quinque libris exposui, res cum vetustate nimia obscuras velut quae magno ex intervallo loci vix cernuntur, tum quod rarae per eadem tempora litterae fuere, una custodia fidelis memoriae rerum gestarum, et quod, etiam si quae in commentariis pontificum aliisque publicis privatisque erant monumentis, incensa urbe pleraeque interiere. 99 Dies würde umso mehr gelten, wenn auch die von der älteren Forschung als authentisch angesehenen Priester-Aufzeichnungen, die als annales maximi in 80 Büchern von P. Mucius Scaevolo publiziert worden sein sollen, eine späte ‚Erfindung’ sind, wie B. W. Frier, Libri annales pontificum maximorum: The Origins of the Annalistic Tradition (Rom 1979), aufzuweisen sucht. Siehe dazu Karl-Ernst Petzold, „Zur Geschichte der römischen Annalistik“, in Wolfgang Schuller (ed.), Livius. Aspekte seines Werkes (Konstanz 1993) 151-188. 100 Siehe die instruktive Behandlung des Elements der Polemik bei Historikern durch Marincola, Authority and Tradition (s. Anm. 20) 217-236.

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erkannte Quelle den Diskurs über den Trojanischen Krieg.101 In der frühen Kaiserzeit102 ist der Versuch erkennbar, neben Homer andere Versionen – mit ‚neuen Daten’ – zu etablieren. Dies geschieht in zwei Texten, der Ephemeris belli Troiani des ‚Dictys Cretensis’ und den Acta diurna des ‚Dares Phrygius’,103 zwei Texten, die vorgeben, Augenzeugenberichte des Trojanischen Krieges zu sein – und damit dem von Ephoros diagnostizierten Problem zu entgehen scheinen. Der DaresText nimmt sogar offen Bezug auf das Problem der Glaubwürdigkeit eines beträchtlich später schreibenden ‚Historikers’, wenn er in der ihm vorangestellten Widmungsepistel des Finders – des berühmten Biographen Cornelius Nepos, der an keinen Geringeren als Sallust schreibt – anmerkt, dass man sich fragen müsse, ob Dares oder Homer, der doch so viel später gelebt habe, mehr Glauben verdiene.104 Mit dem DaresText wird ein Trojanischer Krieg aus trojanischer Sicht entworfen, zudem bedient sich dieser Text just der Verfahrensweisen, die auch die Jüngeren Annalisten und Livius in ihren Versionen der römischen Frühgeschichte gebrauchten, d.h. des ehrwürdigen annalistischen Schemas (hier als ‚Tagebuch’) sowie insbesondere der Rationalisierung des Geschehens: bei Dares findet ein Trojanischer Krieg ohne Intervention der Götter statt, das Geschehen wird also in die Diskursnormen der Historiographie überführt. (Fingierter) Adressat und Verfasser der Widmungsepistel verstärken die Hinwendung zur Geschichtsschreibung, werden doch dem Leser zwei ‚Autoritäten’ der Gattung präsentiert. Natürlich benötigen beide Texte einen Beglaubigungsapparat, um ihre Stellung als neue Zeugen für eine alte Geschichte einnehmen zu können. Es ist das Motiv des Bücherfundes,105 das hierfür herangezogen wird: Gleich verdoppelt erscheint es im Dictys-Text, in dem sowohl die Widmungsepistel eines Lucius Septimius wie auch der Prolog vom spektakulären Text-Fund in einem Grab auf Kreta berichten; „Nepos“ will dagegen seinen Text (in einem Antiquariat?) in Athen gefunden haben. Während Dares (natürlich) in phönizischer Sprache schrieb, aus der der Text zunächst ins Griechische, dann ins Lateinische übersetzt 101 Dass dies durch die Kanonisierung Homers im Hellenismus, für die etwa Kallimachos steht, auch literarästhetische Gründe hat, sei unbestritten. 102 Siehe G. W. Bowersock, Fiction as History, Nero to Julian (Berkeley 1994) 1-27. 103 Siehe dazu Stefan Merkle, “News from the Past. Dictys and Dares on the Trojan War”, in Heinz Hofmann (ed.), Latin Fiction. The Latin Novel in Context (London 1999) 155-166. 104 Die Leser, so „Nepos” im Widmungsbrief an „Sallust”, sollten entscheiden, „utrum verum magis esse existiment, quod Dares Phrygius memoriae commendavit, qui per id ipsum tempus vixit et militavit, cum Graeci Troianos obpugnarent, anne Homero credendum, qui post multos annos natus est, quam bellum hoc gestum est." 105 Siehe dazu W. Speyer, Bücherfunde in der Glaubenswerbung der Antike (Göttingen 1970).

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wurde, hat „Septimius“ den Dictys aus dem Griechischen übersetzt – es gibt Papyrus-Funde einer griechischen Version des Dictys,106 während es für Dares fraglich ist, ob eine griechische Fassung existierte.107 Noch einen Schritt weiter als „Dares“ und „Dictys“ geht wohl am Ende des 1. Jhdts. n. Chr. ein gewisser Ptolemaios Chennos108, mit seiner „Neuen Geschichte“, kainh; iJstoriva, einem Werk, das nur über die Zusammenfassung in der Bibliotheke des Photios erhalten ist.109 „Geradezu wahrhaft nützlich ist das Buch für die, die historische Vielwisserei anstreben. Denn es vermag in sich versammelt in kurzer Zeit zu wissen zu geben, wofür man, wenn man es auf sich nähme, es aus der Literatur zerstreut zu sammeln, sein Leben zubringen müsste. Es enthält viel Wundersames und übel Ersonnenes und noch Absurderes, weil es die Gründe für einige Mythlein darzulegen versucht, durch die sie entstanden sind.“ (146b1-7).110

Mit dieser Bewertung leitet Photios ein Referat der sieben Bücher der kainh; iJstoriva ein, das in der Tat viel Wundersames, Fabulöses und Absurdes mitteilt:111 Die Todesarten berühmter Männer, Erklärungen dunkler Dichterworte, mythologische Raritäten, Exkurse zu historischen Begebenheiten (wie das gerade zitierte Beispiel), Genealogien 106 P.Tebt. 268, P.Oxy. 2539, abgedruckt auch von W. Eisenhut (ed.), Dictys Cretensis Ephemeridos Belli Troiani Libri a Lucio Septimio ex Graeco in Latinum Sermonem translati (Leipzig ²1973). 107 Siehe dazu Jan Stenger, „Dares Phrygius und kein griechisches Original“, Grazer Beiträge 24 (2005) 175-190. 108 Siehe hierzu nach der Separatausgabe durch J. I. G. Roulez, Ptolemaei Hephaestionis Novarum Historiarum Excerpta (Leipzig 1834) [mit weiterhin nützlicher praefatio], insbesondere A. Chatzis, Der Philosoph und Grammatiker Ptolemaios Chennos (Paderborn 1914) I-XVII; A. Dihle, „Der Platoniker Ptolemaios“, Hermes 85 (1957) 314-25; id., s. v. „Ptolemaios Nr. 77“ (RE XXIII. 2) Sp. 1862 – die Kritik von K.-H. Tomberg, Die Kaine Historia des Ptolemaios Chennos (Diss. Bonn 1967) 11-13, an Dihles Unterscheidung der Personen ruht auf schwacher Grundlage. Siehe ferner Bowersock, Fiction as History (s. Anm. 102) 22-27. Vgl. auch Verf., „Ptolemaios Chennos und das Problem der Schwindelliteratur“, in Stefan Heilen/Robert Kirstein et al. (eds.), In Pursuit of Wissenschaft. Festschrift für William M. Calder III zum 75. Geburtstag (Hildesheim/New York 2008) 177-196. 109 Hier codex 190, 148b5-10. Der hier wie im Folgenden zitierte griechische Text ist entnommen R. Henry (ed., trans.), Photius. Bibliothèque, vol. III (Paris 1962): touvtou tou' Eujpovmpou pai'da Dravkonta tou[noma ojxuwpevstaton genevsqai fasivn, wJ~ dia; stadivwn k∆ qewrei'n rJa/divw~: o}n kai; Xevrch/ ejpi; cilivoi~ suggenovmenon talavntoi~ kai; sugkaqezovmenon uJpo; th'/ crush'/ platavnw/ dihgei'sqai blevponta th;n ÔEllhvnwn kai; barbavrwn naumacivan kai; th;n ∆Artemisiva~ ajndreivan. 110 crhvsimon wJ~ ajlhqw'~ to; biblivon toi'~ peri; th;n iJstorikh;n polumaqivan ponei'n wJrmhmevnoi~: e[cei ga;r dou'nai suneilegmevna bracei' crovnw/ eijdevnai, a} sporavdhn ti~ tw'n biblivwn ajnalevgein povnon dedegmevno~ makro;n katatrivyei bivon. e[cei de; polla; kai; teratwvdh kai; kakovplasta, kai; to; ajlogwvteron, o{ti kai; ejnivwn muqarivwn aijtiva~, di∆ a}~ uJpevsthsan, ajpodidovnai peira'tai. 111 Systematisiert und geordnet wird das von Photios Referierte von Tomberg (s. Anm. 108) 94-116. Siehe ferner Chatzis (s. Anm. 108) XXXVIII-XL.

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(man erfährt z.B. in 147a7ff., dass der Dichter Epicharm in Achill seinen Ahnen sah), Mythendeutungen quasi-rationalistischer Natur: So weiß Ptolemaios, dass der berühmte Streit zwischen Hera, Athene und Aphrodite, der nur durch das Paris-Urteil entschieden werden konnte, nicht etwa um einen Apfel (griechisch mh'lon) als Siegespreis für die Schönste ging, sondern um den wunderschönen Sohn des Flussgottes Skamander, der den Namen Melos trug (152b15ff.). Zugleich kann der literarhistorisch Interessierte wichtige Ergänzungen seiner Kenntnisse der Literaturgeschichte erhalten: Es habe vor Homer eine Dichterin namens Helena, Tochter des Atheners Musaios gegeben, die den trojanischen Krieg beschrieben und von der Homer das Thema übernommen habe (149b22ff.). In Ptolemaios’ „Neuer Geschichte“ wird mit unerhörter Phantasieleistung vor dem Leser eine Wissenslandschaft ausgebreitet, die die „Schulweisheit“ systematisch übersteigt, das übliche Bildungswissen weit hinter sich lässt und damit einen gänzlich „neuen“ Blick auf Literatur und Geschichte erlaubt. Das Werk gehört damit zur – erst modern so bezeichneten – Paradoxographie, und seine Besonderheit liegt augenscheinlich darin, dass in der Regel nicht nur die Nachrichten neue Erfindungen darstellen, sondern für diese Nachrichten – als Beglaubigung – eine Fülle von Autoren und Texten erfunden wird, die die Nachrichten angeblich enthalten. Es kann nicht verwundern, dass diese „Neue Geschichte“ im 19. Jdht. starken Anstoß erregte: Rudolf Hercher wies in einem Aufsatz mit dem Titel „Über die Glaubwürdigkeit der Neuen Geschichte des Ptolemaeus Chennus“112 überlegen und grundstürzend nach, dass der Autor in seinem Werk nicht die Früchte erlesener Gelehrsamkeit und entsagungsvoller Lektüre entlegenster Texte zusammengetragen habe, sondern dass – wie der Vergleich mit einem dem Plutarch zugeschriebenen Traktat Über Flüsse lehre – vor uns „gelehrte Lüge“113 liege, dass Nachrichten und Autorennamen gefälscht seien. Herchers Fazit lautet: „Ich denke, daß hiermit eine hinlängliche Einsicht in Ptolemaeus’ Werkstatt gewonnen ist und daß wir nach diesen Proben das Recht haben, uns seine Gelehrsamkeit vom Halse zu halten [...].“114 Diese Kritik ist nach den Maßstäben der Historik des 19. Jhdts. berechtigt, sie verkennt jedoch, wie weit die „Gattung Historiographie“ sich in der Antike erstreckte. Für die Antike dagegen muss ein Wort Quintilians als Maßstab dienen:

112 Jbb. f. Class. Philol. , Suppl. 1 (1855/1856) 269-293. 113 Hercher (s. Anm. 112) 276. 114 Ibid., 282.

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„Die Geschichtsschreibung steht der Poesie sehr nahe, ist in gewisser Weise ein Gedicht in ungebundener Form und will erzählen, nicht beweisen.“ (Inst. or. 10,1,31).115

V. Freilich erschöpft sich die Historiographie des Späthellenismus bzw. der frühen Kaiserzeit nicht darin, sich immer weiter der gelehrten Lüge zu öffnen. Vielmehr lässt sich auch eine Reihe von formalen Experimenten erkennen, die das Spektrum der Schreibweise erweitern. Da sind zunächst am Beginn des 1. Jhdts. n. Chr. die (in der Epitome des Iustin aus dem späten 4. Jhdt.116 überlieferten) ambitionierten Historiae Philippicae des Pompeius Trogus,117 der mit dem Titel des Werkes an Theopomp anzuknüpfen scheint,118 de facto aber eine Geschichte der (griechischen) Welt in lateinischer Sprache bieten will (F 15 bzw. 16), mithin einen Perspektivwechsel in der Beschreibung vornimmt: Statt aus der Innenperspektive eines Römers die römische Geschichte oder eines Griechen die griechische Geschichte bedient er sich (wie weiland Polybios) einer Außenperspektive auf Hellas, um die griechische Geschichte für Römer zu beschreiben. Allerdings ist hierbei eine Erkenntnis leitend: dass die Weltgeschichte bis zu Augustus aus zwei Teilen besteht, einem ‚römischen’, den gleichsam Livius beschreibt, und einem ‚nicht-römischen’, den darzustellen Trogus unternahm.119 Trogus setzt Livius (und Sallust) voraus120 und stellt seine Geschichte daneben. Er variiert damit die Technik der ‚Fortsetzung’ eines Geschichtswerks, indem er nicht (wie etwa Poseidonios oder Dionys von Halikarnass an Polybios) an Livius zeitlich anschließt, indem er das dem livianischen Werk zeitlich Vorausliegende oder Folgende, sondern das parallel dazu 115 „Historia [...] est enim proxima poetis et quodam modo carmen solutum est et scribitur ad narrandum, non ad probandum [...]." 116 Ich folge hiermit dem Ansatz von Ronald Syme, “The Date of Justin and the Discovery of Trogus”, Historia 37 (1988) 358-371. 117 Die Fragmente werden zitiert nach Otto Seel (col.), Pompei Trogi Fragmenta (Leipzig 1956). 118 Die Bedeutung des Titels ist ungeklärt. Siehe dazu Otto Seel, Die Praefatio des Pompeius Trogus (Erlangen 1955) 27-34, der darauf hinweist, dass auch Antipater, Anaximenes von Lampsakos, Leon von Byzanz und Lamachos von Myrina Geschichtswerke gleichen Titels verfassten, dass zudem gänzlich unklar ist, wieso ‚Philipp’ (in der kritischen Version des Theopomp?) das Zentrum des Werkes gebildet haben sollte. Ferner scheint es Seel möglich, dass im Titel zugleich eine Reminiszenz an die Schlacht von Philippi mitschwingt. 119 Siehe Otto Seel, Eine römische Weltgeschichte. Studien zum Text der Epitome des Iustinus und zur Historik des Pompeius Trogus (Nürnberg 1972) 283/4. 120 Siehe Seel, Praefatio (s. Anm. 118) 78-84.

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Geschehene darstellt. Er löst damit – vielleicht absichtlich – das Polybianische Konzept der durch die ‚symploke’ entstandenen Weltgeschichte wieder auf. Auch Trogus bedient sich des Arsenals der tragischen Geschichtsschreibung,121 variiert zugleich aber formal in seinem programmatischen Verzicht auf das Stilmittel der direkten Rede: Iustin zitiert in Buch 38,4-7 eine Rede des Mithradates, mit der er zum Aufstand gegen die Römer aufruft, aus Trogus’ Werk im Original-Wortlaut, merkt aber ausdrücklich an: „Diese Rede fügte Pompeius Trogus als indirekte ein, da er bei Livius und Sallust kritisierte, dass sie durch die Einfügung von direkten Reden an Stelle ihrer eigenen Reden in ihr Werk die Grenzen der Geschichtsschreibung überschritten hätten.“122 (38,3,11 = Pomp. Trog. F 17).

Die Außenperspektive auf Rom führte dazu, dass in den Historiae Philippicae auch die Rom-Kritik eine bedeutende Rolle gewann (und dieser Text damit, soweit erkennbar, zur deutlichsten Rom-Kritik in lateinischer Sprache wurde). Trogus ließ sie – in indirekter Rede – Mithradates, aber auch die Aitoler (28,2,8) vortragen.123 Hierfür nutzte Trogus augenscheinlich Rom-feindliche Historiker wie Timagenes (FGrHist 88), konnte aber auch auf die rhetorische Technik des in utramque partem disserere zurückgreifen. Man kann Trogus’ Historiae Philippicae als konzeptionelles Experiment einer Gesamtdarstellung lesen. An ihre Behandlung sei nun abschließend noch ein formales Experiment angeschlossen, die römische Geschichte des Florus,124 die wohl zu Beginn des 2. Jhdts. entstanden ist. Diese ist aufgrund einer Überarbeitung in der Spätantike zu einer Epitome redigiert worden, bei der der ursprüngliche Titel verloren ging und durch die Überschrift ‚Epitoma Iuli Flori de Tito Livio’ ersetzt wurde. Unter der Oberfläche der Epitome verbirgt sich indes ein literarisches Experiment, mit dem die biographische Schreibweise mit der Form der Gesamtdarstellung verbunden werden soll. Voraussetzung für diese Verbindung sind metaphorische Betrachtungsweisen von Geschichte bzw. von Ländern, die zum ersten Mal bei dem Aristoteliker Dikaiarch erkennbar werden, der eine Schrift mit dem Titel Bivo~ ÔEl121 Seel, Weltgeschichte (s. Anm. 119), arbeitet unter den Überschriften ‚Spectaculum historiae mundi’ und ‚Psychagogie und Psychologie’ (S. 290/1) wesentliche Merkmale heraus, so etwa am Beispiel (Iust.:) 38,8,4 das Grauenvolle der Mordtat des Ptolemaios etc. 122 „Orationem [...] quam obliquam exposuit, quoniam in Livio et in Sallustio reprehendit, quod contiones directas pro sua oratione operi suo inserendo historiae modum excesserint.“ Siehe hierzu Seel, Weltgeschichte (s. Anm. 119) 255. 123 Siehe hierzu die weiterhin wichtige Abhandlung von Harald Fuchs, Der geistige Widerstand gegen Rom in der antiken Welt (Berlin 1938) 15 bzw. 44/45. 124 Siehe hierzu insgesamt Verf., Erneuerung der Vergangenheit (s. Anm. 49) 53-141.

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Martin Hose

lavdo~ verfasste, in der er die Entwicklung der menschlichen Kultur in Griechenland darstellte und dabei verschiedene Stufen diagnostizierte:125 Buch 1 behandelte die Kulturentstehung von einem Naturzustand über ein Stadium des Hirtenlebens bis zum Ackerbau, Buch 2 verschiedene Erfindungen (politische Strukturen, Musik, Dichtung, Tanz), Buch 3 die Kulturgeschichte Griechenlands im 4. Jhdt.126 Der römische Polyhistor Varro rezipierte dieses Konzept einer Kulturgeschichte in seiner Schrift De vita populi Romani. Diese Übertragung einer biographischen Schreibweise auf die Struktur der Geschichte eines Volkes127 lag also vor, als Florus seine römische Geschichte verfasste: „Wenn man also das römische Volk wie einen einzigen Menschen betrachtet und seine gesamte Lebenszeit durchmustert, wie er begonnen hat, wie er heranwuchs, wie gleichsam zu einer gewissen Frucht der Jugend gelangte, wie er später gleichsam alterte, wird man vier Schritte und Abschnitte bei ihm entdecken.“ (1,4)128

Hierauf gründet sich Florus’ Epocheneinteilung der römischen Geschichte, das Kleinkindalter: 753–510, Kindheit bzw. infantia bzw. adolescentia: 510–264, Jugend bzw. iuventas/maturitas: 264–30. Von Augustus bis zu seiner eigenen Zeit setzt Florus das ‚Alter’ an, nimmt aber mit Trajan eine wundersame Verjüngung an (1,5-8). Diese in der Einleitung entworfene Gleichsetzung der römischen Geschichte mit einer Biographie des römischen Volkes (es ist übrigens im Text in der Regel auch handelndes Subjekt im historischen Geschehen) führt der weitere Text durch, womit die Darstellung – in Anlehnung an den Typus der Biographie, wie ihn Sueton gebraucht – eine deutliche Gliederung erhält. Allerdings kann eine solche biographische Form nur dann überzeugen, wenn der Text selbst eine ‚Zusammenfassung’ darstellt und die Geschichte hochkomprimiert erzählt wird.

125 Die Ausgabe und Kommentierung der Fragmente durch Fritz Wehrli, Die Schule des Aristoteles, Texte und Kommentar, Heft 1, Dikaiarchos (Basel/Stuttgart ²1967), ist ergänzt durch William W. Fortenbaugh/Eckart Schütrumpf (eds.), Dicaearchus of Messana. Text, Translation, and Discussion (New Brunswick/London 2001). 126 Siehe dazu die Rekonstruktion des Aufbaus durch Wolfram Ax, „Dikaiarchs Bios Hellados und Varros De vita populi Romani“, in Fortenbaugh/Schütrumpf (s. Anm. 125) 279-310, hier 282/3. 127 Siehe hierzu Ax (s. Anm. 126) 294. 128 „Siquis ergo populum Romanum quasi unum hominem consideret totamque eius aetatem percenseat, ut coeperit, utque adoleverit, ut quasi ad quandem iuventae frugem pervenerit, ut postea velut consenuerit, quattuor gradus processusque eius inveniet.“

„Exzentrische“ Formen der Historiographie

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VI. Der Überblick über die Formen der hellenistischen Geschichtsschreibung hat gezeigt, dass sich eine Tendenz erkennen lässt, um der Leserwirksamkeit willen von dem Typus der Gattung abzuweichen, der von Thukydides und Polybios entwickelt worden ist. Es scheint, dass die Historiker implizit beherzigten, was im 2. Jhdt. n. Chr. Lukian in seiner Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll“ anraten sollte: Die Leser „werden aufmerksam sein, wenn man ihnen aufweist, dass man von Großem oder von Notwendigem oder von Begebenheiten, die zu ihnen gehören, oder von Nützlichem reden wird“ (Kap. 53).129 So lässt sich der Typus der großen Synthesen, wie ihn Ephoros oder Diodor bieten, als Versuch verstehen, dem Leser ein ‚Mehr’ an Information zu bieten.130 Ferner sind Strukturübernahmen aus anderen literarischen Gattungen erkennbar, aus der Tragödie (was zur „tragischen Geschichtsschreibung“ führt), aber auch aus der Biographie, entweder in der Konzentration auf einzelne Figuren (so bei den Alexanderhistorikern) oder in struktureller Hinsicht (Florus). Eine Variation innerhalb des Typs der Synthese stellen dabei die Historiae Philippicae des Pompeius Trogus mit ihrer Standpunktveränderung dar. Um der Leserwirkung willen scheint sich auch, ausgehend von der tragischen Geschichtsschreibung, eine zunehmende Lizenzierung eines Gebrauchs fiktionaler Elemente ausgebildet zu haben, sei es in Gestalt der Steigerung der Paradoxa hin zu „Wundern“, sei es in Form von buchstäblichen Erfindungen, die bis zu veritablen Neuschöpfungen ganzer Schlachten oder sogar erfundener Gewährsleute und Autoren (Dares bzw. das Verfahren des Ptolemaios Chennos) reichen. Hier ist der deutlichste Bruch mit den strengen Methoden eines Thukydides oder Polybios erkennbar. Und von diesem Punkt aus ist der mittelalterliche Gebrauch von ‚Historia’ im Sinne von „Geschichte“ abzuleiten.131 129 prosevxousi me;n ga;r aujtw'/, h]n deivxh/ wJ~ peri; megavlwn h] ajnagkaivwn h] oijkeivwn h] crhsivmwn ejrei'. 130 Eine eigene Betrachtung verdiente dabei die Binnenökonomie bzw. die Proportionsbildung in diesen großen Synthesen, die nicht alles in gleicher Ausführlichkeit oder Dichte erzählen konnten oder wollten. So lässt sich z.B. für Strabons Weltgeschichte in 47 Büchern erkennen, dass die Bücher 1–4 den Stoff von der mythischen Frühgeschichte bis 145 v. Chr. enthielten, die Bücher 5–47 die Zeit von 145 bis 27 v. Chr. behandelten. De facto bietet Strabon damit eine Fortsetzung des Polybios mit einer größeren Einleitung (auch dies nach dem Vorbild des Polybios). Ein ähnlicher Befund in den Proportionen ließe sich für das Geschichtswerk des Ammian in der Spätantike ermitteln. 131 Die Anregung zu diesem Beitrag verdanke ich Knut Backhaus und Jens Schröter, mit denen ich über antike Historiographie und die Apostelakten in Lund diskutieren durfte. Martin Schrage hat Korrekturen und Ergänzungen beigesteuert. Ihnen möchte ich auch an dieser Stelle danken.

Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes STEFAN KRAUTER

1. Versuche du nicht diese göttliche Aeneis Martin Luthers berühmtes Vermächtnis auf seinem „Letzten Zettel“ lautet: „1) Virgilium in Bucolicis & Georgicis nemo potest intelligere, nisi fuerit quinque annis Pastor aut Agricola. 2) Ciceronem in Epistolis (sic percipio) nemo intelligit, nisi XL annis versatus sit in Rep. aliqua insigni. 3) Scriptores Sanctos sciat se nemo gustasse satis, nisi 100. annis cum prophetis Ecclesias gubernarit. Quare ingens est miraculum. Hanc tu ne diuinam Aeneida tenta, Sed vestigia pronus adora. Wir sind Bettler: hoc est verum.“1 Es mag überraschen, dass der Reformator, um kurz vor seinem Tode seiner Demut gegenüber der Heiligen Schrift Ausdruck zu geben, auf Traditionen antiker und mittelalterlicher christlicher wie nichtchristlicher Vergilverehrung zurückgreift.2 Das betrifft natürlich zuerst und ganz offensichtlich das Zitat über die „göttliche Aeneis“ aus der Thebais des Statius (Stat. Theb. 12,816f.). Es ist in einer Linie zu sehen mit weiteren Zeugnissen nichtchristlichen „Vergilkults“ der Antike und Spätantike, etwa der Bezeichnung des Vergil als deus bei Calpurnius Siculus (Calp. ecl. 4,70) oder den Ausführungen über die Aeneis als

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WA 48, 421; der Text ist nicht ganz sicher, vgl. dazu O. Bayer, „Vom Wunderwerk, Gottes Wort recht zu verstehen. Luthers Letzter Zettel“, KuD 37 (1991) 258-279 (258261). Dt.: 1) Vergil in den Bucolica und den Georgica kann niemand verstehen, wenn er nicht fünf Jahre Hirte oder Bauer gewesen ist. 2) Cicero in den Briefen versteht meiner Auffassung nach niemand, wenn er nicht vierzig Jahre in einem bedeutenden Gemeinwesen tätig gewesen ist. 3) Die heiligen Schriftsteller glaube niemand genug gekostet zu haben, wenn er nicht hundert Jahre mit den Propheten Kirchen geleitet hat. Daher ist es ein großes Wunder. Versuche du nicht diese göttliche Aeneis, sondern verehre ihre Spuren von ferne. Wir sind Bettler: Das ist wahr. Das Material zur Rezeption der Aeneis bietet umfassend: P. Courcelle, Lecteurs païens et lecteurs chrétiens de l’Énéide, vol. 1: Les témoignages littéraires (Mémoires de l’académie des inscriptions et belles-lettres, N.S. 4, Paris 1984). Knapper Überblick auch bei M. v. Albrecht, Vergil – Bucolica – Georgica – Aeneis. Eine Einführung (Heidelberg 2006) 187-196.

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sacrum poema bei Macrobius (Macr. Sat. 1,24,14).3 Dazu kommt, nicht ganz so offensichtlich, die durch die Einfügung von Cicero als politischem Redner par excellence modifizierte und durch die abschließende Bezeichnung von „uns allen“ als Bettlern ironisch unterlaufene4 Aufnahme des Dreiständeschemas der mittelalterlichen Rota Virgili.5 Dass unter den Werken Vergils die Aeneis als das ganze Leben mit all seinen Erfahrungen umfassendes Gedicht als Vergleich für die Bibel genommen wird, hat seine Wurzel in der Aeneisallegorese, sei es in Kommentaren, die die Wanderungen des Aeneas als Bild für den menschlichen Lebensweg und als Wanderung der Seele zu Gott auslegen (Fulgentius, Expositio Vergilianae continentiae, 6. Jh.; Bernardus Silvestris, 12. Jh.), sei es in Form der nachahmenden Um- oder Neudichtung (Bibelepen in Form von Vergilcentones: De verbi incarnatione, De ecclesia, Cento der Faltonia Betitia Proba;6 allegorisches Epos: Aurelius Prudentius Clemens, Psychomachia).

2. Was hat Vergil mit den Evangelien zu tun?7 Während Antike und Mittelalter und auch noch Luther vielfältige – teils positive, teils auch negativ-polemische8 – Anknüpfungspunkte 3 4 5 6 7

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Vgl. dazu H. Cancik, „Römische Religion in spätantiken Vergil-Kommentaren“, in id., Römische Religion im Kontext. Kulturelle Bedingungen religiöser Diskurse. Gesammelte Aufsätze I, ed. H. Cancik-Lindemaier (Tübingen 2008) 466-484 (478-482). Vgl. dazu Bayer, „Wunderwerk“ (s. Anm. 1) 268-271. Vgl. G. Stabile, „Rota Vergilii“, Enciclopedia Virgiliana 4 (1988) 586f. Vgl. dazu die scharfe Kritik bei Hieronymus epist. 53,7,3: puerilia sunt haec. Dem durchaus ernsthaften Anspruch der Proba, Vergil christlich zu interpretieren (cento 23: Vergilium cecinisse loquar pia munera Christi), wird er damit jedoch kaum gerecht. Quid facit [...] cum evangeliis Maro? (Hier. epist. 22,29,7) Die schroffe Abweisung jeglicher Gemeinsamkeit zwischen Vergil und Evangelium ist nur scheinbar absolut: Wie der Kontext zeigt, wo dem Lyriker Horaz der Psalter, dem Rhetor Cicero der Apostel Paulus gegenübergestellt werden, sind Aeneis und Evangelien hier nicht einfach zufällig zusammengestellt, sondern weil es trotz aller Differenz doch irgendeinen spezifischen Vergleichspunkt zu geben scheint. Das übersieht A. Breitenbach, „Epos“, in K. Erlemann/K. L. Noethlichs (eds.), Neues Testament und Antike Kultur, vol. 1: Prolegomena – Quellen – Literatur (Neukirchen-Vluyn 22004) 99-102 (99). So etwa bei Lactantius; vgl. etwa die scharfe Kritik an der pietas des Aeneas bei Lact. inst. 5,10,1-8. Ähnlich bei Augustinus, vgl. Aug. conf. 1,13,20-22: die Irrfahrten des Aeneas und die Didotragödie werden der Irrfahrt und der eigentlichen Tragödie des eigenen Lebens gegenübergestellt; serm. 81,9 (vgl. civ. 1,3): Polemik gegen die „besiegten Götter“ (Verg. Aen. 1,67f.), denen Rom sich bei seiner Gründung anvertraute; serm. 105,7,10: über die angebliche Ewigkeit Roms (Verg. Aen. 1,278f.); vgl. als Gegensatz civ. 2,29, das wahre ewige Reich Gottes. Vgl. insgesamt K. H. Schelkle, Virgil in der Deutung Augustins (Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft 32, Stuttgart/ Berlin 1939) 57-175. Immer wieder findet sich auch die Gegenüberstellung von Aeneis (genauer ist hier das besonders beliebte Buch 4 mit der in christlicher Sicht „unanständigen“ Didogeschichte gemeint) und (in der üblichen allegorischen Auslegung

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zwischen Vergils Aeneis und der Bibel sahen, scheint dieses Thema in der modernen Exegese ganz am Rande zu stehen oder sogar ein „Nichtthema“ zu sein.9 Das gilt auch für die Exegese der Apostelgeschichte bzw. des lukanischen Doppelwerkes. Der – von einigen eher assoziativen Bemerkungen abgesehen10 – meines Wissens bislang einzige Versuch, das lukanische Doppelwerk im Gegenüber zur Aeneis auszulegen, „The Past as Legacy“ von M. Palmer Bonz,11 stieß jedenfalls meist auf entschiedene Ablehnung12 oder auf Nichtbeachtung.13

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„anständigem“) Hohemlied Salomos; vgl. z.B. Isidorus von Sevilla carm. 19 (Migne PL LXXXIII, 1111C). Alcuin (MGH.Ep IV Nr. 13) ermahnt einen Geistlichen, lieber die vier Bücher der Evangelien als die zwölf der Aeneis zu lesen. Eine Suche mit Hilfe des Index Theologicus führte zu folgendem mageren Ergebnis: D. Georgi, „Aeneas und Abraham. Paulus unter dem Aspekt der Latinität?”, ZNT 5 (2002) 37-43; M. Reasoner, “Divine Sons: Aeneas and Jesus in Hebrews”, in D. E. Aune/R. D. Young (eds.), Reading Religions in the Ancient World. FS R. McQueen Grant (NT.S 125, Leiden/Boston 2007) 149-175; S. M. McDonough, “Of Beasts and Bees. The View of the Natural World in Virgil’s Georgics and John’s Apocalypse”, NTS 46 (2000) 227-244. Zu Epos und Neuem Testament allgemein vgl. E. Adams, “Historical Crisis and Cosmic Crisis in Mark 13 and Lucan’s Civil War”, TynBull 48 (1997) 329-344; A. J. Malherbe, “Antisthenes and Odysseus, and Paul at War”, HThR 76 (1983) 143-173; S. M. Praeder, “Sea Voyages in Ancient Literature and the Theology of Luke-Acts”, CBQ 46 (1984) 683-706; R. Strelan, “A Greater Than Caesar: Storm Stories in Lucan and Mark”, ZNW 91 (2000) 166-179; L. C. A. Alexander, “New Testament Narrative and Ancient Epic”, in ead., Acts in its Ancient Literary Context. A Classicist Looks at the Acts of the Apostles (London 2005) 165-182. Vgl. etwa K. Backhaus, „Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThS 86, NeukirchenVluyn 2007) 30-66 (44); W. Horbury, „Der Tempel bei Vergil und im herodianischen Judentum“, in B. Ego/A. Lange/P. Pilhofer (eds.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT 118, Tübingen 1999) 149-168 (166); B. J. Koet, „Im Schatten des Aeneas. Paulus in Troas (Apg 16,8-10)“, in R. Bieringer/G. van Belle/J. Verheyden (eds.), Luke and His Readers, FS A. Denaux (BETL 182, Leuven 2005) 415-439; M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments. Eine Einführung (Paderborn et al. 2001) 103; C. H. Talbert, Literary Patterns, Theological Themes, and the Genre of Luke-Acts (Missoula 1974) 67-70; zur Ähnlichkeit des vergilischen Episodenstils und des lukanischen Stils vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 1956) 80. M. Palmer Bonz, The Past as Legacy. Luke-Acts and Ancient Epic (Minneapolis 2000). Vgl. z.B. Backhaus, „Lukas der Maler” (s. Anm. 10) 38; Breitenbach, „Epos” (s. Anm. 7) 101; C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT II 175, Tübingen 2004) 8; Alexander, “New Testament Narrative” (s. Anm. 9) 181; neutral bis verhalten positiv äußern sich J. B. Tyson, “From History to Rhetoric and Back. Assessing New Trends in Acts Studies”, in T. Penner/C. Vander Stichele (eds.), Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse (SBL.SS 20, Atlanta 2003) 23-42 (36); T. Penner, “Civilizing Discourse: Acts, Declamation, and the Rhetoric of the Polis”, ibid., 65-104 (66); G. Gilbert, “Roman Propaganda and Christian Identity in the Worldview of Luke-Acts”, ibid. 233256 (234f.). Nicht wesentlich besser war die Reaktion der Wissenschaft auf das analoge Projekt „Homer und Apostelgeschichte“ bei D. R. MacDonald, Does the New Testament Imitate

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Die von Bonz in ihrem Werk aufgestellten Thesen lassen sich etwas vereinfacht zu drei Hauptpunkten zusammenfassen: Erstens und grundlegend geht sie davon aus, dass Lukas die Aeneis als römisches Nationalepos14 gekannt hat und sein Doppelwerk bewusst in Anlehnung und Abgrenzung zu ihr geschaffen hat.15 Sie will also den Bezug zwischen den beiden Werken klar innerhalb eines produktionsorientierten Paradigmas von Intertextualität16 verstehen. Zweitens bestimmt sie daher die Gattung des lukanischen Doppelwerkes dezidiert nicht als Historiographie17 (bzw. Roman18 oder Biographie19), sondern als „Prosaepos“.

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Homer? Four Cases from the Acts of the Apostles (New Haven/London 2003); vgl. auch id., “Luke’s Eutychus and Homer’s Elpenor. Acts 20:7-12 and Odyssey 10-12”, The Journal of Higher Criticism 1 (1994) 5-24; id., “The Shipwrecks of Odysseus and Paul”, NTS 45 (1999) 88-107; id., “Luke’s Emulation of Homer. Acts 12:1-17 and Illiad 24”, Forum 3 (2000) 197-205; id., “Paul’s Farewell to the Ephesian Elders and Hector’s Farewell to Andromache: A Strategic Imitation of Homer’s Iliad”, in Penner/Vander Stichele, Contextualizing Acts (s. Anm. 12) 189-203. Neben den Beiträgen von MacDonald vgl. P. L. Hofrichter, „Parallelen zum 24. Gesang der Ilias in den Engelerscheinungen des lukanischen Doppelwerkes“, in id., Logoslied, Gnosis und Neues Testament (Theologische Texte und Studien 10, Hildesheim et al. 2003) 235-251. Zur Kritik, die allerdings meist auf das frühere Werk D. R. MacDonald, The Homeric Epics and the Gospel of Mark (New Haven/London 2000), bezogen ist (vgl. auch id., Christianizing Homer. The Odyssey, Plato, and The Acts of Andrew [New York/Oxford 1994]; id., “Tobit and the Odyssey”, in id. [ed.], Mimesis and Intertextuality in Antiquity and Christianity [Studies in Antiquity and Christianity, Harrisburg 2001] 11-40): Breitenbach, „Epos” (s. Anm. 7) 100; R. B. Coote/M. P. Coote, “Homer and Scripture in the Gospel of Mark”, in H. E. Hearon (ed.), Distant Voices Drawing Near. Essays in Honor of Antoinette Clark Wire (Collegeville 2004) 189-201 (dort auch Hinweise auf weitere Rezensionen von MacDonalds Buch über Mk); S. T. Davis, “Mark and Luke: History or Imitative Fiction? A Response to Dennis MacDonald”, Philosophia Christi 6 (2004) 235247; M. Mitchell, “Homer in the New Testament?”, The Journal of Religion 83 (2003) 244-260; K. O. Sandnes, “Imitatio Homeri? An Appraisal of Dennis R. MacDonald’s ‘Mimesis Criticism’“, JBL 124 (2005) 715-732. Vgl. dazu auch die früheren grundlegenden Beiträge: G. J. M. Bartelink, s.v. „Homer“, RAC 16 (1994) 116-147 (126); G. Glockmann, Homer in der frühchristlichen Literatur bis Justinus (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 105, Berlin 1968) 92. Eventuell sogar weitere zeitgenössische römische Epen, die allesamt Auseinandersetzungen mit Vergils großem Vorbild sind: Lucan, De bello civili; Statius, Thebais; Valerius Flaccus, Argonautica; Silius Italicus, Punica; vgl. Bonz, Past (s. Anm. 11) 6186. Bonz, Past (s. Anm. 11) 25-29. Vgl. dazu S. Alkier, „Intertextualität“, in Erlemann/Noethlichs, Neues Testament 1 (s. Anm. 7) 60-65. So die derzeitige Mehrheit mit unterschiedlichen Akzentsetzungen; vgl. z.B. E. Plümacher, „Die Apostelgeschichte als historische Monographie“, in id., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, ed. J. Schröter/R. Brucker (WUNT 170, Tübingen 2004), 1-14; id., „Cicero und Lukas. Bemerkungen zu Stil und Zweck der historischen Monographie“, ibid., 15-32: „historische Monographie“; G. E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephus, Luke-Acts, and Apologetic Historiography (NT.S 64, Leiden 1992): „apologetic historiography”; D. Aune, The New Testament in its Literary Environment (LEC, Philadelphia 1989): „general history”; H. Cancik, “The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations Concerning Luke’s History”, JBL 116 (1997) 673-

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Daraus zieht sie weitgehende Schlüsse sowohl hinsichtlich der Darstellungsweise und -absicht des Werkes als auch hinsichtlich der Historizität des Dargestellten.20 Drittens versteht sie die lukanische Geschichtstheologie als Kritik an und Alternative zur römisch-imperialen Geschichtstheologie der Aeneis.21 Alle drei Thesen sind, wie die Kritiker von Bonz zu Recht herausgestellt haben, problematisch. Trotzdem sind sie und vor allem die Grundidee von Bonz’ Werk, dass man das lukanische Doppelwerk für die Auslegung gewinnbringend in einen Bezug zur Aeneis bringen kann, durchaus interessant und diskussionswürdig. Dies soll in den folgenden Abschnitten, den drei Punkten nachgehend, ausgeführt werden.

3. Vergilrezeption bei Lukas? Da Bonz innerhalb eines klar produktionsorientierten Paradigmas vorgeht, ist für ihre Argumentation die Frage grundlegend, ob ein Autor wie Lukas, also ein literarisch halbwegs gebildeter Mensch gegen Ende

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695, schlägt für ein zentrales Thema der Apostelgeschichte (nicht für das Werk generell, wie die Kritik von M. Reasoner, “The Theme of Acts: Institutional History or Divine Necessity in History”, JBL 118 [1999] 635-659, missversteht) „institutional history“ vor. Vgl. auch den Überblick bei T. E. Philips, “The Genre of Acts: Moving Toward a Consensus?”, Currents in Biblical Research 4 (2006) 365-396 (374-382). So R. S. Ascough, “Narrative Technique and Generic Designation: Crowd Scenes in Luke-Acts and in Chariton”, CBQ 58 (1996) 69-81; R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987); S. M. Praeder, “Luke-Acts and the Ancient Novel”, SBL.SPS 20 (1981) 269-292; S. P. Schierling/M. J. Schierling, “The Influence of the Ancient Romances on Acts of the Apostles”, ClB 54 (1978) 8188. Talbert, Literary Patterns (s. Anm. 10); aufgenommen z.B. bei L. Alexander, “Formal Elements and Genre. Which Greco-Roman Prologues Most Closely Parallel the Lukan Prologues?”, in D. P. Moessner (ed.), Jesus and the Heritage of Israel (Philadelphia 1999) 9-26; S. E. Porter, “The Genre of Acts and the Ethics of Discourse”, in T. E. Philipps (ed.), Acts and Ethics (New Testament Monographs 9, Sheffield 2005) 1-15. Zur Kritik: F. Bovon, Luke the Theologian. Thirty-Three Years of Research (Allison Park 1987) 65-68; M. C. Parsons/R. I. Pervo, Rethinking the Unity of Luke and Acts (Minneapolis 1993) 36; Plümacher, „Die Apostelgeschichte als historische Monographie” (s. Anm. 17) 1f. Bonz, Past (s. Anm. 11) 183-189. Bonz unterscheidet sich dabei deutlich von MacDonalds Ansatz hinsichtlich der homerischen Epen und der Apostelgeschichte. Diesem geht es mehr um imitatio in den Details einzelner Szenen und weniger um die Gesamtstruktur des Werkes. (Das ist in MacDonald, Homeric Epics [s. Anm. 13], hinsichtlich des Markusevangeliums anders.) Die Unterschiede in der Herangehensweise erkennt auch MacDonald, New Testament (s. Anm. 13) 9, und bleibt Bonz gegenüber eher skeptisch. Bonz, Past (s. Anm. 11) 189-193.

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des 1. Jh. n. Chr. im griechischsprachigen Osten des römischen Reiches, die Aeneis Vergils kennen konnte.22 Vergils Epos wurde sehr schnell sehr populär. Laut Quint. inst. 1,8,5 (optime institutum est, ut ab Homero atque Vergilio lectio inciperet) war die Aeneis schon im 1. Jh. n. Chr. im lateinischsprachigen Westen Schullektüre, ebenso wie anhand der homerischen Epen Kinder im griechischsprachigen Osten und auch Nichtmuttersprachler Griechisch lernten. Augustinus (Aug. conf. 1,13,20-22) gibt uns ein ungefähres Bild, was von diesem Unterricht „hängen blieb“ – beliebte und eindrucksvolle Passagen waren offensichtlich das eröffnende Buch 1, die Troiae Halosis in Buch 2 (equus ligneus plenus armatis et Troiae incendium atque ipsius umbra Creusae) und die Didotragödie in Buch 4 (tenere cogebar Aeneae nescio cuius errores... et plorare Didonem mortuam).23 Die durchaus zahlreichen Graffiti mit Versen oder „geflügelten Worten“ aus der Aeneis zeugen von ihrer breiten Bekanntheit.24 Auch im griechischsprachigen Osten des Reiches wurde die Aeneis – was für ein lateinisches Werk eher ungewöhnlich war – recht schnell bekannt. Von Seneca erfahren wir, dass der Freigelassene Polybius bereits unter Claudius eine griechische Prosaübersetzung anfertigte.25 Die Zeugnisse für Aeneisrezeption im Osten sind freilich für die ersten Jahrhunderte eher spärlich, zahlreich werden sie erst in der hohen Kaiserzeit und in der Spätantike.26 Man wird angesichts dieses eher mageren Befundes wohl mit Behauptungen über Aeneiskenntnisse des Lukas zurückhaltend sein. Dass er, aus welchen Quellen auch immer, irgendetwas über das römische Nationalepos wusste – den groben Ablauf der Handlung, die zentrale Botschaft, einige besonders griffige Verse – kann man nicht ausschließen.27 Ob sich in seinem Werk Aeneisreminiszenzen nachweisen lassen, die eine derartige Kenntnis belegen oder zumindest plausibel machen könnten, ist unsicher.28 Die Nennung eines Aineas in Apg 9,33f. und die 22

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Dass dies nicht möglich gewesen sei, ist die fundamentale Kritik an Bonz bei MacDonald, New Testament (s. Anm. 13) 7-9. Glockmann, Homer (s. Anm. 13) 92, traut hingegen trotz seiner generellen Skepsis Lukas am ehesten Bekanntschaft mit Epen zu. Vgl. Schelkle, Virgil (s. Anm. 8) 176f. Vgl. dazu R. P. Hoogma, Der Einfluss Vergils auf die Carmina Latina Epigraphica (Amsterdam 1959). Sen. dial. 11,8,2; 11,11,5; Bonz, Past (s. Anm. 11) 24f.; vgl. dazu auch Reasoner, “Divine Sons“ (s. Anm. 9) 151. Horbury, „Tempel“ (s. Anm. 10) 151-157; J. Irmscher, „Vergil in der griechischen Antike“, Klio 67 (1985) 281-285. Alexander, “New Testament Narrative“ (s. Anm. 9) 170. Mitchell, “Homer“ (s. Anm. 13) 257f., schlägt eine solche Suche nach Reminiszenzen in Abgrenzung gegen die Vorgehensweise von MacDonald für Homer vor und nennt als Beispiel die Episode über Paulus und Barnabas in Lystra (Apg 14,8-18). Dort wird

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Lokalisierung der Wendung der paulinischen Mission nach Makedonien in Alexandreia Troas (Apg 16,8-11)29 sind kaum wirklich schlagende Beispiele. Selbst wenn sie es wären, wäre eine solche Kenntnis der Aeneis allerdings etwas deutlich anderes als das Verständnis der komplexen Architektur des Gesamtwerkes und die Fähigkeit zur literarischen Auseinandersetzung mit ihm.30 So etwas war einer Elite vorbehalten, manche Details vermutlich sogar wenigen Mitgliedern literarischer Zirkel.31 Petronius’ harte Satire über soziale Aufsteiger, die versuchen, ihre literarische Bildung zu zeigen, und sich dabei durch Verwechslung des troianischen Pferdes mit der Kuh der Pasiphae blamieren,32 wirft ein grelles Licht auf den – nicht zu überschätzenden, aber eben auch nicht zu unterschätzenden – Abstand zwischen der Hochkultur und der Welt, in der sich Menschen wie der Autor der Apostelgeschichte bewegten.

4. Epos und Historiographie Bonz argumentiert, dass die Vergleichbarkeit von lukanischem Doppelwerk und Aeneis von der Art sei, dass beide derselben Gattung, nämlich dem Epos, zuzuordnen seien.33 Es geht ihr also einerseits um deutlich mehr als die Übernahme einiger Motive oder Vorstellungen, wozu ja eine Übereinstimmung der Gattung nicht unbedingt notwendig wäre. Andererseits hält sie sich aber bei der Behauptung direkter Nach-

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Paulus als Wortführer mit Hermes identifiziert, wobei ejpeidh; aujto;~ h\n oJ hJgouvmeno~ tou` lovgou (Apg 14,12) an bekannte homerische Epitheta dieser Gottheit erinnere. Man könne die ganze Episode als eine Art Parodie auf homerische Szenen verstehen, in denen Götter in Menschengestalt als Fremde auftauchen. Vgl. auch A. L. Wordelman, “Cultural Divides and Dual Realities. A Greco-Roman Context for Acts 14”, in Penner/Vander Stichele, Contextualizing Acts (s. Anm. 12) 205-232 (221f.). Vgl. Koet, „Schatten“ (s. Anm. 10). Vgl. die analoge Argumentation hinsichtlich der homerischen Epen bei Sandnes, “Imitatio“ (s. Anm. 13) 728. Die Behauptung von MacDonald, New Testament (s. Anm. 13) 2, „ancient readers could detect allusions invisible to all but the best-trained classicists“ ist in dieser Allgemeinheit eine Übertreibung. Petron. sat. 52,2. In vielen Beiträgen zur Diskussion der Gattung der Apostelgeschichte/des lukanischen Doppelwerkes wird Epos nicht einmal als diskussionswürdige Position erwähnt; vgl. etwa D. L. Balch, s.v. „Apostelgeschichte“, RGG4 1 (1998) 642-648 (643f.), A. J. M. Wedderburn, „Zur Frage nach der Gattung der Apostelgeschichte“, in H. Lichtenberger (ed.), Geschichte – Tradition – Reflexion, FS M. Hengel, vol. 3: Frühes Christentum (Tübingen 1996) 303-322. Vgl. den Beitrag von D. Dormeyer in diesem Band.

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ahmung (von Einzelszenen34 oder auch der Gesamtarchitektur des Werkes35) eher zurück. Bonz’ Eposbegriff basiert dabei auf den Ausführungen des Aristoteles (Aristot. poet. 23f. = 1459a17-1460b5). Ihnen entnimmt sie, dass das Epos vor allem durch eine andere Art des Umgangs mit Geschichte charakterisiert sei als die Geschichtsschreibung: Während diese die Ereignisse (seien es die eines längeren Zeitraumes, seien es die eines klar umgrenzten, kurzen Geschichtsabschnittes) reihend erzähle, konzentriere sich jenes auf eine in sich abgeschlossene Handlung (miva pra`xi~; 1459a19), die die tiefere Wahrheit der Ereignisse symbolisch-typologisch darstelle.36 Im Folgenden sollen verschiedene Einwände diskutiert werden. Zunächst derjenige, dass hier die formalen Konstitutiva der Gattung vernachlässigt werden (4.1), dann solche, die sich auf den gemeinsamen Nenner bringen lassen, dass der beschriebene Umgang mit Geschichte nicht gattungsspezifisch für das Epos ist (4.2-5).37 4.1 Prosaepos? Diomedes definiert ein Epos als “carmine hexametro divinarum rerum et heroicarum humanarumque comprehensio”38. Nicht zufällig nennt er das Metrum an erster Stelle. Kein antiker Leser hätte einen Prosatext in Koinegriechisch mit der Gattung Epos in Verbindung gebracht.39 Vielmehr ist es umgekehrt so, dass in der antiken Literaturtheorie oft alle Werke in stichischen Hexametern, auch solche, die nach heutigem Verständnis keine Epen im engeren Sinne sind (Lehrgedichte, Versepisteln), unter Epos subsumiert werden (Quint. inst. 10,1,51-57).40 34 35 36 37

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Hier besteht – wie oben dargelegt – ein grundlegender Unterschied zur Methode des „mimetic criticism“ von MacDonald. Doch vgl. z.B. Bonz, Past (s. Anm. 11) 148.174. Ibid., 20f. Alexander, New Testament Narrative (s. Anm. 9) 166-171, diskutiert die Anwendbarkeit eines weiteren Eposbegriffes für die Bibel bzw. die Apostelgeschichte. Das ist denkbar, aber hier nicht der Punkt, da sich Bonz und MacDonald dezidiert auf das griechisch-römische Epos im engeren Sinne beziehen. Diomedes, Ars Grammatica 3, Grammatici Latini (ed. Keil) 1, 483f. Vgl. Breitenbach, „Epos“ (s. Anm. 7) 101. Im Hintergrund steht die auf Gorgias zurückgehende Theorie, poivhsi~ sei lovgo~ e[mmetro~ bzw. lovgo~ sei poivhsi~ a[metro~. Dabei sind dann die verschiedenen Metren Einteilungskriterium für die verschiedenen Dichtungsgattungen (S. Koster, Antike Epostheorien [Palingenesia V, Wiesbaden 1970] 22-24). Dazu ist die Theorie des Platon, der die Gattungen anhand der Darstellungsformen mivmhsi~ und ajpaggeliva einteilt (Koster, Epostheorien, ibid., 39-41), teilweise konkurrierend, teilweise komplementär.

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Auch Aristoteles, auf den sich Bonz beruft, geht davon aus, dass Epen metrisch, genauer in Hexametern, abgefasst sind (Aristot. poet. 23 = 1459a17; 24 = 1459b31-1460a5).41 Er legt freilich Wert darauf, dass Werke, die seinen Ansprüchen an eine einheitliche Handlung nicht genügen, keine Epen seien, sondern nur versifizierte Geschichte42 – muss jedoch eingestehen, dass fast alle Dichter (alle außer Homer) solche „Geschichte in Versen“ verfasst haben. Doch selbst von dieser gewichtigen Einschränkung einmal abgesehen, darf man natürlich nicht den Umkehrschluss ziehen, dass Aristoteles Prosawerke mit einer einheitlichen Handlung für Epen halte. Bonz sieht selbst, dass dies ein Einwand gegen ihre These ist.43 Ihre Gegenargumente, mit denen sie zu begründen versucht, warum Lukas auf eine metrische Gestaltung verzichtet habe, überzeugen kaum: Woher sollte Lukas gewusst haben, dass Philon, De Hierosolyma und Theodotos, De Iudaeis „erfolglose“ Versuche einer Kombination von biblischen Erzählstoffen mit epischer Versform gewesen waren? Wenn Versepen eine so populäre Gattung waren, warum musste dann Lukas ein „Prosaepos“ schreiben, um eine breite Leserschaft zu erreichen? Neben dem fehlenden Metrum und der für ein Epos unpassenden Sprachform lassen sich weitere Punkte nennen, insbesondere die Proömien von Lukasevangelium und Apostelgeschichte. Die Besprechung von Lk 1,1-4 bei Bonz ist verlegen: Dass das Proömium nicht gattungsspezifisch für Historiographie sei,44 macht es noch lange nicht zu einem Eposproömium. Antike Leser wären nach seiner Lektüre über die Widmung an eine namentlich genannte Person ebenso erstaunt gewesen wie über das Fehlen des obligatorischen Musenanrufes.45 Die These, Theophilos sei ein symbolischer Name,46 macht den Verstoß gegen epische Konventionen nicht kleiner. Dies alles47 sind in antiker Sicht keine vernachlässigbaren Formalia, sondern konstitutive Bestandteile eines Epos.48 Betrachtet man die spä-

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Vgl. dazu Koster, Epostheorien (s. Anm. 40) 45; Bonz, Past (s. Anm. 11) 21, versteckt das in einem Nebensatz. Vgl. auch Aristot. poet. 9 = 1450a38-1451b2: oJ ga;r iJstoriko;~ kai; oJ poihth;~ ouj tw/` hj e[mmetra levgein hj a[metra diafevrousin. Bonz, Past (s. Anm. 11) 27-29. Ibid., 130, im Anschluss v.a. an L. Alexander, “Luke’s Preface in the Context of Greek Preface-Writing”, NT 28 (1986) 48-74. Doch vgl. dagegen M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5, Tübingen 2008) 59f. Lk 1,3 v.l. (et spiritui sancto) wäre wohl kaum ein adäquater Ersatz. Bonz, Past (s. Anm. 11) 131. Weitere Punkte ließen sich zu den beiden genannten hinzufügen, etwa die fehlenden epischen Epitheta und Gleichnisse; vgl. auch Alexander, “New Testament Narrative“ (s. Anm. 9) 177f.

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teren Versuche christlicher Dichter, Bibelepen zu schreiben,49 dann ist zu erkennen, dass ihre Werke in literarischer Form und Stil von dem Werk des Lukas vollkommen verschieden sind. 4.2 Gattung und imitatio Die antike Philologie entwickelte zwar durchaus Definitionen und Begriffe für Gattungen – die zitierte Eposdefinition des Diomedes ist ja ein Beispiel dafür –, geläufig war aber auch eine personalisierte Auffassung:50 Ein Werk einer bestimmten Gattung zu schreiben wurde verstanden als „schreiben wie“, nämlich wie ein berühmter (oft „der erste“) Autor eines solchen Werkes, der sozusagen als Prototyp diente.51 Dass Vergil in seiner Aeneis „wie Homer“ dichtete, und zwar nicht nur in jenem allgemeinen Sinne, dass er ein Epos verfasste, sondern darüber hinaus in dem prägnanten Sinne, dass er mit jenem unerreichten Vorbild der Gattung in einen Wettstreit trat, war schon seinen antiken Kommentatoren klar und ist bis heute unstrittig.52 Ebenso deutlich ist, dass Lukas in seinem Doppelwerk sich an einen anderen Vorbildtext anschließt, nämlich die Septuaginta. Bonz beobachtet richtig, dass hier eine wichtige Parallele zwischen Aeneis und lukanischem Doppelwerk besteht, indem beide sich an den grundlegenden, „kanonischen“53 Text der griechisch-römischen bzw. jü48 49 50 51

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Schon das Fehlen des sog. Götterapparats in seinem Bellum civile wurde Lucan als „Fehler“ angerechnet; vgl. Petron. sat. 118,6 und die „verbesserte“ Version in 119124,1. C. Vettius Aquilinus Iuvencus, Evangeliorum libri IV; Caelius Sedulius, Carmen paschale; griechisch: Nonnos, Metabole; zur Apostelgeschichte: Arator, De actibus apostolorum (allerdings eher eine Sammlung versifizierter Predigten zu einzelnen Perikopen). W. Suerbaum, Vergils Aeneis. Epos zwischen Geschichte und Gegenwart (Stuttgart 1999) 124. Vgl. z.B. Hor. sat. 2,29: „Lucili ritu“ = eine Verssatire schreiben. Das ist eine durchaus treffende Art, Gattungen im Sinne von „als ge- und bewußte Normen die Produktion und Rezeption bestimmenden historischen Textgruppen“ (K. W. Hempfer, s.v. „Gattung“, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 1 [1997] 651-655 [651]) auszudrücken. Serv. Aen. praefatio: intentio Vergilii haec est, Homerum imitari et Augustum laudare a parentibus. Man muss sich bei der Verwendung dieses Wortes vor einer Äquivokation hüten; denn „kanonisch“ bedeutet hinsichtlich der Epen Homers und der heiligen Schriften des Judentums nicht einfach dasselbe (vgl. dazu H. Cancik, “Standardization and Ranking of Texts in Greek and Roman Institutions“, in M. Finkelberg/G. G. Stroumsa [eds.], Homer, the Bibel, and Beyond. Literary and Religious Canons in the Ancient World [Leiden/Boston 2003] 117-130). Es gibt durchaus Überschneidungen: Beide Textcorpora bieten eine identitätsstiftende Ursprungsgeschichte, beide bildeten den Ausgangspunkt für die Abfassung weiterer literarischer Werke (etwa des sog. epischen Kyklos oder ganz ähnlich der parabiblischen Literatur), beide wurden Gegenstand

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dischen Kultur anlehnen und damit für sich einen hohen Anspruch erheben, nämlich ebenfalls grundlegende, identitätsstiftende Ereignisse zu erzählen.54 Über diese generelle Aussage hinaus lassen sich in Einzelheiten des Vorgehens weitere Beobachtungen machen. Vergil und Lukas sind beide keine sklavischen Nachahmer. Sie setzen sprachliche Anklänge an das jeweilige Vorbild, inhaltliche Reminiszenzen und im Falle der Aeneis Parallelen hinsichtlich der Architektur des Werkes vielmehr an wichtigen Punkten gezielt ein, um das Flair einer „heiligen“ Geschichte zu erzeugen.55 Beide beschränken sich dabei keineswegs ausschließlich auf jenes eine von ihnen gewählte Vorbild. Vergil verbindet vielmehr mit seiner Homerimitation die Anlehnung an die Epen der hellenistischen Zeit und an das frühere lateinische Epos, also an Livius Andronicus, Ennius und Naevius. Damit erreicht er zweierlei: Erstens ist sein Epos dadurch „besser“ als die homerischen Epen; es trägt den gesteigerten Anforderungen der hellenistischen Literatur – hinsichtlich Sprache, Versbau, Symmetrie im Aufbau, Dramaturgie, psychologisch gekonnter Personendarstellung – Rechnung. Zweitens erreicht er dadurch eine Mehrschichtigkeit der intertextuellen Verweise.56 Ähnliches lässt sich – in bescheidenerem Maßstab – auch bei Lukas erkennen: Seine Sprache nimmt Septuagintawendungen auf und ist zugleich besser als die der Septuaginta, nämlich gehobene literarische Koine.57 Seine Erzählweise wirkt biblisch und zugleich erfüllt er – z.B. mit Proömien und Reden – die Anforderungen an ein literarisches Werk. Und auch er erreicht immer wieder, dass seine Szenen vielfach auf Prätexte verweisen und so für den entdeckungsfreudigen Leser bedeutsam und sinnreich werden.

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gelehrter Auslegung, zum Teil sogar mit derselben allegorischen Methode (vgl. Mitchell, “Homer“ [s. Anm. 13] 246f.). Die Epen Homers sind aber sicher nicht in dem Maße religiöse Texte oder gar Kulttexte wie es zumindest Teile der Septuaginta sind: Sie enthalten keine Anweisungen für Rituale und wurden nicht im Kult rezitiert. Und die homerischen Epen sind, anders als die Tora, keine Gesetzestexte. Den Fehler einer Vermischung dieser Ebenen begeht in eklatanter Weise Georgi, „Aeneas“ (s. Anm. 9) 39f. Ein solcher Anspruch ist mit einer derartigen Anlehnung natürlich nicht notwendig verbunden, es gibt auch die Möglichkeit der Parodie, v.a. in antiken Romanen (z.B. Petron. sat. 105,9f). Im Falle des lukanischen Doppelwerkes sind die sprachlichen Septuagintaanklänge schwerpunktmäßig in den Geburtsgeschichten Lk 1,5–2,52 (nicht aber im Proömium) und am Anfang der Apostelgeschichte zu finden; vgl. dazu E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte (StUNT 9, Göttingen 1972) 3872; Reiser, Sprache (s. Anm. 10) 53f.; A. Wifstrand, “Luke and the Septuagint“, in id., Epochs and Styles. Selected Writings on the New Testament, Greek Language and Greek Culture in the Post-Classical Era, ed. L. Rydbeck/S. E. Porter (WUNT 179, Tübingen 2005) 28-45. Vgl. dazu Bonz, Past (s. Anm. 11) 31-39.95-104. Reiser, Sprache (s. Anm. 10) 51-55.

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Aus diesen durchaus aufschlussreichen Entdeckungen an der Aeneis und dem lukanischen Doppelwerk, auf deren Spur Bonz führt, folgt nun allerdings nicht, dass letzteres ein Epos sei. Lukas schreibt ja eben nicht „wie Homer“, sondern „wie die Septuaginta“. Und die Tatsache der Anlehnung an einen Vorbildtext (mit allen Folgen wie: Erheben eines bestimmten Anspruches, Herstellung von Verweisen) ist an sich nicht gattungsspezifisch für Epen, sondern – wie zu Beginn dieses Abschnitts bemerkt – für die verschiedenen Gattungen der antiken Literatur insgesamt typisch.58 4.3 Mythos und Geschichte Ein wichtiger Unterschied zwischen der Anlehnung Vergils an Homer und der Anlehnung des Lukas an die Septuaginta, den Bonz überspielt, besteht darin, dass Vergil mit seiner Aeneis nicht nur sprachlich, formal und sozusagen „allgemein inhaltlich“ an Homer anknüpft, sondern auch innerhalb der erzählten Zeit direkt chronologisch: Die Aeneis schließt ja mit der in einer Rückblende erzählten Zerstörung Troias genau an dem Punkt an, vor dem die Ilias endet, und sie verläuft parallel zur bzw. ein wenig später als die Odyssee.59 Das ist bei der Apostelgeschichte bzw. beim lukanischen Doppelwerk anders: Zwar vermitteln die lukanische Vorgeschichte und in ähnlicher Weise die Erzählungen über die ersten Christen in Jerusalem den Eindruck, hier werde die Geschichte Israels aus dem Alten Testament weitererzählt, aber es ist doch zugleich klar, dass das nicht der Fall ist, sondern Ereignisse erzählt werden, die sich „unter uns“ (Lk 1,1), also jedenfalls nicht in ferner, myth-historischer Zeit, ereignet haben. Die Apostelgeschichte (bzw. das lukanische Doppelwerk) ist also nicht in genau demselben Sinne „Fortsetzung“ der biblischen Geschichte Israels, wie die Aeneis die homerische Erzählung fortsetzt.60 In dieser Hinsicht ähnelt die Grundkonzeption des lukanischen Doppelwerkes vielmehr eher dem von Vergil ursprünglich geplanten Augustusepos. Dieses sollte vermutlich die aktuellen Ereignisse der römischen Bürgerkriege in homerischem Gewand erzählen. Diesen Plan ließ Vergil aber zugunsten einer Darstellung fallen, bei der Ereignisse aus der myth58 59 60

Vgl. dazu auch Alexander, “New Testament Narrative“ (s. Anm. 9) 171f., und E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller (s. Anm. 55) 50-66.70-72 (zur imitatio bei Dionysios von Halikarnassos). Das kann man z.B. daran sehen, dass die Leute des Aeneas kurz nach Odysseus in Sizilien bei den Kyklopen sind (Verg. Aen. 3,589-691). Gegen Bonz, Past (s. Anm. 11) 132; vgl. auch Alexander, “New Testament Narrative“ (s. Anm. 9) 178f.

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historischen Zeit der Epen Homers für die aktuellen Ereignisse transparent werden.61 Wollte man also überhaupt das lukanische Doppelwerk ebenso wie die Aeneis der Gattung Epos zurechnen, dann müsste man es unter diesem Gesichtspunkt eher als historisches Epos (wie die Annales des Ennius, das Bellum Poenicum des Naevius, das Bellum civile des Lucan und die Punica des Silius Italicus) im Gegensatz zur Aeneis als mythologischem Epos (wie die Odusia des Livius Andronicus, die Metamorphoses des Ovid, die Argonautica des Valerius Flaccus und die Thebais des Statius) einordnen. Damit kommt ein weiteres Problem der Gattungsbestimmung von Bonz in den Blick. Sie legt – wie oben dargelegt – großen Wert auf die Anforderung des Aristoteles, dass ein Epos nicht vielerlei Ereignisse reihe, sondern auf eine abgeschlossene Handlung (miva pra`xi~) konzentriert sei. Das ist in der Aeneis – im Gegensatz z.B. zu den Annales des Ennius als einem historischen Epos – sicherlich der Fall: Vergil besingt „arma virumque“ (Verg. Aen. 1), einen bedeutsamen Ausschnitt aus dem Leben eines Mannes – so wie die Ilias den Zorn des Achilleus besingt (und nicht einfach die Geschichte des troianischen Krieges)62 und die Odyssee die Irrfahrten des Odysseus (und nicht einfach die Folgen jenes Krieges), während Ennius in seinem vermutlich in mehreren Stufen publizierten Epos Ereignisse von der Urzeit Roms bis zu seiner Gegenwart aneinanderreiht.63 Hinsichtlich des lukanischen Doppelwerkes wird man eine Konzentration wie bei Homer oder Vergil schwerlich behaupten können. Eine Handlung wird man jedenfalls in der Apostelgeschichte nur mit Mühe konstruieren können – schon darum, weil die Hauptpersonen oft und teilweise plötzlich wechseln. Damit soll nicht gesagt sein, Lukas grenze nicht eine bestimmte Epoche, nämlich die Ursprungsepoche der Kirche, sinnvoll ab und stelle sie geordnet dar.64 Das ist aber kein Spezifikum eines Epos, sondern auch in der antiken Historiographie üblich, etwa in der Untergattung der historischen Monographie.65

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Verg. georg. 3,1-48; A. J. Boyle, “The Canonical Text: Vergil’s Aeneid”, in id. (ed.), Roman Epic (London/New York 1993) 79-107 (80-83); Suerbaum, Vergils Aeneis (s. Anm. 50) 95-126. Aristot. poet. 23 = 1459a30-1459b7. Vgl. J. Latacz, s.v. „Epos II.B“, DNP 4 (1998) 18, der darum die historischen Epen von den Heldenepen abgrenzt und den Sachepen (Lehrgedichten etc.) zuordnet. Vgl. Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 10) 32. Natürlich nicht generell; es gilt nicht für Geschichtswerke, die andere fortsetzen (z.B. C. Asinius Pollio) oder die „von den Anfängen“ bis zur Gegenwart reichen (z.B. Livius).

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4.4 Typologie Ein Epos stellt laut Bonz die hinter den Ereignissen liegende Wahrheit mit Hilfe von typologisch-symbolischen Verweisen dar.66 Ein großer Teil ihres Buches dient der Herausarbeitung und Interpretation dieser Verweisstruktur im lukanischen Doppelwerk.67 Dass sowohl Lukas als auch Vergil mit solchen „Typologien“ oder „symbolischen Szenen“ arbeiten,68 ist lange bekannt. Verweise auf einen „kanonischen“ Vorbildtext (bzw. mehrere Vorbildtexte) sowie sorgfältige Parallelisierung von Erzählabläufen innerhalb des Werkes machen in der Aeneis wie im lukanischen Doppelwerk die erzählte Geschichte für den Leser glaubhaft und sinnreich.69 Indem diese Verweise über die Textwelt, also eine im Falle der Aeneis ferne, im Falle des lukanischen Doppelwerkes immerhin abgeschlossene, nicht mehr selbst erlebte (Lk 1,2) Vergangenheit, hinaus auch auf die Gegenwart der Leser bzw. auf deren jüngste, selbst erlebte Vergangenheit zielen, wird das Erzählte für die Leser gegenwartsrelevant – und umgekehrt wird die Gegenwart für die Leser sinnreich. Um nur jeweils ein Beispiel zu nennen, sei in der Aeneis auf die Figur der Dido hingewiesen: Sie verweist den Leser auf weitere epische Frauengestalten wie Medea (bei Apollonios) und Kirke (bei Homer), die den jeweiligen Helden von seinem Auftrag zurückhalten, sie verweist auf die punischen Kriege (Verg. Aen. 4,622-629: der berühmte Fluch der Dido, vermutlich aus dem Bellum Poenicum des Naevius übernommen) und schließlich verweist sie auf Kleopatra und damit auf Augustus’ Sieg über Antonius bei Actium. Diese jüngste Vergangenheit wird durch dieses Verweisgeflecht interpretiert – und zwar keineswegs einlinig ideologisch.70 Aus der Apostelgeschichte sei auf den Tod des Stephanus hingewiesen, der Bezüge zur Passion Jesu (insbesondere durch die Aufnahme von Lk 23,34.46 in Apg 7,59f.), zum Schicksal des Paulus (durch dessen geschickte Einführung in Apg 7,58 und den Rückverweis in Apg 22,20), zum „gewaltsamen Tod der Propheten“ (Apg 7,52) und zur griechisch-römischen Tradition des edlen Philosophentodes71 aufweist und 66 67 68 69 70 71

Bonz, Past (s. Anm. 11) 21. Ibid., 129-183. Seltsamerweise wird in diesem Teil die Aeneis kaum erwähnt. Beide Begriffe sind nicht unproblematisch; eine neutralere Bezeichnung des Phänomens, die seine Deutung erst einmal weitgehend offen ließe, wäre „historical recurrence“ (vgl. Rothschild, Rhetoric [s. Anm. 12] 99). Rothschild, Rhetoric (s. Anm. 12) 99-141. Vgl. insgesamt Suerbaum, Aeneis (s. Anm. 50) 211-236. Vgl. G. Sterling, “Mors philosophi: The Death of Jesus in Luke”, HThR 94 (2001) 383402.

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dadurch von Lukas zu einer hochsymbolischen Szene, dem ersten gewaltsamen Tod eines „Zeugen“, stilisiert wird. Soweit wird man Bonz sicherlich folgen. Sie übersieht allerdings, dass aufgrund der unterschiedlichen Verortung der erzählten Geschichte in der Zeit die Verweisstruktur in der Aeneis durchaus anders ist als im lukanischen Doppelwerk, zumindest in der Apostelgeschichte. Die Aeneis verweist einerseits auf zahlreiche „Ereignisse“, die sich nach heutigem Verständnis in einer mythischen Textwelt, nach antikem Verständnis in der fernen, undeutlichen Vergangenheit abspielen, andererseits auf die Ereignisse beim Übergang der römischen Republik zum Principat, teils durch explizite Vorverweise, teils durch „Typologien“.72 Zwar kennt auch das lukanische Doppelwerk solche Verweise in die Gegenwart der Leser, schon darum, weil das Lukasevangelium wie alle Evangelien die Geschichte des irdischen Jesus aus einer nachösterlichen Perspektive erzählt. Dennoch wird man die Apostelgeschichte kaum in dieser Weise verstehen können. Sie erzählt die Gründungsepoche der Kirche auch als Idealtypos für die gegenwärtige Kirche, vor allem aber, um zu erklären (und zu legitimieren), warum diese anders ist. Die Konflikte des Paulus mit den Synagogengemeinden sind eben nicht symbolisch die Konflikte, die die Leser des Lukas erleben. Die Apostel sind eben nicht Typoi für die Gemeindeleiter, sondern ihre Zeit ist vorbei. Der deutlichste Hinweis auf die Gegenwart der Leser, die Abschiedsrede des Paulus in Ephesos, deutet an, dass eine neue Epoche mit neuen Aufgaben anbricht (Apg 20,28-31). Dazu kommt, dass Bonz wieder die Differenz zur Historiographie überzeichnet. Symbolische Schlüsselszenen und „typologische“ Verweise sind auch in ihr weit verbreitet. Um nur beliebige Beispiele zu nennen: Tacitus stilisiert die Suizide der wegen maiestas angeklagten Senatoren nach dem Vorbild des Sokrates (Tac. ann. 15,60-64; 16,35). Er bringt die Regierungszeiten der julisch-claudischen Kaiser in ein Schema der allmählichen Enthüllung ihres perversen Charakters (Tac. ann. 6,51,2). Und selbst der streckenweise etwas trockene Sueton gestaltet ihre Reihe sorgsam als Antiklimax, die im unwürdigen Tod des Nero ihren passenden Abschluss findet (Suet. Nero 47-49).

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Nie aber in der Weise, dass sie eine (platte) Allegorie wäre und Aeneas sozusagen ein „verkleideter“ Augustus; vgl. von Albrecht, Vergil (s. Anm. 2) 173; E. A. Schmidt, „Vergils Aeneis als augusteische Dichtung“, in J. Rüpke (ed.), Von Göttern und Menschen erzählen. Formkonstanzen und Funktionswandel vormoderner Epik (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 4, Stuttgart 2001) 65-92 (75f. und 85-87); J. A. Crook, Augustus: Power, Authority, Achievement (CAH2 X, Cambridge 1996) 113-146 (143).

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4.5 Göttliche Lenkung in der Geschichte Auch andere Darstellungsmittel dienen bei Vergil und Lukas dem Zweck, Geschichte einschließlich der eigenen Gegenwart zu deuten und sie sinnreich zu machen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: vaticinia ex eventu (in der Aeneis insbesondere Iuppiterrede [Aen. 1,254-296], Heldenschau [Aen. 6,756-892] und Schildbeschreibung [Aen. 8,626-728], bei Lukas z.B. die Ankündigungen der Zerstörung Jerusalems in Lk 13,34f.; 19,41-44; 23,28-31),73 Träume und Visionen (Verg. Aen. 3,147-179; Apg 10,10-16; 16,9), himmlische Boten (Verg. Aen. 4,265276; die zahlreichen Engel bei Lukas), Prophezeiungen von Sehern (Verg. Aen. 359-462; Lk 2,34f.; Apg 11,28), Prodigien bzw. prophetische Zeichen (Tischprodigium [Verg. Aen. 3,255-257; 3,394f; 7,116], Sauprodigium [3,389-393; 8,42-48; 8,81-85]; Apg 21,11), Aitiologien (in der Aeneis gehäuft in Buch 5 und 8; Lk 22,19f.). All diese Darstellungsmittel werden von Bonz unter die Überschrift „göttliche Führung“ gestellt, und sie behauptet – wiederum im Anschluss an Aristoteles (Aristot. poet. 24 = 1460a11-15)74 –, dies passe nur zur Gattung Epos, während innerhalb der Historiographie das Geschehen entweder rational erklärt oder mit dem Wirken der tuvch/fortuna begründet werde.75 Wieder sind die aufgezeigten Parallelen durchaus interessant. Man könnte sogar noch etwas weiter gehen und fragen, inwieweit bei allem Unterschied zwischen römischer Religion und Judentum/frühem Christentum erstaunliche Überschneidungen feststellbar sind. Wenn in Verg. Aen. 1,262 Iuppiter in einem Buch die Zukunft liest (longius et volvens fatorum arcana movebo) und dabei als realer Hintergrund Bücher mit Prophezeiungen über das künftige Schicksal von Völkern und Städten vorauszusetzen sind,76 dann kann man – bei aller Vorsicht – durchaus Parallelen zur „Erfüllung der Schrift“ bei Lukas sehen. Falsch ist jedoch wieder Bonz’ Schlussfolgerung hinsichtlich der Gattung. Prophezeiungen, Orakel, Prodigien etc. finden sich auch in antiker Historiographie, sie sind nicht gattungsspezifisch für das Epos.77 73 74 75 76 77

Die Problematik solcher Vorhersagen – der Leser durchschaut sie leicht – wird bereits bei Aug. serm. 374,2 (zu Verg. Aen. 6,756) erkannt. Dort geht es allerdings eher darum, dass im Epos Wunderhaftes erzählbar ist, das auf der Bühne nicht darstellbar ist. Bonz, Past (s. Anm. 11) 21.163f. Vgl. dazu H. Cancik, „Libri fatales. Römische Offenbarungsliteratur und Geschichtstheologie“, in id., Römische Religion im Kontext (s. Anm. 3) 88-114. Vgl. z.B. E. Plümacher, „Terateiva. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte“, in id., Geschichte und Geschichten (s. Anm. 17) 33-83; Rothschild, Rhetoric (s. Anm. 12) 142-184; J. Schröter, „Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der

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Insgesamt lässt sich sagen, dass Bonz einleuchtend herausarbeitet, dass sowohl das lukanische Doppelwerk als auch die Aeneis Geschichte als gegenwartsbedeutsame Geschichte darstellen. Diese Grundintention und auch einige literarische Mittel, um sie zu erreichen, sind beiden Werken gemeinsam. Eine vergleichende Betrachtung kann daher durchaus interessant und erhellend sein. Sie arbeitet heraus, wie mit Geschichte umgegangen wurde und welche Bedeutung die derart „bearbeitete“ Geschichte für bestimmte Gruppen hatte. Falsch ist jedoch der Schluss von Bonz, aufgrund dieser Ähnlichkeiten sei das lukanische Doppelwerk keine Historiographie, sondern ein Epos, Lukas biete bewusst keine historische Darstellung der Geschichte, sondern eine „mythologized version of the origins and early development of the church“78. Denn diese Art des Umgangs mit Geschichte, „intentionale Geschichte“, ist gattungsübergreifend für die Antike charakteristisch: für Epen, Elegien, Reden, Geschichtswerke etc.79 Der Schluss von dieser Art des Umgangs mit Geschichte auf die Gattung eines Textes oder von der Gattung eines Textes auf diese Art von Umgang mit Geschichte – und noch mehr der Schluss auf die Historizität oder Ahistorizität des in diesem Text Berichteten – ist also nicht möglich.80 Das heißt nun nicht, dass es keinerlei Unterschiede zwischen diesen Gattungen und ihrem jeweiligen Umgang mit Geschichte gäbe. Einen kategorialen Unterschied zwischen Mythos und Historie machte die Antike zwar nicht, doch dass zwischen den Helden der Urzeit, waren sie auch nach der Gegenwart gestaltet und für die Gegenwart bedeut-

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christlichen Heilsgeschichte“, in E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin/New York 2005) 237262 (252); T. A. Szlezák, „Weltgeschehen mit und ohne Götter. Griechische Vorstellungen über die Präsenz des Göttlichen im geschichtlichen Prozess“, in J. Frey et al. (eds.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT, Tübingen [erscheint 2009]). Bonz, Past (s. Anm. 11) 188. H.-J. Gehrke, „Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins“, in Becker, Die antike Historiographie (s. Anm. 77) 29-51 (2931). Die Bestimmung der Gattung des lukanischen Doppelwerkes (bzw. der Apostelgeschichte) als Historiographie ist keine Aussage darüber, dass das dort Berichtete historisch sei (vgl. Backhaus, „Lukas der Maler“ [s. Anm. 10] 36f.). Die Insinuation, dass Exegeten, die dieser Gattungsbestimmung folgten und nicht derjenigen als Roman oder Epos, „alten“ theologisch-historischen Denkschemata verpflichtet seien (so T. Penner, “Contextualizing Acts“, in id./Vander Stichele, Contextualizing Acts [s. Anm. 12] 1-21 [11f.]), ist daher vollkommen unangebracht. Im Gegenteil, sie stellen sich der theologisch schwierigen Tatsache, dass Lukas trotz seines historiographischen Anspruches historisch nachweislich Falsches berichtet, was andere Gattungsbestimmungen umgehen.

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sam, und den „normalen“ Menschen ein Unterschied sei81 und dass die Darstellung des spatium incertum, des spatium mythicum und des spatium historicum jeweils etwas anderes sei, das war antiken Menschen durchaus bewusst.82 Dementsprechend war ihnen klar, dass ein mythologisches Epos etwas anderes ist als ein historisches Werk zur Zeitgeschichte. Wenn man aber auf derartige unterschiedliche Akzentsetzungen innerhalb der gemeinsamen Tendenz zu „intentionaler Geschichte“ achtet, dann gehört das lukanische Doppelwerk hinsichtlich seines Umgangs mit Geschichte (formal sowieso) auf die Seite der Historiographie, die die Ereignisse der jüngsten Zeit glaubwürdig zu berichten beansprucht, – und nicht auf die Seite des Epos. Innerhalb der Historiographie gehört Lukas dann aber wiederum zu den Autoren, die ganz ausdrücklich intentionale Geschichte schreiben, und sicher nicht zu den in der Antike auch vorhandenen kritischeren, eher im modernen Sinne „historisch“ arbeitenden Autoren.83

5. Geschichtstheologie Bonz’ These, das lukanische Doppelwerk sei ein Prosaepos in Anlehnung an das römische Nationalepos Aeneis, ist klar abzulehnen. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass ihre Behauptung, die Geschichtstheologie der Aeneis sei mit der des Lukas vergleichbar, sinnlos ist. Bonz bewegt sich bei ihren Ausführungen dazu in einem Kontrastmodell: Die lukanische Geschichtstheologie sei in Anlehnung an, vor allem aber gegen das „römisch-imperiale Evangelium“ Vergils entworfen. Damit steht sie in der Nähe einer Strömung in der Exegese, die das Neue Testament im Kontext des römischen Reiches, und zwar im Kontrast zu ihm, als Widerstandstext, lesen will.84 Sie unterscheidet sich von den anderen Beiträgen aus dieser Richtung dadurch, dass sie die Aeneis als literarischen Text wahrnimmt, mit dem sich Lukas auseinandersetze, während in jenen einzelne Verse der Aeneis als Illustration für die römische Herrschaftsideologie herangezogen werden. Ein solches 81 82 83 84

Vgl. dazu Szlezák, „Weltgeschehen“ (s. Anm. 77). Vgl. dazu H. Cancik, s.v. „Geschichte/Geschichtsauffassung. IV. Griechisch-römisch“, RGG4 3 (2000) 781-783 (783). Um nicht das Standardbeispiel Thukydides zu bemühen, seien als Beispiele für vorzügliche antike Quellenkritik Suet. Cal. 8 und Nero 52 genannt Besonders deutlich in der Paulusexegese; vgl. z.B. J. D. Crossan/J. L. Reed, In Search of Paul. How Jesus’s Apostle Opposed Rome’s Empire with God’s Kingdom. A New Vision of Paul’s Words & World (London 2005); N. Elliott, Liberating Paul. The Justice of God and the Politics of the Apostle (Sheffield 1995); R. A. Horsley (ed.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society (Harrisburg 1997).

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Vorgehen scheint zunächst angesichts der Ergebnisse von Abschnitt 3 gegenüber dem von Bonz das sinnvollere zu sein. Dass Lukas das Werk „Aeneis“ kannte, ist unsicher; dass er durch Inschriften, Verlautbarungen, Architektur, Akte der Verehrung der Principes und Kultakte die Ideologie kannte, die sich auch in der Aeneis widerspiegelt, kann man als sicher annehmen.85 Dieser Vorteil ist allerdings dadurch erkauft – und zwar teuer erkauft –, dass die Aeneis hier als Steinbruch für dicta probantia missbraucht und letztlich verzerrt als versifiziertes Politprogramm wahrgenommen wird.86 Darum soll im Folgenden – versuchsweise und eher skizzenhaft – der von Bonz vorgezeichnete Weg eingeschlagen werden, die Aeneis als literarischen Text im Vergleich zum lukanischen Doppelwerk ernstzunehmen. Dies freilich mit zwei entscheidenden Änderungen: Erstens sollen keine Behauptungen über Einflüsse oder gar Abhängigkeiten aufgestellt werden. Durch einen solchen Wechsel von Bonz’ produktionsorientiertem Paradigma von Intertextualität zu einem textorientierten Paradigma lassen sich viele der Probleme, die Bonz’ Werk zeigt, vermeiden. Zweitens soll über das Kontrastschema „Lukas gegen Vergil“ hinausgelangt werden.87 5.1 Endzeit und Neubeginn Aeneis und lukanisches Doppelwerk teilen, wie Bonz richtig herausarbeitet,88 die Grundkonzeption, dass die Größe, deren Ursprungsgeschichte erzählt wird (also römisches Reich bzw. Kirche), als legitime Fortführung einer vorangehenden Größe dargestellt wird (Herrschaft der Troianer bzw. Israel). Schon das Proömium Verg. Aen. 1,1-7, dessen durch Inversion betontes erstes Wort (nach arma virumque cano) Troiae ist und dessen letztes Romae, stellt dieses Thema vor. Der Spannungsbogen des lukanischen Doppelwerkes (zumindest der Apostelgeschichte) lässt sich ebenfalls mit einem Städtepaar als „von Jerusalem nach Rom“ beschreiben.89 Diese Parallele im Sinne produktionsorientierter Intertextualität auszuwerten, also eine Abhängigkeit zwischen Vergil und Lu-

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Vgl. z.B. Gilbert, “Roman Propaganda” (s. Anm. 12) 253-256. Vgl. etwa das völlig inadäquate Urteil bei N. Elliott, Liberating Paul (s. Anm. 84) 185: „that piece of revisionist propaganda that read Roman glory back into the days of Homeric legend“. Dieses Kontrastschema bestimmt auch sehr stark Georgi, „Aeneas“ (s. Anm. 9), der aber hinsichtlich der Verwendung eines textorientierten Paradigmas von Intertextualität dem hier Versuchten recht nahekommt. Bonz, Past (s. Anm. 11) 192f. Reiser, Sprache (s. Anm. 10) 111.

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kas zu behaupten, wäre wie gesagt abwegig.90 Dennoch ist es interessant, ihr weiter nachzugehen. Eine bei aller Parallelität deutliche und – wie in den weiteren Abschnitten zu zeigen sein wird – grundlegende Differenz, die Bonz überspielt, ist, dass die Stellung des Untergangs der Stadt, die symbolisch für den Ausgangspunkt der Wandlung steht, in der Handlung der beiden Werke unterschiedlich ist. Die Aeneis ist antithetisch auf die Ilias bezogen: Wie die Ilias vor der Zerstörung einer Stadt endet, so die „Anti-Ilias“ Aeneis vor der Geburt einer Stadt.91 Dadurch ist sie zugleich, wie schon erwähnt, die chronologische Fortsetzung der Ilias: Steht in dieser der Untergang Troias drohend am Horizont (Hom. Il. 6,448: e[ssetai h\mar),92 so ist er in der Aeneis vorausgesetzt (Verg. Aen. 2,324: venit summa dies). Dadurch ist die gesamte Handlung sozusagen „posteschatologisch“93. Auf die reale Geschichte bezogen: Die „Endzeit“ der Bürgerkriege ist vorbei, der „letzte Sieg“ ist in Actium errungen, die Verheißungen haben sich (allerdings mit einer einschränkenden Qualifizierung, dazu s.u. 5.3.) erfüllt.94 Die Perspektive der Apostelgeschichte ist eine andere: Natürlich wissen der Autor und seine Leser von der zu ihrer Zeit bereits geschehenen Zerstörung Jerusalems. Von der erzählten Zeit des lukanischen Doppelwerkes aus liegt diese aber in der Zukunft, als Fluchtpunkt, auf den die Ereignisse (genauer gesagt wohl: ein Strang der Ereignisse) zulaufen, vor dessen Erreichen die Handlung aber abbricht – also ganz ähnlich wie in der Ilias.95 Ohne diesen Befund pressen zu wollen, wird man doch sagen können, dass dem eine von der Aeneis unterschiedene Sicht der Geschichte entspricht: Die Verheißungen sind zwar erfüllt (Lk 4,21), aber die Endzeit ist noch nicht überstanden (Lk 21,5-36) und das Eschaton ist noch nicht da (Apg 1,11).

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Gegen Bonz, Past (s. Anm. 11) 192f. V. Albrecht, Vergil (s. Anm. 2) 183. Vgl. dazu H. Cancik, „Das Ende von Welt, Geschichte, Person in der griechischen und römischen Geschichte“, in id., Römische Religion im Kontext (s. Anm. 3) 263-308 (284-286). R. Faber, Die Verkündigung Vergils. Reich – Kirche – Staat (AWTS 4, Hildesheim 1975) 25-28. Cancik, „Libri fatales” (s. Anm. 76) 91. Gegen Bonz, Past (s. Anm. 11) 158: „Jerusalem’s role as the city of destiny and the occurrence therein of the momentous events constituting the center of salvation history are now consigned to the narrative past.”

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5.2 Irrfahrt und Missionsreise Die Transformationsprozesse, um die es in der Aeneis und im lukanischen Doppelwerk geht, werden in Form einer Reise dargestellt, deren Ziel – beide Male Rom – sich für die Protagonisten erst allmählich enthüllt.96 Die Idee „Tod Troias – Geburt Roms“ ist für die Gesamtkonzeption der Aeneis konstitutiv.97 Kurz vor dem Ende des Epos wird sie explizit gemacht, wenn als Bedingung der Iuno für den Sieg des Aeneas der endgültige Untergang alles Troianischen genannt wird (Verg. Aen. 12,828). Im Verlauf des Epos wird sie immer wieder in symbolischen Bildern angedeutet, etwa wenn der Priester Panthus die sozusagen prophetischen Worte fuimus Troes (Verg. Aen. 2,325) spricht, wenn das Hervorkommen der Griechen aus dem hölzernen Pferd – also der Tod Troias – mit Geburtsmetaphern beschrieben wird (die Griechen benutzen keine Leiter, sondern kommen an einem Seil wie an einer Nabelschnur zur Welt, Verg. Aen. 2,259-264), oder in der Schilderung des „falschen“, nämlich zu einer toten Kopie des Vergangenen erstarrten Klein-Troia des Helenus (Verg. Aen. 3,294-354). Für den Vergleich mit der Apostelgeschichte besonders interessant ist, dass dieser Transformationsprozess eine starke religiöse Komponente hat: Die Aeneis ist die Geschichte einer translatio cultus, denn Aeneas nimmt die Penaten Troias mit, die im Traum der tote Hector (Verg. Aen. 2,293-296), in der Realität wohl der Priester Panthus (Verg. Aen. 2,318-312) aus dem brennenden Heiligtum der untergehenden Stadt rettet und ihm übergibt. Die rituell korrekte Fortführung ihres Kultes macht die Römer trotz allen Wandels zu den legitimen Erben der Troianer.98 Die heilsgeschichtliche Grundidee des lukanischen Doppelwerkes ist dem in mancher Hinsicht ähnlich: Die Entstehung der Kirche aus den nichtjüdischen Völkern wird in der zweiten Hälfte der Apostelgeschichte dargestellt in Form der paulinischen Missionsreisen. Auch deren Ziel enthüllt sich erst allmählich (Apg 9,15; 23,11; 25,11f.; 27,23f.; vgl. 16,6-8). Auf ihnen kommt es zu einer Trennung zwischen denjenigen Juden, die sich der Botschaft des Paulus verschließen, und den Juden und Nichtjuden (meist Gottesfürchtigen), die sich ihr öffnen.

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Bonz, Past (s. Anm. 11) 173f.; vgl. auch Alexander, “New Testament Narrative” (s. Anm. 9) 173f. Suerbaum, Vergils Aeneis (s. Anm. 50) 128-141. Vgl. dazu H. Cancik, „‚Götter einführen’. Ein myth-historisches Modell für die Diffusion von Religion in Vergils Aeneis“, in id., Römische Religion im Kontext (s. Anm. 3) 454-465.

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Auch Lukas bindet die Legitimität dieses Transformationsprozesses zurück an kultische Kontinuität: Obwohl die Lösung der Kirche vom Jerusalemer Tempel am Horizont erscheint, betont doch das lukanische Doppelwerk wie keine andere Schrift des Neuen Testaments die Treue der Christen zum Jerusalemer Kult, und zwar von Beginn an (Lk 1,5-23: der Priester Zacharias; Lk 2,22-24: das Opfer von Joseph und Maria anlässlich der Geburt ihres Sohnes; Lk 2,41: ihre jährliche Wallfahrt zum Passafest) bis ganz zum Schluss (Apg 21,26: Paulus nimmt am Nasiräatsritus teil). Trotz aller grundlegenden Ähnlichkeit lassen sich wieder – von Bonz übersehene oder überspielte – theologisch wichtige Unterschiede wahrnehmen. Erstens ist die Reise des Aeneas und der Seinen, wie Apollo ihnen in einem Orakel eröffnet, in Wahrheit eine Rückkehr: quae vos a stirpe parentum prima tulit tellus, eadem vos ubere laeto accipiet reduces. antiquam exquirite matrem (Verg. Aen. 3,94-96). Als biblisches Pendant wäre also (bei aller Vorsicht) der Exodus zu nennen.99 Dieser Aspekt fehlt im lukanischen Doppelwerk. Die Entstehung des lao;~ ejx ejqnw`n (Apg 15,14) ist kein neuer Exodus, und das Ziel der Reise kann darum niemals eine vergleichbare oder höhere theologische Wertigkeit haben als der Ausgangspunkt.100 Zweitens ist die Reise des Aeneas keine Missionsreise.101 Zwar transferiert er die troianischen Götter in eine auf dem Wege gegründete Kolonie (Verg. Aen. 5,755-761) und durch ein foedus aequum nach Latium (Verg. Aen. 12,190-192.836f.). Nirgends jedoch findet sich die Idee der Bekehrung (ejpistrevfein) wie in Apg 14,15. Die troianischen Kulte werden den alten Kulten vielmehr hinzugefügt (adicere).102 Dieser harte Gegensatz wird etwas abgemildert durch weitere Aspekte der Reiseschilderungen: Trotz der eindeutigen Forderung nach Bekehrung schildert die Apostelgeschichte den Weg des Christentums als allmähliche „Inkulturation“ in die nichtjüdische antike Welt. Das Zielpublikum der Evangeliumspredigt wird immer griechischer und gebildeter (Apg 17,16-34), immer römischer und der Macht näherstehend (Apg 24,1-21; 25,13-26,32; 27,24).103 Auch durch das sorgfältig bis in die Details gezeichnete stimmige Lokalkolorit der einzelnen Episo99 100 101 102 103

Cancik, „Libri fatales“ (s. Anm. 76) 89, gegen Georgi, „Aeneas“ (s. Anm. 9) 40-42, der die Reise Abrahams nennt. Schon von daher scheint mir die Deutung von Bonz, Past (s. Anm. 11) 150, falsch, am Ende der Apostelgeschichte stelle sich „ironischerweise“ heraus, dass Gott schon immer dieses Volk aus den Völkern gewollt habe und nicht Israel (s. dazu auch u. 5.4). Gegen Georgi, „Aeneas“ (s. Anm. 9) 42. Cancik, „Götter einführen“ (s. Anm. 98) 461f. Bonz, Past (s. Anm. 11) 167.

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den104 spricht die Apostelgeschichte ihre Leser, die in diesen Städten und Regionen leben, auf ihren bleibenden Lokalpatriotismus an.105 Ein analoges Bemühen, verschiedenen Bevölkerungsgruppen des römischen Reiches ihren positiven Platz in seiner Gründungsgeschichte zu geben, lässt sich auch in der Aeneis beobachten. Durch die Struktur der Handlung vorgegeben ist das Bild von Griechen und auch von Italikern zunächst einmal negativ. Jene sind die hinterlistigen und brutalen Zerstörer Troias, diese die Gegner in einem langen, blutigen Krieg. Doch obwohl Aeneas und seine Leute sie überwinden106 – was symbolisch für ihre Überwindung durch die Unterwerfung der hellenistischen Königreiche und im Bundesgenossen- bzw. in den Bürgerkriegen steht –, setzt Vergil sorgsam Gegenakzente: Das Bild der Griechen hellt sich bereits im Laufe der Irrfahrten in Buch 2 und 3 auf und wird bei der Schilderung von Euanders „Ur-Rom“ in Buch 8 (vgl. v.a. Verg. Aen. 8,127151) vollends positiv. Italischer (nicht römischer) Lokalpatriotismus wird im Truppenkatalog am Ende von Buch 7 (Verg. Aen. 7,641-817) bedient und der Sieg des Aeneas über Turnus wird, wie am Beginn dieses Abschnitts erwähnt, kurz vor dem Ende des Epos an die Bedingung geknüpft, dass Rom eine italische und nicht eine troianische Stadt sein wird. 5.3 Das „Reich ohne Ende“ Vielleicht ist das Reich ohne zeitliches Ende in Lk 1,33 (th`~ basileiva~ aujtou` oujk e[stai tevlo~) in Verbindung mit Apg 1,8, wo eine Ausbreitung des Evangeliums ohne räumliche Grenzen verheißen wird (e{w~ ejscavtou th`~ gh`~), die Stelle im lukanischen Doppelwerk, wo man am ehesten eine Reminiszenz an die Aeneis annehmen könnte, nämlich an das berühmte: his ego nec metas rerum nec tempora pono, imperium sine fine dedi (Verg. Aen. 1,278f.).107 Gewiss handelt es sich zuerst einmal um eine Anspielung auf Dan 7,14. Doch ist es durchaus möglich, dass auch ein Anklang an den Anspruch Roms auf eine räumlich und zeitlich unbegrenzte Herrschaft gehört wurde. Hüten muss man sich freilich, vor104 Vgl. dazu z.B. C. vom Brocke, Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frühe christliche Gemeinde in ihrer heidnischen Umwelt (WUNT II 125, Tübingen 2001); P. Pilhofer, Philippi. Vol. I: Die erste christliche Gemeinde Europas (WUNT 87, Tübingen 1995); P. Trebilco, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius (WUNT 166, Tübingen 2004). 105 Dieser wird ja auch in Apg 21,39 im Munde des Paulus explizit. 106 Der Sieg über die Griechen wird in Verg. Aen. 3,288 durch das Weihegeschenk des Aeneas mit der ironischen Inschrift Aeneas haec de Danais victoribus arma angedeutet. 107 Bonz, Past (s. Anm. 11) 133.

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schnell eine Antithese in den Text hineinzulesen, als ob Lukas das Reich Christi nach dem Vorbild, aber zugleich gegen das Römische Reich konstruiere. Eher legt sich eine Aufnahme mit dem Zweck nahe, Größe und Prestige des Vorbilds zu evozieren, vielleicht geht es auch um Überbietung, aber kaum um Romfeindschaft. Dass manche theologischen Arbeiten, die sich auf diese und ähnliche Aeneisverse beziehen, zu schnell eine Antithese zwischen Vergils „imperialem Evangelium“ und dem „wahren“ Evangelium sehen, liegt daran, dass sie den literarischen Kontext zu wenig beachten. Derartige, in der Tat einen denkbar umfassenden Machtanspruch formulierende Äußerungen finden sich nämlich in der Aeneis immer nur in Prolepsen: in der Iuppiterrede, in der Heldenschau in der Unterwelt und in der Schildbeschreibung. Den ersten Text hört kein Mensch, es handelt sich um einen Dialog zwischen Iuppiter und Venus. Was er von Anchises über die Zukunft Roms erfahren hat, vergisst Aeneas offensichtlich, als er die Unterwelt durch ein Traumtor verlässt (Verg. Aen. 6,893-898). Die Bilder auf dem Schild sieht Aeneas und versteht sie nicht (Verg. Aen. 8,730). Vergil tut nie den entscheidenden Schritt, den spätere – schlechtere – Dichter wie etwa Calpurnius Siculus getan haben, das Vorausgedeutete als erfüllt darzustellen.108 Besonders deutlich wird dies am Schluss der Aeneis, der wie das Ende der Apostelgeschichte vieldiskutiert ist. Warum dieser abrupte Schluss? „Fehlt“ hier nicht etwas? Warum vor allem ein so ambivalenter Schluss? Denn so sehr Aeneas’ Tat nach römischen Wertmaßstäben gerechtfertigt ist,109 so seltsam mutet es doch an, dass die Gründungsgeschichte des römischen Reiches mit den Schatten der Unterwelt endet. Und so sehr Lukas hervorhebt, dass Paulus „in allem Freimut ungehindert“ in Rom predigte, so bedrückend ist doch das Bild seiner Gefangenschaft. Eine vergleichende Lektüre von Apostelgeschichte und Aeneis kann hier erhellend sein, wenn sie auch gewiss nicht den Anspruch erheben darf, alle Probleme der Deutung der beiden Werkschlüsse zu lösen.110 Als erstes macht ein Vergleich klar, dass jedenfalls in beiden Fällen nichts „fehlt“, weder bei der Aeneis, wo man es mit ihrem unvollende-

108 Vgl. dazu H. Cancik, „Ein Volk gründen. Ein myth-historisches Modell in Vergils Aeneis“, in id., Römische Religion im Kontext (s. Anm. 3) 438-453 (451). 109 Von Albrecht, Vergil (s. Anm. 2) 175f. 110 Eine sehr originelle intertextuelle Lektüre zu diesem Thema bietet M. Kiel, Did Paul Get Whacked? The Endings of The Sopranos and the Acts of the Apostles (http://www.sblsite.org/publications/article.aspx?articleId=695 vom 25.03.2008).

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ten Zustand111 erklären könnte, noch bei der Apostelgeschichte, wo man eine Abfassung vor dem Tod des Paulus, das Fehlen von Quellen, die theologische Konzeption des Werkes und vieles mehr als Erklärung aufgeboten hat.112 Aufmerksame Leser wissen nämlich in beiden Fällen sehr genau durch Vorausdeutungen, was weiter geschehen wird: Bereits ab Apg 9,15f., spätestens aber ab Apg 20,25.38 und 21,10-14 muss jedem deutlich sein, dass Paulus hingerichtet werden wird.113 Und ebenso kann jeder Leser der Aeneis wissen, dass Aeneas Lavinia heiraten, aber nach kurzer gemeinsamer Herrschaft mit seinem Schwiegervater Latinus und eher unglücklicher Ehe eines unrühmlichen Todes sterben, dann freilich zum Gott werden wird (Verg. Aen. 1,259f.; 4,618620; 12,64-69.183-194.794f.).114 In beiden Fällen wird die Handlung genau bis zu einem Punkt erzählt, ab dem der weitere Fortgang klar ist und „ungehindert“ seinen Lauf nimmt, und der für die Gesamtkonzeption des Werkes von hoher symbolischer Bedeutung ist. In beiden Fällen ist das nicht mehr Erzählte ambivalent oder sogar hochproblematisch: Aeneas wurde schließlich zwar nicht zum alter ego, aber doch zum Typos für Augustus aufgebaut; und diesem durch sein mythisches Vorbild einen frühen unrühmlichen Tod vorauszusagen, wäre für Vergil zumindest kompromittierend, wenn nicht gefährlich gewesen. Paulus steht für den erfolgreichen Weg des Evangeliums zu den nichtjüdischen Völkern. Wie bei allen seinen Hauptfiguren so ist Lukas auch bei ihm darauf bedacht, dass er an keiner Stelle als verurteilter Verbrecher dasteht. Seine Hinrichtung durch die Römer könnte dieses Bild empfindlich stören.115 Geht es also Lukas und Vergil darum, unangenehme, aber einmal durch den bekannten Mythos, einmal durch die bekannten historischen Ereignisse vorgegebene Wahrheiten zu verschweigen? Man wird sicherlich nicht Vergil, aber auch nicht Lukas für so schlechte Erzähler halten wollen. Beide wussten sehr gut, dass Dinge, die man beredt verschweigt, nicht nur genauso wie, sondern noch viel mehr als das explizit Erzählte dem Leser auffallen und haften blei-

111 Die Aeneis entstand zwischen 29 und 19 v. Chr. und wurde auf Befehl des Augustus von L. Varius Rufus und Plotius Tucca postum herausgegeben. Dabei blieben Zeichen der Unfertigkeit stehen, v.a. einige Halbverse. 112 Vgl. dazu ausführlich H. Omerzu, „Das Schweigen des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte“, in F. W. Horn, Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte (BZNW 106, Berlin/New York 2001) 127156 (128-144). 113 Denselben Effekt haben seine durchgehende Parallelisierung mit Jesus und die Anspielung auf Stephanus (Apg 22,20). Vgl. auch E. Plümacher, „Rom in der Apostelgeschichte“, in id., Geschichte und Geschichten (s. Anm. 17) 135-169 (140). 114 Suerbaum, Vergils Aeneis (s. Anm. 50) 131f. 115 Vgl. den Beitrag von P. Holloway in diesem Band.

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ben. Darum erzählen sie ja auch beide, was mit Aeneas bzw. Paulus geschehen wird, aber eben nicht am Ende ihrer Werke. Vielleicht ist es weiterführend, ein wenig literarische Phantasie zu wagen und verschiedene alternative Schlüsse durchzuspielen: Wie würde eine Aeneis wirken, die mit der Hochzeit des Aeneas mit der Lavinia und einem Versöhnungsfest zwischen Troianern und Italikern endete? Wie wäre es mit der Apotheose des Aeneas als Schluss? Wie wäre gar ein Kurzabriss der Geschichte Roms von Iulus über Romulus und Remus bis zu Augustus? Es ist sicherlich riskant, hier moderne Maßstäbe anzulegen – es könnte sein, dass antike Menschen solch einen Schluss ganz anders empfunden hätten –, und doch legt es sich unweigerlich nahe, ihn als literarisch wenig geglückt, ja als platt bis peinlich zu empfinden. Eine derart pedantische Nachzeichnung der Erfüllung der verschiedenen in der Aeneis gegebenen Verheißungen über die Zukunft Roms würde deren Größe zunichte machen, die ja gerade darin liegt, dass sie über jeden in der Geschichte zu erreichenden Zustand hinausweisen, ja letztlich die Grenzen von Raum und Zeit überschreiten (Verg. Aen. 1,278f.). Sie würde die von Vergil kunstvoll hergestellte Verbindung von Geschichtsplan und Offenheit, von Verheißung, Erfüllung und „Noch nicht“ zerstören. Mutatis mutandis kann man das wohl ganz ähnlich für die Apostelgeschichte sagen: Ein Martyrium des Paulus einschließlich Erhöhung (die man sich vielleicht so vorstellen müsste wie bei Stephanus in Apg 7,55f. in einer Vision angedeutet) wäre kein „guter“ Schluss. Eine Notiz über die immer weitere Ausbreitung des Christentums noch weniger. Die programmatische Verheißung von Apg 1,8 e[sesqev mou mavrture~ … e{w~ ejscavtou th`~ gh`~116 lässt sich nicht als „realisiert und damit erledigt“ einordnen. Sie weist über den Horizont des im Werk Erzählten und auch über den Horizont der Gegenwart der Leser hinaus.117

116 Damit ist sicher nicht Rom gemeint, das ja eben nicht am Ende, sondern in der Mitte der Welt liegt; vgl. dazu W. C. van Unnik, „Der Ausdruck EWS ESCATHS THS GHS (Apostelgeschichte I 8) und sein alttestamentlicher Hintergrund“, in id., Sparsa collecta, vol. 1 (NT.S 29, Leiden 1973) 386-401. Gewiss ist Rom aufgrund der Vorausdeutungen in Apg 19,21; 23,11; 27,24 der Zielpunkt der Handlung der Apostelgeschichte (Bonz, Past [s. Anm. 11] 138), aber es ist nicht die proleptische Erfüllung der Verheißung von Apg 1,8 (gegen Bonz, ibid.). 117 So auch Schröter, „Lukas” (s. Anm. 77) 251.

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5.4 Eine Stimme für die Opfer? In der Deutung der Aeneis stehen sich nach wie vor eine „amerikanische“, „pessimistische“ Schule (bekannt als „two voices theory“)118 und eine „deutsche“, „optimistische“ Schule119 in teilweise scharfer Polemik gegenüber.120 In der Theologie wird, wenn überhaupt, dann meist eine stark vergröberte Fassung der „optimistischen“ Deutung wahrgenommen: die Aeneis als triumphalistische augusteische Propaganda. Das wird der Vielschichtigkeit des Werkes nicht gerecht. Vergil bejaht in der Aeneis, wie in seinen anderen Werken, die aus den Bürgerkriegen hervorgegangene augusteische Herrschaft, aber er ist kein blinder Ideologe. Von der ersten Ekloge an, die sich mit dem Leid der von der Landenteignung betroffenen Hirten befasst, hat er einen Blick für die Opfer der Geschichte. Das ist in der Aeneis nicht anders, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Die dort erzählte Geschichte ist erstens die Geschichte von Verlierern. Aeneas und die Seinen retten aus dem untergehenden Troia nichts außer ihrem Leben und den troianischen Göttern. Zwar kehren sich im Folgenden die Verhältnisse um. Bereits innerhalb der Aeneis und vor allem in Geschichtsausblicken werden die Troianer/Römer zu Siegern und ihr Reich zu einem Reich ohne Ende. Diese Konzeption mag man für triumphalistisch halten, dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass ein Volk sich in einem Mythos eine derartige Ursprungsidentität als Verlierer gibt. Zweitens legt Vergil einen starken Akzent auf die Mühen und das Leiden, die der Weg von der Niederlage zum Sieg fordert. Aeneas ist ein leidender, ja sogar ein übermäßig leidender Held (Verg. Aen. 1,5.10f.) – und sein erster Auftritt in Verg. Aen. 1,92-94 ist ein Ohnmachtsanfall. Drittens behält Vergil, obwohl er die römische bzw. augusteische Herrschaft bejaht, einen klaren Blick für die Opfer, die sie gefordert hat. Er erspart seinen Lesern nicht die brutale Abschlachtung unschuldiger Menschen durch Aeneas als Totenopfer für Pallas (Verg. Aen. 10,517520; wohl ein Hinweis auf das Blutbad des Octavian bei Perusia, vgl. 118 M. C. J. Putnam, The Poetry of the Aeneid (Cambridge 1965); id., Virgil’s Aeneid. Interpretation and Influence (Chapel Hill 1995); daneben: A. Parry, “The Two Voices of Vergil’s Aeneid”, Arion 2/4 (1963) 66-80. 119 A. Wlosok, Die Göttin Venus in Vergils Aeneis (Heidelberg 1967), sowie mehrere Beiträge in ead., Res humanae – res divinae. Kleine Schriften (Heidelberg 1990); vgl. auch von Albrecht, Vergil (s. Anm. 2); N. Holzberg, Vergil. Der Dichter und sein Werk (München 2006) 44-67. 120 Bonz, Past (s. Anm. 11) 195-202. E. A. Schmidt, “The Meaning of Vergil’s Aeneid. American and German Approaches“, Classical World 94 (2001) 65-92.

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Suet. Aug. 15). Er lässt den Schlachtenruhm durch die bitteren Worte des Drances hohl werden: scilicet ut Turno contingat regia coniunx, nos animae uiles, inhumata infletaque turba, sternamur campis (Verg. Aen. 11,371-373). Er macht klar, dass Aeneas an Dido in unverzeihlicher Weise schuldig geworden ist (Verg. Aen. 6,450-476). Bonz übergeht diese Züge der vergilischen Geschichtsdeutung, interpretiert sie durchgehend triumphalistisch und konstruiert dann die Theologie der Apostelgeschichte als ihr ebenfalls triumphalistisches Abbild: In ihrem Zentrum stehe ein ironischer heilsgeschichtlicher Rollentausch zwischen Juden und Nichtjuden.121 „The divine aura of blessing and protection for the historic house of Israel, with which Luke’s opening chapters misleadingly begin, is ultimately revealed to be illusory for many of its people.“122 Die Figur des heilsgeschichtlichen Rollentausches wird jedoch der Differenziertheit des lukanischen Entwurfes nicht gerecht: Die Heilsaussagen gegenüber Israel werden nirgends zurückgenommen;123 die Möglichkeit, dass Juden zum neuen Gottesvolk finden, wird auch am Ende der Apostelgeschichte nicht negiert.124 Unpräzise und unglücklich ist die Kategorie der Ironie. Im präzisen rhetorischen Sinne eines Tropus, bei dem ein Ausdruck durch einen semantisch entgegengesetzten Ausdruck ersetzt wird,125 lässt sie sich gewiss nicht heranziehen. Von den Bedeutungsvarianten des umgangssprachlich verwendeten Begriffs „Ironie“ ist „feiner Spott“ darum nicht angebracht, weil es Dis121 Dieser werde auch in den zahlreichen bekannten Texten des lukanischen Sonderguts, die sich mit Armen, Machtlosen und Frauen beschäftigen, symbolisch dargestellt; Bonz, Past (s. Anm. 11) 140.146.168. 122 Bonz, Past (s. Anm. 11) 192; vgl. auch 150. Vgl. zur Diskussion J. B. Tyson, Luke, Judaism, and the Scholars. Critical Approaches to Luke-Acts (Columbia 1999). 123 J. Schröter, „Heil für die Heiden und Israel. Zum Zusammenhang von Christologie und Volk Gottes bei Lukas“, in id./C. Breytenbach (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung, FS E. Plümacher (AGJU 57, Leiden/Boston 2004) 285-308. Überblick über die sehr kontroverse Forschung zum Thema: id., „Actaforschung seit 1982 IV. Israel, die Juden und das Alte Testament. Paulusrezeption“, ThR 73 (2008) 1-59 (1-27). 124 Die Worte des Paulus Apg 28,25-28 markieren vielleicht das Ende der aktiven Mission unter Juden (so Schröter, „Lukas“ [s. Anm. 77] 251f.; vgl. auch Apg 13,46; 18,6), nicht aber, dass fortan jegliches Gespräch abgerissen sei (die Manuskripte, die in 28,30 ∆Ioudaivou~ te kai; ”Ellhna~ einfügen, haben m.E. angesichts 28,24 – laut Bonz, Past [s. Anm. 11] 180, ist dieser Vers „misleadingly optimistic“ – den Text richtig verstanden), und keinesfalls, dass die Heilsaussagen gegenüber Israel ungültig seien; vgl. zur Schlussszene J. D. G. Dunn, “The Book of Acts as Salvation History“, in J. Frey et al. (eds.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT, Tübingen [erscheint 2009]), Abschn. VI. – Vgl. den Beitrag von E. E. Popkes in diesem Band. 125 W. G. Müller, s.v. „Ironie“, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 2 (2000) 185189 (185).

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tanz impliziert. Doch an der zentralen der drei Stellen, an denen im lukanischen Doppelwerk das Ende Jerusalems, vor dem die Erzählung endet (s.o. 5.1.), vorhergesagt wird (Lk 13,34f.; 19,41-44; 23,28-31126), weint Jesus (Lk 19,41). Mit dieser Haltung der emotionalen Beteiligung soll die Hauptfigur wohl auch vorbildhaft für den Leser sein. Die andere Bedeutungsvariante „paradoxe Konstellation, die einem als frivoles Spiel einer höheren Macht erscheint“127 – in Wendungen wie: „Ironie des Schicksals“ – ist für die lukanische Geschichtstheologie vollkommen unangebracht. Zöge Lukas sich nicht den eigenen theologischen Boden unter den Füßen weg, wenn er die Verheißungen, auf die der Glaube baut, als möglicherweise illusorisch darstellte? Angemessener könnte die von R. C. Tannehill128 vorgeschlagene Kategorie des Tragischen sein, denn Tragik impliziert Anteilnahme.129 Pressen darf man freilich auch diese Charakterisierung nicht: Das lukanische Doppelwerk ist sicher keine Tragödie im aristotelischen Sinne mit einer Peripetie, und moderne Konzepte des Tragischen als eines Konfliktes zwischen Freiheit und Notwendigkeit130 wird man mit der lukanischen Theologie kaum in Einklang bringen können. Insgesamt muss man sich gewiss hüten, gutgemeint eine moderne Post-Schoah-Perspektive in Lukas hineinzulesen. Lukas ist von seiner Sache überzeugt, er legitimiert den Weg zur Kirche aus den nichtjüdischen Völkern theologisch – so wie Vergil von Augustus überzeugt ist und seine Herrschaft religiös rechtfertigt. Doch wie Vergil kein blinder Ideologe ist, so ist es auch Lukas nicht. Beiden gelingt es, die negativen Seiten dessen, was sich ereignet hat, nicht völlig auszublenden – und das ist immerhin nicht wenig.

6. Und wann wird er gekreuzigt? Der Tübinger Latinist Ernst August Schmidt unterhielt die Hörer seiner Vorlesung über Vergils Aeneis mit folgender Anekdote: Er habe seinem Sohn, als dieser klein war, jeden Abend ein Stückchen Aeneis als Gute126 Die ersten beiden sind Anreden an die Stadt, die dritte eine direkte Rede an die Jerusalemer Frauen. Darf man die berühmten vergilischen Apostrophen, die so auffällig aus dem epischen Erzählen herausfallen (Verg. Aen. 2,241.431-434; 4,408.596; 10,507509; 12,503f.), assoziieren? 127 So das Duden Fremdwörterbuch (Duden 5, Mannheim et al. 92007) 478. 128 R. C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, vol. 2: The Acts of the Apostles (Minneapolis 1990) 344-357. 129 P. Szondi, Versuch über das Tragische (Frankfurt 21964) 60: „tragisch ist auch nur der Untergang von etwas, das nicht untergehen darf“. 130 Vgl. W. Düsing, s.v. „Tragisch“, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 3 (2003) 666-669 (667).

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nachtgeschichte erzählt. Nach einigen Tagen habe sein Sohn ihn gefragt: „Und wann wird er gekreuzigt?“. Die kindliche Vermischung des Helden der Gutenachtgeschichte mit dem Helden der Geschichten aus der Kinderkirche ist keineswegs einfach kindisch. Doch Aeneas wird natürlich nicht gekreuzigt. Vergil ist – auch wenn die Spätantike und das Mittelalter bis hin zu Luther ihn dazu gemacht haben – kein anonymer Christ und die Aeneis ist nicht Vergils Evangelium. Andererseits ist – gegen viele Beiträge der gegenwärtigen Exegese – festzuhalten, dass die Aeneis auch nicht Vergils römisch-imperiales „Evangelium“ ist, dem das wahre Evangelium antithetisch gegenübersteht. Vielmehr lassen sich zahlreiche Ähnlichkeiten, Parallelen, Überschneidungen, aber auch charakteristische Unterschiede feststellen – und zwar gerade zum lukanischen Doppelwerk mit seiner Geschichtstheologie. Dies im Sinne einer produktionsorientierten Intertextualität auszuwerten und Schlüsse auf eine direkte Beeinflussung des Lukas durch Vergil zu ziehen und gar ein „lukanisches Epos“ zu postulieren, wie es Bonz tut, ist unplausibel. Man kann diesen Befund vielmehr entweder innerhalb eines textorientierten Modells von Intertextualität wahrnehmen und zur Erschließung von Sinnpotenzialen der Texte nutzen oder versuchen, ihn mit Hilfe des Aufweises sehr indirekter Einflüsse oder auch traditionsgeschichtlich durch gemeinsame Wurzeln zu erklären. – Das wäre freilich ein anderes Thema.

Der bonus dux. Tacitus’ Agricola und der lukanische Paulus1 MANFRED LANG

1. Die kulturhistorische Signatur I „Und die Geschichte vollends, die vom Gang der Zeiten Zeugnis gibt, das Licht der Wahrheit, die lebendige Erinnerung, Lehrmeisterin des Lebens, Künderin von alten Zeiten, durch welche Stimmen, wenn nicht die des Redners, gelangt sie zur Unsterblichkeit.“2 Mit diesen Worten hatte einst Cicero (de Orat 2,36) die Relevanz und die Möglichkeiten der Rhetorik quasi in einem Hymnus dargestellt und zunächst auf die Rede allgemein verwiesen: Sie sei vergleichbar mit süß klingender Musik und ein kunstgerechtes und ausgewogenes Gedicht. Der Redner nun sei, so führt Cicero weiter aus, derjenige, der sich dieser Kunst bediene: Er reiße das Volk aus Trägheit, bringe Rettung den Übeltätern und tröste die Betrübten (§ 35)3. Wie soll ein solcher geschichtshermeneutischer Satz in einer Zeit klingen, die auf dem Weg vom wahnhaften Künstler Nero zum rastlosen Manager Hadrian4 ist und wechselhafte Zeiten durchlebt? Zahlreiche Autoren haben diesbezüglich versucht, explizit eine „Lebenskunst“ zu formulieren5, besonders Lucius 1 2

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Für sachlich weiterführende Hinweise danke ich sehr herzlich Herrn Dr. phil. Vinko Hinz (Göttingen). Marcus Tullius Cicero, De oratore. Über den Redner, ed., trans. Harald Merklin (Stuttgart 21991) 229. Die Zitation der antiken Autoren erfolgt in Anlehnung (arabische Ziffern für Buchangaben) an: Georg Strecker/Udo Schnelle (eds.) [unter Mitarbeit von Gerald Seelig], Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, vol. II/1.2: Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse (Berlin/New York 1996); Udo Schnelle (ed.) [unter Mitarbeit von Michael Labahn und Manfred Lang], Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, vol. I/2: Texte zum Johannesevangelium (Berlin/New York 2001). Der Text ist als Nr. 18 auf dem beiliegenden Datenträger meiner Arbeit näherhin vorgestellt worden: Manfred Lang, Die Kunst des christlichen Lebens. Rezeptionsästhetische Studien zum lukanischen Paulusbild (ABG 29, Leipzig 2008). Vgl. Michael von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur, vol. II (München 21997) 871. Vgl. dazu den Überblick in meinem Artikel „Lebenskunst und Ethos. Beobachtungen zu Plutarch, Seneca, Philo von Alexandrien und dem 1. Petrusbrief“, der für WUNT (hg. von Friedrich Wilhelm Horn und Ruben Zimmermann) vorgesehen ist, und dort den ersten Abschnitt über Plutarch, Seneca und Philo von Alexandrien.

Tacitus’ Agricola und der lukanische Paulus

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Annaeus Seneca, ohne freilich ein Geschichtswerk verfasst zu haben. Seine Anleitungen beziehen ihre Inspiration und Argumentation vor allem aus der therapeutischen, psychagogischen ‚Lektüre‘ der Geschichte und ihrer praecepta, die seine Epistulae morales zu einer Einführung in die stoische Lebenskunst machen6: Die Briefe „literarisieren den Brief und machen diese Gattung ‚als Dialog mit einem Abwesenden‘ oder ‚halbierten Dialog‘ zu einem Instrument philosophischer Erziehung und Selbsterziehung“7. Ein anderer Künstler, der hier maßgeblichen Einfluss auf diese Lehrmeisterin des Lebens hat, ist Tacitus, auch wenn er sich auf die Semantik der ars vivendi nicht reduzieren lässt. Tacitus, eine geraume Zeit von der Zunft der Alten Geschichte vernachlässigt8, ist nunmehr sehr häufig Gegenstand längerer und kürzerer Analysen. Nicht zuletzt seine stilistischen Finessen machen ihn zum „‚Shakespeare‘ unter den römischen Historikern“9. Wer die beklemmend düster anmutende Szene der Rückkehr Agricolas an den Hof Domitians10 liest (Agr 40,3ff), wird kaum umhin können, den Atem anzuhalten und gespannt zu erwarten, wie sich die Szene ins Ganze der Darstellung nicht nur des Agricola, sondern auch der Zeit Tacitus’ selbst fügt. Gerade einer solchen Personendarstellung als Ausdruck einer spezifischen Geschichtsauffassung und gleichzeitig einer spezifischen röm. Lebenskunst soll in einem ersten Durchgang nachgegangen

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Vgl. dazu Lang, Kunst (s. Anm. 3) 410–414, und dort weitere Literatur und Analysen. Michael von Albrecht, Wort und Wandlung. Senecas Lebenskunst (Mn.S 252, Leiden 2004) 2. Vgl. dazu programmatisch bereits Friedrich Klingner, „Tacitus“, Antike 8 (1932) 151– 169, 151–153 (auch id., „Tacitus“, in Römische Geisteswelt. Essays zur lateinischen Literatur, ed. Karl Büchner [Stuttgart 1979] 504–527). Seit Voltaire hat man sich an der Darstellungsweise des Tacitus gestoßen; vgl. dazu Gerold Walser, Rom, das Reich und die fremden Völker in der Geschichtsschreibung der frühen Kaiserzeit. Studien zur Glaubwürdigkeit des Tacitus (Basel 1951) 5–7. Die positivere Beschreibung des Historikers Tacitus setzt mit diesem Aufsatz Klingners ein. Von Albrecht, Geschichte (s. Anm. 4) 886; vgl. Margarethe Billerbeck, Die dramatische Kunst des Tacitus (ANRW 33.4, Berlin/New York 1991) 2752–2771, bes. 2755–2770. So ist es den Römern ein besonderes, sehenswertes Schauspiel, als sich die Germanen gegenseitig abschlachten (Germ 33); die Zuschauer den Krieg gleichsam selbst wahrnehmen (Hist 3,83), oder aber die beistehenden Menschen die Toten auf dem Schlachtfeld begaffen (Hist 2,70). Vgl. dazu auch die szenische Gestaltung des Todes im Rahmen der taciteischen Nero-Darstellung: Ulrich Schmitzer, „Der Tod auf offener Szene. Tacitus über Nero und die Ermordung des Britannicus“, Hermes 133 (2005) 337–357, sowie zuvor Uwe Rademacher, Die Bildkunst des Tacitus (Spudasmata 29, Hildesheim 1975) 163–255. Zur Stilistik vgl. Will Richter, „Tacitus als Stilist. Ein Kapitel philologischer Forschungsgeschichte“, in Gerhard Radke (ed.), Politik und literarische Kunst im Werk des Tacitus (Stuttgart 1971) 111–128 (mit Hinweisen aus der Forschungsgeschichte des 19. Jh.), sowie Rademacher, Bildkunst, 52–163. Zur Stilistik dieser Szene vgl. Albrecht Dihle, Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit. Von Augustus bis Iustinian (München 1989) 234.

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werden, ehe Tacitus’ Schrift De vita et moribus Iulii Agricolae11 in den Blick treten soll. Hier wird dann in einem ersten Schritt die Sachaussage insgesamt und eine detailliertere Analyse der beiden Reden in einem zweiten Schritt wichtige Einblicke in die Schrift eröffnen. Das lukanische Paulusbild soll dann auf diese Folie aufgetragen und in seinem Kommunikat12 ermittelt werden.

2. Die Personendarstellung des Tacitus als Ausdruck seiner Geschichtsauffassung 2.1 Die kulturhistorische Signatur II Die Faszination taciteischer Geschichtsschreibung liegt u. a. darin begründet, dass er wie kaum ein anderer Historiker gleichsam literarische Bilder malt, vor denen/in denen seine Protagonisten sich abzeichnen. Mag es hier typenhafte Züge geben, die wiederkehren, so sind sie doch nicht schablonenhaft verwendet. Solche kann es nicht geben, weil jene Einzeichnung eine Kontextualisierung in die herrschenden Verhältnisse ist. Für Agricola wie für Corbulo oder Galba13 heißt das, dass die Kontextualisierung in das Beziehungsgefüge ‚Kaiser – Feldherr‘ gestellt wird. In dieser Verhältnisbestimmung zeigt sich letztlich, welche Kunst der Lebensführung gewinnend und staatsdienlich ist. Dass dies keine abstrakten Größen sind, hatte sich anhand der Opfer aus dem Konflikt

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Aus der Kommentar-Literatur ist Folgendes zu nennen: R. M. Ogilvie/Sir Ian Richmond (eds.), Cornelii Taciti, De Vita Agricolae (Oxford 1967); Heinz Heubner, Kommentar zum Agricola des Tacitus (Göttingen 1984); Cornelio Tacito, Agricola. Introduzione, test critico, traduzione e commento a cura di Paolo Soverini (Collana des Dipartimento di Scienze dell’Antichita. Szione filologica 3, Alessandria 2004). Als Textausgabe dient: Publius Cornelius Tacitus, Agricola, ed. Josef Delz (BSGRT, Stuttgart 1983). Im Übrigen soll, bis auf die in Anm. 26 genannten Zusammenhänge, der taciteische Agricola in seiner literarischen Gestalt in den Blick treten. Historische Rückfragen werden nur vereinzelt berücksichtigt. Typographisch erfolgt die Differenzierung über ‚Agricola‘ als literarisches Werk und über ‚Agricola‘ als Person, wie er im Werk des Tacitus genannt wird. Vgl. dazu: Gebhard Rusch, Art. „Kommunikat, literarisches“, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, ed. Ansgar Nünning (Stuttgart/Weimar 22001) 319f, 319: „K(ommunikat; M. L.) bezeichnet die Gesamtheit der kognitiven Operationen, die beim Hörer/Leser anläßlich der Wahrnehmung eines für literar(isch; M. L.) gehaltenen Textes ablaufen oder die ein Sprecher/Autor in die Form eines literar(ischen; M. L.) Textes transformieren will.“ Vgl. zur Darstellung Melanie Geiser, Personendarstellung bei Tacitus am Beispiel von Cn. Domitius Corbulo und Ser. Sulpicius Galba (Die Antike und ihr Weiterleben 6, Remscheid 2007) bes. 283–298.

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von stoisch beeinflusster Senats‚opposition‘14 unter Neros und Domitians Herrschaft ablesen lassen: So ist das Werk des Cremutius Cordus15 eingezogen und öffentlich verbrannt worden (Sen Marc 1,3; vgl. Quint Inst Orat 10,1,104 sowie Tac Ann 4,34f)16. Seneca selbst ist aufgrund wachsender Kritik aus Sicht Neros immer gefährlicher geworden und wurde schließlich zum Selbstmord gezwungen (Tac Ann 15,62,1–64,4; vgl. Cass Dio 62,25,2)17. Unter Domitian sollte die Lage nicht anders sein (vgl. Plin Ep 7,19,5; Suet Dom 10,3f; Cass Dio 67,13,2): stoische Philosophen geraten ebenfalls ins Visier kaiserlicher Aufmerksamkeit, die alles andere als wohlmeinend ist18, ist jenen Philosophen auch das politisch sachgemäße Verhalten des Weisen besonders aufgegeben (vgl. SVF 3,697; 1,271 [Zenons politische Tätigkeit]). Eine solche kaiserliche Aufmerksamkeit ist wenig überraschend, wenn sich eine derartige Opposition dagegen richtet, dass staatliche Entscheidungen nicht mehr in Senatsdebatten fallen, sondern im kaiserlichen Kabinett hinter ver14 15

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Es mag notiert sein, dass im Rahmen nicht-demokratischer Verhältnisse von einer ‚Opposition‘ nur bedingt gesprochen werden kann. Zunächst ist seine stoische Prägung nicht ersichtlich. Die Wirkungsgeschichte verlief allerdings über besagte Kreise via Marcia, seiner Tochter, der Seneca ad Marciam de consolatione schrieb und die ein gerettetes Exemplar publiziert hatte (vgl. ferner Sen Marc 22,4–8). Generell dazu: Tac Ann 1,72,3; 4,21,3; Quint Inst Orat 10,1,116; Sen Ira 3,24,4ff. Vgl. dazu Billerbeck, Kunst (s. Anm. 9) 2765f, sowie zuletzt Catharine Edwards, Death in Ancient Rome (New Haven 2007) bes. 72–77.86–90.92–107.110–116.148– 159.172–176 (insgesamt vornehmlich aus der Perspektive der Wirkungsgeschichte des Todes des jüngeren Cato). Daneben traf es im Rahmen dieser pisonischen Verschwörung Lucan sowie den satirischen Schriftsteller Petron, ferner den Vertreter der stoischen Philosophie Thrasea Paetus, der, mangels ausreichend geäußerter Begeisterung dem Kaiser gegenüber, Neros Gesang nicht schätzte und Cato lobte. Helvidius Priscus, dessen Schwiegersohn, wurde verbannt und nach seiner Rückkehr unter Vespasian aufgrund rüpelhafter Beschimpfungen und Schmähungen des Senats zum Tode verurteilt (vgl. dazu die reuehafte Reaktion Vespasians gem. Suet Vesp 13). Dasselbe Schicksal widerfuhr dem Stoiker Musonius Rufus und dem Juristen Cassius Longin. Zwei Brüder Senecas, Annaeus Mela und Novatus Gallio, erhielten den Befehl zum Selbstmord (vgl. insgesamt Tac Ann 16,17–20). Vermutlich wurde diese Austreibung (expulsis; Agr 2,2) um 93 n. Chr. vollzogen (Plin Ep 3,11,2f [dort eine Liste der Ausgewiesenen]; Gellius 15,11,4f [Hinweis auf Epiktet, der Rom habe verlassen müssen; § 1–3 für vorangegangene Aktivitäten]); Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 10; als prägnantes Beispiel ist die Strafe der Verbannung seitens Domitians (vgl. Suet Dom 10,3; Gellius 15,11,4) für Dion Chrysostomos zu nennen, die ihn zu langer Wanderschaft zwang (vgl. Plin Ep 10,81.82). Um sich die Wertschätzung und Anerkennung vor Augen zu stellen, die jenen Philosophen gezollt wurde, sei auf Plin Nat Hist 7,112 verwiesen: „Als Cn. Pompeius nach Beendigung des Mithridatischen Krieges im Begriff war, das Haus des berühmten Weisheitslehrers Poseidonios zu betreten, untersagte er dem Liktor, der Sitte gemäß an die Türe zu klopfen; so ließ der Mann, vor dem sich der Osten und Westen geneigt hatte, vor dem Tor der Wissenschaft die Rutenbündel senken.“ Übers. Roderich König (ed.) [in Zusammenarbeit mit Gerhard Winkler], C. Plinius Secundus d. Ä., Naturkunde, lateinisch-deutsch, vol. 7: Anthropologie (München 1975) 83. Zur Thematik des Todes stoischer Philosophen vgl. Edwards, Death (s. Anm. 17) 144–160.

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schlossenen Türen. Wer sich ein politisch sachgemäßes Verhalten im kritischen Gewand auf die Fahnen geschrieben hat, riskiert es, selbst Gegenstand einer solchen Entscheidung zu werden. Mochte es hier im stoischen Gewand senecaischer Couleur eine ‚bedingte Auferstehungshoffnung‘19 geben oder den wenig aussichtsreichen epikureischen Skeptizismus, die dazu angetan wären, vom eigenen, irdischen Schicksal abzusehen – von Märtyrern war für die res publica nichts zu erwarten: Freiheit und Wahrheitsliebe werden streng den alles beherrschenden Eigenschaften und Absichten des Kaisers untergeordnet und büßen somit ihre Eigendynamik erheblich ein20. Es wäre jedoch unsachgemäß, wollte man die Darstellung taciteischer Geschichtsauffassung bei dieser eher düsteren Signatur belassen. So sind es gerade die literarischen bemerkenswerten Zeilen eines Lucan, der bereits als 21-jähriger mit einem Preislied auf Nero einen literarischen Wettstreit gewann, die satirischen Zeilen eines Petron, die in moralphilosophischen Briefen wie in der Wiederaufnahme euripideischer Tragödien sich ausdrückende lebenspraktische Philosophie Senecas21 oder die Epigramme Martials, die neben der Geschichtsschreibung die römische Literatur zu neuer Blüte führten22. Neue sprachliche Formen prägen somit eine Zeit, die bedauerliche Beispiele jener Kehrseite zu verkraften hat, die mit der Einführung des Prinzipats zu verzeichnen ist. Was für den Charakter senecaischer Briefe zu halten ist, wird man auch als Ausdruck einer Lebenskunst ansehen können: „Wie mein Stil beschaffen wäre, wenn wir zusammensäßen oder spazierengingen, nämlich ungezwungen und salopp, so sollen meine Briefe sein, wün19

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Vgl. dazu Manfred Lang, „‚Der Tod geht uns nichts an’ (Epikur) – ‚die Seele ist der Ewigkeit würdig’ (Seneca)“, in id./Michael Labahn (eds.), Lebendige Hoffnung – ewiger Tod?! Jenseitsvorstellungen in Hellenismus, Judentum und Christentum (ABG 24, Leipzig 2007) 341–358, 356, sowie dort 346–354 mit weiterer Argumentation; vgl. ferner unten Anm. 66. Nicht von ungefähr eröffnet Tacitus seinen Agricola mit der Abgrenzung gegen Domitian und Hist 4,1 damit, sein negatives Bild von Tiberius grundzulegen. Selbstverständlich ist die Rezeption euripideischer Texte umfangreicher, weil man ‚seinen Euripides‘ genauso auswendig kennt wie ‚seinen Homer‘; vgl. dazu Hermann Funke, Art. „Euripides“, JAC 8/9 (1965/1966) [Münster 1967] 233–279, 244 und für die Rezeption in Dichtung, Philosophie und Rhetorik dort 243–250. Nicht zu vergessen die umfänglichen naturwissenschaftlichen Arbeiten Senecas oder aber diejenigen Gaius Plinius Secundus, von dessen Abhandlungen über Rhetorik und Grammatik, die Geschichte Roms sowie endlich die römischen Kriege in Germanien (vgl. Plin Ep 3,5) leider nichts erhalten ist. Man wird wohl auch auf die Abfassung von Autobiographien verweisen können, die ein breites Panorama in der Verwendung literarischer Formen aufweist und von Augustus bis Hadrian nachweisbar ist; vgl. dazu Dennis Pausch, „Formen literarischer Selbstdarstellung in der Kaiserzeit. Die von römischen Herrschern verfaßten autobiographischen Schriften und ihr literarisches Umfeld“, RhM 147 (2004) 303–336, bes. 318–323 (vgl. 323–334: Privatpersonen).

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sche ich, die nichts Gesuchtes enthalten und Gekünsteltes.“23 Innovative Dichtung und wahnhafter Schrecken seitens der Politik sitzen somit gleichsam am selben Tisch römischen Selbstbewusstseins. Dieser positive Zug aus der Literaturgeschichte kann durch Tacitus’ soziologisch-politisch-philosophischen Aspekt ergänzt werden: Tacitus berichtet davon, junge aufsteigende Römer aus den Provinzen hätten Bescheidenheit nach Rom gebracht, hervorragende Männer, die zum letzten Schritt gezwungen wurden und im Sterben die gute alte Zeit wieder aufleben ließen (Ann 3,55,1–5; Hist 1,3,1f; vgl. zuvor hinsichtlich der Zeit Neros Sen Ep 97,1). Ferner kann Tacitus für die Zeit Tiberius’ darauf verweisen, M. Lepidus habe sich im Rahmen von Enteignungsmaßnahmen der schrecklichen Schmeicheleien enthalten und somit ein verständiges Verhalten an den Tag gelegt (Ann 4,20,2f)24. Das Urteil der Depravation wird also gerade durch diese positiven Züge notwendig präzisiert und letztlich für die Formulierung eines psychagogisch wirksamen Kommunikates im Agricola aufschlussreich25. 2.2 De vita et moribus Iulii Agricolae In diese soeben formulierte differenzierte kulturhistorische Signatur schrieb Tacitus jenes seinem Schwiegervater26 gewidmete Werk wohl 23 24

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Sen Ep 75,1; Übers. Manfred Rosenbach (ed.), L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften, vol. IV (Darmstadt 1999 = 51995) 85. Vgl. dazu Siegmar Döpp, „Nec omnia apud priores meliora. Autoren des frühen Principats über die eigene Zeit“, RhM 132 (1989) 73–101, 80–82. Zum sog. Ruminalischen Feigenbaum als Ausdruck eines nicht ganz düsteren Geschichtsbildes vgl. Lang, Kunst (s. Anm. 3) 132f Anm. 141. An den senatsaristokratischen Grundeinsichten, dass Rom unangefochten Ordnungsmacht ist (Hist 4,73f) und Kriege zur Sicherung notwendig dazugehören (vgl. Ann 4,32,2; ferner: Agr 18,2 [radikaler Kampf gegen die Ordoviker]; Ann 1,56,3 [Germanicus gegen Chatten] sowie die kritische Auseinandersetzung mit Augustus’ Friedenspolitik [Agr 13,2f mit Ann 1,11,3f]), zweifelt Tacitus nicht, mag er auch dem Prinzipat kritisch gegenüberstehen. Man wird im Übrigen noch die positive Einschätzung der Baukunst zu nennen haben, die einer düsteren, einseitigen Signatur widerspricht und die nicht zuletzt im Straßenbau besonders gerühmt wird (Dion Hal Ant Rom 3,67,5; Vitr prooem 1,2 [hinsichtlich Straßen und Brücken]; Front Aq 16 [Spott über die nutzlosen Pyramiden im Gegensatz zu den röm. Straßen, ähnlich auch Plin Nat Hist 36,75]; Plut Gaius Gracch 7 [Lob und Beschreibung der röm. Straßen]; röm. Bauweise als Ausdruck der Zivilisation, so: Agr 21,1). Aus ntl. Sicht kann noch auf zweierlei verwiesen werden: 1. die bildlose Gottesauffassung, die Tacitus zunächst den Germanen zuschreibt (Germ 9) und später hinsichtlich der Juden wiederholt (Hist 5,5,4; vgl. zuvor Sen Ep 95); 2. das Bild von Gott als eines fürsorglichen Gottes (Plut Mor 426d; vgl. Cic Nat Deor 2,154–167; Leg 2,32 dazu Lang, Kunst [s. Anm. 3] bes. 278–280.292f). Einige Daten aus seiner vita: Einem Reichsadel aus Gallia Narbonensis entstammend wurde er im Jahr 60 tribunus militum in Britannien. Die dort herrschenden Unruhen

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im Jahr 98 n. Chr. (vgl. Agr 3,1–3; 44,5)27, das in nuce wiederholt, was zuvor gesagt wurde und mit derselben Perspektive schließt: Die Verwirklichung der Tugenden sind auch in schwieriger Zeit möglich. Dabei tritt besonders die modestia in den Blick, die – in der Außenpolitik im Rahmen seiner Aufgaben als Feldherr legitimiert – innenpolitisch der clementia des Prinzeps gegenübersteht28. 2.2.1 Eigenart und Disposition des Werks Zunächst jedoch zu Eigenart und Disposition des Werks: Die schwierige Zuweisung des Agricola zu einer Gattung ist der Eigenart des Werkes selbst geschuldet und verlangt gleichsam synthetisches Denken29. Ganz zweifellos ergeben sich die biographischen Züge aus der Absicht30, das Leben des Schwiegervaters aufschreiben zu wollen, wobei

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(vgl. Agr 5,2) konnte er befrieden und sich so Anerkennung verschaffen. Von Vespasian in die patricii aufgenommen, wurde er im Jahr 74(–77) Statthalter der Provinz Aquitanien. Es folgte in Rom der cursus honorum. Noch unter Vespasian übernahm er die Provinz Britannien für 7 Jahre und sicherte Roms Einfluss bis hinauf nach Schottland; vgl. Herbert Nesselhauf, „Tacitus und Domitian“, in Viktor Pöschl (ed.), Tacitus (WdF 97, Darmstadt 21986) 219–251, 232f. Zur Person selbst: David Braund, Ruling Roman Britain: Kings, Queens, Governors, and Emperors from Julius Caesar to Agricola (Routledge 1996) 147–176; Anthony R. Birley, The Roman Government of Britain (Oxford 2005) 71–95 (insgesamt für die flavische Periode: 57–99). Tacitus selbst hatte wohl im Jahr 76 n. Chr. Agricolas Tochter geheiratet und auf diese Weise einen sozialen Aufstieg erlebt; vgl. dazu Sarah Hillebrand, Der Vigintivirat. Prosopographische Untersuchungen für die Zeit von Augustus bis Domitian (masch.Diss., Heidelberg 2006) 100f sowie 204 (cursus honorum Tacitus’). Zur Datierung vgl. Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 139. Zur Abfassung des Agricola im Rahmen des Regierungsantritts Trajans s. unten Anm. 38. Vgl. dazu die Beobachtung, wonach die autobiographischen Schriften, etwa in der spezifischen Gestalt von Sullas commentarii, dem Gedanken der felicitas in besonderer Weise folgen: Peter Scholz, „Sullas commentarii – eine literarische Rechtfertigung. Zu Wesen und Funktion der autobiographischen Schriften in der späten Römischen Republik“, in Ulrich Eigler/Ulrich Gotter/Nino Luraghi/Uwe Walter (eds.), Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen – Autoren – Kontexte (Darmstadt 2003) 172–195, bes. 172f. Zu den eher monokausal argumentierenden Ansätzen aus der älteren Forschung vgl. Peter Steinmetz, „Die literarische Form des ‚Agricola‘ des Tacitus“, in Gerhard Radke (ed.), Politik und literarische Kunst im Werk des Tacitus (Stuttgart 1971) 129–141, 129–134; A. J. Turner, “Approaches to Tacitus’ Agricola“, Latomus 56 (1997) 582–593, 582f. Die Forschung ist lange Zeit von der Arbeit von Friedrich Leo, Die griechisch-römische Biographie nach ihrer literarischen Form (Leipzig 1901; repr. Hildesheim 1990), geprägt worden. Vgl. dazu jetzt den Sammelband von Michael Erler/Stefan Schorn (eds.), Die griechische Biographie in hellenistischer Zeit. Akten des internationalen Kongresses vom 26.29. Juli 2006 in Würzburg (BzA 245, Berlin 2007), wobei die Herausgeber mit diesem Band ermöglichen wollen, „eine Geschichte der hellenistischen Biographie“ (VI) schreiben zu können. Zu einer Liste der antiken Biographie – 53 an der Zahl vom 5. Jh. v. Chr. bis 4. Jh. n. Chr. (ntl. Schriften eingeschlossen) – vgl. die Übersicht bei

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gleichzeitig enkomiastische Züge hinzutreten (Agr 1,4)31: Herkunft, Geburt, Abschnitte des Lebens, Jugend, Erziehung, cursus honorum, Prokonsulat und Tod sind Stationen, die fast idealtypisch wirken und Privates vermissen lassen. Diese erkennbaren enkomiastischen Züge (laudatio [funebris]) werden je auf Agricola dahingehend weitergeführt und ergänzt, dass etwa der geographische bzw. historische Exkurs über Britannien (Agr 10–13,1; 13,2–17) – selbst strukturell eher Teil einer (röm.) Geschichtsschreibung32 – oder aber die Reden der Feldherren vor der Entscheidungsschlacht streng in den Kontext der Darstellung Agricolas gestellt werden (s. u.)33: Als Befehlshaber über Britannien und Angehöriger der Aristokratie ist es unstrittig, dass auch ein Agricola Kriege im Interesse Roms führt. In einem solchen Rahmen sind Schilderungen von Reden vor einer Entscheidungsschlacht eine übliche Praxis, der die notwendige Beschreibung des Terrains korrespondiert, die für die weiteren militärischen Aktivitäten relevant sind. Diese Bereiche ergeben sich also aus den Lebens- und Wirkungszusammenhängen Agricolas selbst und dienen allesamt der Würdigung Agricolas historischer Leistung sowie psychagogischer Führung des Rezipierenden34. Diese Würdigung ist mit einem weiteren Zug literarisiert worden: demjenigen der historischen Monographie, wie sie in den beiden großen Werken Sallusts (De Catilinae Coniuratione und Bellum Iugurthinum) maßgeblich vorgebildet ist35 und in besonderer Weise psychagogische

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Klaus Berger, „Hellenistische Gattungen im Neuen Testament“, ANRW 25.2 (Berlin/ New York 1984) 1031–1432, 1831–1885, 1232–1236. Vgl. dazu Polyb 10,21,5–8; Corn Nep Pelop 1; Plut Alex 1. Zum Zusammenhang von antiker Biographie und Geschichtsschreibung vgl. zuletzt: Guido Schepens, „Zum Verhältnis von Biographie und Geschichtsschreibung in hellenistischer Zeit“, in Erler/Schorn (eds.), Die griechische Biographie (s. Anm. 30) 335– 361. Vgl. dazu die Rede der Feldherren am mons Graupius Tac Hist 4,73f sowie die Analysen bei Wilfried Edelmaier, Tacitus und die Gegner Roms (masch.Diss., Heidelberg 1964) 63–82, sowie zuletzt: Rhiannon Ash, “Tacitus and the Battle of Mons Graupius: A Historiographical Route Map?“, in John Marincola (ed.), A Companion to Greek and Roman Historiography II (Blackwell Companions to the Ancient World, Malden [MA] 2007) 434–440. Ergänzend kann auf die erzählte Geschichte der Insel oder auf die Erzählung der Umsegelung Britanniens durch eine Kohorte germanischer Usipier verwiesen werden. Dass auch der Agricola einem derartigen utile zuzuweisen ist, wonach der Nutzen der Geschichtsschreibung auch rhetorisch zu fassen ist, zeigt das Proömium Agr 1,1– 4 hinlänglich. Die Vorbilder diesbezüglich sind zahlreich: Thuc 1,22,4; Polyb 1,1,2; 12,25d; Diod Sic 1,1,4; Sallust Jug 4,1–5; Catil 4,1f; Liv Praef 10; Tac Ann 3,65,1. Hinsichtlich der historischen Monographie zuvor bereits Coelius Antipater (FRH 11), dessen Werk allerdings nur fragmentarisch überliefert ist. Zur Sallust-Rezeption des Tacitus vgl. beispielsweise bereits Agr 1,1–4 mit Sallust Jug 4,1–5; Catil 4,1f, wobei allerdings der Rückgriff beider auf Catos Origines FRH 3 F 1,2 noch relevanter sein dürfte. Stilistisch lehnt sich Tacitus häufiger an Sallust an, so etwa bei der gehäuften Verwendung des sog. historischen Infinitivs in Agr 5,1 (noscere … nosci; vgl. ferner 19,2ff; 38,1), der an Sallust Jug 66,1 erinnert; vgl. Heubner, Kommentar (s. Anm.

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Implikationen bereithält. Bleibt schließlich der deutlich apologetische Zug am Anfang und am Ende des Werkes. Er ist unverhohlen einer Zeit geschuldet, die nicht nur hervorragende Taten vergessen hat, sondern im politischen Rahmen aufgrund des sog. Domitianerlebnisses36 zugleich das Problem aufscheinen lässt, man habe sich im Falle von Repressionen seitens Domitians zum Wegsehen hinreißen lassen. Mag man hier von der „persönliche(n) Erfahrung des erwachenden Gewissens und der Kollektivschuld“37 sprechen, es ist für Tacitus Anlass, über vergangene Helden nachzudenken und sie in das Bewusstsein der Zeit zurückzuholen. Zunächst exemplarisch an seinem Schwiegervater begründet Tacitus, weshalb jener Kampf zwischen Ehre, Freiheit und Größe einerseits und dem (wahnhaften) Prinzeps andererseits verortet werden, aus ihm begründet werden und dies auch unter schwierigen

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11) 19 sowie ferner dort 6 (zu 1,2); 10 (zu 2,2); 21 (zu 5,3) u. ö., sowie Dihle, Literatur (s. Anm. 10) 234; Gerhard Petersmann, „Der ‚Agricola‘ des Tacitus: Versuch einer Deutung“, ANRW II 33.3 (Berlin/New York 1991) 1785–1806, 1794–1800; von Albrecht, Geschichte (s. Anm. 4) 880. Gemeinhin versteht man hierunter, dass Tacitus seine grundlegenden Einschätzungen hinsichtlich des Prinzipats während der Regentschaft Domitians ausbildete. Gerade angesichts des Amtsantritts Nervas seien altgeschätzte Bedingungen geschaffen worden und hätten Tacitus nicht zuletzt dazu animiert, sich der Geschichtsschreibung zuzuwenden, weil man nun wieder sagen dürfe, was man denke (Tac Hist 1,1,4). Hier wird man auch die sehr selbstkritischen Töne zu nennen haben, die das Schweigen in bedrängender Zeit zum Gegenstand haben (Agr 3,2f). Gerade dieses ‚Schuldeingeständnis‘ beleuchtet jenes Domitianerlebnis im rückwärtigen Blick. Es ist für Tacitus Anlass, die weitere Geschichtsschreibung programmatisch ins Auge zu fassen, wobei in Hist 1,1,3 deutlich wird, er wolle die Zeit literarisch bewältigen. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die 15-jährige Herrschaft Domitians ein Schweigen über jene Werte aufzwang, die Rom einst stark gemacht hatte und die Tacitus durch den Prinzipat (Domitian) gefährdet sieht. Gegen Michael Brinkmann, Seneca in den Annalen des Tacitus (masch.Diss., Bonn 2002) 45 Anm. 151; zutreffend Andreas Mehl, Römische Geschichtsschreibung. Grundlagen und Entwicklung, Eine Einführung (Stuttgart/Berlin/Köln 2001) 123, und Walter Perné, De filiis filiabusque Germanici Iulii Caesaris e litteris, testimoniis epigraphicis, nummis demonstrata. Quellensammlung und biographische Auswertung (masch.Diss., Wien 2006) 10f. Schließlich das Fazit bei Turner, “Approaches” (s. Anm. 29) 592: „It often seems to be overlooked that, in many respects, Tacitus is just as much a product of the vibrant literary culture of the late Flavian period, which produced Quintilian, Statius and Martial, as also are Pliny and (most probably) Juvenal, and that his decision not to publish openly during this period, beyond what may have been necessary for political survival, stems not as much from relative literary immaturity as from total abhorrence at Domitian’s regime.“ – Das Domitian-Bild Tacitus’ ist freilich Gegenstand intensiver und kontroverser Arbeiten; vgl. dazu beispielsweise: Nesselhauf, „Tacitus“ (s. Anm. 26) 219–251; Ralf Urban, Historische Untersuchungen zum Domitianbild des Tacitus (Diss.masch., München 1971); Siegmar Doepp, „Tacitus’ Darstellung in cap. 39–43 des Agricola“, Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 11 (1985) 151–167; Alfons Städele, „Tacitus über Agricola und Domitian (Agr. 39–43)“, Gym. 95 (1988) 222–235; Christiana Urner, Kaiser Domitian im Urteil antiker literarischer Quellen und moderner Forschung (masch.Diss., Augsburg 1993). Von Albrecht, Geschichte (s. Anm. 4) 897.

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Bedingungen als ein aussichtsreiches Unterfangen aufgezeigt werden muss, wenn die menschliches Handeln unterstützenden Motive als wert-volle (!) auch für die Zukunft38 benennbar sind: Dies leistet Tacitus apologetisch dahingehend, dass er auf altrömische Einsichten vom Schlage eines Sallust zurückgreift und sie in die veränderte Zeit einordnet. Gleichzeitig tritt zur traditionsgeschichtlichen Verknüpfung diejenige der philosophisch vermittelten und im taciteischen Sinne adaptierten Wertevermittlung hinzu39. Die Amalgamierung gerade dieser unterschiedlichen gattungsgeschichtlichen Aspekte40 dient dazu, die virtusgeleitete vita des Agricola der Vergessenheit zu entreißen und sie Verunsicherten leuchtend und durchaus mit konsolatorischen Zügen vor Augen zu stellen und somit individualisierte Problemlösungsstrategien bereitzustellen41 (vgl. Agr 1,1ff; 43,1ff). Nun sollen einige Beobachtungen zur Disposition erfolgen, ehe, zusammen mit den Erwägungen zur Eigenart der Schrift (s. o.), das Kommunikat in den Mittelpunkt gerückt werden soll. Eine vielfach verwendete Disposition lautet42:

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Diese doppelte Perspektive – rückblickend auf die Zeit Domitians und vorausblickend auf die Zeit Trajans – ist demnach nicht alternativ zu verstehen, sondern hermeneutisch in der Anlage des Agricola überhaupt angelegt. Zur Perspektive in die Zeit Trajans vgl. die Analyse politischer Parameter, die sich aus der Lektüre des Agricola ergeben bei Karl-Heinz Schwarte, „Trajans Regierungsbeginn und der Agricola des Tacitus“, BoJ 189 (1979) 139–175: Offenbar sollte der Agricola der publizistischen Unterstützung Trajans bei der Abwehr aller auf die Kontinuität zur Herrschaft Domitians zielenden Gegenströmungen dienen. Die Parteinahme für Trajan gründete auf dem Bewusstsein der Schwäche des eigenen Standes und der eigenen Person gegenüber dem Prinzipat. Grundlegend hierfür: Meinolf Vielberg, Pflichten, Werte, Ideale. Eine Untersuchung zu den Wertvorstellungen des Tacitus (Hermes.E 52, Stuttgart 1987). Insoweit ist dem vermittelnden Versuch von Steinmetz, „Form“ (s. Anm. 29) 140, zuzustimmen, wonach sich die gattungsgeschichtlich einzelnen Beobachtungen nur aus der Gesamtanlage des Opus selbst und des zugrunde liegenden Materials mit dessen Kommunikat erhellen lassen und somit eine Synthese anzustreben ist: „Tacitus empfindet den ‚Agricola‘ als eine enkomiastische Biographie, deren Ziel es ist, in der Darstellung des Lebens die spezifischen Leistungen des Helden zu würdigen. Da es sich aber um die Würdigung eines Mannes handelt, der politisch tätig gewesen ist, ist das Werk ganz im Sinne der römischen Tradition dieser Gattung auch eine politische Schrift. Als solche kann sie Kritik, Rechtfertigung und Bekenntnis enthalten. Insofern die Würdigung eine große Leistung der Nachwelt überliefert, insofern sie der Forderung der Historiographie nach Wahrheit sich fügen will, ist sie zugleich auch eine historische Monographie.“ Die Analyse taciteischer Geschichtsschreibung unter dem Aspekt der Personalisierung ist mit dem Namen Ronald Syme, Tacitus I.II (Oxford 1958) 526, verbunden: „Tacitus writes history with the accent upon personality“. Vgl. dazu Edelmaier, Tacitus (s. Anm. 33) 11–24 (jedoch nur bis § 30 [CalgacusRede]); Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 5.34.46.59.112.123, wobei allerdings § 4–9 nicht sequenziert worden sind; von Albrecht, Geschichte (s. Anm. 4) 873 (nur § 39–46 ist zusammengefasst).

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1–3

Programmatische Vorbemerkungen

4–9

Mores und virtutes des Agricola (40–77 n. Chr.)

10–12

Beschreibung von Land und Leuten der Britannier

13–17

Rückblick auf die Eroberung Britanniens durch Rom vor Agricola

18–38

Die 7-jährige Statthalterschaft des Agricola (77–83 n. Chr.)43

39–42

Abberufung Agricolas und letzte Ereignisse in Rom (85–93 n. Chr.)

43–46

Epilog mit consolatio

Ein Blick auf diese Disposition zeigt zunächst die auffällige Technik der Zeitraffung in § 13–17 bzw. diejenige der Zeitdehnung in § 18–38. Ist in § 13f.16f die Zeit von Caesar bis zu den Flaviern (55 v. Chr. bis 77 n. Chr.) und somit immerhin ein Zeitraum von 131 Jahren dargestellt44 – § 15 enthält die Anklage der Provinzialen gegen röm. Herrschaft45 –, dann dienen diese Passagen dazu, knapp die Voraussetzungen für die Leistung Agricolas zu benennen. Immerhin um das 4-Fache gedehnt stellt Tacitus dar, wie Agricola in siebenjähriger Statthalterschaft Maßnahmen und Aufgaben der Vorgänger souverän und weitblickend in veränderter Zeit zum Ziel führt46. 2.2.2 Das Kommunikat der taciteischen Schrift außerhalb der Reden Was anhand der eingangs beschriebenen Eigenart wie auch der Disposition angeklungen ist, greift Tacitus gleich zu Beginn seiner Schrift auf, indem er drei für seine Darstellung wesentliche Werte benennt47: virtus, modestia und libertas. Alle drei Begriffe kommen relativ häufig vor und bilden vom statistischen Befund jene Semantik, die im Weiteren ge43

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Im Einzelnen ist diese Passage in folgende Sequenzen zu unterteilen: Sommer 77: Agr 18,1–19,4; Sommer 78: Agr 20,1–21,2; Sommer 79: Agr 22,1–4; Sommer 80: Agr 23; Sommer 81: Agr 24,1–3; Sommer 82: Agr 25,1–27,3; Sommer 83: Agr 29,1– 38,4. Eine konkrete Bestimmung der Verhältnisse illustriert die Sachlage: § 13f.16f sind bei gut 32 Druckseiten der Textausgabe ein Umfang von 7,813%. Derselbe Wert ist für die § 10–12 zu veranschlagen, die Land und Leute der Britannier zum Gegenstand haben. Vgl. dazu Walser, Rom (s. Anm. 8) 154ff. Vgl. Agr 24,1 → 25f. Zur Analyse des Proömiums vgl. Karl Büchner, „Das Proömium zum Agricola des Tacitus“, WSt 69, FS Albin Lesky, ed. Karl Mras (Wien 1956) 321–343, bes. 322–341, der jedoch noch sehr stark unter dem Eindruck der einseitigen Bestimmung der gattungsgeschichtlichen Verortung steht.

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nauer beachtet werden soll48. In Agr 1,4 greift Tacitus auf das Phänomen der virtus als Gegenstand seiner programmatischen Darlegungen zurück, sind doch die bereits skizzierten politischen Umstände gleich schrecklichen und bedrohlichen Zeiten (saeva et infesta tempora; vgl. Hist 1,2,349). Wie sehr hierin aber das gewiss näherhin zu konkretisierende Kommunikat besteht, zeigt sich daran, dass am Ende des Agricola dieses Stichwort wieder aufgenommen wird und mit den Stichworten ‚Fleiß‘ (industria), ‚Gehorsam‘ (obsequium), ‚Bescheidenheit‘ (modestia) und ‚Energie‘ (vigor) verbunden wird (Agr 42,4)50: Diese Werte erinnern an Cato und Caesar51 und konkretisieren gleichsam, was virtus in konkreten Rahmenbedingungen bedeutet, nämlich keine stoische Radikalopposition, sondern eine, die die Realitäten akzeptiert und von idealisierten Vorstellungen eines unpolitisch agierenden Stoikers abrückt52. 48

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Zu den Belegen im Agr: – virtu*: 1,1; 1,2; 1,3; 1,4; 4,1; 8,2; 8,3; 9,5 (bis); 11,5; 15,5; 17,3; 23,1; 27,1; 27,3; 29,4; 31,4; 32,1; 33,2; 33,4; 37,4; 39,3; 40,4; 41,1; 41,4; 44,3; 46,1; – moderat*: 5,1; 7,6; 42,4; modest*: 20,2; 30,5; 42,5; modu*: 4,5; (die drei Derivate fasse ich hier zusammen); – liberta*: 2,2; 2,3; 3,1; 11,5; 24,3; 30,1; 30,4; 31,5; 32,4; 42,5. In diesen Zusammenhang gehören auch die Hinweise auf folgende semantische Felder, die diese Trias illustrieren und weiterführen: – humanit*: 21,3; – glori*: 4,5; 5,4 (bis); 8,2; 8,3; 23,1; 26,3; 31,5; 32,1; 39,3; 41,2; 41,4; 44,3; – comit*: 2,2; 4,3; 9,6; 16,4; 40,4; – obsequi*: 8,1; 8,3; 30,5; 42,5; – vigo*: 41,3; 42,5; – industri*: 42,5. Zum Wertediskurs im Rahmen der modernen Altertumswissenschaft vgl. die Belege bei Lang, Kunst (s. Anm. 3) 124f Anm. 107, sowie die Gesamtdarstellung bei Karl Christ, Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart (München 2006) 58–94 (Positionen im Rahmen der NS-Diktatur). Zum stoischen Hintergrund der Vorstellung von modestia bzw. moderatio vgl. bes. Cic Tusc 3,16 (definitorische Erklärung von modestia, moderatio, temperantia mittels swfrosuvnh/swvfrwn), ferner: Cic Sest 88 (Zusammenhang von moderatio und constantia); Liv 6,25,6 (Zusammenhang von moderatio und gloria); Cic Phil 2,10 (Zusammenhang von modestia und moderatio im Rahmen rhetorischer Darlegungen); Sallust Catil 11,4 (Zusammenhang von modestia und modus); Liv 4,52,1 (Zusammenhang von modestia und quies). Tugend gilt als sicherster Weg ins Verderben (ob virtutes certissimum exitium). Vgl. dazu den sentenzhaften Charakter, den Roderich Kirchner, Sentenzen im Werk des Tacitus (Palingenesia 74, Stuttgart 2001) 141 mit Anm. 29, 158 mit Anm. 130, betont. Vgl. Friederike Heubner, „Tacitus’ Agricola – ein Analogon“, WZ(R) 37 (1988) 21–24, 23, sowie Fritz-Heiner Mutschler, „Caesars Kommentarien im Spannungsfeld von sozialer Norm und individuellem Geltungsanspruch“, in id./Andreas Haltenhoff/ Andreas Heil (eds.), O tempora, o mores! Römische Werte und römische Literatur in den letzten Jahrzehnten der Republik (BzA 171, München/Leipzig 2003) 93–117, 101f: Misserfolge werden auf den Mangel an modestia und continentia des Einzelnen zurückgeführt, sowie id., „Geschichtsbetrachtung und Werteorientierung bei Nepos und Sallust“, ibid., 259–285, 272, der auf eine Liste von Tugenden hinsichtlich Agesilaus’ hinweist, die Nepos bei großen Feldherrn vermisse und nachtrage, wodurch „Agesilaus sich in der Beschreibung des Nepos geradezu als Musterrömer präsentiert“. Insoweit ist der Rückblick des Tacitus auf die Republik keiner, der darauf blickt, diese wiederherstellen zu wollen; Geiser, Personendarstellung (s. Anm. 13) 145, zeichnet anhand von Corbulos Tacitus’ Antinomie mit folgenden Worten: „ein Festhalten an den Wertvorstellungen der Republik und ein Verklären der ‚alten Zeit‘ auf der einen Seite und die Anerkennung des letztlichen Scheiterns der Republik und der politischen Notwendigkeit des Prinzipats, verbunden mit einem Sich-Fügen in die Ge-

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Gerade diese genannten Werte lassen Agricola zu einem Vorbild für Römer werden, weil der Tatbestand, nicht mehr hinter den Prinzipat zurück und in die Republik gelangen zu können, unverrückbar ist. Die Paradoxie wird somit provoziert, wonach der bonus dux seine in Kampf und Heerführung erworbene gloria verschweigt, so dass er als ‚UnRömer‘ erscheinen, gleichzeitig aber gerade darin als der ‚VorzeigeRömer‘ der flavischen Zeit gelten kann. Aus dieser Paradoxie heraus erwächst dem Prinzeps jedoch jene ‚gefährliche Opposition‘ (vgl. Agr 41,4)53, die etwa bei Vespasian erst nach beherztem Machtstreben zum Erfolg geführt hatte54. Eine solche Paradoxie ist allerdings nicht allgemein einsichtig und verständlich, was sich an der völligen Fehleinschätzung Domitians hinsichtlich des Testaments Agricolas zeigen lässt55: Ein guter Vater beschenke nur einen schlechten Fürst (Agr 43,4). Wenn sich demnach virtus in den genannten Aspekten (obsequium, industria, modestia, vigor) auch in schwierigen Zeiten realisieren lässt, dann bleibt das Ziel noch unklar: Es sind solche – das verdeutlicht der Zusammenhang Agr 42,4 hinlänglich –, die „durch einen auf Eindruck berechneten Tod berühmt geworden sind“56. Ein solcher Tod besitzt aber keinen usus für die res publica, ist demnach ausschließlich dem Egoismus und Subjektivismus verhaftet. Der Rückverweis von hier erneut auf den Anfang ist evident: Schweigend sah Tacitus zu, wie andere, geschätzte Weggefährten während der 15-jährigen Regentschaft Domitians57 gewaltsam ums Leben kamen und dieses Schweigen zum Mantel des Vergessens zu werden droht (Agr 2,2; 3,2).

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gebenheiten, auf der anderen Seite.“ Vgl. auch Mehl, Geschichtsschreibung (s. Anm. 36) 130. Im Hintergrund steht hier das Modell des optimus dux im Gewand von Vergils Aeneas: Markus Schauer, Aeneas dux in Vergils Aeneis. Eine literarische Fiktion in augusteischer Zeit (Zet. 128, München 2007). Jedoch ist eine politische Färbung dieses Modells nicht ersichtlich: „Aeneas wird nicht als homo politicus dargestellt“ (262). Welche Gedanken Aeneas bewegten, erfahre der Leser nicht: „Das ergibt eine Projektionsfläche für identifikatorisches Lesen.“ (Ibid.) Vespasian hatte zunächst lange gezögert, Nero zu entmachten und selbst die Herrschaft an sich zu reißen, war dann aber auf Anraten seiner Freunde entsprechend planend und zielstrebig vorgegangen. Hinsichtlich Agricola heißt das natürlich nicht, dass Tacitus der Meinung gewesen sei, Agricola habe letztlich diesen richtigen Moment verpasst, Nero zu entmachten; vgl. dazu Geiser, Personendarstellung (s. Anm. 13) 148. Man sicherte mit diesem Verfahren das Erbe wenigstens zu Teilen. Dieses war unter einem schlechten Kaiser nicht sicher. Ein solches Testament wurde vom Kaiser nicht immer akzeptiert; vgl. Ann 2,48,21. Auch Domitian muss wohl anfangs ein solches Erbe abgelehnt haben: Suet Dom 12. Belege bei Rudolf Güngerich, Kommentar zum Dialogus des Tacitus. Aus dem Nachlass herausgegeben von Heinz Heubner (Göttingen 1980) 56f (zu Dial 13,6), sowie Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 126. Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 123, als Übersetzung der kurzen taciteischen Phrase ambitiosa morte inclaruerunt und das dort genannte Material zur Stilistik. 13.9.81–18.9.96.

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In diesem Zusammenhang lässt sich eine kritische Position gegenüber stoischer Opposition erkennen, die keinen usus für die res publica bereitstellt: Tacitus betont aber für Agricola das eifrige Philosophiestudium. Agricolas Mutter, Iulia Procilla, hat nun allerdings die aus taciteischer Sicht notwendige Korrektur dieses Eifers in Gestalt der modestia eingefügt (Agr 4,3), denn sie hielt ihn in Grenzen (coercuisset), ehe seine ratio später selbst „aus den philosophischen Studien den Sinn für Maß“58 (ex sapientia modum) formte. Was im Kontext des Gesagten als Vorsicht und Zauderei gewertet werden und sogar im Verrat philosophischer Grundsätze ihren stärksten Ausdruck finden kann59, ist für Tacitus geradezu ein überlebensnotwendiger und staatsdienlicher Charakterzug. Wenn sich in virtus, wie Friederike Heubner betont, „die tatkräftige, entbehrungsreiche, unbeugsame Haltung des römischen Bürgers“60 zeigt, scheint diese Haltung durch das Zentral-Thema modestia ins Paradox überführt, lässt sich doch scheinbar der taciteische Agricola durch Domitian beugen und in seiner Tatkraft beschränken61. Beachtet man diese Zusammenhänge, realisiert sich virtus in modestia gerade nicht statisch, sondern in folgenden dynamischen Bezügen: 1) Gem. Agr 7,3 herrscht seitens Agricolas modestia im Umgang mit den Soldaten, wo z. Zt. Neros Trägheit Weisheit ist (inertia pro sapientia fuit). In gleicher Weise gilt diese Eigenschaft auch Domitian, weil Agricola den zornentbrannten Prinzeps durch kluge Mäßigung besänftigt (moderatione tamen prudentiaque Agricolae leniebatur; Agr 42,3). 2) Mit modestia ist die bereits erwähnte prudentia zu verbinden, denn Agricola besitzt eine naturalis prudentia, die ihn Soldaten wie Stan-

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Übers. Robert Feger (ed.), Publius Cornelius Tacitus, Agricola. Lateinisch/Deutsch (Stuttgart 1973) 9. Vgl. dazu auch das bei Cic Tusc 2,1; Rep 1,30 erhaltene Fragment von Ennius: es erfreute ihn mehr der Neoptolemus des Ennius: er wolle Philosophie treiben, aber wenig, denn ganz gefalle (ihm) nicht (philosophari velle, sed paucis; nam omnino haud placere). Die Argumentation würde dann wie folgt verlaufen: ein wahrhafter artifex vivendi (vgl. Sen Ep 95,7; Vit 8,3, sowie weiterhin: Ep 53,11; 117,12) kann nur dann als ein solcher gelten, wenn er die ars vivendi realisiert. Tut er dies nicht umfassend und sich im Modus des perficere auch steigernd, sind Zweifel an seiner ars vivendi angebracht und somit die Notwendigkeit, beispielsweise mit einem Freund erneut darüber nachzudenken. Dass im Übrigen in der Formulierung ex sapientia modum eine Anspielung auf das stoische modestia vorliegt, vermutet auch Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 18. Heubner, „Agricola“ (s. Anm. 51) 22. Tacitus ist hier im Traditionsgefälle Ciceros, der das Feld um modestia mit comitas, lenitas, humanitas, mansuetudo und clementia (Cic Quint fr 1,1,21: im Zusammenhang des Auftretens und Wirkens C. Octavius’) näherhin charakterisiert. Vgl. darüber hinaus auch die Zusammenhänge bei Cic Verr 2,5,115; Phil 5,40; Rep 2,27.

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desgenossen unbedenklich und gerecht (facile iusteque; Agr 9,2) beurteilen lässt (vgl. Agr 42,3). 3) Auch die Maske der Amtsgewalt (potestatis personae; Agr 9,362) bringt Agricola nicht dazu, virtus zu verletzen; müßig zu erwähnen, dass Unbescholtenheit und Uneigennützigkeit (integritatem atque abstinentiam; Agr 9,4) ihn in seinem Handeln auszeichnen. Aus diesem Geflecht heraus erwächst, was Domitian verdächtig ist, andere vielfach vergeblich oder, mit unnötigem Blutzoll begleitet, direkt anstreben: gloria (vgl. Agr 18,6). Tacitus bringt in Agr 8,2f zum Ausdruck, was strukturell gemeint ist: Der Konsular Petilius Cerialis betraut Agricola zunächst mit Aufgaben, die ihm Mühe und Gefahr (labor, discrimen) bedeuten. Was zunächst ein experimentum ist, setzt aufgrund des Gehorsams (obsequium) als die „vorbildhafte Haltung gegenüber Principat und Imperium“63 jenen Ruhm (gloria) frei, der sich gleichsam folgerichtig (praeceps) und ohne verschlungene, taktische Wege erreichen lässt (Agr 41,4), und was Tacitus eine ‚sehr lange, glorreiche Lebensbahn‘64 (longissimum aevum) nennen kann (Agr 44,3). Im konsolatorischen Schluss zieht Tacitus ein Fazit als eine Form der Ergebnissicherung, die festhalten will, weshalb Agricola ein großer Mann, ein bonus dux (Agr 39,2), und dessen Ausstrahlung beeindruckend war (Agr 44,2). In stoischen Farben wird gemalt, welches Bild von Agricola haften bleiben soll: Zunächst erfolgt auch hier der Rückgriff auf die virtus, den einzigen Grund für die vera bona65. Deshalb sind ihm auch die übermäßigen Güter keine Freude, auch wenn nach Tacitus’ Einschätzung zahlreiche zugefallen waren (Agr 44,3f). Zum stoisch gefärbten Schlussteil wird auch die Erwähnung der Fortexistenz der Seele im Jenseits zu zählen sein (Agr 46,1)66, die im Rahmen der laudatio funebris mit Agr 45,3 eröffnet wird und die im Diesseits freilich die Ak62 63 64

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Zu persona vgl. zuvor grundlegend Cic Off 1,107.115. Edelmaier, Tacitus (s. Anm. 33) 43. Zur Lebensbahn, aus der ein Mensch gerissen wird, vgl. Sen Ep 93,1, wobei hier wohl Cic de Orat 3,7 im Hintergrund steht, wie überhaupt für Agr 44,3ff dieser Bezug deutlich ist. Vgl. diesbezüglich das Material bei Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 123 (zu 43,1); 128 (zu 44,4); 130 (zu 45,1); 134 (zu 45,3). Vgl. Hist 4,5,2. Macht, Adel, Reichtum gelten als ajdiavforon; vgl. diesbezüglich Sen Ep 94,8. Vgl. oben Anm. 19; ferner: Zum Wohnsitz der Seelen vgl. Cic Rep 6,13 (Somnium Scipionis), sowie das Material zu Seneca bei Manfred Lang, „Johanneische Abschiedsreden und Senecas Konsolationsliteratur. Wie konnte ein Römer Joh 13,31– 17,26 lesen?“, in Jörg Frey/Udo Schnelle (eds.) [unter Mitarbeit von Juliane Schlegel], Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive (WUNT 175, Tübingen 2004) 365–412, 389–394. Kritisch wird man dann der Einschätzung begegnen, wonach Tacitus „der Philosophie immer fremd“ (Büchner, „Proömium“ [s. Anm. 47] 337) gewesen sei, ohne damit freilich Tacitus zu einem Stoiker machen zu wollen.

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zeptanz des vom fatum Auferlegten zur Grundlage hat67. Daran schließt sich für die Hinterbliebenen an, wozu Tacitus selbst die literarische Grundlage schuf68, omnia facta dictaque zu erzählen und festzuhalten (Agr 46,3)69. 2.2.3 Das Kommunikat in den beiden Reden der taciteischen Schrift Solche facta dictaque wurden in der antiken Geschichtsschreibung üblicherweise auch im Rahmen von Reden erzählt und festgehalten. Sie dienten faktisch seit Homers Ilias und dessen kohärent erzählten TrojaKrieg dazu, das Kommunikat als sachlich möglicherweise gehalten „ohne Bruch der Illusion“70 darzustellen. Auch für Tacitus wird man diese Übernahme der traditionellen Sicht und Funktion des Phänomens ‚Rede in der Geschichtsschreibung‘ aufgreifen, zumal auch er in den Reden seiner großen Werke zentrale Themen seiner Geschichtsschreibung erläutert: das Adoptivkaisertum in der Galba-Rede (Hist 1,15f); die Herrscherverehrung in der Tiberius-Rede (Ann 4,37f); die Provinzialverwaltung in der Tiberius-Rede (Ann 3,69); das Thema ‚Luxus und Wirtschaft‘ im Brief des Tiberius (Ann 3,53f). Für die Analyse der beiden Reden (30–32.33f: Calgacus und Agricola vor dem Kampf am mons Graupius) wird man nicht nur das eingangs Gesagte in Betracht ziehen, sondern gleichzeitig zwei spezifische Präzisierungen zu beachten haben: 1. Röm. Expansionspolitik ist gem. Agr 21,1f nicht ausschließlich mit Gewalt, Unterdrückung und Tod zu verbinden, sondern gleichzeitig ein die Oberschicht stabilisierender Faktor der Kultur: die Erziehung der Fürstensöhne in den freien Wissenschaften (liberalibus artibus), die Förderung des Talents (ingenia) vor dem Eifer (studium), das sich im Verlangen nach der Kunst der Rhetorik (eloquentiam concupiscerent) nie67

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Vgl. dazu Sen Ep 76,23. Hier wird man wohl auch die angemessene Trauer Agricolas angesichts des Verlustes seines einjährigen Sohnes (Agr 29,1; vgl. 6,2) zu nennen haben, auch wenn Tacitus mittels fortium eine extreme, erstarrte Ataraxie-Haltung kritisiert, die etwa bei Seneca schon nicht anzutreffen ist; Cic Tusc 2,49; Val Max 5,10; zu Seneca vgl. das Material bei Lang, „Abschiedsreden“ (s. Anm. 66) 380. Das Beispielgebende wird literarisch fixiert und stellt zugleich eine Form der Trauerbewältigung dar (Sen Polyb 18,2). Vgl. dazu Hinweise und Literatur bei Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 137. Gegensätzlich ist das in Horat Carm 4,9,25–28 formuliert: „gelebt haben Helden auch vor Agamemnon / gar viele – doch sie alle sind unbeweint / und ungekannt umfangen von langer / Nacht, denn es fehlt ihnen der heilige Sänger.“ Übers. Bernhard Kytzler (ed.), Horaz, Sämtliche Gedichte (Stuttgart 1992) 233. Carlo Scardino, Gestaltung und Funktion der Reden bei Herodot und Thukydides (BzA 250, Berlin/New York 2007) 3.

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derschlägt und schließlich das Bringen der Toga, die „das offizielle Gewand des röm. Bürgers [war], das er in der Öffentlichkeit trug und das Nicht-Römern verboten war“71. Gleichwohl können diese kulturellen Errungenschaften gerade aufgrund eines sich unmäßig gebärdenden Prinzipats als Sklaverei (servitus) angesehen werden72. Diese zuletzt genannte Einschränkung leitet über zu: 2. Libertas wird stark dieser servitus gegenübergestellt und war bisher als ein wesentliches Lexem angesehen worden. Diese Gegenüberstellung eröffnet in Agr 30,1 auch die Rede des Calgacus, der darauf verweist, man sei von Sklaverei unberührt. Im Rückschluss heißt das, dass somit virtus (vgl. Agr 29,4) an jenem Ort vorhanden und auch gepflegt wird. Gerade gegen diese vorbildliche Situation geht Rom vor, sind sie doch aufgespürt worden (Agr 30,2): Rom ist am Ziel (vgl. 30,2), es bringt Versklavung, Verderben und Untergang (31,1–3). Deshalb muss man sich als letzte Bastion erheben, um für Gallien und Germanien vorbildlich hinsichtlich deren Erhebung gegen Rom zu dienen. Dabei fällt im Rahmen der so skizzierten Disposition der Rede der harte Übergang zwischen Agr 30,3 und § 4 auf: kühl berechnend, kühn abwägend, zuversichtlich einschätzend und gelassen auftretend – das sind die Merkmale für Agr 30,3. Maßlos, emotional, leidenschaftlich abrechnend – das Bild in Agr 30,4 scheint kaum vermittelbar. Einseitige negative Kennzeichnungen Calgacus’ scheinen mir hier wenig angebracht73, was sich anhand folgender Beobachtungen zeigen lässt: 1) Die Pflege eigener Werte ist möglich. Dass Calgacus hierauf zurückgreifen kann, zeigt, dass er ihr Vorhandensein positiv und stärkend in seinen Diskurs aufnehmen kann. 2) Als ein Herrscher ist er Teil jener kulturstiftenden Maßnahme, die positiv aufgenommen werden konnte, mochte man es auch als servitus ansehen74. 3) Calgacus selbst ist ein Mann, der seine Zeitgenossen an virtus überragt (Agr 29,4). Eine ausschließlich 71 72 73

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Rolf Hurschmann, Art. „Toga“, in DNP 12/1 (Stuttgart/Weimar 2002) Sp. 654f, 654. Ein Ausgleich dieser beiden Pole scheint mir im taciteischen Agricola nicht vollzogen zu sein. Es bleibt eine Unausgewogenheit. Gegen Edelmaier, Tacitus (s. Anm. 33) 30: Die „Person des Calgacus ist von Tacitus durchweg negativ gezeichnet“ (gesperrt im Original). Zu seiner aus dieser Perspektive gewonnenen Rekonstruktion des historischen Bildes von Calgacus vgl. dort 39– 41. Er gewinnt diese Sicht aufgrund der kohärenten Lektüre mit der im Anschluss geschilderten Schlacht. Jene Schilderung hält er in großen Zügen für historisch zuverlässig und grenzt sich hier gegen Walser, Rom (s. Anm. 8) 39–41, ab. Hingewiesen werden kann hier darauf, dass jenes ‚Kulturgut‘ schlechthin, pax Romana (vgl. Plinius Nat Hist 27,1,3; der Text ist als Nr. 52 auf dem Datenträger meiner Arbeit [s. Anm. 3] vorgestellt), nunmehr sehr negativ bezeichnet werden kann. Für Tacitus’ negative Einschätzung vgl. darüber hinaus Hist 4,17,2 sowie den Kommentar von Heinz Heubner, P. Cornelius Tacitus, Die Historien. Kommentar, Buch IV. Mit einem Beitrag über Vespasian in Alexandria und Sarapis von Wolfgang Fauth (WKGLS, Heidelberg 1976) 49, der auch noch auf Ann 12,33 verweist.

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negative Zeichnung würde Tacitus insgesamt in die Verlegenheit bringen, seine als positiv besetzten Werte ins negative Licht zu setzen, was wiederum mangelnde Kohärenz seines Kommunikats nach sich zöge. Sie werden gleichwohl im semantischen Feld mit weiteren Stichworten ihres uneingeschränkten Glanzes beraubt: 1) Ist in 42,4 von Agricolas obsequium ac modestia die Rede, die ihn auszeichnen, dann wird dieser Zusammenhang von Calgacus in seiner abgewogenen Argumentation in 30,3 deutlich zurückgewiesen. 2) In Agr 8,3 ist von virtus im Rahmen von Unterordnung (obsequendo) die Rede, die ihm letztlich die (ersehnte und angestrebte) gloria einträgt75. Dem steht bei Calgacus der Zusammenhang von virtus und ferocia entgegen, die in ihrem ungestümen und ungezügelten Charakter ein ‚Feind‘ der modestia, besonders aber auch der libertas76 ist, weil die „äußeren Kontrollmechanismen“77 ausgefallen sind. Hinsichtlich Agricolas Rede ist nicht damit zu rechnen, Gegensätzliches zum bisher Gesagten zu finden. Es ist vielmehr jene erwartete Rede eines bonus dux (vgl. 39,2), der erläutert, worin virtus besteht, ob sich die genannten Tugenden im Kampf bestätigen lassen und am Ende gloria zu erwarten ist. Zwei Aspekte treten jedoch in den Vordergrund: (1) Der Zeitpunkt der Bewährung im Kampf liegt im Heute. Jetzt ist die Zeit, siegen zu müssen. Jene Bewährung soll den Erweis bringen, Britannien nicht der Sage und dem Gerücht nach, sondern mit Lager und Waffen unterworfen zu haben78. Gerade dann ist nicht nur für die Soldaten (Agr 33,4f), sondern auch für Agricola die virtus erkennbar, die sich bei ihm selbst in fides und opera kundgibt. Das eigene Leben achtet 75

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Auch der Hinweis auf die bereits genannte Stelle aus Agr 29,1 spiegelt virtus: Das Ertragen des Unvermeidlichen, des Todes seines Sohnes, der ihn im Rahmen ‚therapeutischer Maßnahmen‘ zurück zu den staatsdienlichen Geschäften bringt: Krieg gegen die Feinde Roms. Vgl. dazu Agr 11,4: „Doch zeigen die Britannier mehr Wildheit (plus ferociae Britanni), weil ja noch keine lange Friedenszeit sie verweichlicht hat (emollierit); denn auch die Gallier haben sich einst im Kriege hervorgetan, wie wir vernommen haben; später drang mit der Muße Erschlaffung ein (mox segnitia cum otio intravit), und sie verloren mit der Tapferkeit auch die Freiheit (amissa virtute pariter ac libertate).“ Übers. Feger, Tacitus (s. Anm. 58) 19. Vielberg, Pflichten (s. Anm. 39) 162. Zum Zusammenhang von libertas und ferocia: „Während libertas eine erworbene Verhaltensdisposition ist, die auf Selbsterziehung beruht und, da sie Mut und Konsequenz voraussetzt, eine rationale Kontrolle der Affekte erfordert, handelt es sich bei der ferocia um eine durch Vererbung weitergegebene Anlage. Diese Anlage kommt dann zum Tragen, wenn äußere oder innere Kontrollmechanismen fehlen, versagen oder abgebaut werden und damit auch eine rationale Kontrolle der Affekte entfällt“ (ibid.). Stilistisch fällt auf, dass Tacitus hier fama nec rumore der Wendung castris et armis entgegensetzt. Reiches Material zur Stelle bietet Heubner, Kommentar (s. Anm. 11) 98. Es bleibt unter historischen Gesichtspunkten jedoch festzuhalten, dass diese Formulierung hyperbolisch klingt, war doch die röm. Armee über Südschottland nie hinausgekommen.

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Agricola wenig, weil ein ehrenhafter Tod besser als ein Leben in Schmach sei. Deshalb bringt es Agricola auch nicht geringen Ruhm ein, just am Ende der (röm.) Welt zu fallen (vgl. Agr 33,6). (2) Mit diesem Gedanken ist ein weiterer Aspekt genannt, der die gloria dem nackten Überleben entgegenstellt. Die Auflistung der exempla (Agr 34,1ff) vergangener Tage steigert die Motivation beträchtlich, weil im Kleinen zum Ausdruck kommt, was Roms Expansionspolitik insgesamt charakterisiert: Das Aufstöbern der Feinde geschieht durch Agricolas bestens ausgebildete und motivierte Soldaten. Jedoch ist der Unterschied in jenem Analogon darin begründet, eine politische Fehleinschätzung, die jene lange Dauer des Krieges provozierte, dem Heer anzulasten. Hier liegen vielmehr die Verdienste, nicht dort. 2.3 Fazit und Folgerungen Das Fazit und die sich daraus ableitbaren Folgerungen des ersten Abschnitts sollen thesenartig erfolgen: 1. Nicht einzig eine graue und düstere Zeit herrscht, die keine Möglichkeiten zur Ausbildung einer Lebenskunst bietet. Vielmehr treten u.a. literarische und soziologische Perspektiven in den Blick, die als positive Signale einer neuen Zeit gewertet werden können. 2. Tacitus entwickelt eine personalisierte Problemlösungsstrategie, wie virtus in unsicherer Zeit zu realisieren ist. 2.1 Hinsichtlich der Gattungsfrage ist die uneinheitliche Zuweisung programmatisch und der Formulierung eines psychagogisch wirksamen Kommunikates dienlich: Die antike Biographie dient zur Darstellung eines Lebensbildes, das im konkreten geschichtlichen Bezug agiert; die Anleihen aus der Ethnographie werden besonders hinsichtlich der laudatio funebris aufgegriffen; die konsolatorischen Bemerkungen ermöglichen die Erinnerung (memoria) über den Tod hinaus für die Ausbildung einer ‚ars vivendi‘; die Anleihen an die (röm.) Geschichtsschreibung sichern den Charakter des kollektiven Gedächtnisses, das für die Ausbildung lebensgeschichtlicher Kohärenz vonnöten ist. 2.2 Besagte memoria als Garant für Gewissen und Meinung der Zeitgenossen ermöglicht die Ausbildung der virtus, die in der Gestaltung von modestia und libertas verläuft. Dabei widerstrebt Tacitus einer Radikalopposition stoischen Zuschnitts und redet einer lebenswirklichen modestia das Wort, weil von Märtyrern kein utile für die res publica zu erwarten ist. An deren Seite treten altrömische Vor-

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stellungen von ‚Fleiß‘, ‚Gehorsam‘, ‚Energie‘, wie sie bei Cato und Cicero vorgebildet sind. Gefährliche Oppositionen werden mit Verweis auf dynamisch zu realisierende virtus abgelehnt. Jene richtet sich auf die Heeresverwaltung, -führung bis hin zur potestas und gestattet somit einen Rückblick auf die persona selbst. Die lange, glorreiche Lebensbahn ist deshalb folgerichtig und Ausdruck eines bonus dux. 2.3 Bedingte Anerkennung dieser Darstellung erfolgt in der Rede des Calgacus. Dabei wird das Bild differenziert, weil der die Oberschicht stabilisierende Faktor der röm. Kultur, der General, das Talent und die röm. Toga brachte. Gleichzeitig wird in bekannter Romkritik die Expansionspolitik prägnant abgelehnt und libertas der servitus entgegengestellt. Mangelnde Unterordnung, die mit Bescheidenheit einherginge, fehlt und gefährdet nicht nur gloria, sondern schädigt das virtus-Verständnis.

3. Die Apostelgeschichte und das lukanische Paulusbild 3.1 Eigenart und Disposition der Apostelgeschichte Setzt man die allgemeine wie die auf den taciteischen Agricola konkretisierte kulturhistorische Signatur für die Situation der Abfassung der Apostelgeschichte voraus79, dann sollen auch hier einige Beobachtun79

Als Abfassungszeit setze ich ca. 90–100 n. Chr. voraus: Ingo Broer, Einleitung in das Neue Testament, vol. I.II (Darmstadt 2006) 156; Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830, Göttingen 62007) 305 (mit Anm. 2 für weitere Positionen); darüber hinaus: Raymond E. Brown, An Introduction to the New Testament (AncBRL, New York/London/Toronto/Sydney/Auckland 1997) 274 (85 n. Chr. ± 5/10 Jahre); Charles Kingsley Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, vol. II: Introduction and Commentary on Acts XV–XXVIII (ICC, Edinburgh 1998) xliii (späte 80er/Anfang 90er Jahre); Allen Brent, The Imperial Cult and the Development of Church Order. Concepts and Images of Authority in Paganism and Early Christianity before the Age of Cyprian (SVigChr 45, Leiden/Boston/Köln 1999) 73 (nach Nero, vor Domitian „of about 85 A.D.”); Detlev Dormeyer/Florencio Galindo, Die Apostelgeschichte. Ein Kommentar für die Praxis (Stuttgart 2003) 16 (vor der Christenverfolgung [90 n. Chr.]); Dietrich Rusam, „Die Apostelgeschichte“, in Martin Ebner/Stefan Schreiber (eds.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6, Stuttgart 2008) 229–249, 240 („zwischen 80 und 90 n. Chr.“). – Die Apostelgeschichte als Folge-Werk nach dem LkEv, das wiederum „in den Anfang der 80er Jahre des 1. Jahrhunderts“ (Michael Wolter, Das Lukasevangelium [HNT 5, Tübingen 2008] 10) zu datieren ist. – Eine ‚gemäßigte Frühdatierung‘ in die letzten 70er/Anfang 80er Jahre vertritt Ben Witherington III, The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary (Grand Rapids [MI]/Cambridge 1998) 62. Gerade der von ihm selbst notierte Hinweis auf Tac Agr 2 macht diese Datierung m. E. eher unwahrscheinlich. Vgl. insgesamt die 69 Autoren umfassende Liste bei Colin J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, ed. Conrad H.

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gen zu Eigenart und Disposition mit dessen Kommunikat zugespitzt auf das Bild des luk. Paulus benannt werden. Zunächst auch hier zur literarischen Eigenart: Zu einem Konsens scheint die Ansicht zu zählen, wonach die Apostelgeschichte einer historischen Monographie zuzuweisen sei80: Neben den Kommentaren und Einleitungen sind diesbezüglich zuletzt vor allem Rainer Riesner81 und Bernhard Heininger82 zu nennen. Ihre Material-Basis findet sich vor allem in Plutarchs vitae parallelae83 und in den jüngeren Texten des Diogenes Laertius84. Auch wenn diese Einschät-

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Gempf (WUNT 49, Tübingen 1989) 367–370, die von 57–59 n. Chr. bis 135 n. Chr. reicht, und zuletzt den 133 Positionen umfassenden Überblick bei Richard I. Pervo, Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists (Santa Rose [CA] 2006) 359–363; zur Diskussion zuletzt: Darrell L. Bock, Acts (BECNT, Grand Rapids [MI] 2007) 25– 27, der die Datierung „after AD 70“ (27) favorisiert. – Eine ‚Spätdatierung’ vertritt zuletzt besonders Pervo, Dating Acts, 26: „Acts cannot be later than c. 150; c. 130 is not improbable”, wobei näherhin nach Abwägung aller weiteren Argumente (309– 346) „115 is therefore the most probable date” (346); ähnlich Mikeal C. Parsons, Acts (PAIDEIA Commentaries on the New Testament, Grand Rapids [MI] 2008) 16f („at about AD 110” [117]). So beispielsweise Eckhard Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte (StUNT 9, Göttingen 1972) 8f.10f; rezipiert bei Darryl W. Palmer, “Acts and the Ancient Historical Monograph“, in Bruce W. Winter/Andrew D. Clarke (eds.), The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting (BAFCS 1, Grand Rapids 1993) 1– 29, bes. 4–14.26–29; Detlef Dormeyer, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung (Darmstadt 1993) 228 („pathetische Geschichtsschreibung mit dramatischem Episodenstil in Parallele zum Zweiten Makkabäerbuch“; dort weitere Forschungspositionen), Rainer Riesner, „Das lukanische Doppelwerk und die antike Biographie“, in Detlev Dormeyer/Herbert Mölle/Thomas Ruster (eds.), Lebensgeschichte und Religion (Religion und Biographie 1, Münster/Hamburg/ London 2000) 131–144, 131–137 (kurzer forschungsgeschichtlicher Abriss); zuletzt Gerd Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem (AWH.PH 40, Heidelberg 2007) 252, mit der wenig präzisen Einschätzung, die Apostelgeschichte sei „eine volkstümliche Geschichtsschreibung mit Abstand zur großen Literatur“ (vgl. 253: Apostelgeschichte als „historische Monographie“); vgl. auch J. Bradley Chance, Acts (Smyth and Helwys Bible Commentary, Macon [GE] 2007) 15 („purports to be history“). – Wenn ich selbst im Rahmen rezeptionsästhetischer Bemühungen auf diese Gattung zurückgriff (Kunst [s. Anm. 3] 30f.114f), so stellte dies den pragmatischen Rahmen für die Analyse der röm. Anthropologie dar, die diesbezüglich die Voraussetzung für das sallustische Kommunikat bildete. „Doppelwerk“ (s. Anm. 80) bes. 138–142. „Das Paulusbild der Apostelgeschichte und die antike Biographie“, in Erler/Schorn (eds.), Die griechische Biographie (s. Anm. 30) 407–429. Mathis-Christian Holzbach, Plutarch: Galba-Otho und die Apostelgeschichte – ein Gattungsvergleich (Religion und Biographie 14, Münster/Hamburg/Berlin/Wien/London 2006) bes. 218–295 (biographische Geschichtsschreibung). Zuletzt Heininger, „Paulusbild“ (s. Anm. 82) 419–423. Das Hauptproblem besteht freilich darin, dass die klassische Synkrisis nirgends zu finden ist und selbst solche Passagen konstruiert werden müssen und von Lukas nicht expressis verbis vorgenommen und bewertet werden. Ferner bleibt die Funktion etwa des Stephanus unberücksichtigt. Vgl. dazu Richard A. Burridge, What are the Gospels? A Comparison with Graeco-Roman Biography (The Biblical Resource Series, Grand Rapids [MI]/Cambridge 22004) 154–

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zung wichtige Züge der Apostelgeschichte benennen kann, die Schilderung beispielsweise der Romfahrt des Paulus verweist eher in die Nähe des antiken Romans. Es ist das Verdienst von Richard I. Pervo85, diese Züge für die Apostelgeschichte wie das LkEv geltend gemacht zu haben, ohne gleichwohl die Apostelgeschichte zu einem Roman machen zu wollen86. Fasst man das luk. Paulusbild im Zusammenhang einer historischen Monographie, dann wird man freilich Züge vermissen, die etwa in Anlehnung an Tac Agr 44,2 die Physiognomie des Paulus zum Gegenstand haben oder aber Geburt, Kindheit und Erziehung in Gestalt konkreter Anekdoten eigens thematisieren87. Schätzt man hingegen die Apostelgeschichte als Geschichtsschreibung insgesamt ein88,

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156 und 124–149 für die vorchristliche Zeit. Zuletzt Heininger, „Paulusbild“ (s. Anm. 82) 415–419. Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987); vgl. dazu unlängst id., Acts. A Commentary (Hermeneia, Minneapolis [MN] 2009). Kritisch dazu zuletzt Peter Seul, Rettung für alle. Die Romreise des Paulus nach Apg 27,1– 28,16 (BBB 146, Bonn 2003) 485f, der jedoch übersieht, dass nicht die möglichen Bezüge der Apostelgeschichte zur Geschichtsschreibung zur Debatte stehen, sondern die Uneinheitlichkeit der Bezugspunkte selbst das Problem der Sache ist. In diesen Zusammenhang gehört auch die Analyse von Marianne Palmer Bonz, The Past as Legacy. Luke-Acts and Ancient Epic (Minneapolis 2000) bes. 26.56–60, die die Apostelgeschichte als antikes Epos sieht. Das sieht wohl auch Heininger, „Paulusbild“ (s. Anm. 82) 425, am Schluss seiner Ausführungen, ohne dabei allerdings Konsequenzen für seine Vorschläge zur Gattungsbestimmung zu ziehen. Diesen Gedanken wird man auch gegen die Vergleiche mit den plutarchischen vitae parallelae vorbringen: Apg 22,3 spricht hier nicht dagegen, weil die frühe Zeit des luk. Paulus nicht eigens Gegenstand der Überlegungen ist. Im Übrigen wird man hinsichtlich der Einschätzung einer ‚antiken Biographie‘ immer noch die Einschätzung von Arnaldo Momigliano zu beachten haben, wonach jene prägnant als „account of the life of a man from birth to death“ (Arnaldo Momigliano, The Development of Greek Biography. Four Lectures [Cambridge/Mass. 1971] 11) zu charakterisieren sei. So beispielsweise David Aune, The New Testament in its Literary Environment (Philadelphia 1987) 77–157; Witherington, Acts (s. Anm. 79) 39: Nähe zu „Greek historiographic works in form and method and general arrangement of material, as well as some similarities to Hellenized Jewish historiography in content and general apologetic aims“. Dort (2–39) die detaillierte Diskussion weiterer Diskussionsbeiträge. Zuletzt: Jens Schröter, „Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte“, in Eve-Marie Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin/New York 2005) 237–262. Vgl. insgesamt zur Thematik der Apostelgeschichte als Geschichtsschreibung zuletzt den Überblick bei Jens Schröter, „Actaforschung seit 1982. III. Die Apostelgeschichte als Teil des lukanischen Doppelwerkes“, ThR 72 (2007) 383–419, 402–419; Bock, Acts (s. Anm. 79) 12 („a piece of Hellenist and Jewish historiography“); sowie Dormeyer (in diesem Band) und zuletzt: Detlef Ziegler, Dionysos in der Apostelgeschichte – eine intertextuelle Lektüre (Religion und Biographie 18, Münster 2008) 135; zu Holzbach vgl. Anm. 83. – Als Spezifizierung wird man die These ansehen, die einen spezifisch apologetischen Zug vermutet und den jüdischhellenistischen Horizont in den Blick nimmt: Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography (NT.S 64, Leiden/New

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wird etwa der fehlende Block über die Beschreibung von Land und Leuten – sei es des jüd. Mutterbodens etwa in Gestalt Jerusalems, oder aber des hellenischen Ephesus, Athen oder aber des südlichen Kleinasiens – auffallen und zur Vorsicht mahnen. Vergegenwärtigt man sich die particula veri eines jeden genannten Versuchs der Gattungsbestimmung, wird man Beverly Roberts Gaventas Vorschlag folgen, einseitige Zuweisungen zu einer Gattung zu vermeiden89. Gerade darin dürfte die vielfach notierte Wirkung des Lukas als ‚erzählender Maler‘90 zu sehen sein, der seinem Kommunikat gerade dadurch besondere Ausdruckskraft verleiht. Dass mit einer solchen Verschiebung der Gattungsfrage diese in ihren Aspekten nicht obsolet wird, sollte klar sein. Sie wird jedoch in ihrer Eindeutigkeit relativiert und dem Kommunikat deutlich untergeordnet. Das lässt sich anhand Quintilians Einschätzung der Geschichtsschreibung ersehen, die er im 10. Buch programmatisch darlegt. Er rückt die Geschichtsschreibung (historia) in die Nähe der Dichtung und erwartet von ihr, dass sie erzählt, nicht beweist (scribitur ad narrandum, non ad probandum; Inst Orat 10,1,3191): Lukas dürfte vermutlich diese Grenzüberschreitungen be-

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York/Köln 1992); vgl. dazu Knut Backhaus, „Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./Gerd Häfner (eds.), Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThSt 86, Neukirchen-Vluyn 2007) 30–66, bes. 33–35 (apologetisch-historiographische Teilmonographie); ferner Loveday Alexander, “The Acts of the Apostles as an Apologetic Text“, in Mark Edwards/Martin Goodman/Simon Price (eds.) [in Association with Christopher Rowland], Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews, and Christians (Oxford 1999) 15–44. Weitere Positionen bei Lang, Kunst (s. Anm. 3) 30f Anm. 96. Sie notiert: „features common to each of these genres appear in Acts, which means that a decision in favor of any one genre necessarily overlooks other important features of the work“. Beverly Roberts Gaventa, Acts (Abingdon New Testament Commentaries [ANTC], Nashville 2003) 58; ähnlich zurückhaltend votiert auch Parsons, Acts (s. Anm. 79) 15: “Acts represents a blending of genres”. Vgl. dazu auch Alexander J. M. Wedderburn, „Zur Frage der Gattung der Apostelgeschichte“, in Hubert Cancik/Hermann Lichtenberger/Peter Schäfer (eds.), Geschichte – Tradition – Reflexion, FS Martin Hengel, vol. III: Frühes Christentum, ed. Hermann Lichtenberger (Tübingen 1996) 303–322, 319: „Weil keine Zeitgenossen oder Nachfolger solche Acta geschrieben haben, ist sein Werk eigentlich ein Werk sui generis. Es gehört zu keiner Gattung, wenn eine Gattung per definitionem aus mehreren Werken bestehen sollte.“ Vgl. dazu Klaas Huizing, Lukas malt Christus. Ein literarisches Porträt (Düsseldorf 1996). „Auch die Geschichtsschreibung kann die Kraft des Redners mit einer Art bekömmlicher angenehmer Kraftkost nähren. Indessen müssen wir auch bei ihr die Lektüre so betreiben, daß wir uns bewußt sind, daß der Redner die meisten ihrer Vorzüge meiden muß. Denn sie steht der Dichtung am nächsten, ist gewissermaßen ein Gedicht ohne die Bindung an Verse; sie wird zum Erzählen verfaßt, nicht zum Beweisen, und alles, was in ihr dargestellt wird, gilt nicht der Rüstung zur Tat und einem gegenwärtigen Kampfgeschehen, sondern der Erinnerung der Nachwelt und dem Ruhm des begabten Erzählers.“ Übers. Helmut Rahn (ed.), Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners, vol. II (TzF 3, Darmstadt 2006) 443 (z. T. kursiv im Origi-

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wusst (?!) vorgenommen haben, weil er im finalen Charakter des i{na das Kommunikat formuliert (Lk 1,4): Hatte er dieses in seinem prw`to" lovgo" mit der Schilderung der Anfänge in Gestalt der ‚Jesus-Christus-Epoche‘ getan, dann folgt im deuvtero" lovgo" die Epoche92 der Ausbreitung – angefangen bei den Aposteln bis hin zum 13. Zeugen93, der dem Anschein nach gem. „einer biographischen Absicht“94 mit epischen Aspekten dargestellt ist. Hinsichtlich der Eigenart der Apostelgeschichte wird demnach die Uneindeutigkeit in der Gattungszuweisung deren Charakteristikum sein, die Lukas gerade darin Möglichkeiten eröffnet, das Kommunikat ohne Bindung an Gattungsgrenzen zu verdeutlichen. Dabei sind enkomiastische Züge ebenfalls erkennbar, wenn auch die Verortung entgegen der Erwartung nicht im größeren Zusammenhang von Apg 9 erfolgt, sondern im Rahmen einer Rede im letzten Drittel der Apostelgeschichte. Wesentliche Daten werden hier genannt: Herkunft, Geburt, Erziehung (je Apg 22,3)95, freilich, ohne dabei Anekdoten etwa aus Kindheit oder Jugend zu berichten. Trotzdem erschließt der Verweis auf die Erziehung, was beim taciteischen Agricola die Liebe zur Philosophie war und beim luk. Paulus mit zhlwth;" tou` novmou (vgl. Apg 21,20;

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nal). Vgl. dazu sein Lob der lat. Geschichtsschreibung, wo er Sallust dem Thukydides und Titus Livius dem Herodot gegenüberstellt. Der Grund eines solchen Vergleichs liegt in der Erzählkunst (cum in narrando; 10,1,101) jener lat. Geschichtsschreiber. Das Problem, wie die Thematik ‚Israel und die Kirche im luk. Doppelwerk‘ zu verstehen ist, mag hier auf die skizzierte Thematik reduziert sein. Vgl. dazu Reinhard von Bendemann, „Paulus und Israel in der Apostelgeschichte des Lukas“, in Klaus Wengst/Gerhard Saß (eds.) [in Zusammenarbeit mit Katja Kriener/Rainer Stuhlmann], Ja und Nein: christliche Theologie im Angesicht Israels, FS Wolfgang Schrage (Neukirchen-Vluyn 1998) 291–303 (Israel nicht epochal von der Kirche abgelöst); Michael Wolter, „Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte“, in Cilliers Breytenbach/Jens Schröter (eds.) [unter Mitwirkung von David S. du Toit], Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung, FS Eckhard Plümacher (AJEC 57, Leiden 2004) 253–284; Backhaus, „Maler“ (s. Anm. 88) passim. Diese Thematik greift freilich grundsätzlich in die Verhältnisbestimmung der beiden Werke (LkEv und Apg) ein; vgl. dazu Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19 (BZNW 133, Berlin/New York 2005) 52–54; Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 88) 237–247, sowie dessen Forschungsbericht: „Actaforschung seit 1982 IV. Israel, die Juden und das Alte Testament. Paulusrezeption“, ThR 73 (2008), 1–59, 1– 27, sowie zur Verhältnisbestimmung der beiden Werke id., „Actaforschung seit 1982 III“ (s. Anm. 88) 383–402. Vgl. dazu natürlich Christoph Burchard, Der dreizehnte Zeuge. Traditions- und kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Lukas’ Darstellung der Frühzeit des Paulus (FRLANT 103, Göttingen 1970). Jürgen Roloff, „Die Paulus-Darstellung des Lukas. Ihre geschichtlichen Voraussetzungen und ihr theologisches Ziel“, EvTh 39 (1979) 510–531, 511. Zur Verbindung von gegennhmevno", ajnateqrammevno" und pepaideumevno" vgl. Willem Cornelis van Unnik, “Tarsus or Jerusalem. The City of Paul’s Youth”, in id., Sparsa Collecta I (NT.S 29, Leiden 1973) 259–320, 272–296, sowie ferner Plat Leg 783a–b, sowie Leg 842e.

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sowie 22,3) bezeichnet ist. Eine von außen hinzutretende und jenen Eifer regulierende Größe, etwa in Gestalt der Mutter (vgl. Tac Agr 4,3), ist hingegen nirgends erwähnt. Der weitere Lebensweg jenes Paulus scheint mit diesem Stichwort vorgeprägt (vgl. Apg 22,4; 26,5.10), hätte nicht eine lebensgeschichtliche Wende diesen Eifer in neue Bahnen gelenkt. Diese Wende wird mit der Sinnlinie ‚Licht‘, ‚(auf-)blicken‘, ‚Erkenntnis‘ (Apg 22,11–15; vgl. 26,20) verdeutlicht und kennzeichnet via negationis den zuvor zurückgelegten Lebensweg antonymisch. Jedoch wird damit von Lukas nicht intendiert, dass die diachron zu erhebende Traditionsgeschichte im selben ‚Licht‘ antonymischer Lesart erscheint: Das Verkündigen des Lichts (26,20) geschieht den Juden wie den Heiden in bekannt atl. Verortung (bes. 17,26a), in stoischer Anknüpfung (bes. 17,28) und in christlichem Proprium (bes. 17,31f96). Nimmt man die konsolatorischen Züge der Rede in Milet hinzu, wird die psychagogische Dimension des dort Geschilderten deutlich: Das eigene Leben tritt angesichts des Auftrags der Ausbreitung merklich in den Hintergrund (Apg 20,24). Die Vorbild-Funktion verliert diese Person dabei keineswegs (vgl. Apg 24,1–28,10). Gerade dadurch ist in besonderer Weise das Gebiet der historischen Monographie betreten, deren erklärtes Ziel es ist, die psychagogischen Züge eines Charakters vor Augen zu stellen, wenn die Zeit des Lukas nach solchen Charakterbildern fragt97. Da Lukas sich die Ausbreitung dieser Verkündigung jener christlichen Religion zum Gegenstand gemacht hat, die sehr eng mit dem Namen Paulus von Tarsus verknüpft ist, ist es wenig überraschend, wenn er neben diese enkomiastischen Züge solche aus der Geschichtsschreibung etwa im Rahmen der Missionsreisen stellt. Werfen diese Berichte immer wieder die Frage nach der Verwendung eines Itinerars auf98, 96 97

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Zur subversiven Rezeptionsstrategie vgl. Lang, Kunst (s. Anm. 3) 252–314. Lk 1,4 scheint mir auch in dieser Hinsicht lesbar zu sein: Wer den sicheren Grund der Lehre zu erfahren sucht, kann durch andere Lehre verunsichert sein, die vertreten wird. Daneben kann aufgrund domitianischer Wirren die Suche nach dem sicheren Grund der Lehre gemeint sein. Der Gedanke wäre dann folgender: Domitian wäre die Ursache dafür, dass die Sicherheit hinsichtlich der lovgoi in Gefahr geraten ist und durch das LkEv selbst wieder hergestellt werden muss. Wird dieser Gedanke zugrunde gelegt, dann wäre aus dieser Perspektive ein Hinweis dafür gewonnen, weshalb Lukas von der ajsfavleia der lovgoi spricht und nicht von ajlhvqeia (vgl. dazu zuletzt: Wolter, Lukasevangelium [s. Anm. 79] 67f): In besonderer Weise thematisiert Tacitus im Agricola den Verlust der Sicherheit, die für seine Arbeit so entscheidend wichtig ist (Tac Agr 1,1–2,3 → 3,1–3). Vgl. dazu Loveday Alexander, “The Pauline Itinerary and the Archive of Theophanes”, in John Fotopoulos (ed.), The New Testament and Early Christian Literature in Greco-Roman Context, FS David E. Aune (NT.S 122, Leiden/Boston 2006) 151–165. Obwohl besagter Theophanes-Text erst dem 4. Jhd. entstammt, hält sie es für möglich, dass vergleichbare Corpora auch z. Zt. des Lukas existierten.

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dann bewegt sich Lukas notwendig in dieser Gattung. Mit anderen Mitteln als mit einem solchen ‚Stationenverzeichnis‘ konnte Lukas die Ausbreitung nicht schildern. Die Disposition zeigt ebenfalls – ähnlich wie die Beschreibung der Eigenart – manche Konvergenz hinsichtlich der Technik der Zeitraffung bzw. -dehnung mit dem taciteischen Agricola: Dabei umfasst die Zeit der Urgemeinde bis zu Stephanus’ Tod (Apg 1–7) den Zeitraum etwa von 30–33 n. Chr. und immerhin fast ein Drittel der gesamten Apostelgeschichte99. In Apg 11f.13 sind acht bzw. drei Jahre verhandelt, beide jedoch gerafft auf gute 10%100. Zwölf Jahre hingegen, also etwa der zeitliche Rahmen des in Kap. 1–12 Berichteten, nehmen die Kap. 15–28 ein, die aber gut die Hälfte der Apostelgeschichte darstellen101. 3.2 Das Kommunikat des lukanischen Paulus Wenn die Beobachtung luk. Eigenart zutreffend sein sollte, dass Lukas die Geschichte der Ausbreitung des Christentums erzählt, dann dürfte für Lukas dasselbe gelten, was Ronald Syme über Tacitus gesagt hatte102: Geschichte wird anhand prägender Persönlichkeiten erzählt. Anhand von Apg 16,23–40103 soll auf wesentliche Züge dieses Kommuni99 Genauer: 32,58%. 100 Jeweils: 5,62%. 101 Genauer: 50,56%. Ergänzend kann darauf verwiesen werden, dass Apg 21,17–23,35 den Zeitraum von 12 Tagen beschreiben (vgl. 24,11), während 24,1–26,32 den Zeitraum von zwei Jahren schildern. Rechnet man die Verhältnisse hinsichtlich der prägenden Personen näherhin aus, d. h., fragt man nach Aspekten der Personenkonstellation, dann sieht das Bild noch eindeutiger aus: In 61,8% der Apostelgeschichte ist von Paulus die Rede. 102 S. oben Anm. 41. 103 Der Zusammenhang der Perikope macht deutlich, dass religiöse und menschliche Wohltaten nicht zwingend Dankbarkeit hervorrufen (müssen). Wirtschaftliche Interessen kollidieren mit der Tatsache, dass befreite Menschen nicht mehr in Abhängigkeit stehen (16,19–22). – Zur Einzelexegese vgl. John Clayton Lentz, Jr., Luke’s Portrait of Paul (MSS.NTS 77, Cambridge 1993) 97–99.130–138 (rechtshistorische Perspektive: röm. Recht ließ Möglichkeiten der Bestrafung röm. Bürger aufgrund unsicherer Rechtslage zu); Brian Rapske, The Book of Acts and Paul in Roman Custody (BAFCS 3, Grand Rapids 1994) 115–134; Peter Pilhofer, Philippi I. Die erste christliche Gemeinde Europas (WUNT 87, Tübingen 1995) 152–199; Lukas Bormann, Philippi. Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus (NT.S 78, Leiden/New York/Köln 1995); Stefan Schreiber, Paulus als Wundertäter. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zur Apostelgeschichte und den authentischen Paulusbriefen (BZNW 79, Berlin/New York 1996) 83– 99; Wolfgang Reinbold, Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (FRLANT 188, Göttingen 2000) 119–129 (sowie ferner 189–192: Wirksamkeit in Gefangenschaft); Friedrich Avemarie, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte. Theologie und Geschichte (WUNT 139, Tübingen 2002) 402–412; Heike Omerzu, Der Prozess des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte (BZNW 115, Berlin/New York 2002)

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kats geachtet werden, bewährt sich doch Nachfolge dort, wo man im Kerker Lobgesänge auf Gott anstimmt (vgl. Epict Diss 2,6,26104): Die Passage Apg 16,23.24–34.35–40 ist Teil der umfangreicher berichteten Ereignisse in Philippi. Was mit dem Scharniervers 23 gesagt ist, betrifft die Inhaftierung und die Geißelung als Konsequenz der zuvor geschilderten Ereignisse (V 16–25): Inhaftierung und wunderhafte Aufhebung mit dem Bericht über die Bekehrung des Kerkermeisters (V 24–34). Ist damit der kataphorische Aspekt von V 23 in konnektiver Funktion benannt, dann kommt der anaphorische dort zum Ausdruck, wo in V 35– 40 die Freilassung legitimiert und die Misshandlung (V 22) kaschiert werden soll. Dieser Versuch wird von Paulus torpediert, indem er durch die öffentliche Begleitung der Liktoren105 eine ähnliche Situation herbeiführt, wie jene bei Plinius106 geschilderte: Wurde jenen Liktoren seinerzeit die übliche Handlung verwehrt, dass Panaitios sich vor dem Herrscher zeigt und sich somit die Wissenschaft vor dem König beugt, so ist den Liktoren hier die Möglichkeit selbstherrlichen Handelns genommen. Mit diesem Geleit beugen sie sich vor Paulus und seiner Verkündigung107. Die vorgestellte ‚Neue Religion‘108 betritt an dieser Stelle ‚neue Wege‘ (vgl. Apg 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22)109, weil sie nicht im

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111–166; John B. Weaver, Plots of Epiphany. Prison-Escape in Acts of the Apostles (BZNW 131, Berlin/New York 2004); Johann Hintermaier, Die Befreiungswunder in der Apostelgeschichte. Motiv- und formkritische Aspekte sowie literarische Funktion der wunderbaren Befreiungen in Apg 5,17–42; 12,1–23; 16,11–40 (BBB 143, Berlin/Wien 2003) 241–297. „Und alsdann werden wir Nachfolger des Sokrates sein, wenn wir im Kerker Päane schreiben können.“ Übers. R. Mücke, Epiktet. Was von ihm erhalten ist. Nach den Aufzeichnungen Arrians, Neubearb. der Übersetzung von J. G. Schulthess (Heidelberg 1926) 103. Nach einem Epigrammaton Senecas (Sen Epigr 72,7) stehen einem Präfekten einer Provinz 12 Liktoren zur Verfügung; vgl. dazu Joachim Dingel, Senecas Epigramme und andere Gedichte aus der Anthologia Latina. Ausgabe mit Übersetzung und Kommentar (WKGLS, Heidelberg 2008) 320 z. St. und dort weitere Hinweise. Vgl. dazu oben Anm. 18. Gottfried Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas (ThHNT 5, Berlin 31989) 344, sieht hier freilich eine sachliche Spannung, die zu einer Situation führt (behördliches Geleit aus dem Wachgebäude), die „aber den ganzen Aufwand nicht lohnte!“ Gemeint ist hier jenes mit Euripides zu verbindende Motiv, das mit ‚neu‘ den Gedanken einer bloßen Variation der vorfindlichen, jüd. Religion ablehnt und die Dringlichkeit subjektiver Positionierung verlangt (vgl. dazu Lang, Kunst [s. Anm. 3] 201–207; zuvor vor allem Otto Weinreich, „Türöffnung im Wunder-, Prodigien- und Zauberglauben der Antike, des Judentums und Christentums“, in id./Friedrich Focke/Johannes Mewaldt/Joseph Vogt/Karl Watzinger [eds.], Genethliakon, FS Wilhelm Schmid [TBAW 5, Stuttgart 1929] 200–341, 320–326); und zuletzt Ziegler, Dionysos (s. Anm. 88) 160–162 (162–166: Auseinandersetzung mit J. Hintermaier und E.-M. Becker sowie 12–30: Forschungsüberblick). Beachtenswert ist freilich, dass die Befreiung nicht vollends vollzogen wird, weil die Befreiten das Gefängnis gerade nicht verlassen, sondern sich weiterhin als ‚befreite Gefangene‘ gebärden. Dass diese Vorstellung der ‚Neuen Religion‘ gleichwohl diachron auf jüd. Vorstellungen zurückgreifen kann, widerspricht dieser Einschätzung nicht. Zum übertragenen Gebrauch vgl. ferner Lk 1,79; Apg 2,28; 13,10; 14,16; 16,17; 18,25f.

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Winkel der Welt (Apg 26,26) bleibt, sondern selbstbewusst neben die röm. ‚Exekutive‘ tritt. Diese ‚Neue Religion‘ zeigt mit dem sie so begleitenden Paulus und Silas einen charakteristischen Lebensstil und Erkenntnis110. Eben jener ist grundsätzlich mit swthriva (Apg 16,17) begründet und führt doppeldeutig vor, wie ‚Erhaltung‘ nicht nur des ‚inneren Wesens‘111, sondern auch des äußeren Wesens zu thematisieren ist: Ist auf Erstere angespielt, dann ist deutlich, dass sich in der wunderbaren Befreiung zeichenhaft das umfassende Heil realisiert; ist Letzteres gespiegelt, dann wird trotzig und widerborstig auf die Restitution dieser gestörten und verletzten Erhaltung verwiesen. Mit diesem zuletzt genannten Aspekt wäre eine Art Kritik am Kaiserkult verbunden, weil Liktoren als ‚Exekutive‘ der Verwaltung ihrer Funktion nicht nachkommen können. Fasst man diesen Aspekt weiter, dann kann er im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren in Apg 24,26 auf einen gewiss nicht einseitig zu fassenden größeren Rahmen des Rhemas ‚Bestechung‘ verweisen112: Wie sich Paulus nicht von röm. Verwaltung/ Exekutivorgan um eine Unschuldserklärung nach unrechtmäßiger Bestrafung bringen lässt, so lässt er sich später auch von seinem Weg der Unschuld nicht abbringen, indem er auf Bestechung verzichtet. Besonnene Reaktion ist in beiden Fällen unausgesprochen dort erkennbar, wo Paulus auf ausdrückliche Entschädigungsmaßnahmen verzichtet und ‚lediglich‘ darauf besteht113, was rechtens ist – in Apg 24,26 ist dies die Appellation an den Kaiser (Apg 25,11). Vor allem ist eine solche Reaktion in der philanthropen Dimension dort zu ersehen, wo die inhaftierten Paulus und Silas auf ihre Flucht verzichten und erneut ‚Erhaltung‘ (swthriva) sichtbar wird: diejenige der Häftlinge ist wieder hergestellt, weil sie durch das zeichenhafte Eingreifen Gottes in Gestalt des Bebens befreit wurden; diejenige des Kerkermeisters ist gestiftet, weil er dieses Wirken Gottes als den neuen Weg ansieht, der ihm aufgegeben ist zu gehen. Was hier mit der Meta110 Vgl. dazu Theogn 220; Thuc 1,122,1; Plat Resp 600a; bzw. Plat Phaedr 263b; sowie Luc Herm 24. Für den röm. Horizont: Cic Flacc 105; Sest 140; Horat Ep 1,17,26. 111 Werner Foerster, Art. swv/zw ktl. A., ThWNT VII (Stuttgart o.J.) 967–970, 968. Gerade angesichts dessen dürfte doch schwerlich überzeugend sein, wenn Ziegler, Dionysos (s. Anm. 88) 167.188–193, im Rahmen seiner typologischen Konvergenzen davon spricht, dass der neue Dionysos dem Paulus entspreche. ‚Erhaltung’ kann Paulus nicht wie ein ‚Gott’ stiften, sondern nur empfangen! Deshalb ist Osvaldo Padilla, The Speeches of Outsiders in Acts. Poetics, Theology and Historiography (MSSNTS 144, Cambridge 2008) 190, zuzustimmen (kursiv: M. L.): „The context of imprisonment, therefore, raises the expectation of the reader to be on the alert for God’s intervention.” 112 Material bei Lang, Kunst (s. Anm. 3) 370–372 und bes. Anm. 234. 113 Im Falle der Geißelung eines röm. Bürgers hätte es zur Anklage in Rom kommen können, wie das Beispiel Verres zeigt, worauf Cicero besonders hinweist: Cic Verr 2,5,161–163; vgl. auch Liv 10,9,4f (beide Texte in NW I/2 [s. Anm. 2] zu Joh 19,1 Nr. 7.8).

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pher des Weges durch einen bonus dux geschieht, wird auf einer zweiten Ebene ergänzt: Der schlafende Kerkermeister steht den singenden Häftlingen gegenüber, deren ‚Weg‘ aus dem Gefängnis ihn selbst ‚erwachen‘ lässt. In doppelter Weise ist dieser bonus dux daher tätig. Das Charakterbild ist besonders dann eindrücklich erkennbar, wenn Lukas schildert, wie sich der ‚Held des zweiten Teils seiner Darstellung‘ in Bedrängnis ähnlicher Art verhält: Schilderte Lukas den Paulus in Apg 16 als sprichwörtlich gefangen, dann ist nicht verwunderlich, dass eine gefährliche Seefahrt mit einem ähnlich metaphorischen Sinn geschildert wird114 (Apg 27,1–44). Der sich in den Stürmen des Lebens zu bewährende Weise zeigt Verhaltensmuster, die auf seine ‚ars vivendi‘ zurückgeführt werden können. Hier ist es Paulus, der sich als ‚artifex vivendi‘115 im Horizont der Philanthropie bewegt. Ist damit eine objektivische Kategorie benannt, dann ist die zugrunde liegende diejenige der moderatio, wohl wissend, dass sich diese Prägung in Bezügen zum jeweiligen Gegenüber entfaltet und auswirkt. Der auf dem ‚neuen Weg‘ wandelnde Philanthrop Paulus erweist sich in diesem Sturm als der besonnen agierende ‚bonus dux‘. Er ist gerade dadurch als der Weise erkennbar, dessen Funktionsbestimmung es ist, als ‚artifex vivendi‘ jener ‚bonus dux‘ zu sein und zu demonstrieren, wie diesen Stürmen des Lebens zu begegnen ist: 1) Diese Begegnung geschieht im Rahmen einer besonnenen Rede im schweren Sturm, die fern jedweder affektheischenden Rhetorik den eigenen Erfahrungsschatz zu konkreten Handlungsanweisungen zu extrapolieren weiß (V 21–26). Dabei ist auffällig, dass der luk. Paulus aufgrund der vorausgegangenen Missachtung weder aufbrausend noch gekränkt reagiert, sondern auf die rechte, für etwas günstige Zeit wartet (vgl. V 10.25). Dies ist deshalb von Erfolg gekrönt, weil die Eingebung des Gottes, dem er seine Lieder 114 Zur Einzelanalyse vgl. Brian M. Rapske, “Acts, Travel and Shipwreck”, in David W. J. Gill/Conrad Gempf (eds.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting (BAFCS 2, Grand Rapids 1994) 1–47; Loveday Alexander, “‘In Journeyings Often‘: Voyaging in the Acts of the Apostles and in Greek Romance”, in Christopher M. Tuckett (ed.), Luke’s Literary Achievement. Collected Essays (JSNT.S 116, Sheffield 1995) 17–49; Charles H. Talbert/J. H. Hayes, “A Theology of Sea Storms in Luke-Acts”, in David P. Moessner (ed.), Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy (Harrisburg 1999) 267–283; Adrian Hummel, Factum et fictum. Literarische und theologische Erwägungen zur Romreise des Paulus in der Apostelgeschichte (Apg 27,1–28,16) [BN 105, 2000] 39–53; Marius Reiser, „Von Caesarea nach Malta. Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 27“, in Friedrich Wilhelm Horn (ed.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte (BZNW 106, Berlin/New York 2001) 49–74; Michael Labahn, „Paulus – ein homo honestus et iustus. Das lukanische Paulusportrait von Act 27–28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen“, in Friedrich Wilhelm Horn (ed.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte (BZNW 106, Berlin/New York 2001) 75– 106; Seul, Rettung (s. Anm. 85) passim. 115 Vgl. dazu oben Anm. 59.

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singt116 und zu dem er betet (V 25.33–35), sein Verhalten prägt und leitet. 2) Diese Besonnenheit hindert den als ‚bonus dux‘ agierenden ‚artifex vivendi‘ jedoch nicht daran, vor Fluchtversuchen zu warnen und somit auch hinsichtlich des röm. Centurio philanthrop zu handeln. Zudem ergeht die Aufforderung, sich guten Mutes zu verhalten, indem man Speise zu sich nimmt (V 33–38.39–44). Es ist somit hinlänglich deutlich, dass der Weitblick des luk. Paulus (V 10.21.31) eingebettet ist in das Phänomen der moderatio, sich in aktivem Zupacken und kraftvollem Ringen zugunsten der mit-bedrohten Begleiter zu zeigen, wodurch wiederum der metaphorische Gebrauch des ‚bonus dux‘ deutlich wird. Es bedarf eines Steuermannes, der den Namen verdient, um den Stürmen des Lebens trotzen zu können (vgl. Sen Ep 108,37117)118. 3.3 Das Kommunikat nach den lukanischen Paulus-Reden Die insgesamt sehr stark von Reden geprägte Apostelgeschichte119 lässt das Paulusbild in den Blick rücken, wenn wichtige Aspekte von Apg 27,21–26 aufgenommen und exemplarisch anhand von Apg 24,1–21 weitergeführt werden: in starker Bedrängnis, im heulenden Sturm und auf ächzenden Schiffsplanken stehend spricht Paulus scheinbar ungerührt und besonnen die Lage einschätzend. Auch die starken Angriffe seitens Tertullus (Apg 24,2–8) sind nicht dazu angetan, in Hass oder Provokation aufzutreten, sondern vielmehr sachlich hart und schnörkellos: Der Vorwurf, einem unheilvollen Aberglauben anzuhängen, gemeingefährlich zu sein, die öffentliche Ordnung zu stören, kurz: die Wirkung einer verpesteten Luft und einer ansteckenden Krankheit zu besitzen (vgl. Lucan 7,412) und somit dem Heil entgegen zu stehen (vgl. Sen Ira 1,12,6), wiegt schwer und spiegelt leicht variiert Vorwürfe aus Suet Nero 16 und Tac Ann 15,44,3. In bewusster Geschichtsklitterung steht Antonius Felix als moderat agierend vor Paulus (Apg 24,10– 21)120. Paulus begegnet ihm gerade so auf Augenhöhe und eujquvmw": Sei116 Vgl. Epict Diss 2,6,26; 3,21,12! 117 Zitiert als Nr. 76 auf dem Datenträger meiner Arbeit (Kunst [s. Anm. 3]). 118 Zu weiteren Belegen hinsichtlich des metaphorischen Gebrauchs des Motivs ‚Seefahrt‘ vgl. Lang, Kunst (s. Anm. 3) 401 Anm. 357. 119 9 Paulus-Reden: 13,16–41; 14,15–17; 17,22–31; 20,18–35; 22,1–21; 24,10–21; 26,2–23.25– 27; 27,21–26; 28,17–20; – 8 Petrus-Reden: 1,16–22; 2,14–36.38f; 3,12–26; 4,8–12.19f; 5,29–32; 10,34–43; 11,5–17; 15,7–11; – Stephanus: 7,2–53; Jakobus: 15,13–21; Gamaliel: 5,35–39; Demetrius: 19,25–27; Stadtschreiber von Ephesus: 19,35–40; Tertullus: 24,2– 8; Festus: 25,24–27. Immerhin ca. 33,41% der Seiten der Apostelgeschichte sind somit durch Reden illustriert, wovon auf Paulus-Reden 13,67% und auf Petrus-Reden 10,09% entfallen. 120 Anders bes. Tac Hist 5,9,3; Ann 12,53,1–3; 54,1f.

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ne Kriterien sind zunächst nicht eine politisch motivierte Restitution von libertas, sondern ejlpivda e[cwn eij" to;n qeovn (24,15a), die als Auferweckung der Gerechten näherhin charakterisiert wird (24,15b). Damit wird sachlich eine Ebene erreicht, die sich einer politischen Einschätzung durch Felix entzieht. Realitätsferne Forderungen wie einst bei Calgacus sind am Schluss nicht formuliert. Insofern ist sein Auftreten gelassen (vgl. V 10), vor allem aber von (theologischer) Zuversicht geprägt, die die pln. Hoffnung thematisiert. Gleichzeitig ist diese Zuversicht davon geprägt, Felix werde sehen, dass keine begründeten Anschuldigungen vorzubringen sind (V 19–21). Beleg für diese Darlegung ist der Verweis auf seine öffentliche Wirksamkeit, die ohne Volksaufstand und Getümmel (V 13) seinerzeit geschah und jetzt kühl argumentierend wirkt. Von leidenschaftlicher Argumentation und maßlosen Forderungen ist keine Spur; der Blick für das Realistische ist prägend. 3.4 Fazit Auch hier sollen einige thesenartige Beobachtungen das Gesagte bündeln: 1. Wenn man das luk. Doppelwerk in die Zeit etwa des taciteischen Agricola datiert, ist von der dort zu spürenden Düsternis kaum etwas zu erkennen. Gleichwohl wird der Anbruch der neuen Zeit dazu genutzt, einen ‚neuen Weg‘ in diese Zeit einzuzeichnen. 2. Hinsichtlich der Gattungsfrage der Apostelgeschichte ist die in jedem Alternativvorschlag zu findende particula veri auf die Frage zu reduzieren, in welcher Weise jeder Alternativvorschlag dem Kommunikat der Apostelgeschichte dient: 2.1 Die antik-biographischen Züge dienen der Präsentation des Lebensbildes, das die Thematik fortsetzt, Zeuge des gekreuzigten Auferstandenen im zeitlichen Horizont des deuvtero" lovgo" (Apg 1,1.8) zu sein; der Aspekt antiker Geschichtsschreibung, die auf Darlegung von Geschichte im mehrbändigen Werk angelegt ist und gerade im Charakter der Epoche Züge des kollektiven Gedächtnisses ausprägt und Material für die Ausbildung lebensgeschichtlicher Kohärenz bereitstellt; Aspekte der laudatio funebris, die ethnographisch im Rahmen konsolatorischer Rede aufgegriffen werden. 2.2 Dieser Charakterzug der Epoche verleiht subjektiver Aneignung den Aspekt der Stetigkeit, weil er auf das LkEv als des prw`to" lovgo" gerichtet ist und modestia unausgesprochenermaßen als eine Tugend spiegelt: Mäßigung, denn als befreite Gefangene fliehen Paulus und

Tacitus’ Agricola und der lukanische Paulus

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Silas nicht, sondern agieren philanthrop, weil ihnen am Ergehen des Gefängniswärters liegt. Dieser altruistische Zug wird ergänzt durch Aspekte einer impliziten Romkritik, weil selbstbewusst zur ‚Exekutive‘ Roms in Gestalt der Liktoren christliche Prediger treten: Sie verkündigen den ‚neuen Herrn‘ (vgl. Lk 2,11), der zeichenhaft die Seinen aus dem Gefängnis befreit. Besonders anhand der Erzählung von der stürmischen Überfahrt tritt jener selbstbewusste Paulus als ‚bonus dux‘ in das Rampenlicht, weil er nicht nur offen redet (parrhsiva), sondern zugleich Erhaltung (swthriva) in verschiedener Weise thematisiert. Gerade dadurch zeigt sich Paulus als ‚bonus dux‘. 2.3 Im Rahmen der exemplarisch ausgelegten Rede Apg 24,10–21 tritt in bedrohlicher Situation der luk. Paulus moderat, wenn auch dringlich auf: Die gemeinhin vorgebrachten Vorwürfe werden theologisch mit Verweis auf die Hoffnung auf Gott als eujquvmw" entkräftet. Realitätsferne Forderungen – auch angesichts bedrohter libertas – bleiben aus und bestätigen die pln. ‚ars vivendi‘.

4. Ausblick 1. Unruhige wie aufbrechende neue Zeiten benötigen Vorbilder und Führungspersönlichkeiten. Das Angebot des Tacitus im Agricola ist eine personalisierte Problemlösungsstrategie im Gewand des Modells eines bonus dux. Getragen von einem gemäßigten philosophischen Habitus agiert er als weitsichtiger General für das Realisierbare. Das der modestia geschuldete Verhalten bringt ihm jene gloria ein, die andere vergebens erstreben. Gerade dadurch wird Agricola zum ‚artifex vivendi‘ und sichert lebensgeschichtliche Kohärenz. Auffällig ist dabei, dass die Kategorie des bonus dux eine politische Konnotation auf den Prinzipat hin vermissen lässt, sondern dass sie auf die Realisierung der virtus im Rahmen der Heeresverwaltung, -führung und somit auf die potestas der persona ausgerichtet ist. Gleichwohl sind dabei Grundeinsichten des röm. Selbstverständnisses betroffen (vgl. res publica, libertas, servitus), die die Kategorie des bonus dux im übertragenen Sinn wertvoll erscheinen lassen: Agricola wird zum Beispiel dafür, wie Weisheit die ‚Kunst des Lebens‘ bewirkt und verwirklicht (vgl. Cic Fin 1,42–44.71f; 5,16121; ferner Pers Sat 5,102–105122; Quint Inst Orat 12,11,5123) und wie somit 121 Die grundsätzliche Orientierung des Lebens in Glückseligkeit wird im Anschluss an Karneades erläutert. Sie liegt darin, dass Klugheit die Kunst der Lebensführung in der gleichen Weise darstellt, wie das Steuern die Kunst der Seefahrt beschreibt (zum lat. Text: navigationis gubernatio, sic vivendi ars est prudentia); vgl. dazu auch Fin 4,16. 122 Bildung/Kunst sorgt für sicheren Stand, um Schein von Wahrheit zu unterscheiden (zum lat. Text [104f]: tibi recto vivere talo / ars dedit et veris speciem dinoscere calles).

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ein Beitrag zur alten Einsicht des Ennius gegeben wird, wonach auf den alten Sitten der röm. Staat fest gegründet sei und auf seinen Männern124. Gerade dadurch wird das Werk, auf der Nahtstelle zweier Regentschaften stehend, für seine Rezipienten zu einem Leitfaden zur Ausbildung einer ‚erneuerten ars vivendi‘.125 2. Der luk. Paulus ist neben der Darstellung als ‚13. Zeuge‘ zu einer möglichen Identifikationsfigur aufgrund des exemplum-Charakters geworden. Dessen Lebenslauf ist in Zeiten der Unsicherheit, Bedrückung, aber auch der neuen Chancen und Suche nach ‚neuen Wegen‘ als ‚Einführung in das Christentum‘ verständlich. Ein solcher Lebenslauf trägt Konturen des Modells eines ‚bonus dux‘, die aber vom strengen imperatorischen Bildinventar gelöst und der pragmatischen Dimension der luk. Erzählung untergeordnet sind. Diese Konturen des bonus dux sind jedoch am ehesten als diejenigen eines dux luminis erkennbar: In bedrängender Situation, die persönliche libertas gefährdet, weist jener dux luminis auf eine Kunst der christlichen Lebensführung hin. Solche Hinweise auf eine ‚ars vivendi’ verdeutlichen, worauf eine solche Lebensführung beruht. Knapp gefasst steht einem Agricola als bonus dux ohne die kaiserlichen Attribute ein Paulus gegenüber, der als ein bonus dux im Gewand eines dux luminis auftritt. Eine solche Zeichnung des luk. Paulus steht somit im Umfeld eines bereits aufgebrochenen Bildinventars und führt dieses attraktiv und subversiv auf einen ‚neuen Weg‘126. 123 Der Redner führt Suchende zur wahren Rednerkunst wie der Steuermann, der um die geeigneten Häfen weiß. 124 Moribus antiquis res stat Romana virisque; Ennius Frgm. 156 Sk (= 500 V). Programmatisch ist dies der verkürzte Titel für den Sammelband von Maximilian Braun/Andreas Haltenhoff/Fritz-Heiner Mutschler (eds.), Moribus antiquis res stat Romana. Römische Werte und römische Literatur im 3. und 2. Jh. v.Chr. (BzA 134, München/Leipzig 2000). 125 Vgl. dazu Petersmann, „‚Agricola‘“ (s. Anm. 35) 1806: „Das Werk entschlüsselt sich als ein eminent politisches Dokument einer Umbruchszeit, deren überlebende Repräsentanten unter dem Zwang der Vergangenheitsbewältigung und des Verlustes eines tragfähigen Normensystems nach neuen conditiones humanae Ausschau halten.“ 126 Die vorgelegte Darstellung eines bonus dux ist demnach am ehesten in apologetischen Zusammenhängen zu vermuten. Dass solche apologetischen Züge in der Apostelgeschichte nicht fehlen, haben Alexander, “Acts“ (s. Anm. 88) passim, und Backhaus, „Lukas“ (s. Anm. 88), gezeigt. Hinsichtlich der patristischen Literatur kann hier lediglich ‚teichoskopisch‘ auf Ambrosius (Expositio Psalmi 118,8,39,1f [CSEL 62 1913; ed. M. Petschenig]) verwiesen werden: Die christliche Geduld wird metaphorisch als ‚dux‘ bzw. ‚gubernator‘ bezeichnet und in den Zusammenhang mit virtus gestellt. Der philosophische Topos erscheint in neuem Gewand (vgl. Sen Ep 4,2; ferner seine Vorliebe für Texte von Philo von Alexandrien). Vom Nutzen der patristischen Exegese: Martin Meiser, „Vom Nutzen der patristischen Exegese für die neuzeitliche Schriftauslegung“, in David C. Bienert/Joachim Jeska/Thomas Witulski (eds.), Paulus und die antike Welt. Beiträge zur zeit- und religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen Christentums, FS Dietrich-Alex Koch (FRLANT 222, Göttingen 2008) 189–209.

Irony and Truth: The Value of De Historia Conscribenda for Understanding Hellenistic and Early Roman Period Historiographical Method* CLARE K. ROTHSCHILD

1. Introduction Translating humor across cultures poses a special difficulty. Frequently wit from one context is not funny in another context. Sometimes this phenomenon is itself funny. In a conversation with a colleague in the process of selecting her dissertation committee, I explained my zeal to fully understand every nuance of a German committee member’s comments on a draft of my doctoral dissertation. “The worst”, my friend commented, “is irony. Irony doesn’t translate.” At the time, I agreed with her, but on thinking about it later, I realized my friend was not quite correct. In conversations with colleagues from other cultures, I frequently find that irony does translate. Can irony’s effect be predicted? Lucian of Samosata, (ca. 125–80) the second century rhetorician and satirist, uses wit liberally in his writings. However, reading Lucian’s sketches, it is sometimes difficult to sort out when he is serious and when he is joking. Most read his essays as if his joking is serious. That is, most understand Lucian’s humor as a central means of conveying the argument. However, if irony is frequently mistranslated across cultures and contexts how, as scholars, can we be certain that we are accurately apprehending Lucian’s meaning? Absence of technical treatises or other writings addressing Hellenistic historiographical method lends a special importance to Lucian’s essay On How to Write History, creating an urgency around the question of intended meaning. W. C. Van Unnik took Lucian’s essay at face value, breaking it down into a list of principles in use by Hellenistic historians for effective history writing.1 These *

This essay represents a reworking of pages 81–86 in my book Luke-Acts and the Rhetoric of History (Tübingen 2005). So as not to bias the argument (irony may rely on nuance of translation), English translations of Lucian’s Hist. conscrib. are taken from K. Kilburn (LCL) with modifications.

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principles are: (1) noble subject, (2) public benefit, (3) parrhesia (impartiality), (4) fitting beginning and end, (5) collection of material, (6) section and variety, (7) disposition and order, (8) enargeia (vividness of narration), (9) topographical detail and (10) suitable speeches.2 The central question of this essay is whether Van Unnik’s move is warranted.

2. Hellenistic and Early Roman Period Historiographical Method The quest to understand Hellenistic historical method is alive and well today.3 The existence of handbooks for the study of rhetorical method 1 2 3

“Luke’s Second Book and the Rules of Hellenistic Historiography”, in Jacob Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres: Traditions, rédaction, théologie (BETL 48, Gembloux/Leuven 1979) 37–60. Ibid. Important background literature includes: G. Anderson, Lucian. Theme and Variation in the Second Sophistic (Mnemosyne Supplement 41, Leiden 1976); id., “Lucian: Tradition versus Reality”, ANRW 2.34.2 (1994) 1422–47; R. Dean Anderson Jr., Glossary of Greek Rhetorical Terms (Leuven 2000); E. Asmis, “Rhetoric and Reason”, American Journal of Philology 104 (1983) 38–50; G. Avenarius, Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung (Meisenheim/Glan 1956); L. Bitzer, “The Rhetorical Situation”, Philosophy and Rhetoric 1 (1968) 1–14, repr. in Philosophy and Rhetoric, Supplementary Issue 1992, 1– 14; Averil Cameron, Christianity and the Rhetoric of the Empire: The Development of Christian Discourse (Berkeley 1991); H. Cancik, Mythische und historische Wahrheit (Stuttgarter Bibelstudien 48, Stuttgart 1970); id., “patria – peregrina – universa. Versuch einer Typologie der universalistischen Tendenzen in der Geschichte der römischen Religion”, in Christoph Elsas et al. (eds.), Tradition und Translation; Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. Festschrift für Carsten Colpe zum 65. Geburtstag (Berlin 1994) 64–74; id., “Historisierung von Religion: Religionsgeschichtsschreibung in der Antike (Varro – Tacitus – Walahfrid Strabo)”, in Kritische Studien zur Philologiegeschichte, vol. 5 (Göttingen 2001) 1–13; Joseph Farrell, “Towards a Rhetoric of (Roman?) Epic”, in William J. Dominik (ed.), Roman Eloquence: Rhetoric in Society and Literature (New York 1997) 131–46; Charles William Fornara, The Nature of History in Ancient Greece and Rome (EIDOS Studies in Classical Kinds, Berkeley 1983); Aristoula Georgiadou/David H. J. Larmour, “Lucian and Historiography: ‘De Historia Conscribenda’ and ‘Verae Historiae’”, ANRW 2.34.2 (1994) 1449–1509; Jennifer Hall, Lucian’s Satire (New York 1981); Gilbert Highet, Anatomy of Satire (Princeton/London 1962); H. Homeyer, Lukian. Wie man Geschichte schreiben soll: Griechisch und Deutsch (München 1965); Georg Iggers, The German Conception of History (Middletown [CT] 1983); Felix Jacoby, “Über die Entwicklung der griechischen Historiographie …”, Klio 9 (1909) 80–123; C. P. Jones, Culture and Society in Lucian (Cambridge 1986); R. A. Kaster, Guardians of Language: The Grammarian and Society in Late Antiquity (Berkeley 1988); Andrew Laird, “Fiction, Bewitchment and Story Worlds: The Implications of Claims to Truth in Apuleius”, in Christopher Gill/T. P. Wiseman (eds.), Lies and Fiction in the Ancient World (Exeter 1993) 147–74; T. J. Luce, “Ancient Views on the Causes of Bias in Historical Writing”, Classical Philology 84 (1989) 16–31; Matthew D. Macleod, “Lucianic Studies since 1930”, in ANRW 2.34.2 (1994) 1362–1421; A. Momigliano, “The Rhetoric of History and the History of Rhetoric: On Hayden White’s Tropes”, in E. S. Shaffer (ed.), Comparative Criticism: A Year Book, Vol. 3 (Cam-

Irony and Truth

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prompts scholars to seek understanding of historical method in handbooks also. Yet in all classical literature we possess little in the way of instructional writing for historians. Cicero’s Antonius denies the existence of this type of instruction (De or. 2.15.62). For Antonius the rules for writing history were ante oculos (“obvious”).4 Why is there so little evidence on how to write history? Ancient historians did not need history-specific advice on how to write a historical narrative. Like philosophers, historians learned to write history from the rhetorical handbooks, setting aside most strict figures, if not overall strategies, for historiography. After all, like ancient philosophy, ancient history is a literary art of exposing, not arguing truth.5 According to Quintilian, history is written ad narrandum non ad probandum.6 Diodorus Siculus testifies to the same point in his description of history as philosophy by example

4 5

6

bridge/New York 1979–81) 259–68, repr. in Settimo contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico (1984) 49–59; J. R. Morgan, “Make-Believe and Make Believe”, in Christopher Gill/T. P. Wiseman (eds.), Lies and Fiction in the Ancient World (Exeter 1993) 175–229; E. Norden, Die Antike Kunstprosa. 2 vols. (Leipzig 1915–18); Paul Plass, Wit and the Writing of History: The Rhetoric of Historiography in Imperial Rome (University of Wisconsin Press, 1988); Ulrich Rütten, Phantasie und Lachkultur: Lukians “Wahre Geschichten” (Classica Monacensia 16, Tübingen 1997); Hermann Strasburger, “Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung”, in Studien zur Alten Geschichte (Hildesheim/New York 1982) 2:963–1014; Michael Weissenburger, Literaturtheorie bei Lukian: Untersuchungen zum Dialog Lexiphanes (BAK 64, Stuttgart/Leipzig 1996) 29–36; T. P. Wiseman, Clio’s Cosmetics: Three Studies in Greco-Roman Literature (Leicester 1979); id., “Practice and Theory in Roman Historiography”, History 66 (1981) 375–93; id., “Lying Historians: Seven Types of Mendacity”, in id./ Christopher Gill (eds.), Lies and Fiction in the Ancient World (Exeter 1993) 122–46; A. J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography (London/Sydney 1988). Cf. Cic. De or. 2.15.62: neque tamen eam reperio usquam separatim instructam rhetorum praeceptis: sita sunt enim ante oculos. Cf. T. P. Wiseman, “Practice and Theory in Roman Historiography” (see n. 3) 390–91. According to Philodemus, rhetoric offers plausibilities, and philosophy, certainties (Philodemi Volumina Rhetorica, 2 vols. and suppl., ed. Siegfried Sudhaus [Leipzig 1892–96] 1.247–70). For a discussion, see E. Asmis, “Rhetoric and Reason” (see n. 3). Also, Carlo Ginzburg finds a demonstration of this point in Aristotle’s comment that it is unnecessary to specify that the prize of the Olympic games is a crown because “everyone” knows it (Rh. 1.1357A). Ginzburg’s interpretation of Aristotle’s comment is that “the discourses analyzed by rhetoric refer to a specific community, not to men as rational animals. Rhetoric moves in the realm of the probable, not in that of scientific truth” (History, Rhetoric, and Proof [The Menachem Stern Jerusalem Lectures, Hanover, NH, 1999] 22). One modern debate, however, characterizes scientific discourse as deceptive rhetoric, scientists as “rhetors in disguise”. For a description of this debate, see C. Perelman/L. Olbrechts-Tyteca, The New Rhetoric: A Treatise on Argumentation (Notre Dame, Indiana, 1969) 1–4; Peter L. Berger/Thomas Luckmann, The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge (Garden City, New York, 1967) 88; Herbert W. Simons, “Are Scientists Rhetors in Disguise? An Analysis of Discursive Processes Within Scientific Communities“, in Eugene E. White (ed.), Rhetoric in Transition: Studies in the Nature and Uses of Rhetoric (University Park, PA, 1980) 115–30. Quint., Inst. 10.1.31.

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(1.2.2).7 Arguing by means of proofs is, at least in theory, contrary to exposing truth, and as such the duty of other professions, such as politics, drama and law.8 Thus, Lucian of Samosata’s On How to Write History stands out as anomalous: a handbook written to historians. Many reliant on Lucian’s treatise fail to appreciate this difficulty. For example, in his well-known book, Luke the Historian in Recent Study (1961),9 C. K. Barrett argues that an enhanced understanding of the context of Hellenistic historiography aids comprehension of the nature of Luke-Acts as history. However, as background for this literary context, Barrett offers comparison with Lucian’s On How to Write History only. Barrett is not alone. Virtually all of the major commentators on Acts of the last century cite Lucian’s treatise in their discussions of authorial method without any acknowledgment of its problematic sui generis character.10 In her book, The Preface to 7

8 9 10

… povsw/ ma'llon uJpolhptevon th;n profh'tin th'" ajlhqeiva" iJstorivan, th'" o{lh" filosofiva" oiJonei; mhtrovpolin ou\san. See C. Fornara, The Nature of History in Ancient Greece and Rome (see n. 3) 116. For the argument that the material of this preface is the work of its author, see A. D. Nock, “Posidonius”, JRS 49 (1959) 5. Cf. also Dion. Hal. 11.1.4 and Sallust, who announces a philosophical treatise at the beginning of the history of Catiline’s conspiracy and Rome’s war with Jugurtha (Cat. pref; Iug. pref.); also, Diod. Sic. 1.2. For a description of the relationships between ancient historiography, oratory, and drama, see C. Fornara, The Nature of History in Ancient Greece and Rome (see n. 3) 169– 75. C. K. Barrett, Luke the Historian in Recent Study (London 1961), 9. C. K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, 2 Vols. (ICC, Edinburgh 1994); H. W. Beyer, Die Apostelgeschichte (NTD 2/5, Göttingen 1933; 4th ed. 1947); F. Bovon, Commentary on the Book of the Acts (NICNT, Grand Rapids 1954); A. C. Clark, The Acts of the Apostles: A Critical Edition with Introduction and Notes on Selected Passages (Oxford 1933); Hans Conzelmann, Acts of the Apostles: A Commentary on the Acts of the Apostles, trans. J. Limburg/A. T. Kraabel/D. H. Juel, ed. E. J. Epp with Christopher A. Matthews (Hermeneia, Philadelphia 1987), German: Die Apostelgeschichte (Tübingen ²1972); Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles (AB, New York 1998); F. J. Foakes-Jackson, The Acts of the Apostles (Moffat New Testament Commentary, New York/London 1931); id./K. Lake, The Beginnings of Christianity, 5 vols. (London 1920–33; Grand Rapids 1979); Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 11956 [= 10th ed.]; ²1957 [= 11th ed.]; ³1959 [= 12th ed.]; 51965 [= 14th ed.]; 71977 [= 16th ed.]); id., The Acts of the Apostles: A Commentary, trans. Bernard Noble/ Gerald Shinn under the supervision of Hugh Anderson, with trans. revised by R. McL. Wilson from the 14th German ed. (Göttingen 1965; Philadelphia 1971); Adolf von Harnack, Die Apostelgeschichte (Leipzig 1908); Jakob Jervell, Die Apostelgeschichte (KEK, Göttingen 1998); Wilfred L. Knox, The Acts of the Apostles (Cambridge 1948); K. Lake/H. J. Cadbury, The Acts of the Apostles: English Translation and Commentary and Additional Notes to the Commentary, in F. J. Foakes-Jackson/K. Lake (eds.), The Beginnings of Christianity, Vol. 4–5 (London 1933; Grand Rapids 1979); Alfred Loisy, Les Actes des Apôtres (Paris 1920; Paris 1925; Frankfurt/M. 1973); Gerd Lüdemann, Early Christianity according to the Traditions in Acts: A Commentary, trans. John Bowden (Minneapolis 1989), German: Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte: Ein Kommentar (Göttingen 1987); I. Howard Marshall, The Acts of the Apostles (Tyndale New Testament Commentaries, Grand Rapids 1980); Johannes Munck, The

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Luke’s Gospel (1993), Loveday Alexander cites Lucian’s essay in support of her arguments without stipulation, alongside comments on history writing by historians and others. However, in her essay entitled, “Marathon or Jericho? Reading Acts in Dialogue with Biblical and Greek Historiography”, concerning the ten rules of Hellenistic historiography inferred by W. C. van Unnik from Lucian’s On How to Write History, Alexander notes: “the inherent difficulty of elevating Lucian’s often ironic suggestions to the status of ‘standard-rule’”11. In this article, Alexander does not go on to demonstrate how or why the irony of some parts of Lucian’s essay complicates accepting what appears to be sound advice for ancient historians in other parts of his essay. In this brief paper I attempt to show that Alexander’s observation is correct. I argue that reliance on Lucian’s On How to Write History for understanding historiographical practices of the late Hellenistic and early Roman periods, while convenient, at the very least requires more vigilance. Lucian’s self-proclaimed “rule” or handbook has assumed an inflated significance in interpretations of Hellenistic historiography that, as I attempt to demonstrate below, the text does not warrant. On the contrary, for research on Hellenistic and early Roman Period historiographical method, Lucian’s sarcastic piece creates an impasse to clear understanding. For the NT, this impasse hinders in particular progress in understanding ‘Luke’s’ method.

3. Literary Analysis The ‘irony’ of Lucian’s essay is indeed the crux of the matter.12 The working definition of ‘irony’ in the present essay is not modern but an-

11

12

Acts of the Apostles, rev. by William F. Albright/C. S. Mann (Anchor Bible 31, Garden City, New York, 1967); William Neil, The Acts of the Apostles (NCB, London 1973); F. Overbeck, Kurze Erklärung der Apostelgeschichte (Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Neuen Testament 1/4, Leipzig 41870); Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte (EKK V/1–2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1986); R. B. Rackham, The Acts of the Apostles (London 1901); G. Schille, Apostelgeschichte des Lukas (ThHK 5, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt, 1990); G. Schneider, Die Apostelgeschichte, 2 Vols. (HThK, Freiburg/Basel/Vienna 1980–82); Charles H. Talbert, Reading Luke: A Literary and Theological Commentary on the Third Gospel (New York 1982); T. Zahn, Die Apostelgeschichte des Lucas, 2 Vols. (KNT 5/1–2, Leipzig/Erlangen 1919–21; 41927). L. Alexander, “Marathon or Jericho? Reading Acts in Dialogue with Biblical and Greek Historiography”, in David J. A. Clines/Stephen D. Moore (eds.), Auguries: The Jubilee Volume of the Sheffield Department of Biblical Studies (JSOTSS 269, Sheffield 1998) 99; W. C. van Unnik, “Luke’s Second Book” (see n. 1) 37–60. Whether the work is true satire or mere entertainment is debated. See Gilbert Highet, Anatomy of Satire (see n. 3) 42–43. Cf. also G. Avenarius, Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung (see n. 3). By concluding that almost all of Lucian’s comments on histori-

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cient, deriving primarily from Quintilian who defines eijrwneiva as saying something contrary to what is to be understood, the context making clear what is meant. Quintilian offers that entire passages of a speech, or even a speech in its entirety, may take the form of irony. quamquam aliud dicit ac sentit, non aliud tamen simulat: nam et omnia circa fere recta sunt … et loci et tota interim causae conformatio, cum etiam vita universa ironiam habere videatur… (Inst. 9.2.44–51) … although it says something different from what is means, it does not pretend something different, for the whole context is generally quite straightforward … it may cover whole passages and sometimes the entire shape of the cause.13

Compare also the related comment by Aristotle: katafronhtiko;n ga;r hJ eijrwneiva. (Arist. Rh. 2.2.24) For irony is contempt.

On this topic Cicero too remarks: Urbana etiam dissimulatio est, cum alia dicuntur ac sentias, non illo genere de quo ante dixi, cum contraria dicas, ut Lamiae Crassus, sed cum toto genere orationis severe ludas, cum aliter sentias ac loquare. (Cic. de Orat. 2.269–72) Irony too gives pleasure, when your words differ from your thoughts, not in the way of which I spoke earlier, when you assert exactly the contradictory, as Crassus did to Lamia, but when the whole tenor of your speech shows you to be solemnly jesting, what you think differing continuously from what you say.14

While the irony of passages within Lucian’s essay is rarely missed, the irony of the overall essay itself is seldom acknowledged. A possible ex-

13 14

ography have been said before, Avenarius fails to see the value of the repeated comments in their new context. Michael Weissenburger (Literaturtheorie bei Lukian [see n. 3] 29–36), like others, divides the history of scholarship on this essay into two general approaches. One addresses the question of “ob er in etwa gleicher Gewichtung mehrere Quellen ausgewertet hat oder überwiegend einer einzigen gefolgt ist und, wenn dies zutrifft, welcher – auf diese Fragen findet man weit auseinandergehende Antworten” (29–30) and the other, “ob es sich bei den in Hist. Conscr. zum Teil namentlich genannten ‘Historikern’ um wirkliche Zeitgenossen Lukians handelt oder um fictive Zielscheiben der Kritik, letztlich also, ob wir es mit der zeitbezogenen Schrift eines der Aktualität verpflichteten Satirikers zu tun haben oder der geistreich-belesenen Spielerei eines antiquarisch orientierten Literaten” (30). Cf. also Ulrich Rütten, Phantasie und Lachkultur (see n. 3) 47–62. The comments in Hist. conscr. that mirror Polybius are no more reflective of Hellenistic historiographical method. They are also not merely repetitious. Their context – Lucian’s pessimistic view of their potential to change the situation – makes them new. This view, omitted by those cataloging parallels, is acknowledged by G. Anderson (Lucian [see n. 3] 77–80, 116–18). Quint. Inst. 9.2.45; ET: Donald A. Russell. ET: E. W. Sutton.

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planation of the oversight is deliberate self-delusion – our reluctance to jeopardize our only handbook of Hellenistic historiography. After all, without it we would actually have to read the historians themselves! While this reason may contribute to the problem, a better explanation begins with our failure to confront the problem of the existence of such a handbook. Luckily, Lucian’s essay helps to clarify. The title, Quomodo historia conscribenda sit is itself ironic – as if good historians needed their own specialized “how-to” manuals of composition. Urbane (for Lucian, real) historians were, after all, trained in the art of rhetoric – expanding their dossiers by taking on, as an additional project, the narrative documentation of events of the remote or recent past.15 Lucian mocks historians’ qualifications in § 34: I maintain then that the best writer of history comes ready equipped with these two supreme qualities: political understanding and power of expression; the former is an unteachable gift of nature, while the power of expression may come through a deal of practice, continual toil, and imitation of the ancients. These then need no guiding rules and I have no need to advise on them; my book does not promise to make people understanding and quick who are not so by nature. It would be worth a good deal – everything rather – if it could remodel and transform things to that extent, or make gold out of lead or silver from tin, or manufacture a Titormus from a Conon or a Milo from a Leotrophides.

As an extension of the mocking nature of the title, Lucian begins his essay with the word, ∆Abdhrivtai" (“Abderites”) and a brief tale about these proverbial simpletons. During the reign of Lysimachus (a prominent Macedonian in the entourage of Alexander ca. 355–281 BCE), Lucian narrates, the Abderites were afflicted by an epidemic. ∆Abdhrivtai" fasi; Lusimavcou h[dh basileuvonto" ejmpesei'n ti novshma, wj\ kale; Fivlwn, toiou'to. (Hist. conscrib. 1) They say, my dear Philo, that during the reign of King Lysimachus the Abderites were seized by an epidemic.

Falling ill they exhibited symptoms of fever, bloody nose and heavy sweat. Surviving these afflictions, their minds were left in a state of confusion: They all went mad with tragedy, shouting iambics and creating a din; and they mostly sang solos from Euripides’ Andromeda, rendering Perseus’ speech in song. The city was full of these seventh-day tragedians, all pale and thin, roaring, “Love, you tyrant of gods and men” and the rest in a 15

On Lucian’s desire to be considered cultured and urbane, see C. P. Jones, Culture and Society in Lucian (see n. 3) esp. 149–59.

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loud voice, hour after hour, day after day, until winter and a severe cold spell stopped their noise.16 (Hist. conscrib. 1)

At the end of § 5 Lucian refers to contemporary historians as Abderites, specifying, (if there was any remaining doubt), his point for including this brief legend. He next proposes that his essay should serve as a tool for historians. It should be used, Lucian advises, as a “yard-stick” (oJ kanwvn). e[cwsin a[meinon suntiqevnai to;n kanovna tou'ton prosavgonte", h[nper ge dovxh/ aujtoi'" ojrqo;" ei\nai. (Hist. conscrib. 5; cf. § 63) They may compose better by applying this yard-stick provided it seems “straight” (i.e., accurate) to them.

oJ kanwvn is Lucian’s way of poking fun at the slews of entrepreneurs unaware that “true history” is a high art form not to be argued on the basis of a paint-by-numbers kind of adherence to prescribed sets of rules. Adequate paideia for the composition of history is, according to Lucian, sophisticated paideia. This includes, as an element of any serious education, not only rote memorization of precepts and wooden application for practice, but exercises in customizing these tenets in the process of developing an individual style. Historians should not and did not require versions of the rhetorical handbooks specific to history-writing any more than they required the standard rhetorical handbooks themselves because, for legitimate historians, the rhetorical precepts have long since been committed to memory, practiced and integrated in an individual’s style. The rhetorical handbooks applied to and served all literati. Moreover, on no occasion were rhetorical precepts to be applied mechanically, even if truth-telling commitments in history and philosophy encouraged added subtlety and finesse.17 Lucian’s “handbook” on “how to write history” is thus itself a spoof on the very idea of a handbook on how to write history or anything else for that matter. Boosting this already highly sarcastic tone – ranging from its title and its description of contemporary historians as Abderites to its claim to be ‘canon’ – Lucian now adds the jibe that his ‘handbook’ will probably be ignored by those whose compositions are already published, even more so by those whose works have already received public ac-

16 17

ET: K. Kilburn. “Modern writers have big ideas, grand interpretive themes, which they wish to present; so of course did the ancients. But the ancients presented these through careful and supple narrative technique, while moderns prefer to set out their ideas and arguments more directly, in passages of analysis rather than narrative” (C. B. R. Pelling, “Truth and Fiction in Plutarch’s Lives”, in D. A. Russell [ed.], Antonine Literature [Oxford 1990] 19–52, here: 43–44).

Irony and Truth

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claim – accounts he refers to as already “ratified and lodged, at it were, in the royal palace”. oi\da me;n ou\n ouj pavnu pollou;" aujtw'n ejpistrevywn, ejnivoi" de; kai; pavnu ejpacqh;" dovxwn, kai; mavlista oJpovsoi" ajpotetevlestai h[dh kai; ejn tw'/ koinw`/ devdeiktai hJ iJstoriva. eij de; kai; ejph/vnhtai uJpo; tw'n tovte ajkroasamevnwn, maniva a]n ei[h hJ ejlpiv", wJ" oiJ toiou'toi metapoihvsousin h] meteggravyousiv ti tw'n a{pax kekurwmevnwn kai; w{sper ej" ta;" basileivou" aujla;" ajpokeimevnwn. (Hist. conscrib. 5) Now I know that I shall not convert very many. Some indeed will think me a great nuisance, particularly anyone whose history is already finished and has already been displayed in public. And if in addition he was applauded by his audience it would be madness to expect his sort to remodel or rewrite any part of what has once been ratified and lodged, as it were, in the royal palace.

This comment not only deepens the irony of the existence of a methodological “handbook” on history-writing, furthering Lucian’s dig against contemporary historians, but also serves as a slap at the indiscriminating taste of contemporary audiences, those who, in Lucian’s words, “burst themselves with applauding” (§ 10), responsible for the acclaim of, what Lucian views as, disreputable historical accounts.18 Lucian divides the advice of the rest of his essay into two categories: things to be avoided in historical compositions and things to be included (§ 6). The simplicity of this binary scheme may mock the formidable task of collecting, organizing and editing reliable historical sources. Things to be avoided include lies (“history cannot admit a lie, even a tiny one, any more than the windpipe … can tolerate anything entering it in swallowing” § 7) and embellishments, such as those offered by poetry, including myth (to;n mu'qon) and encomium (to; ejgkwvmion). mevga toivnun – ma'llon de; uJpevrmega tou'to kakovn – eij mh; eijdeivh ti" cwrivzein ta; iJstoriva" kai; ta; poihtikh'", ajll∆ ejpeisavgoi th/' iJstoriva/ ta; th'" eJtevrakommwvmata – to;n mu'qon kai; to; ejgkwvmion kai; ta;" ejn touvtoi" uJperbolav"… (Hist. conscrib. 8) So it is a great deal – all too great a fault – not to know how to keep the attributes of history and poetry separate, and to bring poetry’s embellishments into history – myth and eulogy and the exaggeration of both…

Lucian exploits these errors shamelessly in his Verae historiae essays.19 The presence of species such as myth and eulogy in history can, ac18 19

Lucian, Hist. conscr. 5, 10. One thinks of the unusual (anhistorical) hybrid entities: “vine-women” 1.8; “fleaarchers” 1.13; and “sky-dancers” 1.16. Georgiadou/Larmour, “Lucian and Historiography” (see n. 3) 1500.

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cording to Lucian, be compared to an athlete dressed in a purple gown, adorned with make-up and jewelry: It is as if you were to dress one of our tough, rugged athletes in a purple dress and the rest of the paraphernalia of a pretty light-o’-love and daub and paint his face. Hercules! How ridiculous you would make him look, shaming him with all that decoration! (Hist. conscrib. 8)

Truth and either beauty or pleasure may coincide, as in a handsome athlete, but nothing prevents an ugly athlete from succeeding. Lucian writes: As for what gives pleasure, it is certainly better if it is there incidentally – like good looks in an athlete; but if it isn’t there, there is still nothing to prevent Nicostratus, the son of Isidotus, a true blue and a stouter fellow than either of his rivals, from becoming “a successor of Heracles” though he be ugly to look at, while his opponent is Alcaeus of Miletus, the handsome fellow who, they say, was loved by Nicostratus. So it is with history – if she were to make the mistake of dealing in pleasure as well she would attract a host of lovers, but as long as she keeps only what is hers alone in all its fullness – I mean the publication of the truth – she will give little thought to beauty. (Hist. conscrib. 9)

Countless contemporary examples spring to mind, for example, the Boston Celtics in the 1980s. Yet, the lambaste of contemporary historians does not lose any speed here. Lucian recalls: One of them [a historian] began straightaway with the Muses, summoning the goddesses to help him with his work. You see how appropriate this opening was, how apt for historical writing, how suited to this type of book (oJra/'" wJ" ejmmelh;" hJ ajrch; kai; peri; povda th/' iJstoriva/ kai; tw/' toiouvtw/ ei[dei tw'n lovgwn prevpousa)! (Hist. conscrib. 14)

Another historian following Thucydides too closely incites Lucian to remark: Imagine please the high quality of his history (kaiv moi ejnnovhson hJlivkon to; ajxivwma th'" iJstoriva") and how it suits Thucydides to have these Italic words mixed up with the Attic, adding a distinctive touch of color like purple dye – a perfect match! (Hist. conscrib. 15)

Yet another historian Lucian extols as: renowned for his powerful eloquence … like Thucydides yet a little better! (Hist. conscrib. 19)

Irony and Truth

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This historian, overusing detail, just got through his description of the emperor’s shield in a whole book … Think how essential this is to history (skovpei wJ" ajnagkai'a th/' iJstoriva/ tau'ta): without it we should not have known what happened there!20

One contemporary especially disposes himself to Lucian’s attack by accidentally transplanting features of Lucian’s birthplace of Samosata to Mesopotamia between the two rivers (as opposed to a fortified city on the right bank of the Euphrates). About him Lucian jeers, How ridiculous, Philo, if I were not to argue a proof with you that I am not a Parthian or from Mesopotamia, where this wonderful historian has taken and transplanted me (oi| me fevrwn oJ qaumasto;" suggrafeu;" ajpw/vkise)! (Hist. conscrib. 24)

What is more, this same historian concocted an account about Severianus which Lucian refers to as “highly plausible (komidh'/ piqanov")” (§ 25). About it, Lucian admits, “I just cried and cried with laughing (dakru'sai uJpo; tou' gevlwto")” (§ 26). Lucian concludes, For my part, I voted against him … for dying without first cutting the throat of the historian who staged the show (tou'to de; mavlista hj/tiasavmhn, o{ti mh; to;n suggrafeva kai; didavskalon tou' dravmato" proaposfavxa" ajpevqane). (Hist. conscrib. 26)

The list of such comments continues, but their point should now be clear. Lucian uses irony. He says one thing, the context making clear another; namely that the self-styled historians who leapt to chronicle, for example, the Parthian War (162–65 CE) are not historians at all, but mere journalists recounting events as a cheap form of politics, flattering the latest power-monger and garnering extra cash for the effort. The blatant irony of Lucian’s On How to Write History elicits the question of the essay’s value for understanding Hellenistic and early Roman period historiography. An occasional ironic statement should not proscribe such an essay’s value. The irony of the entire essay as mock handbook, however, establishes an ironic context that renders all statements suspect. Take for example Lucian’s comment that a touch of poetry can serve history well (§ 45): Let his mind have a touch and share of poetry since that too is lofty and sublime (kai; hJ me;n gnwvmh koinwneivtw kai; prosaptevsqw ti kai; poihtikh'" par∆ o{son megalhgovro" kai; dihrmevnh kai; ejkeivnh), especially when he has to do with battle arrays, with land and sea fights; for then he will have need of a wind of poetry to fill his sails and help carry his ship along, high on the crest of the waves. (Hist. conscrib. 45) 20

Emphasis added.

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This proposition seems mildly plausible until Lucian notes that such poetic embellishment may be added to history only once the sources have been arranged in order and the events portrayed as they actually happened (wJ" ejpravcqh [§ 39]). Tou' dh; suggrafevw" e[rgon e{n – wJ" ejpravcqh eijpei'n. The historian’s sole task is to tell the tale as it happened. (Hist. conscrib 39)

Can we imagine that a historian dedicated to the events as they actually happened would be willing, once he had painstakingly produced an account, to tamper with its hard-won accuracy by adding fictitious if plausible cosmetics to beautify the facts? Lucian claims that history must be useful (to; crhvsimon),21 a product of its commitment to “truth alone (ejk tou' ajlhqou'" movnou) (§ 9)”; e{n ga;r e[rgon iJstoriva" kai; tevlo", to; crhvsimon, o{per ejk tou' ajlhqou'" movnou sunavgetai. (Hist. conscrib. 9) History has one task and one end – what is useful – and that comes from truth alone.

Can we imagine that Lucian felt poetic embellishments such as myth and encomium would enhance history’s usefulness? Is ‘truth alone’ in Lucian’s eyes a viable prospect of history? Compare Lucian’s purported goal for historiography as the free and natural expression of truth (§ 44); ÔW" ga;r th/' gnwvmh/ tou' suggrafevw" skopou;" uJpeqevmeqa parrhsivan kai; ajlhvqeian, ou{tw de; kai; th/' fwnh/' aujtou' ei|" skopo;" oJ prw'to", safw'" dhlw'sai kai; fanovtata ejmfanivsai to; pra'gma, mhvte ajporrhvtoi" kai; e[xw pavtou ojnovmasi mhvte toi'" ajgoraivoi" touvtoi" kai; kaphlikoi'", ajll∆ wJ" me;n tou;" pollou;" sunei'nai, tou;" de; pepaideumevnou" ejpainevsai. kai; mh;n kai; schvmasi kekosmhvsqw ajnepacqevsi kai; to; ajnepithvdeuton mavlista e[cousin, ejpei; toi'" kathrtumevnoi" tw'n zwmw'n ejoikovta" ajpofaivnei tou;" lovgou". (Hist. conscrib. 44) For just as we set free expression and truthfulness as the target for the historian’s mind, so for his language this should be the first aim: to set forth the matter exactly and to expound it as lucidly as possible, using neither unknown or out-of-the-way words nor that vulgar language of the marketplace, but such as ordinary folk may understand and the educated commend. Then, let figures adorn the work that give no offence and in particular appear unlabored; otherwise he makes language seem like highly seasoned sauces.

21

Cf. Polybius on to; crhvsimon and to; terpnovn (Hist. 1.4.11; 7.7.8; 9.2.6; 11.19a.1–3; 15.36.3; 31.30.1).

Irony and Truth

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Is truth ever free and natural in Lucian’s view or is he kidding? Elsewhere he proposes that “[historians] do not search for something to say, but in what manner to say it” (§ 50). ouj ga;r w{sper oiJ rJhvtore" gravfousin, ajlla; ta; me;n lecqhsovmena e[stin kai; eijrhvsetai. pevpraktai ga;r h[dh. dei' de; tavxai kai; eijpei'n aujtav. w{ste ouj tiv ei[pwsi zhthtevon aujtoi'" ajll∆ o{pw" ei[pwsin. (Hist. conscrib. 50) For the orators do not write in this manner, rather what they [historians] record speaks for itself because it has already happened: necessary is only an arrangement and exposition. In this way they [historians] do not search for something to say, but in what manner to say it.

It is easy to imagine that Lucian intends this statement to be interpreted in earnest unless we ask ourselves whether he would not have realized the hard work that goes into ascertaining the facts of history. Is Lucian perhaps mocking lackadaisical approaches to historical research when he says: “the record speaks for itself?” That is, historians only obfuscate what even common people know took place. In short, the context of a mock handbook suggests that even what appear to be sincere and worthwhile ideals are not in this essay touted in earnest. Rather, they possess an ironic meaning, such as that historiography for Lucian has become disreputable to the extent that its defining features – restrained application of stylistic features, frankness, utility and facts – are now the object of mockery. Returning to Cicero, the meaning of an ironic statement is unpredictable by nature. Only sometimes is it the opposite of what a speaker says: Irony too gives pleasure, when your words differ from your thoughts, not in the way of which I spoke earlier, when you assert exactly the contradictory, as Crassus did to Lamia, but when the whole tenor of your speech shows you to be solemnly jesting, what you think differing continuously from what you say.22

When you add the complexity of negotiating meaning across language (Koine), culture (Roman East) and history (second century CE), an intended meaning of On How to Write History, other than entertaining at the expense of contemporary historians, is elusive. Lucian may in fact tout perceived ideals in the treatise in earnest, but even if he does, modern interpreters are at pains to discover not only their precise meaning (what, for example, is ‘truth’ for Lucian) but the relationship (e.g., prioritization in history-writing) between the many ideals put forth. How, for Lucian, is truth related to frankness and/or usefulness? How might poetry enhance this understanding of truth? Inability to find answers to 22

ET: E. W. Sutton.

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these questions thus leads to the dilemma: Can we even hesitatingly impute principles inferred from Lucian’s ironic essay to interpretations of the histories of Polybius, Dionysius of Halicarnassus, Livy or ‘Luke’? At the very least, caution is in order. We must resist – on the basis of our own post-Rankian predilection for and understanding of truth – that Lucian, if asked about the value of truth in history, would blithely reply: “Indeed, truth is essential to good historiography.” That such a claim matches numerous Hellenistic historical prologues, makes it not the more sure, but the more suspect, as this and other prologue claims, such as “accuracy”, “starting at the beginning”, “avoiding style”, “neither adding nor subtracting from the truth” possess conventional status. It is equally likely, based on my reading of this essay and on the general sophistication across Lucian’s essays, that if asked about the value of truth in history, Lucian would respond that truth in history eludes human beings in the same way as the gods elude us (cf. § 40 where truth is extolled as goddess).

4. Conclusion In conclusion, the irony of On How to Write History suggests that Lucian’s mock handbook is not a straightforward presentation featuring how, in a few easy steps (one can almost hear Lucian adding, “for only $29.95!”), historians might improve their methods, but a nuanced one – part of a lively discussion of historical method taking place among Hellenistic historians – about the difficulty of ideals such as “accuracy”, “free speech” and “truth” in historiography – a conversation alive and well among historians today. A passing glance at the Hellenistic histories demonstrates that Lucian’s attacks reflect neither acceptable nor typical use of rhetorical, tragic and pragmatic features in Hellenistic or early Roman period history any more than Polybius’ stern reprimands of Timaeus of Tauromenium (to which Lucian’s attacks are often identical) imply Timaeus was the only culpable historian of the only guilty era.23 Nevertheless, if Lucian’s essay elicits more questions concerning the methods of Hellenistic and early Roman period historians than provides answers, the ancient histories themselves are not so ambiguous. Most features of Hellenistic and early Roman period historiography represent imitation with gradual innovation on a variety of historiogra23

The connections between these two authors are well established. Polybius and Lucian, for example, attack the same Timaeus. See C. Wooten, “The Speeches of Polybius: An Insight into the Nature of Hellenistic Historiography”, AJP (1974) 235 – 51. See also Dion. Hal., Thuc. 20.356.

Irony and Truth

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phical forerunners.24 The principle of imitation explains the integrity of the history-writing tradition even as it admits its adaptation to changing circumstances. It also accounts for a range of qualities – both scientific/critical and sensational – observable in the historiography of the Hellenistic and early Roman periods without recourse to theories of degradation.25 The position that Hellenistic history degrades the illustrious tradition of its classical forerunners focuses on works of historians like those Lucian lambastes, overlooking the critical qualities of Hellenistic historians such as Dionysius of Halicarnassus, Polybius, Diodorus, Strabo, Plutarch and on the Roman side, Fabius Pictor, Cato, Cicero, Ovid and Gellius. It also coincides with late nineteenth- and early twentieth-century academic biases that interpreted most cultural and intellectual expression after fourth century Greece as decline. Despite what Lucian’s attacks seem to imply, the critical ideal of historiography begun by Herodotus and perpetuated by Thucydides persisted in the Hellenistic and early Roman periods mutatis mutandis. To be sure, during this later time period, a debate took place between those striving to win audiences by appealing to logic and those striving to win them through obsequy, amusement, and sensationalism.26 However, if we read them, the accounts attest that the majority of Hellenistic historians customized their works by integrating a mixture of both strategies. Facile appropriation of Lucian’s ’canon’ to these great works, including Luke-Acts, should be abandoned.

24 25

26

Aristotle describes imitation as a feature of poetry. This quality of poetry contrasts with other types of treatises on medicine and physics that do not feature imitation (Poet. 1.1447a17, 1.1447b16). The concept of imitation, described by John Marincola in Authority and Tradition in Ancient Historiography is defined as the rule that the changes observable in Hellenistic and early Roman period historiography represent gradual innovation on select historiographical forerunners. Marincola begins his investigation of the principle of imitation in historiography with a description of the goal of every ancient historical composition. Ancient historiography represents an attempt “not to strike out boldly in a radical departure from one’s predecessors, but rather to be incrementally innovative within a tradition, by embracing the best in previous performers and adding something of one’s own marked with an individual stamp”. John Marincola, Authority and Tradition in Ancient Historiography (Cambridge 1997) 14. The basis for this principle is found in [Longinus] Peri; u{you" (Subl.). Composing with the aim of uJyhlav entails tw'n e[mprosqen megavlwn suggrafevwn kai; poihtw'n mivmhsiv" te kai; zhvlwsi" (Subl. 13.2). Cf. [Longinus] Subl. 13.2–14.1. See F. W. Walbank, “Profit or Amusement: Some Thoughts on the Motives of Hellenistic Historians”, in H. Verdin/G. Schepens/E. de Keyser (eds.), Purposes of History: Studies in Greek Historiography from the 4th to the 2nd Centuries B.C. (Leuven, Proceedings of the International Colloquium, 1990) 253–66.

III. Frühchristliche Kontexte

Spurensuche: Apostelgeschichte und Paulusbriefe als Zeugnisse einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus* HEIKE OMERZU

1. Einführung: Ein hausgemachtes Problem? Bei allem Dissens um Leben und Werk des Paulus steht doch soviel fest: Der Apostel hat wiederholt in Haft gesessen und verheimlicht dies auch nicht. So verweist er einerseits im 2. Korintherbrief retrospektiv und summarisch auf mehrfache Gefängnisaufenthalte im Laufe seiner apostolischen Wirksamkeit (vgl. 2 Kor 6,5: ejn fulakai`~; 11,23: ejn fulakai`~ perissotevrw~; vgl. auch 1 Clem 5,6). Andererseits kennzeichnet er seine eigene Situation zum Abfassungszeitpunkt des Philipper- und des Philemonbriefes explizit als eine solche der Gefangenschaft (vgl. Phil 1,7.13f.17: oiJ desmoiv mou; Phlm 1.9: devsmio~; Phlm 10.13: ejn toi`~ desmoi`~). Sodann bezeichnet er, ebenfalls rückblickend (Röm 16,7: Andronikus und Junia) wie aktuell (Phlm 23: Epaphras), einige Glaubensgenossen als Mitgefangene (sunaicmavlwto~). Da Paulus jedoch keinen seiner Gefängnisaufenthalte lokalisiert, ist die genaue Identifikation der Haftorte bis heute strittig. Abgesehen von einem grundsätzlichen Interesse an der Biographie und Chronologie des Apostels wird diese Frage insbesondere hinsichtlich der Entstehungsbedingungen des Philipperund des Philemonbriefes aufgeworfen. Deren Abfassungsort, von dem wiederum die Datierung abhängig ist, wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem hinsichtlich der Konsequenzen für das Verständnis der paulinischen Theologie diskutiert.1 Allerdings lassen sich die Einlei*

1

Dieser Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten auf dem 62. Kongress der Studiorum Novi Testamenti Societas in Sibiu am 2.8.2007. Ich danke den Teilnehmern des Seminars „The Reception of Paul“, namentlich dem Korreferenten Jens Schröter für wichtige Anregungen. Vgl. u.a. U. Wilckens, „Zur Entwicklung des paulinischen Gesetzesverständnisses“, NTS 28 (1982) 154-190; U. Schnelle, Wandlungen im paulinischen Denken (SBS 137, Stuttgart 1989); U. B. Müller, „Der Brief aus Ephesus: Zeitliche Platzierung und theologische Einordnung des Philipperbriefes im Rahmen der Paulusbriefe“, in U. Mell/ id. (eds.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte, FS J. Becker (BZNW 100, Berlin/New York 1999) 155-171, hier: 155-157.162-171.

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tungsfragen der Paulusbriefe – wie üblich – nicht allein aus den Schriften selbst beantworten, so dass man u.a. auf die Angaben der Apostelgeschichte verwiesen ist. Lukas berichtet von insgesamt drei Haftorten des Paulus: Philippi (Apg 16), Caesarea (Apg 24–26) und Rom (Apg 28), wobei die erstgenannte Gefangenschaft zumindest als Abfassungssituation des Philipperbriefes naturgemäß ausfallen muss, welchen die Tradition wiederum schon früh und recht einhellig nach Rom lokalisiert (s.u.). Bevor ich im Folgenden – wie im Titel meines Beitrags angezeigt – auf die Suche nach Spuren einer Haft des Paulus in Ephesus gehe, ist daher zu betonen, dass dies über das explizite neutestamentliche Zeugnis hinaus geschieht. Denn Paulus verortet, wie gezeigt, seine Gefangenschaften nicht, und Lukas berichtet zwar in Apg 19 ausführlich über den Ephesus-Aufenthalt des Apostels, erwähnt dabei aber keine Haft, von der erst die Acta Pauli erzählen (vgl. PHamb p. 1-5). Dennoch ist die Annahme einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus freilich nicht neu. Diese Hypothese wurde m.W. erstmals im Jahr 1897 von Adolf Deissmann2 mündlich in die Diskussion eingebracht und dann lange Zeit eher bestätigt denn bestritten. Sie bestimmte schließlich über weite Teile des letzten Jahrhunderts die Antwort auf die Frage nach dem Abfassungsort der (authentischen und deuteropaulinischen) Gefangenschaftsbriefe (also Philipper-, Philemon-, Epheser- und Kolosserbrief).3 Dass in jüngerer Zeit wieder vermehrt eine späte Abfassung

2 3

Vgl. A. Deissmann, „Zur ephesinischen Gefangenschaft des Apostels Paulus“, in W. H. Buckler/W. M. Calder (eds.), Anatolian Studies presented to Sir William Mitchell Ramsay (Manchester 1923) 121-127, 122; vgl. auch Anm. 13. Vgl. z.B. G. Bornkamm, Paulus (Stuttgart 71993) 96-101; Ph. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur: Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter (Berlin/New York 1975) 166-170; G. Friedrich, „Der Brief an die Philipper“, in J. Becker/H. Conzelmann/id., Die Briefe an die Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher und Philemon (NTD 8, Göttingen 1976) 125-175, 129-131; J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker (Tübingen 21992) 169; J. Gnilka, Der Philipperbrief (HThK X/3, Freiburg et al. 31980) 18-25; Id., Paulus von Tarsus: Apostel und Zeuge (Freiburg et al. 1996) 119-122; W. Schenk, Die Philipperbriefe des Paulus: Kommentar (Stuttgart et al. 1984) 338; U. B. Müller, Der Brief des Paulus an die Philipper (ThHK 11/1, Leipzig 1993) 15-21; Id., „Brief aus Ephesus“ (s. Anm. 1) 157-162; R. E. Brown, An Introduction to the New Testament (New York et al. 1997) 493-496; N. Walter, „Der Brief an die Philipper“, in id./E. Reinmuth/P. Lampe, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon (NTD 8,2, Göttingen 181998) 9-101, hier: 15-17; P. Lampe, „Der Brief an Philemon“, in N. Walter/E. Reinmuth/id., Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon (NTD 8,2, Göttingen 181998) 203-232, 205; I. Broer, Einleitung in das Neue Testament. Band II: Die Briefliteratur, die Offenbarung des Johannes und die Bildung des Kanons (NEB Erg. 2/II, Würzburg 2001) 386-391; P. Pokorný/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament: Seine Literatur und Theologie im Überblick (Tübingen 2007) 287f i.V.m. 290; M. Theobald, „Der Philipperbrief“, in M. Ebner/St. Schreiber (eds.), Einleitung in das Neue Testament (Stuttgart 2008) 365-383, 376-379.

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vor allem des Philipperbriefes in Rom angenommen wird,4 die Frage einer paulinischen Haft in Ephesus jedoch zugleich kein eigenständiges Thema der Forschung mehr ist, wie es demgegenüber vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall war, bildet den Anstoß für meine nachfolgenden Überlegungen. Diese sollen jedoch von den Einleitungsfragen i.e.S. abgekoppelt werden, welche vielfach auf Zirkelschlüssen basieren, wie zumindest an einigen Stellen aufgezeigt werden soll. Im Mittelpunkt des Interesses steht vielmehr die grundsätzlichere Frage nach der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer ephesischen Haft des Paulus aufgrund der bestehenden Quellenlage.5 Damit rückt zugleich die lukanische Darstellung stärker in das Blickfeld, als es sonst bei dieser Diskussion üblich ist. So ist beispielsweise die Frage, warum Lukas über ein solch einschneidendes Ereignis im Leben des Paulus nicht berichtet haben sollte, obwohl er ja auch sonstige Gefangenschaften nicht verheimlicht, zentral und keineswegs irrelevant, wie etwa von Wilhelm Michaelis postuliert wurde: „Daß wir seine [scil. die lk] Gründe noch müßten erkennen können, wird man nicht unbedingt erwarten dürfen. Stünde die Geschichtlichkeit dieser Gefangenschaft anderweitig fest, so würde das Eingeständnis, daß wir die Gründe für das Schweigen der Apg nicht mehr zu nennen vermöchten, keinen entscheidenden Einwand darstellen, dh aber: dieses Schweigen selber stellt k e i n e n Einwand mehr dar.“6

Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil die Historizität einer Gefangenschaft des Paulus in Ephesus nicht anderweitig, d.h. also gar nicht direkt bezeugt ist, muss die Ephesus-Hypothese zunächst aufgrund des indirekten paulinischen und lukanischen Zeugnisses wahrscheinlich gemacht und im Anschluss das Fehlen einer entsprechenden Notiz in der Apostelgeschichte erklärt werden. Damit ist zugleich das weitere 4

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So z.B. P. T. O’Brien, The Epistle to the Philippians. A Commentary on the Greek Text (NIGTC, Grand Rapids, MI 1991) 19-26; P. Wick, Der Philipperbrief. Der formale Aufbau des Briefs als Schlüssel zum Verständnis seines Inhalts (BWANT 135, Stuttgart et al. 1994) 182-187; G. D. Fee, Paul’s Letter to the Philippians (NIC, Grand Rapids, MI 1995) 34-37; M. Günther, Die Frühgeschichte des Christentums in Ephesus (ARGU 1, Frankfurt/M. et al. 21998) 43-46; U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (Göttingen 42002) 153156; M. Gielen, „Paulus – Gefangener in Ephesus? Teil 1“, BN 131 (2006) 79-103, Teil 2: BN 133 (2007) 63-77. Auch wenn die Rom-Lokalisierung gegenwärtig keineswegs mehr unumstritten ist, so ist aufgrund dieses Befundes doch dem eindeutigen Votum von Pokorný/Heckel, Einleitung (s. Anm. 3) 288, zu widersprechen, „in der letzten Zeit [setzte sich] die Hypothese durch, dass Paulus den [scil. Philipper-]Brief von Ephesus aus schrieb“. Ein ähnliches Ziel verfolgt Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 82f, die sich dabei jedoch weitgehend auf die paulinischen Selbstaussagen beschränkt, um die Rom-These zu untermauern. W. Michaelis, Einleitung in das Neue Testament (Bern 21954) 207f (Hervorhebung im Original).

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Vorgehen umrissen: In einem ersten Schritt sollen die – weitgehend bereits früher in der Literatur vorgetragenen – Hinweise auf eine Haft in Ephesus diskutiert werden, die Paulus selbst in seinen Briefen liefert, und zwar auch unabhängig vom Philipper- und Philemonbrief. In einem zweiten Schritt ist die Darstellung des Lukas daraufhin zu untersuchen, ob sich Spuren einer ephesischen Haft in der Apostelgeschichte finden, um schließlich nach möglichen Gründen für eine Vermeidung einer expliziten Erwähnung zu fragen. Dazu wird u.a. auf Einsichten der gegenwärtigen geschichtstheoretischen Debatte um Gattung und Quellenwert der Apostelgeschichte zurückgegriffen. Diese Überlegungen münden in kurze, abschließende Bemerkungen zu Möglichkeiten und Grenzen der Einleitungswissenschaft.

2. Die Selbstaussagen des Paulus 2.1 Philipperbrief7 Es sind zunächst die Hinweise auf die Haft sowie auf die allgemeine Situation am Abfassungsort zusammenzutragen: In Phil 1,7.13f.17 bezeichnet sich Paulus als „Gefangener“ bzw. verweist er auf seine „Ketten“ (oiJ desmoiv mou). Er wurde um Christi willen, d.h. wegen seiner Tätigkeit als Missionar verhaftet (1,13: w{ste tou;~ desmouv~ mou fanerou;~ ejn Cristw/` genevsqai 1,29f: kai; to; uJpe;r aujtou` pavscein ... to;n aujto;n ajgw`na e[conte~, oi|on ei[dete ejn ejmoi; kai; nu`n ajkouvete ejn ejmoiv) und verteidigt sich mit dem Hinweis auf seine Evangeliumspredigt (1,7: kai; ejn th/` ajpologiva/ kai; bebaiwvsei tou` eujaggelivou). Nach 1,13 wird Paulus in einem praitwvrion gefangen gehalten. Der Ausgang seines Prozesses ist noch ungewiss: Sowohl ein Freispruch als auch die Todesstrafe scheinen ihm möglich (1,19-24; 2,17), doch wirkt Paulus insgesamt optimistisch (2,24). 7

Abgesehen von guten Argumenten für die Einheitlichkeit des Philipperbriefes kann die Diskussion von Teilungshypothesen hier außer acht gelassen werden, da auch für den Fall verschiedener Brieffragmente die äußere Situation des Verfassers als eines Gefangenen die gleiche bleibt. So beispielsweise auch Schenk, Philipperbriefe (s. Anm. 3) 335f, der die hier interessierenden Abschnitte 1,13 und 4,21-23 aus semantischen Gründen verschiedenen Brieffragmenten zuweist, aber betont: „Tatsächlich ergibt sich aus diesem Zusammenhang nur der gleiche Absendeort, während ein epistolischer Zusammenhang durch die Art der Erwähnung nicht gegeben ist.“ Vgl. auch Müller, Philipperbrief (s. Anm. 3) 210 ad 4,22: „Zwischen der Abfassung des Briefteils 1,1–3,1, der eben jene Leute [d.h. Angehörige des Prätoriums; H.O.] zum ersten Mal erwähnt, und 3,2–4,23 scheint eine gewisse Zeit vergangen zu sein“. Theobald, „Philipperbrief“ (s. Anm. 3) 372-374, ordnet Phil 1,1–3,1a; 4,2-7.10-23 dem Gefangenschaftsbrief Phil A zu, von dem er das „Brieffragment (Phil B)“ (ibid., 373) in 3,1b-11.4,8f unterscheidet, das er nach Korinth lokalisiert (ibid., 379).

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Seine Haftbedingungen sind jedenfalls so offen, dass er Besuch empfangen (Timotheus: 1,1; 2,19-23; Epaphroditus: 2,25.28; 4,18) und Briefe schreiben kann. Timotheus wird als Mitabsender des Briefes genannt (1,1), aber nicht als Mitgefangener bezeichnet. Paulus kündigt der Gemeinde vielmehr dessen Besuch an (2,19-23). Darüber hinaus zeugt der Philipperbrief von einer regen Missionstätigkeit der christlichen Gemeinde am Haftort, die keine genuine Gründung des Paulus zu sein scheint und dessen Gefangenschaft kontrovers beurteilt (1,13-18). Zu den von Paulus persönlich Bekehrten gehören auch Angehörige des Kaiserhauses (4,22: oiJ ejk th`~ Kaivsaro~ oijkiva~). Im Blick auf unsere Fragestellung gilt es nun zu prüfen, auf welchen Haftort diese Bedingungen am besten passen.8 In der Forschung wurden und werden, wie bereits angedeutet, drei Städte als Abfassungsorte des Philipperbriefes diskutiert: Rom, Caesarea Maritima und Ephesus. Die längste, bis in die Alte Kirche zurückreichende Tradition hat die Lokalisierung in Rom. Sie wird u.a. bezeugt durch die (sekundären) subscriptiones der Codizes B1, 075, 6, 1739, 1881 und den Mehrheitstext sowie durch den marcionitischen Prolog9. Die römische Abfassung des Philipperbriefes galt bis in das 19. Jahrhundert hinein als nahezu unstrittig.10 Heinrich Eberhard Gottlob Paulus brachte 1799 erstmals Caesarea als alternativen Abfassungsort in die Diskussion ein,11 was sich in der Forschung jedoch nie durchgesetzt hat.12 Die Ephesus-Hypothese wurde erst gut hundert Jahre später literarisch erstmals von Heinrich Lisco13 sowie bald darauf unabhängig von ihm 8 9 10

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Vgl. W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament (Heidelberg 171973) 284; Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 153. Vgl. F. Stegmüller (ed.), Repertorium Biblicum Medii Aevi 1: Initia Biblica, Apocrypha, Prologi (Madrid 1940) 295 Nr. 715. Vgl. zur Forschungsgeschichte Michaelis, Einleitung (s. Anm. 6) 204-211. Zu den Hauptvertretern der Rom-Hypothese im letzten Jahrhundert gehören im deutschsprachigen Raum Josef Schmid (Id., Zeit und Ort der paulinischen Gefangenschaftsbriefe. Mit einem Anhang über die Datierung der Pastoralbriefe [Freiburg 1931]) sowie im englischsprachigen Raum Charles Harold Dodd (Id., “The Mind of Paul II”, in id., New Testament Studies [Manchester 1953] 83-128); vgl. auch Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8) 284 Anm. 5; Vielhauer, Geschichte (s. Anm. 3) 166-170; Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 153-156. Vgl. Michaelis, Einleitung (s. Anm. 6) 205; Schmid, Zeit (s. Anm. 10) 2 Anm. 1; vgl. als Vertreter der Caesarea-Hypothese vor allem E. Lohmeyer, Der Brief an die Philipper (KEK IX/1, Göttingen 141974 [11930]) 3f. Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8) 288, bemerkt: „Wirklich triftige Einwände gegen Caesarea als Abfassungsort des Phil gibt es nicht, aber auch keinen besonderen Hinweis im Phil auf Caesarea als Abfassungsort, und so wird diese Lokalisierung heute fast allgemein, doch wohl allzu rasch, abgelehnt.“ Gnilka, Philipperbrief (s. Anm. 3) 19, weist darauf hin, dass „eine caesareensische Abfassung des Phil eigentlich mehr widerlegt als begründet wurde“. Freilich hat sie die gleichen Argumente wie die Rom-Hypothese gegen sich, aber außer Apg 24–26 keine für sich. Vgl. H. Lisco, Vincula Sanctorum (Berlin 1900); Id., Roma peregrina (Berlin 1901).

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von Adolf Deissmann14 vertreten und dann vor allem von Paul Feine15, Wilhelm Michaelis16 und George S. Duncan17 ausführlich behandelt. Der Haupteinwand gegen die Ephesus-Hypothese ist freilich das Schweigen der Apostelgeschichte, worauf später zurückzukommen ist. Als Ansatzpunkt für eine Lokalisierung des Philipperbriefes dienten oft die Erwähnung des Prätoriums in 1,13 (ejn o{lw/ tw/` praitwrivw/) sowie der Gruß der Angehörigen des Kaiserhauses in 4,22 (ajspavzontai uJma`~ ... oiJ ejk th`~ Kaivsaro~ oijkiva~). Doch sind beide Angaben so allgemein, dass sie sowohl nach Rom als auch in eine römische Provinzhauptstadt wie Ephesus oder Caesarea verweisen können. Das griechische Lehnwort praitwvrion für das lat. praetorium bezeichnet zwar ursprünglich das Hauptquartier eines Praetors sowie dessen Umgebung, dann auch die Praetorianerkohorte bzw. ihre Kaserne. In den Provinzen findet sich der Ausdruck aber u.a. auch für den Amts- oder Wohnsitz des Statthalters oder eines hohen Beamten, so etwa in den Evangelien für die Residenz des Pilatus in Jerusalem (vgl. Mk 15,16 par Mt 27,27; Joh 18,28.33; 19,9; vgl. Apg 23,35 vom ehemaligen Herodespalast).18 In Italien bezieht sich der Begriff auch auf den Landsitz des Kaisers oder eines kaiserlichen Beamten.19 Der Hinweis in Phil 1,13 könnte somit 14

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Vgl. A. Deissmann, Licht vom Osten: Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt (Tübingen 41923 [11908]) 1165f, 4201f; Id., Paulus: Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze (Tübingen 21925 [11911]) 111, 213f mit Anm. 2; Id., „Gefangenschaft“ (s. Anm. 2). Vgl. P. Feine, Die Abfassung des Philipperbriefes in Ephesus mit einer Anlage über Röm. 16,3-20 als Epheserbrief (BFCT 20,4, Gütersloh 1916). Vgl. W. Michaelis, Die Gefangenschaft des Paulus in Ephesus und das Itinerar des Timotheus: Untersuchungen zur Chronologie des Paulus und der Paulusbriefe (NTF I 3, Gütersloh 1925); Id., “The Trial of St. Paul at Ephesus”, JTS 29 (1928) 368-375; Id., Pastoralbriefe und Gefangenschaftsbriefe (NTF I 6, Gütersloh 1930); Id., Die Datierung des Philipperbriefes (NTF I 8, Gütersloh 1933); Id., Der Brief des Paulus an die Philipper (ThHK XI, Leipzig 1935) 2-6; Id., Einleitung (s. Anm. 6) 204-211. Vgl. G. S. Duncan, St. Paul’s Ephesian Ministry: A Reconstruction with Special Reference to the Ephesian Origin of the Imprisonment Epistles (London/New York 1929); Id., “A New Setting for Saint Paul’s Epistle to the Philippians”, ET 43 (1931/1932) 7-11; Id., “The Epistles of the Imprisonment in Recent Discussion”, ET 46 (1934/1935) 293-298; Id., “Were Paul’s Imprisonment Epistles Written from Ephesus?”, ET 67 (1955/1956) 163-166; Id., “Paul’s Ministry in Asia – The Last Phase”, NTS 3 (1956/1957) 211-218; Id., “Chronological Table to illustrate Paul’s Ministry in Asia”, NTS 5 (1958/1959) 4345. Vgl. W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, ed. Kurt und Barbara Aland (Berlin, 6. völlig neubearbeitete Auflage, 1988) 1397f; Gnilka, Philipperbrief (s. Anm. 3) 57f. Vgl. auch Müller, Philipperbrief (s. Anm. 3) 52 Anm. 25, zur Widerlegung der älteren Annahme, praitwvrion könne nicht den Sitz eines Prokonsuls einer senatorischen Provinz wie der Asia bezeichnen, sowie H. Omerzu, Der Prozeß des Paulus: Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte (BZNW 115, Berlin/New York 2002) 416-418 (Lit!), zum Herodespalast in Caesarea Maritima. Vgl. Lohmeyer, Philipperbrief (s. Anm. 11) 41.

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zwar die kaiserliche Garde in Rom bezeichnen, aber ebenso gut auch die Residenz des Statthalters (und dessen Umfeld) in Caesarea oder Ephesus. Somit lässt sich aus dieser Angabe lediglich eine Haft des Paulus aufgrund römischer Verantwortung erschließen, aber keine nähere Identifikation des Gefangenschaftsortes vornehmen. Aufgrund des anschließenden kai; toi`~ loipoi`~ pavsin ist der Ausdruck ejn o{lw/ tw/` praitwrivw/ jedenfalls nicht auf das Gebäude, sondern auf die Bewohner bzw. die dort tätigen Beamten und Soldaten zu beziehen.20 Einige von ihnen gehören vielleicht zu den in 4,22 grüßenden oiJ ejk th`~ Kaivsaro~ oijkiva~. Zum kaiserlichen Haushalt21 zählten „alle kaiserlichen Bediensteten vom höchsten Beamten bis zum letzten Sklaven (…) nicht nur in Rom, sondern auch in allen Provinzen des Reiches“22. Daher trägt auch der Hinweis auf die familia Caesaris für die Frage des Abfassungsortes des Philipperbriefes nichts aus.23 Auch eine genauere Bestimmung der gegnerischen Parteien in 1,14-18 ist kaum möglich. Die distanzierte Haltung, die Paulus hier einnimmt, lässt vermuten, dass er die Gemeinde an seinem Haftort nicht selbst gegründet hat, doch dies trifft auf alle der drei vorgeschlagenen Orte zu. Ähnliches gilt für die liberalen Haftbedingungen, die im Philipperbrief anklingen. Nach der Apostelgeschichte konnte Paulus auch während der Inhaftierungen in Jerusalem, Caesarea und Rom Besuch empfangen (vgl. Apg 23,16; 24,23; 28,17.23. 30), und er wurde in der Hauptstadt in Hausarrest (custodia militaris) statt – wie sonst zur Untersuchungshaft üblich – im carcer (custodia publica) verwahrt (vgl. Apg 28,16.23).24 Für Ephesus könnte man allenfalls analoge Verhältnisse erschließen, doch muss dies reine Spekulation bleiben. Als weitere, indirekte Indizien für den Haftort des Paulus werden sodann regelmäßig die vielfältigen Kontakte zwischen dem Gefangenen und den Philippern angeführt, welche bei einer relativen Nähe von Absender und Adressaten einfacher zu realisieren gewesen wären. Je nachdem, wie man die entsprechenden Angaben des Philipperbriefes 20 21 22 23 24

Vgl. Gnilka, Philipperbrief (s. Anm. 3) 58: „Die Sache Pauli wurde vor den Beamten des Prätoriums und den sonst bei den Verhandlungen Anwesenden bekannt“. Vgl. Philo, Flacc 35; Jos, Ant 13,142; Bauer/Aland, Wörterbuch (s. Anm. 18) 803.1131. Gnilka, Philipperbrief (s. Anm. 3) 182. Das gilt auch angesichts der inschriftlichen Belege, die uns für Vereine von Kaisersklaven in Ephesus vorliegen; so bereits M. Dibelius, An die Thessalonicher I-II. An die Philipper (HNT 11, Tübingen 31937) 97. Vgl. S. Arbandt/W. Macheiner, „Gefangenschaft“, RAC 9 (Stuttgart 1976) 318-345, 327; H. F. Hitzig, „Custodia“, PRE IV,2 (Stuttgart 1901) 1897-1899, 1897-1899; H. W. Tajra, The Trial of St. Paul: A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles (WUNT II 35, Tübingen 1989) 180; B. M. Rapske, The Book of Acts and Paul in Roman Custody, vol. 3 of B. W. Winter (ed.), The Book of Acts in Its First Century Setting (Grand Rapids, MI/Carlisle 1994) 11; Omerzu, Prozeß (s. Anm. 18) 144f.

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deutet, kommt man auf bis zu acht (aufeinander folgende!) Reisen zwischen dem Haftort des Paulus und der makedonischen Gemeinde, die zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes entweder bereits stattgefunden haben oder für die nahe Zukunft geplant sind.25 Abgesehen davon, dass die z.B. von Udo Schnelle für die – bereits in der Luftlinie etwa 1000 km lange – Strecke Rom–Philippi veranschlagte Reisedauer von zwei bis maximal vier Wochen sehr optimistisch sein dürfte,26 kommt der Alternative Ephesus–Philippi allein deshalb mehr Glaubwürdigkeit zu, weil diese Distanz nach Auskunft der Apostelgeschichte in einer guten Woche zurückgelegt werden konnte.27 Ein zwingender Grund gegen Rom als Abfassungsort liegt damit aber dennoch nicht vor, wenn wir mit Apg 28,30 von einer mindestens zweijährigen Haft ausgehen.28 Demgegenüber spricht die in Phil 2,24 geäußerte Hoffnung des Paulus, die Philipper bald persönlich besuchen zu können (kai; aujto;~ tacevw~ ejleuvsomai), deutlicher für eine Abfassung in Ephesus statt in Rom. Denn zum einen wollte Paulus von Rom aus seine lange geplante Spanienreise antreten (vgl. Röm 15,24.28),29 so dass der Besuchswunsch in Phil 2,24 – sofern er nicht allein dem Briefformular geschuldet ist30 – aus römischer Perspektive eine grundlegende Änderung seiner Reise-

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Vgl. Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8) 285; Deissmann, „Gefangenschaft“ (s. Anm. 2) 124-126: Zunächst muss die Nachricht von der Gefangenschaft des Paulus die Gemeinde in Philippi erreichen (1. Reise), woraufhin Epaphroditus an den Haftort gesandt wird (Phil 2,25-30: 2. Reise). Daraufhin erfahren zunächst die Philipper von seiner Erkrankung (3. Reise). Als Paulus wiederum Kenntnis von ihrer Sorge um Epaphroditus erhält (4. Reise), schickt er diesen zurück (Phil 2,28; 5. Reise). Darüber hinaus will er Timotheus nach Philippi senden (6. Reise), der ihm wiederum Nachrichten aus der Gemeinde übermitteln soll (7. Reise). Schließlich kündigt Paulus seinen eigenen Besuch an (8. Reise). Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 155; vgl. für weniger optimistische Berechnungen R. Reck, Kommunikation und Gemeindeaufbau. Eine Studie zu Entstehung, Leben und Wachstum paulinischer Gemeinden in den Kommunikationsstrukturen der Antike (SBB 22, Stuttgart 1991) 85-87, sowie zur grundsätzlichen Schwierigkeit, Durchschnittswerte zu ermitteln, L. Casson, Reisen in der Alten Welt (München 1976) 173-187 (über See); 218227 (über Land); B. M. Rapske, “Acts, Travel, and Shipwreck”, in D. W. J. Gill/C. Gempf (eds.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting, vol. 2 of B. W. Winter (ed.), The Book of Acts in Its First Century Setting (Grand Rapids, MI/Carlisle 1994) 1-47, 614.22-29; Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 389. Vgl. Deissmann, „Gefangenschaft“ (s. Anm. 2) 126, der daher zu dem Schluss kommt: Sofern Rom der Gefangenschaftsort ist, „können diese Wege nicht durchmessen worden sein; denn sie sind innerhalb der zweijährigen römischen Haft des Paulus (…) nicht unterzubringen, erst recht nicht innerhalb eines Teiles dieser Zeit, den man wahrscheinlich nur zur Verfügung hat“. Ebenso Günther, Frühgeschichte (s. Anm. 4) 45; Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 87. Diese Pläne sind hingegen mit einer Gefangenschaft in Caesarea durchaus kompatibel: Sofern Paulus als freier Mann nach Rom gereist wäre, hätte er auch den Weg über Makedonien wählen können. Diese Möglichkeit erwägt Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 155.

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pläne implizierte,31 die freilich auch nicht unmöglich ist. Schwerer wiegt aber wohl zum anderen, dass ein Besuch der christlichen Gemeinde in Philippi nach seiner Freilassung aus der Haft in Ephesus mit dem Verlauf der so genannten dritten Missionsreise übereinstimmt, wie sie Apg 20,1 schildert (vgl. auch 1 Kor 16,5; 2 Kor 2,13; 7,5).32 Hinzu kommt außerdem, dass Phil 1,26.30 und vor allem 4,15f (vgl. auch 2,12.22) am ehesten so aufzufassen sind, dass Paulus nach seinem Gründungsaufenthalt die Gemeinde in Philippi nicht mehr persönlich aufgesucht hat, was zu einer Haft vor der in Apg 20,1 bzw. 20,9 reflektierten Zeit passt, nicht aber zu einer römischen Gefangenschaft.33 In Phil 1,30 vergleicht Paulus die gegenwärtige Situation der um Christi willen leidenden Gemeinde mit seinem eigenen Schicksal während seines Gründungsaufenthaltes in Philippi (vgl. Apg 16,22) und während seiner jetzigen Haft. Daraus eine Frühdatierung abzuleiten, wie es wiederholt versucht wurde,34 erscheint jedoch nicht zwingend. Entscheidend sind allein die Vergleichbarkeit der Leidenserfahrung und der daraus resultierende Trost für die Gemeinde. Ebenso trägt das Fehlen des Kollektenthemas im Philipperbrief nichts für die Datierung und damit die Lokalisierung aus. Gegen die von Vertretern der RomHypothese vorgebrachte Annahme, dies deute darauf hin, dass die paulinische Sammlung für Jerusalem bereits abgeschlossen gewesen sei,35 ist zu erwägen, ob sie „in Makedonien nicht erst nach der Ephesuszeit [vielleicht auch erneut?; H.O.] in Gang kommt – als der Brief

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Vgl. aber Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 155: „Die geplante Spanienreise wäre durch einen Besuch in Philippi (…) nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.“ Vgl. W. Thiessen, Christen in Ephesus: Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe (TANZ 12, Tübingen/Basel 1995) 118. Vgl. Michaelis, Einleitung (s. Anm. 6) 207. Gnilka, Philipperbrief (s. Anm. 3) 20, erinnert an 2 Kor 12,14; 13,1, wo Paulus „den Korinthern wohl ins Gedächtnis [ruft], zum wievielten Male er kommt. Darum wird man für Phil 1,26 sagen dürfen, daß parousiva pavlin am ersten Besuch orientiert ist.“ Vgl. Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8) 290: „Das deutet auf einen Vorgang der jüngsten Vergangenheit, nicht auf die jahrelange Haft in Caesarea und Rom.“ Ähnlich auch Müller, „Brief aus Ephesus“ (s. Anm. 1) 158; Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 388, weist zu Recht darauf hin, dass in 1,30 auf den Gründungsbesuch angespielt sein kann, „ohne einen inzwischen evtl. erfolgten Besuch, bei dem solche Erfahrungen keine Rolle spielten, zu erwähnen“. Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 86, bezieht den ajgwvn in Phil 1,30 nicht allgemein auf die Gefangenschaft des Paulus, sondern auf die Verteidigung des Evangeliums im Verlauf einer Gerichtsverhandlung, was durchaus bedenkenswert ist. Daraus ein Argument für eine römische Abfassung abzuleiten, insofern Paulus „[d]iese Chance (…) freilich erst mit der Eröffnung seines Prozesses in Rom, nicht aber während der vorausgehenden längeren Inhaftierungsphase“ (ibid.) bekam, ist nicht schlüssig, da es auch im Falle einer ephesischen Gefangenschaft zu einer Verhandlung gekommen wäre. Vgl. z.B. Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 154.

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längst geschrieben ist“36. Vielleicht verlief die Sammlung in Philippi auch so problemlos, dass Paulus gar nicht darauf Bezug nehmen musste. Da sich über mögliche Gründe nur spekulieren lässt,37 liegt uns wiederum kein zwingendes Indiz für die eine oder die andere Lokalisierung vor. Das gleiche gilt für die bislang ausgesparte Frage nach der Einordnung der paulinischen Polemik gegen das Gesetz und Israel in Phil 3 in den Kontext der anderen Briefe, vor allem nach der Verhältnisbestimmung mit den ähnlich kämpferischen Aussagen des Galaterbriefes und der versöhnlichen und ausgewogenen Position im Römerbrief. Hier stehen sich die Meinungen der Forschung diametral gegenüber. Für Ulrich B. Müller gilt z.B., dass „Paulus den Phil kaum nach der differenzierenden Sicht des Röm geschrieben haben [kann] – es sei denn um den Preis erheblicher Inkonsequenz seines Denkens“38. Die Reflexion des Themas Kirche und Israel im Römerbrief ist für Müller zwar kein Ausdruck einer theologischen Entwicklung des Apostels, aber doch das Ergebnis eines missionsgeschichtlich begründeten Lernprozesses.39 Angesichts seines „intensiven Ringens um das eschatologische Geschick Israels“ im Römerbrief sei es nicht möglich, „die Aussagen von Phil 3 über das Gesetz als Äußerungen zu verstehen, die nach diesem Lernprozeß gemacht sind“40. Marlis Gielen kritisiert demgegenüber an dieser Deutung den Versuch, „die theologische Argumentation des Paulus zu systematisieren, statt sie in der brieflichen Gebrochenheit konkreter Abfassungssituationen und unterschiedlich akzentuierter Gemeindeprobleme wahrzunehmen und zu würdigen“41. Sie führt die unterschiedlichen Akzentuierungen der Gesetzes- und Israelthematik auf die Situations36

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Müller, Philipperbrief (s. Anm. 3) 15 mit Hinweis auf Becker, Paulus (s. Anm. 3) 27. Allerdings besitzen wir ohnehin kaum konkrete Informationen über die Organisation der Kollekte, etwa wo das Geld verwahrt wurde oder warum die Übergabe erst etliche Jahre nach der Vereinbarung des Apostelkonvents erfolgte. Vgl. H. D. Betz, 2. Korinther 8 und 9: Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und für die deutsche Ausgabe redaktionell bearbeitet von Sibylle Ann (Gütersloh 1993) 251-256; F. W. Horn, „Die letzte Jerusalemreise des Paulus“, in id. (ed.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte (BZNW 106, Berlin/New York 2001) 15-35, 24. Gnilka, Philipperbrief (s. Anm. 3) 24, erwägt, ob Paulus zunächst „sein eigenes Geschick sicher absehen wollte, ehe er die Kollektensache wieder vorantrieb“, oder ob die „Erörterung und Durchführung dieses Projektes durch die Boten des Apostels“ erfolgte. Theobald, „Philipperbrief“ (s. Anm. 3) 378, betont: „[I]hn plagten andere Sorgen, auch lag ihm der Dank an die Philipper für ihre Großzügigkeit näher“. Müller, „Brief aus Ephesus“ (s. Anm. 1) 157. Vgl. Müller, ibid., 169: „Der Apostel mußte darunter leiden, daß das auserwählte ‚Israel’ in seiner Mehrheit das Evangelium ablehnte und der primäre Adressat der christlichen Botschaft ausfiel.“ Beide Zitate ibid., 170. Gielen, „Paulus I” (s. Anm. 4) 96.

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gebundenheit der paulinischen Erörterungen zurück.42 Dabei sei grundlegend, dass sich „Phil 3 ebenso wie Gal und Röm 1–8 einer innerchristlichen Auseinandersetzung verdanken“43, während in Röm 9–11 „die Frontstellung Heidenchristen vs nichtchristusgläubige Juden bestimmend“44 sei. Ohne ihre exegetische Auffassung in allen Einzelheiten zu teilen, ist Gielen in ihrer Schlussfolgerung zuzustimmen, dass ein theologischer Vergleich von Gal, Röm und Phil keinen Rückschluss auf deren chronologische Einordnung erlaubt. Denn diese Entscheidung hängt maßgeblich davon ab, wie der Exeget oder die Exegetin das Verhältnis von Kohärenz und Situationsbedingtheit paulinischen Denkens bestimmt. Mit der Datierbarkeit fällt aber ein weiteres Indiz für die Lokalisierung des Philipperbriefes. 2.2 Philemonbrief Wie im Philipperbrief, so umschreibt Paulus auch im Philemonbrief seine Situation als die einer Gefangenschaft um Christi bzw. des Evangeliums willen, ohne den Haftort zu erwähnen (VV.1.9: devsmio~ Cristou` ∆Ihsou`; 10.13: ejn toi`~ desmoi`~ tou` eujaggelivou). In V.9 bezeichnet er sich selbst als alten Mann (presbuvth~). Er nennt Epaphras ausdrücklich als seinen Mitgefangenen (V.23: oJ sunaicmavlwtov~ mou ejn Cristw/` ∆Ihsou`), nicht aber Timotheus, der aber wiederum Mitabsender des Briefes ist (V.1). Darüber hinaus ist Paulus der Kontakt zu anderen Mitarbeitern (V.24: Markus, Aristarch,45 Demas, Lukas) ebenso möglich, wie Mission zu treiben (V.10: o}n ejgevnnhsa ejn toi`~ desmoi`~, ∆Onhvsimon). Es herrschen also ähnliche Haftbedingungen wie bei der Abfassung des Philipperbriefes. Dennoch dürfen die Situationen nicht vorschnell miteinander identifiziert werden.46 Denn während im Philipperbrief der Prozessaus42 43 44 45

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Vgl. mit der gleichen Tendenz Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 155. Gielen, „Paulus I” (s. Anm. 4) 103. Ibid. Nach Apg 19,29 war Aristarch ein sunevkdhmo~ des Paulus, der gemeinsam mit Gaius in den Demetrius-Aufstand verwickelt war. Er könnte identisch sein mit dem Thessalonicher Aristarch, der Mitglied der Kollektendelegation (20,4) und des Gefangenentransportes nach Rom (27,2) war. In Kol 4,10 wird er als Mitgefangener des Paulus bezeichnet. So aber z.B. Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 166: „Der Phlm gehört in die unmittelbare Nähe des Phil, denn Paulus findet sich in Gefangenschaft (…), und wie bei der Abfassung des Phil sind Timotheus und andere Mitarbeiter bei ihm“; vgl. ebenso Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 88 und „Paulus II“ (s. Anm. 4) 63; Pokorný/Heckel, Einleitung (s. Anm. 3) 289f. Konträr dazu urteilt Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 401, aufgrund der unterschiedlichen Prozessperspektive, dass „der Philipperbrief (…) und der Philemonbrief nicht in der gleichen Gefangenschaft entstanden sein können“. Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8) 291, sieht den Philipperbrief in Ephesus oder

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gang noch völlig offen zu sein scheint, drückt sich in der Anweisung Phlm 22 eJtoivmazev moi xenivan deutlich die Gewissheit des Paulus hinsichtlich einer baldigen Freilassung aus, und zwar in weitaus konkreterer Gestalt als im Besuchswunsch Phil 2,24.47 Für den Philemonbrief ist die Frage, auf welchen Haftort die genannten Bedingungen am besten passen, noch schwerer zu beantworten als für den Philipperbrief, da er weder über den Abfassungs- noch den Zielort direkte Angaben enthält.48 Aufgrund der zahlreichen Namensübereinstimmungen mit dem Brief an die Kolosser (vgl. Kol 4,9: Onesimus; 4,17: Archippus; 1,7; 4,12: Epaphras; 4,10: Markus; Aristarch; 4,14: Demas; Lukas) werden die Adressaten des Philemonbriefes häufig in der dortigen Gemeinde verortet. Allerdings muss damit gerechnet werden, dass sich die pseudepigraphe Fiktion des deuteropaulinischen Kolosserbriefes nicht nur auf den Verfasser erstreckt, sondern dass auch das weitere Personeninventar von ihm in den Dienst gestellt wird, die Authentizität des Schreibens abzusichern. Der anonyme Verfasser des Kolosserbriefes wird sich dabei zwar wahrscheinlich auf eine Tradition beziehen, die u.a. Archippus und Onesimus in Kolossae lokalisierte, doch – so die zu Recht skeptische Einschätzung von Ingo Broer – ob „diese Tradition den Tatsachen entspricht, läßt sich nicht mehr sagen“49. Falls der Zielort des Philemonbriefes tatsächlich Kolossae ist, wäre es wahrscheinlicher, dass sich der Sklave Onesimus (vgl. VV.10-12) zu Paulus nach Ephesus als in die weit entfernten Städte Caesarea oder Rom begeben hat.50 Dies gilt zunächst unabhängig davon, wie das unerlaubte Weggehen aus dem Haus seines Herren rechtlich zu beurteilen ist, ob Onesimus also – so die traditionelle Auffassung – als ein flüchtiger Sklave (fugitivus) oder aber – wie in der jüngeren Forschung diskutiert – als Herumtreiber (erro)51 einzuschätzen ist, der Paulus als Für-

47

48 49 50 51

Caesarea, aber kaum in Rom abgefasst, wohingegen er für den Philemonbrief (freilich wegen der Anerkennung des Kolosserbriefes als paulinisch) eine Abfassung in Caesarea oder Rom als wahrscheinlicher erachtet (ibid., 306f). M. Wolter, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon (ÖTK 12, Gütersloh 1993) 280, ordnet die Bitte in Phlm 22 als Element der „brieflichen Freundschaftstopik“ den übrigen Besuchsankündigungen des Paulus zu. Dagegen verweist Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 90, zu Recht auf die ungewöhnliche „Konkretheit“ und auf die „imperativische Formulierung“ von Phlm 22 im Vergleich zu sonstigen Ankündigungen der apostolischen Parusie. Auf die Gefahr des Zirkelschlusses verweist Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 401. Broer, ibid., 403; vgl. ähnlich skeptisch Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 91; M. Ebner, „Der Philemonbrief“, in id./St. Schreiber (eds.), Einleitung in das Neue Testament (Stuttgart 2008) 397-407, 404f. P. Stuhlmacher, Der Brief an Philemon (EKK, Zürich et al. 1975) 21, verweist sowohl auf die Entfernung als auch auf die Kosten der Reisen von Kolossae nach Rom oder Caesarea. Vgl. H. Bellen, Studien zur Sklavenflucht im römischen Kaiserreich (FASk 4, Wiesbaden 1971) 18.78; P. Lampe, „Keine ‚Sklavenflucht’ des Onesimus“, ZNW 76 (1985) 135-

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sprecher in einem Konflikt mit Philemon bemüht.52 Letzteres würde u.a. auch besser erklären, warum Onesimus Paulus in einem Gefängnis aufsucht, obwohl doch dort die Gefahr besonders groß war, ergriffen zu werden. Sollte Onesimus doch ein fugitivus gewesen sein, dürfte dieses Risiko in den Provinzen geringer gewesen sein als in der Hauptstadt Rom, wo es bereits „in der Mitte des 1.Jh.s ein perfekt organisiertes Instrumentarium für die Wiederergreifung flüchtiger Sklaven“ gab53. Im Gegensatz dazu ist, so betont Ebner zu Recht, „die Suche nach einem Mediator … im stadtrömischen Milieu gut vorstellbar“54. Insgesamt bieten somit jedoch die Erwägungen über den Fluchtort des Onesimus keine aussagekräftigen Argumente für die Bestimmung des Haftortes des Paulus. Auch die in V.22 geäußerten Reisepläne des Apostels helfen bei der Lokalisierung nicht weiter, solange keine Gewissheit über den Wohnsitz des Philemon besteht. So wäre zwar der baldige Besuch Kolossaes von Ephesus aus problemlos möglich, aber das gleiche gilt aus römischer Perspektive für einen Zielort in der Umgebung der Hauptstadt. Anders als bei den in Phil 2,24 geäußerten Besuchswünschen hätte Paulus dabei auch seine Reisepläne aus Röm 15,24.28 nicht ändern müssen, denn ein kurzer Zwischenstopp in der Nähe von Rom hätte seine Spanienpläne nicht weiter tangiert. Auf eine Spätdatierung des Philemonbriefes in Rom könnte die Selbstbezeichnung Pauli als presbuvth~ deuten. Allerdings lässt dieser Ausdruck keine eindeutigen Rückschlüsse auf ein absolutes Lebensalter zu. Er begegnet in der antiken Literatur gelegentlich bereits für die Phase im Anschluss an das Jünglingsalter (Dio Chrysostomos, Or. 74,10), bezeichnet dann also einen Mann ab ca. 40 Jahren. In der Regel wird der Ausdruck aber für die Lebensstufe jenseits der 50 verwendet.55

52 53

54 55

137; P. Arzt-Grabner, „Onesimus erro: Zur Vorgeschichte des Philemonbriefes“, ZNW 95 (2004) 131-143, 141-143; vgl. auch B. M. Rapske, “The Prisoner Paul in the Eyes of Onesimus”, NTS 37 (1991) 187-203, sowie zur Kritik an dieser Position bes. S. R. Llewelyn, “The Government’s Pursuit of Runaway Slaves”, in id., New Documents Illustrating Early Christianity VIII (Macquarie University 1998) 9-46, 40-46, und J. A. Harrill, “Using the Roman Jurists to Interpret Philemon: A Response to Peter Lampe”, ZNW 90 (1999) 135-138. Vgl. für eine Übersicht über weitere Lösungsvorschläge Arzt-Grabner, „Onesimus“ (s. Anm. 51) 132f. Stuhlmacher, Philemonbrief (s. Anm. 50) 21. Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 92, hält Onesimus für einen erro, vermutet aber in der weitläufigen Hauptstadt bessere Bedingungen für seinen „Streifzug“ als in Ephesus bzw. Kleinasien. Hier spiegelt sich doch wohl ein zu romantisches Bild antiker Lebenswirklichkeit wider. Wie sollte Onesimus dabei im Übrigen „zufällig mit Paulus in Kontakt gekommen sein“ (ibid.), während dieser in Haft saß? Ebner, „Philemonbrief“ (s. Anm. 49) 404. Vgl. zur Diskussion Wolter, Philemonbrief (s. Anm. 47) 260; Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 402.

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Falls der in V.23 als Mitgefangener bezeichnete Epaphras mit dem in Phil 2,25; 4,18 genannten Epaphroditus zu identifizieren ist,56 läge uns neben V.22 ein weiterer Hinweis auf eine vom Philipperbrief unterschiedene Haftsituation vor. Dabei stellte sich freilich die Perspektive des Epaphroditus schlechter dar als im Philipperbrief, während es sich bei Paulus gerade umgekehrt verhält. Doch diese Beobachtung muss nicht notwendig auf unterschiedliche Haftorte verweisen, sondern kann der langen Dauer der Gefangenschaft geschuldet sein. Gegen Rom als Haftort könnte noch in Anschlag gebracht werden, dass von einem Aufenthalt des Timotheus, der in Phlm 1 als Mitabsender erscheint, nichts bekannt ist,57 aber auch dies ist wieder ein unzulässiges argumentum e silentio. Vorläufig ist also festzuhalten, dass keiner der beiden authentischen Gefangenschaftsbriefe hinreichende und eindeutige Aufschlüsse über ihre Lokalisierung bietet. Aufgrund der regen Kontakte zwischen Haft- und Zielort sowie der Reisepläne des Paulus ergibt sich jedoch zumindest für die Abfassungssituation des Philipperbriefes eine größere Wahrscheinlichkeit für eine ephesische als für eine römische Haft. 2.3 Sonstige Nachrichten Paulus selbst spielt vor allem in der Korintherkorrespondenz auf verschiedene Bedrohungen in der Asia bzw. in Ephesus – wo er zugleich den 1. Korintherbrief verfasst hat (1 Kor 16,8) – an, ohne sie jedoch genauer zu benennen. Im Folgenden ist zu erörtern, ob diese Bemerkungen näheren Aufschluss über die vermutete ephesische Gefangenschaft bieten. Nach 1 Kor 15,32 hat Paulus in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft (ejqhriomavchsa ejn ∆Efevsw/), was wohl nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne zu verstehen ist.58 Gegen eine wörtliche Deutung59 spricht u.a., dass der Tierkampf im Peristasenkatalog 2 Kor 11,23-29 nicht aufgeführt wird, dass die Verurteilung eines römischen Bürgers ad bestias zumindest illegal gewesen wäre,60 vor allem aber dass 56 57 58 59 60

Vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch (s. Anm. 18) s.v.: Epaphras ist eine Kurzform von Epaphroditus. Vgl. Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 402. Vgl. die ausführliche Diskussion bei W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther. Teilband 4: 1Kor 15,1–16,24 (EKK VII/4, Zürich et al. 2001) 242-245; unentschieden Bauer/ Aland, Wörterbuch (s. Anm. 18) s.v. Vgl. Schrage, 1 Korintherbrief IV (s. Anm. 58) 243 mit Anm. 1181f, zu der grammatisch möglichen, aber unwahrscheinlichen Deutung als Irrealis. Auf Zuwiderhandlungen verweist R. Strelan, Paul, Artemis, and the Jews in Ephesus (BZNW 80, Berlin/New York 1996) 281 Anm. 271.

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kaum jemand einen solchen Kampf überleben konnte – es sei denn, man war entweder ein geübter Gladiator, oder aber man wurde durch ein Naturwunder verschont, wie es die Acta Pauli zu berichten wissen (PHamb p. 5)61. Im bildhaften Sinn dürfte Paulus mit qhriomacei`n auf eine ernste Auseinandersetzung unter Einsatz seines Lebens anspielen (vgl. IgnRöm 5,1). Die zu bekämpfenden „wilden Tiere“ sind wahrscheinlich als Metapher für die Widersacher aufzufassen, die Paulus auch in 1 Kor 16,9 erwähnt (ajntikeivmenoi polloiv), ohne dass sich deren Identität (etwa als jüdische oder pagane Gegner) näher bestimmen ließe oder auszumachen ist, wie sie ihn konkret in Lebensgefahr gebracht haben.62 Von diesem Konflikt zu unterscheiden ist die Situation, über die der Apostel die korinthische Gemeinde in 2 Kor 1,8-10 unterrichtet.63 Paulus hat in der Zwischenzeit seinen in 1 Kor 16,5-8 skizzierten Plan, von Ephesus aus über Makedonien nach Korinth zu reisen, um dort länger zu verweilen, mehrfach modifiziert.64 Aufgrund beunruhigender Nachrichten aus Korinth hat er der dortigen Gemeinde vermutlich noch vor seiner Makedonienreise einen kurzen Zwischenbesuch abgestattet (vgl. 2 Kor 1,23; 2,1; 12,14; 13,1). Nach seiner Rückkehr nach Ephesus entscheidet er sich gegen einen ursprünglich angekündigten weiteren Besuch (2 Kor 2,1; 13,2) und schreibt der korinthischen Gemeinde stattdessen den so genannten Tränenbrief (vgl. 2 Kor 2,1-4; 7,8), dessen Überbringer wohl Titus ist (vgl. 2 Kor 7,6-9). Paulus selbst bricht nach Troas auf (2,12), wo er Titus wider Erwarten nicht vorfindet. Daher reist Paulus vorzeitig nach Makedonien weiter (2,13), wo er seinen Mitarbei61 62 63

64

Vgl. dazu W. Schneemelcher, „Der getaufte Löwe in den Acta Pauli“, in A. Stuiber/A. Herman (eds.), Mullus, FS Th. Klauser (JbAC Erg. 1, Münster 1964) 316-326 = id., Gesammelte Aufsätze zum Neuen Testament und zur Patristik (Thessaloniki 1974) 223-229. Vgl. G. D. Fee, The First Epistle to the Corinthians (NIC, Grand Rapids, MI 1991) 771; C. K. Barrett, A commentary on the first Epistle to the Corinthians (New York et al. 1968) 366. Die nachfolgenden Überlegungen können die strittige Frage der literarischen Integrität des 2. Korintherbriefes weitgehend außer Acht lassen, da unabhängig von ihrer konkreten Beantwortung anzunehmen ist, dass alle Teile des Schreibens in die Zeit nach dem Ephesusbesuch des Paulus im Rahmen der so genannten dritten Missionsreise datieren und in Makedonien verfasst sind (vgl. 2 Kor 7,5). Das gilt auch für die Kapitel 10–13, die nicht mit dem so genannten Tränenbrief (vgl. 2 Kor 2,3f; 7,8) zu identifizieren sind (vgl. dazu Pokorný/Heckel, Einleitung [s. Anm. 3] 260 mit Anm. 470), welchen Paulus vermutlich noch in Ephesus verfasst hat, der uns aber nicht erhalten ist. Vgl. für einen Überblick über die verschiedenen Positionen R. Bieringer, „Teilungshypothesen zum 2. Korintherbrief. Ein Forschungsüberblick“, in id./J. Lambrecht (eds.), Studies on 2 Corinthians (BEThL 112, Leuven 1994) 67-105; Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 84f Anm. 23. Vgl. zum Folgenden Gielen, „Paulus II“ (s. Anm. 4) 66-69; Th. Schmeller, „Der zweite Korintherbrief“, in M. Ebner/St. Schreiber (eds.), Einleitung in das Neue Testament (Stuttgart 2008) 326-346, 337f.

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ter schließlich trifft (7,6). Obwohl Titus ihm grundsätzlich erfreuliche Nachrichten aus Korinth übermittelt (7,5-7), scheinen doch nicht alle Probleme gelöst zu sein, weshalb Paulus einen weiteren Brief verfasst, unseren 2. Korintherbrief.65 Wenn Paulus also in 2 Kor 1,8-10 über Ereignisse berichtet, die den Korinthern bislang unbekannt sind (V.8: ouj ga;r qevlomen uJma`~ ajgnoei`n), ist die wahrscheinlichste – wenn auch nicht zwingende!66 – Annahme, dass diese sich nach der Absendung des Tränenbriefes zugetragen haben. Konkret handelt es sich um Bedrängnisse, die Paulus gemeinsam mit anderen in der Asia erlitten hat (V.8: uJpe;r th`~ qlivyew~ hJmw`n th`~ genomevnh~ ejn th/` ∆Asiva)/ und deren fataler Ausgang den Betroffenen so unausweichbar schien (V.8: w{ste ejxaporhqh`nai hJma`~ kai; tou` zh`n; V.9: ajlla; aujtoi; ejn eJautoi`~ to; ajpovkrima tou` qanavtou ejschvkamen)67, dass die Abwendung der Todessituation als göttliche Rettung erfahren wird (V.10: o}~ ejk thlikouvtou qanavtou ejrruvsato hJma`~). Der Provinzname Asia steht hier vermutlich metonym für deren Hauptstadt Ephesus;68 zumindest schließt die übergreifende Ortsangabe Ephesus als Ort der erlittenen Todesgefahr keineswegs aus. Obwohl to; ajpovkrima tou` qanavtou ein „technischer Ausdruck der Amts- und Gerichtssprache“69 ist, wird diese Notiz (unter Hinweis auf 2 Kor 12,7-10) in der Forschung teilweise auf eine lebensgefährliche Krankheit70 des Apostels bezogen. Gegen ein solches Verständnis spricht jedoch, dass Paulus sich nicht allein in Todesgefahr befunden hat und kaum von einer gleichzeitigen schweren (!) Erkrankung mehrerer Personen ausgegangen werden sollte.71 Darüber hinaus wurde 2 Kor 1,8f mit Hinweis auf 2 Kor 11,25f auf einen Überfall oder einen Schiffbruch gedeutet.72 Doch widerspricht dieser Interpretation sowohl der offizielle Ton von 2 Kor 1,9 als auch das Perfekt 65 66

67 68 69 70 71 72

Vgl. dazu o. Anm. 63. Chr. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (THKNT 8, Berlin 1989) 25, vermutet: „Von dem Vorfall als solchem scheinen die Korinther freilich bereits Kenntnis zu haben; denn Paulus macht keine näheren Angaben, weder zur Art der Bedrängnis noch zu den Umständen der Errettung.“ Es ist auch denkbar, dass sich Paulus im „Tränenbrief“, dessen Umfang wir nicht kennen, ganz auf den aktuellen Konflikt in der korinthischen Gemeinde beschränkt hat. Vgl. zu dem Ausdruck to; ajpovkrima tou` qanavtou F. Büchsel, „krivnw ktl.”, TWNT III (Stuttgart 1938) 920-922.933-955, 947: „[W]ir erhielten in uns selbst den auf ,Tod‘ lautenden Bescheid“. Vgl. auch Apg 19,22; 20,4.18; 21,27.29. Büchsel, krivnw (s. Anm. 67) 947; vgl. auch H. Windisch, Der Zweite Korintherbrief (KEK VI, Göttingen 91924) 46. Vgl. dazu Wolff, 2 Korintherbrief (s. Anm. 66) 25. Vgl. auch Thiessen, Christen (s. Anm. 32) 137 Anm. 272: „Daß Paulus hier den ,schriftstellerischen Plural‘ verwendet, ist unwahrscheinlich, da dieser in 2Kor 11,23ff. fehlt, wo Paulus von seinen eigenen Todesnöten erzählt“. Vgl. dazu Thiessen, Christen (s. Anm. 32) 135.

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ejschvkamen, das eine länger andauernde Notlage73 anzeigt. Ebenso wenig überzeugt die metaphorische Deutung von Marlies Gielen, die annimmt, hier drücke sich die „depressive Stimmung“ des Paulus aus, den die „Sorge um den Verlust der Gemeinde … in eine tiefe seelische Krise gestürzt“74 habe. Diese psychologische Lesart wird der Stärke der paulinischen Ausdrucksweise nicht gerecht und ignoriert die pluralische Formulierung. Gielens Einwände gegen eine ephesische Gefangenschaft des Paulus sind hingegen konstruiert. Dies gilt vor allem für den Versuch, die Ereignisabfolge vom „Zwischenbesuch“ des Paulus in Korinth bis zu dessen Zusammentreffen mit Titus in Makedonien wochengenau zu berechnen,75 um zu konstatieren: „Den hypothetischen Gefängnisaufenthalt des Paulus in Ephesus in die Zeit nach der Entsendung des Titus mit dem Tränenbrief anzusetzen, lässt sich schwerlich plausibel machen. (…) Angesichts des realistischen Zeitrahmens von ca. zwei Wochen, der für Rest (sic!) des paulinischen Aufenthaltes in Ephesus dann noch verbleibt, verbietet es sich, 2Kor 1,8-10 mit dem hypothetischen Gefängnisaufenthalt zu korrelieren.“76

Diese Rekonstruktion basiert freilich ihrerseits auf vielen Hypothesen, etwa hinsichtlich der Dauer der verschiedenen Aufenthalte und Reisen, aber auch in Bezug auf den letztlich nicht erhaltenen Tränenbrief und die Komposition des 2. Korintherbriefes. Daher scheint es mir weiterhin durchaus möglich, dass Paulus in 2 Kor 1,8-10 auf einen ernsten Konflikt mit kleinasiatischen, vielleicht sogar ephesischen Behörden anspielt, in deren Verlauf er und sein(e) Begleiter im Gefängnis um ihr Leben bangten. Diese Erfahrung gehörte dann zu den wiederholten Gefängnisaufenthalten, die Paulus in 2 Kor 6,5 und 11,23, jeweils im Rahmen von Peristasenkatalogen, erwähnt. Aus diesen Notizen lassen sich aber freilich keine weiteren Rückschlüsse auf die jeweiligen Haftumstände ziehen.77 73 74 75 76

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Vgl. Windisch, 2 Korintherbrief (s. Anm. 69) 46: „wir haben über uns das Todesurteil gefällt, das uns nun ständig vor Augen stand“. Beide Zitate Gielen, „Paulus II“ (s. Anm. 4) 72. Vgl. ibid., 70-72. Ibid., 70f. Vgl. auch ibid.: „Insgesamt hat Paulus zwischen seiner Rückkehr nach Ephesus im Anschluss an den Zwischenbesuch in Korinth und seinem Aufbruch nach Troas also noch einmal ca. vier bis fünf Wochen in der Stadt verbracht. Schon diese Zeitspanne ist viel zu knapp für einen Gefängnisaufenthalt, in der Phil und Phlm entstanden sein sollten, berücksichtigt man die rege Kommunikation zwischen Briefsender und -empfängern, die diese Briefe voraussetzen.“ Gielen, „Paulus II“ (s. Anm. 4) 65, folgert aus der Betonung der Häufigkeit der Gefangenschaften in 2 Kor 11,23b (ejn fulakai`~ perissotevrw~), dass es sich „jedoch nur jeweils um kurze Gefängnisaufenthalte gehandelt haben“ könne. Daher sei durchaus denkbar, dass Paulus auch in Ephesus „ein oder gar mehrere Male kurzfristig inhaftiert wurde“ (ibid.), während gegen eine längere und lebensbedrohliche Haft spreche, dass Paulus diese wohl in den kurz darauf abgefassten Briefen an die Korinther

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Dies verhält sich anders mit einigen Bemerkungen im Römerbrief. So wird eine ephesische Haft auch durch die dankbare Charakterisierung von Priska und Aquila in Röm 16,4 nahegelegt, die für das Leben des Paulus „ihren Hals hingehalten“ (oi{tine~ uJpe;r th`~ yuch`~ mou to;n eJautw`n travchlon uJpevqhkan), also ihr eigenes Leben eingesetzt haben.78 Wie diese Hilfestellung durch Priska und Aquila ausgesehen hat, lässt sich wiederum nur vermuten. Der Ausdruck ist jedenfalls nicht wörtlich in dem Sinn zu verstehen, dass sie „um den zum Tod durchs Richtbeil verurteilten Apostel zu retten, ihren eigenen Hals auf den Richtblock gelegt“79 hätten. Vielmehr steht to;n travchlon uJpotivqhmi übertragen für den Einsatz ihres Lebens.80 Wie sie in diese Lebensgefahr geraten sind, ob absichtlich oder unabsichtlich, erwähnt Paulus nicht. Es wird sich kaum um eine Bürgschaft gehandelt haben, wie sie Jason nach Apg 17,9 geleistet hat, denn dafür ist das verwendete Bild zu stark. Es ist vielmehr denkbar, dass Priska und Aquila durch die Unterstützung des gefangenen Paulus im Gefängnis selbst in das Visier der Behörden geraten sind,81 vielleicht durch zu häufige Besuche des Angeklagten. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass Priska und Aquila im Zuge einer Gefangenschaft des Paulus „ihren Hals für ihn riskiert“ haben. Auch wenn sich nicht sicher bestimmen lässt, wann und wo das geschah, ist es denkbar, dass sich diese Gefährdung ihres Lebens in Ephesus ereignete, wo sie sich nach übereinstimmender Auskunft von 1 Kor 16,19 und Apg 18,19 (vgl. Apg 18,26) gleichzeitig mit Paulus aufgehalten haben. Würde der Apostel in Röm 16,4 hingegen auf ein Ereignis anspielen, das sich schon während des gemeinsamen Korinthaufenthalts zu-

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81

und Römer erwähnt hätte. Abgesehen davon, dass Gielen selbst eingesteht, dass dieser Schluss nicht zwingend ist (ibid.), liefert sie damit ein starkes Argument gegen ihre eigene metaphorische Deutung von 2 Kor 1,8-10. Darüber hinaus erlauben die pauschalen Wendungen in 2 Kor 6,5; 11,23 keine Aussage über die „jeweilige“ (!) Haftdauer. Vgl. dazu bereits Deissmann, Licht (s. Anm. 14) 494f. Deissmann, ibid., 494, der hier zwar den rechtsgeschichtlichen Hintergrund des Bildes vermutet, dies aber nicht für den konkreten Fall annimmt. Vgl. die deutschen Wendungen „seinen Hals für jemanden hinhalten“ oder „für jemanden die Hand ins Feuer legen“. Mit dem Verb parabavllw formuliert findet sich die gleiche, wohl volkstümliche Wendung auch in der Vita Philonidis (vgl. W. Crönert, „Der Epikureer Philonides“, Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 2 [1900] 942-959, hier: 951); vgl. dazu Deissmann, Licht (s. Anm. 14) 494f. In 1 Clem 63,1 bedeutet der Ausdruck to;n travchlon uJpotivqhmi hingegen „den Nacken (gehorsam) beugen“; so z.B. auch in Sir 51,26; vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch (s. Anm. 18) s.v. travchlo~. Vgl. dazu B. M. Rapske, “The Importance of Helpers to the Imprisoned Paul in the Book of Acts”, TynB 42 (1991) 3-30; Id., Custody (s. Anm. 24) 369-392, bes. 388: „Helping the prisoner could pose significant threats to the safety and well-being of the helper. Officials were often very rough characters. Consequently, helpers might be harassed out of a desire for personal gain or even for sport.“

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getragen hat (vgl. Apg 18,1-18; wo freilich auch nicht von einer Haft die Rede ist), wäre eine entsprechende Notiz bereits in 1 Kor 16,19 zu erwarten.82 Dass diese dort fehlt, könnte wiederum so auszuwerten sein, dass das äußerste Engagement Priskas und Aquilas erst nach der Abfassung des 1. Korintherbriefes und damit gegen Ende des paulinischen Aufenthaltes in Ephesus notwendig wurde – vielleicht um die Fortsetzung seiner Mission zu ermöglichen. Für Ephesus als wahrscheinlichen Ort ihres lebensbedrohlichen Einsatzes für Paulus spricht auch, dass das Ehepaar die Stadt recht bald, vielleicht gleichzeitig mit dem Apostel (Frühjahr/Sommer 55 n. Chr.; vgl. 1 Kor 16,8), aber jedenfalls einige Zeit vor der Absendung des Römerbriefes (aus Korinth)83 wieder verlassen haben muss. Denn die Grüße an die beiden in Röm 16,3f setzen voraus, dass sie sich wieder in der Hauptstadt befinden. Dorthin konnten sie gefahrlos zurückkehren, nachdem das Claudius-Edikt des Jahres 49 n. Chr., das ihre Ausweisung aus der Stadt zur Folge hatte (vgl. Apg 18,2; Sueton, Claudius 25,4), vermutlich mit dem Tod des Kaisers im Herbst 54 n. Chr. aufgehoben war.84 Weniger ergiebig ist eine andere Nachricht der Grußliste: In Röm 16,7 nennt Paulus die Apostel Andronikus und Junia seine sunaicmalwvtoi. Zwar stammt der Ausdruck ursprünglich aus der Militärsprache und bezeichnet dort „Kriegsgefangene“85, er kann aber auch im allgemeineren Sinne „Gefangene“ meinen, so dass Paulus hier wohl an eine gemeinsame Haft der Drei erinnert.86 Da das Missionspaar87 zur ältesten Gemeinde zählt (vgl. 16,7: oiJ suggenei`~ mou), ist es möglich, dass sich diese Notiz auf das syrische Antiochia bezieht, über das wir keine anderweitigen Hinweise auf eine paulinische Gefangenschaft haben. Freilich ist aber auch Ephesus nicht völlig auszuschließen. Doch ist die82

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Diese wäre den Korinthern zwar bekannt, doch scheint Paulus auch in Röm 16,4 an einen bereits vertrauten Sachverhalt zu erinnern. Nicht zwingend scheint mir hingegen die Vermutung von Gielen, „Paulus I“ (s. Anm. 4) 81, die fehlende Lokalisierung der Gefährdung von Priska und Aquila in Röm 16,4 impliziere, dass die „Erinnerung daran bei Paulus und seinen Adressaten bei der Abfassung des Röm (…) noch so frisch“ gewesen sei, dass sie sich erübrigt habe. Dieser wird etwa in das Jahr 56 n. Chr. datiert; vgl. Broer, Einleitung II (s. Anm. 3) 467; Schnelle, Einleitung (s. Anm. 4) 130. Vgl. R. Katzoff, “Roman Edicts and Ta'anit 29a”, CP 88 (1993) 141-144, 143. Daher ordnet G. Kittel, „aijcmalwvto~ ktl.”, TWNT I (Stuttgart 1933) 195-197, 196, Röm 16,7; Kol 4,10 und Phlm 23 dem übertragenen Gebrauch zu. Eine gemeinsame Kriegsgefangenschaft, wie es das Präfix sun bei der engeren Deutung implizieren würde, haben sie jedenfalls kaum erlitten. Der Akkusativ IOUNIAN ist auf den weiblichen Vornamen ∆Iouniva zurückzuführen, nicht auf die – sonst nicht belegte – männliche Form ∆Iounia`~, was seit dem 5. Druck 1998 auch in Text und Apparat des Nestle-Aland27 Eingang gefunden hat. Vgl. für eine Übersicht über die einschlägige Diskussion E. J. Epp, Junia: The First Woman Apostle (Minneapolis 2005).

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ser Hinweis zu vage, um weiterreichende Hypothesen darauf aufzubauen. Als Fazit dieses Durchgangs ist festzuhalten, dass sich für die beiden proto-paulinischen Gefangenschaftsbriefe keine eindeutigen Hinweise auf ihren Abfassungsort finden lassen. Jedoch deuten beim Philipperbrief die Beobachtungen tendenziell eher auf Ephesus als auf Rom als Haftort. Beim Philemonbrief liegen hingegen keine sicheren Argumente für eine bestimmte Lokalisierung vor. Unabhängig davon enthalten die Korintherkorrespondenz und der Römerbrief so viele Hinweise auf (wiederholte!) ernste Konflikte des Paulus in der Asia und/oder in Ephesus, dass diese ebenfalls die Annahme einer längeren Haft erlauben.

3. Die Nachrichten der Apostelgeschichte Als ein wesentliches Argument gegen eine ephesische Gefangenschaft des Paulus wird das Schweigen der Apostelgeschichte über ein solches Ereignis vorgebracht. Allerdings ist dies kein hinreichender Grund, an der Möglichkeit dieser Haft zu zweifeln, da Lukas auch sonst manches nicht erzählt, was uns aus den Paulusbriefen bekannt ist (vgl. z.B. Gal 2,11-14: antiochenischer Zwischenfall; Röm 15,24.28: Spanienreise). Die unterschiedliche Akzentsetzung hängt nicht unwesentlich mit den verschiedenen Gattungen bzw. Intentionen zusammen. Wie bereits ausgeführt, ist der (kurze!) Gefängnisaufenthalt in Philippi (Apg 16) der einzige vor der Verhaftung des Paulus in Jerusalem, von dem die Apostelgeschichte berichtet, während der Apostel selbst mehrfach im Plural von Gefangenschaften spricht (vgl. 2 Kor 6,5; 11,23).88 Da Lukas von einer langen Verweildauer des Paulus in Ephesus ausgeht (vgl. Apg 19,8.10: zwei Jahre und drei Monate; 20,31: drei Jahre) und diese Zeit in Apg 19 in mehreren Einzelepisoden schildert,89 ist kaum anzunehmen, dass er von einer ephesischen Haft nichts gewusst hätte.90 Freilich enthält der Bericht über die paulinische Wirksamkeit in Ephesus – im Ge88 89

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Vgl. auch 1 Clem 5,6. Vgl. P. Trebilco, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius (WUNT 166, Tübingen 2004) 107: „In the section of Acts relating to Ephesus, as elsewhere, Luke concentrates on Paul’s arrival in a city (‚beginnings’), his departure (‚endings’) and in between gives us what could be called ‚notable incidents’.“ Vgl. Strelan, Paul (s. Anm. 60) 204, der weitere Vertreter anführt, die hinter der Ephesuserzählung keinerlei Augenzeugenkenntnis des Lukas, vielmehr legendarisches und verworrenes Material erkennen. Thiessen, Christen (s. Anm. 32) 106.234-236 u.ö., siedelt hingegen sogar die lukanische Gemeinde – u.a. aufgrund des Lokalkolorits – in Ephesus an.

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gensatz zu den vorangehenden Aufenthalten in Philippi (Apg 16), Thessaloniki (Apg 17) und Korinth (Apg 18)91 – nicht einmal eine regelrechte Verhör- oder Gerichtsszene. Vielmehr mündet der Aufstand der Silberschmiede sogar in eine ausdrückliche Belehrung der Aufrührer, dass es sich nicht um ein ordentliches Verfahren handelt (19,38-40). Daher ist im Folgenden die lukanische Darstellung zunächst auf indirekte Anzeichen für eine ephesische Haft des Paulus hin zu untersuchen. Lassen sich solche aufspüren, ist sodann nach möglichen Gründen des Lukas zu fragen, auf eine explizite Erwähnung zu verzichten und stattdessen eine erzählerische „Leerstelle“ zu gestalten.92 Zuvor sollen jedoch einige kurze methodische Überlegungen angestellt werden, inwiefern der lukanische Bericht im Horizont gegenwärtiger Literaturund Geschichtstheorie93 überhaupt zur Rekonstruktion der Biographie des Paulus herangezogen werden kann. 3.1 Methodische Reflexion Auch wenn die jüngere Apostelgeschichts-Forschung im Gegensatz vor allem zu Vertretern der Redaktionsgeschichte kaum noch unvereinbare Widersprüche zwischen dem lukanischen Paulus-Bild und dem Selbstzeugnis des Apostels empfindet,94 geht sie dabei nicht unkritisch vor, sondern ist von einer großen Sensibilität für gattungskritische Fragen und daraus ableitbare Kriterien für historische Rekonstruktionen ge-

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Vgl. dazu Omerzu, Prozeß (s. Anm. 18) 111-274. Vgl. R. I. Pervo, Profit with Delight: The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987) 9: „Neither the space devoted to this locality nor the quality of events related suggests that Luke did not see Paul’s work in Ephesus as of prime importance. What he says, how he says it, and what he apparently chooses not to say are very revealing.“ In Bezug auf den Demetrius-Aufstand sei zu fragen: „why Luke, who has devoted so little space to Paul’s pastoral and missionary work in this, one of his most famous centers, spends twenty verses on a spectacular display of fireworks, the net effect of which is to deflect attention from the serious trouble into which Paul got at Ephesus” (ibid., 37). Vgl. für einen Überblick die Beiträge in J. Schröter/A. Eddelbüttel (eds.), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive (ThBT 127, Berlin/New York 2004). Vgl. J. Schröter, „Kirche im Anschluss an Paulus. Aspekte der Paulusrezeption in der Apostelgeschichte und in den Pastoralbriefen“, ZNW 98 (2007) 77-104, passim; K. Backhaus, „Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen: Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThSt 86, Neukirchen-Vluyn 2007) 3066, 41f; vgl. auch ibid., 61: „[D]er ‚historische Paulus’ kann dem ‚Paulus der Apostelgeschichte’ durchaus ähnlicher sein als der – gewiss nicht tendenzfreie – ‚Paulus des Galaterbriefs’”.

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kennzeichnet.95 Demnach sind vor dem Hintergrund zeitgenössischer antiker Geschichtsschreibung im Blick auf Lukas oft vorgetragene Historizitätsargumente kritisch zu hinterfragen, wie Knut Backhaus zu Recht betont: „Lokalkolorit etwa gehört zum Œuvre und verrät nicht ohne weiteres Ortskenntnis oder Lokaltradition: Wenn man schon nicht am Ort oder beim Geschehen war, so kann man wenigstens den Eindruck erwecken, man sei es gewesen. Zu den mit Vorliebe erfundenen Konkretionen der Darstellung gehört das ‚unerfindliche Detail’ (…). Die scheinbare Epitomisierung von Quellen gehört ebenso wie die Anführung von Augenzeugen zur historiographischen Plausibilisierungsstrategie, so dass man von daher keineswegs zwingend auf tatsächliche Überlieferungsabhängigkeit schließen kann.“96

Ist damit auch erhöhte Vorsicht bei der Anwendung gängiger Kriterien im Umgang mit der Apostelgeschichte geboten, so ist die historische Rückfrage doch zugleich nicht gänzlich aufzugeben, nicht zuletzt weil der lukanischen Geschichtskonstruktion Grenzen gesetzt sind.97 Für unsere spezifische Frage fällt – dies ist letztlich ihr Ausgangspunkt – die Möglichkeit der Kontrolle durch unabhängige Quellen aus. Denn einerseits lokalisiert Paulus selbst – wie zuvor dargestellt – seine Gefangenschaften nicht, andererseits beruht der Bericht der Paulusakten über die Gefährdung des Apostels in Ephesus (ActPaul 7: PH p. 1-5; PG)98 kaum auf eigenständigen Nachrichten, sondern greift vielmehr verschiedene neutestamentliche Angaben auf (vgl. z.B. PH p. 1,24-28 mit 95

96 97 98

Vgl. dazu treffend Pervo, Profit (s. Anm. 92) 37: „If early church history must be seen through a glass darkly, that is in part due to this ‚historian’s’ fondness for smokescreens rather than mirrors.“ Vgl. zur Gattungsfrage z.B. E. Plümacher, „Die Apostelgeschichte als historische Monographie“, in J. Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres. Traditions, Rédaction, Théologie (BEThL 48, Gembloux/Leuven 1979) 457-466 (= id., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, ed. J. Schröter/R. Brucker [WUNT 170, Tübingen 2004] 1-14); G. E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography (NT.S 64, Leiden et al. 1992); C. Breytenbach/J. Schröter (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung, FS E. Plümacher (AGAJU 57, Leiden et al. 2004); T. Penner, In Praise of Christian Origins (Emory Studies in Early Christianity 10, New York/London 2004); C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT II/175, Tübingen 2004); zur Methodenfrage bes. Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 94) 59-66; vgl. auch ibid., 41 Anm. 33 für Vertreter einer „recht affirmativen Sicht der Darstellung der Apg“. Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 94) 60; unter Verweis auf Rothschild, LukeActs (s. Anm. 95) 213-290, hinsichtlich der Autopsie. Vgl. auch Pervo, Profit (s. Anm. 92) 38: „Verisimilitude does not guarantee accuracy of reporting.“ Vgl. zum Folgenden Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 94) 64-66. Vgl. für den Text von PH Schmidt, Pravxei~ Pauvlou, Acta Pauli. Nach dem Papyrus der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek, unter Mitarbeit von W. Schubart (Hamburg 1936) 22-45; für die deutschen Übersetzungen W. Schneemelcher, „Paulusakten“, in NT-Apo5 (Tübingen 1989) 193-243, 227-230.241-243.

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Apg 19,23-40; PH p. 1,28-30; 4,6–5,18 mit 1 Kor 15,32; 2 Tim 4,17), um daraus die vorliegende Bekehrungs- und Rettungswundererzählung zu gestalten.99 Daher kommen, wiederum in Anlehnung an Backhaus, den Kriterien der Tendenzwidrigkeit und der „fiktionale[n] Zumutbarkeit“100 besondere Bedeutung zu. Freilich handelt es sich auch hierbei nicht um eindeutige oder objektive Maßstäbe, sondern um solche, die ihrerseits jeweils eine bestimmte Interpretation der Apostelgeschichte voraussetzen. Die Tragfähigkeit dieser Kriteriologie soll im Folgenden kritisch anhand von Apg 19 geprüft werden. 3.2 Historische Rückfrage hinter Apg 19 Nachdem Apollos nach Korinth abgereist ist (19,1a), kommt Paulus nach Ephesus, wo er zunächst zwölf Johannes-Jünger bekehrt (19,1b-7). Die anschließende dreimonatige Mission in und die Trennung von der Synagoge wird nach dem üblichen lukanischen Schema geschildert (19,8f).101 Es kommt zum Bruch, weil sich einige Juden der paulinischen Reich-Gottes-Predigt verweigern und schlecht über die Christen reden (19,9: tine~ ... kakologou`nte~ th;n oJdo;n ejnwvpion tou` plhvqou~). Daraufhin zieht Paulus mit den gläubig gewordenen Anhängern in die Schule des Tyrannus um, wo er zwei Jahre lang mit großem Erfolg wirkt (vgl. 19,10b: w{ste pavnta~ tou;~ katoikou`nta~ th;n ∆Asivan ajkou`sai to;n lovgon tou` kurivou, ∆Ioudaivou~ te kai; {Ellhna~). Es schließt sich ein Summarium über die Machterweise des Paulus (19,11f) und eine Episode über die Niederlage jüdischer Exorzisten an, in die der Apostel nicht involviert ist (19,13-20). Vor dem dramatischen Höhepunkt des Ephesus-Berichts, dem Aufruhr in der Silberschmiede des Demetrius (19,23-40), markiert sodann die Ankündigung der weiteren Reisepläne des Paulus in 19,21 den Wendepunkt der Erzählung,102 der wohl bewusst nicht in einen Kausalzusammenhang mit den nachfolgenden Ereignissen gestellt wird.103 Die Entscheidung, nach Jerusalem zu reisen, ist in deutlicher Anlehnung an Lk 9,51 gestaltet, wodurch implizit bereits der Weg des 99 100 101

102 103

Vgl. für eine knappe Übersicht über diesen Abschnitt Schneemelcher, „Paulusakten“ (s. Anm. 98) 206f. Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 94) 64. G. Wasserberg, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt: Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas (BZNW 92, Berlin/New York 1998) 240, bemerkt allerdings zu Recht: „Man beachte, daß in Ephesus zum ersten und einzigen Male in Lk-Act wörtlich eine Trennung (ajfwrivzein) von einer Synagogengemeinde vollzogen wird (Act 19,9).“ Vgl. dazu ausführlich Omerzu, Prozeß (s. Anm. 18) 275-279. So untersucht auch Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 155-170, die Demetrius-Episode erst in dem Kapitel „Acts and the Christians in Ephesus: Endings and Departure“.

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Paulus in das Leiden angekündigt ist (explizit erfolgt dies erstmals in 20,22-25). Darüber hinaus wird jedoch in 19,21 auch bereits Rom als Endziel seiner Mission in den Blick genommen. Nach der Beruhigung des Aufstandes bricht Paulus dann auch tatsächlich umgehend aus Ephesus auf (20,1), ohne dass Gründe dafür genannt werden. Die Demetrius-Erzählung in 19,23-40 erinnert zwar in manchen Motiven an frühere Konflikte des Paulus in der Apostelgeschichte, so etwa hinsichtlich der Gewinnsucht der Unruhestifter (vgl. 16,16-20; 19,23-28) oder der Abwesenheit des Paulus und der stellvertretend für ihn zur Rechenschaft gezogenen Begleiter (vgl. 17,5f; 19,29). Im Ganzen bildet sie jedoch eine Kontrastfolie zu den sonstigen rechtlichen Auseinandersetzungen des Paulus, und viele Züge erscheinen unmotiviert.104 So ist beispielsweise unklar, wieso Gaius und Aristarch ebenso unvermittelt in der Erzählung auftauchen, wie sie wieder verschwinden (V.29). Paulus wird einerseits von Mitchristen (maqhtaiv) davon abgehalten, selbst in das Geschehen einzugreifen (V.30). Andererseits hat er mit den Asiarchen105 einflussreiche Fürsprecher, die ihn aus dem Konflikt heraushalten wollen – warum diese mit ihm befreundet sind (o[nte~ aujtw`/ fivloi), erfahren wir freilich nicht (V.31). Offen bleibt auf der Erzählebene auch, welches Interesse die Juden haben, Alexander als einen der ihren106 dem Mob auszusetzen (VV.33f).107 Die Unschuldserklärung der Christen wird – ungebeten – von einem hohen städtischen Beamten (V.35: grammateuv~: „Stadtschreiber“)108 ausgesprochen, der versichert, die Herbeigeführten (V.37a: hjgavgete ga;r tou;~ a[ndra~ touvtou~; Gaius und Aristarch?) seien weder Tempelräuber noch Gotteslästerer 104 D. Schinkel, „,Und sie wußten nicht, warum sie zusammengekommen waren’ – Gruppen und Gruppeninteressen in der Demetriosepisode (Apg 19,23-40)“, in A. Gutsfeld/D.-A. Koch (eds.), Vereine, Synagogen und Gemeinden im kaiserzeitlichen Kleinasien (STAC 25, Tübingen 2006) 95-112, 96, spricht in seiner Übersicht der Forschungsgeschichte zu Apg 19 diesbezüglich von „auffälliger narrativer Inkohärenz“. 105 Es ist unsicher, welche Funktion die Asiarchen im 1. Jh. n. Chr. genau inne hatten; sie gehörten jedoch nicht der lokalen oder imperialen Priesterschaft an, wie St. J. Friesen, Twice Neokoros: Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Emperors (Religions in the Graeco-Roman World 116, Leiden et al. 1993) 106, gezeigt hat. 106 Gegen P. Lampe, „Acta 19 im Spiegel der ephesinischen Inschriften“, BZ 36 (1992) 59-76, der Alexander als Judenchristen identifiziert. 107 Der Fall des Sosthenes in Apg 18,17 ist anders gelagert, da er nicht als Gesandter der Juden auftritt, sondern unfreiwillig eine Sündenbockfunktion in der Menge einnimmt. 108 Vgl. zu diesem Amt C. Schulte, Die Grammateis von Ephesos: Schreiberamt und Sozialstruktur in einer Provinzhauptstadt des römischen Kaiserreiches (Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien 15, Stuttgart 1994); D. Schinkel, „Kanzler oder Schriftführer? Apg 19,23-40 und das Amt des GRAMMATEUS in griechischrömischen Vereinigungen“, in D. C. Bienert/J. Jeska (eds.), Paulus und die antike Welt. Beiträge zur zeit- und religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen Christentums, FS D. A. Koch (FRLANT 222, Göttingen 2008) 136-149.

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(V.37b: ou[te iJerosuloi; ou[te blasfhmou`nte~ th;n qeo;;n hJmw`n). Die Unruhestifter um Demetrius belehrt er hingegen, dass etwaige berechtigte Anklagen an einem ordentlichen Gerichtstag vor Statthaltern109 verhandelt werden müssen (V.38: e[cousi prov~ tina lovgon, ajgorai`oi a[gontai kai; ajnquvpatoiv eijsin). Gegenwärtig laufe man aber vielmehr selbst Gefahr, wegen Unruhestiftung verklagt zu werden (V.39). Damit löst er die Versammlung (ejkklhsiva!) auf, ohne dass Paulus in ihrem Verlauf überhaupt aufgetreten ist. Im Folgenden ist zu untersuchen, inwiefern dieser rätselhafte Nicht-Prozess Rückschlüsse auf eine ephesische Haft des Paulus zulässt. Dass Apg 19 vielfältig ephesisches Lokalkolorit spiegelt – etwa hinsichtlich baulicher, sozio-politischer oder religiöser Aspekte –, wurde oft notiert,110 ist aber nach dem oben Gesagten kein hinreichendes Kriterium für die Beurteilung der Historizität des Berichtes. Als Erfolg versprechenderer Ansatzpunkt könnte vielmehr die auffällige, innerhalb der Apostelgeschichte ungewöhnliche Rolle der Juden bzw. des Alexander innerhalb der Demetrius-Episode dienen. Reinhard Selinger zeichnet dies in das Konkurrenzverhältnis zwischen Juden und Christen ein: „Das Volk schreit die Juden nieder; die Asiarchen (und später auch der Sekretär) protegieren die Christen. Im Kampf um die Gunst patronaler Freundschaft im heidnischen Milieu verloren die Juden in Ephesus das erste Mal zugunsten der Christen.“111 Da die Behörden in paulinischer Zeit kaum bereits zwischen Juden und Christen werden unterschieden haben können,112 greift diese Erklärung wenn überhaupt für die lukanische Zeit. Dennoch dürfte die exponierte Stellung der Juden innerhalb der Demetrius-Erzählung auch für die Ereignisse in Ephesus zur Zeit des Paulus ein interpretatorischer Schlüssel sein. Während der Wechsel des paulinischen Lehrlokals von der jüdischen Synagoge zur „Schule“113 des Tyrannos (19,9) noch sehr an den entsprechenden Bruch mit den Juden in Korinth (18,6f) erinnert, akzen109 Vgl. zu möglichen Deutungen der Pluralform Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 163. 110 Vgl. die prägnante Zusammenfassung bei Schinkel, „Gruppen“ (s. Anm. 104) 98f: „Ein Vergleich mit Inschriften aus Ephesos zeigt, wie genau sich Lukas auskennt. Neben den eher selbstverständlichen architektonischen (Artemistempel, Theater), politischen (Asiarchen, grammateuv~), religiösen (Artemisverehrung) und ökonomischen (tecni`tai, Devotionalienhandel) Gegebenheiten sind es vor allem die politische Sprache und der Rekurs auf Vereinigungsunruhen in den Städten und die damit verbundenen Konfliktpotentiale mit der römischen Obrigkeit, die hervorzuheben sind.“ Vgl. auch die Übersicht bei Günther, Frühgeschichte (s. Anm. 4) 61f Anm. 75. 111 R. Selinger, „Die Demetriosunruhen (Apg. 19,23-40). Eine Fallstudie aus rechtshistorischer Perspektive“, ZNW 88 (1997) 242-259, 253. 112 Dafür sprechen nicht zuletzt die Nachrichten über das Claudius-Edikt, bes. Sueton, Claudius 25,4; vgl. auch Omerzu, Prozeß (s. Anm. 18) 229-237. 113 Vgl. zu der – hier nebensächlichen – Frage, ob mit scolhv eine lokale oder soziale Größe bezeichnet wird, Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 143 Anm. 171.

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tuiert Lukas im weiteren Erzählgang der Apostelgeschichte immer deutlicher, dass Paulus außergewöhnlich schwerwiegende Differenzen mit Juden der Asia hatte, die durchaus bis in die Zeit seines EphesusAufenthaltes zurückreichen könnten.114 So spricht Paulus in der Miletrede in 20,18f erstmals die Nachstellungen der Juden (ejpiboulai; tw`n ∆Ioudaivwn) an, die er in der Asia (ajpo; prwvth~ hJmevra~ ajf∆ h|~ ejpevbhn eij~ th;n ∆Asivan) erlitten hat. Diese hier retrospektiv angedeuteten Auseinandersetzungen dürften auch der eigentliche Grund für die Meidung der Stadt Ephesus am Ende der so genannten dritten Missionsreise sein. Die Erklärung, Paulus habe lediglich aus Zeitmangel – so Apg 20,16 – seine Rede an die Ältesten von Ephesus in Milet gehalten,115 ist wenig plausibel, da die beiden Städte nur etwa 50 km Luftlinie voneinander entfernt liegen. Nicht zuletzt unter Berücksichtigung des paulinischen Selbstzeugnisses scheint es vielmehr wahrscheinlich, dass Paulus einer erneuten Bedrohung seines Lebens – respektive einer Anklage und Haft – entgehen wollte, indem er Ephesus auf seiner Kollektenreise mied. Dass Lukas die Abschiedsrede des Paulus ausgerechnet an Vertreter der ephesischen Gemeinde richtet, hat hingegen vornehmlich paränetische Gründe. Auch in seiner eigenen Zeit scheint das (paulinische?) Christentum in der Stadt Gefährdungen ausgesetzt zu sein (vgl. Apg 20,29: eijseleuvsontai meta; th;n a[fixivn mou luvkoi barei`~ eij~ uJma`~ mh; feidovmenoi tou` poimnivou mit 1 Kor 15,32!). Die Erfahrung der Bedrängnis verbindet also das Schicksal seiner Gemeinde mit demjenigen des Paulus (vgl. Apg 20,19: meta; pavsh~ tapeinofrosuvnh~ kai; dakruvwn kai; peirasmw`n tw`n sumbavntwn moi ejn tai`~ ejpiboulai`~ tw`n ∆Ioudaivwn). Insofern findet sich hier eine sachliche Entsprechung zu Phil 1,30 (to;n aujto;n ajgw`na e[conte~, oi|on ei[dete ejn ejmoi; kai; nu`n ajkouvete ejn ejmoiv). Allerdings hat sich die Gegnerschaft in lukanischer gegenüber der paulinischen Zeit verändert. Denn während Lukas in Apg 20,30 für die Zukunft ausdrücklich vor Falschlehrern aus der eigenen Mitte warnt, lässt er Paulus auf Angriffe von jüdischer Seite zurückblicken. Die weitere Erzählung erhellt, wie tief greifend dieser Konflikt offensichtlich war, denn auf eine Gruppe kleinasiatischer Juden geht nach 21,27f die Anklage des Paulus in Jerusalem zurück, die zu seiner Verhaftung und der Gefangenschaft in Caesarea und Rom führt. Da der 114 Vgl. Wasserberg, Mitte (s. Anm. 101) 239: „Besonders den Juden aus der Asia mißt Lukas insgesamt eine pointiert negative Rolle zu.“ 115 Dass diese Rede auf lukanische Redaktion zurückgeht, ist daran ersichtlich, dass hier der Wir-Bericht unterbrochen und ausschließlich die Perspektive des Paulus eingenommen wird. 21,1 knüpft hingegen nahtlos an 20,15 an. Dennoch ist es denkbar, dass Paulus zum Pfingstfest nach Jerusalem gereist ist. Dies würde sowohl eine verstärkte Sensibilität der Behörden als auch die Anwesenheit der asiatischen Juden in der Stadt erklären, die dann ebenfalls Festpilger wären.

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Nicht-Jude Trophimus, den Paulus in den inneren Tempelhof geführt haben soll, als Epheser bezeichnet wird (21,29) und er den Anklägern offensichtlich bekannt ist, liegt die Vermutung nahe, dass sie ebenfalls aus Ephesus oder der näheren Umgebung stammen. Dass die Erklärung in 21,29, man habe Trophimus und Paulus zuvor gemeinsam in der Stadt gesehen, konstruiert wirkt, wurde oft gesehen.116 Sie zeigt aber, dass die Anklage in Jerusalem bereits eine längere Vorgeschichte der Feindschaft des Paulus mit kleinasiatischen Juden hat, die ihren Ursprung in der Zeit seines Ephesus-Aufenthaltes haben dürfte. Diese Ereignisse lassen sich jedoch nur noch in Grundzügen verantwortbar rekonstruieren. Es scheint wahrscheinlich, dass es in Ephesus zu einer Anklage des Paulus aus den Reihen der paganen Bevölkerung kam, in dessen Folge nicht nur er und seine Begleiter (Gaius und Aristarch?), sondern auch einige Juden (Alexander?) vor den Behörden zur Rechenschaft gezogen und inhaftiert wurden.117 Über die genauen Umstände und die Dauer der Haft lässt sich nichts sagen.118 Es hätte aber wohl die Grenzen der fiktionalen Möglichkeiten des Lukas überschritten, die Juden – wie sonst üblich (z.B. 13,50; 14,2.19; 17,5) – als eigentliche Unruhestifter darzustellen, da sie gemeinsam mit den christlichen Missionaren Opfer eines paganen Mobs wurden.119 An diesen Hintergrund dürften sowohl die Topoi antijüdischer Polemik in V.26 (oujk eijsi;n qeoi; oiJ dia; ceirw`n ginovmenoi) und V.37 (ou[te iJerosuvlou~ ou[te blasfhmou`nta~ th;n qeo;n hJmw`n)120 als auch die gesamte tumultuarische Szene im Theater erinnern. Blickt man auf die Darstellung der kleinasiatischen Juden im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte, ist es zumindest denkbar, dass erst diese gemeinsame Erfahrung der Anklage und 116 Vgl. dazu Omerzu, Prozeß (s. Anm. 18) 332-358. 117 Die Grundkonstellation erinnert dann an die Ereignisse, die zum Claudius-Edikt geführt haben, insofern auch in Rom vermutlich die Christus-Botschaft Anlass für Repressionen gegen Juden wurde; vgl. zum Claudius-Edikt o. Anm. 112. 118 Ähnlich vorsichtig Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 83-87. 119 Diesen Aspekt der Erzählung verkennt Schinkel, „Gruppen“ (s. Anm. 104) 110, im Zusammenhang seiner ansonsten erhellenden Einordnung der Demetriusepisode in den Kontext von Vereinigungsunruhen, wenn er hinsichtlich der lukanischen Aussageabsicht notiert: „Lukas zeigt hier zwischen den Zeilen, wie gefährlich es für die Juden sein kann, sich zu sehr mit dem o[clo~ in den Städten zu verbünden.“ Vgl. hingegen ibid., 109: „Wenn es aber einerlei ist, ob Christen oder Juden angeklagt sind, ja wenn Paulus als Jude wahrgenommen wird, dann wären die Juden mit angegriffen und hätten sehr wohl ein eigenes Verteidigungsinteresse.“ 120 Vgl. Jos Ap 1,249.310.318; Ant 4,207. Vgl. speziell für Anfeindungen gegen Juden in Ephesus auch die Belege bei Günther, Frühgeschichte (s. Anm. 4) 62, der allerdings – konträr zu der hier vorgelegten Deutung – die Demetrios-Episode als Versuch des Lukas interpretiert, „die dem Heidentum seiner Zeit nicht geläufige Trennung von Juden und Christen als in paulinischer Zeit bereits vollzogen darzustellen“ (ibid.). Vgl. zu Juden in Ephesus auch Strelan, Paul (s. Anm. 60) 192-199; Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 37-51.

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Gefangenschaft deren Feindschaft gegenüber Paulus begründet hat. Sie hätten ihn nicht nur für das in Ephesus erfahrene Schicksal verantwortlich gemacht, sondern in ihm eine grundsätzliche Gefahr für die Privilegien der jüdischen Synagogenverbände121 in den Städten des Imperium Romanum gesehen. Hierin könnte dann vielleicht zugleich eine Erklärung für die drastische Polemik des Paulus gegenüber Israel und dem Gesetz in Phil 3 zu finden sein. Ist diese Rekonstruktion zutreffend, bleibt doch die Frage zu klären, weshalb Lukas die näheren Umstände des Konfliktes und vor allem die Haft des Paulus mit keiner Silbe erwähnt. 3.3 Die lukanische Komposition Es scheint somit zwar möglich, dass Lukas von einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus wusste, sie aber absichtlich verschwiegen hat.122 Über seine Motive für dieses Vorgehen lassen sich jedoch nur Vermutungen äußern. Werner Thiessen führt die besondere Darstellung der ephesischen Ereignisse durch Lukas darauf zurück, dass es sich hier nicht wie sonst um eine inner-jüdisch-christliche Auseinandersetzung handelt, sondern um einen „Konflikt zwischen griechischer Religion (Polytheismus) und dem Christentum (Monotheismus) und damit zwischen dem Staat und der jungen Kirche“123. Gegen diese Deutung spricht allerdings, dass Lukas beispielsweise auch in Apg 16 Angriffe gegen Paulus von paganer Seite nicht verschweigt. Ernst Haenchen vermutet hinter der lukanischen Darstellung in Apg 19 allgemeine apologetische Motive: „Auch wenn Lukas von diesem Geschehen [sc. der Todesgefahr; H.O.] noch gewußt hätte, würde er damit die Schilderung der missionarischen Tätigkeit des Paulus nicht beschlossen haben. Die harmonische Entwicklung durfte nicht mit einem so grellen Mißton enden. Aber wahrscheinlich war zur Zeit des Lukas gar nichts Genaues mehr darüber bekannt. Man wußte nur noch, daß ein großer qovrubo~ der Abreise des Paulus von Ephesus vorausgegangen war.“124 121 Vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung bei Omerzu, Prozeß (s. Anm. 18) 29-33 (Lit!). 122 Vgl. ähnlich Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 138: „Paul seems to have suffered more severely, and the opposition to him was stronger than Luke indicates.“ 123 Thiessen, Christen (s. Anm. 32) 106; zustimmend Müller, „Brief aus Ephesus“ (s. Anm. 1) 161. 124 E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK III, Göttingen 71977) 554. R. F. Stoops, “Riot and Assembly: The Social Context of Acts 19:23-41”, JBL 108 (1989) 73-91, passim, interpretiert die Szene als Ausdruck politischer Apologetik im Dienste der Identitäts-

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Demgegenüber ist jedoch zu fragen, ob sich diese Unwissenheit mit den zahlreichen Einzelepisoden über den Ephesusaufenthalt in Einklang bringen lässt.125 Weshalb scheut sich Lukas überdies auch sonst nicht, den negativen Ausgang der paulinischen Mission zu schildern (so bes. in Apg 13f)? Ulrich B. Müller hält die unbetonte Rolle des Paulus in Apg 19,23-40 für eine gezielte literarische Strategie des Lukas, um „die Selbstverteidigung des Paulus der Darstellung des entscheidenden in Rom endenden Prozesses vorzubehalten (Act 22–26)“126. Damit ist wohl Richtiges getroffen, denn diese Beobachtung fügt sich auch in das Bild der früheren forensischen Konflikte des Paulus ein. In Philippi beruft sich Paulus auf sein Recht als römischer Bürger, verteidigt seine Mission aber nicht inhaltlich (16,37f). In Thessaloniki kann sich Paulus nicht äußern, weil er – wie in Ephesus! – gar nicht persönlich ergriffen wird (17,6). In Korinth hingegen steht er zwar vor dem Statthalter Gallio, dieser lässt ihn aber nicht zu Wort kommen (18,14) und erklärt seine Unzuständigkeit. Die erste große Apologie hält Paulus auf dem Jerusalemer Tempelhof nach seiner Verhaftung (22,1-21), auch wenn es sich hierbei freilich eher um eine Missions- als um eine Verteidigungsrede handelt. Saundra Schwartz hat einen differenzierten Vergleich zwischen Gerichtsszenen im kaiserzeitlichen griechischen Roman und in der Apostelgeschichte vorgelegt127 und die entsprechenden lukanischen Darstellungen in drei Gruppen unterteilt.128 Die erste Einheit umfasst die Gerichtsszenen in Jerusalem (Apg 4,1-22; 5,1-42; 6,8–7,1; 12,1-25), die mittlere die Konflikte des Paulus in der Ägäis (Apg 16,16-40; 17,5-9; 17,16-34;129 18,12-17; 19,23–20,1) und die letzte die Ereignisse ab der

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stiftung der lukanischen Gemeinde. Dagegen jetzt S. Shauf, Theology as History, History as Theology: Paul in Ephesus in Acts 19 (BZNW 133, Berlin/New York 2005) 258262, der die positive Darstellung der Behörden herausstreicht. H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7, Tübingen 21972) 121, bemerkt daher entgegen der Skepsis Haenchens zu Recht: „Jedoch gestaltet Lk wohl Szenerien, erfindet aber nicht Geschichten.“ Vgl. auch bereits oben S. 314 mit Anm. 89f. Müller, „Brief aus Ephesus“ (s. Anm. 1) 161. Vgl. S. Schwartz, “The Trial Scene in the Greek Novels and in Acts”, in T. Penner/C. Vander Stichele (eds.), Contextualizing Acts: Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse (SBL SymS 20, Atlanta 2003) 105-137, 111 für die zugrunde gelegte Definition von „trial“ sowie ibid., 134f die Zusammenfassung der insgesamt dreizehn untersuchten Romanszenen bei Chariton, Xenophon von Ephesus, Achilles Tatius, Longus und Heliodor. Vgl. ibid., 110 Anm. 24 für eine knappe Übersicht über lateinische Gerichtsszenen sowie zur identitätsstiftenden Funktion des griechischen Romans S. Swain, Hellenism and Empire: Language, Classicism, and Power in the Greek World AD 50–250 (Oxford 1996) 101-131. Vgl. Schwartz, “Scene“ (s. Anm. 127) 118, sowie die tabellarische Übersicht ibid., 136f. Schwartz, ibid., 125, sieht die Szenen in Thessaloniki und Athen zwar als „two separate scenes, but from the perspective of the formula of the trial scene they form two

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Verhaftung in Jerusalem (21,27–22,30; 22,30–23,11; 24,1-23; 25,1-12; 25,13–26,31). „Within each group, the narratives of the trials are best understood as a sequence. As in the Greek novels, the trials form a narrative crescendo. Each trial in a series is more intense – its venue more exalted – than the previous one.”130 Für den Abschluss der mittleren Reihe gelte: „Paul’s trial in the theater of Ephesus (…) is literally the most spectacular. The setting accurately reflects the contemporary use of theaters as common meeting places for assemblies in the imperial period. (…) This trial is especially dangerous because the accusers, the judges (i.e. the assembly), and the spectators are fused into one large, angry mob. The hostile reaction to the abortive defense speech by Alexander indicates the futility of addressing the crowd.”131

Schwartz postuliert keine direkte Abhängigkeit zwischen Lukas und der griechischen Romanliteratur, konstatiert als Ergebnis ihres Vergleichs vielmehr: „[H]owever, it does illustrate the pervasiveness of trials in narratives of the imperial period.”132 Gerichtsszenen erfüllten einerseits den ästhetischen Zweck der Unterhaltung der Massen, andererseits den soziologischen Zweck der Identitätsstiftung: „The first centuries of the Common Era were a time when various peoples vied for a protected place within the power structures of the empire, positioned themselves against it, or both. Trial scenes thus dramatize these dynamics of difference.“133 Nach dem zuvor Gesagten dürfte die Komposition von Apg 19 kaum monokausal angelegt sein. Indem statt des Christen Paulus der Jude Alexander zur Verteidigung vor der aufgebrachten Menge anhebt, illustriert Lukas eindrücklich, dass Juden und Christen sich gemeinsam gegenüber der griechisch-römischen Mehrheitskultur zu behaupten haben,134 statt sich in internen – jüdisch-christlichen wie auch inner-christ-

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halves of a single trial, albeit one set in two different cities. (…) Paul flees from Thessalonica before his accusers can arrest him (…); however, the formula of the trial scene demands that each speech in the narrative of prosecution be counterbalanced by a defense speech. This function is fulfilled by Paul’s apologia before the Areopagus in Athens, which comes immediately after the Thessalonica episode, thus forming the second half of the trial, in which the setting shifts to a more prestigious venue.” Schwartz, ibid., 118. Ibid., 127. Vgl. zur erzählerischen Funktion der Menge auch ibid., 118: „Unlike with the internal audience in the Greek novels, in Acts the sympathies of the ideal reader are expected to be counter to the responses of at least a portion of the internal audience.” Ibid., 132; vgl. auch ibid., 110: „The frequency of trial scenes in Greek and Latin fiction reflects the importance of rhetoric in the literary culture of the Roman Empire.“ Ibid., 132. Vgl. Schinkel, „Gruppen“ (s. Anm. 104) 111: „Lukas stellt nicht den Sieg des Christentums über den Artemiskult dar, vielmehr will er zeigen, wie sich innerhalb eines

Zeugnisse einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus

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lichen – Streitigkeiten (vgl. 20,29f) aufzureiben. Es ist denkbar, dass Lukas sogar in Ephesus (oder der näheren Umgebung) gelebt hat und daher hier besonders sensibel ist, „diplomatisch“ zu berichten, um einen existierenden Konflikt nicht weiter zu schüren. Ein Grund für das Verschweigen des konkreten Schicksals des Paulus könnte der unvorteilhafte Ausgang des Prozesses und die (vermutlich) längere Haft sein, die Lukas (anders als etwa den kurzen Gefängnisaufenthalt in Apg 16) nicht in einen triumphalen Sieg des Apostels verwandeln konnte.135 Sofern 2 Kor 1,9f auf die ephesische Haft des Paulus zu beziehen ist, hat dieser selbst bereits mit dem Todesurteil gerechnet und die Freilassung als göttliche Fügung erfahren. Stärker noch als dieses apologetische Interesse wiegt vermutlich die rhetorische Intention des Lukas, die „Inszenierung“ des Angeklagten und Gefangenen Paulus mitsamt den entsprechenden „Bühnen“ zu seiner Verteidigung dem Prozess in Jerusalem und Caesarea vorzubehalten. Indem Lukas die Bedrängnis der ephesischen Juden in Apg 19 verschleiert, baut er zudem Spannung hinsichtlich ihrer Rolle als Ankläger im Hauptprozess auf.

4. Resümee: Ein Mosaik Sowohl die Paulusbriefe als auch die Apostelgeschichte enthalten – in völlig verschiedener literarischer Gestalt – so deutliche und voneinander unabhängige Hinweise auf Gefährdungen und Konflikte des Paulus in der Provinz Asia, dass eine ephesische Gefangenschaft als wahrscheinlich, wenn auch nicht als gesichert angesehen werden kann. Sofern 2 Kor 1,8-11 auf diese Gefangenschaft zu beziehen ist, saß Paulus nicht allein im Gefängnis, was u.a. erklären würde, warum er sich nicht zu seiner Zeit historisch zu verifizierenden Konfliktfeldes zwischen den Interessen eines Vereins und der Absicht der lokalen Obrigkeit, politische Aufstände zu verhindern, der christliche ‚Weg’ behaupten konnte.“ Bei grundsätzlicher Zustimmung zu dieser Einschätzung bin ich doch skeptischer, was die tatsächliche „Behauptung“ insbesondere des paulinischen Christentums in Ephesus angeht. Abgesehen von den besonders in der Johannesoffenbarung reflektierten Repressionen durch die Umwelt ist dabei vor allem auf die Konkurrenz zwischen johanneischer und paulinischer Tradition zu verweisen. Vgl. mit ähnlich kritischer Tendenz Günther, Frühgeschichte (s. Anm. 4) 205-209; Strelan, Paul (s. Anm. 60) 294-302, sowie Thiessen, Christen (s. Anm. 32) 139: „Paulus war nicht die große, unangefochtene Autorität, sondern er war umstritten und hatte Mühe, sich bei den Christen in Ephesus durchzusetzen.“ Insgesamt zuversichtlicher in Bezug auf die Behauptung paulinischer Tradition in Ephesus Trebilco, Christians (s. Anm. 89) 152-154.626f.712f u.ö. 135 Thiessen, Christen (s. Anm. 32) 142, vermutet: „Die Spannungen in der Gemeinde, die aufgrund der Verhaftung des Paulus entstanden sind, passen ebensowenig in sein [scil. Lukas’] Konzept wie eine Infragestellung der Heidenmission durch die Gemeindemitglieder.“

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auf sein Bürgerrecht berufen hat und der Ausgang des Prozesses lange ungewiss war (vgl. Phil 1,19-24; 2,17.23). Dies muss keinen Widerspruch zu Röm 16,4 darstellen, wo er Priska und Aquila dafür dankt, dass sie – eventuell während dieser Zeit in Ephesus – ihr Leben für ihn riskiert haben, denn schließlich will er der römischen Gemeinde vor allem seine Person und sein Evangelium empfehlen. Vielleicht ist sogar die plötzliche Abwendung des sicheren Todesurteils, die 2 Kor 1,9f reflektiert, mit dem Einsatz, den Priska und Aquila erbracht haben, in Beziehung zu bringen. Eine Abfassung vor allem des Philipperbriefes in Ephesus ist durch die vorangehenden Ausführungen zwar wahrscheinlich geworden, aber nicht gewiss. Angesichts der bleibenden Unsicherheit, was die Historizität einer ephesischen Haft des Paulus angeht, sollte diese daher nur unter Vorbehalt für die Einleitungsfragen und damit auch für die Interpretation der echten Gefangenschaftsbriefe herangezogen werden. Eine Paulusdarstellung sollte diese Ungewissheit zumindest offenlegen. Der Bericht in Apg 19,23-40 erhellt unter der Voraussetzung, dass Lukas von einer ephesischen Haft des Paulus wusste, sie aber absichtlich verschwiegen hat, u.a. die Bedeutung, die er dem Hauptprozess des Paulus zukommen lässt, aber auch die Rolle der kleinasiatischen Juden als Kläger in diesem Verfahren. Zugleich kann das Schweigen des Lukas136 über diese Haft zugunsten des vorliegenden Berichts als Maßnahme zur Identitätsstärkung der eigenen Gemeinde verstanden werden. Angesichts der Erfahrung innerer Konflikte illustriert Lukas durch die tumultuarische Gerichtsszene im Theater, dass die Gemeinde auch von außen gefährdet ist, insofern ungerechtfertigte (!) Vorwürfe die griechisch-römische Stadtbevölkerung gegen die Christen mobilisieren können. Dies gilt auch und gerade, wenn die Gemeinde um die ephesische Haft des Paulus weiß. Sowohl Paulus als auch Lukas legen also Spuren, die einzeln nur Mosaiksteinchen sind, in der Zusammenschau aber das Bild einer ephesischen Gefangenschaft des Paulus ergeben.

136 Vgl. zu dieser Strategie des Lukas auch meine gleichnamigen Überlegungen über das offene Ende der Apostelgeschichte H. Omerzu, „Das Schweigen des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte“, in F. W. Horn (ed.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte (BZNW 106, Berlin/New York 2001) 127-156.

Warum fand die Apostelgeschichte keine Fortsetzung in der Antike? Elf Thesen zu einem ungelösten Problem ROLAND KANY Wenn ich die einzige zweifellos wahre Antwort auf meine Titelfrage geben wollte, wäre dieser Aufsatz wohl einer der kürzesten in der Geschichte der neutestamentlichen Wissenschaft. Diese einzig wahre Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Damit könnte ich es bewenden lassen und bedeutungsschwer schweigen. Doch möglicherweise tragen weniger wahre, dafür jedoch ausführlichere Versuche einer Antwort auf diese besondere Frage dazu bei, einige Aspekte der Apostelgeschichte in einem neuen Licht zu sehen.

1. In welchem Sinne hätte die Apostelgeschichte fortgesetzt werden können? Die Titelfrage meines Aufsatzes bezieht sich nicht darauf, warum der Verfasser der Apostelgeschichte nicht noch ein paar Kapitel angehängt hat, beispielsweise um das Ende der Apostel Petrus und Paulus zu erzählen. Sondern meine Frage lautet, warum die Apostelgeschichte im zweiten oder dritten Jahrhundert keine Fortsetzung gefunden hat. Spätestens damals hätte ein Fortsetzer schildern können, was aus Petrus, Matthias und den anderen Mitgliedern des Zwölferkreises sowie aus Paulus und Barnabas am Ende geworden ist, wie die frühen Christen auf die Tempelzerstörung reagierten, wie das Christentum in Kleinasien, in Syrien, in Ägypten, in Nordafrika, in Europa stärker wurde, sich neue Strukturen gab, wie die Mission voranschritt, bis wohin sie reichte, wie innerchristliche theologische Streitereien vom Zaun gebrochen und schließlich beigelegt wurden. Lukas, so nenne ich im Folgenden den Verfasser der Apostelgeschichte, gibt mehrere Signale, aufgrund deren seine Leser meinen können oder sollen, ein Werk der Geschichtsschreibung vor sich zu haben, wenngleich ein spezielles, eigenartiges. Beispielsweise fasst Lukas zu

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Beginn der Apostelgeschichte kurz das vorangegangene Buch zusammen. Viele Historiker verfahren so, etwa Flavius Josephus.1 Ob Lukas beim Anschluss der Apostelgeschichte an sein Evangelium eher an die geschichtlichen Schriften der Septuaginta mit ihrer fortlaufenden Folge denkt oder eher an mehrbändige Werke heidnischer oder jüdischer Historiker, sei dahingestellt. Auch einige andere Signale weisen auf Historiographie: So setzt Lukas wie die großen Historiker jeweils an die Wendepunkte der Handlung große, ausgestaltete Reden. Nicht auszuschließen ist zudem, dass Lukas mit den Wir-Berichten der Apostelgeschichte zeigen will, dass er der Forderung des Polybius zu genügen versteht, ein guter Historiker müsse seefahrtserfahren wie ein Odysseus sein.2 Wenn also gewisse Signale auf Geschichtsschreibung weisen, dann wäre auch dies ein Grund dafür, dass man hätte erwarten können, dass sich bald ein Nachfolger gefunden hätte, der wie zahlreiche griechische und lateinische Historiker der Antike just an der Stelle weitererzählt hätte, an der die Erzählung seines Vorgängers endet. Die bekanntesten Beispiele sind die Fortsetzer des Thukydides, dessen Geschichte des Peloponnesischen Krieges mitten im Satz während der Darstellung des 21. Jahres des Krieges 411 v. Chr. abbricht. Wir wissen von mindestens drei Historikern, die an diesem Punkt den Faden wiederaufgenommen haben.3 Xenophon, einer dieser drei, beginnt seine Fortsetzung, die Hellenika, ohne Vorrede und ohne alles Beiwerk mit den Worten Meta; de; tau`ta ouj pollai`~ hJmevrai~, „danach, nicht viele Tage später ...“. Er schreibt sein Werk also so, dass es direkt als nächste Schriftrolle neben die Rollen des Thukydides gelegt werden soll. Xenophon schließt sein Werk mit einer Anspielung auf seinen Beginn, einer kaum verhohlenen Aufforderung, nun auch sein Werk fortzusetzen: ta; de; meta; tau`ta i[sw~ a[llw/ melhvsei, „was danach kommt, wird vielleicht einen anderen beschäftigen“. Auch Polybius wird mindestens durch Posidonius und Strabo weitergeführt. Ähnliches gibt es im lateinischen Raum: Ammianus Marcellinus, der große Historiker im vierten Jahrhundert, lässt sein Geschichtswerk mit dem Jahr 96 einsetzen, in dem Tacitus’ Historien enden. Auch die christlichen Kirchenhistoriker des fünften Jahrhunderts 1 2 3

Vgl. etwa Jos. ant 8, 1; 13, 1. Polyb. 12, 27, 8-11. Vgl. E. Plümacher, „Wirklichkeitserfahrung und Geschichtsschreibung bei Lukas“, in id., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten (WUNT 170, Tübingen 2004), 85-108; 102-104. Kratippus und Theopompus, für deren Werke beidemal die Identität mit den Hellenika von Oxyrhynchus erwogen worden ist, sowie Xenophons Hellenika. Vgl. zum Prinzip der antiken historia perpetua: L. Canfora, “Il ciclo storico”, Belfagor 26 (1971) 653-670.

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haben dieses Verfahren der historia perpetua verwendet: Sokrates, Sozomenus und Theodoret fangen dort an, wo Euseb ein Jahrhundert zuvor aufgehört hatte. Kurzum: Der abrupte Schluss der Apostelgeschichte hätte geradezu als thukydideisches Signal verstanden werden können, eine Fortsetzung zu verfassen. Meine erste These lautet: Die Apostelgeschichte sendet Signale aus, die eine Fortsetzung im Sinne einer historia perpetua provozieren könnten. Und doch ist das, soweit ich sehe, nicht geschehen. Oder vielleicht doch?

2. Ist die Apostelgeschichte wirklich nicht fortgesetzt worden? Bietet die apokryphe Apostelliteratur eine Weiterführung der Apostelgeschichte? Wir wissen zu wenig über das Khvrugma Pevtrou, um uns vorstellen zu können, ob es sich dabei vielleicht um eine der Apostelgeschichte in irgendeinem Aspekt ähnliche Fortsetzung der Petrusgeschichte gehandelt hat – doch mehr als ein Werk über Petrus war es sicher nicht.4 Die Paulusakten bieten teils Fortführungen, manchmal auch alternative Erzählungen gegenüber der Apostelgeschichte. Das hat zu komplizierten Debatten darüber geführt, ob die Paulusakten die Apostelgeschichte voraussetzen und wie diese beiden Texte überhaupt zu datieren sind.5 Diese und andere schwierige Fragen muss ich nicht anschneiden. Denn soweit ich sehe, ist keine der frühen oder späten apokryphen Apostelgeschichten wie z.B. die Andreasakten oder die Johannesakten als eine Fortsetzung der Apostelgeschichte im Sinne einer historia perpetua konzipiert. Sie setzen nicht da ein, wo die Apostelgeschichte aufhört, sondern sind neue Erzählungen über Petrus, Paulus oder andere Apostel. Sie sind Ausschmückungen, romanhafte Ausweitungen, Ergänzungen oder neu konzipierte Apostelbiographien. Aber sie führen die Apostelgeschichte nicht in die Christentumsgeschichte des ausgehenden ersten und des zweiten Jahrhunderts weiter. So interessant die apokryphen Apostelgeschichten als alternative Konstruktionen von Apostelleben sind, für mein Thema sind sie nicht unmittelbar ergiebig. Dass die Apokryphen nicht einfach als fromme Literatur oder legitime Fortsetzungen gelesen wurden, sondern unter Umständen als heikle Konkurrenz, ist übrigens auch aus Tertullians Behauptung zu schließen, der Priester, der die Akten des Paulus und der 4 5

Vgl. W. Schneemelcher, „Das Kerygma Petri“, in id. (ed.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, vol. 2 (Tübingen 51989) 34-41. Id., „Paulusakten“, ibid., 193-243; 212.

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Thekla verfasst hatte, sei zurückgetreten, als seine Verfasserschaft ans Licht kam.6 Eine andere Frage ist, ob es nicht Fortschreibungen der Apostelgeschichte gegeben habe, die irgendwann in Antike oder Mittelalter verlorengegangen sind. Wirkliche Nachrichten darüber sind mir aber nicht bekannt. Die wenigen möglichen Kandidaten, auf die ich noch zu sprechen komme, sind dem Euseb von Cäsarea bekannt gewesen, der zu Beginn des vierten Jahrhunderts seine Kirchengeschichte verfasst hat. In den ersten Zeilen dieses Werkes kündigt Euseb an, wovon er berichten wird: von den Nachfolgern der heiligen Apostel bis zur Gegenwart, womit er insbesondere Bischofslisten von Rom, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem meint. Darüber hinaus will Euseb von bedeutenden Lehrern berichten, auch von Häretikern und dem jüdischen Volk. Außerdem möchte er von den Christenverfolgungen, Märtyrern und der schließlichen Hilfe des Erlösers erzählen. Das entspräche also in einzelnen Aspekten thematisch, nicht formal, ungefähr dem, was ich als Fortsetzung der Apostelgeschichte bezeichnen würde. Allerdings sieht sich Euseb selbst nicht als Fortsetzer der Apostelgeschichte. Denn er beginnt nicht da, wo die Apostelgeschichte aufhört, sondern fängt mit einer christologischen Skizze und einer Vita Jesu an. Noch wichtiger für mein Thema ist, dass Euseb wenige Zeilen später ausdrücklich und unmissverständlich sagt, er sei der erste, der sich an die eben umrissene Aufgabe gewagt habe, und darum habe er sich einen bislang unbegangenen Weg bahnen müssen.7 Er sieht also in der Apostelgeschichte keine Vorgängerin seiner Kirchengeschichte. Als Kandidaten für eine Art Nachfolge der Apostelgeschichte kämen, wenn ich recht sehe, vier Texte in Frage. Davon scheiden zwei sofort aus, nämlich das um 221 zu datierende chronographische Werk des Julius Africanus und die um 235 entstandene, in ihrer Zuschreibung an Hippolyt umstrittene Chronik: Chronographische Werke entstammen einem eigenen, auf die Berechnung von Zeitdauern und Jahreszahlen zielenden Genre.8 Weder formal noch inhaltlich handelt es sich dabei um Fortsetzungen der Apostelgeschichte in einem noch so weiten Sinne. Eine dritte Möglichkeit wären die schwer datierbaren Logivwn kuriakw`n ejxhghvsew~ suggravmmata pevnte des Papias von Hierapolis, die irgendwann zwischen 80 und 160 n. Chr. verfasst wurden. Aus den Fragmenten, die bei Euseb und Irenäus von Lyon erhalten sind, geht nicht 6 7 8

Tert. bapt. 17, 5. Eus. h.e. 1, 1, 3. Vgl. M. Wallraff (ed.), Julius Africanus und die christliche Weltchronistik (TU 157, Berlin/ New York 2006).

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hervor, ob Papias den Text des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte kannte; es wird diskutiert, ob er aus anti-markionitischen Motiven über Lukas und Paulus schweigt, was dann auf eine Entstehungszeit ab den 140er Jahren wiese. Papias hat offenbar versucht, Überlieferungen (paradovsei~) über Worte und Handlungen Jesu und der ersten Generation der Jesus-Jünger zu finden, zu sammeln und zu kommentieren. Dabei wollte Papias möglichst aus zuverlässiger mündlicher Tradition von Apostelschülern oder anderen verlässlichen Zeugen schöpfen. Aber auch Markus, Matthäus und einige weitere neutestamentliche Texte (Johannes-Apokalypse, 1 Petrus und 1 Johannes) werden von ihm erwähnt, die fehlende Ordnung bei Markus kritisiert.9 Es geht Papias offenbar um die Unterscheidung vertrauenswürdiger und nicht vertrauenswürdiger Überlieferung. Ulrich Körtner meint, dieses Werk habe in der Mischung aus Heranziehung von mündlichen und schriftlichen Zeugen und der Absicht, das Glaubwürdige gegenüber dem Unglaubwürdigen zu kanonisieren, zwar nicht gattungsgeschichtlich, wohl aber kanongeschichtlich „in gewisser Weise eine Parallele“ zum lukanischen Doppelwerk.10 Worin das Werk des Papias jedoch offenbar, wenn die überlieferten Fragmente nicht täuschen, gerade nicht der Apostelgeschichte gleicht, ist erstens die Art der Darbietung: Papias bietet offenbar keine durchgehende Geschichtserzählung. Zweitens ist es Papias um die Anfänge zu tun, also zum Teil um die gleichen Zeiten, von der die Evangelien und die Apostelgeschichte handeln. Papias bietet keine Fortsetzung der Apostelgeschichte. Vierte und letzte Möglichkeit: Hegesipps „fünf kurze, ungeschmückt geschriebene Bücher“, auch „fünf Hypomnemata“ genannt.11 Hegesipp scheint eine Reise unternommen zu haben, die über Korinth nach Rom führte und ihn mit vielen Bischöfen bekannt machte. Er suchte anscheinend in antignostischer Absicht, die Leitungsnachfolgen der Christengemeinden wichtiger Städte im Zusammenhang mit der Kontinuität korrekter Lehrüberlieferung nachzuweisen. Wohl um 180 schrieb er ein Werk darüber. Wie Michael Durst gezeigt hat, bezeichnet uJpomnhvmata weder den Titel des Werkes noch eine bestimmte Gattung. Das Wort bedeutet nicht viel mehr als „Aufzeichnungen“, „Bücher“.12 Hieronymus, der in De viris illustribus gelegentlich Kenntnisse vortäuscht, die er nicht hat, behauptet, Hegesipp habe sämtliche Geschichten kirchlicher Akte vom Leiden des Herrn bis in seine Zeit beschrie9 10 11 12

Papias, Frg. 5 Körtner (= Eus. h.e. 3, 39, 15). U. H. J. Körtner, „Einleitung“, in id./M. Leutzsch (eds.), Papiasfragmente. Hirt des Hermas (Schriften des Urchristentums 3, Darmstadt 1998) 1-49; 48. Eus. h.e. 4, 8, 2 bzw. 4, 22, 1. M. Durst, „Hegesipps ‚Hypomnemata’ – Titel oder Gattungsbezeichnung?“, in: RQ 84 (1989) 299-330.

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ben.13 Das ist wahrscheinlich falsch. In Wahrheit dienen die Nachrichten, die Hegesipp bietet, wohl durchweg der eben erwähnten Absicht. In diesen Zusammenhang gehört auch seine Erzählung über den Herrenbruder Jakobus, der von den Aposteln als erster Bischof von Jerusalem eingesetzt worden sei und nach dem Märtyrertod in Jesu Onkel Symeon den Nachfolger gefunden habe, bevor Thebuthis, da er nicht Bischof geworden war, den Anfang mit der Beschmutzung der ehedem jungfräulich reinen Kirche gemacht habe.14 Jedenfalls dürfte Hegesipps Werk keine Fortsetzung der Apostelgeschichte gewesen sein. Hegesipp schrieb auch keine Kirchengeschichte. Sonst wäre Eusebs Aussage sinnlos, keinen Vorgänger zu haben, denn gerade er überliefert die meisten Fragmente aus Hegesipps Werk. Mein Fazit also lautet als zweite These: Es gibt kein Indiz dafür, dass die Apostelgeschichte im zweiten oder dritten Jahrhundert fortgesetzt worden wäre.

3. Ein Methodenproblem Die Frage, warum in der Geschichte etwas nicht geschehen ist, unterliegt dem prinzipiellen Verdacht, sinnlos zu sein. Sie wird in den historischen Fächern mit Recht seltener gestellt als die Frage, warum etwas geschehen ist. Aber gelegentlich können solche Gedankenexperimente Licht auf das tatsächlich Geschehene werfen. Solche Fragen ähneln derjenigen von Alexander Demandt nach dem „Was wäre gewesen, wenn“ in der Geschichte.15 Meine Frage, warum etwas nicht passiert ist, ist einem üblichen historischen Erzählungstyp keineswegs unverwandt. Historisches Erzählen ist häufig eine Weise der Erklärung: Ein Gegenstand x hat zum Zeitpunkt t-1 einen bestimmten Zustand, zu einem späteren Zeitpunkt t-2 ereignet sich etwas, und zu einem noch späteren Zeitpunkt t-3 befindet sich x in einem neuen Zustand. Der Wandel vom Vorher zum Nachher wird durch das zeitlich dazwischen liegende Ereignis erklärt.16 Auf der Grundlage der Annahme, dass es keine Fortsetzung der Apostelgeschichte gab, soll im Folgenden gefragt werden, warum dies so ist. Historische Ereignisse oder Sachverhalte sollen als Erklärungen dafür er-

13 14 15 16

Hier. vir. ill. 22. Eus. h.e. 4, 22, 4 f. A. Demandt, Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn ...? (Göttingen 32001). A. C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte (Frankfurt 1980 [zuerst Cambridge 1965]) 376.

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wogen werden, warum es in diesem Falle keinen Wandel vom Vorher zum Nachher gab und die Apostelgeschichte ohne Fortsetzung blieb. Eine solche gewissermaßen kausale Verkettung von bekannten Ereignissen und Sachverhalten kann natürlich zu Unrecht etwas als unmöglich behaupten, das in Wahrheit möglich war, ja vielleicht sogar verwirklicht worden ist, sich aber unserer Kenntnis entzieht. Irgendein kreativer Autor des zweiten oder dritten Jahrhunderts könnte alle entgegenstehenden Gründe überwunden und die Apostelgeschichte fortgesetzt haben. Denkbar ist, dass sein Werk spurlos verschwunden ist, oder dass er vor der Vollendung starb und die Witwe das Manuskript palimpsestieren ließ, um es an einen Pergamenthändler verkaufen zu können. Zufall und Kontingenz spielen in der Geschichte zweifellos eine große Rolle. Wäre im Herbst 1790 der Köchin des Tübinger Stifts ein fataler Irrtum unterlaufen, so dass die Studenten Hegel, Schelling und Hölderlin an einer Lebensmittelvergiftung gestorben wären, dann hätte sich die deutsche Geistesgeschichte ganz anders entwickelt, und ich möchte im Folgenden nicht wie ein Autor argumentieren, der zweihundert Jahre später eine Abhandlung darüber geschrieben hätte, warum es damals deutschen Dichtern und Denkern aus prinzipiellen Gründen unmöglich gewesen sei, über Goethe und Kant hinauszugelangen. Man sollte also nicht zwingend begründen wollen, warum eine Fortsetzung der Apostelgeschichte unmöglich gewesen wäre. Dass sie gleichwohl wenig wahrscheinlich ist, möchte ich zeigen. These 3 lautet: Die Frage, warum keine Fortsetzung der Apostelgeschichte entstanden ist, lässt sich aus prinzipiellen Gründen nicht apodiktisch beantworten. Es können lediglich Argumente benannt werden, warum die Existenz einer solchen Fortsetzung eher unwahrscheinlich ist.

4. Das abgeschlossene Programm der Apostelgeschichte Die Evangelien konnte man, mindestens vor der Kanonisierung, neu schreiben oder einzelne Episoden detaillierter ausmalen. So entfalten manche gnostischen Evangelien die Begegnungen des Auferstandenen mit seinen Jüngern und Jüngerinnen zu langen Lehrgesprächen. Dennoch: Die Geschichte Jesu gelangte mit seinem Tod und seiner Auferstehung an ein Ende, das sich nicht fortsetzen ließ, ohne etwas prinzipiell Neues zu beginnen. Lukas wagt mit seiner Apostelgeschichte einen solchen neuartigen Beginn, eine Fortsetzung anderer Art, indem er die Gemeinde der Jünger und überhaupt der ersten Christen historisch darstellt und deutet.

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Ein Programm (vielleicht: das Programm) der Apostelgeschichte ist in 1,8 in den Worten des auferstanden Jesus ausgesprochen: „ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“. Möglicherweise entsprechen diesem Programm die Kapitel 1–7 für Jerusalem, 8 bis 12 für Judäa und Samarien, und 13–28 mit dem Ende in Rom, der Hauptstadt des imperium sine fine, das bis an die Grenzen der Erde reicht. Legt man tiefer die Frage des Verhältnisses von Judentum und Christentum als Programm der Apostelgeschichte zugrunde, wie das Michael Wolter vorgeschlagen hat,17 dann wäre in dem abschließenden Wort des Paulus an Herodes Agrippa II. in 26,29 dieser krönende Abschluss erreicht: „Erbeten möchte ich es bei Gott, dass über kurz oder lang nicht nur Du, sondern auch alle, die mich heute hören, das werden, was ich bin – außer den Fesseln.“ In beiden Fällen hätte die Apostelgeschichte also, ihrer Konzeption nach, ihr Ziel und Ende erreicht. Ich formuliere als These 4: Die Apostelgeschichte hat mit ihrem Schluss ihr Ziel erreicht. Es kann und muss eigentlich nichts mehr folgen. Das heißt zunächst aber nur, dass das Buch der Apostelgeschichte zu Ende ist. Denkbar wäre noch immer, dass ein neues Buch mit einem neuen Programm angefügt worden wäre. Ähnlich wie Xenophon den Thukydides fortsetzt, hätte dieses Buch z.B. mit den Worten anfangen könnte: „In jenen Tagen aber war Nero Kaiser geworden.“ Erst als die Kanonisierung der vier Evangelien und des „Apostolos“ (mit der Apostelgeschichte als Bestandteil) einsetzte, wäre diese Möglichkeit entfallen. Warum aber scheint es auch keine Fortsetzung in der Zeit zwischen dem Abschluss des Werkes und der einsetzenden Kanonisierung im zweiten Jahrhundert gegeben zu haben, also etwa in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts? Oder kannte man vielleicht die Apostelgeschichte in dieser Phase noch kaum? Dass sie erst von Justin einigermaßen sicher und von Irenäus ganz sicher erwähnt wird, könnte in diese Richtung weisen.18 Ich wage es jedoch nicht, die These aufzustellen, die Apostelgeschichte sei zunächst aus dem Grunde nicht fortgesetzt wor17 18

M. Wolter, „Das lukanische Werk als Epochengeschichte“, in C. Breytenbach/J. Schröter (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung, FS E. Plümacher (AJEC/AGJU 57, Leiden/Boston 2004) 253-284. Vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 71977) 17-29; in etwa bestätigt durch Ch. Mount, Pauline Christianity. Luke-Acts and the Legacy of Paul (NT.S 104, Leiden 2000) 11-58. Die handschriftliche Überlieferung der Apg reicht in keinem Falle hinter die Blütezeit des Irenäus zurück: Bis auf ein oder zwei Fragmente, bei deren Datierung man zwischen dem zweiten und dem dritten Jahrhundert schwankt, gehören die ältesten Manuskripte erst dem dritten an, vgl. K. Aland (ed.), Text und Textwert der griechischen Handschriften des Neuen Testaments III: Die Apostelgeschichte, 2 vols. (ANTT 20/21, Berlin/New York 1993); L. Hurtado, The Earliest Christian Artefacts. Manuscripts and Christian Origins (Grand Rapids 2006) 220.

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den, weil niemand sie kannte. Dafür scheint mir die Quellenbasis der aus dem zweiten Jahrhundert erhaltenen Texte zu schmal.

5. Die stilistische Eigenart der Apostelgeschichte Hätte ein Autor des zweiten oder dritten Jahrhunderts es unternommen, die Geschichte des Christentums über die Apostelgeschichte hinaus weiterzuführen, so hätte er stilistisch einen anderen Weg als Lukas einschlagen müssen. Verlängert Lukas nicht die große Erzählung der Septuaginta von der Geschichte Gottes mit seinem Volk bis in die Zeit der beginnenden Kirche hinein? Stiftet er damit nicht den Christengemeinden Identität, zeigt ihnen, wie sie Israel fortsetzen und warum es zur Trennung zwischen Judentum und Christentum gekommen ist? Man könnte meinen, Lukas habe sich eigens eine Sammlung charakteristischer Septuaginta-Formulierungen angelegt, um sie gezielt über sein Evangelium und seine Apostelgeschichte zu verteilen19 und diesen Texten damit einen halb archaisierenden, halb sakralen Goldgrund zu verleihen. Mit einer solchen „Sakralisierung des Geschichtsbildes“20 hat Lukas aber einem potentiellen Nachfolger das Leben sehr schwer gemacht. Denn von irgendeinem Zeitpunkt der Christentumsgeschichte an musste ein biblischer Goldgrund unangemessen erscheinen. Irgendwann war die biblische Zeit der Zeichen und Wunder vorbei. Wenn Lukas in der Mitte der neunziger Jahre seine Apostelgeschichte verfasst haben sollte, dann lag die letzte Szene des Werkes immerhin rund fünfunddreißig Jahre zurück. Noch die dritte, vierte oder fünfte Generation der Jesus-Anhängerschaft in der Technik und Sprache der Septuaginta zu beschreiben, wäre das nicht blasphemisch gewesen? Hätte jemand versucht, die Apostelgeschichte fortzusetzen, so hätte er vor dem Problem gestanden, zwar das Sterben der letzten persönlichen Apostel Jesu vielleicht noch als heilige Geschichte erzählen zu können, das folgende Geschehen aber in einem anderen Stil und in normal-menschlichen Dimensionen vortragen zu müssen. Schon in der Apostelgeschichte selbst meint man manchmal ein solches Gefälle sprachlich bemerken zu können, indem ab Kapitel 13, also mit der Paulus-Biographie, der Septua19 20

Vgl. M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments (Paderborn et al. 2001) 51-55. K. Backhaus, „Lukas der Arzt. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThSt 86, Neukirchen-Vluyn 2007) 3066; 54 f.

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ginta-Anteil etwas geringer zu werden scheint. Diese Tendenz hätte ein Fortsetzer nochmals verstärken müssen. Das wäre vielleicht möglich gewesen, aber es wäre etwas wirklich Neues, ein Neuansatz erforderlich gewesen. These 5 lautet mithin: Wenn es eine Weiterführung der Apostelgeschichte hätte geben sollen, so hätte diese den an die Septuaginta angelehnten Stil aufgeben müssen und insofern wohl auch die Gattung mindestens zum Teil neu definieren müssen.

6. Die Sonderstellung der Apostelgeschichte in Bezug auf die Quellen Man kann die Bemerkung des Lukas am Anfang seines Evangeliums als Vorwort eines gewissenhaften Historikers lesen, der genau nachgeforscht hat, wie sich alles zugetragen hat. Seine Berufung auf die Überlieferung derer, die Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind (Lk 1,2), lässt sich aber auch in spezifisch jüdischem Licht lesen. Flavius Josephus jedenfalls betont in seinem Werk gegen Apion, es sei gerade der Vorzug der jüdischen Überlieferungen, dass sie nicht von jedermann hätten geschrieben werden dürfen; vielmehr hätten dieses Privileg allein die Propheten gehabt, die von Gott unmittelbar inspiriert worden sind. Daher besäßen die Juden nicht (wie andere Völker) Tausende einander widersprechender Bücher, sondern nur 22, und diese enthielten die Urkunde aller Zeiten.21 Es spielt für mein Argument keine Rolle, ob Lukas selbst seinen Umgang mit Augenzeugen in einem solchen Licht sah, oder ob seine Leser dies möglicherweise so sahen. Jedenfalls befand sich Lukas in einer später nicht mehr gegebenen Lage, weil er noch die Augenzeugen und Diener des Logos hatte befragen können. Damit konnte er in gewisser Hinsicht eine sehr besondere Geschichte in Josephus‘ Sinne schreiben.22 Mit dem Aussterben der Generation von Originalzeugen des Wortes war eine Fortschreibung jedoch nicht mehr möglich. Eine Fortsetzung der Apostelgeschichte konnte nur noch auf ganz andere Weise geschehen; Papias und Hegesipp hätten in diesem Sinne die letzten Überlieferungen gesammelt und geprüft, die aber nach Inhalt und Form ungeeignet waren, um eine Fortsetzung der Apostelgeschichte zu ergeben. Meine sechste These: Eine Fortsetzung der Apostelgeschichte hätte

21 22

Jos. c. Ap. 1, 37. Vgl. auch M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (Stuttgart 21984) 33 f., zum Verhältnis von Jos. c. Ap. und dem lukanischen Doppelwerk.

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die dem lukanischen Doppelwerk laut Lukas zugrunde liegenden berufenen Zeugen erfordert, die es jedoch nicht mehr gab.

7. Die gattungsgeschichtliche Sonderstellung der Apostelgeschichte Felix Jacoby hat für seine Sammlung der Fragmente griechischer Historiographie eine Einteilung des gesamten Materials vorgenommen: Erstens Genealogie und Mythographie im Sinne einer Geschichte der Sagenzeit. Zweitens Universal- und Zeitgeschichte sowie Chronographie. Drittens Geschichte von Völkern und Städten (Ethnographie und Horographie). Viertens antiquarische Geschichte und Biographie. Fünftens Geographie. Dazu treten an sechster Stelle unbestimmbare Autoren und Schriften zur Theorie der Geschichtsschreibung.23 Wollte man die Apostelgeschichte in einer der oberen fünf Schubladen unterbringen, käme man in Schwierigkeiten.24 Zwar spielt ein kleines Moment an Mythographie herein, insofern es sich um eine im Wunderbaren wurzelnde Ursprungsgeschichte handelt, aber die Apostel-geschichte ist kein Werk über Götter und Heroen. Auch ein Moment an Zeitgeschichte ist enthalten, aber bei der Apostelgeschichte fehlen die politischen oder militärischen Schwerpunkte. Manches ähnelt den ethnographischen Spezialmonographien, die beispielsweise Berossus über die Babylonier oder Manetho über die Ägypter geschrieben haben, aber die Christenheit ist gerade keine geographische Einheit, auch keine Ethnie im herkömmlichen Sinne. Biographisches spielt eine große Rolle in der Apostelgeschichte, gerade im Paulusteil, dennoch handelt es sich insgesamt literaturgeschichtlich gesehen um keine Biographie. Elemente eines geographischen Itinerars sind wichtig, gleichwohl handelt es sich um kein primär geographisch ausgerichtetes Werk. Macht man sich etwas unabhängiger von formalen Gattungsmerkmalen und achtet stärker auf die Inhalte, so kann man an verschiedene Genres von Spezialmonographien denken. In mancher Hinsicht vergleichbar sind etwa die Werke über die Geschichte der Juden und über 23

24

F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker (FGrHist), vol. IA (Leiden 21957) VII. Natürlich lässt sich das Schema als zu starr kritisieren, weil es zu wenig der Variabilität und Dynamik der Texte angemessen erscheint, vgl. J. Marincola, “Genre, Convention, and Innovation in Greco-Roman Historiography“, in C. S. Kraus (ed.), The Limits of Historiography (Mnemosyne 191, Leiden 1999) 281-324 (Hinweis von Marius Reiser). Allerdings ist für solche pragmatisch zu handhabenden Sammlungen oft eine zu grobe Einteilung nützlicher als eine zu komplexe. Vgl. die Überlegungen zur Gattungsfrage bei Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (s. Anm. 22) 37 f.

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Priester bestimmter Religionen. Andere religionskundliche Werke wie Lukians De Syria Dea enthalten im Gegensatz dazu kaum geschichtliches Erzählen und kaum Ereignisse, sind also weit von der Apostelgeschichte entfernt. Flavius Josephus hingegen bietet Religionsmonographie und Geschichtserzählung wie Lukas. Josephus stellt bekanntlich sowohl in seinem Werk über den jüdischen Krieg wie über die jüdischen Altertümer, letzteres vielleicht zwei oder drei Jahre vor der Apostelgeschichte veröffentlicht, die verschiedenen Religionsparteien der Juden als aiJrevsei~ dar, als Philosophenschulen, und auch Lukas gebraucht den Terminus der Häresien in diesem Sinne sowohl für jüdische Gruppen (Apg 5,17; 15,5; 26,5) als auch für die Jesus-Anhänger, die wie eine weitere jüdische Sondergruppe erscheinen (24,5.14; 28,22).25 Eine solche Darstellung religiöser Gruppen nach Art von Philosophenschulen hatte offenbar Tradition: Chairemon von Alexandrien hat etwa drei Jahrzehnte vor Lukas die ägyptischen Priester wie stoische Philosophen dargestellt.26 Zur Gattung der Philosophiegeschichte würde, nebenbei bemerkt, die Abwechslung von Theorie, wie sie die Apostelgeschichte in den Reden unterbringt, und biographischer Erzählung passen, wie die Apostelgeschichte sie vor allem in Bezug auf Stephanus, Petrus und Paulus enthält. Unterstrichen würde dieser Bezug durch die Areopagrede vor Epikureern und Stoikern. Hingegen würde eine ausführliche Beschreibung von Ritus und Kult nicht in das historiographische Muster einer Philosophiegeschichte passen; tatsächlich erfahren wir kaum etwas darüber in der Apostelgeschichte. Gleichwohl hat das zweite Buch des Lukas thematisch natürlich fast nichts mit einer philosophiegeschichtlichen Monographie des Typs gemeinsam, wie ihn etwa Diogenes Laertius verkörpert. Ähnlich wie bei den Evangelien scheint bei der Apostelgeschichte die Suche nach direkten Gattungsvorbildern zu keinen befriedigenden Ergebnissen zu gelangen. Nur dass sich das Werk am ehesten im Horizont jüdisch-hellenistischer Literatur lesen lässt, scheint mir plausibel.27 Meine siebte These lautet: Die Apostelgeschichte folgt keinem etablierten Gattungsmuster, das auch unabhängig von ihr fortsetzbar gewesen wäre.

25 26 27

Vgl. N. Brox, Art. Häresie, in RAC 13 (1986) 248-297; 256. FGrHist Nr. 618. Vgl. dazu M. Reiser, „Die Stellung der Evangelien in der antiken Literaturgeschichte“, ZNW 90 (1999) 1-27.

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8. Das Fehlen eines religiösen Mittelpunktes Wer im alten oder neuen „Schürer“ den Abschnitt über die hellenistisch-jüdische „historische Literatur“ durchsieht, stößt auf eine beachtliche Zahl von teils erhaltenen, teils verlorenen Texten.28 Manche davon dienten offenbar apologetischen Zwecken. So wollte Artapanus in seinem Werk über die Juden nachweisen, dass die Ägypter alle nützlichen Kenntnisse den Juden verdankten und schon Abraham den Ägypterkönig in Astrologie unterwiesen habe. Aristobulus behauptet, dass Pythagoras, Sokrates, Plato und Aristoteles im Wesentlichen aus Moses schöpfen. Es gab aber offenbar auch zünftige jüdisch-hellenistische Historiker wie Jason von Kyrene, dessen fünf Bücher im zweiten Makkabäerbuch zusammengefasst sind.29 Schließlich Justus von Tiberias, ein Zeitgenosse des Josephus, der wie Josephus anscheinend sowohl über den jüdischen Krieg wie auch über die Gesamtgeschichte der Juden geschrieben hat.30 Doch mit Josephus und Justus hört die Tradition der jüdisch-hellenistischen Historiographie plötzlich und vollständig auf – es sei denn, man zählt das lukanische Doppelwerk noch dazu. Letztere Möglichkeit erscheint mir keineswegs abwegig: Mit entsprechenden Kautelen könnte man in einer Geschichte der griechischen Literatur die Apostelgeschichte durchaus der jüdisch-hellenistischen historiographischen Literatur zurechnen. Lukas stellt die Anfänge des Christentums als Vorgang innerhalb des Judentums dar, auch wenn er dann den Eindruck erweckt, als seien es die Juden gewesen, die das Christentum herausdrängen. Wie Justus und Josephus findet auch der Verfasser der Apostelgeschichte keinen Fortsetzer, er begründet eine neue Gattungsvariante historischer Literatur, deren einziges Exemplar sein Werk bleibt. Es werden zwar im zweiten und dritten Jahrhundert im christlichen apologetischen Schrifttum die Behauptungen der jüdischen historischen Apologetik erneuert, die griechische Philosophenweisheit stamme aus dem Alten Testament, aber wie im Judentum erstirbt auch im Christentum mit der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert die historiographische Literatur: Josephus‘ Antiquitates 28

29 30

E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, vol. 3 (Leipzig 41909) 468-497 („Historische Literatur“); id., The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, vol. 3/1, bearbeitet von G. Vermes, F. Millar, M. Goodman (Edinburgh 1986) 509-558 („Prose Literature about the Past“). Weiterführende Überlegungen, besonders zu den frühen Vertretern bei O. Wischmeyer, „Orte der Geschichte und der Geschichtsschreibung in der frühjüdischen Literatur“, in E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin/New York 2005) 157-169. 2 Makk 2,23. FGrHist Nr. 734.

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und die Apostelgeschichte sind, überspitzt gesagt, die letzten Vertreter biblisch-hellenistischer Historiographie. Arnaldo Momigliano hat in Bezug auf das Judentum eine These über die Ursachen des Versiegens historischer Literatur aufgestellt: „Der Vergleich mit anderen Kulturen zeigt, dass es keinen starken Anreiz zur Geschichtsschreibung gibt, wenn der eigene nationale oder religiöse Mittelpunkt zerstört wird – genau dies widerfuhr den Juden im Jahre 70 n. Chr. Im Grunde genommen bedeutete der Triumph der Rabbinate den faktischen Verlust jenes Sinns für eine durch die göttliche Vorsehung bestimmte Richtung von der fernsten Vergangenheit bis in die Gegenwart und darüber hinaus, der für die biblische Geschichte so charakteristisch ist. Die Rabbinen ersetzten ihn [...] durch ausschließliche Akzentsetzung auf die alljährliche Inszenierung ausgewählter Ereignisse aus der Vergangenheit, die die Juden seit je gefeiert hatten [...]. Doch die Kontinuität der Geschichte war verloren.“31

Manches davon wäre auch für das Christentum und die Apostelgeschichte zu erwägen. Ein Zentrum gab es sehr bald nicht mehr. Die Apostelgeschichte schildert ausdrücklich, wie das ursprüngliche Zentrum Jerusalem in den Hintergrund tritt und stattdessen die Mission überallhin gelangt. Josephus hatte, wie Momigliano in seinem Vorwort zur italienischen Übersetzung von Vidal-Naquets Josephus-Buch deutlich gemacht hat, zwei zentrale Erscheinungen des jüdischen Lebens nicht oder kaum in den Blick bekommen: das apokalyptische Moment, das die Prosa des judentums-apologetischen Historikers sprengen würde, und die Synagogen.32 Es ist paradox, dass wir aus der Apostelgeschichte mehr über die Synagogen erfahren als aus Josephus. Das aber hat vielleicht auch etwas mit dem Genre historischen Erzählens zu tun: Die in vielen Städten beheimateten Synagogen lassen sich nicht ohne besonderen Kunstgriff in einer einzigen Erzählung unterbringen. Sie würden besser in eine Beschreibung von Institutionen oder in ein chronographisches Werk passen, aber weniger in eine Erzählung von Ereignissen, wie sie für Geschichtsschreibung charakteristisch ist. Dass die Apostelgeschichte die Synagogen als Matrix der Christengemeinden historiographisch in den Blick nimmt, ist dem geschickten Verfahren des Lukas zu verdanken, das Netzwerk von Synagogen durch das Itinerar der Apostelreisen nachzuzeichnen. Dadurch wird dem Erfordernis des Erzählens genügt, und dennoch treten verstreute Orte in den 31 32

A. Momigliano, „Die Juden und die griechische Kultur“, in id., Die Juden in der Alten Welt (Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek 5, Berlin 1988) 28-48; 47 (korrigiert). Id., „Was Flavius Josephus nicht sah“, ibid., 67-78.

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Gesichtskreis. Dieser Kunstgriff ließ sich aber kaum mehr in spätere Zeiten hinein verlängern, als immer mehr Christengemeinden entstanden waren. Meine achte These lautet: Die Vielfalt der Städte, in denen sich das frühe Christentum ohne ein dominierendes Zentrum ausbreitete, erschwerte das Entstehen eines historischen Interesses und wäre auch schwerlich in einer einzigen historischen Erzählung darstellbar gewesen.

9. Fehlende wissenschaftspraktische Voraussetzungen Um eine Geschichte des sich ausbreitenden, sich institutionell strukturierenden Christentums im zweiten und dritten Jahrhundert schreiben zu können, wären viele Voraussetzungen notwendig gewesen. Nicht nur, dass es kein gattungsmäßiges Vorbild dafür gab, weil es unseres Wissens nie so etwas wie eine Geschichte des Dionysos- oder des Mithraskultes in der Antike gegeben hat. Vielmehr hätte es guter Gemeinde-Archive bedurft. Während die Polis und der römische Staat solche Archive hatten, dürften die frühen Christen wohl kaum Protokolle über Presbyterkollegiums-Sitzungen, Akten zu innerchristlichen Streitigkeiten, Listen der ersten Monepiskopen, Taufstatistiken usw. angefertigt und aufbewahrt haben. Selbst Euseb von Cäsarea, der wahrscheinlich schon am Ende der langen Friedenszeit nach dem Ende der Valerianischen Verfolgungen, also in der Zeit rund um 300, das Material seiner Kirchengeschichte durch Reisen und aus den reichen Bibliotheksbeständen von Cäsarea in Palästina sammelte, hat mit vielen riesigen schwarzen Flecken auf der kirchengeschichtlichen Landkarte zu kämpfen. Entscheidend ist, dass Eusebs gänzlich innovative Kirchengeschichte ein für damalige Verhältnisse erstaunlich aufwendiges wissenschaftliches Großunternehmen ist. Zuerst einmal musste Euseb dafür materielle Voraussetzungen haben: Honorare für Mitarbeiter, große Mengen an Papyrus oder Pergament, um Exzerpte und vor allem die Tabellen seiner Weltchronik anfertigen zu können, die er vor seiner Kirchengeschichte verfasste.33 Hier gelangte er über Julius Africanus und Hippolyt hinaus, die eher apologetische Zwecke verfolgt hatten: Diese wollten u.a. einem naherwartenden Chiliasmus entgegentreten, indem sie zeigten, dass die 6000 Jahre der Weltgeschichte noch lange nicht erfüllt seien, sondern noch mindestens 200 oder 300 Jahre bevorstünden. Euseb gelangte auf die volle Höhe chronographischer Wissenschaft, er versuchte, Synchronien zwischen 33

Vgl. A. Grafton/M. Williams, Christianity and the Transformation of the Book. Origen, Eusebius, and the Library of Caesarea (Cambridge, Mass./London 2006).

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biblischer und griechischer, römischer, ägyptischer Geschichte herzustellen und natürlich auch die Daten der Bischöfe der wichtigsten Metropolen zu ermitteln. So gewann er das chronologische Koordinatensystem, in das er die Ereignisse der Kirchengeschichte eintragen konnte. Das alles also musste erst einmal geleistet werden, bis jemand zwar keine Fortsetzung der Apostelgeschichte, wohl aber eine Geschichte des Christentums seit Jesus Christus in Angriff nehmen konnte. Die Verhältnisse der ersten Jahrhunderte dürften viel zu bescheiden gewesen sein, als dass ein derartiges Großprojekt möglich gewesen wäre. Martin Hengel, der über einen ungewöhnlich wachen Sinn für wirtschaftliche Gegebenheiten verfügt, hat sogar die bewusste Begrenzung der vier Evangelien auf den Umfang je einer Buchrolle mit dem Zwang zur Sparsamkeit in den Gemeinden begründet: Aus Sparzwang sei die Kürzung des Markusevangeliums durch Matthäus und Lukas zu verstehen. Demgegenüber bedeute das zwei Buchrollen erfordernde Doppelwerk des Lukas schon einen „Bruch mit dem Gesetz der einen Buchrolle“.34 Aber es war nur ein maßvoller Bruch. Meine neunte These: Bis ein Werk wie die Kirchengeschichte Eusebs möglich wurde, bedurfte es starker archivalischer, wirtschaftlicher und wissenschaftsorganisatorischer Verbesserungen gegenüber dem zweiten und dritten Jahrhundert.

10. Hätte eine Fortsetzung der Apostelgeschichte im zweiten oder dritten Jahrhundert ein Publikum gefunden? Eigentlich müsste das antike Christentum von seinen beiden Elternteilen ein Interesse an Geschichtsschreibung geerbt haben.35 Denn sowohl das Judentum als auch die griechisch-römische Kultur zeichnen sich durch große Traditionen von Historiographie aus. Das Christentum übernahm die griechische Bibel der Juden und sammelte bald eigene geschichtliche Überlieferungen. Wenn vom christlich-biblischen Geschichtsverständnis die Rede ist, fällt oft das Wort „Heilsgeschichte“, ebenso die Formulierung, Christus sei für das antike Christentum die „Mitte der Zeit“ gewesen. Beides kann leicht zu einem Missverständnis führen. Man könnte aus diesen Vokabeln schließen, die Christen verstünden die Zeit von der Erschaf34 35

M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (s. Anm. 22) 15. Die Belege zum Folgenden finden sich in meinem Aufsatz: „Tempora Christiana. Vom Umgang des antiken Christentums mit Geschichte“, ZAC 10 (2006) 564-579.

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fung der Welt bis zum Jüngsten Tag als eine aufsteigende, immer heilvollere Linie mit Christus in der Mitte, so dass sich die Weltgeschichte in die Zeit vor und nach Christus teilte. Das aber ist nicht das antike christliche Geschichtsverständnis. Man sieht dies schon daran, dass die Zeitrechnung „nach Christi Geburt“ erst ganz am Ende der Antike vorgeschlagen wurde: Im Rom des sechsten Jahrhunderts verdross es Dionysius Exiguus, bei der Berechnung der Ostertermine die Datierung der in solchen Fragen führenden Kirche von Alexandrien zu übernehmen, die immer noch vom Regierungsantritt Kaiser Diokletians 284 an zählte, also ausgerechnet vom schlimmsten aller Christenverfolger her. Bis dahin hatte man sich daran offenbar nicht sonderlich gestört und kein hinreichend starkes Bedürfnis entwickelt, endlich nach einer neuen, christlichen Ära zu rechnen. Auf die Idee, die Jahre vor Christi Geburt nach rückwärts zu zählen, ist man sogar erst im fünfzehnten Jahrhundert gekommen. Das antike Christentum las hingegen die alttestamentliche Geschichte und Prophetie als eine Weissagung auf den Messias hin, der in Jesus Christus gekommen war. Die Fülle der Zeit war in Christus da. Seine Auferstehung bedeutete, dass die Endzeit bereits begonnen hatte. In gewisser Hinsicht lebte man also seither in einer nachgeschichtlichen Zeit, die aufzuschreiben anfangs als unergiebig empfunden worden sein dürfte, weil der Unterschied zwischen dem Jetzt und der vergangenen Lebenszeit Jesu kaum gesehen und eine im eigentlichen Sinne geschichtliche Zukunft für die eigene Gemeinschaft nicht erwartet wurde. Diesen Punkt hat Franz Overbeck, glaube ich, richtig gesehen.36 Nur das Andenken der Märtyrer und ihrer Christusnachfolge im Leiden hielt man in kurzen Texten fest. Christen verstanden sich zwar früh, schon in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, als „drittes Geschlecht“, nicht Juden, nicht Heiden. Aber die eigene Geschichte, auf die sie sich bezogen und in der sie wurzelten, war nicht die Kirchengeschichte seit Jesus, sondern die altund neutestamentliche Geschichte Gottes und seines Volkes von der Erschaffung der Welt bis zu Jesus und seinen Aposteln. Diese Geschichte beginnt mit dem Buch Genesis und endet, wenn man dies zugespitzt formulieren will, einerseits mit der Apostelgeschichte, andererseits der Johannesapokalypse. Eine Fortsetzung hätte weitaus weniger Interesse auf sich gezogen. Die Christen der ersten drei Jahrhunderte begnügten sich darüber hinaus im Geschichtsbewusstsein mit einer apologetischen Position gegenüber paganen Kritiken. Sie verteidigten sich dabei gegen den Vor36

F. Overbeck, Über die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung (Basel 1892) 15.

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wurf, das Christentum stelle eine Neuerung dar. Dem stellten die Christen das hohe Alter der im Alten Testament bezeugten Geschichte entgegen. Während für Griechen und Römer ihre eigene Geschichte erst mit dem Trojanischen Krieg fassbar wurde, den sie meistens, in unsere Zeitrechnung umgewandelt, auf etwa 1200 v. Chr. ansetzten, meinten Juden und Christen mit ihrer Heiligen Schrift um rund 4000 Jahre tiefer in den Raum der Geschichte blicken zu können. Sie trugen in die biblische Zeitrechnung seit der Erschaffung der Welt die Daten der griechischen und römischen Geschichte ein. Bis daraus jedoch ein Interesse für den genaueren Gang der Christentumsgeschichte in ihrem Verhältnis zur griechisch-römischen Geschichte wurde, dauerte es noch lange. Vielleicht bedurfte es dazu einer größeren Nähe des Christentums zum Römischen Reich, wie sie sich in der vierzigjährigen Friedenszeit der Kirche zwischen dem Tod des Kaisers Valerian und dem Beginn der Maßnahmen Diokletians allmählich entwickelte. Die Frage nach dem neuen Verhältnis des Christentums zum Kaiserreich und damit auch nach dem Verhältnis des Christentums zur eigenen und zur römischen Geschichte verlangte eine neue Antwort. Jetzt im ausgehenden dritten und frühen vierten Jahrhundert begann Euseb, sich mit Geschichte zu befassen. Meine zehnte These: Das frühe christliche Geschichtsverständnis misst der nachapostolischen Geschichte wenig Bedeutung bei und nimmt darauf am ehesten in bestimmten Konfliktfällen innerhalb des Christentums und gegenüber bestimmten paganen Vorwürfen Bezug.

11. Der besondere Kairos der Apostelgeschichte Gesetzt den Fall, Lukas habe um das Jahr 95 die Apostelgeschichte in Rom oder im Raum des Ägäischen Meeres geschrieben. Blickt man mit diesem Wissen im Hintergrund in die Abteilungen für Universal- und Zeitgeschichte von Felix Jacobys Sammlung der Historikerfragmente oder wenigstens in die umfassende griechische Literaturgeschichte von Christ-Schmid-Stählin,37 so stößt man auf einen auffälligen, überraschenden und von der neutestamentlichen Wissenschaft noch nicht hinreichend gewürdigten Befund: Mit dem Entstehungsdatum um 95 n. Chr. fällt die Apostelgeschichte in eine bemerkenswerte Flauteperiode der Produktion griechischer Werke zur Welt- und Zeitgeschichte. Selbst die von Jacoby so gut wie vollständig gesammelten Zeugnisse oder 37

W. v. Christ, Geschichte der griechischen Literatur, unter Mitwirkung von O. Stählin bearbeitet von W. Schmid, vol. 2/2 (München 61920) 415: „Im 1. Jahrhundert n. Chr. [...] erreicht die griechische Geschichtsschreibung ihren Tiefstand.“

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Fragmente ansonsten verlorener Universal- und Zeitgeschichten enthalten fast nichts, das im ersten Jahrhundert n. Chr. verfasst worden ist. Die beiden schon erwähnten jüdischen Historiker Justus von Tiberias und Flavius Josephus sind nicht etwa zwei Vertreter einer langen Reihe zeitgenössischer Geschichtsschreiber, sondern gehören zusammen mit Lukas zu den großen Ausnahmen. Die Apostelgeschichte liegt gerade nicht in einem griechisch-römischen Zeittrend. Sie entstammt keinem reichhaltigen Markt historischer Produktion in der damaligen außerchristlichen und außerjüdischen Welt. Wenn die Apostelgeschichte als historiographisches Werk überhaupt den Zeitgeist atmet, dann eher insofern sie einen Mittelweg aufzeigt zwischen der möglicherweise um die gleiche Zeit entstandenen Johannes-Apokalypse mit ihrem romkritischen Geschichtsbild und Josephus‘ ebenfalls ungefähr gleichzeitigen Antiquitates, die ein vom Apokalyptischen bereinigtes Bild des Judentums für Heiden zeichnen. Da pagane Werke der Geschichtsschreibung in dieser Zeit fehlen, scheint mir die Apostelgeschichte umso mehr mit den zeitgleichen Versuchen jüdischer Selbstverständigung und jüdischer Außendarstellung vergleichbar und verwandt. Das erste Jahrhundert v. Chr. hatte noch eine Reihe von griechischen Universalhistorikern hervorgebracht: Nikolaus von Damaskus, Diodorus Siculus, Dionysius von Halikarnass und als letzter Strabo, dessen verlorengegangene Hypomnemata historica bis zum Jahre 27 v. Chr. und damit bis in die Mitte seiner Lebenszeit gereicht haben müssen. Danach scheint für mehr als ein Jahrhundert kein griechisches Geschichtswerk entstanden zu sein, das ähnlich große Zeitspannen umfasst wie die Werke der genannten Universalhistoriker.38 Nur chronographische Schriften entstehen weiter, aber das ist ein Fall für sich. Als in der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach langer Pause neue Werke über Weltgeschichte veröffentlicht werden, sind sie gegenüber den genannten Vorgängern ganz verwandelt. Die Ursachen dieser Verwandlung sind erforscht worden. Die neuen griechischen historischen Werke des zweiten und dritten Jahr38

Im lateinischen Raum sieht es anders aus, doch auch hier gibt es vergleichbare Entwicklungen. Um die Zeit, als die Apostelgeschichte entsteht, genauer im Jahre 98, publiziert Tacitus sein erstes literarisches Werk, die Lebensbeschreibung seines Schwiegervaters Agricola, und entwirft darin (3, 3) das Programm einer künftigen Geschichtsschreibung. Die Historien und Annalen sollen das Programm einlösen. Aber damit endet die von Cremutius Cordus um 20 n. Chr. bis Tacitus reichende Tradition senatorischer Zeitgeschichtsschreibung auch schon wieder. Die Tradition römischer Gesamt- bzw. Universalgeschichtsschreibung bricht nach Livius († 17 n. Chr.) fast ab und wird erst im zweiten Jahrhundert fortgeführt, in mancher Hinsicht parallel zu den neuen griechischen Werken.

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hunderts teilen sich nach E. L. Bowie39 in zwei Gruppen: Erstens die, verknappt ausgedrückt, romtreuen Werke eines Appian, Cassius Dio, Asinius Quadratus, Chryserus; sie verwandeln die Weltgeschichte in römische Geschichte und gruppieren sie um Rom als Zentrum. Diese Verfasser, teils wie Appian mit hohen politischen Posten betraut, oder wie Cassius Dio auf der Senatorenlaufbahn befindlich, identifizieren sich selbst stark mit dem Römerreich, das sie als natürliches Zentrum aller Geschichte darstellen. Die zweite Gruppe von Historikern hingegen, zu der Kephalion um 130 und der vielleicht etwas spätere Jason von Argos zählen, schreiben zwar Welt- und Griechengeschichte, aber sie lassen ganz bewusst ihre Erzählung bei Alexander dem Großen oder wenige Jahre danach enden. Zu dieser zweiten Gruppe passen nun nach Bowie auch eine Reihe von historischen Spezialmonographien des zweiten Jahrhunderts wie Arrians Werk über den Alexanderzug, die Alexandergeschichte des Amyntianus und andere. Dazu zählen nicht zuletzt auch viele der Biographien Plutarchs, die vom Genre her nicht direkt mit der Historiographie in eins gesetzt werden können und teilweise auch noch dem ersten Jahrhundert zugehören, die aber ebenfalls in ihren griechischen Biographieteilen überwiegend aus der klassischen Epoche und aus der Alexanderzeit erzählen und viel seltener in die nähere Gegenwart führen. Lukian macht sich in seiner Schrift über die Historiographie bereits lustig darüber, dass inzwischen jedermann eine Geschichte schreibe und der Krieg von 162 bis 165 n. Chr. gegen die Parther Hinz und Kunz dazu motiviere, sich als neuer Herodot, Thukydides oder Xenophon zu fühlen. Die von Lukian parodierte Entwicklung gehört aber bereits einem ganz anderen Ambiente zu als demjenigen des ausgehenden ersten Jahrhunderts. Es scheint mir problematisch, dass die wissenschaftliche Literatur über das Verhältnis des Lukas und der Apostelgeschichte zur Historiographie fast immer die Werke von Herodot, Xenophon und Polybius oder die Theorieschrift Lukians zum Vergleich heranzieht, in der Regel aber kaum beachtet, dass alle diese Texte gerade nicht unmittelbar zeitgenössisch mit dem lukanischen Doppelwerk sind, weil der paganen griechischen Historiographie zu dessen Entstehungszeit vorübergehend der Atem stockte.

39

E. L. Bowie, “Greeks and their Past in the Second Sophistic”, in M. I. Finley (ed.), Studies in Ancient Society (London/Boston 1974) 166-209. Anders, stärker von bildungs- und schulgeschichtlichen Zusammenhängen deutet die Phänomene: M. Hose, Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio (Beiträge zur Altertumskunde 45, Stuttgart 1994).

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Das erste Jahrhundert n. Chr. ist die Zeit der beginnenden zweiten Sophistik.40 Die griechischen städtischen Eliten erleben im ausgehenden ersten Jahrhundert, dass ihre Hoffnungen endgültig zerrinnen, unter dem weiten Dach der pax Romana alte Macht halbwegs ungeschmälert ausüben zu können. Die städtischen Eliten werden einerseits beteiligt an der Macht und Verwaltung, andererseits kann der einzelne Bürger jederzeit in Ungnade fallen. Stets kann gerade vom Ende des ersten Jahrhunderts an der Kaiser durch einen Curator die politische Macht ausüben und eine wirtschaftliche Sanierung durchführen.41 Bowie meint, dass die städtischen griechischen Eliten in der Kaiserzeit anfangs noch Hoffnungen gehabt haben könnten, ihre eigentliche Macht und Freiheit wiederzugewinnen. Diese Hoffnung sei im Laufe des ersten Jahrhunderts n. Chr. erloschen. Die neuen Sophisten, die gefeierten Konzertredner, tragen bevorzugt Themen aus ferner Vergangenheit vor, erörtern mit Brillanz und in altattischer Sprache bewusst Fragen, die gar nicht mehr aktuell sind. Ob es sich nicht sogar um typische Fälle einer Verfasserschaft unter totalitären Bedingungen handelt, bei dem es zwischen den Zeilen zu lesen gilt?42 Die Geschichtsschreibung griechischer Sprache verstummt damals für mehrere Jahrzehnte. Die Apostelgeschichte, so meine sicherlich einer detaillierteren Ausführung und Begründung bedürftige These, entsteht in einem Moment der Geschichte, in dem sich die griechischen Eliten entscheiden müssen, ob sie sich nostalgisch an einer längst vergangenen Freiheitsgeschichte trösten und orientieren sollen oder lieber ihr Geschichtsbild in ein römisches verwandeln. Für die Heidenchristen mit ihrem besonderen Glauben ist der eine Weg so wenig verlockend wie der andere. Denn weder die Selbstverortung in einer melancholisch imaginierten paganen Freiheitsgeschichte der fernen Vergangenheit erscheint ihnen damals anziehend, noch würde die Umdeutung der ganzen Weltgeschichte in römische Geschichte zu ihrer Fortsetzung der Geschichte Gottes mit seinem Volk passen. In der Geschichte Israels können sie sich aber nur verorten, wenn diese Geschichte mit derjenigen Griechenlands und Roms verbunden wird, aus der sie ethnisch stammen: Es muss ein Weg von Jerusalem nach Athen und nach Rom führen. Wäh40 41

42

Vgl. S. Swain, Hellenism and Empire. Language, Classicism, and Power in the Greek World, AD 50-250 (Oxford 1996). Die Apostelgeschichte lüftet bei der Beschreibung des Konflikts um die Silberschmiede in Ephesus vielleicht kurz den Schleier über solchen Eingriffen, wenn der Tumult durch das Argument gestillt wird, es bestehe die Gefahr, wegen des Aufruhrs angeklagt zu werden (19,40), was vielleicht auf solche Curatoren-Eingriffe gegenüber der eigentlich doch gesetzlichen Volksversammlung schließen lassen könnte. Vgl. L. Strauss, Persecution and the Art of Writing (New York 1952).

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rend pagane gebildete Griechen um ein neues, dem kaiserlich-übermächtigen Rom angemessenes Geschichtsbild ringen, müssen die Juden mit dem Verlust des Tempels ihren geschichtlichen Ort gegenüber Rom suchen; Josephus versucht dies, steht aber bereits mit einem Bein im Römertum und gilt manchen darum als Überläufer. Die Apostelgeschichte bietet in diesem Augenblick historiographischer Ratlosigkeit einen möglichen Ausweg an: Die Christen setzen die Geschichte Israels fort, ohne am Ende noch des Tempels zu bedürfen, und zugleich führt der Weg dieser Ursprungsgeschichte, wie Lukas sie erzählt, von Jerusalem über Athen nach Rom. Meine elfte These lautet daher: Die Apostelgeschichte ist in einem Augenblick entstanden, in dem Griechen und Juden ihren Ort in der Geschichte neu bestimmen mussten. Die Apostelgeschichte nimmt eine solche Neujustierung vor und gibt dabei eine bahnbrechende Richtung vor, die im zweiten und dritten Jahrhundert keiner Fortschreibung bedurfte. Erst die zahlenmäßige Zunahme des Christentum im ausgehenden dritten und beginnenden vierten Jahrhundert und eine erwachende Reflexion darauf, dass man als Gruppe inzwischen auf die eigene Geschichte respektvoll zurückblicken konnte, erzeugten das Bedürfnis nach einer neuen historischen Selbstbesinnung des Christentums.

Die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten FRANÇOIS BOVON

Abstract Die Apostelgeschichten, die Wirksamkeit, Reisen, Lehre, Wunder und Leiden der Jünger Jesu schildern, wurden in den ersten Jahrhunderten n. Chr. verfasst. Bislang wurde im wissenschaftlichen Vergleich entweder der Wert der kanonischen Apostelgeschichte hervorgehoben, während die apokryphen Apostelakten als Unterhaltungsliteratur diskreditiert wurden, oder es wurden einfach beide, die kanonischen wie die apokryphen Texte, als christliche Romanliteratur gewertet. Der vorliegende Aufsatz betont sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen den kanonischen und den apokryphen Texten. Zu den Unterschieden gehören die Martyrien der Apostel in den apokryphen Apostelakten, die der Passionsgeschichte Jesu in den kanonischen Evangelien ähneln und die Funktion des jeweiligen Apostels als Mittler einer Heilsbotschaft aufzeigen.

Einleitung Der in vielen Handschriften übliche Titel „Akten“ (lat. acta, gr. pravxei~ „Werke“)1 lädt ein zu einem Vergleich der kanonischen Apostelakten, 1

Übersetzt von Alma Brodersen. Englische Originalfassung: “Canonical and Apocryphal Acts of the Apostles“, JECS 11 (2003) 165–194. Eine erste Fassung dieses Aufsatzes wurde der Arbeitsgruppe für christliche Apokryphen auf der Jahrestagung der Society of Biblical Literature in Boston im November 1999 vorgestellt. Danken möchte ich Dr. Ann Graham Brock, Dr. Brent Landau und Taylor Grant Petrey (Doctoral Student), die mir bei der Überarbeitung dieser Seiten halfen. Der Leser sollte wissen, dass ich für die Paulusakten die neue Einteilung in Kapitel und Paragraphen verwende, die von W. Rordorf (s. Anm. 19) eingeführt wurde, und für die Philippusakten diejenige von B. Bouvier, F. Amsler und mir selbst (s. Anm. 9, F. Bovon et al.). Wenn nicht anderweitig gekennzeichnet sind die Übersetzungen des Neuen Testaments der Lutherbibel (Revision 1984, neue deutsche Rechtschreibung) entnommen und die der apokryphen Apostelakten W. Schneemelcher (ed.), Neutestamentliche Apokryphen, vols. I–II (Tübingen 51987–89). Dieser Aufsatz war zur Publikation fertig, als ich

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der Apostelgeschichte, mit den apokryphen Apostelakten.2 Ein solcher Vergleich wird durch die gemeinsame erzählerische Gestalt3 und die christliche Prägung dieser Schriften nahegelegt. Die kanonischen und apokryphen Geschichten teilen dieselben religiösen Rahmenvoraussetzungen: Die göttliche Welt, die von Gott4 und Jesus Christus5 beherrscht wird, greift in die menschliche Wirklichkeit ein durch das Wirken geistiger Kräfte und den Einsatz der Apostel, so dass Offenbarung, Heil und Gericht gewirkt werden.6 Im vorliegenden Aufsatz unterscheide ich zwischen formalen und thematischen Elementen – im Bewusstsein, dass diese Unterscheidung zwar nützlich, aber auch künstlich ist. Ich meine, dass durch sorgfältige Lektüre sowohl formale als auch thematische Ähnlichkeiten zwischen diesen Büchern, also auch formale und thematische Unterschiede ans Licht kommen. Nach dem formalen (1.) und thematischen (2.) Vergleich werde ich die Frage nach ihrer literarischen Abhängigkeit thematisieren (3.). Dabei werde ich die Formgeschichte als methodisches Werkzeug verwenden. Ich glaube, dass diese Methode sich sowohl für die kanonischen als auch für die apokryphen Texte eignet. Auch wenn die Endfassung dieser Texte das Werk der Redaktion von Autoren ist, nehme ich

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die Dissertation von I. Czachesz, Apostolic Commission Narratives in the Canonical and Apocryphal Acts of the Apostles (Groningen: Rijksuniversiteit Groningen, 2002), erhielt, die 2007 erschienen ist: I. Czachesz, Commission narratives. A comparative study of the canonical and apocryphal acts (Studies on Early Christian Apocrypha 8, Leuven 2007). Ich bedauere es, dass ich nicht von dieser interessanten Monographie profitieren konnte. Zum Begriff pravxei~ als Buchtitel s. A. Wikenhauser, Die Apostelgeschichte und ihr Geschichtswert (NTA 8,3–5, Münster 1921) 94–104; Ch. Maurer, „pravssw, ktl.“, ThWNT 6 (Stuttgart 1959) 643–45; D. E. Aune, The New Testament in Its Literary Environment (LEC 8, Philadelphia 1989) 78. Zum erzählerischen Charakter frühchristlicher Geschichten s. R. I. Pervo, “Early Christian Fiction“, in J. R. Morgan/R. Stoneman (eds.), Greek Fiction: The Greek Novel in Context (London 1994) 239–54. In der syrischen Fassung der Thomasakten 34 ist Gott – wie in der kanonischen Apostelgeschichte 17,22–31 – Schöpfer und Erlöser; s. auch Apg 14,15–17. S. Petrusakten 7 (der Apostel beruft sich auf Jesus Christus); 13 (Petrus erläutert die prophetischen Schriften, die Worte und Taten des Herrn Jesus Christus); 20 (Petrus erläutert, wie die Heilige Schrift, insbesondere die Verklärungsgeschichte, zu verstehen ist). Dieser bekannte Gesichtspunkt wird häufig übersehen aufgrund der zu einfachen Behauptung, dass die apokryphen Geschichten zur Unterhaltung ihrer Leser geschrieben sind, während die kanonischen ernsthafter Unterrichtung dienen. Diese These wurde zu Recht kritisiert von R. I. Pervo, Profit With Delight (Philadelphia 1987). Die apokryphen Apostelakten sind mit dem griechischen Roman verglichen worden, s. id., “Early Christian Fiction“ (s. Anm. 3); die kanonische Apostelgeschichte mit dem Epos, s. M. P. Bonz, The Past as Legacy (Minneapolis 2000).

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an, dass diese Autoren im Kontext christlicher Gemeinden traditionellen Stoff weitergeben und neu ordnen wollten.7 Am Ende dieser Einleitung soll eine Warnung stehen: Bis vor kurzem haben Forscher ‒ noch immer unter dem Einfluss der antimanichäischen Polemik der Kirche ‒ fünf Apostelakten als ein geschlossenes Korpus angesehen (Andreasakten, Johannesakten, Petrusakten, Paulusakten und Thomasakten).8 Damit begingen sie zwei Fehler: Sie reduzierten die Unterschiede zwischen diesen Schriften und ignorierten andere apokryphe Apostelakten (Philippusakten, Martyrium des Matthäus, Timotheusakten, Legende von Simon und Theonoe u. a.).9 Ich werde über diese fünf als Korpus angesehenen Apostelakten hinaus meine Beispiele auch aus den anderen Schriften wählen und versuchen, die Eigenart jeder einzelnen Schrift zu berücksichtigen.10

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Mir ist bekannt, dass andere Gelehrte meinen, dass die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten, ihre Geschichten und ihre Reden unter Verwendung von nur wenigen oder überhaupt keinen traditionellen Elementen geschrieben wurden; einige bestehen darauf, dass literarische Nachahmung vorliege. Zu diesen Alternativen s. É. Junod, “Créations romanesques et traditions ecclésiastiques dans les Actes apocryphes des apôtres: l’alternative fiction romanesque—vérité historique: une impasse“, Augustinianum 23 (1983) 271–85; Pervo, Profit With Delight (s. Anm. 6); D. R. MacDonald, The Acts of Andrew and the Acts of Andrew and Matthias in the City of the Cannibals (SBL.TT 33, SBL.CA 1, Atlanta 1990); D. R. MacDonald (ed.), Mimesis and Intertextuality in Antiquity and Christianity (Studies in Antiquity & Christianity, Harrisburg 2001). Der Ursprung dieser Sammlung von fünf Akten liegt wahrscheinlich bei den Manichäern. Diese sammelten bzw. kanonisierten die Andreasakten, die Johannesakten, die Petrusakten, die Paulusakten und die Thomasakten. Diese Sammlung ist einem Autor namens Leukios Charinos zugeschrieben worden; s. K. Schäferdiek, „Die Leukios Charinos zugeschriebene manichäische Sammlung apokrypher Apostelgeschichten“, in W. Schneemelcher (ed.), Neutestamentliche Apokryphen, vol. 2 (Tübingen 51989) 81– 93. S. die Ausgaben und Übersetzungen, insbesondere M. Bonnet, „Martyrium Matthaei“, in id. (ed.), AAAp, vol. 2.1 (Hildesheim 1990 [= 1Leipzig 1898]) 217–62; F. Bovon et al. (eds.), Acta Philippi: Textus (CCA 11, Turnhout 1999); F. Amsler, Acta Philippi: Commentarius (CCA 12, Turnhout 1999); H. Usener (ed.), Acta S. Timothei (Bonn 1877); F. Halkin, “La légende crétoise de saint Tite“, AB 79 (1961) 241–52 u. 252–56; F. Morard, “La Légende copte de Simon et Théonoé“, Langues orientales anciennes. Philologie et linguistique 4 (1993) 136–83; F. Morard, “Légende de Simon et Théonoé“, in F. Bovon/P. Geoltrain (eds.), Écrits apocryphes chrétiens, vol. 1 (Paris 1997) 1529–51; R. I. Pervo, “The ‘Acts of Titus’: A Preliminary Translation, with an Introduction, Notes, and Appendices“, in Society of Biblical Literature: 1996 seminar papers (SBL.SPS 35, Atlanta 1996) 455–82. S. dazu F. Bovon/É. Junod, “Reading the Apocryphal Acts“, Semeia 38 (1986) 161–71. Mit gewissen Schriften bin ich vertrauter als mit anderen. Auch wenn meine Verweise eine große Zahl an Texten erfassen, bedauere ich es, dass ich beispielsweise keine Zitate aus den Akten des Andreas und Matthias oder von den Rekognitionen oder den Homilien aus dem pseudoklementinischen Korpus gewählt habe. Ich hoffe, dass ich keine alte apokryphe Schrift aus dem 2. oder 3. Jh. n. Chr. übergangen habe.

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1. Formaler Vergleich Ich beginne mit den formalen Elementen, zunächst den gemeinsamen und dann den unterschiedlichen. 1.1 Gemeinsame Elemente Äußerlich ist die Länge der Schriften vergleichbar. Ihre Maximallänge hängt wahrscheinlich mit äußeren Beschränkungen zusammen: Die übliche Länge einer Schriftrolle oder (in dieser Zeit eher) eines Kodex zwang den Autor, seine intellektuelle Kreativität an eine äußere, ja ökonomische Realität anzupassen. Die vollständig erhaltenen Thomasakten sind etwas länger als die kanonische Apostelgeschichte. Die Philippusakten, von denen nur ein kleiner Teil fehlt, sind ungefähr ebenso lang wie die kanonische Apostelgeschichte.11 Für die Länge derjenigen Apostelakten, die nicht vollständig erhalten sind, geben uns die übrigen Apostelakten sowie Listen und Stichometrien Anhaltspunkte.12 Wie spätere Überarbeitungen zeigen, wurden die apokryphen Akten bisweilen für zu lang gehalten. Daher wurden sie gekürzt13 oder ihr letzter Abschnitt, das Martyrium, abgetrennt und anschließend für die liturgische Gedächtnisfeier am Apostelfeiertag verwendet.14 Auch wenn das sprachliche Niveau der Werke unterschiedlich ist (die Andreasakten sind in philosophischer Ausdrucksweise geschrieben; die kanonische Apostelgeschichte ist vom Stil der Septuaginta beeinflusst), verwenden alle einfaches Koine-Griechisch.15 Diese Gemeinsam11 12 13

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Ich konnte keine exakte Berechnung durchführen. S. zu diesen Stichometrien W. Schneemelcher, „Haupteinleitung“, in id. (ed.), Neutestamentliche Apokryphen, vol. 1 (Tübingen 51987) 1–61, 30 u. 33–34. S. die neuen Fassungen der Petrusakten und die Meinung von Gregor von Tours in seinem Liber de miraculis beati Andreae apostoli; L. Vouaux, Les Actes de Pierre (Les apocryphes du nouveau testament, Paris 1922); Ch. M. Thomas, The Acts of Peter, Gospel Literature, and the Ancient Novel (Oxford 2003); J.-M. Prieur, “La Vie d’André par Grégoire de Tours“, in id., Acta Andreae, 2 vols. (CCA 5–6, Turnhout 1989), vol. 2, 551–651. S. den Kolophon der Handschrift der Philippusakten vom Berg Athos, Xenophontos 32; s. dazu Bovon et al., Acta Philippi: Textus (s. Anm. 9) XVII. S. zu Lukas die Bibliographie in der Einleitung zu meinem Kommentar: F. Bovon, Das Evangelium des Lukas, 1. Teilband: Lk 1,1–9,50 (EKK III/1, Zürich/NeukirchenVluyn 1989) 17–18; zu den apokryphen Akten s. D. H. Warren, “The Greek Language of the Apocryphal Acts of the Apostles: A Study in Style“, in F. Bovon et al. (eds.), The Apocryphal Acts of the Apostles (Cambridge [MA] 1999) 101–24; E. ZachariadesHolmberg, “Philological Aspects of the Apocryphal Acts of the Apostles“, ibid., 125– 44.

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keit wird durch den Erzählstil verstärkt, der durch aufeinander folgende Episoden gekennzeichnet ist.16 Der Fluss der Erzählung entspricht der chronologischen Reihenfolge; die Geographie erfährt besonderes Augenmerk.17 Wie Lukas seinen zwei Büchern einen topographischen Rahmen gegeben hat (siehe den programmatischen Ausspruch des auferstandenen Christus in Apg 1,7–8),18 so enthalten die Andreasakten, die Johannesakten, die Paulusakten, die Thomasakten und die Philippusakten alle genaue geographische Angaben, die die Einteilung und Wahrnehmung des Texts erleichtern.19 Es ist kein Zufall, dass einige Handschriften den apokryphen Apostelakten den Titel Peregrinationes oder Reisen geben.20 16

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Die Episoden können mit einer Person in Verbindung gebracht werden. Beispiele dafür sind die Flucht des Paulus durch einen großen Korb (Apg 9,25) oder die Tochter des Petrus (der Schluss dieser Episode, eines Teils des verlorenen Abschnitts der Petrusakten, ist erhalten im koptischen Papyrus Berlin 8502, 128–141). Sie können mit einem Ort in Verbindung gebracht werden, z. B. Malta, wo Paulus den Ersten der Insel, Publius, heilt (Apg 28,7–10), oder Ophiorume, die Stadt, die Philippus, Mariamne und Bartholomäus nach einem Sieg über die Schlangen betreten (Akten des Philippus 13). Zum sogenannten Episodenstil s. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (Göttingen 31961) 32–34. S. R. H. Lightfoot, Locality and Doctrine in the Gospels (New York 1937); H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit (Tübingen 31960) 12–86. S. E. Grässer, Das Problem der Parusieverzögerung in den Synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte (Berlin 1957) 204–15. Die Johannesakten 58 enthalten den Untertitel „Von Laodikeia zum zweiten Mal nach Ephesos“, auf den sich die folgende Bemerkung bezieht: É. Junod/J.-D. Kaestli, “Actes de Jean“, in Bovon/Geoltrain, Écrits apocryphes chrétiens, vol. 1 (s. Anm. 9) 973– 1037, 1017, n. 58: „Les Actes de Jean devaient être divisés en sections introduites par des sous-titres signalant les déplacements de l’apôtre.“ („Die Johannesakten mussten in eingeführte Kapitel mit Untertiteln, die die Reisen des Apostels anzeigten, geteilt sein.“) Die Reiseroute des Andreas nach Gregor von Tours in seinem Liber de miraculis beati Andreae apostoli ist folgende: Mermidona, Achaia, Amasia, Sinope, Nizäa, Nikomedien, Thrakien, Perinth, Philippi, Thessaloniki, Philippi, Patras, Korinth, Megara, Patras; s. Prieur, Acta Andreae, vol. 2 (s. Anm. 13) 564–651. Reiseroute des Paulus aus den Paulusakten: Damaskus, Jerusalem, Antiochia in Syrien, Ikonium, Antiochia in Pisidien, Myra, Sidon, Tyrus, Jerusalem [?], Smyrna, Ephesus, Philippi, Korinth, Italien, Rom; s. W. Rordorf [in Zusammenarbeit mit P. Cherix/R. Kasser], “Actes de Paul“, in Bovon/Geoltrain, Écrits apocryphes chrétiens, vol. 1 (s. Anm. 9) 117–124. Beispiele aus den Philippusakten: „au pays de Parthes“ („im Land der Parther“), „dans la ville d’Azot“ („in der Stadt Aschdod“), „dans la ville de Nicatéra“ („in der Stadt Nikatera“); s. Bovon et al., Acta Philippi (s. Anm. 9). Die Apostelgeschichte enthält Erzählungen, die in eine geographische Abfolge und genaue Reiserouten eingefügt sind, s. Apg 13–14; 16,6–10 und 21,1–3. Der Wunsch, nach Rom zu gehen (um Ansehen und offizielle Anerkennung zu bekommen), der auch in Philostratos’ Leben des Apollonius gegenwärtig ist, ist in der kanonischen Apostelgeschichte explizit gemacht (im Fall des Paulus die berühmte „Berufung auf den Kaiser“; s. H. W. Tajra, The Trial of St. Paul [WUNT 2/35, Tübingen 1989]; H. W. Tajra, The Martyrdom of St. Paul [WUNT 2/67, Tübingen 1994]), und in den Petrusakten 1 (Paulus in Rom); 4 (die Menge lädt Simon Magus ein, in die Hauptstadt zu kommen); 5 (Petrus geht nach Rom, um Simon Magus gegenüberzutreten); 9 (Petrus ist wegen Simon Magus nach Rom gekommen); Paulusakten 13–14 (Paulus in Rom).

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Es wurde gesagt, dass die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten zu derselben literarischen Gattung gehören, da sie dieselbe Art von Geschichten erzählen, vor allem das Wirken der Apostel.21 Petrus, Johannes oder Philippus reisen, predigen den neuen Glauben22 und wirken zusätzlich zu ihrer Verkündigung Zeichen und Wunder. Die Handlung dreht sich im Allgemeinen darum, wie sie Menschen in einer großen Bandbreite vom Schuster23 bis zum König24 bekehren, neue Gemeinden gründen und wachsende Gegnerschaft erfahren.25 Doch trotz der vielen gemeinsamen Elemente sind die literarischen Gattungen der lukanischen Apostelgeschichte und der apokryphen Apostelakten nicht identisch. Das historiographische Interesse des lukanischen Doppelwerks, das der Linie der Septuaginta und der Makkabäerbücher folgt, fehlt in den apokryphen Apostelakten weitgehend. Diese teilen ihrerseits etliche Merkmale mit dem antiken Roman,26 ähneln aber in ihrer biographischen Orientierung den kanonischen Evangelien. Geht man allerdings ins Detail der verschiedenen Episoden, begegnet einem auch die gleiche Art von Erzählungen. Aufgrund des Glaubens, dass Gott oder Christus den Lauf der Geschichte lenken, wird der göttliche Wille dem Apostel durch Visionen, Auditionen oder Träume mitgeteilt.27 Hier erscheint Christus dem luka21 22

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S. Pervo, Profit With Delight (s. Anm. 6). Die Autoren dieser Werke haben eine gewisse Kenntnis der alten heidnischen Religion; s. z. B. Apg 14,11–18 (Zeus, Hermes und der Zeuspriester in Lystra); 17,15–23 (die zahlreichen Altäre und der unbekannte Gott in Athen); Philippusakten 1,1 (die Witwe verehrte fromm die griechischen Götter Ares, Apollo, Artemis, Zeus, Athene und sogar die Sonne und den Mond). Markusakten, publiziert aus dem Codex Parisinus gr. 881 in PG 115, 164–69. Siehe die endgültige Bekehrung des Königs Misdai am Schluss der Thomasakten 170. Die kanonischen wie die apokryphen Akten zeigen das Motiv der Verfolgung und auch das Motiv vom Tod des Verfolgers; s. Apg 12,1–5.20–23 (Herodes Agrippa I.); Andreasakten 63,3 (Selbstmord des Aegeates). S. o. Anm. 21. S. Apg 9,9–11; 10,3.17.19; 11,5; 12,7–9; 16,9–10; 18,9–10; 22,17–18; 23,11; 27,23; Johannesakten 18–19 (doppelte Vision); Liber de miraculis beati Andreae apostoli des Gregor von Tours 1,3–5 (Christus als Lenker); 20 (Johannes und Petrus erscheinen Andreas und kündigen ihm sein Martyrium an); Petrusakten 5 (Christus erscheint Petrus in einer Vision und schickt ihn per Schiff nach Italien); 6 (in Judäa hat Petrus den göttlichen Auftrag erhalten, nach Italien zu gehen); 22 (Traum des Marcellus über Gottes Vorsehung); Paulusakten 5,4 („Es hatte aber zu ihm gesagt ein Engel Herrn in der Nacht: ‚Paulus, heute ein großer Kampf deinen Körper [?]. Aber Gott, seines Sohnes Jesu Christi, wird dich.’“). Einige der Visionen sind Vorahnungen von Kampf, Qual, Leiden, Prozess oder Martyrium: Apg 27,23–24; Petrusakten 16. Die Person, die eine solche Vision oder Audition empfängt, kann Zweifel über den natürlichen oder übernatürlichen Charakter des Ereignisses wie über seine Bedeutung hegen (s. Apg 10,9–20; 12,9.11). Einige dieser Visionen sind post mortem apostoli, wie Paulusakten 14,6; Thomasakten 169; wahrscheinlich auch Petrusakten 41. S. insbesondere J. Lindblom, Gesichte und Offenbarungen. Vorstellungen von göttlichen Weisungen und übernatürlichen Erscheinungen im ältesten Christentum

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nischen Paulus in Korinth, dort führt er den apokryphen Johannes nach Ephesus.28 Da die Predigt des Evangeliums die Versammlung von Zuhörern erfordert, verwenden sowohl die kanonische Apostelgeschichte als auch die apokryphen Apostelakten die Gattung einer durch göttliche Vorsehung zustande gebrachten Versammlung. Oft führt das Mittel der gleichzeitigen Doppelvision Menschen zusammen: Cornelius und Petrus in Apg 10, Johannes und Lykomedes in den Johannesakten Kapitel 18–19.29 Der Apostel muss zunächst in die ihm genannte Stadt reisen. Dabei werden alle Gefahren des Reisens erzählerisch ausgenützt. Beispielsweise erleiden sowohl der kanonische Paulus als auch der apokryphe Johannes Schiffbruch.30 Andere Apostel stillen Stürme, die den Ozean aufwühlen,31 und besiegen Ungeheuer, die die Reisenden bedrohen.32 Jede Reise bringt Abschied und Trennung mit sich. Von der kanonischen Apostelgeschichte bis zu den apokryphen Apostelakten begegnet einem die Gattung der Abschiedsszene: ein letztes Treffen, ein letzter Gottesdienst, eine letzte Rede, ein letzter Versuch, den Apostel zum Bleiben als Hirte der örtlichen Gemeinde zu nötigen, letzte Tränen und Abschiedsworte.33 Alle diese Schriften drehen sich eher um individuelle Bekehrungen34 und die Gründung von Kirchen35 als um das anschließende Leben und den Aufbau der Gemeinden.36

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(Acta regiae societatis humaniorum litterarum Lundensis 65, Lund 1968); P. C. Miller, Dreams in Late Antiquity (Princeton 1994); F. Bovon, “Ces chrétiens qui rêvent. L’autorité du rêve dans les premiers siècles du christianisme“, in H. Lichtenberger (ed.), Geschichte – Tradition – Reflexion. FS M. Hengel, vol. 3 (Tübingen 1996) 631–53. Apg 18,9 und Johannesakten 18. S. A. Wikenhauser, „Doppelträume“, Biblica 25 (1948) 100–11. Apg 27; für Johannes wurde die Geschichte in einem verlorenen Abschnitt der Johannesakten erzählt; ein indirekter Zeuge der Episode ist uns erhalten in den Akten des Timotheus; s. H. Delehaye, “Les Actes de s. Timothée“, in Mélanges d’hagiographie grecque et latine (SHG 42, Bruxelles 1966) 408–15. Philippusakten 3,10–15. Philippusakten 9 und 11. S. Apg 20,36–21,16; Johannesakten 58–59; F. Bovon, “Le Saint-Esprit, l’Église et les relations humaines selon Actes 20,36–21,16”, in J. Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres: Traditions, rédaction, théologie (BEThL 48, Leuven 1977) 339–58; É. Junod/J.-D. Kaestli (eds.), Acta Iohannis, 2 vols. (CCA 1–2, Turnhout 1983), vol. 2, 431, n. 1. S. z. B. die schönen Geschichten von der Bekehrung des äthiopischen Kämmerers Apg 8,26–40 und der des Kapitäns Theon in den Petrusakten 5–6. Vor dem Verlassen einer Stadt gibt der Apostel der neuentstandenen christlichen Gemeinde eine Organisationsstruktur; s. Apg 14,22–23; Philippusakten 2,24; Martyrium 37. Dagegen zeigen die Andreasakten, die Johannesakten und die Paulusakten kein Interesse an der Einsetzung eines starken und hierarchisch organisierten Amtes. S. F. Bovon, “Evangélisation et unité de l’Église dans la perspective de Luc”, in J. Brantschen/P. Selvatico (eds.), Unterwegs zur Einheit, FS H. Stirnimann (Freiburg/ Wien 1980) 189–99.

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Wunder sind zwar auch in der kanonischen Apostelgeschichte enthalten, in den apokryphen Akten37 jedoch in einer solchen Menge und zu einem so großen Anteil, dass der Held wie eine Wunder wirkende Maschine erscheint ‒ so z. B. im Liber de miraculis beati Andreae apostoli (einer Zusammenfassung des verlorenen ersten Teils der Andreasakten).38 Natürlich haben diese vielen Wunder die Funktion der Einladung zum Glauben oder der Demonstration eines starken Glaubens. Ihre inflationäre Verbreitung ist aber auch ein Zeichen der wachsenden Gegnerschaft, die die ersten Christen erfuhren.39 Neben Wundern spielen auch Reden eine entscheidende Rolle. Diese entscheidende Rolle ist für die kanonische Apostelgeschichte seit Martin Dibelius40 anerkannt und wird es allmählich auch für die apokryphen Apostelakten.41 Reden sind sowohl ein effektvoller Ort zur Einfügung des Glaubensbekenntnisses, für das der Autor eintreten will,

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S. z. B. die wunderbare Auffindung der Sachen des Eubolas, die Simon der Magier gestohlen hatte, Petrusakten 17. Wie in Apg 19,11–12 findet sich in den Johannesakten 62 eine Szene von Wundern, die durch die Berührung des Apostels oder seiner Kleidung gewirkt werden. Wunder, in denen ein geistiger Doppelgänger eines Apostels erscheint, der entweder der Apostel nach seinem Tod ist oder Jesus Christus, der die Gestalt seines Apostels annimmt, fehlen in der kanonischen Apostelgeschichte, s. aber Johannesakten 87; Petrusakten 22; Paulusakten 3,21; 14,6; Thomasakten 11; 57; 154 und passim; Philippusakten Martyrium 42. S. D. Pao, “Physical and Spiritual Restoration: The Role of Healing Miracles in the Acts of Andrew”, in Bovon, The Apocryphal Acts of the Apostles (s. Anm. 15) 259–80. S. A. Fridrichsen, Le problème du miracle dans le christianisme primitif (EHPhR 12, Strasbourg/Paris 1925); P. Achtemeier, “Jesus and the Disciples as Miracle Workers in the Apocryphal New Testament”, in E. Schüssler-Fiorenza (ed.), Aspects of Religious Propaganda in Judaism and Early Christianity (Notre Dame 1976) 149–86; J.-M. van Cangh, “Miracles évangéliques—Miracles apocryphes”, in F. van Segbroeck et al. (eds.), The Four Gospels 1992, FS F. Neirynck, vol. 3 (Leuven 1992) 2277–320; F. Bovon, “Miracles, magie et guérison dans les Actes apocryphes des apôtres”, JECS 3 (1995) 245–59. M. Dibelius, „Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung”, in id., Aufsätze zur Apostelgeschichte (Göttingen 41961) 120–62. Der Inhalt der Reden, ihr Beharren auf dem Schicksal der Seele und ihre asketischen Forderungen wurden umfassender erforscht als ihre rhetorische Form oder Strategie. Beispiele für Reden in den apokryphen Apostelakten sind Andreasakten 47–50; Petrusakten 7; Paulusakten 9.5–10; Thomasakten 83–86; Philippusakten Martyrium 33. Während in der kanonischen Apostelgeschichte die meisten Reden an eine nichtchristliche Hörerschaft gerichtet sind (die Ausnahme bildet die Rede des Paulus an die Ältesten der christlichen Gemeinde von Ephesus, die gekommen waren, um den Apostel in Milet zu treffen; Apg 20,18–35), sind in den apokryphen Apostelakten die meisten Reden an eine christliche Hörerschaft gerichtet, zuweilen im Rahmen eines christlichen Gottesdienstes mit Gebeten und Abendmahl (Petrusakten 20 und Johannesakten 106–107; Thomasakten 132). S. Junod/Kaestli, Acta Iohannis, vol. 2 (s. Anm. 33) 570–73; Prieur, Acta Andreae, vol. 1 (s. Anm. 13) 218–26.

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als auch eine strategisch günstige Gelegenheit, die gegenwärtige Situation auszudeuten.42 Wenn die apostolische Mission erfolgreich ist, bekehren sich Frauen43 und Männer zum Christentum ohne Rücksicht auf ihren gesellschaftlichen Rang.44 Die Versammlung neuer Mitglieder in der Kirche gibt die literarische Gelegenheit zur Beschreibung des Gottesdienstes, insbesondere der Rituale von Taufe und Abendmahl. Daher sind einige der ältesten Beschreibungen christlicher Versammlungen in der kanonischen Apostelgeschichte45 und den apokryphen Apostelakten zu finden.46 Der Erfolg der Verkündigung und die Einführung einer neuen religiösen Gemeinschaft schafft allerdings Spannungen in der Stadt. In Folge dessen wächst die Gegnerschaft, und es kommt zu Szenen von Polemik, Konfrontation und Prozessen.47 Noch zwei letzte gemeinsame formale Gesichtspunkte müssen genannt werden. Erstens zeigt schon ein rascher Blick auf die Texte die unterschiedliche Länge der Episoden. Während die meisten Episoden kurz sind und die von den Formgeschichtlern aufgestellten Merkmale kleinster Einheiten aufweisen,48 sind einige wesentlich länger und verursachen damit ein Ungleichgewicht im Gesamtwerk. Diese längeren Einheiten enthalten mehr als nur eine einzelne Episode und erscheinen folglich als Zyklus zusammenhängender Ereignisse. Der letzte Teil der kanonischen Apostelgeschichte enthält die lange Erzählung vom Pro-

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Reden sind außerdem der richtige Moment, Seligpreisungen zu zitieren oder neue Seligpreisungen zu erfinden; s. Paulusakten 3,5–6; Thomasakten 94,2–6; 107,2; 113,24; Philippusakten 1,3; 3,15; 5,20.25; 8,9; 13,5; Martyrium 29 (135). Z. B. Maximilla in den Andreasakten 1–18; 28–32; 37–42 oder Chryse in den Petrusakten 30. Z. B. Stratokles in den Andreasakten 1–25; 42–45 oder Marcellus in den Petrusakten 8– 10. S. Apg 1,14; 2,1–13.42–47; 4,23–31; 12,12; 20,7–12; Ph. H. Menoud, “Les Actes des apôtres et l’eucharistie”, RHPHR 33 (1953) 21–36; Nachdr. in Ph. H. Menoud, JésusChrist et la Foi. Recherches néotestamentaires (Neuchâtel 1975) 63–75. Paulusakten 3,5–6 (Brotbrechen); 4,9 (34) (Selbsttaufe der Thekla); Thomasakten z. B. 25–29; s. G. Rouwhorst, “La célébration de l’eucharistie selon les Actes de Thomas”, in C. Caspers/M. Schneiders (eds.), Omnes Circumadstantes, FS H. Wegman (Kampen 1990) 51–77. Die neuentstandene christliche Gemeinde feiert nicht nur miteinander Gottesdienste; auch persönliche, soziale und emotionale Bindungen entstehen in der Kirche; s. Petrusakten 5–6 (zwischen Theon, Petrus, Ariston und Narzissus); Paulusakten 13,1–4 (unter Paulus, Artemon und Claudius). S. Apg 4,1–22; 5,17–42; 22,30–23,11; 24–26; Paulusakten 3,15–17; Thomasakten 163. Beispiele für kurze Einheiten sind Apg 9,32–35 (Heilung des Aeneas) und Apg 9,36– 43 (Auferweckung der Tabita); ein Beispiel für eine lange Einheit ist Apg 10,1–11,18 (Cornelius). S. M. Dibelius, „Stilkritisches zur Apostelgeschichte”, in id., Aufsätze zur Apostelgeschichte (s. Anm. 40) 9–28, bes. 17–28; F. Bovon, “La vie des apôtres: traditions bibliques et narrations apocryphes”, in id. et al. (eds.), Les Actes apocryphes des Apôtres (Geneva 1981) 141–60.

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zess des Paulus.49 Die Episoden von Andronikos und Drusiane in den Johannesakten bilden eine große literarische Einheit, die sich von einem einzelnen Ereignis, wie etwa der plötzlichen Wendung bei der Porträtierung des Johannes, unterscheidet.50 Es ist wahrscheinlich, dass solche Zyklen ursprünglich unabhängige mündliche oder schriftliche Traditionen waren, die in die Endgestalt des Texts integriert wurden. Zweitens ist es nicht ungewöhnlich, dass dasselbe Werk zwei ähnliche Geschichten (Dubletten) enthält. Die bekannte doppelte Gefangennahme von Petrus und seinen Begleitern mit anschließendem Prozess am Anfang der Apostelgeschichte wurde von Adolf Harnack und seiner Generation als störend angesehen.51 In den Philippusakten (9 und 11) begegnen dem Leser zwei sehr ähnliche Situationen, in denen die Apostelgruppe mit sagenhaften Monstern konfrontiert wird.52 Zwei Fragmente, die wahrscheinlich zu den Petrusakten gehören, die Episoden von Petrus’ Tochter und von der Tochter des Gärtners, sind ebenfalls merkwürdig parallel und antithetisch.53 Diese Dubletten können auf dieselbe Weise wie die größeren Zyklen erklärt werden:54 Eine einzige frühe Erinnerung führte nach einer Weile zu zwei ähnlichen Erzählungen, die freilich unterschiedlich genug waren, dass von Autoren, die darauf bedacht waren, nichts zu vergessen, beide erhalten wurden.55 49

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S. die folgenden Zyklen: Lykomedes und Kleopatra (Johannesakten 19–25); Drusiana und Kallimachos (Johannesakten 63–86); Andreas und der Statthalter Virinius (Liber de miraculis beati Andreae apostoli 18); Andreas und Stratokles (Andreasakten 1–12); Petrus und Marcellus (Petrusakten 1–14); Paulus und Thekla (Paulusakten 3,7–4,18 [7–43]); Thomas und Mygdonia (Thomasakten 82–169); Philippus und Ireos (Philippusakten 5– 7). Johannesakten 63–86 im Vergleich mit Johannesakten 26–29. S. Apg 3,11–4,31 und 5,17–42 sowie andere Erzählungen mit Gefängnisszenen: Apg 12,6–17 (Petrus’ wunderbare Befreiung); 16,23–34 (Paulus’ und Silas’ wunderbare Befreiung); Thomasakten 153–55 und 162. Vgl. A. Harnack, Die Apostelgeschichte (Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament 3, Leipzig 1908) 131–88; J. Dupont, Les sources du livre des Actes (Bruges 1960) 33–50. S. die Anmerkungen in Bovon, Acta Philippi (s. Anm. 9) 274–99, und Amsler, Acta Philippi (s. Anm. 9) 323–55. S. G. Poupon, “Actes de Pierre”, in Bovon/Geoltrain, Écrits apocryphes chrétiens, vol. 1 (s. Anm. 9) 1043–44. Möglicherweise befindet sich auch eine Dublette in den Paulusakten 3,15–21 und 4,1–14 (26–39), wo Thekla zweimal vor einen Herrscher gestellt und zur Bestrafung ins Theater geschickt wird; s. A. G. Brock, Mary Magdalene, The First Apostle (HThS 51, Cambridge [MA] 2003) 107–8. A. L. Molinari, I Never Knew the Man (BCNH Section Études 5, Québec 2000), glaubt nicht, dass die Episode von Petrus’ Tochter ursprünglich in die Petrusakten geschrieben wurde. S. bei den Erinnerungen an Jesus das zweifache Wunder der Brotvermehrung im Markusevangelium (Mk 6,35–44 und 8,1–9); s. É. Trocmé, L’Évangile selon saint Marc (CNT 2, Geneva 2000) 180–84. Anders als die kanonische Apostelgeschichte (s. Apg 2,42–47; 4,32–35; 5,12–16; 6,7; 9,31) verwenden die apokryphen Apostelakten selten die Gattung von Sammelberichten der Tätigkeiten der Christen.

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1.2 Unterschiedliche Elemente Der erste Vers der Apostelgeschichte nimmt Bezug auf den „ersten Bericht“ oder das „erste Buch“, nämlich das Lukasevangelium.56 Einen derartigen Bezug gibt es in keiner der apokryphen Apostelakten. Dies ist der erste erhebliche Unterschied. Alle apokryphen Apostelakten beziehen sich auf Jesus Christus, aber keine von ihnen beabsichtigt, das literarische Gegenstück57 und die Fortsetzung eines Evangeliums zu sein. Die bestimmende Struktur des lukanischen Doppelwerks mit den drei Teilen des Lebens Jesu und der Verbreitung der guten Botschaft von Jesu Auferstehung durch die vielstimmigen apostolischen Zeugen fehlt in den apokryphen Apostelakten.58 Am Anfang hatten wir Evangelien ohne Apostelakten (Markus- und Matthäusevangelium); jetzt haben wir Apostelakten ohne Evangelien. Dieser literarische Befund beruht auf einer religiösen Überzeugung, die die Autoren der apokryphen Apostelakten zusammen teilen, nämlich dass der Apostel wie Jesus Christus Mittler und Offenbarer ist. Diese Bestimmung des Apostels und nicht nur dessen Zeugnis muss bedacht und verstanden werden. Anders als die kanonische Apostelgeschichte sind alle apokryphen Apostelakten selbständige Schriften ohne literarische Abhängigkeit von einem schriftlichen Evangelium oder der Septuaginta.59 Sie sind der materielle Ausdruck einer geistigen Wirklichkeit, die Mitteilung einer religiösen Botschaft durch die Worte und Taten eines einzelnen Apostels.60 Während die kanonische Apostelgeschichte sich erst mit Petrus und den Zwölfen, dann mit den Hellenisten (vor allem mit Stephanus und Philippus) und schließlich mit Paulus befasst, konzentrieren sich die apokryphen Apostelakten normalerweise auf einen Helden, der nur

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S. G. Schneider, Die Apostelgeschichte, 1. Teil, Einleitung, Kommentar zu Kap. 1,1–8,40 (HThK 5.1, Freiburg 1980) 189–92; Haenchen, Apostelgeschichte (s. Anm. 16) 105–6. Zur Struktur des lukanischen Doppelwerks s. R. Maddox, The Purpose of Luke-Acts (FRLANT 126, Göttingen 1982) 1–30. Man kann allerdings sagen, dass die Johannesakten 88–105 als eine Art „Evangelium“ innerhalb der größeren Struktur des Werks erscheinen; s. H. Köster, Introduction to the New Testament, vol. 2 (New York 22000) 202. Diese Feststellung bedeutet nicht, dass den Autoren die in der Septuaginta oder den Evangelien enthaltenen Traditionen unbekannt waren; s. F. Bovon, “Facing the Scriptures: Mimesis and Intertextuality in the Acts of Philip”, in MacDonald, Mimesis and Intertextuality in Antiquity and Christianity (s. Anm. 7) 138–54. S. Bovon/Junod, “Reading the Apocryphal Acts” (s. Anm. 10), und meine zwei Artikel “La vie des apôtres: Traditions bibliques et narrations apocryphes” (s. Anm. 48) und “The Synoptic Gospels and the Non-Canonical Acts of the Apostles”, HThR 81 (1988) 19–36.

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eine schwache oder gar keine Verbindung mit anderen Aposteln hat.61 Wenn man einer Gruppe begegnet, wie etwa in den Paulusakten, den Philippusakten und der Legende von Simon und Theonoe, ist diese keine Gruppe aus den Zwölfen, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, sondern eine Gemeinschaft von einzelnen Missionaren, die zusammen reisen.62 Dies könnte eine Erinnerung an den Einsatz der Apostel in Zweierteams (Mk 6,7) oder Ehepaaren (Petrus und seine Frau nach 1 Kor 9,5) und ein Weg der Anerkennung der Rolle von Frauen bei der Ausbreitung des christlichen Glaubens sein.63 Thekla, Mariamne und Theonoe sind nicht nur passive Zuhörerinnen, sondern werden zu aktiven apostolischen Anführerinnen: Sie predigen, wirken Wunder und nehmen die Last des apostolischen Dienstes auf sich.64 Der dritte formale Hauptunterschied zwischen der kanonischen Apostelgeschichte und den apokryphen Apostelakten besteht darin, dass in den apokryphen Apostelakten das Leben jedes Apostels seinen Höhepunkt im Martyrium findet.65 Die einzige Ausnahme bildet der 61

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Die Anwesenheit des Paulus in den Petrusakten 1–4 wird üblicherweise als Interpolation angesehen; s. G. Poupon, “Actes de Pierre” (s. Anm. 53) 1042; und id., “Les Actes de Pierre et leur remaniement”, in ANRW II, vol. 25.6 (ed. W. Haase, Berlin 1988) 4363–83. S. gleichwohl das „wir“ der Apostel in den Thomasakten 61 und den Hinweis auf die zwölf Apostel und die zweiundsiebzig Jünger in den Thomasakten 6. Im ersten Fall Paulus in Zusammenarbeit mit Thekla; im zweiten Philippus mit Mariamne und Bartholomäus; im dritten Simon mit Theonoe. S. auch die Verbindung zwischen Thomas und dem jüdischen Flötisten (Thomasakten 5–9) oder später Thomas und Mygdonia (Thomasakten 82–105; 114–130). Frauen spielen sowohl in der kanonischen Apostelgeschichte als auch in den apokryphen Apostelakten eine beachtliche Rolle. Allerdings erscheinen Frauen in einigen Schriften als passive Empfängerinnen (sie hören, glauben und helfen durch ihre Besitztümer: Apostelgeschichte; Petrusakten, bes. 22), während sie in anderen aktive Rollen übernehmen (sie predigen, taufen und besitzen apostolische Autorität: Paulusakten, Philippusakten, Legende von Simon und Theonoe); s. S. L. Davies, The Revolt of the Widows (Carbondale [IL] 1980); D. R. MacDonald, “The Role of Women in the Production of the Apocryphal Acts of the Apostles”, The Iliff Review 40 (1984) 21–38; V. Burrus, “Chastity as Autonomy: Women in the Stories of the Apocryphal Acts”, Semeia 38 (1986) 101–17, mit einer Entgegnung von J.-D. Kaestli und deren Erwiderung 118–35; F. Bovon, “Mary Magdalene’s Paschal Privilege”, in New Testament Traditions and Apocryphal Narratives (PTMS 36, Allison Park 1995) 147–58; K. Cooper, The Virgin and the Bride (Cambridge [MA] 1996) 45–67; Brock, Mary Magdalene (s. Anm. 53). S. B. M. Kienzle/P. J. Walker (eds.), Women Preachers and Prophets through Two Millennia of Christianity (Berkeley 1998). Diese Martyriumserzählungen, die die apokryphen Apostelakten abschließen, wurden häufig als eigenständige Texte abgetrennt, die bei der Feier des Apostelfests gelesen werden konnten. S. zu dieser Abtrennung den Kolophon der Handschrift vom Berg Athos Xenophontos 32 fol. 29 v. In der koptischen Version der apokryphen Apostelakten wurde zwischen Reisen und Martyrium unterschieden; s. F. Morard, “Notes sur le recueil copte des Actes Apocryphes des Apôtres”, RThPh 113 (1981) 403–13. S. auch die Handschriftentradition der apokryphen Apostelakten, z. B. die Petruspassion in den Handschriften aus Patmos und Athos oder die Pauluspassion (s. M. Bonnet, „Martyrium Pauli”, in AAAp, vol. 1 [ed. R. A. Lipsius, Leipzig 1891] 104–17; R. A. Lipsius, „Martyrium Petri”, ibid., 78–103).

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Jünger, den Jesus liebhatte, Johannes, der Theologe, der, auch wenn er nicht als Märtyrer stirbt, doch seinen Tod in einer solchen Weise organisiert, dass er zu einem bedeutenden Teil seines Lebens wird.66 Bei allen anderen gibt es ein Schema von wachsender Gegnerschaft gegen den Erfolg des Apostels, gefolgt von einem Prozess, der zugleich die persönliche Verteidigung eines durch die Bekehrung seiner Frau aufgebrachten Herrschers ist.67 Am Schluss der Andreasakten, der Petrusakten und der Thomasakten steht eine angespannte Situation, in der der Apostel bereit ist, für seine Botschaft zu sterben. Eine solche Situation ist folgerichtig, weil der Kern der Botschaft eine Aufforderung zur Wahl des Unsichtbaren ist. Dieser Kern wird in der Bevorzugung des Lebens nach dem Tod und einer Ermahnung zur Verachtung des Leibes offensichtlich. Darin liegt ein erheblicher Unterschied zur kanonischen Apostelgeschichte. Diese endet ausdrücklich nicht mit einer Martyriumserzählung und übergeht sowohl den Tod des Petrus als auch den des Paulus. Stattdessen gibt sie, indem sie den Tod des Stephanus an den Anfang stellt, dem Martyrium eine andere Funktion.68 Wenn wir die Struktur der apokryphen Apostelakten und insbesondere ihre Schlüsse schon mit anderen Texten vergleichen wollen, sollten wir nicht die kanonische Apostelgeschichte zum Vergleich heranziehen, sondern eher die kanonischen Evangelien mit ihrer Konzentration auf einen Helden, Jesus, ihrer geographischen Abfolge von Galiläa nach Jerusalem und ihrer Ausgewogenheit zwischen Wundergeschichten und Passionserzählung.

2. Thematischer Vergleich 2.1 Gemeinsame Elemente Der spontane Wunsch, die kanonische Apostelgeschichte mit den apokryphen Apostelakten zu vergleichen, ist dennoch berechtigt. Diese Schriften haben nicht nur formale, sondern auch thematische Elemente gemeinsam. Trotz ihrer unterschiedlichen christologischen Vorstellun66 67 68

S. Johannesakten 106–114 (die Metastasis des Johannes) in der Ausgabe der drei griechischen Versionen dieses letzten Teils der Johannesakten von Junod/Kaestli, Acta Iohannis (s. Anm. 33) vol. 1, 30–63; vol. 2, 564–80. S. z. B. die Bekehrung von Stratokles, dem Bruder des Prokonsuls Aegeates, und Maximilla, der Frau des Prokonsuls, und die folgende Ungehaltenheit des Prokonsuls in Andreasakten 1–65. W. Radl, Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk (Bern 1975), beharrt ausschließlich auf der Parallele zwischen Jesus und Paulus und vernachlässigt die Parallelen zwischen Jesus und Stephanus sowie Petrus und Paulus.

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gen stellen sie alle Jesus Christus hinter die mächtigen Apostel. Nie wird ein Wunder im Namen des Apostels gewirkt, sondern immer im Namen Jesu Christi.69 Im Hinblick auf die ursprüngliche Struktur des Christentums mit seinen zwei Polen, Christus und den Aposteln oder der Versöhnung und dem Dienst der Versöhnung, betonen sowohl die kanonische Apostelgeschichte als auch die apokryphen Apostelakten70 die Verbreitung der frohen Botschaft (wie auch immer diese definiert ist) durch menschliche Vermittlung.71 Diese Schriften setzen voraus und bringen zur Darstellung, dass hinter Christus und den Aposteln72 der göttliche Wille steht im Hinblick auf die vorherbestimmte Zuteilung von Heil und Gericht. In der kanonischen Apostelgeschichte sagt Petrus: „Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst – diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war...“ (Apg 2,22–23).73 Ich meine, dass Hans Conzelmann Recht hatte mit seiner Feststellung, dass für Lukas Jesus Christus die „Mitte der Zeit“ sei, da der Evangelist die Septuaginta als das erste Buch und die erste Etappe der Heilsgeschichte voraussetzt, und das Evangelium, die Ausrufung des Gottesreichs, als zentralen Teil des göttlichen Plans ansieht.74 Lukas zufolge beschreibt die Apostelgeschichte die Zeit der Kirche, nämlich die Verbreitung der frohen Botschaft, als dritten Teil der Heilsgeschichte. Ein solches Zeitgefüge (Israel – Christus – Kirche) ist den apokryphen Apostelakten nicht fremd, mag auch ihr Bezug zur Vergangenheit Israels weniger deutlich und die Gegenwart stärker aufgewertet sein als bei Lukas.75 Alle apokryphen Apostelakten heben eine Offenbarung 69 70 71 72 73

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S. z. B. die Gebete des Philippus während seines Kampfs gegen die Ungeheuer in Philippusakten 11,3-4. S. z. B. Johannesakten 98; 112; F. Bovon, L’Évangile et l’apôtre (Aubonne 1993) 7–32. S. F. Bovon, “L’importance des médiations dans le projet théologique de Luc”, NTS 21 (1974) 23–39. Thomasakten 42 enthält eine eigenständige Beschreibung von Aposteln, die sich von der der kanonischen Apostelgeschichte unterscheidet: Ein Apostel ist eine Person, die der Seele Leben gibt und den Leib heilt. Vgl. Petrusakten 5. S. auch Johannesakten 18: „Als sie aber am frühen Morgen fortzogen und schon etwa vier Meilen des Weges geschafft hatten, erhob sich, während wir alle es hörten, eine Stimme vom Himmel: ‚Johannes, du sollst in Ephesos deinem Herrn Ruhm verschaffen – (einen Ruhm), von dem du wissen wirst – du und alle deine Brüder bei dir und einige von denen, die dort durch dich glauben werden.’ Da erwog Johannes freudig bei sich, was das wohl wäre, was sich in Ephesos ereignen sollte, und sagte: ‚Herr, siehe, nach deinem Willen gehe ich. Es geschehe, was du willst.’“ S. Conzelmann, Mitte der Zeit (s. Anm. 17) 158–92. Diese Zeitkonstruktion ist in den Andreasakten und den Johannesakten weniger sichtbar.

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hervor, die in den Lauf der Zeit eingebettet und durch die apostolische Botschaft zum Vorschein getreten ist. Als Beispiel erwähne ich die drei Esel in den Thomasakten.76 Während Thomas predigt, sieht er einen wilden Esel auf sich zukommen. Nach seiner Identität gefragt sagt das Tier: „Ich bin von jener Familie, die dem Bileam gedient hat, und zu welcher der Geschlechtsgenosse von mir gehörte, auf den sich dein Herr und dein Lehrer gesetzt hat“ (Thomasakten 40). Dem Autor zufolge spielte in jeder Etappe der Heilsgeschichte ein Esel eine bedeutende Rolle. Die ersten beiden Etappen sind aus dem Alten und Neuen Testament bekannt: Der erste Esel ist weiser als Bileam (Num 22,21–35). Der zweite ist der Esel des Palmsonntags (Lk 19,30–36). Die dritte Etappe, die Zeit der Kirche, ist von der apokryphen Schrift selbst offenbart: Der dritte Esel stellt sich Thomas vor, lobt mit menschlicher Stimme Gott, gratuliert dem Apostel, erwähnt die Bekehrung der Inder und bietet seinen Rücken dem Jünger Christi zum Aufsteigen an.77 Mag der genaue Inhalt der christlichen Botschaft nach Lukas auch strittig sein, eines ist doch offensichtlich: Das Gottesreich sollte nicht mit irgendeiner irdischen, politischen oder wirtschaftlichen Wirklichkeit verwechselt werden.78 Der göttliche Bereich ist nicht Bestandteil der Natur, des politischen Lebens oder des menschlichen Denkens, sondern geht über sie alle hinaus. Ein ähnliches Interesse für das Himmelreich ist durch alle apokryphen Apostelakten hindurch offensichtlich. Tatsächlich wurden diese Texte geschrieben, um ihre Leser zur Überwindung ihres menschlichen Lebens einzuladen, oder besser: zum Wechsel von einem menschlichen in einen göttlichen Zustand, vom Leib zur Seele, von einem sterblichem Dasein zum ewigen Leben.79 Zur Erleichterung eines solchen Übertritts ist die Predigt mit ihren Drohungen und Versprechungen besonders wichtig. Aber die Kraft der Predigt wird wie im Neuen Testament, insbesondere im lukanischen Doppelwerk, durch wunderbare Zeichen gesteigert.80 Heilungen und Exorzismen sind in den Petrusakten und dem Liber de miraculis beati Andreae 76 77 78

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Dieser Aspekt wird von P.-H. Poirier/Y. Tissot, “Actes de Thomas”, in Bovon/ Geoltrain, Écrits apocryphes chrétiens, vol. 1 (s. Anm. 9) 1367, nicht erwähnt. S. Thomasakten 39. Zum Gottesreich im lukanischen Doppelwerk s. F. Bovon, Luke the Theologian. Fiftyfive Years of Research (1950–2005) (Waco [Tx.] 22006) 1–85.515–524; id., Das Evangelium nach Lukas, 2. Teilband: Lk 9,51–14,35 (EKK III/2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1996) 413. S. insbesondere die letzten Reden und Gebete des Apostels in den Thomasakten 142– 148. Zu Wundern, die den apokryphen Apostelakten zufolge bei Buße, Bekehrung und Glaube helfen und den Gläubigen zu wahrem geistigen Leben bringen, s. Pao, “Physical and Spiritual Restoration” (s. Anm. 38); van Cangh, “Miracles” (s. Anm. 39); Bovon, “Miracles”(s. Anm. 39).

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apostoli durchweg verbunden mit der Erzeugung von Glauben in den Herzen der Zuschauer.81 Visionen, Träume und göttliche Stimmen werden ebenfalls eingeführt.82 Auch sie haben eine Bedeutung in der göttlichen Vorsehung, aber eine andere, komplementäre Funktion: Sie sollen den Apostel auf den richtigen Weg führen oder ein übernatürliches Ereignis deuten (wie die Vision des Adlers in den Philippusakten).83 Im lukanischen Doppelwerk hat die Ausbreitung des Evangeliums mit ihrem weltweiten Ausblick auch eine polemische Dimension.84 Wenn Gott hinter der Heilsordnung steht, existieren auch der Satan, seine Vertreter, Dämonen, Zauberer85 und falsche86 Apostel.87 Sie werfen alle ihre Kräfte in den Endkampf, um den Sieg Christi und der Apostel zu verhindern.88 Die verschiedenen Autoren der apokryphen Apostelakten teilen dieselbe Weltsicht.89 81

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S. z. B. Petrusakten 11 (Marcellus glaubt nach dem Wunder, das er wirken konnte, stärker); 17 (Eubola wird die von Simon gestohlenen Sachen auf wundersame Weise wieder auffinden; deshalb werden viele glauben); 26 (sogar in Versuchung geführt belebt Gottes Wunder den jungen Diener wieder); 32 (Gott zeigt seine Gnade und Kraft durch das Wunder des plötzlichen Falls von Simon Magus während des Flugs über Rom). Die Heilung von Blinden hat eine geistige Bedeutung: Sie stellt symbolisch das Öffnen der Augen des Glaubens dar; s. Lk 18,35–43; Apg 26,17–18; Johannesakten 113 (zwei Jahre lang blind hat Johannes durch seine Behinderung gelernt, die Augen seines Verstandes zu öffnen). S. o. Anm. 27. Philippusakten 3,5–9. Andere Wundertaten sind das Strahlen des Gesichts oder die Verklärung des Körpers, siehe die Verklärung Jesu (Lk 9,28–36), das leuchtende Gesicht des Stephanus (Apg 6,15), die Verklärung des Philippus (Philippusakten 5,22–23) und die Verwandlung der Mariamne (Philippusakten Martyrium 20). Häufig treten die positiven Kräfte (vertreten durch einen Apostel) den negativen Kräften (vertreten durch einen Dämon oder ein Monster) gegenüber. Die Tat des Apostels besteht in einer Kraftübertragung von der Inkarnation des Bösen zur Wirklichkeit des Guten; s. Thomasakten 44–46 und 76. Die apokryphen Apostel werden häufig beschuldigt, Zauberer zu sein (s. z. B. Petrusakten 4 [Paulus wird hier beschuldigt]; Philippusakten 6,1), aber die Autoren zögern nicht, sich derselben Waffe zu bedienen und die Feinde der Apostel zu beschuldigen, selbst Zauberer zu sein (s. z. B. Apg 8,6–25; 13,4–12; 19,13–20; Petrusakten 5). In den Thomasakten 79 prophezeit der wilde Esel einen Aufstand von falschen Aposteln und Propheten. Die Feinde der Apostel werden oft mit teuflischen Eigenschaften gezeichnet. S. zu solcher Verteuflung in der kanonischen Apostelgeschichte 8,20–23 (Simon Magus), 13,10 (Elymas); 20,29–30 (Prophezeiung zukünftiger Gegner); 23 (negatives Bild der jüdischen Anführer). Für Beispiele in den apokryphen Apostelakten s. Johannesakten 63, wo Kallimachos „ein Abgesandter des Satans“ genannt wird, sowie Petrusakten 15–16 und 28, wo Simon Magus als ein Sohn des Teufels dargestellt wird. S. zum Teufel im lukanischen Doppelwerk Conzelmann, Mitte der Zeit (s. Anm. 17) 9, 22–23, 73–74; J. Dupont, Les tentations de Jésus au désert (SN 4, Bruges 1968). S. z. B. Thomasakten 32; 44–45; 75,2; Philippusakten 11,3; E. Peterson, „Die Begegnung mit dem Ungeheuer: Hermas, visio 4”, VC 8 (1954) 52–71; nachgedruckt in id., Frühkirche, Judentum und Gnosis (Darmstadt 1982) 285–309. Wie die kanonische Apostelgeschichte (s. Apg 5,1–11) erwähnen die apokryphen Apostelakten einige Fälle von göttlicher Strafe (Philippusakten 6,10–12) und inspiriertem Fluch (Petrusakten 8).

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Sobald eine Frau,90 wie die Königin Tertia,91 oder ein Mann, wie der von Thomas auferweckte junge Mann, sich einmal zur Annahme der Botschaft des Apostels entschieden hat,92 muss sie bzw. er nicht nur stark im Glauben sein,93 sondern auch die Auswirkungen des Evangeliums in ihrem bzw. seinem Leben deutlich machen. Sowohl die kanonische Apostelgeschichte als auch die apokryphen Apostelakten zeigen Wege des Verhaltens auf. Die Tugenden, die gepriesen werden, mögen sich unterscheiden: In einem Fall ist Beständigkeit von Bedeutung,94 in einem anderen Askese.95 In allen Fällen aber haben die Komponenten der Ethik ein hohes Gewicht und bilden ein gemeinsames Element. Eine wichtige gemeinsame Wirklichkeit wird auch durch die Unterschiede in Form und Inhalt nicht verdeckt: die Atmosphäre der Geschichten. Durch das Erzählen von Geschichten schaffen sowohl die kanonische Apostelgeschichte als auch die apokryphen Apostelakten eine Atmosphäre von Furcht und Freude, Spannung und Entspannung, Erwartung und Erfüllung, Missachtung der sichtbaren Welt und geistige Aufmerksamkeit auf die unsichtbaren Werte und das Gottesreich. 90 91

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Zur Rolle von Frauen in den apokryphen Apostelakten s. o. Anm. 63 u. 64. Der Autor des lukanischen Doppelwerks zeigt sich erfreut über das Interesse von Leuten der Oberschicht am Christentum; s. Apg 13,50; 17,12; 19,31; 25–26. Dasselbe gilt für die meisten Autoren der apokryphen Apostelakten; s. Petrusakten 3 (Dionysius und Balbus sind Ritter von edler Herkunft und Demetrius ein Senator); Andreasakten 1–65 (Stratokles ist der Bruder des Prokonsuls, Maximilla die Frau des Prokonsuls und Aegeates selbst der Prokonsul); eine ähnliche Gegebenheit findet sich in den Philippusakten 15,1–Martyrium 42 (Nikanora ist die Frau des Statthalters Tyrannognophos). S. S. Matthews, First Converts (Stanford 2001). Die Thomasakten 134–137 handeln von Tertia, 30–38 von dem jungen Mann. Thomasakten 15: Der Verlobte, der darauf verzichtet, seine Ehe zu vollziehen, sagt, dass er so kühn ist, sich zu dem neuen Gott zu bekennen. Diese Haltung ähnelt der des Petrus an Pfingsten in Apg 2,29 (eijpei`n meta; parrhsiva~). S. das Verb karterw`, „verharren“, in Apg 1,14; 2,42.46; 6,4; 8,13, und den Begriff uJpomonhv, „Beständigkeit“, in Lk 8,15 und 21,19; vgl. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband (s. Anm. 15) 412. Für die Petrusakten ist das Beste, was man jemandem wünschen kann, zu hoffen, dass sie oder er geschlechtliche Beziehungen und jegliche Bindung an diese Welt aufgibt, ja sogar das Leben selbst beendet. Die Tochter des Petrus ist ein Beispiel des Verzichts auf geschlechtlichen Verkehr (Fragment erhalten im koptischen Papyrus Berlin 8502); die Tochter des Gärtners ein Beispiel für die Beendung des Lebens (Fragment erhalten im Pseudo-Titus-Brief) und Rufina ein Gegenbeispiel (Petrusakten 2). Nicht alle apokryphen Apostelakten sind enkratitisch, und sogar dieselbe Schrift, vielleicht weil sie Stückwerk ist, kann Teile haben, die eine höhere asketische Anforderung haben als andere. Insgesamt ist die Kritik an Sexualität, ob gemäßigt (Lob der Jungfräulichkeit) oder streng (Verbot der Ehe), weit verbreitet. Man findet sie in den Seligpreisungen in den Paulusakten, den Reden der Thomasakten und einigen Episoden der Philippusakten. Askese ist nicht nur eine moralische Angelegenheit, sondern auch eine geistige: In den Thomasakten 99,3 und 101,2 findet man Erlösung durch „Reinheit“; durch asketische Haltung erlangt man Kontakt mit Gott, eine Vision Gottes oder ein Gespräch mit Gott: S. Thomasakten 85,1 und 126; Philippusakten 1,3 und 5,5.

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Eine solche Atmosphäre, die durch die Handlungsabfolge und den Tonfall der Erzählung herbeigeführt wird, ist keine Besonderheit dieser Texte; sie ist auch ein Merkmal antiker Romane und der ältesten Heiligenviten.96 2.2 Unterschiedliche Elemente Innerhalb dieser gemeinsamen Atmosphäre gibt es allerdings einen erheblichen Unterschied: Die kanonische Apostelgeschichte beharrt auf der objektiven Seite des Heils, indem sie von den äußeren, historischen Wegen der Erlösung berichtet.97 Im Gegensatz dazu legen die apokryphen Apostelakten mehr Wert auf die subjektive Zueignung des Heils durch die Verwandlung der Seele des Individuums. Dieser Unterschied wird besonders offensichtlich bei einem Vergleich zwischen der kanonischen Apostelgeschichte und den Thomasakten. Die missionarischen Reden in der lukanischen Apostelgeschichte haben historische und christologische Themen zum Inhalt wie die Geschichte Israels oder die Bestimmung Jesu, insbesondere seine Auferstehung.98 Der dritte Teil dieser Reden lässt die Notwendigkeit der Bekehrung nicht aus, Bekehrung wird aber als Festhalten an der Botschaft definiert.99 Die langen und zahlreichen Reden in den Thomasakten unterscheiden sich davon in Inhalt und Funktion erheblich: Sie sind darauf ausgelegt, die Zuhörer dazu zu drängen, ihr Leben zu ändern. Christologie spielt nur am Rande eine Rolle; das Kernstück vermittelt den gebieterischen Befehl, die irdischen durch geistige Werte zu ersetzen und sich nicht länger auf den Leib, sondern auf die Seele zu konzentrieren.100 Diese Tendenz ist 96

In diesem Aufsatz werde ich nicht die verschiedenen apokryphen Apostelakten untereinander vergleichen. Dies hat in berechtigter und ausführlicher Weise D. R. MacDonald getan, s. seinen Aufsatz “Which Came First? Intertextual Relationships among the Apocryphal Acts of the Apostles”, Semeia 80 (1997) 11–41. 97 S. Bovon, Luke the Theologian (s. Anm. 78) 273-304. 98 S. z. B. die Rede des Stephanus (Apg 7,2–53) und die Rede des Petrus an Pfingsten (Apg 2,14–36). 99 S. Apg 2,38; 3,19; 17,30–31; Dibelius, „Reden der Apostelgeschichte” (s. Anm. 40) 120–62, bes. 142–43; U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5, Neukirchen 1961); J. Dupont, “Les discours missionnaires des Actes des apôtres, d’après un ouvrage récent”, RB 69 (1962) 37–60. 100 S. Thomasakten 12; 28; 36; 37; 58; 66; 83–86; 88; 94; 119; 143; 159. Die zahlreichen Gebete des Apostels Thomas bestätigen den Inhalt der Reden. Bekehrung ist nicht mehr eine christologische, sondern eine moralische Angelegenheit in einem geistigen Zusammenhang, der von Dualismus gekennzeichnet ist: Thomasakten 34–36. S. die Gegenwart Christi während der Bekehrung nach Thomasakten 58. Das vergängliche Leben wird in Gegensatz zum ewigen Leben gestellt in Thomasakten 78,3; 88,1–3; 117; 124,2–4; 127,3; 130,1; 135,2.

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weniger von der christlichen Tradition bestimmt als von den zeitgenössischen philosophischen Schulen.101 Das Augenmerk auf das individuelle Schicksal verleiht den apokryphen Apostelakten eine hohe Differenziertheit im Bereich des geistigen Lebens, die die kanonische Apostelgeschichte nicht kennt. Beispielsweise lesen wir in den Johannesakten eine Erörterung über die Wanderung der Seele, den Weg, Ruhe und Reinheit zu erlangen, und darüber, wie Entmutigung vermieden werden kann.102 Im Bereich der Christologie begegnen zwei Unterschiede.103 Der wohlbekannte erste betrifft das Problem des Doketismus. Die augenscheinliche Abwesenheit von Leiden ist kein ausreichendes Kennzeichen, um von Doketismus sprechen zu können, da die Vorherrschaft von Passionen, die Leiden einschließen, Teil der philosophischen Heroisierung Christi und seiner Jünger ist. Man kann allerdings von Doketismus sprechen, wenn das geistige Lichtkreuz – im Gegensatz zum materiellen Holzkreuz – zum Ort der Erlösung wird.104 Auffällig ist auch die Betonung des göttlichen, himmlischen, auferstandenen, herrlichen Christus, der häufig als Gott, der neue Gott oder sowohl als Vater als auch als Sohn angesehen wird.105 Für meine Zwecke interessanter sind der Wettbewerb zwischen Christus und den Aposteln, die neue Botschaft zu verkünden, sowie der Aufbau der neuen Gemeinschaft. Das Fehlen eines narrativen Evan101 Zum philosophischen Interesse an der Seele, einem spezifischen Interesse der Weisen, s. G. Riley, Resurrection Reconsidered (Minneapolis 1995) 26–58. 102 Johannesakten 63–65. S. auch Johannesakten 23–24 (die Empfindungslosigkeit der Seele dient der Verwirklichung eines Wunders), Johannesakten 26–29 (gereinigt kann die Seele den Herrn erreichen), Johannesakten 112 und Thomasakten 28 (Erlösung ist die Verwandlung der Seele), Johannesakten 107 (es gibt eine Rückfallgefahr für die gereinigte Seele). 103 Es gibt große Unterschiede bezüglich der Christologie schon zwischen den apokryphen Apostelakten selbst und besonders zwischen den apokryphen Apostelakten und der kanonischen Apostelgeschichte. Beispielsweise haben die Thomasakten eine bewusste und ausgearbeitete Christologie; s. Thomasakten 10 (in einem Gebet); 45 (Christus hat seine göttliche Natur verborgen); 72 (eine Hymne an Jesus Christus listet sein gegenwärtiges Heilshandeln auf); 80 (Verwunderung darüber, dass der Gott Jesus ein Mensch wurde [im lukanischen Doppelwerk wäre es die Verwunderung darüber, dass der Mensch Jesus der Sohn Gottes ist]). 104 Johannesakten 94–102; dieser Teil des Texts zusammen mit Kapitel 109 ist wahrscheinlich interpoliert; s. Junod/Kaestli, Acta Iohannis (s. Anm. 33) vol. 1, 72–75, 99; vol. 2, 581–677; und iid., “Actes de Jean” (s. Anm. 19) 979–81. Die Kapitel über den vielgestaltigen Christus in den Johannesakten 87–93, die wahrscheinlich anderen Ursprungs sind als die Kapitel 94–102 und der Rest der Johannesakten, wie auch die Petrusakten 20 (Homilie des Petrus über die Verklärungserzählung) stellen ebenfalls eine doketische Form der Christologie dar. 105 Christus wird Vater genannt in Andreasakten 63,2; Johannesakten 77; 94; 98; 109; 112; Petrusakten 39; Thomasakten 97 und 143; Philippusakten 1,3; 3,7; 8,5; 14,5; Martyrium 26 und 38.

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geliums als erstem Teil eines Diptychons ist ein Hinweis auf die Marginalisierung der Christologie in den apokryphen Apostelakten. Apostel wie Andreas oder Thomas sind nun die Mittler der göttlichen Vorsehung, während Christus weit weg im Himmel an der Seite Gottes sitzt und in keiner Weise mehr als Mittler wirkt.106 Dennoch ist seine bisherige Rolle nicht völlig ausgeschaltet: Er kann gelegentlich in einer Vision oder einem Traum erscheinen.107 Diese Schwächung der Christologie kann anhand der Thomasakten veranschaulicht werden, wo Thomas in einer Diskussion mit Vazan, dem Sohn des Königs Misdais, erklärt, dass er (nicht Jesus Christus) mit Gott im geistigen Reich verwandt ist, ebenso wie Vazan, der Königssohn, mit seinem Vater in der materiellen Welt verwandt ist.108 Nichtsdestotrotz ist sich der Autor des christologischen Problems bewusst, das eine solche Parallele mit sich bringt: Er lässt an diesem Punkt Thomas sagen, dass er ein „Knecht Jesu Christi“ sei, und später – wie Johannes der Täufer im vierten Evangelium (Joh 1,20) – „Ich bin nicht Jesus, sondern ein Knecht Jesu. Ich bin nicht Christus, sondern ein Diener Christi.“109 Das lukanische Doppelwerk hat zwei Funktionen: Einerseits bewahrt es die Erinnerungen an den heiligen Ursprung (natürlich nicht ohne viele Änderungen und Verzerrungen), andererseits löst es in der aktuellen Situation der christlichen Gemeinden aufgeworfene Probleme. Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte erzählen nicht nur die Geschichten von Jesus und seinen Jüngern, sondern eröffnen auch die Sicht auf die Situation der Kirche in den Augen des Autors. Die apokryphen Apostelakten erfüllen ähnliche Funktionen: Sie bewahren alte Traditionen über die Apostel wie Anekdoten oder längere Erzählungen, die in kleinen Einheiten oder längeren Zyklen eingefasst sind, und spiegeln die Situation ihrer Kirchen im 2. und 3. Jahrhundert wider. Die berühmte Dreieckskonstellation (die Bekehrung einer Frau empört den Ehemann und lässt ihn den Apostel angreifen) spiegelt die soziale Wirklichkeit der christlichen Mission wider (siehe Justin der Märtyrer, Zweite Apologie). Die ethische Unterweisung mit dem Schwerpunkt auf sexueller Reinheit passt gut in das Gefüge der Spätantike. Der Widerstand gegen die heidnischen Kulte passt zur Polemik des 106 Im kanonischen lukanischen Doppelwerk wird Jesus Christus als Arzt bezeichnet (zu dem Begriff im Kontext von Jesu Handlungen s. Lk 4,23; 5,31; 8,43; zu Jesu medizinischer Leistung s. Lk 4,38–40; 8,40–56; 18,35–43 und die anderen Heilungserzählungen); in Philippusakten 4,4–5; 13,4; 14,1–4; Martyrium 13–15, und Thomasakten 95,2 ist es nun der Apostel, der diese Rolle übernimmt oder den himmlischen Arzt verkörpert. 107 S. F. Bovon, “The Child and the Beast: Fighting Violence in Ancient Christianity”, HThR 92 (1999) 369–92, bes. 387–88. 108 Thomasakten 139,2; 160,1. 109 Thomasakten 160,1, vgl. ibid., 139,2.

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Christentums gegen die alten griechischen und römischen Religionen. Dies alles veranschaulicht die kirchliche Wirklichkeit der Zeit, wie sie auch in der Tendenz zu apostolischer Autorität, der Organisation des kirchlichen Amtes und der Ausübung der Sakramente sichtbar ist. Zwischen den beiden Textkorpora der kanonischen Apostelgeschichte und der apokryphen Apostelakten gibt es große Unterschiede, und die Wissenschaft muss für die apokrpyhen Apostelakten das Adjektiv „neu“ verwenden, da sie später entstanden sind und spätere Situationen und Lösungen zur Darstellung bringen.110 Verglichen mit den einfachen Handlungen von Taufe und Brotbrechen in der kanonischen Apostelgeschichte erscheint in den apokryphen Apostelakten eine weiter entwickelte Liturgie.111 Bekannt ist beispielsweise die in der syrischen Fassung der Thomasakten häufig erscheinende Salbung mit Öl als Vorbereitungsritus für die Taufe.112 Verglichen mit Bekehrungen in der kanonischen Apostelgeschichte erhalten diejenigen der apokryphen Apostelakten einen asketischen Anstrich. Die Unterbrechung einer Hochzeit und der Verzicht auf ein eheliches Leben werden zu Beweisen für das christliche Bekenntnis.113 Verglichen mit dem mäßigen göttlichen Schutz, den die Apostel in der kanonischen Apostelgeschichte genießen, sind die Zerstörung von Tempeln (Johannesakten 37–47; Paulusakten 6,1–6) oder der Aufbau von 110 Ich erwähne hier andere neue Elemente, die sich in den apokryphen Apostelakten, aber noch nicht in der kanonischen Apostelgeschichte finden: Reden an das Kreuz (Andreasakten 54,2–3; Petrusakten 37–39); viele Hymnen und frühchristliche Dichtung (Johannesakten 94–96); Gebete, die nicht nur an Gott, sondern auch an Christus gerichtet sind (Thomasakten 10 und 72); eine Betrachtung über die Dreifaltigkeit (Thomasakten 70); Fluch über Feinde (Petrusakten 14); die Rolle von Weihwasser insbesondere zur Reinigung von Häusern (Petrusakten 19) und zur Austreibung von Dämonen (Philippusakten 9,2–3); sprechende Tiere sind nicht ungewöhnlich, s. Petrusakten 9–12; Thomasakten 39 (Esel); Philippusakten 8,17–18; s. u. Anm. 123. 111 Paulusakten 3,5.25; 8.21 (Brotbrechen, in der Regel mit Wasser); Petrusakten 20 (christlicher Gottesdienst mit der Lesung einer Evangelienpassage, nämlich der Verklärungsgeschichte, und einer Predigt des Petrus über diesen Bibeltext); Johannesakten 94–96 (Hymnus und Tanz); 46 (christlicher Gottesdienst mit Homilie, Abendmahl und Handauflegung); 106–10 (Predigt und Abendmahl am Sonntag); 115 (Kreuzzeichen); Thomasakten 27; 49–50; 120–21 (Salbung mit Öl, Taufe und Abendmahl); 156– 58 (Taufe, üblicherweise mit vorangestellter Salbung mit Öl, Abendmahl); Philippusakten 1,18; 2,24; 3,19; 4,6 (Taufen); 11,9–10 (Abendmahl); 12,9 (Besprengung mit Wasser); 14,9 (Taufe von Männern durch Philippus, von Frauen durch Mariamne); zu Anspielungen auf Rituale in den Andreasakten s. F. Bovon, “The Words of Life in the Acts of the Apostle Andrew”, HThR 87 (1994) 139–54, bes. 148. 112 S. S. Brock, Holy Spirit in the Syrian Baptismal Tradition (SyCS 9, s. l. 1979); C. Johnson, “Ritual Epicleses in the Greek Acts of Thomas”, in Bovon, The Apocryphal Acts of the Apostles (s. Anm. 15) 172–204. 113 Thomasakten 4–16; s. H. J. W. Drijvers, „Thomasakten”, in Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, vol. 2 (s. Anm. 8) 304–10. Die Zeugung von Nachwuchs wird insbesondere in den Thomasakten 12 in Verruf gebracht.

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Kirchengebäuden (Philippusakten 2,24; 7,2–3; 11,6–8) triumphale Zeichen eines bemerkenswerten Erfolgs. Verglichen mit den Aposteln, die in der kanonischen Apostelgeschichte weniger als Wundertäter denn als Zeugen dargestellt werden, werden die Apostel in den apokryphen Apostelakten zu Helden und Rettern befördert.114 Diese Veränderung erklärt, warum plötzlich die äußerliche Beschreibung der Apostel wichtig wird. Beispielsweise widerstehen in den Paulusakten, dem Martyrium des Markus und möglicherweise in einem verlorenen Teil der Petrusakten die Autoren der Versuchung nicht, eine Beschreibung der äußeren Erscheinung der Apostel wiederzugeben.115 Selbst in den Johannesakten wird ein Portrait des Johannes von seinem Bewunderer Lykomedes in Auftrag gegeben. Als Johannes das Werk betrachtet und dann zum ersten Mal sein Abbild in einem Spiegel sieht, weist er die Ähnlichkeit mit sich selbst zurück und drängt Lykomedes, sich auf ein „geistiges“ Portrait zu richten.116 Verglichen mit der apokalyptischen Erwartung der Parusie und des Gerichts ist eine neue Art der Eschatologie sichtbar: Der eschatologische Stichtag ist nun der Tod des Individuums und das darauf folgende Schicksal (tatsächlich geht bereits Lukas in diese Richtung, wenngleich er das traditionelle apokalyptische Schema beachtet).117 Diese Individualisierung der Eschatologie, ihre Trennung von der Weltgeschichte und ihre Verbindung zum persönlichen Geschick118 bieten die Gelegenheit zu neuen Erzählungen wie Fahrten in Hölle und Paradies und Beschreibungen dieser Orte.119 Häufig ist das geistige Leben der Ersatz für die 114 S. die folgenden drei Artikel über die apokryphen Apostelakten: G. Poupon, “L’accusation de magie dans les Actes apocryphes”, in Bovon, Les Actes apocryphes des apôtres (s. Anm. 48) 71–94; F. Morard, “Souffrance et martyre dans les Actes apocryphes”, ibid., 95–108; J.-M. Prieur, “La figure de l’apôtre dans les Actes apocryphes d’André”, ibid., 121–140. S. zudem entsprechend zur kanonischen Apostelgeschichte: J. Dupont, “L’apôtre comme intermédiaire du salut dans les Actes des Apôtres”, RThPh 112 (1980) 342–58; B. Trémel, “A propos d’Ac 20:7–12: puissance du thaumaturge ou du témoin?”, ibid., 359–70; J. Zumstein, “L’apôtre comme martyr dans les Actes de Luc”, ibid., 371–90. 115 S. Paulusakten 3,3; Martyrium des Markus (nach dem Vaticanus graecus 866); zu Petrus in der Beschreibung von Nikephoros Callistes Xanthopoulos, Historia ecclesiastica, 2.39, s. Ch. R. Matthews, “Nicephorus Callistus’ Physical Description of Peter: An Original Component of the Acts of Peter?”, Apocrypha 7 (1996) 135–45. 116 S. Johannesakten 26–29; Junod/Kaestli, Acta Iohannis (s. Anm. 33) vol. 2, 446–56. 117 S. J. Dupont, “L’après-mort dans l’œuvre de Luc”, RTL 3 (1972) 3–21; nachgedruckt in id., Nouvelles Études sur les Actes des Apôtres (LeDiv 118, Paris 1984) 358–79. 118 Der Tod wird als gefährliche Wanderung der Seele aufgefasst (Johannesakten 114); ein Toter, nämlich Gad, der verstorbene Bruder des Königs Gundafor, kann sich noch bekehren (Thomasakten 21–27), was nach Lk 16,19–31 unmöglich ist. 119 S. Thomasakten 55 und Philippusakten 1,4–14. Am Rand steht die Apokalypse des Petrus: Ihre ursprüngliche Fassung bewahrt eine apokalyptische Beschreibung des Gerichts (siehe die äthiopische Fassung); ihre Neubearbeitung formt dieses allen gemeinsame

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eschatologische Existenz, und die alten eschatologischen Tugenden werden durch neue ersetzt. Während Lukas ein besonderes Interesse an uJpomonhv (Beharrlichkeit) hat,120 legen die Thomasakten eine Lehre des Apostels dar, die aus drei verschiedenen Tugenden besteht: Heiligkeit, Askese und Sanftmut (Thomasakten 85–86).121 Verglichen mit der frühchristlichen Lehre der Erlösung (bereits im lukanischen Doppelwerk gibt es eine deutliche Erweiterung von einer partikularistischen zu einer universalistischen Sicht)122 geben sich zumindest einige der apokryphen Apostelakten nicht mit einem auf die Menschen beschränkten Heil zufrieden; sie eröffnen eine kosmische Sicht und zögern nicht, Erlösung mit der Tierwelt in Verbindung zu bringen. Beispielsweise wird ein Löwe von Paulus getauft, und sowohl ein Leopard als auch ein Zicklein werden – allerdings nicht ohne Einschränkungen – von Philippus empfangen.123 Selbst in Hinsicht auf die Dämonenwelt beziehen die Autoren neue Entwicklungen ein. Um den Feind zu besiegen, verlangt der Apostel von dem Dämon eine Genealogie des Bösen,124 und die negativen Kräfte sind gezwungen, ihre wahre Identität zu enthüllen und damit selbst ihre Niederlage herbeizuführen.125 Durch die Entwicklung der Bußlehre wissen wir, dass das Problem von Sünden nach der Taufe die antiken Christen beschäftigte. Der Hauptgrund der Besorgnis war die Fortdauer der Zeit und ihrer Versuchungen. Zur Lösung des Problems verwendeten die ersten Generationen der Christen etliche Lösungen, sowohl ethische (Aufruf an den Willen) als auch – teilweise zusätzlich – geistige (Bitte um den Heiligen Geist). Der Hebräerbrief bewahrte die strenge Regel der Verhinderung von Sünden nach der Taufe, während der Hirt des Hermas einen letzten

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apokalyptische Ereignis um in ein individuelles Schicksal, das von den letzten Tagen unabhängig ist (siehe die griechische Fassung); s. auch die Apokalypse des Paulus. S. L. Cerfaux, “Fructifiez en supportant (l’épreuve), à propos de Luc 8,15”, RB 64 (1957) 481–91; wiederaufgenommen in id., Recueil, vol. 3 (BEThL 18, Gembloux 1962) 111–22. Paulus nennt bekanntlich drei Haupttugenden, nämlich Glaube, Liebe und Hoffnung, und gibt der Liebe den ersten Platz (1 Kor 13,3; vgl. Gal 5,22). S. Bovon, Luke the Theologian (s. Anm. 78) 273–328 und 364–386. S. Paulusakten 9,7–26; Philippusakten 8,16–Martyrium 40; Ch. Matthews, “Articulate Animals: A Multivalent Motif in the Apocryphal Acts of the Apostles”, in Bovon, The Apocryphal Acts of the Apostles (s. Anm. 15) 205–32. Nach Thomasakten 70,3 und Philippusakten 8 erreicht die göttliche Gnade sogar die Welt der Tiere (im Unterschied zu Paulus in 1 Kor 9,9). Man beachte auch die Rolle von Tieren in der göttlichen Vorsehung in den Thomasakten 73; 78; 79. Die Johannesakten 84 stellen ernsthafte Überlegungen über die Wirklichkeit des Bösen in der Seele und in der Welt an. Thomasakten 33; 44–45; 75,2; Philippusakten 11,3.

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Ablass gewährte.126 In dem zum Hebräerbrief zeitgenössischen lukanischen Doppelwerk wird das Problem nicht ausdrücklich erwähnt. Das Schema des lukanischen Doppelwerks ist einfach: Die Aufmerksamkeit wird auf die anfängliche Bekehrung und nicht auf spätere Buße gelenkt. Die Verkündigung des Evangeliums lädt die Juden ein, dem Wissen um Gott das Wissen um den Sohn hinzuzufügen, und die Heiden, sich von Götterbildern zum lebendigen Gott zu wenden. In beiden Fällen ist die erste Bekehrung der Beweis für den christlichen Glauben; was später passiert, ist lediglich eine Frage der Beständigkeit.127 In den apokryphen Apostelakten ist eine solch einfache Lösung nicht länger möglich. Beispielsweise zeigen die Johannesakten ausführlich, wie der Glaube durch die Fortdauer der Zeit gefährdet wird. In dieser Schrift ist Drusiane bereits Christin, aber die sündige Liebe, die ihr ein junger Mann entgegenbringt, verstört sie so sehr, dass sie krank und niedergeschlagen wird. Da sie sich für ihre Situation verantwortlich fühlt, bittet sie Gott um Erlösung und zieht es vor zu sterben. In einer Predigt erläutert Johannes, dass der Glaube wie ein Segelschiff ist, das den Seefahrer trägt, und auf dem man erst am Ende der Reise nach der sicheren Ankunft im Hafen außer Gefahr ist. Die Seele wird angeklagt werden, wenn sie nach einem guten Anfang nicht bis ans Ende beständig bleibt.128

3. Literarische Abhängigkeit Findet man in den apokryphen Apostelakten ausdrückliche Bezüge auf das lukanische Doppelwerk? Dies ist eine heftig umstrittene Frage, wie man an den auseinandergehenden Meinungen hinsichtlich der Frage, ob die Paulusakten eine bewusste Fortsetzung der kanonischen Apostelgeschichte sind, erkennt.129 Zum Einstieg in das Problem schlage ich 126 S. Hebr 6,4–6; Hirt des Hermas; s. H. Karpp (ed.), Die Buße (TC 1, Zürich 1969); P. M. Gy, “Penance and Reconciliation”, in A. G. Martimort (ed.), The Church at Prayer, vol. 3 (Collegeville 1988) 101–16. Der Fall des Marcellus, eines Christen, der der magischen Kraft Simons verfällt und es dann bereut (Petrusakten 10), ist die Veranschaulichung eines tatsächlichen Problems der Zeit des Autors. Was macht man in der Kirche mit Christen, die sündigen und dann bereuen, insbesondere mit den lapsi, d. h. denjenigen, die sich nicht gegen Verfolgung wehren konnten? S. G. Poupon, “Remaniement” (s. Anm. 61). 127 S. zu den jüdischen Zuhörern Apg 2,14–41, zu den heidnischen Apg 17,16–34; s. Bovon, Luke the Theologian (s. Anm. 78) 305–328. 128 Johannesakten 64–69; s. auch 107 und 112. 129 S. R. Bauckham, “The Acts of Paul: Replacement of Acts or Sequel to Acts?”, Semeia 80 (1997) 159–68; R. Pervo, “Egging on the Chickens: A Cowardly Response to Dennis MacDonald and Then Some”, ibid., 43–56; W. Rordorf, “Paul’s Conversion in the Canonical Acts and in the Acts of Paul”, ibid., 137–44.

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eine Palette möglicher Verbindungen zwischen den zwei Textkorpora vor.130 Offensichtlich ist jedenfalls, dass die apokryphen Apostelakten auf der christlichen Botschaft aufbauen und dass ihren Autoren die christlichen Traditionen, insbesondere in Bezug auf Jesus, nicht unbekannt sind.131 Wenn in den apokryphen Apostelakten eine Aussage Jesu zitiert wird, geschieht das aber häufig so frei, dass eine einwandfreie Feststellung, aus welchem Evangelium zitiert wird, schwierig ist.132 Die Autoren könnten auch eine mündliche Lehre im Gedächtnis haben, wie der Autor der Thomasakten beim Zitieren des Vaterunsers am Anfang einer Rede oder der Autor der Johannesakten beim Zitieren des Satzes „Bittet, so wird euch gegeben“ (Lk 11,9).133 Diesem Zitat wird die Interpretation hinzugefügt, dass Christen um Wunder bitten dürfen. In einem Umfeld, wo der Wert von Wundern umstritten war, diente das Herrenwort als Legitimation thaumaturgischer Tätigkeit.134 Ebenso interessant ist die Feststellung, dass die meisten Zitate von Jesusworten aus der Quelle Q stammen. Vom lukanischen Doppelwerk wird jedenfalls eher das Evangelium als die Apostelgeschichte verwendet und innerhalb der synoptischen Tradition eher Q als Markus.135 130 Zu den Ideen von Zitation, Imitation, Anspielung und Absetzung s. Bovon, “The Synoptic Gospels and the Noncanonical Acts of the Apostles” (s. Anm. 60), und id., „Schön hat der heilige Geist durch den Propheten Jesaja zu euren Vätern gesprochen (Act 28,25)”, ZNW 75 (1984) 226–232, wieder abgedruckt in id., Studies in Early Christianity (WUNT 161, Tübingen 2003) 113–119. 131 S. Bovon, “Facing the Scriptures” (s. Anm. 59). 132 É. Massaux, Influence de l’Évangile de saint Matthieu sur la littérature chrétienne avant saint Irénée (Leuven 1950); H. Köster, Synoptische Überlieferung bei den Apostolischen Vätern (Berlin 1957). 133 Thomasakten 144; Johannesakten 22. 134 Es ist bekannt, dass Paulus und Johannes Wunderzeichen nicht ohne Zögern und kritische Beurteilung betrachten; s. 2 Kor 12 und Joh 2,23–25; 4,48; Fridrichsen, Problème du miracle dans le christianisme primitif (s. Anm. 39), und unlängst Riley, Resurrection Reconsidered (s. Anm. 101). 135 Neben den im Fließtext dieses Aufsatzes genannten Zitaten und Anspielungen auf das lukanische Doppelwerk seien hier einige andere genannt, die in den apokryphen Apostelakten zu finden sind: Thomasakten 79 (Anspielung auf Abschnitte des Lebens Jesu, insbesondere dem mit den Zwölfen; aber die Erwähnung des Lehrers Jesu bezieht sich auf eine apokryphe Erzählung, die neben anderen in der Kindheitserzählung des Thomas 6–7; 14; 15 erhalten ist); 107 (Thomas freut sich darüber, sein Leben als Verwirklichung der Seligpreisungen Jesu zu sehen); Paulusakten 3,5–6 (Abfolge von enkratitischen Seligpreisungen, einschließlich einiger aus den kanonischen Evangelien, die eher aus Mt 5,1–12 als aus Lk 6,20–22 zitiert werden); Johannesakten 81 (Anspielung auf die Bergpredigt Mt 5,38–47 bzw. die Feldrede Lk 6,27–35: Böses nicht mit Bösem vergelten); 95 (Anspielung auf Lk 7,32 // Mt 11,17: Flöte spielen und Klagelieder singen); Thomasakten 7 [griechischer Text] (Anspielung auf die Zwölf und auf die zweiundsiebzig Jünger in Lk 9,1–6 und 10,1); Petrusakten 40 (Zitat des Herrenworts „Lass die Toten ihre Toten begraben“ Lk 9,60 // Mt 11,17, hier als Verbot der Einbalsamierung aufgefasst); Thomasakten 53 (Zitat von Lk 11,9 // Mt 7,7 „Bittet, so wird euch gegeben“; im Fließtext dieses Aufsatzes beziehe ich mich auf ein Zitat

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Neben Zitaten müssen auch Anspielungen berücksichtigt werden (wobei ich mir der Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen diesen beiden Begriffen bewusst bin). Beispielsweise gibt es in den Philippusakten ausdrückliche Anspielungen auf die Verklärungserzählung136 und auf die Feldrede (die Ablehnung, Böses mit Bösem zu vergelten). Imitation ist eine weitere literarische Technik, die von Zitat und Anspielung zu unterscheiden ist. Es ist für mich offensichtlich, dass die Patroklusszene im Martyrium des Paulus auf der kanonischen Apostelgeschichte beruht. In dieser Szene sitzt der junge Mann nach dem Muster des Eutychus am Fenster. Während Paulus’ Predigt nickt er ein, fällt aus dem Fenster und stirbt. In beiden Texten kümmert sich Paulus um den jungen Mann und belebt ihn wieder.137 Der zweite Akt der Philippusakten war ursprünglich eine unabhängige Legende und steht auch für eine Neufassung von Paulus’ Aufenthalt in Athen und seiner Auseinandersetzung mit den Philosophen.138

desselben Verses in den Johannesakten 22); 28 (Zitat von Mt 6,34, „Darum sorgt nicht für morgen“, dann von Lk 12,24 kombiniert mit Mt 6,26, über das Sorgen; schließlich von Mt 6,30, Gott sorgt für dich); Petrusakten 35 (der apokryphe Petrus geht in sich; implizite Anspielung auf den verlorenen Sohn Lk 15,17 oder auf die Reue des Petrus Lk 22,62 und 24,12); 6 (es gibt etwas Schrecklicheres als den vom Herrn erwähnten Mühlstein, Lk 17,2, nämlich die ewige Verdammnis); Thomasakten 61 (in einem Gebet versichert Thomas, dass er und die anderen Jünger alles zurückgelassen haben – eine Anspielung auf Lk 18,28–30 // Mk 10,28–31 // Mt 19,27–30); 39 (Anspielung auf den Esel des Palmsonntags, Lk 19,28–40 // Mk 11,1–10 // Mt 21,1–9 // Joh 12,12–16); 69–70 (Lk 19,31 // Mk 11,3 // Mt 21,3: „Der Herr bedarf seiner“ im Kontext der Esel); 80 (Erinnerung an Jesu Versprechen des Sitzens zu seiner Rechten und zu seiner Linken im Gottesreich, Lk 22,30 // Mt 19,28). Zu den Bezügen auf das Lukasevangelium und die kanonische Apostelgeschichte in den Philippusakten s. meinen Aufsatz “Facing the Scriptures” (s. Anm. 59). In Hinsicht auf Bezugnahmen der apokryphen Apostelakten auf die kanonische Apostelgeschichte ist der Ertrag geringer: Petrusakten 23 (in einer Rede an Simon erinnert Petrus ihn an das, was ihnen einst in Palästina passiert ist; ist dies eine Anspielung auf Apg 8,9–25 oder auf den ersten verlorenen Teil der Petrusakten? In beiden Fällen gibt es zwei erhebliche Unterschiede zur kanonischen Apostelgeschichte: Die erste Begegnung fand in Jerusalem und nicht in Samaria statt, und Petrus wurde von Paulus und nicht von Johannes begleitet); Thomasakten 83 (alle Menschen sind vor Gott gleich; eine Anspielung auf Apg 10,34–35?); 84 (ein impliziter Bezug auf den Dekalog und aufgrund der drei Hauptsünden auf die moralische Version des Aposteldekrets in Apg 15,29?); Paulusakten 3,15–17 und 9,12–14 (Klage gegen Paulus ähnlich wie Apg 24–26). Im Fließtext dieses Aufsatzes werden der Zyklus in Ephesus (Paulusakten 9) und die Episode vom schlafenden Patroklus (Paulusakten 14,1) mit Apg 19 und 20,7–12 verglichen. 136 Philippusakten 5,22–23; während ihres Martyriums wird Mariamne verklärt, es gibt aber keine Bezugnahme auf die Verklärung Jesu, s. Philippusakten Martyrium 20. 137 Paulusakten 14,1; s. Apg 20,7–12; s. zu einer abweichenden Meinung W. Rordorf, „In welchem Verhältnis stehen die apokryphen Paulusakten zur kanonischen Apostelgeschichte und zu den Pastoralbriefen?”, in Lex orandi—Lex credendi (Paradosis 36, Fribourg 1993) 458–61. 138 S. Amsler, Acta Philippi (s. Anm. 9) 85–125.

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Eine andere Art von Intertextualität tritt in den Thomasakten auf. Der Autor scheint stolz zu zeigen, dass die Lehren des Neuen Testaments, Worte Jesu oder Thesen des Paulus in der Zeit der Kirche in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden kann auf den guten Diener Thomas bezogen werden, der mit einem Pfund zehn erwirtschaftet hat (Lk 19,16; Thomasakten 146). In einem anderen Fall wird die These des Paulus, dass ein Heuchler, der zum Tisch des Herrn kommt, bestraft werden wird (1 Kor 11,29–34), durch den Fall des jungen Mörders in den Thomasakten Kapitel 51 erfüllt. Neben Zitation, Anspielung und Imitation gibt es noch eine weitere Möglichkeit. Einige Fälle von Ähnlichkeiten zwischen der kanonischen Apostelgeschichte und den apokryphen Apostelakten sollten nicht durch literarische Abhängigkeit erklärt werden, sondern durch die gemeinsame Abhängigkeit von einer mündlichen Tradition. Die eindrucksvollsten und gleichzeitig schwierigsten Fälle sind die Zyklen der Episoden in Ephesus, wie wir sie in der kanonischen Apostelgeschichte (Apg 19–20), den paulinischen Briefen (1 Kor 15,32) und den Paulusakten (9,1–28) finden.139 Gemeinsam sind ihnen der Bezug auf das jüdische Pfingstfest, das Treffen mit den wilden Tieren, die Silberschmiede, das Theater, das Gefängnis und die Befreiung aus dem Gefängnis. Aber die ganze Struktur der Erzählungen ist so unterschiedlich, dass der Gebrauch der kanonischen Apostelgeschichte durch den Autor der Paulusakten außer Frage zu stehen scheint. Die letzte Möglichkeit fällt mit dem zusammen, was Gérard Genette als „Hypertext“ bezeichnet, und besteht darin, dass der Autor eines apokryphen Texts eine Fortsetzung der kanonischen Apostelgeschichte bieten möchte.140 Ein solcher Fall ist schwer zu beweisen. Für die früheren apokryphen Apostelakten würde ich es vorziehen, entweder von einem Wettbewerb mit der kanonischen Apostelgeschichte oder der Unkenntnis derselben zu sprechen. Die Petrusakten und die Paulusakten beachten die kanonische Apostelgeschichte entweder gar nicht oder bieten eine von ihr abweichende Erzählung. Die späteren apokryphen Apostelakten können allerdings die Existenz des kanonischen Buchs nicht von der Hand weisen und ziehen es vor, den wissbegierigen Lesern eine Ergänzung dazu anzubieten. Der dritte Akt der Philippusakten kann als Ergänzung zur Geschichte von Philippus und

139 S. C. K. Barrett, A Commentary on the First Epistle to the Corinthians (New York 1968) 365–66; H. Köster, “Ephesos in Early Christian Literature”, in id. (ed.), Ephesos: Metropolis of Asia (HThS 41, Valley Forge 1995) 119–40. 140 S. G. Genette, Palimpsestes (Paris 1982) 11–14; id., Seuils (Paris 1987).

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den Samaritern in Apg 8 angesehen werden.141 Während der kanonische Text Philippus als Evangeliumsverkünder beschreibt, der die Volksmenge in Samaria bekehrt und dann die Gabe des Heiligen Geistes von den Aposteln Petrus und Johannes empfängt, führen die Philippusakten zwar dieselben Apostel, Petrus und Johannes, ein, aber diesmal ist deren Absicht, Philippus das zu geben, was ihm noch fehlt, um ein wahrer und vollgültiger Apostel zu werden. Die Autoren der apokryphen Apostelakten können viele verschiedene Wege des Umgangs mit den von ihnen aufgenommenen frühchristlichen Traditionen wählen. Häufig verwenden sie den theologischen Begriff der Erfüllung: Sie sind der Ansicht, dass Jesu Versprechen ihre Umsetzung in der Zeit der Kirche gefunden haben und dass die Apostel Jesu Befehle erfolgreich ausgeführt haben. Es wird daher deutlich, dass die apokryphen Apostelakten es vorziehen, eher zu den kanonischen Evangelien als zur kanonischen Apostelgeschichte Bezüge herzustellen und eher zu Jesu Lehre als zu Jesu Taten. Die Autoren der apokryphen Apostelakten scheinen allerdings keinerlei Notwendigkeit zu wortgetreuen Zitaten zu sehen, da ihnen der Inhalt wichtiger ist als die Form.

Schluss Die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten können miteinander verglichen werden, da sie einige wesentliche Elemente des Christentums gemeinsam haben. In der Vergangenheit wurden solche Vergleiche aus apologetischen oder polemischen Gründen angestellt. Apologetisch wurden Vergleiche zum Beweis gebraucht, dass die kanonische Apostelgeschichte wortgewandte und rechtgläubige christliche Lehre sei, während die apokryphen Apostelakten legendäre und häretische Unterhaltungsliteratur seien.142 Polemisch wurden Vergleiche zum Beweis gebraucht, dass die kanonische Apostelgeschichte in historischer und theologischer Hinsicht nicht „besser“ sei als die apokryphen Apostelakten. Heute sollten wir versuchen, solche Fallen zu vermeiden, und auf der Ebene der Geschichte der Literatur und des religiösen Denkens zu bleiben. 141 S. die neue Edition der Handschrift vom Berg Athos Xenophontos 32 von Bovon et al., Acta Philippi (s. Anm. 9) 76–113, und die Erläuterungen von Amsler, Acta Philippi (s. Anm. 9) 129–38; Ch. Matthews, “Peter and Philip Upside Down: Perspectives on the Relation of the Acts of Philip to the Acts of Peter”, in Society of Biblical Literature: 1996 seminar papers (SBL.SPS 35, Atlanta 1996) 23–34. 142 Gegensätzlich zu dieser Aussage s. Pervo, Profit with Delight (s. Anm. 6); s. o. Anm. 6.

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Wenn wir diesem Weg folgen, können wir – mit Gewinn und Genuss – die Methoden von Formgeschichte, Kompositionskritik und Theologiegeschichte anwenden. Die Formgeschichte hilft uns, kleinste literarische Einheiten zu finden, abzugrenzen und zu verstehen. Die Kompositionskritik hilft uns, größere Zyklen und die Schriften als Ganzes wahrzunehmen und zu analysieren. Die Geschichte des christlichen Denkens hilft uns, die religiösen Standpunkte der Schriften herauszuarbeiten und die sozialen und kirchlichen Probleme zu entdecken, denen die Autoren und ihre Gemeinden gegenüberstanden. Dennoch wurde vor kurzem die Legitimität solcher Vergleiche in Frage gestellt.143 Ich verteidige demgegenüber das Recht, ja die Notwendigkeit von Vergleichen zum Verstehen von Texten. Vergleiche zielen darauf, den historischen Rahmen des antiken Christentums oder der Christentümer zu erkennen, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zu deuten. Dieser Rahmen bleibt verborgen, solange Texte nicht gelesen und verglichen werden. Natürlich erscheinen – wie in der Kybernetik – Irrtum und Wahrheit, Wissen und Unwissenheit nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern wirken dialektisch aufeinander. Wir könnten die Hypothese aufstellen, dass das lukanische Doppelwerk am Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. an der Schnittstelle von jüdischer Geschichtsschreibung unter dem Einfluss der Septuaginta und weltlicher griechischer Geschichtsschreibung geschrieben wurde; dass die Andreasakten im zweiten Jahrhundert n. Chr. abgefasst wurden in einer Atmosphäre von philosophischem Dialog und geistiger Metaphysik; dass die Thomasakten, die die Erlösung der Seele vom Körper verkünden, in die historische Situation des Christentums im Syrien des dritten Jahrhunderts passen. Der Vergleich zwischen der kanonischen Apostelgeschichte und den apokryphen Apostelakten wird uns aufgezwungen durch den gemeinsamen Titel pravxei~ („Taten“, „Akte“) und durch die mehr kulturell bedingten Kategorien kanonischer und apokrypher Texte. Gelehrte können Vergleiche nicht umgehen. Sicherlich besteht die am Anfang dieses Aufsatzes erwähnte Gefahr,144 dass die Unterschiede zwischen den apokryphen Apostelakten durch die einfache Gegenüberstellung kanonischer und apokrypher Texte heruntergespielt werden. In diesem Aufsatz habe ich mich stets bemüht, eine solche Vermengung zu vermeiden. Aufmerksame Leser sehen starke Divergenzen in der Christologie (Doketismus taucht in 143 S. insbesondere J. Z. Smith, Drudgery Divine (Chicago Studies in the History of Judaism, Chicago 1990); zur Verteidigung von Vergleichen s. K. C. Patton, “Juggling Torches: Why We Still Need Comparative Religion”, in K. C. Patton/B. C. Ray (eds.), A Magic Still Dwells (Berkeley 2000) 153–71. 144 S. o. S. 349–351.

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gewissen Abschnitten der Johannesakten auf, Inkarnation wird in den Philippusakten betont) oder im Bereich der Askese (Hochzeit wird vollständig verboten zugunsten von Enkratismus und Reinheit in Teilen der Thomasakten; Hochzeit kann in Verbindung mit strenger Moral akzeptiert werden in anderen apokryphen Apostelakten). Diese Unterschiede hindern Autoren mit so unterschiedlichen Weltsichten nicht daran, dieselbe literarische Gattung in Anspruch zu nehmen. Unterschiedliche Schriftsteller und unterschiedliche Gemeinden teilten ähnliche Bedürfnisse. Eine solch große Bandbreite an Interpretationen hilft uns also, die ersten Jahrhunderte des Christentums besser zu verstehen; sie führt uns aber auch dahin, die Unterschiede sowohl zwischen den verschiedenen Texten als auch den frühchristlichen Gemeinden zu beachten. In einem gemeinsamen allgemeinen Rahmen haben sowohl die kanonische Apostelgeschichte als auch die apokryphen Apostelakten ihre Eigentümlichkeiten: Die kanonische Apostelgeschichte vermittelt die Botschaft der Auferstehung des gekreuzigten Jesus und die Geschichte der ersten Boten des Evangeliums und stellt eine Bestätigung des Lukasevangeliums dar.145 Die Petrusakten entwickeln eine Propaganda des christlichen Glaubens durch Wunder und scheinen ihren Ort in der römischen Kirche am Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. zu haben. Die etwa zur selben Zeit geschriebenen Paulusakten waren in der missionarischen paulinischen Schule tief verwurzelt, auch wenn sie der Mehrheit der Christen rasch verdächtig erschienen. Sie treten für eine subversive Haltung gegenüber politischen Machthabern ein und verteidigen das geistliche Amt für die Frau.146 Die Johannesakten verlangen die Verehrung des Jüngers, den Jesus liebhatte, und die Philippusakten rühmen den Missionar von Bethsaida, seine Schwester Mariamne und seinen Begleiter Bartholomäus.147 Anhand dieser literarischen Merkmale können wir versuchen, die historische Situation zu rekonstruieren, das Umfeld ihrer Autoren und den soziologischen Ort ihrer Gemeinschaften und ersten Leser. Dies kann hier nicht im großen Maßstab geschehen. Ohne Zögern kann man aber feststellen, dass hinter diesen unterschiedlichen Texten eine Vielfalt religiöser Erfahrungen steht. Es gibt einen gemeinsamen Strom des antiken Christentums, aber auch eine große Anzahl von Feldern, die von diesem großen Strom bewässert 145 S. W. C. van Unnik, “The ‘Book of Acts’—The Confirmation of the Gospel”, NT 4 (1960) 26–59; nachgedruckt in id., Sparsa Collecta, vol. 1 (Leiden 1973) 340–73. 146 S. A. G. Brock, “Political Authority and Cultural Accommodation: Social Diversity in the Acts of Paul and the Acts of Peter”, in Bovon, The Apocryphal Acts of the Apostles (s. Anm. 15) 145–70. 147 Es dürfte interessant sein, die Prosopographie der kanonischen Apostelgeschichte und der apokryphen Apostelakten zu erforschen.

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werden. Die Andreasakten und die Petrusakten erzählen beide die Geschichte vom Leben und Tod eines Apostels. Dennoch unterscheiden sich die Texte sowohl in ihrer Funktion als auch in ihrem historischen Umfeld. Durch den Vergleich dieser Unterschiede zwischen ähnlichen Schriften sieht man Leben vor einem erstehen, das Leben von Christen in Syrien, Rom oder Ägypten. Aus all diesen Erzählungen über die Apostel wurde von den Gemeinden der Hauptströmung des Christentums ein Doppelwerk gewählt: das Lukasevangelium mit der Apostelgeschichte. Die Kanonisierung der Apostelgeschichte bleibt ein unklares Phänomen für die moderne Wissenschaft. Kirchenhistoriker können aber mit einiger Gewissheit sagen, dass diese Auswahl nicht geschah, um einen historischen Beweis für die Ursprünge des Christentums zu erlangen. Der Kanon repräsentiert vielmehr die Tradition einiger Kirchen und die Sammlung der Bücher, die für den Gottesdienst der vorherrschenden Gemeinden verwendet wurde. Derartige liturgische Lesungen wurden eher aus doktrinären denn aus historischen Gründen für rechtmäßig erklärt. Nichtsdestotrotz gab es auch den Wunsch, die Erinnerung an die Ursprünge zu wahren. Moderne Gelehrte teilen diese antike Sicht und fügen nur einen neuen Schwerpunkt hinzu: die Erfordernis, sowohl die kanonischen als auch die außerkanonischen Texte zu lesen, um einen umfassenderen Zugang zu den Anfängen der Kirche zu erlangen.

Luke-Acts and the Investigation of Apostolic Tradition: From a Life of Jesus to a History of Christianity CHRISTOPHER MOUNT The Acts of the Apostles so-called is distinctive in an important way in early Christian literature. The author of this account of events surrounding Peter and Paul introduces the narrative as the second volume in relation to what Jesus did and taught (Acts 1:1). No other narrative labeled “Acts” in early Christianity takes its starting point in the life of Jesus. And no other narrative that came to be labeled “Gospel” has a second volume. The “Gospel of Luke” and the “Acts of the Apostles” as separately titled works are artifacts of a reception history that separated and recombined these two works in the New Testament canon.1 This reception history obscures the singular literary accomplishment of the authorial persona of Luke 1:1-4 and Acts 1:1-2: the transformation of stories about Jesus and the apostles into a history of Christianity. As part of the New Testament, the Acts of the Apostles connects Jesus and the Twelve of the four Gospels with the Paul of a collection of letters. This canonical framework for reading the Acts of the Apostles represents a particular construction of orthodoxy – that is, the Acts of the Apostles serves an intra-Christian apologetic for the canon as a deposit of apostolic truth. Irenaeus was the first to make use of the Acts of the Apostles for this purpose and constructed his canon of four gospels and collection of Pauline letters around the Acts of the Apostles.2 Against the false teachings of heretics, Irenaeus claimed that all 1

2

The designation of a written text as a gospel is not attested before Justin and Marcion. See Helmut Koester, Ancient Christian Gospels: Their History and Development (London/Philadelphia 1990) 36. The title “Acts of the Apostles” is not attested before Irenaeus. See Adv. haer. 3.13.3. Elsewhere, Irenaeus describes the content of Acts as de actibus et doctrina apostolorum (peri; tw`n te pravxewn kai; th`~ didach`~ tw`n ajpostovlwn, Adv. haer. 3.15.1). For a critical edition of the text of Irenaeus’s Adversus haereses, see Adelin Rousseau/Louis Doutreleau, Irénée de Lyon. Contre les hérésies. Livre III (Sources Chrétiennes, 2 vols., Paris 1974). I have developed this point in more detail in Pauline Christianity: Luke-Acts and the Legacy of Paul (NovTSup 104, Leiden 2002) 11-58. On Irenaeus’s use of the Acts of the Apostles, see also Andrew Gregory, “The Reception of Luke and Acts and the Unity of Luke-Acts”, JSNT 29 (2007) 459-72; Rolf Noormann, Irenäus als Paulusinterpret: Zur

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the apostles preached the same Gospel – a claim that was both theological and historical. We have learned from none others the plan of our salvation, than from those through whom the Gospel has come down to us, which they did at one time proclaim in public, and, at a later period, by the will of God, handed down to us in the Scriptures, to be the ground and pillar of our faith … For after our Lord rose from the dead, they were invested with power from on high when the Holy Spirit came down, were filled from all, and had perfect knowledge: they departed to the ends of the earth, preaching the glad tidings of the good things from God to us, and proclaiming the peace of heaven to men, who indeed do all equally and individually possess the Gospel of God. (Adv. haer. 3.1; ANF 1:414)

The allusion to the narrative of the Gospel of Luke (2:14) and the Acts of the Apostles (1:8) is made explicit in Adv. haer. 3.12-13.3 Irenaeus goes on to portray this united apostolic tradition as the basis for the four gospels: Matthew also issued a written Gospel among the Hebrews in their own dialect, while Peter and Paul were preaching at Rome, and laying the foundations of the Church. After their departure, Mark, the disciple and interpreter of Peter, did also hand down to us in writing what had been preached by Peter. Luke also, the companion of Paul, recorded in a book the Gospel preached by him. Afterwards, John, the disciple of the Lord, who also had leaned upon his breast, did himself publish a Gospel during his residence at Ephesus in Asia. (Adv. haer. 3.1; ANF 1:414)4

This united apostolic tradition speaks against all heretics, including Marcion who set Paul in opposition to the rest of the apostles and constructed a canon of one gospel and a collection of Pauline letters. According to Irenaeus, These have all declared to us that there is one God, Creator of heaven and earth, announced by the law and the prophets; and one Christ, the Son of God. If any one does not agree to these truths, he despises the companions of the Lord; nay more, he despises Christ himself the Lord; yea, he despises the Father also, and stands self-condemned, resisting and opposing his own salvation, as is the case with all heretics. (Adv. haer. 3.1; ANF 1:414-15)5

3 4 5

Rezeption und Wirkung der paulinischen und deuteropaulinischen Briefe im Werk des Irenäus von Lyon (WUNT 2/66, Tübingen 1994) 47-52. “[L]et us proceed also to the remaining apostles ...” (Adv. haer. 3.11.9; ANF 1:429). See also Adv. haer. 3.13. Eusebius Hist. eccl. 5.8.2-4 preserves a Greek fragment of this text. See also Adv. haer. 3.14.4. The narrative of the Acts of the Apostles is important for Irenaeus’s imagined history of heresy. In Adv. haer. 1.23 Irenaeus uses the information in Acts 8 to connect the Simon of Acts with a report of a certain Simon at Rome.

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This canonical framework for reading the Acts of the Apostles in the context of intra-Christian conflicts continues to shape scholarly reconstructions of the literary and theological achievement of this author. For example, in his recent monograph, Joseph Tyson follows the path marked out by Irenaeus: It is no exaggeration to say that the author of Acts and canonical Luke participated in a defining struggle – a struggle over the very meaning of Christian faith. At the heart of this definition is the relation of the new faith to the old. For Luke-Acts the God of Israel is also the God of Christian believers, the Scriptures of the Jews presage the coming of Jesus, who is the fulfillment of Jewish expectation, and the followers of Jesus preached nothing that would challenge Moses or the prophets. The canonical author’s achievement may best be assessed by characterizing his primary target as Marcion and Marcionite Christianity…6

To be sure, the literary accomplishment of the author of Luke-Acts made possible the apostolic history imagined by Irenaeus to support his canon. The author of Luke-Acts, however, had in view a horizon wider than Christian disputes about apostolic tradition. The horizon of his narrative encompassed the Roman world. The “I” of Luke 1:1-4 and Acts 1:1-2 made possible Irenaeus’s “Acts of the Apostles” because the author transformed apostolic tradition into a history of the apostles in the Roman Empire. The prefaces to Luke-Acts impose a unity on the complex compositional history of these two volumes.7 Luke 1:1-4 and Acts 1:1-2 define a new discipline of Christian historiography in relation to previous narratives (Luke 1:1) of “words and deeds of Jesus” (peri; pavntwn w|n h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein, Acts 1:1 – stories about Jesus that when collected together would come to be called Gospels, including the narrative now labeled the Gospel of Mark). The author no longer defines “events fulfilled among us” (peri; tw`n peplhroforhmevnwn ejn hJmi`n pragmavtwn, Luke 1:1) simply in relation to what Jesus did and taught. The witnesses of the word (Luke 1:2) are those who testify at the begin-

6 7

Compare Justin, 1 Apol. 1.26, though Justin’s report does not indicate any knowledge of the narrative of Acts. Irenaeus claims that Simon was the father of all heresies (see the preface to book three of Adversus haereses). Joseph B. Tyson, Marcion and Luke-Acts: A Defining Struggle (Columbia 2006) 121. Different versions of Luke and Acts circulated in the second century. Marcion attests the existence of a shorter version of Luke. The so-called “Western” text of Acts attests a longer version of this text. Whether the unity imposed by the prefaces to Luke-Acts on the complex compositional history of and sources used for these two volumes is more than a formal claim by the author of the prefaces need not be resolved for the purposes of this essay. On the question of the unity of Luke-Acts, see Mikeal C. Parsons/Richard I. Pervo, Rethinking the Unity of Luke-Acts (Minneapolis 1993).

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ning of Acts (1:2-8; see 1:21-26) and at the end of Acts (khruvsswn th;n basileivan tou` qeou` kai; didavskwn ta; peri; tou` kurivou ∆Ihsou` Cristou` meta; pavsh~ parrhsiva~ ajkwluvtw~, 28:31). The stories associated with Jesus and the apostles have been reconceptualized as a past to be investigated carefully (ajkribw`~) in order to have certain knowledge about the history of Christianity (Luke 1:3-4; compare Acts 26:26-29). The author of Luke-Acts adopted the persona of a historian (“it seemed good to me also, having investigated … to write to you”, Luke 1:3) and framed the life of Jesus (Acts 1:1) as part of a history of events leading from John the Baptist to Paul the Christian and Roman citizen.8 In so doing, the author invented a theoretical framework for writing Christian history in the Roman Empire.

1. Stories about Jesus The earliest Christian lives of Jesus were anonymous texts that later came to be associated with a particular apostle. The Gospels of Mark and Matthew were written anonymously, as were the first twenty chapters of the Gospel of John, the hypothetical Q document, and early versions of the Gospel of Thomas. Nowhere in any of these anonymous texts does the author identify himself or herself nor establish an explicit connection to a specific apostle. The narratives simply consist of short episodes of what Jesus said and did. Mark 1:1 introduces the subject of the narrative as the “gospel of Jesus the Messiah”.9 Chapter 21 of the Gospel of John marks a transitional stage in the reception of these stories about Jesus, in which the author of chapters 1–20 is identified with a member of the inner circle of Jesus (“This is the disciple who testifies concerning these things and has written them down, and we know that his testimony is true”, 21:24). In the text of the Gospel of John this supposed author is the beloved disciple, who in later church tradition was identified as the apostle John. The first line of the Gospel of Thomas serves a similar function (“These are the secret sayings which the living Jesus spoke and which Didymus Judas Thomas wrote down”), as do 8

9

In attempting to identify the gospels as examples of Greco-Roman biography, Richard Burridge suggests that such biographies start with the subject’s name at the beginning of the narrative or immediately after the prologue (What Are the Gospels? [SNTSMS 70, Cambridge 1992] 162). In Luke-Acts, however, Jesus’ name is not mentioned until Heord, Zechariah, Elizabeth, John, and Mary have been introduced. See Koester’s comments on eujaggevlion in Mark 1:1 as a message, not a title (Ancient Christian Gospels, 13 n. 4), in contrast to Detlev Dormeyer, “Die Kompositionsmetapher ‘Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes’ Mk 1,1. Ihre theologische und literarische Aufgabe in der Jesus-Biographie des Markus”, NTS 33 (1987) 452-68.

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the titles of Matthew and Mark (these authorship ascriptions to the apostle Matthew and to Mark the companion of Peter are first attested in the writings of Papias). It seems fairly likely that anonymous texts about Jesus appeared earlier, then later authorship traditions were created to connect these texts to specific apostles.10 Two second-century authors reflect this transition from anonymous stories about Jesus to apostolic tradition: the author of Luke-Acts and Papias, the author of The Sayings of the Lord Explained. Neither of these authors wrote anonymously and both authors created a distance between himself and the apostles, a distance bridged by an explicit appeal to apostolic tradition. According to Eusebius, Papias wrote five volumes entitled The Sayings of the Lord Explained (Hist. eccl. 3.39). From Eusebius’s comments, it appears that Papias began this collection of sayings with a preface in which he identified himself as a collector of apostolic traditions. I shall not hesitate to furnish you, along with the interpretations, with all that in days gone by I carefully learnt from the presbyters and have carefully recalled, for I can guarantee its truth. Unlike most people, I felt at home not with those who had a great deal to say, but with those who taught the truth; not with those who appeal to commandments from other sources but with those who appeal to the commandments given by the Lord to faith and coming to us from truth itself. And whenever anyone came who had been a follower of the presbyters, I inquired into the words of the presbyters, what Andrew or Peter had said, or Philip or Thomas or James or John or Matthew, or any other disciple of the Lord, and what Aristion and the presbyter John, disciples of the Lord, where still saying. For I did not imagine that things out of books would help me as much as the utterances of a living and abiding voice. (Hist. eccl. 3.39)11

Papias does not write anonymously and does not identify himself as an apostle. Papias’s connection to the apostles is through a chain of tradition, which he claims to have carefully gathered. The object of his inquiry is apostolic tradition conceived of as a living voice preserving what Jesus said and did. This “I” collecting apostolic tradition belongs to the second century. The traditions collected by Papias were not restricted to stories about the life of Jesus but also included information about the lives of 10

11

For a defense of the early existence of the titles and authorship ascriptions, see Martin Hengel, “The Titles of the Gospels and the Gospel of Mark”, in Studies in the Gospel of Mark, translated by John Bowden (Philidelphia 1985) 64-84; German: Die Evangelienüberschriften (Heidelberg 1984). Eusebius, The History of the Church from Christ to Constantine, translated by G. A. Williamson; revised and edited by Andrew Louth (London 1989) 102.

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the apostles, as the stories associated with Philip’s daughters and Justus suggest. Now we must go on, from the remarks of Papias already quoted, to other passages in which he tells us of certain miraculous events and other matters, on the basis, it would seem, of direct information. It has already been mentioned that Philip the Apostle resided at Hierapolis with his daughters: it must now be pointed out that their contemporary Papias tells how he heard a wonderful story from the lips of Philip’s daughters. He describes the resurrection of a dead person in his own lifetime, and a further miracle that happened to Justus, surnamed Barsabas, who swallowed a dangerous poison and by the grace of the Lord was none the worse. After the Saviour’s ascension, this Justus was put forward with Matthias by the holy apostles, who prayed over them before drawing lots for someone to fill up their number in place of the traitor Judas. (Hist. eccl. 3.39)12

Eusebius also quotes what Papias has to say about the collections of Jesus’ words and deeds associated with Mark and Matthew (Hist. eccl. 3.39). The comments of Papias on these texts suggest how he understood written texts in relation to the living and abiding voice. Unsourced sayings and actions attributed to Jesus became apostolic tradition, and particular texts became a deposit for the voice of specific apostles. In contrast to the texts Papias ascribed to Mark (who preserved the preaching of Peter) and Matthew the apostle, he presented his own work as a more thorough representation of the living and abiding voice because he relied on all the apostles (compare the contrast between the “many” in Luke 1:1 and the “I” in Luke 1:3-4 in relation to apostolic tradition, Luke 1:2). For Papias apostolic tradition has become a catch-all category for authorizing sayings of Jesus. Papias assumed the rhetorical stance of the value of the living word to legitimate his own collection of sayings from all the apostles over against other written collections (texts he associated with particular apostles). As an investigator into apostolic tradition, the literary persona he adopted was one separated from but still hearing the voice of the apostles. Because the model for this living voice was the disciple-teacher relationship, Papias did not conceive of his collection of sayings from Jesus and stories about Jesus’ early followers as a history of Christianity. The author of Luke-Acts also spoke in the first person as one writing at a distance from the apostles. They (the apostles – that is, the eyewitnesses of the word, Luke 1:2; see Acts 1:21-22) handed on to us (parevdosan hJmi`n). In contrast to the many who have written narratives 12

Eusebius, The History of the Church from Christ to Constantine, 102

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(among whom is the author of the text Papias identifies with Mark, a source heavily edited by the author of Luke-Acts), the author spoke in his own voice (“I”) as an investigator into apostolic traditions (“those who were from the beginning eyewitnesses and servants of the word”, Luke 1:2).13 However, the author appealed not to the student-teacher relationship of the transmission of a living and abiding voice in discipleship circles, but to the rhetoric of writing history. To be sure, much less than is often thought is at stake in the debate about whether LukeActs is Greco-Roman history as if genre defines essentialized categories of literary production – either in the past or in the present. To say that the author used the rhetoric of historiography in the Roman Empire is simply to say that the author adopted the persona of a Greco-Roman historian as a frame for the narrative of Luke-Acts, however unlike other Greco-Roman histories this narrative otherwise looks and however fictional the account actually is.14 The rhetorical conceit of the historian was to have investigated events and to be writing an accurate account determined to be reliable because of careful inquiry and orderly reporting of eyewitness testimony.15 Unlike the authorial persona adopted by Papias in his introduction to his five-volume work on the sayings of Jesus, the authorial persona of Luke 1:1-4 and Acts 1:1-2 is no longer that of a recorder of apostolic tradition conceived of as a living voice but an investigator of apostolic tradition conceived of as past events. What Jesus said and did has been transformed into a narrative of events that anchor the transmission of apostolic tradition from past to present in the Roman Empire. This creation of Christian history already in the early second-century established the historiographical framework for what would become Eusebius’s account of the history of the church – apostolic tradition preserved against heresy in an institutional structure of the church defined by succession and martyrdom. As Paul says in his farewell speech to the Ephesian elders: Keep watch over yourselves and over all the flock, of which the Holy Spirit has made you overseers, to shepherd the church of God that he obtained 13

14 15

The author of Luke-Acts was probably a contemporary of Papias and may also have known the tradition about Mark reported by Papias. The portrayal of John Mark as unreliable in Acts 15:36-40 may be an implicit criticism of the text attributed to him. For the portrayal of John Mark in Acts, see C. Clifton Black, Mark: Images of an Apostolic Interpreter (Studies on personalities of the New Testament, Columbia 1994) 2544. On the rhetoric of ancient historiography, see Clare K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History: An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT 2/175, Tübingen 2004). For ajkribw`~ (Luke 1:3) compare to; d∆ ajkribe;~ th`~ iJstoriva~ (Joesphus, Jewish War 1.2). See also Thucydides, The Peloponnesian War 1.22.

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with the blood of his own Son. I know that after I have gone, savage wolves will come in among you, not sparing the flock. Some even from your own group will come distorting the truth in order to entice the disciples to follow them (Acts 20:28-30, NRSV).16

In anticipation of his own death and the persecutions to be faced by Christians in the Roman Empire, the Paul of Acts precedes these words by solemnly declaring, “And now I know that none of you, among whom I have gone about proclaiming the kingdom, will ever see my face again” (v. 25, NRSV). Yet, the Paul of Acts remains optimistic about the Roman Empire and appeals to the judgment of the emperor in Acts 25. Whereas Papias imagined apostolic tradition as a living voice, the author of Luke-Acts imagined it as a voice from the past embedded in the political history of the Roman Empire. What the Gospel of Mark introduced as the “gospel of Jesus the Messiah” (Mark 1:1) and Papias presented as the “sayings of the Lord” passed down by apostles, the author of Luke-Acts framed as history. Of particular note for the author’s construction of Christian history is the juxtaposition of peri; tw`n peplhroforhmevnwn ejn hJmi`n pragmavtwn (“events”, Luke 1:1) with peri; w|n kathchvqh~ lovgwn (“stories about which you have been informed” or “stories that you have been taught”, Luke 1:4). The latter includes peri; pavntwn w|n h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein of Acts 1:1.17 The proper subject of Christian history is the lovgo~ (Luke 1:2) as the fulfillment of God’s purposes (peplhroforhmevnwn, Luke 1:1; see Luke 24:44-49; Acts 17:26-31).18 The point is not that a reader outside a Christian community would recognize or accept Luke-Acts as history or the author as a historian. Instead, the author is inventing a new historiographical discourse for Christians as part of the cultural world of the Roman Empire. This historiographical discourse anticipated the outlines of Eusebius’s history of the church and the explicit emergence of Christian historiography in the Roman Empire in the fourth century. 16

17 18

This transfer of apostolic tradition completes the chain from Jesus to the church begun in Jesus’ farewell in Luke 22:14-38. Jesus singles out Peter to strengthen the followers after his departure (vv. 31-34), which Peter accomplishes in Acts 1–2. Acts 15 establishes a transfer of authority from Peter to Paul (Paul carries the decree of the Jerusalem council with him), and Paul’s farewell passes the care of the church to the elders. For pravgmata compare Josephus, Jewish War 1.1. The author’s intention to transform the deeds and words of Jesus into a historical narrative is further signaled by the delay of an explicit mention of Jesus until Luke 1:26. See note 8 above. On the institutional aspect of this history, see Hubert Cancik, “The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations Concerning Luke’s History”, JBL 116 (1997) 673-95; Mark Reasoner, “The Theme of Acts: Institutional History or Divine Necessity in History?”, JBL 118 (1999) 635-59. See comments above on how the narrative of Luke-Acts anticipates Eusebius’s History of the Church.

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2. Apostolic Tradition and Roman History The immediate problem for the “I” of Luke 1:1-4 and Acts 1:1-2 in adopting the rhetoric of a historian is that the apostolic tradition available to the author had no connection to events in the Roman world.19 To be sure, Jesus had been crucified by Pilate, but the connection between a Jew crucified in Palestine and Christians in the Roman Empire would have seemed to suggest that Christianity was little more than a superstition. Tacitus stated the problem baldly for Christians in the Roman Empire at the beginning of the second century: Consequently, to get rid of the report, Nero fastened the guilt and inflicted the most exquisite tortures on a class hated for their abominations, called Christians by the populace. Christus, from whom the name had its origin, suffered the extreme penalty during the reign of Tiberius at the hands of one of our procurators, Pontius Pilatus, and a most mischievous superstition, thus checked for the moment, again broke out not only in Judaea, the first source of the evil, but even in Rome, where all things hideous and shameful from every part of the world find their centre and become popular.20

From the perspective of elite Roman culture, Christianity did not belong to the history of the Roman Empire. For Tacitus narrating the events of the Julio-Claudian dynasty, the spread of the worship of this crucified Jew was simply a superstition from the East infecting Rome. For the author of Luke-Acts, who probably wrote within a decade or so of Tacitus’s comment on Christians, apostolic tradition needed to be written into the Roman world. The author of Luke-Acts constructed the figure of Paul to accomplish this revisionist account of the lives of Jesus and the apostles. The author uses the character of Paul to interpret the history of culture and politics leading to the present moment of the Roman Empire

19

20

Josephus, writing a few decades before the author of Luke-Acts and also trying to connect events in Palestine to the Roman Empire, began the Jewish War with a rhetorical tour de force: ∆Epeidh; to;n ∆Ioudaivwn pro;~ ÔRwmaivou~ povlemon sustavnta mevgiston ouj movnon tw`n kaq∆ hJma`~, scedo;n de; kai; w|n ajkoh`/ pareilhvfamen h] povlewn pro;~ povlei~ h] ejqnw`n e[qnesi surragevntwn. “The war of the Jews against the Romans – the greatest not only of the wars of our own time, but, so far as accounts have reached us, well nigh of all that ever broke out between cities or nations – has not lacked its historians.” Josephus, The Jewish War, translated by H. St. J. Thackeray (LCL, Cambridge/ London 1927). See 1.13. Tacitus, Annals 15.44; Complete Works of Tacitus, translated by Alfred John Church/ William Jackson Brodribb and edited by Moses Hadas (New York 1942) 380-81.

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as a history of Christianity.21 According to Paul in his speech at Athens in Acts 17, the times and boundaries of all nations are appointed by God (oJrivsa~ prostetagmevnou~ kairou;~ kai; ta;~ oJroqesiva~ th`~ katoikiva~ aujtw`n, Acts 17:26). The Paul of Acts identifies this divinely established political order with God’s purposes for culture, so that culture becomes an expression of God’s intention that all seek and find him (zhtei`n to;n qevon, Acts 17:27). This connection between civilization and God’s purposes is a conservative construction of the political order, since by it the Paul of Acts suggests that the present political order is particularly suited to the revelation of the unknown god (17:23) whose presence has been announced by Greek poets (17:28, just as Jewish prophets have also announced the present moment; see for example Luke 24:44-47). By equating the present political order with God’s purposes, the Paul of Acts legitimates the authority of Rome.22 Thus, in Acts 25 Paul can appeal to the Roman emperor as the judge of matters relevant to being a Christian. Paul’s appeal to the emperor in Acts 25 moves Christianity from the margins of the Roman Empire to the center. A good emperor representing the ideals of the empire should not see Christians as a threat to imperial order. The author of Luke-Acts anticipated Eusebius’s judgment on the emperors. As a result, the preaching of Paul who for the author represents the passing on of apostolic tradition from past to present (Luke 1:2, Acts 20:28-30) becomes part of the political history of the early Roman Empire. When Paul says to Agrippa that these things have not been done in a corner (Acts 26:26), the implication is that the events fulfilled among us (Luke 1:1) have taken place on the stage of Roman history. The actors on that stage are Roman leaders. In the narrative of Acts, Peter is only minimally connected to the Roman world beyond Judaism (see Acts 10); it is Paul who gets painted into the political landscape of the proconsuls and decurions of the eastern empire. The artifice of this representation of apostolic tradition is clearly seen in the Gallio episode at Corinth in Acts 18. The author’s portrayal of Paul before Gallio has had an enormous influence on subsequent attempts to synchronize early Christian stories 21 22

For a similar sentiment expressed in a different context, see Irenaeus, Adv. haer. 4.30.3 (see ANF 1.503): “Through their instrumentality the world is at peace, and we walk on the highways without fear, and sail where we will.” Philipp Vielhauer comments, “When the Areopagus speaker refers to the unity of the human race in its natural kinship to God and to its natural knowledge of God, and when he refers to the altar inscription and to the statements of pagan poets to make this point, he thereby lays claim to pagan history, culture, and religion as the prehistory of Christianity” (“On the ‘Paulinism’ of Acts”, in Leander E. Keck/J. Louis Martyn [eds.], Studies in Luke-Acts [Philadelphia 1980] 37).

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with the Roman Empire. In historical-critical reconstructions of early Christianity, it has been taken to provide an anchor for a chronology, even if only partial, of Paul’s activities.23 It is one of the few episodes in Acts that still suggests for scholars today a precise historical connection to the Roman world for the narrative world of early Christian stories. Yet, although the point of the episode in broad outlines is clear (in the narrative of Acts, Roman officials time after time declare Paul innocent of charges brought by his opponents), the details of the episode are impossible to reconstruct as history. There is an insurmountable narrative seam between Acts 18:12-16 and the conclusion of the episode in verse 17. Verse 17 introduces characters who have no clear connection to the dramatic events in verses 1216. Gallio, Paul, and “the Jews altogether” (oJmoqumado;n oiJ ∆Ioudai`oi) play out a drama in which Gallio declares Paul innocent of any crimes against Roman order and turns Paul over to the Jews to see to matters of their own law themselves. The scene then changes harshly to a group beating up Sosthenes. Who is Sosthenes, and why are they beating him up? Sosthenes appears in the narrative out of nowhere and is simply identified as a leader in the synagogue, and so presumably (though perhaps not necessarily if this simply suggests a patron of the synagogue), a Jew. But is he a Jew sympathetic to Paul (like Crispus in 18:8) or part of the group of Jews opposed to Paul in verses 12-16? Grammatically, pavnte~ of v. 17 can only refer to oiJ ∆Ioudai`oi of verses 12-16. But why are they beating up Sosthenes? If Sosthenes is a supporter of Paul, why has he been substituted for Paul? Gallio has just given Paul into the hands of the Jews to see to the matter themselves. One would expect Paul to receive the beating. If Sosthenes is hostile to Paul, why have the opponents of Paul degenerated into an unruly mob carrying out violence among themselves? There is, of course, a narrative answer to this: the author of Luke-Acts portrays Christians as opposed by unruly mobs, whether Jewish (see Acts 21:27–22:24) or non-Jewish (see Acts 19:21-40). The difficulty of making historical sense of the pavnte~ in verse 17 as Jewish opponents of Paul has led some interpreters to suggest that the reference is to a non-Jewish mob. But is the mob angry against Jews opposing Paul or Jews supporting Paul? The narrative seam between verses 12-16 and verse 17 suggests that the author has

23

See for example Dixon Slingerland, “Acts 18:1-18, the Gallio Inscription, and Absolute Pauline Chronology”, JBL 110 (1991) 439-49; Jerome Murphy-O’Connor, “Paul and Gallio”, JBL 112 (1993) 315-17.

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rather awkwardly pasted Paul into this story of a hearing before Gallio.24 The problem with the episode at Corinth is also evident in the narrative of Paul at Ephesus (where unnamed Roman officials are identified as Paul’s friends, 19:31) and at Thessalonica (where simply prominent men and women in the city are part of the story). At Ephesus in Acts 19:23 the controversy begins with Paul and the silversmiths but ends with Alexander and an unruly crowd in 19:40. The narrative seam occurs in 19:33. Verse 33a is unintelligible: ejk de; tou` o[clou sunebivbasan ∆Alevxandron, probalovntwn aujto;n tw`n ∆Ioudaivwn.25 Who is the subject of sunebivbasan? Are the Jews who have pushed Alexander forward for or against Paul? Is Alexander a companion of Paul? Why does the crowd become upset when they recognize him as a Jew? What began as a controversy between Paul the Christian and the silversmiths becomes a controversy between Jews and silversmiths, and Paul is absent at the resolution of the story. The episode at Thessalonica in Acts 17:1-9 is shorter but follows a similar dynamic. The episode begins with the author’s characteristic representation of Paul’ arrival in the city, and in this case Paul converts some leading citizens. But in the ensuing controversy, Paul disappears and Jason takes his place. The author’s compositional style for creating the “missionary journeys” of Paul seems fairly consistent: Paul is pasted into episodes that bring Christianity to the notice of Roman officials.26

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25

26

Ernst Haenchen confuses history and fiction when he comments, “But that Gallio rejected a Jewish complaint and that afterwards the anti-Jewish crowd beat the Jewish speaker, without interference from Gallio, may very well have been an event which remained in the memory of the Christian community. On the other hand, it is difficult to conceive on what grounds Gallio rejected the complaint, other than those stated by Luke, namely that the issue belonged to the internal affairs of the contending parties. So although we may not regard the text as an exact reproduction of events, we can view the report as a whole with confidence” (The Acts of the Apostles: A Commentary, translated by Bernard Noble/Gerald Shinn, under the supervision of Hugh Anderson and revised by R. McL. Wilson [Oxford 1971] 541). Haenchen comments earlier: “pavnte~ = the crowd (not the Jews disappointed by Sosthenes) seize the leader of the rejected delegation and beat him before Gallio’s eyes without his interference” (Acts of the Apostles, 536). Note the textual variants for sunebivbasan as later scribes tried to make sense of the sentence. Hans Conzelmann comments: “What was Alexander supposed to do? As a trusted representative of the Jews, was he to explain that they had nothing to do with the matter? Did Luke no longer understand his source here?” (Acts of the Apostles: A Commentary on the Acts of the Apostles, translated by James Limburg/A. Thomas Kraabel/Donald H. Juel; edited by Eldon Jay Epp with Christopher A. Matthews [Hermeneia, Philadelphia 1987] 166). Compare Haenchen, Acts of the Apostles (see n. 24) 575. I have analyzed in more detail the author’s compositional method for creating Paul’s “missionary journeys” in Pauline Christianity, 105-62.

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This literary overlay of Paul onto the political world of the eastern Roman empire is already evident in the first episode of the Pauline mission narrated in Acts. On the island of Cyprus in Acts 13:4-12, Paul is ushered into the court of the proconsul Sergius Paulus and confronts a Jewish magician. The point of the episode is clear: Christianity is not a superstition, and from this point on, Saul’s Roman name Paul is used in the narrative of Acts. The synchronisms of Luke 2:1 and 3:1 anticipate the portrayal of Paul on the stage of Roman history in Acts. Luke 2:1 synchronizes the birth of Jesus with Augustus, the founder of the Roman Empire, and Luke 3:1 synchronizes the appearance of the adult John and Jesus with the political world of the eastern part of the Empire. The author of Luke-Acts has turned Jesus and Paul into figures of Roman history and has given Christianity a history in the Roman Empire. The lovgoi of apostolic tradition have been transformed into pravgmata (Luke 1:1-4; Acts 1:1-2).

3. Christian Historiography The reception of the author’s two-volume narrative as the Gospel of Luke and the Acts of the Apostles shifted the horizons of the narrative from a history of Christianity looking outward to the Roman Empire to a canonical history of Christianity looking inward against heresies. In this reception history, the second half of the author’s narrative provided a fictive history of apostolic tradition to legitimate Irenaeus’s canon of four gospels, the Acts of the Apostles, and a collection of Pauline letters as a basis for the Gospel preserved by the Church. This canon mediated the Christian historiography of Luke-Acts to Eusebius. Eusebius’s History of the Church shows how the church preserved apostolic tradition in the Roman Empire in the face of persecution and heresy, and his work is largely a compellation of quotations from church authorities demonstrating the preservation of apostolic traditions against persecution and heresy (a framework for Christian history already implied by Acts 20:28-30, although the idea of false teaching is almost entirely undeveloped in the narrative of Luke-Acts). If Eusebius was the first church historian, the author of Luke-Acts invented the theoretical framework for Christian historiography.

Eusebs Rezeption der Apostelgeschichte in der Vita Constantini ANDREAS MÜLLER Christliche Historiographie im ersten und im vierten nachchristlichen Jahrhundert zu vergleichen, ist ein gewagtes Unternehmen. Dennoch ist mir im Rahmen des vorliegenden Bandes die Aufgabe gestellt worden, genau dies zu versuchen. Angesichts dieser Vorgabe habe ich mich entschieden, mich zumindest auf eine aus heutiger Sicht bedeutsame Schrift des 4. Jahrhunderts zu konzentrieren und diese mit der neutestamentlichen Apostelgeschichte in Beziehung setzen, nämlich die um 337–339 n. Chr. verfasste Vita Constantini des Euseb von Caesarea.1 Euseb kann nicht nur als der prägende christliche Historiograph, ja sogar als der „Vater der Kirchengeschichtsschreibung“ überhaupt gelten.2 Schon deswegen ist seine Literatur mit der Apostelgeschichte in Beziehung zu setzen durchaus reizvoll. Die Vita Constantini stellt vielmehr auch einen Protagonisten besonders in den Vordergrund und ist dadurch der Apostelgeschichte mit deren zunehmender Fokussierung auf Paulus als bedeutendem Akteur im frühen Christentum zumindest entfernt vergleichbar. Nichtsdestotrotz ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten bei einem Vergleich, die allein durch die veränderte Situation des Christentums bedingt sind. Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Abhandlung über den ‚ersten christlichen Kaiser’ von der Darstellung eines von vielen Seiten verfolgten oder zumindest bedrängten „Apostels“. Es ist daher nach Punkten zu suchen, die trotz der unterschiedlichen Rahmensituation auf Interrelationen zwischen den beiden Geschichtswerken hinweisen, ja diese womöglich sogar näher aneinander binden, als zunächst zu erwarten wäre. Die Untersuchung der Beziehungen zwischen dem lukanischen und dem eusebianischen Werk wird sich in drei Schritte gliedern. Zu1 2

Zur Echtheit der Vita Constantini vgl. ausführlich bereits F. Vittinghoff, „Eusebius als Verfasser der ‚Vita Constantini’“, RhM 96 (1953) 330–373. So der Buchtitel der exzellenten Euseb-Biographie von F. Winkelmann, Euseb von Kaisareia. Der Vater der Kirchengeschichte (Berlin 1991). Zur christlichen Historiographie im 4. Jh. allgemein vgl. id, “Historiography in the Age of Constantine“, in G. Marasco (ed.), Greek and Roman Historiography in Late Antiquity: fourth to Sixth Century A.D. (Leiden 2003) 3–41.

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nächst ist der Frage nachzugehen, wie gut Euseb die Apostelgeschichte überhaupt gekannt hat. Dazu sollen einige Stellen paradigmatisch aufgeführt werden, die Eusebs intensive Kenntnis der Apostelgeschichte bzw. vor allem ihres Verfassers illustrieren. In einem zweiten Schritt wird zu fragen sein, ob wir von einer vergleichbaren historiographischen Methodik des Lukas und des Euseb ausgehen können. In einem dritten Schritt wird es schließlich um den Nachweis gehen, dass Euseb Konstantin in direkte Korrelation zu den Aposteln gesetzt und dadurch eine enge Verbindung zwischen seinem Werk und der Apostelgeschichte hergestellt hat. Kommen wir aber zunächst zu der direkten Behandlung des Verfassers der Apostelgeschichte im eusebianischen Geschichtswerk. Dadurch wird deutlich werden, dass sich Euseb durchaus historiographisch an der Apostelgeschichte orientieren konnte.

1. Lukas und „seine“ Apostelgeschichte im eusebianischen Geschichtswerk Bevor wir zu Zitaten der Apostelgeschichte in der Vita Constantini kommen, lohnt zunächst ein Blick auf den Rückgriff Eusebs auf Lukas überhaupt. Dabei möchte ich mich auf die zahlreichen Stellen der Kirchengeschichte konzentrieren, in denen sich Euseb mit Lukas als frühchristlichem Autor beschäftigt.3 So stellt er den aus Antiochien stammenden Arzt Lukas4 nicht nur als Autor der Apostelgeschichte dar,5 sondern sieht ihn nach 2 Tim 4,11 auch häufig in Gesellschaft mit Paulus.6 Dabei geht es Euseb darum, Lukas als Augenzeugen für die paulinische Missionspraxis zu charakterisieren. Lukas habe bis zu seinem Zusammensein mit Paulus in Rom berichtet – beim ersten Verhör desselben sei er 3

4 5 6

Zu Lukas als Verfasser des Evangeliums äußert sich Euseb u.a. in h.e. I 7, wo er die (scheinbaren) Widersprüche in den Geschlechterregistern Jesu in Mt 1,1–16 und Lk 3,23–28 aufarbeitet (vgl. ein ähnliches Vorgehen bereits bei Sextus Iulius Africanus, das Euseb, h.e. VI 31,3, thematisiert). Euseb äußert auch die Meinung, dass Lukas den Hebräerbrief des Paulus aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt habe, präferiert aber die Position, dass diese Übersetzung durch Klemens von Rom durchgeführt worden sei, vgl. Euseb, h.e. III 38,2. In h.e. VI 14,2 wird die Annahme lukanischer Übersetzertätigkeit beim Hebräerbrief Klemens von Alexandrien zugewiesen. Origenes hat nach Euseb, h.e. VI 25,14, sogar Lukas (oder Klemens von Rom) als Verfasser des Hebräerbriefes angenommen, wenn dieser Brief auch den Gedanken nach auf Paulus zurückginge. Vgl. Euseb, h.e. III 4,6. Vgl. Euseb, h.e. I 5,3 (Zitat von Act 5,37); II 8,2 unter Hinweis auf Act 11,28; II 11,1 unter Verweis auf Act 5,34–36; II 22; III 4; III 31,5 (zu Act 21,8f.); VI 25,14 (in einem Referat des Origenes). Vgl. bes. Euseb, h.e. II 22, 6f.; III 4,6.

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nach 2 Tim 4,16 nicht mehr dabei gewesen. Deswegen schließe die Apostelgeschichte auch vor den Verhören ab.7 In der Apostelgeschichte habe Lukas jedenfalls nicht mehr nur wie im Evangelium8 von den ersten Augenzeugen Gehörtes beschrieben (vgl. Lk 1,2), sondern selbst miterlebte Ereignisse geschildert.9 Er verkehrte nicht nur viel mit Paulus, sondern auch mit den übrigen Aposteln und erlernte von ihnen die „Seelenheilkunde“.10 Euseb weist einerseits nicht nur generell auf Lukas als Verfasser der Apostelgeschichte hin. Er zitiert dieselbe andererseits auch an zahlreichen Stellen. Ein Blick in die Kirchengeschichte macht deutlich, wie stark sich Euseb von der Apostelgeschichte inhaltlich hat beeinflussen lassen.11 In der Vita Constantini liegt nur ein direktes Zitat aus der Apostelgeschichte vor. Dort vergleicht Euseb die Konzilsteilnehmer in Nikaia mit der Apostelschar, die er mit Worten aus Act 2,5.9–11 als „gottesfürchtige Männer“ „aus jedem Volk unter dem Himmel“ charakterisiert.12 Andere von den Herausgebern und Übersetzern der Vita Constantini festgestellte Interdependenzen sind hingegen nicht ganz so eindeutig. Fraglich ist z.B., ob der von Friedhelm Winkelmann beobachtete Rückgriff Eusebs bei der Beschreibung des Licinius als furchtbares Tier, das „sich windet und vor Wut und Drohungen gegen Gott schnaubt“,13 wirklich nach der Beschreibung des Saulus vor seiner Bekehrung in Act 9,1 gestaltet ist. Trotz der seltenen Wortkombination muss Euseb sich hier nicht der Formulierung in der Apostelgeschichte bedient haben. Inhaltlich könnte er sich hingegen bei seiner Parallelisierung Konstantins mit Mose an der Rede des Stephanus in Act 7 orientiert haben. Er rekurriert auf einen alten Bericht (palaia; fhvmh), der von der Unterdrückung der Juden durch „gewaltige Tyrannengeschlechter“ handelte. Dabei ist aber keineswegs zwingend an Act 7,20–36 zu denken, sondern möglicherweise direkt an Ex 1–14. Es wäre jedenfalls eine allerdings hier nicht weiter zu verfolgende interessante Frage, ob sich Euseb bei 7 8

9 10 11 12 13

Vgl. Euseb, h.e. II 22,6. In Euseb, h.e. III 24,7 geht Euseb davon aus, dass Lukas das Evangelium zuerst gepredigt und dann schriftlich herausgegeben habe. Auch habe er sich nach seinem Prolog darum bemüht, die Geschichte Jesu genauer zu schreiben. Eine gründliche Darstellung sei ihm vor allem auch deswegen möglich gewesen, weil er viel durch den ständig lehrreichen Verkehr mit Paulus und mit den Aposteln erfahren habe, vgl. Euseb, h.e. III 24,15. Vgl. Euseb, h.e. III 4,6. Vgl. Euseb, h.e. III 4,6.15. Es genügt hier der allgemeine Hinweis auf Buch II der Kirchengeschichte. Dieses ist inhaltlich von der Apostelgeschichte auf weite Strecken geradezu durchtränkt. Vgl. Euseb, V.C. III 8, dazu genauer u. S. 408f. Euseb, V.C. II 1,2.

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seiner Mose-Konstantin-Typologie durch die Rede des Stephanus in der Apostelgeschichte hat inspirieren lassen.14 Während Euseb mehrmals auf Lukas als Verfasser der Apostelgeschichte verweist und diese u.a. in der Kirchengeschichte auch reichlich nutzt, ist der unmittelbare Rückgriff des Bischofs in seiner Vita Constantini auf die Apostelgeschichte also keineswegs deutlich auszumachen. Es ist daher nun in einem weiteren Schritt zu fragen, ob der bekannte Kirchenhistoriker des 4. Jahrhunderts in der historiographischen Methodik als solcher auf die Apostelgeschichte zurückgegriffen bzw. sich an deren Form orientiert hat. Zu diesem Zweck sind die bisherigen Forschungsansätze zu den beiden Geschichtswerken vorzustellen und zu vergleichen.

2. Die Form und die historiographische Methodik in der Apostelgeschichte und der Vita Constantini Die Form der Apostelgeschichte und damit eng verbunden auch die historiographische Methodik sind freilich ebenso wenig eindeutig zu erfassen wie diejenige der Vita Constantini. Daher variieren die Forschungspositionen bei der formalen Einschätzung beider Werke. Dieselben Schwierigkeiten der Einordnung bestehen überhaupt im Blick auf die kaiserzeitliche und spätantike Geschichtsschreibung, bei der umstritten ist, ob sie sich je in einer reinen Form Ausdruck verschafft hat.15 Ich orientiere mich bei einem kurzen Überblick über Form und 14

15

Vgl. zu Mose in Eusebs Vita Constantini M. J. Hollerich, “The Comparison of Moses and Constantine in Eusebius of Caesarea’s Life of Constantine“, StPatr 19 (1989) 80–85; B. Bleckmann (ed.)/H. Schneider (trans.), Eusebius von Caesarea. De Vita Constantini (FC 83, Turnhout 2007) 101–104; A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini and the Construction of Constantine”, in M. J. Edwards/S. Swain (eds.) Portraits. Biographical Representation in the Greek and Latin Literature of the Roman Empire (Oxford 1997) 145– 174, hier 158–161. Cameron interpretiert dort die Vision Konstantins auf sehr interessante Weise vor der Folie der Vision Moses am brennenden Dornbusch. Tatsächlich lassen sich hier Parallelen feststellen. Ich habe mich aber dennoch dafür entschieden, die Visions-Szene stärker vom Vorbild des Paulus her zu deuten, weil einige Elemente (z.B. Zeugen bei der Vision; Bekehrungsthematik; Auslegung der Vision durch Dritte) stärker dafür sprechen, vgl. u. S. 405–408. Dennoch dürfte Euseb auch Elemente aus der Moseberufung rezipiert haben, vor allem den Grundgedanken einer für die „Befreiungsaktion“ zugrunde liegenden Vision. Vgl. W. Wischmeyer, „Wahrnehmungen von Geschichte in der christlichen Literatur zwischen Lukas und Eusebius“, in E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin 2005) 264–276, hier 264f. Wischmeyer verweist ibid. Anm. 2 darauf, dass in den Quellen jener Zeit Mischformen zu finden sind „einer intentionalen Geschichtsschreibung, die beanspruchen, auch Geschichtsschreibung zu sein mit Hilfe etwa von Bios oder exitus oder rhetorischen Formen“.

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Historiographie der Apostelgeschichte in erster Linie an der hervorragenden, zusammenfassenden Darstellung von Reinhard von Bendemann in seinem demnächst erscheinenden Artikel „Lukas“ im Lexikon für Antike und Christentum:16 Weder der wahrscheinlich spät hinzugefügte Titel noch die vermeintliche Parallele zu anderen Apostelakten ermöglichen eine formale Einordnung des Werkes. So ist die Apostelgeschichte von den apokryphen Apostelakten dadurch zu unterscheiden, dass sie nicht nur die Geschichte eines Apostels oder Apostelpaares fokussiert. Vielmehr steht die kontinuierliche Ausbreitung des Christuszeugnisses im Vordergrund. Die Gesamtintention der Apostelgeschichte liegt also darin, den Weg des Lichts für die Völker besonders hervorzuheben (vgl. u.a. Act 13,47). Der Autor der Apostelgeschichte orientierte sich gattungsmäßig an der hellenistischen Historiographie.17 Jens Schröter spricht daher sogar vom lukanischen Doppelwerk als einer „Gründungsgeschichte des Christentums in zwei Teilen“.18 Für die Anlehnung an die hellenistische Historiographie sprechen sowohl das Proömium als auch die potentielle Autopsie19 und die von Lukas in die Apostelgeschichte integrierten Reden seiner Protagonisten sowie das Einbinden von Briefen.20 Insbesondere der dramatische Episodenstil verweist genauer auf Parallelen in der „mimetischen“ oder „tragisch-pathetischen“ Historiographie.21 Dabei werden episodische Ereignisse aus einem größeren Zusammenhang, der u.a. durch Summarien angedeutet wird, hervorge-

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Einen weiteren guten Einblick in die Historiographie des Lukas bietet J. Schröter, „Lukas als Historiograph“, in E.-M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin 2005) 237–262. Vgl. ferner zur Historiographie des Lukas u.a. C. Breytenbach/J. Schröter (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher (Leiden/Boston 2004); D. Marguerat, The First Christian Historian (Cambridge 2002); A. Mittelstaedt, Lukas als Historiker (Texte und Arbeiten zum Neutestamentlichen Zeitalter 46, Tübingen 2006); T. Nicklas/M. Tilly (eds.), The Book of Acts as Church History (Berlin 2003); D. W. Palmer, “Acts and the Ancient Historical Monograph“, in B. W. Winter/A. D. Clarke (eds.), The Book of Acts in its First Century Setting I (Grand Rapids 1993) 1–29; E. Plümacher, Geschichte und Geschichten (WUNT 170, Tübingen 2004); J. T. Squires, The Plan of God in Luke-Acts (Cambridge 1993). Vgl. J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 246, in Anlehnung bereits an Martin Dibelius. Vgl. ibid., 241. Ob es sich um eine historische Augenzeugenschaft des Verfassers der Apostelgeschichte oder nur ein literarisches Stilmittel handelt, ist in der Forschung durchaus umstritten, vgl. ibid., 239f. Vgl. hierzu die Analogie bei Flavius Josephus und Thukydides nach J. Schröter, ibid., 242. Vgl. ibid., 260.

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hoben. Die rhetorische Orientierung zielt insgesamt auf eine psychagogische Wirkung.22 Geprägt ist die historiographische Methodik der Apostelgeschichte sicher durch biblische und frühjüdische Geschichtstexte. Jens Schröter sieht dementsprechend in der lukanischen Geschichtsdarstellung eine „theologische Geschichtsschreibung aus israelitisch-jüdischer Perspektive“.23 Dabei sind die Grenzen z.B. zur Biographie24 oder auch zum spätantiken Roman in der Apostelgeschichte nicht immer scharf zu ziehen.25 Letzterer umfasst u.a. auch das „Wunderbare“ neben dem Bericht von Verhaftungen, Gerichtsverhandlungen, Intrigen u.ä. Anders als die großen griechischen Historiker wie Thukydides verzichtet Lukas auf die ausdrückliche Nennung und gelegentlich auch kritische Bewertung seiner Quellen. Auch fehlt ein erd- und völkerkundliches Interesse nahezu vollständig.26 Inhaltlich setzt das „lukanische Doppelwerk“ – wie bereits angedeutet – insgesamt einen stark heilsgeschichtlichen Akzent.27 Gott als Herr der Geschichte sorgt für die Ausbreitung seines Wortes, für die Zeugenschaft, die nach Act 1,8 bis ans Ende durchgehalten werden soll.28 Das Christentum erscheint in der Apostelgeschichte als eine u.a. stark auf der Mission des Paulus gründende Bewegung, die allerdings deutlich in Kontinuität zur Geschichte Israels steht, wenn auch die Juden zumindest temporär nicht mehr dazugehören.29

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Zur rhetorischen Dimension der Apostelgeschichte vgl. ausführlich C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT II/175, Tübingen 2004); K. Backhaus/G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen (BThS 86, Neukirchen-Vluyn 2007). J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 261. L. Alexander, “Acts and Intellectual Biography“, in B. W. Winter/A. D. Clarke (eds.), The Book of Acts in Its First Century Setting I: Ancient Literary Setting (Grand Rapids/ Carlisle 1993) 31–63, hat die Paulusdarstellung in der Apostelgeschichte sogar vor dem Hintergrund der antiken biographischen Traditionen verstanden. So u.a. R. von Bendemann in seinem Artikel „Lukas“, RAC [im Erscheinen]. J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 260, stellt allerdings fest, dass die Apostelgeschichte damit keineswegs auch wirklich ein Roman sei, sondern dramatische Episoden zur Veranschaulichung des göttlichen Wirkens nutzen würde und dadurch nicht im Widerspruch zur ernst zu nehmenden Geschichtsschreibung stünde. Vgl. zu den dürftigen Vorstellungen des Lukas über die Orte, die Paulus auf seiner ersten Missionsreise besuchte, J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 257f. Auch der Beschreibung der „zweiten Missionsreise“, bei der das Lokalkolorit ungleich dichter ist als zuvor (vgl. ibid. 259), liegt kein ausgeprägtes Interesse an der Geographie vor. J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 262, bezeichnet den Verfasser des „lukanischen Doppelwerkes“ sogar als „Entdecker der christlichen Heilsgeschichte“. Vgl. J. Schröter, ibid., 252; 260. Zeichen des Eingreifens Gottes in die Geschichte an entscheidenden Wendepunkten finden sich demnach in Lk 24,29; Act 2,33; Act 9,3– 6.10–16; Act 10,11–16; Act 13,2; Act 14,27 und Act 16,6–10. Vgl. J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 260.

Eusebs Vita Constantini und die Apostelgeschichte

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Auch in der Vita Constantini spielt – wie wir noch genauer sehen werden – die Ausbreitung des Christuszeugnisses eine wichtige Rolle. Dabei orientiert sich Euseb ähnlich wie „Lukas“ an den Möglichkeiten historischer Monographien, wenn auch die übliche Intention traditioneller Historiographie weitgehend fehlt.30 Tacitus lehnt er als Vorbild sogar explizit ab,31 was stark inhaltliche Gründe haben mag: Dessen Ideal der Republik und seine Betrachtung des Prinzipats als Zeit des Verfalls lagen Euseb fern.32 Dennoch lassen sich einige der genannten historiographischen Elemente bei ihm ebenso wie in der Apostelgeschichte finden: Die Autopsie z.B. betont auch er in seinem ebenfalls vorhandenen Proömium.33 Durch die Schilderung des Lebens eines Kaisers und die stärkere Fixierung auf ausschließlich eine Persönlichkeit ergeben sich in der Vita Constantini allerdings auch formale Unterschiede zur Apostelgeschichte. Es herrscht inzwischen weitgehend Übereinstimmung in der Forschung, dass bei der Vita Constantini eine „eigentümliche Mischform“ vorliegt, die in gewisser Weise typisch für die spätantike Literatur ist:34 So lassen sich in ihr bereits nach den 1966 von Raffaele Farina gemachten Untersuchungen gleichzeitig Elemente einer Biographie, eines Panegyricus bzw. Enkomiums35 und der Herrscheridealisierung im Sinne eines Fürstenspiegels feststellen.36 Dabei wird der Anteil der einzelnen 30 31 32 33

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Vgl. T. D. Barnes, “Panegyric, history and hagiography in Eusebius’ Life of Constantine”, in From Eusebius to Augustine. Selected Papers 1982–1993 (Aldershot 1994), Nr. XI, 109. Vgl. Euseb, V.C. II 8 Zur Historiographie des Tacitus vgl. zuletzt F. Santoro l’Hoir, Tragedy, rhetoric and the historiography of Tacitus’ Annales (Diss. Ann Arbor 2006). Vgl. Euseb, V.C. I 10. T. D. Barnes, Constantine and Eusebius (Cambridge, MA/London 1981) 266, betont zu Recht, dass Euseb trotz der von ihm betonten Nähe zum Kaiser keineswegs als dessen Berater gelten könne. Mehr als viermal sei er wahrscheinlich dem Kaiser nicht begegnet. Ein Hoftheologe ist er daher gewiss nicht zu nennen, vgl. a. F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 146. Vgl. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 33. Zur Unsicherheit über eine Bestimmung des Genre vgl. a. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 145. Eine eigentümliche Mischform stellt u.a. T. D. Barnes, “Panegyric“ (s. Anm. 30) 116, fest: „The so-called Life of Constantine is a combination of conventional panegyric and something daringly original which hovers between ecclesiastical history and hagiography.“ Für ein Enkomium hielten bereits Sokrates (h.e. I 1,2) und Photios (Bibliotheca cod. 127) die Vita Constantini, s. die Zitate bei F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke I/1: Über das Leben des Kaisers Konstantin (GCS, Berlin 21991) XXXI und XLIX Anm. 2. Winkelmann selber schließt sich dieser Position, ibid. XLIX, an und spricht davon, dass Euseb die Regeln eines „Prosaenkomiums“ weitgehend eingehalten habe. Lediglich ein für das Enkomium notwendiger Epilog fehle in der Vita Constantini, und auch manche andere Merkmale führen über ein reines Enkomium hinaus, vgl. ibid. L. Vgl. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 27; J. W. Drijvers, „Eusebius’s Vita Constantini als vorstenspiegel“, Lampas 37 (2004) 161–164.

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Genres unterschiedlich stark in seiner Bedeutung hervorgehoben.37 Zuletzt hat Bruno Bleckmann darauf verwiesen, dass im kaiserzeitlichen literarischen Betrieb Enkomium und Biographie ohnehin verschmolzen sind.38 Aus dem – womöglich nicht einmal vom Autor stammenden39 – Titel allein lässt sich nichts sicher über das Genre der Schrift ableiten – er verweist am ehesten auf die Biographie (eij~ to;n bivon tou` ...).40 Der Gegenstand der Vita ist in jedem Fall biographisch und daher chronologisch aufgearbeitet. Um eine reine, vollständige „Biographie“ Konstantins geht es hier dennoch nicht. Diese ist durch das Rühmen von Tugenden im Stile der „Kaiserleben“ (basilikoi; lovgoi) oftmals unterbrochen. Ähnlich wie Plutarch konzentriert sich Euseb auf das Hervorheben besonderer moralischer Qualitäten.41 Wir werden noch genauer sehen, dass er dabei dem lukanischen Apostelideal bzw. dessen Zeugenkonzeption gar nicht fern steht. Von den seit hellenistischer Zeit vorgeschriebenen inhaltlichen Kategorien für solche „Kaiserleben“ nahm Euseb nur diejenigen auf, die sich verchristlichen ließen.42 Die Darstellung ist bereits nach Eusebs eigenen Angaben in erster Linie auf die religiösen Motive im Leben Konstantins konzentriert.43 Durch 37 38

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Vgl. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 27f. So betonten F. Leo und P. Hadot stärker den rhetorischen Charakter als Enkomium, G. Kennedy hingegen mehr die Nähe zur Biographie. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 28. Ich folge auch im Weiteren Bleckmanns Einleitung. In älterer Literatur wurde gelegentlich schroff zwischen Enkomium und Biographie unterschieden, vgl. z.B. W. Telfer, “The Author’s Purpose in the Vita Constantini“, StPatr 1 (1957) 157–167, hier 157. Vgl. u.a. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 145; J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 103. Vgl. daher auch Aussagen wie jene bei B. Studer, „Die historische Theologie des Eusebius von Caesarea“, Adamatius 10 (2004) 138–166, hier 142 zur Vita Constantini: „Es handelt sich gewiss um eine Art Biographie, um eine historia einer wichtigen Persönlichkeit, selbst wenn panegyrische Züge nicht fehlen. Wie die historiae im antiken Sinn beruht sie jedenfalls auf der historiographischen Methode der Spätantike.“ Vgl. hierzu bereits den Vergleich zwischen Plutarch und Euseb bei G. Ruhbach, Apologetik und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie Eusebs von Caesarea (Diss. Heidelberg 1962) 201–203. Vgl. F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 151. Euseb hält diese Vorgabe selber nicht konsequent durch. Oftmals ist darauf verwiesen worden, dass sich Widersprüche und Ungereimtheiten in seinem Werk auch darauf zurückführen lassen, dass Euseb die Vita Constantini wohl mehrmals überarbeitet und erweitert und diese Arbeit nicht mehr abgeschlossen hat, vgl. F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke (s. Anm. 35) LVII; ferner a. T. D. Barnes, Constantine (s. Anm. 33) 265. Barnes vermutet, dass ursprünglich ein Panegyrikon auf den verstorbenen Kaiser existiert habe, welches um einen Bericht über des Kaisers religiöse Taten angereichert worden sei. Euseb habe also die Lobrede in eine Art Biographie umzuarbeiten versucht, sei damit aber nicht mehr zum Abschluss gekommen; vgl. a. id., “Panegyric“ (s. Anm. 30); id., “The Two Drafts of Eusebius’s Life of Constantine”, in From Eusebius to Augustine. Selected Papers 1982–1993 (Aldershot 1994), Nr. XII. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 147f, stimmt Barnes grundsätzlich bei der

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die Konzentration darauf konnte der Verfasser unangenehmen Themen aus dem Leben des Kaisers aus dem Wege gehen.44 Panegyrisch ist neben dieser Hervorhebung der gerühmten Person die Verunglimpfung der Gegner. Auch die gelegentlich umständliche Form, um einfache Tatbestände wiederzugeben, gehört zu den Merkmalen des panegyrischen Stils. Als eine Art Fürstenspiegel sollte die Vita Constantini Konstantins Söhnen „das Leben ihres Vaters in ahistorischer Weise als Modell eines idealen Christen und eines idealen Herrschers“ vorstellen.45 Die religiöse Exemplarität des Protagonisten46 stellt die Vita Constantini in die Nähe zur Apostelgeschichte als „mimetischer Historiographie“, auch wenn diese sich nicht so stark wie die Vita Constantini ausschließlich auf einen Protagonisten fixiert. In jedem Fall ist mit beiden eine psychagogische Intention verbunden. Bruno Bleckmann hat darauf verwiesen, dass die Vita Constantini in gewisser Hinsicht als Fortsetzung der Kirchengeschichte Eusebs gelten könne: Hier wie dort wurden unveränderte Dokumente im Text eingeblendet.47 Damit steht sie wiederum der Apostelgeschichte nahe, wenn deren Verfasser auch bei dem Einfügen von Reden48 noch stärker kom-

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Warnung vor dem Verständnis der Vita als einheitlichem Werk zu, warnt aber vor einer akribischen Identifizierung von Vita-Teilen mit den beiden Schichten. Vgl. a. F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke (s. Anm. 35) LII. Vgl. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 31; A. Cameron, “Eusebius of Caesarea and the Rethinking of History”, in E. Gabba (ed.), Tria corda: Scritti in onore di Arnaldo Momigliano (Biblioteca di Athenaeum 1, Como 1983) 71–88, hier 82.85. F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 154, spricht von dem in der Vita Constantini gebotenen Idealbild als „Orientierungsnorm“ für Konstantins Söhne. Vgl. z.B. Euseb, V.C. I 3,4; I 4 und I 9,1. Zum sorgfältigen Zitieren von Urkunden in der Vita Constantini vgl. v.a. den Verweis auf das korrekte Zitat von P. Lond. 878 bei A. H. M. Jones, “Notes on the Genuiness of the Constantinian Documents in Eusebius’s Life of Constantine“, JEH 5 (1954) 196– 200; F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke (s. Anm. 35) LIV; ferner S. G. Hall, “Some Constantinian Documents in the Vita Constantini“, in S. N. C. Lieu/D. Montserrat (eds.), Constantine. History, historiography and legend (London/New York 1998) 86–103; zuletzt R. Staats, „Kaiser Konstantin der Große und der Apostel Paulus“, VigChr 62 (2008) 334–370, 335. Nach J. Ulrich, „Eusebius als Kirchengeschichtsschreiber“, in E.M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin 2005) 277–287, hier 286, hat die Dokumentation bzw. das Zitat, die bei Eusebius bedeutsamer sind als die Erzählung und die Redekomposition, eine Funktion im Rahmen der apologetischen Grundkonzeption der Kirchengeschichte: „Geschichte ist logosgemäß, vernunftgemäß, also gleichsam ‚objektiv’ erklärbar und nachvollziehbar.“ Vgl. ähnlich D. Timpe, „Was ist Kirchengeschichte? Zum Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius“, in U. Walter (ed.), Antike Geschichtsschreibung (Darmstadt 2007) 304. Vgl. zum Einfügen von Reden in Geschichtswerke D. Timpe, „Kirchengeschichte“ (s. Anm. 47) 316: „Reden dienen in der Historiographie seit Thukydides dazu, mehrschichtige historische Abläufe darzustellen, die Ebene der Reflexionen und Intentionen der Handelnden zur Geltung zu bringen ... und sie mit dem Ereignishaften zu verknüpfen, ferner dazu, sie mit den intentional nicht ... gesteuerten Vorgängen, dem Unerwarteten, Zufälligen, Schicksalhaften zu konfrontieren, und schließlich da-

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positorisch tätig gewesen sein dürfte als Euseb. Auch dürfte die Intention bei Euseb tendenziell eine andere gewesen sein als bei Lukas. Wenn sie auch beide mit der Zitation von Dokumenten in der hellenistisch-historiographischen Tradition stehen, so betonte Averil Cameron doch bei Euseb – wohl zu Recht – eine stark apologetische Tendenz bei der Zitation von Originalurkunden. Sicher wollte Euseb sein heilsgeschichtlich eingebettetes, christliches Kaiserbild durch die Urkunden ebenso abstützen wie seine eigene dogmatische Position.49 Für die Zeit bis 324 hat Euseb weitgehend seine eigene Kirchengeschichte als Quelle für die Darstellung in der Vita genutzt.50 Keineswegs zu Unrecht spricht Bleckmann daher von ihr als Vollendung der Kirchengeschichte, wobei er lediglich auf das historische Faktum der Siege Konstantins im Osten verweist.51 Wir werden sehen, dass die Vita Constantini im Blick auf das Apostelbild als Vollendung nicht nur der Kirchengeschichte, sondern auch der Apostelgeschichte angesehen werden kann. Bruno Bleckmann deutet die Vita Constantini insgesamt weniger als apologetisches Werk (vgl. Eduard Schwartz, Gerhard Ruhbach,52 Averil Cameron53), noch als Versuch, die religiöse Haltung der Söhne Konstantins zu beeinflussen, sondern vor allem als „geschichtstheologisches Werk, durch das der Bischof Eusebius der von ihm erlebten Zeitgeschichte gewaltige heilsgeschichtliche Dimensionen gegeben hat“.54 Bleckmann ist dabei freilich zu fragen, ob man eine heilsgeschichtliche und eine apologetische Perspektive überhaupt so stark voneinander trennen kann. In jedem Fall steht die Vita Constantini durch ihre Betonung der heilsgeschichtlichen Dimension geschichtlicher Entwicklungen der Apostelgeschichte äußerst nahe. Schon in der Kirchengeschichte Eusebs lassen sich ähnliche Konvergenzen beobachten.55

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zu, Denkanstößen und Kommentaren, gedanklichen Synthesen und Verknüpfungen des Autors selbst einen Platz zu geben.“ Vgl. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 166f. Vgl. in Anlehnung an S. G. Hall A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 149f. Vgl. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 33. Vgl. G. Ruhbach, Apologetik (s. Anm. 41) u.a. 173f. Vgl. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 153. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 38. Zur heilsgeschichtlichen Ausrichtung eusebscher Geschichtsschreibung vgl. bereits H. Eger, „Kaiser und Kirche in der Geschichtstheologie Eusebs von Caesarea“, ZNW 38 (1939) 97–115, u.a. 100–102; F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 136–146. Vgl. z.B. die Schilderung der Ekklesiologie Eusebs bei H. Eger, „Kaiser“ (s. Anm. 54) 102, die sehr stark an die lukanische Ekklesiologie in Act 2 und 4 erinnert: Eger hält fest, „daß Euseb die Kirche als Verkörperung einer eschatologisch ausgerichteten Menschheitsidee ansieht, die die Ablehnung und Überwindung nationaler Bindun-

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Es sind also durchaus eine ganze Reihe formaler bzw. historiographischer Übereinstimmungen zwischen der Vita Constantini und der Apostelgeschichte aufweisbar. Durch den panegyrischen Charakter56 der Vita und insbesondere deren potentieller Orientierung an Herrscherspiegeln unterscheidet sie sich aber auch von der Apostelgeschichte.57 Ausschließlich von der historiographischen Methodik her bzw. formgeschichtlich wird sich demnach eine Intertextualität zwischen der Apostelgeschichte und der Vita Constantini kaum aufweisen lassen. Beide zeichnen sich gerade durch ihren Charakter als Mischform aus. Deutlicher hingegen ist der Rückbezug auf inhaltliche Elemente der Acta apostolorum, insbesondere im Bereich der heilsgeschichtlichen Deutung der Ereignisse. Eben diesen inhaltlichen Parallelen will ich im Folgenden noch genauer nachgehen.

3. Der „apostelgleiche“ Kaiser – inhaltliche Parallelen zwischen Paulus und Konstantin in der Apostelgeschichte und der Vita Constantini Liest man den Abschluss c. IV 75 der Vita Constantini, so legt sich der Verdacht nahe, dass Euseb Konstantin nicht nur im Sinne eines Enkomiums als besonderen Kaiser preisen oder biographisch skizzieren wollte, sondern ihn vielmehr bewusst als Apostel zumindest im weiteren Apostelverständnis der Apostelgeschichte58 stilisiert hat. Euseb schildert darin, warum Konstantin sowohl im Leben als auch nach

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gen fordert. Es ist nur natürlich, daß er zugleich einen christlichen Pazifismus vertritt“. Panegyrische Texte bzw. Enkomia stehen allerdings der Hagiographie nahe, vgl. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 151. Über die freilich zur Entstehungszeit beider Texte noch nicht ausgeprägte Hagiographie lassen sich gewisse Brücken zwischen der Apostelgeschichte und der Vita Constantini schlagen, insofern beiden eine „rhetorical substructure“ (vgl. ibid. 152) zugrunde liegt. Es wäre reizvoll, in Anlehnung an T. D. Barnes und A. Cameron zu untersuchen, inwiefern nicht nur der Vita Constantini, sondern auch bereits der Apostelgeschichte eine Pionierfunktion bei der Prägung christlicher Hagiographie zugestanden werden kann, deren Anfang meist in der Vita Antonii des Athanasius gesehen wird. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 169–172, geht allerdings nicht von einer direkten Rezeption der Vita Constantini in der Vita Antonii aus. Vgl. F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke (s. Anm. 35) LI, der betont, „... daß Euseb der erste Christ war, der die enkomiastische Form auf einen christlichen Gegenstand anwendete“. In der Apostelgeschichte wird auch Paulus in einem weiteren Sinne über den Zwölferkreis hinaus als Apostel bezeichnet (vgl. Act 14,4.14). Apostel war Paulus demnach vor allem aufgrund seiner Zeugenschaft. In Act 1,8 wird diese mit den Aposteln im engeren Sinne, dem Zwölferkreis in Verbindung gebracht, u.a. Act 22,15 mit Paulus.

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seinem Tod besonderer Ehren gewürdigt wurde. Dabei führt der Autor weder siegreiche Schlachten noch eine geschickte Innenpolitik an, sondern betont vielmehr – ganz im Sinne seiner Bemerkung bereits im Proömium V.C. I 11,1 – vier religiöse Aspekte: 1) 2) 3) 4)

Konstantin ehrte in vorbildlicher Weise Gott über die Maßen. Konstantin verkündigte die Botschaft Christi freimütig. Konstantin verherrlichte die Kirche. Konstantin zerstörte den Irrtum des Götzendienstes.

Während der erste Aspekt christliches Leben allgemein umfasst, lassen sich die übrigen drei unschwer mit apostolischer Tätigkeit im weiter gefassten Sinne u.a. der Apostelgeschichte in Verbindung bringen. Insbesondere der zweite Punkt, die freimütige Verkündigung des Evangeliums, erinnert stark an die apostolische Tätigkeit, wie sie in der Apostelgeschichte selbst geschildert worden ist.59 Bereits in Act 4,31 wird die freimütige Verkündigung des Wortes Gottes als zentrale Tätigkeit der frühchristlichen Gemeinde umrissen. Act 28,29.31 endet die Apostelgeschichte geradezu programmatisch mit der Aussage, dass Paulus während seines zweijährigen Aufenthalts in Rom mit allem Freimut über den Herrn Jesus Christus gelehrt habe. Auch in den eingestreuten paulinischen Reden selbst ist allgemein immer wieder von seiner zentralen Verkündigungstätigkeit die Rede (vgl. z.B. Act 20,27). Konstantin wird von Euseb mit dieser Bemerkung eindeutig in eine Linie mit der frühen Gemeinde und besonders auch der paulinischen Missionstätigkeit gestellt. Die übrigen Bemerkungen verweisen nicht ganz so deutlich auf ein Verständnis des Kaisers als Apostel, lassen sich aber auch in dieser Richtung deuten: Ungewöhnlich ist die Aussage, dass Konstantin die Kirche verherrlicht habe. Im Neuen Testament, auch in der Apostelgeschichte (vgl. Act 11,18; 21,20), wird das Verb doxavzein in der Regel mit Gott als Objekt verwendet. Allerdings gibt es auch dort die Vorstellung, dass Menschen verherrlicht werden. So spricht Paulus etwa davon, dass diejenigen, die Gott rechtfertigt, auch von ihm verherrlicht werden (vgl. Röm 8,30). Paulus verherrlicht in Röm 11,13 sogar seinen apostolischen Dienst. Noch deutlicher wird in 1 Kor 12,26, dass Glieder innerhalb des Leibes Christi und damit der ganze Leib verherrlicht werden können. Die Vorstellung, dass eine Gemeinde bzw. Christen durch den apostoli59

Die Rede von der freimütigen Verkündigung findet sich nicht nur am Ende der Vita Constantini. Die Verkündigung des Evangeliums hat Konstantin auch nach V.C. I 8,2 zumindest freimütig veranlasst. Und auch in Rom machte er nach dessen Eroberung den Sohn Gottes freimütig bekannt, vgl. V.C. I 41,1. Vgl. letztlich zu Konstantins öffentlichem, freimütigen Bekenntnis zu Christus auch die Darstellung Eusebs in V.C. III 2,1.

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schen Dienst – im Sinne der eschatologischen Teilhabe an der göttlichen dovxa60 – verherrlicht würde, findet sich besonders deutlich in 2 Kor 3,7– 17. Die ansonsten merkwürdige Behauptung der Verherrlichung der Kirche durch Konstantin wird nur von dem paulinisch-apostolischen Verständnis vor allem in 2 Kor 3 her überhaupt verständlich. Die Behauptung, dass Konstantin „den gesamten Irrtum der Vielgötterei“ zerstört und jegliche Form von Idololatrie widerlegt hätte,61 lässt sich wiederum mit dem paulinischen Apostelideal selbst nach der Apostelgeschichte in Verbindung bringen: Der Auftritt des Paulus in Ephesus kann beispielhaft für eine solche Zerstörung stehen (vgl. Act 19,23–40). Direkte Warnungen vor Idololatrie finden sich z.B. in 1 Kor 10,14. Terminologisch taucht die Auseinandersetzung der Apostel mit dem „Polytheismus“ im Neuen Testament zwar nicht auf, ist aber z.B. mit der genannten Stelle aus Act 19 trotzdem vorauszusetzen. Euseb rühmt nicht nur am Schluss der Vita Constantini den Kaiser gleichsam als Apostel. Vielmehr finden sich auch in dem historischen Teil der Vita Constantini zahlreiche Stellen, an denen sich eine inhaltliche Nähe des von Euseb gezeichneten Kaisers zu den Aposteln, insbesondere auch zu Paulus deutlich findet. Diese Stellen sind z.T. schon lange in der Forschung diskutiert, dabei aber weniger mit einer konkreten Intention Eusebs als vielmehr mit der Frage nach dem Selbstverständnis Konstantins in Verbindung gebracht worden. 3.1 Das Damaskuserlebnis des Paulus und die Vision Konstantins Bekanntlich findet sich eine deutliche Parallele zu der Berufung des Paulus in der berühmten Kreuzesvision Konstantins.62 Während sie bei Laktanz eher im Sinne eines (von mehreren) Vorzeichens für Gottes Eingreifen in den konkreten Schlachtausgang interpretiert wurde, vor 60 61 62

Vgl. hierzu G. Kittel, „dovxa“, THWNT 2 (Stuttgart 1935) 235–258, hier 253–55. Vgl. zu den antiheidnischen Kampfmaßnahmen der Vita insgesamt und deren vermeintlichen Spannungen zum Konstantinsbild außerhalb der Vita bereits Vittinghoff, „Eusebius“ (s. Anm. 1) 358–364. Vgl. zur Vision Konstantins vor dem Hintergrund der Apostelgeschichte zuletzt R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 354–358. Anders als Staats behaupte ich nicht, dass bereits Konstantin eine Parallelisierung seiner Vision mit dem DamaskusErlebnis Pauli vorgenommen hat, wenn das freilich auch nicht auszuschließen ist. Gesichert ist aber lediglich die Parallelisierung durch Euseb, und zwar erst in seiner zweiten Darstellung des Ereignisses. Jene lässt sich angesichts der auch sonst zu beobachtenden starken Prägung des Kaiserbildes durch die Apostelgeschichte leicht erklären. Zur Bedeutung der Vision im Rahmen der Vita Constantini vgl. bereits Vittinghoff, „Eusebius“ (s. Anm. 1) 336. Die Vision ist demnach „kompositionell der zentrale Ausgangspunkt der Vita“.

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allem auch als die Mitteilung eines himmlisch offenbarten Apotropaions für die Schilder des Heeres am Abend unmittelbar vor der Schlacht an der milvischen Brücke,63 spielt bei Eusebs Schilderung des Geschehens der Charakter der Vision – von der übrigens in der Historia ecclesiastica noch nicht die Rede war64 – als grundsätzlicher Gottesoffenbarung die entscheidende Rolle. Jene verwies Konstantin auf den richtigen Helfer bzw. Mitkämpfer in der Schlacht, ist aber dennoch nicht gleichsam als Gottesurteil über den Schlachtausgang wie bei Laktanz interpretiert. Euseb sieht zwar in der Vita Constantini und auch bereits in der Kirchengeschichte die Vision ebenfalls im Rahmen des kaiserlichen Planes, die Stadt Rom von der angeblichen Tyrannei des Maxentius zu befreien.65 Konstantin suchte dabei einen Gott als Helfer.66 Insofern spielt die Symmachie Gottes67 eine Rolle, um die Konstantin in Eusebs Kirchengeschichte bereits gebetet hatte. Auch wird in der Vita Constantini das Kreuzeszeichen als Siegeszeichen (trovpaion) interpretiert. Euseb schilderte hier aber den Weg zur Vorbereitung auf eine Gottesoffenbarung überhaupt: Konstantin habe sich nämlich zunächst aus rationalen Erwägungen dem angeblichen Glauben seines Vaters an einen transzendenten Gott zugewandt.68 Diesen Gott seines Vaters (patrw/`o~ aujtw/` qeov~) habe er nun gebeten, zu offenbaren, wer er sei.69 Und tatsächlich sei eine solche Offenbarung gegen Nachmittag, d.h. einer für derartige Visionen sonst unüblichen Zeit,70 in Form eines wunderbaren, von Gott gesandten Zeichens (qeoshmeiva paradoxotavth) erschienen. Mit eigenen Augen habe der Kaiser – nach durch Eid verbürgtem eigenem Bericht – das Siegeszeichen des Kreuzes gesehen.71 Insbesondere diese Schilderung einer Lichterscheinung (trovpaion ejk fwtov~), verbunden mit der Kreuzesvision, zeichnet die Erzählung über das Ereignis in der Vita Constantini aus. Ferner berichtet Euseb hier auch – womöglich in Anschluss an die abendliche Vision nach Laktanz72 – von einer folgenden 63

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Vgl. Laktanz, m.p. 44, 1–9. Laktanz spricht hier sogar von der Hand Gottes über dem Schlachtfeld. Der Aufruhr in Rom und die Befragung der Sybillinischen Bücher über den Schlachtausgang können ebenfalls als (göttliche) Zeichen für den Schlachtausgang bewertet werden. Vgl. Euseb, h.e. IX 9, 1–5. Vgl. Euseb, V.C. I 26. Vgl. Euseb, V.C. I 27,1. Vgl. bereits Euseb, h.e. IX 9, 1. Vgl. Euseb, V.C. I 27,2. Vgl. Euseb, V.C. I 28,1. Auch dort ist freilich davon die Rede, dass dieser Gott Konstantin für die vorstehende Schlacht die rechte Hand reichen solle. Der Ton liegt dennoch auf der Offenbarung an sich. Vgl. R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 355. Vgl. Euseb, V.C. I 28,1. A. Cameron, “Eusebius’ Vita Constantini” (s. Anm. 14) 163, bestreitet jeglichen Einfluss von Laktanz auf den Bericht in der Vita Constantini. Sie erklärt aber die auffäl-

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Erscheinung Christi im Schlaf. In dieser habe Christus Konstantin befohlen, das am Himmel geschaute Zeichen nachzubilden und als Abwehrmittel in der Schlacht einzusetzen.73 Mit dieser Offenbarung entschied er sich dazu, keinen anderen Gott zu verehren als den Geschauten. In gewisser Weise kann man zumindest nach der Darstellung Eusebs in Konstantins Vision also ein Bekehrungserlebnis sehen, wenn auch eine Bekehrung zu einem prinzipiell schon bekannten Gott.74 Um genauer zu verstehen, wer dieser Gott sei, befragte der Kaiser solche, die in seine Worte eingeweiht waren, also Schriftgelehrte bzw. Bischöfe (tou;~ tw`n aujtou` lovgwn muvsta~).75 Durch diese erst wurde ihm die Vision (o[yi~) als Offenbarung des eingeborenen Sohnes des einen und einzigen Gottes erklärt, das geschaute Zeichen aber als Zeichen der Unsterblichkeit etc.76 Diese Exegese der Vision ist ein weiteres neues Element bei der Schilderung des Ereignisses, das sich weder bei Laktanz noch in der Kirchengeschichte Eusebs so fand. Konstantin verstand demnach die Vision als göttliche Belehrung, als Auslegung dessen, was in der Heiligen Schrift gesagt ist. Sich dieser zu widmen, beschloss er nun ebenso, wie sich die Priester zu Auslegern zu machen und den geschauten Gott durch Kulthandlungen zu verehren.77 Die Schilderung Eusebs lässt sich vor der Folie der Vision des Paulus in der Apostelgeschichte (Act 9,1–18; 22,6–16; 26,12–18) erklären.78 Daneben mögen Motive aus dem Heroenkult insbesondere bei der Abhandlung über die „Wunderwaffe“ des labarum bei Eusebs Darstellung eine Rolle gespielt haben, wie Horst Schneider vermutet.79 Auch die Bekehrung des Paulus ereignete sich jedenfalls tagsüber und war eine

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lige Doppelung der Vision nicht, die sich von einer Rezeption des Berichts bei Laktanz leicht erklären lässt. Vgl. Euseb, V.C. I 29. Inwiefern diese Darstellung den historischen Tatsachen entspricht, ist bekanntlich umstritten, vgl. A. Demandt, „Wenn Kaiser träumen ... Die Visionen Konstantins des Großen”, in id./J. Engemann (eds.), Konstantin der Große: Geschichte – Archäologie – Rezeption (Trier 2006) 49–59. Mich haben hingegen u.a. Darstellungen von K. M. Girardet, „Konstantin und das Christentum: Die Jahre der Entscheidung 310 bis 314“, in A. Demandt/J. Engemann (eds.), Konstantin der Große: Geschichte – Archäologie – Rezeption (Trier 2006) 69–81, R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47), und P. Weiß, “The Vision of Constantine“, Journal of Roman Archaeology 16 (2003) 230–259, mehr überzeugt, die von der Historizität eines Bekehrungsereignisses, wenn auch in modifizierter Form ausgehen. Vgl. Euseb, V.C. I 32,1. Vgl. Euseb, V.C. I 32,2. Vgl. Euseb, V.C. I 32,3. Euseb hat die Vision daher wohl gerade nicht, wie von Vittinghoff, „Eusebius“ (s. Anm. 1) 344, behauptet, „als etwas völlig Einmaliges und Neues aufgefasst“ und deshalb so ausführlich geschildert. Die ausführliche Schilderung ergab sich vielmehr u.a. durch das Bemühen, die Vision mit dem paulinischen Damaskuserlebnis in Korrelation zu bringen. Vgl. die tr. Horst Schneider in B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 185 Anm. 55.

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mit Licht verbundene Vision.80 Sie führte zu einem anderen Verständnis des monotheistischen Väterglaubens Pauli. Auch Paulus wird die Vision – hier allerdings unmittelbar während der Vision und nicht erst in der Nacht danach – von Jesus Christus persönlich erklärt und auf ihn hin gedeutet (vgl. Act 9,5). Dass diese Deutung in der Vita Constantini erst nachts stattgefunden hat, mag – wie bereits erwähnt – mit der potentiellen Rezeption der Laktanz-Tradition zusammenhängen. Wie in der Vita gibt es auch in der Apostelgeschichte weitere Zeugen der Vision (vgl. Act 9,7; 22,9). Nach Act 9,7 sahen die Mitreisenden allerdings nichts von der Lichterscheinung, nahmen aber sehr wohl die mit dieser verbundene Stimme wahr. Dem Bericht über Konstantin kommt hingegen die Erzählung des Paulus selbst über das Ereignis näher: In Act 22,9 berichtet er davon, dass die Herumstehenden sehr wohl das Licht sahen, die Stimme aber nicht hörten. Auch in der Apostelgeschichte folgte nach der Vision die Unterweisung durch erfahrene Christen – hier durch den Jünger Ananias (vgl. Act 9,10–18). Konstantin wie Paulus (vgl. bes. Act 22,16) verehren nach ihrer Vision Christus in kultischen Handlungen.81 Wenn es natürlich auch Unterschiede in der Darstellung gibt, die durch die tatsächliche Vita Konstantins bestimmt waren (z.B. der Taufaufschub), so ist doch eine Anlehnung an das Bekehrungserlebnis des Paulus in der Darstellung Eusebs kaum zu übersehen. 3.2 „Apostelkonzil“ und Konzil von Nikaia Ähnlich wie in der Apostelgeschichte befindet sich auch in der Vita Constantini etwa nach ihrer ersten Hälfte die Darstellung eines Konzils. Gewiss liegen Parallelen zwischen der Darstellung des Konzils von Nikaia und dem Apostelkonzil nicht so offensichtlich zu Tage wie jene zwischen den Visionen des Paulus und Konstantins. Insbesondere terminologische Übereinstimmungen lassen sich nicht erheben. Dennoch greift Euseb auch an dieser Stelle deutlich auf die apostolischen Zeiten zurück, indem er die Anwesenheit von Vertretern aller Kirchen kommentiert: „Einen so großen Kranz knüpfte von Anbeginn der Zeit allein der eine Kaiser Konstantin mit dem Band des Friedens zusammen und brachte ihn seinem Erlöser für seinen Sieg über Gegner und Feinde als eine Gott geziemende Dankesgabe dar und schuf damit ein Abbild der Apostelschar in unserer Zeit (eijkovna coreiva~ ajpostolikh`~ tauvthn kaq∆ 80 81

Vgl. Act 9,3 und insbesondere Act 22,6; ferner R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 354. Vgl. Euseb, V.C. I 32,3.

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hJma`~ susthsavmeno~).82 Euseb parallelisiert diese Vielfalt aber nicht mit der Vielfalt der Vertreter auf dem „Apostelkonzil“, sondern explizit mit dem Pfingstereignis (Act 2,5.9–11). Wenn die Abfolge zwischen den beiden Versammlungen sich auch grob ähnelt, so ist daraus gewiss nicht Eusebs Rezeption der Apostelgeschichte abzulesen. Zusammenkunft, intensiver Streit über verschiedene Positionen, Einigung und Entsendung eines Briefes an diejenigen, die nicht an der jeweiligen Versammlung haben teilnehmen können, sind so allgemeine Motive bei der Schilderung einer solchen Versammlung, dass sie nicht auf eine nähere Abhängigkeit Eusebs von der Apostelgeschichte verweisen. Der Grund für die an vielen Stellen andersartige, sehr eigenständige Schilderung des Konzils von Nikaia83 dürfte darin liegen, dass Euseb selbst daran teilgenommen hat und daher die Schilderung der tatsächlichen Ereignisse am Kaiserhof angestrebt haben dürfte. So berichtet er ausführlich über das „Protokoll“ des Konzils. Darüber hinaus war die historische Rahmenbedingung der „Konzile“ im 1. und im 4. Jahrhundert vollkommen unterschiedlich. Euseb ging es dementsprechend sehr stark darum, die Rolle des frieden- und einheitsstiftenden Kaisers zu betonen84 – ein Motiv, das in der Apostelgeschichte natürlich fehlt. Liest man trotz der mangelnden terminologischen und unmittelbaren inhaltlichen Überschneidungen die Schilderung des Konzils von Nikaia auf der Folie des „Apostelkonzils“, so lassen sich zumindest nahe liegende Fragen im Blick auf Eusebs Darstellung beantworten: Warum übergeht Euseb die entscheidende, dogmatische, trinitätstheologische Diskussion bei der eigentlichen Konzilsschilderung vollständig?85 Warum wird die Diskussion um das Osterfest dagegen so besonders hervorgehoben? Zur Beantwortung dieser Fragen könnte man auf Eusebs dogmatische, semiarianische oder besser origenistische Position verweisen,86 die 82 83 84 85 86

Vgl. Euseb, V.C. III 8. Übersetzung von Horst Schneider in B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 319. Vgl. Euseb, V.C. III 6–22. Vgl. u.a. Euseb, V.C. III 13f. Vgl. hierzu a. T. D. Barnes, Constantine (s. Anm. 33) 270; id., “Panegyric“ (s. Anm. 30) 105. Vgl. zur verkürzten Darstellung der Konzile von Nikaia und Tyros in der Vita Constantini auch A. Cameron, “Eusebius“ (s. Anm. 45) bes. 77. Vgl. zu Eusebs Arianismus u.a. H. Strutwolf, Die Trinitätstheologie und Christologie des Euseb von Caesarea (FKDG 72, Göttingen 1999 ); F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke (s. Anm. 35) XXVIII. Der Aufsatz von K. R. C. Gutzman, “Bishop Eusebius of Caesarea and his ‘Life of Constantine’“, GOTR 42 (1997) 351–358, versucht Eusebs Bedeutung für die byzantinische Tradition trotz seiner „häretischen“ Ausrichtung zu würdigen. Er macht dabei in Anlehnung an J. Stevenson die interessante Feststellung, dass Euseb von den 22 Kaiserurkunden, die ihm zuhanden waren, jene acht, die sich mit dem Arianismus beschäftigten, nicht zitierte (vgl. ibid. 355).

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auf dem Konzil trotz seiner anderwärtigen Behauptung nicht bestätigt worden ist. In Eusebs Brief an seine Gemeinde hat er bekanntlich die Genese des Symbols von Nikaia so dargestellt, dass dieses letztlich aus Eusebs Feder stamme und vom Kaiser nur um das Wort oJmoouvsio~ ergänzt worden sei.87 Während Euseb im Brief an die eigene Gemeinde also zumindest eine Nähe zwischen der kaiserlichen und seiner eigenen Theologie deutlich machen und sich selber vom Häresieverdacht befreien wollte, könnte er aus demselben Grund in der Vita Constantini vollständig auf die Darstellung der dogmatischen Diskussion in Nikaia verzichtet haben. Auch andere Gründe könnten für seine selektive Berichterstattung sprechen: Durch die Betonung der einheitlichen Feststellung des Ostertermins wird die für Euseb so wichtige Einheit der Kirche selbst in äußerlich wahrnehmbarer Form besonders hervorgehoben. Vor der Folie der Apostelgeschichte spricht aber ein noch viel einleuchtender Grund für Eusebs Selektion bei den Konzilstopoi: Es ging in beiden Fällen um Bräuche im Christentum, die in Auseinandersetzung mit jüdischem Brauchtum neu zu bestimmen waren. Nach Act 15,1 war die Versammlung in Jerusalem jedenfalls durch eine Auseinandersetzung um das e[qo~ Mwu>sevw~ ausgelöst worden. Und in der Schilderung Eusebs geht es – zumindest nach der von ihm zitierten kaiserlichen Urkunde – auch um die e[qh ajnqrwvpwn pagkavkwn.88 Mit diesen gänzlich bösen Menschen sind nach derselben Urkunde eindeutig die Juden gemeint.89 Während die Apostelgeschichte mit dem Aposteldekret das jüdische Verbot des Blutgenusses selbst im „Heidenchristentum“ betonte, ja das Gottesvolk sogar als das „um die erwählten – was konkret bedeutet: christusgläubigen – Heiden erweiterte Israel“ verstand,90 lehnte das Konzil von Nikaia nach der Darstellung der Vita Constantini eine quartadezimanische Orientierung an der jüdischen Passa-Praxis strikt ab. Diese konsequente Haltung gegenüber jüdischem Brauchtum entspricht auch der sonstigen Position Eusebs zum Judentum.91 Möglicherweise hat er in seiner Kirchengeschichte eben 87 88 89 90

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Vgl. H.-G. Opitz (ed.), Urkunden zur Geschichte des arianischen Streites (Berlin/Leipzig 1934 [= Athanasius Werke III/1]) Nr. 22, 7 et 8. Vgl. Euseb, V.C. III 18,4. Vgl. Euseb, V.C. III 18,2. Vgl. J. Schröter, „Lukas“ (s. Anm. 16) 253. Schröter hält, ibid. 261, sogar fest: „Die christliche Kirche bezieht ihre Identität – und damit auch ihre Legitimation – aus der Kontinuität zu Israel. Der durch die Nichtakzeptanz der Christusbotschaft seitens der Juden heidenchristlich gewordenen Kirche einen geschichtlichen Ort zu geben dürfte die Intention gewesen sein, die Lukas bei der Abfassung seines Werkes geleitet hat.“ Vgl. zum Verhältnis Eusebs zum Judentum sehr differenziert J. Ulrich, Euseb von Caesarea und die Juden (PTS 49, Berlin 1999) 239–246. Dabei macht Ulrich deutlich, dass Euseb gerade auch bei der Darstellung des Konzils in ausgeprägter Nähe zur kaiserlichen Haltung zum Judentum steht.

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wegen der weiten Öffnung zum jüdischen Brauchtum im „Aposteldekret“ diese wichtige Versammlung nicht geschildert. Wenn er explizit auf das „Apostelkonzil“ bzw. das „Aposteldekret“ verwies, so tat er dies zumindest recht eigenwillig: In der Demonstratio Evangelica diente Euseb das Aposteldekret in nicht ganz unbedenklicher Weise als Beleg dafür, dass das Mosegesetz die Heiden nicht binden könne.92 Die selektive Darstellung des Konzils von Nikaia in der Vita Constantini lässt sich in ähnlichem Sinne geradezu als eine Korrektur der – hier freilich nicht genannten – frühchristlichen Versammlung verstehen. Nach göttlichem Willen93 hatte man sich nämlich von den „Gewohnheiten ganz übler Menschen“,94 von dem Brauchtum des Judentums abgesetzt. Ähnlich wie beim „Apostelkonzil“ ging es nach Eusebs Darstellung aber auch in Nikaia eben nur um solches Brauchtum. Damit stünde das Konzil von Nikaia in Eusebs Schilderung zumindest von der Lokalisierung im Gesamtkorpus und von der thematischen Zuspitzung auf jüdisches Brauchtum in der Tradition der Apostelgeschichte. Inhaltlich nimmt Euseb durch eine solche Intertextualität eine indirekte Korrektur vor, indem er nun eine deutliche Abgrenzung vom Judentum thematisiert. Wenn Euseb die Konzilsväter als Abbild der Apostelschar charakterisiert und Konstantin sich in der zitierten Urkunde als deren Mitdiener bezeichnen lässt, rückt er den Kaiser wiederum in eine gleichsam apostolische Funktion.95 3.3 Das Kaisergrab zwischen den Kenotaphen der Apostel Eine solche apostolische Funktion kommt besonders in der stark diskutierten Darstellung der Grabstätte des Kaisers zum Ausdruck.96 Dabei 92

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Vgl. Euseb, dem. ev. I 3,42. Euseb stand mit dieser Auslegung allerdings keineswegs allein, vgl. die weiteren Belege bei R. Pesch, Die Apostelgeschichte (Apg 13–28) (EKK V/2, Zürich et al. 1986) 90. Zur Auslegungsgeschichte des Aposteldekrets vgl. K. Six, Das Aposteldekret (Act 15, 28.29): Seine Entstehung und Geltung in den ersten vier Jahrhunderten (VBPSI 5, Innsbruck 1912), und J. Wehnert, Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden (FRLANT 173, Göttingen 1995). Der Terminus taucht explizit wiederum in der kaiserlichen Urkunde auf, vgl. Euseb, V.C. III 18,5. Euseb sieht das Konzil aber auch als Werk Gottes an, vgl. Euseb, V.C. III 6,2. Der Begriff ist ebenfalls explizit in der kaiserlichen Urkunde zu finden, vgl. Euseb, V.C. III 18,4. Vgl. Euseb, V.C. III 17,2. Vgl. zur Selbstbezeichnung Konstantins als Diener a. R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 360. Der Kaiser bezeichnet sich hier allerdings wörtlich als sunqeravpwn uJmevtero~, nicht – „paulinisch“ geläufiger – als suvndoulo~. Vgl. zur „Apostelkirche“ u.a. S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott zum dreizehnten Apostel? Der tote Kaiser in der Spätantike“, ZAC 4 (2000) 300–324, bes. 309–313.

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ist im Blick auf das historiographische Konzept des Euseb weder das konkrete Aussehen der Memoria von Bedeutung noch das damit verbundene Selbstverständnis des Kaisers.97 Vielmehr soll hier danach gefragt werden, was Euseb mit seiner Darstellung über den Kaiser zum Ausdruck bringen wollte. Euseb betont in der Vita Constantini, dass der Kaiser in Konstantinopel „an seinem Wunschort, wo auch das Andenken der Apostel bewahrt wird“, bestattet wurde.98 Das bedeutete – so Euseb –, dass der Kaiser gemeinsam mit der Anrufung der Apostel verherrlicht würde. Die Beisetzung Konstantins in der Apostelkirche wird gelegentlich mit einer depositio ad sanctos verglichen.99 Dabei geht es aber nach der Darstellung Eusebs anscheinend nicht um eine Beisetzung bei den Gebeinen – in diesem Fall apostolischer – Heiliger, sondern vielmehr um die gleiche Verehrung des Kaisers und der Apostel. Nach Eusebs Schilderung war die „Larnax“ Konstantins nämlich von zwölf qhvka~ wJsanei; sthvla~ iJera;~ ejpi; timh/` kai; mnhvmh/ tou` tw`n ajpostovlwn ejgeivra~ corou` umgeben. Wenn Euseb auch feststellt, dass zu beiden Seiten des Leichnams Apostel lagen (dievkeinto), so handelt es sich doch auch dabei durchaus um die Vorstellung einer symbolischen Präsenz und nicht einer realen in Form von Reliquien. Das Bild von den Grabmälern als Behältern gleich Säulen spricht eher gegen Reliquienschreine, sondern tatsächlich für Kenotaphe100 und insofern gegen eine klassische Bestattung ad sanctos. Dagegen spricht insbesondere die starke Betonung des kaiserlichen Wunsches, nach seinem Tod Anteil an der Anrede (provsrhsi~) der Apostel bzw. der an sie gerichteten Gebete zu bekommen.101 Konstantin 97

Vgl. zu der Auseinandersetzung, ob Konstantin sich als dreizehnten Apostel oder als Sohn Gottes (so u.a. August Heisenberg, Rudolf Leeb, Stefan Rebenich) selbst verehrt wissen wollte, u.a. S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott“ (s. Anm. 96) 311. Problematisch an der Argumentation Rebenichs ist, dass er die Intention Eusebs bei seiner Auswertung nicht berücksichtigt, dessen Darstellung vielmehr uneingeschränkt historisch auswertet. Gänzlich unklar ist mir, wie Rebenich zu dem Schluss kommt, dass Konstantins Sarkophag gleichsam als kultischer Mittelpunkt eines regelmäßigen Gottesdienstes gedient habe, „der ihm als Christus im Kreise seiner Apostel dargebracht wurde“ (ibid. 313). Davon ist bei Euseb nicht die Rede, sondern vielmehr von der Verehrung der Apostel, an der Konstantin teilhaben wollte. Ob R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 360, Recht hat, dass Konstantin sich selbst als „Apostelgleichen“ und nicht als „Christusgleichen“ verstanden wissen wollte, kann m.E. nicht mehr eindeutig entschieden werden. 98 Vgl. Euseb, V.C. IV 71,2 99 Vgl. in Anlehnung an Cameron und Hall Horst Schneider in B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 496 Anm. 355. 100 Von Kenotaphen spricht z.B. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 94. S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott“ (s. Anm. 96) 310, hält für wahrscheinlich, dass es sich um zwölf Kenotaphe gehandelt habe, „in die vielleicht die Bildnisse der Apostel eingraviert waren“. 101 Vgl. bereits Euseb, V.C. IV 60,2. Es geht somit gerade nicht nur um die Reverenz Konstantins gegenüber den Aposteln und den Profit von deren Fürbitten im Jenseits,

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wollte also nach der Darstellung Eusebs nicht nur Anteil an der ‚heiligen Kraft’ der Apostel bzw. ihrer Reliquien haben, sondern auch an der ihnen zukommenden Verehrung. Ob der Kirchenhistoriker damit die ursprüngliche Intention des Kaisers trifft, sei dahingestellt. Möglicherweise wollte dieser tatsächlich, wie zuletzt vor allem von Rudolf Leeb behauptet, als Abbild Christi selber verehrt werden.102 Euseb jedenfalls ist eine solche Vorstellung hier fremd. Ihm ist, sofern die Passage über die Apostelkirche in der Vita Constantini überhaupt von ihm stammt, vor allem an der Apostelgleichheit Konstantins gelegen, die in dem Bau einen sichtbaren Ausdruck gefunden habe. Geht man davon aus, dass Euseb den Apostelbegriff der Apostelgeschichte rezipiert hat, so wären einige weitere Charakterisierungen Konstantins in der Vita Constantini, die z.T. schon lange in der Forschung traktiert worden sind, leichter zu erklären. Dies gilt z.B. für die Selbstbezeichnung Konstantins als ejpivskopo~ tw`n ejktov~.103 Der Begriff, über dessen Bedeutung zahlreiche unterschiedliche Deutungen bestehen und der sich in der Kombination in der Apostelgeschichte nicht findet, brauchte von dieser her für Euseb nicht so anstößig zu sein.104 Der Begriff ejpivskopo~ ohne den Zusatz tw`n ejktov~ taucht nämlich im Neuen Testament u.a. in Act 20,28 auf und bezeichnet dort die Ältesten von Ephesus, die das paulinische und somit apostolische Werk fortführen bzw. sichern. Es ist gut denkbar, dass Euseb in der Vita den Terminus weniger im Sinne der späteren kirchlichen Ämterlaufbahn als vielmehr im Sinne der diadochv105 in der Apostolizität verstanden hat und somit auch als Selbstbezeichnung Konstantins hat tradieren können.

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wie B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 94, feststellt. Vielmehr ging es Konstantin nach Euseb darum, den Aposteln gleich angeredet und verehrt zu werden. Vgl. R. Leeb, Konstantin und Christus (AKG 58, Berlin et al. 1992) bes. 115–120. B. Bleckmann (ed.), Eusebius (s. Anm. 14) 95, sieht sogar Bezüge zu paganen Vorstellungen wie dem Kreis der zwölf Götter, zu dem sich Konstantin habe symbolisch hinzugesellen wollen. Für solche interessanten Vermutungen liegen allerdings überhaupt keine Belege vor. Vgl. zur Bezeichnung Konstantins als ejpivskopo~ tw`n ejktov~ bereits J. Straub, „Kaiser Konstantin als ejpivskopo~ tw`n ejktov~“, in G. Ruhbach (ed.), Die Kirche angesichts der konstantinischen Wende (= WdF 306, Darmstadt 1976) 187–205; zuletzt C. Ronning, „Pontifex Maximus, charismatischer Herrscher, ‚allen gemeinsamer Bischof’ oder dreizehnter Apostel?“, in F. Schuller (ed.), Konstantin der Große: Kaiser einer Epochenwende (Lindenberg 2007) 125–149. Vgl. hierzu a. R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 361f., der allerdings die mögliche Prägung durch Act 20,28 nicht in Anschlag bringt. Vgl. zur diadochv in der christlichen Geschichtsschreibung u.a. W. Wischmeyer, „Wahrnehmungen“ (s. Anm. 15) 268f. Zu Euseb: H. C. Brennecke, „Die Kirche als Diadochai ton apostolon: Das Programm der ecclesiastica historia des Euseb von Caesarea (Eus., h.e. I,1)”, in O. Wischmeyer/E.-M. Becker (eds.), Was ist ein Text? (NET 1, Tübingen et al. 2001) 81–93.

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3.4 Die Vita Constantini als Abschluss der Apostelgeschichte Angesichts der aufgeführten inhaltlichen Parallelen stellt sich die Frage, wie eng Euseb seine Vita Constantini überhaupt mit der Apostelgeschichte in Verbindung bringen wollte. Lassen sich vielleicht doch formale Verklammerungen zwischen den beiden Geschichtswerken feststellen? Über reine Vermutungen kann man an dieser Stelle nicht hinauskommen. Dennoch sind interessante Beobachtungen wiederum am Ende der Vita Constantini zu machen. Diese betreffen vor allem die Reihenfolge der geschilderten Ereignisse: Euseb berichtet davon, dass Konstantin am Pfingsttag verstorben sei. Anschließend schildert er dessen consecratio, die Euseb zumindest sprachlich christlichen Vorstellungen anzunähern bemüht war.106 Eine solche Annäherung war auch deswegen nötig, weil Euseb eine Konsekrationsmünze Konstantins bekannt war, die er in der Vita Constantini sogar beschreibt.107 Er sprach in diesem Zusammenhang von der Himmelfahrt (ajnavlhyi~) des Kaisers, verwendete also einen Terminus, der im römischen Kaiserkult so nicht belegt war.108 Vor der bereits erwähnten zusammenfassenden Würdigung des Kaisers in apostolischen Kategorien endet die historische Darstellung Eusebs mit der Bemerkung, dass das Ende des Kaisers das „Faustpfand seiner Gottesliebe (qeofiliva)“ illustriert habe. Das Motiv der qeofiliva durchzieht ohnehin die Vita Constantini neben dem der eujsevbeia wie ein cantus firmus bei der Charakterisierung des Kaisers.109 Schon in V.C. I 4 wird derselbe in eine Reihe mit den Propheten und den gottgeliebten Männern gestellt. Am Ende der Vita wird nun dieser anfänglichen Einreihung noch einmal das Siegel aufgedrückt, indem auf seinen Tod und seine Beerdigung verwiesen wurde. Konstantin wird somit von Euseb als qeofilhv~, also gleichsam als wahrer Theophilos gezeichnet. Es mag gewagt sein zu 106 Vgl. zu der leidenschaftlichen Kritik der Christen an jeglicher Form traditioneller Konsekration S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott“ (s. Anm. 96) 301. Bemerkenswert ist dabei, dass auch nach der „Konstantinischen Wende“ im 4. Jh. alle rechtmäßigen Kaiser zwecks machtpolitischer Instrumentalisierung divinisiert wurden (vgl. ibid. 304), wenn auch die traditionellen Kulthandlungen nicht mehr vollzogen wurden. Euseb war – so Rebenich, ibid. 316 – die womöglich historische Christus-Mimesis des Kaisers so peinlich, dass er sie mit der christlichen Botschaft zu harmonisieren trachtete. Sie ganz zugunsten der ihm viel vertrauteren Apostel-Konzeption zu übergehen, vermochte er aufgrund der kursierenden Konsekrationsmünzen nicht. 107 Vgl. zu der Konsekrationsmünze Euseb, V.C. IV 73, und S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott“ (s. Anm. 96) 315f. Zur Ikonographie der Konsekration bzw. der Himmelfahrt Konstantins vgl. L. Kötzsche-Breitenbruch, „Zur Darstellung der Himmelfahrt Constantins des Grossen“, in Jenseitsvorstellungen in Antike und Christentum, FS Alfred Stuiber (JAC.E 9, Münster 1982 ) 215–224. 108 Vgl. hierzu a. S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott“ (s. Anm. 96) 316. 109 Vgl. hierzu bereits G. Ruhbach, Apologetik (s. Anm. 41) 174f.

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behaupten, ist aber nicht vollkommen auszuschließen, dass Euseb eine bewusste Reihung der drei Motive Pfingsten – Himmelfahrt – Gottesliebe bietet. Möchte er in lockerer Anknüpfung an den Beginn der Apostelgeschichte, auf die er in V.C. IV 64 sogar verweist,110 zu drei ihrer zentralen Anfangsmotive chiastisch in leichter Variation dieselben Motive bezogen auf Konstantin erwähnen? Dann wäre gegenübergestellt: 1) Pfingsten Act 2,1–13 – Tod des Konstantin zu Pfingsten V.C. IV 64 2) Himmelfahrt Act 1,6–11 – Konstantins Konsekration bzw. Himmelfahrt in V.C. IV 73 3) Referenz an Theophilos Act 1,1 – Konstantin als qeofilhv~ in V.C. IV 74 Sollte eine solche chiastische Reihung von Euseb tatsächlich beabsichtigt sein, dann wollte er damit wohl zum Ausdruck bringen, dass das Werk der Apostel, dass die Apostelgeschichte in Konstantin einen würdigen Abschluss bzw. Höhepunkt gefunden hat. Dies macht Euseb ja mit seiner bereits behandelten Schlusswürdigung des Kaisers mehr als deutlich. Die Vita Constantini wäre in diesem Fall mit der Apostelgeschichte auch ohne zahlreiche wörtliche Zitate und mit nur begrenzten formalen Parallelen aufs engste verbunden, ja würde sich in gewisser Weise als deren Fortsetzung und Abschluss verstehen. Inwieweit Euseb mit seinem Konzept eines apostelgleichen Kaisers dessen Selbstverständnis entsprach, soll hier nicht behandelt werden. Reinhart Staats hat in einer soeben erschienenen Untersuchung zum wiederholten Male deutlich gemacht, dass Konstantin sehr wohl aus einem solchen Selbstverständnis heraus sogar Gesetze formuliert hat.111 Euseb hätte, sofern die Interpretation von Staats zutrifft, also guten Grund gehabt, in seiner Konstantinsvita diesen so deutlich als Apostel zu zeichnen. Jedenfalls lässt sich das Attribut ijsapovstolo~ für Konstantin, das nicht vor dem fünften Jahrhundert auftauchte, dennoch gut aus der Darstellung Eusebs und keineswegs nur aus der Architektur der Apostelkirche ableiten.112

110 Die Rede ist V.C. IV 64 von der Synchronizität der Aufnahme des allgemeinen Erlösers in den Himmel und von der Herabkunft des Heiligen Geistes, „wie den göttlichen Schriften zu entnehmen ist“ (lovgoi perievcousi qei`oi). 111 Vgl. R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47). 112 Anders S. Rebenich, „Vom dreizehnten Gott“ (s. Anm. 96) 311, der vermutet, dass die Grablege in Konstantinopel spätere Generationen zu einem solchen Attribut veranlasst habe. Auch R. Staats, „Kaiser Konstantin“ (s. Anm. 47) 358–361, führt den Titel in erster Linie auf die Grabanlage zurück.

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4. Schluss Euseb war darum bemüht, Kaiser Konstantin u.a. unter Rückgriff auf Aktionsmuster aus der Apostelgeschichte als apostolisch wirksamen Kaiser zu kennzeichnen. Was bedeutet das aber für die inhaltlichen Schwerpunkte in Eusebs Werk? Der „Vater der Kirchengeschichte“ vertrat nach Basil Studer in erster Linie eine „historische Theologie“.113 Diese Einsicht klammert die älteren Ansätze, die in Euseb vornehmlich einen Apologeten sahen, nicht aus.114 Das gilt besonders dann, wenn man die Darstellung Konstantins auf der Folie des Apostelbildes u.a. der Apostelgeschichte betrachtet. Die Mission der Apostel, der Sieg des Christentums haben nämlich im Triumph Konstantins gleichsam eine Bestätigung gefunden.115 Die durch die origenistische Theologie bedingte heilsgeschichtliche Perspektive116 in Eusebs Werk beinhaltet bereits nach den Worten im Proömium der Kirchengeschichte auch den Bericht über die diadoch; tw`n ajpostovlwn. Ferner konnte Euseb nicht nur die providentielle Gleichzeitigkeit von Christus und Augustus feststellen,117 auch ermöglichte das römische Reich zur Zeit Kaiser Konstantins nicht nur ein leichteres Wirken der Apostel118 – vielmehr hat der Kaiser selbst den apostolischen Dienst übernommen und dadurch tatsächlich der in der Apostelgeschichte in ihren Anfängen dargestellten apostolischen, von Gott veranlassten missionarischen Tätigkeit zu einem gewissen Höhe113 Vgl. B. Studer, „Historische Theologie“ (s. Anm. 40). Studer hebt, ibid. 143, auch hervor, dass Euseb „eine einzigartige Vertrautheit mit der historiographischen Literatur der griechischen Antike“ besessen habe. 114 Vgl. B. Studer, „Historische Theologie“ (s. Anm. 40) 150–154. Zu Euseb als Apologeten vgl. zuletzt J. Ulrich, „Eusebius“ (s. Anm. 47) 277, nach dem der Kirchengeschichtsschreiber einen Logos-Theologen und Apologeten darstellte, „der die Kirchengeschichte als spezifischen Teil der gesamten vom Logos bestimmten Geschichte des Kosmos versteht, sie als besonders beweistragendes Phänomen für sein apologetisch-theologisches Anliegen in Anspruch nimmt und sie deshalb und unter diesem Aspekt in einem bis dato nicht gekannten Facetten- und Materialreichtum entfaltet“. 115 Vgl. B. Studer, „Historische Theologie“ (s. Anm. 40) 153, unter Verweis auf h.e. X 1.9. Vgl. Telfer, “The Author’s Purpose“ (s. Anm. 38) bes. 167, der in diesem Zusammenhang allerdings behauptet, dass es in der Vita Constantini hauptsächlich um Erbauung gegangen sei. Euseb hätte versucht, die Christen auf den zweiten Akt im Drama der göttlichen Intervention für Befreiung und Triumph der Kirche unter Konstantins Söhnen vorzubereiten. Vgl. allgemein zur heilsgeschichtlichen Konzeption bei Euseb D. Timpe, „Kirchengeschichte“ (s. Anm. 47) 307f. 116 Vgl. hierzu a. B. Studer, „Historische Theologie“ (s. Anm. 40) 149. D. Timpe, „Kirchengeschichte“ (s. Anm. 47) 327, warnt zu Recht vor der Abwertung einer heilsgeschichtlich orientierten Darstellung: „Ohne Kirchengeschichte gäbe es keine Geschichtsphilosophie, ohne Heilsgeschichte keine nachantike Weltgeschichte.“ 117 Vgl. Euseb, dem. ev. III 7,30–35. Vgl. zu dem Synchronismus unter Angabe zahlreicher weiterer Belegstellen a. F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 139. 118 Vgl. so noch Euseb, dem. ev. VII 33.

Eusebs Vita Constantini und die Apostelgeschichte

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punkt und Abschluss verholfen.119 Das vom Apologeten Euseb hervorgehobene Wirken des Logos vom Beginn der Welt an120 wird nach dem Schlusskapitel der Vita Constantini ja noch durch den apostolisch wirksamen Konstantin gefördert. Historiographischer Zweck ist also auch in der Vita Constantini „die Schrifterfüllung im Prozeß der Geschichte“.121 Erster „politischer Theologe“ ist Euseb insofern, als er den Kaiser in die diadochv des von der Apostelgeschichte vorgegebenen Bildes eines Zeugen bzw. Apostels einzeichnete.122 Es wäre eine weitere Überlegung wert, ob die anderwärtig in Eusebs Werk erwähnte kaiserliche mimesis Christi in der Nachfolge und auch Nachahmung Christi durch die Apostel ihren Ursprung hat. Womöglich führte gerade das Amalgan von Apologie, Heilsgeschichte und Panegyrik dazu, dass die Vita Constantini eine relativ schwache Rezeption erlebte.123 Als apostelgleich konnte Konstantin zwar in der ostkirchlichen Liturgie leicht gerühmt werden, historiographisch ließ sich eine derartige Applikation des Apostelideals auf den Kaiser hingegen kaum durchhalten – sowohl Kaisern als auch Kirchenhistorikern dürfte an solch einer Vermengung im nachkonstantinischen Zeitalter nicht mehr gelegen gewesen sein. Historiographisch gab das eusebsche, durch die Apostelgeschichte geprägte Konzept, das womöglich den Söhnen Konstantins ihren Vater als Vorbild vorgestellt hat,124 offenbar für die folgenden Generationen kaum noch etwas her.

119 Insofern lag H. Eger, „Kaiser“ (s. Anm. 54) 115, mit seiner Bemerkung vollkommen richtig, wenn er auch nicht die entsprechenden Schlüsse daraus zog: „In der ersten Periode (scil. bis 313) schreibt er (scil. Euseb) die von Gott gesetzte Aufgabe, die Königsherrschaft Christi auf Erden durchzusetzen, allein der Kirche zu; in der zweiten (scil. bis 324) erkennt er dem Imperium neben der Kirche eine gewisse äußere providentielle Hilfeleistung bei dieser Aufgabe zu; in der dritten (scil. ab 324) überträgt er in den Konstantinschriften die spezifische Aufgabe der Kirche zugleich auch dem Kaiser.“ 120 Vgl. J. Ulrich, „Eusebius“ (s. Anm. 47) 277; ferner D. Timpe, „Kirchengeschichte“ (s. Anm. 47) 318f. 121 Vgl. so zur Form von Eusebs Kirchengeschichte D. Timpe, „Kirchengeschichte“ (s. Anm. 47) 316. 122 F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 149, betont vollkommen zu Recht, dass Euseb nicht das christliche Kaisertum als solches theologisieren wollte, sondern lediglich das Bild eines idealen Herrschers mit Konstantin in Verbindung bringen wollte, von dem er durchaus das Bild eines schlechten Herrschers absetzt. Ibid. 159 warnt er darüber hinaus, die eigentliche Theologie von der „politischen Theologie“ Eusebs zu unterscheiden und letztere als Fehltritt zu bewerten. Als „kaiserlicher Chefideologe“ sei Euseb auch deswegen nicht einzustufen, weil er dazu viel zu wenig Einfluss auf Konstantin hatte. 123 Zur schwachen Rezeption der Vita Constantini vgl. F. Winkelmann, Euseb (s. Anm. 2) 156; id., Eusebius Werke (s. Anm. 35) XXVII. 124 Vgl. F. Winkelmann (ed.), Eusebius Werke (s. Anm. 35) LII.

Inconvenient Truths: Early Jewish and Christian History Writing and the Ending of Luke-Acts PAUL A. HOLLOWAY Quid? Non operienda sunt quaedem? (“What? Are not some things better left unsaid?”) Quintilian, Inst. 2.13.12

Scholars have long puzzled over the ending of Luke-Acts, which leaves its protagonist the Christian apostle Paul imprisoned in Rome awaiting trial on capital charges. To be sure, the author, whom for the sake of convenience I will call Luke, tries to put a good face on it. Here is the last sentence of his work: “And there [Paul] lived for two whole years at his own expense, and he welcomed all who came to him, proclaiming the kingdom of God and teaching about the Lord Jesus Christ with all boldness and without hindrance” – as if Roman custody offered no “hindrance” to this most peregrine of apostles!1 Nevertheless, this is hardly the ending one would expect to a story whose theme is the triumphant progress of the gospel and its enthusiastic reception by gentiles, a point Luke has Paul himself reiterate in the second-to-last sentence of the work: “Let it therefore be known to you [Jews] that the salvation of God has been sent to the gentiles – and they will listen!” So why does Luke stop his story where he does, with Paul in Roman custody about to be placed on trial for his life? A number of explanations have traditionally been offered for this.2 One of the earliest of these, argued by William Ramsay and taken up by

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This incongruity is lessened somewhat by the alternate ending found in some Latin and Syriac manuscripts: dicens quia hic est Christus Jesus filius dei per quem incipiet totus mundus iudicari. Reviews can be found in: Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3/10, Göttingen 1956) 657–8; Hermann J. Hauser, Strukturen der Abschlusserzählung der Apostelgeschichte (Apg 28,16–31) (AnBib 86, Rome 1979) 1–3; Colin J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History (WUNT 49, Tübingen 1989) 383–7; Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles (AB 31, New York 1997) 791.

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Theodor Zahn,3 is that Luke planned to write a third volume of his history in which he would finish his story, but never got around to it. A second explanation, initially proposed tentatively by Adolf von Harnack and then advocated more enthusiastically by J. A. T. Robinson,4 is that Acts was composed shortly after Paul’s imprisonment before the outcome of his trial was known. A third explanation, suggested by Otto Eger and then by Henry Cadbury,5 is that Paul was automatically released when his accusers failed to show, and that Luke simply assumed his readers would have understood this.6 And finally a fourth explanation, proposed by Friedrich Pfister,7 is that Acts did in fact continue the story, including Paul’s martyrdom, but that this ending was removed to bring the narrative into line with developing pious legends about the apostle. Unfortunately, none of these early proposals has stood the test of time, leaving scholars today still searching for an explanation of the ending of Luke-Acts. There are currently two basic approaches to the problem. The first and more popular approach emphasizes the internal logic of Luke’s narrative, arguing that its ending is not really a problem if properly understood in light of the foregoing story.8 At one level this is a very 3 4

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William Ramsay, St. Paul the Traveler and Roman Citizen (London 1895) 27–28; Theodor Zahn, “Das dritte Buch des Lukas”, NKZ 28 (1917) 373–96; cf. Spitta, Die Apostelgeschichte (Halle 1891) 318–9. Adolf Harnack, Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte und zur Abfassungszeit der synoptischen Evangelien (Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament 4, Leipzig 1911) 68–9; J. A. T. Robinson, Redating the New Testament (London/Philadelphia 1976) 86–117. Otto Eger, Rechtsgeschichtliches zum Neuen Testament (Basel 1919) 20–23; Henry J. Cadbury, “Roman Law and the Trial of Paul”, in F. Jackson/K. Lake (eds.), The Beginnings of Christianity, Part 1: The Acts of the Apostles, 5 vols. (London 1933), vol. 5: 297– 338. Even if Luke’s readers understood these fine points of Roman law – which scholars are still debating! – one wonders why Luke simply did not say that Paul’s accusers did not show up, a point he no doubt could have made to good effect? On the legal question, see A. N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament (Oxford 1963) 113, and H. W. Tajra, A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles (WUNT 2/35, Tübingen 1989) 192–6. Friedrich Pfister, “Die zweimalige römische Gefangenschaft und die spanische Reise des Apostels Paulus und der Schluss der Apostelgeschichte“, ZNW 14 (1913) 216–21; cf. E. Havet, Le Christianisme et ses Origines IV (Paris 1884) 212. E.g., Fitzmyer, The Acts of the Apostles (see n. 2) 792: “The ending of Acts is that which Luke planned for his literary composition.” A historically informed and nuanced, if ultimately unsuccessful in my view, version of this approach can be found in Daniel Marguerat, The First Christian Historian: Writing the “Acts of the Apostles” (SNTSMS 121, Cambridge 2002) 205–30, to which I owe the epigraph of this paper (Quint. 2.13.12); cf. David P. Moessner, “’Completed End(s)ings’ of Historiographical Narrative: Diodorus Siculus and the End(ing) of Acts”, in Cilliers Breytenbach/Jens Schröter (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung (AJEC 57, Leiden 2004) 193–221.

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reasonable approach: one should obviously read the ending of Acts, as Dupont has urged, “[in] rapport à ľensemble de ľouvrage de Luc”.9 It is doubtful, however, whether this approach can ever adequately solve our problem, since it does not so much explain why Luke decided to end his narrative on such a ambivalent note as it documents how Luke attempted all along to prepare his reader for such an ending. Haenchen’s insightful comments on just this point are worth quoting at length:10 Die meisten Leser der Apg dürften sich kaum deutlich gemacht haben, welch unerhörte Mühe sich Lukas gegeben hat, um verständlich zu machen, warum der schuldlose Paulus nicht aus der Haft entlassen wurde. Denn das Ereignis, das allein der These vom Wohlwollen und der Toleranz Roms durchschlagende Kraft gegeben hätte, die Freilassung des Paulus, konnte Lukas offenbar nicht berichten. Er hat seine Leser nirgends darauf vorbereitet, daß der Prozeß ein gutes Ende nehmen werde; er hat immer nur betont, daß Paulus weder Tod noch Kerker verdient hat – und das ist etwas anderes.

Properly understood, therefore, it is the ending of Acts that explains its prior narrative, not the other way around. This brings us to the second approach currently in vogue, which rather than looking inside the narrative to explain its peculiar ending looks to events outside and argues that Luke ends his two-volume work where he does because this was in the last analysis the best place he could find to do so. On this account, then, Luke ends with Paul in prison because to have continued the historical narrative beyond Paul’s alleged two years in Roman custody would have only made matters worse. As Barrett puts it with characteristic understatement, “the end of the story was omitted because it was not edifying”.11 This second approach is to my mind essentially correct, and in this paper I wish to offer further evidence for it based on the observable practices of other ancient history writers, in particular other writers in the early Jewish and Christian traditions. It is well known that these authors frequently found it necessary to play loose with inconvenient truths in order to make their various theological points. What has not been duly noted, however, is that this avoidance of embarrassing facts often influenced where these authors, like Luke, chose to end their narratives. 9 10 11

J. Dupont, “La conclusion des Actes et son rapport à ľensemble de ľouvrage de Luc”, in Kremer (ed.), Les Actes des Apôtres (BETL 48, Leuven 1979) 359–404. Die Apostelgeschichte (see n. 2) 664. C. K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, 2 vols. (ICC, Edinburgh 1994–1998) 2: 1249.

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1. History and Story Before turning to these authors, let me anticipate an obvious objection to my thesis: namely, that it is not the stuff of history writing – and whatever else Luke was he was a historian – to contrive tendentious narratives by a less-than-honest avoidance of facts. The hallmark of legitimate historiography at least since Thucydides has been “accuracy” (ajkrivbeia),12 so that even the satirist Lucian could stipulate that historians, such as they are in his view, should take care to avoid “tall tales” (mu'qoi) and “flattery” (kolakeiva), since, whatever other values they might possess, they distort the “truth” (to; ajlhqev"), the plain facts of history.13 But we must keep in mind that these were the advertised (not to say self-promoting – and in the case of Lucian, facetious) ideals of ancient historians and not necessarily their practice.14 Indeed, Seneca presents a very different assessment of history writers at Quaestiones naturales 7.16.1ff. After dismissing an explanation offered by 4th century historian Ephorus of Cyme with the following quip, “It takes no effort to refute him – he’s a historian!” Seneca goes on to say: Some historians win over their audiences by telling incredible tales. ... Others are simply credulous fools; they are themselves duped by the lies they pass on. And then there are those who just plain like to fabricate things. Whereas the credulous type doesn’t know enough to avoid misinformation, this type actively seeks it out. But however you slice it, what the whole tribe of historians has in common is ... [that they] sprinkle their works with lies.

According to Seneca, therefore, what really sets historians apart is their well-known propensity to misrepresent things, with the result that in one way or another each can be readily exposed to be a purveyor of distortions and falsehoods. Not a particularly generous assessment, to be sure, but one that should alert us not to be taken in too quickly by the venerable rhetoric of historiography.15

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Thuc. 1.22; cf. Eusebius’s famous quote from Papias that the evangelist Mark “wrote accurately” (ajkribw'" e[grayen; H.E. 3.39.15); Luke makes a similar claim at the beginning of his first volume (ajkribw'"; Luke 1:3). Hist. Conscr. 7–9; cf. Thuc 1.21–2. A point that Lucian is, on my reading, seeking to expose by his ironic handbook. See the perceptive essay on Lucian by Clare K. Rothschild in this volume. Clare K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History: An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT 2/175, Tübingen 2004). The fact that Luke-Acts is history, therefore, only speaks to the nature of its claims and does little to guarantee its accuracy (pace Hengel).

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In his delightful and learned essay entitled “Lying Historians”, T. P. Wiseman, to whom I owe the above quotation from Seneca, catalogues the various types of lies (seven in all) that ancient historians typically told.16 Wiseman’s fifth type of historiographical mendacity concerns us here. It derives from the fact that even the best historians are in the end storytellers. According to Wiseman, it is never enough simply to relate bare evidence; one must also interpret that evidence by fitting it – which sometimes means forcing it – into a coherent and credible story. Arrian acknowledges this tension between brute fact and story in the preface to the Anabasis, where it becomes for him a principle of selection for what he will and will not include in his account:17 Everything that both Ptolemy and Aristobulus have described, I have reproduced ... . Where their accounts differ, I have followed the one that is more believable provided it makes for a better story (ajxiafhghtovtera).

No less a canonical historian than Polybius is aware of this need to construct an instructive and compelling story:18 … neither writers nor readers of history should confine their attention to the narrative of events, but must also take account of what preceded, accompanied and followed them. For if we remove from history the analysis of why, how, and for what purpose each thing was done and whether the result was what we should reasonably have expected, what is left is a mere display of descriptive virtuosity, but not a lesson (mavqhma), and this, though it may please for the moment, is of no enduring value for the future.

“Lessons” can, of course, be of different types and place differing demands upon the storytelling abilities of a historian. The historians we will consider in this paper believe that they have discerned the hand of God at work in the events they relate and must therefore take into account divine causes and purposes so as to tell a story worthy of the acts of God, a difficult task to say the least, since as we all know history is full of many inconvenient truths for such folks. It stands to reason, therefore, that even the most responsible historian seeking to demonstrate the plan of God in the events of this world will have ample occasion to gloss over recalcitrant facts that do not fit his or her interpretation, which among other things will affect where he or she chooses to begin and end the narrative.19 16 17 18 19

“Lying Historians: Seven Types of Mendacity”, in Christopher Gill/T. P. Wiseman (eds.), Lies and Fiction in the Ancient World (Exeter 1993) 122–46. praef. 1.3; cited by Wiseman, “Lying Historians” (see n. 16) 137. 3.31.11–13; cited by Wiseman, “Lying Historians” (see n. 16) 143. It was one of the well-known faults of Mark’s gospel that, though “he wrote accurately”, he failed to put together a good story: “he wrote in no particular order” (ouj

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2. Two Early Christian Histories (Eus., H.E., and Thdt., H.E.) Let me begin with Luke’s great successor, the 4th century Christian intellectual and bishop Eusebius of Caesarea.20 Eusebius published his Historia Ecclesiastica in several versions over a number of years, beginning by some accounts as early as the 290’s C.E.21 Indeed, according to the Robert Grant, “the only way to understand the Church History is to view it as a process, not a finished product”.22 For our present purposes we are interested only in the final version of the Church History, which will have been published sometime after the repeal of Licinius’ “lawless laws” against Christians in December 324,23 but before the embarrassing execution of the emperor Constantine’s son Crispus in the spring of 326.24 This version ends with the victory of Constantine over Licinius and the establishment of a united Christian empire, “undisputed for Constantine and his sons alone” (H.E. 10.9.9). At first glance this is an odd place for Eusebius to end his triumphal narrative. To be sure the Christian Constantine has defeated the last emperor to persecute the church and is now in sole possession of the Roman world, a point that Eusebius is at pains to make in the last few hastily constructed paragraphs of what would be the final edition of his work.25 But if Eusebius had continued his story by just one more year, he would have been able to tell the story of how this most God fearing of emperors took the further step of calling the church’s first ecumenical council at Nicea, which formulated the famous Nicene Creed that officially proscribed the most dangerous forms of heresy. Indeed, that Eusebius of all people should omit this momentous event is particularly striking since it was one of the stated purposes of his

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tavxei; Papias apud Eus. H.E. 3.39.15). Luke, on the other hand, knows that Theophilus expects better: kaqexh'" soi gravyai, kravtiste Qeovfile. I have been guided in my interpretation of Eusebius and Theodoret by Dr. Paul Parvis’ unpublished paper, “’…and History Came to a .’: The Importance of Endings in Some Ancient Church Histories”, presented to the Perth Conference of Scottish Church Historians, 17 February 2007. I am much indebted to Dr. Parvis for providing me with a copy of his paper and for a stimulating conversation over lunch after his presentation. T. D. Barnes, “The Editions of Eusebius’ Ecclesiastical History”, GRBS 21 (1980) 191– 201. Eusebius as Church Historian (Oxford 1980) 10. H.E. 10.8.11: novmou" ajnovmou"; see Grant, Eusebius (see n. 22) 163. Crispus is favorably mentioned in H.E. 10.9.4; see the discussion of his death in Barnes, Constantine and Eusebius (Cambridge 1981) 219–221. Grant, Eusebius (see n. 22) 162.

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Church History to give an account of heresy and its fate in the providence of God.26 So why then does Eusebius stop the Church History where he does? Or why, having stopped it there, does he not simply produce yet another edition of the Church History detailing the Council at Nicea and its aftermath, since he continued to write for another 15 years until his death in 339? Here we are necessarily entering the realm of speculation, but it is speculation invited by the evidence. And it is speculation the justification for which is not that hard to produce, since it is well known that Nicea was neither a theological nor personal victory in Eusebius’s eyes. Eusebius came to Nicea officially condemned by the bishop of Alexandria for his Arian leanings, and it was at Nicea that Eusebius, though eventually officially exonerated, was forced – by Constantine no less! – to accept the offending homoousios language of Alexandria. This was to his great distaste and embarrassment, as can been seen most clearly in the letter he sent to his church shortly after the Council attempting to explain his actions, which letter has been preserved, no doubt gloatingly, by his younger Alexandrian nemesis Athanasias as an appendix to his On the Decrees of the Nicene Council.27 Furthermore, we know that within a year of Nicea, Constantine executed his son Crispus, “an emperor most beloved to God” (H.E. 10.9.6), apparently on charges of rape relating to Constantine’s second wife Fausta. And as if that were not enough, these charges were almost immediately discovered to be false – too late to be of any help to poor Crispus – and within just a few months of Crispus’ tragic demise Fausta was herself done to death. These were, obviously, truths too inconvenient to be told,28 and so Eusebius simply had to let his narrative stand with Constantine’s military victory over Licinius. Paul Parvis explains Eusebius’s situation as follows:29 The whole of the Historia Ecclesiastica – indeed, the whole of Eusebius’s work – is dominated by the conviction that you can see God’s gracious, providential plan at work in the unfolding of the history of his people. In 26 27

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H.E. 1.1.1–2; Grant, Eusebius (see n. 22) 84–96, offers a detailed discussion of this theme. PG 20.1537; H.-G. Opitz (ed.), Athanasius Werke 3.1: Urkunden zur Geschichte des arianischen Streites (Berlin 1934) 22; also preserved by Socr. H.E. 1.8; Thdt., H.E. 1.12. The letter is helpfully discussed by J. N. D. Kelly, Early Christian Creeds (New York ³1972) 211–16. These debacles throw a wrench in Eusebius’s historical schema of good and bad emperors, for which see the incisive comments of T. D. Barnes, Tertullian: A Historical and Literary Study, revised and corrected ed. (Oxford 1985) 149, esp. note 2. “’... and History Came to a .’” (see n. 20) 7.

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the winter of 324/325 it had seemed to be the case that what he was seeing before his very eyes was the achievement of God’s gracious dispensation... . How could he go on to tell the story of what he saw as the establishment of theological error? And even worse, how could he tell the story of the bloodlust that was to be the curse of the House of Constantius?

After Nicea Eusebius leaves history writing aside and returns to his roots as a biblical scholar, producing among other items a commentary on Isaiah. He only comes back to historical themes in 336 with his Panegyric to Constantine delivered at the 30th anniversary of the latter’s reign, and then with his Life of Constantine, begun immediately after the latter’s death, but left unfinished when Eusebius himself died in 339.30 Both of these genres, of course, the panegyric and the imperial biography, can be quite selective in how events are narrated – a fact that was not lost on Eusebius.31 Eusebius had three continuators: Socrates Scholasticus, Sozomen, and Theodoret of Cyrrhus. The first two, Socrates and Sozomen, were laymen and lawyers and their histories do not appear to have been determined by an overt theological agenda. Socrates, for instance, ends his history in 439, a year of no apparent significance to the story he is telling. He attempts to manufacture a rationale in the book’s peroratio, but it is hardly persuasive:32 In such a flourishing condition were the affairs of the church at this time. But we shall here close our history ...; for as long as peace continues those who desire to write histories will find no materials for their purpose.

One possible explanation for ending in 439 is that that was the year that saw the publication of the Theodotian Code, a compilation of imperial constitutiones from Constantine to Theodotius II in which Socrates, as one of the leading legal minds in Constantinople in his day, will have very likely taken part. It has been reasonably suggested that his Church History, which details religious developments over precisely this period, was compiled to provide background information for Book VIII of the Code, which treated imperial constitutiones regarding religion. This 30

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Actually, there is good evidence that Eusebius actually tried to continue the H.E., since the mss contain notes for an eleventh book, which eventually became the basis for the Life of Constantine. With his embarrassment at Nicea and the killing of Crispus such a continuation became impossible. On the difference between panegyric and history writing, see Lucian, Hist. Conscr. 7: “The encomiast’s sole concern is to praise and please in any way he can the one he praises, and if he can achieve his aim by lying, little will he care; but history cannot admit a lie, even a tiny one”; cf. T. D. Barnes, “Panegyric, history and hagiography in Eusebius’ Life of Constantine”, in Rowan Williams (ed.), The Making of Orthodoxy: Essays in Honour of Henry Chadwick (Cambridge 1989) 94–123, esp. 115. H.E. 7.48.6–7.

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suggestion is made particularly attractive by the fact that Socrates was commissioned to write his book by a certain Theodorus, who is very plausibly the “Respectable Theodorus, Count and Master of the Bureau of Memorials” mentioned in 1.1.5 of the Code as one of the nine commissioners responsible for its production, and who were charged with enlisting the services of “every exceptionally learned man [in Constantinople], in order that by their common research a reasonable plan of life may be apprehended and fallacious laws may be excluded”. But be that as it may, Socrates’s Church History does not appear to be overtly propagandistic, and neither does Sozomen’s, which is merely a more rhetorically polished – and as it turns out almost wholly plagiarized! – version of Socrates’s. This brings us to Eusebius’s third continuator, Theodoret of Cyrrhus, who was not a layman but a bishop and a theologian of considerable merit, and who, unlike Socrates and Sozomen, built his history around an explicit theological theme: the church’s triumph over the wiles of the Devil. According to Theodoret the Devil has launched two attacks on the church. The first of these, Plan A, was to destroy the church from without by physical persecution. This plan was rendered impossible by the victories of Constantine, a story narrated by Theodoret’s predecessor Eusebius. Theodoret writes:33 After the overthrow of the wicked and impious tyrants, Maxentius, Maximinus, and Licinius, the violent tidal surge which those destroyers, like hurricanes, had roused was hushed to sleep, the whirlwinds were checked, and the Church henceforth began to enjoy a settled calm. This was established for her by Constantine, a prince deserving of all praise, whose calling, like that of the divine Apostle, was not of men, nor by men, but from heaven ... . [After this the Devil] did not dare to declare open war against our God and Saviour ... .

This led to Plan B, which was to destroy the church from within by heresy, and in particular by the heresy of the wayward Alexandrian presbyter Arius. Again Theodoret: but having found some who, though dignified with the name of Christians, were yet slaves to ambition and vainglory, [the Devil] made them fit instruments for the execution of his designs, and by their means drew others back into their old error ... by bringing it about that the Creator and Maker of all should be reduced to a level with the creature.

It is this latter attack on the church by the Devil that Theodoret seeks to trace in his Church History. Whereas the first attack was beaten off by 33

H.E. 1.2.1–7.

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the sword of emperors, this attack will be fought by bishops, the church’s divinely appointed guardians against theological error, of which Theodoret himself was one. In this battle even Christian emperors will sometimes end up on the wrong side of the fight, such as the Arian Valens, who in the providence and grace of God was slaughtered by the Goths at Adrianople.34 We are of course primarily interested in the ending of Theodoret’s Church History, which is worth quoting at length. Note that the theme of struggling against heresy remains center-stage:35 When the divine Theodotus was ruling the church of Antioch, Theodore the bishop of Mopsuestia, a doctor of the whole church and successful combatant against every heretical phalanx, died ... . Thirty six years he had spent in his bishopric, fighting against the forces of Arius and Eunomius, struggling against the piratical band of Apollinarius, and finding the best pasture for God’s sheep ... . I shall now make an end of my history ... . The narrative now embraces a period of 105 years, beginning from the Arian madness and ending with the death of the admirable Theodore ... .

At first glance there is nothing particularly striking about this ending. It is abrupt, even more so than Eusebius’s, coming at the end of only five books and with little preparation. But Theodore of Mopsuestia is a model of Antiochene orthodoxy and bears symbolic witness to the church’s robust resistance to heresy and thus of its effective defence against the destructive schemes of the Devil. However, there is more to this than meets the eye, since we know that Theodoret did not finish his Church History until 449, more than twenty years after the death of Theodore of Mopsuestia in 428.36 So why does he not continue the story further? There is good reason to believe that, as in the case of Eusebius, there came a point after which history became “un-writable”37 for Theodoret, or at least history as he wished to tell it, his story as it were. After 428 the church’s fight against heresy was anything but successful in Theodoret’s eyes. It was in this year that his good friend, the controversial Nestorius became bishop of Constantinople. Nestorius was a vocal champion of Antiochene orthodoxy against monophysite tendencies in Alexandrian Christologies, which tendencies to Theodoret’s mind played directly into the hands of Arianism – only a firm two34 35 36 37

H.E. 4.32. H.E. 5.39. Léon Parmentier, Theodoret Kirchengeschichte (Berlin ²1954) xxv–xxix; Parvis, “’... and History Came to a .’” (see n. 20) 11–12; pace Annick Martin in Léon Parmentier et al., Histoire ecclésiastique (SC 501, Paris 2006) 36. The term is Paul Parvis’s (see note 20 above).

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nature Christology would guard against this destructive error. This was, of course, the final resolution at Chalcedon in 451, where it turns out that Theodoret’s theological definitions (as expressed in the famous Formula of Reunion of 433) were determinative. But at the time of the publication of the Church History things were proceeding in a very different direction and had become quite dire from Theodoret’s point of view. Nestorius’ vocal opposition to theotokos language drew the attention of Cyril of Alexandria, and in 430 Nestorius was condemned on politically motivated charges.38 A year later at the so-called First Council of Ephesus in 431 Nestorius’ condemnation was confirmed. Several years passed before the sentence of deposition was enacted, but in 435 Nestorius’ books were condemned and in 436 Nestorius himself was banished to Upper Egypt, where he eventually died. Cyril died in 444, but he was succeeded by his nephew Dioscorus, who proved even more of a problem for Theodoret. There was at this time a lengthy and deadly rivalry between Alexandria and Constantinople, which in many ways had the flavor of a family feud, since not only was Dioscorus the nephew of Cyril, but Cyril was himself the nephew of the previous patriarch Theophilus. Theophilus, it will be recalled, had been instrumental in deposing John Chrysostom,39 just as Cyril was instrumental in the removal of Nestorius. With his appointment Dioscorus took up the family vendetta and attacked Flavian, the current patriarch of Constantinople. To do so he teamed up with an even more radical monophysite Eutyches, who was already involved in court intrigue with the imperial eunuch Chrysapius against Flavian. Eutyches was eventually condemned at a local council in Constantinople in 448 headed by Flavian, and his condemnation was confirmed in the West by Leo in his famous Tome (Tomus ad Flavianum) issued in 449. During the growing crisis Theodoret composed in 447 his dialogue the Eranistes or The Beggar against monophysitism, in which he tried to enlist Alexandrian support against Eutyches and his doctrines, but to little effect. In 449 the emperor Theodotius II was persuaded by Chrysapius to convene a synod in Ephesus over which Dioscorus would preside. At this synod Leo’s Tome was ignored, and both Flavian and Theodoret were summarily excommunicated. In the aftermath, Flavian was mortally beaten by a mob of Eutychean monks. 38

39

Cyril was at this time under suspicion of being involved in the deaths of several of his opponents in Alexandria, including the woman philosopher Hypatia, and the emperor had appointed none other than Nestorius to investigate. Nestorius’ condemnation conveniently discredited Cyril’s opponents. J. N. D. Kelly, Golden Mouth: The Story of John Chrysostom, Ascetic, Preacher, Bishop (Ithaca 1995) 191–227.

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These are sordid and, as Barrett would say, “unedifying” details, but they bear repeating since it was during these dark days that Theodoret composed and published his Church History, an exercise in self-consolation in which he rehearses the story of the church’s victorious struggle against heresy.40 Of course, to tell such a story Theodoret had to end with the death of the great Antiochene theologian Theodore of Mopsuestia and before the election of Nestorius and the many inconvenient truths we have just noted. One may wonder why Theodoret did not later extend his History to include the Council of Chalcedon with it two-nature Christology. But even Chalcedon was a bitter pill for Theodoret. For in its eighth session he was required to personally swear an anathema against his friend Nestorius as a condition for his reception back into the imperial church. There was from Theodoret’s perspective no triumphant story to be told after 428. History as he wanted to write it had become un-writable, and so like Eusebius before him he stopped his story the only place he could.

3. Two Early Jewish Histories (1–2 Chr and 2 Macc) We could at this point turn directly to Luke-Acts. But perhaps my thesis will be more persuasive if we briefly consider two Second Temple Jewish histories, 1–2 Chronicles and 2 Maccabees, where this same phenomenon of stopping in advance of unedifying events seems to occur.41 The Biblical books of 1 and 2 Chronicles were written in the early Persian period, probably sometime in the fourth century B.C.E. This is indicated by the fact that the genealogies of the house of David point to about 400 B.C.E., if not a little later, as well as by the fact that the books’ language is late (after the so-called Priestly corpus) though without yet any trace of Hellenistic influence.42 As is well-known, however, the books end with the famous decree of Cyrus shortly after his conquest of Babylon in 539, in which he states that the Jewish god Yahweh has charged him to rebuild his Temple in Jerusalem and that therefore the Jewish exiles in Babylon are free to return to Jerusalem 40

41 42

The grief of ancient intellectuals has on more than one occasion turned out to our benefit. We would know even less than we do of Hellenistic philosophy, for example, were it not for Cicero’s despair of the fall of the Republic and the tragic death in childbirth of his much-loved daughter Tullia. These two Jewish histories have the added benefit of predating Luke and of no doubt being well known to him. For 2 Macc, see the comments by Henry J. Cadbury, The Making of Luke-Acts (London ²1961) 322. Ralph Klein, 1 Chronicles (Hermeneia, Minneapolis 2006) 13–16; cf. Sara Japhet, I and II Chronicles (OTL, Louisville 1993) 23–28.

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and begin that work.43 This gap of almost 150 years is at first glance quite puzzling. As a result of Cyrus’ decree, the Temple was indeed rebuilt, and thanks to the subsequent efforts of priest Ezra and bureaucrat Nehemiah the Jewish Torah had become the law of the land and Jerusalem had been re-fortified. So why stop at the decree of Cyrus in 539? Why not continue the narrative to encompass its actual fulfilment? The answer to this question is again necessarily an argument from silence, but a plausible solution is ready to hand. According to the theology of Chronicles as expressed in 2 Chr 36:21, the exile lasted precisely seventy years as prophesied by Jeremiah (cf. Jer 25:11–12; 29:10) to make up for the seventy Sabbath years due to the land that had not been properly observed. As soon, then, as these Sabbaths were fulfilled, Yahweh sent Cyrus to conquer Babylon and to release the Jews to return to their land and, most importantly according to the theology of the Chronicler, to rebuild the Temple. So far so good, except that the events that then followed spoiled this grand theological story. To begin with, the initial mission of Sheshbazzar to rebuild the Temple failed.44 Then the eventually successful efforts to rebuild the Temple under Zerubabel and Joshua were rather disappointing.45 And finally, it was only with great difficulty, if not tyrannical violence, that Ezra imposed Torah,46 and that Nehemiah eventually, almost a century later, rebuilt the walls of the ruined city.47 As best we know, this all actually occurred before the publication of Chronicles, but it is a disappointing tale best left untold, at least from the perspective of the Chronicler. These events would, of course, eventually be related in the book Ezra-Nehemiah, but that volume would employ a different theological scheme than Chronicles, a different story as it were, as has now been increasingly recognized by scholars working on those Biblical texts.48 Let us turn now quickly to 2 Maccabees, a text that will be very familiar to most scholars working on Luke-Acts. 2 Maccabees tells the story of the Maccabean revolt from the Hellenizing reforms of Jason to the defeat of the Seleucid general Nicanor by Judas Maccabeus. It is the epitome of a much longer five-volume work by Jason of Cyrene.49 By any measure 2 Macc is a highly tendentious account. It makes one point and makes it repeatedly: that the events surrounding the Maccabean 43 44 45 46 47 48 49

2 Chr 36:23; cf. Ezra 1:1. Ezra 1:8–11; cf. 5:14. Hag 2:1–9. Ezra 10:7–8, 16–17, 44; cf. Neh 13:25. Neh 2:11–6:19. Sara Japhet, “The Relationship between Chronicles and Ezra-Nehemiah”, in J. A. Emerton (ed.), Congress Volume: Leuven 1989 (VTSup 43, Leiden 1991) 298–313. 2 Macc 2:23.

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rebellion show God at work consistently “rewarding the faithful and punishing the impious” according to a strict application of the law of retribution or lex talionis.50 The impious are represented in the narrative by the Seleucid monarch Antiochus and his general Nicanor, as well as the Jewish collaborators Jason and Menelaus. The faithful, on the other hand, are the high priest Onias, the martyrs of chs. 6–7, and the triumphant warrior Judas, who is frequently called simply by his sobriquet Maccabeus, “the Hammerer”. The narrative is fairly evenly distributed between the sins and punishments of the unrighteous, and the pious acts and rewards (actual or promised) of the righteous. Antiochus, to take the most obvious instance of the former, arrogantly thinks he can “weigh the heights in a balance” and “touch the stars of heaven”. He is appropriately “brought down to earth” and dies in anguish and pain as his body is “swarmed with worms” (9:8–11). Similarly, the collaborator Jason, who bribed his way into the priesthood, is exiled and dies in ignominy, while his successor Menelaus is cast into a tower full of ashes, so that he who “committed many sins against the altar whose fire and ashes are holy, met his death in ashes” (13:8). Finally, Nicanor, who “boastfully stretched forth [his arm] against the holy house of the Almighty”, is slain in battle and then dismembered. His head, absent his blasphemous tongue which has been ripped out, and his proud arm are subsequently hung from the walls of the citadel in Jerusalem (15:30–5).51 In obvious contrast to this, the righteous priest Onias is able by prayer alone to defeat the Syrian Heliodorus who has come to rob the Temple (3:1–40), while the faithful Jews martyred in chs. 6–7 are repeatedly promised resurrection from the dead (7:9, 14, 23, 29), and Judas, who is the story’s principal hero, is simply unstoppable in his divinely aided victories over the forces of Antiochus (chs. 8–15). One might expect, given the emphasis frequently placed on the Temple in this period, that 2 Maccabees would end with the death of Antiochus in ch. 9 and the recapturing and cleansing of the Temple in ch. 10. But the narrative continues for another five chapters, detailing many more victories by Judas, whose successes in the field become the story’s prime example of the lex talionis. The narrative finally ends with the battle between Judas and Nicanor in Samaria. It was Judas’ most impressive triumph and resulted in Nicanor’s humiliating death mentioned above. 50 51

Harold W. Attridge, “Historiography”, in Michael E. Stone (ed.), Jewish Writings of the Second Temple Period: Apocrypha, Pseudepigrapha, Qumran Sectarian Writings, Philo, Josephus (CRINT 2, Assen/Philadelphia 1984) 178. The genre reaches its highpoint, if that is the correct term, in Lactantius’ lurid and gloating De mortibus persecutorum.

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Judas defeated Nicanor in 161 B.C.E., but 2 Maccabees did not receive its final form until sometime after 124 B.C.E., the date of its prefatory letter in 1:1–9. This again raises the question we have asked of each of our histories thus far: namely, why the narrative does not continue up to its point of publication, but here we run into some uncertainty. 2 Maccabees is an epitome of Jason of Cyrene’s longer five-volume narrative, and we do not know when Jason ended his work. Further, just because the letter in 2 Macc 1:1–9 dates to 124 B.C.E. does not mean that the narrative was composed at that time. Presumably it was composed at least some short while before then, after which the letter recommending it to the Jews in Egypt was written and attached. Fortunately for our purposes we do not need to answer these questions with any certainty, since the ending of 2 Maccabees is suspect on other grounds. According to the more complete account of Judas Maccabeus’ military exploits told in 1 Maccabees and Josephus,52 it was in his very next battle that Judas, desperately short of men, was outnumbered and killed – a profoundly inconvenient truth for the simplistic thesis of 2 Maccabees!

4. Conclusion: The Ending of Luke-Acts There are no doubt other examples of historians who abruptly conclude their narratives in the face of difficult evidence.53 But these will suffice for purposes of illustration. Let me now return briefly to Acts. There is very little we can say about the end of Paul’s life after his alleged two years in Roman custody – Luke has seen to that! Indeed, we don’t even know whether the conditions of Paul’s imprisonment were as favorable as Luke describes them: Paul free to preach the gospel “without hindrance” to interested gentiles thanks to the generous terms of his custodia militaris, often referred to (wrongly, I believe) as custodia libera. I am myself suspicious of Luke’s story. Writing to the Philippians from Rome,54 the best Paul himself can say – and he is trying to say the most 52 53

54

1 Macc 9:1–22; Josephus, Ant. 12.11.420–434. E.g., Cadbury, The Making of Luke-Acts (see n. 41) 322, notes that Philostratus’s Life of Apollonius of Tyana conveniently ends without reporting whether Apollonius died or was translated. Since Philostratus claims to be following a source, the diary of Damis, it may be that Damis found it necessary to stop where he did. The Life is, of course, not a history per se, though the analogy is attractive. Philip Davies, “The Ending of Acts”, ExpT 94 (1983) 334–335, has suggested, less persuasively to my mind, an analogy with 2 Kings which ends with the Jewish king Jehoiachin being well treated in exile. Theories that Paul wrote to the Philippians from custody in Caesarea Maritima or Ephesus are unnecessary and unpersuasive. The reference to o{lw/ tw'/ praitwrivw/ kai; toi'" loipoi'" pa'sin (1:13) is clearly a reference to the Praetorian Guard, not some pro-

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positive things he can in order to console his discouraged supporters – is that his faith is being talked about among his jailors (Phil 1:13), and that others in the city are preaching in his place, though not always with the best of motives (Phil 1:14–18). This would seem to imply that Paul’s imprisonment was more disruptive to his mission than Luke allows, and that Luke, who elsewhere conjures earthquakes and angels to open prison doors,55 has brought this into line with his version of the story. And, of course, we should not assume that Luke himself received an untouched account of Paul’s death. Inflated or otherwise improved stories of Paul’s demise would have immediately begun to circulate among those who had a stake in his mission, as would be the case a century later for the bishop-martyr Polycarp, the story of whose tragic death was apparently embellished from the start.56 But none of this matters for my thesis, which is simply that whatever happened to Paul – and for all practical purposes he disappears from the pages of history after Acts 28 – it contradicted Luke’s larger theological narrative, his “story”, and rendered history un-writable for him. This much, if nothing else, the awkward ending of Luke-Acts makes certain. My purpose in this paper has only been to show that historian Luke was not alone in this peccatum omissionis.

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vincial building – unless kai; toi'" loipoi'" pa'sin means “and in all the rest of the buildings”! Acts 5:19; 16:26. Written almost immediately after the bishop’s judicially sanctioned lynching, the Martyrdom of Polycarp contains a number of theologically motivated embellishments. Even honest eyewitnesses often see what they wish to see – which in the case of Polycarp includes smelling what they wish to smell (Mart. Poly. 15.2)!

IV. Zu Gattung und Konzeption der Apostelgeschichte

Die Gattung der Apostelgeschichte DETLEV DORMEYER

0. Einleitung Der altkirchliche Kanon hatte mit dem Vierer-Evangelium die Apostelgeschichte vom Lukasevangelium getrennt. Die sekundären, unterschiedlichen Überschriften aus dem 2. Jh. zeigten ebenfalls eine Gattungsdifferenz an: Euangelion kata Loukan; Praxeis Apostolon. Der Titel „Praxeis“ (Taten) darf nicht auf die prinzipatzeitliche, romanhafte Praxeis-Literatur von Alexander d. Gr. eingeengt werden (Ps.-Kallisthenes, Bios Alexandrou tou Makedonos kai Praxeis, 3. Jh.), sondern bezeichnet umfassend Taten und Worte von Personen innerhalb von Geschichtswerken, insbesondere der kritisch-pragmatischen Richtung (Pol. 1,1,1; 9,1,5-6; s.u. 2.2). Daher kann die sekundäre Überschrift durchaus das zweite lk. Buch zutreffend in den antiken Gattungskanon einordnen.1 Aufgrund der unterschiedlichen Anordnung im Kanon und der unterschiedlichen Überschriften wurden beide Bücher getrennt voneinander ausgelegt. In der Forschungsgeschichte dominierte daher bis in die 90er Jahre die gattungskritische Trennung der Apostelgeschichte vom Lukasevangelium.2 Erstmals stellte H. J. Cadbury 1927 mit dem programmatischen Titel „Luke-Acts“ die theologische und historiographische Einheit des lk. Doppelwerks heraus, doch auf die Gattungsfrage ging er nicht ein.3 Zeitgleich sprach M. Dibelius vorsichtig von der literarischen Einheit „Lk-Apg“, und zwar von der literarischen „Fortsetzung“ des Lukasevangeliums durch die Apostelgeschichte: „Das am meisten literarische Evangelium unter den drei Synoptikern, das des Lukas, hat in der Apostelgeschichte, die von demselben Verfasser dem gleichen Theo1

2 3

M. Dibelius, Geschichte der urchristlichen Literatur (11926; Neudruck ed. F. Hahn, München 21975) 168; die Diskussion um die Angemessenheit des Titels soll hier nicht weiter vorgestellt werden; vgl. dazu M. Holzbach, Plutarch: Galba-Otho und die Apostelgeschichte – ein Gattungsvergleich (Religion und Biographie 14, Münster 2006) 25-30. J. Schröter, „Actaforschung seit 1982. III. Die Apostelgeschichte als Geschichtswerk“, ThR 72 (2007) 383-419, 383. H. J. Cadbury, The Making of Luke-Acts (New York 1927 = London 21961).

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philus gewidmet ist, eine Fortsetzung erhalten, die noch literarischer ist als jenes Buch vom Wirken Jesu.“4 Eine gemeinsame Gattung kam für Dibelius aber nicht in Frage, auch nicht eine einheitliche Theologie oder eine einheitliche kritische Geschichtsschreibung (s.u. 1.2). Für die Forschungsgeschichte stand daher die Apostelgeschichte weiterhin im Schatten des Lukasevangeliums. Sie diente als Material für die Rekonstruktion der urchristlichen Geschichte. Es „wurde die zweite Schrift des Lukas im Rahmen der Literaturberichte zur Geschichte des Urchristentums behandelt“, sie wurde aber nicht als eigenständiges Werk forschungsgeschichtlich besprochen, und die Bestimmung der Gattung blieb nebensächlich.5 Die Frage nach der Gattung wurde erst virulent, nachdem sich der Ansatz von Cadbury in der heutigen Actaforschung durchgesetzt hatte. Tannehill (1990)6 eröffnete mit seinem Kommentar die Sicht der Apg als Teil des lukanischen Doppelwerkes, ihm folgten eine Reihe weiterer Kommentare und Beiträge, u.a. auch aus dem deutschsprachigen Bereich.7 Nun wurden auch zur Gattung in Nähe und Abgrenzung zum Lukasevangelium unterschiedliche Vorschläge gemacht. – So sollen folgende Punkte behandelt werden: 1) Die Gattung der Apostelgeschichte als Einzelwerk in der Forschungsgeschichte; 2) Die Gattung der Apostelgeschichte als Teil des lukanischen Doppelwerks und die griechische Geschichtsschreibung.

1. Die Gattung der Apostelgeschichte als Einzelwerk in der Forschungsgeschichte 1.1 Glaubwürdige Geschichtsschreibung Die vier kanonischen Evangelien und die Apostelgeschichte wurden bis zur Aufklärung als vertrauenswürdige Geschichtsschreibung angesehen. Im 18. Jh. entfiel zwar ihre Sonderstellung als dogmatisch wahre 4 5

6 7

Dibelius, Geschichte (s. Anm. 1) 165. J. Schröter, „Actaforschung seit 1982. I. Forschungsgeschichte und Kommentare“, ThR 72 (2007) 179-230, 179. In der ThR setzten die Forschungsberichte zur Apg 1960 ein mit E. Gräßer, „Die Apostelgeschichte in der Forschung der Gegenwart“, ThR 26 (1960) 93-167. C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, vol. 1: The Gospel According to Luke (Philadelphia 1986); vol 2: The Acts of the Apostles (Minneapolis 1990). Schröter, „Actaforschung III“ (s. Anm. 2) 383-402; als Vorläufer ist G. Schneider, Die Apostelgeschichte, 2 vols. (HThK NT V/1-2, Freiburg 1980-82) 76-82, anzusehen.

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Texte aufgrund göttlicher Inspiration, ihre historische Glaubwürdigkeit blieb aber erhalten. Grundlegend ist noch immer die Auseinandersetzung von G. E. Lessing (1729-1781) mit dem Nachlass von H. S. Reimarus (1694-1768). Lessing wandte gegen die Abweichungen der vier Evangelien untereinander, die parallel sind zu den Abweichungen zwischen der Apostelgeschichte und den pln. Briefen, ein: „Und wer hat sich je in der Profangeschichte die nämliche Folgerung erlaubt? Wenn Livius und Polybius und Dionysius und Tacitus eben dieselbe Ereignung, etwa dasselbe Treffen, eben dieselbe Belagerung, jeder mit so verschiedenen Umständen erzählen, dass die Umstände des einen die Umstände des anderen völlig Lügen strafen, hat man darum jeweils die Ereignung selbst, in welcher sie übereinstimmten, geleugnet?“8 Zwar hob Lessing nicht die historisch-kritische Geschichtsschreibung der Aufklärung, die mit dem englischen Deismus einsetzt, von der antiken Geschichtsschreibung ab und differenzierte auch nicht zwischen deren Untergattungen (s.u. 2.), doch er ordnete zu Recht die ntl. Evangelien und die Apostelgeschichte der Gattung „antike Geschichtsschreibung“ zu. Die Apostelgeschichte behält ihre historische Glaubwürdigkeit. Die Wirkung von Lessing hält bis heute insbesondere im anglo-amerikanischen Raum an (s.u. 1.3). 1.2 Urliteratur Gegen die literarische Einordnung als antike Geschichtsschreibung polemisierte F. Overbeck ein Jahrhundert später, und zwar mit dem folgenreichen Aufsatz: „Über die Anfänge der patristischen Literatur“ (1882).9 Overbeck behauptete: „Evangelium, Apostelgeschichte und Apokalypse sind historische Formen, die von einem ganz bestimmten Zeitpunkt an in der christlichen Kirche verschwinden. Und zwar fehlen sie in ihrer Literatur von diesem Zeitpunkt nicht nur tatsächlich, sondern es besteht gar keine Möglichkeit ihrer ferneren Pflege mehr.“10 Die Behauptung einer prinzipiellen Unmöglichkeit der literarischen Pflege führte Overbeck zur Annahme einer christlichen „Urliteratur“, 8 9 10

G. E. Lessing, „Eine Duplik“, in K. Wölfel (ed.), Lessings Werke, vol. 3 (Frankfurt/M. 1967) 323. F. Overbeck, „Über die Anfänge der patristischen Literatur“, HistZ 48 (1882) 417-472 (= Darmstadt 1966). Ibid., 23.

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die außerhalb des antiken Kanons steht.11 Die Apostelgeschichte kann daher nicht nach der gängigen Meinung der „Anfang der Kirchengeschichtsschreibung“ sein.12 1892 vertiefte Overbeck diese These in der Rektoratsrede: „Über die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung“13. Er führte zwei unerlässliche Merkmale an, die für eine antike Geschichtsschreibung nicht fehlen dürfen: „Chronologische Auffassung des beschriebenen Objekts und die Absicht des Schriftstellers, dessen Geschichte auf die Nachwelt zu bringen. Hiernach kann in einer Gemeinschaft der Gedanke, ihre Geschichte zu schreiben, überhaupt erst dann aufkommen, wenn sie an sich die Zeiten auseinander zu halten gelernt hat, sei es durch Beziehung ihrer Geschicke auf sonstiges Geschehen und Vergleichung der beiden, sei es, indem sie durch Rückkehr auf sich selbst ihre Vergangenheit von ihrer Gegenwart unterscheidet, – was nicht geschehen kann ohne das Bewusstsein erlittener Veränderung, – und zu alledem dieser Unterscheidung irgend welchen Werth für die Zukunft zuerkennt.“14 Overbeck hat mit dem zweiten Punkt (Geschichte für die Nachwelt) glänzend den Sonderanspruch für die urchristliche „Heilsgeschichte“ formuliert. Die Formgeschichte wird später diese Sicht fortsetzen. Die urchristliche Theologie blickt nicht auf eine Vergangenheit zurück, sondern lebt aus der eschatologisch qualifizierten Gegenwart. Der erste Punkt, die fehlende Chronologie, hat sich hingegen nicht behaupten können, weil er die lineare Struktur von Erzählzeit nicht berücksichtigte. Auch ohne explizite Chronologie können Erzählwerke aufgrund der linearen Abfolge ihrer Ereigniskette Episoden und Geschichtsverläufe schaffen. Darauf wird die Formgeschichte aufmerksam machen. 1.3 Singuläre theologische Geschichtsschreibung 1.3.1 Urchristliches Erbauungsbuch M. Dibelius übernimmt 1926 in seiner „Geschichte der urchristlichen Literatur“ für die Apostelgeschichte die Charakterisierung „religiöses

11 12 13 14

Ibid., 28f. Ibid., 24. F. Overbeck, Über die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung (Basel 1892 = Darmstadt 1965). Ibid., 15.

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Buch“15. Doch dann zieht er bei den Reden und Taten Vergleiche zur antiken, „großen“ Literatur: „So wird man anzunehmen haben, dass der Verfasser hier dem von Griechen und Juden geübten schriftstellerischen Brauch folgt und – mit oder ohne Kenntnis der betreffenden Situation – die Predigt und die Gesinnung der ersten christlichen Zeugen, so wie er sie sich denkt, zur Darstellung bringt… Wenn das Buch den Titel ‚Taten der Apostel’ schon vom Verfasser erhalten hat, so drückt sich sein literarischer Charakter auch in dieser Benennung aus; denn Schriften, in denen staunenswerte, ja direkt wunderbare ‚Taten’ oder mythische Personen erzählt werden, kennt auch die Literatur der Griechen.“16 Mit der „Literatur der Griechen“ meint Dibelius allerdings nicht in erster Linie die kritischpragmatische Geschichtsschreibung, sondern die epische (Homer) und volkstümliche Literatur. So bleibt die Apostelgeschichte trotz partieller Vergleichbarkeit mit antiker Literatur eine Untergattung der urchristlichen singulären „Apostelgeschichten“.17 Haenchen18 und Conzelmann19 folgen in ihren Kommentaren dieser Gattungsbestimmung. Haenchen spricht von „Lukas als Erbauungsschriftsteller“, der gerade nicht wie Xenonophon schreiben will, sondern ein singuläres Erbauungsbuch schaffen will.20 Conzelmann erkennt zwar an, dass die „Proömien und Widmungen“ die allgemeine (Gattungs-) „Bezeichnung ‚historische Monographie’“ zulassen, aber er schließt den Gattungsvergleich mit der singulären „Sichtweise“ ab: „Im Ganzen ist der Gattungsvergleich in dieser Allgemeinheit relativ unergiebig“21. W. W. Gasque stellt daher polemisch eine Dibelius-HaenchenConzelmann Sicht der anglo-amerikanischen Wertschätzung der Apostelgeschichte als glaubwürdige Geschichtsschreibung gegenüber.22

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„Denn es ist doch zunächst ein religiöses Buch, um das es sich handelt“ (Dibelius, Geschichte [s. Anm. 1] 168). Ibid., 166-168. Ibid., 163-172. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 1956, 71977). H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7, Tübingen 1963, 21972). Haenchen, Apostelgeschichte (s. Anm. 18) 114. Conzelmann, Apostelgeschichte (s. Anm. 19) 6. W. W. Gasque, A History of the Interpretation of the Acts of the Apostles (Peabody [MA] 1989) 244; Schröter stimmt dem Gegensatz zu, nicht aber der Abqualifizierung der Dibelius-Haenchen-Conzelmann-Linie durch Gasque (Schröter, „Actaforschung I“ [s. Anm. 5] 183-186).

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1.3.2 Theologische Geschichtsschreibung Conzelmann hatte mit dem „Drei-Epochen-Schema“ ganz im Sinne Overbecks ein singuläres, urchristliches Zeitverständnis der „Heilsgeschichte“ geschaffen. Jesus Christus ist die „Mitte der Zeit“, Israel die Vorbereitung, die Kirche die „Zeit seit der Erhöhung des Herrn“.23 Die Kirche schaut nicht auf die Jesuszeit als Vergangenheit zurück, sondern lebt aus ihr als Heilszeit. Quellen und Traditionen haben nur eine literarische und keine historische Bedeutung. Gegen diese Einseitigkeit setzt 1979 M. Hengel: „Unzeitgemäße Gedanken zu Lukas als theologischem Geschichtsschreiber“24. „Hinter anderen antiken Geschichtsschreibern steht Lukas an Vertrauenswürdigkeit nicht zurück… Er ist nicht bloßer ‚Erbauungsschriftsteller’, sondern ernstzunehmender Historiker und Theologe zugleich.“25 Mit Conzelmann hält Hengel die „Monographie“ für die naheste Parallele, ohne ihr aber echte Bedeutung zuzuerkennen. Vielmehr sieht er gegen Conzelmann eine Kontinuität zur atl. Geschichtsschreibung.26 Das DreiEpochenschema ist zum Zwei-Epochenschema von „Verheißung und Erfüllung“ abzuwandeln.27 J. Roloff28, R. Pesch29, J. Zmijewski30 und A. J. M. Wedderburn31 folgen M. Hengel. G. Theißen versucht neuerdings, die Fortschreibung der atl. Geschichte mit dem radikalen Ansatz von der Urliteratur zu verbinden.32 Die Apostelgeschichte wird der pathetischen Historiographie zugerechnet, die über 1-2 Makk und eventuell Josephus auf den 3. Evangelisten eingewirkt hat. „Lk erzählt von der Ausbreitung des Christentums in 23 24 25 26 27

28 29 30 31 32

H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (Tübingen 1954, 61977) 9. M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung (Stuttgart 1979) 54-62. Ibid., 55f. Ibid., 37-41. Ibid., 41; so schon früher betont auf Jesus selbst bezogen W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigung Jesu (ATANT 6, Zürich 11940, 31956) 117-132; Schneider schließt sich Kümmel an und betont parallel zu Hengel aufgrund der Verheißungs-Erfüllungstheologie die Singularität der Gattung als Fortsetzung der atl. Geschichtsschreibung (Schneider, Apostelgeschichte [s. Anm. 7] 1, 73-76.122-139). J. Roloff, Die Apostelgeschichte (NTD 5, Göttingen 1981). R. Pesch, Die Apostelgeschichte (EKK V/1-2, Zürich et al./ Neukirchen 1986-87). J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte (RNT, Regensburg 1994). A. J. M. Wedderburn, „Zur Frage der Gattung der Apostelgeschichte“, in H. Cancik et al. (eds.), Geschichte, Tradition, Reflexion, FS M. Hengel, vol. 3 (Tübingen 1996) 303322, 318f. G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007) 251-258.

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Form einer Fortsetzung seines Bios vom Messias Israels. Für Franz Overbeck war das eine ‚Taktlosigkeit von welthistorischen Dimensionen… Lukas behandelt historiographisch, was keine Geschichte und so auch nicht überliefert war’33. Für Jesus war das Ende der Geschichte gekommen. Lukas lässt dagegen die Geschichte weitergehen. Aber das kann man auch anders sehen: Lk benutzt eine Gattung, die zur Darstellung der Geschichte von Königen oder Völkern bestimmt war, für die Geschichte der kleinen urchristlichen Gemeinden.“34 Lässt sich die Apostelgeschichte bei dieser Modifizierung der „Urliteratur“ als volkstümliche, pathetische Geschichtsschreibung ausschließlich der „jüdischen Geschichtsschreibung“ zuordnen, auch wenn eingeräumt wird, dass diese insgesamt in die „antike Historiographie“ gehört?35 1-2 Makk schreiben ja keine Universalgeschichte, wohl aber Josephus. Der will aber auf keinen Fall als „Urliteratur“ oder als „volkstümlich“ verstanden werden. Der lk. Stil hat durchaus Parallelen in der antiken Historiographie, und zwar bei der Biographie-Literatur und bei der lateinischen prinzipatlichen Historiographie, z.B. bei Velleius Paterculus.36

2. Die Gattung der Apostelgeschichte als Teil des lukanischen Doppelwerkes und die griechisch-römische Geschichtsschreibung 2.1 Das ionische Paradigma als Geschichtsschreibung 2. Grades und die sprachinterne Intertextualität Die Zuordnung der Apostelgeschichte zur antiken Historiographie erfordert einen Bruch mit der atl. Geschichtsschreibung und kann nicht einfach als deren kontinuierliche Fortsetzung verstanden werden. 33 34 35 36

F. Overbeck, Christentum und Kultur (11919 = Darmstadt 21963) 78; s. o. 1.2. Theißen, Entstehung (s. Anm. 32) 254. Ibid., 255. Holzbach, Galba-Otho (s. Anm. 1) 218: Holzbach verweist auf die zutreffende Charakterisierung der „Historia Romana“ von von Albrecht als „Weltgeschichte im Miniaturformat“ (M. von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur, 2 vols. [München 21997] 843); U. Schmitzer bestätigt für Velleius Paterculus „das Prinzip der brevitas“ und führt weiter aus: „Zur Gestaltung greift er über die gängigen historiographischen und biographischen Formen hinaus auch zu Mitteln, die der ‚schönen Literatur‘ entlehnt sind, der Lehrdichtung, dem Roman, dem Epos und der Tragödie, um auf diese Weise sein Bild der Geschichte eindringlicher zu gestalten“ (U. Schmitzer, Velleius Paterculus und das Interesse an der Geschichte im Zeitalter des Tiberius [BKAW 2, 107, Heidelberg 2000] 289); s. u. 2.3.1.

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2.1.1 Geschichtsschreibung 1. und 2. Grades Im 6. Jh. v. Chr. lässt sich eine Parallelität zwischen den atl. Geschichtswerken (J) und den griechischen Logographen (Hekataios von Milet) beobachten. E. Blum erklärt diese Parallelität formgeschichtlich. Er unterscheidet das „ionische“ Paradigma vom „israelitischen“ Paradigma und gelangt zum Ergebnis: „In kulturgeschichtlicher Perspektive dürfte das ionische Paradigma die Ausnahme darstellen“37. Denn Israel bildet mit der Sage u. ä. eine Fiktionalität 1. Grades, während die griechische Geschichtsschreibung ab Herodot eine Fiktionalität 2. Grades hat, die von der Hörerschaft als mögliche Fiktion neben anderen Fiktionen rezipiert wird.38 Diese Differenzierung zwischen Ereigniserzählung mit theologischen ad-hoc Deutungen (= Fiktionalität 1. Grades) und kritischer Geschichtsschreibung mit reflektierter Fiktionalität 2. Grades trifft m. E. den Unterschied zwischen AT und NT. Die Fiktionalität ist eine textpragmatische Kategorie.39 Die Hörer entscheiden bei der Fiktionalität 2. Grades über die Plausibilität oder Nicht-Plausibilität des Geschichtsentwurfs.40 Das auktoriale „Ich“ des griechischen Historiographen bietet die Plausibilität an und steht für sie ein.41 Die Hypothesenbildung über diese Entscheidungsprozesse prägt von Anfang an die Synoptikerforschung des 20. Jh.s. Deren Methodenparadigmen teilten ja die Aktivität der Gemeinde geradezu gegensätzlich ein. Nach der Formgeschichte rezipierte die Gemeinde die Sammlungen „Evangelium“ und „Apostelgeschichte“ als „nicht-fiktionale“ Geschichtsschreibung, also als Fiktionalität 1. Grades. Die Redaktionsgeschichte arbeitete anschließend zwar die Autor-Konstruktion heraus, doch die Gemeinde verblieb auf der Ebene nicht-fiktionaler Rezeption. Der poetologische Ansatz des literaturgeschichtlichen Vergleichs, zu dem eine Vielzahl von neuen Zugängen zu rechnen sind, unterstellte hingegen eine Hörerschaft mit reflektierter, fiktionaler Rezeption (Fiktionalität 2. Grades).42 37 38 39 40 41 42

E. Blum, „Historiographie oder Dichtung? Zur Eigenart alttestamentlicher Geschichtsüberlieferung“, in id. et al., Das Alte Testament – Ein Geschichtsbuch? (Münster 2005) 65-87, 74. Ibid., 78-81; ähnlich H. Cancik, „Zur Verwissenschaftlichung des historischen Diskurses bei den Griechen“, in Blum, Geschichtsbuch (s. Anm. 37) 87-101. Blum, „Historiographie“ (s. Anm. 37) 75-81. G. Theißen/D. Winter, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung (NTOA 34, Freiburg 1997). Blum, „Historiographie“ (s. Anm. 37) 71. J. Schröter, „Konstruktionen von Geschichte und die Anfänge des Christentums: Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive“, in id./A. Eddelbüttel (eds.), Konstruktion von Wirklichkeit (Berlin 2004) 204f.

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Für die Hörerschaft des AT muss hier nicht weiter diskutiert werden, ob sie nur den 1. Rezeptionsgrad vertrat und den beginnenden Sonderweg der Griechen nicht kannte. Doch für das griechischsprachige NT muss die sprachinterne Intertextualität zu Rate gezogen werden, weil die griechischen Dokumente der Geschichtsschreibung den Gemeinden bekannt waren. 2.1.2 Sprachinterne Intertextualität Es lässt sich eine produktionsorientierte und rezeptionsorientierte Intertextualität unterscheiden.43 Nach der produktionsorientierten Intertextualität nehmen die Autoren des NT die griechische Septuaginta auf und verarbeiten sie als verifizierbaren Prätext. Wenn es nur die produktionsorientierte Intertextualität gegeben hätte, müsste das NT ganz im Sinne von Zahn die atl. Geschichtsschreibung 1. Grades, die Zahn „kunstlos“ nennt44, fortgesetzt haben. Doch nach der rezeptionsorientierten Intertextualität wirken alle Texte, die ein Hörer in seiner Sprachwelt kennt, beim Akt des Hörens und Lesens mit. Der Autor kann sie bei Kenntnis der Hörer antizipieren, der Hörer kann sie auch ohne Autor-Intention einbringen. Die gesamte christliche Antike hat die Apostelgeschichte der Geschichtsschreibung zugerechnet.45 Hatten nur die ersten Hörer sie falsch interpretiert? Bereits die Zitierung der griechischen Bibel im NT muss doch den Hörer zur Fiktionalität 2. Grades zwingen. Er muss fortwährend entscheiden, ob seine erlernten, griechischen Geschichtstexte plausibel

43 44

45

S. Alkier, „Intertextualität“, in K. Erlemann et al. (eds.), Neues Testament und antike Kultur, vol. 1 (Neukirchen 2004) 60-65. Th. Zahn, „Der Geschichtsschreiber und sein Stoff im Neuen Testament“, ZKW 9 (1888), 581-596, 588; bereits Herder deutete so die Evangelien und die Apostelgeschichte: „Sind ihre Evangelien Geschichte und Biographie nach einem Ideal der Griechen und Römer? Nein… Der Geschichtsstil der Ebräer gehört, wie ihre Poesie, in die Kindheit des Menschengeschlechts…“ (J. G. Herder, „Vom Erlöser der Menschen: Nach unseren drei ersten Evangelien“ [1796], in id., Sämtliche Werke 19, ed. B. Suphan [Berlin 1880 = Hildesheim 1967] 135-252, 194 ff., zit. in D. Dormeyer, Das Markusevangelium [Darmstadt 2005] 17). Hengel, Geschichtsschreibung (s. Anm. 24) 20-31; D. Dormeyer, Evangelium als literarische und theologische Gattung (EdF 263, Darmstadt 1989) 4-25. Die Väter und der Kritiker Kelsos hatten Recht, die Evangelien und die Apostelgeschichte der Geschichtsschreibung 2. Grades zuzurechnen (Orig., Princ. IV,2,9; „Anführer der Entstehung der Christen aber ist Jesus gewesen; er hat vor ganz wenigen Jahren diese Lehre eingeführt, von den Christen angesehen als der Gottessohn“ [c. Cels. 1,26]). Eusebius rechnet das Markusevangelium dem Prozess der „Hypomnema“ – Bildung zu (Eus., HE II 15; s. u. 2.3.).

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sind oder nicht und ob die ntl. Geschichtstexte mit den atl. Zitaten plausibler sind oder nicht.46 2.1.3 Josephus Josephus kann als Kronzeuge für diese rezeptionsorientierte Intertextualität dienen. Im Vorwort zu den Antiquitates, den jüdischen Altertümern, sagt er gleich in Satz 5: „Die vorliegende Geschichtsschreibung (pragmateía) habe ich in Angriff genommen, weil ich glaubte, dass sie allen Griechen würdig des Studiums erscheine. Sie wird nämlich unsere ganze Altertumskunde (archeología) und Gemeinschaftsverfassung (políteuma) enthalten, die aus den hebräischen Schriften übersetzt worden sind“ (Jos., ant. 1,5). Josephus verfasst für griechische Leser eine pragmatische Geschichtsschreibung (historía 1,1; pragmateía 1,5). Die darin enthaltenen Berichte von den geschichtlichen Anfängen und von der alten Verfassung sollen die Neugier des Lesers reizen (s. u. 2.2.1.: Hdt., Prolog). Doch dann fährt Josephus fort, von seinem früheren Werk, der „Geschichte des Krieges… gegen die Römer“, zu berichten und es vom jetzigen Werk abzuheben (1,6-7). Dabei fällt als neues Thema des neuen Werkes: „die Erkenntnis Gottes“ (1,14). Zu Recht erwähnt Josephus sofort eine Trägheit und ein Zögern, „ein so gewaltiges Vorhaben (hypóthesis) in einer fremden, ungewohnten Sprache wiederzugeben“ (1,7). Denn der lange Bericht von fortlaufenden Taten Gottes an einem Volk gehört nach griechischem Verständnis nicht zu einer kritischen pragmatischen Geschichtsschreibung. Es darf nur in Ausnahmefällen von einer indirekten Einwirkung einer Gottheit gesprochen werden.47 Josephus legt daher in seinem Alterswerk „Contra Apionem“ nach, da er die Ablehnung seiner „Archäologia“ durch die griechischen Leser erfahren musste.48 In einem Exkurs (Ap. 1,6-59) behandelt er die Mängel 46

47 48

Häfner führt folgende Kriterien an, „Entwürfe des Wirkens Jesu“ zu falsifizieren: zum einen „die Analyse von literarischem, archäologischem und epigraphischem Quellenmaterial“, zum anderen „Entscheidungen, die den Referenzmodus der verschiedenen Jesusüberlieferungen betreffen“ (K. Backhaus/G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen [Neukirchen 2007] 113). Der Referenzmodus hängt von den literarischen Gattungen ab (ibid., 111). Die griechische Geschichtsschreibung zwingt (im Unterschied zur atl. Historie) den Leser ständig zur Überprüfung der Quellen, Augenzeugen und historischen Plausibilität. Hdt., Prolog 1, vgl. R. v. Haehling, „Herodot“, in K. Brodersen (ed.), Große Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra (München 1999) 165-175. Jos., Ap. 1,1-5; D. Dormeyer, „Des Josephus zwei Suasoriae (Übungsreden) ‚Über das Volk der Juden’. Die beiden Vorworte (Proömien) Contra Apionem 1:1-5; 2:1-7 und

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der griechischen Geschichtsschreibung. Denn diese genießt bei den Lesern unverdient einen Vorsprung an Glaubwürdigkeit. Die griechische Geschichtsschreibung aber ist jung, sie hat nur wenige alte, öffentliche Urkunden zur Verfügung, und es mangelt an Übereinstimmung der Geschichtsdarstellungen. Diese sind allerdings in der Rhetorik den anderen Kulturen überlegen. „Hinsichtlich der Worte (lógon) und der Redegewalt (deinótes en lógon) müssen wir den griechischen Schriften den Vorzug einräumen (parachoréo), nicht aber hinsichtlich der wahren Geschichtsschreibungen (historia) von den Altertümern (arché) und am wenigsten hinsichtlich der Geschichtsschreibung der jedem (Volk) eigenen Einrichtungen“ (Ap. 1,27). Die jüdische Geschichtsschreibung der Hohenpriester und Propheten gehört daher zu der alten, überprüfbaren Geschichtsschreibung der Ägypter und Babylonier; sie bewahrt sogar am gewissenhaftesten die alten Aufzeichnungen im Gegensatz zur unsicheren mündlichen griechischen Tradition auf und hat einen Kanon der anerkannten Bücher (Ap. 1,28-59). Es wird das erste überlieferte Kanon-Verzeichnis der hl. Schriften Israels aufgeführt. Der Vorwurf des arroganten Übergehens fremder Geschichte entspringt nicht nur spezieller jüdischer Verteidigungshaltung gegenüber den Griechen (Ap. 1,60-72). Auch Tacitus erhebt diesen Vorwurf gegen die griechischen Historiker.49 Es handelt sich also um einen verbreiteten Topos, dass die Griechen nur auf ihre eigene Geschichte fixiert sind (Dion. Hal., ant. 1,4,2) und die Römer nur die Universalgeschichte der Vergangenheit ausführlich darstellen. Josephus begnügt sich aber nicht mit der Wiederholung dieses Topos wie in seinem Proömium zum Bellum (bell. 1,13-17), sondern analysiert zusätzlich die speziellen Gründe für das Verhalten der griechischen Historiker.50 Gemeinsam mit den Römern, gräzisierenden Ägyptern (Manetho, eventuell Lysimachos u.a.) und gräzisierenden Babyloniern (Berossos) greift Josephus das griechische Monopol auf Geschichtsschreibung an. Es findet so der griechische Agon (Wettkampf) um die richtige, wahre, universale Geschichtsschreibung auf dem römisch-griechischen Weltmarkt statt. Erster Kronzeuge für diesen Konkurrenzkampf ist

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die beiden Vorworte Lk 1,1-4; Apg 1,1-14“, in J. U. Kalms (ed.), Internationales Josephus-Kolloquium Amsterdam 2000 (MJSt 10, Münster 2001) 241-262. „Die griechische Geschichtsschreibung, die nur die eigenen Taten bewundert, kennt ihn (den Germanenführer Arminius) nicht, und bei den Römern spielt er nicht die ihm gebührende Rolle, da wir die alte Geschichte rühmend hervorheben und der neuen gleichgültig gegenüberstehen“ (Tac., ann. 2,88). Jos., Ap. 1,60-72: Sie begrenzen die Augenzeugenschaft auf die Gebiete, die für sie als Seefahrervolk von Interesse sind. Die griechische Geschichtsschreibung ist daher begrenzt. Sie kann deshalb den Anspruch auf die Wahrheit nur begrenzt einlösen. Die Zeugnisse anderer Kulturen müssen aber gehört werden (vgl. Cic., leg. 6-8).

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Cicero. Der renommierte römische Historiker Attikus (Nepos, Att.) verlangt von Cicero eine historia, „damit wir auch in dieser literarischen Gattung hinter Griechenland in nichts mehr zurückstehen“ (Cic., leg. 1,5). Zuerst übergab Josephus das Bellum Judaicum an die „Herrscher Vespasian und Titus“, dann, so fährt er im Exkurs fort, „verkaufte ich (die Bücher) vielen der Römer, die mitgekämpft haben, und vielen der unseren“ (Ap. 1,51). Der Aufweis der imperialen Engstirnigkeit der Griechen dient wie bei Tacitus in erster Linie der Werbung, erst in zweiter Linie dem grundsätzlichen Kampf um die kulturelle Gleichberechtigung.51 Die Werbung findet bei den Römern und beim eigenen Volk statt. Die Binnensicht ist wie im Prolog deutlich angesprochen, aber nicht rein apologetisch gemeint, wie die gängige Meinung ist.52 Josephus will Universalgeschichte aus der Perspektive eines kleinen Volkes bieten und keine spezielle Ethnographie, da ja der monotheistische Gott Israels der verborgene Lenker der Weltgeschichte ist.53 Der Versuch des Josephus, seiner Archäologie (= Antiquitates) einen gleichberechtigten Sonderplatz neben der griechischen Geschichtsschreibung einzuräumen, ist lobenswert, kommt aber zu spät und verfehlt sein Ziel. Denn Josephus erkennt die rhetorische Überlegenheit der Griechen an. Er versucht sogar, sie mit allen Mitteln nachzuahmen. Der unterscheidende Altersbeweis, den die christlichen Apologeten später von Josephus übernehmen werden, kann dagegen weder einen Griechen, noch einen modernen Hörer überzeugen. Josephus übersieht die Möglichkeit, seine Veränderung der griechischen Rhetorik aufgrund des Nacherzählens der biblischen Geschichtsdarstellungen (1. Grades) als eine positive Leistung darzustellen. Stattdessen beteuert er ständig seine rhetorische Korrektheit.54 Er meint im Prolog zum „Bellum“, die pathetische Geschichtsschreibung auf die Reden und AutorKommentare begrenzen und im Erzählteil kritisch-pragmatisch bleiben 51

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53 54

P. Bilde, “Contra Apionem 1.28-56: Josephus´ View of his own Work in the Context of the Jewish Canon”, in H. Feldman/R. Levison (eds.), Josephus contra Apionem (Leiden 1996) 111; E. Blum, „Ein Anfang der Geschichtsschreibung? Anmerkungen zur sog. Thronfolgegeschichte und zum Umgang mit Geschichte im alten Israel“, in A. de Purg/T. Römer (eds.), Die sogenannte Thronfolgegeschichte Davids (OBO 176, Freiburg/Fribourg 2000) 4-37. K. Krieger stellt zum einen die Apologetik bei Josephus heraus, weist zum andern aber auch die Übernahme der „Gattung und Methode griechischer Geschichtsschreibung“ nach; die Werbung könnte stärker betont werden (K. Krieger, Geschichtsschreibung als Apologetik bei Flavius Josephus [TANZ 9, Tübingen/Basel 1994] 338); ähnlich C. Gerber, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift „Contra Apionem“ (AGJU 40, Leiden 1997). D. E. Aune, The New Testament in Its Literary Environment (Philadelphia [Pens.] 1987) 88f. Ap. 1,1-5 u. ö.; Dormeyer, „Josephus” (s. Anm. 48) 249-254.

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zu können (Jos., bell. 1,11-12; s. u. 2.2.1). Für Josephus scheint klar zu sein, dass er seinem griechischsprachigen Publikum, das aus Judenhellenisten, Heidenhellenisten und zweisprachigen Lateinern besteht, nur rhetorisch einwandfreie Geschichtsschreibung bieten kann. Andererseits nimmt er deutlich deren Fremdheit gegenüber der israelitischen Geschichtstradition wahr. Ihm selbst gelingt keine Lösung, die die Griechen überzeugt. 2.2 Griechische Geschichtsschreibung 2.2.1 Kritisch-pragmatische und pathetische/mimetische Geschichtsschreibung Es geht gerade mit Einbezug von Josephus nicht an, wie Hengel und die Nachfolger eine bruchlose Fortsetzung der atl. Geschichtsschreibung für die Apostelgeschichte zu behaupten. Griechisch sprechende Autoren und Leser waren gezwungen, wenn sie den Septuaginta-Stil nachahmen und fortsetzen wollten, entsprechende griechische Prosagattungen auszuwählen, um eine stilistische Umgestaltung gemäß der Septuaginta zu ermöglichen. Josephus lehnte sich programmatisch an die kritisch-pragmatische Geschichtsschreibung an und nahm zugleich die Abweichungen für sich in Anspruch, die die sogenannte pathetische Geschichtsschreibung auszeichnete: „Wenn also jemand gehässig den Finger darauf legen möchte, dass wir mit unserem Wort die Tyrannen oder deren Verbrecheranhang beschuldigen, dann möge er dem Kummer (pathos) Nachsicht gewähren, selbst wenn dies der strengen Regel der Geschichtsschreibung widersprechen sollte“ (Jos., bell. 1,11). Lk 1,1-4 argumentiert ähnlich (s.u. 2.2.2). Die Unterscheidung der kritisch-pragmatischen von der pathetischen oder mimetischen Geschichtsschreibung soll knapp vorgestellt werden.55 Mit Herodot beginnt die kritische Geschichtsschreibung. Die Anfänge bei den Logographen werden hier nicht näher ausgeführt.

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Vgl. näher dazu in diesem Band: J. Molthagen.

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Der Autor Herodot stellt sich als kritischer Forscher vor.56 Er nennt drei Ziele: 1) die Ereignisse unter den Menschen vor dem Vergessen zu bewahren (Memoria), 2) nur die großen und wunderbaren Taten der Hellenen und Barbaren für die Erinnerung auszuwählen (Selektion), 3) die Ursachen zu erklären, insbesondere für Kriege (Theorie). Das auktoriale „Ich“ fällt erst am Schluss des Prologs: „Ich selbst will nicht entscheiden, ob es so oder anders gewesen ist …“ (Hdt., 1,5,3). Und dann nennt Herodot „Kroisos“ als Ursache des Krieges zwischen Persern und Griechen. Herodot markiert mit diesen Zielen einen scharfen Schnitt zur epischen Geschichtserzählung seit Homer.57 Die Ereignisse „unter Menschen“ sind nicht mehr Mythen, in denen Götter mit Menschen handeln, sondern historische, von Menschen erzeugte Taten. Für die geschichtliche Forschung sind nur die Handlungsweisen der Menschen beobachtbar, in ihrer Größe mitteilbar und in ihrer Ursächlichkeit erklärbar. Geschichte wird zu einer Summe von autonomen Erlebniseinheiten und Lebensverläufen. Herodot unternimmt lange Reisen, um Augenzeuge wenigstens der Schauplätze und der fremden Völker zu werden. Er betreibt Ethnologie. Darauf kann Josephus Bezug nehmen. Thukydides erweitert später diese „historische Betrachtungsweise“58, er schafft sie nicht neu. Doch hält sich Thukydides strenger an das Kriterium der Beobachtbarkeit. Außerdem führt er das Kriterium der „Wahrheit“ ein.59 56

57 58 59

Das Vorwort von Herodot lautet: „Herodotos von Halikarnassos gibt hier eine Darlegung seiner Forschungen, damit bei der Nachwelt nicht in Vergessenheit gerate, was unter Menschen einst geschehen ist; auch soll das Andenken an große und wunderbare Taten nicht erlöschen, die die Hellenen und Barbaren getan haben, besonders aber soll man die Ursachen wissen, weshalb sie gegeneinander Krieg führten.“ (Hdt., Prolog 1 üb. v. W. Haussig). Von Haehling, „Herodot“ (s. Anm. 47) 165-175. R. Bichler/R. Rollinger, Herodot (Darmstadt 2000) 15. „So fand ich die Vorzeit, in mühsamer Untersuchung, da nicht jedem ersten besten Zeugnis zu trauen war. Denn die Menschen nehmen alle Nachrichten von Früherem, auch was im eigenen Land geschah, gleich ungeprüft voneinander an... So unbemüht sind die meisten in der Erforschung der Wahrheit und bleiben lieber bei den herkömmlichen Meinungen. Wer sich aber nach den genannten Zeichen die Dinge doch etwa so vorstellt, wie ich sie geschildert habe, wird nicht fehlgehen, unverführt von den Dichtern, die sie in hymnischer Aufhöhung aufgeschmückt haben, noch von den Geschichtenschreibern (logographos), die alles bieten, was die Hörlust lockt, nur keine Wahrheit...“ (Thuk. 1,20-21 üb. v. G. P. Landmann).

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Thukydides fährt fort: „Von allen früheren Taten (érgon) war also die bedeutendste der Perserkrieg“ (Thuk. 1,23). Nach Thukydides bietet nur die kritisch-pragmatische Geschichtsschreibung gegenüber Dichtung und fabulierendem Erzählen die objektiv überprüfbare Realität und damit die historische Wahrheit. Der Begriff „prágma“ von Polybios (Pol 1,1) wurde später gegenüber „érgon“ zum terminus technicus der Geschichtsschreibung (Poseidonios [135-51 v. Chr.], „Die Geschichte nach Polybios“; Jos., ant. 1,5). Herodot ist anderer Meinung. Er erlaubt sich, weiterhin einzelne, wunderbare Ereignisse in mythischer Form zu überliefern und auf eine kritische, objektive Analyse der Wahrheit oder auf eine Selektion zu verzichten. So wird Herodot zum Vater zweier und weiterer Söhne, zum einen zum „Vater“ der kritisch-pragmatischen Geschichtsschreibung (Cic., leg. 1,5), zum anderen zum Vater der tragisch-pathetischen Geschichtsschreibung und anderer Literaturgattungen der Ethnographie und Geographie.60 In Fortführung der Fabulierfreude Herodots trägt später Duris von Samos erneut die Dramatik der Tragödien und Epen in die Geschichtsschreibung ein, und zwar gegen Thukydides. Duris von Samos (ca. 340-270 v.Chr.) polemisiert im Proömium zu den Makedoniká gegen die Vorgänger Ephoros und Theopomp: „Ephoros und Theopomp blieben hinter der geschichtlichen Wirklichkeit (ta genómena) meilenweit zurück. Denn sie gaben in ihrer Darstellung weder irgendwelcher Nachahmung (mímesis) noch Freude (hedoné) Anteil, sondern kümmerten sich lediglich um den Stil“ (Phot., Bibl. 176 p. 121a 41 = F1, üb. v. K. Meister). Duris hält den Kritisierten vor, gegenüber der pragmatischen Geschichtsschreibung nur auf den Stil stärker zu achten. Gemeint ist offenkundig die Rhetorisierung des Stils ab dem späten 4. Jh. v. Chr. 61 Duris selbst arbeitet hingegen das zentrale Prinzip der aristotelischen Tragödientheorie, die Mimesis = Nachahmung, ein (Arist., poet. 1 = 1447a15-20).62 Hedoné = Freude, Vergnügen, Lust gehört dagegen nicht zentral zur Tragödientheorie.63 Zwar spricht Aristoteles von „hedoné“ als Ergebnis von „Mitleid“ und „Furcht“, die von der Nachahmung ausgelöst werden (Arist., poet. 14 = 1453b11-12). Aber das Ziel der Tragödie 60 61 62 63

Bichler/Rollinger, Herodot (s. Anm. 58) 114-120; v. Haehling , „Herodot“ (s. Anm. 47). K. Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus (Stuttgart et al. 1990) 80-102; D. Flach, Römische Geschichtsschreibung (Darmstadt 1998) 42-54. B. Effe (ed.), Hellenismus (Die griechische Literatur in Text und Darstellung 4, reclam 8064, Stuttgart 1985) 258 ff. Gegen Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 61) 96f.

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bleibt die Reinigung (Kátharsis) der Affekte „Mitleid“ und „Furcht“ (Arist., poet. 6 = 1449b25-30). Daher warnt er davor: „Denn man darf mit Hilfe der Tragödie nicht jede Art von Vergnügen hervorzurufen suchen, sondern nur die ihr gemäße“ (Arist., poet. 14 = 1453b10). Ob Duris den Tragödienstil strikt beibehalten oder dem Unterhaltungsinteresse entsprechend modifiziert hat, muss angesichts der wenigen Fragmente offen bleiben. Lendle beobachtet „mimetische und tragische Tendenzen … in stark zunehmenden Maße aber in der Alexandergeschichte“ und ordnet zu Recht dieser Richtung Duris zu.64 Ein Dauerstreit um „wahre Geschichtsschreibung“ bricht im Anschluss an Duris aus: Polybios gegen Phylarchos, dem Fortschreiber von Duris, dann gegen Theopomp und gegen Timaios (Pol. 2,56,8-12; 12), Plutarch gegen Duris (Plut., Per. 28) und Herodot (Plut., Perì Herodótou kakoêtheía), Cicero gegen die „innumerabiles fabulae“ von Herodot und Theopomp (Cic., leg. 1,5), der auctor ad Theophilum gegen die Versuche „vieler“ (Lk 1,1-4), Lukian gegen unwahrhafte Historiker (Lukian., hist. conscr. 14-34). Cicero stellt in „Über den Redner“ eine literaturgeschichtliche Liste von Historiographen auf; sie setzt mit Herodot ein und lässt Thukydides als „Sieger (vicit)“ über alle folgen (Cic., de orat. 2,56-58). Lukian beginnt sein satirisches Vorwort mit einer Erzählung von der „Abderitischen Krankheit“ (Lukian., hist. conscr. 2). Die Einwohner von Abdera sind verrückt geworden auf die „Tragödie“ und deklamieren fortwährend die bekanntesten, insbesondere die des Euripides (Lukian., hist. conscr. 1). Diese Krankheit hat vergleichsweise auf „viele Gebildete (pepaideúmenos)“ übergegriffen, die aber nicht beim Tragödien Deklamieren bleiben, sondern Geschichte schreiben im Stile der großen Vorgänger „Thukydides, Herodot und Xenophon“, diesen Anspruch aber nicht einlösen können (Lukian., hist. conscr. 2; 4).65 Der neuzeitliche Begriff „tragische bzw. pathetische Geschichtsschreibung“ kann sich also u.a. mit Lukians Vorwort begründen.66 64 65 66

O. Lendle, Einführung in die griechische Geschichtsschreibung. Von Hekataios bis Zosimos (Darmstadt 1992) 187. Quintilian nennt als lat. Vorbilder Livius und Sallust (Quint., Inst. 2,19). Lukian., hist. conscr. 23: „tragische Proömien“; 16: „tragikóteron“ als Charakterisierung des Kallimorphos u.ö; vgl. auch Theophrast „Über die Geschichte“, in Diog. Laert. V 47; Cic. orat. 39. Meister hält trotz dieser Quellen den Begriff „tragische Geschichtsschreibung“ für einen „Interpretationsfehler“ (Meister, Geschichtsschreibung [s. Anm. 61] 95f.), während Timpe an ihm festhält (D. Timpe, Römische Geschichte und Heilsgeschichte [Berlin/New York 2001] 43 Anm. 63). Doch sollte der Streit um die Begriffe pathetisch oder mimetisch nicht zu grundsätzlich gesehen werden (Lendle, Einführung [s. Anm. 64] 185-189). Die Mimesis (Nachahmung) beinhaltet sowohl Pathos und Tragik als

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Meister sieht mit Polybios in der Aufnahme von terateía = Wunder, Sensationen, das „entscheidende(s) Merkmal ihrer Geschichtsschreibung“67. Der von Meister dafür vorgeschlagene Begriff „mimetische“ Geschichtsschreibung kann ebenfalls verwandt werden.68 Herodot hat an einzelnen Stellen solche Wunder (Hdt. 1,84-91). Und diese gehen weiter bei dem Alexander-Historiker Kallisthenes (F. Gr. Hist. 124, F 14, 22, 31), bei Duris und bei Phylarchos, gegen den dann Polybios ausgiebig polemisiert (Pol. 2, 56, 6-12). Polybios verzichtet zwar ausdrücklich auf „terateia“ (15,36,1), lässt aber mit der gesamten antiken Geschichtsschreibung „Wunder“ bei anderen Autoren zu, wenn sie nicht „aller Wahrscheinlichkeit widersprechen“ (16,12,6).69 Die Wunder und Zeichenhandlungen in den Evangelien und in der Apostelgeschichte widersprechen daher nicht der griechischen Geschichtsschreibung, sondern gehören in den Zweig der pathetischen oder mimetischen Geschichtsschreibung hinein.70 Allerdings ist diese Strömung fast völlig verloren gegangen. Wenige Fragmente sind erhalten geblieben. Nur in der erhaltenen BiosLiteratur, in der frühjüdischen Geschichtsschreibung (Josephus, Philon; 1-4 Makk) und in der neutestamentlichen Erzählliteratur werden die Konturen dieser Geschichtsschreibung erkennbar. 2.2.2 Das lukanische Doppelwerk als pathetische/ mimetische Geschichtsschreibung Inzwischen besteht ein Konsens, dass der auctor ad Theophilum mit seinen Prologen seine zwei Bücher der griechischen Historiographie, also der fiktionalen Geschichtsschreibung 2. Grades, zurechnet.71 Er

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auch Komödiantisches, und die pathetische Geschichtsschreibung bildet nicht die Tragödie ab, sondern bleibt Geschichtsschreibung mit pathetischen, tragischen und auch komödiantischen Zügen. Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 61) 100; Pol. 2,56, 8-12; 7,7,1-5; 15,34-36; 16,12,35; E. Plümacher, Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, ed. J. Schröter/R. Brucker (WUNT 170, Tübingen 2004) 38-67. Plümacher wechselt unter dem Einfluss von Meister und Lendle von „tragischpathetischer“ Geschichtsschreibung (E. Plümacher, Art. „Apostelgeschichte“, TRE 3 [1978] 483-528, 514) zur „mimetischen“ Geschichtsschreibung über (id., Geschichte [s. Anm. 67] 34). In seiner Dissertation hatte er noch zu Recht auf den „Mimus“ verwiesen, der sowohl Auszüge aus den Tragödien als auch aus den Komödien aufführte, so dass beide Begriffe berechtigt sind (E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte [SUNT 9, Göttingen 1972] 28f.). Plümacher, Geschichte (s. Anm. 67) 65-68. Ibid., 33-85. W. Radl, Das Evangelium nach Lukas. Kommentar 1,1-9,50 (Freiburg 2003) 17-19; vorsichtig L. Alexander, The Preface to Luke´s Gospel. Literary convention and social con-

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rechnet seine „diégesis = Erzählung“ (Plut., Lyc. 1,7; Dion. Hal., ant. 1,7,4) sogar wie Josephus explizit der pragmatischen Geschichtsschreibung zu: pragmáton = Taten (Lk 1,1). Doch wie Josephus kündigt er zugleich eine Abweichung an: „peplerophoreménon en hemín = unter uns erfüllten (Taten)“ (Lk 1,1). Von wem sind die Taten erfüllt worden? Die logischen Subjekte werden gleich in der ersten Erzählung Lk 1,5-25 nachgetragen. Es handelt sich um Personen der Zeitgeschichte, um einen „Engel Gottes“ und um Gott selbst. Der Prolog zum zweiten Band nennt rückblickend Jesus als Hauptperson: Den „Anfang“ seines „Tuns“ und „Lehrens“ hat der Ich-Autor im „ersten Buch“ dargestellt (Apg 1,1). Im ersten Teil der einleitenden Satzperiode Apg 1,1-5 wird so mit diesem Rückblick das erste Buch als Bios gekennzeichnet;72 eine Gattungsbezeichnung für das zweite Buch fehlt allerdings. Doch der folgende Satzteil gibt, etwas versteckt, das Thema des zweiten Buches an: „bis zu dem Tag, an dem er, Weisung erteilend den Aposteln, die er durch den heiligen Geist erwählt hatte, aufgenommen wurde“ (Apg 1,2).

Es geht um die Weisungen an die Apostel bis zum und besonders am Himmelfahrtstag und deren Einlösung durch die Apostel unter Führung des Hl. Geistes „bis an die Grenzen der Erde“, wie Apg 1,6-8 aus-

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text in Luke 1.1-4 and Acts 1.1 (MSSNTS 78, Cambridge 1993) 23-42; dagegen Backhaus, zum lk. Doppelwerk gehöre nicht „kritischer Abstand“, weil es „distanzlos ein Geschichtsbild durchzusetzen“ versuche und wie die „biblisch-jüdische Tradition monotheistischer Geschichtswahrnehmung“ einen parteiischen Gott im Blick habe (Backhaus/Häfner, Historiographie [s. Anm. 46] 56f.) – Thesen, die wohl für das dtndtr Geschichtswerk zutreffen, aber nicht für die atl. Spätschriften (1-4 Makk: H. Cancik, Mythische und historische Wahrheit [SBS 48, Stuttgart 1970] 118-124: „tragischpathetische Geschichte“) und erst recht nicht für Philon und Josephus; gerade für Josephus bleibt festzuhalten, dass die gegenwärtige Forschung ihn nahe beim lk. Doppelwerk sieht und nicht gegen es (S. Mason, Flavius Josephus und das Neue Testament [UTB 2130, amer. 1992, Tübingen/Basel 2000] 270-327); gegen „institutional history“ (H. Cancik, “The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations concerning Luke´s History“, JBL 116 [1997] 673-695) hält Backhaus daher auch an „apologetischer Historiographie“ für die Apostelgeschichte fest (Backhaus/Häfner, Historiographie [s. Anm. 46] 46). Abgesehen von diesen Zuspitzungen gelingt es Backhaus, die fiktionalen Ausgestaltungen der Apostelgeschichte in den Rahmen der griechischen und römischen Geschichtsschreibung einzupassen und überzeugende Kriterien für die historische Rückfrage aufzustellen (ibid., 59-67). D. Dormeyer, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung (Darmstadt 1993) 228; D. Timpe, Geschichte (s. Anm. 66) 42: „Biographie vornehmlich der Philosophen – und andererseits der Herrscherbiographie …“; D. Dormeyer/F. Galindo, Die Apostelgeschichte (Stuttgart 2003) 26-36.

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führen. Rom wird zwar als Mittelpunkt der „Erde“ Endstation des Paulus und Ende der Apostelgeschichte (Apg 28,16-31), aber die römische Geschichte wird nicht zum Zentralthema. Es geht also um Universalgeschichte, die ohne Rom-Zentrierung von Menschen einerseits und vom Hl. Geist, von Engeln, vom Auferstandenen und von Gott selbst andererseits erzeugt wird. Wie bei Josephus weicht eine solche Geschichtsschreibung von der angezielten pragmatischen Geschichtsschreibung bewusst ab. Doch der Evangelist entschuldigt sich nicht wie Josephus. Selbstbewusst setzt er die Terateia (= Wunder) der Angelophanie vor dem Priester Zacharias und der Jungfrau Maria an den Anfang des ersten Buches und die Herabkunft des Hl. Geistes an den Anfang des zweiten Buches.73 Nach Lukian liegen Fieberphantasien vor (vgl. Apg 26,24; s.o. 2.2.1), nach dem Evangelisten geschieht dagegen die reflektierte Nennung der verborgenen göttlichen Kräfte. Der Evangelist trifft genauer als Josephus die unzulässige Grenzziehung der Theoretiker der pragmatischen Geschichtsschreibung gegenüber den Kräften des Göttlichen. Denn der methodische Atheismus der pragmatischen Historiker blendete die eigentliche Wirkkraft der Geschichte aus, den Glauben an das Göttliche.74 Plutarchs frühe Schrift „Über den Aberglauben“ deutet diese Engführung der pragmatischen Geschichtsschreibung an. Das Gebet zu Zeus als Vorbereitung auf einen Kampf gemäß Homer (Ilias 7,193f.) wird als „vernünftig“ (logismos) bezeichnet, während die jüdische Verweigerung des Kampfes am Sabbat dem „Aberglauben“ zuzurechnen ist (Plut, de superstitione 8b-8c).75 Wegen des Protestes gegen den theoretischen Atheismus schreibt Plutarch auch keine pragmatische Geschichte mit ihrem eingegrenzten 73

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Es geht um die Gründe (aitíai) für die „in Epochen gegliederte und vom Willen Gottes geleitete(n) Endzeit“ (U. Busse, „Theologie und Christologie in drei Evangelien“, in id. [ed.], Der Gott Israels im Zeugnis des Neuen Testaments [QD 201, Freiburg et al. 2003] 90). Vgl. Ciceros Ablehnung von „Zeichen“ in id., Über die Wahrsagung. Plutarch, „Über den Aberglauben“ (De superstitione), in H. Görgemanns (ed.), Plutarch. Drei Religionsphilosophische Schriften (Düsseldorf/Zürich 2003) 8-44; von Haehling verweist auf das Weitergehen theologischer Deutung bei Herodot: „Zum Postulat jeder Geschichtsschreibung, die stets Geschichte vom Menschen ist, gehört, dass die in der Geschichte wirksamen Kräfte gemäß der rationalen Kausalität definiert sind. Gegen dieses Prinzip verstößt Herodot jedoch häufig, etwa bei der Erklärung für den überraschenden Sieg der Griechen über die Perser. Gerade hier zeigt sich, wie sehr Herodot noch an der Schwelle der mythischen zur rationalen Welterklärung steht. Die Ursache für den wundersamen Sieg des numerisch unterlegenen Griechenheeres sucht Herodot in einer theologischen Ausdeutung.“(v. Haehling, „Herodot“ [s. Anm. 47] 173; vgl. Th. Söding, Ereignis und Erinnerung. Die Geschichte Jesu im Spiegel der Evangelien [Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Vorträge G 411, Paderborn 2007] 27f.).

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Vorverständnis, sondern Bioi, in denen Götter durch „Zeichen“ mitwirken. Die Berücksichtigung göttlichen Handelns mahnen sowohl der Evangelist als auch Josephus an (vgl. 2 Makk 2,19-32: himmlische Erscheinungen). D. Aune betont, dass der Evangelist und Josephus auch mit diesen Verweisen auf die göttliche Weltlenkung Universalgeschichte (general history) schreiben wollen und können.76 Doch Josephus hatte die falschen Adressaten, und zwar die Atheisten der griechisch-römischen Oberschicht. Der Evangelist hingegen sprach mit der gesamten pathetischen oder mimetischen Geschichtsschreibung die antiken Gruppen an, die bei aller berechtigten Kritik an der tradierten Götterwelt offen blieben für das verborgene Einwirken des unbewegten Bewegers, der mit Hilfe von Dämonen in „Wundern“ und Offenbarungen „epiphan = offenkundig“ werden konnte. 2.3 Die Zuordnung von griechischen Spezialgattungen der Geschichtsschreibung zur Apostelgeschichte Welche Spezialgattungen der griechischen Geschichtsschreibung lassen sich der Apostelgeschichte zuordnen, abgesehen von der grundsätzlichen Differenz zwischen kritisch-pragmatischer und kritisch-pathetischer Geschichtsschreibung, der jeweils dieselben Spezialgattungen angehören können?77 Conzelmann hatte bereits die Gattung „historische Monographie“ erwogen.78 Hengel schloss sich an und wies gleichzeitig auf weitere Gattungen hin: „Berichte über Philosophenschulen... Aigyptiaka…; an der alttestamentlichen Geschichtsschreibung orientiert ist das 1. Makkabäerbuch, das im Grunde nur den Aufstieg der Priesterfamilie der Hasmonäer erzählt. Das Werk Jasons von Kyrene, das im 2. Makkabäerbuch zusammengefasst ist, oder auch die zeitgeschichtlichen Monographien Philos über die Verfolgung der Juden in Alexandrien und die Gesandtschaft an Kaiser Caligula schlagen die Brücke von der jüdischen zur hellenistischen Geschichtsschreibung.“79

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Aune, Testament (s. Anm. 53) 88f. F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, Zweiter Teil. Zeitgeschichte B. Spezialgeschichten (Berlin 1929). s. Anm. 21 Hengel, Geschichtsschreibung (s. Anm. 24) 37.

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Die historische Monographie kommt nach Hengel der Apostelgeschichte am nächsten, aber auch Philosophiegeschichten und ethnographische Werke haben eine Parallele. 2.3.1 Historische Monographie E. Plümacher greift Conzelmann auf und bestimmt dezidiert die Apostelgeschichte als „historische Monographie“.80 Die antike Gattung „Monographie“ trifft völlig auf die Apostelgeschichte zu. R. Riesner und D. Marguerat führen im Heft 18 der Zeitschrift für Neues Testament (2006) eine grundlegende Diskussion um die Gattung und Historizität der Apostelgeschichte im Rahmen der griechisch-römischen Geschichtsschreibung.81 Der Freimut (parresía) und der „WirBericht“ dienen u.a. als Beispiele. Riesner ordnet die Apostelgeschichte der Gattung „historische Monographie“ zu. Die Kriterien des Vorworts Lk 1,1-4 gelten auch für die Apostelgeschichte.82 Plümacher stellt ebenfalls in demselben Heft fest: „Die beträchtliche Übereinstimmung, die in Topik und Vokabular zwischen lukanischem Prooemium und Thukydides Methodenkapitel besteht, ist deutlich genug, um das literarische Selbstverständnis des Lukas zu enthüllen: Ganz offensichtlich wollte er auch Historiker sein.“83 Marguerat nennt 10 Regeln der griechisch-römischen Geschichtsschreibung nach Lukian (hist.conscr.) und spricht Lukas die Einhaltung von 8 Regeln zu. Nur Regel 1 „Wahl eines noblen Themas“ und Regel 3 „Unabhängigkeit des Geistes und Abwesenheit von Parteilichkeit“ werden bewusst verletzt.84 Über den Verstoß von Regel 1 besteht ein Konsens. Das Thema, „wie Gott sich in das Glück und das Unglück eines kleinen Volkes mischt“, anstatt wie Generäle und Kaiser, die Universalgeschichte machen, gehört in die jüdische Linie der Geschichtsschreibung.85 Über den Verstoß gegen Regel 3 besteht allerdings ein entscheidender Dissens. Nach Marguerat erfordert die parresía (Freimut) des westantiken Historiographen eine kritische Distanz zum Thema (Lukian, 80 81 82 83 84 85

E. Plümacher, „Die Apostelgeschichte als historische Monographie“, in id., Geschichte (s. Anm. 67) 1-15; A. Weiser schließt sich ihm an (A. Weiser, Die Apostelgeschichte, 2 vols. [ÖTK 5,1-2, Gütersloh 1981-85] 31). R. Riesner, „Die historische Zuverlässigkeit der Apostelgeschichte“, ZNT 18 (2006) 38-44; D. Marguerat, „Wie historisch ist die Apostelgeschichte“, ibid., 44-52. Riesner, „Zuverlässigkeit“ (s. Anm. 81) 39. E. Plümacher, „Stichwort: Lukas, Historiker“, ZNT 18 (2006) 2-9 Marguerat, „Apostelgeschichte“ (s. Anm. 81) 48f. Ibid., 42f. 48.

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hist.conscr. 41.61). Nach Riesner wird diese Distanz durchaus von der letzten Apologie des Paulus mit der Verteidigung gegen den „Wahnsinn“-Vorwurf des Festus erzeugt (Apg 26,25-26).86 In der Tat stoßen an dieser Stelle kritisch-pragmatische Geschichtsauffassung und kritisch-urchristliche Geschichtsauffassung in fiktionaler Konfrontation aufeinander.87 Nach Marguerat aber gibt der „Freimut“ des Paulus nicht „die intellektuelle Autonomie des Historikers“ Lukas wieder, sondern dessen gläubige „Leseart der Geschichte“.88 Doch wird Marguerat mit „intellektueller Autonomie“ dem westantiken Spektrum von Historiographie gerecht? Die kritisch-pragmatische Linie ab Thukydides und Polybios bemüht sich um diese Autonomie, doch die pathetische Linie ab Duris benutzt das massive Einwirken von Gottheiten den antiken Tragödien gemäß. Leider berücksichtigen weder Riesner noch Marguerat die pathetische oder mimetische Geschichtsschreibung, die Plümacher erneut als Parallele der Apg betont.89 Mit Hilfe dieser Linie lassen sich die offenen Fragen ansatzweise klären. Marguerat baut zur Geschichtsschreibung folgende Antithesen auf. „Die griechische ist kritisch, die jüdische ist es nicht … Josephus macht eine Ausnahme.“90 Müsste nun nicht die gesamte judenhellenistische Geschichtsliteratur durchgemustert werden, ob sie nicht auch einschließlich des NT zu der Ausnahme gehört? Denn originäre griechische Geschichtswerke können gar nicht anders als das Paradigma kritischer Geschichtsbetrachtung einnehmen. Ob in Thema und philosophischer Distanz (Freimütigkeit) der Glaube an eine Gottheit eine Hintergrundrolle oder Hauptrolle spielt, entscheiden die historiographischen Stilarten und die religiös-politischen Traditionen einer Stadt oder Volkskultur. Gerade die Gründungsgeschichten (u.a. in den Bioi von Plutarch) kennen ein starkes Mithandeln der Götter.91 Ein schwaches Mithandeln mit Träumen und unspektakulären Zeichen bleibt sogar nach Polybios (16,12,9) erlaubt, den Marguerat als Antithese zur Apg zitiert: „Alles im Gegensatz zu den Acta“92. Diesen Gegensatz vermag ich nicht zu erkennen, zumal Marguerat Lukas einen „Realitätseffekt“ zuerkennt. Wenn aber der Leser die Apg als quellenbezogene, realistische Fiktion entschlüsseln soll, und zwar ausdrücklich

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Riesner, „Zuverlässigkeit“ (s. Anm. 81) 39. Dormeyer/Galindo, Apostelgeschichte (s. Anm. 72) 366-370. Marguerat, „Apostelgeschichte“ (s. Anm. 81) 49. Plümacher, „Stichwort“ (s. Anm. 83) 5f. Marguerat, „Apostelgeschichte“ (s. Anm. 81) 49. Dormeyer, Markusevangelium (s. Anm. 44) 4-11; 123-138; 268-286. Marguerat, „Apostelgeschichte“ (s. Anm. 81) 49.

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gegen den Roman93, dann darf göttliches Einwirken nicht nur gemäß der kritisch-pragmatischen Geschichtsschreibung angedeutet werden, sondern darf auch gemäß der pathetischen Geschichtsschreibung als Führungsmacht entfaltet werden wie beim Tod von Cäsar und Brutus (Plut., Caes. 63-66; Brut. 47). Zuzustimmen ist dagegen dem linguistischen, weiten „Wir“-Begriff, den Marguerat betont.94 Plutarch berichtet von einer Reise, die er nachträglich zum Schauplatz einer Schlacht unternommen hat (Otho 14).95 Das „Wir“ ist für antike Historiographen offen für eine nachträgliche Einordnung des Erzählers. Auch Riesner bleibt aufgrund der Datenlage vorsichtig, dass „der Paulus-Begleiter Lukas als Verfasser nicht ausgeschlossen bleibt“ (39). Die Berücksichtigung des linguistischen „Wir“ innerhalb einer fiktionalen, nicht fiktiven historischen Monographie vermag diese Vorsicht zu verstärken. Der Evangelist kann mit dem „Wir“-Bericht nachträglich Überlieferungen als glaubwürdige Itinerare ausweisen oder zusammenstellen. Abschließend ergibt sich als erfreulicher Konsens, dass Lukas in der Apostelgeschichte Quellen verarbeitet und eine „theologische“ Konstruktion von Geschichte geleistet hat, die er im Rahmen der westund ostantiken Historiographie verantworten kann.96 Ähnlich rechnet G. E. Sterling Luke-Acts und die Antiquitates von Josephus der „apologetischen Geschichtsschreibung“ zu, die ethnographisch einen Teil der Weltgeschichte beschreibt.97 Die ethnographische Einschränkung ist sicherlich zutreffend, doch die Zuschreibung des lk. Doppelwerks und des Josephus zur Apologie ist problematisch. Denn beide erheben universalhistorischen Anspruch und wollen gerade nicht nur Vorgänge in einem „Weltwinkel“ beschreiben (Apg 26,26). Ob der nztl. Begriff „Monographie“ eine zusätzliche hilfreiche Differenzierung ist, muss offen bleiben.98 Denn es lassen sich nur die beiden erhaltenen Werke von Sallust über Catilina und Jugurtha der Monographie zurechnen. Beide Werke können auch dem Bios zuge-

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Ibid., 46f. Ibid., 50. Holzbach, Plutarch (s. Anm. 1) 199. C. J. Thornton betont die Spezialgattung „Historische Monographie“ innerhalb der pathetischen Geschichtsschreibung und hält weitgehend an der historischen Glaubwürdigkeit fest (C. J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen [WUNT 56, Tübingen 1991] 364); so auch W. Eckey, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom, 2 vols., (Neukirchen 2000), vol. 1, 20-31. G. E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic History (Leiden et al. 1992) 16-20. Plümacher, „Monographie“ (s. Anm. 80) 7f.

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schrieben werden, weil beide mit dem Lebensende von Catilina und Jugurtha abschließen.99 Beide Werke können aber auch einer biographischen Geschichtsschreibung zugerechnet werden, die sich ab der Alexanderzeit herausbildet (s.u. 2.3.3).100 2.3.2 Philosophen-Leben C. H. Talbert führte 1974 den bahnbrechenden Vergleich zwischen Luke-Acts als Doppelwerk und der griechisch-römischen Bios-Literatur durch. Er sah als naheste Parallele Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen (3. Jh.).101 Zuvor hatte K. Reich festgestellt: „Das Werk des Diogenes Laertius ist das einzige vollständig erhaltene Buch des griechisch-römischen Altertums über Philosophiegeschichte… Ein großes Vorbild hierfür aus der allgemeinen Historie lag in gewisser Weise in Herodot vor, der in dieser Zeit bei den Dichtern sehr beliebt war. Entsprechend dringt Novellistisches und Anekdotisches in die Philosophiehistorie ein und wird ein Gesamtrahmen der Masse der einzelnen Bestandstücke aufgenötigt.“102 Es handelt sich bei dieser „Philosophiehistorie“ um eine heute nicht mehr geläufige Literaturgattung. Deren Verfahren mit der Rahmung der Kleingattungen hat in der Tat große Ähnlichkeit mit der Redaktion 99

M. Reiser, Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments (UTB 2197, Paderborn 2001) 107. 100 F. Römer, „Biographisches in der Geschichtsschreibung der frühen römischen Kaiserzeit“, in E. M. Becker (ed.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin 2005) 137-157, 139f.; M. Lang stellt den gegenwärtigen Konsens heraus, bei Sallust die „römische Anthropologie und Tugendlehre“ im Mittelpunkt zu sehen (M. Lang, Die Kunst des christlichen Lebens. Rezeptionsgeschichtliche Studien zum lukanischen Paulusbild [ABG 29, Leipzig 2008] 114-130), und folgert daraus: „dass die kompakte Darstellung eines geschichtlichen Abrisses nicht notwendigerweise eine ‚historische Monographie‘ als Gattung ‚benötigt‘“ (ibid., 115). „Personalisierte Problemlösungsstrategien“ bei Tacitus zeigen nach ihm noch deutlicher die zunehmende Biographisierung der Geschichtsschreibung an (130136); s. o. Anm. 36. 101 C. H. Talbert, Literary Patterns, Theological Themes and the Genre of Luke-Acts (SBLMS 20, Missoula 1974) 125-134; weitergeführt unter Betonung des Lebens von Sokrates: L. C. A. Alexander, “Acts and Ancient Intellectual Biography”, in B. W. Winter/A. D. Clarke, Ancient Literary Setting (The Book of Acts in its First Century Setting, vol. 1, Grand Rapids [MI] 1993) 31-65; zustimmend mit zusätzlichem Blick auf Philostratos, Apollonios von Tyana und die plutarchschen Parallelbiographien B. Heininger, „Das Paulusbild der Apostelgeschichte und die antike Biographie”, in M. Erler/S. Schorn (eds.), Die griechische Biographie in hellenistischer Zeit (BzA 245, Berlin 2007) 407-431. 102 K. Reich, „Einleitung“, in Diogenes Laertius. Leben und Meinungen berühmter Philosophen, trans. O. Apelt, ed. H. G. Zekl (Hamburg 21967, 31990) XII-XVII, XIIf.

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der Evangelien und der Apostelgeschichte. Allerdings kann die additive Aufzählung von Philosophenschulen nicht mit dem eschatologischen und universalen Anspruch des lk. Doppelwerks über Jesus und seine Apostel verglichen werden. Die universale Geltung des „Lehrers“ Jesu geht weit über die Wertschätzung eines Sokrates oder anderer Philosophenhäupter hinaus. Richtig gesehen ist, dass Lk-Apg wie die anderen Synoptiker eine biographische Ausrichtung haben.103 Doch die Verbindung zu Herodot und zu der anschließenden mimetischen Geschichtsschreibung muss noch stärker ausgebaut werden. 2.3.3 Biographische Geschichtsschreibung T. J. Luce macht darauf aufmerksam, dass ab der Zeit von Philipp II. Individuen im Vordergrund der Geschichtsschreibung stehen. „Die Karriere von Philipps Sohn Alexander zog dann eine regelrechte Kleinindustrie der biographischen Geschichtsschreibung nach sich… Kallisthenes, Nearchos, Aristobulos und Ptolemaios.“104 Die biographische Geschichtsschreibung soll aber nach Luce nicht mit der eigentlichen Biographie verwechselt werden, da diese „die ganze Antike hindurch als eigene Gattung angesehen wurde“105. Jetzt geht es nicht mehr um Kriege mit universaler Bedeutung zwischen Völkern wie bei Herodot, Thukydides und Polybios, sondern um die Aneinanderreihung von Personen, die mit Episoden Universalgeschichte machen.106 Die Annalen und Historien des späteren Tacitus erhalten ja Konkurrenz von der eigenen Biographie über „Agricola“, von den Kaiserbiographien Plutarchs und Suetons und von den nachfolgenden Biographiesammlungen.107 M. Reiser rechnet ebenfalls die Apostelgeschichte der „historischen Monographie mit stark biographischer Ausrichtung“ zu.108 103 Dormeyer, Literaturgeschichte (s. Anm. 72) 225-231. 104 T. J. Luce, Die griechischen Historiker (amer. 1998, Düsseldorf/Zürich 1998) 161; s. o. 2.2.1. 105 Ibid. 106 H. Hofmann, „Die Geschichtsschreibung“, in L. J. Engels/H. Hofmann (eds.), Spätantike (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, vol. 4, Wiesbaden 1997) 412-418; K. Sallmann (ed.), Die Literatur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Literatur 117 bis 248 n. Chr. (München 1997) 13f. 107 A. Dihle, Studien zur griechischen Biographie (AAWG PH 3,37, Göttingen 21970) 64-81; H. Sonnabend, Geschichte der antiken Biographie. Von Isokrates bis zur Historia Augusta (Darmstadt 22003) 133-183. 108 Reiser, Sprache (s. Anm. 99) 111.

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P. Pokorný betont die Einheitlichkeit des lk. Doppelwerks. Er stellt heraus, dass nach Apg 1,1 das zweite Buch den Anfang der Tätigkeit Jesu fortsetzt.109 Lukas ist innerhalb der westantiken Geschichtsschreibung ein „Historiker sui generis“, da sein Werk weder zur Biographie noch zum Roman gehört. Dieses Urteil lässt Raum dafür, dass die Apostelgeschichte der breit gefächerten „biographischen Geschichtsschreibung“ zugeordnet werden kann, zumal das Motiv „der Parallelisierung der Geschichte von Jesus, Petrus, Stephanus und Paulus“ als beherrschend anerkannt wird.110 Da biographische Geschichtsschreibung und Biographie eng zusammenhängen, sollen hier auch die Herrscherbiographien von Plutarch herangezogen werden. Plutarch (45-120) verfasste zeitgleich zu den Evangelien 22 Paare von Parallelbiographien. Hinzu kamen 4 Einzelbiographien, von denen 2 eng als Doppelbiographie zusammenhängen, aber keine Parallelbiographie bilden: Galba und Otho. Ab der Alexanderzeit begann ja die biographische Schwerpunktsetzung der Geschichtsschreibung, die Plutarch zurück verlängert bis zu den Gründergestalten von Rom und den griechischen Stadtstaaten. Plutarch charakterisiert in der Parallelbiographie „Alexander-Cäsar“ Alexander als König und Philosoph. Alexander löst das platonische Ideal der Einheit von Herrschaft und Philosophie ein, allerdings nur unvollkommen. Die Philosophenbiographie wird zur Herrscherbiographie erweitert und bleibt in ihr weiterhin erkennbar. Viele kleine Begebenheiten zeugen noch vom Einfluss der Fabulierfreude der frühen Philosophenbiographie, von der die Bruchstücke der EuripidesBiographie des Satyros (3. Jh. v. Chr.) noch Zeugnis ablegen.111 Alexander erhält die menschlich nahen Züge eines auf Freunde und Schüler bedachten Philosophen wie Demosthenes, seines von ihm ehrenvoll behandelten Gegners, wie des athenischen Feldherren Phokion, der nach Alexanders Tod noch tragischer als Demosthenes enden wird, und wie weitere philosophische Vorgänger wie Lykurg, Solon und Numa. Der spätere Alexanderroman des Pseudo-Kallisthenes (3. Jh. n. Chr.;

109 P. Pokorný, Theologie der lukanischen Schriften (FRLANT 174, Göttingen 1998) 25; ähnlich spricht C. P. März von dem „Gründungsgeschehen“ im Wirken Jesu (erstes Buch), das sich im zweiten Buch im Wirken der Apostel und Zeugen fortsetzt (C. P. März, „Jesus als ‚Lehrer’ und ‚Heiler’. Anmerkungen zum Jesusbild der Lukasschriften“, in L. Hauser/F. Prostmeier/C. Georg-Zöller [eds.], Jesus als Bote des Heils. FS D. Dormeyer [SBB 60, Stuttgart 2008], 152-166, 161f.). 110 Pokorný, Theologie (s. Anm. 109) 29. 111 Satyros, „Leben des Euripides“ (Fr. 39), in B. Effe (ed.), Hellenismus (s. Anm. 62) 304310.

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s.o. 0.) reichert die philosophische Neugierde Alexanders um weitere volkstümliche Motive im Überfluss an. Auf der anderen Seite schafft Alexander etwas Neues: ein Königtum über ein neues griechisch-persisches Weltreich mit göttlicher Legitimation. Plutarch stellt ein Ideal vor, das die Griechen seit den Verwüstungen des Peloponnesischen Krieges zu entwickeln begannen: die Vergöttlichung eines siegreichen Führers. Die Samier machten mit dem siegreichen, spartanischen Flottenadmiral Lysander den Anfang (Plut., Lys. 18), die Athener lieferten mit dem Hymnus an den DiadochenAbenteurer Demetrios Poliorketes (291/290) eine peinliche Schmeichelei. Die Ambivalenz liegt auf der Hand. Die geschlagenen griechischen Städte erwarten eine Heilsgestalt, die die alte Ordnung wiederherstellt; die Gepriesenen können diese Vergöttlichung nicht einlösen und verfallen später unweigerlich dem Spott der Enttäuschten. Der „Gott” Demetrios wird nach einer Niederlage erst gar nicht mehr von den Athenern in ihre Stadt gelassen (Plut., Dem. 30). Plutarch erlaubt sich daher mehrfach an Alexander, der die angesonnene Vergöttlichung nur unzureichend abweist, vielmehr in fragwürdiger, unklarer Weise fördert, vorsichtige Kritik (Plut., Alex. 27-28); Lukian steigert sie später in seinen „Totengesprächen” zu einer beißenden Satire (Luk., dial.mort. 1213). An die Philosophenbiographie hat sich unter Einfluss der Hofgeschichtsschreibung die Herrscherbiographie als Erweiterung angelagert und drängt ab dem Prinzipat die Philosophenbiographie an den Rand.112 Noch eindeutiger als die Philosophenbiographie stellt sie einen unauflösbaren Bezug zur Historiographie her. Im geschichtlichen Kontext schildert die Herrscherbiographie Machtausübung, kritisiert sie mit populärphilosophischer Ethik und weist ihr neue Wege (Plut., Alex. 1; Dem. 1). Die kritische Geschichtsschreibung des Thukydides erhält z.B. bei Polybios einen biographischen Exkurs und einen Verweis auf eine selbständige Biographie zu Philopoimen (Polyb. 10, 21-22). Gleichzeitig bildet sich als eigenes Feld die Herrscherbiographie heraus, die mit dem Porträt des Herrschers jeden Leser zum ethisch handelnden Subjekt der Geschichte weiterhin erziehen will. Demetrios und Marc Anton werden von Plutarch als negative Beispiele vorgeführt, Cäsar und Alexander hingegen als positive Beispiele; denn Alexanders Leichnam bleibt lange Zeit unverwest als Zeichen göttlicher Bestätigung und Durchsetzung des Friedens bei den Diadochen (Plut., Alex. 76,3), Cäsar wird zu Recht nach seinem Tode vergöttlicht (Plut., Caes. 67-69); trotz kleiner 112 Hofmann, „Geschichtsschreibung“ (s. Anm. 106) 436-440.

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Charakterfehler der beiden überwiegt bei weitem die positive Vorbildfunktion. Bei Demetrios und Marc Anton ist es genau umgekehrt; trotz einiger herausragender Eigenschaften überwiegen die negativen Seiten bei weitem. Beim Vergleich der hellenistischen Herrscher- und Philosophenbiographien Plutarchs mit den Evangelien und der Apostelgeschichte fällt allerdings eher ihre Unähnlichkeit als ihre Ähnlichkeit auf. Der Autorkommentar Plutarchs ist ungleich umfangreicher als der der Evangelisten. Die intensiven Charakterstudien und -vergleiche Plutarchs fehlen völlig in den Evangelien. Auch die wissenschaftlichen Exkurse haben in den Evangelien und in der Apostelgeschichte keinen Platz. Andererseits haben sie dramatischen Episodenstil, programmatische Aussprüche, Reden und biographische Gesamthandlung gemeinsam. Auch der gehobene, elegante Stil Plutarchs wird vom lk. Doppelwerk z. T. erreicht. Die Differenzen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Plutarchs Biographien und das lk. Gesamtwerk eine gemeinsame Struktur haben.113 Sowohl die Parallelbiographien, als auch die Doppelbiographie Galba-Otho wurden daher für die Vergleichung mit Lk-Apg interessant. W. Radl erkannte 1975 besonders die Synkrisis, den Vergleich von zwei Personen miteinander, als auffälliges gemeinsames Merkmal zwischen Plutarch und Lk-Apg. Diese Gemeinsamkeit bedeutet keine Abhängigkeit, lässt aber auf eine gleiche schriftstellerische Tradition schließen: „Vielleicht hat der literarisch gebildete Lukas sogar die vergleichenden Lebensbeschreibungen des gelehrten, im 1. Jahrhundert vielgelesenen und von Plutarch öfter zitierten mauretanischen Königs Juba II. (gestorben um 23 n. Chr.) gekannt.“114 C. G. Müller erweitert die Synkrisis inhaltlich um die „Charakterzeichnung“; er vergleicht im lukanischen Erzählwerk Johannes mit Jesus; Kronzeuge für die Charakterzeichnung in der Antike, die Prosopographie, wird Plutarch.115 Der Schwerpunkt ist das Lukasevangelium, aber auch die Apostelgeschichte findet aufgrund der Johannestexte Beachtung. Allerdings bleibt die Gattungsfrage offen. Müller rechnet zu Recht die Prosopographie der biographischen Literatur der An113 D. Wördemann, Das Charakterbild im bios nach Plutarch und das Christusbild im Evangelium nach Markus (SGKA 1,19, Paderborn 2002). 114 W. Radl, Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk. Untersuchungen zu Parallelmotiven im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte (EHS 23, 49, Bern/ Frankfurt 1975) 353; Morgenthaler verweist ebenfalls auf diese Gemeinsamkeit der Synkrisis (R. Morgenthaler, Lukas und Quintilian. Rhetorik als Erzählkunst [Zürich 1993] 283). 115 C. G. Müller, Mehr als ein Prophet. Die Charakterzeichnung Johannes des Täufers im lukanischen Erzählwerk (HBS 31, Freiburg et al. 2001) 31-42.

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tike und insbesondere den Biographien von Plutarch zu, doch es bleibt ungeklärt, wie die Apostelgeschichte im Unterschied zum Lukasevangelium einer Biographie zugeordnet werden kann.116 M. Holzbach vergleicht die biographische Geschichtsschreibung mit der Apostelgeschichte.117 Er verweist auf Josephus, der in den Antiquitates die naheste Parallele zur Apostelgeschichte schafft.118 Wie das „mosaische Gesetz“ als Verfassung die „Epochen der Jüdischen Geschichte“ bestimmt, so wirkt das Königreich Gottes auf die „Epochen der Entwicklungsgeschichte der Kirche“ ein.119 Der Evangelist verbleibt allerdings im Raum des Römischen Reiches, um über die Verfassung des Prinzipats die Königsherrschaft Gottes als moralisches Prinzip zu stellen.120 Das Doppelwerk „Galba und Otho“, – so der spätantike Lamprias-Katalog –, ist der Rest einer frühen biographischen Kaisergeschichte ab Augustus bis Vespasian; dieses Doppelwerk konnte wie die umfangreichere Kaisergeschichte als eine moralische Exempelreihe verstanden werden und wurde entsprechend als „Galba und Otho“ in den frühen nztl. Ausgaben von Plutarch (Maximus Planudes) an die „Moralia“ angehängt und nicht an die Parallel-Biographien wie in den modernen kritischen Ausgaben.121 Augustus und Jesus sind die Begründer des ethischen Ideals. Sie erhalten entsprechende Hoheitstitel (Sohn Gottes, Retter) und führen einen neuen Eid ein: Augustus den militärischen Eid auf den regierenden „Cäsar“, der auferstandene Christus den Taufeid auf den getauften Jesus Christus. Die Bedeutung des Taufbekenntnisses erhält durch diese Parallelisierung ihre ethisch-politische Dimension.122 Petrus und Paulus verwirklichen mit den jeweiligen Gemeinden das ethische und theologische Ideal der Königsherrschaft Gottes. Sie werden zu bleibenden Modellen individuellen und gemeindlichen Christseins. Die Gemeinden bedürfen für ihr politisches Handeln über-

116 Ibid., 298.311-329; nun zustimmend zu „biographische Elemente“ in der Apostelgeschichte id., „Diégesis nach Lukas. Zwischen historiographischem Anspruch und biographischem Erzählen“, in Th. Schmeller (ed.), Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt (NTOA/StUNT 69, Göttingen 2009) 95-127, 125. 117 Holzbach, Plutarch (s. Anm. 1). 118 Ibid., 218f.; vgl. L. H. Feldman, Josephus’s Interpretation of the Bible (Berkeley et al. 1998); M. Vogel, „Flavius Josephus“, in K. Erlemann et al. (eds.), Neues Testament und antike Kultur, vol. 1 (Neukirchen-Vluyn 2004) 90-93; D. Dormeyer, “The Hellenistic Biographical History of King Saul: Josephus, AJ 6.45-378 and 1 Samuel 9:1-31:13”, in J. Sievers/G. Lembi (eds.), Josephus and Jewish History in Flavian Rome and Beyond (SJSJ 104, Leiden/Boston 2005) 147-159. 119 Holzbach, Plutarch (s. Anm. 1) 218-221 (Schaubild). 120 Ibid., 222-227. 121 Ibid., 13-25. 122 Ibid., 227-240.

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zeugender Vorbilder, die sich mit denen der damaligen biographischpathetischen Geschichtsschreibung vergleichen lassen.123 D. Ziegler arbeitet in seiner Dissertation „Dionysos in der Apostelgeschichte – eine intertextuelle Lektüre“ die dramatische Struktur der Apostelgeschichte innerhalb dieser Bios-Literatur heraus.124 Es übernahm die hellenistische, nachklassische Tragödie übertriebenen Pathos und Effekthascherei aus der anekdotischen, pathetischen Geschichtsschreibung (Herodot; Duris). Die (Lese-)Dramen von Seneca stellen den lateinischen Nachklang dar. Geschichtliche Stoffe werden im Gewand der Tragödie aufgeführt oder gelesen, u.a. die einzige bekannte judenhellenistische Tragödie „Exagoge“, die den Exodus behandelt. Doch die Verbindung der pathetischen Geschichtsschreibung zum Drama ist noch enger, als das rhetorische Mittel des „dramatischen Episodenstils“ erkennen lässt. Zusätzlich ist der Einfluss der Biographie wirksam. Die These von Holzbach wird übernommen, dass die zentralen Akteure Petrus und Paulus biographische Erzählmuster mit Charakterwandel in die mimetische Darstellung eintragen. Dieser Charakterwandel wird dann auch dramaturgisch für die „Bakchen“ nachgewiesen, so dass der Charakterwandel nicht nur auf Episoden begrenzt bleibt. Der Bacchanalien-Skandal 186 v. Chr. in Rom gibt einen repräsentativen Einblick in das römische Vereinswesen. Gerade in jüngster Zeit wurde die spontane Bildung nicht amtlich anerkannter Vereine herausgearbeitet. Die vielen Notizen über die Auflösung neuer Vereine durch Cäsar bis Nero liefern die Belege. Nur alte Vereine, zu denen auch die privilegierten jüdischen Gemeinden gehören, sind vom Senat oder den Obrigkeiten der freien Städte zugelassen worden. Nicht legalisierte dionysische Vereine werden nach 186 v. Chr. in Italien weniger nachweisbar; allerdings kann 150 n. Chr. wieder ein dionysischer Verein in Tusculum mit 400 Mitgliedern in einer Inschrift aufgeführt werden, während der alte Senatsbeschluss nur 5 Mitglieder als Höchstgrenze erlaubte. Bereits zu Ciceros und Livius Zeiten war die Einhaltung des Beschlusses nicht mehr kontrolliert worden. In neuer Weise wird dann der Dionysos-Kult in eine populäre, in eine künstlerisch-poetische und in eine mysterienhafte Richtung unterschieden. Die populäre Richtung mit vulgären Zügen ist die geläufige Ausformung, die bis heute mit dem Bacchus-Kult assoziiert wird. Davon ist die populäre Dionysos-Religion abzuheben. Pompeji z.B. hatte einen Dionysos-Tempel, der den Bacchanalien-Skandal überdauerte, 123 Ibid., 268-301. 124 D. Ziegler, Dionysos in der Apostelgeschichte – eine intertextuelle Lektüre (Religion und Biographie 18, Münster 2008).

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vermutlich mit einer Sondererlaubnis des Senats. Bis zum Untergang 79 n. Chr. blieb der Tempel in Betrieb im Unterschied zu anderen Tempeln. Dionysische Motive prägen die Kunst von Pompeji. Auch Ovid lässt Bacchus eine wichtige Rolle in den „Metamorphosen“ spielen. Die vulgäre Richtung des Dionysos-Kultes hingegen wird schon mit der Kritik von Platon und Demosthenes an fragwürdigen Politikern erkennbar. Den Höhepunkt findet diese Kritik bei Cicero am DionysosAnhänger Marc Anton. Diese Kritik geht weiter bei Tacitus. Die befremdliche Identifikation von Marc Anton mit Dionysos geht außerdem auf einen dritten Strang der populären Dionysosrezeption zurück, auf die hellenistische und römische Herrschertitulatur. Machtrepräsentation und ausschweifender Lebenswandel lassen sich seit Alexander d. Gr. durch den Dionysoskult miteinander verbinden. Es ergeben sich folgende Parallelen zum Urchristentum: Universalität ohne Konzentration auf einen Tempelkult, da der Gott sich ja auf Wanderschaft von Osten nach Westen befindet, Wanderpriester, Netzwerk von Vereinen, Domestizierung der Mysterien, hohe soziale Akzeptanz, Statuswechsel der Initianden, Bacchos-Bacchanten-Nennung parallel zu Christus-Christen, Widerständigkeit gegen Zivil-Religiosität. D. Ziegler greift außerdem die neue Methode der „Intertextualität“ auf, um die Ähnlichkeit der Apostelgeschichte mit den „Bakchen“ und der Dionysos-Religiosität nachzuweisen und die Möglichkeit einer entsprechenden intertextuellen Lektüre aufzuzeigen. Denn da die Bakchen und der Dionysos-Kult in seiner Breite zur Vorstellungswelt des antiken Menschen der Zeitenwende gehören, interpretieren die Hörer des NT ähnliche Motive und Handlungen in diesem Kontext genauso wie sie philosophische ntl. Begriffe u.a. im Kontext der griechischen Philosophie ausdeuten. Das biographisch-dramatische zweite Werk des Lukas gibt der parallelen Jesus-Bewegung Identität und Legitimation. M. Lang arbeitet parallel das lukanische Paulusbild mit „den Augen eines Römers“ aus.125 Es handelt sich um eine Habilitationsschrift bei Prof. Udo Schnelle (Uni Halle). Lang verwendet den neuen Ansatz „Rezeptionsästhetik“ und konkretisiert ihn an einem typisierten antiken Römer. Die Thematik, d.i. die inventio als oberste Ebene eines rhetorischen Textes, ist: die Kunst des Lebens. Sie ist ein zentrales Thema der antiken Philosophie, insbesondere der von Seneca. Wenn Norden behauptet, dass kaum Heiden die Evangelien aufgrund ihres barbarischen Stils gelesen haben, kann Harnack dagegen halten, dass das ganze Neue 125 Lang, Kunst (s. Anm. 100) 169-201.

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Testament offen war für die Rezeption durch Griechen und Römer. Diese polaren Positionen halten sich in der Redaktionsgeschichte durch. Mit Schröter, Plümacher u.a. kommt die intentio lectoris wieder zum Zuge. Die Rezeptionstheorie nach Iser und Eco mit dem impliziten Leser wird dann von Dormeyer, Pellegrini u.a. zu einer Auslegungsmethode ausgearbeitet. Doch eine schlüssige Theorie zur Rezeption damaliger Texte durch einen griechisch-römischen Leser steht noch aus. So kommt es zur Fragestellung: Wie konnte ein Römer die Apostelgeschichte lesen? Die biographische Person Paulus wird in den Mittelpunkt gestellt wie es üblich ist bei Seneca, der auf Cato als vorbildlichen Stoiker zurückgreift, bei Plutarch mit seinen Parallel-Biographien und bei dem Lateiner Cornelius Nepos mit seinen Biographien. „Alle drei Autoren illustrieren an je einzelnen Personen ein Charakterbild, das dem Rezipienten als Exemplum dienen soll.“126 Dieser Ansatz rückt zu Recht die Apostelgeschichte in die Nähe der biographischen Geschichtsschreibung und zieht auch den Briefwechsel von Seneca zum Vergleich heran. L. bemüht sich, „Textlinguistik als Rezeptionsästhetik“ aus unterschiedlichen Konzeptionen zu entwickeln. Die „mentale Repräsentation“ des Autors erfolgt innerhalb von Rahmenbedingungen, bei denen die Gattung ein Hauptelement bildet. Allerdings bleibt die Gattung ein offenes Konzept. Die komplexen Anordnungen des Autors werden vom Leser nachvollzogen, aber zugleich abgewandelt. Aufgrund des kognitiven Wissens des Lesers können Haupttopics und Subtopics angenommen werden, die der damalige Leser aufgrund der Autorvorgaben im Text gebildet hat. 4 Schaubilder überarbeiten das sprachpsychologische, kommunikationstheoretische Dreieck von Bühler und veranschaulichen u.a. durch Vermehrung der Dreiecksseiten die begrenzte Mehrdeutigkeit und Variabilität von Leseprozessen gemäß der Rezeptionsästhetik. Es ergeben sich folgende Konsequenzen: „Der auctor ad Theophilum, Lukas, repräsentierte die Person des Paulus in der Apostelgeschichte als absichtsvolle und sinnvolle Lesart seiner Welt. Der Rezipient führt eine erneute Repräsentation durch, indem er jene Absicht und Sinn erneut vergegenwärtigt. Er ist somit ein Re-Repräsentant. Lukas formuliert Sub-Topics, die kohärent linear verlaufen und kollektiv die Person des Paulus mit seiner Darstellung der urchristlichen hairesis (Haupt-Topic) verbinden (z.B. 21,15-26). Der ReRepräsentant nimmt dieses kohärente Gefüge auf und inferiert es mit

126 Ibid., 48.

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seinem Vorwissen zu einer bruchlosen, mentalen Konstruktion.“127 Diesen Konsequenzen ist uneingeschränkt zuzustimmen. Für die Intertexte werden zwei Schwerpunkte gebildet: die römischen Geschichtsschreiber Sallust und Tacitus, sowie die römischen Schriftsteller Cicero, Horaz und Seneca zum Thema ‚Leben in der Zeit‘. Die Topics der Apostelgeschichte gehören beiden Bereichen an. Die Geschichtsschreibung wird als eine sehr offene Gattung angesehen. Bei der Apostelgeschichte liegt eine historische Monographie wie bei Sallust nicht vor, sondern eher ein geschichtlicher Abriss einer Universalgeschichte wie bei Velleius Paterculus. Aber auch dieser Abriss ist wie der „Agricola“ von Tacitus eigentlich keine Gattung, sondern eine „problemlösende“ Lesart der Welt. Daher kann einer solchen Lesart mühelos die Philosophie der Lebenskunst beigesellt werden, wie sie die angeführten Schriftsteller entwickeln. Dann wird linear die Paulusfigur porträtiert. Der römische Leser kann den Kampf des Stephanus um die neue Religion, die Bekehrung des Paulus, seine ersten Reden, die Reden von Petrus und Jakobus auf dem Apostelkonvent, die Areopag-Rede, das anschließende rastlose Wirken und den Leidensweg über Jerusalem nach Rom mit dem Kampf der neuen Dionysos-Bakchos-Religion parallelisieren. Allerdings wird diese Parallelisierung immer wieder unterbrochen und dominiert nur in 7,58; 8,1.3; 9,1-30. In 17,16-34 wird „Christologie im Rahmen der Schöpfungstheologie“ entwickelt. Ab 18 sind verschiedene Sub-Topics auszuwählen: „(a) das Jetzt im Einst – das Einst im Jetzt, weil hier der Umgang mit dem eigenen Leben angesichts des nahen Endes erkennbar wird (20,18-35); (b) Gastfreundschaft und Askese, denn hier lassen sich persönliche und gesellschaftliche Maßgaben erkennen (21,15-26); (c) die Bedrohung des Lebens im Gerichtsverfahren, wobei hier diejenigen Abschnitte für den möglichen Re-Repräsentanten interessant sein dürften, die das röm. Verfahren thematisieren (24,1–26,32*); (d) schließlich das Thema der Seefahrt, weil im direkten Erlebnis der Todesgrenze jene ausgebildeten ‚Werte‘ offengelegt werden, die charakteristisch sein sollen.“128 Diese Konturen der Paulus-Argumentation und des PaulusCharakters stellen eine überzeugende, philosophische Lesart dar. Lang minimiert allerdings die kognitiven Vorgaben der antiken Gattung Geschichtsschreibung, um den neuen Begriff „personalisierte Problemlösungsstrategie“ einzuführen (130-136). Die Argumentation für Tacitus, Agricola, überzeugt aber nicht. Denn die vier „gattungsgeschichtlichen Komponenten... moralisierende Biographie, Leichenrede, 127 Ibid., 89. 128 Ibid., 199.

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Lobrede, geographisch-ethnologische Darstellung“129 gehören nicht auseinander, sondern zusammen, entweder im Bios, der ja aus dem Enkomion einer Leichen- oder Lobrede entstanden ist und diese weiterhin als Haftpunkte beibehält und auch zusätzlich ethnographische Informationen gibt, oder in der biografischen Geschichtsschreibung. M.E. gibt Lang unnötig die texttheoretische, fundamentale Trennung zwischen Erzählen und Besprechen auf. Die erzählten Ereignisse schaffen eine historische Welt mit individuellen Charakteren. Die Reden besprechen diese Charaktere auf der Meta-Ebene der Philosophie, die in fiktiven Briefen und in Traktaten ihre Argumentation entwickelt, aber nur Typen, keine einmaligen Individuen schaffen kann. Der fingierte Lucilius der Seneca-Briefsammlung kann sicherlich nicht vom Leser so individuell biographisch imaginiert werden wie der erzählte Paulus, auch wenn Lang diesen Versuch unternimmt. Wenn diese Grenzziehung beachtet wird, bleibt der Ertrag dieser Arbeit insbesondere für die Analysen der Reden grundlegend. 2.3.4 Rhetorische und romanhafte Geschichtsschreibung? C. K. Rothschild arbeitet 2004 die Rhetorik der Apostelgeschichte heraus.130 Sie stellt fünf „literary conventions“ fest: „patterns of recurrence, prediction, predictive exploitation of auxiliary verb, dei`, amplification of eyewitnesses, and epitomizing”131. Diese fünf rhetorischen Konventionen treffen für die gesamte antike Historiographie zu. Daher ist es überflüssig, zwischen pragmatischer und pathetischer Geschichtsschreibung und weiteren Unterteilungen zu differenzieren.132 129 Ibid., 130; dazu klarstellend id. in diesem Band; vgl. R. Zimmermann, „Formen und Gattungen der Medien der Jesus-Erinnerung. Zur Rückgewinnung der Diachronie in der Formgeschichte des Neuen Testaments“, JBTh 22 (2007) 131-169. Zimmermann spricht sich ebenfalls für einen offenen Gattungsbegriff aufgrund der Rezeptionsleistung des Lesers aus, hält aber die Unterscheidung zwischen besprechenden und erzählenden Gattungen aufrecht. Das Urchristentum schafft neue, offene Gattungen: „Man wird deshalb eher von einer Transformation als von einem Abbruch des Gattungsprofils ausgehen müssen… Die überkommenen Gedächtnisformen bzw. literarischen Gattungen sowohl im jüdischen (insb. vitae prophetarum) als auch im hellenistischen Bereich (insb. Biographien und Historiographien) reichten offenbar nicht aus, um die Worte und Taten Jesu in angemessener Weise erinnern zu können“ (158). So entstehen als neue Transformationen des Bios Evangelien mit „MimesisCharakter“ (159) und, so müsste ergänzt werden, als neue Transformation der mimetischen Historiographie die Apostelgeschichte. 130 C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT 2, 175, Tübingen 2004). 131 Ibid., 293. 132 Ibid., 292; ähnlich zuvor C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, ed. C. H. Gempf (WUNT 49, Tübingen 1989).

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Backhaus schließt sich dieser Sicht an und stellt folgende „Leitthese“ auf: „Hellenistisch-frühreichsrömische Geschichtsschreibung ist im Hauptstrom ein Mischtypus, der die Rekonstruktion extratextualer Sachverhalte mit ordnenden Konstruktionselementen aus Rhetorik, mimetischer Kunst (Epos, Drama, Roman) und paideutischem Traktat zur narrativen Kohärenz verbindet“133. Er räumt sofort ein: „Ich spreche vom Hauptstrom und bin mir bewusst, dass (um die beiden zeitlichen Pole zu nennen) Teilen der Ausführung Polybius mit Zorn und Lukian mit Hohn begegnen würde, aber gerade der Protest der Ausnahmen lenkt den Blick auf die Konvention“134. Doch gerade dieser suggestiven Bestimmung von „Hauptstrom“, „Ausnahmen“ und „Konvention“ ist zu widersprechen. Bereits in der Leitthese ist die einleitende Definition „Hellenistisch-frühreichsrömische Geschichtsschreibung“ problematisch. Es gibt eine hellenistische Geschichtsschreibung, es gibt eine römische Geschichtsschreibung. Die Vertreter der Altertumswissenschaft haben bisher sorgfältig zwischen beiden Typen unterschieden. In der Biographie dagegen könnte es zu einem gegenseitigen Austausch gekommen sein;135 doch sicher ist die Rezeption lateinischer Vitae durch die Griechen nicht, wohl umgekehrt die Rezeption der griechischen Bioi durch die Lateiner (Nep., vir. Praefatio).136 Ähnliches gilt neuerdings auch für die Geschichtsschreibung ab dem frühen Prinzipat.137 Ab Cicero wurde bewusst die griechische Geschichtsschreibung imitiert, das Umgekehrte geschah nur vorsichtig. Was aber ist der „Hauptstrom“ in der griechischen Geschichtsschreibung? Die erhaltenen griechischen Universalgeschichten nach Polybios sind die Werke von Dionysios von Halikarnass (30 v. Chr. in Rom) und von Diodorus Siculus (60/56 v. Chr. in Ägypten). Beide sind Kompilatoren, die ihren Stoff rhetorisch aufbereiten und gleichzeitig sich dem thukydideischen Ideal der „Wahrheit“ und „Sorgfalt“ ausdrücklich verpflichtet wissen (Dion. Hall. 1,6,5; Diod. Sic. 1,4-5).138 Die Behauptung: „Diese so geformte Kohärenz stärkt im Selbstverständnis der Verfasser den Wahrheitsanspruch ihres Werkes, der sich nicht an der Norm verifizierbarer empirischer Daten messen lassen will“139 geht auch für die späten Universalgeschichten fehl, weil sich diese wie Lk 1,1-4 weiterhin um Autopsie und kritische Quellenüberprüfung bemüht haben. 133 134 135 136 137 138 139

Backhaus/Häfner, Historiographie (s. Anm. 46) 4. Ibid., 5. Sonnabend, Geschichte (s. Anm. 107) 7. Ibid., 108-113; Holzbach, Galba-Otho (s. Anm. 1) 18-25. A. Mehl, Römische Geschichtsschreibung (Stuttgart et al. 2001) 15-35. Lendle, Einführung (s. Anm. 64) 239-244. Backhaus/Häfner, Historiographie (s. Anm. 46) 4.

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Die weitere Bezugnahme auf die amerikanische Diskussion um „fiction“ und „faction“140 kann wohl eher für einen gegenwärtigen Bestseller wie „Dan Brown, Sakrileg“ gelten als für die antike und ntl. griechische Geschichtsschreibung. Entsprechend ist die Betonung des Einflusses des antiken Romans mit Skepsis zu betrachten.141 Drama und Epos wirken auf die Rhetorik von Dionysios Halikarnass und Diodorus Siculus ein, aber nicht der Roman. Die Ausrichtung auf Rom trägt eventuell rezeptionsorientierte, römische Stilistik ein.142 Die Evangelien und die Apostelgeschichte sind aber nicht auf römische Geschichte ausgerichtet. Die Alexander-Historien erhalten stärker dramatische und epische Ausgestaltung und zusätzlich geographische und ethnographische Exkurse, werden dadurch aber auch nicht zu Romanen.143 Im gemeinsamen Schlusskapitel gehen Backhaus/Häfner dann ausdrücklich auf die Differenzen ihres Konstruktivismus als Paradigmenwechsel gegenüber Produktionen wie denen von Dan Brown ein.144 Diesen Ausführungen kann weitgehend zugestimmt werden. Doch über die antiken Kriterien der Grenzziehung von kritischer pragmatischer und pathetischer Geschichtsschreibung zu unkritischen Geschichtserzählungen wie dem antiken Alexander-Roman (3. Jh.) muss noch weiter diskutiert werden.145 Der Verweis auf Rhetorik und Roman wird dann misslich, wenn mit ihm die Differenzen innerhalb der antiken Geschichtsschreibung aufgehoben werden sollen. Die Rhetorik bearbeitet ja die 3. Ebene einer Rede oder eines Prosawerkes, und zwar die „Lexis“, die „elocutio“, d.h. den Stil. Die fünf rhetorischen Konventionen von C. K. Rothschild gehören dieser Ebene an. Daher ist die Beobachtung zutreffend, dass alle überlieferten Autoren der antiken Historiographie diese rhetorischen Konventionen beherrschen, aber in unterschiedlicher Häufigkeit und Ausgestaltung anwenden. Wonach richtet sich aber der Einsatz der stilistischen Mittel? Hier kommen die 2. Ebene „dispositio“ und die 1. Ebene „inventio“ ins Spiel. Denn sie sind die höheren Ebenen, nach denen sich die 3. Ebene zu richten hat. Der Nachweis der Zugehörigkeit der Apostelgeschichte 140 Ibid. 141 R. I. Pervo, Profit With Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987); er favorisiert den Roman als Gattung der Apostelgeschichte. 142 Mehl, Geschichtsschreibung (s. Anm. 137) 15-35. 143 Dormeyer, Literaturgeschichte (s. Anm. 72) 159-161.; id., Markusevangelium (s. Anm. 44) 183-185. 144 Backhaus/Häfner, Historiographie (s. Anm. 46) 131-137. 145 Vgl. dazu die gründliche Untersuchung von E. M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie (WUNT 194, Tübingen 2000).

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zur antiken Historiographie und ihrer Binnendifferenzierung kann nur dann geführt werden, wenn die Differenzierungsmöglichkeiten auf der 1. und 2. Ebene herausgearbeitet werden und nicht durch rhetorische Stilbetrachtungen eingeebnet werden.

3. Ausblick Lessings Zuordnung der Apostelgeschichte zur glaubwürdigen antiken Geschichtsschreibung hat sich mit beachtlicher Kraft bis heute behauptet, insbesondere im angloamerikanischen Raum.146 Es lässt sich geradezu von einem neuen Konsens sprechen, die Apostelgeschichte in die vielfältigen Facetten der antiken Historiographie einzuordnen. Andererseits hat der nachfolgende Gegenentwurf einer „Urliteratur“ von Overbeck außerordentliche Wirkung gezeigt, insbesondere in der deutschsprachigen Exegese des 20. Jh. E. Gräßer 2001 stimmt in der erweiterten Neuausgabe seines großen Forschungsberichts von 1960–1977 dem Außen-Eindruck des „Dibelius-Haenchen-Conzelmann point of view“ zu, merkt aber zugleich an, dass inzwischen „die Forschung insgesamt gesprächsbereiter zu sein“ scheint.147 Er betont erneut seinen Anspruch: „Die Apostelgeschichte z.B. tritt uns als urchristliche Historiographie, als ‚kerygmatischer Geschichtsbericht‘ entgegen, dem methodisch zu entsprechen ist“148. Gräßer zeigt sich offen für den Nachweis, dass ein solcher kerygmatischer Geschichtsbericht innerhalb der griechisch-römischen Geschichtsschreibung gattungsmäßig möglich ist. Gräßer zielt zu Recht den Punkt „inventio“ an, d. i. die Eingebung und die Intention des Autors. An Overbecks Einwand bleibt richtig, dass die Apostelgeschichte kerygmatische urchristliche Literatur sein will. Gegen Overbeck hat die anschließende Forschung aber nachweisen können, dass eine kerygmatische Ausrichtung nicht der antiken Historiographie widerspricht. Auch die „dispositio“, der Aufbau der Apostelgeschichte, lässt sich in diese einordnen und behält zugleich ihr eigenes Gesicht. So bleibt die Unterscheidung zwischen kritisch-pragmatischer und kritisch-pathetischer Historiographie auf der Ebene der „dispositio“ grundlegend. Denn diese Unterscheidung wurde bereits in der Antike ab Thukydides von der Oberschicht diskutiert, bestimmte ab Cicero den Literaturkanon und sorgte schließlich für das Ausscheiden der pa146 Hemer, Acts (s. Anm. 132). 147 E. Gräßer, Forschungen zur Apostelgeschichte (WUNT 137, Tübingen 2001) 18f. 148 Ibid., 15.

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Detlev Dormeyer

thetischen Historiographien mit Ausnahme der Spezialgattung „bios“. Nur die biblischen und zwischentestamentlichen Geschichtswerke konnten aufgrund ihrer anderen Trägerschaft aus der Unter- und Mittelschicht mit monotheistischem Glauben überleben. Doch es ist ein Missverständnis, diese Werke aufgrund ihrer Bindung an die Septuaginta dem Sonderbereich „Judenhellenismus“ zuzuordnen und von der griechischen Literatur abzusetzen, wie es noch immer einige Literaturgeschichten der Gräzisten und der Bibelwissenschaftler machen.149 Die judenhellenistischen Autoren bilden die volle Bandbreite der antiken Historiographie ab. Die Wahl des exzentrischen noblen Themas „Gottes Geschichtshandeln“ (inventio) ordnet die gesamte ntl. und judenhellenistische Geschichtsliteratur in die pathetische Geschichtsschreibung ein. Doch der Aufbau (dispositio) und der Stil (elocutio) der Einzelwerke können in Teilpartien sowohl zur pathetischen als auch zur pragmatischen Geschichtsschreibung gehören. E. Plümacher schlägt vor: „Aus der pragmatischen Geschichtsschreibung stammen die Thukydideismen des Prooemiums sowie das Konzept, durch Reden die Bedeutsamkeit historischer Ereignisse zu betonen bzw. den Richtungssinn des Geschehens anzudeuten. Der dramatische Episodenstil hingegen war der Erzählstil der mimetischen Historiographie. Dem Klassizismus (Attizismus), dem seinerzeit freilich nicht nur Historiker, sondern Schriftsteller auch vieler anderer Literaturgattungen frönten, verdankt Lukas die Methode (colorem sincerum vetustatis appingere: Fronto, ed. van den Hout 1145f.) seiner Septuagintamimesis.“150 Diese Grobeinteilung, Reden von Dramatik und rhetorischem Erzähl-Stil zu unterscheiden, entspricht zwar den Prologen des Josephus 149 A. Dihle hängt an die „julisch-klaudische Zeit“ die „Jüdische Literatur“ und an die „Flavische Epoche“ die „Christliche Literatur“ jeweils als Fremdkörper an (A. Dihle, Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit. Von Augustus bis Justinian [München 1989] 168-186.216-225); O. Lendle spricht hingegen der „Jüdischen Archäologie“ des Josephus die Gattung „ethnographische Monographie“ zu. Die anderen judenhellenistischen und ntl. Werke übergeht er (Lendle, Einführung [s. Anm. 64] 249). K. Meister lässt die judenhellenistischen und ntl. Geschichtswerke völlig weg (Meister, Geschichtsschreibung [s. Anm. 61]). A. Momigliano geht ganz knapp auf sie ein und räumt der Septuaginta, Josephus und dem lk. Doppelwerk eine Sonderstellung minderer literarischer Qualität ein (A. Momigliano, „Die Geschichtsschreibung“, in E. Vogt [ed.], Griechische Literatur [Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, vol. 2, Wiesbaden 1981] 305-337). Die gleichrangige Zugehörigkeit dieser Werke zur griechischen Literaturwelt wird erst später in Band 4 „Spätantike“ der Reihe „Neues Handbuch der Literaturgeschichte (NHL)“ herausgearbeitet: D. Dormeyer, „Die Bibel: Entstehung und Zusammenstellung eines Textcorpus“, in L. J. Engels/H. Hofmann (eds.), Spätantike (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, vol. 4, Wiesbaden 1997) 90-120; id., „Literarische Aspekte der Bibel“, ibid., 120-150; zur literarischen Sonderstellung des Judenhellenismus nach Theißen s. Anm. 32. 150 Plümacher, „Stichwort“ (s. Anm. 83) 7.

Die Gattung der Apostelgeschichte

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(Jos., bell. 1,1-11; ant. 1,1,-7), kann aber wie bei Josephus dessen Werken und dem Einzelwerk Apostelgeschichte nicht gerecht werden (s.o. 2.1.3). Auch die dramatischen Episoden enthalten Anteile von kritischen „Taten“-Beschreibungen. An jeder Einzelszene muss daher geprüft werden, wo dramatische Ausgestaltung, Septuagintamimesis und kritisch überprüfbare Ereigniserzählung vorliegen. Denn jede Erzählung selektiert, erweitert, verkürzt und erfindet bei der Ereigniswiedergabe. Die Untergattungen kritisch-pragmatische und kritisch-pathetische Geschichtsschreibung geben aufgrund der Vergleichsliteratur zu erkennen, wo Erfindungen, Ergänzungen, Verkürzungen und Auslassungen vorliegen. Für diese Intertextualität ist auch die Einbeziehung der damaligen Hörerschaft unumgänglich. Sie macht plausibel, warum die Erzählregeln in der vorliegenden Weise angewandt wurden und wie die spezifische Mischung der pragmatischen und pathetischen Strömung bei jedem Einzelwerk entstand. Die antiken „Spezialgattungen“ können weitere Hilfen zur kritischen Sichtung geben. Aber ob sie sich tatsächlich so klar voneinander trennen lassen, dass die Apostelgeschichte einer von ihnen eindeutig zugeordnet werden kann, muss offen bleiben. Die damaligen Spezialgattungen Hypomnema, Commentarius, Bios, Autobios und die neuzeitlich gebildeten Gattungen Monographie und biographische Geschichtsschreibung setzen zwar Schwerpunkte, haben aber keine festen Gattungsgrenzen und hängen außerdem eng zusammen.151 Die Auslegungs-Kunst bei der Apostelgeschichte, bei Josephus und der gesamten pathetischen als auch pragmatischen Geschichtsschreibung ist ja, kritische Partien mit hohem Quellenwert von Partien mit geringem Quellenwert und von rhetorischen Konventionen ohne Quellenwert zu unterscheiden. Für diese Kritik sind inzwischen viele Kriterien erarbeitet worden, doch die Diskussion darüber ist noch lange nicht abgeschlossen. Zum Abschluss ein Vorschlag zur Gattung: Die Apostelgeschichte ist eine pathetische, biographische Universalgeschichte in gehobenem rhetorischem Stil mit vielfältigen kritisch-pragmatischen Anteilen, insbesondere in den Reden.

151 D. Dormeyer, „Pragmatische und pathetische Geschichtsschreibung in der griechischen Historiographie, im Frühjudentum und im Neuen Testament“, in Th. Schmeller (ed.), Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt (NTOA/ StUNT 69, Göttingen 2009) 1-35; D. Rusam hält den sekundären Titel „Praxeis“ für sachlich zutreffend, lässt aber auch „historia(e)“ als mögliche Bezeichnung von Universalgeschichten, Einzelpersonen oder Epochen gelten (D. Rusam, „Die Apostelgeschichte“, in M. Ebner/S. Schreiber [eds.], Einleitung in das Neue Testament [Stuttgart 2008] 229-250).

Die Proömien des lukanischen Doppelwerks (Lk 1,1–4 und Apg 1,1–2) MICHAEL WOLTER

I. Mit den beiden Proömien, die Lukas in Lk 1,1–4 und in Apg 1,1–21 geschrieben hat, nimmt er eine Konvention auf, die in der Historiographie und in der literarisch nicht ambitionierten natur- und technikwissenschaftlichen Fachliteratur der hellenistisch-römischen Zeit verbreitet ist.2 Sie besteht darin, dass der Autor seinem Gesamtwerk und/oder einzelnen Büchern eine persönliche Erklärung über den Gegenstand seines Werkes sowie über dessen Methode und Intention voranstellt.3 Das Proömium hatte seinen Ort ursprünglich in der Rhetorik und wurde von dort aus auf literarische Werke übertragen. Dem rhetorischen Proömium kam die Aufgabe zu, die Hörer „wohlwollend, wissbegierig und aufmerksam zu machen“ (benevolum ... facere et docilem et attentum; Cicero, De Orat. 2,80)4. Lukian v. Samosata zufolge soll jedoch der Historiker in seinem Vorwort auf einen Appell an das Wohlwollen der Hörer verzichten und nur ihre Aufmerksamkeit und Wissbegierde zu wecken suchen (Hist. Conscr. 53). L. Alexander hat nachzuweisen versucht, dass das lk Proömium weniger den Vorworten der historiographischen Literatur als denjenigen der natur- und technikwissenschaftlichen Fachprosa entspricht.5 Diese These ist insofern nicht ganz von der Hand zu weisen, als die 1 2 3

4 5

Zu dieser Abgrenzung des Proömiums der Apostelgeschichte s.u. S. 490ff. Vgl. F. Rehkopf, Art. Griechisch, TRE 14 (1985) 228–235, hier 229; L. Alexander, The Preface to Luke’s Gospel (MSSNTS 78, Cambridge 1993) 42ff. Vgl. die Textbeispiele bei Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) 213ff; ead., “The Preface to Acts and the Historians“, in B. Witherington, III (ed.), History, Literature, and Society in the Book of Acts (Cambridge 1996) 73–103, hier 84ff; W. Eckey, Das Lukas-Evangelium I (Neukirchen-Vluyn 2004) 56ff; H. Klein, Das Lukasevangelium (KEK I/3, Göttingen 2006) 76ff. Siehe auch H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2 vols. (München 1975) § 266ff. Vgl. Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) bes. 42ff.67ff.213ff; ead., “Formal Elements and Genre. Which Greco-Roman Prologues Most Closely Parallel the Lukan Prologues?”, in D. P. Moessner (ed.), Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy (Harrisburg, PA 1999) 9–26.

Die Proömien des lukanischen Doppelwerks

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Parallelen deutlich machen, dass die Bausteine der lukanischen Proömien in der Tat nicht nur in der historiographischen Literatur, sondern auch in anderen literarischen Gattungen belegt sind.6 Umgekehrt ist aber nicht zu übersehen, dass sie auch in historiographischen Proömien vorkommen können, so dass die von L. Alexander konstruierte Alternative als zu dualistisch erscheint.7 Wenn Lukas zudem mit der Formulierung ajnatavxasqai dihvghsin peri; tw`n peplhroforhmevnwn ejn hJmi`n pragmavtwn gleich zu Beginn ankündigt, dass er eine Erzählung von Ereignissen vorlegen wird, und nicht eine deskriptive Abhandlung über bestimmte Sachverhalte, lässt sich nur schwer bestreiten, dass er den Lesern zu erkennen geben will, dass sie ein historiographisches Werk vor sich haben. Dass vor allem das erste Proömium, also Lk 1,1–4, sehr viel kürzer ist als die Proömien zu den Geschichtswerken der großen griechischen Historiker (also des Herodot, Thucydides, Polybius, Diodorus Siculus, Dionysius v. Halicarnass, Josephus, Arrian, Appian und Herodian)8, muss dem nicht widersprechen, denn dieser Sachverhalt lässt sich ganz zwanglos dadurch erklären, dass auch das lukanische Doppelwerk viel kürzer ist als die Darstellungen der genannten Autoren. Die Kürze vor allem von Lk 1,1–4 findet ihre Erklärung dementsprechend darin, dass Lukas einer historiographischen Konvention folgt: dass nämlich der Umfang des Proömiums zum Umfang des Geschichtswerks passen soll, und es ist eben diese Forderung, die Lukian v. Samosata in seiner Abhandlung über die Geschichtsschreibung erhebt (Hist. Conscr. 55). Hinzu kommt noch, dass L. Alexanders Behauptung, die griechischen und römischen Historiker würden neue Bücher innerhalb ihrer Geschichtswerke – anders als Lukas in Act 1,1 (to;n me;n prw`ton lovgon ejpoihsavmhn peri; pavntwn, w\ Qeovfile, w|n h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein) – nicht mit einer Zusammenfassung des zuvor Berichteten beginnen9, eine Pauschalität suggeriert, die unzutreffend ist. Das lassen die folgenden Beispiele mit hinreichender Deutlichkeit erkennen10:

6 7

8 9 10

Vgl. dazu die Zusammenstellung bei M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5, Tübingen 2008) 58f. Vgl. auch D. D. Schmidt, “Rhetorical Influences and Genre. Luke’s Preface and the Rhetoric of Hellenistic Historiography”, in Jesus and the Heritage of Israel (s. Anm. 5) 27–60, hier 37ff; D. E. Aune, “Luke 1.1–4: Historical or Scientific Prooimion?”, in Paul, Luke and the Graeco-Roman World. FS Alexander J. M. Wedderburn (JSNT.S 217, Sheffield 2002) 138–148, hier 140ff. Vgl. hierzu Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) 29f. Alexander, ibid., 143: „The practice of beginning each new book with a recapitulation is foreign to the classical Greek and Roman historians“. Dementsprechend muss auch Alexander zugeben, dass es solche Ausnahmen bei den Historikern durchaus gibt (vgl. ibid., Anm. 47).

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Michael Wolter

Polybius, Hist. 2,1,1–4: „Im vorausgehenden Buch (ejn me;n th`/ pro; tauvth~ buvblw/) habe ich berichtet, wie die Römer in Italien entstanden sind und zu handeln begannen (h[rxanto pravgmasin) ..., nun aber will ich versuchen, einen Überblick zu geben ... über die darauf folgenden Ereignisse.“ Diodorus Siculus, Bibl. 2,1,1–3: „Das vorausgehende Buch, das das erste des Gesamtwerks ist (hJ me;n pro; tauvth~ bivblo~ th`~ o{lh~ suntavxew~ ou\sa prwvth), umfasst die Ereignisse, die in Ägypten geschehen sind, ... Ιn diesem aber wollen wir die in Asien geschehenen Ereignisse aufschreiben ...“ Josephus, Ant. 14,1: „Nachdem wir in dem diesem vorausgehenden Buch (ejn th`/ pro; tauvth~ ... bivblw/) von der Königin Alexandra und ihrem Tod berichtet haben, wollen wir nun die darauf folgenden Begebenheiten erzählen.“

Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass das Proömium zur Apostelgeschichte sich von diesen Texten dadurch unterscheidet, dass es nicht zweiteilig aufgebaut ist, denn ihm fehlt eine dem to;n me;n prw`ton lovgon ejpoihsavmhn entsprechende Fortsetzung, die mit dev einzuleiten wäre und ankündigt, welcher Stoff im nun folgenden Buch zur Darstellung kommen soll. Ein solches Fehlen ist jedoch nicht ganz ungewöhnlich. Das lassen z.B. die Einleitungen zum 8. und zum 13. Buch von Josephus’ Antiquitates erkennen, denn hier gibt es jeweils nur einen Rückblick auf das zuletzt Erzählte, und gleich danach nimmt Josephus den Erzählfaden wieder auf.

II. 1. An dieser Stelle zu erörtern ist zunächst die Frage, wie sich beide Proömien zueinander verhalten. Konkret handelt es sich dabei um die Frage, ob Lk 1,1–4 sich nur auf den in Apg 1,1 so genannten prw`to~ lovgo~, also das Lukasevangelium, bezieht11, oder ob Lukas mit ihm sein gesamtes, aus Evangelium und Apostelgeschichte bestehendes Geschichtswerk einleiten will12. Stehen also beide Proömien auf ein und derselben Textebene, oder wollte Lukas Apg 1,1–2 gegenüber Lk 1,1–4 11

12

Vgl. in diesem Sinne u.a. H. Schürmann, Das Lukasevangelium I (HThK 3/1, Freiburg i.Br. 41990) 4; J. Nolland, Luke I (WBC 35A, Dallas 1989) 12; W. Radl, Das Evangelium nach Lukas I (Freiburg et al. 2003) 30 und die dort in Anm. 65 Genannten; Klein, LkEv (s. Anm. 3) 72. Diese Position wird u.a. vertreten von Th. Zahn, Das Evangelium des Lucas (KNT 3, Leipzig 3/41920 = Wuppertal 1988) 50; H. J. Cadbury, “Commentary on the Preface of Luke”, in F. J. Foakes Jackson/K. Lake (eds.), The Beginnings of Christianity II (London 1922) 489–510, hier 492; E. Klostermann, Das Lukasevangelium (HNT 5, Tübingen 21929 = 31975) 1.2; I. H. Marshall, The Gospel of Luke (NIGTC, Grand Rapids [MI] 1978) 39.

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auf einer untergeordneten Ebene gelesen wissen? Die Beantwortung dieser Frage verkompliziert sich freilich noch einmal dadurch, dass wir sie in mehrere Teilfragen auseinanderlegen müssen: 2. Wenn man Lk 1,1–4 von Apg 1,1–2 her in den Blick nimmt, ist unschwer zu erkennen, dass beide Texte nicht auf ein und derselben Ebene stehen. Das Proömium zur Apostelgeschichte setzt vielmehr Lk 1,1–4 als übergeordneten Text voraus, der sich nicht nur auf den Inhalt des prw`to~ lovgo~ bezieht, sondern auch die in der Apostelgeschichte erzählten Ereignisse mit einschließt. Erkennbar wird dieser Sachverhalt vor allem daran, dass Lukas zu Beginn von Apg 1,1–2 lediglich eine werkimmanente Abgrenzung formuliert, während er sich in Lk 1,1–4 nach außen abgrenzt. Hier wie dort werden zwar jeweils andere Werke in den Blick genommen, von denen sich das jeweils folgende Werk unterscheidet, jedoch in ganz unterschiedlicher Weise: In Apg 1,1 ist es das von Lukas selbst geschriebene „erste Buch“, in Lk 1,1 sind es die von anderen (polloiv) unternommenen literarischen Versuche. Darüber hinaus wird auch das Verhältnis zwischen den jeweils voneinander unterschiedenen Darstellungen in ganz unterschiedlicher Weise beschrieben: Obwohl Apg 1,1–2 fragmentarisch bleibt, weil das to;n me;n prw`ton lovgon ejpoihsavmhn (V. 1a) nicht fortgeführt wird (s.o.), macht Lukas mit der inhaltlichen Näherbestimmung in V. 1b–2 deutlich (peri; pavntwn ... w|n h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein, a[cri h|~ hJmevra~ ... ajnelhvmfqh), dass die nunmehr folgende Darstellung von der vorangegangenen sich dadurch unterscheidet, dass sie einen anderen Gegenstand in den Blick nimmt. Demgegenüber grenzt Lukas sich in Lk 1,1–4 von den „Vielen“ in ganz anderer Weise ab: Er kündigt ausdrücklich an, dass er (a) denselben Gegenstand behandeln will wie sie (sc. die peplhroforhmevna ejn hJmi`n pravgmata; V. 1), dass er (b) im Unterschied zu ihnen nunmehr alles in einer Darstellung „nacheinander“ (kaqexh`~) aufschreiben will13 und dass er (c) damit eine bestimmte Intention verbindet (V. 4: damit Theophilus die peri; w|n kathchvqh lovgwn ... ajsfavleia erkennt)14. Hier geht es also nicht um unterschiedliche Teile der Gesamtdarstellung eines einzigen Autors, sondern um die Eigenart und Intentionalität seiner Darstellung im Verhältnis zu den Darstellungen anderer Autoren. Nur in Lk 1,1–4 wird also das Wie und das Wozu der lukanischen Darstellung thematisiert, während Apg 1,1–2 unterhalb dieser semantischen Ebene bleibt

13 14

Diese Beschreibung impliziert ein bestimmtes Verständnis von parakolouqei`n in V. 3; s. dazu u. S. 486f. S. dazu u. S. 489f.

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und die in Lk 1,1–4 formulierten Grundsätze unmodifiziert bestehen lässt. Mit dem Vorstehenden ist deutlich geworden, dass Apg 1,1–2 an keiner Stelle die semantische Ebene von Lk 1,1–4 erreicht, sondern als ein Text gelesen werden kann und will, der die hier formulierten Aussagen zu Eigenart und Absicht der lukanischen Geschichtserzählung voraussetzt und eine untergeordnete Differenzierung einführt. Lukas geht in Apg 1,1–2 also davon aus, dass seine Leser nicht nur den prw`to~ lovgo~ kennen, sondern dass sie auch Lk 1,1–4 gelesen haben und dass das dort Gesagte auch für die nunmehr ab Apg 1,3 folgende Darstellung Gültigkeit hat. Ein weiteres Indiz dafür, dass Lukas Apg 1,1–2 in das intertextuelle Licht von Lk 1,1–4 stellt, ist auch die Verklammerung zwischen den beiden Texten, die er mit der neuerlichen Erwähnung von Theophilus in Apg 1,1 vornimmt. Wir können daraus mindestens den Schluss ziehen, dass Lukas das in Lk 1,1–4 Gesagte spätestens durch das Proömium zur Apostelgeschichte zur Vorbemerkung beider Teile seines Doppelwerks gemacht hat. 3. Etwas anders stellt sich die Sachlage dar, wenn man annimmt, dass Lukas ursprünglich nur die Jesusgeschichte schreiben wollte und gar nicht von Anfang an eine Fortsetzung durch ein ‚zweites Buch‘ ins Auge gefasst hat. In diesem Fall hätte sich das Proömium in Lk 1,1–4 tatsächlich nur auf das Lukasevangelium bezogen, und erst durch die Ergänzung der Apostelgeschichte hätte Lukas es zu einer auf sein Gesamtwerk bezogenen Einleitung gemacht. Zugunsten dieser Annahme ließe sich geltend machen, dass es in der Tat keine einzige Handschrift und kein Kanonverzeichnis gibt, in dem auf das Lukasevangelium unmittelbar die Apostelgeschichte folgt.15 Daraus können wir mit guten Gründen den Schluss ziehen, dass das lukanische Doppelwerk von Anfang an in zwei physisch selbständigen Einheiten existierte, die auch getrennt voneinander publiziert wurden und dann im Zuge des neutestamentlichen Kanonisierungs-

15

In den Codices ‫ א‬01 (Sinaiticus), A 02 (Alexandrinus), B 03 (Vaticanus) und C 04 (Cod. Ephraemi rescriptus) steht das LkEv immer an dritter Stelle hinter dem MtEv und dem MkEv sowie vor dem JohEv, und diese Position nimmt es auch in fast allen Kanonverzeichnissen ein. Die einzigen bekannten Ausnahmen sind das Kanonverzeichnis des Codex Claromontanus D 06 und der sog. Cheltenham-Kanon, die beide wohl aus dem 4. Jahrhundert stammen (vgl. Th. Zahn, Grundriss der Geschichte des Neutestamentlichen Kanons [Leipzig 21904] 81–84): In beiden Verzeichnissen steht das LkEv hinter den anderen drei Evangelien (Cod. Claromontanus: Mt, Joh, Mk, Lk; Cheltenham-Kanon: Mt, Mk, Joh, Lk) an vierter Stelle, gefolgt jedoch nicht von der Apostelgeschichte, sondern vom Corpus Paulinum.

Die Proömien des lukanischen Doppelwerks

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prozesses in zwei unterschiedliche Sammlungen gerieten.16 Es kann also durchaus sein, dass Lukas sein Doppelwerk nicht nur in zwei Teilen, sondern auch nacheinander veröffentlicht hat. Ein solches Verfahren ist von Dionysius v. Halicarnass bekannt, der in Ant. Rom. 7,70,2 ausdrücklich feststellt, dass er das erste Buch seines Geschichtswerks separat publiziert hat (hJ prwvth grafhv, h}n peri; tou` gevnou~ aujtw`n suntaxavmeno~ ejxevdwka).17 Damit stellt sich natürlich die weitergehende Frage, ob nicht auch Lukas erst nach Abschluss seiner Jesusgeschichte – und möglicherweise sogar auch noch mit einem gewissen zeitlichen Abstand – auf die Idee gekommen ist, eine Fortsetzung zu verfassen, und auch noch die Geschichte der Ausbreitung der christlichen Heilsbotschaft und der Trennung von Christentum und Judentum zu erzählen. Gegen eine solche Annahme spricht jedoch eine Vielzahl von Gründen, die kurz von hinten nach vorne genannt werden sollen: a) Das Ende des prw`to~ lovgo~ und das Ende der Jesusgeschichte fallen nicht zusammen, denn Lukas beendet seine Erzählung nicht mit Jesu Abschied und seiner Entrückung (Lk 24,50–51), sondern er führt sie noch ein Stück weiter: Er lässt die Jünger nach Jerusalem zurückkehren (V. 52) und dia; pantov~ („allezeit“) Gott lobend im Tempel verweilen (V. 53). Es ist offenkundig, dass diese beiden Verse die Funktion haben, einen Austausch des Protagonisten der Erzählung vorzunehmen: An die Stelle Jesu treten die Jünger, und das Ende der Jesusgeschichte wird an dieser Stelle zum Beginn der Jüngergeschichte. Die Jünger Jesu werden hier, d.h. vor dem Abschluss des ersten Buches, als neue erzählerische Hauptfigur eingeführt und in einer für sie typischen Situation dargestellt. Hinzu kommt noch, dass das Summarium mit dem Lukas in V. 53 aufhört, einen längeren Zeitraum in den Blick nimmt und damit über den chronologischen Rahmen hinausgeht, den er in 24,1 mit th/` de; mia/` tw`n sabbavtwn abgesteckt hat. Auf derselben narrativen Ebene ist Lukas auch schon in 1,80 mit Bezug auf Johannes den Täufer sowie in 2,40.52 mit Bezug auf Jesus verfahren. In beiden Fällen hatte das Summarium die Funktion, die Erzählung auf die Fortsetzung hin zu öffnen, und nichts anderes gilt auch für Lk 24,53.18 16 17 18

Vgl. auch J. Schröter, Von Jesus zum Neuen Testament (WUNT 204, Tübingen 2007) 314f. Vgl. G. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography (NT.S 64, Leiden et al. 1992) 338f. Am Ende der Apostelgeschichte kommt ein vergleichbares Summarium über Paulus hinzu (Apg 28,30–31), das sich jedoch in einem wesentlichen Detail von Lk 1,80; 2,40.52; 24,53 unterscheidet: Es bleibt nicht zeitlich unbestimmt, und es wird dementsprechend auch nicht wie in den anderen Fällen durch die Wiederaufnahme der Erzählung beendet. Lukas nimmt in ihm vielmehr eine ausdrückliche zeitliche Befristung vor: Er beschränkt die in ihm erzählte Zeit auf zwei Jahre (dietiva o{lh; V. 30a). Damit ist das Ende des Paulus in den Blick genommen, denn Lukas weiß

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b) Darüber hinaus gibt es aber auch schon innerhalb der lukanischen Darstellung der Jesusgeschichte eine Reihe von Indizien, die es wahrscheinlich machen, dass Lukas sich schon viel früher dazu entschlossen hatte, seine Erzählung über den Ostertag hinaus- und bis in die paulinische Zeit hinein fortzuführen. Zu ihnen gehört sicher die Auslassung des Streitgesprächs über „rein“ und „unrein“ von Mk 7,1– 23: Sie dürfte dadurch veranlasst sein, dass Lukas sich dieses Thema für Apg 10,1 – 11,18 aufheben wollte, weil er es als eine Problematik ansah, die erst nach Ostern virulent wurde. – Analoges gilt für den lk Umgang mit Jes 6,9–10: Es spricht alles dafür, dass Lukas das Zitat dieses Textes bei seiner Übernahme von Mk 4,12 in Lk 8,10 fast bis zur Unkenntlichkeit verkürzt hat, weil er es erst am Schluss seiner Gesamtdarstellung einsetzen wollte, um mit seiner Hilfe die Ablehnung der nachösterlichen Christusverkündigung durch die meisten Juden abschließend begründen zu können.19 – Und schließlich wird auch die Auslassung der falschen Zeugenaussage mit dem Tempelwort (Mk 14,58) in der lukanischen Fassung des Verhörs vor dem Synedrium (22,66–71) seinen Grund darin haben, dass Lukas sie in Apg 6,14 bringen wollte. c) Es gibt aber auch in Lk 1,1–4 selbst einen Hinweis darauf, dass Lukas schon hier eine Perspektive einnimmt, die über die Jesusgeschichte hinausführt. Sie wird darin erkennbar, dass Lukas in V. 1 als Gegenstand seines „Berichts“ (dihvghsi~) die „Ereignisse“ nennt, „die in unserer Zeit abgeschlossen sind“ (ta; peplhroforhmevna ejn hJmi`n pravgmata). Die Bedeutung dieser Formulierung ist seit langem umstritten20, doch ermöglicht das Partizip Perfekt peplhroforhmevna eine relativ eindeutige Entscheidung: Lukas orientiert sich hier nicht am Schema von „Verheißung und Erfüllung“, sondern er will damit die Ereignisse, um die es hier geht, aus der Perspektive seiner Gegenwart ganz gezielt als vollendet und abgeschlossen kennzeichnen.21 Für diese Interpretation

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20 21

natürlich, dass dieser Zeitraum durch den Tod des Paulus begrenzt wurde, und er weiß auch, dass seine Leser das wissen. Lukas setzt hier also einen leisen, aber doch unüberhörbaren Schlusspunkt. Dass er nicht auch noch den Tod des Paulus berichtet, hat formgeschichtliche Gründe, denn er schreibt keine Paulusbiographie. Vgl. u.a. auch C. K. Barrett, “The Third Gospel as a Preface to Acts?”, in The Four Gospels 1992. FS Frans Neirynck, vol. II (BEThL 100, Leuven 1992) 1451–1466, hier 1453ff; I. H. Marshall, “Acts and the ‘Former Treatise’“, in B. W. Winter/A. D. Clarke (eds.), The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting (Grand Rapids/Carlisle 1993) 163–182, hier 174f; D. Marguerat, La première histoire du Christianisme (LeDiv 180, Paris/Genf 1999) 73ff. Vgl. die Darstellung der verschiedenen Positionen bei J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke I (AncB 28, Garden City [NY] 1981) 293f. S. auch M.-J. Lagrange, “Le sens du Luc, I,1, d’après les papyrus“, BALAC 2 (1912) 96–100; Cadbury, “Commentary“ (s. Anm. 12) 496; Klostermann, LkEv (s. Anm. 12) 21929, 2; I. H. Marshall, The Gospel of Luke (NIGTC, Grand Rapids [MI] 1978) 41; A. D.

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spricht vor allem, dass Lukas hier vom plhroforei`sqai von pravgmata spricht22 und nicht von der „Erfüllung“ von lovgoi, rJhvmata, ejpaggelivai oder der grafhv, was er immer dann tut, wenn er ein Ereignis als heilsgeschichtliches Erfüllungsgeschehen kennzeichnen will (vgl. Lk 1,20; 4,21; 24,44; Apg 1,16; 3,18; 13,27. 32f; 26,6f). Dem entspricht auch der Gebrauch des resultativen Perfekts, mit dessen Hilfe die Dauer des Vollendeten ausgedrückt wird23. Mit dieser Formulierung kennzeichnet Lukas die Ereignisse, von denen seine Vorgänger erzählt haben und von denen auch er selbst erzählen will, als eine Geschehensfolge, auf die nicht nur er und seine Zeitgenossen, sondern auch seine Vorgänger als ein abgeschlossenes Ganzes zurückblicken. Dabei ist es – und dieser Sachverhalt ist nun entscheidend – die eigene Gegenwart, die als Bezugspunkt für die Feststellung der Vollendung aufgeboten wird – und nicht ein Zeitpunkt der Vergangenheit. Damit ist aber auch über den Sinn von ejn hJmi`n entschieden, dessen Referenz notorisch umstritten ist24: Es bezeichnet die lukanische Gegenwart, und die hJmei`~ sind dadurch definiert, dass sie außerhalb der Epochenschwelle leben, die durch das Ende der von Lukas erzählten pravgmata markiert wird. Es sind die polloiv, Lukas und Theophilus. Mit Hilfe dieser Perspektive bringt Lukas zum Ausdruck, dass er genau von den Ereignissen berichten will, die zu demjenigen status quo geführt haben, der die lukanische Gegenwart kennzeichnet und bereits in der Vergangenheit erreicht wurde. Dieser status quo ist aber nicht am Ende des Lukasevangeliums erreicht, sondern erst am Ende der Apostelgeschichte, genauer in Apg 26,29.25 –

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Baum, Lukas als Historiker der letzten Jesusreise (Wuppertal/Zürich 1993) 112f; K. D. Litwak, “Peri; tw`n peplhroforhmevnwn ejn hJmi`n pragmavtwn. Concerning the Things Fulfilled or Accomplished“, RB 113 (2006) 37–52. Parallelen für diesen Ausdruck (ta; pravgmata plhrou`n bzw. plhroforei`n) gibt es in der antiken griechischen Literatur so gut wie nicht. Mit Hilfe des TLG #E habe ich lediglich den späten Beleg bei Marcellinus, Vit. Thuc. 45 (FGH[J] IIb,115 T 15) gefunden („Thucydides hat die pravgmata von 21 Jahren des Peloponnesischen Krieges aufgeschrieben. ... ta; de; tw`n a[llwn e}x ejtw`n pravgmata ajnaplhroi` Theopomp und Xenophon“). Vielleicht kann man die Rede von den e[rga (ouj) peplhrwmevna in Apk 3,2 als eine gewisse Analogie bezeichnen; s. auch OrSib 11,134. F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearb. v. F. Rehkopf (Göttingen 141976) § 340 mit Verweis auf peplhrwvkate in Apg 5,28: Es könne „aufgelöst werden in ejplhrwvsate kai; nu`n plhvrh~ ejstivn“. Die Frage ist vor allem, ob Lukas mit der Pronominalphrase in V. 1 wie mit hJmi`n in V. 2 lediglich die Zeitgenossen seiner Gegenwart meint, oder ob es auch diejenigen des vergangenen Geschehens (und damit das „Wir“ aus den entsprechenden Abschnitten der Apostelgeschichte) mit einschließt (so z.B. Marshall, LkEv [s. Anm. 21] 41; Fitzmyer, LkEv [s. Anm. 20] 293f; Alexander, Preface to Luke’s Gospel [s. Anm. 2] 112f). Vgl. hierzu und zu den daraus folgenden Konsequenzen für das Verständnis des lukanischen Doppelwerks als einer Epochengeschichte, die einen Ausschnitt aus der Geschichte Israels erzählen will, M. Wolter, „Das lukanische Doppelwerk als

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Dieser Befund lässt erkennen, dass das Proömium von Lk 1,1–4 auf eine Perspektive bezogen ist, die über das Ende der Jesusgeschichte hinaus- und bis an die lukanische Gegenwart heranführt, und dass es darum nicht lediglich das Lukasevangelium einleiten soll, sondern das gesamte lukanische Doppelwerk. Lukas hätte dann vornherein geplant, seine Darstellung über die Ostererscheinungen hinaus- und bis in die paulinische Zeit hinein fortzuführen. Ob ihm dabei bereits die heutige Gestalt der Apostelgeschichte von Anfang an vor Augen stand, kann offen bleiben. 4. Darüber hinaus dürfen wir aber auch nicht den Fehler machen, Lk 1,1–4 nicht als Proömium zur lukanischen Geschichtsdarstellung zu lesen, sondern die Interpretationsrichtung umzudrehen und es als einen Text zu interpretieren, der so entstanden ist, wie dies heutigen Publikationsgewohnheiten entspricht: Man schreibt die Einleitung zu einem Buch immer zuletzt, damit sie zum Inhalt der folgenden Darstellung passt. Ein solcher Interpretationsansatz würde aber mit Sicherheit in die Irre führen, denn es handelt sich bei ihm um nichts anderes als um eine Projektion der exegetischen Rezeptions-Erfahrung auf den Autor: Viele Interpreten lesen Lk 1,1–4 im Lichte des gesamten Doppelwerks und versuchen das im Proömium Angekündigte mit dem in Einklang zu bringen, was sie mit Hilfe einer exegetischen Analyse der lk Darstellung herausgefunden haben.26 Sie machen das abgeschlossene Werk zum hermeneutischen Schlüssel für die Interpretation des Proömiums und unterstellen Lukas, dass auch er schon so verfahren sei. Demgegenüber deutet alles darauf hin, dass Lukas das Proömium tatsächlich zu Beginn, d.h. vor seiner Darstellung der peplhroforhmevna ejn hJmi`n pravgmata, niedergeschrieben hat. Der Inhalt dieser Verse ist so konventionell und allgemein, dass es den Autor der folgenden Darstellung auf nichts festlegt. Ihm bleiben vielmehr alle möglichen Optionen offen, denn er verrät nicht mehr, als dass er das diachronische Nacheinander der Ereignisse in seiner Geschichtserzählung literarisch abbilden will, dass er sich dabei eng an den Überlieferungen und den bisherigen Darstellungen der Ereignisse orientieren möchte27 und dass er den Le-

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Epochengeschichte“, in id., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas (WUNT 236, Tübingen 2009) 261–289; id., LkEv (s. Anm. 6) 26ff. Ein solches Verfahren kann man vor allem in einer Reihe von Aufsätzen beobachten, die über das Verständnis von kaqexh`~ in V. 3 diskutieren; vgl. M. Völkel, „Exegetische Erwägungen zum Verständnis des Begriffs kaqexh`~ im lukanischen Prolog“, NTS 20 (1973/74) 289–299; J. Kürzinger, „Lk 1,3: ... ajkribw`~ kaqexh`~ soi gravyai“, BZ NF 18 (1974) 249–255; F. Mußner, „Kaqexh`~ im Lukasprolog“, in Jesus und Paulus. FS Werner Georg Kümmel (Göttingen 1975) 253–255; G. Schneider, „Zur Bedeutung von kaqexh`~ im lukanischen Doppelwerk“, ZNW 68 (1977) 128–131. Dies geht aus parakolouqei`n in V. 3 hervor (s. dazu u. S. 486f).

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sern zuverlässiges historisches Wissen vermitteln will.28 Weder lässt sich in diesen Versen ein „theologisches Programm“29 entdecken, noch hat gar die Behauptung, „daß Lukas die Möglichkeit der historischen Gewißheit, die für ihn die Heilsgewißheit fundiert, exklusiv an sein Werk bindet“30, irgendeinen Anhalt am Text. Damit stehen wir vor der Frage nach dem inhaltlichen Profil der beiden Proömien. Welche Information über Charakter und Intention seines Geschichtswerks will Lukas den Lesern mit ihrer Hilfe geben?

III. 1. Lk 1,1–4 besteht aus zwei Teilen: In V. 1–2 lenkt Lukas den Blick der Leser auf die bisherigen Darstellungen des Stoffes, den er zu behandeln gedenkt, und in V. 3–4 charakterisiert er sein eigenes Vorgehen und die Intention seiner Darstellung. Trotzdem hängen beide Teile auch miteinander zusammen, denn Lukas gibt auch schon in V. 1–2 Auskunft über sein eigenes Werk: Mit ajnatavxasqai dihvghsin usw. (V. 1a) sagt er nicht nur, was die „vielen“ Vorgänger getan haben, sondern auch, was er selbst tun will. Er nimmt damit bereits hier auch sein eigenes Vorhaben in den Blick. Wie die „Vielen“ schreibt auch Lukas eine dihvghsi~31, und auch ihr Gegenstand ist derselbe: Es sind die peplhroforhmevna ejn hJmi`n

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Vgl. in diesem Sinne auch Nolland, LkEv I (s. Anm. 11) 11f: „The preface is very noncommital about the subject matter of the work, beyond saying that Theophilus already knows what it is about“. So nach dem Titel der Untersuchung von G. Klein, „Lukas 1,1–4 als theologisches Programm (1964)“, in id., Rekonstruktion und Interpretation (BEvTh 50, München 1969) 237–261. Klein, ibid., 260. Obwohl der Begriff dihvghsi~ weder eine bestimmte literarische Gattung bezeichnet noch seine Bedeutung auf historiographische Darstellungen festgelegt ist (gegen u.a. W. C. van Unnik, “Once More: St. Luke’s Prologue“, Neotest. 7 [1973] 7–26, hier 14; E. Plümacher, EWNT 1,779f; vgl. den Überblick bei Wolter, LkEv [s. Anm. 6] 62), ist die Nähe der lukanischen Formulierung in Lk 1,1 zu Dionysius v. Halicarnass, Ant. Rom. 1,7,4 (peri; th`~ iJstoriva~ aujth`~, ... peri; tivnwn poiou`mai pragmavtwn th;n dihvghsin [„über die Geschichte selbst, d.h. ... über welche Ereignisse ich die Erzählung anfertigen will“]) und Josephus, Ant. 20,157 (ejpanhvxw toivnun to;n lovgon ejpi; th;n tw`n oijkeivwn pragmavtwn dihvghsin [„ich will die Rede wieder zurückführen zur Erzählung von den nationalen Ereignissen“]) offenkundig. Eine Affinität der lukanischen Formulierung zur Sprache der hellenistischen Geschichtsschreibung ist also unverkennbar (gegen Alexander, Preface to Luke’s Gospel [s. Anm. 2] 111.112). Die Verknüpfung von dihvghsi~ und pravgmata allein reicht dafür noch nicht aus; vgl. Dio Chrysostomus, Or. 7,10: „Er erzählte mir seine Verhältnisse [dihgei`tov moi ... ta; aujtou` pravgmata] und das Leben, das er mit seiner Frau und den Kindern lebt“; s. auch Lausberg, Handbuch (s. Anm. 4) § 289 zur dihvghsi~ von pravgmata in der Gerichtsrede; Baum, Lukas (s. Anm. 21) 107f.

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pravgmata; er gibt damit schon hier Auskunft über den literarischen Charakter und den allgemeinen Inhalt seiner Schrift.32 2. In V. 3 signalisiert schon das additive (e[doxe) kajmoiv, dass Lukas sich in eine Reihe mit seinen Vorgängern stellt. Diese Formulierung lässt erkennen, dass Lukas die Kontinuität mit den in V. 1 erwähnten Bemühungen der polloiv betonen möchte, denn er distanziert sich nicht von ihnen – etwa mit Hilfe der adversativen Formulierung (e[doxe) dev moi33 –, sondern er schließt sich an sie an.34 Bestätigt wird diese Interpretation dadurch, dass Lukas die Vorgängerwerke mit keinem Wort abwertet.35 Er verzichtet also darauf, eine ihm durchaus zur Verfügung stehende formgeschichtliche Option zu realisieren. Mehr als bestätigt wird diese Interpretation dann durch das Participium coniunctum parhkolouqhkovti, das mit kajmoiv koordiniert ist. Für das Verständnis dieses Verbs an dieser Stelle ist von entscheidender Bedeutung, dass es gerade nicht – wie vielfach angenommen – das kritische Hinterfragen, Nachforschen oder Untersuchen bedeutet, sondern das Gegenteil: Wenn parakolouqei`n mit Dativ der Sache (hier: pa`sin) gebraucht wird, bezeichnet es immer nur die affirmative Orientierung, die mit Begriffen wie „folgen“, „sich halten an“, „(eine Sache oder eine Darstellung) verfolgen“, „begleiten“, „sich anlehnen an“, „gedanklich nachvollziehen“ bzw. „follow closely“, „attend minutely to“, „trace accurately“, „keep company with“ bezeichnet wird.36 In diesem Sinne können als Dativ-Objekt von parakolouqei`n sowohl die pravgmata selbst (Josephus, Ap. 1,53: „Wer anderen die Darbietung von Tatsachen verspricht, muss sie zuerst sorgfältig [ajkribw`~] in Erfahrung gebracht haben; entweder indem er die Geschehnisse begleitet oder indem er sie von denen, die sie kennen, erfragt [h] parhkolouqh-

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Gegen Cadbury, “Commentary” (s. Anm. 12) 494. So z.B. DanLXX 4,37c; Lysias, Or. 1,14; Galen, Meth. Med., ed. Kühn X, 910,11; Vettius Valens, ed. Kroll, 142,30; 241,16; Diogenes Laertius 7,9. S. auch W. C. van Unnik, “Remarks on the Purpose of Luke’s Historical Writing (Luke I 1–4)”, in id., Sparsa Collecta I (NT.S 29, Leiden 1973) 6–15, hier 13; V. K. Robbins, “The Claims of the Prologues and Greco-Roman Rhetoric. The Prefaces to Luke and Acts in Light of Greco-Roman Rhetorical Strategies”, in Jesus and the Heritage of Israel (s. Anm. 5) 63–83, hier 75f. Dasselbe gilt auch für ihre Charakterisierung als ejpiceivrhsi~, so dass es nicht möglich ist, aus dem lukanischen ejpeceivrhsan kritisierende Nebentöne herauszuhören (gegen Klein, „Lukas 1,1–4“ [s. Anm. 29] 239; F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas I [EKK 3/1, Neukirchen-Vluyn/Zürich 1989] 33). Alle englischen Übersetzungen nach L/S/J 1313f; s. auch D. P. Moessner, “The Appeal and Power of Poetics (Luke 1:1–4)“, in Jesus and the Heritage of Israel (s. Anm. 5) 84– 123, hier 87: „follow with the mind“; Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) 128: „being thoroughly familiar with“.

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kovta toi`~ gegonovsin h] para; tw`n eijdovtwn punqanovmenon]“37) als auch die Berichte von ihnen fungieren. Vgl. in diesem Sinne Josephus, Ap. 1,218: etliche hellenistische Historiker stellen die Geschichte des Judentums falsch dar, „weil sie sich nicht mit aller möglichen Sorgfalt an unseren Schriften orientieren (meta; pavsh~ ajkribeiva~ toi`~ hJmetevroi~ gravmmasi parakolouqei`n)“; dass parakolouqei`n hier nicht „kritisch untersuchen“ meinen kann, liegt auf der Hand. Das Adverb ajkribw`~ gehört zu parakolouqei`n und beschreibt die Sorgfalt und Genauigkeit, mit der man sich an die Fakten oder an die Darstellungen von ihnen hält; vgl. außer den beiden Josephus-Texten: Demetrios v. Phaleron, Frgm. 201,7: meta; pavsh~ ajkribeiva~ toi`~ hJmetevroi~ gravmmasi parakolouqei`n („mit aller Genauigkeit sich an unsere Schriften halten“); Demosthenes, Or. 48,40: toi`~ eijdovsin ajkribw`~ e{kasta tau`ta ta; pravgmata ... kai; parhkolouqhkovsin ejx ajrch`~ („denen, die alle diese Ereignisse genau kennen ... und von Anfang an mitbekommen haben“); Hipparchus, Comm. in Arati et Eudoxi Phaenom. 1,1,9, (6,19f Manitius): i{na parakolouqw`n eJkavstoi~ ajkribw`~ kai; ta;~ tw`n a[llwn aJpavntwn ajpofavsei~ ejn touvtoi~ dokimavzh~ („damit du, indem du allen Einzelheiten genau nachgehst, auch die Angaben aller anderen zu diesen Dingen prüfen kannst“; hier soll also das affirmative parakolouqei`n das kritische dokimavzein allererst ermöglichen); Galen, Hippocr. Progn. Comm., ed. Kühn XVIIIb, 190,3: ajkribw`~ parakolouqh`sai toi`~ uJf∆ ÔIppokravtou~ eijrhmevnoi~ („dem von Hippokrates Gesagten genau folgen“). pa`sin, das Objekt von parakolouqei`n, bedeutet wirklich „alles“ und bezeichnet alles, was Lukas für „die Zusammenstellung eines Berichts über die Ereignisse, die in unserer Zeit vollendet sind“ (V. 1), benötigt. Es umgreift also sowohl die Berichte der polloiv (V. 1a) als auch die pravgmata (V. 1b) und die Überlieferungen der Augenzeugen und Diener des Wortes (V. 2).38 – Dieser Vollständigkeitsanspruch findet seinen Ausdruck in a[nwqen („von Anfang an“). Es hat keine bestimmte Referenz, sondern korrespondiert mit dem in V. 1 durch peplhroforhmevna konstatierten Vollendet-Sein der Ereignisse. Die beiden Näherbestimmungen verweisen aufeinander und bringen zum Ausdruck, dass Lukas nicht nur alle ihm zur Verfügung stehenden Quellen genutzt hat, sondern dass seine Darstellung die Ereignisse auch in der Gesamtheit ihrer zeitlichen Erstreckung umspannt: „vom Anfang“ (a[nwqen) bis zur

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Zur Interpretation dieses Textes vgl. D. P. Moessner, “‘Eyewitnesses’, ‘Informed Contemporaries’, and ‘Unknowing Inquirers’: Josephus’ Criteria for Authentic Historiography and the Meaning of PARAKOLOUQEW”, NT 38 (1996) 105–122, hier 108ff; für weitere Beispiele vgl. Wolter, LkEv (s. Anm. 6) 64f. S. auch Moessner, “Appeal” (s. Anm. 36) 96: „events, traditions, and reports“.

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„Vollendung“ (peplhroforhmevna). a[nwqen nimmt also den Anfang in den Blick und peplhroforhmevna das Ende. kaqexh`~ ist unmittelbar auf diese zeitliche Rahmung bezogen und kündigt an, dass Lukas die Gesamtheit des ihm zur Verfügung stehenden Stoffes in seinen Einzelteilen (pavnta ist Plural!) in der ihnen gemäßen Anordnung zu präsentieren gedenkt, und zwar in diachronischer Reihenfolge – vom Anfang bis zum Ende.39 Lukas kündigt also nichts anderes an, als dass er die Abfolge der Ereignisse innerhalb dieses Rahmens abbilden will. 3. Wer der „hochverehrte Theophilus“ war, dem Lukas sein Geschichtswerk widmet (V. 3b), wissen wir nicht.40 Die Widmung des Werkes an einen individuellen Leser ist innerhalb der griechischen Historiographie unüblich.41 Es gibt sie bei keinem der großen Historiker42, und sie fehlt auch bei Sallust, Livius und in den historiographischen Werken des Tacitus. Wichtig zu beachten ist, dass die in der Widmung genannte Person in keinem einzigen Fall als Repräsentant der intendierten Leser angesprochen wird.43 Aus der Widmungsadresse geht also nicht hervor, für welches Lesepublikum der Autor sein Werk verfasst hat. Erkennbar wird dieser Sachverhalt z.B. in Lukians v. Samosata Essay über die Geschichtsschreibung: Die Abhandlung ist einerseits für einen „Freund“ (filovth~ [3]) namens Fivlwn (1.22.24.29) geschrieben, andererseits ist sie aber auch als „Anleitung ... für Autoren“ (paraivnesi~ ... toi`~ suggravfousin; 4), d.h. für „künftige Geschichtsschreiber“ (Übers. H. Homeyer) 39

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Das entspricht auch der Verwendung des Begriffs in Apg 11,4. Vgl. aber auch Thucydides 5,26,1: „Auch hat das gleiche Thucydides ... aufgezeichnet, der Reihe nach (eJxh`~), wie sich jedes Ereignis begab“ (Übers. G. P. Landmann); s. auch Baum, Lukas (s. Anm. 21) 135ff; Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) 132: „a regular, connected account is in view“. Vgl. jetzt die umfassende Aufarbeitung der Literatur bei C. Heil/T. Klampfl, „Theophilos (Lk 1,3; Apg 1,1)“, in „Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel“. FS Josef Zmijewski (BBB 151, Hamburg 2005) 7–28. Versuche, seine Existenz zu bestreiten und „Theophilos“ als einen symbolischen Namen zu verstehen („Gottesfreund“), haben sich mit Recht nicht durchgesetzt. In diesem Fall hätte Lukas wohl auch eher Qeofilhv~ geschrieben. Unsichere Ausnahmen sind Callinicus v. Petra, FGH 3c, 281, Test. 1; Manetho, FGH 3c, 609, Test. 11b.c; Berossus, FGH 3c, 680, Test. 2. Vgl. E. Herkommer, Die Topoi in den Proömien der römischen Geschichtswerke, Diss. Phil. (Tübingen 1968) 25; Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) 27ff. „Intendierte Leser“ sind solche Leser, die der Autor sich als Leser seines Textes vorstellt bzw. mit denen er als Leser rechnet und für die er seinen Text schreibt. Sie existieren im Bewusstsein des Autors und sind dort während der Niederschrift seines Textes ständig präsent. Von den sog. „realen Lesern“ (oder „empirischen Lesern“) sind sie zu unterscheiden, denn mit diesem Begriff werden alle Menschen bezeichnet, die einen Text jemals auch tatsächlich gelesen haben und lesen.

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konzipiert. Über den Kreis der Leser, für die Lukas sein Geschichtswerk geschrieben hat, sagt die Widmung an Theophilus als solche also noch nichts aus, und zwar weder so noch so. Der historische Theophilus kann zum Kreis der intendierten Leser gehört haben, er muss es aber nicht. Ein Stück weiter kommen wir aber, wenn wir uns anschauen, was Lukas in V. 4 über die Absicht schreibt, die er mit seiner Darstellung verfolgt44: Er will seine Leser durch sie in die Lage versetzen, dass sie die lovgwn ajsfavleia „erkennen“ (ejpigignwvskein).45 An dieser Formulierung ist zunächst wichtig, dass Lukas von den lovgoi nicht im Singular spricht, sondern im Plural. Dadurch ist sichergestellt, dass er mit ihnen nicht die christliche Botschaft meint, denn für sie gebraucht Lukas immer den Singular (Lk 1,2; Apg 4,4.29; 6,4; 8,4; 10,36; 11,19; 14,25; 16,6; 17,11; 19,20; 18,5; s. auch Lk 8,11).46 Vielmehr lässt die Anknüpfung von peri; w|n an peri; tw`n (V. 1) erkennen, dass die lovgoi denselben Inhalt wie die pravgmata von V. 1 haben47. Lukas würde in V. 4 dann sagen wollen, dass Theophilus von ihnen zwar gehört hat, aber nichts Genaues weiß, und dass er (Lukas) dieses Defizit mit seiner Darstellung beheben will. Darüber hinaus will Lukas mit seiner Formulierung auch zum Ausdruck bringen, dass es grundsätzlich stimmt, was Theophilus bisher erfahren hat: Die lovgoi werden nicht korrigiert, sondern mit ajsfavleia versehen, d.h. bestätigt. Aus diesem Grunde ist es auch nicht ajlhvqeia, die Lukas in Abgrenzung von unzutreffenden und lückenhaften Darstellungen vermitteln will (vgl. demgegenüber Josephus, Ant. 1,4; Ap. 1,53; Bell. 1,6.16), sondern eben ajsfavleia in Bezug auf das, was Theophilus schon oberflächlich kennt.48 Es ist offenkundig, dass Lukas da44 45

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Zur Frage der syntaktischen Struktur des Satzes vgl. Wolter, LkEv (s. Anm. 6) 67. ajsfavleia gilt auch anderswo als eine Eigenschaft von lovgoi: Xenophon, Mem. 4,6,15 („Wenn er selbst etwas in einer Rede [lovgw/] darstellte, ging er von dem am meisten Anerkannten aus, denn er war der Meinung, dass dies die gewisse Basis der Überlegung ist [nomivzwn tauvthn th;n ajsfavleian ei\nai lovgou]“); Isocrates, Antid. 143 („Dieses habe ich dir darum gesagt, damit du ... stichhaltigere Worte ihnen [sc. den Richtern] gegenüber verwendest [i{na ... toi`~ lovgoi~ ajsfalestevroi~ crh/` pro;~ aujtouv~]“); Alexander Rhet., Fig., ed. Spengel III, 15,22f („wenn ... wir beim Reden das Argument absichern [ajsfalizwvmeqa to;n lovgon]“); Demetrius Rhet., Eloc., ed. Radermacher, 80,8 („so ... gab es einen Vergleich, und das Argument wurde schlüssiger [ajsfalevstero~ oJ lovgo~]“). Dementsprechend darf auch die Formulierung kathcei`sqai peri; (tw`n) lovgwn nicht im Sinne einer katechetischen Unterweisung verstanden werden wie in ParJer 5,21; Gal 6,6 (jeweils kathcei`n to;n lovgon; s. auch TestJos 4,4: kathvchsi~ zum maqei`n lovgon kurivou; Apg 18,25). S. auch Cadbury, “Commentary” (s. Anm. 12) 509. Vgl. in diesem Sinne auch van Unnik, “Remarks” (s. Anm. 34) 13f: „ ... it is a feature of the ajsfavleia that it gives certainty to that which is generally accepted and recognised“. Wenn J. B. Green, The Theology of the Gospel of Luke (Cambridge 1995) 122,

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mit dieselbe Interpretationslinie fortführt, die wir auch schon in V. 3 identifizieren konnten49: Sein eigenes Geschichtswerk will nicht die Darstellungen seiner Vorgänger korrigieren und ein falsches Bild von den Ereignissen durch ein richtiges ersetzen, sondern er befindet sich grundsätzlich in Übereinstimmung mit ihnen. Was sein eigenes Werk gegenüber den Vorgängerwerken auszeichnet, ist vielmehr die Vollständigkeit der Darstellung. Sie vermittelt erstmals ein diachronisch geordnetes Gesamtbild der „Basisgeschichte“ des Christentums, die Lukas als einen Bestandteil der Geschichte Israels erzählt.50 Auf diese Epoche blicken Lukas und die von ihm intendierten Leser, zu denen er auch Theophilus zählt, als eine abgeschlossene Epoche zurück. Das Bild, das Lukas in Lk 1,1–4, dem Proömium zu seinem Gesamtwerk, von ihnen entwirft, ist darum unbedingt plausibel. Bevor sie das lukanische Geschichtswerk gelesen haben, trifft auf sie eben das zu, was Lukas in V. 4 von Theophilus sagt: Sie haben vielleicht aus anderen Quellen schon einmal etwas über die Ereignisse in der Geschichte Israels gehört, die zur Trennung von Judentum und Christentum geführt haben, doch Genaueres wissen sie nicht. Diese Lücke will das lukanische Geschichtswerk schließen, und eben das kündigt Lukas hier an. Und insofern ist es durchaus möglich, dass Theophilus hier doch als Repräsentant der intendierten Leser aufgeboten wird.51

IV. 1. Das Proömium zum zweiten Teil des lukanischen Geschichtswerks umfasst Apg 1,1–2.52 Wie bei Lk 1,1–4 handelt es sich um einen einzigen Satz. Hier wie dort ist Lukas selbst das Subjekt und gibt es auch nur ein einziges Hauptsatzprädikat (Lk 1,3: e[doxe kajmoiv; Apg 1,1: ejpoihsavmhn).

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demgegenüber übersetzt: „That you may know the truth“, so ist das nicht nur sprachlich falsch, sondern auch inhaltlich irreführend. S.o. S. 486ff. Vgl. hierzu ausführlicher Wolter, LkEv (s. Anm. 6) 26ff. Die vieldiskutierte Frage, ob man sich Theophilus als einen am Christentum interessierten (Noch-)Nicht-Christen oder als bereits getauft vorzustellen hat, lässt sich nicht beantworten. Letzteres ist durchaus nicht ausgeschlossen, denn vor der Lektüre des lukanischen Doppelwerks werden auch die meisten Christen über die in ihm berichteten Ereignisse kaum mehr als bestenfalls oberflächlich Bescheid gewusst haben (s. auch R. R. Creech, “The Most Excellent Narratee: The Significance of Theophilus in Luke-Acts“, in With Steadfast Purpose. FS Henry Jackson Flanders [Waco, TX 1990] 107–126). So auch E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3, Göttingen 71977) 146, und J. A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles (AncB 31, New York et al. 1998) 191ff, sowie mit Einschränkungen auch D. Marguerat, Les Actes des Apôtres (1–12) (CNT 5a, Genf 2007) 36.

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In Apg 1,1–2 folgen dann zwei kaskadierende Präpositionalphrasen: peri; pavntwn ..., w|n h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein (V. 1) bezieht sich auf ejpoihsavmhn, während a[cri h|~ hJmevra~ ... ajnelhvmfqh (V. 2) von poiei`n te kai; didavskein abhängig ist. Wie Lk 1,1–4 ist auch Apg 1,1–2 ein metanarrativer Text, der außerhalb der eigentlichen Erzählung steht. Die narrativen Elemente in ihm führen nicht die Erzählung fort, sondern sie haben andere Funktionen: a} h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein (V. 1c) gibt den Gegenstand an, den Lukas in seinem prw`to~ lovgo~ behandelt hatte, mit dem attributiven Relativsatz h|~ ... ejnteilavmeno~ toi`~ ajpostovloi~ dia; pneuvmato~ aJgivou ... ajnelhvmfqh (V. 2) identifiziert er den Endpunkt seiner Darstellung der Taten und Worte Jesu (a[cri h|~ hJmevra~)53, und mit ou}~ ejxelevxato (V. 2) charakterisiert er die Apostel. Mit der Identifikation des Endpunkts verweist Lukas zurück auf die in Lk 24,44–51 erzählten Ereignisse am Ostersonntag. Er setzt also voraus, dass seine Leser das „erste Buch“ kennen. Erst in Apg 1,3 nimmt Lukas den Faden der Erzählung wieder auf. Das Subjekt wechselt von der 1. Person in die 3. Person, und auch die temporale Einstellung des Erzählwinkels ändert sich:54 Hatte Lukas in V. 2 noch den bestimmten einen Tag der Entrückung als Endpunkt der Darstellung des ersten Buches herausgehoben, so nimmt er jetzt auf einmal einen Zeitraum von 40 Tagen in den Blick, was eindeutig nicht mehr als Rückblick auf das erste Buch konzipiert ist. Auch dass Lukas in V. 3 von „vielen Beweisen“ spricht, durch die Jesus sich in diesen 40 (d.h. in dieser Vielzahl55 von) Tagen als „lebendig“ erwiesen habe, überschreitet den Rahmen des einen (Oster-)Tages, an dem Jesus mit dem Essen des Fisches den Aposteln nur einen Beweis seines Lebendigseins gegeben hatte (Lk 24,41–43). Und schließlich kommt noch hinzu, dass der lukanische Jesus mit der Rede von der „Verheißung des Vaters, die ihr von mir gehört habt (h}n hjkouvsatev mou)“ die Apostel an seine eigene Ankündigung der Geistverleihung in Lk 24,49 erinnert.56 Lukas lässt ihn damit von diesem Zeitraum der 40 Tage aus auf den Ostertag 53

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Syntaktisch findet der Satz seine Entsprechungen in Lk 1,20; 17,27 par. Mt 24,38: Das Beziehungswort steht hinter dem Relativpronomen und wird dadurch in den Relativsatz einbezogen (vgl. B/D/R § 2948). Textgrammatisch bekommt das Relativpronomen dadurch demonstrative Funktion, die das Beziehungswort hervorhebt: „... bis zu dem bestimmten Tag“. Zur Gliederung von Erzähltexten mit Hilfe von temporalen, räumlichen und personalen Parametern vgl. Wolter, LkEv (s. Anm. 6) 17. Dementsprechend kann der lukanische Paulus in Apg 13,31 auch von „vielen Tagen“ sprechen, an denen Jesus seinen Jüngern erschienen ist (w[fqh ejpi; hJmevra~ pleivou~). o{ti zu Beginn von V. 5 ist kein o{ti-recitativum, sondern fungiert als Begründung dafür, dass die Apostel mit der „Verheißung des Vaters“ zuverlässig rechnen können.

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zurückblicken und setzt zwischen den beiden erzählten Zeiten eine deutliche Zäsur.57 Der Einschnitt zwischen dem Proömium der Apostelgeschichte und der Wiederaufnahme der Erzählung ist also sehr präzise gesetzt, und es erstaunt nicht wenig, dass es in der Literatur an dieser Stelle so viel Unsicherheit gibt.58 Mit der Wiederaufnahme der Erzählung in Apg 1,3 eröffnet Lukas eine episodische Einheit, die bis V. 14 reicht und die als Einleitung zur Apostelgeschichte fungiert. Die erzählerische Abfolge der einzelnen Szenen hat er parallel zu Lk 24,44–53 gestaltet, wobei sich nach der emischen Einleitung in Apg 1,3 im Einzelnen entsprechen: Lk 24,44–49 / Apg 1,4–8:

Lk 24,50–51 / Apg 1,9–11: Lk 24,52–53 / Apg 1,12–14:

Belehrung der Jünger mit Aufforderung, in Jerusalem zu bleiben, Geistverheißung und Zeugen-Auftrag Entrückung Rückkehr nach Jerusalem (jeweils mit uJpevstreyan) und Verbleib daselbst

Andererseits sind es gerade diese Entsprechungen, die die Unterschiede umso deutlicher hervortreten lassen: Auf die beiden Engel, die in V. 10–11 die Entrückung kommentieren und die Wiederkehr Jesu ankündigen, wurde bereits oben hingewiesen.59 – Hinzu kommt jetzt noch, dass Lukas die Apostel sich nach ihrer Rückkehr nach Jerusalem nicht mehr wie noch in Lk 24,53 im Tempel aufhalten, sondern sie im „Obergemach“ irgendeines Hauses verweilen lässt (Apg 1,13). Lukas verwendet in beiden Fällen die Coniugatio periphrastica (Lk 24,53: h\san ... eujlogou`nte~; Apg 1,13–14: h\san katamevnonte~ und h\san proskarterou`nte~) und unterstreicht die Differenz in der Parallelität dadurch noch zusätzlich. – Und schließlich markiert auch die individuelle 57

58 59

Aus diesem Textbefund folgt, dass Lukas die beiden Entrückungen, von denen er in Lk 24,51 und Apg 1,9 erzählt, als zwei unterschiedliche Ereignisse angesehen hat. Das ist aber insofern nicht weiter aufregend, als er auch schon Jesu Erscheinung vor den Emmausjüngern (Lk 24,13–31) und vor den elf Aposteln (Lk 24,36–49) als Erscheinungen vom Himmel her erzählt hat (s. auch A. W. Zwiep, The Ascension of the Messiah in Lukan Christology [NT.S 87, Leiden et al. 1997] 145ff; Wolter, LkEv [s. Anm. 6] 785.788f). – Der Unterschied zwischen den beiden Entrückungsszenen wird auch darin erkennbar, dass Lukas erst bei der zweiten zwei Engel auftreten lässt, die den Aposteln sagen, dass Jesus von jetzt an bis zur Parusie nicht mehr wiederkommt (Apg 1,10–11). Bis dahin lässt er sich – das machen die Erscheinungen vor Stephanus (7,55–56) und Paulus (9,3–6) deutlich – lediglich in seiner himmlischen Herrlichkeit sehen. Vgl. z.B. Alexander, “Preface to Acts” (s. Anm. 3) 82 („the preface to Acts has no ending“), und die von B. Gaventa, The Acts of the Apostles (Nashville 2003) 62, Genannten. S. o. Anm. 57.

Die Proömien des lukanischen Doppelwerks

493

Identifikation der Anwesenden in Apg 1,13–14, die keine Entsprechung in Lk 24,44–53 hat, dass Lukas einen neuen narrativen Anlauf nimmt. 2. Die Eigenart von Apg 1,1–2 besteht darin, dass Lukas hier zwar einen Rückblick auf den Inhalt des ersten Buches gibt, aber keinen Ausblick auf den Inhalt der nunmehr folgenden Darstellung.60 Dem mevn von Apg 1,1 entspricht kein dev.61 Handelt es sich hierbei um eine darstellerische Nachlässigkeit, oder gibt es für das Fehlen eines Vorblicks eine Erklärung, die es als bewusste Absicht verständlich macht? Letzteres scheint möglich zu sein, wenn wir uns die lukanische Gestaltung des Proömiums zur Apostelgeschichte etwas näher anschauen. Der Text lässt eine deutliche Unwucht erkennen: Lukas formuliert zunächst eine ganz summarische Inhaltsangabe zum ersten Buch (peri; pavntwn ..., w|n h[rxato oJ ∆Ihsou`~ poiei`n te kai; didavskein; V. 1). Er macht dann aber nicht, wie eigentlich zu erwarten wäre, mit der Ankündigung des Inhalts der Fortsetzung weiter, sondern liefert stattdessen einen aufwendigen Rückblick auf den letzten Tag seiner Jesusgeschichte. Lukas hatte den Ereignissen dieses Tages in Lk 24 eine ausführliche Darstellung gewidmet, doch herausgegriffen wird jetzt nur sein Ende: die in Lk 24,44–51 erzählten Ereignisse (ejnteilavmeno~ toi`~ ajpostovloi~ dia; pneuvmato~ aJgivou ... ajnelhvmfqh; V. 2). Um die zeitliche Befristung zu markieren, hätte das Prädikat ajnelhvmfqh mit seinem Bezug auf die in Lk 24,51 erzählte Entrückung voll und ganz ausgereicht. Für diesen Zweck ist die Partizipialkonstruktion ejnteilavmeno~ toi`~ ajpostovloi~ dia; pneuvmato~ aJgivou entbehrlich, und daraus können wir den Schluss ziehen, dass es Lukas an dieser Stelle besonders auf sie ankam. Lukas lenkt mit ihr die Aufmerksamkeit der Leser auf Jesu letzte Rede an die Apostel in Lk 24,44–49 und bringt damit den Inhalt des dort Gesagten innerhalb des Proömiums zur Apostelgeschichte erneut zu Gehör. Und wenn die Leser dann nachschauen, was Jesus bei dieser Gelegenheit den Aposteln mitgeteilt hat, können sie in V. 46–49, d.h. in den letzten Worten, die der Auferstandene im ersten Buch an die Apostel richtet, lesen: „46So steht geschrieben, dass der Messias leidet und er am dritten Tag von den Toten aufersteht 47und dass in seinem Namen unter allen Völkern Umkehr zur Vergebung der Sünden ausgerufen wird. Beginnend mit Jerusalem 48seid ihr Zeugen dafür. 49Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber – bleibt in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe bekleidet werdet.“ 60 61

S. dazu o. S. 477f. Hierbei handelt es sich offenbar um eine lukanische Stileigentümlichkeit; vgl. B/D/R § 44715: „... besonders häufig in Apg, wie auch sonstiges mevn solitarium 1,1 3,21 27,21 28,22“; s. auch Alexander, Preface to Luke’s Gospel (s. Anm. 2) 144.

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Michael Wolter

Diese Worte enthalten eben das, wovon Lukas in seinem zweiten Buch berichten wird. Lukas ersetzt damit seinen Vorblick auf den Inhalt des zweiten Buches dadurch, dass er an die letzten Worte erinnert, die Jesus im ersten Buch gesprochen hat. Es sind im Grunde genommen die Schriften (Lk 24,45), die ankündigen, was Lukas im zweiten Band seines Doppelwerks erzählen wird. Der analeptische Rückverweis auf Lk 24,44–46, den Lukas im Proömium zur Apostelgeschichte vornimmt, dient insofern ganz gezielt zur erzählerischen Verklammerung beider Bücher des lukanischen Doppelwerks. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch eine große Differenz zwischen dem, was die Schrift nach Lk 24,47 ankündigt, und dem, was Lukas dann tatsächlich berichtet. Denn darüber, dass die Apostel den Auftrag Jesu ausführen und als seine „Zeugen“ (V. 48) und „in seinem Namen unter allen Völkern Umkehr zur Vergebung der Sünden ausrufen“ (V. 47), kommt es zu einem Trennungsprozess, der nicht weniger als die Spaltung Israels in Juden und Christen zur Folge hat.62 Hierbei handelt es sich um einen Vorgang, von dem der lukanische Paulus in seiner Antrittsrede im pisidischen Antiochien sagt, dass es ein Werk Gottes ist, „das ihr nicht glauben würdet, wenn es euch einer erzählte“ (o} ouj mh; pisteuvshte ejavn ti~ ejkdihgh`tai uJmi`n; Apg 13,41). Wie sollte Lukas ein solches Geschehen im Proömium zur Apostelgeschichte ankündigen können? Es spricht darum einiges dafür, dass es eben dieser Charakter der in der Apostelgeschichte erzählten Ereignisse ist, der Lukas veranlasst hat, im Proömium zu seinem zweiten Buch auf eine Ankündigung von dessen Inhalt zu verzichten.

62

Vgl. dazu M. Wolter, „Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte“ (s. Anm. 25) 272ff.

Did “Luke“ Write Anonymously? Lingering at the Threshold A. J. DROGE „Die Frommen lügen nie mehr als in der heiligen Geschichte.”1

1. The presence of the absence A curious feature of the preface to the companion volumes now called “Luke-Acts” is the absence of an author’s name. Why would a writer capable of such imaginative prose and literary artifice choose to remain anonymous? That anonymity was a deliberate choice seems clear precisely because of the studied character of the work itself. Furthermore, what is the relationship between the anonymous “I” of the preface and the anonymous – and even more mysterious – “we” passages that suddenly begin to appear in the second half of Acts? I try to answer these questions through an analysis of the rhetorical strategy of both preface and narrative, rather than by special appeal to the use of a source or to the question of genre. As I hope to show, no reading of the Lukan preface requires that this work be classified as either history or fiction, as if these two genres existed in separate, self-contained worlds of their own.2 At the same time I want to argue that no reading of the Lukan

1 2

This essay is a revised version of a paper presented in November 2007 at a panel on “Ancient Fiction and Early Christian and Jewish Narrative” at the annual meeting of the Society of Biblical Literature. I am grateful to the conveners, Jo-Ann Brant and Judith Perkins, for their kind invitation to participate. I must give special thanks to Andreas Bendlin, Michelle Christian, John Kloppenborg, Lee Ann Riccardi, Clare Rothschild, and Leif Vaage for their encouragement, many helpful suggestions, and instructive criticism. [For Jordan & Emily: In bocca al lupo!] J. Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten, 6. Heft (Berlin 1899) 142. As G. W. Bowersock, Fiction as History: Nero to Julian (Berkeley/Los Angeles 1994) 14, has well observed: “With works of imaginative literature there is nothing more ruinous for historical study than genre theory or a mindless search for antecedents, origins, and distant parallels.” Despite the most exquisite research on the genre of Luke-Acts (history, romance, biography, apologetic history, etc.), the question has not been resolved in a way that has met with widespread agreement among critics. See the assessments in L. C. A. Alexander, “Fact, Fiction and the Genre of Acts”, NTS 44 (1998) 380–399; C. Mount, Pauline Christianity: Luke-Acts and the Legacy of Paul (NT.S 104, Leiden 2002) 60–83; and C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History:

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A. J. Droge

preface necessarily precludes a connection between the implied author and the “eyewitnesses” (aujtovptai) and “participants” (uJphrevtai) referred to at Luke 1:2. All of this is intended to create some space for a reconsideration of the puzzling “we” passages and an argument for the identification of the “I” implied in these passages with the “I” of the preface. Lest there be any misunderstanding, let me be clear at the outset: I do not mean that the real author was an actual participant in the events narrated in Acts; rather I contend that he employed a deliberate literary conceit to authorize his narrative: the “I” of the preface and the “we” of Acts were intended to be read as the same voice. That is, without forging an explicit claim to authorship, the preface implies, and the narrative was designed to confirm, that the text was in fact written by an eyewitness and guarantor of the events responsible for delivering Christianity to Rome. This is, I submit, a hitherto unrecognized and different kind of pseudepigraphy – one which does not blatantly assume the guise of someone else, but accomplishes the same end rather more subtly, and perhaps even playfully, by lending authority and color to a narrative without actually committing an act of outright forgery.

2. Theoretical considerations: the preface as paratext My theoretical orientation is indebted to Gérard Genette’s notion of “paratexts” in his eponymous Paratexts: Thresholds of Interpretation.3 By paratext Genette means to identify those textual “adornments” (such as authorial attribution, title, preface, dedication, epilogue, and so on) which surround the text and “extend it precisely in order to present it, in the usual sense of this verb but also in the strongest sense: to make

3

An Investigation of Early Christian Historiography (WUNT 2/175, Tübingen 2004) 24–59. The problem is ours, not our anonymous author’s, and it reveals the extent to which much of biblical criticism is still invested in a modernist master narrative that maintains there really is a distinction between “history” and “fiction.” One of Bowersock’s major contributions is to challenge the adequacy of these categories for comprehending the burgeoning production of imaginative literature of all kinds during the Roman imperial period; cf. E. Gabba, “True History and False History in Classical Antiquity”, JRS 71 (1981) 50–62; T. P. Wiseman, “Lying Historians: Seven Types of Mendacity”, in id./C. Gill (eds.), Lies and Fiction in the Ancient World (Exeter 1993) 122– 146; and n. 10 below. I have also learned much from W. Wolf, “Framing Fiction: Reflections on a Narratological Concept and an Example: Bradbury, Mensonge”, in W. Grünzweig/A. Solbach (eds.), Grenzüberschreitungen: Narratologie im Kontext/Transcending Boundaries: Narratology in Context (Tübingen 1999) 97–124, and N. Johannsen, Dichter über ihre Gedichte: Die Prosavorreden in den ‘Epigrammaton libri’ Martials und in den ‘Silvae’ des Statius (Hypomnemata 166, Göttingen 2006).

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present, to ensure the text’s presence in the world, its ‘reception’ and consumption in the form (nowadays, at least) of a book”.4 While it is true that the exempla Genette inventories are almost all modern and early modern, he nevertheless contends that “a text without a paratext does not exist and never has existed”.5 More than a boundary or a sealed border, Genette likens a paratext to a “threshold”, or, apropos of the preface, “a ‘vestibule’ that offers the reader the possibility either of stepping inside or turning back. It is an ‘undefined zone’ between the inside and the outside, a zone without any hard and fast boundary on either the inward side (turned toward the text) or the outward side (turned toward the world’s discourse about the text)”.6 So conceived, the preface constitutes “a zone not only of transition but also of transaction: a privileged place of a pragmatics and a strategy, of an influence upon the public, an influence that – whether well or poorly understood and achieved – is at the service of a better reception for the text and a more pertinent reading of it (more pertinent, of course, in the eyes of the author and his allies)”7.

3. But what do prefaces actually do? This deceptively simple question of Derrida8 is one I shall try to answer with regard to Luke-Acts, for not all prefaces “do” the same thing. In other words, the function of a preface differs depending on the type of preface, and this is determined by considerations of time, place, and author. Comparanda for the Lukan preface are typically sought in works classified broadly as “historical”, the implication being that the Lukan preface guarantees the historical genre (and, for some, the truthfulness) of the narrative that follows. But this is to prejudge the question, or at least to treat it in an overly simplistic manner, for prefaces adorn all sorts of ancient texts: not only historians, but medical writers, astrologers, dream interpreters, poets, and novelists made use of prefaces.9 As for the matter of a preface guaranteeing the historical intention4 5 6 7 8 9

G. Genette, Paratexts: Thresholds of Interpretation (Cambridge 1997) 1. Ibid., 3. Ibid., 2; cf. P. Lejeune, Le pacte autobiographique (Paris 1975) 45: a preface is “a fringe of the printed text which in reality controls one’s whole reading of the text” (cited by Genette, Paratexts [see n. 4] 2, my emphasis). Genette, Paratexts (see n. 4) 2. J. Derrida, Dissemination (Chicago 1981): 8 (cited by Genette, Paratexts [see n. 4] 196). A point well made by L. C. A. Alexander, The Preface to Luke’s Gospel: Literary Convention and Social Context in Luke 1:1–4 and Acts 1:1 (SNTSMS 78, Cambridge 1993) passim, though I find her attempt to read Luke-Acts in light of the “scientific tradition” unpersuasive (see ead., ibid., 167, 200–212).

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ality or truthfulness of a narrative, we should recall that ancient fiction was not wholly unfamiliar with this prefatorial “contract with truth”. The earliest extant Greek romance – Chariton’s Chæreas and Callirhoe – opens with the assertion that his love story really did take place in Syracuse.10 Determining the intention(s) of a preface, then, is tricky business, because there are numerous types of preface. To risk stating the obvious, whether or not a preface identifies its author (an/onymous), every preface implies an author, real or imaginary. Once again, to summarize Genette: While the implied author of a preface may be the author of the text, he may also be one of the characters in the text. Or the implied author of a preface may be a wholly different (third) person. Moreover, these three categories – the prefacer as author, actor, or third party – are not mutually exclusive; they can be intersecting.11 Thus the prefacer’s role in relation to his text and his posture with respect to “truth” are complex and often ambiguous (sometimes deliberately so), but in general we may say that there are at least three prefatorial possibilities: 1) If the attribution to a real person is confirmed or confirmable, let us call the preface authentic. 2) If the author of the preface is recognizably fictive, let us call the attribution, and therefore the preface, fictive. 3) If the attribution to an allegedly real person is disconfirmed or disconfirmable, let us call the preface pseudonymous.12 I am not sure that the distinction between fictive and pseudonymous has universal relevance, but it seems to me useful in the present situation. I employ it in the following sense: fictive applies to a preface attributed to an imaginary person, and pseudonymous, to a preface attributed falsely to an ostensibly real person. I shall return to the question of whether such a distinction can finally be made, but for now it is important to bear in mind that whether authentic, fictive, or pseudonymous, 10

11 12

“My name is Chariton of Aphrodisias, and I am clerk to the lawyer Athenagoras. I am going to tell you the story of a love affair that took place in Syracuse” (1.1.1). See the brief discussion of ancient prefaces in Genette, Paratexts (see n. 4) 164–165. Might we not say that “history” (whether “good” or “bad”) and “fiction” (again, either “good” or “bad”) are social facts and therefore inherently unstable markers? That is, they are contingent and have meaning or relevance only in the particular sociopolitical context in which they are set forth and accepted or contested. (Cf. Seneca’s sarcastic dismissal of Ephorus: “It takes no great effort to refute him – he’s an historian” [QN 7.16.1]). Like the binaries normal/deviant, canonical/apocryphal, true/false, etc., history and fiction require each other. More on this below; see further A. J. Droge, “‘The Lying Pen of the Scribes’: Of Holy Books and Pious Frauds”, Method & Theory in the Study of Religion 15 (2003) 117–147, esp. 140–144. Genette, Paratexts (see n. 4) 178–194. Genette, ibid., 179 would call this situation “apocryphal”.

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the person to whom a preface (and text) is attributed may be not just the author but also one of the characters in the narrative to which the preface serves as a threshold. The preceding analysis now allows me to restate my thesis as follows: the preface to Luke-Acts is pseudonymous. The prefacer’s role in relation to his text is that of author and actor, and thereby he seeks to guarantee the “truth” of the narrative that follows. Just how we are to regard the character of that truth is a question to which I shall return.

4. “Luke” as prefacer No translation of the Lukan preface can fully convey the precise connotations of the original, but I offer the following as a defensible rendering: (1) Whereas many have attempted to compose a narrative about the events that have been accomplished among us, (2) just as those who from the beginning were eyewitnesses and participants in the story entrusted (them) to us, (3) it seemed fitting for me as well, since I have been in close touch with everyone [or, everything] from the beginning, to write accurately in an orderly fashion to you, most excellent Theophilus, (4) so that you might know the reliability of the stories about which you have been informed.

Few passages in the New Testament have received more painstaking attention than this single, well-crafted, periodic sentence,13 but for more than a century now almost all critics have argued that the prefacer – “Luke” – explicitly distinguishes himself from the category of an “eyewitness”, and asserts instead that he composed (or “authorized”) his narrative on the basis of careful research. I wish challenge this conventional reading of the preface by registering two initial objections: (1) the reference to “events” (pravgmata) that have taken place “among us” (ejn uJmi`n) indicates that the prefacer was at least a contemporary of those events; and, more importantly, (2) his claim to “have been in close touch with everyone [or, everything14] from the very beginning” implies that the prefacer was not only an eyewitness but also a participant in the events his narrative contains. That is, the claim articulated by the causal participial phrase, parhkolouqhkovti a[nwqen pa`sin (1:3), should 13 14

See e.g. the already extensive bibliography assembled some twenty years ago by F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (EKK III/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989), 1.29– 30. In regard to what is being claimed, it makes very little difference whether pa`sin is construed as masculine or neuter. Much more depends on the meaning of parhkolouqhkovti.

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be read as a paraphrase of, not a contrast to, the reference to oiJ ajp∆ ajrch`~ aujtovptai kai; uJphrevtai genovmenoi (1:2).15 Put differently, the prefacer distinguishes himself not from the eyewitnesses, but from the “many who attempted16 to compose a narrative” (polloi; ejpeceivrhsan ajnatavxasqai dihvghsin) of recent events: whereas they tried – and fell short – he will succeed precisely because he was an eyewitness. It is autopsia that secures the reliability (ajsfavleia) of his narrative. It was Henry Cadbury who repeatedly stressed the importance of the verb parakolouqei`n as implying a strong claim: more to participation than to mere inquiry.17 Indeed, his question – “Can anyone adduce from Hellenistic literature an example of parakolouqevw meaning ‘investigate’?” – has never, to the best of my knowledge, been answered affirmatively and unambiguously.18 By exposing this “semasiological imposter”19, it becomes clear that the author of the Lukan preface is asserting a claim to first-hand knowledge: to wit, that he was both an aujtovpth~ and uJphrevth~. Again, Cadbury: “No particular contrasts are implied between the eyewitnesses and [the prefacer] but rather an association between them, so that he is giving us not contrasting or even successive stages but rather parallel sentences concerning his story.”20 Support for such a reading of the Lukan preface – and parakolouqei`n in particular – may be found in a contemporary preface of that notorious mountebank, Flavius Josephus. At Contra Apionem 1.53–56 Josephus takes aim at critics who had maligned his previous, although very different, historiographical efforts in the Bellum Judaicum and Antiquitates Judaicae. He does so by asserting the following: One ought to recognize that it is the duty of one who promises to present his readers with actual facts first to obtain an exact knowledge [ejpivstasqai 15 16 17 18

19 20

Note in particular the parallel between ajp∆ ajrch`~ and a[nwqen. Cf. the contemporary use of ejpiceirei`n in a similarly pejorative fashion by Josephus to dismiss the presumptuous efforts of his bête noire, Justus of Tiberius, who had also written a history of the Jewish war (Vita 40, 338; cf. BJ 1.3; CAp 2.222). See H. J. Cadbury, “‘We’ and ‘I’ Passages in Luke-Acts”, NTS 3 (1956–57) 128–132, esp. 130–131. Ibid., 131. The verb occasionally does mean “read”, but that is quite different, and usually applies to the readers of a work, not its author. The meaning of parakolouqei`n as “investigate” is without lexical support, although every modern English translation I have checked (RSV, NRSV, NIV, NASB, and NAB) renders it thus. Cf. H. J. Cadbury, “The Knowledge Claimed in Luke’s Preface”, The Expositor 24 (1922) 407, 408: “[W]e should be surprised that a meaning so little supported should be so emphatically and universally accepted”; and “It is nearly as difficult to find any modern protest against it as to find any ancient evidence to support it.” So Cadbury, “The Knowledge” (see n. 18) 408. H. J. Cadbury, “Commentary on the Preface of Luke”, in F. J. Foakes Jackson/K. Lake (eds.), The Beginnings of Christianity, Part I: The Acts of the Apostles, vol. 2: Prolegomena II, Criticism, Appendix C (London 1922) 510 (my emphasis).

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ajkribw`~] of them himself, either through having been in close touch with the events [parhkolouqhkovta toi`~ gegonovsin], or by inquiring [punqanovmenon] from those who knew them. That duty I consider myself to have amply fulfilled in both my works (CAp 1.53–54).

“Exact knowledge”, then, can be had only by direct participation in events or by inquiring from those who were themselves participants. As for the former, Josephus expresses and emphasizes the importance of a claim to first-hand knowledge with precisely the same perfect participle as the Lukan preface: parhkolouqhkovta (and contrast the very different meaning conveyed by the following punqanovmenon). The perfect is almost invariably the tense used wherever parakolouqei`n has this meaning: that is, the claim to possess information contemporaneous with the events and which has come as a result of personal engagement with those same events.21 Josephus then tries to (re)establish his credentials by a claim to have himself been an “actor” and “eyewitness”, at least as far as the events narrated in the Bellum are concerned: I wrote the history of the war having been an actor [aujtourgov~] in many, and an eyewitness [aujtovpth~] of most, of the events. In sum, nothing whatever was said or done of which I was ignorant. Surely, then, one cannot but regard as audacious the attempt of these critics to challenge my veracity (CAp 1.55–56).22

21

22

Hence the metaphorical extension of the root meaning, “to follow”. This is precisely how another contemporary, Papias, described his relationship with “the elders” (parhkolouqhkw`~ toi`~ presbutevroi~, 2.4), as well as the term by which he denied that the author of Mark’s gospel was a disciple of Jesus (ou[te parhkolouvqhsen aujtw/`, 2.15 [ed. Funk/Bihlmeyer]). Additional examples in Cadbury, “Commentary” (see n. 20) 501–502; id., “The Knowledge” (see n. 18) 408–409; and BDAG s.v. parakolouqevw 4. Cf. BJ 1.1–3, 13–18. I am not entirely confident that “actor” is the best rendering of aujtourgov~, which, when used substantively, has the general meaning of “one who works for himself”. By its use in conjunction with aujtovpth~, I take it that Josephus wants to say that there were events during the war in which he was personally involved (as an agent or participant), others of which he was only an eyewitness (presumably after his betrayal of the cause). If this is how these words are to be construed, it may shed some light on the meaning of aujtovptai and uJphrevtai at Luke 1:2. The latter has the general sense of one who “serves”, but in its Lukan context it also seems to convey the meaning of “participant” or even “actor” in the narrative (hence my translation above). If correct, that would mean that uJphrevth~ may imply an even stronger claim than aujtovpth~. That is, while all participants in a story are ipso facto eyewitnesses, not all eyewitnesses are actors or participants. Note that at 1 Cor. 4:1 Paul describes himself, Apollos, and Peter as uJphrevtai tou` Cristou`. And surprise! All three appear as characters in Acts. There, indeed, we also learn that it was the postmortem Christ who appeared to Paul and appointed him a uJphrevth~, mavrtu~, and (in so many words) an aujtovpth~ (Acts 26:16; cf. 13:5, where “John Mark” is also designated a uJphrevth~).

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Here we have two contemporary prefaces, expressing their claims with similar key terms, and in support of a similar end: the desire to establish with their readers or hearers a “contract with truth” on the basis of first-hand knowledge, and implicitly contesting the veracity of any narrative or claim that cannot be secured in such a fashion. Those critics who continue to cherish the belief that Luke-Acts was written by Paul’s friend and traveling companion, “Lukas, M.D.”, may find their hearts strangely warmed by my analysis so far. But it is one thing to recognize what the Lukan preface claims, quite another to ratify it,23 and I have already stipulated at the outset that the real author was neither a participant in the events he narrates nor possessed of any first-hand information.24 This is certainly no bold claim on my part; it has been the communis opinio for at least a century. Yet it also explains why the amply-supported meaning of parakolouqei`n has been (indeed, had to be) rejected, and an unsupportable meaning adopted in its place. Along with the recognition that Acts simply could not have been written by an eyewitness and companion of Paul, came the realization that something had to be done with the stubborn, prefatorial parakolouqei`n.25 Hence modern critics left no stone unturned in their efforts to deny its meaning, lest the author appear a liar. In so doing they simplified a problem which, had they lingered over it a bit longer, they might have discovered was more (or differently) complicated than had been suspected (or feared), and one, I submit, which is much more interesting and important. “Whether we believe him or not, the possibility must be left open that the author is claiming in the very beginning of his work to have been long in such close contact with the series of events which he unfolds as to be possessed of first-hand contemporary knowledge about them, and that perhaps he means to claim the knowledge of an actual eyewitness. At any rate he says nothing of research.”26 However one may finally construe the relationship between the (implied) author of the Lukan preface and the eyewitnesses, the preface itself announces that the narrative (dihvghsi~) that follows will concern itself with the recent past: it will be about “events that have been accom23

24

25 26

The same applies to Josephus’ preface. Need it be said that claims of aujtoyiva are not always sincere? Or, for that matter, accusations of ajorasiva? They are topoi. On this, see the redoubtable Lucian, Hist conscr 29; VH 1.4; cf. further Cadbury, “Commentary“ (see n. 20) 498–500. Knowledge of a collection of Paul’s letters does not constitute first-hand knowledge, and the question whether “Luke” knew the letters continues to be much debated. I happen to think that he did, that he made surreptitious use of them, and that he deliberately remained silent about it. This explains why the KJV renders the phrase differently from all other modern versions: “…having had perfect understanding of all things from the very first”. So Cadbury, “The Knowledge” (see n. 18) 419–420 (my emphasis).

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plished among us.”27 But just how recent is recent? If we were to locate Luke-Acts somewhere in the first half of the second century CE, could events unfolding, say, between the 30s and 60s CE really be understood as recent? The conventional dating of Luke-Acts “about 85 CE” has never persuaded me, no matter how many times I have heard it repeated. One reason for its popularity may simply be that it lies halfway between 70 CE (the destruction of the Jerusalem temple and/or the presumed date for the composition of Mark) and 100 CE (the end of the “first” century) – two dates that loom large in the imagination of modern readers but are utterly irrelevant for an ancient author. But the real reason, I suspect, is that many critics are chary of locating their preferred texts outside the saeculum sanctum – and Luke-Acts has long served as the main bearing beam in the regnant narrative of Christian origins.28 Two recent studies, however, have reopened the question of date, each making a persuasive case for the composition of Luke-Acts in the Hadrianic period (i.e., c. 120–125 CE).29 Or consider the question this way: Why would an author writing in the early second century end his account in the 60s CE?30 Why not bring the story down closer to the author’s own day, especially if that author claims to be writing a narrative of “events that have been accomplished among us” (Luke 1:1)? A temporal disjunction can be detected, I submit, between the implied date of composition and the real date (to the extent that the latter can be determined). And this reinforces the claim that the real author wants his narrative read as one composed much closer to the events his implied author relates. Acts concludes in Rome, at a time when Paul is still alive, with these words: “[Paul] lived there two whole years at his own expense and welcomed all who came to him…” (Acts 28:30–31). Because the author recorded Stephen’s death 27

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Note how this is emphasized by the author’s placement of “among us” inside the phrase: peri; tw`n peplhroforhmevnwn ejn hJmi`n pragmavtwn (1:1). The first-person here is used in a general sense, encompassing both author and dedicatee (i.e., readers). Its two other occurrences in the preface (1:2, 3) are strictly personal. Perhaps I should have written “once regnant”, for that narrative is now on the verge of virtual collapse; see A. J. Droge, “Cynics or Luddites? Excavating Q Studies”, Studies in Religion/Sciences Religieuses 37 (2008) 249–269. See R. I. Pervo, Dating Acts: Between the Evangelists and the Apologists (Santa Rosa [CA] 2006); and the concise survey of the history of the question in J. B. Tyson, Marcion and Luke-Acts: A Defining Struggle (Columbia [SC] 2006) 1–23. As I hope will become clear, my analysis lends to support to a later dating, but does not require it. With Tyson, I am inclined to read Luke-Acts as an anti-Marcionite work, but in lieu of entering that fray here, see best Tyson, ibid., 50–78 (on Acts), 79–120 (on Luke). At any rate, the confidence once held in the conventional dates for Luke-Acts and Marcion seems to me to be eroding. The same question could be posed even if one were to concede the conventional date of c. 85 CE.

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(Acts 7:54–60) and the execution of James the son of Zebedee (Acts 12:2), second-century readers would have had good reason to expect that a second-century author would have reported the deaths of Peter and Paul, had he known about them.31 In fact, readers were informed about Paul’s impending death in his farewell speech at Miletus (Acts 20:24–25) and again just before he left Caesarea for Jerusalem (21:13). Since neither Paul nor Peter’s death is recorded, it would appear to readers as if Acts was written at a time when Peter and Paul were still alive.32 The recognition of this temporal disjunction – between the real and implied date of composition – parallels the disjunction between the real and implied author of the preface, and leads to the conclusion that Luke-Acts has not only been written pseudonymously; it has also been fictitiously predated. This explains why the chronological scope of LukeActs is so attenuated (little more than three decades). It is not as if an author writing in the first half of the second century simply ran out of sources – or imagination! Rather, the limited chronological span of the narrative serves to underscore the implicit “eyewitness” character of the narrative. The author wants his readers to believe that he was also an actor in the events he relates and thereby guarantees.33

5. The prefacer’s dedication As Genette reminds us, whoever the putative addressee of a text may be, “there is always an ambiguity in the destination of a dedication, which is always intended for at least two addressees: the dedicatee, of course, but also the reader, for dedicating a work is a public act that the reader is, as it were, called upon to witness. [It is] a typically performative act… for in itself it constitutes the act it is supposed to describe; the formula is therefore not only ‘I dedicate this book to So-and-So’ (that is: ‘I am telling So-and-So that I am dedicating this book to him’), but also, 31 32 33

As would also late first-century CE readers. On this, see D. Trobisch, The First Edition of the New Testament (Oxford/New York 2000) 78–79. We see here the initial moves in the forging of a myth of the “apostolic age”, and a tell-tale marker, I would argue, of a second-century date for the composition of Luke-Acts. See the superb analysis of this in Mount, Pauline Christianity (see n. 2) 163–180 (though I disagree with his interpretation of the relationship between “Luke” and Marcion). Cf. the tradition reflected in the fourth-century Muratorian fragment (ll. 34–39): “The Acts, however, of all the apostles are written in one book. Luke, to most excellent Theophilus, includes events because they were done in his own presence, as he plainly shows by leaving out the passion of Peter, and also the departure of Paul from [Rome] on his journey to Spain.”

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and sometimes even more, ‘I am telling the reader that I am dedicating this book to So-and-So.’ (…) The dedication is always a matter of demonstration, ostentation, and exhibition: it proclaims a relationship, …actual or symbolic, and this proclamation is always at the service of the work, as a reason for elevating the work’s standing…”.34 In a rare lapse in judgment Henry Cadbury opined the following: “That [‘Luke’] intended to be anonymous is unlikely. His name was probably known to Theophilus and to others of his early readers.”35 Now an appropriately skeptical critic, aided and abetted by Genette, might ask: Where is the evidence that would warrant the “probability” of such a claim?36 The language in which the anonymous prefacer ad/dresses Theophilus – kravtiste (“most excellent”) – recalls, or rather anticipates, the form of address with which Paul, the most important character in the narrative, addresses Roman governors (Acts 23:26 [Felix]; 24:3 [Felix again]; 26:25 [Festus]).37 In other words, the dedication establishes at the outset a symmetry between “most excellent Theophilus” (the choice of name is nothing if not cute: “Godlover”!) and those Roman governors who begin to appear at the end of Acts as Christianity moves into the wider Roman world.38 The eletive superlative (“most excellent”) is not mere flattery; it signals that “Theophilus”, too, is to being set forth as an optimus Romanus, a high-ranking Roman official. The term is used of the prefects of Egypt as early as the reign of Nero, but for other officials it is relatively scarce until the middle of the second century CE – yet another reason for preferring a Hadrianic date for the composition of Luke-Acts.39 Through this symmetry, or mutual 34

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Genette, Paratexts (see n. 4) 134–135; cf. the analysis of Greek and Latin dedications in M. Citroni, “dedications”, OCD (Oxford/New York ³1996) 438–439, and the literature there cited. While a dedication is not determined by or indicative of a particular genre, Citroni notes that dedications are most commonly found in literature we might designate “allocutive”. Even after “the main method of publication was through the impersonal medium of the book trade, the dedication preserved the formulae derived from its origins in private circulation… The dedication continued to suggest, with more or less conviction, an atmosphere of private intimacy, even when literary discourse was addressed primarily to the general public, and to a future audience still unknown to the author” (439, my emphasis). H. J. Cadbury, The Making of Luke-Acts (London ²1968) 348. As Mount, Pauline Christianity (see n. 2) 74 n. 72, acutely observes: “The dialogue between author and patron may be a literary fiction (note, e.g., Letter of Aristeas 1–8), but the literary effectiveness of the fiction would depend on the reality of authorpatron relations. The author of Lk-Acts is claiming to write in the context implied by such a relation” (my emphasis). The term occurs only here in the New Testament. Just when the “we” passages also begin to appear. See Cadbury, “Commentary” (see n. 20) 505–506; cf. BDAG s.v. kravtisto~. The papyri appear to bear this out. A search of the DDBDP for kravtiste and kravtisto~ reveals that while the vocative occurs only once (P.Oxy. viii 1119 [253 CE]), other forms (“by the most excellent NN”, “from the most excellent NN”, “to the most excellent NN”)

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reinforcement, the dedication anticipates and indeed replicates the narrative. “Luke” is addressing the Roman world in the persona of “Theophilus”, just as his chief protagonist Paul will do with Roman governors in the narrative to follow. That is, the paratextual dedication offers the reader an important clue as to how to read: the anonymous author and his central character both testify to the same regime of truth.40 But there is more.

6. The “I” implied in the “we” The symmetry established between the anonymous author and his main character is much more than ideal – it is set forth as real – for both preface and narrative provide sufficient clues to secure its historical basis in terms of a personal connection. In the second half of Acts an anonymous narrator appears on the scene with Paul, who is therefore able to relate, among other things, the substance of what was said at Paul’s interviews with both Felix and Festus. In other words, the appearance of the first person plural in the so-called “we” passages in Acts clearly implies an “I”, and with it a connection between the “actorial I” of the narrative and the “authorial I” of the preface. Here is the payoff to the author’s prefatory claim parhkolouqhkevvnai a[nwqen pa`sin (Luke 1:3). In other words, the reader is invited, as it were, to believe that the anonymous author was also Paul’s anonymous companion, and was thus in a unique position to report specific events on the basis of his experience as an “eyewitness” and “participant”. So the reader learns that the (implied) author traveled with Paul from Troas in Asia Minor to Philippi in Macedonia (Acts 16:10–17), that he accompanied him from Philippi back to Miletus in Asia Minor (Acts 20:5–15), and from there to Jerusalem (Acts 21:1–18), and finally that he accompanied Paul during his last long voyage from Caesarea in Palestine to Rome (Acts 27:1–28:16).41 To attribute the “we” passages of Acts to redactional

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are much more frequent. Yet, of the several hundred occurrences I checked, only eight could be firmly dated to the first century. My thanks to John Kloppenborg for alerting me to this evidence. Put differently, “Luke” is to “most excellent Theophilus” as “Paul” is to “most excellent Festus and Felix”. Note in particular the symmetry drawn between the Roman governor Felix (Acts 24:22), who is “well informed” (ajkribevsteron eijdwv~) about Christianity, and Theophilus (Luke 1:4), who already possesses some information about Christianity (peri; w|n kathchvqh~), but who will come to even more secure knowledge as a result of reading the composition dedicated to him (i{na ejpignw/`~... lovgwn th;n ajsfavleian). Codex Bezae has an additional, but suspect, “we” passage at Acts 11:28. Some critics are perplexed by the sudden appearance and disappearance of the first person plural

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ineptitude or to the disingenuous use of a source – a “travel-diary”, for example – seems to me to stand in unresolved tension, if not outright contradiction, with the anonymous author’s otherwise sophisticated literary abilities in general and “redactional” skill in particular, especially when we can track his use of sources.42 Furthermore, lexicographical analysis has demonstrated that the “we” passages are not insertions of “foreign” elements into the narrative, but are similar to surrounding parts of the book. Such analysis has also made a rather strong case for the “Lukan” character of the entire work, and thus underscores the difficulty of distinguishing any of the sources used by the author.43 Crucial in this regard is the account of the shipwreck in Acts 27–28, which is one of the most distinctly literary sections of Acts.44 Indeed, beginning with the Odyssey, threatened or actual shipwrecks fill the pages of ancient novels; they are only one of dozens of trials the star-crossed lovers must undergo. It is almost certainly a Lukan invention, and it is precisely here that we find the use of the first person plural, or, more precisely, the authorial “I” implied in the “we”. The argument that the “we” passages embody a claim to personal participation on the part of the implied author seems to me the strongest of any of the alternative solutions to this longstanding problem insofar as “it involves no special explanation”. This is admitted even by one of the most convinced and eloquent advocates of the view that

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in Acts. For them I have only one word: subtlety! After the first appearance of the “we” – and the “I” it implies – that character never “disappears”, even when the narrative reverts to the third person. Attempts to distinguish between “tradition” and “redaction” without a surviving source are always fraught with difficulties, and any conclusion based on such an enterprise is precarious. See the classic study of A. von Harnack, The Acts of the Apostles (New York 1909) 225– 238 (who believed that the author of Acts was “Luke, the physician”, the traveling companion of Paul). Harnack’s lexicographical analysis has been confirmed by J. Dupont, The Sources of Acts: The Present Position (London 1964) 166: “Despite the most careful and detailed research, it has not been possible to define any of the sources used by the author of Acts in a way which will meet with widespread agreement among the critics.” Even M. Dibelius, Studies in the Acts of the Apostles (London 1956) 206, who also believed that “Luke” was a traveling companion of Paul, and made use of a travel diary, admitted that the sea voyage is “a literary composition of a secular kind” (into which “Luke” inserted references concerning Paul); cf. H. Koester, Introduction to the New Testament, 2 vols. (Philadelphia 1982) 2.50: “[T]he occurrence of the first-person plural cannot be used to determine and define such a source [viz. a travel diary], since the author of Acts also uses the ‘we’ as a stylistic device in sections where he certainly did not use any sources whatsoever; this is most evident in his narrative of the shipwreck (Acts 27–28).”

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Luke, the traveling companion of Paul, was the author of Luke-Acts.45 The objection that no forger would have introduced these implicit eyewitness claims so “sporadically” or “inconspicuously” simply does not withstand scrutiny. It is precisely the apparent casualness of the “we” passages that make them so artful and potentially persuasive. As for their appearing only sporadically, well, that simply is not the case. Viewed in relation to the overarching structure of Luke-Acts, an attentive reader could scarcely miss the careful and deliberate positioning of the first person: at the beginning (the preface to Luke), at the mid-point transition to the second volume (the preface to Acts), and at the end and climax of the narrative (the “we” passages, with their implied “I”). This, I submit, is neither sporadic nor inconspicuous; and it is certainly not accidental. The objection, that “the pseudepigrapher might be expected to make his point much more emphatically, to ensure that his reader could not miss it”46, is a non-issue. In fact, beginning with Irenaeus, no reader has missed it!47 Whether the reader chooses to believe it is of course an entirely different question. As Cadbury has aptly remarked: “The ‘we’ passages follow with less difficulty because of the significant though remote ‘I’ passage[s].”48

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See C. J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History (Winona Lake [IN] 1990) 319; cf. C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen: Lukas als Historiker der Paulusreisen (WUNT 56, Tübingen 1991) passim. P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur (Berlin/New York 1975) 387–392; V. Fusco, “Le sexioni-noi degli Atti nella discussione recente”, BeO 25 (1983) 73–86; and S. E. Porter, “The ‘We’ Passages”, in D. W. J. Gill/C. Gempf (eds.), The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting (The Book of Acts in Its First Century Setting II, Grand Rapids [MI]/Carlisle 1994) 545–574, offer useful surveys of the problem. Among many proposed solutions, cf. V. Robbins, “The WePassages in Acts and Ancient Sea Voyages”, BR 20 (1975) 5–18; E. Plümacher, “Wirklichkeitserfahrung und Geschichtsschreibung bei Lukas: Erwägungen zu den WirStücken der Apostelgeschichte”, ZNW (1977) 2–22; S. M. Praeder, “The Problem of First Person Narration in Acts”, NT 39 (1987) 193–218; J. Wehnert, Die Wir-Passagen der Apostelgeschichte: Ein lukanisches Stilmittel aus jüdischer Tradition (GTA 40, Göttingen 1989); and W. S. Campbell, The “We” Passages in the Acts of the Apostles: The Narrator as Narrative Character (SBL Studies in Biblical Literature 14, Atlanta 2007). Campbell recognizes that the “we” passages function as a narrative “voice” (what he terms somewhat awkwardly, “the ‘we’ narrator character”), but denies any connection with the (implied) author of Luke-Acts, who, he insists, never claimed personal participation in the events narrated. Hemer, Setting of Hellenistic History (see n. 45) 319. Irenaeus, Adv haer 3.1.1: “Luke also, the companion of Paul, set down in a book the gospel proclaimed by him” (cf. 3.14.1–3); on which, see best Mount, Pauline Christianity (see n. 2) 12–29. Cf. Canon Muratori l. 36. Cadbury, “‘We’ and ‘I’ Passages” (see n. 17) 131 (my emphasis).

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7. Naming the phenomenon In light of the foregoing I propose a new taxonomy: to wit, “oblique pseudonymity” or “implied authorship”.49 It now remains to be seen whether the Lukan exemplum is distinctive, or whether the new analytical term brings into the foreground other examples of this literary phenomenon.

8. Comparanda Are there any other examples of an ancient text (no matter what genre) that is ostensibly anonymous but nevertheless implies specific authorship? Let me offer a few examples, both Christian and non. Like Luke-Acts, the so-called Letter to the Hebrews was written anonymously and without title, and, again like Luke-Acts, was probably composed sometime in the first half of the second century.50 While the text makes no explicit claim to authorship, the paratext, this time in the form of an epilogue, clearly implies that the anonymous author wants his “letter” to be read as written by “Paul” – and this no doubt explains why almost all readers accepted it as such, just as they supposed Luke-Acts was written by a traveling companion of Paul. At Hebrews 13:22 the author writes: “I appeal to you, brothers, bear with my word of exhortation, for I have written to you briefly.” The expression, “word of exhortation” (oJ lovgo~ th`~ paraklhvsew~), is just the expression used at Acts 13:15 by leaders of the synagogue in Antioch of Pisidia, when they invited Paul to address their assembly. The verse immediately following in Hebrews reads: “I want you to know that our brother Timothy has been set free…” (Hebr. 13:23). Timothy, of course, is

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My colleague John Kloppenborg suggests the edgier “dissembling anonymity”, but this may fit the Lukan situation better than the literary phenomenon in general. Trobisch, First Edition (see n. 32) 46, also uses “implied authorship”; however, neither he nor I employ it in precisely the same fashion as W. Booth, The Rhetoric of Fiction (Chicago 1961) 74–75, who first coined the term. My use comes closer to what S. Chatman, Story and Discourse: Narrative Structure in Fiction and Film (Ithaca [NY] 1978) 216–228, means by “narrator”: the rhetorical device or “voice” which tells the story and speaks to the reader, and who, when dramatized as a character in the story, may serve as the implied author’s voice. But I do not wish to belabor this. The date of Hebrews depends on the date of 1 Clement. Although the latter is conventionally dated to c. 96 CE, L. L. Welborn, “Clement, First Epistle of”, ABD (New York 1992) 1.1055–1060, esp. 1060, presents a strong argument for dating it much later (c. 110–140 CE).

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referred to frequently in Paul’s authentic letters,51 is the fictional recipient of two Pauline forgeries,52 and in Acts is a traveling companion of Paul.53 In other words, it is precisely the use of such paratextual elements that implies Pauline authorship. I find it odd, then, that a recent commentator should think that “the mention of Timothy is too casual to be the work of a pseudepigraphist using the well-known name to suggest Pauline authorship”54. But if not pseudepigraphy, then what? Again, it is just such apparent casualness that is the pseudepigrapher’s – or any good name-dropper’s – stock-in-trade. Just as it is his occasional carelessness (or events beyond his control) that allows us to see his work for what it is. Hebrews is only an oblique form of what we would otherwise classify as a pseudepigraphon. The paratextual “commentary” at John 19:35 is also intriguing in this regard, and comes very close to the phenomenon I am trying to describe: a formally anonymous text that demands (urgently, in this case) that it be accepted as an eyewitness account written by one of the characters in the narrative. “He who saw this [the piercing of Jesus’ side] has testified so that you may also believe. His testimony is true, and he knows that he tells the truth.”55 The intervention of a voice asserting the narrative’s veracity – a veracity reasserted in an epilogue – is another instance of paratextuality: “This is the disciple who is testifying to these things and has written them, and we know that his testimony is true” (John 21:24). The reader is told by an unidentified but omniscient voice that an “eyewitness” wrote the book. That the “voice” making this claim is other than that of the putative author is a difference only of degree (or technique) from the “authorizing voice” of the “I” of the Lukan preface and the “we” passages in Acts. And once again we are more than likely dealing with a book produced sometime in the first half of the second century CE.56 The appearance of the first-person singular and plural in the Gospel of Peter, even in its fragmentary state of preservation, offers yet another 51 52 53 54 55

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1 Cor. 4:17; 16:10; 2 Cor. 1:1, 19; Phil. 2:19; 1 Thess. 1:1; Philem. 1; cf. Col. 1:1; 2 Thess. 1:1. 1 Tim. 1:2, 18; 6:20; 2 Tim. 1:2. Acts 16:1–3. H. W. Attridge, The Letter to the Hebrews (Hermeneia, Philadelphia 1989) 409 (my emphasis). See the excellent discussion in F. Kermode, The Genesis of Secrecy: On the Interpretation of Narrative (Cambridge [MA] 1979) 101–105, though his observation that “the disentangling of the concept of history from that of fiction is so much trickier than one might expect” (103) is a bit of a surprise coming from a literary critic. Cf. the proliferation of first person plurals and singulars in 1 John, yet another second-century text (c. 110–130 CE), roughly contemporary with the date I would assign to Luke-Acts.

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comparable example. “I” and “we” passages occur in two places: when the disciples (“I” and “we”) go into hiding after the execution of Jesus (7:2–3), and again when they (“we”) decide to “go home” (14:2). It is at just this point in the narrative that the “I” identifies himself: “I, Simon Peter, and Andrew, my brother, took our fishing nets and went away to the sea” (14:3). Whatever source(s) may underlie the Gospel of Peter, certainly no special historical value is ascribed to this text on the basis of these first-person statements – no more, I would argue, than should be accorded to Hebrews, the Gospel of John, or Luke-Acts. Similarly, when the so-called “apocryphal” Acts of John and the Acts of Philip contain occasional instances of the use of “I” and “we”, critics can discern no good reason to suppose that these are the relics or vestiges of a source, much less that they are based on actual eyewitness testimony.57 So why should anyone suppose that this is the case with “canonical” Acts?58 In all of these instances, first-person narration is a conceit designed to affirm or guarantee the authenticity of the story, or to lend it a certain vividness and color, or probably both. Put differently, rather than these first-person passages providing evidence of the antiquity of the text, or that an older source has been used in its composition, they indicate that the text in question is a new (i.e., recent) literary work. “It is not Mark’s, but Peter’s Gospel which contains first-person reporting!”59 Early (or earlier) Christian texts do not seem particularly concerned to insist on autopsia, or, for that matter, authorial attribution; that seems to be a distinctive feature of text production beginning in the second century CE.60 Passing beyond Christian literature into the wider Graeco-Roman world we might consider the Alexander Romance as comparable to Luke-Acts. The Romance combines third-person narrative with letters written in the first person allegedly by Alexander himself. There was of course a lively manufacture of fictitious letters in antiquity, so their presence in the Alexander Romance should occasion little surprise. Eduard Norden saw in this conjunction of fictive first- and third-person report something quite similar to what we find in Acts.61 Indeed, there are plenty of instances of fictitious first-person narrative to set alongside the first-person accounts of Acts. A. D. Nock, who came late to the view that the author of Acts was a traveling companion of Paul, said that he 57 58 59 60 61

See e.g. Acts of John 18–19, 60, 61, 62; Acts of Philip 33, 63. Answer: because it is “canonical”. Dibelius, Studies (see n. 44) 204. By this I certainly do not mean to imply that “earlier” somehow means “more historical” or “more authentic”. E. Norden, Agnostos Theos (Leipzig 1912) 316–318.

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knew of “only one possible parallel for the emphatic use of a questionable ‘we’ in consecutive narrative outside literature which is palpably fictional”62. But this, it seems to me, begs the question: It is sometimes very difficult to separate fact from fiction, especially when an author has adopted a pose of historical veracity, whether seriously or playfully. A comparison with some of the writings of Lucian of Samosata may shed additional light on this phenomenon, by moving the analysis away from questions of historical reliability or the use of sources and by repositioning it in relationship to the so-called Second Sophistic more generally. Among Lucian’s writings are several texts written both anonymously and with attribution; some have dedications, others do not. The account of the life and death of the Cynic philosopher, Peregrinus, names its author, Lucian, and is addressed to a certain Cronius. Early in the narrative an anonymous character stands up and gives the Cynic philosopher a much deserved comeuppance (§§ 7ff.). But based on what Lucian has previously said (§ 2), together with his failure to say a word about the identity of the character who delivers the harangue, there can be little doubt that this “other man” is none other than the author himself – Lucian – and that he expects his readers to draw this inference, but not necessarily to believe that such an encounter actually took place. The device is so transparent, in fact, that it can scarcely be regarded as anything but artistic. Through certain “clues” deliberately laid out in the text, the reader is invited, as it were, to identify the unnamed speaker with the author of the treatise. A similar device is employed in Lucian’s anonymous treatise, the Eunuch. “At this juncture”, Lucian writes, “a third person who was present – his name may remain in obscurity – said…”, and so on (§ 10). Here again readers are invited to identify the anonymous speaker, but this time with the anonymous author (i.e., with Lucian). We find another example of this artifice in the similarly anonymous, the Mistaken Critic, where an unidentified character borrows a prologue from Menander to speak for the comic poet (§§ 4ff.). Once again, anonymous author and anonymous speaker are to be read as one and the same “voice”. But in none of these cases should we suppose that Lucian is making a claim to an actual historical event or encounter. The “truth” he is giving expression to does not depend on its actually having happened. Now a character named “Lucian” does make an explicit appearance in one of his most celebrated treatises, the Alexander, when this “Lucian” actually confronts and tries to expose his nemesis, the “false 62

A. D. Nock, “The Book of Acts”, in id., Essays on Religion and the Ancient World, 2 vols. (ed. Z. Stewart, Oxford 1972) 2.827–828.

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prophet”. But here we must read very carefully. The work is written anonymously and dedicated to a certain Celsus. The “Lucian” who appears as a character and narrator in the Alexander is himself not without blemish or spot, and it is not entirely clear that in this case we are to identify the character with the author. For as R. Bracht Branham has aptly remarked of “Lucian’s” appearance, “the most geloios character in the narrative is suddenly the narrator”63. In other words, one can detect an attempt on Lucian’s part to “layer” the narrative in such a way as to put distance between Lucian, the anonymous author, and “Lucian”, the named character and narrator. By this conceit, Lucian (as opposed to “Lucian”) seems to be saying that in any attempt to expose a fraud one inevitably runs the risk of appearing as ridiculous as the imposter himself. Again I see no compelling reason to read this as anything other than a clever rhetorical ploy (and play!) on Lucian’s part. In fact, I see no reason to suppose that there ever was an “Alexander, the false prophet”. He, too, is a character of Lucian’s devising.64 I presume that Lucian expected that his readers would recognize this artifice for what it was, even if most modern readers have accepted the historicity of Lucianic texts like the Alexander and Peregrinus, as many New Testament critics have accepted the historicity – or historical intentionality – of Luke-Acts. If we were to place Luke-Acts into a literary world of similar conventions and expectations – that is, if we were to read Luke-Acts as part of the Second Sophistic – then the question of “history” or “fiction” might be construed quite differently than has typically been the case with this early Christian text. We might say that both Lucian and “Luke” participated in a shared literary culture, though perhaps with diametrically opposite intentions. To put it bluntly: whereas Lucian wanted to expose fraud, “Luke” wanted his readers to believe it! But in both cases, “reality” has been subordinated to the guiding ideas behind it.65

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R. B. Branham, “The Comic as Critic: Revenging Epicurus – a Study of Lucian’s Art of Comic Narrative”, Cl Ant 3 (1984) 160. Apart from Lucian’s treatise there is no evidence either for Alexander’s existence or the existence of his oracle-cult. The statue of a snake discovered at Constantza (ancient Tomis) in 1962 is generally taken to be Alexander’s Glykon. But the identification is dubious. Not only is the statue of Severan date, it does not have a human head. This is true of the numismatic evidence (a single coin) as well. My thanks to Andreas Bendlin for pointing this out to me. On the other hand, if Luke-Acts were assigned a later date, then one might read it as an implicit exposé of “Marcion, the arch-heretic”. I regret that I cannot pursue this further here.

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9. What a strange way that is of writing history!66 Luke-Acts is partly a reflection of contemporary life in different parts of the Roman empire, partly influenced by literary works, and partly sheer invention. The fact that it is not “true” does not render it any less important a historical source. Much the same could be said about Lucian’s oeuvre.67 I would only insist that such a recognition is a precondition for using either Lucian or “Luke” as a historical source. In calling attention to the artificial and imaginative character of Luke-Acts, I do not mean to resolve the question, “Is it ‘history’ or ‘fiction’?”, in terms of the latter, much less obscure the fundamental differences between Lucian and Luke-Acts. As Glen Bowersock has observed, “Lucian tries to pull down the distinction between fiction that we accept as fiction and fiction that is presented as a record of real events”68. I do not suppose that “Luke” would have endorsed such a radical project – much less contributed to it – for Luke-Acts, like so much of early Christian literature, wants to present itself as a record of “real” events. “Luke” was far too invested in the market to afford the luxury of a Lucian, who, in almost Mandarin fashion, could stand on the sidelines and direct his satire at the “irrational exuberance” of others. By and large professional readers of Luke-Acts try to explain it (and at times apologize for it) in terms of an all-too-vague “Hellenistic historiography”, which had sold its classical birthright for a mélange of rhetoric and fictional stories, leavened only by a few particular facts. So conceived, “Luke’s intention” or “reliability” or “achievement” must be judged and explained in terms of “the standards of truth of Hellenistic historiography”.69 But I wonder whether the classical ideal of Greek historiography ever existed, whether, in fact, the “histories” of Herodotus, Thucydides, and Polybius (for all the differences among them) are in fact so different from those of Dionysius of Halicarnassus, Philo of Byblos, Flavius Josephus, or even Luke-Acts (for all the differences among them). I am inclined to see the differentiation between socalled “classical” and “Hellenistic” historiography as a legacy of the trope of “decline”, a correlative of Hellenistic “decadence” and “credulity”, and not very suitable (much less persuasive) as an explanation for 66 67

68 69

Dibelius, Studies (see n. 44) 200. As K. Hopkins, “Novel Evidence for Roman Slavery”, Past & Present 138 (1993) 3–27, has demonstrated with the Life of Aesop, “for social history – for the history of culture, for the history of people’s understanding of their own society – fiction occupies a privileged position” (ibid., 6). On this, see further Bowersock, Fiction as History (see n. 2) passim. Bowersock, Fiction as History (see n. 2) 5–6. See e.g. the uneasy discussion in Mount, Pauline Christianity (see n. 2) 73–83.

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Luke-Acts, in particular, or the explosion of imaginative literature in the Roman imperial period, in general.70 Nor do I find the appeal to narratives that we today call “novels” or “romances” any more persuasive as an explanation for Luke-Acts.71 Quite apart from the lack of homogeneity within this vast body of literature, the romances do not purport to be a historical record of facts in quite the same way as Luke-Acts does, or for that matter a Philo of Byblos or Dictys of Crete. Glen Bowersock made this point well in his masterful 1991 Sather Lectures, Fiction as History: Nero to Julian: [T]he overt creation of fiction as a means of rewriting or even inventing the past was a serious business for the many of the ancients, and for us the enormous increase in fictional production of all kinds during the Roman empire poses major questions of historical interpretation. There was as much truth or falsehood in fiction as in history itself. Fiction must necessarily include not only overt works of the imagination, such as the novels and Lucian’s True Stories, but also the rewriting of the mythic and legendary past as part of a creation of a new and miraculous present. As Sextus Empiricus shows, all this belonged to the class of narratives (ta; iJstorouvmena), comprising realistic fiction and myths no less than history.72

One need not agree with Bowersock that Nero’s reign was ground-zero for the explosion of this kind of literature, but he is surely correct that it represents a break with the imperial mentalité that followed in the wake of the Augustan restoration and its appropriation of a Hellenic ideal of cultural identity and superiority. Almost inevitably, Bowersock writes, “after unification and coherence, after assimilation and consolidation, the diversity of the empire would begin to assert itself – at first with reference to the so-called barbarians at its fringes but ultimately by affirmation of the widely differing traditions within the imperial fabric itself”73. This burgeoning interest in other peoples and other places, in the fantastic and bizarre, is reflected as much in the circus and domestic art as it is in the kind of writing that “broke the banality of the Augustan peace and challenged both traditional Greek paideia 70

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How many times has the reader encountered something like the following? “The Hellenistic period is an age of contradictions. Initially science and reason co-existed with unreason and the love of the fantastic; in the end, the latter prevailed” (Gabba, “True History” [see n. 2] 55; yes, even the great Emilio Gabba!). I would simply like to know what period or epoch is not an “age of contradictions”? Perhaps we should just say that Thucydides was atypical. For an eloquent reading of Acts as a novel, see R. I. Pervo, Profit with Delight: The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987); but this requires him to minimize the narrative connection of Acts with Luke. Bowersock, Fiction as History (see n. 2) 12–13. Ibid., 31, cf. 36, where Bowersock speaks of “the growing tendency to break free of the Hellenic homogenization of the Roman peace in the East”.

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and the Roman mos maiorum”74. The new preoccupation of writers and readers in foreign customs and remote spaces reflects the emergence of a new standard of “otherness”. Once more, Bowersock: “Fiction, and perhaps fiction alone, signals the disappearance of barbarism as a conceptual means of asserting the superiority of Graeco-Roman culture. The old standard of Hellenism broke down in the second and third centuries, and in doing so it made way for a new kind of Hellenism, an ecumenical Hellenism that could actually embrace much that was formerly barbaric.”75 “Luke-Acts” as much as Lucian, I would argue, is exemplary of this cultural moment. The quest for the historical genre of Acts, the search for antecedents and parallels, runs the risk of overlooking the possibility that “influence” may have run in both directions.76 As a first step, then, Luke-Acts ought to be considered in such a context, a context much broader and more interesting than either the category of the “novel” or “Hellenistic historiography” can accommodate – a context in which readers where willing to entertain, and be entertained, by what the “barbarians” had to say. But we might go even farther, beyond even the (meta)categories of “history” and “fiction”, which are too often used as if they had more or less stability in their signification. History and fiction do not stand on their own; they require each other. They are 74 75

76

Ibid., 35. Ibid., 53. It may be no coincidence, then, that while the literate population was becoming more and more preoccupied with exploring the ethnicity and diversity of a polyglot Empire, imperial commissions in visual media stressed the opposite, and wanted rather to discredit the value of this novel “otherness”. Barbarians had been depicted on coins since the Republic, but they were typically shown alone, either singly or in pairs, and seated, standing, or kneeling by a trophy. But a new motif begins to appear on coins issued under the Flavians, perhaps in reaction to the shifting mood of Romans toward foreigners. On these coins, the emperor himself is often shown subjugating a helpless barbarian, either on horseback with a spear, or standing and stepping on one. Such motifs also exist in sculpture in the round, although few have survived. The most famous example is the statue of Hadrian from Ierapetra now in the Istanbul Museum (Istanbul 585 Inv. No. 50). But in sculpture, as in the coinage, the motif also begins under the Flavians. The earliest extant example is a sculpture of Vespasian from the Metroon in Olympia. For the coinage, A. C. Levi, Barbarians on Roman Imperial Coins and Sculpture (American Numismatic Society Notes and Monographs 123, New York 1952) 17–18; Hadrian in Istanbul, M. Wegner, Das römische Herrscherbild: Hadrian, Plotina, Marciana, Matidia, Sabina (Berlin 1956) 67– 69, 98; and N. Hannestad, Roman Art and Imperial Policy (Aarhus 1988) 200–201; Vespasian in Olympia, K. Hitzl, Olympische Forschungen, XIX: Die Kaiserzeitliche Statuenausstattung des Metroon (Berlin 1991) 52–55 (with pls. 30–33, 34b, 38a). I am grateful to Lee Ann Riccardi for bringing this evidence to my attention. She explores this motif in detail in a forthcoming study. A point raised in passing by Bowersock, Fiction as History (see n. 2) 139 n. 43: “No one seems to have asked whether Acts, whatever its genre, could have influenced the novelists. Once again we have the familiar failure to look for the impact of Christianity on polytheist culture.”

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contingent, not natural, categories, and they are certainly not innocent. They are terms of classification and contestation whose meanings are in constant flux, and can therefore only mean what they mean in a particular context. They have no more explanatory utility, however deeply embedded in the Western imagination they may be. To adapt Paul Veyne’s memorable phrase, then, we might say that “Luke” did not find the “truth”; he created it as he created his history.77 Or, we might just as well say that “Luke” proclaimed “truth” even as he immersed himself in fiction.

10. I was there… Forty years ago, and in the wake of a series of interventions spanning the previous four decades, the great Henry Cadbury lamented, “[W]hether the literary phenomena of the ‘we’ passages imply that the author of the whole work actually accompanied Paul…seems to be at present an insoluble riddle”78. I have tried to argue that the literary phenomenon of the “we” passages is a riddle that was intended to be solved – and that it can be simply by reversing the perspective in Cadbury’s lament. It is the literary phenomenon of the preface, and more precisely, the preface as paratext – as “a zone not only of transition but also of transaction, a privileged place of a pragmatics and a strategy, of an influence on the public”79 – that allows the reader to make sense of the “we” passages, and to draw the (dare I say?) obvious and intended conclusion: that the author of the entire work had actually accompanied Paul, that he was therefore both an aujtovpth~ and uJphrevth~, and that a reader might find in his story/history all the assurance and certainty (ajsfavleia) such an authorization could entail.

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78 79

See P. Veyne, Did the Greeks Believe in Their Myths? (Chicago 1988) xii, cf. 127: “Historical reflection is a criticism that diminishes the pretensions of knowledge and is limited to speaking truly about truths without presuming that a true Politics or Science exists. Is this criticism contradictory, and can one say that it is true that there are no truths? Yes, and by this we are not playing the game, taken from the Greeks, of the liar who is lying when he says, ‘I lie’ – which therefore is the truth. One is a liar not in general but in particular when one says this or that. An individual who would say, ‘I have always made up stories’, would not be making up a tale in saying that if he specified, ‘My storytelling consisted in believing that my successive imaginations were truths inscribed on the nature of things’.” Cadbury, Making of Luke-Acts (see n. 35) 357. Genette, Paratexts (see n. 4) 2.

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Allow me to conclude then with a passage from Mikhail Bulgakov’s novel, The Master and Margarita, which I offer merely as playful gloss on this Lukan ploy: “Your story is extraordinarily interesting, Professor, even if it bears no relation whatsoever to the gospel accounts.” “I beg your pardon”, replied the professor, with a condescending smile, “You of all people should know that absolutely nothing written in the gospels ever happened in actual fact… .” “That’s true…, but I’m afraid no one can confirm that what you told us actually took place either.” “Oh, no! There is someone who can confirm it!” retorted the professor… “The fact is…” at this point the professor looked around nervously and began speaking in a whisper, “I myself witnessed the whole thing. I was there… .”80

80

M. Bulgakov, The Master and Margarita (Dana Point [CA] 1995) 33–34.

Das Geschichtswerk des Lukas als Institutionsgeschichte. Die Vorbereitung des Zweiten Logos im Ersten HUBERT CANCIK

1. Institutionsgeschichte im Zweiten Logos 1.1 Die Bestimmung des Themas 1. Zu Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts beschreibt P. Cornelius Tacitus eine fremde, exotische Religion im Norden, eine erlaubte, reichsweit verbreitete Religion aus dem Orient und eine neue Religion im Zentrum des Imperiums. Die ethnographische Monographie über Ursprung, Lage und Sitte der Germanen beschreibt deren Religion „im allgemeinen“ (in commune) und die Kulte einzelner Stämme in einem besonderen Teil.1 Die Historien bringen, anlässlich der Eroberung von Jerusalem durch Vespasian und Titus, einen Exkurs über die Provinz Judaea und die Religion der Judäer.2 Die Religion der Germanen ist, so Tacitus, zwar urtümlich, barbarisch, aber sozusagen natürlich und gelegentlich durchaus mit der alten römischen Religion vergleichbar. Die jüdische Religion hingegen ist „konträr“ (contraria), eine Gegenreligion, ihr Prinzip Negativität. In seinen Annalen beschreibt Tacitus die Einrichtung und Entwicklung einer neuen Religion, des römischen Herrscherkults, von Augustus bis Nero.3 Er schildert detailliert und kritisch die Stadien und Instrumente und die Konsequenzen der Institutionalisierung. Das taciteische Oeuvre zeigt deutlich die Historisierung von Religion und die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Darstellung in der antiken politischen Historiographie. 1 2

3

Tacitus, Germania, cap. 9 und 10; 39 und 40. Tacitus, Historiae, Buch V; vgl. H. Cancik, „Religionsgeschichtsschreibung bei Tacitus. Zur Darstellung der germanischen und jüdischen Religion in Tacitus’ Germania und Historiae“ (2001), in id., Religionsgeschichten. Gesammelte Aufsätze II, ed. Hildegard CancikLindemaier (Tübingen 2008) 42–61. Tacitus, Annales, Buch I–XVI; Themenangabe: 1,10,6. 8; vgl. H. Cancik, „‚Nichts blieb übrig für die Verehrung der Götter’. Historische Reflexion über Herrscherverehrung bei Tacitus“ (1996), in id., Römische Religion im Kontext. Gesammelte Aufsätze I, ed. Hildegard Cancik-Lindemaier (Tübingen 2008) 227–245.

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2. Der Verfasser des zweibändigen „Berichtes“ (dihégesis) über Leben, Werke und Lehre des Jesus von Nazareth, seine Anhänger, seine „Schule“ (haíresis) und „Versammlung“ (ekklesía) ist,4 wenn die Spätdatierung verlässlich ist, ein Zeitgenosse des römischen Consulars und Historikers. Der Titel für diesen Bericht als Ganzen könnte ein schlichtes ta eis Iesoún gewesen sein oder „Über Jesus und seine Anhänger“ – peri Iesoú kai ton gnorímon autoú. Das Werk umfasst die Zeit von Augustus bis Nero, den Raum des imperium Romanum, das Zentrum Rom und blickt, ebenfalls wie Tacitus, auf einige Völker jenseits des mediterranen Reiches, ans Ende der Erde. Der geschichtliche Raum des Werkes ist also durchaus die kaiserzeitliche Welt, seine Konzeption jedoch ist ungewöhnlich. Kein anderes Evangelium hat eine Fortsetzung, oder: keine andere Apostelgeschichte hat ein Evangelium als Grundlage. Auch in der hellenischen und römischen Literatur ist es, soweit die desaströse Überlieferungslage es erkennen lässt, keineswegs ‚natürlich’, das Leben eines Stifters (Lehrers, Gründers, Erfinders) mit der Geschichte seiner Schule fortzusetzen. Welchen Platz also hat das lukanische Geschichtswerk in einer Geschichte der antiken Geschichtsschreibung? 1.2 Charisma und Institution 1. Ein Teilthema des lukanischen Geschichtswerkes ist, so die These dieses Versuchs, die Entstehung und Ausbreitung einer mehr ‚politisch’ oder mehr ‚philosophisch’ konzipierten Institution, der Ekklesia oder Hairesis der Christianer. Die Institutionsgeschichte, die neben anderen Themensträngen im Zweiten Logos enthalten ist, lässt sich in zehn Punkten zusammenfassen:5 1) Nach dem Tod eines Mitglieds der Kerngruppe und dem „Weggang“ der charismatischen Zentralperson (Lk 24,51: diéste) muss die 4 5

„Bericht“: Lk 1,1; „Schule“: Apg 24,5 – „Schule der Nazoräer“; vgl. scholé: Apg 19,9 (nur hier im NT); „Versammlung“: Apg 9,31 (Singular, aber nicht eine einzelne Ortsgemeinde). H. Cancik, „Kultur-, Religions-, Institutionsgeschichte in der antiken Geschichtsschreibung. Philologische Bemerkungen zum lukanischen Geschichtswerk“, in id., Religionsgeschichten (s. Anm. 2) 3–27, hier § 3.1; eine englische Fassung dieses Aufsatzes erschien unter dem Titel: “The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations Concerning Luke’s History“, JBL 116/4 (1997) 673-695. – Die ausdrückliche Kennzeichnung der Institutionsgeschichte als ein „Teilthema“ des Zweiten Logos (vgl. § 1.3.1; § 1.3.2; § 4) ist von Mark Reasoner (“The Theme of Acts: Institutional History or Divine Necessity in History“, JBL 118/4 [1999] 635–659) zwar zitiert, aber nicht beachtet worden.

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2) 3) 4)

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Gruppe sich ergänzen und neu formieren. Die ausführliche Schilderung des Verfahrens zeigt, dass die Gruppe handlungsfähig ist und sich geregelt erweitern kann. Das geregelte Verfahren ersetzt die zwingende Berufung durch den Charismatiker. Kriterien der Zugehörigkeit: Beschneidung notwendig oder nicht; Taufe; Empfang des Geistes. Vermögen: „allen alles gemeinsam“; vgl. die Geldsammlung Pauli für die Gemeinde in Jerusalem. Wachstum: die kleine Gruppe vergrößert sich sprunghaft nach Zahl und im Raum: von 3000 auf 5000, auf Myriaden; von Judaea, Galilaea, Samaria nach Phoenizien, Zypern, Kleinasien, schließlich Europa. Wachstum und Organisation: Das Wachstum erzwingt Veränderungen der Struktur (Diakonat/Apostolat). Differenzierung der Rollen – Funktionen – Gremien: Apostel, Diakone, Älteste, Propheten, Lehrer, Verwalter; die ‚Vollversammlung’ in Jerusalem. Peripherie/Zentrale: Das Wachstum erfordert zusätzliche Kommunikation: Inspektion, Briefe; überregionale, autoritative (Lehr-) Entscheidungen (Apg 16,4). Die Benennung der neuen Gruppe: „zuerst“ in Antiochien „Christianer“ genannt (Apg 11,26; vgl. 26,28). Abgrenzung gegen Pharisäer, Sadduzäer, Tempel, Priestertum und überwiegend positive Stellung zu römischer Verwaltung, Justiz, Militär. Integration – Spaltung: Die Erfolge bei der Werbung von Mitgliedern, die Zunahme an innerer Organisation, die Ausbildung eigener Identität, die Ansprüche auf das gemeinsame Erbe u. a. m. führen zu Spannungen nach ‚außen’ und schließlich, scheinbar notwendig, zur Abspaltung der neuen Gruppe vom Judentum.

Die zehn Punkte beschreiben ein Thema des Zweiten Logos, das als ‚Institutionsgeschichte’ verstanden werden kann. Ein antiker Titel für diese Geschichte könnte heißen: peri tes archés kai aúxeos tes ton Christianón ekklesías (hairéseos). Eine modernisierende Kurzfassung dieser Institutionsgeschichte könnte in der Begrifflichkeit der Religionssoziologie folgendermaßen lauten: ‚Eine religiöse Kleingruppe mit einem charismatischen Führer, deren Zusammenhalt primär aus der personalen Beziehung zu dem Führer folgt, transformiert sich nach dessen Weggang in eine expandierende Groß-Institution.’

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2. Die religionssoziologische Formulierung eines Teilthemas des Zweiten Logos im lukanischen Geschichtswerk benutzt in vereinfachter Form Begriffe und historische Modelle, die Max Weber in seinen Studien zu den gesellschaftlichen Umständen und Bedingungen von Herrschaft und Religion entwickelt hat. ‚Charisma’ ist eine als außeralltäglich geltende Qualität eines Menschen, die Autorität, Zuneigung, Bindung, Glauben erzeugen kann. Das Charisma tendiert dazu, sich zu veralltäglichen, zu verstetigen und, etwa durch Nachfolgeregelungen, zu institutionalisieren. Hubert Treiber hat diesen Transformationsprozess untersucht.6 Er unterscheidet drei Teilschritte: (a) Entpersonalisierung zu überpersonalen Rollen, Funktionen; (b) Formalisierung durch Regeln; Versachlichung; (c) Einbindung in eine Institution. – So entstehen „Dauergebilde“ mit Erbcharisma, Gentilcharisma, Amtscharisma. Durch Verschriftlichung und Kanonisierung wird die Lehre des Charismatikers und das erinnerte Leben des Charismatikers ‚auf Dauer gestellt’. Damit wird „das charismatische Zeitalter“ (M. Weber) beendet und zur Norm erhoben:7 „Insoweit die frühe christliche Kirche zu einem hierokratischen amtscharismatischen Dauergebilde geworden ist, bedeutet dies nicht nur eine Versachlichung des personengebundenen christlich-religiösen Charisma, sondern auch den Schritt hin zur Institutionalisierung, d. h. den Schritt zur ‚Loslösung des Charisma von der Person und seine(r) Verknüpfung mit der Institution und speziell mit dem Amt’ (WuG, S. 692).“ Lukas hat, in der Formensprache antiker, graeco-jüdischer Historiographie diese Transformation des Charismatikers in eine Institution dargestellt.

6

7

H. Treiber, „Anmerkungen zu Max Webers Charismakonzept“, Zeitschrift für Altorientalische und biblische Rechtsgeschichte 11 (2005) 195–213: Analyse und Kritik des Weberschen Konzeptes; W. Gebhardt/A. Zingerle/M. N. Ebert (eds.), Charisma. Theorie – Religion – Politik (Berlin/New York 1993); W. Schluchter (ed.), Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik (Frankfurt/M. 1985), darin (404–443): Reinhard Bendix, „Umbildung des persönlichen Charismas. Eine Anwendung von Max Webers Charismabegriff auf das Christentum“. – Ich danke meinem Kollegen Hubert Treiber (Hannover) für seine Kritik und für zahlreiche förderliche Hinweise. Treiber, „Max Webers Charismakonzept“ (s. Anm. 6) 211f. mit Zitat aus M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (WuG, Tübingen 51976) 692, und Hinweis auf die Quellen (Rudolf Sohm, Kirchenrecht. Die geschichtlichen Grundlagen I [Berlin 21923]). – Vgl. Winfried Gebhardt, Charisma als Lebensform (Berlin 1994) bes. 109ff.: „Die JesusBewegung und der Beginn ihrer Veralltäglichung“.

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1.3 Vom Zweiten zum Ersten Logos 1. Die Einheit der beiden Logoi und die Identität des Verfassers ist von vielen Gelehrten mit verschiedenartigen Argumenten dargelegt worden. Dadurch wird die Frage möglich, wie denn die für den Zweiten Logos erhobene Institutionsgeschichte im Ersten Logos vorbereitet werde. Die Einheit des Werkes wurde für das Vokabular, die Komposition, die literarischen patterns festgestellt.8 Es bestehen aber auch Bezüge zwischen Gestalten und Episoden, etwa den Heilungen und dem Prozess Jesu und Pauli.9 Die römischen Behörden versuchen, Jesus und Paulus freizulassen; ihre jüdischen Ankläger verhindern es in beiden Fällen.10 Die römischen Hauptleute im Ersten und Zweiten Logos erscheinen wie beabsichtigte Pendantbildungen.11 Unklar ist, welche Funktion der erste Prolog, die Vorgeschichte, das Zentraldatum für die Konstitution des Gesamtwerks haben. Gewiss gelten die historiographischen Prinzipien, die im ersten Prolog formuliert werden, auch für den Zweiten Logos: alles von Anfang an, vollständig, nach guten Gewährsleuten, genau zu berichten. Aber anders als etwa in dem großen Werkprolog des Livius, der einige hundert Jahre und mehr als einhundert Bände übergreift, gibt der erste Prolog des Lukas keinen Ausblick auf das Gesamtwerk.12 Im Gegensatz zu der klassischen Prologtopik zu Beginn ist die Vorgeschichte graeco-jüdische Prosa und Poesie. Der stilistische Gegensatz ist Programm. Denn der Weg des Evangeliums führt von Jerusalem über Athen nach Rom. Einen klaren Hinweis auf den zweiten Band und das Gesamtthema des Werkes gibt aber auch die Vorgeschichte nicht. Das Zentraldatum (Lk 3,1–2) synchronisiert lokale, regionale, imperiale Daten und zeigt so Raum und Anspruch der folgenden Geschichte: Es ist oekumenische Geschichte, reichsweit – „alle Völker“ sind be8

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R. Morgenthaler, Das Zweiheitsgesetz im lukanischen Werke. Eine stilkritische Untersuchung (Diss., Bern 1949 [Teildruck]); id., Lukas und Quintilian. Rhetorik als Erzählkunst (Zürich 1993); Ch. H. Talbert, Literary Patterns. Theological Themes and the Genre of Luke Acts (Missoula, Montana 1975) bes. 63. Lk 5,17–26//Apg 3,1–10; Lk 22–23//Apg 24–28. Lk 23,16. 20. 22//Apg 26,32; 28,17–18. – Vgl. Talbert, Literary Patterns (s. Anm. 8) 22: „The entire trial sequence in Luke (Evg.) is shaped, therefore, in order to parallel the trial sequence of Paul in Acts.“ Lk 7,1–10//Apg 10. Eine Beziehung des Prologs auf das Gesamtwerk vermuten Schleiermacher, Baur, Renan, Volkmar; skeptisch Franz Overbeck, „Einleitung“, in Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Kurze Erklärung der Apostelgeschichte. Vierte Auflage bearbeitet und stark erweitert von Lic. Th. F. O. (Leipzig 1870) XXI; vgl. id., Artikel: „Lucasevangelium (Verfasser) Selbsteinführung“, in Franz Overbeck, Werke und Nachlaß, vol. 5: Kirchenlexicon Texte, ed. B. von Reibnitz (Stuttgart/Weimar 1995) 687–688.

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troffen. Erst die Gestaltung, die Lukas der Bußpredigt des Täufers gegeben hat, bringt einen deutlicheren Verweis auf das Gesamtwerk. Lukas verlängert das traditionelle, auch bei den anderen Evangelisten benutzte Zitat aus Jesaja; er endet mit dem Satz: „und wird schauen alles Fleisch (pása sarx) das Rettende des Gottes“.13 Diesen Teil des Prologwortes wiederholt Lukas mit einer leichten Veränderung am Ende der Apostelgeschichte. Jedoch: Was am Anfang des Ersten Logos eine offene Verheißung war für „alle“, formuliert jetzt die Trennung der neuen von der alten Gruppe: „Zu den Völkern (tois éthnesi)“, sagt Paulus den ungläubigen Juden in Rom, „ist das Rettende des Gottes gesandt: Die werden es auch hören“.14 Durch dieses Zitat, so scheint es, sind der Eingang und das Ende des Werkes aufeinander bezogen. 2. Die beiden Logoi des lukanischen Geschichtswerkes sind etwa gleich lang; beide beginnen mit Prolog und Widmung; sie berichten jeweils über einen Zeitraum von dreißig Jahren; beide gipfeln in einem umständlichen Prozess vor den jüdischen und römischen Behörden. Davor liegen jeweils Reisen, Reden, Wundertaten15 und das erstaunliche Wachstum der Anhängerschaft im Ersten, der Gemeinden im Zweiten Logos.16 Entsprechend ist, so soll gezeigt werden, die Konstitution von Gruppen, ihre innere Ordnung und ihre Abgrenzung nach außen in beiden Logoi mit der gleichen Sorgfalt geschildert und aufeinander bezogen.

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Jes 40,3–5 bei Lk 3,4–6 und Apg 28,28; vgl. Lk 2,30. – Die drei anderen Evangelisten zitieren aus derselben Stelle (Mt 3,3; Mk 1,2–3; Joh 1,23), jedoch nicht den Ausblick auf „alles Fleisch“. a) Immerhin lassen sich einige Juden in Rom von Paulus überzeugen: 28,24. b) Einige Handschriften der Apg berichten von einer fortdauernden Debatte im römischen Judentum auch noch nach dem resignierten Schlusswort des Paulus: 28,29; die Passage ist von W. Nestle/K. Aland nicht in den Text aufgenommen. c) Paulus empfing weiterhin „alle“ in seiner römischen Mietwohnung; einige Handschriften verdeutlichen: „Judäer und Hellenen“ (28,30). Reisen: von Galiläa nach Jerusalem (Lk 9,51; 13,22; 17,11 u.ö.); von Jerusalem nach Rom (Apg 19,21; 27,1). Lk 5,17–26; 19,48; 21,38; vgl. H. Cancik, „Kultur-, Religions-, Institutionsgeschichte“ (s. Anm. 5) § 1.2.2.

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2. Der Charismatiker und die Konstitution der neuen Gruppe 2.1 Die Anfänge 1. Die Gruppe, die zu Beginn des Zweiten Logos durch eine geregelte Kooptation ihre Handlungsfähigkeit beweist, hatte der Charismatiker durch unmittelbare Berufung der Einzelnen und der Gruppe als solcher gebildet. Den Weggang des Charismatikers hat Lukas, wie kein anderer Evangelist, zu Beginn des Zweiten Logos mit der Schilderung der Aufnahme Jesu in den Himmel inszeniert. Mit diesem Weggang stellt sich das Nachfolgeproblem auf dramatische Weise; wird es nicht gelöst, droht der Zerfall der Bewegung. Die Gruppe muss sich nun – das hebt Lukas mit dieser Schilderung hervor – ohne die charismatische Zentralperson und ohne Judas neu formieren. Das Verfahren – Vorauswahl und Los – unterscheidet sich signifikant von der Bildung der Gruppe durch den Charismatiker. Dieser beruft Simon, Andreas, Jakobus und Johannes nach einem Wunder. Dem Erstberufenen Simon, der in beiden Logoi eine Sonderstellung einnimmt, wird ein neuer Beruf zugesprochen. Er soll Menschen – nicht Fische – lebend fangen, und zwar „ab jetzt“:17 „und sie verließen alles und folgten ihm“. Die Plötzlichkeit des Bruchs, die Aufgabe alter sozialer Beziehungen zeigen hier, ebenso wie bei der Berufung des Zöllners Levi,18 die Macht des Charismatikers und die psychologische Funktion der neuen Gruppe. Der neue Beruf Simons nennt ‚Menschen’ ohne jede nationale oder religiöse Beschränkung. Schon hier, bei der ersten Berufung wird auf die universale Mission verwiesen, die in der Vorgeschichte des Ersten Logos thematisiert und im Zweiten Logos narrativ entfaltet wird. Auch die Spannungen welche die Bildung der neuen Gruppe zu den alten Gruppen schafft, sind bereits in dieser Anfangsphase deutlich. Die Gleichnisse in diesem Kapitel lehren, dass neuer Wein nichts für alte Schläuche ist: Die neue Gruppe und ihre Lehre passt nicht in die alten Formen des Judentums.19 Die beiden Episoden, die diese Gleichnisse einfassen, demonstrieren das tertium comparationis: Die Jünger Jesu fasten nicht richtig (5,33–36), sie raufen Ähren am Sabbat (6,1– 5). 17 18 19

Lk 5,10–11. Lk 5,27–28. Lk 5,36–39: neuer Flicken/altes Gewand; junger Wein/alte Schläuche; Gewöhnung an alten Wein: der alte schmeckt ihm besser.

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2. Das Wachstum der Gruppe, der „Schüler“ und der weiteren Anhängerschaft führt zu Differenzierung und Hierarchisierung. Aus einer größeren Anzahl von Schülern trifft Jesus eine „Auslese“ und benennt sie mit einem eigenen Terminus und einer symbolischen, anspruchsvollen Zahl:20 „zwölf, die er Apostel nannte“. Simon, wieder an erster Stelle genannt, erhält – ohne Begründung – den Sondernamen ‚Petrus’. Die Bedeutung der Liste der Zwölf wird auch dadurch erhellt, dass sie zu Beginn des Zweiten Logos wiederholt wird. Es ist dieser Kreis, der – nach Lukas – die Identität und Kontinuität der gesamten Gruppe einschließlich von „Schülern“, Frauen, „Brüdern“ und Verwandten Jesu sichert.21 Nach ihrer „Auslese“ und Benennung tritt Jesus mit den Zwölfen in die Öffentlichkeit: „ein großer Haufen von Schülern und eine große Menge Volkes von ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstenlande von Tyros und Sidon“; die Bewegung greift also weit über das jüdische Kernland hinaus. Die Tätigkeit der Zwölfe (Lk 8) ist erfolgreich und führt wiederum zur Vergrößerung und Differenzierung der Gruppe. Jesus „proklamiert“ und sendet die „Siebzig“ aus, wieder eine anspruchsvolle Zahl.22 Sie symbolisiert nach 1 Mose 10 die siebzig Nationen der Erde oder, nach 4 Mose 11, die siebzig Ältesten, die Moses die Last des Volkes zu tragen helfen. Die Siebzig heißen nicht ‚Apostel’, obschon auch sie „ausgesandt“ (apo-stéllein) werden und die Macht erhalten, Dämonen auszutreiben (10,17). Die detaillierten Verhaltensregeln, die sie für ihre ‚Mission’ erhalten, verweisen auf die umfangreiche Missionstätigkeit, die im Zweiten Logos berichtet ist. So überrascht es nicht, dass die Aussendung der Siebzig nur bei Lukas steht; er hat hierdurch den Zweiten Logos vorbereitet und fundiert. 2.2 Der Aufbau der neuen Gruppe Die neue Gruppe besteht nun aus „Schülern“, den aus diesen „ausgelesenen“ zwölf „Aposteln“ und der Menge der Anhänger. Es gibt eine zeitlich begrenzte Teilgruppe mit besonderem Auftrag, die Siebzig. 20 21 22

Lk 6,12–16. Apg 1,13–15. Zwischen den Listen bestehen leichte Unterschiede. „Proklamiert“, „ernennt“ (an-édeixen); vgl. Lk 1,80 (aná-deixis) und Apg 1,24 – sonst nicht im NT. Vgl. H. Cancik, „Die Berufung des Johannes. Prophetische Tradition des Alten in der Geschichtsschreibung des Neuen Testaments“ (1982), in id., Religionsgeschichten (s. Anm. 2) 147–167, § 3.3. – Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, ed. J. Winckelmann (Tübingen 51976) § 10.3: „Der Herrschaftsverband Gemeinde: ist eine emotionale Vergemeinschaftung. Der Verwaltungsstab des charismatischen Herrn ist kein ‚Beamtentum’, ...“.

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Eine feste Teilgruppe sind die Frauen. Sie werden nach den Zwölfen als eine besondere Gruppe aufgeführt, die mit Jesus durch Stadt und Dorf zieht. Sie leisten „Diakonie“, und zwar „aus ihrem eignen Vermögen“: Maria Magdalena, Johanna, Susanna „und viele weitere“.23 Auch diese Partie ist lukanisches Sondergut.24 Der Erzählfaden, den Lukas mit den Frauengestalten der Vorgeschichte beginnt, führt in den Zweiten Logos zu Lydia, der Handelsfrau in Thyatira, und Priscilla, der vielgereisten.25 Innerhalb der Zwölfe bildet sich ein privilegierter Kreis – Petrus, Jakobus, Johannes – und dazu die Position des Sprechers. Simon Petrus ist Sprecher als der Erstberufene;26 er steht im Ersten und Zweiten Logos an der Spitze der Zwölferliste; er beantwortet, im Namen aller Schüler, die Frage Jesu nach dem Messias;27 er ist Zeuge der Verklärung und der Auferstehung.28 So wird er zum Nachfolger vorbereitet. Zu Beginn des Zweiten Logos leitet Petrus das Verfahren zur Kooptation des Matthias; damit beweist der Zwölferkreis seine Handlungsfähigkeit, auch nach dem „Weggang“ der charismatischen Zentralperson.29 Die Ausdifferenzierung von Rollen in der neuen Gruppe führt zum Vergleichen und Abwägen, wer denn der „Größere“ (meízon) unter ihnen sei.30 Die Rollenumkehr aber ist das Regulativ der neuen Gruppe: „Wer der Kleinere (mikróteros) unter euch ist, dieser ist groß (mégas).“ Die Antwort vermeidet den Komparativ der Fragesteller: Keiner ist der Größere. 2.3 Wachstum, Spaltung, Trennung 1. Die beiden Logoi des lukanischen Geschichtswerks sind auf Steigerung (klímax, gradatio) angelegt. Der Handlungsraum weitet sich, Anzahl und Rang der Anhänger und Gegner nehmen zu, die Konflikte steigern sich zu einem Kapitalprozess.31 Lukas versucht, das wunder23 24 25 26 27 28 29 30 31

Lk 8,1–3. – Vgl. Lk 10,38–42 (Maria und Martha: Lukas’ Sondergut); 23,27–31. 55–56; 24,10–11. Eine ähnliche Liste von Frauen, die Jesus begleiteten, bei Mt 27,55–56; Mk 15,40–41. Apg 16,14–15; 18, 2. 26; 1Kor 16,19; Röm 16,3 (varia lectio). Lk 5,1–11; bei Mt 4,18–22 und Mk 1,16–20 werden Simon und Andreas zusammen berufen. Lk 9,20. Lk 9,28; 22,31–34; 24,34 u. a. m. Apg 1,15–26. Lk 9,46–48. – Vgl. Lk 14,7–11. Diese Struktur ist bei Mk ausgebildet: H. Cancik, „Die Gattung Evangelium. Das Evangelium des Markus im Rahmen der antiken Historiographie“ (1981), in id., Religionsgeschichten (s. Anm. 2) § 4.2: „Rede – Steigerung – Peripetie“. ‚Wachstum’ ist fester Topos seit den Anfängen antiker Historiographie: Herodot 1,5,3–4 (Methode); 5,66 und 5,78 (Athen).

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bare Wachstum der Schüler und Anhänger im Ersten, der Getauften und der Gemeinde im Zweiten Logos mit Zahlenangaben einer neuen Dimension zu erfassen. „Myriaden“ sammeln sich um Jesus; viele „Myriaden“ sind schon gläubig unter den Juden, sagt Jakobus zu Paulus.32 Durch den auffälligen Wortgebrauch verklammert Lukas die beiden Logoi und begründet die Missionserfolge der Apostel in dem Erfolg der Lehre Jesu. Die neue Gruppe wächst nicht nur unter den Juden, sondern gerade auch unter den Völkern. Die ‚Wendung zu den Völkern’33 wird bereits zu Beginn des Ersten Logos thematisiert – „alles Fleisch“ – und in zahlreichen Episoden, Vergleichen und Lehrreden begründet. Jesus, aus seiner Heimatstadt verstoßen, erinnert an Elias, der nach Sarepta bei Sidon zog, und nicht nach Israel;34 Petrus soll „Menschen“ fangen; die Siebzig erhalten allgemeine Regeln für ihre Mission. Die ‚Hinwendung zu den Völkern’ ist häufig verbunden mit der ‚Abwendung von den Juden’, den ersten und eigentlichen Adressaten der Frohen Botschaft.35 Der neue Wein passt nicht in die alten Schläuche, ein neues Gewand zu ruinieren, um ein altes zu flicken, wäre Torheit. Wer alten Wein zu trinken gewohnt ist, will keinen neuen.36 Die Erstgeladenen kommen nicht zu dem großen Gastmahl; er rief viele, „alle“ sagten ab. So werden Bettler, Krüppel, Blinde, Lahme eingeladen und schließlich Gäste von den Landstraßen außerhalb der Stadt. Die Konsequenz kann nicht schärfer formuliert werden: „Keiner der (ursprünglich) Geladenen wird das Mahl kosten“.37 Die Arbeiter, die den Boten ihres Herrn misshandeln und seinen Sohn und Erben umbringen, werden den Weinberg nicht erhalten: Der Besitzer wird ihn „anderen“ (állois) geben.38 2. Die neue Gruppe bildet sich in einem durch zahlreiche politische, ökonomische, rechtliche und religiöse Einrichtungen strukturierten Raum. In beiden Logoi des lukanischen Geschichtswerkes ist das Ju32 33 34 35

36 37 38

Lk 12,1, abgeschwächt in Handschrift D (Cantabrigiensis Bezae): polloí óchloi; Apg 21,20: nur an diesen beiden Stellen im NT. Apg 13,46: strephómetha eis ta éthne. Lk 4,25–27. Vgl. Wayne A. Meeks, “Breaking Away: Three New Testament Pictures of Christianity’s Separation from the Jewish Communities”, in J. Neusner (ed.), To see ourselves as others see us. Christians, Jews, ‚Others’ in Late Antiquity (Chico, Calif. 1985) 93–115. Meeks sieht die Separation „um den Anfang des zweiten Jahrhunderts“ vollendet. Lk 5,33–39. Lk 14,15–24; vgl. Lk 15 (passim). Lk 20,9–19 mit Parallelen bei Mt 21,33–46 und Mk 12,1–12. Vgl. den allogenés in der Episode von den zehn Aussätzigen bei Lk 17,11–19 – das Wort nur hier im NT; und dieser „Fremde“ war ein Samariter (Lukas’ Sondergut). – Der gute Samariter: Lk 10,30–35 (Sondergut).

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dentum organisiert in „Schulen“ (Pharisäer, Sadduzäer), Synagogen, Tempel mit hierarchisierter Priesterschaft, Erzpriester und Gericht. Daneben stehen das römische Militär, die Verwaltung und Rechtsprechung in den Provinzhauptstädten sowie, im Zweiten Logos, verschiedene kommunale, politische und religiöse Instanzen. Das Wachstum der neuen Gruppe innerhalb und zwischen den alten Organisationen, Institutionen, Rechtssystem, Religionsparteien führt zu Konflikten.39 Sie beginnen früh im Ersten Logos mit der ersten öffentlichen Rede Jesu in der Synagoge von Nazareth,40 ziehen sich durch das gesamte Evangelium bis an das Ende des Zweiten Logos. Dabei werden die Grenzen zwischen der alten und der neuen Gruppe markiert und Kriterien der Zugehörigkeit verhandelt: die Regeln der Sabbatruhe, von Reinheit und Unreinheit, Mahlgemeinschaft. Die Konsolidierung der neuen Gruppe führt nicht nur zur Spaltung der Mutterreligion, sondern, so berichtet Lukas, auch zu Brüchen im privaten und sozialen Leben der Menschen. Durch die neue Bindung an den Charismatiker oder die jeweilige ekklesía werden alte Bindungen relativiert oder aufgelöst. Die Berufenen verlassen Arbeitsgerät, Arbeitsplatz, Haus und Besitz, Frau, Kinder und Eltern.41 Die ‚Gemeinde’ ersetzt die Familie:42 „Meine Mutter und meine Brüder sind diese, die das Wort Gottes hören und tun“. Die Familienbindung wird auf den Charismatiker und die ‚Gemeinde’ als eine „emotionale Vergemeinschaftung“ (M. Weber) übertragen.43 Dadurch werden die Familien „zerteilt“:44 „Meint ihr, dass ich da sei, den Frieden der Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern vielmehr die Entzweiung (dia-merismós). Es werden nämlich von jetzt an fünf in einem einzigen Hause entzweit sein: drei gegen zwei und zwei gegen drei werden entzweit sein, Vater gegen Sohn und Sohn gegen Vater, Mutter gegen Tochter und Tochter gegen Mutter, Schwiegermutter gegen Braut und Braut gegen Schwiegermutter.“

39 40 41 42 43 44

Vgl. H. Cancik, „Kultur-, Religions-, Institutionsgeschichte“ (s. Anm. 5) § 1.2.3; § 3.1.1. Lk 4,16–30. Hier auch bereits die Wendung zu den „anderen“, der Witwe im sidonischen Sarepta und zu Naiman, dem Syrer, nicht zu Israel. Lk 5,11; 18,28–30. Die Frauengruppe dagegen, die Jesus folgt, behält ihren Besitz, um die Männergruppe zu versorgen. Lk 8,19–21: Jesus und seine Verwandten. – Vgl. Lk 14,12: „nicht deine Brüder, deine Freunde, deine Verwandten und reichen Nachbarn“ lade zu einem Gastmahl, sondern die Bettler, Lahmen, Blinden. H. Cancik, „Der Kaiser-Eid. Zur Praxis der römischen Herrscherverehrung“ (2003), in id., Römische Religion im Kontext (s. Anm. 3) 246–260, § 2.2. Lk 12,51–53; vgl. Mt 10,21. 34–37.

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Eltern, Brüder, Verwandte, Freunde werden ihre Kinder, Verwandten und Freunde denunzieren.45 Selbst die humanitäre und familiäre Grundpflicht, einen Toten zu begraben, wird relativiert:46„Lass die Toten ihre Toten begraben“. Dieselbe Übertragung familiärer Bindungen auf eine andere Institution nutzt die gleichzeitige römische Herrscherverehrung. Die Bürger römischer Provinzen verpflichten sich zu persönlicher Loyalität gegenüber ihrem Kaiser. Der Kaiser-Eid von Aritium (37 n. Chr.) setzt die Liebe zu sich selbst und den eigenen Kindern zugunsten Caligulas außer Kraft: „und nicht werde ich mich oder meine Kinder für lieber/teurer halten als das Heil des Kaisers“ – neque me neque liberos meos eius salute cariores habebo. 3. Die Konstitution einer neuen Gruppe mit so hohen Ansprüchen, mit einem charismatischen Führer, einem Zwölferkreis, mit Sprecher, mit Vermögen, mit wachsender, überlokal organisierter Anhängerschaft47 entspricht allen antiken Befürchtungen vor der Bildung einer Hetairia, Spaltung der Bürgerschaft, Verschwörung und vor Unruhe, Tumult, Aufruhr (stasis).48 Der Vorwurf, das Volk zu „verdrehen“,49 überall „Unruhe“, „Spaltung“, stásis zu erregen,50 wird in beiden Logoi gegen Jesus und die Apostel erhoben. Er ist ein Indiz für die faktische, aber rechtlich nicht legitimierte Konsolidierung der neuen Gruppe. Der Vorwurf wird im Verlauf der Geschichte des antiken Christentums, auch in der Zeit des Lukas, von den legitimen Hütern von Recht und Ordnung wiederholt und exekutiert, von den christlichen Apologeten immer wieder entkräftet und erst durch die Edikte des vierten Jahrhunderts gegenstandslos.51 Diese Edikte bieten individuelle Religionsfreiheit, legalisieren die neue „Versammlung“ (Ekklesía) und ordnen sie in das System ‚Reichsreligion’ ein.52

45 46 47 48 49 50 51

52

Lk 21,16. Lk 9,59–60. Lk 19,48: „ein ganzes Volk“ hörte ihnen zu; 21,38: „das ganze Volk“ hing an ihm. H.-J. Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jh. v. Chr. (München 1985). Lk 23,2; vgl. 23,5. 14. Apg 16,19ff.; 17,6; 20,1; 24,5 u.ö. – 14,4: „Es war gespalten die Bevölkerung der Stadt“. Tertullian, Apologeticum 38–39: keine Christiana factio, wohl aber eine coitio. Die Christianer waren, bis zu den Toleranzedikten von Galerius, Licinius, Konstantin kein „zugelassener Verein“, im Unterschied zu den Juden auch keine religio licita im römischen Reich. Belege bei H. Cancik, „System und Entwicklung der römischen Reichsreligion. Augustus bis Theodosius I.“, in F. Graf (ed.), Die ersten vierhundert Jahre des Christentums (2009, im Druck).

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3. Pythagoras und seine „Schule“ bei Diodor und Aristoxenos 3.1 Stoffe, Formen, Termini der pythagoreischen Tradition Antike Werke, die den Gründer einer „Schule“ (haíresis) und deren Geschichte im Zusammenhang darstellen, waren, auch wenn man die desaströse Überlieferung berücksichtigt, nicht häufig.53 In pythagoreischer Tradition, so möchte man annehmen, sollten sich Beispiele finden. Denn der Gründer, ein Charismatiker von geheimnisvoller Herkunft, „Lehrer“, Wundertäter, „Philosoph“ aus Samos, hatte in den griechischen Städten von Unteritalien seit etwa 530 v. Chr. eine an Mitgliedern, Vermögen und politischem Einfluss starke Institution geschaffen. Sein „System“ (sy-stema, wörtl. Consistorium) hatte ein elaboriertes Aufnahmeritual, gemeinsames Vermögen, eine lange Phase der Unterweisung, kluge Regeln für den Austritt; unbedingte Freundschaft und Hilfsbereitschaft der Mitglieder untereinander waren gefordert, eine würdige, reine, tätige Lebensführung und die Verehrung des Pythagoras. Der Charismatiker schrieb nicht, er lehrte und wirkte. Er starb unspektakulär, anders als sein „Schüler“ Empedokles von Akragas, der in den Krater des Ätna sprang, und ernannte selbst seinen „Nachfolger“ (diádochos).54 Das Systema spaltete sich in ‚Akusmatiker’ und ‚Mathematiker’; es gab Verfolgungen und heroischen Untergang. Zweihundert Jahre nach ihrer Gründung erlosch die Schule. Erst jetzt werden, nach langer mündlicher Überlieferung, Leben und Lehren des Pythagoras verschriftlicht. Pythagoreische Lehre und Lebensform – der ‚Typ’ Pythagoras – wirken, in vielerlei Formen und Verbindungen: Apophthegma, „Symbol“, Anekdote, Bios, Legende, Roman55, in der philosophischen Diskussion, der Doxographie und in der Geschichtsschreibung. Genug Stoff und Texte, möchte man meinen, für Institutionsgeschichte und Diskussionen, wer die Lebensform des Gründers authentisch vertrete. Jedoch die erste Darstellung von Leben, Lehre, Schule des Pythagoras, die für uns wenigstens in Umrissen fassbar wird, stammt von Diodor, einem Historiker der caesarischen Zeit und muss ihrerseits gänzlich aus Zitaten spätantiker Autoren rekonstruiert werden. Die frühesten (fast) voll53 54 55

H. Cancik, „Kultur-, Religions-, Institutionsgeschichte“ (s. Anm. 5) § 3.1.2: „Schulgeschichte“ bei Dikaiarch (4. Jh. v. Chr.) und Philodem, Syntaxis der Philosophen (1. Jh. v. Chr.). Jamblich, Über das Leben des Pythagoras (künftig abgekürzt: VP) § 265. Antonius Diogenes, Ta hyper Thoulen ápista, ca. 100/150 n. Chr.; vgl. Philostrat, Zu Apollonios von Tyana (publiziert nach 217 n. Chr.).

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ständig erhaltenen Texte über Pythagoras sind noch etwa dreihundert Jahre später abgefasst, die doxographische Darstellung bei Diogenes Laertios (Buch VIII; Mitte 3. Jh. n. Chr.) und die vita Pythagorica des Porphyrios (ca. 234–305/310 n. Chr.). Zur Veranschaulichung des Überlieferungsbefundes seien diese Zahlen projiziert auf die Überlieferung über Jesus und seine Apostel. Die erste in Umrissen fassbare umfassende Darstellung von Leben und Lehre Jesu wäre uns überliefert aus dem frühen 6. Jh. n. Chr.56. Der früheste vollständige Text über Jesu und seiner Apostel Leben und Lehre wäre verfasst unter Kaiser Karl dem Großen. Aus der Zeit davor wären Nachrichten über die Anfänge des Christentums nur in Zitaten bei christlichen und nichtchristlichen Autoren überliefert. Das Gedankenexperiment lehrt, wie gut in dieser Hinsicht die Überlieferung der Jesus- und Apostelliteratur ist, und wie schwierig, unsicher, lückenhaft jeder Vergleich mit der pythagoreischen Literatur bleiben muss. 3.2 Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.), Historische Bibliothek, Buch X 1. Im zehnten Buch seiner vierzigbändigen Universalgeschichte berichtet Diodor, der Sizilier, über Leben, Lehre, Schüler des Pythagoras. Diodor schreibt eine Weltgeschichte von der Anthropogonie bis zu Caesars Gallischen Kriegen. In der Darstellung der Ereignisse des 6.–5. Jahrhunderts v. Chr. findet Pythagoras seinen Platz. Diodor dürfte, als Sizilier, ein besonderes Interesse am Wirken des Philosophen in Unteritalien gehabt haben, ähnlich wie seine Quellen Aristoxenos von Tarent und Timaios von Tauromenium (Taormina). Diodor beschränkt sich nicht auf Militaria und Diplomatie, sondern bezieht programmatisch die Kulturgeschichte ein, auch Mythen, Religion und Philosophie. Er vergleicht die Religionsstifter Zarathustra, Moses, Zalmoxis,57 rühmt die Gesetzgeber, die Erfinder in Technik und Wissenschaft, die Wohltäter der Menschheit.58 Diodor begründet sein Programm in einem höchst anspruchsvollen Proöm:59

56 57 58 59

500 Jahre nach dem Tode Jesu, analog zu Diodor, der etwa 500 Jahre nach der „Blüte“ des Pythagoras (um 530 v. Chr.) schrieb. Diodor 1,94,2. Diodor 1,2,1. Diodor 1,1; vgl. H. Cancik, „Die Rechtfertigung Gottes durch den ‚Fortschritt der Zeiten’. Zur Differenz jüdisch-christlicher und hellenisch-römischer Zeit- und Geschichtsvorstellungen“ (1983), in id., Antik – Modern. Beiträge zur römischen und deutschen Kulturgeschichte, ed. R. Faber/B. von Reibnitz/J. Rüpke (Stuttgart/Weimar 1998) 25–54, § 2.1: „Diodor: Zyklus und Geschichte“.

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„Und die Geschichtsschreiber schreiben die allgemeinen Taten der Oikumene auf, wie die einer einzigen Stadt, und weisen so ihre eigene Geschichtsschreibung aus als eine einzige Rechenschaftsablage und ein gemeinsames Verwaltungsamt über das, was sich vollendet hat (syntetelesménon).“

2. Die Geschichte des Pythagoras und seiner Anhänger bei Diodor ist von den Philologen des 18. und 19. Jahrhunderts aus zahlreichen spätantiken Zitaten gesammelt worden.60 Die Zitate beginnen mit der Datierung des Pythagoras in die 61. Olympiade.61 Sie führen herunter bis in die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. Diodor erzählt die Geschichte von Dionys II., dem Tyrannen von Syrakus, und der Bürgschaft des Damon für Phintias, ein pythagoreisches Paradigma von Freundestreue.62 Dionys ist seit 344 im Exil zu Korinth; Aristoxenos von Tarent (Blüte um 322/1), so erfahren wir aus anderer Quelle, habe die Geschichte selbst von ihm gehört.63 Innerhalb dieses Zeitrahmens (540/530 bis nach 344) werden die Fragmente wie folgt angeordnet: 1) a) Leben und Charakteristik des Pythagoras bis zur Rückkehr von Delos nach Italien (3,1–3,4); vgl. 6,1–4; b) Schule und Anhänger [gnórimoi] (3,5–4,6): gemeinsames Leben und Vermögen; Kleinias, Proros, Phintias, Damon; vgl. cap. 8; 11,2; 2) Lehre (5,1–9,8) und Lebensform: Gewissenserforschung – Selbstbeherrschung – Seelenwanderung – Vegetarismus – Pythagoras als Euphorbos (6,1–4) – Luxuskritik – Diaetetik – Anekdote über die Selbstbeherrschung des Archytas von Tarent – Mündlichkeit – Einschränkung der Eidesleistung – sexuelle Askese – Gebet; 3) Leben des Pythagoras und seiner Anhänger (10,1–11,2): Pythagoras’ Wirken in Kroton; Binnenproöm: Fortschritt und Verfall; die Hetairia des Kylon und seine Feindschaft gegen das 60 61

62 63

I. Bekker/L. Dindorf/Fr. Vogel, Diodori Bibliotheca Historica (Teubner 1890, Ndr. Stuttgart 1964) vol. II, p. Vff.: „De fragmentis librorum VI–X“. Vgl. Porphyrios, Vita Pythagorica 9 (aus Aristoxenos): In seinem 40. Lebensjahr verließ Pythagoras wegen der Tyrannis des Polykrates (ca. 538–522 v. Chr.) Samos und reiste nach Italien. – Diogenes Laertios (8,45) nennt die 60. Olympiade (540–536 v. Chr.) als „Blütezeit“ des Pythagoras. Diodor 10,4; vgl. Jamblich, Über das pythagoreische Leben, § 232–236 mit Angabe der Quelle: „Aristoxenos in ‚Über das pythagoreische Leben’“. Keine Quellenangabe bei Diodor. Aristoxenos, frg. 31 (Wehrli; F. Wehrli, Die Schule des Aristoteles, 2: Aristoxenos [Basel/ Stuttgart 1945, 21967]).

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Systema (wohl Mitte 5. Jh.); Lysis und Epameinondas (1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.); 4) Epilog: Über den Nutzen der Kenntnis des Bios früherer Männer; über Zeit, Ruhm, Erinnerung. Der Text endet mit dem Satz: „denn die vormals waren, werden von allen erinnert, als wären sie jetzt“.64 3. Trotz aller Unsicherheit, wie die Fragmente einzuordnen seien, wird deutlich, dass Diodor im 10. Buche seiner Weltgeschichte das Leben des Pythagoras in der traditionellen biographischen Topik beschrieben hat, seine Lehre und die Lebensform, den Aufstieg (pro-kopé, 10,10,2) und Niedergang (phthorá, diálysis) seines Systema, die Geschichte seiner Anhänger bis in die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr.: Archytas, Lysis, Kleinias, Proros, Phintias, Damon. Es ist auch deutlich, dass Diodor, jenseits seiner biographischen und doxographischen Interessen, auch Aspekte der besonderen Institutionen der Pythagoreer beachtet hat. Er nennt das Systema,65 die Hairesis, eine Hetairia;66 die Vertrauten, Freunde und Anhänger;67 den Lehrer, die Lernenden und „die mit jenem“, die Pythagoreer, als festen Namen einer gut organisierten Gruppe.68 Kleinias von Tarent half dem Proros von Kyrene, „obschon er diesen niemals gesehen hatte, nur weil er hörte, dass er Pythagoreer sei“.69 Es wird aber nicht deutlich, ob Diodor in irgendeiner Weise das ‚Verhältnis’ des Pythagoras zu seinem Systema thematisiert hat, die Frage der Authentizität der Lehre in der Geschichte der Schüler, ob überhaupt jenseits von Diodors allgemeinem Interesse für Kulturgeschichte eine kohärente Darstellung der Funktionen des Systema gegeben war.70 Dies ist der Befund der frühesten längeren, wenigstens fragmentarisch erhaltenen Darstellung des Pythagoreismus.

64 65 66 67 68 69 70

Diodor 10,12,3. Mneme ist ein Leitmotiv des pythagoreischen Bios, hier verbunden mit den spezifischen Leistungen der Geschichtsschreibung, vgl. Diodors Lob der Historie (1,1–2) und sein Lob der Schrift (12,12–13). Diodor 10,4,1; 10,11,1. Diodor 10,10,1; 10,11,1. Syn-éthes, philos, gnórimos: Diodor 10,3,5; 10,4,2. 4. Diodor 10,9,1; 10,10,2; 10,11,2. Diodor 10,4,1. Erwähnungen von Pythagoreern in späteren Büchern Diodors: 12,9 (Pythagoras und der Krieg zwischen Kroton und Sybaris); 12,20 (Zaleukos, „ein Schüler des Philosophen Pythagoras“); 15,76,4 (zum Jahre 366/365 v. Chr.: „Es waren zu diesen Zeiten ... noch die letzten der pythagoreischen Philosophen“).

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3.3 Aristoxenos von Tarent, „Über Pythagoras und seine Anhänger“ 1. Diodorus Siculus benutzt für seine Geschichte von Groß-Griechenland in Unteritalien und die darin eingelagerte Geschichte des Pythagoras und seines Systema Quellen aus dem vierten Jahrhundert v. Chr.: die „Historien“ des Timaios von Tauromenium (350/40–260/50 v. Chr.) und, indirekt, die pythagoreischen Schriften des Aristoxenos von Tarent.71 Die pythagoreische Tradition wurde also damals gleichzeitig von den Philosophen verarbeitet (Plato, Aristoteles) und von den Historikern in vielbändigen Geschichtswerken (Timaios) und in Schriften über Leben und Lebensform des Meisters und seiner Schüler (Aristoxenos). Alle Schriften des Aristoxenos, einige davon in mehr als zehn Bänden, sind verloren und müssen, wie das zehnte Buch Diodors lehrt, aus ebenfalls fragmentierten Schriften rekonstruiert werden. Aristoxenos verbindet die pythagoreische Tradition seiner Heimatstadt mit den historischen Wissenschaften, wie Aristoteles (gest. 322 v. Chr.), dessen Nachfolger er werden wollte, sie in Empirie und Theorie betrieben hatte.72 Wir verdanken ihm die Grundlagen der europäischen Musiktheorie. Während seine Schriften zu „Harmonik“ und „Rhythmik“ wenigstens teilweise erhalten blieben,73 ist das Spektrum seiner pythagoreischen Schriften, ihre Anlage, Quellen, Formen, Tendenz und Publikumsbezug ganz fragmentarisch und unsicher. Aristoxenos gilt als der Schöpfer des literarischen Philosophenbios. Er schreibt den Bios von Sokrates und von Plato, beide durchaus in kritischer Absicht. – Folgende Schriften bilden das pythagoreische Corpus:74 1) a) „Leben des Pythagoras“; b) „Über Pythagoras und seine Anhänger“ (peri Pythagórou kai ton gnorímon autou); 2) „Die pythagoreische Lebensform“ (bíos Pythagorikós); 3) „Pythagoreische Aussagen“ (Pythagorikaí apopháseis); 4) „Erziehungsgesetze“ (nómoi paideutikoí, mindestens 10 Bücher); 71

72 73 74

Timaios, FGrHist nr. 566. Timaios berichtete im Rahmen seiner Geschichte Siziliens und Unteritaliens über Pythagoras und Pythagoreer im 9. und 10. Buch seiner Historien. Timaios referierte auch die Lehre und die Geschichte der Schule bis zu deren Erlöschen. Einer seiner Gewährsleute ist Echekrates. Die Anlage des Berichts bei Timaios aber muss, wie die Diodors, aus Fragmenten erschlossen werden. – Zu Dikaiarch (4. Jh. v. Chr.) s. Anm. 53. F. Wehrli, Schule des Aristoteles (s. Anm. 63); vgl. H. Cancik, „Zur Verwissenschaftlichung des historischen Diskurses bei den Griechen“, in E. Blum/W. Johnstone/Ch. Markschies (eds.), Das Alte Testament – ein Geschichtsbuch? (Münster 2005) 87–100. Aristoxenos, Elementa harmonica, 3 Bücher; Elementa rhythmica; weitere musikologische Schriften sind verloren. Nachweise bei Wehrli, Schule des Aristoteles (s. Anm. 63).

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5) „Politische Gesetze (nómoi politikoí, mindestens 8 Bücher); 6) „Leben des Archytas von Tarent“ (bíos Archyta). Dieses Corpus enthält bereits das Formenrepertoire der pythagoreischen Tradition: Bios, Spruch, Gesetz; Apophthegma, Anekdote, dramatische Episode. Welchem Werke ein titellos überliefertes Zitat aus Aristoxenos zuzuweisen ist, bleibt of unsicher. Xenophilos, der Pythagoreer, gefragt, wie man wohl am besten seinen Sohn erziehen könne, sagte, „wenn dieser Bürger einer Stadt werde mit guten Gesetzen“. Dieser Ratschlag eines der „Anhänger“ des Pythagoras könnte in dem Buch über Pythagoras und seine Schule stehen, in den „Politischen Gesetzen“ oder dem pythagoreischen Bios. Der Ratschlag ist, ausnahmsweise, mit Autor und Titel zitiert:75 „Aristoxenos im zehnten der paideutikoí nómoi“. Dieses Werk dürfte eine umfangreiche pythagoreische Pädagogik enthalten haben; die „Politischen Gesetze“ eine pythagoreische Politik.76 2. a) Der Titel „Über Pythagoras und seine Anhänger (gnórimoi)“ ist ungewöhnlich.77 Er nennt nicht die „Nachfolger“, wie andere Schriften des Typus peri diadóchon, und nicht die „Schule“ (etwa: peri diatribés). Die Liste der Diadochen des Pythagoras ist durchaus bekannt; es gibt sogar eine Liste der „bekannten“ (gnorizómenoi) Pythagoreer. Sie ist geordnet nach Geschlecht und Ort. Zu Beginn stehen die bekannten Mitglieder aus Kroton – Hippostratos, Dymas, Aigon, Haimon, Ekphantos, Timaios, Myllias, Alkmaion, Milon u. v. a. m.; es folgen die „bekannten Pythagoreer“ aus Metapont, aus Akragas – Empedokles – und aus Elea – Parmenides; sodann eine große Anzahl aus Tarent, darunter Philolaos, Eurytos, Archytas, Echekrates, Simichias. Auch außerhalb Italiens gab es „bekannte“ Anhänger: in bzw. aus Karthago – Miltiades, Anthes, Hodios, Leokritos; in (aus) Paros, aus Pontos und Athen; sogar ein Hyperboreer ziert diese kostbare Liste: Abaris. Die Mitgliederzahlen werden addiert: „insgesamt 218 Männer“ und „insgesamt 17 Frauen“. Die Liste ist zwar erst bei Jamblich (ca. 250–330 n. Chr.) überliefert, aber sie gibt eine Vorstellung von dem, was Aristoxenos in seiner Schrift über die „Anhänger“ des Pythagoras hätte schreiben können.78 Erhalten ist ein Dutzend Bruchstücke.79 Sie lassen immer75 76 77 78

Diogenes Laertios 8,15 (frg. 43 Wehrli). Vgl. die Gesetze des Charondas bei Diodor 12,11,4–12,19,2 und die Gesetze des Zaleukos von Lokri, eines „Schülers“ des Pythagoras, bei Diodor 12,19,3–12,21,3. Der Titel „Über das Leben des Pythagoras“ ist wohl nur eine Kurzform des Langtitels, keine weitere Schrift des Aristoxenos. Jamblich, Über das pythagoreische Leben, § 265–266 und 267. Eine bestimmte Quelle nennt Jamblich nicht, aber er behauptet die Einheitlichkeit der Überlieferung: „Bei

Das Geschichtswerk des Lukas als Institutionsgeschichte

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hin erkennen, dass Aristoxenos „eine Lebensbeschreibung des Pythagoras und daran anschließend eine Geschichte des von ihm gegründeten pythagoreischen Bundes von den Anfängen bis in die Zeit des Aristoxenos selbst“ verfasst hat.80 Dies ist genau die Struktur, wie sie als Parallele für das Geschichtswerk des Lukas gesucht wird: die Geschichte des Gründers und seiner Gründung in einem einheitlich komponierten, auf dieses Thema konzentrierten Geschichtswerk. b) Anlage und Inhalt dieser Schrift lassen sich nicht zuverlässig rekonstruieren. Da Aristoxenos nicht nur zahlreiche Bücher über politische und erzieherische „Gesetze“ verfasst hat, sondern auch über die „Sitten“ der Stadt Mantineia, sollte man ein institutionsgeschichtliches Interesse für die pythagoreische Bewegung annehmen; klare Belege gibt es nicht.81 Immerhin werden folgende bekannte „Anhänger“ bei Aristoxenos genannt:82 Archipp; Archytas von Tarent; Charondas von Katane; Damon; Diokles von Phlius; Echekrates; Eurytos von Tarent; Lysis; Kleinias; Milon von Kroton; Phanto von Phlius; Philolaos von Tarent; Phintias; Polymnastos von Phlius; Simichos von Kenturipion; Xenophilos von Chalkidike; Zaleukos von Lokroi. Es gibt eine Bekehrungs- oder Berufungsgeschichte:83 Simichos, der Tyrann von Kenturipion, „hört von Pythagoras“, legt die Herrschaft ab, verteilt sein Geld an Schwester und Bürger und lebt ein einfaches pythagoreisches Leben. Aristoxenos schildert das Ende der Schule:84 Viele Pythagoreer verlassen Italien, Lysis geht nach Griechenland. In Rhegion (Reggio/Calabria) bildet sich ein neues Zentrum: „Sie bewahrten ihre von Anfang her (gültigen) Sitten (ex archés) und das Wissen (mathémata), obwohl die Schule (haíresis) ausging: bis sie auf edle Weise verschwanden. Dies aber berichtet Aristoxenos.“ Er hat „die letzten Pythagoreer“85 noch gesehen: Xenophilos, Phanton, Echekrates, Dio-

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allen herrscht Übereinstimmung darüber, dass Nachfolger des Pythagoras geworden ist Aristaios, der Krotoniate.“ Wehrli, Schule des Aristoteles (s. Anm. 63) frg. 14–25. K. von Fritz, „Pythagoras”, RE 47 (1963) 173f.; vgl. id., Pythagorean Politics in Southern Italy. An Analysis of the Sources (1940, Ndr. New York 1977) cap. I: „Reconstruction of the Versions of Aristoxenos and Dikaiarchos“. Vgl. etwa das „Haus“ des Milon in Kroton; die „Synhedria“ der Pythagoreer in Italien; die Hetairia des Kylon und die stásis zwischen Pythagoreern und den Anhängern des Kylon; die „Hairesis“ der Pythagoreer und ihr Untergang. Aristoxenos frg. 14–32, unter Einschluss des Bíos pythagorikós. – Weitere pythagoreische Freundespaare, die wahrscheinlich bei Aristoxenos erwähnt waren, sind: Kleinias und Poros; Euboul und Nausithoos; Possides und Miltiades; s. Jamblich, VP 127; 239; Diodor 10,4,1. Aristoxenos frg. 17, bei Porphyrios, VP 21; vgl. Jamblich, VP 7,33–34. Aristoxenos frg. 18, bei Jamblich, VP 248ff.; vgl. Porphyrios, VP 54ff. Aristoxenos frg. 19, bei Diogenes Laertios 8,46.

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kles, Polymnastos. Diese und Dionys II. sind offenbar von Aristoxenos selbst als Quellen genannt worden. Xenophilos war sein Vertrauter.86 3. Aristoxenos schreibt seinen Bericht „Über Pythagoras und seine Anhänger“, als die Schule erlischt, gerade „die letzten“ noch befragt werden können, bevor sie „verschwinden“. Er steht am Ende einer längeren Phase mündlicher Überlieferung, zu Beginn einer breiten Verschriftlichung des Pythagoreismus in mancherlei Formen von Philosophie und Historie.87 Eine geschichtliche Lebensform wird Literatur. Lukas schreibt seine beiden Logoi über Jesus, seine Schüler und Apostel als Zeuge einer jungen Bewegung, deren Organisation sich festigt, die sich in alle Regionen und Gesellschaftsschichten des römischen Imperiums und darüber hinaus ausbreitet, „bis zur äußersten Erde“. Die Schrift des Aristoxenos ist fragmentierte Tradition, in erheblicher zeitlicher Distanz zum Gründer entstanden, vermittelt durch längere mündliche Überlieferung. Die frühen Texte der Jesus-Literatur sind, im Vergleich zu Aristoxenos, zeitlich sehr nah am Ursprung: Passionsgeschichte, Spruchquelle, die ersten Texte ‚Über Jesus von Nazareth’. Aristoxenos bietet Leben des Gründers, Lehre, Sprüche, Gesetze, Geschichten über die bekannten Anhänger in jeweils eigenen Werken, die sich inhaltlich allerdings vielfach überschneiden. Institutionsgeschichtliche Aspekte sind, vielleicht aufgrund der schlechten Überlieferung, nur schwach zu erkennen. Lukas integriert Logia, Gleichnisse, Leben und Wirken des Gründers und seiner „Schüler“ in einen einzigen fortlaufenden Bericht, dessen institutionsgeschichtliche Aspekte in beiden Teilen des Werkes deutlich sind. Beide Autoren sind Historiker und persönlich engagiert. Aber im Unterschied zu Lukas ist Aristoxenos auch Philosoph und Musiktheoretiker. Die Pythagoreer pflegten – wie die Akademie Platons – den Musenkult, verehrten den Gründer, forderten Frömmigkeit im öffentlichen und persönlichen Leben. Religion aber und Theologie sind nicht der Mittelpunkt von Aristoxenos’ Werk, geschweige denn die Botschaft einer Gottheit oder ein missionarischer Auftrag für „alle Völker“.

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Aristoxenos frg. 25, bei Gellius, Noctes Atticae 4,11. Vgl. Porphyrios, VP 57–58: Zerstreuung der Schüler (di-espáresan állos allochoú); Gründe für die Verschriftlichung einer mündlichen und esoterischen Tradition; Überlieferung auch dieser hypomnémata nur innerhalb des „Hauses“.

Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte FRIEDRICH AVEMARIE

1. Wunder und Historiographie Die Apostelgeschichte ist voll von Wundern.1 Das wäre kaum erstaunlich, hätte sie ein Vorwort nach Art des „Goldenen Esels“ des Apuleius von Madaura, der mit fabulae nach „Kunstreiterart“, in denen Figuren und Geschicke nur so um- und umgewirbelt werden, seinem Publikum Ohrenkitzel und vergnügliche Unterhaltung verspricht.2 Aber der auctor ad Theophilum setzt seinem Werk ein anderes Programm voran (Lk 1,1–4):3 Er spricht von Ereignissen, „die sich unter uns erfüllt haben“ und durch „Diener des Wortes“ und Augenzeugen, die von Anfang an mit dabei waren, verbürgt sind, er verspricht Zuverlässigkeit, er betont sein Bemühen um Sorgfalt, Vollständigkeit und korrekte Reihenfolge; es geht ihm also um die Wahrheit und Tatsächlichkeit jener Ereignisse, um eine Wahrheit und Tatsächlichkeit, auf die sich Theophilos und die mit ihm angesprochenen impliziten Leserinnen und Leser verlassen können müssen, kurz, um Geschichte von verbindlicher Wichtigkeit. Dass sich ein solcher Anspruch nicht einfach ignorieren lässt, liegt auf der Hand, und so ist die Frage, wie sich denn das Wunder- und Romanhafte in der Apostelgeschichte mit dem historiographischen4 Anspruch des Autors verträgt, aus der Acta-Forschung der letzten Jahre nicht wegzudenken. Ein Großteil des Erzählstoffs, so formulierte 1998 L. Alexander das Problem, hätte einen gebildeten antiken Leser das Werk „in the danger-area of ‚fiction‘“ verorten lassen, während ihm 1 2 3 4

Das Ausmaß wird vor allem im Vergleich mit den Paulusbriefen deutlich; vgl. S. Schreiber, Paulus als Wundertäter. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zur Apostelgeschichte und den authentischen Paulusbriefen (BZNW 79, Berlin/New York 1996). Apuleius, Metamorphosen 1,1,1–6. Zum Lk-Prolog vgl. L. Alexander, The Preface to Luke’s Gospel. Literary convention and social context in Luke 1.1-4 and Acts 1.1 (MSSNTS 78, Cambridge 1993). Nach M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5, Tübingen 2008) 60, „lässt sich nur schwer bestreiten, dass Lukas den Lesern mit Hilfe seines Proömiums zu erkennen geben will, dass sie ein historiographisches Werk vor sich haben“.

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eine gegenläufige Unterströmung gleichzeitig suggeriert habe, „that it might after all be fact“.5 Es scheint allerdings, dass im selben Jahr E. Plümacher mit einer umfangreichen Studie darüber, wie die profane antike Historiographie mit dem Sensationellen und Mirakulösen umging, wenigstens teilweise eine Art Ehrenrettung der Apostelgeschichte erstritten hat.6 Für jene Spielart der antiken Geschichtsschreibung, die Plümacher, in Unterscheidung von der durch Thukydides und Polybios repräsentierten „pragmatischen“, als „mimetische“ bezeichnet,7 habe es zum Standard gehört, ihre Stoffe um der „gefühlsmäßigen Involvierung der Leser“ willen „mit den Mitteln der dramatischen Darstellungskunst“ zu erzählerischen Glanzstücken aufzubauschen,8 wobei das Grelle und Wunderhafte, trotz mancher Vorbehalte, meist als ein solches Darstellungsmittel akzeptiert wurde, zumal wenn es dazu dienen konnte, „dem Volk seine Frömmigkeit gegen die Götter zu erhalten“.9 Sich von dem Berichteten zu distanzieren – wie es etwa Josephus tut, der mit Rücksicht auf seinen Ruf als Historiker lieber von dem Kannibalismus im belagerten Jerusalem schweigen würde, wenn es dafür nicht „zahllose Zeugen“ gäbe10 – ist in der mimetisch-dramatischen Geschichtsschreibung hingegen unüblich.11 Der auctor ad Theophilum habe sich ihren Stil zu eigen gemacht, weil dessen Zweck, zu ergreifen und mitzureißen, sich mit seiner eigenen Absicht traf, die Leserschaft in der Überzeugung zu bestärken, dass die „von Gott und Geist geleitete und durch mancherlei Wunder bestätigte Kirche aus allen Konflikten … stets siegreich hervorgegangen war“.12 Dass die Apostelgeschichte von

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L. Alexander, “Fact, Fiction and the Genre of Acts“, NTS 44 (1998) 380–399, hier 397f. E. Plümacher, „Terateiva. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte“, in id., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und den Johannesakten, ed. J. Schröter/R. Brucker (WUNT 170, Tübingen 2004) 33–83 [erstmals in ZNW 89 (1998) 66–90]. Ibid., 34; ebenso J. Schröter, „Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums“, in id./A. Eddelbüttel (eds.), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive (ThBT 127, Berlin/ New York 2004) 201–219, hier 213. Der Ausdruck ist angelehnt an Duris von Samos, Macedonica, Frgm. 1, bei F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker, vol. IIa (Berlin 1926) 138; vgl. K. Meister, Historische Kritik bei Polybios (Palingenesia 9, Wiesbaden 1975) 109f., der hier allerdings von „tragischer“ Geschichtsschreibung spricht. Ibid., 39. Ibid., 69; es handelt sich um ein Zitat aus Polybios, Historiae 16,12,9. Josephus, Bell 6,200; dazu Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 6) 43f. Weitere Beispiele für eine auktoriale Distanzierung von (angeblichen) mündlichen Quellen gibt allerdings Alexander, „Fact“ (s. Anm. 5) 382–385 (zu Herodot). Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 6) 82.

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Wundern handelt, ist daher für Plümacher kein Grund, ihren Verfasser „aus der Zunft der Historiker aus[zu]schließen“.13 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt C. Rothschild in ihrer Dissertation von 2004 mit der These, dass die übernatürlichen Züge der lukanischen Erzählung ihrem historiographischen Charakter nicht nur nicht widersprechen, sondern im Gegenteil sogar dazu dienen, ihren Wahrheitsanspruch zu untermauern und damit ihre Glaubwürdigkeit zu steigern.14 Zu diesen literarischen Beglaubigungsmitteln gehörten Prophezeiungen künftiger Ereignisse, die später tatsächlich eintreten, desgleichen der göttliche Plan hinter allem Geschehen, wie ihn Lukas wiederholt mit dem Wörtchen dei`, „es muss“, zum Ausdruck bringt, auch die Wiederkehr analoger Geschehensabläufe, und seien es Visionen oder Engelerscheinungen; denn jede neue Information wirke desto glaubhafter, je stärker sie dem ähnelt, was man schon weiß und kennt. Wie Plümacher referiert auch Rothschild eindrucksvolle Parallelen aus der paganen Historiographie, besonders zu dem Gestaltungsmittel der Prophezeiung,15 und zeigt damit, dass das lukanische Doppelwerk von anderen antiken Geschichtsdarstellungen so prinzipiell verschieden nicht ist.16 Dennoch, ein zumindest gradueller Unterschied lässt sich schlecht bestreiten. Für ein Strafwunder nach Art der Blendung des Elymas in Act 13,6–12 nennt Plümacher zwar immerhin einen Beleg bei Poseidonios,17 und dass es Geschichtsschreiber gab, die Hannibals Weg über die Alpen mit helfenden Göttern und Heroen säumten, lässt sich der Polemik des Polybios entnehmen.18 Aber, so räumt Plümacher ein, Jesu Himmelfahrt oder auch Totenauferweckungen wie in Act 9,36–42 seien doch „sehr viel krasserer Natur“ als das, was die mimetische Geschichtsschreibung gemeinhin bietet.19 Und wenn das, was Omina, Träume oder Prophezeiungen zur Glaubwürdigkeit beizutragen vermögen, unvermeidlich davon abhängt, was die Lesenden solchen Erkenntnisquellen überhaupt zutrauen, so gilt Entsprechendes nicht minder auch für Straf- und Heilungswunder, die Translokation des Phil13 14 15 16

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Ibid., 57. Zu dem nicht-mirakulösen Sensationellen in der Apostelgeschichte s. ibid. 53–57. C. K. Rothschild, Luke-Acts and the Rhetoric of History (WUNT II 175, Tübingen 2004). Ibid., 150–158. Ähnlich wie Plümacher und Rothschild auch K. Backhaus, „Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche“, in id./ G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen (BThSt 86, Neukirchen-Vluyn 2007) 30–66, bes. 34–36. Bei Diodor, Bibliotheca historica 34/35,9 = Frgm. 142 Theiler, s. Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 6) 51, 57. Polybios, Historiae 47,8 und 48,9, s. Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 6) 45f. Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 6) 59.

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ippus in Act 8,39 oder die Zungenrede in 10,46 und 19,6. Es macht einen Unterschied, ob ein göttlicher Fingerzeig dazu dient, eine von Menschen betriebene Geschichte nachträglich zu legitimieren, oder ob die Geschichte durch ein göttliches Handeln überhaupt erst in Gang gebracht wurde. Gleichgültig kann dies nur dort sein, wo die Fiktionalität eines Textes der Leserschaft klar vor Augen steht und Referentialität auf ein real-weltliches Geschehen nicht erwartet wird, und insofern hat es die Klassifikation der Apostelgeschichte als historischer Roman, wie sie vor allem R. Pervo zu begründen versucht hat,20 mit dem Mirakulösen bei Lukas bedeutend leichter. Abgesehen von den Schwierigkeiten allerdings, die sie sich dafür mit dem Anspruch des Prologs (und etwa auch der Überlieferungstreue der lukanischen Markusbearbeitung) einhandelt, bietet sie auch nicht eo ipso schon eine Erklärung dafür, warum die Apostelgeschichte so voll von Wundern ist. Denn wie etwa das Esther- oder das Judithbuch zeigen, die Lukas gekannt haben dürfte,21 ist das Wunder keineswegs ein notwendiges Ingrediens antiker Historienfiktion. Es scheint demnach, dass die Genredebatte, wiewohl sie durchaus weiterführt, nicht zu einer umfassenden Klärung der Wunderproblematik verhilft. Als Alternative muss folglich die Möglichkeit in den Blick kommen, dass das Wunderhafte für Lukas nicht nur ein Mittel der Darstellung ist – ob nun zur Steigerung ihrer Plausibilität oder auch nur zu ihrer unterhaltsamen Verlebendigung –, sondern zugleich ein elementarer Teil der Botschaft. R. Strelan hat in einem gleichfalls noch recht neuen Beitrag daran erinnert, dass die Apostelgeschichte mit ihrem Durchdrungensein von shmei`a kai; tevrata, so befremdlich dies moderne Leserinnen und Leser anmutet, in der Antike doch nicht allein dasteht.22 Dass das antike Weltbild in dieser Hinsicht keineswegs einheitlich war, dass etwa jemand wie Plutarch Omina und Divination zwar anerkennen konnte, das artikulierte Sprechen eines Götterbildes hingegen für schlechterdings ausgeschlossen hielt,23 nimmt Strelan durchaus zur Kenntnis; doch geht er davon aus, dass in der hellenistisch-römischen Welt „all to some degree or another ‚believed in‘ the world of 20 21

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R. I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles (Philadelphia 1987). Das meint auch Pervo, Profit (s. Anm. 20) 119. Der von Pervo, ibid., 114, demselben Genre zugerechnete Aristeasbrief kommt ebenfalls ohne Wunder aus, und auch die griechische Esther-Bearbeitung bleibt mit dem rahmenden Traum des Mardochaios recht zurückhaltend. R. Strelan, Strange Acts. Studies in the Cultural World of the Acts of the Apostles (BZNW 126, Berlin/New York 2004) 18–26. Ibid., 23f., zu Plutarch, Coriolanus 38,1–4; das Beispiel zitiert auch Plümacher, „Terateiva“ (s. Anm. 6) 63f.

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divine and supra-human powers“,24 und wenn sich Christen in dieser Umwelt Gehör verschaffen wollten, musste der Gott, den sie verkündigten, stärker und heilsmächtiger sein als die Götter der anderen; „they had to offer a superior god“.25 Auch damit ist sicherlich Richtiges gesehen, zumal wenn man nach dem Erfolg urteilt, den das Christentum auf lange Sicht mit seiner Botschaft hatte; aber auch dies wiederum erklärt nicht alles, denn andere antike Autoren konnten, ebenso mit Erfolg, gerade entgegengesetzte weltanschauliche Positionen vertreten; man denke nur an Lukian. Am angemessensten dürften sich die Wundermotive der Apostelgeschichte erklären lassen, wenn man sie als Ausdruck eines eminent theologischen Interesses des Verfassers begreift. In diese Richtung geht die 2005 erschienene Dissertation von S. Shauf.26 Hinter der Einbeziehung göttlichen Handelns in die irdische Geschichte steht nach Shauf die Absicht des Lukas, diese „human history“27 theologisch zu deuten. Das göttliche Eingreifen sei für Lukas „the controlling factor in the interpretation of all of history“,28 das Deutungskriterium schlechthin. Um den Eindruck zu vermeiden, als könne man hier zwischen Geschichte und Interpretation prinzipiell unterscheiden, als habe es Lukas zunächst mit einer gleichsam vor-theologischen Geschichte zu tun gehabt, der er den Stempel seiner theologischen Deutung erst nachträglich aufprägte, sollte man vielleicht noch schärfer formulieren und sagen: Lukas hat es mit einer Geschichte zu tun, die anders als durch ein fortwährendes göttliches Eingreifen angetrieben und gelenkt gar nicht denkbar wäre. Und hieran möchte ich mit der These anknüpfen, die im Folgenden darzustellen und zu begründen sein wird. Sie lautet, dass sich in den vielerlei übernatürlichen Manifestationen und Zwischenfällen, von denen die Apostelgeschichte erzählt, im Grunde nichts anderes ereignet als eine Fortsetzung der Geschichte Jesu Christi unter den veränderten Voraussetzungen, die durch seine Auferstehung und Erhöhung zur Rechten Gottes geschaffen sind. Tatsächlich erscheint bei den meisten dieser übernatürlichen Manifesta24 25 26 27 28

Strelan, Strange Acts (s. Anm. 22) 26. Ibid., 24. S. Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19 (BZNW 133, Berlin/New York 2005). Ibid., 323. Ibid., 324. Für Shauf steht dies in unmittelbarem Zusammenhang mit der pragmatischen Funktion der Apostelgeschichte, ihren Leserinnen und Lesern Identität zu vermitteln; denn sofern die erzählte Geschichte ihre eigene ist (man denke an das ejn hJmi`n in Lk 1,1), gibt sie ihnen die Gewissheit, dass sie in diesen theologisch gedeuteten Ereignissen ihren Platz haben. Zur Funktion der Identitätsvermittlung vgl. ferner auch Backhaus, „Lukas der Maler“ (s. Anm. 16) 31 und passim; S. Hagene, Zeiten der Wiederherstellung. Studien zur lukanischen Geschichtstheologie (NTA 42, Münster 2003).

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tionen der erhöhte Herr als die eigentlich wirkende Instanz, sei es durch sein persönliches Agieren, sei es durch Formen von indirekter Einflussnahme. Unter diesem Blickwinkel erweist sich das Wunderhafte in der Apostelgeschichte als Darstellungsmittel und als Teil der Botschaft zugleich: Teil der Botschaft, insofern es zu dem Heil, dessen der auctor ad Theophilum seine Leserschaft versichern will, seinem Wesen nach hinzugehört, Mittel der Darstellung aber auch, insofern es christologische Kontinuität mit dem Evangelium herstellt und die Apostelgeschichte als Fortführung des dort dokumentierten Heilsgeschehens ausweist.29 An drei Themenbereichen möchte ich die These von der Fortsetzung der Geschichte Jesu in der Apostelgeschichte im Folgenden entfalten: an den Christusvisionen, von denen sie berichtet, an der Funktion, die sie Jesu Namen beilegt, besonders im Kontext von Heilungswundern, und an ihrer Darstellung des Wirkens des heiligen Geistes. Einschlägige Vorarbeiten zum Thema gibt es nur wenige; die meisten Untersuchungen zur lukanischen Christologie befassen sich mit Hoheitstiteln oder soteriologischen Zusammenhängen;30 die Möglichkeit, dass der Apostelgeschichte im ganzen ein christologisches Konzept zugrunde liegen könnte, wird nur selten ins Auge gefasst.31 Als hilfreich erweist sich allerdings der 1968 von C. F. D. Moule auf den zweiten Teil des lukanischen Werks gemünzte Begriff einer „absentee christology“,32 den Moule selbst zwar nur beiläufig verwendete, den andere aber heuristisch fruchtbar zu machen wussten. G. W. MacRae, 29

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Dass die Wunder der Apostelgeschichte nach Strelan, Strange Acts (s. Anm. 22) 10, in der Forschung bislang eher geringe Beachtung gefunden haben, könnte ein erstes Indiz für die Richtigkeit dieser These sein: Denn wird in den umso zahlreicheren Untersuchungen zu den Wundererzählungen der Evangelien nicht unausgesprochen unterstellt, dass sich mit deren Erforschung eine weitergehende Untersuchung der Acta-Wunder erübrigt? Vgl. den Forschungsüberblick bei H. D. Buckwalter, The Character and Purpose of Luke’s Christology (MSSNTS 89, Cambridge 1996) 6–24; Buckwalter unterscheidet hier nach Subordinationschristologie, Gottesknechtschristologie, Erlöserchristologie, Kreuzeschristologie, der Vorstellung vom Propheten wie Mose, Messias-Christologie, Erhöhungschristologie, Gottessohn-Christologie und anderem mehr. Von einer „whole variety“ von Christologien nicht nur in der Forschung, sondern auch bei Lukas selbst spricht C. M. Tuckett, “The Christology of Luke-Acts“, in J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142, Leuven 1999) 133–164, hier 139, wobei auch Tuckett sich an der Vielfalt der von Lukas aus der Tradition geschöpften Titulaturen orientiert (ibid., 139–149). Vgl. z.B. D. L. Bock, Proclamation from Prophecy and Pattern. Lucan Old Testament Christology (JSNT.S 12, Sheffield 1987), der für das gesamte lukanische Doppelwerk eine Bewegung von einer Christologie der Messianität und Gottesknechtschaft hin zu einer Kyrios-Christologie beobachtet (passim). C. F. D. Moule, “The Christology of Acts“, in L. E. Keck/J. L. Martyn (eds.), Studies in Luke-Acts, FS P. Schubert (Nashville/New York 1968) 159–185, hier 179f. (im Übrigen widmet sich Moules Beitrag in erster Linie ebenfalls christologischen Titeln).

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der Jesu Abwesenheit als den eigentümlichsten Zug der Christologie der Apostelgeschichte empfand, unterschied gleichwohl nicht weniger als vier verschiedene Modi, in denen Lukas den abwesenden Herrn in seiner Gemeinde gegenwärtig werden lässt: im Wirken des Geistes, in der Macht seines Namens, in der verkündigten Erinnerung und in der Nachahmung Jesu im Handeln der Jünger.33 Mit den ersten beiden dieser Modi ist die Wunderproblematik mittelbar berührt. H. D. Buckwalter sieht darüber hinaus die lukanische Darstellung von Jesu Wirken in der werdenden Kirche präfiguriert durch die alttestamentliche Rede vom Wirken Gottes in der Geschichte Israels und belegt dies insbesondere an den Begriffen des Geistes und des Namens sowie an der Vorstellung von Gottes Unsichtbarkeit.34 Von daher ist es verständlich – und in gewissem Maße auch berechtigt –, dass er die Rede von einer Abwesenheitschristologie letztlich als unangemessen ablehnt,35 wenngleich in den Kernpunkten zwischen ihm und MacRae Einvernehmen besteht.36 In einem Punkt sei Buckwalter allerdings widersprochen: Unsichtbar bleibt der Erhöhte in der Apostelgeschichte nicht; er zeigt sich den Jüngern in Visionen, und Lukas spricht dabei auch explizit von optischer Wahrnehmung (7,56; 22,18; 26,16). Auch wenn es schon in den ersten Kapiteln des Doppelwerks deutlich wird, wie sehr ihm daran liegt, in seiner Darstellung die alten biblischen Formen göttlicher Mitteilung aufleben zu lassen – besonders im Auftreten von Engeln und in geistgewirkter Prophetie –, so bieten ihm doch die christologischen Rahmenvorgaben der Apostelgeschichte, Auferstehung und Erhöhung, gestalterische Möglichkeiten, die das klassische Repertoire noch um einiges erweitern. Wenden wir uns dem nun zu. 33 34 35 36

G. W. MacRae, “‘Whom Heaven Must Receive Until The Time‘: Reflections on the Christology of Acts“, in id., Studies in the New Testament and Gnosticism (GNS 26, Wilmington 1987) 47-64, hier 54–64. H. D. Buckwalter, Character (s. Anm. 30) 180–185. Vgl. ibid., 173–175 und passim; dazu kritisch Tuckett, “Chistology“ (s. Anm. 30) 156. Vgl. auch W. J. Larkin Jr., “The Spirit and Jesus ‘on Mission‘ in the Postresurrection and Postascension Stages of Salvation History. The Impact of the Pneumatology of Acts on Its Christology“, in A. M. Donaldson/T. B. Sailors (eds.), New Testament Greek and Exegesis, FS G. W. Hawthorne (Grand Rapids 2003) 121–139. Larkin unterscheidet hier bei Jesu nachösterlichem Wirken zwischen Heilsmitteilung, Herrschaft, Sendung und Leitung (128–138). Vgl. ferner J. Ernst, Herr der Geschichte. Perspektiven der lukanischen Eschatologie (SBS 88, Stuttgart 1978) 112: „Lukas verkündet Christus als den Gekommenen, als den Wiederkommenden und als den in den Himmel Erhöhten, der in der gegenwärtigen Zwischenzeit im Wirken der Kirche und im Pneuma erfahren wird“; sowie P. Pokorný/U. Heckel, Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick (Tübingen 2007) 483: Thema der Apostelgeschichte „sind nicht einfach ‚die Taten der Apostel‘ …, sondern das Wirken des erhöhten Herrn, der im Himmel weilt … und auf Erden durch seine vom Geist inspirierten Zeugen tätig ist“, und 484: „Jesus … ist der Hauptakteur“ (im Original kursiv).

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2. Erscheinungen des Herrn Visionen und Traumgesichte erfreuten sich als potentielle Medien göttlicher Mitteilungen in der paganen und erst recht der jüdischen antiken Welt vergleichsweise breiter Anerkennung;37 philosophische Kritik, wie sie vor allem Aristoteles und Cicero geäußert hatten,38 hinderte Autoren wie Josephus oder auch Plutarch nicht daran, in ihren historischen Werken von dem Erzählmotiv der Traumvision kräftig Gebrauch zu machen.39 Im Neuen Testament ist es die Apostelgeschichte, die mit Abstand am häufigsten von Visionen und nächtlichen Erscheinungen spricht,40 und dass ihr Verfasser bei diesem Typ von göttlicher Mitteilung tatsächlich mit Akzeptanz auch über den unmittelbaren eigenen Adressatenkreis hinaus rechnete, zeigt sich in 26,19, wo Paulus gegenüber König Agrippa sein Verhalten damit rechtfertigt, dass er der oujravnio~ ojptasiva, die er vor Damaskus erlebt hatte, nicht „ungehorsam“ sein wollte. Die Anlässe und Inhalte der Acta-Visionen sind unterschiedlich; die meisten aber widerfahren Paulus, und am häufigsten erscheint der erhöhte Herr. Stephanus schaut, ehe man ihn steinigt, den himmlischen Menschensohn (7,55f.); Petrus sieht unreines Getier vom Himmel schweben und vernimmt eine Stimme, die ihn zum Schlachten und Essen auffordert (10,11f.; 11,5f.); Paulus erlebt seine erste Christusbegegnung vor Damaskus (9,3–6; 22,6–10; 26,13–19); in der Stadt angekommen, sieht er in einer Vision den Jünger Hananias, während diesem gleichzeitig der Herr erscheint (9,10–16); eine zweite Christusvision wird ihm beim Gebet im Jerusalemer Tempel zuteil (22,17–21), eine weitere nachts in Korinth (18,9f.) und eine letzte in der Nacht nach seiner Verhaftung in Jerusalem (23,11); außerdem erscheint ihm in einem Nachtgesicht in der Stadt Troas ein Makedone, der ihn einlädt, in Makedonien zu missionieren (16,9).41 In 9,10–16 sowie in 18,9f. und 23,11 wird der Erscheinende nur knapp mit oJ kuvrio~ bezeichnet, was für sich genommen in der Apostelgeschichte zweideutig wäre; doch an 37 38 39

40 41

Vgl. J. S. Hanson, “Dreams and Visions in the Graeco-Roman World and Early Christianity“, ANRW II 23.2 (1980) 1395–1427, hier 1395 und passim. Vgl. ibid., 1399f., auch zu Platon, der allerdings keine einheitliche Linie vertritt. Vgl. die Beispiele ibid., 1403f. u. 1415–1419: Josephus, Ant 11,326–335; Plutarch, Lucullus 12,1–2; Eumenes 6,4–7; dazu Dionysios v. Halikarnassos, Antiquitates Romanae 1,57,3f. Zu Josephus s. R. K. Gnuse, Dreams and Dream Reports in the Writings of Josephus. A Traditio-Historical Analysis (AGAJU 36, Leiden 1996). Vgl. Hanson, “Dreams“ (s. Anm. 37) 1422; J. B. F. Miller, Convinced that God had called us. Dreams, visions, and the perception of God’s will in Luke-Acts (Biblical Interpretation Series 85, Leiden/Boston 2007) 1. Erkennbar ist der Mann als Makedone spätestens, als er Paulus auffordert, „nach Makedonien“ zu kommen und „uns“ zu helfen.

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allen drei Stellen geht aus den Mitteilungen des Erscheinenden jeweils hinreichend deutlich hervor, dass der Kyrios Jesus gemeint ist: „meinen Namen zu tragen vor Völkern und Königen …“ (9,15), „mir ist viel Volk in dieser Stadt“ (18,10), „denn wie du von mir in Jerusalem Zeugnis gegeben hast …“ (23,11).42 An Jesus dürfte demnach wohl auch die Anrede kuvrie in der Entgegnung des Petrus auf seine Tiervision gerichtet sein;43 auf Gott bezieht sie sich jedenfalls nicht, denn von ihm spricht die anschließend abermals erklingende Stimme in der dritten Person (10,14f.; 11,8f.). Nach allem, was sich den meist recht knappen Schilderungen entnehmen lässt, hat sich Lukas diese Visionserlebnisse eher als subjektivinnerliche denn als objektiv-naturhafte Vorgänge vorgestellt. Paulus „sieht“ Hananias, obwohl er in diesem Augenblick noch mit Blindheit geschlagen ist (ei\den, 9,12). Bei den Visionen, die ihm nächtens zuteil werden, dürfte an Traumerscheinungen gedacht sein, auch wenn das in 16,9 und 18,9 verwendete o{rama ein breiteres Bedeutungsspektrum hat. Von der Menschensohnvision des Stephanus erfahren die Umstehenden nur durch dessen eigenes Zeugnis („Siehe, ich schaue …“),44 und an ihrer blindwütigen Reaktion lässt sich ablesen, dass sie hierin nichts als eine ungeheuerliche Lüge zu erkennen vermögen (7,55–59). Stephanus ist von heiligem Geist erfüllt (7,55), die Vision des Petrus geschieht in e[kstasi~ (10,10; 11,5), ebenso die des Paulus im Tempel (22,17); all dies schließt andere Personen von dem Erlebnis aus. Eine Ausnahme bildet nur die Christuserscheinung auf der Straße nach Damaskus, insofern ihre optischen und akustischen Begleiterscheinungen auch von den Reisegefährten des Paulus wahrgenommen werden, was ihre Objektivität jedem Zweifel enthebt. Doch der Sinn des Geschehens erschließt sich auch hier nur dem Adressaten selbst; was die Gefährten mitbekommen, sind bedeutungslose Bruchstücke, die überdies mit jeder Wiederholung des Berichts kleiner werden: In der ersten Fassung hören sie immerhin die Stimme, auch wenn sie den Redenden nicht sehen (9,7), in der zweiten hören sie die Stimme nicht mehr, sondern sehen nur noch das gleißende Licht (22,9), und in der dritten werden sie gar nicht mehr erwähnt (Kap. 26). Am deutlichsten tritt die Subjektivität, wie sie nach lukanischem Verständnis für visionäres Erleben charakteristisch ist, in der Erzählung von der wunderbaren Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis zutage: Als mitten in der Nacht ein „Engel des Herrn“ zu dem Gefangenen 42 43 44

Eindeutig an Jesus wendet sich auch Hananias in 9,14: „… alle zu fesseln, die deinen Namen anrufen“. Strelan, Strange Acts (s. Anm. 22) 163, denkt hingegen an einen Engel oder Geist. Vgl. Miller, Convinced (s. Anm. 40) 181.

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tritt, seine Fesseln löst und ihm mitzukommen gebietet, da, so heißt es in 12,9, „merkte er nicht, dass das, was durch den Engel geschah, Wirklichkeit (ajlhqev~) war; er glaubte vielmehr eine Vision (o{rama) zu sehen“. Der Unterschied liegt auf der Hand: Der Engel ist in der Lage, physisch-mechanisch in das irdische Geschehen einzugreifen, ein o{rama wäre es nicht.45 Das heißt allerdings nicht, dass den Visionen der Apostelgeschichte ein Realitätsgehalt völlig abginge. Im Gegenteil, sie erweisen sich immer wieder als ausgesprochen wirkungsvoll, nur tun sie dies mittelbar, indem sie das Verhalten ihrer Adressaten steuern: Petrus soll sich für den Umgang mit Nichtjuden öffnen, Hananias soll sich des geblendeten Paulus annehmen, Paulus soll die Botschaft in die Völkerwelt tragen, er soll nach Makedonien übersetzen, er soll in Korinth bleiben, usw. Tatsächlich gehört zu fast allen Visionen der Apostelgeschichte (ausgenommen nur 7,55 und 9,12) ein verbal mitgeteilter Auftrag,46 während von visuellen Wahrnehmungen zuweilen nur andeutend (9,10; 18,9; 22,17f.) oder auch gar nicht die Rede ist (23,11). Und wo präzise ausgeführte Bilder hinzutreten – wie bei dem unreinen Getier in 10,11f. und dem Makedonen in 16,9 –, sind sie ganz auf den Auftrag hingeordnet, der sich in verbaler Form sogleich anschließt. Implizit liegt eine Handlungsanweisung wohl übrigens auch in der Vision von 9,12, durch die Paulus von dem bevorstehenden Besuch des Hananias erfährt: Der Verfolger soll in die Gemeinschaft der von ihm Verfolgten eintreten, und weil dieser Schritt beiderseits schwerfällt, wird er Paulus und mittelbar auch Hananias als vollendete Tatsache vorgespiegelt. In diesen Beauftragungen liegt nun auch die christologische Bedeutsamkeit der Visionen. Denn hier erweist sich die planvolle Macht, mit der der erhöhte Herr das irdische Geschehen vorantreibt und lenkt, und zugleich zeigt sich die Kontinuität, in der dieses nachösterliche Wirken mit seiner vorösterlichen Geschichte steht. Die Rolle, in der er hier agiert, ist der Leserschaft aus dem Evangelium vertraut: Die wunderhafte Berufung des Paulus erinnert an die nicht weniger wunderhafte Berufung des Petrus und seiner Gefährten in Lk 5,1–11; in beiden Erzählungen gibt Jesus einen Machtbeweis, auf den die Betroffenen nur mit einem Niederfallen in bedingungsloser Unterwerfung reagieren können (Lk 5,8; Act 9,4 usw.). Die nachfolgenden Visionen des Paulus 45

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Zudem erweist sich die größere Objektivität der Engelerscheinungen auch darin, dass sie, wie in der Geburtsnacht und am Ostermorgen, von vielen gleichzeitig erlebt werden können (Lk 2,8–15; 24,4.22f.). Auch wenn Lukas in 1,22 die Erscheinung Gabriels im Tempel beiläufig als ojptasiva bezeichnen kann (und in Act 27,23 wohl an eine Engelerscheinung im Traum denkt), sind für ihn doch Auftritte von Engeln und Visionen zweierlei. Vgl. Larkin, “Spirit“ (s. Anm. 36) 133f., 137f.

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dienen, ebenso wie die des Petrus in Act 10, jeweils der aktuellen Konkretisierung des Berufungsauftrags und knüpfen damit an die wiederholten Aussendungen der Jünger und Jüngerinnen im Evangelium (Lk 9,1ff.; 10,1ff.) und an die österlichen Ankündigungen des Auferstandenen an (Lk 24,47f.; Act 8,1). Fast immer ist es eindeutig der erhöhte Herr, der diese Missionsanweisungen erteilt, nicht etwa der himmlische Vater, zu dessen Rechter er thront (Act 2,33), und dass er beherrschend auch hinter Visionen steht, in denen er nicht selbst in Erscheinung tritt, zeigt sich in 9,12, wo er berichtet, wie Paulus den bevorstehenden Besuch des Hananias schaut. Einen prinzipiellen Unterschied zwischen Jesu und Gottes Geschichtshandeln macht die Apostelgeschichte aber nicht. Das wird vor allem da deutlich, wo sie anstelle oder im Rahmen von Visionen in gleicher Funktion einen „Engel Gottes“ (10,3; 27,23) oder „Engel des Herrn“ (8,26) auftreten lässt. Ein schönes Beispiel bietet auch der Kontext der Traumerscheinung des Makedonen in 16,9: Wenn zwei Verse zuvor vom „Geist Jesu“47 die Rede ist, der das Paulusteam gehindert habe, nach Bithynien zu reisen (16,7), scheint es sich nahezulegen, auch das Traumgesicht dem erhöhten Herrn zuzuschreiben, doch im folgenden Vers ziehen die Missionare aus der Vision den Schluss, dass „Gott“ sie nach Makedonien schicken wolle (16,10); Jesu Handeln und das Handeln Gottes fallen hier demnach ununterscheidbar in eins. Definitiv nicht auf den Fortgang der Missionsgeschichte bezogen ist nur eine der Acta-Visionen, die des Stephanus; der auch hier sehr profilierte christologische Sinn liegt in anderem: (7,55) Und da er voll des heiligen Geistes war, blickte er zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus, wie er zur Rechten Gottes steht, (56) und sprach: „Siehe, ich sehe den Himmel geöffnet und den Menschensohn, wie er zur Rechten Gottes steht!“

Dass ein Märtyrer in seiner Todesnot eine Vision erlebt und auf diese Weise göttlichen Beistand erfährt, ist ein verbreitetes Motiv in der antiken jüdischen und christlichen Literatur;48 das früheste Beispiel ist Dan 3,25 mit dem Engel bei den drei Männern im Feuerofen, auch wenn deren Hinrichtung durch ein Rettungswunder vereitelt wird. Dass es Christus ist, der sich dem Märtyrer Stephanus in seiner Todesstunde 47 48

Die Wendung ist für das Neue Testament recht ungewöhnlich; vgl. Miller, Convinced (s. Anm. 40) 93. Vgl. Gen 22,10 nach TPsJ, TFrag und CN (Isaak); bAZ 18a (R. Chanina ben Teradion); BerR 65,22 (Jose ben Joezer); auch 4Makk 6,6, wo Eleazar gen Himmel schaut, während man ihn geißelt. In altkirchlicher Überlieferung: Mart. Carpi gr. 38f. (Carpus) und Mart. Carpi lat. 4.3 (Pamphilus), bei H. Musurillo, The Acts of the Christian Martyrs (Oxford 1972) 26 bzw. 32. Anders Perpetua, die in einer Vision am Vortag ihre Hinrichtung selbst vorausschaut, Passio Perpetuae 10, bei Musurillo, Acts, 116–118.

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offenbart, kann angesichts der vielen anderen Christuserscheinungen in der Apostelgeschichte kaum verwundern; wenn Lukas in diesem Fall das Motiv aus älterer Tradition übernommen haben sollte,49 so muss es doch seinen eigenen gestalterischen Vorlieben sehr entgegengekommen sein. Ungewöhnlich ist dagegen der Menschensohntitel, der in den Acta nur an dieser Stelle vorkommt. Mit ihm erfüllt sich, was Jesus in Lk 22,68 vor dem Synhedrion angekündigt hatte,50 und erinnert man sich der apokalyptischen Zusammenhänge, in denen Jesus schon in Lk 17 und Lk 22 vom Menschensohn gesprochen hatte, so hat man fast den Eindruck, dass mit dem Tod des Stephanus für einen Augenblick das jüngste Gericht hereinbricht; für Stephanus selbst jedenfalls ist die Weltgeschichte hier an ihr Ende gelangt. Christologisch hoch bedeutsam sind zweitens auch die auffälligen Entsprechungen, die die Stephanuserzählung mit der lukanischen Fassung der Passion Jesu verbinden:51 Beide sterben den Tod des unschuldig Verfolgten, nachdem man sie vor das Synhedrion gebracht hat; beide tun Fürbitte für ihre Mörder (Lk 23,34 v.l.;52 Act 7,60); wie Jesus sein pneu`ma dem Vater übergibt, bittet Stephanus den Herrn um Aufnahme des seinigen (Lk 23,46; Act 7,59); und beider letzte Worte ergehen in einem lauten Schrei (Lk 23,46; Act 7,60). Stephanus wird auf diese Weise zum Musterexempel einer imitatio des Gekreuzigten; das Erdenschicksal Jesu setzt sich in dem seines Sendboten fort.53 Zum Schluss noch kurz zur Himmelfahrtserzählung, mit der Lukas die Voraussetzungen für die folgenden Christusvisionen schafft: R. Riesner hat aus verschiedenen altkirchlichen und apokryphen Überlieferungen gefolgert, dass Ostererscheinungen noch rund anderthalb Jahre nach Jesu Todespassa erlebt worden seien, womit sich problemlos und im Einklang mit 1Kor 15,3–8 auch das Damaskuserlebnis des Pau49 50

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Dafür sprechen vor allem das Motiv der Herrlichkeit Gottes und der Menschensohntitel, denn dieser begegnet in der Apostelgeschichte sonst gar nicht und jenes nur noch in der vorangehenden Rede des Stephanus (7,2). Bemerkenswert ist, dass Lukas in der Verhörszene das o[yesqe von Mk 14,64 und damit den Adressatenbezug der Menschensohn-Ankündigung durch ein lediglich das Faktum konstatierendes e[stai ersetzt. Die Schau des Menschensohns, zu der es im Fortgang des Doppelwerks tatsächlich kommen wird, ist nicht für die Allgemeinheit, sondern exklusiv für den Märtyrer bestimmt. Aus der reichen Literatur s. nur A. M. Schwemer, „Prophet, Zeuge und Märtyrer. Zur Entstehung des Märtyrerbegriffs im frühesten Christentum“, ZThK 96 (1999) 320–350, hier 332–335, sowie die minutiöse Analyse bei S. Krauter, “The Martyrdom of Stephen“, in A. K. Petersen (ed.), Ancient Christian Martyrdom in Context (Frankfurt/M. et al., im Druck). Zum textkritischen Problem von Lk 23,34 s. J. A. Whitlark/M. C. Parsons, “The ‘Seven‘ Last Words. A Numerical Motivation for the Insertion of Luke 23.34a“, NTS 52 (2006) 188–204. Vgl. auch MacRae, “Whom Heaven“ (s. Anm. 33) 62–64, zum Leidensgeschick des Paulus.

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lus als Ostervision einordnen lässt.54 Lukas zieht hingegen mit der Himmelfahrt einen Schnitt, der das Damaskusereignis aus der Osterzeit herausfallen lässt.55 Doch bedeutet dies nicht nur, dass er Paulus damit gegenüber dem Zwölferkreis empfindlich zurücksetzt, sondern belegt zugleich, dass er Erscheinungen des Erhöhten nicht an die Osterzeit gebunden sah, sondern seit der Himmelfahrt im Prinzip an jedem Ort und zu jeder Zeit für möglich hielt, über die ganze Apostelgeschichte hinweg. Mit der Grenze, die er durch die Himmelfahrt setzt, schafft er zugleich Raum für neue Möglichkeiten. Die Unterschiede sind allerdings deutlich: Der Auferstandene erscheint noch allen miteinander und erweist seine Leiblichkeit, indem er sich betasten lässt und gemeinsam mit ihnen speist (Lk 23,36–43; Act 1,3–8). Der Erhöhte tut dies nicht mehr, er hat ein neues Kommunikationsmittel, das o{rama, dessen sich der Irdische nirgends zu bedienen brauchte.56

3. Die Wunder der Apostel und der Name Jesu Die Fähigkeit, Wunder zu tun, ist wohl die auffälligste Eigenschaft, die die Protagonisten der Apostelgeschichte mit der Hauptperson des Lukasevangeliums gemeinsam haben. Parallelen gibt es vor allem auf dem Gebiet der Heilungen:57 Einer der ersten, die Jesus heilte, war ein Gelähmter in Kapernaum (Lk 5,17–26), und das erste Wunder des Petrus ist die Heilung eines Gelähmten am Tempelvorhof (Act 3,1–10). Einen weiteren Gelähmten heilt Petrus auf einer Reise nach Lydda (Act 9,32ff.), ein dritter wird von Paulus in Lystra geheilt (Act 14,8f.). In Lydda holt Petrus außerdem eine Tote ins Leben zurück, die Jüngerin Tabitha (9,36ff.), womit er die Reihe der Totenerweckungen Jesu zu Nain und Kapernaum fortsetzt (Lk 7,11ff.; 8,49ff.). Und wie Jesus die Schwiegermutter des Petrus von ihrem Fieber heilt (Lk 4,38f.), kuriert Paulus einen fieberkranken Grundbesitzer auf Malta (Act 28,8). Exorzismen, wie sie von Jesus im Evangelium mehrfach berichtet werden 54 55 56 57

R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie (WUNT 77, Tübingen 1994) 56–63. Weshalb es in Act 26,19 auch als „Himmelserscheinung“ bezeichnet werden kann: Christus offenbart sich Paulus von dem Ort her, an den er hinaufgenommen wurde. Nicht einmal in der Erzählung von der Verklärung, Lk 9,28–36. Das Wort o{rama wird im Evangelium gar nicht gebraucht und ojptasiva nur von Engelerscheinungen, 1,22 und 24,23. Vgl. A. Lindemann, „Einheit und Vielfalt im lukanischen Doppelwerk. Beobachtungen zu Reden, Wunderheilungen und Mahlberichten“, in Verheyden (ed.), Unity (s. Anm. 30) 225–253, hier 238–250; zu den Wundern des Paulus auch Schreiber, Paulus (s. Anm. 1) 154–157.

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(8,26ff.; 9,37ff.; 11,14; 13,10ff.), schreibt die Apostelgeschichte Paulus und Philippus zu (8,7; 16,16ff.; 19,12). Auch der Publikumserfolg wird hier und dort mit ähnlichen Worten beschrieben. Wenn es von Jesus heißt, seine Heilungen hätten dazu geführt, dass man von überallher Kranke zu ihm brachte (Lk 4,40; 5,15), so wird von den Jerusalemer Aposteln beinahe noch Sensationelleres berichtet: „Man trug die Kranken auf die Straßen und legte sie auf Betten und Matratzen, damit, wenn Petrus vorbeiginge, womöglich sein Schatten auf einen von ihnen fiele“ (Act 5,15). Auch durch die Hände des Paulus habe Gott so außergewöhnliche dunavmei~ vollbracht, „dass man Schweißtücher und Binden von seiner Haut zu den Kranken brachte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren“ (19,11). Lukas war sichtlich der Überzeugung, dass sich in den Wundern der von Jesus Ausgesandten dessen eigenes Heilungswirken fortsetzte.58 Allerdings bleiben die Entsprechungen weitgehend auf die Heilungen, Auferweckungen und Exorzismen beschränkt. Das Strafwunder der Blendung des Magiers Barjesus-Elymas in Act 13,11 ist in gewisser Weise dem Verstummen des Zacharias in Lk 1,20 vergleichbar,59 in den Jesus-Erzählungen des Evangeliums hat es aber keinerlei Vorbild. Umgekehrt bietet die Apostelgeschichte weder eine Sturmstillung noch eine Brotvermehrung, wie sie den Lesenden aus Lk 8,22–25 und 9,10–17 bekannt sind. Eine markantere Analogie besteht sonst nur noch zwischen der Erzählung von der Bekehrung des Äthiopiers in Act 8,26–40 und der von den Emmausjüngern in Lk 24,13–35:60 Philippus erscheint und verschwindet auf ähnlich wundersame Weise wie der Auferstandene, wobei es in beiden Fällen dahin kommt, dass der unvermutet aufgetauchte Fremde die Schrift auslegt und dadurch Glauben weckt. Zugleich zeigt sich hier aber auch zwischen dem Wirken Jesu und dem seines Verkündigers ein bedeutsamer Unterschied: Während Philippus den Anweisungen eines Engels und des heiligen Geistes folgt (8,26.29) 58

59 60

So auch F. Wilk, „Apg 10,1–11,18 im Licht der lukanischen Erzählung vom Wirken Jesu“, in Verheyden (ed.), Unity (s. Anm. 30) 605–617, hier 612. Wilk, der hier näherhin die Erzählung von der Bekehrung des Cornelius (mit der Erinnerung an Jesu Heilungstätigkeit in 10,38) im Blick hat, arbeitet zwischen dieser und den Jesuserzählungen des Evangeliums noch zahlreiche weitere motivische Berührungen heraus, ibid., 611–616. Letzteres hat allerdings auch einen positiven Zweck, nämlich den eines Beweises für die geschehene Begegnung mit dem Engel, Lk 1,22. Vgl. J. Dupont, “Les pèlerins d’Emmaüs (Lc 24,13-35)“, in id., Études sur les Évangiles synoptiques, présentées par F. Neirynck, vol. II (BEThL 70B, Leuven 1985) 1128–1152, hier 1140f. J. A. Grassi, “Emmaus Revisited (Luke 24,13–35 and Acts 8,26–40)“, CBQ 26 (1964) 463–467, folgert aus den Analogien zwischen den beiden Erzählungen sogar, dass sich in dem fremden „travelling apostle“ Christus manifestiere.

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und am Ende durch den Geist sogar „weggerissen“ wird (8,39), agiert Jesus durchweg als sein eigener Herr, der sich auch von seinen Weggefährten nur zu dem überreden lässt, was er anscheinend ohnehin vorhat (24,28f.: „er tat so, als wolle er …“). Gewisse Relativierungen der Handlungssouveränität des Wundertäters lassen sich auch in einigen Heilungserzählungen der Apostelgeschichte beobachten: Vollbringt Jesus seine Wunder stets aus eigener Kraft und Vollmacht,61 so ist es nach Act 19,11 Gott, der durch die „Hände des Paulus“ Machttaten geschehen lässt. Nach einer summarischen Formulierung in 4,30 geschehen Zeichen und Wunder „durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus“. Die Heilung des Gelähmten beim Tempel vollzieht Petrus ausdrücklich „im Namen Jesu Christi“ (3,6), ebenso Paulus die Austreibung eines Wahrsagedämons in Philippi (16,18). An den gelähmten Äneas in Lydda wendet sich Petrus mit den Worten: „Jesus Christus heilt dich, steh auf und richte dein Bett!“ (9,34). Die Protagonisten der Apostelgeschichte verfügen demnach nur über ein abgeleitetes, mittelbares Wundercharisma.62 Wenn in Lk 9,1 berichtet wird, wie Jesus den Zwölfen „duvnami~ und ejxousiva über alle Dämonen und zum Heilen von Krankheiten“ verleiht, und in 10,19f. den später ausgesandten Siebzig ähnliche Vollmacht erteilt wird, so hält die Apostelgeschichte mit der Formel vom Handeln „im Namen Jesu“ konsequent die Erinnerung an diese Bevollmächtigung wach. Zwischen der vor- und der nachösterlichen Situation kommt es damit zu einer sehr ähnlichen Verschiebung wie der, die wir schon im Zusammenhang mit den Christuserscheinungen beobachtet haben: Jesu Wirken geht nach der Himmelfahrt weiter, und die Auswirkungen sind die gleichen wie zuvor, aber es geschieht nach neuen, anderen Modalitäten. Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Erzählung von der Heilung des Gelähmten in Act 3, dem ersten Heilungswunder der Apostelgeschichte.63 Lässt schon in 3,6 das Heilungswort des Petrus die Heilsmacht des Jesusnamens erkennen, so wird anschließend in zwei Reden des Apostels auch erläutert, was es mit dieser Heilsmacht auf sich hat. In der ersten Rede, die er noch am Ort des Wunders hält, wehrt Petrus zunächst den Eindruck ab, er habe die Heilung aus eige-

61 62 63

Nur die Diskussionen von Lk 5,21–24 und 20,1–8 sowie das Motiv vom „Finger Gottes“ in 11,20 erinnern daran, dass hinter dieser Vollmacht letztlich Gott steht. Dass die Apostel ihre Wunder nicht aus eigener Kraft wirken, wird von vielen beobachtet und hervorgehoben; vgl. etwa Lindemann, „Einheit und Vielfalt“ (s. Anm. 57) 250; Schreiber, Paulus (s. Anm. 1) 149f., 156. Vgl. hierzu A. Ruck-Schröder, Der Name Gottes und der Name Jesu. Eine neutestamentliche Studie (WMANT 80, Neukirchen-Vluyn 1999) 182–191.

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ner Kraft vollbracht, kommt dann auf Jesu Tod und Auferweckung zu sprechen und lenkt von da am Ende wieder auf das Wunder zurück: (3,16) Und im Glauben an diesen Namen (ejpi; th/` pivstei tou` ojnovmato~ aujtou`) hat diesen, den ihr seht und kennt, sein Name kräftig gemacht (ejsterevwsen to; o[noma aujtou`), und der durch ihn gewirkte Glaube (hJ pivsti~ hJ di∆ aujtou`) gab ihm vor euch allen diese Unversehrtheit.

Der etwas umständliche Wortlaut führt die Heilung offenbar auf ein Zusammenwirken des Namens Jesu mit dem Glauben des Gelähmten zurück: Der Name hat den Gelähmten „kräftig gemacht“, der Glaube hat ihm „die Unversehrtheit gegeben“, und gleichzeitig wurde der Glaube durch den Namen hervorgerufen.64 Dass der Glaube hier so wichtig wird, während er in dem eigentlichen Heilungsbericht gar nicht erwähnt worden war, hängt zweifellos damit zusammen, dass diese Predigt ja nicht nur das Wunder erläutern, sondern ihr Publikum auch dazu bewegen will, die Macht des Namens Jesu anzuerkennen. So setzt Petrus seine Rede mit weiteren christologischen Ausführungen fort und schließt mit einem emphatischen Ruf zur Buße (3,17–26). Viel deutlicher als in den Heilungserzählungen des Evangeliums zeigt sich es hier und an einigen weiteren Stellen der Apostelgeschichte, dass das Wunder nicht allein darauf zielt, eine konkrete, individuelle Not zu beheben, sondern darüber hinaus auch die Zuschauenden zum Glauben führen soll.65 Damit das aber geschehen kann, muss in dem Wundergeschehen die Macht dessen, der da wirkt, transparent werden. Darum wird in den Heilungsworten der Name Jesu genannt. Die zweite Rede hält Petrus am nächsten Morgen vor dem Synhedrion; die Apostel werden gefragt, „mit welcher Kraft und in welchem Namen“ (duvnami~, o[noma) sie dies getan hätten (4,7), und Petrus erwidert: (4,8) … Ihr Oberen des Volks und Ältesten! (9) Wenn wir heute wegen einer Wohltat an einem kranken Menschen (darüber) verhört werden, wodurch dieser gerettet worden ist (sevswtai), (10) so sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kund(getan), dass durch den Namen Jesu Christi des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten erweckt hat – (dass) durch ihn dieser (hier) gesund vor euch steht. (11) Dies ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der zum Eckstein wurde (vgl. Ps 118,22), (12) und durch nichts anderes geschieht die Rettung. Denn es gibt unter dem Himmel bei den Menschen keinen anderen Namen, durch den wir gerettet werden sollen (ejn w/| dei` swqh`nai hJma`~). 64 65

Anders Ruck-Schröder, ibid., 185, die das ejpi; th/` pivstei in V. 16 „nicht als Angabe des Grundes …, sondern als eine Angabe der Hinsicht und des Zweckes“ versteht. Vgl. bes. 5,12–16; 8,5–8; 9,32–35; problematisierend 14,8–11 und 28,3–6.

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Zur Bekehrung ruft Petrus in dieser zweiten Rede nicht mehr,66 vielleicht, weil diesmal das Publikum ohnehin nicht dafür empfänglich wäre. Doch versäumt er auch hier nicht, darauf hinzuweisen, dass das Geschehene eine Bedeutung hat, die über den konkreten Einzelfall hinausgeht. Er tut dies, indem er von dem Wunder abstrahiert und verallgemeinert: Nicht nur für diesen einen Menschen, sondern für alle kann das Heil nur durch Jesus kommen. Von seiner eigenen Beteiligung an dem Wunder spricht Petrus dagegen nicht mehr; man kann das leicht übersehen, doch unausgesprochen liegt klar die Überzeugung zugrunde, dass das Handeln der Apostel, wiewohl aus praktischen Gründen unverzichtbar, an der eigentlichen Heilswirkung keinen Anteil hat. Alle Wirksamkeit liegt bei dem Namen. Das andere Wunder der Apostelgeschichte, das im Namen Jesu Christi vollzogen wird, ist die erwähnte Austreibung eines Wahrsagegeistes durch Paulus in 16,18. Die Erzählung fällt hier wesentlich knapper aus als in Kap. 3. Was die Funktion des Namens angeht, scheint sie das gleiche Verständnis vorauszusetzen; eine Reflexion über das Wunder bietet sie nicht. Weiteren Aufschluss gibt allerdings eine zweite Exorzismuserzählung, in der Jesu Name im Zentrum steht, die Erzählung von einer gescheiterten Dämonenaustreibung durch jüdische Exorzisten zu Ephesus, 19,13–16. Als diese fremden Konkurrenten sehen, wie erfolgreich Paulus im Namen Jesu böse Geister bezwingt, versuchen sie, es ihm gleichzutun, indem sie ebenfalls diesen Namen anrufen (V. 13): „Ich beschwöre euch bei dem Jesus, den Paulus verkündigt!“ Doch schon der Wortlaut, ÔOrkivzw uJma`~ to;n ∆Ihsou`n ktl., macht stutzig, denn mit einer solchen Wendung nimmt die Apostelgeschichte nirgends sonst auf Jesus Bezug. Vermutlich signalisiert sie schon auf diese Weise, dass hier ein Missbrauch von Jesu Name geschieht.67 Entsprechend endet die Geschichte; der Dämon spricht den Exorzisten ihre angemaßte Autorität rundheraus ab:68 (19,15) „Zwar kenne ich Jesus und weiß von Paulus, wer aber seid ihr?“ (16) Und der Mann, in dem der böse Geist steckte, sprang auf sie ein, über66 67 68

Sofern nicht am Ende von V. 12 mit Cod. Vaticanus uJma`~ zu lesen ist. Vgl. ausführlich C. K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, vol. II (ICC, Edinburgh 1998) 908. So auch H.-J. Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas (SBS 167, Stuttgart 1996) 115; Strelan, Strange Acts (s. Anm. 22) 112; B. Heininger, „Im Dunstkreis der Magie: Paulus als Wundertäter nach der Apostelgeschichte“, in E.-M. Becker/P. Pilhofer (eds.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus (WUNT 187, Tübingen 2005) 271–291, hier 285. Zur Kontrastierung von Wunder und Magie in Act 19 vgl. auch J. Schröter, „Zur Stellung der Apostelgeschichte im Kontext der antiken Historiographie“, in diesem Band S. 27–47, hier 44f.

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wältigte sie alle miteinander und war stärker als sie, so dass sie nackt und verwundet aus jenem Hause flohen.

So macht die Erzählung deutlich, dass die Wunderkraft, die von dem Namen Jesu ausgeht, an seine allein legitime Verwendung durch diejenigen gebunden ist, die dazu beauftragt sind. Zweckentfremdung ist ausgeschlossen; eine magisch handhabbare Wirkung, sozusagen ex opere operato, gibt es nicht. Die Macht, die in Jesu Namen liegt, bleibt an die Autorität des Erhöhten gebunden und ist von ihr nicht ablösbar.69 Auch hierin erweist sich der Erhöhte wieder als die treibende Kraft bei der Ausbreitung des von ihm gestifteten Heils. Im Übrigen spricht die Apostelgeschichte auch sonst recht häufig vom o[noma Jesu, wo es darum geht, das Tun und Erleiden der Jüngerinnen und Jünger zu ihrem Herrn in Beziehung zu setzen.70 Meist steht der Ausdruck in adverbialen Wendungen, die mit einer Präposition beginnen: im Namen Jesu, auf den Namen Jesu, wegen des Namens Jesu, durch den Namen Jesu usw. Die Kontexte, in denen diese Wendungen begegnen, sind höchst vielfältig, denn im Grunde lässt sich Jesu Name auf jedes beliebige Tun oder Ergehen der Gläubigen beziehen, wenn es nur für ihr Christsein kennzeichnend ist:71 Sie sprechen in Jesu Namen (4,17; 5,40; 9,27.28), sie lehren in Jesu Namen (4,18; 5,28), sie werden um seinetwillen geschmäht (5,41), setzen ihr Leben für ihn ein (15,26), leiden für ihn (9,16) und riskieren für ihn den Tod (21,13). Im Namen Jesu wird die Taufe vollzogen (2,38; 8,16; 10,48; 19,5), werden Sünden vergeben (10,43), und es werden, wie gesagt, auch Wunder gewirkt und Dämonen ausgetrieben. Was immer also im Leben der Gläubigen an Bedeutsamem geschieht, es steht mit Jesus durch dessen Namen in Verbindung. Auf diese Weise erhält ihr Handeln und Erleben seine spezifisch christliche Signatur, ohne die es sinn- und zwecklos bliebe. So wird man das, was sich von den Heilungswundern sagen lässt, hier auch verallgemeinern können: Durch seinen Namen wirkt der erhöhte Herr in seiner Kirche auf Erden weiter, im wunderhaften und im alltäglichen Geschehen gleichermaßen.

69 70 71

Die Apostelgeschichte liegt hier allerdings nicht ganz auf einer Linie mit dem Lukasevangelium; zur Divergenz zwischen Act 19,13–17 und Lk 9,40 und vor allem Lk 9,49f. vgl. Ruck-Schröder, Name (s. Anm. 63) 194. Vgl. F. Avemarie, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte. Theologie und Geschichte (WUNT 139, Tübingen 2002) 35–40. Insofern ist die lukanische Rede vom Namen Jesu vergleichbar mit dem paulinischen ejn Cristw/`.

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4. Jesus und der Geist Wie die Heilungswunder, so gehören auch die Wirkungen des heiligen Geistes zu denjenigen mirakulös-göttlichen Manifestationen, die sich mit den Standards der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung, auch der mimetischen, am wenigsten vereinbaren lassen. Mit dem mavntikon pneu`ma,72 wie es in Delphi aus einer Erdspalte dringt und die Orakel der Pythia inspiriert,73 hat das a{gion pneu`ma zwar immerhin gemeinsam, dass es zu prophetischer Weissagung befähigt.74 Wesentlich näher steht es aber der prophetischen ‫ רוּ ַח‬der alttestamentlich-jüdischen Tradition: Es ist keine aus der Erde quellende Naturkraft, sondern kommt von Gott; es vermittelt neben der Prophetie auch Charismen anderer Art, etwa wie sie einst den Helden des Richterbuchs zuteil wurden;75 auch der Ausdruck a{gion pneu`ma selbst ist jüdischen Ursprungs. Vor allem aber identifiziert Lukas den Geist der Apostel mit dem der biblischen Prophetie, indem er in der Petrusrede in Act 2 das Pfingstwunder als die von dem Propheten Joel angekündigte Geistausgießung der Endzeit interpretiert (2,17–21). Der Vergleich mit einschlägigen Passagen der Paulusbriefe, besonders 1Kor 12–14 und Röm 12, legt allerdings nahe, dass sich in dem üppig-vielfältigen Bild, das die Apostelgeschichte vom Wirken des Geistes bietet, vor allem die eigenen pneumatischen Erfahrungen der jungen Christenheit niedergeschlagen haben. Mit der Herkunft des Begriffs aus der Prophetie dürfte zusammenhängen, dass dem Geist in erster Linie verbal-kommunikative Manifestationen zugeschrieben werden, die freilich auch von anderer Art sein können als die prophetische Weissagung: Er befähigt, wie zu Pfingsten (2,4), so auch später immer wieder zu machtvollem Zeugnis in Gemeinde und Öffentlichkeit; wer von ihm erfüllt ist, kann Gottes Wort in parrhsiva predigen (4,31) und bricht jeden Widerspruch (6,10).76 Er wirkt bei Missionsunternehmungen mit, auch im Zusammenspiel mit Engelerscheinungen und Visionen wie bei den Bekehrungen des Äthiopiers und des Cornelius (8,26.29; 10,3.19). Bei der Entsendung von Barnabas und Paulus zu ihrer 72 73

74 75 76

So Plutarch, De defectu oraculorum 42, 433d; synonym verwendet Plutarch auch ajnaqumivasi~ (44, 434b), ajtmov~ (46, 435a), rJeu`ma u.a. Vgl. Strabon, Geographica 9,3,5; Plutarch, De defectu oraculorum 40–51 (432c–438d); dazu H. Kleinknecht, Art. pneu`ma A, ThWNT VI (1959) 333–357, hier 343–350; H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums, vol. I (KStTh 9,1, Stuttgart 1995) 153– 155; J. A. Fitzmyer, “The Role of the Spirit in Luke-Acts“, in Verheyden (ed.), Unity (s. Anm. 30) 165–184, hier 166. Vgl. Act 1,16; 4,25; 11,27f.; 13,1f.; 19,6; 20,23; 21,4; 21,10f.; 28,25. Vgl. F. Baumgärtel, Art. pneu`ma B, ThWNT VI (1959) 357–366, hier 360; E. Kamlah/ W. Klaiber, Art. Geist, pneu`ma, ThBLNT2 (1997) 698–708, hier 700f. Vgl. auch 4,8; 5,32; 11,24, wohl auch 18,25.

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ersten Missionsreise trifft er überdies die entsprechende Personalentscheidung (13,2.4). Unter Umständen kann er Erfolge auch verhindern, um die Aktivitäten in andere Richtung zu lenken, besonders in Act 16,6f., wo er die Kursänderung vorbereitet, die Paulus alsbald nach Makedonien führt.77 Immer wieder erweist sich, was H. v. Baer auf die Formel brachte: „Der Pfingstgeist ist der Missionsgeist.“78 Ebenso trägt der Geist zum Gedeihen des Gemeindelebens bei: Nach den Worten des Paulus ist er es, der die Ältesten zu „Aufsehern“ über die „Herde“ bestellt hat (20,28). Als ein Vergehen gegen ihn wird der Schwindel von Hananias und Sapphira betrachtet (5,3.9; vgl. Lk 12,10). Das Sendschreiben, mit dem die Gemeinde von Antiochia über das Aposteldekret unterrichtet wird, nennt ihn als dessen Mitautor, 15,28: „Wir und auch der heilige Geist haben es für gut befunden …“ Und ganz allgemein und summarisch heißt es in 9,31: „Die Kirche in ganz Judäa und Galiläa und Samarien hatte Frieden, wurde auferbaut und wandelte in Furcht des Herrn und mehrte sich unter dem Zuspruch des heiligen Geistes.“ Was aus diesem Rahmen verbal-kommunikativer Manifestationen herausfällt, sind lediglich die plhvrh~ pneuvmato~ aJgivou erlebte Menschensohnvision des Stephanus (7,55), die von Paulus ebenfalls plhsqei;~ pneuvmato~ aJgivou vollzogene Maßregelung des Barjesus-Elymas (13,9), die geistgewirkte Entrückung des Philippus nach der Taufe des Äthiopiers (8,39)79 und zwei Fälle von Zungenrede, einmal bei der Bekehrung des Cornelius (10,46) und ein weiteres Mal bei der Taufe einer Jüngergruppe in Ephesus (19,6). Im einen wie im anderen Fall wird allerdings von Zungenrede nur deshalb berichtet, weil es eines eindeutigen Beweises für einen geschehenen Geistempfang bedarf und andere, bedeutungsvollere Geistmanifestationen fehl am Platze wären.80 Die Vision des Stephanus steht hingegen selbstverständlich ganz in der Tradition biblisch-jüdischer Prophetie.81

Wie verhält sich nun aber das Wirken des Geistes zu dem Weiterwirken Jesu in der Geschichte seiner Jüngerinnen und Jünger? Es sind nur wenige Texte, die hierzu Aufschluss geben können. Das rührt von daher, dass der Geist bei Lukas meist als eigenständige Größe, nicht selten sogar als selbständig agierendes Subjekt in Erscheinung tritt: Er redet, weissagt, setzt ein, beschließt usw., ohne dass dabei seine Relation zu Jesus oder auch zu Gott in irgendeiner Weise thematisch würde. Umso 77

78 79 80 81

Strelan, Strange Acts (s. Anm. 22) 93, mutmaßt, dass Paulus dies herausgefordert haben könnte, indem er den Geist auf die Probe stellte; doch gibt der Kontext hierauf keinerlei Hinweis. In 21,4 weigert sich Paulus allerdings, eine geistgewirkte Warnung anzunehmen, zumal sie auch dem widerspricht, was der Geist in 19,21 und 20,22 will und tut. Wie es scheint, ist der Wille des Geistes für die Gläubigen nicht immer eindeutig erkennbar; vgl. Strelan, ibid., 93–97. H. v. Baer, Der Heilige Geist in den Lukasschriften (BWANT 39, Stuttgart 1926) 103. Sofern aJrpavzein hier nicht einen verschärften Befehl umschreibt. Näher liegt jedoch, dass es die totale Kontrolle des Geistes über Philippus zum Ausdruck bringen soll; so Strelan, Strange Acts (s. Anm. 22) 89. Vgl. Avemarie, Tauferzählungen (s. Anm. 70) 147f. Von einer „prophetic vision“ spricht auch Larkin, “Spirit“ (s. Anm. 36) 131.

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stärkeres Gewicht haben darum die wenigen Stellen, an denen dies geschieht. Zunächst ein Blick in das Lukasevangelium. Dort ist in der Kindheitsgeschichte zwar recht häufig vom Geist die Rede: Elisabeth, Zacharias und Symeon inspiriert er zu Weissagungen (1,41; 1,67; 2,25f.), Johannes lässt er in die Nachfolge Elias treten (1,15–17), und über Maria kommt er, während sie Jesus empfängt (1,35). Doch in den folgenden Kapiteln tritt sein Wirken mehr und mehr zurück und verliert sich schließlich fast völlig:82 Zunächst erscheint er bei Jesu Taufe (3,22), sodann zieht Jesus geisterfüllt in die Wüste (4,1.14), und bei seiner Antrittspredigt in Nazareth erklärt er mit Worten aus Jes 61,1, dass „der Geist des Herrn“ auf ihm sei (4,18). Dann aber kommt eine Pause, die sich bis an den Schluss des Evangeliums erstreckt und nur in 10,21 noch einmal kurz durch Jesu Jubelruf unterbrochen wird, der „im heiligen Geist“ geschieht. Das nächste Mal tritt der Geist erst bei den Belehrungen des Auferstandenen an den Jüngerkreis in Act 1,2 in Erscheinung.83 Gewiss wird dieses weitgehende Zurücktreten des Geistes in den lukanischen Jesuserzählungen zunächst rein praktisch durch die Vorgaben der Überlieferung bedingt sein. Wenn aber Lukas im Vorund Nachspann zu Jesu Erdenleben am Wirken des Geistes so großes Interesse zeigt, warum redigiert er dann nicht in entsprechender Weise auch seine Darstellung dieses Erdenlebens selbst? Eine sehr einleuchtende Erklärung hat E. Schweizer vorgeschlagen: Lukas stört sich an dem Gedanken, dass der Geist als „das Jesus übergeordnete Subjekt“ erscheinen könne.84 Das zeigt bereits seine Bearbeitung von Mk 1,12; während es dort heißt, dass Jesus vom Geist in die Wüste „getrieben“ worden sei, begibt sich Jesus in Lk 4,1 „voll heiligen Geistes“ selbst in die Wüste. „Jesus wird zum Subjekt eines Handelns ‚im heiligen Geist‘. Er ist nicht Pneumatiker, sondern Herr des pneu`ma.“85 Die Vorstellung, dass er mittels des Geistes Kranke heilt oder Dämonen austreibt, wäre damit nicht vereinbar.86 Vielleicht nicht zufällig wird auch keines der Heilungswunder der Apostelgeschichte auf ein Wirken des Geistes zurückgeführt. Nur die Translokation des 82 83

84 85 86

Vgl. auch Tuckett, “Chistology“ (s. Anm. 30) 144; Fitzmyer, “Role of the Spirit“ (s. Anm. 73) 173f. Ob es in Lk 23,46 um den heiligen Geist geht, scheint mir nicht sicher. Unklar ist auch, ob sich in Act 1,2 das adverbiale dia; pneuvmato~ auf die Vergangenheit (die Erwählung der Zwölf) oder auf die Gegenwart (die Belehrung der Zwölf) bezieht. Larkin, “Spirit“ (s. Anm. 36) 122, denkt an Letzteres, ebenso C. K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, vol. I (ICC, Edinburgh 1994) 69, der aber auch gegenteilige Forschungsmeinungen referiert. E. Schweizer, Art. pneu`ma E, ThWNT VI (1959) 394–449, hier 402. Schweizer, ibid. Vgl. Fitzmyer, “Role of the Spirit“ (s. Anm. 73) 173.

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Philippus (8,39) und die Blendung des Barjesus-Elymas (13,9) werden mit dem Geist assoziiert – Wunder aber, die in den Jesuserzählungen des Evangeliums keinerlei Vorbild haben. Dass Lukas mit dem JesajaZitat in 4,18f. einen direkten Zusammenhang zwischen Jesu Geistbesitz und seinem Heilswirken herstellt (und hierauf später in einer Predigt des Petrus noch einmal zurückkommt, Act 10,38), steht dazu nicht im Widerspruch. Denn die Salbung, das cri`sai mit Geist, von der Jes 61,1f. handelt, ist das, was Jesus zum cristov~ macht, die Grundlegung seiner Messianität. Darum ist das Befreien und Heilen, von dem das Zitat im Fortgang spricht, messianisches Handeln, kein pneumatisches. Jesus wirkt nicht als ein vom Geist Ergriffener, sondern als der von Gott Gesalbte. Dieser Unterordnung des Geistes unter Jesu Messianität entspricht nun auch die Art und Weise, wie die Apostelgeschichte Jesus und den Geist zueinander in Beziehung setzt. Es ist das Pfingstwunder, das das in der lukanischen Jesuserzählung so verblasste Geistwirken wieder neu zum Zuge kommen lässt. Aber durch diesen pneumatologischen Neueinsatz gerät die Christologie nicht ins Hintertreffen. Im Gegenteil, schon die verhüllte Ankündigung in Lk 24,49 nimmt zumindest dies sehr deutlich vorweg, dass bei der Geistausgießung dem Erhöhten die entscheidende Mittlerrolle zukommen wird: „Siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch …“87 Und in vollends klaren Worten legt dann die Predigt des Petrus den Zusammenhang dar, Act 2,33: „Zur Rechten Gottes erhöht“, habe Jesus „vom Vater die Verheißung des heiligen Geistes empfangen“ und habe „ausgegossen“, was man hier sehen und hören könne.88 An der biblisch-jüdischen Vorstellung, dass der Geist seinen Ursprung in Gott hat, wird hier zwar prinzipiell festgehalten, sie wird aber durch den Gedanken der Mittlerschaft des Erhöhten einschneidend relativiert. Er besagt nichts Geringeres, als dass in der Gemeinde der Jüngerinnen und Jünger das Wirken des Geistes stets auch als eine Gabe Jesu Christi zu begreifen ist. In Fortführung dieser Überlegung könnte man sagen, dass diese pfingstliche Mittlerschaft Jesu im Grunde überhaupt alles, was der Geist in Mission und Gemeindeleben vollbringt, christologisch qualifiziert. In ihren weiteren Erzählungen über pneumatische Manifestationen macht die Apostelgeschichte diesen christologischen Bezug zwar in der Regel nicht mehr thematisch, und insofern ist das Wirken des Geistes, verglichen mit den Erscheinungen Jesu und der Anrufung seines 87 88

Eine noch viel frühere Vorausdeutung liegt in der Prophezeiung des Täufers, Lk 3,16. Zu antiken jüdischen und christlichen Motivparallelen vgl. Tuckett, “Chistology“ (s. Anm. 30) 155, und Larkin, “Spirit“ (s. Anm. 36) 125 mit Hinweisen auf Sus LXX 44– 45 und TestJuda 24,2.

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Namens, sicherlich die zurückhaltendste, indirekteste Form seiner nachösterlichen Gegenwart. Wenn aber, wie in 16,7, der Geist nun doch einmal als pneu`ma ∆Ihsou` bezeichnet wird,89 so hat dies durchaus seinen sachlichen Grund.90 Und es ist gut möglich, dass sich auch in 5,9 und 8,39 das Genitivattribut in pneu`ma kurivou auf den Erhöhten bezieht,91 zumal (tou`) qeou` in der Apostelgeschichte nirgends bei pneu`ma steht. An einer weiteren Stelle, bei dem Auftritt des Petrus vor dem Synhedrion in Kap. 4, zeigt sich übrigens auch recht deutlich, wie Lukas das Wirken des Geistes von dem des Namens Jesu abhebt: Während durch den Namen das Wunder geschah (4,10), verleiht der Geist dem Apostel die Fähigkeit, hierüber eine kühne Predigt zu halten. Ist der Name das Mittel zum Heil, so wirkt der Geist, wie schon gesagt, als „Missionsgeist“.

5. Schluss „Die Sache Jesu geht weiter“92 – so lautete ein Slogan, als die biblische Hermeneutik noch ganz im Zeichen der Existentialtheologie stand. Sieht man aber von diesem theologiegeschichtlichen Sitz im Leben ab, beschreibt der Satz eigentlich recht treffend auch ein Grundanliegen der neutestamentlichen Evangelien. Matthäus endet damit, dass der Auferstandene den Seinen das großartige Versprechen gibt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Johannes dehnt die Geschichte Jesu bis in die Gegenwart seiner intendierten Leserschaft hinein, indem er diese Gegenwart in Jesu Reden als bereits gegeben antizipiert.93 Und Markus scheint mit seinem abrupten Schluss und dem unerfüllten Auftrag, nach Galiläa zu ziehen und dort den Auferstandenen zu sehen, zu einer wie auch immer gearteten Fortsetzung

89

90 91 92 93

Tuckett, “Chistology“ (s. Anm. 30) 156, hält hier zwar auch die Deutung „the same spirit as rested on Jesus“ für möglich. Plausibel wäre das aber nur, wenn hier ein sachlicher Bezug zu einer jener Stellen in Lk 3–23 gegeben wäre, die von dem Geistbesitz des irdischen Jesus handeln. Das ist nicht der Fall. Vgl. Buckwalter, Character (s. Anm. 30) 201–204. Siehe auch oben Abs. II (bei Anm. 47). Anders Buckwalter, Character (s. Anm. 30) 203 mit Hinweis auf die Parallelität der Formulierung von 5,9 (Versuchung des Geistes des Herrn) und 5,4 (Lüge wider Gott). W. Marxsen, Die Sache Jesu geht weiter (Gütersloh 1976); vgl. id., Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus (Gütersloh 1966). Vgl. J. Frey, Die johanneische Eschatologie, vol. II: Das johanneische Zeitverständnis (WUNT 110, Tübingen 1998).

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überleiten zu wollen, auch wenn er diese selbst nicht bieten will, vielleicht auch nicht bieten kann.94 Verglichen mit diesen mehr oder weniger subtilen Formen, das Weitergehen der Sache Jesu zum Ausdruck zu bringen, hat Lukas mit seinem zeitlich-linearen Entwurf eine konzeptionell eher schlichte Variante gewählt. Literarisch erwies sie sich allerdings am aufwendigsten und anspruchsvollsten, denn dem ersten Band musste ein stimmig anknüpfender zweiter folgen. Die vielfältigen Wunder und göttlichen Eingriffe, die die Apostelgeschichte durchziehen, leisten zu diesem unerlässlichen literarischen Aufwand einen Schlüsselbeitrag. Denn nicht zuletzt mit ihrer Hilfe gelingt es, der Leserschaft deutlich zu machen, dass hier die Sache Jesu tatsächlich weitergeht. Eine Geschichte, in der Menschen Christus predigen, in seinem Namen handeln und seinem Vorbild nachfolgen, hätte Lukas wohl auch ohne Visionen, Heilungswunder und Geistmanifestationen zuwege bringen können. Das wäre dann aber nicht die Geschichte Jesu Christi gewesen.

94

Wobei er auf das Problem der Parusieverzögerung allerdings ganz anders reagiert als Lukas; s. hierzu D. S. du Toit, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen (WMANT 111, Neukirchen-Vluyn 2006).

Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora: Ein Beitrag zum Gottesvolk-Verständnis bei Lukas BETTINA ROST

1. Einführung Nach Lukas ist der Anlass der Jerusalemer Versammlung, zu deren Ergebnissen das sogenannte „Aposteldekret“ zählt, die von einigen jüdischen Christusanhängern erhobene Forderung, Brüder aus den Völkern zu beschneiden (Apg 15,1.5). Es geht also um die Frage, ob nichtjüdische Christen in das ersterwählte Volk Israel integriert und – wie Juden – auf die Tora verpflichtet werden müssen. Somit steht nach lukanischer Darstellung zur Debatte, ob Heiden als Heiden zum Heil Israels gelangen können, oder ob diese Heilsteilhabe ausschließlich den Mitgliedern des jüdischen Volkes vorbehalten ist. Allerdings zielt die verhandelte Streitfrage mehr noch auf den religionssoziologischen Status der Heidenchristen als auf den Modus ihrer Rettung: „Es ist die Frage, ob die Heidenchristen Proselyten werden müssen, denn das hieße exakt: die Übernahme von Beschneidung (peritomhv) und Tora (novmo~).“1 Insofern wird von der Interpretation des Aposteldekrets in Apg 15,20 (und dessen Wiederholungen in 15,29 und 21,25) auch die Frage berührt, welche Gottesvolk-Vorstellung Lukas vertritt. Für diesen Zusammenhang ist die Rede des Jakobus (Apg 15,13–21) von größter Bedeutung; sie wird daher im Mittelpunkt der Textanalyse (4.) stehen. Ihr voraus gehen eine Darstellung des textlichen Befundes (2.) sowie eine kurz gefasste Forschungsübersicht (3.) zum Aposteldekret, die sich mit den wichtigsten Thesen zu dessen Ursprung, Inhalt und lukanischer Rezeption auseinandersetzt. In einem letzten Abschnitt werden die Ergebnisse der Untersuchung bündig zusammengefasst (5.).

1

B. Jürgens, Zweierlei Anfang. Kommunikative Konstruktionen heidenchristlicher Identität in Gal 2 und Apg 15 (BBB 120, Berlin/Bodenheim b. Mainz 1999) 130.

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2. Textbefund und verarbeitete Traditionen 2.1 Ein viergliedriges Dekret In dem Streitfall um die Geltung der Mosetora für die nichtjüdischen Teile der christlichen Gemeinden (wie Antiochia) trifft nach dem Bericht von Apg 15 der Herrenbruder Jakobus folgende Entscheidung, die Autorität und Verbindlichkeit erlangt: (19) dio; ejgw; krivnw mh; parenoclei`n toi`~ ajpo; tw`n ejqnw`n ejpistrevfousin ejpi; to;n qeovn, (20) ajlla; ejpistei`lai aujtoi`~ tou` ajpevcesqai tw`n ajlisghmavtwn tw`n eijdwvlwn kai; th`~ porneiva~ kai; tou` pniktou` kai; tou` ai{mato~. (21) Mwu>sh`~ ga;r ejk genew`n ajrcaivwn kata; povlin tou;~ khruvssonta~ aujto;n e[cei ejn tai`~ sunagwgai`~ kata; pa`n savbbaton ajnaginwskovmeno~. (19) Darum urteile ich, wir sollten denen aus den Heiden, die sich zu Gott bekehren, keine Schwierigkeiten machen, (20) sondern ihnen brieflich auftragen, sich fernzuhalten von den Verunreinigungen durch Götzen, Unzucht, Ersticktes und Blut. (21) Denn Mose hat seit alten Zeiten in jeder Stadt seine Verkündiger in den Synagogen, wenn er an jedem Sabbat verlesen wird.

Dieses Urteil des Herrenbruders tritt im weiteren Verlauf des 15. Kapitels der Apostelgeschichte noch einmal in brieflicher Form ins Blickfeld, allerdings mit geringer Abweichung in Wortlaut und Reihenfolge der vier Bestimmungen: (28) e[doxen ga;r tw/` pneuvmati tw/` aJgivw/ kai; hJmi`n mhde;n plevon ejpitivqesqai uJmi`n bavro~ plh;n touvtwn tw`n ejpavnagke~, (29) ajpevcesqai eijdwloquvtwn kai; ai{mato~ kai; pniktw`n kai; porneiva~, ejx w|n diathrou`nte~ eJautou;~ eu\ pravxete. “Errwsqe. (28) Der heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: (29) Enthaltung von Götzenopferfleisch, von Blut, von Ersticktem und von Unzucht. Wenn ihr euch davor in Acht nehmt, handelt ihr richtig. Lebt wohl!

Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora

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Schließlich erinnert Jakobus in Apg 21,25 im Kontext der Ankunft des Paulus in Jerusalem an die einstige Abmachung, wonach die Christen aus den nichtjüdischen Völkern „sich hüten sollen“ (fulavssesqai) vor Götzenopferfleisch (eijdwlovquton), Blut (ai|ma), Ersticktem (pniktovn) und vor Unzucht (porneiva).

Welche Schwierigkeiten die Auslegung dieses viergliedrigen sog. Aposteldekrets bereitet, geht schon aus den Varianten der Textüberlieferung hervor: Die viergliedrige Textform mit den Auflagen Götzen(opferfleisch), Blut, Ersticktes und Unzucht wird von allen griechischen Handschriften – außer D und P45 in 15,20 (der hier das Verbot der porneiva nicht hat) –, der Vulgata, Peschitta und den syrischen Übersetzungen bezeugt. Abgesehen von zahlreich vorkommenden Textvarianten und Mischformen2 wird die wichtigste Alternative vertreten durch den Codex Bezae (D), bei dem einerseits der Hinweis auf das Erstickte fehlt und andrerseits die negative Version der Goldenen Regel hinzugefügt ist. Diese Lesart und die darin verbleibenden drei Grundverbote werden gewöhnlich als ethische Umdeutung des Aposteldekrets im Sinne von Götzendienst, Blutvergießen und Unzucht verstanden und auf ein späteres Unverständnis gegenüber „kultisch“ geprägten Bestimmungen zurückgeführt. Demgemäß wurde in der neueren Forschung lange Zeit die viergliedrige Version nahezu einhellig für die ursprünglichere gehalten. Nach KÜMMEL etwa ließen sich aus ihr alle Varianten deuten und auch die D-Textform als bewusste Änderung verständlich machen.3

2

3

Da hier auf das vielfältige textkritische Problem nicht ausführlich eingegangen werden kann, sei auf die Übersicht über den Textbestand des Aposteldekrets bei M. Meiser, „Texttraditionen des Aposteldekrets – Textkritik und Rezeptionsgeschichte“, in T. Nicklas/M. Tilly (eds.), The Book of Acts as Church History. Text. Textual Traditions and Ancient Interpretations (BZNW 120, Berlin/New York 2003) 373–398: 377–381, verwiesen. Vgl. W. G. Kümmel, „Die älteste Form des Aposteldekrets“ (1953), in id., Heilsgeschehen und Geschichte. Gesammelte Aufsätze 1933–1964 (Marburg 1965) 278–288: 286; ebenso urteilen u.a. H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte erklärt (HNT 7, Tübingen ²1972) 92, B. M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament (London/ New York 1971) 429–434, R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 2. Teilband: Apg 13–28 (EKK V/2, Zürich et al. 1986) 81, G. Schneider, Die Apostelgeschichte, II. Teil: Kommentar zu Kap. 9,1–28,31 (HThK V/2, Freiburg 1982) 173, und J. Jervell, Die Apostelgeschichte übersetzt und erklärt (KEK 3, Göttingen 171998) 59. Zu dem in der jüngeren Forschungsgeschichte wieder ins Wanken geratenen Konsens, den sog. westlichen Text für sekundär gegenüber dem sog. alexandrinischen Text zu halten, sowie den unterschiedlichen Theorien für die Entstehung der verschiedenen Textfassungen vgl. Meiser, „Texttraditionen“ (s. Anm. 2) 377 Anm. 26.

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Dagegen vertrat am Anfang des vergangenen Jahrhunderts RESCH die These von der Ursprünglichkeit der „ethischen“ Dekretsform. Resch konstatiert zunächst, dass „das Vorkommen beider Textformen zu fast gleicher Zeit (nämlich um die Mitte des 2. Jahrhunderts) nachweisbar“ sei und daher „eine Entscheidung über das ursprüngliche Aposteldecret von textkritischen Instanzen aus nicht gefällt werden“ könne (19). Unter theologischen Gesichtspunkten sei jedoch festzuhalten, dass das Dekret mit den vier Auflagen keinen Sinn mache, weil es einerseits vorgebe, keine Lasten auferlegen zu wollen, andererseits aber doch solche auferlegt, und weil es das hohe ethische Verbot der porneia unter Speisevorschriften einreiht (20). Zweitens sei es mit der christlichen Auffassung der damaligen Zeit unvereinbar (35): Paulus gebe den Genuss von Götzenopferfleisch prinzipiell frei, und darüber hinaus seien nach Aussage des Neuen Testaments „alle Speisegesetze abgetan“ (37). Darum betrachtet Resch das nur dreigliedrige Dekret als die ursprüngliche und verbindliche Textform und begründet dies folgendermaßen: Das Dekret als ‚Sittenregel’ habe die Autorität der Herrenworte (Mk 7,1–23 u.ö.) für sich, entspräche dem ethischen Gehalt der neutestamentlichen Briefliteratur, und schließlich träfe die Auswahl jener drei Kardinalsünden genau das, worin den neu bekehrten Heiden am ehesten der Rückfall drohe: Götzenopfer, Unzucht und Mord (74). Die Umgestaltung des ursprünglichen Aposteldekrets in seine viergliedrige Textform und die damit einhergehende Spezifizierung seines Verständnisses als ‚Speiseregel’ erfolgte durch die Hinzufügung einer vierten Klausel, des Wörtchens pnikton (151.153).4

In der Folgezeit hat sich eine lange und intensive Forschungsarbeit eingehend mit der Alternative „Speise- oder Sittenregel?“ beschäftigt.5 Für eine differenziertere Wahrnehmung der Ergebnisse der Textkritik plädiert zu Recht MEISER, der zu diesem Zwecke den komplexen patristischen Befund in die Untersuchung einbezieht und vor unsachgemäßen Vereinfachungen warnt: „Ambrosiaster, Hieronymus und Augustinus zeigen, dass Apg 15,29 auch da, wo der Verweis auf das ‚Erstickte’ nicht als Teil des Textes gilt und von daher ‚Blut’ als ‚Mord’ gedeutet werden konnte, nicht generell als ethische Maxime verstanden wird; ferner gilt, dass auch die Einfügung der Goldenen Regel keineswegs ein ethisierendes Verständnis der Jakobusklauseln erzwingt, zumal sie nicht selten an das viergliedrige Dekret angeschlossen 4

5

Vgl. G. Resch, Das Aposteldecret nach seiner außerkanonischen Textgestalt untersucht (TU 28,3, Leipzig 1905). Diese Möglichkeit einer sekundären Ergänzung von pniktovn wurde im vergangenen Jahrhundert mehrfach (und teilweise auch heute wieder) erwogen; daneben wird die These eines nur zweigliedrigen Aposteldekrets als Urtext vertreten, vgl. zu beiden Optionen die einschlägige Literatur bei Meiser, „Texttraditionen“ (s. Anm. 2) 378 Anm. 29–32. So widerspricht etwa K. Six, Das Aposteldekret. Seine Entstehung und Geltung in den ersten vier Jahrhunderten (Innsbruck 1912), vehement Reschs These von der Unvereinbarkeit der viergliedrigen Dekretsform mit der Ethik des Neuen Testaments. Zudem sei es keineswegs zwingend, bei dieser Form des Dekrets sogleich von einer Speiseregel auszugehen, die den im Christentum überwundenen „prinzipiellen Unterschied zwischen reinen und unreinen Speisen“ (61) wieder aufrichte. Denn „ebensowenig wie das Verbot, Götzenopferfleisch zu essen ... ein Speisegesetz im Sinne des mosaischen Zeremonialgesetzes ist, ebensowenig beruht das Verbot des Blutgenusses (von welchem wir das Verbot des Erstickten nicht trennen dürfen) auf der Vorstellung reiner und unreiner Speisen“ (ibid.).

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ist. Umgekehrt bieten Johannes Chrysostomus, Theodoret von Kyros und Hesychius von Jerusalem eine ethisierende Begründung des viergliedrigen Aposteldekrets, ohne dass man darauf schließen dürfte, die Sitte der Blutenthaltung stehe nicht mehr in Geltung. Mit welchem Recht kann dann vom Textbefund einer Handschrift oder von einem unkommentierten Verweis auf die Jakobusklauseln auf den jeweils vorausgesetzten theologischen Hintergrund geschlossen werden?“6

Ich neige mit einem Großteil der Forschung aufgrund der äußeren Bezeugung dazu, für Lukas von einer viergliedrigen Dekretsform auszugehen und aus ebendiesem Grund auch die Goldene Regel für sekundär zu halten. Letztere passt sich zudem syntaktisch schlecht ein; auch wäre ihre spätere Streichung schwerer erklärbar. Jedoch impliziert diese textkritische Entscheidung noch keine inhaltliche Aussage – etwa dahingehend, dass eine „ethische“ Deutung nun zwangsläufig ausgeschlossen ist. Vielmehr wird die gründliche Durchführung der Textanalyse erweisen, dass an jener traditionellen Auslegungsalternative nicht mehr festgehalten werden kann: Im lukanischen (und womöglich auch historischen) Kontext dürfte zwar an Speisevorschriften gedacht sein, jedoch nicht im streng „reinheitsgesetzlichen“ Sinne, sondern vielmehr in Anknüpfung an ethische Maximen des biblisch-monotheistischen Gottesglaubens. 2.2 Vorlukanische Elemente in Apg 15,20–23 Mit WEHNERT kann begründet vorausgesetzt werden, dass Lukas für die Konzipierung von Apg 15 historische Überlieferung benutzte.7 Folgende Traditionselemente lassen sich konkret für das Aposteldekret ausmachen: der Hinweis auf die briefliche Mitteilung des Dekrets (ejpistei`lai, V.20a), der Wortlaut der Dekretsauflagen (ajpevcesqai tw`n ajlisghmavtwn tw`n eijdwvlwn kai; th`~ porneiva~ kai; tou` pniktou` kai; tou` ai{mato~, V.20b; vgl. V.28b–29a, wo ebendiese Vorschriften mit dem begründenden Zusatz „notwendigerweise“ [ejpavnagke~] abgewandelt wiederholt werden), die – mit dem redaktionell ergänzten Paar Paulus und Barna6

7

Meiser, „Texttraditionen“ (s. Anm. 2) 374f. – Dementsprechend sind, wenn man von einer nachträglichen Entstehung der dreigliedrigen Lesart durch sekundäre Streichung des pniktovn ausgeht, zunächst beide Beweggründe in Betracht zu ziehen: eine Deutung von pniktovn als unnötige Dublette (wobei das Verbot des Blutgenusses Speisevorschrift bleibt) oder eine ethische Akzentverlagerung. Vgl. ibid., 374 Anm. 7. Vgl. die sorgfältige Analyse bei J. Wehnert, Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden. Studien zum historischen und theologischen Hintergrund des sogenannten Aposteldekrets (FRLANT 173, Göttingen 1997) 63–71.

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bas8 konkurrierenden – Namen Judas Barsabbas und Silas (V.22b; vgl. V.32) sowie die Provinznamen Syrien und Kilikien in der Adresse des Briefes (V.23b). Dass diese Textelemente auch nach V.23 teilweise noch mehrfach vorkommen, steht diesem Befund nicht entgegen. Vielmehr „dürfte es sich dabei ... um eine luk. Vervielfältigung der herangezogenen Überlieferung handeln, offenbar mit dem Ziel, die karge Tradition zu einer umfangreichen Erzählung auszugestalten“.9 Die traditionelle Information, die dem Verb ejpistevllein zu entnehmen ist, dass nämlich die Dekretsbestimmungen in brieflicher Form übermittelt wurden, wird in den Versen 23–29 für ein von Lukas selbst entworfenes Sendschreiben verwertet, in welchem – sieht man von der Adresse einmal ab – nur Sachverhalte wiederholt werden, die zuvor bereits mitgeteilt worden sind. Außerdem wertet Lukas die Briefform jener Bestimmungen noch in den stark redaktionellen Versen 15,30 und 16,4 (Übergabe der Beschlüsse an die Gemeinden in Antiochien, Syrien und Kilikien) aus. Auch in 21,25 dürfte das Verb ejpistevllein aufgrund der guten Einfügung in den Duktus der dortigen Rede V.20–25 (ejpesteivlamen) als sekundäre Wiederholung verstanden werden. Der Wortlaut der traditionellen Vorschriften von V.20 wird in 15,29 und 21,25 immer mehr redaktionell abgeändert. Zum Beispiel wird die Abfolge der geforderten Enthaltungen in 15,29 so modifiziert, dass die neue Reihenfolge [eijdwlovquta,] ai|ma, pniktav, porneiva einerseits das sexualethische Gebot den Speiseregeln systematisierend gegenüberstellt und andererseits „Blut und Ersticktes“ in der Weise zusammengestellt werden, dass Letzteres als eine Präzisierung des Blutverbotes anzusehen ist (vermutlich im Blick auf die intendierten nichtjüdischen Rezipienten des Dekrets). 10 Eventuell ist auch das konkrete Verbot des Essens von Götzenopferfleisch in 15,29 (und in dieser Form in 21,25 wiederholt) auf Lukas selbst zurückzuführen, der die eher abstrakte Warnung vor einer „Verunreinigung durch Götzen“ (15,20) nachträglich präzisiert haben könnte. Ferner werden die Numeri der vier Substantive (in 15,20 ein Plural, danach drei Singulare) bei ihrem erneuten Vorkommen so abgewandelt, dass eine Reimstruktur daraus wird (15,29: Plur./Sing. – Plur/Sing.), während sie bei ihrer zweiten Wiederholung in 21,25 alle einheitlich in den Singular gesetzt werden. Ähnlich dürfte das Weglassen der Artikel vor den einzelnen Verboten in 15,29 und 21,25 als stilistische Korrektur zu werten sein. Schließlich legen die noch hinzukommenden redaktionellen Abänderungen in 21,25 (lukanisches fulavssesqai statt ajpevcesqai, korrelatives tev/kaiv statt traditioneller Anreihung mit kaiv) endgültig nahe, dass die dreifache Zitierung der Enthaltungsbestimmungen „einen Prozess fortschreitender Lukanisierung einer Tradition darstellt, deren relativ ursprünglichste Form in Apg 15,20 vorliegt“.11 Dass die traditionellen Namen Syrien und Kilikien in 15,41 noch einmal redaktionell aufgenommen werden, darauf deuten die anaphorischen Artikel vor den Provinznamen als Rückbezug auf die erste Erwähnung in V.23, das lukanische Vokabular des Verses (dievrcesqai, ejkklhsiva) und seine Funktion als „Erfüllungsnotiz“: Zu den in V.23 angegebenen Empfängern ist man auch wirklich hingekommen.12 8

9 10 11 12

Wehnert hat wohl richtig beobachtet, „dass Paulus und Barnabas im Abschnitt 15,6– 35 nur in entbehrlichen redaktionellen Zusätzen erwähnt werden, nirgends eine für die Handlung konstitutive Rolle spielen und folglich mit der hierin verarbeiteten Tradition in keinem ursprünglichen Zusammenhang stehen“. Id., Reinheit (s. Anm. 7) 67. Ibid., 64. Anders Wehnert: Die Reihenfolge werde an die zugrunde liegenden Fremdlingsgebote (vgl. unten 3.1.1) angepasst, d.h. in Analogie zu den Lev-Abschnitten 17,10–12; 17,13–15; 18,6ff. gestaltet. Wehnert, Reinheit (s. Anm. 7) 65. Vgl. ibid., 66.

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Unsicher ist, ob auch die Person des Herrenbruders (15,13) zur von Lukas benutzten Geschichtstradition gehört. Immerhin ist die Darstellung des Jakobus als Autor der Dekretsauflagen beachtlich, da Lukas anderswo kein sonderliches Interesse an dieser Figur erkennen lässt: Zum einen erwähnt er ihn nur dreimal (außer hier noch in Apg 12,17 und 21,18), zum andern unterschlägt er seine historische Sonderstellung als Herrenbruder, was zur Streichung der Namen der Jesusbrüder in Lk 4,22 (vgl. Mk 6,3) passt. Die Wiederaufnahmen der Dekretsbestimmungen in Apg 15,29 und 21,25, wo offensichtlich ebenfalls Jakobus als Urheber bzw. Sprecher vorausgesetzt wird, zeigen zumindest, dass Lukas ihre Formulierung fest mit seiner Person verknüpft. Wenn Jakobus in 15,13–21 als die – das Urteil fällende – Autoritätsperson unter den versammelten „Aposteln und Presbytern“ (V.6) in Erscheinung tritt, kann seine Autorität auch hinter dem auf die „Apostel und Presbyter“ zurückgeführten Schreiben V.23–29 vermutet werden, zumal dessen Zielaussage mit der der Jakobusrede identisch ist. Demgemäß wird auch bei der dritten Wiederkehr des Jakobus und des Dekrets in Apg 21 erzählt, dass Paulus und seine Begleiter zu Jakobus gehen, bei dem alle Presbyter zusammengekommen sind (V.18). Nach einer Berichterstattung seitens des Paulus (V.19) richten sich die Presbyter („sie“) mit einer Rede an Paulus (V.20–25), als deren Sprecher aufgrund des gleichartigen Wortlauts von 15,19f. und 21,25 wohl nur Jakobus in Frage kommt (ejgw; krivnw, toi`~ ajpo; tw`n ejqnw`n ejpistrevfousin ejpi; to;n qeo;n, ejpistei`lai + Verbote in 15,19f. stimmen überein mit krivnante~, tw`n pepisteukovtwn ejqnw`n, ejpesteivlamen + Verboten in 21,25). Inwieweit sich dieser Befund auf die von Lukas verwendete Tradition zurückführen lässt, kann nicht mehr sicher entschieden werden.13

Fest steht: Entweder lag Lukas ein historischer Bericht vor, der Auskunft über die briefliche Mitteilung des Dekrets und dessen Wortlaut gab (ejpistevllein), oder er kannte einen Brief(auszug), der die Enthaltungsbestimmungen enthielt. Ob Lukas dabei der genaue Wortlaut des Briefes vorgelegen hat oder er sich nur auf eine mündlich umlaufende Überlieferung stützen konnte, die die genannten Elemente beinhaltete, muss offen bleiben.

3. Forschungsüberblick Wie die Enthaltungsgebote im Einzelnen zu verstehen sind, wird in der neutestamentlichen Forschung sehr unterschiedlich beantwortet. Im Folgenden sollen anhand eines Dreischritts die wichtigsten Gesichtspunkte zusammengetragen werden, unter denen das Aposteldekret jeweils betrachtet wird. Zunächst ist dabei nach dem ursprünglichen Bezugsrahmen zu fragen, der die Auswahl der vier Enthaltungsgebote zu begründen vermag (3.1), bevor diese selbst dann inhaltlich präzisiert 13

Gegen Wehnert, für den Jakobus mit großer Wahrscheinlichkeit zu den ursprünglichen Traditionselementen zählt. Vgl. ibid., 67.

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werden (3.2). Schließlich gilt es – vor dem Hintergrund beider Fragestellungen nach Ursprung und Inhalt der Einzelvorschriften – die Bandbreite der Forschungsmeinungen zum lukanischen Verständnis des Dekrets auszuleuchten (3.3). 3.1 Der ursprüngliche Hintergrund der Dekretsauflagen 3.1.1 Aufnahme der den „Fremdlingen“ geltenden Gebote aus Lev 17f. Was in biblischer Zeit relevant war für das Verhältnis Israels zu den nichtjüdischen Beisassen (gerim), soll auch verbindlich sein für das Zusammenleben der Judenchristen mit den Geschwistern aus den Heiden. Verdankt sich die Entstehung des (historischen) Aposteldekrets dieser Idee? Bereits im 19. Jahrhundert wurde auf Lev 17f. verwiesen, wo entsprechende Regelungen für die gerim in gleicher Reihenfolge vorlägen wie in Apg 15,29 und 21,25 – nämlich das vierfache Verbot, falschen Opferdienst zu treiben (Lev 17,8f.), Blut zu genießen (Lev 17,10.12), ein nicht durch Ausfließenlassen des Blutes getötetes, ein gefallenes oder zerrissenes Tier zu essen (Lev 17,13.15) und Unzucht zu begehen (Lev 18,[6–]26). In die neuere Diskussion wurde dieses Kriterium vor allem durch HAENCHEN eingebracht, der sich dabei auf die ältere Arbeit von WAITZ berief14, und seitdem von vielen übernommen.15 Gegen eine solche Ableitung der Dekretsforderungen wird in der neueren Forschung öfter der Einwand vorgebracht, dass noch weitere alttestamentliche Regelungen „für den Fremdling, der bei euch wohnt“, gelten und daher dieses Kriterium die vorliegende Zusammenstellung

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„Was diese 4 Verbote miteinander verbindet und von allen andern ‚rituellen’ Forderungen des ‚Moses’ unterscheidet, ist jedoch der Umstand, dass sie, und nur sie, nicht bloß den Juden gegeben sind, sondern auch den Heiden, die unter den Juden wohnen. Während sich das Gesetz sonst allein an die Juden wendet, legt es diese 4 Forderungen auch den Heiden auf!“ E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK III, Göttingen 161977 [= 7. Aufl. der Neubearb.]) 453. Auch F. Overbeck, Kurze Erklärung der Apostelgeschichte (Kurzgef. exeg. Handb. zum NT von W. M. L. de Wette I/4, Leipzig 41870) 230, J. G. Sommer, „Das Aposteldecret (Act. XV). Entstehung, Inhalt und Geschichte seiner Wirksamkeit in der christlichen Kirche“, Theologische Studien und Skizzen aus Ostpreußen I (1887) 175–228: 207ff., und H. Waitz, „Das Problem des sogenannten Aposteldekrets und die damit zusammenhängenden literarischen und geschichtlichen Probleme des apostolischen Zeitalters“, ZKG 55 (1936) 227–263: 227, leiteten die Kombination der Dekretsforderung so her. Vgl. die Auflistung bei R. Deines, „Das Aposteldekret – Halacha für Heidenchristen oder christliche Rücksichtnahme auf jüdische Tabus?“, Jewish identity in the Greco-Roman world. Jüdische Identität in der griechisch-römischen Welt (2007) 323–395: 352 Anm. 94.

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nicht ausreichend begründet.16 Während KLINGHARDT das Kriterium deshalb modifiziert und die Auswahl der vier Gebote konkret durch die sog. „Ausrottungsformel“ bestimmt sein lässt17, entkräftet MÜLLER den Einwand mit der Erklärung, die weiteren biblischen ger-Bestimmungen verstünden sich für solche, „die sich zu Gott hinwenden“ (Apg 15,19), von selbst und bräuchten nicht eigens erwähnt zu werden. Hierzu zählten das Verbot des Molochdienstes (Lev 20,2) oder der Gotteslästerung (Lev 24,16), während beispielsweise das gegenüber der Hebräischen Bibel noch dringender gewordene Phänomen des Götzenopferfleisches im Dekretstext durchaus der speziellen Erwähnung bedürfe. Zur Nichterwähnung des Sabbatgebots Ex 20,10; Dtn 5,14, das ebenfalls auf den Fremdling bezogen ist, äußert er sich nicht.18 Nach BAUCKHAM geht die Auswahl der vier Gebote auf die Präposition ‫ בתוך‬zurück, die beim Sabbatgebot Ex 20,10 par. und beim Verbot der Lästerung des Gottesnamens Lev 24,16 fehlt, die jedoch in Lev 17f. an den Stellen 17,8.10.12.13; 18,26 und somit exakt in Verbindung der Vorschriften erscheint, die auch in Apg 15 vorkämen.19 Für diese Auswahl könnten die eschatologischen Aussagen Jer 12,15–16 LXX und Sach 2,15 LXX als Grundlage gedient haben, nach denen mit „Fremden“ als Teil der endzeitlichen Heilsgemeinde „inmitten“ des Volkes zu rechnen ist. Beide Septuaginta-Stellen hätten auch den Wortlaut von Am 9,11f. in der Jakobusrede (Apg 15,16–18) beeinflusst. Die Präposition ‫ בתוך‬findet sich, wie BAUCKHAM zugibt, zusätzlich noch in Lev 16,29; Num 15,14–16.29; 19,10 in Bezug auf Fremde „inmitten“ Israels. Angeblich beträfen diese Stellen aber den Tempelkult und seien nicht aufgenommen worden, weil sich die urchristliche Gemeinde als eschatologischer Tempel verstanden habe.

Des Weiteren geben Kritiker dieser verbreiteten Position zu bedenken, dass die eigentliche Bezugsgröße von Lev 17f. das heilige Land (mit den damit verbundenen theologischen Implikationen) sei, wohingegen sich das Aposteldekret nach Lukas an alle Heidenchristen richte und die Gemeinschaft zwischen Judenchristen und Heiden in der Diaspora im Blick habe.20 Dagegen könnte argumentiert werden, dass das historische Aposteldekret zwar offenkundig jene alttestamentlichen Verbote zusammenstellt, die biblisch auf die rituelle Reinheit der mit den Isra16 17

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Vgl. M. Klinghardt, Gesetz und Volk Gottes. Das lukanische Verständnis des Gesetzes nach Herkunft, Funktion und seinem Ort in der Geschichte des Urchristentums (WUNT II/32, Tübingen 1988) 158 Anm. 1. Gemeint ist die Strafandrohung der Ausrottung (karet-Strafe, von der hebräischen Nifalform ‫)כרת‬, die Klinghardt, ibid., 181–206, „als Kriterium für die Kombination der Dekretsforderungen“ ansieht und die bereits im biblischen Verständnis die Heiligkeit der Gemeinde (Lev 20,7f.) und damit ihre Identität zu wahren sucht. Vgl. K. Müller, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum (Studien zu Kirche und Israel 15, Berlin 1994) 163. R. Bauckham, “James and the Jerusalem Church“, in id. (ed.), The Book of Acts in Its Palestinian Setting (The Book of Acts in Its First Century Setting IV, Grand Rapids/ Carlisle 1995) 415–480: 454f.458.460. In Lev 18,3.24–28 werden die Vorschriften mit der Reinhaltung des Landes Israel begründet. Vgl. dazu Deines, „Aposteldekret“ (s. Anm. 15) 356–358, und dort auch die weiteren Stimmen gegen Lev 17f. als Bezugstext des Aposteldekrets: 356 Anm. 108.

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eliten zusammenlebenden „Fremdlinge“ zielten, diese ursprüngliche Intention jedoch judenchristlich aktualisiert und als Modell für das gemeinschaftliche Nebeneinander von Juden(christen) und Heidenchristen in einem erneuerten laov~ aufgefasst werden konnte. Dennoch lassen sich die Anfragen an eine Interpretation des Dekrets vor dem Hintergrund von Lev 17–18 nicht leicht von der Hand weisen: „There are serious problems with this assumption however. First, there is the problem that the relevant Levitical material was for the Gentile dwelling within Israel, which once again is the wrong social context. All of Leviticus 17–18 is addressed to Israel and to the strangers who live within the Holy Land. The decree is for Gentiles in the Diaspora. Secondly, the key term eidwloquton does not occur anywhere in Leviticus 17–18 (LXX). Thirdly, Lev. 17:10-14 prohibits the eating of blood, but nothing more. Nothing is said here about things strangled or pnikton, and more importantly the text is not about food partaken of during an act of idolatry. Leviticus 18 does indeed prohibit sexual relationships with one’s own flesh (relatives or kin), members of one’s own sex or animals, or menstruating women, but the term porneia is not used to describe these sexual sins, and in any case the focus in this chapter is primarily on sexual relationships that occur between people who are too closely related by blood.“21

Der entscheidende Einwand gegen die ausschließliche Herleitung des Aposteldekrets aus der Fremdlingsgesetzgebung scheint mir jedoch die Tatsache zu sein, dass die Septuaginta das hebräische ‫ גר‬in Lev 17 und 18 durchweg mit „Proselyt“ wiedergibt, bei den vier Regelungen also offenbar nicht mehr an die Heiden denkt (proshvluto~ Lev 17,3.8.10.12. 13.15; 18,26 LXX).22 Solche, dem jüdischen Volk durch Beschneidung und volle Toraobservanz beitretende Heiden sind in der Jerusalemer Apostelversammlung aber gerade nicht Thema.

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B. Witherington, The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary (Grand Rapids/Carlisle 1998) 464f. „Der biblische ger-Begriff hat sich in frührabbinischer Zeit gewandelt und wird spätestens im 1. Jahrhundert zum technischen Ausdruck für den Proselyten. [...] Die tannaitischen Rabbinen führen diese Linie konsequent weiter: Im frühen Midrasch Sifra zu Leviticus finden die Rabbinen im Begriff des ger in Kapitel 17 und 18 exklusiv die Proselyten angesprochen. Von den vier Bestimmungen beziehen die Rabbinen nur das Unzuchtsverbot auch auf die Völker; dies begründen sie exegetisch allerdings nicht mit dem ger-Begriff, sondern mit dem doppelten ‫ איש איש‬in Lev 18,6.“ Müller, Tora (s. Anm. 18) 162.

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3.1.2 Bezugnahme auf die sog. Noachiten-Tradition Eine zweite Interpretationsrichtung bringt das Dekret mit den sog. noachitischen Geboten in Zusammenhang, die sich im frührabbinischen Judentum zunehmend ausprägten und auf dem Gedanken einer allgemein verbindlichen Ethik beruhten, und zwar unter Berufung auf Gen 9.23 So entstand um die Mitte des zweiten Jahrhunderts die sog. noachitische Tora, eine universale Ethik, die von tannaitischen Rabbinen ausgearbeitet worden ist. Es handelt sich genauer um eine Zusammenstellung von sieben Geboten für die Nachkommen Noahs, deren ältester literarischer Beleg in der Tosefta (im Traktat avoda zara 8,4) zu finden ist: (1.) das Gebot der Rechtspflege sowie die Verbote (2.) von Götzendienst, (3.) Gotteslästerung, (4.) Unzucht, (5.) Blutvergießen, (6.) Raub und (7.) ein Glied vom noch lebenden Tier zu essen. Zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments ist jüdischerseits allerdings noch nicht entschieden, welche Gebote zum Kanon der universal verbindlichen Satzungen gehören; die klassische Siebenerreihe der rabbinischen Noahtora hat, so der Quellenbefund, damals noch nicht vorgelegen.24

Die Konzeption der noachitischen Gebote nahm ihren Ausgangspunkt vermutlich bei den drei Kardinalsünden Götzendienst, Unzucht und Blutvergießen, die schon früh mit dem Gedanken allgemein-menschlicher Gültigkeit verbunden worden waren25 und schließlich das Herzstück des universalen Noachitenprinzips bildeten. Doch im 1. Jahrhundert liegt nur jener Kanon der drei Hauptsünden schon vor; dieser allerdings ist in die Ethik des frühen Christentums und somit in die ethischen Teile des Neuen Testaments, etwa die paulinischen Lasterkataloge, in reichem Maße eingegangen. Auch wenn die explizite Formulierung der noachitischen Ge- und Verbote erst ab dem 2. Jh. n. Chr. nachweisbar ist, lässt sich demnach mit gutem Grund wahrscheinlich machen, dass es gewisse Vorformen solcher Zusammenstellungen gegeben hat. Diese könnten m. E. die Auswahl der Dekretsforderungen, wie sie sich bei Lukas finden, durchaus beeinflusst haben. Danach würde es sich in Apg 15 um universal verbindliche Grundsätze handeln, deren

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Z.B. M. Bockmuehl, “The Noachide Commandments and New Testament Ethics. With Special Reference to Acts 15 and Pauline Halakhah”, RB 102 (1995) 72–101. Vgl. die ausführliche Behandlung der rabbinischen Traditionen bei Müller, Tora (s. Anm. 18) 25–136. Vgl. etwa die Sibyllinischen Orakel III, 762–766, aus dem 2. Jh. v. Chr.: Die als Schwiegertochter Noahs (III,826) vorgestellte Sibylle mahnt: „Aber treibt euer Herz in der Brust zur Eile an und flieht den ungerechten Götzendienst. Dem Lebenden diene. Hüte dich vor Ehebruch und dem gesetzlosen Beilager mit dem Knaben. Deinen eigenen Nachwuchs von Kindern ziehe auf und morde sie nicht; denn wer so sündigt, dem wird der Unsterbliche zürnen.“ (Zitiert nach Müller, Tora [s. Anm. 18] 57).

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Verletzung dem Willen des Schöpfers aller Menschen widerspräche wie auch dem Glauben an den einen Gott Israels.26 3.1.3 Heidnische Öffentlichkeit als „Sitz im Leben“ WITHERINGTON und DEINES deuten die vier Enthaltungsforderungen nicht unmittelbar aus der Schrift heraus, sondern primär vor dem Hintergrund der jüdischen Diaspora (vgl. 3.3.3–3.3.4) als Warnung vor aktiver Partizipation an heidnischen Kultvorgängen oder den schlimmsten heidnischen Praktiken.27 Jakobus habe keine jüdischen Gebote für kultische Reinheit aufgestellt, die sich zu drei Viertel auf Speisen beschränkten, denn dann bestünden auch zu viele Lücken (z.B. Schweinefleisch). Außerdem sei nicht erklärlich, dass man einen Brief an die Heidenchristen schreiben müsste, würden die Verbote bereits expressis verbis in der Tora stehen. In diesem Falle könnte direkt auf die Tora verwiesen werden. Was hier eher im Blickfeld zu sein scheine, sind neubekehrte Christen mit rein heidnischem Hintergrund. In diesem Sinne bezieht WITHERINGTON die einzelnen Dekretsbestimmungen konkret auf Elemente des heidnischen Kultes (Opferfleisch, Blut und Ersticktes28 als Hinweis auf besondere pagane Opferformen sowie Kultprostitution): „the issue is not just where one might find one or another of the four elements of the decree in isolation, but in what social setting one might find them together. Here the answer is ... likely to be in a temple, not in a home, and in particular at a temple feast.“29 Diese These untermauert er beispielsweise durch Texte wie 2Makk 6,4–5, aus denen ersichtlich werde, dass man jüdischerseits offenbar ein fest geprägtes Bild von heidnischen Tempelaktivitäten hatte und dabei genau solche Elemente, wie sie beim Aposteldekret vorliegen, miteinander kombinierte. Diese Argumentationslinie zieht DEINES noch weiter aus: „So selbstverständlich also die ganze Tora unter den aktuellen Bedingungen des Landes Israel zu den unaufgebbaren Forderungen jüdischer Existenz gehören [sic!], so wenig selbstverständlich gehört dies zum jüdischen 26

27 28 29

Vgl. auch M. Neubrand, Israel, die Völker und die Kirche. Eine exegetische Studie zu Apg 15 (SBB 55, Stuttgart 2006) 240f.; W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments (Grundrisse zum Neuen Testament IV, Göttingen 41982) 123, dem zufolge sich das Aposteldekret „offenbar an den noachitischen Geboten orientiert“. Präziser müsste von protonoachitischen Geboten gesprochen werden. Dafür spricht sich auch C. K. Barrett, A Critical and Exegetical Commentary on The Acts of the Apostles, vol. II (ICC, Edinburgh 1998) 733f., aus. Siehe dazu unten Anm. 42. Witherington, Acts (s. Anm. 21) 461.

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Leben in der Diaspora. Die zentrale Aufgabe der Diaspora ist es dagegen, am biblischen Monotheismus und an der Identität als Volk festzuhalten ... Dass sich diese Identitätssicherung ebenfalls an der Tora orientiert, steht außer Frage. Aber der Kontext ist ein völlig anderer, indem eine die Identität sichernde Auswahl getroffen werden muss bei gleichzeitiger Außerachtlassung vieler an die Existenz im Land gebundenen Einzelgebote.“30

In der heidnischen Umgebung der Diaspora trete an die Stelle der Gesetzesauslegung das jüdische Ethos (das selbstverständlich auf der Tora basiere) mit dem Ziel, die Identität Israels als Volk zu bewahren. Demgemäß seien die vier Enthaltungsvorschriften als identitätsstiftende kulturelle Tabus zu verstehen, die das jüdische Volk innerhalb der paganen Umwelt der Diaspora absonderten und stabilisierten. Es handele sich konkret um Bereiche, in denen Juden das Verhalten der Nichtjuden als in höchstem Maße verabscheuungswürdig empfänden. Dabei gehe es primär nicht um die Übertretung von Geboten der Tora, sondern in erster Linie um die „Missachtung fundamentaler Signaturen, die Gott durch die Schöpfung gesetzt hat und die darum allen Menschen zugänglich sind“31. So wie die jesusgläubigen Juden als Teil der Synagogengemeinschaft in ihrer spezifischen Lebensweise jüdisches Volk (bzw. Israel) in der Diaspora bleiben, müssten ihre nichtjüdischen Geschwister das dafür entscheidende Ethos zumindest in seinen schöpfungstheologischen (nicht: ritualgesetzlichen) Grundzügen übernehmen. Die Menschen ehren Gott, ihren Schöpfer, – abgesehen vom Unterlassen des Götzendienstes – dadurch, dass sie die schöpfungsgemäße Zuordnung von Mann und Frau respektieren und in ihrem Essverhalten darauf achten, ihre Sonderstellung in der Schöpfung nicht aufzuheben (d.h. kein „Zerrissenes“ [Lev 17,15] zu verzehren, denn Menschen und Tiere teilen nicht dieselbe Nahrung) und die Naturnotwendigkeiten zu scheuen (die zum Tod eines von selbst eingegangenen Tieres führten, vgl. Lev 17,15). Desgleichen gilt Blut als die eigentliche Lebenskraft, welches darum für den Menschen unverfügbar ist; es muss frei und unberührt gelassen werden. 32

Das Vermeiden von solcherlei „Unnatürlichem“ könne nach jüdischer Auffassung von allen Menschen verlangt werden: Götzendienst und Götzenopferfleisch, sexuelle Ausschweifung und kultische Prostitution, Fleisch, das nicht durch einen normalen Schlachtvorgang verfügbar wurde, sowie verwerfliche heidnischen Esspraktiken und Umgang mit Blut.

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Deines, „Aposteldekret“ (s. Anm. 15) 365f. Ibid., 380. Ibid., 368–377.381.382–393. Vgl. dort auch die einschlägigen rabbinischen Belegstellen sowie diejenigen bei Josephus. Zu Philo siehe unten Anm. 41.

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3.1.4 Fazit Die einseitige Rückführung der vier Enthaltungsvorschriften auf Lev 17–18 ist – abgesehen von den zahlreichen erwähnten Problemen, die sich damit einstellen – vor dem Hintergrund der gesamten biblischtheologischen Grundsätze keineswegs zwingend. Nicht nur aus der Fremdlingsgesetzgebung (3.1.1), sondern überhaupt aus dem gesamtbiblisch belegten monotheistischen Gottesglauben resultieren Grundsätze und Gebote auch für Nichtjuden. Sowohl diejenigen, die die Dekretsauflagen für eine vor-noachitische Zusammenstellung halten (3.1.2), als auch diejenigen, die in ihnen schlicht eine Zurückweisung heidnischer Gepflogenheiten sehen (3.1.3), finden für ihre theologische Begründung eine breite biblische Basis vor.33 Nach Genesis bis Deuteronomium und den Büchern der Propheten, vor allem nach Jes 40–66, sowie nach den Psalmen gilt der Gott Israels als Schöpfer und Herr der ganzen Welt und Menschheit. Gerade die Götzenpolemik der Propheten hat im Glauben an den einen Gott des Himmels und der Erde ihre Ursache. Ein genauerer Blick auf den Inhalt der einzelnen Vorschriften wird diese Auffassung noch bestätigen, der zufolge die vier Enthaltungsgebote – als grundsätzliche ethische Anforderungen an alle Menschen – aus dem biblischen Glauben an den einen Schöpfergott abgeleitet werden können. 3.2 Inhaltliche Näherbestimmung der Einzelvorschriften Der Begriff ajlisghvmata (Befleckung[en], Verunreinigung[en]) in Apg 15,20 gibt m. E. überschriftartig den Grund für die Verbote an und ist daher (Plural!) auf alle Einzelbestimmungen zu beziehen. Nach der Formulierung des Dekretes in 15,29 sollen sich die Geschwister aus den Heiden folgender vier Dinge enthalten:

33

Allerdings sind die Vertreter einer auf die heidnische Öffentlichkeit bezogenen Interpretation des Dekrets zurückhaltend bis abweisend, was eine mögliche Verbindung zur Vorgeschichte der späteren noachitischen Gebote betrifft. So z.B. Witherington, Acts (s. Anm. 21) 464, der sich allerdings auf die rabbinische Siebenerreihe bezieht: „It would be anachronistic to bring the latter rabbinic concept of seven Noahic commandments, binding on all descendants of Noah, into our discussion.“

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3.2.1 Götzenopferfleisch (eijdwlovquta) Hierbei handelt es sich um eine Spezifizierung der ei[dwla, Götzen, in 15,20. „Das Essen von Götzenopferfleisch ist eine besondere Form des Götzendienstes.“34 Es geht mithin um Fleisch, das im paganen Kult eine Rolle gespielt hat und dann entweder im Zusammenhang der Kultfeier im Tempel gegessen35 oder auf dem Markt verkauft36 wurde.37 Das entsprechende Verbot dient letztlich der Durchsetzung des Herrschaftsanspruches JHWHs. 3.2.2 Blut (ai|ma) Es wird hier sowohl an „Blutvergießen“ (Mord)38 als auch an jeglichen „Blutgenuss“ gedacht sein (vgl. Gen 9,4–6 LXX39). Nach biblischer Anschauung ist das Blut Lebensträger und erfüllt eine kultische Aufgabe im Sühneritus des Tempels (Lev 17,11). Aus beiden Funktionen des Blutes ergibt sich dessen Unverfügbarkeit für den menschlichen Gebrauch. Auch in griechisch-paganen Kultfeiern spielt es als Medium der Sühne und Reinigung eine Rolle.40 Dass Blut rituell verunreinigt, ist eine biblisch tief verwurzelte Anschauung (Num 19,1ff. u.ö.), die mit der grundsätzlichen Anerkennung Gottes als Herrn des Lebens zusammenhängt.

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Klinghardt, Gesetz (s. Anm. 16) 160. Vgl. dort auch die Belege für die Verbindung des Götzendienstes mit Speisegeboten. Vgl. 1Kor 8,10; 10,21. Von Götzenopfern zu essen ist bereits explizit verboten in Ex 34,15. Vgl. 1Kor 10,25–28. Die Haltung des Paulus in den einschlägigen Kapiteln über diese Frage im 1. Korintherbrief ist differenzierter, insofern er die Teilnahme am Götzendienst zwar strikt, aber das Genießen von Opferfleisch nur dann verbietet, wenn damit eine Gewissensbelastung verbunden ist. Vgl. F. Büchsel, „Art. eijdwlovquton“, ThWNT II (1935) 375f. So auch Witherington, Acts (s. Anm. 21) 464 Anm. 426: „A second possibility is indeed that blood here refers to murder, since in early Judaism the three cardinal sins of pagans were seen to be idolatry, sexual immorality, and murder.“ plh;n kreva~ ejn ai{mati yuch`~ ouj favgesqe kai; ga;r to; uJmevteron ai|ma tw`n yucw`n uJmw`n ejkzhthvsw ejk ceiro;~ pavntwn tw`n qhrivwn ejkzhthvsw aujto; kai; ejk ceiro;~ ajnqrwvpou ajdelfou` ejkzhthvsw th;n yuch;n tou` ajnqrwvpou. oJ ejkcevwn ai|ma ajnqrwvpou ajnti; tou` ai{mato~ aujtou` ejk cuqhvsetai o{ti ejn eijkovni qeou` ejpoivhsa to;n a[nqrwpon. Vgl. die Belege bei J. Behm, „Art. ai|ma“, ThWNT I (1933) 171–175.

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3.2.3 Ersticktes (pniktav bzw. pniktovn) Der Begriff fehlt in der LXX, im sonstigen Neuen Testament und der zeitgenössischen jüdischen Literatur mit einer Ausnahme bei Philo.41 Biblisch gesehen steht das Wort vermutlich im Zusammenhang mit dem Verbot des Blutgenusses42 und bezieht sich dann auf das Fleisch jener Tiere, deren Leben sozusagen im Körper „erstickt“ wurde, weil das Blut – als der Lebensträger – nicht ausfließen konnte.43 Möglicherweise soll hier eine Schlachtung unter Ausblutung verbindlich gemacht werden (vgl. Lev 17,13f.; Dtn 12,16.23). Vielleicht kommen im pniktovn (wie im rabbinischen Judentum und PsClem44) auch drei Kategorien zusammen, die in Ex 22,30; Lev 17,13.15; Dtn 14,21 unter Verbot gestellt werden: das nicht durch Ausfließenlassen des Blutes getötete Tier, das von selbst eingegangene (‫ נְ ֵבלָה‬LXX: qnhsimai`on) und das von einem Raubtier gerissene (‫ט ְֵרפָה‬ LXX: qhriavlwton) Tier. Dass zwischen trepha und pnivgw ein Zusammenhang besteht, scheint durch Nah 2,13 belegt.45 Unabhängig davon, welche Todesarten bei pniktovn konkret im Blick sein könnten, sieht JÜRGENS darin zugleich einen Hinweis auf den – von Gott geschenkten – Atem. Mit der biblischen Vorstellung vom unverfügbaren Lebenssitz im Blut sei die Metaphorik des Lebensodems eng verknüpft: „‚Blut’ und ‚Ersticktes’ rufen die Konnotationsfelder der

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De Specialibus Legibus IV, 122f.; zitiert bei Klinghardt, Gesetz (s. Anm. 16) 203: „einige Sardanapale aber steigern ihre übergroße Maßlosigkeit und Üppigkeit bis ins Unermessliche und Unendliche, sie erfinden immer neue Genüsse und bereiten Ungeschlachtetes zu, indem sie sogar die Substanz der Seele erwürgen und ersticken (ajpopnivgonte~), die man doch frei und unangetastet lassen sollte, indem sie das Blut im Körper begraben.“ (Sardanapal galt als Inbegriff von Zügellosigkeit.) Anders Witherington, Acts (s. Anm. 21) 464, der in der Erwähnung sowohl von pniktovn als auch von ai|ma eher einen Hinweis auf pagan-hellenistische Praktiken im Umfeld des Götzendienstes sieht: „Also relevant to our discussion is the evidence that the choking of the sacrifice, strangling it, and drinking or tasting of blood transpired in pagan temples. In regard to the former, we have evidence from the magical papyri of the attempt to choke the sacrifice and in essence transfer its life breath or spiritual vitality into the idol ... The singular reference to blood at the end of the decree [15,20] would be superfluous after the reference to abstaining from things strangled or choked if the meaning was to avoid meat with the blood still in it. It is more likely that each item in the decree should be taken separately and all be seen as referring to four different activities that were known or believed to transpire in pagan temples.“ Vgl. H. Bietenhard, „Art. pnivgw”, ThWNT VI (1959) 453–456. Vgl. Hom. VII, 8,1 und VIII, 19,1. pniktovn ist an diesen Stellen jeweils parallel mit Gefallenem, Gerissenem und Blut. Vgl. Bietenhard, „pnivgw” (s. Anm. 43) 455.

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beiden sakrosankten, lebenstragenden Substanzen ‚Blut’ und ‚Odem’ auf ...“46. Deutlich ist jedenfalls, dass beide Stichworte Bezug auf die Unverfügbarkeit der Lebenskraft nehmen, die allein in Gottes Macht steht. Das Verbot von Blut und Ersticktem zollt dem Schöpfer- und ErhalterSein Gottes den nötigen Respekt. 3.2.4 Unzucht (porneiva) „In der Selbstverständlichkeit der Verwendung zeigt sich porneiva als feste Metapher, die in ihrem gesamten biblischen Verbreitungsraum immer beide Bedeutungsdimensionen, die sexuelle und die religiöse, anzitiert.“47 Auch dort, wo der Begriff auf sexuelle Handlungen bezogen ist, klingt doch stets der Vorwurf eines Verstoßes gegen das alleinige Herr-Sein Gottes an. Unübersehbar ist daher die enge Verwandtschaft mit der erstgenannten Dekretsforderung (vgl. u.a. 1Thess 1,9 mit 4,3–8; 1Kor 10,7–8; Offb 2,14.20). Neben den in Lev 18 aufgelisteten geschlechtlichen Verfehlungen hat porneiva auch die Konnotation Prostitution (vgl. Lev 19,29), einschließlich der Kultprostitution.48 Denn die biblische Identifikation von Unzucht bzw. „Hurerei“ und Götzendienst (vgl. Hos, Jer, Ez) ist nicht nur im übertragenen Sinne (etwa als Bundesbruch) zu verstehen. 3.2.5 Fazit Die Folgerung des Jakobus, dass sich Heiden der „Verunreinigungen“ durch Götzen(dienst), Unzucht, Blut und Ersticktes zu enthalten haben, entspricht somit dem, was der monotheistische Gottesglauben im Einklang mit der ganzen Bibel von allen Menschen verlangt.49 Es gilt, dem Alleinverehrungsanspruch (vgl. eijdwlovquta und porneiva) sowie der Anerkennung Gottes als Herrn des Lebens (vgl. ai|ma und pniktovn) Genüge zu tun. Ähnlich formuliert Paulus in seinen Briefen derartige biblischtheologische Normen des Gottesglaubens, der Achtung vor dem Leben 46 47 48 49

Jürgens, Anfang (s. Anm. 1) 164, und vgl. dort auch die entsprechenden biblischen Belege. Ibid., 163. Vgl. die Belege bei F. Hauck/S. Schulz, „Art. povrnh ktl.“, ThWNT VI (1959) 579–595. Gegen Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 239–241, die hierfür einseitig die Tora in Anspruch nimmt. Dies dürfte mit ihrer Interpretation von Apg 15,21 zusammenhängen.

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und der Ehe als Mahnungen für Heidenchristen (vgl. Röm 1,24; 1Kor 5– 10; 2Kor 12,21; Gal 5,19–21; 1Thess 1,9; 4,3–7). Was die Inhalte des Aposteldekrets betrifft, „so darf man füglich ... fragen, ob denn Paulus den Verzicht auf Götzenopferfleisch, Blut, ungeschächtetes Fleisch und Unzucht überhaupt als Last empfunden habe, die im Widerspruch zu seiner stolzen Mitteilung Gal 2,6 stand.“50 3.3 Wozu dient das Dekret nach Lukas? Fragt man nun nach der Funktion des Dekrets im lukanischen Kontext, ist es nicht unerheblich, ob man die Enthaltungsforderungen eng an die Fremdlingsgebote der Tora (Lev 17f.) oder aber an den hier nahe gelegten biblisch-monotheistischen Gottesglauben bindet. Je nachdem welcher Bezugsrahmen für die lukanische Sicht des Aposteldekrets vorausgesetzt wird, ergeben sich unterschiedliche Interpretationsansätze: Die einen legen den Akzent eher auf das jüdische Erbe in Gestalt der Tora, das die Christen als ‚erneuertes Gottesvolk’ mitbekommen und zu bewahren haben (3.3.1), die anderen favorisieren – ausgehend von der Bindung der Juden(christen) an die Tora bzw. den biblischen Monotheismus – eine pragmatische Deutung, wonach das Aposteldekret für ein gedeihliches Miteinander von Juden und Heiden in einer Gemeinde (3.3.2) oder in der Diaspora (3.3.3) sorgt. Davon lässt sich noch eine weitere Gruppe von Auslegern abgrenzen, die den primären Zweck des Dekrets in der Regelung des neuen Gottesverhältnisses der Heidenchristen sieht, während ihr Verhältnis zum Juden(christen)tum anderweitig geklärt werde (3.3.4). 3.3.1 Mit-Volk Gottes – Miterben der Tora (Gesetzliche Mindestforderungen für Heidenchristen, um sie in die Gemeinschaft mit Israel zu holen) Eine beachtliche Zahl von Auslegern leitet vom Aposteldekret die Auffassung des Lukas ab, Heidenchristen müssten trotz Beschneidungsfreiheit auf einen bleibenden – wenn auch minimalen – Toragehorsam verpflichtet werden. In diese Interpretationslinie können auch diejeni50

O. Böcher, „Das sogenannte Aposteldekret“, in H. Frankemölle/K. Kertelge (eds.), Vom Urchristentum zu Jesus. FS Joachim Gnilka (Freiburg et al. 1989) 325–336: 331. Und weiter Böcher, ibid., 332: „Dass die Paulusbriefe den Genuss von Blut und Ungeschächtetem nirgendwo erwähnen, hat doch wohl den Grund, dass für Paulus solcher ‚Verzicht’ selbstverständlich war, auch bei seinen Lesern“.

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gen Forscher eingereiht werden, die der Ansicht sind, Lukas setze ein derartiges Bewahren des Gesetzes nur für die Anfangszeit der Kirche voraus und formuliere mit dem Dekret nicht zugleich eine aktuelle Gemeindeparänese.51 Gemeinsam ist diesen Ansätzen die (für Lukas in Betracht gezogene) Sichtweise, die Einhaltung eines Mindestmaßes mosaischer Bestimmungen sichere die Kontinuität zu den jüdischen Wurzeln und sei insofern konstitutiv für das Zusammenleben zwischen Juden und Heiden, als dadurch die „Reinhaltung“ des (christlichen) Gottesvolkes gewährleistet werde. Letzteren Aspekt hat jüngst WEHNERT wieder stark ins Blickfeld gerückt. Die vorliegende redaktionelle Komposition 15,1–35 ziele auf einen vom heiligen Geist bewirkten Kompromiss. Dieser gleiche die verschiedenen Meinungen über den Umfang des Gesetzesgehorsams für Heidenchristen aus und besage: Für neubekehrte Heiden gilt „Beschneidungsfreiheit bei gleichzeitigem Thorarespekt, der sich auch auf zentrale reinheitsgesetzliche Forderungen erstreckt. Damit ist die für Lukas und seine heidenchristl. Gemeinde gültige Unterscheidung zwischen notwendiger (ejpavnagke~) und nicht notwendiger Thoraobservanz vollzogen.“52

Auch wenn die zum Glauben gekommenen Heiden von Gott für ebenso „rein“ wie die Juden erklärt worden seien (vgl. 10,28), erlege diese neu gewonnene Reinheit ihnen geradezu die Pflicht auf, sie durch eine entsprechende Befolgung der Tora, der „Quelle für die Reinheit des jüdischen Gottesvolkes“, zu bewahren. Dabei würden die ritualgesetzlichen Bestimmungen für Heidenchristen aber auf ein Minimum reduziert, um den nicht-jüdischen Gläubigen eine geringere „Last“ (vgl. 15,10.19) zu übertragen.53 Die gesetzestreue Haltung des Lukas, mit der man das Aposteldekret dann interpretiert, wird bei WEHNERT (und anderen) in der Weise ekklesiologisch begründet, dass „sich die Heidenchristen im Beachten der Enthaltungsvorschriften in besonderer Weise als Teil des von Gott erwählten laov~ (Apg 15,14), nämlich als Miterben der Thora, erweisen“54. Diese Forschungsposition geht auf wesentliche Impulse JERVELLs zurück, dem zufolge Lukas aus deutlich jüdischer Perspektive schreibt und die Tora als bleibendes Kennzeichen der Kirche, des erneuerten Israels, selbstverständlich voraussetzt. Lukas zeichne ein Bild von Kirche, wonach die Judenchristen das Gesetz gänzlich befolgten, während die Heidenchristen nur das für Nicht-Israeliten Relevante, also das Dekret 51

52 53 54

Vgl. die Liste derer, die das Dekret als Gesetzesverpflichtung auffassen, bei J. Jervell, „Das Aposteldekret in der lukanischen Theologie”, in T. Fornberg/D. Hellholm (eds.), Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts, FS für L. Hartmann (Oslo et al. 1995) 227–243: 232 Anm. 32. Wehnert, Reinheit (s. Anm. 7) 72. Ibid., 76f. Ibid., 82.

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als Teil des Gesetzes, einhielten.55 „Israel ist ‚ein Volk aus den Heiden’ beigefügt (Apg 15,14). Jetzt suchen auch die Heiden den Gott Israels, nachdem das Gottesvolk wiederaufgebaut ist (15,17). ... Weil nun die Kirche Israel ist, kann die Thora nicht abrogiert werden ...“56. Mit JERVELL kann die voranstehende Auslegungsposition folgendermaßen zusammengefasst werden: „Die Kirche ist vom Gesetz bestimmt, auch durch das Dekret. ... Wenn man das Dekret nicht als eine gesetzliche Auflage versteht, gerät man in unlösliche Schwierigkeiten hinein, nämlich Gesetzesfreiheit und Dekretsregeln zu verbinden. ... Die Absicht des Dekrets ist klar: Die Reinheit des Gottesvolkes, sodass die Kirche Volk Gottes verbleiben kann.“57

3.3.2 Ermöglichung des Zusammenlebens und der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Heiden (Rücksicht auf die Tora-Gebundenheit der Juden) Auch diese weit verbreitete Auffassung geht von gesetzlichen Mindestforderungen für Heidenchristen aus, doch liegt der Akzent nicht so sehr auf dem Antreten des heilsgeschichtlichen Erbes der Tora als vielmehr auf der gemeinschaftsstiftenden Berücksichtigung der Tora, welche für die jüdischen Mitchristen normativ ist und das konkrete Zusammenleben mit den Heiden erschwert.58 Vor diesem Hintergrund erklärt z.B. KÜMMEL, die kultischen Mindestforderungen bedeuteten eine Konzession an die gesetzesstrengen Judenchristen, um ihnen das Zusammentreffen mit den Heidenchristen in derselben Gemeinde zu ermöglichen und „die dämonische Befleckung der Heidenchristen zu verunmöglichen“59. Was konkret die Möglichkeit der Tischgemeinschaft in gemischten Gemeinden angeht, so löse das Aposteldekret – gemäß HOLTZ – dieses Problem allerdings nicht im paulinischen Sinne, sondern durch „ein ge55 56 57 58

59

Vgl. unter anderem: J. Jervell, “The Law in Luke-Acts”, in id., Luke and the People of God. A New Look at Luke-Acts (Minneapolis ²1979) 133–151; id., „Aposteldekret” (s. Anm. 51); id., Apostelgeschichte (s. Anm. 3). Jervell, „Aposteldekret“ (s. Anm. 51) 239. Ibid., 232 mit Anm. 32. Vgl. C. L. Blomberg, “The Law in Luke-Acts“, JSNT 22 (1984) 53–80: 66; M. Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte, ed. H. Greeven (Berlin: Ev. Verlagsanstalt, ²1953) 87; Ph. Esler, Community and Gospel in Luke-Acts. The Social and Political Motivations of Lucan Theology (MSSNTS 57, Cambridge 1987) 99; Klinghardt, Gesetz (s. Anm. 16) 156– 224; F. Mußner, Apostelgeschichte (NEB 5, Würzburg ²1988) 94; Pesch, Apostelgeschichte II (s. Anm. 3) 81; Schneider, Apostelgeschichte II (s. Anm. 3) 177 Anm. 124, u.v.m. Kümmel, „Älteste Form“ (s. Anm. 3) 287.

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wisses Maß an Judaisieren“60. Wenn Heidenchristen unbeschnitten zur Gemeinde gehören dürfen, dann muss der judenchristliche Teil vor der Verunreinigung, die vor allem bei der gemeinsamen Mahlfeier entsteht, geschützt und das Gesetz zumindest elementar eingehalten werden. Ob auch Lukas selbst das Aposteldekret in diesem Sinne versteht, bedarf genauerer Überprüfung, denn Jakobus erklärt nicht explizit, diese Forderungen seien dazu bestimmt, die Mahlgemeinschaft von Judenund Heidenchristen zu ermöglichen. Zudem stellt sich in der Tat die Frage, ob die vier Enthaltungsgebote den viel komplexeren rituellen Bestimmungen eines pharisäischen Christen (vgl. Apg 15,5) hinsichtlich der Tischgemeinschaft in irgendeiner Form gerecht werden könnten. 3.3.3 Rücksichtnahme auf die diasporajüdische Mitwelt (Heidenchristen sollen keinen Anstoß erregen) Das Neue an dieser und der folgenden Auslegungsrichtung ist, dass das Schreiben des Jakobus nicht als eine Verpflichtung der Heidenchristen unter Teile der Tora verstanden wird. Nach DEINES bekundet das Aposteldekret ein Rücksichtnehmen seitens der gläubig gewordenen Heiden speziell auf die jüdische Mitwelt in den Diasporasynagogen. Das Dekret wurde für Christen ohne jüdischen Hintergrund mit Blick auf die Diaspora formuliert (Apg 15,21). Das darin konkretisierte rücksichtsvolle Verhalten ziele darauf ab, das Miteinander in den christlichen Gemeinden, aber auch innerhalb der gesamtjüdischen Gemeinschaft nicht stärker zu beeinträchtigen als unbedingt nötig.61 Aus lukanischer Perspektive beträfen die Einzelbestimmungen des Aposteldekrets nämlich jüdische Empfindlichkeiten bzw. Tabus, die schöpfungstheologisch (nicht reinheitsgesetzlich62) begründet und in der vorfindlichen Minoritätssituation für jüdische Identität als unaufgebbar angesehen wurden (vgl. 3.1.3).63 Somit stelle die Position des Jakobus – im Gegensatz zur üblich gewordenen gesetzlichen Auslegung des Aposteldekrets – keine „Halacha unter Bezug auf Mose“, sondern vielmehr „eine vom Geist autorisierte Verhaltensforderung“ dar, damit die Juden[christen] an den bekehrten Heiden nicht 60 61 62 63

T. Holtz, „Die Bedeutung des Apostelkonzils für Paulus“, NT XVI (1974) 110ff., 124f. Deines, „Aposteldekret“ (s. Anm. 15) 344 Anm. 71, weist darauf hin, dass diese Position nicht neu ist, sondern u.a. von H. Conzelmann, J. Roloff, H. Merkel und in der älteren Forschung häufig vertreten wurde. Vgl. die Literaturangaben ibid. Was nicht bedeuten will, dass sie dem Geist der Tora widersprächen. Nur stellt sie nicht die eigentliche Bezugsgröße dar. Vgl. Deines, „Aposteldekret“ (s. Anm. 15) 326f.

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Anstoß nehmen müssen.64 Es gehe wesentlich um die Außenwirkung der christlichen Gemeinde. 3.3.4 Distanzierung vom Heidentum Die bisher genannten Deutungen der Enthaltungsvorschriften gingen davon aus, dass diese das Verhältnis der nichtjüdischen Christusanhänger zum ersterwählten Gottesvolk Israel regeln sollen (3.3.1–3.3.2). Zumindest kann den vier Geboten die Funktion einer Rücksichtnahme auf die jüdische Mitwelt in der Diaspora zugewiesen werden (3.3.3). Dagegen urteilt eine Minderheit von Auslegern m. E. richtig, es gehe hier vordergründig gar nicht um die Beziehung zu den jüdischen Geschwistern, sondern prinzipiell um die erforderliche Abwendung der neubekehrten Nichtjuden vom heidnischen Lebenswandel.65 So deutet z.B. WITHERINGTON die Entscheidung des Jakobus konkret als Warnung vor der Teilnahme an religiösen Feiern in paganen Tempeln. Das Aposteldekret gilt hier als spezifische Anweisung, sich vom Götzendienst in seinen verschiedenen Aspekten zu enthalten (vgl. 3.1.3). Auch nach NEUBRAND gibt der lukanische Jakobus zu verstehen, dass diese Enthaltungsgebote als unerlässlich für diejenigen Nichtjuden anzusehen sind, „die sich aufgrund der Evangeliumsverkündigung vom ‚heidnischen’ Lebenswandel weg- und zum Gott Israels und seinem Christus hingekehrt haben (vgl. bereits V 3: hJ ejpistrofh; tw`n ejqnw`n)“.66 3.3.5 Fazit Mit NEUBRAND lässt sich zusammenfassend formulieren, dass hinter allen Gedanken, die sich die Forschung zur Funktion der Dekretsbestimmungen bei Lukas gemacht hat, letztlich die Frage steht, „welches ekklesiologische Modell mit dem Jerusalemer Abkommen intendiert ist und welcher religionssoziologische Status damit den christusgläubigen Nichtjuden zugewiesen wird: Sind sie integrierter, assoziierter oder nachgeordneter Teil des Gottesvolkes (Israel) bzw. ist ihre Identität an die ‚Anpassung’ an (christusgläubige) Juden und an das jüdische ‚Gesetz’ geknüpft oder aber sind sie eine eigenständige und gleichwertige 64 65 66

Ibid., 336. Ähnlich argumentieren auch andere Exegeten, siehe oben Anm. 61. Vgl. etwa Barrett, Acts II (s. Anm. 27) 733–735. Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 223.

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Erwählung in der Kirche Jesu Christi?“67 Für Letzteres wird die folgende Textanalyse den Nachweis erbringen und in diesem Zusammenhang aufzeigen, dass die Funktion des Aposteldekrets eine andere ist, als die „thoragemäße Begegnung zwischen Heiden- und Judenchristen [zu] ermöglichen“68.

4. Textanalyse 4.1 Ausgangspunkt: Die erörterte Streitfrage (Apg 15,1.5) Über die Streitfrage, die auf der Jerusalemer Versammlung eingehend besprochen wird, gibt Lukas sowohl in Apg 15,1 (eja;n mh; peritmhqh`te tw`/ e[qei tw`/ Mwu>sevw~, ouj duvnasqe swqh`nai) als auch in 15,5 (dei` peritevmnein aujtou;~ paraggevllein te threi`n to;n novmon Mwu>sevw~) Auskunft. Es handelt sich um die von einigen jüdischen Christusanhängern aufgeworfene Frage, ob für die nichtjüdischen Geschwister eine Konversion zum Judentum notwendig ist oder nicht. Damit ist zugleich das Problem angeschnitten, ob Nichtjuden ohne Zugehörigkeit zum Bundesvolk Israel am Heil Gottes teilhaben und – neben Israel und in der Kirche Jesu Christi – als eine eigenständige Erwählung aus den Völkern betrachtet werden können.69 4.2 Der „Erfahrungsbeweis“ des Petrus als Voraussetzung für die theologische Begründung des Jakobus (Apg 15,7–11) Zunächst verdeutlicht Petrus mit seiner Rede, dass die Zugehörigkeit der glaubenden Nichtjuden zur Gruppe der Christusanhänger wie auch ihre Rettung nicht davon abhängen, ob sie durch Beschneidung und Verpflichtung auf die Tora in das jüdische Volk bzw. in den Bund Gottes mit Israel eingegliedert sind. Die Argumentation des Petrus basiert – wie der Rückbezug auf die Korneliusmission erkennen lässt – auf den von ihm persönlich gemachten Erfahrungen, die ihm u.a. zeigten, dass es auf Gottes (endzeitliche) Initiative (ejxelevxato) zurückging, die Heiden (ta; e[qnh) mit der Botschaft des Evangeliums (to;n lovgon tou` eujaggelivou) bekannt zu machen: 67 68 69

Ibid., 226. Wehnert, Reinheit (s. Anm. 7) 12. Für eine ausführliche Darstellung der Jerusalemer Versammlung unter diesem Gesichtspunkt vgl. die ausgezeichnete Analyse von Maria Neubrand, Israel (s. Anm. 26) passim.

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Auf Gottes erwählendem Handeln beruhte das Hören (ajkou`sai) und Gläubigwerden (pisteu`sai) der Nichtjuden (V.7b). Dass ihr Glauben echt ist, konnte Gott bestätigen, weil er die Herzen kennt (oJ kardiognwvsth~ qeov~), und hat dies auch auf direktem Wege getan (ejmartuvrhsen), indem er ihnen ohne weiteres den Heiligen Geist gab (V.8). Damit sind die durch die petrinische Evangeliumsverkündigung zum Glauben gekommenen Nichtjuden – noch bevor sie das ganze Gesetz gehalten haben – den (ans Gesetz gebundenen) Judenchristen hinsichtlich ihrer Gottesnähe gleichgestellt worden (kaqw;~ kai; hJmi`n, vgl. Apg 2,1ff.). Gottes Hinwendung zu Juden und Heiden geschah völlig unterschiedslos (oujqe;n dievkrinen metaxu; hJmw`n te kai; aujtw`n). Dies konnte sie aber auch, da Gott ‚durch den Glauben die Herzen der Heiden gereinigt’ und somit das, was der Gemeinschaft mit ihm im Weg stand (das „Unreine“), beseitigt hat (V.9). Hier kann ein Rückbezug auf die Vision des Petrus (10,10–16.28) gesehen werden, deren Bedeutung nun vollends geklärt scheint: Sie betraf die von Gott ausgehende Reinigung des menschlichen Herzens (aufgrund des Glaubens). Diese Reinigung hat zur Folge, dass zum Glauben kommende Heiden in gleicher Weise wie gläubige Juden mit Gottes Geist beschenkt werden. Damit steht hinter der erfahrenen Aufhebung des Unterschieds zwischen „reinen“ Juden und „unreinen“ Heiden Gottes Autorität. Die nahe liegende Schlussfolgerung, Gott nehme die Heiden auch ohne Toraobservanz bzw. ohne Hören der Mosepredigt (vgl. V.21) an, münzt Petrus in eine Anklagerede um: Er wirft den aus pharisäischen Kreisen stammenden Christen, die gegenteiliger Ansicht waren (vgl. V.5), vor, damit Gott auf die Probe stellen zu wollen, habe er doch bereits die Herzen der Heiden gereinigt (V.10). In diesem Zusammenhang verweist Petrus zugleich auf den hohen Anspruch des jüdischen Gesetzes bzw. des damit verbundenen Dienstes (zugov~ „Joch“)70 vor Gott (o}n ou[te oiJ patevre~ hJmw`n ou[te hJmei`~ ijscuvsamen bastavsai), – einen Anspruch, der in der Realität immer wieder nicht bewältigt wurde71, zumal es um die Erfüllung des ganzen Gesetzes zu gehen hat72. Mit diesem selbstkritischen Eingeständnis verdeutlicht Petrus wie schon Paulus in Apg 13,38f., dass für das Heil nicht die Gesetzesbefolgung als Bedingung gestellt werden kann. Folglich erinnert Petrus die (christusgläubigen) Juden hier daran, dass die Tora ihnen 70 71 72

Vgl. Gal 5,1: zugo;~ douleiva~. Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 3) 392f., urteilt richtig, dass in 15,10 „keine Wesensaussage über das unerfüllbare Gesetz“ vorliegt, sondern ein „Schuldeingeständnis: Wir als Juden haben tatsächlich das Gesetz nicht erfüllt, vgl. 7,53“. Vgl. Gal 5,3: martuvromai de; pavlin panti; ajnqrwvpw/ peritemnomevnw/ o{ti ojfeilevth~ ejsti;n o{lon to;n novmon poih`sai.

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keine Heilserfahrung gebracht hat. Damit ist die bekenntnisartige Aussage in Vers 11 vorbereitet. Nicht das Gesetz biete, so Petrus, die Möglichkeit der Heilserfahrung, sondern ausschließlich die Gnade, die für Juden wie für Heiden maßgeblich sei (V.11: pisteuvomen swqh`nai kaq∆ o}n trovpon kajkei`noi). Gott nimmt ohne Ansehen der Person jeden Menschen an, der ihn fürchtet und Gerechtigkeit tut (vgl. Apg 10,34f.). Darum können die Heiden in der gleichen Weise durch den Glauben gerettet werden wie die Juden. Wenn aber das Heilskriterium der Glaube ohne Bezug auf die Tora ist, dann braucht das höchst anspruchsvolle „Joch“ wahrlich nicht auf die Schultern der Heidenchristen gelegt zu werden (ejpiqei`nai zugo;n ejpi; to;n travchlon tw`n maqhtw`n V.10). 4.3 Die Anerkennung eines von Israel unterschiedenen Gottesvolkes nach der Jakobusrede (Apg 15,13–21) Die auf Erfahrung gestützte Antwort des Petrus, dass Heidenchristen offensichtlich nicht den jüdischen Weg der Beziehung zu Gott via Moses gehen müssen, um gerettet zu werden, hat noch nicht einwandfrei geklärt, warum dies so ist bzw. Gott (faktisch) so vorgeht. Das Fazit der Petrusrede, beide Teile der Christusanhängerschaft stünden auf derselben soteriologischen Grundlage, bedarf noch einer theologischen Rechtfertigung, die Jakobus nun nachliefert. Warum werden Heidenchristen unterschiedslos (durch den Glauben) angenommen wie die Juden, und warum werden sie nicht wenigstens nachträglich noch in den jüdischen laov~ eingegliedert? Die Antwort des Jakobus lautet: weil sie selbst einen – von Israel unterschiedenen, gleichberechtigten – laov~ darstellen. 4.3.1 Die Zueignung des Gottesvolk-Status an Heidenchristen 4.3.1.1. „Zuerst ein Volk aus Heiden gewinnen” Mit der Grundsatzerklärung des Jakobus Sumew;n ejxhghvsato kaqw;~ prw`ton oJ qeo;~ ejpeskevyato labei`n ejx ejqnw`n lao;n tw`/ ojnovmati aujtou` (V.14) wird den nichtjüdischen Christusanhängern der Erwählungsbegriff laov~ zuerkannt, der bei Lukas sonst immer dem Bundesvolk Israel gilt und von ta; e[qnh, den Heidenvölkern, unterschieden wird. Mit der Übertragung dieser Bezeichnung auch auf Heiden, ohne dass sie – dies macht die Näherbestimmung ejx e[qnw`n ganz klar – durch Beschneidung

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und Gesetz zu Israeliten werden, ist nun jeglicher Zweifel an ihrem religionssoziologischen Eigenstatus ausgeräumt: Sie bilden ein eigenständiges Gottesvolk.73 Der Gott Israels habe darauf gesehen, auch aus Nichtjuden einen laov~ für seinen Namen – d.h. für sich – zu gewinnen. Dass dieses Vorgehen der Erwählung Israels gleicht, wird durch die Wendung labei`n ejx ejqnw`n laovn unterstrichen (vgl. Ex 6,7 LXX: kai; lhvmyomai ejmautw/` uJma`~ lao;n ejmoiv; Dtn 4,20 LXX: uJma`~ de; e[laben oJ qeo;~ ... ei\nai aujtw`/ laovn). Nicht zuletzt ergibt sich die Zugehörigkeit der Heidenchristen zu Israels Gott aus der Dativverbindung tw`/ ojnovmati aujtou` („für ihn/für sich“). Durch Apg 15,14 wird aber weder der Umstand tangiert, dass Israel der bedeutend ältere (15,21: ejk genew`n ajrcaivwn), ersterwählte laov~ ist, noch lässt sich aus dieser Aussage des Jakobus der Schluss ziehen, Lukas nehme hier eine Veränderung des biblischen Gottesvolk-Begriffs vor bzw. erkläre diesen für ungültig. Denn die Frage nach der Erwählung Israels als Volk Gottes wird im Rahmen der Jerusalemer Apostelversammlung überhaupt nicht verhandelt.74 „Die endzeitliche Ausweitung der ‚Umkehr zum Leben’ (11,18) auf die Heiden schmälert und revidiert nicht die Singularität des erwählten Volkes Israel, wiewohl es wie die Heiden unter der Forderung der Umkehr steht (26,20 u.ö.) und nur durch Gnade Jesu (15,11; vgl. 4,12) gerettet wird. Vielmehr ist Israel das Paradigma, nach dem das ‚Gottesvolk aus den Heidenvölkern’ sich konstituiert. Theologisch trifft zu, dass es nur eine Heilsgemeinschaft mit ein und derselben soteriologischen Grundlage geben kann. Allerdings etabliert Lukas dafür keinen eigentlichen Terminus.“75

Der besondere Status als zuerst erwähltes Volk Gottes wird Israel an keiner Stelle im lukanischen Werk abgesprochen (vgl. etwa Lk 2,32: das Heil Gottes ist fw`~ eij~ ajpokavluyin ejqnw`n sowie dovxa laou` sou ∆Israhvl). Selbst am Ende der Apostelgeschichte (Apg 28,25–28) soll Paulus mit den Worten von Jes 6,9f. LXX zu „diesem Volk“ (pro;~ to;n lao;n tou`ton) sprechen. Die neue Erwählung aus den Völkern – laov~ ejx ejqnw`n – gibt es vielmehr analog zur Erwählung des Volkes Israel; sie ist mit diesem nicht einfach identisch, und sie wird auch nicht „Israel“. Dennoch können Nichtjuden als Gottes erwählter laov~ charakterisiert werden, weil sie durch die Annahme der Christusbotschaft und den Geist Gottes in die gleiche Beziehung – nämlich in die unmittelbare Nähe – zu dem 73

74 75

Gegen A. Deutschmann, der das Fehlen des bestimmten Artikels vor laov~ als Hinweis darauf wertet, dass die e[qnh kein neues Gottesvolk darstellten, sondern gleichsam zu einer Teilmenge des laov~ würden. Vgl. id, Synagoge und Gemeindebildung. Christliche Gemeinde und Israel am Beispiel von Apg 13,42–52 (Regensburg 2001) 246f. So richtig Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 115. Jürgens, Anfang (s. Anm. 1) 222f.

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einen Gott Israels rücken und daher in ähnlicher Weise als „sein Volk“ gewürdigt werden: „God who chose Israel continues to act in the same way, calling people as a special possession, now from non-Israelites also.“76 Lukas schließt hier an alttestamentliche Vorstellungen an, die die Hoffnung äußern, dass auch Nichtjuden „Volk“ des einen Gottes werden; so findet sich etwa in Sach 2,15 LXX eine entsprechende Stelle, wonach der Hoffnung Ausdruck gegeben wird, dass neben Israel auch Heiden einen laov~ Gottes bilden werden: kai; katafeuvxontai e[qnh polla; ejpi; to;n kuvrion ejn th`/ hJmevra/ ejkeivnh/ kai; e[sontai aujtw`/ eij~ laovn. Eine ähnliche Aussage macht Ps 32,12 LXX; hier wird ebenfalls der Erwählungstitel laov~ Nichtjuden zugestanden, insofern der Gott Israels auch deren „Herr“ ist und sie sein Erbteil sind: makavrion to; e[qno~ ou| ejstin kuvrio~ oJ qeo;~ aujtou` laov~ o}n ejxelevxato eij~ klhronomivan eJautw`/. Der eigenständige Erwählungsstatus, den Jakobus den Christen aus den Völkern zugesteht, wird sodann mit der Autorität eines Prophetenwortes als schriftgemäß abgesichert (Apg 15,15–18). 4.3.1.2. „Danach die Rückkehr” Die Weissagung des Zitats aus Amos 9,11f. LXX gilt ausdrücklich als Wort „der Propheten“, soll also im Einklang stehen mit den prophetischen Erwartungen für Israel (vgl. etwa Sach 2,15 LXX). Allerdings besteht die Schriftgemäßheit der Aussage des Jakobus (Apg 15,14) nicht darin, dass die derzeitige Gewinnung von Heiden schon als Erfüllung von Am 9,11f. LXX anzusehen ist, sondern vielmehr darin, dass sich diese Heidenmission „im Einklang“ (Apg 15,15) mit der in jenem Schriftzitat ausgesprochenen Zukunftshoffnung befindet: der künftig noch ausstehenden Wiedererrichtung der zerfallenen Hütte Davids (15,16). Gemeint ist offensichtlich die Wiederherstellung der davidischen Dynastie, „die sich derzeit in einem kläglichen Zustand befindet: Das ehemals so stolze Davidshaus gleicht einer ‚zerfallenen Hütte’, verdient also gar nicht mehr den Namen Haus“.77

76 77

R. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation, vol. II: The Acts of the Apostles (Minneapolis 1990) 186. So zu Am 9,11 W. Rudolph, Joel – Amos – Obadja – Jona (Berlin: Ev. Verlagsanstalt, 1974) 280. Ähnlich deutet z.B. auch J. Jeremias, Der Prophet Amos (ATD 24/2, Göttingen 1995) 134, die wieder zu errichtende Hütte Davids als „einen Bau Davids ‚wie in den Tagen der Vorzeit’ [Am 9,11 LXX: kaqw;~ aiJ hJmevrai tou` aijw`no~]. Damit ist Gottes Zeit gemeint, d.h. es wird auf die idealen Anfänge Gottes mit der davidischen Dynastie angespielt (vgl. 2 Sam 7) ...“.

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Die Wendung skhnh; Dauivd kommt neben Am 9,11 in der Septuaginta nur noch in Jes 16,5 vor. Hier wird die messianische Hoffnung zur Sprache gebracht, dass ein Thron errichtet wird, auf dem in der Hütte Davids ein zuverlässiger Richter sitzt, der Recht und Gerechtigkeit herstellt. Jes 16,5 LXX ist terminologisch wiederum eng verwandt mit Jes 9,6 LXX und Jes 11,3–5 LXX, die ebenfalls von der durch eine messianische Gestalt bewirkten heilvollen Zukunft reden.78 Mit dem Eigennamen „David“ in Am 9,11 klingt demnach auch die Nathansweissagung in 2Sam 7,12–16 an79, die Davids Nachkommen eine ewige Herrschaft auf seinem Thron verheißt, so dass in der Tat die zukünftige Erneuerung des davidischen Königtums und des damit verbundenen davidischen Königreiches gemeint sein dürfte. Für die Metapher vom Wiederaufbau der Hütte Davids lassen sich innerhalb der neutestamentlichen Forschung zwei Interpretationsrichtungen unterscheiden. Die Vertreter einer ekklesiologischen Interpretation verstehen die Wiedererrichtung der Hütte Davids als das erneuerte Gottesvolk Israel.80 Aufgrund der bereits erfolgten „Wiedererrichtung Israels“ in der judenchristlichen Gemeinde – die natürlich nur einen Teil des biblischen Volkes Israel betrifft – komme es zur weltweiten Heidenmission, deren Schriftbeweis in Vers 17 vorliege. Diese mehrheitlich vertretene (kollektive) Deutung der „Hütte Davids“ als Metapher für das Gottesvolk Israel kann sich aber weder auf die im alttestamentlichen Kontext angeratene Auslegung von Am 9,11–12 noch auf die stark von der davidischen Messiaserwartung geprägte Christologie des Lukas berufen. Im Gegensatz dazu bezieht die christologische Sichtweise die wieder zu errichtende Hütte Davids auf das Christusgeschehen: entweder als Bild für die Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi, die als Inthronisation in seine davidisch-messianische Herrschaft zu werten seien, oder im Sinne der zukünftig erhofften Errichtung des davidisch-königlichen Reiches (Jesu Christi), welches auch das künftige Heil der Heiden impliziert.81 78

79 80

81

Für ein messianisches Verständnis von Jes 16,5 MT vgl. H. Wildberger, Jesaja. Teilband 2: Jesaja 13–27 (BKAT X/2, Neukirchen-Vluyn 1978) 622–624, wonach hier – zumal mit dem Thron in der Hütte Davids – die Erwartung einer eschatologischmessianischen Herrschaft zum Ausdruck kommt. Vgl. dazu etwa J. Jeremias, siehe oben Anm. 77. Als eine Variante dieser Sichtweise kann die Deutung der Hütte Davids als Metapher für den endzeitlichen Tempel bzw. das eschatologische Heiligtum gelten, das mit dem Vorhandensein der Urgemeinde in Jerusalem bereits wieder errichtet sei. Vgl. u.a. R. Bauckham, “James and the Gentiles (Acts 15.13–21)“, in B. Witherington (ed.), History, Literature and Society in the Book of Acts (Cambridge 1996) 154–184: 158f.165–167; H. Ganser-Kerperin, Das Zeugnis des Tempels. Studien zur Bedeutung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk (NTA NF 36, Münster 2000) 264–267. Letzterer verweist, ibid., 265f., wenig überzeugend auf die Notiz vom Zeltheiligtum in der Stephanusrede, die klar mache, „dass die skhnhv in Apg 15,16 analog zur skhnhv in Apg 7,44 den Ort der kultisch vermittelten Gegenwart Gottes in seinem Volk im Blick hat ...“. Abgesehen davon, dass hier Israels „Zelt des Zeugnisses“ (hJ skhnh; tou` marturivou) während der Wüstenzeit dem von Salomo erbauten o\iko~ deutlich entgegengesetzt und der Jerusalemer Tempel darum relativiert wird (7,47–50), stehen Stiftshütte und Tempel für den Ort der Anwesenheit Gottes und heißen gerade nicht Zelt Davids. Auch wenn sich für den Tempel die Bezeichnung „Zelt“ findet (vgl. 2 Chr 29,6; Ps 27,5f.; 31,21; 42,5; 76,3), bleibt er doch Zelt Gottes. Für einen ausführlichen Forschungsüberblick zur ekklesiologischen und christologischen Position vgl. Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 137–166.

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Im Frühjudentum und im Neuen Testament wird diese von Jakobus zitierte Ankündigung einer Wiederherstellung der Dynastie Davids mit der Hoffnung auf die Herrschaftsausrichtung eines davidischen Messias zusammengebracht. So spielt der Eigenname David sowohl auf die Verkündigung Gabriels an Maria (Lk 1,32f.) an als auch auf die im Lobpreis des Zacharias geäußerten Heilserwartungen (Lk 1,68–79). Konkret erinnert die skhnh; Daui;d hJ peptwkui`a (Apg 15,16) an das kevra~ swthriva~ ejn oi[kw/ Dauivd (Lk 1,69). In Lk 1,32f. wird auf die Nathansverheißung (2Sam 7,9–16) rückverwiesen. Die Frage nach der Aufrichtung des Reiches wird darüber hinaus thematisiert in Lk 19,11 und Apg 1,6–882. Versteht man das Zitat demgemäß in einem messianisch–christologischen Rahmen, erübrigen sich Interpretationen, nach denen Lukas hier auf eine Verhältnisbestimmung von „Israel“ und „Kirche“ abhebe, insofern das restituierte Israel – die wieder aufgebaute Hütte Davids – in der urchristlichen Gemeinde verwirklicht sei, die nun mit den dazu gekommenen Nichtjuden das „neue Gottesvolk“ bzw. das „wahre Israel“ bilde.83 Dennoch scheint es nahe liegend, die Verheißung von der Wiedererrichtung der Hütte Davids nicht unmittelbar mit der Auferweckung und Erhöhung Jesu zu verknüpfen84 und darum als vollends erfüllt zu betrachten. Zum einen wäre dann nicht begreiflich, warum Lukas das zweifache ajnasthvsw der Septuaginta-Fassung von Am 9,11, das den Bezug zur Auferstehung Jesu verstärkt hätte, in Apg 15,16 streicht und durch andere Verben ersetzt. Zum andern steht die volle Erfüllung dessen, was Gabriel bezüglich der Davidsherrschaft Jesu in Lk 1,32f. verheißt, nach Lukas noch aus: „Als ‚Sohn des Höchsten’ erhält Jesus den Thron seines dynastischen ‚Vaters’ David. Er wird also der König sein, in dessen Herrschaft die messianischen Hoffnungen erfüllt sein werden. Diese Herrschaft wird ‚ewig’ sein 82

83 84

M. E. wird die Anfrage der Jünger in Apg 1,6 (kuvrie, eij ejn tw`/ crovnw/ touvtw/ ajpokaqistavnei~ th;n basileivan tw`/ ∆Israhvl) mit dem Amoszitat des Jakobus indirekt beantwortet. Der Auferstandene selbst hatte in seiner Antwort (1,7) weder den Gedanken einer Wiederherstellung des Königreiches für Israel noch seine eigene Beteiligung daran abgelehnt, sondern ging ausschließlich auf den zeitlichen Aspekt der Frage ein. Eben darüber gibt Jakobus in seiner Rede weiteren Aufschluss (meta; tau`ta Apg 15,16). Siehe dazu unten. So etwa D. Rusam, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112, Berlin/New York 2003) 428f.; M. Öhler, Barnabas. Die historische Person und ihre Rezeption in der Apostelgeschichte (Tübingen 2003) 410. Gegen Haenchen, Apostelgeschichte (s. Anm. 14) 431: Lukas verstehe „unter der Wiederaufrichtung der zerfallenen Hütte Davids nicht die Wiederherstellung des davidischen Königtums, fasst jene Wiederaufrichtung auch nicht als Bild für das wahre Israel, sondern sieht darin die in der Auferstehung gipfelnde Jesusgeschichte angekündigt (in der sich die dem David gegebene Verheißung erfüllt hat), jenes Jesusgeschehen, das die Heiden dazu veranlassen soll, den Herrn zu suchen“.

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und ‚kein Ende’ haben. Sie ist also die Ausübung der eschatologischen Königsherrschaft Gottes. Das Volk ist dabei ganz im Sinne der traditionellen Messias-Erwartung das ‚Haus Jakob’, das Zwölf-Stämme-Volk der Endzeit. ... Seine [Jesu] ‚ewige Herrschaft’ über das ‚Haus Jakob’ wird Lukas nie erzählen. Mit Jesu Auferweckung erfüllt sich zwar die Verheißung der Schrift (vgl. Lk 24,26f.44f). Mit seiner Erhöhung zur Rechten Gottes wird zwar ‚mit Sicherheit’ (ajsfalw`~) erkannt, dass der Messias Jesus seine Herrschaft angetreten hat (Apg 2,36). Aber die ‚Wiederherstellung aller Dinge’, die die Propheten verheißen haben ... ist dies noch nicht. Sie wird auch am Ende des lukanischen Geschichtswerks immer noch erhofft (vgl. Apg 26,6f).“85

Das Amoszitat rekurriert somit auf die noch nicht endgültig erfolgte Durchsetzung des davidisch-messianischen Reiches, welches der Messias Israels, Jesus Christus, aufrichten wird (vgl. Apg 1,6). Nach lukanischer Darstellung bezeugen Auferweckung und Erhöhung zwar die Tatsache, dass Jesus der Herr und der verheißene davidisch-königliche Messias ist, der seine Herrschaft jetzt angetreten hat (vgl. Apg 2,29–36), jedoch erfüllen sich die messianischen Hoffnungen erst abschließend mit dessen Wiederkunft vom Himmel (Apg 1,11), mit welcher alle Dinge wiederhergestellt werden (Apg 3,21). Neben solchen inhaltlichen Erwägungen im Rahmen der lukanischen Davidssohn-Christologie lassen aber auch textliche Beobachtungen in der Jakobusrede vermuten, dass Lukas die Hoffnung auf die zukünftige Wiedererrichtung der Hütte Davids nicht aufgibt: Apg 15,16–18 16

meta; tau`ta ajnastrevyw kai; ajnoikodomhvsw th;n skhnh;n Daui;d th;n peptwkui`an kai; ta; kateskammevna aujth`~ ajnoikodomhvsw kai; ajnorqwvsw aujthvn, 17

o{pw~ a]n ejkzhthvswsin oiJ katavloipoi tw`n ajnqrwvpwn to;n kuvrion kai; pavnta ta; e[qnh ejf∆ ou}~ ejpikevklhtai to; o[nomav mou ejp∆ aujtouv~, levgei kuvrio~ poiw`n tau`ta 18 gnwsta; ajp∆ aijw`no~.

Am 9,11–12 LXX 11

ejn th`/ hJmevra/ ejkeivnh/ ajnasthvsw th;n skhnh;n Daui;d th;n peptwkui`an kai; ajnoikodomhvsw ta; peptwkovta aujth`~ kai; ta; kateskammevna aujth`~ ajnasthvsw kai; ajnoikodomhvsw aujth;n kaqw;~ aiJ hJmevrai tou` aijw`no~, 12 o{pw~ ejkzhthvswsin oiJ katavloipoi tw`n ajnqrwvpwn kai; pavnta ta; e[qnh ejf∆ ou}~ ejpikevklhtai to; o[nomav mou ejp∆ aujtouv~, levgei kuvrio~ oJ qeo;~ oJ poiw`n tau`ta.

(1) Dadurch, dass Lukas über die Septuaginta-Version von Am 9,11 hinaus am Schluss von Apg 15,16 den Vers kai; ajnorqwvsw aujth;n einfügt, 85

K. Löning, Das Geschichtswerk des Lukas, vol. I: Israels Hoffnung und Gottes Geheimnisse (Stuttgart 1997) 87.

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lässt er bewusst die Nathansweissagung in 2Sam 7,13.16 sowie Jes 9,6 LXX und Jes 16,5 LXX (hier: kai; diorqwqhvsetai ... qrovno~ ... ejn skhnh`/ Dauid) anklingen. Diese drei Stellen erwähnen ausdrücklich das „Errichten“ (ajnorqovw – katorqovw – diorqovw) des davidischen Thrones und der davidisch-messianischen Herrschaft. Dazu passt die Auslassung des Halbsatzes kaqw;~ aiJ hJmevrai tou` aijw`no~, die sich übrigens im Schlusssatz des Zitats (Apg 15,18) abbildet. Denn die messianische Herrschaft Jesu Christi wird das Königtum Davids bei weitem überbieten (vgl. bereits Lk 1,32f.), auch wenn sie vom Thron Davids ausgeht. (2) Aufschlussreich sind sodann die zeitlichen Angaben prw`ton in V.14 und meta; tau`ta in V.16, die sicherlich aufeinander bezogen sind. Mit meta; tau`ta wird gewöhnlich an etwas Vorhergehendes angeschlossen86, während umgekehrt das prw`ton den Bezug zu einem darauf folgenden, späteren Ereignis signalisiert87. Mehr noch: prw`ton „im Sinn einer (notwendigen) Vorbedingung drängt oft zu einer eschatologischen Erfüllung“88 (vgl. Lk 17,25; 21,9, jeweils mit dei`). Daher liegt es nahe, dass prw`ton hier auf das Amoszitat verweist, das mit meta; tau`ta eingeleitet wird und offenbar ein Geschehen verheißt, vor dem sich die Erwählung eines Gottesvolkes aus Heiden ereignet bzw. ereignen muss (V.14).89 Die Gewinnung eines heidnischen laov~ durch Gott ist nach Lukas dem größeren Ziel dienlich, die zerfallene Hütte Davids künftig wieder aufzurichten. Mit dieser Deutung korrespondiert die Tatsache, dass Lukas die ursprüngliche Zeitangabe am Beginn von Am 9,11 LXX – ejn th`/ hJmevra/ ejkeivnh/ – gerade nicht übernimmt, mit der er ein bereits geschehen(d)es Ereignis, wie etwa die derzeitige Gewinnung von Nichtjuden oder die Auferweckung Jesu („am dritten Tag“), besonders gut als Erfüllung der verheißenen Wiedererrichtung der Hütte Davids hätte charakterisieren können. Hinzu kommt, dass Lukas in das Joelzitat 3,1 LXX in genau umgekehrter Weise eingreift, indem er die vorgefundene Zeitangabe meta; tau`ta durch ejn tai`~ ejscavtai~ hJmevrai~ ersetzt, um das Pfingstgeschehen als Erfüllung endzeitlicher Ereignisse auszuweisen (Apg 2,17). (3) Im Übrigen ist die gängige These, wonach Jakobus mit Apg 15,17 nur einen Schriftbeweis für die in Vers 14 erwähnte Heidenmission liefert – im Grunde hier also nichts Neues berichtet –, m. E. auch des-

86 87 88 89

Vgl. Lk 5,27; 10,1; 12,4; 17,8; 18,4; Apg 7,7; 13,20; 18,1. Vgl. Lk 6,42; 9,59.61; 10,5; 11,38; 12,1; 14,28.31; 17,25; 21,9; Apg 3,26; 7,12; 13,46; 26,20. H. Langkammer, „Art. prw`ton“, EWNT III (1983) 452–454: 453. So richtig Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 196.

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halb nicht zutreffend90, da beide Verse von recht unterschiedlichen Handlungsinitiativen sprechen: Während Vers 14 die Erwählung von Nichtjuden durch Gott thematisiert, wobei Gott bzw. die Missionare sich diesen handelnd zuwenden, ist in Vers 17 eine umgekehrte Bewegungsrichtung anvisiert, nämlich die selbständig unternommene Gottsuche von Nichtjuden. Außerdem spricht Vers 14 zwar von einem Gottesvolk „aus Heiden“, aber keineswegs von „allen Heiden“ und dem Rest der Menschheit wie Vers 17. Die Vorstellung, dass es der eine Schöpfergott ist, den „die übrigen der Menschen und alle Völker suchen werden“ (vgl. Apg 15,17), ist Lukas vertraut, wie aus der Areopagrede (Apg 17,22–31) hervorgeht: pa`n e[qno~ ajnqrwvpwn ... zhtei`n to;n qeovn (17,26f.). – Doch weder auf der Erzählebene noch in der Gegenwart des Lukas selbst suchen bereits pavnta ta; e[qnh bzw. oiJ katavloipoi tw`n ajnqrwvpwn den Gott Israels. Die Evangeliumsverkündigung „bis ans Ende der Erde“ (e{w~ ejscavtou th`~ gh`~, vgl. Apg 1,8; 13,46) ist auch mit der Ankunft des Paulus in Rom (Apg 28,16–31) noch nicht ausgeführt. Zudem entwirft Lukas „an keiner Stelle seines Werkes das Bild, dass alle Heiden des Imperiums die Botschaft freudig annehmen würden. Er berichtet vielmehr auch von heidnischem Widerstand gegen die Verkündigung und die Apostel.“91 Und weiter: Die Gottsuche aller Völker, die der Heilshoffnung Israels entspricht, dass „alles Fleisch“ das Heil Gottes sehen wird (Lk 3,6; Jes 40,5 LXX), hat Jakobus bei seiner Urteilsfällung in Vers 19 gerade nicht mehr im Sinn, wie aus der eine Trennung signalisierenden Präposition ajpov hervorgeht („denen von den Völkern...“). Im Gegensatz zum Schriftzitat denkt Jakobus – wie er es auch in Vers 14 mittels der Präposition ejk (ejx ejqnw`n) verdeutlicht – (vorläufig) nur an eine kleinere Teilmenge ‚aus den Heiden’, die sich jetzt zu Gott hin (und von der Völkerwelt weg) absondert. Wäre das Schriftzitat aus dem Munde des Jakobus so zu verstehen, dass mit der gegenwärtigen Heidenmission die für die Endzeit erwartete umfassende „Völkerwallfahrt“ und weltweite Gottsuche bereits in Gang gekommen und damit nun in der Erfüllung begriffen ist, bräuchte man das Aposteldekret auch gar nicht. So aber ist es in der Tat vonnöten, konstituiert sich der neue nichtjüdische laov~ doch gerade inmitten der heidnischen Lebenswelt, sprich: unter „den übrigen Menschen und allen Völkern“, von denen er sich bezüglich seines Gottesbekenntnisses (noch) klar zu unterscheiden hat.

90 91

Dass auch die zeitliche Differenz zwischen Vers 14 („zuerst“) und den Versen 16–17 („danach“) zwei verschiedene Vorgänge wahrscheinlich macht, wurde eben dargelegt. Deutschmann, Synagoge (s. Anm. 73) 200.

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(4) Anders als in Am 9,11 LXX wird das Zitat mit meta; tau`ta ajnastrevyw eingeleitet. Meist setzt man als Subjekt des Verbs ajnastrevyw und der anderen Verben in Vers 16 – analog zu Am 9,12 (levgei kuvrio~ oJ qeo;~) – Gott voraus, der sich einst „zurückwendet“. Dagegen könnte jedoch zunächst eingewandt werden, dass dann das in Apg 15,17 (gegenüber dem Septuaginta-Text) ergänzte Objekt des Suchens, to;n kuvrion, zu den Ich-Aussagen Gottes in Spannung stünde oder – statt auf Gott als kuvrio~ – auf den kuvrio~ Jesus Christus verweisen müsste.92 Gemäß der eben beschriebenen biblischen Hoffnung auf eine Völkerwallfahrt am Ende der Zeiten und darauf, dass die ganze Menschheit den Gott Israels sucht und findet (vgl. Ps 14,2; 24,6; 53,3; Jes 2,2–4; Mi 4,1–5; Sach 8,22f. u.ö.), dürfte hier aber eher die endzeitliche Suche der Heiden nach Gott im Blick sein.93 „The verb ejkzhthvswsin clearly requires an object, lacking in the LXX, and to;n kuvrion is quite frequently in the LXX the object of ejkzhtei`n (rendering ‫)דרשׁ את־יהוה‬.“94 Ist es mithin denkbar, dass Christus, der am Schluss von V.17 kuvrio~ (ohne Artikel) genannt wird, der eigentliche Sprecher der messianischen Verheißung sein soll? Drei weitere Überlegungen sollen dieser These Nachdruck verleihen: Erstens werden am Ende von V.17 die prophetischen Worte nicht mehr explizit vom kuvrio~ oJ qeov~ hergeleitet, wie dies noch in Am 9,12 LXX der Fall ist. „James omits oJ qeov~, probably because he understands kuvrio~ to refer to Christ.“95 Zweitens macht sich Jesus auf ganz ähnliche Weise die Ich-Aussage des anonymen nachexilischen Propheten (Jes 61,1f. LXX), den er im Rahmen seiner ‚Antrittspredigt’ in Nazareth (Lk 4,16–21) verliest, zueigen und stellt sich selbst als jener Geistbegabte und Heils-Botschafter vor. Ebenso spricht David mit den Worten von Ps 15,8–11 LXX – die Auferstehung des Messias voraussagend (Apg 2,25–28) – in dessen Person (eij~ aujtovn ‚im Hinblick auf ihn’). Vermutlich gilt auch das Schriftzitat aus Jes 49,6 LXX in Apg 13,47 als direktes Wort Jesu an seine Boten (vgl. Lk 2,32). Dafür, dass das Amoszitat tatsächlich Jesus in den Mund gelegt ist, spricht schließlich die Rede vom o[nomav mou als Verweis auf den Namen des Herrn Jesus Christus. Denn mit Ausnahme von Apg 15,14 meint 92

93 94 95

So z.B. Rusam, Das Alte Testament (s. Anm. 83) 426, dem zufolge die Einfügung to;n kuvrion in Apg 15,17 „aufgrund der Stichwortübernahme (kuvrio~ und ejpikalei`sqai) trotz unterschiedlicher Syntax an Apg 2,21 [erinnert]“ und damit dem Leser die Assoziation des Joelzitats in der Pfingstpredigt des Petrus ermöglicht. Aufgrund dieser Anspielung auf Apg 2,21 sei nicht Gott, sondern Jesus gemeint. Vgl. Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 202. Bauckham, “Gentiles“ (s. Anm. 80) 161f. Barrett, Acts II (s. Anm. 27) 727.

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das o[noma kurivou in der ganzen Apostelgeschichte immer den Namen Jesu und nicht denjenigen Gottes (vgl. Apg 3,6.16; 4,12; 8,16; 9,28; 15,26; 19,5.13.17; 21,13 u.ö.).96 Mit dem Ausgerufen-Sein des Namens Jesu über „alle Völker“ (Apg 15,17) wäre dann ein Eigentumsverhältnis97 angesprochen, das z.B. an Phil 2,9–11 erinnert, wo in ähnlicher Weise der Jesusname (kuvrio~) mit seiner universalen Weltherrschaft in Zusammenhang steht. (5) Wenn es also zutrifft, dass das Schriftwort als (prophetisch vorweggenommene) Selbstaussage des Kyrios Christus zu gelten hat, dann dürfte das gegenüber Am 9,11 LXX zusätzlich eingefügte Verb ajnastrevyw als Hinweis auf die noch ausstehende Wiederkunft Christi zu verstehen sein, mit der die endgültige Wiedererrichtung des davidischmessianischen Reiches in Verbindung gebracht wird.98 Ähnlich wird in Apg 1,6–1199 und 3,19–21 Juden die Parusie Christi mitgeteilt sowie die mit ihr einhergehende endzeitliche (!) „Wiederherstellung von allem, was Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten ajp∆ aijw`no~ gesprochen hat“ (3,21). Dazu gehören die Apokatastasis der basileiva für Israel (1,6) bzw. die Erfüllung der davidisch-messianischen Heilshoffnungen Israels100, wie sie beispielsweise im Benedictus (Lk 1,68–79) oder in der Jakobusrede formuliert werden (vgl. den Wortlaut von Apg 3,21 mit 15,14.18: oiJ lovgoi tw`n profhtw`n ... gnwsta; ajp∆ aijw`no~ und Lk 1,70: [kuvrio~ oJ qeo;~ tou` ∆Israhvl] ejlavlhsen dia; stovmato~ tw`n aJgivwn ajp∆ aijw`no~ profhtw`n aujtou`). Damit steht fest: Über ihre Schriftgemäßheit hinaus weist das Amoszitat des Jakobus der neuen Erwählung aus Nichtjuden als Nichtjuden demnach eine eigene heilsnotwendige Funktion zu101, insofern dieser gegenwärtig zu gewinnende nichtjüdische laov~ eine wichtige Vorbedingung (prw`ton) der eschatologischen (meta; tau`ta) Wiederaufrichtung 96

Vgl. Rusam, Das Alte Testament (s. Anm. 83) 426; Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 205: „Es ist daher nahe liegend, in Apg 15,17 den auf alle Völker bezogenen Relativsatz ... in dem Sinne zu verstehen, dass der Name des auferstandenen und erhöhten Herrn Jesus Christus auch über Nichtjuden ausgerufen ist und diese dadurch seiner Herrschaft zugeordnet werden.“ 97 „Mit der Namensausrufung ist ein Rechtsakt gemeint, durch den etwas in den Besitz des Rufenden übergeht.“ Jeremias, Amos (s. Anm. 77) 134f. Zur Ausrufung des Namens Gottes über jemanden vgl. Dtn 28,10; 2 Chr 7,14; Jer 14,9; 15,16. 98 So auch Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 205f. 99 Vgl. oben Anm. 82. 100 Die ajpokatavstasi~ pavntwn bedeutet „nicht die Erlösung aller Menschen, sondern die Wiederherstellung aller Dinge und Verhältnisse, die bereits die atl. Propheten angekündigt hatten. Dies geschieht, wenn Jesus als Messias kommt“. H.-G. Link/C. Breytenbach, „Art. ajpokaqivsthmi“, TBLNT II (²2000) 1774–1776: 1776. 101 Vgl. auch Neubrand, Israel (s. Anm. 26) 108.

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des messianischen Friedensreiches für Israel sowie der damit verbundenen Völkerwallfahrt der Heiden zum Zion darstellt. Mit dieser Sicht steht Lukas paulinischen Erwartungen, wie sie von Paulus beispielsweise in Röm 11,25–27 geäußert werden, durchaus nahe. Und eben dies ist es auch, was der lukanische Paulus bis ans Ende der Apostelgeschichte vehement betont: Seine Praxis, auch unter Nichtjuden durch die Verkündigung des Evangeliums eine eigenständige Christusanhängerschaft zu etablieren, komme letztlich der Erfüllung der Heilshoffnungen Israels zugute (vgl. Apg 26,6f.; 28,20). Eine weitere Voraussetzung für die „Wiederherstellung von allem“ ist die Umkehr von Juden (Apg 3,19: metanohvsate ou\n kai; ejpistrevyate eij~ to; ejxaleifqh`nai uJmw`n ta;~ aJmartiva~; 3,20: o{pw~ a]n e[lqwsin kairoi; ajnayuvxew~ ajpo; proswvpou tou` kurivou kai; ajposteivlh/ to;n prokeceirismevnon uJmi`n cristo;n ∆Ihsou`n). Das heißt, zweierlei gehört heilsnotwendig in den Zeitraum, bevor Jesus als Messias wiederkommt: die Umkehr des (pa`~ oJ) laov~ (3,11f.) bzw. der a[ndre~ ∆Israhli`tai (3,12) sowie die Konstituierung eines laov~ aus Nichtisraeliten (15,14). Dem dient die Verkündigung des Evangeliums vor Juden und Nichtjuden (vgl. 1,6–11; bes. 1,8). 4.3.2 Konsequenzen für die Lebensführung des Gottesvolkes aus den Heiden – Das Aposteldekret Die Gründung eigenständiger nichtjüdischer Gemeinden außerhalb der Synagogen ist anzuerkennen und weiterzuführen, da diese Vorgehensweise dem Heilsplan Gottes entspricht (Apg 15,14) und darüber hinaus im Dienst der Realisierung jüdischer Heilshoffnungen steht (Apg 15,16f.). Aufgrund dessen trifft Jakobus seine Entscheidung (dio; ejgw; krivnw) in diesem Streitfall, die nicht so sehr einer Forderung, als vielmehr einer Schlussfolgerung aus dem bisher Vorgetragenen gleichkommt: Die Heidenchristen, die umgekehrt sind zu dem einen Gott, sollen nicht belastet werden (mh; parenoclei`n); das anspruchsvolle jüdische Gesetz (vgl. 15,10: „Joch“) braucht ihnen nicht zugemutet zu werden, stellen sie doch ein von Israel unterschiedenes nichtjüdisches Heilsvolk dar. Nicht die Tora soll ihnen darum auferlegt werden, sondern nur vier „notwendige“ Dinge (vgl. V.28), an denen zwar nicht ihr Heil hängt, wohl aber ihr rechtes Verhalten (vgl. V.29) als Volk des Gottes, zu dem sie sich hingewendet haben. Dass diese vier Enthaltungsvorschriften konkret in der Tora geschrieben stehen, davon verlautet nichts102 (vgl. dage102 Zur Interpretation von Apg 15,21 siehe unten 4.3.2.2.

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gen V.15: kaqw;~ gevgraptai). Dass ihr Erlass jedoch primär menschlicher Autorität entspringt, macht ihre Bezeichnung in 16,4 als dovgmata wahrscheinlich. Das Nomen kommt bei Lukas noch in Lk 2,1 in der Bedeutung der kaiserlichen Verordnung des Zensus sowie in Apg 17,7 vor, wo es die kaiserlichen Gesetzesvorschriften meint. Vor diesem Hintergrund scheint Lukas in Apg 15,20.29 auf menschlich verantwortete Bestimmungen zu rekurrieren103, wohingegen die Torafreiheit der Heidenchristen auf Gott (15,14) bzw. den Heiligen Geist (vgl. 15,28) selbst zurückgeführt wird. 4.3.2.1. „... denn er hat ihre Herzen gereinigt” (Apg 15,9) Jakobus selbst liefert eine Deutung der vier Einzelelemente des Aposteldekrets mit, insofern er ihrer Aufzählung den Pluralgenitiv tw`n ajlisghmavtwn vorordnet. Die folgenden vier Genitive bestimmen somit die Forderung, sich von „Verunreinigungen“ fernzuhalten, näher. Im vorliegenden Kontext zielen die Enthaltungsgebote damit zweifelsfrei auf die „Reinigung der Herzen“ ab, von der Petrus schon in Apg 15,9 unter Bezugnahme auf die Korneliusgeschichte gesprochen hatte. Es geht beim sogenannten Aposteldekret also nicht um die Herstellung kultisch-ritueller Reinheit, sondern um die Wahrung des von Gott bereits geschenkten Reinheitsstatus der Heidenchristen. Diese von Gott bereits verliehene Reinheit ist es ja auch, die die Anerkennung eines nichtjüdischen laov~ für Gottes Namen (15,14) überhaupt möglich macht. Die unmittelbare Bezugsgröße dieser Enthaltungsvorschriften ist darum nicht die Tora, sondern vielmehr ein rechtes Verhalten (Apg 15,29: eu\ pravssein), welches der neuen, ohne Toraobservanz zustande gekommenen „reinen“ Gottesbeziehung entspricht, die es fortan eben auch „rein zu halten“, sprich: zu bewahren gilt. Das Dekret verbindet dabei Verbote verunreinigenden Speiseverhaltens104 mit sexueller Verunreinigung. Die Kategorie der Reinheit scheint hier eher in analogischer Anlehnung zu den Reinheitsvorschriften der Tora verwendet zu sein und braucht daher mit diesen keineswegs identifiziert zu werden. So wie das alte Gottesvolk seine Reinheit und Heiligkeit im Verhältnis zu Gott (und in Abgrenzung zu den Völkern) über den Toragehorsam zu schüt103 Die sich aber auf die Erkenntnis des Heilsplanes Gottes berufen können. 104 Es geht nicht (!) um die toragemäße Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen, insofern bleibt eine Annäherung in Richtung jüdischer Speisegebote tatsächlich aus. Dies wurde schon von K. Six richtig gesehen, siehe oben Anm. 5.

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zen pflegt(e), so geschieht dies nun seitens der Völkerchristen (ebenfalls in Abgrenzung von der übrigen Völkerwelt!105) durch ein Verhalten, das dem Namen Gottes, dessen Volk sie geworden sind (15,14: tw`/ ojnovmati aujtou`), die Ehre gibt und im Einklang mit dem biblisch-monotheistischem Glauben (einschließlich des Skopus der Toragebote) steht. Für eine sachgemäße Interpretation der lukanischen Darstellung des Aposteldekrets sollten die Kategorien „rein-unrein“ nicht vorschnell auf das jüdische Reinheitsgesetz appliziert werden, wie es in der bisherigen Forschung gang und gäbe ist. Die genaue Analyse des Kontexts führt zu einem anderen Ergebnis. Das Aposteldekret regelt nicht das Verhältnis zu Israel im Sinne einer rituellen Minimalauflage für neubekehrte Heiden gemäß Lev 17f., sondern reagiert vielmehr auf deren Status als von Gott erwählter laov~. Es gilt, dieser neuen Nähe zum Gott Israels und dem neuen Erwählungsstand im Lebensalltag gerecht zu werden und sich daher aller Verunreinigungen zu enthalten, die dieser Gottesbeziehung nicht entsprechen. 4.3.2.2. Das kausale „denn” der Jakobusrede (Apg 15,21) Das Heil geschieht in der Weise, dass die e[qnh sich (unmittelbar) Gott zuwenden (ejpistrevfousin ejpi; to;n qeovn 15,19) und dieser sie als nichtjüdischen laov~ in Besitz nimmt (tw`/ ojnovmati aujtou`). Die Synagogen werden gleichsam außen vor gelassen. So hat auch „Mose” mit diesem Heilsgeschehen nichts zu tun; er gehört ja gerade in die Synagogen. Der umständlich formulierte Schlusssatz der Jakobusrede, der mit „denn Mose“ eingeleitet wird und auf die allsabbatliche Gesetzesverkündigung in den Synagogen der Welt verweist, gilt den Vertretern einer ‚gesetzlichen’ Auslegung des Aposteldekrets (vgl. 3.3.1–3.3.2) als der entscheidende Interpretationsschlüssel. In der Auslegungsgeschichte des Aposteldekrets ist eine Vielfalt an Möglichkeiten in Betracht gekommen, worauf sich Vers 21 bezieht und was er eigentlich begründet.106 1)

Jakobus könnte auf V.20 zurückblicken und darauf verweisen, dass die Enthaltungsvorschriften den Heiden zur Genüge bekannt sind. „Es ist also mit dem Dekret eigentlich nichts Neues gesagt, denn es kommt ja vom Gesetz her. Das alles ist aber nur sinnvoll, wenn Lukas mit solchen Heiden rechnet, die eine Verbindung mit den Synagogen haben, also mit Gottesfürchtigen ... Das ist alles selbstverständlich nicht

105 Vgl. die „trennenden“ Präpositionen ejk und ajpov in Apg 15,14.19 und dazu die obige Interpretation des Verhältnisses von V. 14 zu V. 17 im Abschnitt 4.3.1.2 Punkt (3). 106 Vgl. dazu ausführlich Barrett, Acts II (s. Anm. 27) 737f., und Öhler, Barnabas (s. Anm. 83) 414f.

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Bettina Rost pragmatisch oder opportunistisch mit Rücksicht auf die jüdischen Synagogen gesagt, sondern weil die Kirche für Lukas das restituierte Israel ist“.107 Andere Exegeten halten den Rückblick auf V.20 jedoch gerade für eine pragmatische Aussage: Das Einhalten der vier grundlegenden Dinge, die das Gesetz auch von den Heiden fordert, sei notwendig, da es überall in der Welt ‚mosaische’ Juden gibt, die jeden Sabbat die Gebote gehört haben. Dies gelte es zu berücksichtigen, andernfalls muteten die Heidenchristen den Juden zu viel zu.108 In Hinsicht auf V.19 könnte Jakobus gemeint haben: „It is not for us to trouble the Gentiles since Moses already has enough preachers to take his part“. Das heißt, das Gesetz als Ganzes wird denjenigen Heiden, die das möchten, durch die Synagoge bekannt gemacht, wohingegen von christlicher Seite nicht mehr als die Einschärfung der vier, auf ehemalige Heiden bezogenen Verbote nötig ist.109 Mit einer Bezugnahme auf V.19 könnte Jakobus auch im Anschluss an Petrus (V.10) darauf abheben, dass die regelmäßige Moselesung nicht zu dem Ergebnis geführt habe, dass das Gesetz vollständig eingehalten wurde. Trotz Mosepredigt sei es also faktisch unerfüllbar. Die Mosepredigt in jeder Stadt verwirklicht die im Amos-Zitat erwähnte Ausrufung des Namens Gottes über die Völker (V.17).110

Die Mehrzahl der Ausleger bezieht das begründende gavr von Vers 21 auf die unmittelbar vorangehende Verordnung des Aposteldekrets in Vers 20, was besagen würde, dass das Dekret mit dem Gesetz übereinstimme bzw. dessen Minimum darstelle. „Mose“ als Bezeichnung für das ganze Gesetz ruft m. E. aber sofort den Gegenstand der Auseinandersetzung (vgl. 15,5: threi`n to;n novmon Mwu>sevw~) in die Erinnerung zurück und wird sich daher kaum so positiv auf die Dekretsforderungen beziehen. Der entscheidende Zielpunkt der Stellungnahme des Jakobus ist doch die Verneinung jeglicher Gesetzesverpflichtung in Vers 19 (dio; ejgw; krivnw mh; parenoclei`n), dem Vers 20 als mit ajllav eingeleiteter Nebensatz unterzuordnen ist. Vers 21 dürfte demnach den Grund für jenen Standpunkt des Jakobus in Vers 19 liefern. Begründet wird die Ablehnung einer Gesetzesübernahme von Heidenchristen in etwa so: „Denn was Mose (d.h. das Gesetz) betrifft, so hat er seit jeher seine Verkündiger in den städtischen Synagogen...“. Jakobus gibt mit diesem Vers nicht die Quelle der Dekretsauflagen an, sondern erklärt, wie dann das Gesetz einzuordnen ist, wenn es für Heiden keine direkte Gültigkeit besitzt. Dass hier in klarer Abgrenzung zum vorher

107 So Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 3) 399. 108 So etwa G. Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas (ThHK V, Berlin: Ev. Verlagsanstalt, 1983) 322; Haenchen, Apostelgeschichte (s. Anm. 14) 433; J. Roloff, Die Apostelgeschichte (NTD 5, Berlin: Ev. Verlagsanstalt, 1988) 233; Tannehill, Unity II (s. Anm. 76) 190. Witherington, Acts (s. Anm. 21) 463, sieht darin ein apologetisches Ansinnen: Die Heidenchristen dürften Juden in der Diaspora keine Gelegenheit geben, „to complain that Gentile Christians were still practicing idolatry and immorality by going to pagan feasts even after beginning to follow Christ“. 109 So Barrett, Acts II (s. Anm. 27) 737. 110 Vgl. zu solchen Überlegungen Dibelius, Aufsätze (s. Anm. 58) 88.

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Gesagten eine solche Einordnung des Gesetzes vorgenommen wird, kann der exponierten Stellung von Mwu>sh`~ entnommen werden. Sodann liegt meiner Ansicht nach der Akzent gleichermaßen auf der Zeitangabe ejk genew`n ajrcaivwn wie auf den Ortsangaben kata; povlin und ejn tai`~ sunagwgai`~, während die Erwähnung der regelmäßigen Sabbatlesungen eine eher unterzuordnende Näherbestimmung zu jenen Orten darstellt. Der Vers könnte somit zum Ausdruck bringen, dass Beschneidung und Übernahme des „Joches“ schon seit alters her überall in der Welt nirgends anders als in den Synagogen geschehen. Dies braucht sich auch jetzt mit der einsetzenden Heidenmission nicht zu ändern. Im Gebiet der jüdischen Diaspora (kata; povlin), in welchem diese Mission stattfindet, bestimmt die Tora weiterhin exklusiv die Existenz der jüdischen Gemeinschaft, nicht aber die der e[qnh. Das Mosegesetz verbleibt, wie es seit ewig langer Zeit schon der Fall ist, in den Synagogen und hat dort seinen angemessenen und rechten Platz. Mose hat seine (eigenen) Prediger (tou;~ khruvssonta~ aujto;n) innerhalb der Synagogengemeinschaft. Diese Moseprediger sind demnach nicht identisch mit den Heidenmissionaren. Die Gemeinsamkeit zwischen dem altehrwürdigen und dem gerade neu erwählten laov~ besteht mithin nicht im Mosegesetz, sondern in der glaubenden (!) Hinwendung zu dem Gott und umgekehrt in dessen rettender Hinwendung sowohl zu den Juden als auch zu den e[qnh (15,8f.). Mose jedoch betrifft die Synagogen. Nicht zufällig wird von den Heidenchristen die Beachtung des Sabbatgebotes gerade nicht eingefordert. In Vers 21 geht es exklusiv um den ersterwählten laov~ mit seiner uralten (ejk genew`n ajrcaivwn) und damit wertvollen mosaischen Tradition, die seine Besonderheit ausmacht. Jakobus richtet sich mit diesem Vers abschließend an die pharisäischen Christen und nimmt noch einmal Bezug auf ihre eingangs geforderte umfassende Mosebelehrung. Hier wird nun erklärt, sie sei außerhalb der Synagogen fehl am Platz. Erneut findet sich die Auffassung bestätigt, dass das jüngere Gottesvolk nicht als Teil der Synagogengemeinschaft gedacht ist, sondern dass die e[qnh tatsächlich bleiben, was sie sind. Von der Idee einer jüdischen Heidenmission rückt Jakobus deutlich ab. Ähnlich hatte zuvor Petrus in seiner Rede Gott als den eigentlichen Heidenmissionar herausgestellt. Ein Vergleich zwischen Petrus- und Jakobusrede soll diese Interpretation noch einmal anschaulich machen:

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– Petrus – [Gesetzesverpflichtung für Heidenchristen?] Erfahrungszeugnis Korneliusgeschichte

[5–6] 7b–9

11

7b

Gottes Entscheidung (Heiden hören & glauben)

8

Gottes Bezeugung (Geistgabe)

9

Gottes Gleichbehandlung (Reinigung durch den Glauben)

– Jakobus – Ratschluss Gottes: einen laov~ aus Heiden erwählen Schriftzeugnis Die Worte der Propheten

Folgerung als Bekenntnis Rettung durch Gnade

Bewertung des Gesetzes anspruchsvolle Indienstnahme durch Gott (‚Joch’)

15–18

„danach“: Aufrichtung des Messiasreiches Christi &

16

Gottsuche aller Menschen und Völker

17

Folgerung als Urteil nicht belästigen stattdessen: 4 Quellen von Verunreinigung meiden

10

14

Bewertung des Gesetzes traditionell in den Synagogen verortet

19–20 19 20

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4.3.2.3. Das dritte Vorkommen des Dekrets in Apg 21 Auch ein Blick in Apg 21,18ff. bestätigt die grundlegende Verschiedenheit von Toragehorsam und dem, was von den Heidenchristen laut Dekret verlangt wird. Wie in Apg 15,12 berichtet Paulus auch hier zunächst von seinen Missionserfolgen, die eigentlich Gottes Erfolge sind (21,19). Obwohl die Jerusalemer Gott dafür preisen (21,20), müssen sie auf die Vorwürfe eingehen, die gesetzesstrenge Judenchristen über Paulus verbreiten: Er lehre die Diasporajuden Torafreiheit (V.21). Um den Judenchristen seine Gesetzestreue (V.24b) zu demonstrieren, solle Paulus nun vier mittellose Nasiräer auslösen (V.23–24). Im folgenden Vers 25 wird Paulus an den Beschluss des Aposteldekrets für nichtjüdische Gläubige erinnert. Dies kann im vorliegenden Zusammenhang doch wohl nur so zu verstehen sein, dass sehr deutlich betont werden soll, dieses hier von Paulus unter den gegebenen Umständen geforderte höhere Maß an toragemäßen Reinheitsriten bedeute auf keinen Fall einen Rückschritt hinter die Vereinbarungen bezüglich der Heidenchristen und habe darauf keinerlei Auswirkungen.111 Die Handlungsanweisung der Jerusalemer bezieht sich auf den Binnenbereich des Judenchristentums; dagegen werden die Heidenchristen 111 So richtig Witherington, Acts (s. Anm. 21) 650.

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klar abgesetzt: „Was aber die gläubig gewordenen Heiden betrifft...“. Sie bleiben weiterhin nur an die Dekretsauflagen gebunden, die hier auch begrifflich vom novmo~, den Paulus jetzt verstärkt zu „befolgen“ (fulavssein V.24b) hat, getrennt werden: Die Heiden sollen „sich hüten“ (fulavssesqai) vor den 4 bekannten Dingen.

5. Ergebnis Nach Lukas führt die Entscheidung des Streites, ob nichtjüdische Christusanhänger notwendigerweise auch Mitglieder des biblischen Gottesvolkes Israel werden müssen, zur Anerkennung einer gleichwertigen Erwählung neben Israel. Dieser andere laov~, der gemäß der Jakobusrede jetzt an die Seite des lao;~ ∆Israhvl tritt, befindet sich im Einklang mit dem Heilsplan Gottes. Neben dem jüdischen Volk Gottes, den Israeliten (vgl. Apg 3,11f.19–21), ist jene neue Erwählung aus den Völkern gleichermaßen wichtige Voraussetzung (15,14), damit Christus bei seiner Wiederkunft seine davidisch-königliche Herrschaft endgültig errichten kann und das Reich Gottes kommt (15,16f.). Dementsprechend ist mit den Forderungen des Aposteldekrets nicht mehr die klärungsbedürftige Beziehung der Heidenchristen zu Israel im Blick, sondern ihre Beziehung zu dem einen Gott. Ihr Verhältnis zu Israel ist hier schon nicht mehr Thema, nachdem erst Petrus auf das faktische Geschehen einer göttlichen Erwählung von Heiden unter Absehung des Gesetzes hingewiesen und dann Jakobus den Grund dafür benannt hatte. Seine theologische und christologische Argumentation bezüglich des eigenen Erwählungsstatus der Heidenchristen hatte auch den letzten Zweiflern vollständig klar gemacht, wie unangebracht eine nachträgliche Einbeziehung der neubekehrten Heiden in den lao;~ ∆Israhvl wäre. Dennoch ist es an den Heidenchristen, deutlich sichtbaren Abstand zu nehmen vom „heidnischen Lebenswandel“, gerade weil sie Heiden bleiben dürfen und als Teil der Völkerwelt (ajpo; tw`n ejqnw`n) inmitten eines heidnisch geprägten Umfeldes verbleiben. So gilt es Normen zu beachten, die sich aus der Heiligkeit des Namens Gottes ableiten, zu dem die neue Erwählung aus Nichtjuden nunmehr gehört. „Mose“ hingegen gehört zum älteren, ersterwählten Heilsvolk, hat also gerade in der Synagoge seinen angestammten Platz. Das Gesetz ist mit der besonderen Erwählung Israels ejk genew`n ajrcaivwn verbunden. Nicht das – aufs Aposteldekret verkürzte – Mosegesetz gewährt also die heilsgeschichtliche Kontinuität der Heidenchristen mit dem biblischen Israel, sondern ihr Glauben an den Messias Israels, Jesus Christus, sowie ihre analoge Zugehörigkeit zum Gott Israels, die sich in

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ihrer heilsgeschichtlich notwendigen Erwählung als laov~ bekundet. Gleichwohl ermöglicht das Aposteldekret die Anknüpfung dieses jüngeren Gottesvolkes bei den Juden, insofern es ein Verhalten in Übereinstimmung mit dem biblisch-theologischen Bekenntnis zur Einzigkeit und Schöpfermacht JHWHs einfordert.

Die letzten Worte des lukanischen Paulus: Zur Bedeutung von Act 28,25-28 für das Paulusbild der Apostelgeschichte ENNO EDZARD POPKES

1. Thematische Hinführung Die letzte Szene der Apostelgeschichte hat für die Theologie des lukanischen Geschichtswerks eine zentrale Bedeutung. Der auctor ad Theophilum beendet den zweiten Teil seines Werkes, indem er seinen Protagonisten Paulus ein Zitat von Jes 6,9f. in den Mund legt und auf diese Weise seine Überzeugung zur Geltung bringt, dass die jüdische Ablehnung der christlichen Botschaft auf ein ‚Verstockungsphänomen‘1 zurückzuführen sei (Act 28,25-28). Diese Facette der lukanischen Erzählung impliziert die nach wie vor kontrovers diskutierte Frage, welche Bedeutung die Rezeption von Jes 6,9f. für das Gesamtverständnis der lukanischen Theologie bzw. speziell für die lukanische Israeltheologie besitzt2. Weniger Aufmerksamkeit erfährt demgegenüber die Frage, welche Bedeutung die Gestaltung von Act 28,25-28 für das lukanische 1 2

Zur Definition und Verwendung des Begriffs ,Verstockung‘ s. u. Anm. 34. Zum Spektrum unterschiedlicher Interpretationsansätze zu Act 28,25-28 sei exemplarisch verwiesen auf u.a. R. von Bendemann, „‚Trefflich hat der heilige Geist durch Jesaja, den Propheten, gesprochen ...’ (Apg 28,25). Zur Bedeutung von Jesaja 6,9f. für die Geschichtskonzeption des lukanischen Doppelwerkes“, in N. C. Baumgart/G. Ringshausen (eds.), Das Echo des Propheten Jesaja. Beiträge zu seiner vielfältigen Rezeption (Lüneburger Theologische Beiträge 1, Münster 2004) 45-73; F. Bovon, „‚Schön hat der heilige Geist durch den Propheten Jesaja zu euren Vätern gesprochen’ (Acts 28,25)“, in id., Studies in early Christianity (WUNT 161, Tübingen 2003) 113-119; C. A. Evans, ‘To see and not perceive‘: Isaiah 6.9-10 in early Jewish and Christian interpretation (JSOT.S 64, Sheffield 1989) 120-127; M. Karrer, „,Und ich werde sie heilen’. Das Verstockungsmotiv aus Jes 6,9f. in Apg 28,26f.“, in id./W. Kraus/O. Merk (eds.), Kirche und Volk Gottes. FS J. Roloff (Neukirchen-Vluyn 2000) 255-271; V. A. Lehnert, Die Provokation Israels. Die paradoxe Funktion von Jes 6,9-10 bei Markus und Lukas: ein textpragmatischer Versuch im Kontext gegenwärtiger Rezeptionsästhetik und Lesetheorie (NTDH 25, Neukirchen 1999) 203ff.; D. Rusam, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112, Berlin et al. 2003) 438ff.; M. Vahrenhorst, „Gift oder Arznei? Perspektiven für das neutestamentliche Verständnis von Jes 6,9f. im Rahmen der jüdischen Rezeptionsgeschichte“, ZNW 92 (2001) 145-167, 165; G. Wasserberg, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt. Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas (BZNW 92, Berlin et al. 1998) 108f. u. ö.

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Paulusbild hat. Auch wenn Paulus in seinen überlieferten Briefen Jes 6,9f. nicht explizit zitiert, nimmt eine Verstockungsvorstellung im Kontext seiner Erwählungslehre und seiner Reflexion der heilsgeschichtlichen Stellung Israels ebenfalls eine prominente Stellung ein (vgl. 2 Kor 3,14; Röm 9,18 und v. a. Röm 11,7-10)3. Umso bemerkenswerter ist, dass im facettenreichen Spektrum deuteropaulinischer Traditionen bzw. der sogenannten ,Paulusschule‘4 Act 28,25-28 streng genommen der einzige Text ist, der eine Affinität zu jenen Zügen paulinischer Theologie aufweist5. Dieser Sachverhalt sollte gerade angesichts der Neuorientierungen zu denken geben, die sich in den jüngeren Diskursen zum lukanischen Geschichtswerk beobachten lassen. Während in früheren Diskussionsstadien oft die Unterschiede zwischen dem lukanischen Paulusbild und der paulinischen Theologie betont wurden6, lässt sich in jüngeren Diskussionsbeiträgen zunehmend die Bemühung erkennen, neben den zweifelsohne vorhandenen Differenzen auch Affinitäten zwischen paulinischen und lukanischen Konzeptionen darzulegen und herauszuarbeiten, was die theologischen und religionssoziologischen Anlässe dieser Akzentverschiebungen gewesen sein können7. 3

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Zu diesen Zügen paulinischer Theologie vgl. U. Schnelle, Paulus. Leben und Denken (de Gruyter Lehrbuch, Berlin 2003) 272f.; G. Dautzenberg, „Art. Verstockung“, RGG4 8, 1069f., 1070; G. Röhser, Prädestination und Verstockung. Untersuchungen zur frühjüdischen, paulinischen und johanneischen Theologie (TANZ 14, Tübingen et al. 1994) 93ff.; J. M. Gundry Volf, Paul and Perseverance: Staying In and Falling Away (WUNT II/37, Tübingen 1990) 289ff.; F. Mußner, „Die ,Verstockung’ Israels nach Röm 9–11“, TThZ 109 (2000) 191-198; M. I. Seewann, „,Verstockung’, ,Verhärtung’ oder ,Nicht-Erkennen’? Überlegungen zu Röm 11,25“, KuI 12,2 (1997) 161-172; T. Eskola, Theodicy and Predestination in Pauline Soteriology (WUNT II/100, Tübingen 1998) passim. Zu methodischen und religionshistorischen Problemen der Rede von einer paulinischen Schule vgl. T. Schmeller, Schulen im Neuen Testament? Zur Stellung des Urchristentums in der Bildungswelt seiner Zeit. Mit einem Beitrag zur johanneischen Schule von C. Cebulj (HBS 30, Freiburg i. B. 2001) 183ff.; J. Schröter, „Kirche im Anschluss an Paulus. Aspekte der Paulusrezeption in der Apostelgeschichte und in den Pastoralbriefen“, ZNW 98 (2007) 77-104, 77f. Dass die paulinischen Verstockungsvorstellungen in deuteropaulinischen Traditionsbildungen nicht adaptiert werden, ist u. a. deshalb bedeutsam, weil z. B. die mit der paulinischen Verstockungsvorstellung inhaltlich-sachlich korrespondierenden Erwählungsvorstellungen durchaus entfaltet werden (hierzu s. u. Anm. 59). Exemplarisch sei verwiesen auf das Diktum von P. Vielhauer, „Zum ,Paulinismus‘ der Apostelgeschichte“, EvTh 10 (1950/51) 1-15, 15 (Nachdruck in id., Aufsätze zum Neuen Testament [München 1965] 9-27), demzufolge sich im lukanischen Paulusbild „kein einziger spezifisch paulinischer Gedanke“ erkennen lasse (tendenziell ähnlich G. Harbsmeier, „Unsere Predigt im Spiegel der Apostelgeschichte“, EvTh 10 [1950/ 51] 352-368; zu einer bereits frühen Kritik an einer solchen strikten Entgegensetzung des lukanischen Paulusbildes und der paulinischen Theologie vgl. O. Bauernfeind, „Vom historischen zum lukanischen Paulus. Eine Auseinandersetzung mit G. Harbsmeier“, EvTh 13 [1953] 347-353; id., „Zur Frage der Entscheidung zwischen Lukas und Paulus“, ZST 23 [1954] 59-88). Programmatisch zuletzt Schröter, „Kirche“ (s. Anm. 4) 79: „Die Unterschiede zwischen der Theologie des Paulus in der Apg und in seinen Briefen sind …, wie in

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In Anbetracht dieser Entwicklungen legt es sich nahe, auch das Verhältnis der lukanischen und paulinischen Verstockungsvorstellungen neu zu bedenken. Dieser Aufgabenstellung soll in der vorliegenden Studie in vier Arbeitsschritten nachgegangen werden. Zunächst soll skizziert werden, in welcher Weise Act 28,25-28 in den Erzählverlauf der Apostelgeschichte eingebettet ist (2). Daraufhin wird dargelegt, welche Bedeutung dieser Text für das Verständnis lukanischer Theologie besitzt bzw. welche zum Teil diametral entgegengesetzten Interpretationen er erfahren konnte (3). Vor diesem Hintergrund kann schließlich das Verhältnis der Act 28,25-28 zugrunde liegenden Verstockungsvorstellung und der entsprechenden Facetten der paulinischen Briefe analysiert werden (4). Und da der Vergleich dieser Züge der paulinischen und lukanischen Theologie nicht nur auf der Ebene einer religionsgeschichtlichen Deskription herausfordernd ist, sondern auch für heutige systematisch-theologische Reflexionen christlicher Identität von hoher Relevanz ist8, soll zum Abschluss der Studie eine theologische Abschlussbemerkung formuliert werden (5).

2. Die Einbettung von Act 28,25-28 in den Erzählverlauf der Apostelgeschichte Die besondere Bedeutung, die der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks der letzten Szene seines Werks und dem darin integrierten Zitat von Jes 6,9f. beimisst, lässt sich u. a. darin erkennen, mit

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neuerer Zeit verschiedentlich herausgestellt wurde, zu Unrecht zu grundlegenden Widersprüchen aufgebaut worden. Sie lassen sich dagegen wesentlich angemessener als Rezeption des Wirkens des Paulus aus veränderter Perspektive verstehen.“ Zur diesbezüglichen Forschungsgeschichte sei ferner verwiesen auf O. Pichler, Paulusrezeption in der Apostelgeschichte. Untersuchungen zur Rede im pisidischen Antiochien (ITS 50, Innsbruck 1997) 31-40 bzw. 358f.; D. Sänger, „Von Paulus zu Lukas. Erwägungen zur lukanischen Paulusrezeption im Kontext einer Biblischen Theologie des Neuen Testaments“, in W. Kurz/R. Lächele/G. Schmalenberg (eds.), Krisen und Umbrüche in der Geschichte des Christentums. FS M. Greschat (GSTR 9, Gießen 1994) 269-292; B. Heininger, „Die Rezeption des Paulus im 1. Jahrhundert: Deutero- und Tritopaulinen sowie das Paulusbild der Apostelgeschichte“, in O. Wischmeyer (ed.), Leben – Umwelt – Werk – Briefe (UTB 2767, Tübingen 2006) 309-340, 333f.; J. C. Lentz, Luke’s Portrait of Paul (MSSNTS 77, Cambridge 1993) 171f.; J. Roloff, „Die Paulus-Darstellung des Lukas. Ihre geschichtlichen Voraussetzungen und ihr theologisches Ziel“, in M. Karrer (ed.), Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze (Göttingen 1990) 255278; S. E. Porter, The Paul of Acts. Essays in Literary Criticism, Rhetoric, and Theology (WUNT 115, Tübingen 1999) 1-9. Dies gilt insbesondere für die Frage, inwieweit die entsprechenden lukanischen Ausführungen antijüdischen Interpretationen Vorschub leisten (zu zuweilen diametral entgegengesetzten Einschätzungen dieses Sachverhalts s. u. Anm. 29-32).

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welcher erzählerischen Kunstfertigkeit er dieselben gestaltet9. Dieser Sachverhalt kann folgendermaßen skizziert werden. Act 28,16 zufolge ist Paulus als Gefangener in Rom angekommen und wartet auf seinen Prozess. Die Haftbedingungen in custodia militari erlauben es ihm jedoch, in seiner Mietwohnung Besucher zu empfangen10. Unter diesen Besuchern befinden sich auch prominente Vertreter der jüdischen Gemeinden Roms (Act 28,17). Sie vereinbaren mit Paulus ein Treffen, an welchem sie von ihm über die Ansichten jener ai{resi~ unterrichtet werden wollen, für die Paulus eintritt und deren Bekanntheitsgrad kontinuierlich zunimmt (Act 28,22). Auf dem vereinbarten Treffen erläutert Paulus seinen jüdischen Gesprächspartnern sein Verständnis des Reiches Gottes und versucht ihnen anhand der Tora und den prophetischen Überlieferungen seine Deutung des Lebens und Sterbens Jesu darzulegen (Act 28,23b). Worüber Paulus und seine Besucher konkret diskutierten bzw. welche Traditionen der jüdischen Bibel die Reflexionsgrundlage der paulinischen Ausführungen bildeten, wird dem Leser der Apostelgeschichte nicht mitgeteilt. Es wird nur konstatiert, dass Paulus sowohl Zustimmung als auch Ablehnung erfuhr (Act 28,24). Lediglich eine spezielle Äußerung des Heidenapostels, welche die Unstimmigkeiten intensivierte und schließlich das Ende der Unterredung provozierte, wird inhaltlich genauer bestimmt, nämlich sein Verständnis von Jes 6,9f. (Act 28,25f.). Lukas hebt die Wirkung dieser Angabe zusätzlich dadurch hervor, dass er von dem Dissens der jüdischen Gesprächspartner des Paulus spricht, bevor er erläutert, woran sich jener Dissens entzündete. Diese als hysteron proteron zu bezeichnende rhetorische Figur steigert die Aufmerksamkeit des Lesers bzw. Hörers der Apostelgeschichte11. Die Bedeutung des nun folgenden Jesaja-Zitats wird nochmals akzentuiert, indem der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks nun nicht mehr über Paulus spricht, sondern seinen Protagonisten selbst zu Wort kommen lässt und ihm die letzte wörtliche Rede der Apostelgeschichte in den Mund legt. Das Zitat von Jesaja 6,9f. wird durch eine für die Pneumatologie des lukanischen Geschichtswerks aufschlussreiche These eingeleitet, die als eine differentia specifica der lukanischen Rezeption von Jes 6,9f. verstan9

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Dies entspricht der Gestaltung der Kapitel Act 27f., in denen der auctor ad Theophilum „alle Register historiographischer Mittel (zieht), um seinem Werk in einem grandiosen Finale den Schlußpunkt zu setzen“ (so C.-J. Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen [WUNT 56, Tübingen 1991] 355). Zu den rechtsgeschichtlichen Hintergründen dieser Haftbedingungen vgl. H. Omerzu, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte (BZNW 115, Berlin/New York 2002) 499f.; H. W. Tajra, The Trial of St. Paul: A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles (WUNT II/35, Tübingen 1989) 179f. Zu diesem Detail vgl. Bendemann, „Trefflich hat der heilige Geist …“ (s. Anm. 2) 51.

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den werden kann, insofern sie weder in der jesajanischen Vorgabe, noch in anderen frühchristlichen Adaptionen von Jes 6,9f. Analogien besitzt12. Ansonsten orientiert sich das Zitat der jesajanischen Verstockungsaussage bis auf marginale Differenzen am tradierten Septuagintatext von Jes 6,9f.13. Auch wenn diese Differenzen für die textgeschichtliche Frage aufschlussreich sind, welche griechische Texttradition Lukas benutzt haben könnte, sind sie für die Erfassung seiner theologischen Aussageintention irrelevant. Worin letztere besteht, das soll im folgenden Arbeitsschritt betrachtet werden.

3. Die Bedeutung von Act 28,25-28 für die theologische Aussageintention des lukanischen Geschichtswerks Ein zentrales Anliegen des lukanischen Geschichtswerks besteht darin, das Verhältnis des sich sukzessive entwickelnden Christentums zu seiner wichtigsten geistigen und geschichtlichen Quelle zu reflektieren, nämlich zum Judentum. Im Verlauf der Erzählung der Apostelgeschichte wird diese Fragestellung immer wieder neu aufgenommen und aus unterschiedlichen Perspektiven entfaltet. Bereits in der Einleitung wird dem Leser angedeutet, in welche geographischen Richtungen sich das Christentum aus seinem Mutterland heraus ‚bis an das Ende der Erde‘ ausbreitet (Act 1,8)14. In diesem Sinne ist die erzählerische Dramaturgie im achtundzwanzigsten Kapitel der Apostelgeschich12

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Neben Act 28,25b wird nur in Act 1,16; 4,25 der Heilige Geist als Vermittlungsinstanz der prophetischen Traditionen der jüdischen Bibel bezeichnet (zur Interpretation dieses Motivs im Gesamtzusammenhang lukanischer Pneumatologie vgl. Rusam, Das Alte Testament [s. Anm. 2] 435; Wasserberg, Mitte [s. Anm. 2] 99; W. H. Shepherd, The Narrative Funktion of the Holy Spirit as a Character in Luke-Acts [SBL.DS 147, Atlanta 1994] 240-245). Zu diesen Differenzen vgl. G. J. Steyn, The Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches in the Acta Apostolorum (Biblical Exegesis & Theology 12, Kampen 1995) 219ff. Zur Übersicht textgeschichtlicher Varianten zu Jes 6,10 LXX vgl. J. Ziegler (ed.), Isaias (Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum [Vol. XIV], Göttingen 19833) 144. Zur Interpretation der Angabe e{w~ ejscavtou th'~ gh'~ in der programmatischen Formulierung Act 1,8 vgl. J. Jervell, Die Apostelgeschichte (KEK NT 317, 1. Auflage dieser Edition, Göttingen 1998) 116: „Die Apg zeigt, dass ‚das Ende der Welt‘ nicht einen Endpunkt kennzeichnet, sondern den Weg des Evangeliums durch die ganze Welt. Rom ist als Ziel für die Judenmission verstanden, aber die Mission geht 28,30 über Rom hinaus.“ Zu weiteren Deutungsansätzen vgl. M. Hengel, „Der Historiker Lukas und die Geographie Palästinas in der Apostelgeschichte“, in id., Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI (WUNT 234, Tübingen 2008) 140-190, 148f.; C. Burchard, Der dreizehnte Zeuge. Traditions- und kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Lukas’ Darstellung der Frühzeit des Paulus (FRLANT 103, Göttingen 1970) 174; Pichler, Paulusrezeption (s. Anm. 7) 261.

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te an einem Höhepunkt angelangt, insofern Paulus als der Protagonist der gesetzesfreien Heidenmission nun in Rom weilt und somit im Zentrum des Imperium Romanum die Botschaft von der basileiva tou` qeou` verkündigt15. Die theologische Linienführung der Apostelgeschichte ist jedoch nicht nur an einer Klimax, sondern auch an einem Wendepunkt angelangt. Dieser Sachverhalt wird erkennbar, wenn man betrachtet, in welcher Weise sich die Erzählung über die Begegnung zwischen Paulus und Vertretern der jüdischen Gemeinschaften in Rom zu den vorhergehenden Erzählungen über die Kommunikation zwischen Paulus und seinen jüdischen Mitmenschen verhält. Die lukanische Darstellung der Missionstätigkeit des Paulus bringt kontinuierlich zur Geltung, wie Paulus darum rang, seinen jüdischen Mitmenschen seine Überzeugung zu vermitteln, dass sich im Leiden und in der Auferstehung Jesu ihre eschatologischen Hoffnungen erfüllt haben (Act 13,14; 14,1; 17,1-3; 17,10b; 17,17; 18,2.4f.; 18,19; 19,8.10b). Diese missionarischen Bemühungen stießen der lukanischen Darstellung zufolge nicht selten auf ein reges Interesse (Act 13,44; 17,4.11f.; 18,8.20; 26,28-32), welches zuweilen sogar eine Akzeptanz der paulinischen Verkündigung nach sich zog (vgl. u. a. Act 17,4.11f.; 18,8). Ebenso konnte die Verkündigung des Heidenapostels aber auch eine radikale Ablehnung seiner jüdischen Mitmenschen provozieren (vgl. u. a. Act 13,45f.50; 14,2.5.19; 17,5-9; 17,13; 18,6.12-17; 19,33f.)16. Diese Dramaturgie lässt sich bereits in der Gestaltung der ersten großen Missionsrede erkennen, die der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks Paulus in den Mund legt (Act 13,16b-41)17. Der Erzähl15

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Indem die letzte Aussage der Apostelgeschichte (Act 28,30f.) die Verkündigung der basileiva tou` qeou` in Rom thematisiert, schließt der auctor ad Theophilum einen Spannungsbogen, den er mit dem Motiv der Verkündigung des Auferstandenen (Act 1,3) eröffnete. Auf diese Weise steht das Motiv der basileiva tou` qeou` „betont am Ende und … am Anfang der Apostelgeschichte, rahmt den zweiten Teil des lukanischen Werkes gleichsam ein und nennt die Konstante, die als Thema in unterschiedlicher Begrifflichkeit die Apostelgeschichte durchzieht und auch mit dem Abtreten der Apostel und des Paulus ihre Gültigkeit für die Zeit der Kirche behält“ (so A. Prieur, Die Verkündigung der Gottesherrschaft: exegetische Studien zum lukanischen Verständnis von basileiva tou` qeou` [WUNT II/89, Tübingen 1996] 83). Zur erzähltechnischen Komposition dieser Facetten der Apostelgeschichte und ihrer Bezüge zu Act 28,25-28 vgl. Wasserberg, Mitte (s. Anm. 2) 71ff. Speziell zum Spannungsbogen zwischen Act 13,46f. und Act 28,25-28 vgl. W. Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit: zur historischen Situation der lukanischen Christen (FRLANT 152, Göttingen 1991) 132; E. Plümacher, „Rom in der Apostelgeschichte“, in Jens Schröter/ Ralph Brucker (eds.), Eckhard Plümacher: Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten (WUNT 170, Tübingen 2004) 135-169, 158. Treffend konstatiert Pichler, Paulusrezeption (s. Anm. 7) 356: „Die Rede in Pisidien ist der große Auftakt der paulinischen Mission. Mit dieser Rede legt der lukanische Paulus sein Programm vor“. Zu rhetorischen Gestaltungskriterien dieser Rede vgl. ibid., 117ff.

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dramaturgie zufolge gelangen Paulus und Barnabas nach Antiochien in Pisidien und beginnen in der dortigen Synagoge mit ihren missionarischen Aktivitäten (Act 13,14f.). Act 13,42f. zufolge stößt ihre Tätigkeit bei vielen Juden bzw. Proselyten auf ein reges Interesse, so dass weitere Treffen arrangiert werden, die jedoch zu Konflikten zwischen Paulus, Barnabas und ihren jüdischen Gesprächspartnern führen (V 45). Als Reaktion auf diese ablehnende Haltung lässt der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks seine Protagonisten konstatieren, dass es ihre Verpflichtung gewesen sei, zunächst ihre jüdischen Mitmenschen mit ihrer Botschaft zu konfrontieren (Act 13,46a). Aufgrund ihrer zurückweisenden Haltung sei es nun jedoch ihre Aufgabe, bei den e[qnh missionarisch aktiv zu werden (Act 13,47)18. Auf diese Weise umschreibt der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks eine „sukzessive Ablösung der Christengemeinde von der Synagoge“19, welche in den nachfolgenden Erzählsequenzen mit unterschiedlichen Akzentsetzungen weiter entfaltet wird, in denen der lukanische Paulus sich ebenfalls zunächst seinen jüdischen Mitmenschen zuwendet und dabei sowohl Zustimmung als auch Ablehnung erfährt. Der auf diese Weise aufgebaute Spannungsbogen erfährt in Act 26,28-32 eine besondere Steigerung. Unmittelbar vor Erzählung von der Reise des inhaftierten Paulus nach Rom verortet der auctor ad Theophilum die Erzählungen über die Begegnung zwischen Paulus und Agrippa II in Caesarea Maritima (Act 25,23–26,32). Der Audienzsaal (ajkroathvrion) des Statthalters Festus wird gerade zu einer Bühne stilisiert, auf der der lukanische Paulus seine letzte große Rede gegenüber einem jüdischen Publikum in Israel hält. Der in Folge jüdischer Agitationen inhaftierte Paulus, dessen Hin18

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Auch wenn der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks durch die Zitation von Jes 49,6 in Act 13,47a (ou{tw~ ga;r ejntevtaltai hJmi`n oJ kuvrio~: tevqeikav se eij~ fw`~ ejqnw`n tou` ei\naiv se eij~ swthrivan e{w~ ejscavtou th`~ gh`~) das zweite jesajanische Gottesknechtslied (Jes 49,1-6) zur Deutung der missionarischen Tätigkeit des Paulus verwendet, entspricht dies seiner ansonsten christologisch akzentuierten Verwendung der jesajanischen Gottesknechtslieder (treffend W. Stegemann, „,Licht der Völker’ bei Lukas“, in C. Bussmann/W. Radl [eds.], Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider [Freiburg 1991] 81-97, 87: „fw`~ ist hier – als abstractum pro concreto – die durch den auferstandenen Christus verbürgte Hoffnung auf Auferstehung von den Toten und damit die Ermöglichung von zwh; aijwvnio~“; positiv rezipiert von Pichler, Paulusrezeption [s. Anm. 7] 260; generell zur lukanischen Rezeption der jesajanischen Gottesknechtstraditionen vgl. U. Mittmann-Richert, Der Sühnetod des Gottesknechts: Jesaja 53 im Lukasevangelium [WUNT 220, Tübingen 2009] passim; P. Stuhlmacher, „Jes 53 in den Evangelien und in der Apostelgeschichte“, in B. Janowski/P. Stuhlmacher [eds.], Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte. Mit einer Bibliographie zu Jes 53 [FAT 14, Tübingen 1996] 93-105, 100f.). So J. Schröter, „Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte“, in E.-M. Becker (ed.), Die Wirkung des Anfangs. Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129, Berlin/New York 2005) 237-262, 256.

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richtung die Mehrheit seiner jüdischen Landsleute fordern (Act 28,24), findet ausgerechnet in dem jüdischen König einen Sympathisanten, der seiner Lehre nicht abgeneigt gegenübersteht und Paulus für unschuldig hält (Act 26,28.30-32)20. In Bezug auf die vorliegende Fragestellung gilt es zu beachten, dass in den angesprochenen Erzählsequenzen zumeist nicht konstatiert wird, dass die jüdische Ablehnung der christlichen Botschaft die Konsequenz eines Verstockungsphänomens ist21. Lediglich im Kontext der Erzählungen über die paulinische Tätigkeit in Ephesus (Act 19,1ff.) begegnet fast beiläufig in Gestalt eines Erzählerkommentars die These, dass die ablehnende Haltung das Resultat eines Verstockungsphänomens ist (vgl. Act 19,9a wJ~ dev tine~ ejsklhruvnonto …). Im Kontrast zu Act 28,27a wird in Act 19,9 die Verstockung mit dem Terminus sklhruvnein gekennzeichnet. Im Kontext der lukanischen Schriften korrespondiert diese Wendung terminologisch dem Vorwurf der ‚Halsstarrigkeit‘ bzw. ‚Widerspenstigkeit‘, mit welchem Stephanus seine jüdischen Zuhörer im Finale seiner Verteidigungsrede konfrontiert. Interessanterweise kann in der entsprechenden Wendung Act 7,51a (Sklhrotravchloi kai; ajperivtmhtoi kardivai~ kai; toi'~ wjsivn, ...) das Motiv der Augen und Ohren als Anspielung auf die jesajanische Verstockungsaussage Jes 6,9f. verstanden werden, die wiederum in Act 28,25-27 expressis verbis zur Geltung gebracht wird22. Insofern das Wortfeld sklhruvnein k.t.l. im Spektrum neutestamentlicher Schriften neben Hebr 3,8.13.15; 4,7 nur im Rahmen der paulinischen Verstockungsvorstellung verwendet wird (vgl. die für diesen Sachverhalt fundamentale Aussage Röm 9,18: a[ra ou\n o}n qevlei ejleei', o}n de; qevlei sklhruvnei), legt sich auch diesbezüglich die Frage nahe, ob sich bereits in diesen Facetten der lukanischen Erzählungen Affinitäten zur paulinischen Konzeption erkennen lassen. Allerdings muss betont werden das im Gegensatz zu Röm 9,18, wo eindeutig Gott als Subjekt der Verstockung benannt wird, in Act 19,9 nicht erläutert wird, was die Ursache dieses Phänomens ist23. 20

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In Bezug auf die theologische Aussageintention der Agrippa II in den Mund gelegten Aussage (Act 26,28b ejn ojlivgw/ me peivqei~ Cristiano;n poih'sai) konstatiert Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 14) 597: „Es ist keineswegs ironisch gemeint, sondern drückt eine gewisse Zustimmung aus, aber ohne die Konsequenzen zu ziehen. Agrippa hat nichts gegen Paulus einzuwenden, keine Gegenargumente, aber er hat verstanden, was der Sinn der paulinischen Verkündigung ist. Eigentlich hätte er Christ werden sollen, weil er Jude ist.“ Gegen z. B. J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte (RNT, Regensburg 1994) 687, der bereits in Aussagen wie Act 13,45; 14,2 das Verstockungsmotiv vorgezeichnet sieht. So treffend E. Kellenberger, Die Verstockung Pharaos. Exegetische und auslegungsgeschichtliche Untersuchung zu Exodus 1 – 15 (BWANT 171, Stuttgart 2006) 19. Im Kontrast hierzu lässt der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks in diesen frühen Erzählsequenzen Paulus gegenüber seinen Gesprächspartnern zuweilen auch deren individuelle Verantwortung für ihre Ablehnung der christlichen Botschaft be-

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In dieser Hinsicht hebt sich die skizzierte Erzähldramaturgie von dem Ende der Apostelgeschichte ab. In der schrittweise gesteigerten Dramaturgie von Act 28,16-31 bildet gerade die Zitation von Jes 6,9f. eine theologische Klimax. Kein geringerer als Paulus selbst ist es, der zum Abschluss des lukanischen Geschichtswerks resümiert, dass die Ablehnung der christlichen Botschaft seitens des zeitgenössischen Judentums bereits in der jesajanischen Prophetie vorgezeichnet ist. Im Geiste der jesajanischen Verstockungsvorstellung kulminiert der erste Entwurf einer christlichen Historiographie somit in einer theologischen Begründung, warum die weitere Missionsarbeit nichtjüdischen Menschen gilt. Die Rede des lukanischen Paulus mündet in die an Jes 40,5 angelehnte These, dass nun die e[qnh die Adressanten jener Botschaft geworden sind – und seine letzten Worte lauten der lukanischen Erzählung zufolge, dass diese Gottes Wort aufnehmen werden (Act 28,28b: aujtoi; kai; ajkouvsontai24). Gleichwohl ist das Ende des Zitats von Jes 6,9f. von einer „diskreten Doppeldeutigkeit“25 geprägt, die bereits in Jes 6,9f. LXX angelegt ist und die nicht zuletzt aus der Differenz der hebräischen Vorlage und der griechischen Übersetzung von Jes 6,9f. resultiert (zur Differenz der Jes 6,9f. MT und Jes 6,9f. LXX zugrunde liegenden Verstockungsvorstellungen s. u. Arbeitsschritt 4). Die Schlusssentenz ‫שׁב ו ְָרפָא לוֹ‬ ָ ‫( ָו‬Jes 6,10d MT) wird in der griechischen Übersetzung mit ejpistrevywsin kai; ijavsomai aujtouv" wiedergegeben. Strittig ist, wie im Gesamtzusammenhang der syntaktischen Gestaltung von Jes 6,10c.d LXX (mhvpote i[dwsin toi'" ojfqalmoi'" kai; toi'" wjsi;n ajkouvswsin kai; th'/ kardiva/ sunw'sin kai; ejpistrevywsin kai; ijavsomai aujtouv") der Übergang von Konjunktiv-Futur zu der in Indikativ-Futur gefassten finalen Aussage kai; ijavsomai aujtouv" zu interpretieren ist26. Zumeist wird konstatiert, dass unabhängig von je-

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tonen (vgl. u. a. Act 13,46b ejpeidh; ajpwqei'sqe aujto;n kai; oujk ajxivou~ krivnete eJautou;~ th'~ aijwnivou zwh'~ … ). Durch die Stellung des kaiv wird zwar das Verb ajkouvsontai betont, nicht jedoch das Pronomen aujtoi; (so treffend J. Schröter, „Heil für die Heiden und Israel. Zum Zusammenhang von Christologie und Volk Gottes bei Lukas“, in id., Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons [WUNT 204, Tübingen 2007] 247-269, 260 Anm. 67, in kritischer Auseinandersetzung mit B. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. Bearb. v. F. Rehkopf [Göttingen 198416] § 442,8). Entsprechend konstatiert Plümacher, „Rom in der Apostelgeschichte“ (s. Anm. 16) 146: „Das Gewicht des letzten von Paulus in der Apostelgeschichte gesprochenen Wortes ist … kaum zu überschätzen, proklamiert es doch nichts weniger als das Ende einer ganzen Epoche und zugleich den Anbruch einer neuen“, nämlich „das definitive Ende der von Paulus in der Apostelgeschichte betriebenen Judenmission“. So F. Bovon, „Schön hat der heilige Geist …“ (s. Anm. 2) 116. Zur Diskussion textkritischer Varianten und der grammatikalischen Struktur von Jes 6,10 MT bzw. Jes 6,10 LXX vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt (HBS 16, Freiburg i. B./Wien et al. 1998) 233f.; H. Liss, Die unerhörte Prophetie: kommu-

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nem Wechsel alle Verben der Konjunktion mhvpote subordiniert sind, durch welche bereits V 10c eingeleitet wird. In diesem Fall würde Jes 6,10 LXX keine Aussicht auf eine eschatologische Aufhebung der Verstockung beinhalten. Strittig ist jedoch, inwiefern der Wechsel zwischen Konjunktiv-Futur und Indikativ-Futur als syntaktischer Neueinsatz interpretiert werden kann und die Schlusssequenz auf diese Weise als Aussage über das eschatologische Rettungshandeln Gottes zu deuten ist27. Dieser Interpretationsfreiraum kann als eine der Ursachen dafür verstanden werden, dass Jes 6,9f. im Spektrum frühjüdischer und frühchristlicher Rezeptionen sehr unterschiedliche Deutungen erfuhr28. Auch die Rezeption von Jes 6,9f. LXX in Act 28,26f. nimmt diesen Interpretationsfreiraum auf. Ebenso wie bei Jes 6,10d LXX stellt sich auch bei Act 28,27d die Frage, ob es sich hierbei um eine positive Aussage handelt, welche ebenso wie die entsprechenden Züge paulinischer Theologie in Röm 9–11 eine eschatologische Hoffnung für Israel impliziert29, oder ob es sich um die Feststellung einer „endgültige(n) Verstockung“30 handelt. Diese Frage provozierte theologische Beurteilungen,

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nikative Strukturen prophetischer Rede im Buch Jesha’yahu (ABG 14, Leipzig 2003) 55ff.; U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch (FRLANT 178, Göttingen 1997) 299f.; J. Barthel, Prophetenwort und Geschichte. Die Jesajaüberlieferung in Jes 6–8 und 28–31 (FAT 19, Tübingen 1997) 68-70. Zu entsprechenden Interpretationen von Jes 6,9f. LXX vgl. Karrer, „Und ich werde sie heilen“ (s. Anm. 2) 255-257. Angesichts dessen ist es nur konsequent, dass im Übersetzungsvorschlag von J. Kabiersch/A. Van der Kooij/K. Koenen/F. Wilk/K. Baltzer, „Esaias/Jesaja“, in W. Kraus/M. Karrer, Septuaginta Deutsch: das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (Stuttgart 2009) 1230-1286, 1236, beide Varianten als Möglichkeiten angeführt werden. Vgl. diesbezüglich Evans, ‘To see and not perceive‘ (s. Anm. 2) 35-80. So Karrer, „Und ich werde sie heilen“ (s. Anm. 2) 270f.; F. Bovon, “Studies in LukeActs: Retrospect and Prospect“, in id., Studies in early Christianity (WUNT 161, Tübingen 2003) 19-37, 31f.; Schröter, „Kirche“ (s. Anm. 4) 96; Vahrenhorst, „Gift oder Arznei“ (s. Anm. 2) 165; Bendemann, „Paulus und Israel in der Apostelgeschichte des Lukas“, in K. Wengst/G. Saß (eds.), Ja und nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels. FS W. Schrage (Neukirchen-Vluyn 1998) 291-303, 297ff. Speziell zum Verhältnis zwischen der lukanischen und paulinischen Perspektive resümiert Plümacher, „Rom in der Apostelgeschichte“ (s. Anm. 16) 156: „Die paulinische Dialektik von Gottes freiem Erwählungshandeln einerseits und Verknüpftsein der Heilsteilhabe der Völker mit dem Zu-Fall-Kommen Israels andererseits bleibt bei Lukas durchaus gewahrt.“ So Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 14) 628, der zu dem scharfen Urteil kommt: „Die Judenmission ist beendet, der Auftrag von 1,8 vollendet. … Eine zukünftige Bekehrung Israels, so wie Röm 11, ist ausgeschlossen.“ Ähnlich M. Rese, “The Jews in Luke-Acts. Some recent thoughts”, in J. Verheyden (ed.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142, Leuven 1999) 201: „While in Romans 9–11 Paul himself thinks and writes about God’s salvation for the unbelieving Jews … in the last Chapters of Acts there is not the slightest tract of an interest in the fate of the unbelieving Jews.“ Tendenziell entsprechende Interpretationsansätze formulieren u. a. E. Grässer, „ActaForschung seit 1960“, in id., Forschungen zur Apostelgeschichte (WUNT 137, Tübingen 2001) 220-287, 273; H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7, Tübingen 19722)

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die sich zum Teil diametral voneinander unterscheiden. Während die israel-theologische Konzeption des lukanischen Geschichtswerks einerseits als „anti-semitic in the fullest sense“31 bezeichnet werden konnte, wurde andererseits mit Vehemenz dafür plädiert, dass Lukas gerade durch das Ende der Apostelgeschichte ein „Bollwerk gegen jeden Antijudaismus“32 formt. Es ist kaum möglich, diese Frage eindeutig zu klären. Neben den bereits in Jes 6,10 LXX vorgezeichneten grammatikalischen Problemen stellt sich die Frage, in welcher Weise Act 28,27d mit den vorhergehenden israel-theologischen Texten der Apostelgeschichte in einem wechselseitigen Interpretationsverhältnis steht. Es ist nahezu unmöglich, sich diesbezüglich dem Strudel eines argumentativen Zirkelschlusses zu entziehen. Wenn man die These vertritt, dass Act 28,27d das Motiv einer eschatologischen Aufhebung der Verstockung Israels impliziert, so kann man auch die vorhergehenden israel-theologischen Texte der Apostelgeschichte einer entsprechenden Relecture unterziehen. Wenn man Act 28,27d hingegen als Feststellung einer endgültigen Verwerfung versteht, dann hat sich dies auch auf das Gesamtverständnis lukanischer Theologie auszuwirken. Aus diesem Grund wird man resümieren müssen, dass Act 28,26f. ein „Stachel bleibt“, der immer wieder kontroverse Diskurse über die lukanische Theologie provozieren wird33.

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159f.; J. T. Sanders, “The Salvation of the Jews in Luke-Acts“, in Ch. H. Talbert (ed.), Luke-Acts. New Perspectives from the Society of Biblical Literature (New York 1984) 104128, 127f. So z. B. J. T. Sanders, “The Jewish People in Luke-Acts”, in J. B. Tyson (ed.), Luke-Acts and the Jewish People. Eight Critical Perspectives (Minneapolis 1988) 51-75 bzw. 143-149, 75, der bereits zuvor konstatierte: „Acts 28,25-28 is Luke’s final judgement on the Jews, after which it would be foolish, in Luke’s opinion, to waste any further missionary effort on them“ (vgl. id., “The Salvation of the Jews in Luke-Acts” [s. Anm. 30] 109). Zur kritischen Auseinandersetzung mit entsprechenden Auslegungsansätzen vgl. M. Blum, „Antijudaismus im lukanischen Doppelwerk? Zur These des lukanischen Antijudaismus“, in R. Kampling (ed.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium ...“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus (Paderborn/Wien 1999) 107-149, 116ff. So z. B. M. Karrer, „Und ich werde sie heilen“ (s. Anm. 2) 271. So Bendemann, „Trefflich hat der heilige Geist …“ (s. Anm. 2) 73. Demgegenüber steht ein Interpretationsansatz wie der von Lehnert, Provokation (s. Anm. 2) 298, der Apg 28,25-28 – ebenso wie Jes 6,9f. und weitere neutestamentliche Rezeptionen der jesajanischen Verstockungsaussage – im Sinne einer ,paradoxen Intervention’ zu deuten versucht, in der Gefahr, die Anstößigkeit dieser Konzeptionen in einer unsachgemäßen Weise zu relativieren (vgl. u. a. ibid., 298: „Apg 28,25-28 greift in paradoxer Intervention in den im Gange befindlichen Trennungsprozeß zwischen Kirche und Synagoge ein …, um die Leser zu provozieren … Dabei wird Jes 6,9f. LXX dadurch, dass die in der Vergangenheit angekündigte Verstockung in der erzählten Welt als eingetreten proklamiert wird, der ursprünglichen paradoxen Funktion von Jes 6,9f. MT entsprechend verwendet. Die paradoxe Proklamation schreibt den zu verändernden Zustand als unveränderlich fest, um ihn zu verändern“ [zu den

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4. Das Verhältnis von Act 28,26f. zur paulinischen Verstockungsvorstellung Die zuvor skizzierten Facetten der lukanischen Erzählungen vom Leben und Wirken des Heidenapostels kulminieren in der These, dass Paulus nach langwierigen missionarischen Aktivitäten zu der Überzeugung gelangte, dass die jüdische Ablehnung der christlichen Botschaft auf ein ‚Verstockungsphänomen‘34 zurückzuführen sei. Dieser Sachverhalt impliziert die auf den ersten Blick einfach, bei genauerer Betrachtung aber nur schwer zu beantwortende Frage, was den auctor ad Theophilum dazu veranlasst hat, seinem Protagonisten Paulus das Zitat von Jes 6,9f. in den Mund zu legen. Diesbezüglich lassen sich in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion unterschiedliche Erklärungsmuster erkennen. Verschiedentlich wurde die Gestaltung von Act 28,25-28 als eine Konsequenz der lukanischen Reformulierung der markinischen Parabeltheorie (Mk 4,10-12) verstanden, die ebenfalls auf einer Adaption des für Act 28,25-28 konstitutiven Zitats von Jes 6,9f. basiert35. Da in der

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psychologiegeschichtlichen Hintergründen dieses Interpretationsansatzes vgl. ibid., 89ff.]). Ein solcher Ansatz ist m. E. ein Beispiel für einen Versuch, durch Berufung auf gegenwärtige rezeptionsästhetische und lesetheoretische Theorien theologisch anstößige Konzeptionen zu relativieren. Der Terminus ‚Verstockung‘ ist als Arbeitsbegriff exegetischer Wissenschaft nicht unproblematisch. Im weitesten Sinne bezeichnet derselbe eine partielle bzw. vollständige Einschränkung einer eigentlich vorhandenen Erkenntnisfähigkeit, wodurch die Handlungsfreiheit der betroffenen Menschen eingeschränkt bzw. eine konkrete Verhaltensweise vorbestimmt wird. Allerdings wird der Terminus ,Verstockung‘ zuweilen zur Übersetzung bzw. Beschreibung von Formulierungen benutzt, die in biblischen Traditionen mit unterschiedlichen Termini arbeiten und dementsprechend divergierende theologische Aussageintentionen implizieren können (zu entsprechenden Termini bzw. Wortfeldern wie ‫חזק‬, ‫כבד‬, ‫קשׁה‬, pwrovw k.t.l., sklhruvnein k.t.l., pacuvnw k.t.l. vgl. E. Kellenberger, Die Verstockung Pharaos [s. Anm. 22] 17ff.; Liss, Die unerhörte Prophetie [s. Anm. 26] 55f.; F. Hesse, Das Verstockungsproblem im Alten Testament. Eine frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung [BZAW 74, Berlin 1955] 7-18; Dautzenberg, „Art. Verstockung“ [s. Anm. 3] 1069f.). Zudem werden im Spektrum biblischer Verstockungsvorstellungen die Ursachen einer solchen Verstockung zuweilen völlig unterschiedlich bestimmt (vgl. Röhser, Prädestination [s. Anm. 3] 40ff.). Angesichts dessen kann die Eigentümlichkeit der paulinischen und lukanischen Verstockungsvorstellungen nur angemessen erfasst werden, wenn herausgearbeitet wird, wie sie in das jeweils vorhandene theologische Konzept integriert sind bzw. mit welchen Themenfeldern sie inhaltlich-sachlich korrespondieren. Bei Mk 4,10-12 handelt es sich im Gegensatz zu den Korrespondenztexten Mt 13,14f.; Lk 8,9f.; Joh 12,39f. nur um eine freie Anspielung auf Jes 6,9f., die den aramäischen Überlieferungen von Jes 6,9f. näher steht als Jes 6,9f. MT und Jes 6,9 LXX (vgl. insbesondere das in Mk 4,12c vorliegende Motiv der Vergebung [… kai; ajfeqh'/ aujtoi'~] mit TJes 6,10 [‫ ;]וישתביק להון‬zur textgeschichtlichen Rekonstruktion bzw. chronologischen Verortung von TJes 6,9f. vgl. A. Sperber, The Bible in Aramaic, vol. III [Leiden 1962] 13; zur Funktion dieses Motivs im Kontext der Eschatologie des Jesaja-Targums vgl.

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lukanischen Reformulierung von Mk 4,10-12 die Rezeption von Jes 6,9f. nur noch schemenhaft erkennbar ist, wird zuweilen die These formuliert, dass Lukas das Jesajazitat im Kontext der Parabeltheorie zurücknimmt, um es am Ende der Apostelgeschichte in einer noch wirkungsvolleren Weise zur Geltung bringen zu können36. Gegen eine solche Einschätzung spricht jedoch, dass Lukas streng genommen keine Parabeltheorie formuliert, sondern die ihm vorgegebene markinische Parabeltheorie prinzipiell zurückweist. Während Mk 4,10-12 und der markinische Korrespondenztext Mk 4,33f. für sich genommen ein prinzipielles hermeneutisches Vorzeichen der Gleichnisrede Jesu formulieren37, ist Lk 8,9f. lediglich auf das Gleichnis vom Sämann bezogen, dass in der lukanischen Textkomposition unmittelbar zuvor angeordnet ist (vgl. den Rückbezug auf Lk 8,4-8 durch die Frage tiv" au{th ei[h hJ parabolhv [Lk 8,9b])38. Entsprechend blendet der auctor ad Theophilum Mk 4,33f. konsequent aus, da diese Aussage seinem gleichnishermeneutischen Konzept ebenso wie Mk 4,10-12 nicht entspricht39. Da Lk 8,9f. und Act 28,25-28 somit unterschiedliche theologische Aussageintentionen ver-

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B. D. Chilton, The Isaiah Targum. Introduction, translation, apparatus and notes [The Aramaic Bible 11, Collegeville 1990] 14-18). Generell zur Diskussion um die markinische Parabeltheorie sei verwiesen auf u. a. E. E. Popkes, „,Das Mysterion der Botschaft Jesu‘: Beobachtungen zur synoptischen Parabeltheorie und ihren Analogien im Johannesevangelium und Thomasevangelium“, in R. Zimmermann (ed.), Hermeneutik der Gleichnisse Jesu. Methodische Neuansätze zum Verstehen urchristlicher Parabeltexte (WUNT 231, Tübingen 2008) 294-320, 298ff.; H.-J. Klauck, Allegorie und Allegorese in den synoptischen Gleichnistexten (NTA N.F. 13, Münster 1978) 242ff.; Lehnert, Provokation (s. Anm. 2) 21-24; H. Räisänen, Die Parabeltheorie im Markusevangelium (SESJ 26, Helsinki 1973) passim; J. Gnilka, Die Verstockung Israels: Isaias 6,9-10 in der Theologie der Synoptiker (StANT 33, München 1961) 9-19 bzw. 187ff.; Evans, ‘To see and not perceive‘ (s. Anm. 2) 91-106. So u. a. Wasserberg, Aus Israels Mitte (s. Anm. 2) 108, bzw. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, vol. II (EKK 3/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989) 414; Lehnert, Provokation (s. Anm. 2) 202. Die markinische Parabeltheorie Mk 4,10-12 steht bereits zu weiteren Zügen der markinischen Gleichnisse bzw. der theologischen Aussageintention des Markusevangeliums in einem Spannungsverhältnis (vgl. Klauck, Allegorie [s. Anm. 35] 243f.; H. Räisänen, Das „Messiasgeheimnis“ im Markusevangelium. Ein redaktionskritischer Versuch [SESJ 28, Helsinki 1976] 50-56; zu Ansätzen, welche Mk 4,10-12 als Teil der markinischen Theologie und Textpragmatik zu verstehen versuchen vgl. D. Dormeyer, „Parabeln im Markusevangelium. Einleitung“, in R. Zimmermann [ed.], Kompendium der Gleichnisse Jesu: eine Einführung in ihre Erforschung und Kommentierung aller frühchristlichen Gleichnisse. In Verbindung mit D. Dormeyer/G. Kern/C. Münch/E. E. Popkes [Gütersloh 2007] 255-261, 260; K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch [UTB für Wissenschaft 2093, Tübingen 1999] 94-97; P. Lampe, „Die markinische Deutung des Gleichnisses vom Sämann“, ZNW 65 [1974] 140-150, 149f.). Zu diesem Detail der lukanischen Redaktion vgl. Bovon, Lukas (s. Anm. 36) 413, der m. E. zu Recht betont, dass der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks Mk 4,1012 überhaupt nur noch aus „Treue zur Tradition“ überliefert. Zur konsequenten Ausblendung von Mk 4,33f. vgl. E. E. Popkes, „Mysterion“ (s. Anm. 35) 305; Gnilka, Verstockung (s. Anm. 35) 120.

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folgen, sollte die Gestaltung von Act 28,25-28 nicht als eine Konsequenz der lukanischen Reformulierung bzw. Relativierung der markinischen Parabeltheorie verstanden werden. Ferner gilt es zu beachten, dass Lk 8,9f. ebenso wie Mk 4,10-12 als Jesus-Logion gestaltet ist, Act 28,26f. hingegen als ein Wort des lukanischen Paulus. Dies führt wiederum zu der Frage, inwieweit die Gestaltung von Act 28,26f. von jenen Paulustraditionen her erklärt werden kann, die Lukas bekannt waren. Im Rahmen eines solchen Erklärungsansatzes kann freilich nicht eindeutig geklärt werden, ob der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks durch mündlich bzw. schriftlich vermittelte Traditionen von einer paulinischen Deutung von Jes 6,9f. Kenntnis hatte oder ob er gar als vermeintlicher Reisebegleiter des Paulus ein Augenzeuge eines Disputes wurde, der sich u. a. an der Deutung von Jes 6,9f. entzündete. Die Fülle der Analogien zwischen Act 28,16-28 und den inhaltlich-sachlich korrespondierenden Reflexionen des Paulus könnte den Eindruck erwecken, dass Lukas z. B. die Kapitel Röm 9–11 schriftlich vorlagen40. Ein solcher Erklärungsansatz lässt sich jedoch kaum mit der vielfach formulierten Einschätzung vereinbaren, dass Lukas bei einer Kenntnis der paulinischen Briefe und v.a. des Römerbriefs die paulinische Theologie nicht in einer zuweilen so grundlegenden Weise modifiziert hätte41. Auch in Bezug auf das Verhältnis von Act 28,16-31 und Röm 9–11 kann man streng genommen nur zu dem Urteil kommen, dass sich „irgendeine Kenntnis der Paulusbriefe bei Lukas nirgendwo nachweisen“42 lässt. Umso bemerkenswerter ist es, dass zwei Aspekte der Act 28,25-28 zugrunde liegenden Verstockungsvorstellung den entsprechenden Zügen paulinischer Theologie prinzipiell nahe stehen. Einerseits sprechen die überlieferten paulinischen Briefe dafür, dass der Heidenapostel 40

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So u. a. die Einschätzung von Plümacher, „Rom in der Apostelgeschichte“ (s. Anm. 16) 157: „So dicht, wie die Anklänge an Röm 9–11 in Apg 28 gesät sind, lassen sie kaum einen anderen Schluß zu als den, daß Lukas den letzten in der Apostelgeschichte zu schildernden Auftritt des Paulus vor Juden, in dem dieser die definitive Antwort auf die aus dem Unglauben der Synagoge resultierenden Fragen geben sollte, sachlich weitgehend an den Aussagen jener Kapitel des Römerbriefes orientiert hat, in denen Paulus selbst schon um eine Deutung des Israelproblems gerungen hatte.“ Zur nach wie vor kontrovers geführten Diskussion der Quellen des lukanischen Paulusbildes vgl. Jervell, Apostelgeschichte (s. Anm. 14) 66ff.; E. Grässer, „Studien zur Acta-Forschung. Rückblick und Ausblick“, in id., Forschungen zur Apostelgeschichte (WUNT 137, Tübingen 2001) 1-47, 25ff.; M. Hengel, „Zur urchristlichen Geschichtsschreibung“, in id., Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI (WUNT 234, Tübingen 2008) 1-104, 28ff. So M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien: die unbekannten Jahre des Apostels. Mit einem Beitrag von E. A. Knauf (WUNT 108, Tübingen 1998) 5 Anm. 12.

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seine Verstockungsvorstellung erst in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium seiner theologischen Reflexionen bzw. missionarischen Aktivitäten entwickelte. Andererseits ist es durchaus plausibel, dass Paulus diese Vorstellung gerade vor dem Hintergrund von Jes 6,9f. reflektierte, obwohl er diesen Text in seinen überlieferten Briefen nicht explizit zitiert43. Um diese Einschätzung erläutern zu können, gilt es sich folgende Sachverhalte zu vergegenwärtigen. Die Reflexion der heilsgeschichtlichen Stellung Israels ist eines jener Themenfelder, bei denen sich verhältnismäßig deutliche Entwicklungen bzw. Akzentverschiebungen im paulinischen Denken beobachten lassen. Während in der in 1 Thess 2,13-16 formulierten harschen Kritik am zeitgenössischen Judentum noch nicht erkennbar ist, dass Paulus die jüdische Ablehnung der christlichen Botschaft auf ein Verstockungsphänomen zurückführt44, wird diese Vorstellung in nuce erstmals im Kontext der Apologie seines apostolischen Selbstverständnisses erkennbar, die er in seiner Korrespondenz mit der Gemeinde in Korinth formuliert (2 Kor 2,14– 4,6). In diesem Zusammenhang betont er, dass eine Ablehnung des Evangeliums auf ein Verstockungsphänomen zurückzuführen sei (vgl. 2 Kor 3,14a ajlla; ejpwrwvqh ta; nohvmata aujtw'n). Die lapidare Kürze, mit der Paulus diese These en passant anführt, spricht dafür, dass seine Adressaten mit diesem Argument bereits vertraut sind. Aus dem Kontext von 2 Kor 3,14-16 kann nämlich nicht herausgearbeitet werden, welche Texte seiner jüdischen Bibel Paulus zu dieser Einschätzung bewegt haben45 und wie seine Verstockungsvorstellung genauer zu verstehen ist, insbesondere in Bezug auf die Frage, was die Ursache jener Verstockung ist46. 43 44

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Entsprechend beschreibt Paulus das Phänomen einer Verstockung auch nicht – wie dies in Jes 6,9f. LXX der Fall ist – mit dem Terminus pacuvnw, sondern mit den Termini pwrovw (2 Kor 3,14; Röm 11,7) bzw. sklhruvnein (Röm 9,18). Zur Differenz dieser frühen Ausführungen des Heidenapostels zu seinen späteren israel-theologischen Ausführungen H. Hübner, Gottes Ich und Israel. Zum Schriftgebrauch des Paulus in Röm 9–11 (FRLANT 136, Göttingen 1984) 129; Schnelle, Paulus (s. Anm. 3) 681-685. Dies gilt insbesondere für die Exodustradition Ex 34,29-35, die in diesem Kontext einen Reflexionshintergrund der paulinischen Ausführungen bildet (vgl. Röhser, Prädestination [s. Anm. 3] 149; D.-A. Koch, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus [BHTh 69, Tübingen 1986] 331-341). Es ist prinzipiell möglich, dass ejpwrwvqh im Sinne eines passivum divinum zu interpretieren ist und 2 Kor 3,14 somit bereits die Vorstellung einer von Gott verfügten Verstockung impliziert (so u. a. F. Lang, Die Briefe an die Korinther [NTD 717, 2. Auflage dieser neuen Bearbeitung, Göttingen 1994] 274; E. Grässer, Der zweite Brief an die Korinther, vol. 1 [ÖTK 8/1, Gütersloh 2002] 138, bzw. O. Hofius, „Gesetz und Evangelium nach 2. Korinther 3“, in id., Paulusstudien [WUNT 51, 19942] 75-120, 106). Insofern jedoch in der weiteren Argumentationsentwicklung ,der Gott dieser Welt‘ (2 Kor 4,4a: oJ qeo;~ tou' aijw'no~ touvtou), d.h. der Teufel, als Urheber der Erkenntnisunfä-

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Anders verhält es sich hingegen mit demjenigen Text, in welchem Paulus am eingehendsten die heilsgeschichtliche Stellung Israels reflektiert. Im Kontext von Röm 9–11 erläutert Paulus im Gegensatz zu 2 Kor 3,1216 expressis verbis, vor welchen traditionsgeschichtlichen Hintergründen er seine Verstockungsvorstellung entwickelte. Die wesentlichen Prämissen seiner diesbezüglichen Ansichten reflektiert Paulus bereits im Kontext seiner Ausführungen über das göttliche Erwählungs- und Verwerfungshandeln (vgl. Röm 9,9-29). Insbesondere in der Kernthese Röm 9,18 (a[ra ou\n o}n qevlei ejleei', o}n de; qevlei sklhruvnei) hebt er dabei unmissverständlich hervor, dass ein Verstockungsphänomen im göttlichen Willen gründet47. Auch wenn bereits in diesem Zusammenhang implizit erkennbar ist, dass für Paulus auch die jüdische Ablehnung der christlichen Botschaft in einer von Gott selbst verfügten Verstockung gründet, bringt er diesen Sachverhalt erst in dem für den Gesamtaufbau von Röm 9–11 grundlegenden Argumentationsschritt Röm 11,7-10 explizit zur Geltung (Röm 11,7c: hJ de; ejklogh; ejpevtucen: oiJ de; loipoi; ejpwrwvqhsan)48. Diese These begründet Paulus durch einen dreigliedrigen Schriftrekurs (Röm 11,8-10), in welchem er zunächst zwei Schriftzitate miteinander kombiniert, welche jeweils als traditionsgeschichtliche Parallelen zu Jes 6,9f. verstanden werden können (vgl. Röm 11,8)49. In Dtn 29,3 und Jes 29,10 wird ebenso wie in Jes 6,9f. anhand der Metaphorik wahrnehmungsunfähiger Augen und Ohren die ablehnende Haltung

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higkeit bezeichnet wird, scheint hier eine Differenz zu der in Röm 11,7-10 formulierten Verstockungsvorstellung vorzuliegen (vgl. hierzu E. E. Popkes, „Jes 6,9f. MT als impliziter Reflexionshintergrund der paulinischen Verstockungsvorstellung: ein Beitrag zur paulinischen Jesaja-Rezeption“, in U. Schnelle [ed.], The Letter to the Romans [BEThL 226, Leuven 2009] 749-763). Zur argumentativen Funktion von Röm 9,18 im Kontext von Röm 9,9-29 vgl. O. Hofius, „Das Evangelium und Israel. Erwägungen zu Römer 9–11“, in id., Paulusstudien (WUNT 51, 19942) 175-202, 179f.; Röhser, Prädestination (s. Anm. 3) 122f. Dabei gilt es freilich zu beachten, dass im Gegensatz zu 2 Kor 3,14, Röm 11,7, wo das Verstockungsphänomen jeweils mit dem Begriff pwrovw gekennzeichnet ist, in Röm 9,18 der Terminus sklhruvnein verwendet wird. Diese begriffliche Differenz kann darauf zurückgeführt werden, dass Paulus unmittelbar zuvor auf die Exoduserzählungen von der Verstockung des Pharaos anspielt, in denen dieser Terminus verwendet wird (vgl. Ex 9,12 LXX; zu diesen intertextuellen Bezügen vgl. Kellenberger, Die Verstockung Pharaos [s. Anm. 22] 207-209). Die Texteinheit Röm 11,7-10 ist für das Argumentationsgefälle von Röm 9–11 von zentraler Bedeutung, da in diesem Text das Motiv der Verstockung Israels formuliert wird, um unmittelbar danach das Motiv der Errettung Israels einzuleiten. Vgl. hierzu R. Jewett, Romans: a commentary (Hermeneia, Philadelphia/Edinburgh 2006) 653f.; K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (THNT 6, Leipzig 20063) 85f. Zur Struktur der weitestgehend an Dtn 29,3 orientierten Zitatenkombination vgl. F. Wilk, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus (FRLANT 179, Göttingen 1998) 137 bzw. 233; J. R. Wagner, Heralds of the good news. Isaiah and Paul “in concert” in the letter to the Romans (NT.S 101, Leiden 2002) 240-244; zum Verhältnis von Dtn 29,3 und Jes 29,10 zu Jes 6,9f. ferner Berges, Das Buch Jesaja (s. Anm. 26) 233f.; H. Liss, Die unerhörte Prophetie (s. Anm. 26) 55ff.

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des Volkes gegenüber dem göttlichen Willen umschrieben. Bemerkenswerterweise ist aber weder in Dtn 29,3 noch in Jes 29,10 davon die Rede, dass diese Ablehnung letztlich auf eine Verstockung zurückgeht. Da jedoch Paulus dieses Zitat mit der These einleitet, dass Israel verstockt sei (Röm 11,7c), wird in vielen Diskussionsbeiträgen m. E. zu Recht resümiert, dass Paulus Dtn 29,3 und Jes 29,10 im Zeichen von Jes 6,9f. liest50. Die Ursachen dafür, dass Paulus Jes 6,9f. nicht explizit zitiert, scheinen in den Differenzen zwischen der hebräischen und griechischen Fassung dieser Traditionen begründet zu sein. Zwischen Jes 6,9f. MT und Jes 6,9f. LXX lassen sich nämlich theologische Akzentverschiebungen beobachten, die für das Verständnis der jeweils vermittelten Verstockungsvorstellung von grundlegender Bedeutung sind. Die hebräische Fassung der jesajanischen Thronsaalvision (Jes 6,1ff.) kulminiert in der paradox anmutenden Beauftragung, dass Jesaja seine jüdischen Mitmenschen mit dem göttlichen Willen konfrontieren und durch seine Verkündigung die Verstockung des Volkes bewirken soll51. Dies bedeutet, dass in Jes 6,9f. MT ebenso wie in Röm 11,7-10.32 die Verstockung Israels auf Gottes eigenen Willen zurückgeführt wird. Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte von Jes 6,9f. MT zeigt, dass diese Facetten der jesajanischen Traditionsbildungen zuweilen als anstößig empfunden und grundlegend modifiziert wurden52. Dieser Umdeutungsprozess dokumentiert sich auch in der Septuagintafassung von Jes 6,9f., der zufolge die Verkündigung Jesajas nicht das Ziel verfolgt, den göttlichen Verstockungswillen umzusetzen. Stattdessen wird die bereits vorhandene Verstockung Israels konstatiert, ohne dass die Ursache dieses Phänomens reflektiert wird53. Diese Akzentverschiebungen sind für das Verständnis der lukanischen und paulinischen Versto50

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Vgl. u. a. J. R. Wagner, Heralds of the good news (s. Anm. 49) 244; Evans, ‘To see and not perceive‘ (s. Anm. 2) 81; J. D. G. Dunn, Romans 9–16 (WBC 38 B, Dallas 1988) 648f.; zur Skizze weiterer Diskussionsbeiträge vgl. E. E. Popkes, „Jes 6,9f. MT“ (s. Anm. 46) passim. Vgl. diesbezüglich v. a. die in der Instruktion Jes 6,10 MT vorliegenden Hifil-Imperativ-Formen ‫שׁ ֵמן‬ ְ ‫ ַה‬, ‫ ַה ְכבֵּד‬und ‫ ָהשַׁע‬, durch welche der Prophet zur ausführenden Instanz des göttlichen Verstockungswillens stilisiert wird (s. hierzu Barthel, Prophetenwort [s. Anm. 26] 68f. bzw. 89, und E. Kilian, Jesaja 1–39 [EdF 200, Darmstadt 1983] 129: „Es ist Jahwes Wille und Auftrag an Jesaja, daß das Volk nicht mehr zur Einsicht kommen kann bzw. darf und sich deshalb das Gericht zuzieht.“). Zur Auslegungs- bzw. Wirkungsgeschichte von Jes 6,9f. in frühjüdischen und frühchristlichen Traditionsbildungen vgl. Evans, ‘To see and not perceive‘ (s. Anm. 2) passim. Diese Akzentverschiebung wird dadurch erreicht, dass die in Jes 6,10 MT verwendeten Hifil-Imperativ-Formen ‫שׁ ֵמן‬ ְ ‫ ַה‬, ‫ ַה ְכבֵּד‬bzw. ‫ ָהשַׁע‬mit den Aorist-Formen ejpacuvnqh, h[kousan und ejkavmmusan wiedergegeben werden (zu diesen Differenzen vgl. Barthel, Prophetenwort [s. Anm. 26] 68f.; Popkes, „Jes 6,9f. MT“ [s. Anm. 46] 759f.).

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ckungsvorstellung von grundlegender Bedeutung. Ein Charakteristikum der in Röm 11,7-10.32 vorliegenden Verstockungsvorstellung besteht darin, dass Paulus die Verstockung Israels auf Gottes eigenen Willen zurückführt. Diese These wird von Paulus bereits durch seine Ausführungen über das Erwählungs- und Verwerfungshandeln Gottes in Röm 9,9-29 vorbereitet, um sie in Röm 11,7-10 bzw. Röm 11,32 zu vertiefen bzw. auf die Verstockung Israels anzuwenden54. Da die Septuagintafassung von Jes 6,9f. der paulinischen Verstockungsvorstellung nicht entspricht, erscheint es nur konsequent zu sein, dass der Heidenapostel Jes 6,9f. LXX nicht explizit zitiert. Im Gegensatz hierzu orientiert sich aber das Zitat von Jes 6,9f., das der auctor ad Theophilum Paulus am Ende seines Werks in den Mund legt, an der griechischen Variante des jesajanischen Verstockungsauftrags. Dies bedeutet, dass diese Facette des lukanischen Paulusbildes zwar partiell dem paulinischen Denken gerecht wird, aber eine wesentliche Facette der paulinischen Verstockungsvorstellung nicht zur Geltung bringt. Gleiches gilt auch für die argumentative Funktion, welche die in Röm 11,7-10 formulierte These über die Verstockung Israels im Gesamtzusammenhang der paulinischen Reflexionen der heilsgeschichtlichen Stellung Israels in Röm 9–11 einnimmt. Paulus begründet in Röm 11,710 nämlich nicht nur seine Vorstellung von einer Verstockung Israels, sondern er legt zugleich auch die argumentativen Fundamente für seine im Folgenden erläuterte eschatologische Hoffnung. Die in unmittelbarem Anschluss an Röm 11,7-10 emphatisch formulierte These, dass Israel zwar strauchelt, aber nicht fallen wird (Röm 11,11), findet ihren Höhepunkt schließlich in der These, dass Israel nur temporär verstockt ist und dass nach der Errettung der nichtjüdischen Welt auch ,ganz Israel‘ errettet wird (Röm 11,25-27)55. Dieser Aspekt der paulinischen Verstockungsvorstellung wird in den lukanischen Korrespondenzaussagen nicht explizit zur Geltung gebracht. Auch wenn Act 28,25-28 Interpretationsfreiräume birgt, die dafür sprechen, dass die lukanische „Lösung des Israelproblems … derjenigen des Paulus in Röm 9–11 kei54

55

Während bereits in Röm 11,7 ejpwrwvqhsan als passivum divinum zu verstehen ist, bringt Paulus in Röm 11,32 nochmals zur Geltung, dass Gott selbst als Urheber einer temporär begrenzten Verstockung und deren Überwindung verstanden werden muss (hierzu und zum Verhältnis von Röm 9,9-29 und Röm 11,7-10.32 vgl. D. Sänger, „Verwerfung und Annahme. Das Geschick Israels nach Röm 9–11“, in id./U. Mell, Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur [WUNT 198, Tübingen 2006] 381-410, 390; J. D. G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle [Edinburgh 1998] 509-514). Zur Beschreibung dieses Argumentationsduktus vgl. Sänger, „Verwerfung und Annahme“ (s. Anm. 54) 392f.; F. Siegert, Argumentation bei Paulus: gezeigt an Röm 9–11 (WUNT 34, Tübingen 1985) 175; Eskola, Theodicy (s. Anm. 3) 159; Hofius, „Das Evangelium und Israel“ (s. Anm. 47) 184f. bzw. 198-200; Schnelle, Paulus (s. Anm. 3) 683f.

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neswegs fern steht“56, wird dieses Motiv nicht annähernd in dem Maße in das Zentrum des argumentativen Interesses gestellt, wie dies in den thematisch vergleichbaren paulinischen Ausführungen der Fall ist. Die paulinische Verstockungsvorstellung kulminiert unmissverständlich in dem Bekenntnis, dass die von Gott verfügte Verstockung von Gott aufgehoben wird (vgl. Röm 11,32: sunevkleisen ga;r oJ qeo;~ tou;~ pavnta~ eij~ ajpeivqeian, i{na tou;~ pavnta~ ejlehvsh/). Die Dialektik dieser Vorstellung steht im Kontext paulinischer Theologie mit unterschiedlichen Korrespondenzthemen in Beziehung. So bildet z. B. die Röm 11,7-10 zugrunde liegende Verstockungsvorstellung einen Teilaspekt der prädestinatianischen Züge paulinischer Theologie, durch welche das Geschick nichterwählter Menschen beschrieben wird57. Demgegenüber korrespondieren die in Röm 11,32 zu Tage tretenden heilsuniversalen Hoffnungen mit der bereits im Philipperhymnus dokumentierten Erwartung einer universalen Christuserkenntnis (Phil 2,9-11) bzw. der heilsuniversalen Dimension der paulinischen Versöhnungsvorstellung (vgl. v. a. 2 Kor 5,19a: wJ~ o{ti qeo;~ h\n ejn Cristw`/ kovsmon katallavsswn eJautw`/ …)58. Diese die paulinische Theologie prägende Dialektik wird in den deuteropaulinischen Traditionsbildungen nur in einem sehr eingeschränkten Maße fortgeführt. So kann z. B. im Rahmen der Eulogie des Epheserbriefs die paulinische Erwählungsvorstellung zu dem Motiv einer Erwählung ‚vor Grundlegung der Welt’ ausgestaltet werden (Eph 1,4)59. Entsprechend werden die skizzierten heilsuniversalen Züge der paulinischen Theologie mit unterschiedlichen Akzentsetzungen ausgestaltet (vgl. u.a. das in Affinität zu 2 Kor 5,19 formulierte Versöhnungsmotiv Kol 1,20 und die in den Pastoralbriefen vorliegenden Aussagen über die universale Dimension des Rettungswillens Gottes [vgl. 1 Tim 2,4; 4,10; 56 57

58 59

So Schröter, „Kirche“ (s. Anm. 4) 96. Entsprechend konstatiert Bovon, “Studies in Luke-Acts“ (s. Anm. 29) 32: „Luke is … a pupil, albeit an indirect pupil, of Paul.“ Zu vergleichbaren Einschätzungen s. o. Anm. 29 bzw. 40. In diesem Sinne kann Röm 9,18b bzw. Röm 11,7-10 als negatives Pendant zu prädestinatianischen Aussagen wie u. a. Phil 2,12f.; Röm 8,28-30 verstanden werden, in denen die positiven Auswirkungen des göttlichen Erwählungshandelns zur Sprache gebracht werden (zur Zuordnung dieser Facetten der prädestinatianischen Züge paulinischer Theologie vgl. Röhser, Prädestination [s. Anm. 3] 93-98). Zu diesen Zügen paulinischer Theologie vgl. zuletzt J. Adam, Paulus und die Versöhnung Aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus (Neukirchen-Vluyn 2009) passim. Zum Verhältnis von Eph 1,4 zur paulinischen Erwählungsvorstellung konstatiert H. Hübner, „Art. Prädestination III: Neues Testament“, TRE 27, 105-110, 108: „Der deuteropaulinische Autor denkt … in den Bahnen paulinischer Theologie, fügt aber einige ihrer zentralen Elemente in bezeichnender Weise anders zusammen. Wie bei Paulus spielt auch bei ihm der Gedanke der Erwählung eine fundamentale Rolle; doch verlagert er das geschichtlich gedachte ejxelevxato (1 Kor 1,27ff.) in die Zeit ‚vor Grundlegung der Welt’“ (Eph 1,4).

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Tit 2,11])60. Dass jedoch das Erwählungshandeln Gottes als Kehrseite auch eine Verstockung bestimmter Menschen nach sich ziehen kann bzw. dass das universale Heilshandeln Gottes mit einer temporären Verstockung Israels einhergeht, wird in diesen deuteropaulinischen Traditionsbildungen nicht postuliert. Dies bedeutet, dass im Paulusbild des auctor ad Theophilum Züge paulinischer Theologie erhalten bleiben, die im übrigen Spektrum der deutero- und tritopaulinischen Traditionsbildungen marginalisiert werden. Da die Gestaltung von Act 28,25-28 nicht als eine Konsequenz der lukanischen Reformulierung der markinischen Parabeltheorie verstanden werden kann61, stellt sich umso mehr die Frage, inwiefern der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks von diesen Dimensionen paulinischer Theologie Kenntnis gehabt hat. Gleichwohl wird man resümieren müssen, dass sich auf der Grundlage der vorhandenen Quellen nicht klären lässt, welche Quellen bzw. Informationen ihm diesbezüglich zur Verfügung standen.

5. Eine theologische Abschlussbemerkung Die Gestaltung des Verstockungsmotivs in Act 28,25-28 kann als eine jener Facetten des lukanischen Paulusbildes verstanden werden, welche sowohl Analogien als auch Diskrepanzen zur paulinischen Theologie erkennen lassen. Hierin ist es ein Beispiel für die in der jüngeren Forschungsdiskussion verschiedentlich formulierte Einschätzung, dass der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks seinem Protagonisten Paulus inhaltlich-sachlich näher steht, als dies in früheren Phasen der Forschungen zum lukanischen Geschichtswerk oftmals postuliert wurde. Der auctor ad Theophilum arbeitet die eschatologischen Hoffnungen, in welche Paulus seine Verstockungsvorstellung im Gesamtzusammenhang von Röm 9–11 münden lässt, zwar nicht in der Deutlichkeit heraus, wie dies bei Paulus selbst der Fall ist, aber er blendet sie auch nicht – wie verschiedentlich postuliert wurde – völlig aus. Diese Akzentverschiebungen sollten ebenso wenig wie die ansonsten zu beobachtenden Differenzen zwischen dem lukanischen Paulusbild und der paulinischen Theologie zum Anlass genommen werden, den theologischen 60

61

Zum Verhältnis von Kol 1,20 zur paulinischen Versöhnungsvorstellung vgl. C. Stettler, Der Kolosserhymnus: Untersuchungen zu Form, traditionsgeschichtlichem Hintergrund und Aussage von Kol 1,15-20 (WUNT II/131, Tübingen 2000) 283ff bzw. 293-298; zu den heilsuniversalen Aussagen 1 Tim 2,4; 4,10; Tit 2,11 im Kontext der Pastoralbriefe vgl. F. Jung, SWTHR. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament (NTA 39, Münster 2002) 321-332. Zur Reformulierung von Mk 4,10-12 in Lk 8,9f. bzw. zum Verhältnis von Lk 8,9f. zu Act 28,25-28 s.o. S. 617f.

Die letzten Worte des lukanischen Paulus

625

und historiographischen Eigenwert des lukanischen Paulusbildes per se zu diskreditieren62. Die themenspezifisch relevanten Differenzen der lukanischen und paulinischen Verstockungsvorstellungen sind nicht zuletzt darin begründet, dass der auctor ad Theophilum – ebenso wie die Mehrheit der ihm nachfolgenden Autoren der frühchristlichen Theologiegeschichte – selbst nicht mehr im Judentum verwurzelt ist. Er schreibt sein Werk in einer religionssoziologischen Situation, die von einer bereits fortgeschrittenen Distanzierung jüdischer und christlicher Gemeinschafts- und Traditionsbildungen geprägt ist und angesichts deren er die zurückliegenden Trennungsprozesse zu reflektieren versucht. In dieser Hinsicht unterscheiden sich seine hermeneutischen Prämissen grundlegend von denen des Heidenapostels. Wie kein anderer frühchristlicher Autor verkörpert Paulus in seiner eigenen Person und Biographie das theologische Ringen jüdischer und christlicher Glaubenshoffnungen63. Gerade aus diesem Grunde gilt es die Worte der Hoffnung, in die seine Reflexionen der heilsgeschichtlichen Stellung Israels münden, auch in heutigen Versuchen einer christlich-jüdischen Verständigung stets aufs Neue zu vergegenwärtigen64.

62

63

64

Entsprechend wäre es unangemessen, an die lukanischen Texte Fragen heranzutragen, deren Beantwortung noch nicht in ihrem Interesse stand. Dies lässt sich u. a. in Diskursen zu der Fragestellung erkennen, inwieweit die lukanische Israels-Theologie implizit antijüdische Züge erkennen lässt (zu einer Auseinandersetzung mit den hermeneutischen Prämissen dieser Diskurse vgl. Blum, „Antijudaismus“ [s. Anm. 31] 116ff. bzw. 148f.). Dieser Sachverhalt ist umso bedeutender, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Paulus nicht – wie in früheren Phasen der Paulusforschung oft postuliert wurde – völlig mit seiner jüdischen Identität gebrochen hatte, sondern dass seine Theologie bleibend von jüdischen Traditionen bestimmt ist (zu diesen Neuorientierungen in der jüngeren Paulusforschung vgl. J. Frey, „Das Judentum des Paulus“, in O. Wischmeyer [ed.], Leben – Umwelt – Werk – Briefe [UTB 2767, Tübingen 2006] 5-43, 19ff.; D. Boyarin, A Radical Jew. Paul and the Politics of Identity [Berkeley 1994] 1f.; speziell zu den autobiographischen Angaben Röm 9,3f.; 11,1f.; 2 Kor 11,22f.; Phil 3,5f. vgl. K.-W. Niebuhr, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen [WUNT 62, Tübingen 1992] passim). Entsprechend resümiert auch E. Lohse, „Gottes Gnadenwahl und das Geschick Israels“, in id., Rechenschaft vom Evangelium. Exegetische Studien zum Römerbrief (BZNW 150, Berlin/New York 2007) 29-42, 41f.: „(E)ine Christenheit, die die Frage nach dem Geschick Israels nicht mit allem Ernst bedenken wollte, würde … ihrer Bestimmung untreu werden. … Wenn auch in Gottes Ratschluss verborgen bleibt, wie er die Wege Israels und die der Völker ans Ziel bringen wird, so kann doch die christliche Gemeinde am Ende nur mit einem demütigen Hymnus seinen Willen und sein Handeln anbetend preisen: ,Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.’ (Röm 11,36).“ Zur Relevanz von Röm 9–11 für die jüngere Geschichte des jüdisch-christlichen Dialogs vgl. W. Kraus, „Die Bedeutung von Römer 9–11 für das christlich-jüdische Gespräch“, in F. Wilk/R. Wagner (eds.), Römer 9–11 im Spannungsfeld zwischen „New Perspective on Paul“ und christlich-jüdischem Dialog (WUNT, Tübingen 2009) passim.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren dieses Bandes Friedrich Avemarie, Dr. theol., geb. 1960, Professor für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg François Bovon, Dr. theol., born 1938, Frothingham Professor of the History of Religion at the Divinity School of Harvard University, Cambridge, Massachusetts Hubert Cancik, Dr. phil. Dr. h.c., geb. 1937, Professor (em.) für klassische Philologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Detlev Dormeyer, Dr. theol., geb. 1942, Professor für Neues Testament (em.), Fakultät für Humanwissenschaften und Theologie, TU Dortmund A. J. Droge, Ph.D., born 1953, Professor of Religion and Humanities at the University of Toronto Jörg Frey, Dr. theol., geb. 1962, Professor für Neues Testament und antikes Judentum an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München Paul A. Holloway, Ph.D., born 1955, Associate Professor of New Testament and Christian Origins, School of Theology, University of the South, Sewanee, Tennessee Martin Hose, Dr. phil., geb. 1961, Professor für Klassische Philologie/ Gräzistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München Roland Kany, Dr. theol., geb. 1958, Professor für Kirchengeschichte des Altertums und Patrologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München

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Autoren dieses Bandes

Stefan Krauter, Dr. theol., geb. 1973, Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte der Universität Tübingen Manfred Lang, Dr. theol., geb. 1964, Privatdozent für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg und Leiter des Corpus Hellenisticum Martin Meiser, Dr. theol., geb. 1957, Wissenschaftlicher Assistent an der Universität des Saarlandes und außerplanmäßiger Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg Joachim Molthagen, Dr. phil., geb. 1941, Professor (em.) am Seminar für Alte Geschichte der Universität Hamburg Christopher Mount, Ph.D., born 1962, Associate Professor of Religious Studies, DePaul University, Chicago, Illinois Andreas Müller, Dr. theol., geb. 1966, Privatdozent für Kirchengeschichte, Kirchliche Hochschule Bethel, Bielefeld Heike Omerzu, Dr. theol., geb. 1970, Professorin für Neues Testament, Theologische Fakultät der Universität Kopenhagen Enno Edzard Popkes, Dr. theol., geb. 1969, Privatdozent für Neues Testament, Theologische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena Thomas Römer, Dr. theol., geb. 1955, Professor für den Lehrstuhl „Milieux bibliques“ am Collège de France, Paris, und Professor für Hebräische Bibel an der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne Bettina Rost, geb. 1976, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig (Lehrstuhl Prof. Dr. Jens Schröter) Clare K. Rothschild, Ph.D., born 1964, Assistant Professor of Theology at Lewis University, Romeoville, Illinois

Autoren dieses Bandes

629

Jens Schröter, Dr. theol., geb. 1961, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig (ab September 2009 Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie der neutestamentlichen Apokryphen an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin) Daniel R. Schwartz, Ph.D., born 1952, Professor of Ancient Jewish History at the Hebrew University of Jerusalem Gregory E. Sterling, Ph.D., born 1954, Professor of New Testament and Christian Origins and Dean of the Graduate School, University of Notre Dame, Notre Dame, Indiana Manuel Vogel, Dr. theol., geb. 1964, Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena Michael Wolter, Dr. theol., geb. 1950, Professor für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn und Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Pretoria

Register 1. Stellenregister (1) Bibelstellen Altes Testament Genesis 2,2 (LXX/SP) 4,7 (LXX) 6 (LXX) 6,6 (LXX) 7,2f. (LXX) 7,7 (LXX) 8,16 (LXX) 9 9,4-6 (LXX) 22,2 35,12 (LXX) 41,40 41,42 46,20 (LXX) 46,27 (LXX)

85 93 88 94 84 91 91 572 577 85 86 75 75 91 85

Exodus 1,5 (LXX) 3,1 (LXX) 3,16 (LXX) 4,24 (LXX) 6 6,7 (LXX) 6,20 (LXX) 7,3 7,9 9,12 (LXX) 11,9f.

85 85 90 93 53 588 96 45 45 620 45

12,40 (LXX) 13,4 (SP) 15,3 (LXX) 16,20 18 20,3 20,10 20,18 (SP) 22,13 22,28 (LXX) 22,30 23,31-33 25,7f. (LXX) 26,1 (LXX) 27,21 (LXX) 29,45 (LXX) 32,5 (LXX) 33,19 (LXX) 34,10-13 34,13 34,15 34,29-35

92 77 93 89 61 61 571 77 61 84; 90 578 53 93 93 93 93 95 93 53 64 577 619

Levitikus 11,5 (LXX) 11,17 (LXX) 12,3 (LXX) 16,29 17,3 (LXX)

90 90 95 571 572

632 17,8 17,8 (LXX) 17,10-14 17,10 17,10 (LXX) 17,11 17,12 17,12 (LXX) 17,13ff. 17,13 17,13 (LXX) 17,15 17,15 (LXX) 17f.

Register

18,3 18,6 18,24-28 18,26 18,26 (LXX) 19,16 (LXX) 19,29 20,2 24,16 24,16 (LXX) 26,27-33

570; 571 572 572 570; 571 572 577 570; 571 572 578 570; 571; 578 572 570; 575; 578 572 570-572; 576; 580; 599 72; 571 572 571 570; 571 572 90 579 571 571 96 60

Numeri 1,20 (LXX) 1,24f. (LXX) 4,3 (LXX) 4,23 (LXX) 4,30 (LXX) 5,14-16,29 11 11f. 12,6ff. 13f. 15,36 (LXX) 16-21 16,13 (LXX) 16,15 (LXX)

90 91 91 91 91 571 61 61 131 61 93 61 96 95

19,1ff. 19,10 20,13 (LXX) 21,5 (LXX) 22,4 (LXX) 22,21-35 22,41 25 26 (LXX) 26,12 (LXX) 27,12 (LXX) 27,14 (LXX) Deuteronomium 1-3 1,37 4,20 (LXX) 4,34 5,7 5,14 6,4f. 6,12-15 6,22 7,3 7,5 (LXX) 7,19 10,22 (LXX) 11,3 12 12,2-7 12,8ff. 12,8-12 12,10 12,11 (LXX) 12,13-18 12,16 12,20-27 12,23 12,26 (LXX) 13,2-6 13,2f. 14,21

577 571 96 96 90 363 64 61 91 86 88 96 59; 61; 64; 65 60 588 45 61 571 57 65 45 82 90 45 85 45 64 64 70 64 66; 67 90 64 578 64 578 90 131 46 578

Stellenregister

16-19 16,1 16,16 17,14-20 17,14 (LXX) 17,18 (LXX) 18,15-19 23,18 (LXX) 26,5-9 26,8 28 28,15-68 28,25-38 28,32 (LXX) 28,63 28,46 28,63f. 28,64f. 28,65 29,2 29,3 31,16-18 33,16 (LXX) 34,1-3 34,5-6 34,7-12 34,11

73 77 81 65 90 90 72 90 51 45 67 81 70 90 65 46 60 70 67 45 620f. 65 93 66 66 66 45

Josua 1,1-7 3f. 5,6 (LXX) 6,26 13,2 (LXX) 13,13 (LXX) 21,43-45 21,45 22,1-6 22,4 23 23,2 (LXX) 23,13

66 66 87 66 86 86 66; 68; 70 67 66 66 66; 67; 69f. 90 60

633

23,14-16a 23,14 23,15-16a 23,15 23,16 24

68 67 67 68 60 51; 67

Richter 1,1-2,5 2,11-19 2,11ff. 2,12-14 2,14f. 3,7-11 6,7-10 10,6-16 13-16 17-21 17,6 18,1 21,25

67 67; 68 69 65 68 67 68 68 68 68 68 68 68

1. Samuel 1,1 1,21 (LXX) 1,23 (LXX) 2,16 (LXX) 3,11 (LXX) 4 (LXX) 6,19 (LXX) 7,15f. 8 8,1-6 8,5 9,1-10,16 10,1 (LXX) 10,17-27 10,24 11 12 12,1-5 12,6-12

67 96 84 97 96 88 94 68 68 68 65 68 89 68 65 68 68; 69 69 69

634

Register

12,6-8 12,9ff. 12,12 12,13-15 12,15 12,25 15,11 (LXX) 15,23 (LXX) 15,29 16,6-13 17,4 17,7 17,12

69 69 68 69 60 60 94; 95 90 94 81 81 81 81

2. Samuel 5,6b 6,5 6,8 (LXX) 6,14 (LXX) 6,15 7 7,1 7,9-16 (LXX) 7,11 7,12-16 (LXX) 8,8 (LXX) 8,18 (LXX) 14,17 (LXX) 23,21 24 24,5-7 24,16 24,25 (LXX)

81 81 95 85; 96 81 69 66 591 66 590 81 96 89 81 81 81 81 89

1. Könige 5,18 6,1 6,1 (LXX) 8 8,1-21 8,22-56 8,22-26

66 81 92 70 70 70 70

8,31-51 8,46-49 8,56 9-11 9,1-9 9,25 11,1-3 12 14,19 14,23f. 14,29 15,1-8 15,5 16,23-27 16,32 (LXX) 16,34 22,43f. 2. Könige 8,16-22 10,28-31 11,3 12,3f. 14,3f. 14,23-29 15,3f. 15,34-45 17 17,7ff. 17,7 17,8 17,9-11 17,12-20 17,13f. 17,14 17,18 17,19 17,23 18-20 18,12 18,13 19,37

70 60 67 71 70 81 65 64 63 72 63 81 71 71 95 66 71 81 71 71 71 71 71 71 71 71f. 60; 72 63; 72 72 72 72 72 65 60 72 74 73 65 82 81

Stellenregister

21-23 21,1-9 21,9 21,10-15 21,16-18 21,19-26 22f. 22,16 22,19f. 23,25 23,25a 23,26b 23,29 23,30 23,32 23,37 24f. 24,1 24,2 24,3 24,9 24,19 24,20 25,21 25,22-26 25,27-30 Jesaja 6,1ff. 6,9f. 6,9f. (LXX) 6,10 6,10 (LXX) 8,18 9,6 (LXX) 11,1 (LXX) 11,3-5 (LXX) 11,4 (LXX)

73 73 65 73 73 73 57; 65; 73 81 73 57 73 73 73; 81 73 74 74 57; 65 74 74 57; 63 74 74 65; 74 65; 74 74 75 621 482; 605-609; 612; 613; 615; 616; 618-622 588; 613; 614; 615; 616; 619; 621f. 613; 621 613f.; 615 46 590; 593 89 590 93

16,5 (LXX) 19,25 (LXX) 29,10 36,3 (LXX) 36,22 (LXX) 40,5 (LXX) 42,13 (LXX) 45,7 (LXX) 49,1-6 49,6 49,6 (LXX) 55,3 61,1f. 61,1f. (LXX) 63,3 (LXX) 65,11 (LXX) Jeremia 2,8 (LXX) 12,15f. (LXX) 13,14 (LXX) 18,8 (LXX) 18,10 (LXX) 19,9 (LXX) 20,16 (LXX) 21,7 (LXX) 23,25-28 25,11f. 26,2 29,10 33,2 (LXX) 33,7 (LXX) 35,1 (LXX) 35,12 (LXX) 35,15 (LXX) 35,17 (LXX) 40-42 46,2 Joel 3,1-5 (LXX) 3,1 (LXX)

635 590; 593 90 620f. 89 89 594; 613 93 93 611 611 595 108f. 559; 560 595 94 90 90 571 93 94 94 94 94 94 131 430 84 430 84 97 97 97 97 97 74 81 145f. 593

636 Amos 6,9 (LXX) 7,3 (LXX) 7,14 (LXX) 9,11f. 9,11f. (LXX) 9,11 (LXX) 9,12 (LXX) Jona 4,1 (LXX) 4,7 (LXX) Nahum 2,13

Register

87 94 85 571 589; 592 591; 592; 593; 595; 596 595 95 89 578

Sacharja 2,15 (LXX) 3,10 8,4-6 9,9f. (LXX) 10,2 12 14,14 (LXX)

571; 589 127 127 91 131 127 91

Psalmen 2,7 15,8-11 (LXX) 15 (16), 10 32,12 (LXX) 77 (78) 134,9 (LXX)

108f. 595 108f. 589 105-107 45

Ruth 1,15f. (LXX) 3,7 (LXX) Kohelet 5,2.6

84 95 132

Esther 3,1-11 6,10f. 8,15 10,3

124-126 126 75 75 75

Daniel 1,20 (LXX) 2,48 3,25 4,2 (q) 5,29 6,28 (q) 7f. (LXX) 11,17 (LXX)

90 75 549 45 75 45 87 87

Esra 1,1 1,8-11 5,14 10,7f. 10,16f. 10,44

430 430 430 430 430 430

Nehemia 9,10 13,25

46 430

1. Chronik 1,28 9,11 (LXX) 11,5a 11,23 13,8 13,11 (LXX) 18,8 18,15 (LXX) 21,4 21,15 21,15 (LXX)

81 89 81 81 81 95 81 89 81 81 94

Stellenregister

2. Chronik 2,13-15 3,1 8,12f. 13,4-12 21,11-20 23,1 24,24

81 81 81 81 81 81 81

25,10 32,1 32,21 33,12 34,24 35,20 36,21 36,23

637 81 82 81 82 81 81 430 430

Zusätzliche Schriften der LXX Esther-Zusätze A 1-11 F 1-10 Tobit 1,8 (S) 6,13 1. Makkabäer 1,9 1,10 1,20 2,51-60 4,46 5,1 6,43-46 7,41f. 9,9f. 9,27 9,46 9,71 12,1-23 12,11 12,53 14,8-13 14,16-24 14,41 14,49 16,23f.

132 132 80 80 126 126 126 82 128 126 128 128 128 127; 128 128 128 120 128 126 127 120 122; 127 122 122

2. Makkabäer 1,1-9 2,19-32 2,21 2,23 3,1-40 3,1-9 3,1-3 4,5 4,13 4,35 5,11 5,16 6f. 6,1 6,4f. 7,9.14 7,23 7,29 8,1-5 8,1 8,3f. 8,5 9,1-22 9,8-11 9,9 12,2 13,8 14,38 15,30-35 15,37

432 40; 77; 456 120 339 431 121 119; 121; 125 120 120 120 125; 126 125 431 119 574 431 431 431 128 120 121 119 432 431 120 125 431 120 431 119; 121

638 3. Makkabäer 1,9-15 Weisheit 8,8 9,19 10,1-21 10,16

Register

124f. 125 45 82 82 45

Jesus Sirach Prolog 34,1-8 36,5 44-49 44,2 51,26 Baruch 2,11

77 132 45 82 82 312 45

Neues Testament Matthäusevangelium 1,1-16 1,20 2,12f. 2,19 2,22 5,1-12 5,38-47 6,26 6,30 6,34 7,7 11,17 13,14f. 19,27-30 21,1-9 24,24 24,38 27,19 27,27

394 130 130 130 130 373 373 374 374 374 373 373 616 374 374 45 491 130; 154 300

Markusevangelium 1,1 1,12 4,10-12 4,33f. 6,7 6,14 6,35-44

383; 387 559 616-618 617 360 97 358

7,1-23 8,1-9 10,28-31 11,1-10 13,22 14,58 14,64 15,16 Lukasevangelium 1,1-4

1,1f. 1,1

1,2

1,3f.

482; 566 358 374 374 45 482 550 300 9; 163; 222; 380; 382; 386; 388; 392; 449; 452; 457; 476-480; 482; 484f.; 490f.; 499f.; 539 485 164; 225; 382; 385; 387; 389; 454; 479; 483; 486; 487; 503; 543 113; 227; 336; 382; 385; 386; 387; 389; 395; 483; 487; 496; 500; 501; 503 383; 385; 485

Stellenregister

1,3 1,4 1,5-25 1,5-2,52 1,5-23 1,15-17 1,20 1,22 1,26 1,32f. 1,33 1,35 1,41 1,67 1,68-79 1,70 1,80 2,1-4 2,1f. 2,1 2,8-15 2,11 2,14 2,17-21 2,22-24 2,25f. 2,32 2,40 2,41 2,52 3,1 3,6 3,16 3,19 3,21f. 3,22 3,23-28 4,1

383; 386; 484; 486; 488; 490; 499f.; 503; 506 4; 9; 267; 268; 387; 479; 489; 490; 506 454 224 235 559 483; 491; 552 548; 551; 552 387 591; 593 236 559 559 559 591; 596 596 481 113 3 392; 598 548 275 381 113 235 559 588; 595 481 235 481 3; 97; 392 594 560 97 113 559 394 559

4,14 4,16-30 4,16-21 4,18 4,21 4,23 4,38-40 4,38f. 4,40 5,1-11 5,8 5,15 5,17-26 5,21-24 5,31 6,19 6,20-22 6,27-35 7,11ff. 7,21 7,32 8,9f. 8,9b 8,10 8,15 8,22-25 8,26ff. 8,40-56 8,43 8,49ff. 9,1ff. 9,1-6 9,1 9,10-17 9,28-36 9,37ff. 9,51 9,60 10,1ff. 10,1 10,19f. 10,21

639 559 114 113; 595 559; 560 233; 483 368 368 551 552 548 548 44; 552 551 553 368 44 373 373 551 98 373 616-618 617 482 365 552 552 368 368 541 549 373 553 552 364; 551 552 317 373 549 373 553 559

640 11,9 11,14 11,20 12,10 12,24 13,10ff. 13,34f. 15,17 16,19-31 17,2 17,25 17,27 18,28-30 18,35-43 19,11f. 19,11 19,16 19,28-40 19,30-36 19,31 19,41-44 19,41 20,1-8 21,5-36 21,9 21,12 21,19 21,24 21,27 22,14-38 22,30 22,62 22,68 23,1-25 23,28-31 23,6-12 23,28 23,34 23,36-43 23,46 24 24,1

Register

373 552 553 558 374 552 242 374 370 374 593 491 374 364; 368 44 591 375 374 363 374 242 242 553 233 593 98 365 20 98 387 374 374 550 100 242 99 20 227; 550 551 227; 550; 559 61 481

24,4 24,12 24,13-35 24,13-31 24,22ff. 24,23 24,25-27 24,26-29 24,26f. 24,28f. 24,29 24,36-49 24,41-43 24,44-53 24,44-51 24,44-49 24,44-47 24,44-46 24,44f. 24,45 24,47f. 24,47 24,48 24,49 24,50f. 24,51 24,52f. 24,52 24,53 24,54-51 Johannesevangelium 1,20 2,23-25 4,48 12,12-16 12,39f. 19,35 21,24 21,25

548 374 552 493 548 551 114 493 592 553 398 493 491 493; 494 494 114; 387; 493 389 494 483; 592 494 549 494 494 491; 560 481; 493 493; 494 493 481 481; 493 491 368 373 45; 373 374 616 2; 510 2; 383; 510 2

Stellenregister

Apostelgeschichte 1-5 1,1-8 1,1f.

1,1

1,2 1,2-8 1,3-8 1,3 1,4-8 1,4 1,6-11 1,6-8 1,6 1,7f. 1,8

1,9-11 1,9 1,10f. 1,11 1,12-14 1,13f. 1,14 1,16 1,21-26 1,21f. 1,26 2,1ff.

122 274 162; 380; 382; 386; 388; 392; 476; 478-480; 493 359; 380; 382; 383; 387; 415; 454; 462; 477480; 488; 490494 454; 493; 559 383 551 480; 491; 492; 610 492 122 170; 415; 596; 597 122f.; 454f.; 591 128; 592; 596 353 47; 122f.; 166; 179; 236; 239; 334; 381; 398; 403; 594; 597; 609 492 492 492 233; 592 492 492f. 357; 365; 492 483; 609 383 108; 385 147; 156 586

2,1-13 2,4 2,5 2,9-11 2,14-41 2,14-36 2,17-21 2,17 2,18 2,19 2,21 2,22f. 2,22 2,29-36 2,25-28 2,29 2,33 2,36 2,38 2,42-47 2,42 2,43 2,46 3,1ff. 3,1-10 3,6 3,11-4,31 3,11f. 3,12 3,17-26 3,18 3,19-21 3,19 3,21 4,1 4,7-12 4,10 4,12 4,25 4,27f. 4,30 4,31

641 357; 415 557 409 409 372 366 145f.; 156; 557 593 98 98 595 362 46 592 595 365 398; 549; 560 592 366 167; 357; 358 365 45 122; 365 122 551 553 358 597 151 554 483 596 366; 597 592; 596 122 554 561 169; 588 609 173 46; 553 404; 557

642 4,32-37 4,32-35 5,1-11 5,3 5,9 5,12-16 5,12 5,15 5,16 5,17-42 5,17 5,19 5,28 5,29 5,41 5,36 6-7 6,1-7 6,1 6,4 6,5 6,7 6,8 6,9 6,10 6,14 6,15 7 7,2-53 7,2 7,9 7,20-36 7,33 7,36 7,44 7,47-50 7,48-49 7,51a 7,52 7,53 7,54-60 7,55-59

Register

167 358 364 558 558; 561 167; 358; 554 45; 122 44; 552 123 358 338 433 483 99 99 4 123 99; 176 123 365 123 358 45 123 557 482 147; 364 119 19; 101; 366 123; 550 123 395 123 46 123; 590 590 123 612 227 586 504 547

7,55f. 7,55 7,56 7,58 7,59f. 7,59 7,60 8 8-11 8,1 8,3 8,4 8,5-24.25 8,5-8 8,6-25 8,7 8,9-25 8,13 8,18f. 8,20-23 8,26-40 8,26 8,27-39 8,29 8,30f. 8,39 9 9,1-30 9,1-19 9,1-18 9,1 9,2 9,3ff. 9,3-6 9,3 9,4-6 9,4 9,5

239; 492; 546 147; 548 545 227; 469 227 550 550 152 119; 123 119; 123; 469; 549 469 123 45; 123 554 364 552 374 365 151 364 147; 175; 355; 552 148; 549; 552; 557 123 148; 552; 557 101 148; 542; 553; 558; 560; 561 123; 267 469 61 407 395 270 148 398; 492; 546 408 156 548 408

Stellenregister

9,7 9,10-18 9,10-16 9,10 9,11f. 9,11 9,12 9,14 9,15f. 9,15 9,25 9,27 9,31 9,32ff. 9,32-35 9,33f. 9,34 9,36ff. 9,36-43 9,36-42 10 10-11 10,1-11,18 10,1 10,3 10,4 10,9ff. 10,9 10,10 10,11-16 10,11f. 10,13-16 10,14f. 10,14 10,17 10,19 10,26 10,28 10,30

97; 148; 408; 547 408 156; 398; 546 148; 548 149 150 148; 547; 548; 549 547 238 234; 547 353 148 358; 558 551 357; 554 219 553 551 357 541 123; 174; 355; 389; 549 123f. 98; 482 120 148; 549; 557 153 148; 149; 354 150 150; 156; 547 398 546; 548 156 547 155 148; 152 148; 152; 557 151 581 150

10,34f. 10,38 10,39-43 10,46 11 11,1-18 11,4 11,5f. 11,5 11,8f. 11,18 11,19.20 11,27-30 11,28 12-14 12 12,1-5 12,2 12,5ff. 12,6-17 12,9 12,11 12,12 12,20-23 12,20 12,22f. 12,22 12,23 12,25 13ff. 13,1-3 13,2-4 13,2 13,4-12 13,4 13,5 13,6-12 13,9 13,10 13,11

643 374; 587 552; 560 61 542; 558 123 174 488 546 148; 150; 547 547 123; 404; 588 123 43 506 123f. 42f.; 119 354 504 146; 155 358 151; 153; 354; 548 354 357 100; 354 42 154 151 120 43 119 43 174 147; 150; 151; 398; 558 364; 392 558 501 45 558; 560 364 552

644 13,14f. 13,15 13,16-41 13,16-25 13,16 13,21 13,22 13,26-37 13,26 13,27-31 13,27f. 13,27 13,31 13,32-37 13,32f. 13,38-41 13,38f. 13,38 13,41 13,42f. 13,44-47 13,45 13,46f. 13,46 13,47 13,50 14,2 14,3 14,4 14,14 14,15-17 14,15 14,8-18 14,8-11 14,8f. 14,11-18 14,12 14,14f. 14,19 14,22f.

Register

611 509 101f.; 111-114; 115-118; 610 19; 103f.; 113 102 105 105 113 102 107f. 173 483 491 108f. 483 109f.; 113 586 103 114; 494 611 111 611 122 241; 594; 611; 613 397; 595; 611 321; 365 321 45 162; 403 162; 403 350 235 44; 219 554 541 354 220 151 321 355

14,27 15 15,1-33 15,1 15,5-10 15,5 15,7-11 15,8f. 15,9 15,10 15,11 15,12 15,14-21 15,13-21 15,13 15,14 15,15-18 15,15 15,16-18 15,16f. 15,16 15,17 15,18 15,19-21 15,19f. 15,19 15,20-23 15,20

15,21

174; 398 124; 387; 573f. 176 410; 563; 585 602 338; 563; 583; 585; 586; 600 175; 585-587 601 598f. 581; 586; 597; 600 588 45 602 563; 569; 587601 569 175; 235; 581; 582; 587f.; 589; 593-599; 603 589 589; 598 571; 592 597; 603 589; 590; 591; 592f.; 593; 595 582; 593; 594; 595; 596; 599f. 593; 596 124 569 571; 581; 594; 599; 600 567f. 124; 163; 563; 565; 568; 576; 577; 598; 599; 600 99; 579; 583; 586; 588; 599601

Stellenregister

15,23-29 15,23 15,28f. 15,28 15,29 15,30 15,32 15,36-41 15,36-40 15,39 15,41 16 16,3 16,4 16,6-10 16,6-8 16,6f. 16,6 16,7 16,8-11 16,9 16,10-17 16,10 16,16ff. 16,16-20 16,16 16,17 16,18 16,22 16,23-40 16,23-34 16,23 16,25 16,26 16,37f. 17,1-9 17,5f.

568; 569 568 99; 163; 564; 567; 597 148; 156; 558; 598 124; 374; 563; 566; 568; 570; 576; 598 568 568 99 386 148 568 152; 314 99 568; 598 175; 353; 398 234 558 147f. 549; 561 220 146; 148; 149; 546; 548; 549 506 148; 150; 541 552 318 151 271 553; 555 303 269 358 270 146f. 433 323 391 318

17,5 17,6 17,7 17,9 17,12 17,15-23 17,16-34 17,21 17,22-31 17,23 17,26-31 17,26f. 17,26 17,27 17,28 17,30f. 17,31f. 18,1-18 18,1-17 18,2 18,6f. 18,6 18,9f. 18,9 18,10 18,12-17 18,12-16 18,12 18,14ff. 18,14 18,15 18,17 18,19 18,25 18,26 19 19,1ff. 19,1-7 19,6 19,8f. 19,8

645 321 323 598 312 365 354 235; 372; 469 120 594 389 387 594 268; 389 389 268; 389 366 268 313 99 180; 313 319 122; 241 546 146; 148; 548 174; 547 124 390 3 167 323 120 318 312 489 312 314; 317-319; 322; 324f.; 374 612 317 542; 558 317 314

646 19,9 19,10 19,11f. 19,11 19,12 19,13-20 19,13-17 19,13-16 19,21-40 19,21 19,23-40 19,23-28 19,23 19,24-34 19,29 19,30 19,31 19,33f. 19,35 19,37 19,38-40 19,38 19,39 19,40 20,1 20,4 20,5-15 20,7-12 20,9 20,15 20,16 20,18-35 20,18f. 20,19 20,22-25 20,22f. 20,22 20,24f. 20,24

Register

270; 317; 319; 612 314; 317 44; 317; 356 552; 553 552 317; 364 45 555f. 390f. 129; 317; 318; 558 317; 318; 323; 326; 405 318 270 120 305; 318 318 318; 365 318 318 318f. 315 319 319 120; 347 303; 318 305 506 357; 374 146; 303 320 320 356; 469 320 320 318 148 558 504 268

20,25 20,27 20,28-31 20,28-30 20,28 20,29f. 20,29 20,30 20,31 20,36-21,16 20,38 21,1-18 21,1-3 21,1 21,4 21,10-14 21,13 21,14 21,15-26 21,18ff. 21,18 21,19 21,20 21,21 21,23f. 21,24 21,25 21,26 21,27-22,24 21,27-30 21,27f. 21,29 21,30-39 21,31-34 21,37 21,39 22,1-24 22,2-11 22,3 22,4 22,6-16

238; 387 404 228 387; 389; 392 413; 558 325; 364 320 320 314 355 238 506 353 320 148; 558 238 504 148 468; 469 602f. 569 569; 602 267; 404; 602 602 602 601; 602 563; 565; 568; 569; 570; 602 235; 321 390 20 320 321 124 168 321 120; 236 323 148 265; 267; 268 268; 270 407

Stellenregister

22,6-10 22,6 22,7-10 22,9 22,11-15 22,15 22,16 22,17-21 22,17f. 22,17 22,18 22,19f. 22,20 22,66-71 23,1 23,5 23,11 23,16-23 23,16 23,26 24,1-28,10 24-26 24,1-21 24,1-9 24,2-8 24,3 24,5 24,10-21 24,10 24,11 24,13 24,14 24,15 24,19-21 24,22 24,23 24,26 25 25,11f. 25,11

546 408 156 408; 547 268 403 408 148; 546 548 150; 156; 547 545 155 227; 238 482 119 99 146; 148; 234; 239; 546; 547; 548 168 301 505 268 124 235 120 273 505 338 273f.; 275 274 269 274 270; 338 274 274 270 301 271 387; 389 234 271

25,13-26,32 25,18f. 25,23-26,32 26 26,5 26,6f. 26,10 26,12-18 26,13-19 26,16 26,17f. 26,19 26,20 26,24 26,25f. 26,25 26,26-29 26,26 26,28-32 26,28 26,29 26,30-32 27,1-28,16 27,1-6 27,2 27,10 27,21-26 27,21 27,23f. 27,23 27,24 27,25 27,31 27,33-44 27,33-35 28,3-6 28,7-10 28,8 28,16-31 28,16-28

647 235 167 611 547 268; 338 483; 592; 597 268 407 546 501; 545 364 148; 546; 551 268; 588 455 458 505 383 17; 155; 271; 389; 459 611 612 334; 483 612 265; 506f. 44 305 272; 273 272; 273 273 234 146; 148; 548; 549 174; 235; 239 272; 273 273 273 273 554 353 551 455; 594; 618 618

648 28,16 28,17 28,19 28,20 28,22 28,23 28,24 28,25-28 28,25-27 28,25 28,26f. 28,27a 28,27d 28,28b 28,29 28,30f. 28,30 28,31 Römerbrief 1,24 3,29 8,28-30 9-11 9,9-29 9,18 11,7-10 11,7 11,11 11,13 11,25-27 11,32 11,36 15,19 15,24 15,28 16,3f.

Register

301; 608 301; 608 120 597 338; 608 301; 608 241; 608 588; 605-607; 615; 616-618; 622; 624 612 609 614; 615; 618 612 614; 615 613 404 481; 503; 610 302 128; 383; 404

16,4 16,7

580 110 623 614; 618; 620; 622; 624 620; 622 606; 612; 619; 620; 622 606; 620; 621623 619; 621 622 404 597; 622 621-623 625 45 302; 307; 314 302; 307; 314 313

16,5-8 16,5 16,8 16,9 16,19

1. Korintherbrief 1,10-17 2,13 4,1 7,5 8,10 9,5 9,9 10,7f. 10,14 10,21 10,25-28 11,29-34 12,26 13,3 15,3-8 15,5-9 15,32

2. Korintherbrief 1,8-11 1,8-10 1,8 1,9f. 1,9 1,10 1,23 2,1-4 2,1 2,3f. 2,12 2,13

312; 313; 326 313 176 303 501 303 577 360 371 579 405 577 577 375 404 371 108; 550 61 308; 317; 320; 375 309 303 308; 313 309 312; 313 325 309; 310; 311; 312 310 325; 326 310 310 309 309 309 309 309 309

Stellenregister

2,14-4,6 3 3,7-17 3,12-16 3,14-16 3,14 4,5 5,19 6,5 7,5-7 7,5 7,6-9 7,6 7,8 11,23-29 11,23 11,25f. 12 12,7-10 12,12 12,14 12,21 13,1 13,2

619 405 405 620 619 606; 619; 620 164 623 295; 311; 312; 314 310 309 309 310 309 308 295; 311; 312; 314 310 373 310 45 303; 309 580 303; 309 309

Galaterbrief 1-2 2,4f. 2,6-10 2,6 2,11-21 2,11-14 5,3 5,19-21 5,22 6,6

8 176 163 580 176 314 586 580 371 489

Epheserbrief 1,4

623

Philipperbrief 1,1 1,7 1,13-18 1,13f. 1,13 1,14-18 1,15 1,17 1,19-24 1,26 1,29f. 1,30 2,9-11 2,12f. 2,12 2,17 2,19-23 2,22 2,23 2,24 2,25-30 2,25 2,28 3 3,2-7 4,15f. 4,18 4,21-23 4,22 Kolosserbrief 1,7 1,14 1,20 4,9 4,10 4,12 4,14 4,17 4,10

649

299 295; 298 299 295; 298 300; 432; 433 301; 433 176 295; 298 298; 326 303 298 303; 320 596; 623 623 303 298; 326 299 303 326 298; 302 302 299; 308 299; 302 305; 322 176 303 299; 308 298 299; 300; 301 306 110 623f. 306 306 306 306 306 305; 313

650

Register

1. Thessalonicherbrief 1,9 2,13-16 4,3-8 4,3-7

579; 580 619 579 580

2. Thessalonicherbrief 2,9

45

1. Timotheusbrief 2,4 4,10

623f. 623f.

2. Timotheusbrief 4,11 4,17

394 317

Titusbrief 2,11

624

Philemonbrief 1

295; 305; 308

9 10-12 10 13 22 23 24

295; 305 306 295; 305 295; 305 306; 307 295; 305; 308; 313 305; 306; 307

Hebräerbrief 2,4 3,8.13.15 4,7 6,4-6 13,22f.

45 612 612 372 509

1. Petrusbrief 4,15f.

180

Johannesapokalypse 2,14.20 3,2

579 483

(2) Schriften aus Qumran 1QGenAp XIX, 14-23 4QDanc 4QLeve Frg. 8,3

132 87 96

4Q51 4Q51 i 5 4Q72

96 84 94

(3) Frühjüdische Autoren und Schriften Aristeasbrief 1-8 213-216 Philo Legatio ad Gaium 159-161 304f. 309-320

505 132 124-126 126 126 126

333, 337 125 In Flaccum 124-126 35 301 De Hierosolyma 222 De somniis I 1,1f. 133 II 1,1-4 133 De specialibus legibus IV 122f. 578

Stellenregister

Josephus Antiquitates Judaicae Prolog 1,1 1,4 1,5 1,6f. 1,14 1,208f. 1,278-284 2,86 2,212-217 2,212-214 4,207 6,329-339 6,378 7,147 8,1 10,143 11,326-335 11,326-328 11,333-335 11,334 13,1 13,142 13,322 14,1 17,345-348 18,298-304 19,343-352 19,343-350 20,157 Contra Apionem Prolog 1,1-5 1,6-59 1,23-27 1,27 1,28-59 1,37 1,51 1,53-56

77; 474f. 446 489 446; 451 446 446 141 142f. 137; 152f. 143 155 321 139 103 143f. 328 103 546 144 144 150 328 301 144; 153 478 137 125 42 100; 154 485 77 446; 448 446 120 447 447 137; 336 448 500f.

1,53 1,60-72 1,218 1,249 1,310 1,318 2,201-204 2,206-208 2,222 De bello Judaico Prolog 1,1-3 1,1 1,2 1,3 1,11f. 1,11 1,13-18 1,13-17 1,13-16 1,13 1,328 1,6,16 2,111-113 2,111 2,113 2,114-116 2,116 2,121 3,344 3,350-354 3,352 3,362-382 5,380-394 5,381 5,390 5,391-393 6,200 7,323-336.341-388

651 486f.; 489 447 487 321 321 321 137 137; 153 500 77; 474f. 501 41; 387 386 41; 500 449 449 501 447 120 388 137f.; 141; 153; 154 489 137-139; 152; 153 153 153 139; 154; 155 153 139 140 139f.; 144f. 137 141 155 141; 154 141 137 540 141f.

652

Register

7,347

142; 152f.; 156

Vita 40 40,338 208-210

120 500 144f.; 153

Justus von Tiberias (FGrHist 734)

339

Pseudo-Philo Liber antiquitatum biblicarum

106f.

Oracula Sibyllina III 762-766 III 826

573

Theodotos De Iudaeis

222

(4) Rabbinisches Schrifttum Tosefta Avoda Zara 8,4

573

Targum Neofiti zu Gen 22,10

549

Talmud Babli Avoda Zara 18a

549

Targum Pseudo-Jonathan zu Gen 22,10

549

Talmud Jeruschalmi Taanit 4,6 (68d)

129

Fragmententargum zu Gen 22,10

549

Bereschit Rabba 65,22

549

(5) Griechisch-römische Autoren und Schriften Aelian De natura animalium VI,14 Agatharchides von Knidos (FGrHist 86) Asiatica Europica De mare rubro 64 Alexander Rhetor De figuris 15,22f.

44

194 194 194

489

Anakreon Frg. 408

84

Appian Rhomaika

194

Apuleius Metamorphoses I 1,1-6

539

Aristoteles Poetica 1447a15-20 1447a17

451 291

653

Stellenregister

1447b16 1449b25-30 1450a38-1451b2 1453b10 1453b11f. 1459a17-1460b5 1459a30-1459b7 1460a11-15 Rhetorica II 2,24

291 452 201; 222 452 451 221f. 226 229 282

Aristoxenos Frg. 14-32 Frg. 17-18 Frg. 19 Frg. 25 Frg. 31

537 537 537 538 533

Arrian Anabasis Alexandri Praefatio 1,3 IV 11,1ff.

422 199

Athenaios Deipnos 4,1 8,18

201 201

Calpurnius Siculus Eklogai 4,70

214

Cato d.Ä. Origines

251

Cicero Brutus 42f. De divinatione 1,64 2,85-87 2,119-148

200 132 147 133f.

De finibus bonorum et malorum 1,42-44.71f. 4,16; 5,16 De legibus I5

275 275 37f.; 160; 200f.; 448; 451; 452 249 447

II 32 VI-VIII De natura deorum II 154-167 III 64 De officiis I 107.115 De oratore 2,15 2,35f. 2,56-58 2,62 2,80 2,269-272 3,7 Hortensius sive de philosophia 2,10 5,40 De re publica 1,30 2,27 6,13 Pro Sestio 88 140 Tusculanae Disputationes 2,1 2,49 3,12 3,16 In Verrem II 5,115 II 5,161-163

249 83 258 279 244 452 279 476 282 258 255 257 133 257 257 258 255 271 257 259 44 255 257 271

654 Claudius Quadrigarius Historia Romana

Register

205

Coelius Antipater (FRH 11) Historiae 251 Cornelius Nepos Pelopidas 1

251

Dares Phrygius Acta diurna

207f.

Demetrios von Kallatis (FGrHist 85) De Asia et Europa

194

Demetrios von Phaleron Frg. 201,7

487

Demetrios Rhetor (Pseudo-Demetrios) De Elocutione 80,8

489

Demosthenes Orationes 48,80

487

Dictys Cretensis Ephemeris belli Troiani

207f.

Dio Cassius 62,25,2 67,13,2

247 247

Dio Chrysostomus Orationes 7,10 12,52 74,10

485 83 307

Diodorus Siculus I 1-4 I 1f. I1 I 2,1-5 I 2,1 I 2,2 I 4f. I 4,7 I 94,2 II 1,1-3 III 1-4 III 5-IV 6 IV 1,4 IV 1,6 V 1-IX 8 V 1,4 V 2-6 V 6-9 VI 1-4 VIII X 1-XI 2 X 3,5 X4 X 4,1 X 4,2.4 X 9,1 X 10,1 X 10,2 X 11,1.2 X 12,3 XI 2 XII 9 XII 11,4-19,2 XII 12f. XII 19,3-21,3 XII 20 XV 67,4 XVII 117

197f.; 251 534 532 198 532 279f. 471 198 532 478 533 533 198 198 533 194 194 194 533 533 533 534 533 534; 537 534 534 534 534 534 534 533 534 536 534 536 534 534 200

Diogenes Laertios II 11

82

655

Stellenregister

V 47 VIII VIII 15 VIII 45 VIII 46

452 532 536 533 537

Diomedes Ars grammatica

221

Dionysios von Halikarnassos Antiquitates Romanae 192 I 4,2 447 I 6,5 471 I 7,4 454; 485 I 57,3f. 546 III 67,5 249 VII 70,2 481 XI 1,4 280 De compositione verborum 4,30 192 Epistula ad Pompeium 6 196 Duris von Samos (FGrHist 76) Frg. 1 202; 451; 540 Frg. 67 202 Ennius Annales Frg. 156 Sk Ephoros (FGrHist 70) Historiai Epiktet Dissertationes II 6,26 III 21,12 Valerius Flaccus Argonautica

226 276 193; 205

273 273 217; 226

Florus Epitoma I4 I 5-8

212 212

Frontinus De aquis urbis Romae 16

249

Galen Comm. in Hippocratem 190,3 Methodi medendi 910,11 Gellius Noctes Atticae IV 11 IX 4,1-3 XV 11,1-5

487 486

538 200 247

Hekataios von Milet (FGrHist 1) Frg. 1a 79 Herodot Historiai Proömium I I1 I 4,4 I 5,3f. I 5,3 I 5,4 I6 I 84-91 I 140,1 II II 3,2 II 99,1 III 80-83 III 80 IV

170; 446; 450 79f. 79 168 527 163; 171; 450 169 171 453 163 193 171 160 165 189 193

656

Register

V 66 V 78 VI 43 VII 4-19 VII 11,3 VII 139,4f. VII 139,6 VII 12

527 527 189 163; 171 168 168; 171f. 171 150

Hesiod Theogonia

170f.

Hipparchus Comm. in Arati et Eudoxi Phaenomena I 1,9 Homer Ilias 1,5 1,225-233 3,423-427 4,88 6,448 7,193f. 15,56ff. 16,432-458 Odyssee 5,72 19,650ff. Horatius Carmina IV 9,25-28 Epistulae I 17,26 Sermones 2,29 Isocrates Antidosis 1,43

487

83 95 93 93 233 455 83 93 84 135

259 271 223

489

Istros (FGrHist 334)

203

Jamblich De vita Pythagorica 7,33f. 127 232-236 239 248ff. 265-267 265

537 537 533 537 537 536 531

Kallisthenes (FGrHist 124) Praxeis Alexandrou Frg. 14 Frg. 14a Frg. 22 Frg. 31

453 199 453 453

Pseudo-Kallisthenes Alexanderroman

437

Kleitarchos (FGrHist 137)

200

Krateros (FGrHist 372)

191

Livius Ab urbe condita Praefatio § 6 Praefatio § 10 II 36 IV 52,1 Proömium zu VI-X VI 25,6 VIII 6 X 9,4f. XXI 22 XXVI 19f. XXVI 49,3 Livius Andronicus Odusia

205 251 135 255 205f. 255 135 271 135 135 204 226

Stellenregister

Lucan De bello civili 7,412 Longinus De Sublimitate 13,2-14,1

217; 226 273

291

Lukian Alexander 512f. Dialogi mortuorum 12f. 463 Eunuchus 10 512 Hermotimus 24 271 De historia conscribenda 1 283f.; 452; 488 2 452 3 488 4 452; 488 5 284; 285 6 285 7-9 421 7 285; 425 8 285; 286 9 286; 288 10 285 14 286 15 286 16 452 19 286 22 488 23 452 24 287; 488 25 287 26 287 29 488; 502 34 283 39 9; 288 40 29 41 457f.

44 45 50 53 55 58 61 63 De morte Peregrini 2 7ff. De Syria Dea Verae Historiae 1,4 1,8 1,13 1,16 2,33

657 288 287 289 213; 476 477 37 457f. 284 512 512 338 502 285 285 285 135

Lysias Orationes 1,14

486

Macrobius Saturnalia I 24,14

215

Markellinos Vita Thucydidis 45 54

483 191

Naevius Bellum Poenicum

226

Neanthes von Kyzikos (FGrHist 84) Frg. 6-12

195

Nonnos Metabole

223

658 Onesikritos (FGrHist 133) Vita Alexandri Ovid Metamorphoses

Register

199f. 226

Pausanias VIII,38,6

44

Persius Satirae 5,102-105

275

Petronius Satyricon 52,2 105,9f. 118,6 119-124,1

220 224 223 223

Philodemus Volumina Rhetorica

279

Philostratos Vita Apollonii

353

Phylarch (FGrHist 81)

203

Platon Leges 783a-b 842e Phaedrus 263b Res publica II,379a-383c III,389e 600a

267 267 271 93 95 271

Plinius d.Ä. Historia naturalis VII 112 VIII,106 XVII,89-91 XXVII 1,3 XXVIII,68f. XXXVI 75

247 44 44 260 44 249

Plinius d.J. Epistulae III 5 III 11,2f. VII 19,5 X X 81f.

248 247 247 179 247

Plutarch – Moralia – De defectu oraculorum 30 (426d) 249 40-51 (432c-438d) 557 42 (433d) 557 44 (434b) 557 46 (435a) 557 De Iside 78 (383a) 83 De superstitione 8b-c (168f-169c) 455 – Vitae parallelae – Alexander 1 251; 463 27f. 463 75 200 76,3 463 Brutus 47 459 Caesar 63-66 459 67-69 463 Cato d.Ä. 22f. 120

Stellenregister

Coriolanus 38,1-4 Demosthenes 1 30 Eumenes 6,4-7 Gaius Gracchus 7 Lucullus 12,1f. Lykurgos 1,7 Lysandros 18 Numa 1,1 Otho 14 Perikles 28 Polybios Historiai I1 I 1,1 I 1,2 I 1,4 I 1,5 I2 I 4,1 I 4,4 I 4,11 I 10,1f. I 14,6f. I 14,6 I 29-35 I 37 I 65,5-9 I 66-88 I 81 II

542 463 463 546 249 546 454 463 205 459 202f.; 452

451 166; 177; 437 177; 251 169 161; 166 169 162 172 288 187 172 164 174 188 174 174 189 192

II 1,1-4 II 56-63 II 56 II 56,6-12 II 56,8-12 II 56,10-13 II 56,11 II 71,7-10 III 1,4 III 1,9 III 3,9 III 4 III 6-12 III 21,9f. III 22-26,1 III 31,1-10 III 31,11-13 III 31,2ff. III 31,11ff. III 32,2 V 33,2 VII 7,1-5 VII 7,8 VIII 11,1f. IX 1,5f. IX 25 IX 26 X 2.11 X 21f. X 21 X 21,5-8 XI 19a,1-3 XII XII 25a XII 25b XII 25d XII 25g XII 12b.24 XII 27,8-11 XV 34-36 XV 36,3

659 478 203 190f. 453 452; 453 79 40 162 162; 166 161 166; 172 162 173 163 161 177 422 177 172 162 193 453 288 195 437 79 288 134 463 134 251 288 452 164 169; 172; 177f.; 189 251 160 134 328 453 288

660 XVI 12,3-5 XVI 12,6 XVI 12,9 XXII 18 XXXI 30,1 XXXIII 21 XXXVI 1a XXXVI 17,1.4 XLVII 8 XLVIII 9

Register

453 453 458; 540 187 288 134 190 188 541 541

Porphyrios Vita Pythagorica 9 21 54ff. 57f.

532 533 537 537 538

Poseidonios (FGrHist 87) F 15 F 17 F 18 F 19 F 26 F 61

197 197 197 197 197 197

Quintilian Institutio oratoria I 8,5 219 II 13,12 418 II 19 452 IX 2,44-51 282 X 1,31 191; 209f.; 266; 279 X 1,51-57 221 X 1,73f. 191 X 1,74 200 X 1,101 267 X 1,104 247 X 1,116 247 XII 11,5 275

Sallust De coniuratione Catilinae Proömium 4,1f. 11,4 De bello Iugurtino Proömium 4,1-5 66,1 Satyrus Historicus Vita Euripidis Frg. 39 Seneca Dialogus XI 8,2 XI 11,5 Epigrammata 72,7 Epistulae morales 4,2 53,11 93,1 94,8 75,1 76,23 95 95,7 97,1 108,37 117,12 De ira I 12,6 III 24,4ff. Ad Marciam 1,3 22,4-8 Ad Polybium 18,2 Quaestiones naturales VII 16,1ff.

251 280 251 255 280 251 251

462

219 219 270 245 276 157 258 258 248f. 259 249 257 249 273 157 273 247 247 247 259 421

Stellenregister

VII 16,1 De brevitate vitae 83

498 257

Servius In Aeneidem Vorwort

223

Silius Italicus Punica

217; 226

Statius Thebais 12,816f.

217; 226 214

Strabon Geographica IX 3,5 XV 1,28

557 200

Sueton Gaius Iulius Caesar 31 150 Augustus 15 241 Caligula 8 231 Claudius 25,4 180; 313; 319 Nero 16 273 47-49 228 52 231 Vespasian 13 247 Domitian 8,2 179 10,3f. 247 12 256

Tacitus Agricola 1,1-2,3 1,1ff. 1,1-4 1,4 2,2 3,1-3 3,2f. 3,2 3,3 4,3 5,1 5,2 6,2 7,3 8,2f. 8,3 9,2 9,3 9,4 10-13,1 11,4 13,2-17 13,2f. 18,2 18,6 21,1f. 21,1 29,1 29,4 30,1 30,2 30,3 30,4 31,1-3 33,4f. 33,6 34,1ff. 39,2 40,3ff. 41,4

661

268 253 251 251; 255 247; 256 250; 268 252 256 345 257; 268 251 250 259 257 258 261 258 258 258 251 261 251 249 249 258 259 249 259; 261 260 260 260 260 260 260 261 262 262 258; 261 245 256; 258

662 42,3 42,4 43,1ff. 43,4 44,2 44,3ff. 44,3f. 44,3 44,5 45,3 46,1 46,3 Annales I 10,6.8 I 11,3f. I 56,3 I 65 I 72,3 II 14.27 II 48,21 II 88 III 53f. III 55,1-5 III 65,1 III 69 IV 20,2f. IV 21,3 IV 32 IV 32,2 IV 34f. IV 37f. VI 51,2 XI 4.11 XII 13 XII 53,1-3 XII 54,1f. XV 44 XV 44,3 XV 60-64 XV 62,1-64,4 XVI 1 XVI 17-20

Register

257; 258 255; 256; 261 253 256 258; 265 258 258 258 250 258 258 259 519 249 249 135 247 135 256 447 259 249 251 259 249 247 170 249 247 259 228 135 135 273 273 388 273 228 247 135 247

XVI 35 Germania 9f. 9 10 33 39f. Historiae I 1,3 I 1,4 I 2,3 I 3,1f. I 15f. II 70 III 83 IV 1 IV 5,2 IV 17,2 IV 73f. IV 83 V 5,4

228 519 249 519 245 519 252 252 255 249 259 245 245 248 258 260 249; 251 135 249

Theopomp (FGrHist 115) Hellenika Herodot-Epitome Philippika VIII Thukydides Historiai I1 I 1,1 I 1,2 I 1,3 I 2-19 I 2-17 I 20f. I 20,1.3 I 20,2 I 21f. I 21,1 I 21,2

195 195 195f.

41 166 169; 187 168; 169; 205 169 187 450 168 164 421 164; 203 169

Stellenregister

I 22 I 22,1 I 22,2 I 22,2f. I 22,4 I 23 I 23,4-66 I 23,4-6 I 23,5f. I 23,88-118,2 I 122,1 II 47-54 II 48 II 59 II 65 III 82f. III 82 III 82,2 IV 104,4f. V 26 V 26,2 V 26,5 VII 27 XX 356

79; 184; 386; 421 40; 189 163; 185; 187 172 169; 172; 177; 185; 190; 251 169; 451 173 172 187 172 271 172 9 177 177 172 188 172 187 187 192 161 188 290

Timaios (FGrHist 566)

535

Pompeius Trogus Historiae Philippicae

210f.

Valerius Antias Frg. 25 Frg. 31

304 204

Valerius Maximus 5,10

259

Varro De vita populi Romani

212

663

Vergil Aeneis 1 1,1-7 1,5 1,10f. 1,67f. 1,92-94 1,259f. 2,259-264 1,262 1,278f. 2,293-296 2,318-322 2,324 2,325 3,94-96 3,288 3,294-354 3,589-691 4,618-620 4,622-629 5,755-761 6,450-476 6,756 6,893-898 7,641-817 8,127-151 8,730 10,517-520 11,371-373 12,64-69 12,183-194 12,190-192.836f. 12,794f. 12,828

226 232 240 240 165 240 238 234 229 165; 236; 239 234 234 233 234 235 236 234 225 238 227 235 241 229 237 236 236 237 240 241 238 238 235 238 234

Vitruvius De Architectura 1,2

249

664 Xenophanes Frg. 26 Xenophon Agesilaos 11,1 Anabasis III 1,11f.

Register

83

79

IV 3,8 Hellenica Cyropaedia I 2,16 Memorabilia IV 6,15

134 328 2 489

134 (6) Frühchristliche Autoren und Schriften

Acta Apostolorum Apocrypha Andreasakten 47-50 356 54,2f. 369 63,3 354 Johannesakten 18f. 354; 355; 511 18 362 22 373; 374 23f. 367 26-29 367; 370 46 369 58f. 355 58 353 60-62 511 62 356 63-65 367 63 364 64-69 372 77 367 81 373 87-93 367 87 356 94-102 367 94-96 369 94 367 95 373 98 362; 367 106-110 369 106f. 356

107 367; 372 109 367 112 362; 367; 372 113 364 114 369 115 369 Legende von Simon und Theonoe 351; 360 Martyrium des Markus 370 Martyrium des Matthäus 351 Paulusakten PHamb p. 1-5 296; 316 PHamb p. 1,24-28 316 PHamb p. 1,28-30 317 PHamb p. 4,6-5,18 317 PHamb p. 5 309 3,3 369 3,5f. 357; 373 3,5 369 3,15-21 358 3,15-17 357; 374 3,21 256 3,25 369 4,1-14 358 4,9 357 4,26-39 358 5,4 354 6,1-6 369 8,21 369 9 374

Stellenregister

9,1-28 375 9,5-10 356 9,12-14 374 9,7-26 371 13f. 353 13,1-4 357 14,1 374 14,6 354; 356 Petrusakten 1 353 2-3 365 4 353; 364 5f. 357 5 353; 354; 355; 362; 364 6 354; 355; 374 7 350; 356 8-10 357 8 364 9 353 11 364 13 350 14 369 16 354 17 356; 364 19 369 20 350; 356; 367; 369 22 354; 356 23 374 26 364 30 357 32 364 35 374 37-39 369 39 367 40 373 41 354 Philippusakten 1,1 354 1,3 357; 365; 367 1,4-14 370 1,18 369 2,24 355; 369; 370

3,5-9 3,7 3,10-15 3,15 3,19 4,4f. 4,6 5,5 5,20 5,22f. 6,1 6,10-12 7,2f. 8 8,5 8,9 8,17f. 9 9,2f. 11 11,3f. 11,3 11,6-8 11,9f. 12,9 13,4 13,5 14,1-4 14,5 14,9 Martyrium 13-15 Martyrium 20 Martyrium 26 Martyrium 29 Martyrium 33 Martyrium 37 Martyrium 38 Martyrium 42 Thomasakten 7 10 11

665 364 367 354 357 369 368 369 365 357 364; 374 364 364 370 371 367 357 369 355; 358 369 355; 358 362 364; 371 370 369 369 368 357 368 367 369 368 364; 374 367 357 356 355 367 356 373 367; 369 356

666 12 15 21-27 27 28 32 33 34-36 34 36 37 39 40 42 44f. 45f. 45 49f. 51 53 55 57 58 61 66 69f. 70 70,3 72 73 75,2 78 78,3 79 80 83-86 84 84 88 88,1-3 85,1 94

Register

366; 369 365 370 369 366; 367; 374 364 371 366 350 366 366 363; 369; 374 363 362 372 364 367 369 375 373 370 356 366 374 366 374 369 371 367; 369 371 364; 371 371 366 364; 371; 373 367; 374 356; 366 374 371; 374 366 366 126 366

94,2-6 95,2 97 99,3 101,2 197 107,2 113,24 117 120f. 119 124,2-4 126 127,3 130,1 132 135,2 143 144 146 154 156-158 159 163 169 170 Timotheusakten

357 368 369 365 365 373 357 357 366 369 366 366 365 366 366 356 366 366; 367 373 375 356 369 366 357 354 354 351; 355

Ambrosius Expositio Psalmi 118,8,39,1f.

276

Apokalypse des Paulus

371

Apokalypse des Petrus

370f.

Arator De actibus apostolorum

223

Augustinus De civitate Dei 1,3

215

Stellenregister

2,29 Confessiones 1,13,20-22 Sermones 81,9 105,7,10 374,2

215 215; 219 215 215 229

Caelius Sedulius Carmen paschale

223

Canon Muratori 34-39 36

504 508

1. Clemensbrief 5,6 63,1 Codex Theodosianus I 1,5

295; 314 312 426

Euseb von Caesarea Demonstratio Evangelica I 3,42 411 III 7,30-35 416 VII 33 416 Historia ecclesiastica I 1,1f. 424 I 1,2 399 I 1,3 330 I 5,3 394 I7 394 II 8,2 394 II 11,1 394 II 15 445 II 22 394 II 22,6f. 394 II 22,6 395 III 4 394 III 4,6 394; 395 III 24,7 395

667

III 24,15 395 III 31,5 394 III 38,2 394 III 39 384f. III 39,15 331; 421; 423 IV 8,2 331 IV 22,1 331 IV 22,4f. 332 V 8,2-4 381 VI 14,2 394 VI 25,14 394 VI 31,3 394 IX 9,1-5 406 X 1,9 416 X 8,11 423 X 9,4 423 X 9,6 424 X 9,9 423 Praeparatio Evangelica 9,21,3-5 82 9,21,18 82 9,29,1-3 82 9,29,16 fine 82 Vita Constantini I 3,4 401 I4 401; 414 I 8,2 401 I 9,1 401 I 10 399 I 11,1 404 I 26 406 I 27,1.2 406 I 28,1 406 I 29 407 I 32,1-3 407 I 32,3 408 I 41,1 404 II 1,2 395 II 8 399 III 2,1 404 III 6-22 409 III 6,2 411

668 III 8 III 13f. III 17,2 III 18,2 III 18,4 III 18,5 IV 60,2 IV 64 IV 71,2 IV 73 IV 74 IV 75

Register

395; 409 409 411 410 410; 411 411 412 415 412 414; 415 415 403

5,56,2 5,61,2 De viris illustribus 22

332

Hippolyt Chronik

330

511 511

Evangelium Petri 7,2f. 14,2f. Evangelium Thomae

383f.

Evangelium Thomae de Infantia Salvatoris 6f. 14f. 373 Gregor von Tours Liber de miraculis beati Andreae apostoli 1,3-5 20 Hegesipp Hypomnemata Hieronymus Epistulae 22,29,7 53,7,3 Hebraicae quaestiones in Genesim 5,25-27 In Jeremiam 5,36,3 5,38,2

352; 353 354 354 331f.

215 215 91 84 97

97 97

Hirt des Hermas

371f.

Ignatius An die Römer 5,1

309

Irenäus von Lyon Adversus haereses I 23 III 1 III 1,1 III 11.12f. III 13,3 III 13 III 14,1-3 III 14,4 III 15,1 IV 30,3

381 381 508 381 380 381 508 381 380 389

C. Vettius Aquilinus Iuvencus Evangeliorum libri IV 223 Julius Africanus Chronographie

330

Justin Apologie I 26

382

Laktanz Divinae institutiones 5,10,1-8 215 De mortibus persecutorum 431 44,1-9 406

Stellenregister

Martyrium Carpi gr. 38f.

549

Martyrium Carpi lat. 4,3

549

Martyrium Polycarpi 15,2

433

Nikephoros Callistes Xanthopoulos Historia ecclesiastica 2,39 Origenes Contra Celsum I 26 I 46 De Prinipiis IV 2,9

370

445 135 445

Papias Frg. 5 2,4 2,15

331 501 501

Passio Perpetuae 10

549

Photius 121a 41

451

669

146b 1-7 147a 7ff. 148b 5-10 152b 15ff.

208 209 208 209

Pseudo-Clementinen Homiliae VII 8,1 VIII 19,1

578 578

Socrates Scholasticus Historia ecclesiastica I8 VII 48,6f.

424 425

Tertullian Apologeticum 38f. De anima 45-49 De baptismo 17,5 Theodoret von Cyrus Historia ecclesiastica I 12 I 2,1-7 IV 32 V 39

530 135 330

424 426 427 427

2. Autorenregister R. Achenbach P. Achtermeier J. Adam E. Adams M. Adinolfi G. W. Ahlström T. Ahrens F. Ahuis B. Aland K. Aland M. Albani R. Albertz M. von Albrecht

L. C. A. Alexander

S. Alkier J. M. AlonsoNúnez

61 356 623 216 128 69 130 131 300; 301; 308; 312 300; 301; 308; 312 130 54 214; 228; 233; 237; 240; 244; 245; 252; 253; 443 28; 41; 216; 218; 219; 221; 222; 225; 234; 266; 268; 272; 276; 281; 398; 453; 460; 476; 477; 483; 485; 486; 488; 492; 495; 497; 539; 540 217; 445

W. Ameling F. Amsler

198

H. von Baer

G. Anderson R. D. Anderson Jr. S. Ann S. Arbandt P. Arzt-Grabner R. S. Ascough R. Ash E. Asmis H. W. Attridge A. G. Auld D. E. Aune

E. Aurelius G. Avenarius F. Avemarie W. Ax K. Backhaus

189 351; 358; 374; 376 278; 282 278 304 301 307 218 251 278; 279 431; 510 56 16; 17; 217; 265; 350; 448; 456; 477 59; 64; 69 278; 281; 282 25; 269; 556; 558 212 7; 10; 17; 19; 22; 33; 186; 216; 226; 230; 266; 267; 276; 315; 316; 317; 335; 398; 446; 454; 471; 472; 541; 543 558

Autorenregister

D. L. Balch J. M. G. Barclay H. Bardtke T. D. Barnes

C. K. Barrett

H. M. Barstad G. J. M. Bartelink J. Barthel D. Barthélemy R. Bauckham W. Bauer O. Bauernfeind A. D. Baum F. Baumgärtel F. C. Baur O. Bayer E.-M. Becker J. Becker U. Becker C. T. Begg J. Behm H. Bellen R. von Bendemann

R. Bendix

220 137 132 399; 400; 403; 409; 423; 424; 425 6; 9; 27; 103; 107; 110; 111; 263; 280; 309; 375; 420; 482; 555; 559; 574; 584; 595; 599; 600 74 217 614; 621 8 372; 571; 590; 595 300; 301; 308; 312 606 482f.; 485; 488 557 4; 5 214 1; 472 296; 304 68; 614 103 577 306 267; 397; 398; 605; 608; 614; 615 522

R. M. Berchman K. Berger P. L. Berger U. Berges H. D. Betz O. Betz H. W. Beyer R. Bichler E. J. Bickermann R. Bieringer H. Bietenhard P. Bilde M. Billerbeck P. Billerbeck N. Birbaumer A. R. Birley L. Bitzer C. Black F. Blass B. Bleckmann C. L. Blomberg E. Blum D. L. Bock M. Bockmuehl O. Böcher R. G. Boling M. Bonnet E. Bons M. P. Bonz

W. Booth G. Bornkamm K. Bosse H. Boterman

671 132 134; 149; 251 279 613; 620 304 150 280 450; 451 90 309 578 125; 448 245; 247 102 130 250 278 386 483; 491; 613 400; 401; 402 582 54; 66; 444; 448; 615; 625 264; 265; 544 573 580 86; 87 360 95 216-236; 239; 240; 241; 243; 265; 350 509 296 130 7

672 F. Bovon

G. W. Bowersock E. L. Bowie J. W. Bowker D. Boyarin A. J. Boyle K. Brackertz R. B. Branham D. Braund A. Breitenbach H. C. Brennecke A. Brent C. Breytenbach M. Z. Brettler M. Brinkmann A. G. Brock S. Brock I. Broer

R. E. Brown N. Brox

Register

16; 24; 130; 218; 280; 351; 352; 355; 356; 357; 358; 359; 360; 362; 363; 365; 366; 368; 369; 371; 372; 373; 374; 486; 499; 605; 613; 614; 617; 623 207; 208; 495; 514; 515; 516 346 111 625 226 135 513 250 215; 216; 217; 221 413 263 596 66 252 358; 360; 378 369 263; 296; 302; 303; 305; 306; 307; 308; 313 263; 296 338

F. F. Bruce K. Büchner F. Büchsel H. D. Buckwalter M. Bulgakov R. Bultmann C. Burchard E. Burck P. Burde C. F. Burney R. A. Burridge V. Burrus M. F.-J. Buss U. Busse T. C. Butler S. Butticaz H. J. Cadbury

N. Calduch-Benages A. Cameron

A. F. Campbell H. Cancik

105; 122 254; 258 310; 577 544; 545; 561 518 13; 14 267; 609 205 198 70 264; 383 360 102 455 87; 88 76 6; 280; 419; 429; 432; 437; 478; 486; 489; 500; 502; 505; 508; 517 132 278; 396; 399; 400; 401; 402; 403; 406; 409 105; 508 25; 42; 215; 217; 223; 229; 231; 233; 234; 235; 237; 278; 387; 444; 454; 519; 520; 524; 526; 527;

Autorenregister

L. Canfora L. Casson L. Cerfaux S. Chatman J. B. Chance A. Chatzis P. Cherix B. D. Chilton K. Christ W. v. Christ A. C. Clark K. Clarke R. J. Clifford M. Cogan S. Cohen H. Conzelmann

K. Cooper R. B. Coote M. P. Coote P. Courcelle R. R. Creech W. Crönert J. A. Crook F. M. Cross D. J. Crossan I. Czachesz E. G. Dafni A. C. Danto G. Dautzenberg P. R. Davies S. L. Davies S. T. Davis

529; 530; 531; 532; 535 328 302 371 509 264 208 353 617 255 344 280 194; 198 105 92 144 13; 17; 27; 112; 123; 280; 323; 353; 362; 364; 391; 441; 442; 565; 614 360 217 217 214 490 312 228 57 231 350 87 30; 332 606; 616 76; 432 360 217

A. Debrunner R. Deines A. Deissmann D. del Corno H. Delehaye G. Delling A. Demandt C. den Hertog R. I. Denova J. Derrida D. A. de Silva A. Deutschmann M. Dibelius

W. Dietrich A. Dihle J. Dingel C. H. Dodd D. Dodson J.-D. Döhling S. Döpp H. Dörrie C. Dogniez G. Dorival D. Dormeyer

673 483; 491; 613 7; 570; 575; 583; 584 296; 300; 312 135 355 104; 105 332; 306 87; 88 27 497 102; 112 588; 594 1; 3; 10; 27; 29; 111; 301; 356; 357; 366; 437; 438; 441; 507; 511; 514; 582; 600 57; 72; 74 198; 208; 245; 252; 461; 474 270 109; 299 132 131 249; 252 83 90 91 25; 220; 263; 264; 265; 383; 445; 446; 448; 454;

674

R. Drews H. J. W. Drijvers A. J. Droge J. G. Droysen L. Doutreleau W. Düsing M. Dumais D. S. Duncan J. D. G. Dunn J. Dupont

J. I. Durham M. Durst D. S. duToit J. Ebach M. Ebner W. Eckey W. Edelmaier C. Edwards H. Eger F. Egermann O. Eissfeldt N. Elliott E. L. Ehrlich H.-C. Emmelius H. Engel E. J. Epp K. Erlemann

Register

458; 461; 465; 472; 474f.; 617 194 369; 399 25; 498; 503 10; 31; 185 380 242 102 300 15; 19; 241; 621; 622 108; 124; 358; 364; 366; 370; 420; 507; 552 86; 92 331 562 86 306; 307 27; 459; 476 251; 253; 258; 260 247 402; 417; 419 189 55 231; 232 131 12 87; 90 313 617

J. Ernst T. Eskola P. Esler C. A. Evans R. J. Evans T. V. Evans R. Faber J. Farrell W. Fauth G. D. Fee D. Fehling P. Feine L. H. Feldman I. Finkelstein G. Fischer J. A. Fitzmyer

D. Flach F. J. Foakes-Jackson W. Foerster C. W. Fornara M. Frenschkowski C. Frevel J. Frey A. Fridrichsen J. Fried G. Friedrich R. E. Friedman B. W. Frier S. J. Friesen K. von Fritz

545 606; 622 582 605; 614; 617; 621 63 86 233 278 260 297; 309 189 300 106; 142; 143; 465 54; 71 95 9; 27; 103; 110; 112; 280; 418; 419; 482; 483; 490; 557; 559 451 280 271 278; 280 131; 135; 136; 147; 152; 155 59 5; 7; 561; 625 356; 373 32 296 75 206 318 189; 196; 201

Autorenregister

H. Fuchs M. Fuhrmann T. Fuhrer H. Funke E. Gabba F. Galindo H. GanserKerperin W. W. Gasque B. R. Gaventa W. Gebhard H. S. Gehman H.-J. Gehrke M. Geiser G. Genette J. C. Geoghegan D. Georgi A. Georgiadou C. Gerber J. C. Gertz G. Gervinus M. Gielen

G. Gilbert C. Ginzburg K. M. Girardet G. Glockmann O. Glombitza J. Gnilka

R. K. Gnuse

211 201 201 248 496; 515 263; 454; 458 590 441 266; 492 522 92 183; 230; 530 246; 255; 256 375; 497f.; 505; 517 57 216; 224; 232; 235 278; 285 448 59; 76 185 297; 302; 303; 304; 305; 306; 307; 309; 311; 313 216; 232 279 407 217; 219 105 296; 299; 300; 301; 303; 304; 617 130; 131;

M. Görg J. Goldingay J. A. Goldstein H. J. Goertz M. Goodman B. Gosse E. Gräßer

J. A. Grassi A. Grafton R. Grant J. B. Green A. Gregory E. S. Gruen E. L. Gruenstein W. Grundmann R. Güngerich M. Günther J. M. Gundry Volf K. R. C. Gutzman P. M. Gy K. Haacker P. Hadot G. Häfner

R. von Haehling E. Haenchen

675 136; 137; 142; 143; 546 90 106 127 10; 11; 31 120 66 11; 18; 353; 438; 473; 614; 618; 619 552 341 423; 424 489 380 129 105 99 256 297; 302; 319; 321; 325 606 409 372 620 400 10; 33; 398; 446; 454; 471; 472 446; 450; 451; 455 15; 28; 103; 110; 123; 159; 216; 280; 322; 323;

676

S. Hagene F. Hahn F. Halkin J. Hall S. G. Hall G. L. Hammond N. Hannestad J. S. Hanson G. Harbsmeier A. von Harnack

J. A. Harrill L. Hartman F. Hauck H. J. Hauser J. Hausmann J. H. Hayes T. Heckel U. Heckel R. Heckl C. Heil B. Heininger

C. J. Hemer

K. W. Hempfer M. Hengel

Register

334; 353; 359; 391; 418; 441; 490; 570; 591; 600 543 7; 12 351 278 401 199 516 138; 546 606 5; 6; 7; 110; 280; 358; 419; 507 307 107 579 418 131 272 89; 95 296; 297; 305; 309; 545 65 488 130; 132; 146; 147; 150; 152; 264; 265; 460; 555; 607 6; 27; 35; 263; 418; 470; 473; 508 223 1; 5; 6; 7;

R. Hercher E. Herkommer F. Hesse A. Heubeck F. Heubner H. Heubner

G. Highet S. Hillebrand J. Hintermaier H. F. Hitzig K. Hitzl C. Y. S. Ho H.-D. Hoffmann O. Hofius H. Hofmann P. L. Hofrichter G. Hölscher J. Hollerich P. Holloway S. Holmes T. Holtz M.-C. Holzbach

R. P. Hoogma K. Hopkins F. W. Horn S. Hornblower W. Horbury

8; 9; 17; 20; 28; 38; 336; 337; 342; 384; 442; 445; 456; 618; 609 209 488 616 187 255; 257 246; 247; 250; 251; 253; 256; 258; 259; 260; 261 278; 281 250 270 301 516 55 71 619; 620; 622 461; 463 217 52 396 25; 238 88 583 264; 265; 437; 443; 459; 465; 466 219 514 304 189 216; 219

Autorenregister

M. Hose G. Hübinger H. Hübner J. Hughes K. Huizing J. Huizinga W. v. Humboldt A. Hummel R. Hurschmann L. Hurtado G. Iggers J. Irmscher H. Jacobson F. Jacoby

M. R. James W. Jamieson-Drake D. Janzen S. Japhet J. Jeremias J. Jervell

R. Jewett J. Jeska N. Johannsen C. Johnson T. Johnson A. H. M. Jones C. P. Jones J. Joosten

23; 194; 197; 208; 211; 346 185 619; 623 91 266 63 31 272 260 334 278 106 184; 189; 196; 278; 337; 344; 456; 540 106 54 58; 75 429; 430 589; 590; 596 1; 7; 19; 27; 280; 565; 581; 582; 586; 600; 609; 612; 614; 618 620 155 496 369 27 401 278; 283 93

B. Jürgens F. Jung É. Junod E. Käsemann J. D. Kaestli W. C. Kaiser, Jr. I. Kalimi E. Kamlah R. Kany M. Karrer R. Kasser R. A. Kaster R. Katzoff B. N. Kaye E. Kellenberger J. N. D. Kelly G. Kennedy F. Kermode A. H. M. Kessels M. Kiel E. Kilian R. Kirchner G. Kittel R. Kittel W. Klaiber T. Klampfl H.-J. Klauck G. Klein H. Klein R. Klein H. Kleinknecht M. Klinghardt F. Klingner E. Klostermann

677 563; 579; 588 624 351; 353; 356; 359 13 353; 356; 360 107 80; 81 557 24; 342 605; 614; 615 353 278 313 6 612; 616; 620 424; 428 400 510 132; 136 237 621 255 313; 405 52 557 488 42; 555; 557; 617 485; 486 476 429 557 571; 577; 578; 582 204; 245 478; 482

678 E. A. Knauf W. L. Knox D. A. Koch K. Koch U. H. J. Körtner H. Koester

B. J. Koet L. KötzscheBreitenbruch S. Koster W. Kraus S. Kreuzer R. G. Kratz S. Krauter S. Kreuzer K. Krieger W. G. Kümmel

J. Kürzinger M. Labahn M.-J. Lagrange A. Laird K. Lake P. Lampe G. P. Landmann F. Lang M. Lang

Register

59 280 619 90 331 5; 15; 359; 373; 375; 380; 383; 507 148; 156; 216; 220 414 221; 222 625 92 59 7; 23; 550 78; 87 448 11; 299; 302; 303; 305; 442; 565; 582 484 90; 272 482 278 280 296; 318; 617 488 619 24; 244f.; 248; 249; 255; 258; 259; 260; 264; 266; 270; 271; 273; 460; 467-470

A. Lange H. Langkammer W. J. Larkin Jr. D. H. J. Larmour J. Latacz H. Lausberg A. Le Boulluec R. Le Déaut R. Leeb V. A. Lehnert P. Lejeune O. Lendle J. C. Lentz F. Leo V. Leppin G. E. Lessing A. C. Levi C. Levin S. Lieberman H. Lietzmann J. B. Lightfoot R. H. Lightfoot B. Lindars J. Lindblom A. Lindemann H.-G. Link R. A. Lipsius H. Lisco H. Liss K. D. Litwak S. R. Llewelyn K. Löning N. Lohfink E. Lohmeyer E. Lohse A. Loisy

132 593 545; 548; 558; 559; 560 278; 285 226 476; 485 88 96 413 605; 614; 617 497 79; 452; 471; 475 269; 607 250; 400 130 439 516 53 89 7 6 353 109 131; 146; 354 551; 553 596 360 299 613; 616; 620 483 307 27; 592 60 299; 300 625 280

Autorenregister

R. Loock C. Lorenz F. Loretto G. Lüdemann T. J. Luce T. Luckmann O. Luschnat D. R. MacDonald W. Macheiner M. D. Macleod G. W. MacRae R. Maddox C. P. März B. Maier J. Maier A. J. Malherbe J. Malitz D. Marguerat

J. Marincola I. H. Marshall A. Martin W. Marxsen S. Mason E. Massaux H.-P. Mathys C. R. Matthews S. Matthews C. Maurer P. K. McCarter W. J. McCoy

183 32 134; 143 14; 280 278; 461 279 187 16; 216221; 351; 360; 366 301 278 545; 550 359 462 130 84; 132 216 191; 194 1; 3; 16; 17; 27; 29; 32; 35; 114; 397; 419; 457; 458; 459; 482; 490 187; 206; 291; 337 280; 478; 482; 483 427 561 454 373 70 370; 371; 376 365 350 89 27

S. M. McDonough S. L. McKenzie W. A. Meeks A. Mehl M. Meiser B. Meissner K. Meister

P. H. Menoud R. Merkelbach S. Merkle E. H. Merrill B. M. Metzger E. Meyer W. Michaelis J. B. F. Miller P. C. Miller E. Mioni M. Mitchell A. Mittelstaedt S. Mittmann U. MittmannRichert H. Moatti-Fine D. P. Moessner S. Mohm A. L. Molinari J. Molthagen

679 216 58; 72 528 252; 471; 472 22; 94; 276; 565; 566; 567 184 79; 184; 185; 190; 199; 200; 203; 451; 452; 453; 474; 540 357 199 207 103 103; 565 7; 51 297; 299; 300; 303 546; 547; 549 355 186 217; 219; 224 29; 159; 397 59 611 87 419; 486; 487 189 358 16; 23; 159; 167; 168; 169;

680

Register

W. G. Müller M. J. Mulder J. Munck F. J. Murphy J. MurphyO´Connor F. Mußner H. Musurillo F.-H. Mutschler

173; 178; 179; 180; 449 191; 198; 265; 278; 340; 474 92 351; 360; 370 279 130 464; 523 544 24; 334; 391; 495; 504; 505; 508; 514 25; 396; 405; 406; 407 464; 465 571; 572; 573 295; 296; 298; 300; 303; 304; 322; 323 241 92 280 106; 107 390 484; 582; 606 549 255

W. Neil R. D. Nelson J. Nentel H. Nesselhauf M. Neubrand

281 57 69; 70 250 574; 584;

A. Momigliano J. A. Montgomery F. Morard J. R. Morgan C. Morgenthaler R. Morgenthaler C. F. D. Moule C. Mount

A. Müller C. G. Müller K. Müller U. B. Müller

R. Nicolai K.-W. Niebuhr T. Nipperdey A. D. Nock K. L. Noll J. Nolland R. Noormann E. Norden M. Noth P. T. O´Brien M. Öhler A. Önnerfors A. Oepke L. Olbrechts-Tyteca S. M. Olyan H. Omerzu

E. Otto F. Overbeck

O. Padilla J. Pakkala D. W. Palmer D. Pao H. W. Parke L. Parmentier M. C. Parsons K. C. Patton

585; 588; 590; 593; 595; 596 191 625 9 280; 512 59 478; 485 380 279; 511 55; 56; 57; 60 297 591; 599 133 131; 150 279 64 9; 24; 238; 269; 300; 301; 315; 317; 319; 321; 322; 326; 608 61; 64; 72 12; 281; 343; 439443; 523; 570 271 58 27; 264; 397 356; 363 191 427 218; 264; 382; 550 377

Autorenregister

H. Patzer D. Pausch L. Pearson P. Pédech C. B. R. Pelling T. Penner C. Perelman L. Perkins W. Perné R. I. Pervo

R. Pesch H. Peter G. Petersmann E. Peterson N. Petrochilos K.-E. Petzold R. Pfeiffer F. Pfister T. E. Philips T. B. Phillips O. Pichler P. Pilhofer C. A. J. Pillai P. Plass E. Plümacher

188 248 199 199 193; 284 216; 230; 316 279 95 252 15; 16; 28; 29; 103; 112; 150; 218; 264; 265; 315; 316; 350; 351; 354; 372; 376; 382; 472; 503; 515; 542 164; 281; 411; 442; 565; 582 192; 200 252; 276 364 120 206 83; 84; 85; 93 419 218 15; 18 607; 609; 610; 611 236; 269 102; 104; 111; 112 279 1; 3; 17; 27; 28; 39;

P. H. Poirier P. Pokorný

T. Pola E. E. Popkes S. E. Porter G. Poupon S. M. Praeder P. Prestel J. M. Prieur A. de Pury M. C. J. Putnam R. B. Rackham G. von Rad U. Rademacher W. Radl H. Räisänen

681 164; 165; 170; 217; 218; 224; 225; 229; 238; 264; 316; 328; 397; 453; 457; 458; 459; 474; 485; 508; 540; 541; 542; 610; 613; 614; 618 363 19; 123; 296; 297; 305; 309; 462; 545 90; 91 20; 25; 241; 617; 620; 621 39; 218; 508 358; 359; 370; 372 216; 218; 508 86 352; 353; 356; 370; 610 56; 70 240 281 51; 52 245 361; 464; 478 617

682 W. Raible M. Rake W. Ramsay L. Ranke B. M. Rapske

E. Rawson M. Reasoner S. Rebenich G. Rechenauer R. Reck J. L. Reed F. Rehkopf K. Reich M. Reichel W. Reinbold K. Reinhardt E. Reinmuth M. Reiser

G. Resch M. Rese W. Richter P. Ricœur R. Riesner G. Riley V. K. Robbins J. A. T. Robinson G. Röhser

Register

182 67 419 9 35; 269; 272; 301; 302; 307; 312 120 216; 219; 387; 520 184; 411; 412; 414; 415 188 302 231 90; 476; 483; 491; 613 460 198 269 196 106 216; 224; 232; 272; 335; 338; 460; 461 566 108; 614 67; 245 32 29; 264; 457; 458; 551 367; 373 486; 508 419 606; 616; 619; 620; 623

F. Römer T. Römer

H. N. Rösel M. Rösel W. Rösler R. Rollinger J. Roloff C. Ronning W. Rordorf M. Rose D. J. A. Ross B. Rost C. K. Rothschild

J. I. G. Roulez A. Rousseau G. Rouwhorst A. Ruck-Schröder T. Rudnig W. Rudolph J. Rüsen U. Rütten G. Ruhbach D. Rusam

460 22; 56; 60; 61; 64; 66; 67; 68; 70; 73 59 86; 88; 89; 90; 91; 94; 130 31 450; 451 96; 164; 267; 442; 600; 607 413 349; 352; 372; 374 53 199 25 22; 24; 28; 216; 227; 229; 277; 316; 386; 398; 421; 470; 495; 541 208 380 357 553; 554; 556 54 589 10; 32; 185 279; 282 400; 402; 414 10; 263; 475; 591; 595; 596;

Autorenregister

G. Rusch K. S. Sacks D. Sänger J. T. Sanders P. Sandevoir K. O. Sandnes F. Santoro l´Hoir C. Scardino K. Schäferdiek C. Schäublin A. Schart M. Schauer K. H. Schelkle P. Scheller W. Schenk G. Schepens A. Scherer M. J. Schierling S. P. Schierling G. Schille D. Schinkel C. Schlund T. Schmeller H. H. Schmid J. Schmid K. Schmid W. Schmid D. D. Schmidt E. A. Schmidt K. L. Schmidt W. H. Schmidt J. Schmitt U. Schmitzer W. Schneemelcher

605; 609 246 194; 198 607; 622 615 88 217; 220 399 259 351 133 87 256 215; 219 201 296; 298 193; 198; 203; 251 56 218 218 28; 165; 270; 281; 600 318; 319; 321; 324 86; 89; 94 309; 606 53 299 53; 57; 64; 66; 73 196; 344 42; 477 228; 242 6 96 109 245; 443 309; 317; 329; 352

C. Schneider G. Schneider

H. Schneider U. Schnelle

P. Scholz S. Schorch S. Schorn M. Schrage W. Schrage S. Schreiber J. Schröter

E. Schürer H. Schürmann C. Schulte S. Schulz H. Schwabl K.-H. Schwarte D. R. Schwartz

683 184 103; 111; 112; 281; 359; 438; 442; 484; 565; 582 407 263; 295; 296; 299; 302; 303; 305; 313; 606; 619; 622 250 86 195 205 308 269; 539; 551; 553 1; 10; 21; 27; 30; 39; 159; 162; 167; 178; 229; 239; 241; 265; 267; 315; 397; 398; 400; 410; 437; 438; 441; 444; 481; 540; 555; 606; 611; 613; 614; 623 339 478 318 579 189 253 23; 121;

684

E. Schwartz S. Schwartz E. Schweizer A. M. Schwemer H. Seebass O. Seel M. I. Seewann M. Sehlmeyer R. Selinger P. Seul S. Shauf W. H. Shepherd A. N. SherwinWhite F. Siegert J. Sievers N. A. Silberman H. W. Simons K. Six D. Slingerland T. A. Szlezák E. M. Smallwood R. Smend J. Z. Smith M. L. Soards T. Söding J. G. Sommer H. Sonnabend E. A. Speiser A. Sperber W. Speyer G. M. Spiegel K. Spronk J. T. Squires R. Staats

Register

123; 129 194; 201 323; 324 559 6; 8; 9; 550; 618 53 210; 211 606 191 319 265; 272 28; 267; 323; 543 609 419 88; 92; 622 122 54; 71 279 411; 566; 598 390 230; 231 125 57; 58 377 102; 105 455 570 461; 471 85 616 107 31 67 30; 397 401; 405; 408; 412; 413; 415

G. Stabile P. A. Stadter A. Städele O. Stählin H.-P. Stahl W. Stegemann P. Steinmetz G. Steins G. Stemberger J. Stenger P. Stepp G. E. Sterling

C. Stettler G. J. Steyn H.-J. Stipp R. F. Stoops H. Strasburger J. Straub L. Strauss R. Strelan

H. Strutwolf B. Studer P. Stuhlmacher W. Suerbaum S. Swain M. A. Sweeney R. Syme P. Szondi

215 202 252 344 188 610; 611 250; 253 80 86 208 16 18; 19; 22; 28; 101; 113; 217; 227; 265; 316; 459; 481 624 609 94 322 183; 279 413 347 216; 308; 314; 321; 325; 542; 543; 544; 547; 558 409 400; 416 306; 307; 611 223; 226; 227; 234; 238 323; 347 57; 73 210; 253; 269 242

Autorenregister

H. W. Tajra C. H. Talbert

R. C. Tannehill W. Telfer W. Theiler G. Theißen M. Theobald W. Thiessen C. M. Thomas L. L. Thompson C.-J. Thornton M. Tilly D. Timpe

Y. Tissot K.-H. Tomberg R. Tomes E. Tov C. Trebilco

H. Treiber G. R. Treloar B. Trémel D. Trobisch É. Trocmé D. T. Tsumura C. M. Tuckett

301; 353; 419; 608 16; 28; 216; 218; 272; 281; 460; 523 242; 438; 589; 600 400; 416 196 442f.; 444 296; 298; 304 303; 310; 314; 322; 325 352 7 8; 459; 508; 608 90; 96 1; 159; 166; 204; 401; 416; 417; 452; 454 363 208 51 88; 95 236; 314; 317; 319; 321; 322; 325 522 6 370 504; 509 358 89 544f.; 559; 560; 561

685

A. J. Turner J. B. Tyson

250; 252 14; 216; 241; 382; 503

J. Ulrich

401; 410; 416; 417 252 252

R. Urban C. Urner M. Vahrenhorst J.-M. van Cangh A. van der Kooij M. N. van der Meer H. van de Sandt J. W. van Henten R. G. A. van Lieshout J. Van Seters H. van Thiel W. C. van Unnik

T. Veijola P. Veyne M. Vielberg P. Vielhauer

F. Vittinghoff M. Völkel M. Vogel S. Vollenweider C. vom Brocke A. Vonach K. von Fritz L. Vouaux

605; 614 356; 363 78; 89; 91 88 102; 108 119 132 53; 54; 55; 58; 63; 65 83; 93 239; 267; 277; 281; 378; 485; 486; 489 56; 67; 69 517 253; 261 12; 110; 296; 299; 389; 508; 606 393; 405; 407 63; 484 23; 154 150 236 90 537 352

686 H. Wagner J. R. Wagner H. Waitz P. W. Walaskay F. W. Walbank C. Walde G. Walser N. Walter U. Walter I. Wandrey D. A. Warren G. Wasserberg J. B. Weaver B. Weber E. Weber G. Weber M. Weber A. J. M. Wedderburn M. Wegner J. Wehnert

F. Wehrli O. Weinreich A. Weiser P. Weiß M. Weissenburger L. L. Welborn J. Wellhausen U. Wendel G. J. Wenham C. Westermann

Register

183 620; 621 570 120 187; 201; 202; 203; 291 130; 132 245; 254; 260 92; 296 204; 205 130 352 317; 320; 605; 609; 610; 617 43; 270 105 96 132; 135; 143 526 8; 38; 220; 266; 442 516 8; 411; 508; 567; 568; 569; 581; 585 533; 535 270 28; 148; 457 407 279; 282 509 92; 495 176 92 58

W. M. L. de Wette J. W. Wevers H. White J. A. Whitlark P. Wick W. Wiefel A. Wifstrand A. Wikenhauser U. Wilckens H. Wildberger F. Wilk M. Williams J. Wilson N. Wilson H. Windisch F. Winkelmann

D. Winter G. Wirth O. Wischmeyer W. Wischmeyer D. J. Wiseman T. P. Wiseman B. Witherington

A. Wlosok D. Wördemann W. Wolf

1; 4; 17 85; 86; 92; 94 10; 31; 185 550 297 98 224 147; 149; 150; 350; 355 102; 105; 111; 112; 295; 366 590 89; 552; 620 341 189 84 310; 311 393; 395; 399; 400; 401; 402; 416; 417 444 199 339 396; 413 92 186; 204; 279; 423; 496 28; 263; 572; 574; 576; 577; 578; 600; 602 240 464 496

Autorenregister

C. Wolff H. W. Wolff M. Wolter

A. J. Woodman C. Wooten A. L. Wordelman E. Würthwein

310 87 2; 8; 25; 34; 38; 41; 222; 263; 267; 268; 306; 307; 334; 477; 483; 485; 487; 489; 490; 491; 492; 493; 539 141; 189 290 220 59; 72

Y. H. Yerushalmi K. L. Younger, Jr. E. ZachariadesHolmberg T. Zahn E. Zeller D. Ziegler K. Ziegler J. Zmijewski J. Zumstein

687 126 61 352 281; 419; 445; 478; 480 5 265; 466 186; 187; 188; 189; 270; 271 28; 442; 612 370

3. Register zu antiker Historiographie Annalen (s. Chronologie) Anonymität ‒ des auctor ad Theophilum ‒ frühchristlicher Schriften ‒ im Werk des Lukian Apokalyptik Apokryphe Apostelakten Apologetik / apologetische Elemente (s. auch: Geschichtsschreibung, apologetische) ‒ christliche und innerchristliche ‒ bei Euseb von Caesarea ‒ israelitische und innerjüdische ‒ bei Josephus ‒ bei Lukas ‒ in Tacitus´ Agricola Augenzeugenschaft (s. auch: Zeugenschaft) ‒ in antiken Texten ‒ des auctor ad Theophilum ‒ in frühchristlichen Texten ‒ im lukanischen Doppelwerk Autopsie (s. Augenzeugenschaft) Autorisierung, historiographische Biographie / biographische Elemente ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte ‒ Herrscherbiographie

2; 25; 505f. 383f.; 509f. 512f. 82; 130; 340; 345; 370f.; 550 27f.; 329f.; 349-379; 397

343f.; 380-382 401f.; 416f. 82 140; 459 17f.; 322; 325; 459 252f. 38; 41f.; 187; 207; 316; 394f.; 399; 447; 450; 501 8; 34f.; 38; 162; 394f.; 397; 499-504; 506-508; 517; 618 510f. 38; 41f.; 113; 316; 336f.; 385f.; 395; 487; 539 187; 204; 207; 385; 496; 499-504; 510f.; 517; 541 193; 195; 198f.; 211-213; 262; 265; 460ff. 329; 354 16; 28; 217; 267; 274; 337f.; 398; 443; 461; 464-468 135; 462-464

Register zu antiker Historiographie

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

bei Josephus im Lukasevangelium Parallelbiographien des Plutarch Philosophenbiographie Prosopographie in Tacitus´ Agricola in der Vita Constantini des Euseb

Chronographie Chronologie ‒ Annalen ‒ Pauluschronologie ‒ Synchronien bei Euseb ‒ Synchronisation in der Apostelgeschichte Deutung (s. Interpretation) Dichtung (s. auch: Roman) ‒ Verhältnis zur Geschichtsschreibung Dokumentation, historische Drama / dramatische Elemente (s. auch: Episodenstil, dramatischer) (s. auch: Geschichtsschreibung, dramatische) ‒ in der Apostelgeschichte ‒ bei Josephus ‒ in der paganen Geschichtsschreibung Endzeit (s. Eschatologie) Enkomion / enkomiastische Elemente ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in der Einschätzung des Lukian ‒ in Tacitus´ Agricola ‒ in der Vita Constantini des Euseb Episodenstil / dramatischer ‒ der Aeneis ‒ in antiker Literatur und Geschichtsschreibung

689

143; 465 16; 217; 464f. 134; 264f.; 346; 462-465 16; 462-464 378; 464f. 250f.; 262 399f.; 403; 417 330; 340; 341; 345 186f.; 193; 341f.; 353; 440 186f.; 204; 207 305; 390 341f. 2f.; 389-392

30; 36-39; 200-203; 210; 266f.; 285; 287f. 7; 17; 20; 32-35; 42; 175; 283; 401

28; 149; 317; 324f.; 390; 466f.; 474f. 138; 140; 474f. 185; 200; 245; 280; 324; 451; 471f.; 540 470 267f.; 469f. 285; 288 250f. 399-401; 403 216 461; 464; 466; 474

690

Register

‒ der apokryphen Apostelakten ‒ der Apostelgeschichte ‒ der Evangelien Epochen ‒ im Deuteronomistischen Geschichtswerk ‒ im lukanischen Werk Epos / epische Elemente ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ die Apostelgeschichte als Prosaepos ‒ Begriff des E. ‒ historisches ‒ Merkmale des E. ‒ mythologisches ‒ Theogonie des Hesiod Erfüllung Erinnerung und Gedächtnis Erzählung (s. Epos; s. Roman) Eschatologie ‒ in der Aeneis ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte ‒ im frühen Christentum ‒ im Römerbrief Ethnographie / ethnographische Elemente ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in Josephus´ Antiquitates ‒ in Tacitus´ Agricola Euseb von Caesarea Exemplum, persönliches ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in Josephus´ Bellum ‒ in Plutarchs Biographien

353; 357f.; 375 28; 216; 314; 323; 353; 357f.; 375; 390-392; 397f.; 464; 466; 474f.; 492; 523; 536 383; 464 60; 63; 64-74 112f.; 226; 442; 483; 490; 613 170f.; 443; 471f. 217; 220; 231f. 221-223 226 221; 226; 229 231 170f. 113; 229; 233; 239; 376; 442; 482f.; 593 32; 176; 205; 262; 274; 368; 450 233 370f. 233; 370; 559; 571; 585f.; 588-597; 610; 615; 624f. 343 622-625 274; 337; 386; 459 459 262 329; 330; 332; 341f.; 344; 384-387; 389; 392; 423-425 276; 401; 465f.; 468; 550 141 463f.; 468

Register zu antiker Historiographie

691

‒ in der Septuaginta ‒ in Tacitus´ Agricola ‒ in der Vita Constantini des Euseb Exkurse in antiken Geschichtswerken

96f. 252f.; 256-259; 261f. 401; 417 165; 193; 195f.; 208; 251; 446f.; 463; 464; 472; 519

Fälschung und Lüge, historiographische Fiktionalität / fiktionale Elemente ‒ in der israelitischen Geschichtsschreibung ‒ in Josephus´ Bellum ‒ bei Lukas

200; 206; 209; 285; 421f.; 496; 504; 513

‒ in der paganen Geschichtsschreibung ‒ Verhältnis zur Geschichtsschreibung Form, literarische (s. Gattung) Fortsetzung (s. auch: Kontinuität) ‒ antiker Geschichtswerke ‒ der Apostelgeschichte ‒ der Evangelien ‒ des Lukasevangeliums in der Apg Gattung ‒ der Apostelgeschichte ‒ Begriff ‒ der Evangelien ‒ von Tacitus´ Agricola ‒ der Vita Constantini des Euseb Gedächtnis (s. Erinnerung und Gedächtnis) Gegenwart ‒ Aktualisierung, historiographische ‒ des Autors ‒ des Lesers ‒ im Ersten und Zweiten Makkabäerbuch

444 141 8-11; 18; 22-25; 321; 386; 458f.; 504; 507; 513-517; 542 204-207; 444; 514-516 10f.; 185f.; 200f-206; 213; 386; 444; 495-498; 512-517 196f.; 210; 213; 225; 233; 328-329 327-348; 372; 375; 419 11f.; 333; 376 12; 437f.; 359; 437f.; 442f.; 481f.; 520; 543f. 15-18; 220; 264-269; 337f.; 397f.; 403; 437-475 182f.; 223-225 2; 16; 339; 439; 445; 464; 470 250-253; 262 399-403

89-92; 98f. 35f.; 156; 168; 169f.; 177f.; 229; 340; 482-484; 594 79; 227f.; 239; 468; 561 127

692

Register

‒ Verhältnis zur Vergangenheit ‒ Verstehen der G. Genealogie Geographie / geographische Elemente Geschichte ‒ Heilsgeschichte (s. dort) ‒ Institutionsgeschichte ‒ Israels (s. Heilsgeschichte) ‒ Kulturgeschichte ‒ Universalgeschichte (s. dort) ‒ Ursprungsgeschichte ‒ Weltgeschichte Geschichtsdeutung (s. Interpretation) Geschichtsschreibung ‒ apologetische (s. auch: Apologetik) ‒ dokumentarische (s. auch: Dokumentation) ‒ dramatische (s. auch: Dramatik) ‒ erklärende ‒ kritische / kritisch-pragmatische (s. auch: Kritik) ‒ mimetische (s. auch: Mimesis) ‒ pathetische / kritisch-pathetische ‒ poietische (s. auch: Identitätsstiftung) ‒ politische ‒ pragmatische (s. kritische) ‒ rhetorische (s. auch: Rhetorik) ‒ theologische (s. auch: Geschichtstheologie) ‒ tragische / tragisch-pathetische (s. auch: Tragik)

32; 35f.; 76; 81f.; 169; 172; 177f.; 340; 440; 442; 483 76; 79; 82; 169; 177f. 92; 170f.; 208f.; 429 112; 194-196; 353; 398; 472; 609f. 520-522; 525-530 388; 532 19; 33; 91f.; 223; 232; 337; 348 2f.; 19; 210f.; 341; 345-347; 370; 448; 459; 532-534; 550 459 32 185 32 16f.; 185; 446; 448f.; 451; 455f.; 458f.; 470; 472- 475; 540 17; 397; 401; 449; 451-453; 456; 458; 471; 474; 540f. 442f.; 448; 449; 451-453; 456; 458f.; 466; 470; 472-475 32; 42f. 519 185 33; 173; 398; 402 17; 203; 211; 397; 451f.

Register zu antiker Historiographie

Geschichtstheologie (s. auch: Interpretation) ‒ der Aeneis ‒ des Deuteronomistischen Geschichtswerks ‒ frühjüdischer Geschichtsschreibung ‒ des Lukas ‒ der Septuaginta ‒ der Vita Constantini des Euseb Geschichtssummarium (s. Summarium) Geschichtswerk ‒ die Apostelgeschichte als G. ‒ Chronistisches ‒ Deuteronomistisches ‒ Merkmale eines G. Glaubwürdigkeit ‒ der Apostelgeschichte ‒ glaubwürdige Geschichtsschreibung ‒ der Heiligen Schrift ‒ paganer Geschichtsschreibung ‒ von Träumen Hagiographie Heilsgeschichte (s. auch: Geschichtstheologie) (s. auch: Verheißung und Erfüllung) ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ im frühen Christentum ‒ Israels ‒ im lukanischen Doppelwerk ‒ bei Paulus ‒ in der Vita Constantini des Euseb

693

218; 231-242 55f. 78-82 99f., 218; 231-242;382; 459; 469; 485; 543f.; 603f. 92-97 402; 416f.

4-18; 27-30; 32-35; 41-47; 130; 159; 265f.; 327f.; 393; 439-443; 473; 477 77-80 53; 55-76; 77; 80 17; 30-33; 36f.; 159f. 15; 231; 316; 459; 473; 541 15; 438f.; 441; 473 84; 96 189; 200; 205; 207; 209; 316; 447; 541 143f. 366; 403

362f. 19; 342-344; 381; 426; 440; 442 19f.; 51; 88; 588f.; 603f.; 620-625 13; 19; 20; 113-115; 169f.; 234; 362; 398; 403; 442f.; 543f.; 588f.; 603f. 622-625 402f.; 416f.

694

Register

Herodot Historiographie (s. Geschichtsschreibung) Homer-Philologie, antike Identitätsstiftung/-stärkung (s. auch: Geschichtsschreibung, poietische) Imitatio ‒ der Apostelgeschichte in den Apostelakten ‒ als Prinzip antiker Geschichtsschreibung ‒ der Septuaginta bei Lukas Intention (s. auch: Thema) ‒ des Herodot ‒ des lukanischen Geschichtswerks ‒ des Polybios ‒ des Thukydides ‒ der Vita Constantini des Euseb Interpretation der Geschichte (s. auch: Objektivität) ‒ als Element v. Geschichtsschreibung ‒ in der Aeneis ‒ im Deuteronomistischen Geschichtswerk ‒ in frühjüdischer Geschichtsschreibung ‒ bei Lukas Intertextualität Ironie ‒ in der Apostelgeschichte ‒ Begriff der I. ‒ in Lukians Historiographiewerk Itinerar Josephus

79f.; 134; 160; 163; 170172; 176; 193f. 80; 83f.; 85; 93; 95 18; 32; 223f.; 240; 324; 326; 335 374 223-225; 290f. 19; 97; 224f.; 335f.; 474f. 176 17f.; 34f.; 38; 178-181; 325; 397; 543; 609 177f. 177 402; 417 10f.; 30-36; 203; 422; 543f. 227-229 60; 63; 76 80-82 3,42f.;47; 227-229; 543f. 88f.; 98; 217; 224; 232; 375; 403; 443-446; 467; 469; 475 146; 151; 152; 156; 241f. 241f.; 281f. 281-291; 346 268f.; 337; 340 41f.; 130-145; 151-156; 338340; 442f.; 446-449; 454456; 458f.; 465; 474f.; 478; 487; 500f.; 540

Register zu antiker Historiographie

Kanon / Kanonisierung Kausalität, historische Kommunikat, literarisches ‒ der Apostelgeschichte ‒ Begriff ‒ von Tacitus´ Agricola Konstruktion ‒ im Deuteronomistischen Geschichtswerk ‒ in Geschichtsdarstellungen ‒ im Werk des Lukas ‒ bei Polybios ‒ in der römischen Geschichtsschreibung ‒ bei Thukydides Kontingenz (s. Zufall) Kontinuität im lukanischen Doppelwerk (s. auch: Fortsetzung) ‒ zur bisherigen christlichen Überlieferung ‒ von Evangelium und Apostelgeschichte ‒ zur paulinischen Theologie ‒ zu Tradition und Geschichte Israels ‒ im Verlauf der Apostelgeschichte Konzeption ‒ der Aeneis ‒ der Apostelgeschichte ‒ des Deuteronomistischen Geschichtswerks Kritik ‒ historische und theologische ‒ Kulturkritik ‒ Lukaskritik ‒ Romkritik ‒ Tendenzkritik ‒ Traumkritik

695

331; 333f.; 379; 382; 392; 437; 447; 480f.; 522; 573 187f.; 317; 455 269-275 246 254-262 68; 71; 76 10f.; 31; 33; 34 13; 316; 321 187; 422 204 187

12f.; 81; 382f.; 385f.; 485f.; 489f. 482-484; 491-494; 523f.; 527f.; 543-545; 546-561f. 624f. 14; 225; 235; 398; 410; 442; 443; 490; 580-82; 603f.; 609f. 34; 47; 397 232f.; 234; 238; 240 165; 232f.; 238; 334; 562 56-58 31 6; 10; 35 11 5; 11 211; 231; 271; 345 4f. 131-133; 136; 139; 145; 153; 546

696

Register

linguistic turn Lüge (s. Fälschung und Lüge) Lukas als Historiker (s. Geschichtswerk) Lukian zur Historiographie Martyrium ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in der Kirchengeschichte des Euseb ‒ im Zweiten Makkabäerbuch ‒ des Stephanus Methodik, historiographische ‒ der Apostelgeschichte ‒ im Chronistischen Geschichtswerk ‒ im Hellenismus ‒ bei Herodot ‒ des historischen Erzählens ‒ bei Thukydides ‒ der Vita Constantini des Euseb ‒ der Zeitdehnung und Zeitraffung (s. dort) Mimesis (s. auch: Geschichtsschreibung, mimetische) Monographie, historische ‒ das lukanische Werk als h.M. ‒ Tacitus´ Agricola als h.M. ‒ Eusebs Vita Constantini als h.M. ‒ Ziel der h.M. Mythos / mythische Elemente ‒ in der Aeneis ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in den Genealogien des Hekataios von Milet ‒ bei Herodot ‒ vom leeren Land Israel ‒ bei Polybios ‒ in der Theogonie des Hesiod ‒ bei Thukydides ‒ Verhältnis zur Historie

31 36-39; 277-291; 346; 421; 488 349; 352; 354; 360f.; 374 119; 419; 549f. 330; 386 119; 121; 431 549f. 398; 403 80f. 278-280 79f. 332; 340f. 80; 184; 187; 457 399-403 202; 417; 451f.; 470 226; 337f.; 346; 459f. 17; 264-266; 441; 456f.; 459; 461 251f. 399 268

442;

225f.; 228; 238; 240 28; 37; 40; 52; 203; 208f.; 285 28; 34; 39; 43; 46; 230f.; 337 171 171f. 74 172 170f. 172f. 230f.

Register zu antiker Historiographie

697

Nutzen (von Geschichtsschreibung) ‒ nach Lukian ‒ als Motiv von Tacitus´ Agricola

288 251

Objektivität, historiographische (s. auch: Interpretation)

5; 9-11; 29; 63; 164; 401; 451

Panegyricus (s. Enkomium) Papias Parallelisierung ‒ von Erzählabläufen ‒ von Persönlichkeiten Paratext Paulusbild der Apostelgeschichte Paulusbriefe, Verhältnis zur Apostelgeschichte Personalisierung (als literarische Strategie) ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in Tacitus´ Agricola Perspektive auf Zeit und Geschichte (s. auch: Epochen; Heilsgeschichte) ‒ der Aeneis ‒ alttestamentlicher Geschichtswerke ‒ antiker Geschichtsschreibung ‒ der apokryphen Apostelakten ‒ der Apostelgeschichte ‒ im frühen Christentum ‒ Innen- und Außenperspektive ‒ paganer Geschichtsschreiber ‒ im rabbinischen Judentum Perspektivität (s. Interpretation) Philosophiegeschichte, Gattung der Plausibilität (s. Glaubwürdigkeit) Poesie (s. Dichtung) Polybios Prolog (s. Proömium) Proömium ‒ der Aeneis

330f.; 336; 384-387 395f.; 405 227 238; 395f.; 405; 462; 465; 469 496f.; 510; 517 8; 16; 18f.; 98f.; 267-276; 403-405; 469; 605f.; 624f. 4f.; 8f.; 12-15; 175f.; 315f.; 432f.; 606; 618f.; 624f. 269-276; 469 262; 275; 469 232f.; 239 56; 169; 210f. 440 362f.; 371f.; 368f. 169f.; 181; 233; 362; 368f.; 372 342-344 210f. 169; 197; 210-212; 532 340 338; 460f.; 463 79; 134; 161; 163f.; 166; 169; 172-174; 177f.; 187-192 37 232

698

Register

‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ der Apostelgeschichte ‒ ‒ ‒ ‒

in den Schriften des Euseb des Herodot in den Schriften des Josephus des Lukasevangeliums

‒ von Tacitus´ Agricola ‒ des Thukydides Prosopographie (s. Biographie) Pseudonymität Psychagogie ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in Tacitus´ Agricola Quellen und Überlieferungen ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ im Deuteronomistischen Geschichtswerk ‒ bei Lukas

‒ Tendenzen der Verarbeitung ‒ bei Thukydides Reden ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte

‒ im Deuteronomistischen Geschichtswerk ‒ in den Evangelien ‒ in der paganen Geschichtsschreibung

41f.; 222; 397; 441; 476478; 497-499; 532f. 382f.; 386; 388; 392; 453f. 478-480; 490-494; 508; 524 399; 404; 416 163; 166; 170; 176 41; 447 2; 9; 15; 25; 41f.; 46f.; 222; 382f.; 386f.; 388; 392; 397; 453f.; 457; 476-480; 482490; 495-506; 508; 523f. 254 166 306; 496; 498f.; 504; 508; 509f. 268; 398 249; 251f.; 262 358; 359; 368; 373-376 51-55; 58; 62f.; 69; 76 3; 7f.; 11-13; 19f.; 97f.; 100; 163-165; 219f.; 238; 316; 336f.; 398; 442; 458f.; 475; 484; 487; 569; 609f.; 618; 624 78-82; 83-97; 97-100 80; 187; 189; 398 356f.; 366-368 3; 29; 101-117; 224; 328; 356f.; 366; 397; 401f.; 464; 474f.; 585-603; 607f.; 610614 55; 60-62; 64-70 464 37; 39; 186; 189-191; 211; 259-263

Register zu antiker Historiographie

‒ in Tacitus´ Agricola ‒ in der Vita Constantini des Euseb Reisen ‒ in der Aeneis ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte Rezeptionsbedingungen ‒ der Apostelgeschichte ‒ historiographischer Werke in der Antike ‒ des Neuen Testaments ‒ der Vita Constantini des Euseb Rhetorik ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ in Josephus´ Bellum ‒ in der lukanischen Geschichtsschreibung ‒ in der Wertung des Lukian ‒ in der Vita Constantini des Euseb Roman / romanhafte Elemente ‒ in der antiken Literatur ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte Schicksal Schweigen (über Ereignisse) ‒ in der Aeneis ‒ in der Apostelgeschichte ‒ im Deuteronomistischen Geschichtswerk Subjekt (der Geschichte) Summarium ‒ bei Josephus ‒ im lukanischen Geschichtswerk Symbol / symbolische Elemente Synchronisation (s. Chronologie)

699

259-263 401f. 234f. 353; 355 234f.; 268f.; 353; 355 344-348; 392 191f. 467f. 417 185f.; 191; 279; 284; 447449; 451; 471f.; 476 141 20; 386; 398; 403; 470f.; 475 36-39 403 324; 398; 471f.; 498; 511; 515f. 27f.; 349; 365f. 15f.; 27f.; 324; 349; 365f.; 398; 472; 542 188; 229 238f. 76; 238f.; 314; 322f.; 326; 433 75f. 170-176; 212 155 155; 175f.; 397; 481 75; 92; 136; 221f.; 227f.; 233; 234; 236; 238; 241; 364; 488; 526

700

Register

Tacitus Teleologie ‒ der Apostelgeschichte ‒ des Ersten Makkabäerbuchs Tendenzkritik (s. Kritik) Thema (s. auch: Intention) ‒ der Aeneis ‒ der Apostelgeschichte ‒ bei Herodot ‒ bei Josephus ‒ bei Polybios ‒ bei Thukydides Theologie (s. Geschichtstheologie) Thukydides Tradition ‒ griechischer Geschichtsschreibung ‒ israelitisch-jüdischer Geschichtsschreibung ‒ römischer Geschichtsschreibung Tragik / tragische Elemente (s. auch: Geschichtsschreibung, tragische) ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ in der Apostelgeschichte ‒ Begriff des Tragischen ‒ Tragödie Traum und Vision ‒ in der Aeneis ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte ‒ ‒ ‒ ‒

in der hebräischen Bibel bei Josephus in paganen Texten bei Philo

170; 246-263; 275f.; 345; 388; 399; 447f.; 461; 519 122-124; 128f. 121f. 232f. 166-170; 179f.; 218; 232f.; 454f.; 457-459; 468f.; 474; 482; 520-525; 603; 610 165f.; 168 446 166; 169 166; 168f. 39; 79f.; 134; 161; 163f.; 166; 168f.; 172-174; 177; 184; 186-192 173; 178; 181; 342 40; 101; 173; 178; 339; 342 173; 181; 342; 345 40; 200; 203; 211; 212; 443; 471 242 242 40; 183; 190f.; 202f.; 242; 451f.; 443; 466 229; 234 354f.; 364; 368 130f.; 145-151-156; 174f.; 229; 354f.; 407f.; 544f.; 546551; 557f. 131f. 130f.; 136-145; 151-156; 546 132; 133-136; 546 132f.

Register zu antiker Historiographie

‒ Bewertung bei Polybios ‒ in der Vita Constantini des Euseb Traumkritik (s. Kritik) Tun-Ergehen-Zusammenhang Typologie Überlieferungen (s. Quellen) Universalgeschichte ‒ in der paganen Antike ‒ bei Josephus ‒ bei Lukas ‒ im Zweiten Makkabäerbuch Unterhaltungsliteratur ‒ die apokryphen Apostelakten als U. ‒ die Apostelgeschichte als U. ‒ Verhältnis zur Geschichtsschreibung Urliteratur Ursache (s. Kausalität) Ursprungsgeschichte (s. Geschichte) Vergangenheit ‒ Erforschung der V. ‒ Konstruktion der V. ‒ Lernen aus der V. ‒ literarische Verarbeitung von V. ‒ Verhältnis zur Gegenwart Verheißung Verschweigen (s. Schweigen) Verweis ‒ intertextueller V. ‒ Rückverweis ‒ Verweisstruktur in der Aeneis ‒ Verweisstruktur bei Lukas ‒ Vorverweis Vision (s. Traum und Vision) Vorbild (s. Exemplum; s. Imitatio)

701

458 396; 405-408 81 221; 227f.; 396

162; 193; 196-198; 345; 447; 461; 469; 471; 532 443; 448; 456; 459 119; 128f.; 455f.; 459; 469; 475 128f. 349; 376 15f. 191; 200-202 11; 439; 442f.; 473

183; 191 76; 164 76; 98f.; 172; 177f.; 227; 230f. 30-36; 56; 82 32; 35f.; 76; 81f.; 169; 172; 177f.; 340; 440; 442; 483 113; 170; 233; 239; 442; 482f.; 593 224 80; 81; 227; 256; 494 227f. 227f. 57; 65; 66; 80; 81

702

Register

Wahrheit ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ in der Gattung des Epos ‒ der lukanischen Geschichtsdarstellung ‒ Verhältnis zur Dichtung Wahrheitsverpflichtung, historiographische ‒ nach Lukian ‒ nach Polybios ‒ nach Thukydides Weltgeschichte (s. Geschichte) Wendepunkt(e) ‒ in der Apostelgeschichte ‒ im Zweiten Makkabäerbuch Wertevermittlung ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in Tacitus´ Agricola Wir-Passagen der Apostelgeschichte Wunder (s. Zeichen und Wunder) Zeichen und Wunder ‒ in der Aeneis ‒ in der antiken Geschichtsschreibung ‒ in den apokryphen Apostelakten ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in den Evangelien ‒ in der Septuaginta Zeit (s. Perspektive auf) Zeitdehnung und Zeitraffung ‒ in der Apostelgeschichte ‒ in Tacitus´ Agricola Zeugenschaft (s. auch: Augenzeugenschaft) Zufall

279f.; 288-290; 421; 450452; 471; 514f. 221; 227 4f. 200-203 36-38; 288-290 163f.; 172; 190f. 63; 163f.; 172; 190f. 3; 112; 119; 123f.; 317; 328; 610 119; 128 365f. 271-276; 365; 469 253; 254-263; 275f. 8; 38; 320; 328; 457; 459; 495f.; 506-508; 510f.; 517

229 196; 199; 208; 453; 540 356; 363f.; 373; 378 44f.; 167; 229; 356; 363; 453; 539-545; 551-556; 559f. 453 45 269 254 46f.; 108; 112; 370; 382f.; 398; 408 31; 187f.; 333

Register zu antiker Historiographie

Zukunft ‒ Ansage der Z. ‒ frühchristliches Verständnis ‒ Schau der Z. ‒ Verhältnis zu Vergangenheit und Gegenwart Zuverlässigkeit, historische

703

137; 140 343 141f.; 152; 229 169; 172; 177-179; 233; 340; 440 2-4; 10; 35; 36; 38; 41f.; 46; 137; 163; 178f.; 331; 343; 440; 485; 539; 589-592