Die Achtung des Fremden: Leerformel oder Leitprinzip im Internationalen Privatrecht? 3161625366, 9783161625367

Das Internationale Privatrecht ist als Teil der heimischen Rechtsordnung an deren wesentliche Grundsätze gebunden. Gleic

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Die Achtung des Fremden: Leerformel oder Leitprinzip im Internationalen Privatrecht?
 3161625366, 9783161625367

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Horatia Muir Watt — Reclaiming the “Dismal Swamp”: a Most Dangerous Method in the Conflict of Laws
Vanessa Grifo — Postmigrantisches Internationales Privatrecht: Identitätsjurisprudenz im Internationalen Familienrecht
Victoria Garin Giménez — An Account of Private International Law in Terms of Relativism
Shahar Avraham-Giller — Choice of Law Rule in Procedure and Overriding Mandatory Provisions: Opposite Trends?
Raphael Dummermuth — Zur Achtung des Fremden bei der Auslegung des Übereinkommens von Lugano
Selina Mack — Die Achtung des Fremden und der erbrechtliche ordre public: Ein Vergleich der Rechtsprechung zum deutschen und österreichischen Pflichtteilsrecht
Tess Bens — Mind the Gaps: Adaptation Mechanisms in the Intra-EU Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters
Tabea Bauermeister — Menschenrechte und Umweltschutz durch die Hintertür? Die internationalprivatrechtliche Dimension des Schadensersatz-anspruchs im Richtlinienvorschlag zur Corporate Sustainability Due Diligence
Sophia Schwemmer — Globale Nachhaltigkeitsstandards made in Brüssel? Drittstaatliche Unternehmen im CSDD-Richtlinienentwurf
Lena Hornkohl — (Miss-)Achtung des Fremden? – Extraterritoriale Drittstaatenregelungen, EU-Blocking-Statuten und deren Auswirkungen im Privatrecht
Autor*innenverzeichnis

Citation preview

Die Achtung des Fremden Leerformel oder Leitprinzip im Internationalen Privatrecht?

Die Achtung des Fremden Leerformel oder Leitprinzip im Internationalen Privatrecht?

Herausgegeben von

Florian Heindler und Martina Melcher in Gemeinschaft mit

Andreas Engel, Katharina Kaesling, Ben Köhler, Bettina Rentsch, Susanna Roßbach und Johannes Ungerer

Mohr Siebeck

Florian Heindler ist Assistenzprofessor an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Martina Melcher ist Assistenzprofessorin und Habilitandin an der Universität Graz.

ISBN  978-3-16-162536-7 / eISBN  978-3-16-163374-4 DOI 10.1628/978-3-16-163374-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Na­ tionalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.dnb.de abrufbar. © 2024 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfäl­ tigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Nach Tagungen in Bonn (2017), in Würzburg (2019) und – Covid 19-bedingt digital – in Hamburg (2021) fand die bereits 4. IPR-Nachwuchstagung am 23. und 24. Februar 2023 in Wien an der Sigmund Freud PrivatUniversität (in Kooperation mit der Universität Graz) zum Thema „Die Achtung des Fremden – Leerformel oder Leitprinzip im Internationalen Privatrecht?“ statt. Mit dem Fremden als Schibboleth für das subjektiv als andersartig Wahrgenommene im Kontrast zum subjektiv als vertraut Wahrgenommenen, hat die 4. IPR-Nachwuchstagung einen weiten thematischen Bogen gespannt. Dieser Bogen wird von dem Bedürfnis nach selbstkritischer Befassung mit dem Internationalen Privatrecht, Hinterfragen tradierter Lehrsätze und Rechtsprechungslinien, Nachdenken über Methode, Integration in Europa und in der Welt und nicht zuletzt auch von der Frage nach der Wahrnehmung der eigenen Rechtsordnung zusammengehalten. Der Einladung, an diesem diskursiven Nachdenkprozess und wissenschaftlichen und persönlichen Austausch teilzunehmen, sind rund 100 Nachwuchswissenschaftler*innen gefolgt. Die Eröffnung erfolgte methodisch innovativ und mit Tiefgang durch Vorträge von Vanessa Grifo und Victoria Garin Giménez zum postmigrantischen IPR und der Verwertbarkeit kulturrelativistischer Standpunkte im IPR. Daran schloss die Keynote von Horatia Muir Watt an, die in Fortsetzung ihrer Beschäftigung mit Alterität im Internationalen Privatrecht anhand der Metapher des „dismal swamp“ einen „ökosophischen (ecosophical)“ IPR-Ansatz zur Diskussion stellte. Es folgten Vorträge von Shahar Avraham-Giller, Raphael Dummermuth, Selina Mack, Tess Bens, Tabea Bauermeister, Sophia Schwemmer und Lena Hornkohl zu konkreten Fragestellungen des allgemeinen und besonderen Teils, wie dem kontrastierenden Einsatz von Eingriffsnormen und Rechtswahlregelungen (Shahar Avraham-Giller), dem erbrechtlichen ordre public (Selina Mack), dem RL-Vorschlag zur Corporate Sustainability Due Diligence (Tabea Bauermeister, Sophia Schwemmer) und extraterritorialen Drittstaatenregelungen (Lena Hornkohl), sowie im Kontext des Internationalen Verfahrensrechts zur Auslegung des LugÜ (Raphael Dummermuth) und zu Anpassungsmechanismen bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Entscheidungen (Tess Bens). Alle diese Vorträge und die stets lebhafte und wertschätzende Diskussion waren geprägt von der Reflexion über die Wahrnehmung des Fremden, ihrer Ausprägungen und deren Folgen. Um die Gelegenheit für Diskussion zu erweitern, teilte sich das Tagungspublikum ein Panel hindurch in drei Parallelgruppen, die mit Impulsreferaten von

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Vorwort

Stefano Dominelli, Michael Cremer, Adrian Hemler, Felix Aiwanger, Lukas Klever und Aron Johanson eröffnet wurden. Um die stets mit Recht geforderte Beachtung der Anwendungspraxis auch im Rahmen der Tagung zu gewährleisten, berichteten mit Dietmar Czernich, Georg Kodek und Judith Schacherreiter im IPR ausgewiesene Praktiker*innen in aufgelockerter Atmosphäre über ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen zur Achtung des Fremden in der Rechtspraxis – und stellten sich kritischen Fragen aus dem Publikum. Mit der Veröffentlichung der deutsch- und englischsprachigen Tagungsbeiträge in diesem Band können die im Rahmen der Tagung erarbeiteten Überlegungen und Fragen noch stärker in den wissenschaftlichen Diskurs einfließen. Großzügig finanziell unterstützt wurde die 4.  IPR-Nachwuchstagung – in alphabetisch-namentlicher Nennung – durch die Deutsche Notarrechtliche Vereinigung e. V., die Lindemann-Stiftung, den Nomos Verlag, Sernetz Schäfer Rechtsanwälte, die Sigmund Freud PrivatUniversität, die Stadt Wien, die Stu­ dienstiftung ius vivum und die Universität Graz. Der vorliegende Tagungsband wird erneut durch den Verlag Mohr Siebeck in äußerst freundlicher Weise gefördert. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! Wir freuen uns außerdem bereits jetzt auf die 5. IPR-Nachwuchstagung, die dieses erfolgreiche Format im Frühjahr 2025 in Heidelberg einer Fortsetzung zuführen wird. Bis dahin hoffen wir, dass der vorliegende Tagungsband mit seinen kritisch-reflektierenden Beiträgen zur weitergehenden Auseinandersetzung mit der Achtung des Fremden im IPR anregt. Die Herausgeber*innen

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Reclaiming the “Dismal Swamp”: a Most Dangerous Method in the Conflict of Laws Horatia Muir Watt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Postmigrantisches Internationales Privatrecht: Identitätsjurisprudenz im Internationalen Familienrecht Vanessa Grifo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 An Account of Private International Law in Terms of Relativism Victoria Garin Giménez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Choice of Law Rule in Procedure and Overriding Mandatory Provisions: Opposite Trends? Shahar Avraham-Giller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Zur Achtung des Fremden bei der Auslegung des Übereinkommens von Lugano Raphael Dummermuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Die Achtung des Fremden und der erbrechtliche ordre public: Ein Vergleich der Rechtsprechung zum deutschen und österreichischen Pflichtteilsrecht Selina Mack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Mind the Gaps: Adaptation Mechanisms in the Intra-EU Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters Tess Bens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Menschenrechte und Umweltschutz durch die Hintertür? Die internationalprivatrechtliche Dimension des Schadensersatzanspruchs im Richtlinienvorschlag zur Corporate Sustainability Due Diligence Tabea Bauermeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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Inhaltsverzeichnis

Globale Nachhaltigkeitsstandards made in Brüssel? Drittstaatliche Unternehmen im CSDD-Richtlinienentwurf Sophia Schwemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (Miss-)Achtung des Fremden? – Extraterritoriale Drittstaatenregelungen, EU-Blocking-Statuten und deren Auswirkungen im Privatrecht Lena Hornkohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Autor*innenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Reclaiming the “Dismal Swamp”: a Most Dangerous Method in the Conflict of Laws Horatia Muir Watt This contribution reclaims the well-worn metaphor of the “dismal swamp” used to describe the perceived technical complexity of private international law in support of an alternative vision of this discipline. In this respect, a swamp can be seen as an ecosystem made of intricate interconnections and interdependencies. It is indeed moreover a place of mystery, whether in Western fiction or in indigenous cosmologies, a space of crossing between the visible and the invisible, the world of earthly life and the universe of spirits. Above all, it is a place of encounter and intermingling between alien forms, and as such may serve heuristically to think about the place of alterity within our “naturalist” worldview. Running counter to modernity’s quest for closure and order, there may be a new path for the law, albeit methodologically “most dangerous”. Taking its cue from indigenous epistemologies, this article will use two non-anthropomorphic figures, the jaguar and the shaman, to help further this reversal. Firstly, to follow the “gaze of the jaguar” means to enter a reflexive web of mutual sensitivity: the contrary of imposing our own standpoint on others. Thus, in a radical form of decentering, the gaze of the jaguar turns back on oneself, the observer; it brings us to scrutinise our own community or life-world. Secondly, the shaman, symbolic mediator in animist traditions between humans and the spirits of nature or the other-world, is witness to the plurality and permeability of other, different forms of life (both spiritual and material). In its mediating role, it can take on multiple shapes, both human and animal, emphasising thereby the value and centrality of hybridity in an ontology of the in-between.

The trope of the “dismal swamp” (or indeed, the “quaking quagmire”) is well known to students of the conflict of laws, who generally understand it to be connoted negatively.1 It is used to point to the reiterative – perhaps obsessive – focus of scholarship within the field on “mysterious” questions of legal method. Since method is the very content of the whole discipline itself – in this respect, it is a meta-method, a set of rules about the scope of all other rules, or indeed, a “law of laws”2 –, the constant refinement and redefinition of the choice-of-law 1  “The realm of conflict of laws is a dismal swamp filled with quaking quagmires and inhabited by learned but eccentric professors who theorize about mysterious matters in a strange and incomprehensible jargon.”. This sentence is attributed (by Reed/Goodrich, Forward. Directive or Dialectic?, 6 Vanderbilt Law Review [1953], 441 to Dean William Prosser. See for a canonical example of the use of the trope, Nordstrom, Ohio’s Borrowing Statute of Limitations – A Quaking Quagmire in a Dismal Swamp, 16 Ohio St. L.J. [1955], 183). 2  Lauren Benton’s exploration of the spaces of colonial empire makes the important point that the rule of law evolved as a “rule about rules”, and that in such a context, it is the shape of

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process3 seems to undermine the obvious need for clarity and precision to which such efforts strive. The point of this contribution is to reclaim the well-worn metaphor of the swamp in support of an alternative vision of this discipline.4 In this respect, a swamp can be seen not as disorder but as an ecosystem made of complex interconnections and interdependencies. It is indeed moreover a place of mystery, whether in Western fiction 5 or in indigenous cosmologies, 6 a space of crossing between the visible and the invisible,7 the world of earthly life and the universe of spirits. Above all, it is a place of encounter and intermingling between alien forms, and as such may serve heuristically to think about the place of alterity within our “naturalist” worldview8 . Running counter to modernity’s quest for closure and order, there may be a new path for the law,9 albeit methodologically “most dangerous”.10 The singular relevance of the conflict of laws in this latter respect is that it possesses a methodological duality that can serve to underscore two opposing patterns or models of law. In other words, there is a constant dialectic between a rationalist project of legal ordering (monism) pursued from an overarching external standpoint, and a shrouded (or less rationalist) penumbra of entanglement11 between multiple normative worlds. Thus, on the one hand, the most widespread contemporary method within the conflict of laws is, broadly speaking monist, “multilateralist” and codified.12 Although it accepts, increasingly, jurisdiction (not land, territory or geographical place) that is crucial: A Search for Sovereignty: Law and Geography in European Empires, 1400–1900, 2010. 3  This is the title of David Caver’s seminal book, republished by Michigan Univ. Press (1981). 4  This contribution is part of a wider project published by Hart (2023) under the title The Law’s Ultimate Frontier: Towards an Ecological Jurisprudence. 5  Among which, George Sand’s La petite Fadette, 1849. 6  See the focus of the developments below. 7  Descola, Par-delà Nature et Culture, 2005. 8  Ibid. 9  The reference is to O. Wendell Holmes’ The Path of the Law, 1987. Like the path of the law in Holmes’ representation, any crossing of the swamp requires experience, not logic. 10  It is certainly appropriate to invoke Carl Jung when speaking here in Vienna! On Jung’s characterisation of psychoanalysis in these terms, see Kerr, A Most Dangerous Method, Vintage Books, 1994, http://www.psychanalyseactuelle.com/textes/a-dangerous-method (accessed 2.10.2023). Jung conceived psychoanalysis as a cultural theory. See Vannoy Adams, Interdisciplinary Applications of Jungian Psychoanalysis, 2014. The danger is that of unsettling well-established or path-dependent ideas. 11  Entanglement is a metaphor to be found very frequently in ecological thought of all kinds, and is often used in opposition to linear or grid-like division between humanity and nature induced by modern ‘jurisdictional thinking’ (see McVeigh, Jurisprudence of Jurisdiction, 2016). 12 See Symeonides, Codification and Flexibility in Private International Law, in: Brown/ Snyder (eds.), General Reports Of The XVIIIth Congress Of The International Academy Of Comparative Law, 2011. On monism in (legal) theory and its critique (as opposed to pluralistic pragmatism), see James, A New Name for Some Old Ways of Thinking (1906/07), reprinted in The Project Gutenberg E-Book of Pragmatism, 2004.

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its own contingency (insofar as its expressions in positive law usually offer all sorts of escape clauses and exceptions), it nevertheless presupposes a substantial degree of commensurability of legal knowledge and a unitary definition of legality. The latter takes the form and content of Western legality,13 which has evolved in cadence with statehood, secularism and capitalism (with its intrinsic colonial dimension and successive trans-formations).14 In the terms of political ecology, law in this shape has facilitated the collective cecity and amnesia that allow the “anthropocentric machine”15 to hurtle on regardless, devastating life in its path and devouring the very resources it needs to survive.16 On the other hand, however, this scheme is haunted by its very own shadow opposite, which resurfaces unexpectedly from within the “quagmire” from time to time. In the European history of the conflict of laws, “statutism” was first a mode of interpretation of local derogations to the overriding rational authority of Roman law, before becoming an autonomous method of determining the (personal or territorial) scope of (sovereign) statutes. Contemporary American neo-statutism emerged in a similar structural context (the reach of derogatory statutes against a background of common law) but later surfed on Cold War legal realism and the influx of rational choice, game theoretic and other social science models.17 Current controversy in the United States over the methodology of the Third Restatement of the Conflict of Laws leaves open the question of its continued place.18 The point is that it is a process that works in counterpoint to the dominant rule-based method, insofar as it starts from the purpose of a given statute and works “outwards” to determine whether or not it is applicable 13  In this context, our contemporary condition is described in various terms in as many disciplinary vocabularies: late-modern, anthropocentric, capitalocentric, neo-liberal, or naturalist. As suggested above, “our” here refers to a perspective either of individual liberal and supposedly free subjects; of the Western tradition as superior, more rational or more “civilised” than all others; or again of humanity as naturally endowed with specific intelligence and virtues in respect of other species. The common factor linking these various labels is a worldview that separates human society from nature, empties places of all other belief systems and neglects other forms of life (see for example, Smith’s “extinction studies”, in which he confronts the sense of the world and senseless extinction in ecological terms: An Ethics of Place: Radical Ecology, Postmodernity, and Social Theory, 2001). Legality has participated in the shaping of this perception. However, as will become clear, what follows is not an indictment of modernity as such, nor of enlightenment per se, nor indeed of technology. Nor does it signify that our nomos cannot change, as we shall see. 14  Brabazon (ed.), Neoliberal Legality: Understanding the Role of Law in the Neoliberal Project, 2016. 15  Agamben, Open: Man and Animal, 2002, taking up Descartes’ concept of the “animal machine”. 16 See Fraser/Jaeggi, Capitalism, A Conversation in Critical Theory, 2018. 17  Bomhoff, A Dark Science: Rationalizing Mid-Century Conflicts of Laws, publication forthcoming, conference delivered in January 2023 at Sciences po Paris (“Recitals” seminar). 18  See, using the trope of the dismal swamp in the controversy over the methodology of the Third Restatement of the conflict of laws in the United States, Brilmayer: https://tlblog.org/ a-theory-less-restatement-for-conflict-of-laws/ (accessed 2.10.2023).

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in a specific context. In this respect, this methodology can be thought of as a “minor jurisprudence”.19 It operates in a pluralist, de-centered mode insofar as it accepts the possibility of multiple outcomes (even though, when “true” conflicts arise, some sort of priority rule20 is needed) and above all, allows an “interested” statute to apply on its own terms. Monism indubitably co-produced the aesthetic of modernity in its mapping out of space in visual terms21. It drew frontiers – between territories and empires, centres and peripheries, sovereigns and proprietors, simultaneously extending empires and enclosing land. This legal enterprise of division and classification, hierarchisation and structuration, carved up both society and planet in an obsessive “rage for order”22 . Such a particular, obsessional form of legal ordering – in the name of science, nature or reason – reinforced the severance of humanity from its surroundings. A separatist approach to “nature” in such terms rests upon assumptions that are analogous to modern legal views of alterity in cultural, political or human form. In stark contrast to this dominant legal aesthetic, a shadow model helps address the question of what the legal signature of entangled, symbiotic life-worlds might look like.23 Following Philippe Descola’s invitation to explore the (often invisible) “forms of the visible”, 24 an alternative vision, to be found in various non-modern (ecological) epistemologies and (indigenous) cosmologies, might help us “disincarcerate” the subject/object divide25 and increase our awareness of the interdependence of all forms of biological and cultural life on a planetary scale. Indeed, such (aesthetic) representations of nature have also played an essential role within the further (ontological) register of law’s mode of existence. Modern legality has often been depicted by means of metaphors that partake in the “ruse of naturalism”, insofar as they make a given worldvision carried by law seem to go without saying or “allant de soi”26 . In this respect, the Western metaphysical tradition has given rise to a belief in the “natural” severance of society (or cul19 

Goodrich, Law in the Courts of Love: Literature and Other Minor Jurisprudences, 1996. “Priority rules” are part of the language of the reporters of the Third U.S. Restatement project, to designate conflict of law rules that come into play when different statutes are simultaneously applicable. 21  On the denial of the irrational and the reign of the visual, see Descola (Fn.  7). 22  Benton/Ford, Rage for Order. The British Empire and the Origins of International Law 1800–1850, 2017. 23  In aesthetic terms, there is a contrast to be expected between the forms or styles induced by coloniality (as defined by Mignolo, see below) and those of entanglement. On the aesthetic dimensions of deep ecology ethics and ecofeminist throught see below. 24  Descola, Les formes du visible, 2021. 25  Latour, Enquête sur les modes d’existence. Une anthropologie des Modernes, 2012, p.  10. Borrowing from another perspective would part of a “symmetrical anthropology” of the moderns. Such a gaze turned on self, would mean, in legal terms, observing one’s own legal world. 26  Descola (Fn.  7), 349. 20 

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ture, or “Man”) from the surrounding world, over which it exercises an innate mastery. In other words (those of Philippe Descola), the separatist understanding of our relationship to our surroundings (biological and geological, sentient and non-sentient, visible and invisible, human and animal) has largely supported the assertion of “humanity’s ontological privilege” over all other forms of life.27 It rests on the (self-) ascribed essence of “human nature”, understood as exclusively endowed with rationality (or intelligent access to reality). Legal modernity reflects and reinforces this understanding through the axial categories through which it channels our access to the real world, splitting mind from body, persons from things, agency from environment.28 The distinction between res/persona still structures our thought (as seen above) in ways that are “profoundly juridical”29. In the terms of Kyle McGee, it explains indeed “why chains of legal reasoning take the shape they do”.30 The initial divide between persons and things was mirrored in turn by further epistemological separations between subject and object, self and environment. Law – along with science and technology, sovereignty and politics, metaphysics and economics – partook thereby in the vast co-production of modernity. Both these aesthetic and ontological dimensions of legality are emblematically present in the conventional account of private international law and its specific legal technologies.31 As Pierre Schlag again observes in his study on (Ameri27 

According to Descola’s expression, ibid., 306. Indeed, law was present at the very origin of this severance of nature from society. Gradually detaching its abstract forms from the materiality of life, it shaped modern metaphysics, co-producing the conditions for humanity’s subjugation of its surrounding world. Modern law’s “first” nature is to be found, then, in the terms of the bifurcation between the natural and cultural or social worlds that reflected the originary Roman legal (and Byzantine theological) distinctions between mind and body, persons and things. In this respect, the twin fathering of (asymmetrical) anthropology and (modern) comparative law in Summer Maine’s Ancient Law (1863) began from the premise that Roman law still governed the institutions of civil(ised) Society Ancient Law: In Connection with the Early History of Society and its Relation to Modern Ideas, 1863. 29  Pottage, Introduction to Pottage/Mundy, Law, Anthropology and the Constitution of the Social, 2004, 4. 30  McGee, Latour and the Passage of Law, 2015, 102. This text must be understood with reference to Newcomb Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning, 26 Yale Law Journal (1917), 710. According to McGee, Hohfield proposes an “immanent modalization of each transformation composing a chain of legal reasoning”. McGee goes on to evoke the role of such modalization within the hidden “universe of the infra-juridical” or the invisible “locus of beings of law” – an imagery that it most appropriate here, in the discussion of the swamp! 31  A recurrent trope of doctrinal discourse within the discipline is its association with the smooth, secure harmonious ordering of the transnational economy (or of non-state relationships more generally). This has an echo in contemporary governance discourse, that as Kjaer observes (The Law of Political Economy, 2020), represents capitalism’s all-inclusive global stateless (or in which states are in the background) economic space, coded by law, in the form of “flows” and “networks”, somehow streaming into place naturally, smoothly and correlatively de-politicized. And yet all the while, we realise, the “grand project of de-structuring the 28 

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can) legal aesthetics, the conceptual architecture of law not only carries differential distributive consequences for the real economy, but in conceptualising, formalising, and naming the stakes in the first instance, it has already enacted an allocation. This is true, very literally, for private international law. It can therefore also be used to reintroduce greater plurality within law’s separatist aesthetic and binary ontological scheme. Here, the “dismal swamp” comes into its own. The existence of a shadow avatar of the discipline of the conflict of laws will serve to show that there is nothing inevitable, nor above all universal, in this particular understanding of law’s “second nature”. In terms of legal aesthetics, an alternative nomos resonates strongly with ideas of plurality, interstitiality and in-betweenness currently developed within indigenous ecological epistemologies.32 Here, the suggested path involves a reversal of standpoint, the embracing of a “perspectivist” aesthetic.33 In stark contrast to “jurisdictional thinking” that empties, divides, disenchants and flattens the world, separating humanity and the planet (us and them; the body politic and its surroundings), the alternative, shadow scheme that has always haunted the history of the conflict of laws resonates with an ecological “jurisprudence of the border”,34 drawing our attention to the paradoxical centrality of the “in-between”. It understands frontiers not as exclusionary dividing lines but as a passing-places, in which existence can “take place” in a hybrid and inter-mediating mode. In this respect, instead of dividing and sundering, legality might also give expression to a “non-naturalist” ontology: a mode of being in the (legal) world as interdependent and enmeshed, linking up all the infinitely various forms of life that co-inhabit the earth’s fragile crust, each with its own worldview or common” (Kjaer, 22) is en marche, setting the stage in its most recent expressions for “surveillance capitalism” (Zuboff, The age of surveillance capitalism : the fight for a human future at the new frontier of power, 2019), to the tune of general indifference, resignation or apathy (when it is not enthusiasm!). From a political economy perspective, Brabazon writes (“Introduction. Understanding Neoliberal legality”, Neoliberal legality, [Fn.  14], 7 et seq) that the significance of the neoliberal turn in law “extends beyond the content of the laws in question to the form of law itself”. Moreover, she observes, while “neoliberalism is not reducible to merely juridical phenomena … the specificities of the legal form enable law to play a unique and crucial role in this process that extends beyond law’s previous mediation of social relations”. 32 In a “pluritopical” aesthetic vein, indigenous ecological epistemologies invite us to adopt the cognitive standpoint of the other – to follow “the gaze of jaguar”, think like a mountain, enjoy life like a fish, or imagine ourselves as mushroom spores- instead of viewing the world – and dividing it up, flattening and emptying it – from a unitary, external, stable and overarching viewpoint. 33  Schlag, The Aesthetics of American Law, 115 Harv. L. Rev. (2002), 1047: “perspectivism” is one of the three models of legal aesthetics (along with “grid” and “energy”) he proposes. 34  Mignolo, Local Histories/Global Designs: Coloniality, Subaltern Knowledges, and Border Thinking, 2000, evoking a border ontology, epistemology and gnosis: if a pluriverse is not a world of independent units, but a world entangled, then a way of thinking and understanding that dwells in the interstices of entanglement, at its borders, is needed. To think pluritopically is to think from within the borders.

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mode of access to reality. Borrowing from non-modern cosmological schemes of intelligibility,35 this alternative legal mode “dwells” in the interstices of entanglement 36 or indeed on the borderline of law itself. At first sight, entanglement would seem to be particularly difficult to translate into a credible legal form.37 Modernity has so accustomed us to the existence of a monist (or grid-like38) aesthetic in law – meaning a unitary viewpoint embodies in a rule of decision that operates “closure” of legal conflicts – that plurality in law would seem to be a contradiction in terms.39 The idea of a weaving, unstable, shamanic, legal form is likely to meet with derision or condescendence and requires some further explanation with reference to the way in which law envisages perspective. The shadow avatar of the conflict of laws will serve to make visible these faint and alien shapes of law.40 Below, then, is an attempt to renew the terms of the reflection on legal plurality in this vein, with 35  But what of the risk of romanticisation (anew) of the “noble savage”? Today, indigenous peoples and their various cosmologies are at risk of becoming the contemporary counterparts of the exoticised native (and indeed are perfectly aware of this). A further trap is to think of indigenous law as unitary. Quite obviously, there is a risk of essentialization in suggesting that all such epistemologies form one homogeneous block. Descola’s quadripartite scheme of various traditions of relationality in respect of alterity is evidence enough of their diversity (Fn.  7). Nevertheless, indigeneous communities throughout the world do form a sort of transnational epistemic alliance of the non-modern, with a common refusal to distance themselves from nature (and animal life) as understood in the West (see again Descola [Fn.  7], on the various non naturalist cosmologies that beyond differences share a non exclusionary relationship to the natural or non human world; on the strategic alliance, see the aboriginal scholar Naomi Metallic’s Comment on “Deference and legal Frameworks Not Designed By, For or With Us”, https://www.administrativelawmatters.com/blog/2018/02/27/deference-andlegal-frameworks-not-designed-by-for-or-with-us-naiomi-metallic/ (accessed 2.10.2023); Sieder, To Speak The Law: Contested Jurisdictions, Legal Legibility and Sovereignty In Guatemala, 43 PoLAR – Political and Legal Anthropology Review (2020). We must also remember, however, that “prejudices, in the neutral sense used by Gadamer, can only be managed, not eliminated” (Ruskola, Legal Orientalism, 2013, 51). 36  Mignolo (Fn.  34). 37  Insofar as they echo indigenous ecological cosmologies: see from the perspective of literary critic Coelho, “Improvisations of a Tropical Cartesianism”. Vol. 7 No.  1, 2011: Brazilian Improvisations/Improvisações Brasileiras: “For some thinkers improvisation and its corollaries are proof that these countries and their people would live forever on the margins or in negative dialectics within the heritage of Enlightenment reason, (but) for others it is precisely there – in the possibility of reinventing reason from hybridisms, strategic appropriations, and re-readings – that the creative and autonomous potentials in the post-colonial world lie”. 38  Schlag (Fn.  33). 39  This is the point made by Roughan and Halpin in their quest for a pluralist jurisprudence (In Pursuit of Pluralist Jurisprudence, 2017). Conversely, see too the observation by anthropologist Eduardo de Viveiros de Costa as to the necessary circularity of (metaphysical) monism that presupposes distinctions that are impossible to draw (see The Relative Native, Essays on Indigenous Conceptual Worlds, 2016, 113, comp. the same author with Danowski, The Ends of the World, 2017). 40  On the definitions of avatars and totems in indigenous traditions, see Descola (Fn.  7). The avatar is a figure much used in political ecology, including as an art form (see for example, Erb, A Spiritual Blockbuster: Avatar, Environmentalism, and the New Religions, 66 Journal

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reference to an alternative legal aesthetic. This penetration of another universe requires the aid of an avatar. Thus, the shadow version of the conflict of laws helps move from a grid-like linear vision towards a multi-sided or pluri-topical understanding of our relation to alterity (whether as other life-worlds, our surroundings, or other species) that is accessible only by accepting to dwell in the in-between41. Taking its cue from indigenous epistemologies, it will use two non-anthropomorphic figures, the jaguar and the shaman42 , to help further this reversal. Firstly, to follow the “gaze of the jaguar”43 means to enter a reflexive web of mutual sensitivity: the contrary of imposing our own standpoint on others. Thus, in a radical form of decentering, the gaze of the jaguar turns back on oneself, the observer;44 it brings us to scrutinise our own community or lifeworld (Part I). Secondly, the shaman,45 symbolic mediator in animist traditions of Film and Video [2014], 3–17). For the law, see Borrows (Kegedonce), Drawing Out Law: A Spirit’s Guide, University of Toronto Press, 2010. 41  Mignolo (Fn.  34) emphasises the dimension of “dwelling” pluritopically, or “inhabiting” the border, as the reverse of Hegel’s philosophy of history (as grounded in territory). The idea of dwelling” in our environment is also central to Tim Ingold’s work (see The Perception of the Environment. Essays in Livelihood, Dwelling and Skill, 2000, in which the “dwelling perspective”, is about perception, a view of the relational self in which awareness and activity in and of the world are rooted in an organism’s active engagement with the world. 42  The Jaguar and the shaman are twin figures of indigenous mythologies. Each represents a specific, decentered mode of encounter with the strange. While both inhabit the “space of the in-between”, the jaguar (whose gaze represents a reversal of perspective, an “anti-narcisse”) and the shaman (who takes on the shape of the other, including an animal, jaguar-like form) should not be conflated (on their distinctiveness, see Viveiros de Costa, Métaphysiques Cannibales, 2009; on their signification, see Clastre, Échange et pouvoir : philosophie de la chefferie indienne, L’Homme, 1962; La Société contre l’État. Recherches d’anthropologie politique, Paris, Éditions de Minuit, coll. “Critique”, 1974). These two burlesque figures are invested with a cathartic and highly constitutional function, inducing derisive laughter in order to exorcise their power. In the context of this book, to follow the gaze of the jaguar is to see ourselves as seen by the other, while the shaman leads us into the underworld (or otherworld, the hinterland) by taking on the attributes of the other. Moreover, in enacting a specific relationship to alterity, the jaguar may devour the other (by eating the relation), while the shaman becomes the other by changing identities. 43  Perspectivism is a concept associated with Costa de Viveira’s immersive exploration of the modes of thought of Amazonian Indian communities. “Pour les Amérindiens, l’homme n’est pas le seul à être une personne au sens fort. Tous les habitants du cosmos sont des humains, sous le vêtement des espèces, des corps, des formes distinctes. Si l’on prend au sérieux cette proposition et qu’on essaie de réfléchir dans cette perspective, c’est un autre monde qui s’ouvre à nous, multiple, ondoyant, vertigineux”. He makes the point that this is also an essential resource for confronting the ecological crisis, which is all at once metaphysical, political and economic. 44  Renvoi in the conflict of laws (of “foreign court theory” its other, common law version) is emblematically, or perhaps anecdotally, the legal device that does exactly this reflexive move. See again, Viveiros de Castro, Exchanging Perspectives: The Transformation of Objects into Subjects in Amerindian ontologies, 10 Common Knowledge (2004), 463–484. 45  On the varieties of shamanism, see Descola (Fn.  7), 428: In a strict sense (see Pollock, Shamanism, Oxford Bibliographies), shamanism is specific form of religious practice found in Siberia, where the Tungus religious practitioner called šamán provided the model. However,

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between humans and the spirits of nature or the other-world, is witness to the plurality and permeability of other, different forms of life (both spiritual and material). In its mediating role, it can take on multiple shapes, both human and animal, emphasising thereby the value and centrality of hybridity in an ontology of the in-between (Part II).

I. The gaze of the jaguar “For the Amerindians, when a jaguar sees itself in the mirror, it sees a human being”.46 The ecological implications behind this striking representation by Eduardo Viveiros da Costa of the object of the jaguar’s gaze are far-reaching.47 They eradicate humanity’s distance from other species. For the Western metaphysical and legal tradition, of which we have already seen that its relation to human (cultural) alterity is inseparable from its approach to the (nonhuman) natural world, the reversal is just as significant. The deflected mirror effect of the jaguar’s gaze suggests a world of confusing reflexivity, that upsets our modes of access to reality.48 The mirror of the other sends back our own image, decenanthropology tends to use this concept to describe a set of religious phenomena of historical depth and wide ethnographic extent, across very diverse indigenous traditions (sub-Saharan Africa, East Asia, Latin America) that fulfil a variety of social roles (healing as well as harming) by intervention with spirits or through knowledge gained by communication with spirits. 46  Eduardo Viveiros da Costa, Le regard du jaguar, Introduction au perspectivisme amérindien, 2021. 47  At this point, it is useful to refer to the author’s own explanation of anthropological perspectivism (Viveiros da Costa [Fn.  39], 16–20), that sums up beautifully the point we are trying to make here in respect of legal perspectivism: “… When it comes to the question of whether the object of anthropology ought to be the native’s point of view, the response must be both “yes” and “no.” “Yes” (certainly!), because my problem (is) to discover what a “point of view” is for the native. In other words, what concept of a point of view do Amazonian cultures enunciate—what is the native point of view on the point of view? The answer is “no,” on the other hand, because the native concept of a point of view does not coincide with the concept of “the native’s of point of view.” After all, my point of view cannot be the native’s own, but only that of my relation with it. This involves an essentially fictional dimension, since it implies making two entirely heterogeneous points of view resonate with each other… As stated above, the experiment I am proposing posits an equivalence de jure between the anthropologist’s and the native’s discourses, taking them as mutually constitutive of each other, since they emerge as such when they enter into a knowledge relation with one another. They reflect…a certain relation of intelligibility between two cultures; a relation that produces the two cultures in question by back projection, so to speak, as the “motivation” of the anthropological concepts. As such, anthropological concepts perform a double dislocation: they are vectors that always point in the other direction, transcontextual interfaces that function to represent, in the diplomatic sense of the term, the other in one’s own terms (that is, in the other’s other’s own terms)—both ways. In short, anthropological concepts are relative because they are relational, and they are relational because their role is to relate.” 48  The mirror of self as a (modern) ruse of naturalisation is exactly the point of Haraway’s

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tering being, as if the jaguar, the avatar, the incarnation of radical alterity, was part of our split self. It serves to remind us, within the Western eminently “centred” tradition, that the divide between us and them, subject and object, runs through ourselves, and that however rational, civilised or in control we think we are, we are produced and driven by our shadow lives and histories. In terms that ring true to deconstructive, post-structuralist ears, the gaze of the jaguar teaches that it is the perspective that creates the subject and not the other way round. This is singularly relevant in respect of the law, whose modern guise as order and closure certainly offers tenacious resistance to this reflexive, decentered aesthetic. In order to understand the insights that can be gained in respect of the law from attempting to follow the “gaze of the jaguar”, it is certainly useful to recall, briefly, various elements concerning the impact of methodological choices and their corresponding epistemological assumptions on the aesthetics of modern legality. Thus, from a conventional, monist perspective, the latter is an (exclusive or totalising) ontological order (for instance, a code, a nation-state constitution, or an imagined world legal system), all-encompassing, external and prior to social reality.49 A denial, as it were, of “life before the law”.50 In private international law, this vision is instantiated by multilateralist methodology: choice of law is an exercise in fitting diverse national rules back into an overall frame administered by means of a set of complete, coherent and exclusive categories. In such a framework, conflicts of norms are anomalous: they look somewhat like a disassembled jigsaw puzzle, of which the pieces must be returned to their proper place within a pre-existing (and of course, internally consistent) order. Difference – in the form of alternative rationalities, or other world-visions – is, as it were, flattened out, or “squared”, through a requirement of conformity with the forum’s legal categories. Conversely, statutism thinks of law in terms of prospective, negotiable assertions advanced outside any fixed, overarching frame. It involves a “distribution of agencies”51, a constant change and exchange of perspectives, in a methodological incarnation of legal pluralism. The world beyond the state is cluttered with disorderly heterogeneous claims, rather than self-regulated as order undergird-

“cyborg” critique (Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature, 1991, p.  178) when she challenges the naturalising stories that still haunt the bodies of everyone marked as other, whose task is to mirror the self. 49  This vision is well illustrated by the idea of a “legal relation” central to Carl von Savigny’s representation of private international law, deployed within a real or imagined community of laws. The legal relation was as it were, pre-configured before it became the object of normative conflict, in such a way that whatever the starting point (the applicable law or the social relationship), the result was the same. 50 See Castoriadis, De l’Institution imaginaire de la société, 1975. 51 See McGee (Fn.  30).

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ed by coherent principles.52 Conflicts of laws are generated by the unruly encounter of concurrent, virtual aspirations and normative vocations, all necessarily formulated from an “internal” perspective – that is, from the standpoint of the would-be legal order, and not dictated by reference to an archimedean point. They “blur jurisdiction” and involve “the sharing of juridical space”.53 As we have seen above, “law passes”, and indeed a pluralist account of private international law provides an emblematic illustration of legality’s specific mode of existence in this respect. Far from being anomalous, the constant overlapping and negotiation of the claimed spatial thrust of different normative projects is an integral part of legality’s mode of existence. A sort of legal “cosmopolitics”, to borrow from Isabelle Stenger’s account of the body politic.54 Law’s morphological plurality is underscored, therefore, when its multiple bodies meet and interact. Such encounters may highlight the multiplicity of broad institutions or concepts, or singular rules or policies, as well as deeper normative and belief systems. The historical rivalry between monist and pluralist methodologies in private international law shows that there a significant normative choice to be made: either a claim based on foreign law is heard in its own language, on its own terms, along with its conceptual vocabulary and representation of spatiality, with the ensuing risk of irreducible mutual misunderstandings; or it is made to fit, at the risk of deforming all of its conceptual architecture and ideology, within the structure of the legal categories of the forum.55 The former “perspectivist” vision, inherent in legal pluralism, is embodied in statutist doctrines within the conflict of law: the idea of “claim” is taken very seriously in this context. Thus, above all, such claims are accepted in their exist52  On the conceptualisation of transnational legal authority outside or beyond the state as claim, in the language of legal sociology, see Cotterrel/del Mar (eds.), Authority in Transnational Legal Theory Theorising Across Disciplines, Elgar Studies in Legal Theory, 2016. Examples of a pluralistic approach in positive private international law today are, on the one hand, the recognition of foreign judgments (and its contemporary avatar, the recognition of legal situations on human rights grounds); on the other, “governmental interests analysis” and “lois de police”. All these examples start from and centre around the claim itself, that may require renegotiation or redefinition when it conflicts with another. 53  See again McGee (Fn.  30) 54  La Découverte, Cosmopolitiques I, 2003; and by the same author, The Cultivation of Ways of Overlapping: a Matter of Reclaiming, in: Latour et al. (eds.), A Book of the Body Politics Connecting Biology, Politics and Social Theory, 2020. 55  See above: this is the “problem of characterisation” in the conflict of laws. If made to fit in an inappropriate category, difficulties or irritants may emerge downstream (renvoi or indeed conflicts of characterisation, stricto sensu, where the governing law thus designated in the light of an initial analysis of the “nature” of a legal institution then responds in completely different terms). As seen above there are endless examples in which monism’s devices are deployed – notably, characterisation lege fori – show how foreign law is ironed out when its shape or content appear as alien or deviant. Indeed, the various conundra produced by multilateralist methodology – typically, renvoi generated by conflicting characterisation within the foreign legal system- are a direct result of this initial elimination of whatever does not, by and large, fit or conform.

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ing shape or garb: in other words, statutism, like pluralism, refuses to smooth over difference.56 For example, the muslim kafalah needs to be taken as it is understood in its own context and not made to fit in the (unfamiliar) categories of the forum, as should indigenous peoples’ non-proprietary ideas of land use and occupation, or alien persona endowed with agency by a foreign law.57 Judicial practice in such cases reveal underlying and historically variable assumptions as to what counts as law (as opposed to religious institutions, primitive practices, or alien legal fictionality). The point here, however, is that under a monist approach, where law is synony­ mous with formal legality produced by state, the question of what counts as “law” is pushed into the background (there is little point in asking the law of a state whether it thinks of itself as law) and the focus is displaced towards a second issue, that of the spatial thrust and coordination of different systems of state legality. The kefalah as a religious institution will command attention only if it is embodied in the foreign state law governing (from the point of view of the court of a secular legal system) the personal status of the child; the same can be said of the indigenous usage of sacred land, that will be recognized as title only if formalised as such under the lex rei sitae 58 . The reach of (foreign) state law, as we know, has been the exclusive preoccupation of private international law since the early twentieth century. The irony of this, is that contemporary methods used in this context originated in circumstances where statehood was not the only parameter with which to identify legality. If there was no perceptible rupture in this respect in the nineteenth century, with the close entwinement of law and statehood, it was because the “concert” of European nation-states was still homogeneous: the displacement, into a wider international setting, of the methodologies initially designed to ensure the coordination of the laws of Germanic Roman Christian city states and princedoms seemed “natural” (or only to involve a very slight move). In reality, the change was considerable, because the 56  Ensuing cases of irreducible conflicts between claims that will not concede or negotiate are admittedly more problematic, but in such cases a pluralist view consists in giving effect to the strongest (in terms of legitimacy or effectiveness). Statutism does not deny that this may entail a comparative, value-laden assessment of the strength and value of linkages in the context of particular cases. It says however that conversely to its monist counterpart, the initial opening to the other must be framed in the other’s terms. This is complete reversal, but not a miraculous solution to all conflicts. 57  These are all well-known examples of ‘unfamiliar’ categories that raise issues of characterisation in the conflict of laws. The example of unknown legal personae was usually illustrated by the problem of the appearance of the trust at the threshold of civilian legal systems, but has lost much of its punch by reason of a certain convergence around fiduciary institutions. However, the question of the legal standing of natural entities is more topical, though not without risk: see Pottage, Why Nature Has No Rights, forthcoming in: Nakagawa/Douzinas (eds.), Non-Human Rights. Critical Perspectives, 2023. 58  Even then, categories of title to property can be instrumentalized: see on the infamous Song Mao case (involving Tate and Lyle and Cambodian “blood sugar”), Mills/Harata/Le Meur, in: Muir Watt et al. (eds.), Global Private International Law, 2017, 118 et seq.

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state form that had eliminated all the other actors from the international order (or all other subjects from international law) by the early twentieth century in no way guaranteed that thenceforth, under law’s formal and apparently homogenous framework, there was either a common substantive content (hence the rise of the conflict of laws as a discipline, along with its comparative counterpart), nor a shared conceptual architecture (thereafter appeared the problem of characterisation), nor indeed an analogous vision of what counts as legality (now assimilated to state-based private law). Indeed, as Robert Cover’s definition of Nomos as narrative reminds us,59 there is considerably more to law than rules. And this invisible part is as variable as is unitary the formal frame in which it is contained. Legal pluralism, then, can be seen as an attempt to see beyond the unitary legal form of statehood. It also changes the terms in which the interaction between different conceptions of legality takes place within the conflict of laws. As seen above, monism assumes a comfortable fit between (state) legal systems; since it does not need to dwell on definition, it can orchestrate their encounters from an archimedean standpoint. On the contrary, under radical pluralism, no such comfort is available. Of course, it is difficult to leave behind the comfort of modern law’s linearity and its obsession with closure, “legal security” and decisiveness. As Pierre Schlag observes, the power of self-definition (in respect of what counts as law) always runs the risk of degenerating into “dissociation”. 60 The conflict of laws illustrates this riddle perfectly: this is the very reason for which its shadow avatar has been relegated to the margins. The latter represented the dominant methodological form as long as Roman law (or reason) 61 offered an overarching background from which local laws diverged, 62 but was rejected as archaic when statehood became the exclusive, universal source of legality towards the turn of the nineteenth century and public international law no longer the frame of reference for the conflict of private laws. 59  Cover defines law’s role in fashioning our normative universe, in Foreword: Nomos and Narrative, 87 Harv. L. Rev. (1983), 4. 60  Schlag (Fn.  33). The idea of dissociation has obvious psychoanalytical resonance. 61  This is equally valid for the overarching or common background composed of the common law in American neo-statutism. 62 See Stein, Roman Law in European History, 1999, 71 et seq. Initially, for Bartolus de Sas­soferrato and the Commentators of the late middle ages, the ius commune provided the methods with which to interpret local statutes, and in such a way as to restrict the opportunity for derogation. Later attitudes varied considerably from place to place towards the Corpus Iuris and Roman law more generally, but the conviction remained that conflicts between ­local, secular laws took place in the shadow of an overarching normative scheme (whether Corpus, Institutes, Roman classical culture, or natural reason) that commanded a uniform method of delimitation of local statutes or customs. Because local customs were still understood as interpretative variations on Roman law as the sole depositary of a legal essence or authority, the focus of the intense juridical labour of the post-glossators was the spatial (personal or territorial) projection of forms that were recognized as unquestionably juridical.

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Ever since, attempts to reinstate a neo-statutist, pluralist methodology beyond a “community of laws”63 have largely failed by reason of their apparent impotence in the face of “true conflicts”, 64 or their inability to achieve closure or decisiveness: the semantics of the conflict of laws and legal pluralism are different, but the dilemma is identical. 65 Their common conundrum is that they espouse “perspectivism” (or self-definition),66 but in the absence of any overarching or monist stance from which to harness multiple viewpoints, their very plurality is likely to fall into chaos or dislocation. 67 The seemingly inextricable difficulty in both cases is that “anything goes”. 68 If we allow each legal entity to deploy its own singularity, chaos (in the form of overlapping claims, in the language of the conflict of laws, or legal insecurity, in debates over pluralism) ensues. How then, in the absence of a stable frame or centre, does it prevent the potentially positive dynamic produced by constant exchange between multiple viewpoints from breaking down into a state of disarticulated shambles or dislocation? How can law reconnect, re-place, reorder or reinsert disrupted sequences of things and beings, persons and events when it cannot rely on the guidance of an overarching scheme of things? How can it enact fluid and contestable interlegality,69 rather than dislocation?70 In this respect, most justifications of legal pluralism fail to overcome the objection of the risk of chaos or dissociation. The same objection is equally familiar in the conflict of laws, in respect of statutist methodology, the internationalist avatar of legal pluralism: a method of conflict resolution that is impotent to solve conflicts is by definition unqualified for the job.71 63 In Carl von Savigny’s opus, this normative community was that of the Germanic citystates and princedoms. But the same concept could refer to the common law tradition as a whole, or indeed to a common regional legal area such as that of the European Union. 64  This is the classical critique of “governmental interests analysis” in the conflict of laws 65 As Roughan and Halpin (In Pursuit of Pluralist Jurisprudence, 2017) formulate the conundrum: how to achieve pluralism without sacrificing closure? 66  On perspectivism in the work of Eduardo Viveiros da Costa, see above. 67  Or “dissociation” in Pierre Schlag’s words (Fn.  33). These terms all have psychic implications, pointing to a risk of social self-destruction. 68  See on this theme, Hesselink, Anything Goes in Private Law Theory? On the Epistemic and Ontological Commitments of Private Law Multi-pluralism (January 14, 2022). EUI Department of Law Research Paper Forthcoming, Available at SSRN: https://ssrn.com/ abstract=4009148 (accessed 2.10.2023). 69  On the concept of interlegality, see Boaventura De Sousa Santos, Toward a New Legal Common Sense, 2nd ed., 2002, 437; on the analogy between interlegality and private international law, see Wai, The Interlegality of Transnational Private Law, 71 Transdisciplinary Conflict of Laws (2008), 107. 70  A coordinating method, we are told repeatedly, cannot work if it is decentered. As we know, it is this very conundrum – the demise of statutist methodology when confronted with insoluble “true conflicts” – that explains the enduring success of monist ideas within the conflict of laws. 71  For a synthesis of the debate over Brainerd Currie’s “governmental interest analysis “,

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The underlying assumption of the usual approaches to legal pluralism, still bearing the traces of the monist model, is that legality has to be defined (however loosely) before envisaging its coordination with others. As several strands of scholarship have pointed out, this particular sequence or order of questions may well need rethinking, or “resequencing”.72 In other words, the key to this familiar methodological riddle may lie in the way in which the problem itself is framed. Moreover, the problem itself – the disorder – may be part of the solution. Taking our cues from indigeneous-ecological lateral thinking73 or frontier-dwelling, we could say that decentering and mutual sensitivity, or readiness to interact mutually to the point of substitution or identification with the point of view of the other, is constitutive of the very existence of an ecological system (whether law or holobiont). Multi-sidedness and hybridity appear then as a promise to be pursued, rather than as an obstacle to be overcome, encouraging a reversal in our methodological assumptions. The importance of individual (psychic) ability to decenter self and collective (cultural) capacity to step outside community imaginaries is already an important part of critical “post-Freudian” thinking in the West, bringing (historical) context back into understanding of the collective psyche and its denials. This then is the insight to be drawn from indigenous epistemologies: the gaze of the radical, animal other directed towards oneself is a form of “constitutive alterity”.74 As Eduardo Viveiro de Castro explains, seeing ourselves through the gaze of the jaguar goes as far as the complete identification of the other’s point of view as directed towards ourselves. This does not mean a renouncement of critique, nor an invitation to blind submission or unconditional deference to the others (autrui75). It is an invitation however, as Descola explains, to come out of oneself to view self as a singularity from the standpoint of alterity 76 . It is a project to become-other, to carry in oneself the gaze of the other. On a collective register, it is similarly a foundational or constitutive requirement of community, not to lose one’s own identity or the singularity of one’s own collective values, see Roosevelt III, The Myth of Choice of Law: Rethinking Conflicts, 1999 Faculty Scholarship at Penn Law., 1340. 72  Michaels, Law and Recognition — Towards a Relational Concept of Law, in: Roughan/ Halpin (Fn.  6 4), chapter 5, 90–115. 73  There are strong links between laterality (on an aesthetic register), relationality (as ethics) and the in-between (ontology) in contemporary pluralistic theories of all kinds: see (as a significant sample) Pelluchon, Les Lumières à l’âge du vivant, 72; Bachir Dgiane, in: Kisukidisee, Décoloniser l’universel, La vie des idées, 2 mai 2019; Morizot, Wild Diplomacy – Cohabiting with Wolves on a New Ontological Map, 2022; Strathern, Partial Connections, updated edition 2004, on laterality as an intellectual mode of comparison; Latour, Où suis-je, 2021, on lateral mobility as an emancipated mode of existence in conditions of confinement. 74  Descola (Fn.  7), 438 et seq: the Other is the guarantor of the constitutive virtues of the community and flags the gaze of the other that I carry within myself. 75  The reference work here is Levinas, Totalité et Infini: Essai sur l’extériorité, 1961. 76  Descola (Fn.  7), 438.

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but to interiorise the existence of alterity.77 But in order to move into this new register of “inter-alterity”, that is, of communication and identity between radical others in legal terms, law – through the conflict of laws – has to operate a radical change of gear. The important point here is that an approach that sees mutual sensitivity as constitutive of legal community effectively fields the double objection conventionally addressed to legal pluralism and the underlying assumption of the inevitability of statehood. The very constitution or definition of legality would depend upon such an opening towards alterity and a willingness to enter into contact with foreign legal forms on their own terms. In such a vein, the recourse to a pluralist scheme borrowed from the conflict of laws is proposed by Gunter Teubner, in order to ground a “global societal constitutionalism”.78 In this account, in the absence of any other possible universal substantive principle, the conflict of laws would supply a meta-dogmatic norm to which all systems would adhere, to the extent that they make a claim to some sort of prescriptivity. This norm would be without substantive content in the sense that it could only be a form of reciprocal deference, an ecological necessity deriving from the reality of their interdependence. Identified as a form of pluralist jurisprudence, it points tentatively towards a pattern of open interaction among systems in which the matter of authority is not settled by one system accepting or deferring to another’s, nor by each system claiming authority for itself. Instead, each system’s claim can be understood as claims to some kind of interdependence, which entails the existence of the other’s authority without amounting to deference to that other system.79 Under this reading of legality, every normative order (or claim) is authenticated on its own terms, but such authentication is conditional on its containing some sort of integrated mechanism that makes interaction possible. As Nicole Roughan and Andrew Halpin explain, there has to be a step between the “initial 77 

Ibid., 439. Teubner, Constitutional Fragments: Societal Constitutionalism and Globalization, 2012, 152. His insight is as follows: “In a world society with neither apex nor centre, there is just one way remaining to handle inter- constitutional conflicts—a strictly heterarchical conflict resolution”. In Teubner’s system of networked reciprocity reconstitutes an ideal, constitutionalized system of conflict of law rules in which significant place is given to non-state communities, their value systems and the sense of belonging. Moreover, this overarching framework is designed to impose a break, or a certain discipline, on the autonomous, self-expanding rationalities of privatised legal regimes, or “codes of capital”. However, it remains somewhat unclear how a constitutional metanorm in the form of a (monist or multilateralist) set of universal conflict of laws rules can be reconciled with the essentially perspectivist stance that pluralism requires. Any given system or node may create its own coordination devices, and these will of course reflect axiological priorities and preferences that will prevail before its own courts or decision-makers. But this does not avert the risk of collapse or disjunction largely associated with pluralism. The text above attempts to respond to this difficulty. 79  Michaels (Fn.  71). 78 

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pluralist recognition” of multiple claims to normativity or authority and “the subsequent interaction between recognised members of that plurality”. This would be a third order or principle designed to foster interaction between the various units. It implies that all systems that make a claim to prescriptivity must possess a sort of a constitutive, non hierarchical coordination device based on a form of minimal mutual recognition: a “tertiary rule of recognition” (thus named by Ralf Michaels), 80 a “strictly heterarchical” conflict resolution (Gunter Teubner’s “dogmatic metanorm”), 81 or indeed, as we shall see below, their own shamanic go-between: a persona whose very existence is designed to ensure the mutual communication between heterogeneous worlds. However, before we return to the art of the shaman (below), the relationship between such an inbuilt mutual recognition device and the very definition of legality needs to be highlighted. Here, a paradigmatic change in respect of classical analytical-legal approaches may be underway, since the usual directionality or “sequencing”82 of this relationship is reversed. The very qualification of a normative system as legal would then be conditional on its acknowledgement of its own interdependence in respect of other such systems, the latter being identifiable in turn by virtue of their own reciprocal acknowledgement of their readiness to connect, as it were to speak the lingua franca of interlegality. Thus, reflecting on the constitution of a new ecological body politic, the philosopher Isabelle Stengers cited above advises to start from the “mutual sensitivity” of collectives or individuals (rather than from an atomistic approach that begins with the first and ends with the second). Her approach is deliberately reflective of the symbiotic, co-productive constitution of the ecosystem: no one of its components can exist without the others. If what we perceive as our “environment” outside is actually part of our inner existence (or that of our microcosm), then we need to reverse the order of our rational chains of reasoning, that always start from the centre of any object of study to consider its relationship with its own surroundings or periphery. The suggestion here is to flip the order of questions so as to start from the ecological or macrocosmic “outside” of any 80 

Ibid., 107. Ibid. Seeing multiple colliding rationalities as coexisting within a network justifies an obligation upon each to ensure the mutual accommodation of the others; the performance of that obligation is constitutive of their very existence as network nodes. 82  On sequencing and resequencing in the strange process of law, see McGee (Fn.  30), 10, explaining that, for Bruno Latour, law reconstitutes a “sequential relay of legal beings” (such as powers, capacities, rights, duties and obligations), in reconnecting human interventions and their consequences. Such sequencing impells or prompts action. This is because it “catalyses and sustains different forms of agency”. This action of catalyzation may involve a reordering or resequencing of events (by revisiting causation, for instance) or reinsert a missing link, working backwards in its specific legal “directionality”, from consequence to cause, from enunciation to actor, etc. In resequencing or reassembling events, beings and things, it works through a series of legal processes described by Latour as imputation, habilitation or recognition. 81 

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being or form of life, on the reverse assumption that this outside is integral to their very core. 83 The implications of this new ecological paradigm for law become clear if we compare Stenger’s approach to an equally recent jurisprudential exploration of legal pluralism more directly related to the conflict of laws. Here, Ralf Michaels proposes a resequencing of the issues of legality (its definition) and modes of interaction (between legal systems) as they are conventionally ordered or presented. Instead of attempting first to define a normative system and then asking about its relationship to its others (in the more traditional terms of the conflict of laws, its spatial scope), the latter question will come first.84 Thus, not only can no system make any (legitimate) normative claim if it does not integrate a mutual recognition device, but the latter is as it were constitutive of the system itself, commanding its very existence qua system. A pluralist conception must work interlegality into the very fabric of law, of which it is constitutive (rather than being an “afterthought”, as is clearly the case in a monist vision that starts from the essence of law before addressing the question of interlegality). 85 This is the cue to loop back to private international law. Its shadow avatar provides a model of lateral coordination and accommodation according to which singular systems or units interact in a mutually supportive mode. A significant example of such lateral interlegality could be taken from the field of the recognition and enforcement of foreign judgments. In many ways, the latter are at the crux of coordination between systems, as demonstrated by numerous cases of interminable struggle at the ultimate, enforcement stage of legal disputes.86 On a monist register, jurisdiction is usually determined unilaterally by 83  Stengers, The Cultivation of Ways of Overlapping: a Matter of Reclaiming, in: Latour et al. (Fn.  53), 159. This also seems to correspond to Gunter Teubner’s “ecological” understanding of law in society, in which the conflict of laws acts as go-between between legality and its environment. It also ties in perfectly with the idea that sovereignty may not be sovereignty if it does not accommodate interdependency; such interdependency is one again part of what it means to be sovereign. 84  Nicole Roughan and Andrew Halpin (Fn.  6 4) elaborate on this point: “in circumstances in which more than one system of norms is implicated in a legal dispute … as a matter of legitimate authority, there may be no justification for one system/set for ignoring or excluding the other under the rubric of jurisdiction”. 85  For an analogous “dialogical” or “relational” idea of sovereignty, see Scott, Dialogical Sovereignty: Preliminary Metaphorical Musings, 1992, https://papers.ssrn.com/sol3/papers. cfm?abstract_id=1653952 (accessed 2.10.2023); and in respect of indigenous law and sovereignty see by the same author, Indigenous Self-Determination and Decolonization of the International Imagination, 18 Human Rights Quarterly Quarterly (1996), 814–820 and leading from there, Young, Two concepts of self-determination, 2004, 10.1017/CBO9780511489235.009; comp. the plea for a dialogical mode of solidarity as opposed to a form of sovereignty as “solitude”: Delmas-Marty, https://www.lemonde.fr/idees/article/2020/03/17/mireille-delmasmarty-profitons-de-la-pandemie-pour-faire-la-paix-avec-la-terre_6033344_3232.html (accessed 2.10.2023). 86  An example of a struggle of this kind can be found in the notorious Chevron saga, in which the litigants threatened to fight “until the oceans run dry” (see Muir Watt et al. (eds.),

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each legal system and exercised independently of the effects it might have elsewhere. 87 However, by contrast, in the mode of lateral, mutual coordination, any judgement made in the home jurisdiction should imply an anticipation of its effects elsewhere and the commitment to mutually accommodate the reactions of other legal systems. 88 Far from undermining the value of decisiveness, a pluralist approach suggests that a mutually supportive model of interlegality enhances the legitimacy and the predictability of any normative claim.89 Both would depend upon the degree to which other concurrent projects are accommodated on their own terms. Isabelle Stenger’s account of the symbiotic body politic has already provided significant evidence of the ecological resonance of this mutually sensitive jurisprudential paradigm. Such resonance is stronger still if we move to the question of hybridity. From the gaze of the jaguar, we must circle back to the figure of the shaman.

II. The art of the shaman A shaman (of which the jaguar can be an embodiment90) is an emblematic “passeur” between multiple worlds91. Dwelling in the border,92 it operates a form of inter-world diplomacy93 between the physical or biological world and the universe of spirits. Shamanic otherness, in-between two worlds, evokes the shadowy otherworldliness of unseen (off-scene) and uncanny (the freudian unheimlich) encounters with alterity. It involves moreover a form of ontological transmutation. Rather than mere disguise, this is a means of becoming other.94 Global Private international law (Fn.  57), 55 et seq with commentaries by Fernandez Arroyo and Caballo Pineiro). 87 See Michaels (Fn.  71). It can be argued that the requirement of a “close connection” in one form or another as a condition for the exercise of jurisdiction ensures the acceptability of any resulting judgement. 88  In this respect, one clear example is what could be called a method of anticipation put into place by the Hague Convention on intercountry adoption of May 29, 1993 (to be found in various forms in further judicial practice: on this method and its illustrations, see Muir Watt, Rev. crit. DIP). The simple idea is that the adoption will not be granted if it is shown that it would not be recognized in the country with which the child has or might have close connections and a desire to return. In an older vocabulary, this is an attempt to avoid ‘limping’ relationships (recognized in one country but not in the other). It has also been theorised by Paolo Picone as “Ordinamento competente”, see Picone, La Méthode de la Référence à l’Ordre juridique compétent en Droit international privé, Recueil de cours 197 (1986). 89  Roughan/Halpin (Fn.  6 4). 90 See Viveiros de Costa (Fn.  46). 91  Descola (Fn.  7). 92  See above on the importance of this “in-between” location. 93  On the importance of diplomacy in the imaginaries of the world in the shadow of extinction, see Latour, Enquête (Fn.  25), 478 (“the supreme art of compromise”). 94  Hence the sacred character of certain masks that ensure this transmutation from world to another. On the Hopi mask case, involving modes of relations with alterity that are incom-

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Two particularly important aspects of the ontology of the “in-between” are present here. Firstly, in order to fulfil its important social functions,95 the shaman can take on different shapes or avatars, undergoing a sort of double or twoway “translation”.96 Sometimes, the spirit of the shaman goes out of itself into the other world where it can take on a form through which to communicate with the inhabitants of an unearthly life. Sometimes, it invokes into its (our) world a being from another, controlling its spirit or borrowing its shape. It is both hybrid, protean and multiform, inside and outside, past and present, here and there, charged with plural identities. Secondly, the shaman is witness to the interpenetration of different registers of being. As Walter Mignolo writes of what he calls “pluriversality”, the shaman evidences cosmological entanglement, a plurality of worlds that are not separate, nor organised on a hierarchical mode, but overlap, overflow and interact.97 Against jurisdictional thinking as defined above, it weaves reflexively in and out, mixing past and present, reversing far and near. Moreover, it produces hybrids as forms of communication or mutual sensitivity (as seen above). These must be sharply distinguished from the “cultural relativism”.98 Hybridity in this context is not a non-choice or a failure of communication, but on the contrary, a highly sophisticated form of “cosmopolitics”, or in more familiar terms, an exercise in the “sublime art” of compromise.99 In legal terms, these two aesthetic dimensions of the in-between as embodied in the shaman resonate within the shadow version of the conflict of laws. The first concerns the highly sensitive question of identity or belonging that is, or mensurable with Western legal categories, see Cornu, About Sacred Cultural Property: the Hopi masks case, 20 International Journal of Cultural Property (2013), 451–466. The Hopi masks are worn by dancers who personify the Katsinam dolls, spirits that incarnate in turn diverse aspects of the Hopi cosmos: see Descola, Les formes du visible (Fn.  24), 348 et seq. 95  These are known to be variable: the shaman may heal or harm social relations. 96  Mignolo (Fn.  34), 83. 97  Ibid: these are not separate worlds but worlds that overlap and interact. 98  This is a frequent charge against legal pluralism. The point being made in here is that hybridity or the supreme art of compromise is a communication between two worlds. This means that the adoption of the other’s viewpoint may change one’s gaze. Understanding that cannibalism is a way of integrating alterity (see Descola, le moyen paradoxal d’incorporer l’altérité la plus profonde tout en restant fidèle à soi-même: Les formes du visible (Fn.  24), 544), that the incestuous relations of the survivors of the Bounty were precisely necessary to their survival, or indeed that other forms of punishment (alternatives to imprisonment, seen as barbaric) is already very important. However, it is difficult to stop there and to accept what appears in the vocabulary of the enlightenment, human rights and psychoanalysis, to be murder, child molestation, inhuman treatment etc. The exception of public order in private international law shows these conflicts to be intractable, notably when they involve shame (punishment) and morals (religion, sexuality). There may be a need at some point to put up a screen or a limit when foreign practices or belief systems intrude upon the host community, but such a defence must avoid negating the seriousness of the other’s access to reality. 99 These are respectively the expressions of Isabelle Stengers and Bruno Latour, cited above.

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has become, a central concern of private international law in respect of the “imagined community” of the nation-state.100 As we know, the central labour of this discipline can be seen as the reconnecting of persons and communities in different ways, when geographical dispersion threatens to disrupt or sever moral, cultural, material or emotional ties.101 The two possible schemes available for this purpose offer contrasting visions of the (our) world, along with diverging methodological approaches for the determination of the most significant relationship in terms of belonging and emplacement.102 The conventional assumption, present in monism, is that identity and community are totalizing concepts: community membership is exclusive, while identity is stable and one-directional. The implications for private international law have been deployed on a similar register since the heyday of the nation-state:103 by and large, an individual’s personal relationships must always be governed by the same law, defined moreover by means of a connecting factor (domicile or nationality) that remains the same for all purposes. Unsurprisingly, given the nexus between legality and statehood seen above, there is a close analogy between the assumptions relating to community and those underlying the definition of modern legality: the latter excludes by definition, as Hans Lindhal points out, since it is a narrative written in the first person plural, in the name of a bounded community.104 In both cases, barring exceptional cases, statehood offers a mutually exclusive alternative: you are either in or out, in the same way that an act is either legal or illegal. In short, on any register – moral, epistemological, geopolitical or legal –, there is no in-between place to be. By contrast, under a pluralist approach, an individual may be mem100  This is illustrated by heated contemporary political-doctrinal debates on the legitimacy and effects of dual nationality, or, in the European setting, the contested idea and case law on European Union citizenship, for instance (see the Report of the EU Parliament: www. europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/625116/EPRS_BRI(2018)625116_EN.pdf). 101  All these components are present to different degrees in the composition of domicile and nationality, the two standard legal expressions of attachment or belonging. They tend to be spelled out in cases of conflict and uncertainty. Thus, in identifying the law applicable to personal status, the rules of the conflict of laws aim to ensure that family and interpersonal relationships are governed by the law that best represents the lifestyle and sense of belonging of those involved. 102 Law’s boundaries in this context are those of the post-Westphalian division of the world’s entire surface into states. As the current trajectories of migrant populations show (at the Mexican border, at lines drawn across the African continent, and again at the confines of the European Union), such exclusion comes with a series of destructive consequences in terms of dispossession of “the right to have rights”, and more generally the unequal distribution of economic and social value, power and privilege. The expropriations (or expulsions) described by Saskia Sassen as the new global “golden rule” applies to whole swathes of the world’s population. 103  A recent and brief moment, as Hauke Brunkhorst points out (Critical Theory of Legal Revolutions: Evolutionary Perspectives, 2014). 104  Lindhal, Authority and the Globalisation of Inclusion and Exclusion, 2018, in which Lindhal himself develops the post-modern ideal of in-between place.

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ber of several communities simultaneously.105 This is the sense in which a pluralist perspective can make available an in-between space, in which multiple identities overlap.106 If communities are imagined107 and their boundaries unstable, a sense of belonging or place is not necessarily exclusive. This is also a view that is resurfacing in contemporary private international law,108 that makes frequent allowance for ever more complex individual and collective attachments, including in their temporal variations.109 In a similar vein, the everyday lives of a collectivity may be governed by rules that are effectively followed even when not formally recognized as that of a state.110 The second point is hybridity. At the core of another controversy over methodological legitimacy, métissage111 or “creolization” of law112 is the object of a debate over the respective virtues of legal pluralism and a liberal (monist) vision of the law.113 This is a variation on a familiar charge made in the name of decisiveness and purity against legal pluralism’s supposedly muddy conflict-solving methods.114 Unable to choose between equal claims to govern, and prohibited 105 

Schiff Berman, Global Legal Pluralism: A Jurisprudence of Law Beyond Borders, 2012. this respect, it borrows and transposes psychoanalytical insights relating to the invisible realm of the subconscious, to the equally subliminal operation of the social norm. 107 See Anderson, Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, 2006. 108  A view advocated by Berman (Fn.  104). 109  In this respect, Daniel Gutmann identifies a progressive “recognitive” function in the conflict of laws, allowing it to follow the progressive integration of a foreign individual into a host community: Le sentiment d’identité, étude de droit des personnes et de la famille, LGDJ 2000. 110  On the ways in which private international law can sidestep public international law’s requirement of state recognition, see Knop, Citizenship, Public and Private, 71 Law & Contemp. Probs. (2008), 309. 111  In public international law, the notion of mestizo has been elevated to a genre: Becker Lorca, Mestizo International Law: A Global Intellectual History 1842–1933, 2015. Such a move is missing on the private side. 112  The concept of “créolisation” emerged at the end of the nineteenth century to signifiy processes of linguistic appropriation and adjustment in the encounter between the language of the coloniser (“langue lexificatrice”) and the local language (“substrat”), from which a hybrid merged (“le créole”), borrowing structural elements from each (see Véronique, Créole, créoles français et théories de la créolisation, 85 L’information grammaticale (2000), 33–38). The idea of lingua franca evoked above is distinct as it is a third language, not a “corrupted” form, and does not involve the dissymmetry that underlies creolization. Laplantine/Nouss, Etudes des métissages, des hybrides et des circulations, Flammarion, Métissages, 2007, 257. 113  See the political-philosophical objections to Paul Berman’s theory of global legal pluralism by Galán/Patterson, The Limits of Normative Legal Pluralism: Review of Paul Schiff Berman, Global Legal Pluralism: A Jurisprudence of Law Beyond Borders, International Journal of Constitutional Law (2013). This debate extends to the question of the adequacy of liberalism to accommodate alterity (see below). 114  As seen above, is now more than familiar: these methods fail precisely in cases of real antinomy, or “true” normative conflicts between the host legal order and the incoming norm. The worst defect for a legal method, we learn, is not being able to choose between two alternatives; a choice of law rule that cannot solve “true conflicts” cannot serve as a method. 106  In

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from falling back on a predefined parameter of choice – the very allocation it sought initially to avoid –, it collapses into an intermingling or hotchpotch of all the conflicting norms. From this perspective, the failing of pluralism’s collateral mode of mutual accommodation lies in its inability to commit to the exclusive application of a unitary substantive rule.115 Implicitly, this refers, once again, to law’s purported need for a priori decisiveness and furthermore to the illegitimacy of any form of syncretism. However, hybridity does not have to be viewed as a defect, any more than purity a virtue. To take up the linguistic analogy once again, PG Monateri’s comparative legal study of the (shadowy) figure of “Black Gaius” – a legal avatar of “Black Athena” – points to the dangers of pursuing unadulterated pedigree as a value in either language or law.116 Both of the latter are made of countless residues and traces from all parts. This points once again to hybridity as belonging to the cosmopolitical value of the in-between. It is inscribed in the idea of pluriversality, in the sense that different coexisting worlds interact, combining and blending in various ways.117 In any of its avatars, the conflict of laws illustrates this by means of its most ancient and foundational idea: the lex franca created from multiple and mutually reinforcing legal components. If we move from aesthetics to political philosophy, we could say that this composite, mosaic pattern benefits from an enhanced acceptability, to the extent that it reflects the very plurality and interdependence of all the contributing bodies of law. In other words, the hybridity of the final normative outcome reinforces its legitimacy, as compared with a decision obtained by reference to one legal system exclusively applied and imposed on all the other affected communities. Since the disputes involving conflicts of laws arise out of situations that are spatially dismembered between different jurisdictions, none of which has an exclusive claim to govern the whole, but each of which contributes a part, the final composition carries an enriched, and not a diluted, form of social legitimacy.118 115 

Galán/Patterson (Fn.  112). Monateri, Black Gaius. A Quest for the Multicultural Origins of the “Western Legal Tradition”, 50 Hastings Law Journal 1999, 1. 117  On pluriversality as developed within the “jurisprudence of the border” see Mignolo (Fn.  34); comp. on “plural worlds” (as opposed to cultural relativism), see Latour, Enquête (Fn.  25), p.  479. 118  That in most (or all?) cases, it does not correspond to the law of any given system, or indeed, does not correspond to a foreign court’s idea of what its own law is, is of no import: an inaccurate interpretation of foreign law is not an error of law. Moreover, it will be recalled that even in highly monist settings, in the context of the enforcement of foreign judgments (or arbitral awards), an error of interpretation of the forum court’s own law is not, per se, a reason to refuse recognition. A good example can be found in the controversial Dallah v Pakistan case involving the alleged misinterpretation of French law by English courts illustrates, very forcibly, that there are other interests and objectives at stake in private international law than the integrity of a given substantive legal rule (v. Dallah Real Estate & Tourism Holding Co v. Ministry of Religious Affairs, Government of Pakistan [2010] UKSC 46, 3 November 2010; Cour d’appel de Paris, 17 February 2011, Gouvernement du Pakistan – Ministère des Affaires 116 

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Interestingly, what is true of law’s aesthetic of spatiality is also valid in respect of its inscription in time. In “taking place”, concomitantly with the emergence of the modern linear perspective in space,119 modern law secreted its own (eminently juridical invention) continuous chronological temporality.120 By contrast, indigeneous epistemologies support the idea of the nonlinearity or “pluritopicality” of time and its variability according to place.121 An alternative temporal mode of the in-between is sometimes visible, however, behind modern legality’s chronological time, mixing the past, present and future. Law has the power to conjure up history into the courtroom, to fictionally suspend or cut off the passing of time, or to give voice to future generations122 . The shadow avatar of private international law, in particular, illustrates this entwinement of time and space, history and geography. Indeed, Mariana Valverde uses “jurisdiction” as a conceptual category through which she proposes to explore the multiple “scaling” of time and its own complex relationship to spatiality.123 Her notion of “chronotope” sees each legal order as occupying its own specific temporal-spatial nexus.124 In the conflict of laws, the device of ordre public is an emblematic embodiment of the latter. One of the most ancient debates it has generated, concerns the imbrication of distance and past, and their combined impact on the legal force of the moral or political concerns covered by the elusive notion of “public policy”. In cases where rights were vested abroad and long ago, there is less reason to disturb individual and social expectations by refusing to enforce them. Conversely, greater “proximity” between the context in which the legal entity (relation, status, situation, right) took shape (notionally, or by

religieuses c. Société Dallah Real Estate and Tourism Holding Company, n° R/G 09/28533; comp. the analysis by Sylvain Bollée, in: Muir Watt et al. (eds.), Global Private international law (Fn.  57), n°4.2). 119  Bartelson, Sovereignty as Symbolic Form – Critical Issues in Global Politics, 2014. 120  The invention of the latter was linked to the specific need for a fictional continuity of the mediaeval king’s sublime body: as explained by Kantorowicz, medieval lawyers created a specific legal temporality when struggling with the political consequences of the physical death of the king’s metaphysical corporeity. The king is dead; long live the king! 121  See on the ability of the griot to manipulate, resequence and reassemble different forms of symbolic organisation in the world, passing through different temporalities, see Ouattara, The Griots of West Africa, Oral Tradition and Shared Knowledge, in: Reiter (ed.), Constructing the Pluriverse: The Geopolitics of Knowledge, 2018, p.  151. 122  Our collective subconscious has no sense of time; our forgotten history prepares a return of the repressed: see Mazurel, L’inconscient ou l’oubli de l’histoire, Profondeurs, métamorphoses et révolutions de la vie affective, 2021. In legal terms, “future generations” are an imagined collective that is in the process of acquiring legal standing. 123  Valverde, Chronotopes of Law: Jurisdiction, Scale and Governance, 2015. 124  One striking example Valverde provides – that of the courtroom, where the use of procedural rituals or forms marks ends and beginnings in time and space – recalls the archaic pedigree of law, still so visible in contemporary judicial procedures and protocols.

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means of a legal judgement, creates a corresponding need for the host legal system to assert certain core legal values.125 This temporal-spatial in-between in (private international) legal terms echoes moreover the feminist critique of linearity and its place within the (largely masculine) aesthetic of modern law126 . To illustrate how such linearity is an artificial projection of the modern state, authors Annelise Riles and Karen Knop use the example of the saga of Asian “comfort women” enslaved by the Japanese army as prostitutes during the second world war. The saga is composed of diplomatic skirmishes, judicial disputes and individual quests for moral or psychological reparation. It has given rise to ubiquitous disputes, rulings, and processes. Rather than conforming to an orderly chronological and spatial pattern, linearity is disrupted here, the past constantly intruding into the present and changing the shape of the conflict, while the object of the latter pops up endlessly, here and there. Interestingly, it is a pure symbol – a bronze statue, implanted extraterritorially, so to speak (outside a Japanese embassy in Korea and elsewhere) – whose haunting presence sparked the initial dispute, with political and legal repercussions worldwide127. Such an example chimes well with the exploration by social theorist Saskia Sassen of the spatialities and temporalities of the global, in which she reminds us that the era of the global is that of atemporel time and of space in flux.128 This is also the cue to turn back once again to the in-between properties of hybridity. The in-between modus operandi of the conflict of laws resonates in this respect with the “mosaic-like” quality of indigenous legality129. If we refer to the ontology of the conflict of laws, we find multiple examples of the “adaptations” to which a given rule or institution lends itself when applied by an alien forum. Indeed, the whole enterprise of the conflict of laws produces hybridity, by definition, insofar as, at the very least, it implies the mixing of foreign substance and domestic procedure. The result is a complex composition of normative bits and pieces collected from here and there and assembled to form a coherent and acceptable picture.130 There are countless instances of such hybridisation; 125  On proximity as an axial principle in the conflict of laws, see Lagarde, Le Principe de proximité dans le droit international privé contemporain, Rec. Cours Académie de droit international de La Haye 1986, vol.  196. 126  On sovereign time, see Valverde, Chronotopes of Law: Jurisdiction, Scale and Governance, 2015, p.  50; Seider, To Speak the Law: Contested Jurisdictions, Legal Legibility, and Sovereignty in Guatemala, 43 PoLAR – Political and Legal Anthropology Review (2020), 334–351. 127  Space, Time, and Historical Injustice: A Feminist Conflict-of-Laws Approach to the Comfort Women Agreement, 102 Cornell L. Rev. (2017), 853. 128  Losing Control. Sovereignty in An Age of Globalization, 1996. 129  Black, A Mosaic of Indigenous Legal Thought. Legendary Tales and Other Writings, 2018; Borrows (Kegedonce), Drawing Out Law: A Spirit’s Guide, 2010. 130  As already suggested above, the etymological origin of the term “complex” (com plessis) suggests a weaving together of disparate or heterogeneous elements.

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the combination of legal rules borrowed from different legal systems delivers a result that does not correspond to any existing form in any one of them.131 At the very least, the procedural rules of the forum will coexist with extraneous substantive law, in such a way that statutes of limitation can shorten or lengthen, rules of evidence can weigh upon outcomes, remedies can be provided where none were available.132 This is the most familiar – and venerable – manifestation of the in-between in private international law, that accepts hybridity as a legitimate legal form. Furthermore, however, as already seen above, the in-between modus operandi of the shadow version of conflict of laws resonates with Walter Mignolo’s description of the properties of “pluriversality” insofar as it acknowledges the plurality of legal worlds, each to be understood from their own perspective – including when their gaze is focussed reflexively on one’s own. But it also provides the means to respond to the charge of cultural relativism traditionally levelled against pluralist projects of legality. As Walter Mignolo stresses, cosmological entanglement is (emphatically) not cultural relativism.133 Each world “universalises”, but importantly, none devours the others. This is very exactly the claim made by Philippe Descola, under the provocative label of “relative universalism”. Here, “relative” is not to be understood as a clever play upon words (as in cultural relativism), but as pertaining to a relation.134 What it takes, he writes, are subjects who do not prejudge the lived experience of others according to their own consciousness and who accept the equal value of other diverse modes of access to reality. Similarly, for Mignolo in turn, a pluriverse of meaning builds upon the recognition of multiple worlds, none of which claims superiority for itself. All traditions are universal, in that they take their foundational values to

131  A classic example of “adaptation” in the conflict of laws is the famous French Patino saga and conundrum, in which (through the effect of a renvoi from Bolivian (personal) law of the husband to Spanish law of the place of the celebration of their marriage) a couple could neither divorce nor be legally separated, although each of both potentially applicable laws allowed one or the other. The “adaptation” consisted (on the grounds of ordre public) in allowing to benefit from the minimal mode of legal separation under French law (Cass. Civ, 15 May 1963, Bull. n° 258). 132  More striking examples can be found in the area of family law, including for example the succession of polygamist husbands in Western courts, where various assets are divided between several spouses and their children. 133  Mignolo (Fn.  34). 134  Descola, Les formes du visible (Fn.  24), p.  522: It is a form of universalism that does not assume any fixed essence to categories of nature and cultures, substances and spirits, first and second properties but (writing on a structuralist mode) relations of continuity and discontinuity, identity and difference, resemblance and dissimilarity that humans establish everywhere with tools that come from their own phylogenèse: body, intentionality, aptitude to distinguish , aptoide to link to others through attachments or antagonisms, domination or dependence, exchange or appropriation, subjectivation of objectivisation. It does not need a transcendental spirit or mind to confer immanence or meaning.

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be exactly that. But this does not mean that each has correlatively to deny the existence of the others and the value of their own modes of access to reality.

III. Conclusion (back to the dismal swamp?) The challenge for Western modernity therefore, is to untie itself from the conviction that the world is a unified totality135 centred on self in order for it to make sense, and instead to allow meaning to emerge from the entangled diversity and hybridity. It is an invitation, or injunction, to look back at our wouldbe modern selves through the lens of alternative ontolologies, long reduced to the status of the primitive or the archaic. They remain (faintly) perceptible, despite the colonial imposition of modern, naturalist rationalities and their austere aesthetics of division and closure, of which the axis was humanity’s privileged status in respect of nature. The project, then, would be to discover through their intermediation, the being-as-other, l’être en tant qu’autre.136 In other words, these nonmodern modes of relation to alterity have (still barely) survived the threat of extinction, of which the prospect is now haunting the Western (“developed” or “civilised”) world as it enters the anthropocene. Latour’s momentous Enquiry into modes of existence suggests that law – beneath, beyond, or despite the delusions, cunning and ruses of “Double Click!” and its pseudo-rational epistemologies – may possibly “embody the truth” of a world of trace-making.137 We can surmise that the shadow avatar of the conflict of laws goes a long way, in turn, in giving legal shape to an alternative relationship to alterity. It opens the perspective of a pluralistic, lateral, interstitial, fronter-dwelling “pluriverse” in which the law itself is an avatar, weaving in-between multiple meanings and viewpoints, in a constant labour of ligature, communication, reprisal and repair. The shadow of extinction modifies the terms of the ontological question, who are “we”? (and who is the other?) and its juridical expression. Thus, as the same author suggests, the end(s) of the world(s) will be “necessarily thought from another pole, a “we” that includes the (syntactic or pragmatic) subject of the discourse on the end”. Crucially, however, he observes, discourses rooted in the perspective of the modern West never seem to doubt who the “we” is, what is understood as “human” or as “person” by other collectives consensually regarded (by “us”) as humans (and at any rate never goes beyond the limits of the 135 Comp.

ism.

136 

1974.

Mignolo (Fn.  34), whether under doctrines of Christianity, Liberalism, Marx-

The reference here is once again to Levinas, Autrement qu’être ou Au-delà de l’Essence,

137  de Sutter, Plasma! Notes on Latour’s metaphysics of Law, in: McGee (Fn.  30), p.  197 et seq, p.  205.

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species as an extensive taxonomic category).138 This is the cue, then, to attempt to take this path – once again, in the terms of law. Such a path leads back to the earthly, entangled life of the swamp.

138  Latour, Enquête (Fn.  25), p.  25. As he further points out, there are various strands of ecological feminist thought (cited above, such as Stenger’s Gaia, Haraway’s “staying with the trouble”, Povinelli’s “geontology” (inspired by Australian aboriginal worlds), that might be described as innovative transformations (double structural twists, as Levi Strauss would put it) of the mythical scheme of a “world without humans.” Notably, the world is itself can be seen as a multiverse traversed by multiple non-human ontologies, implicated in a “becoming” (Donna Haraway) that demands that we learn how to follow its path.

Postmigrantisches Internationales Privatrecht Identitätsjurisprudenz im Internationalen Familienrecht

Vanessa Grifo1 Migration research describes Germany as “post-migrant”. The concept of “post-migration” illustrates how Germany – since the federal government recognized it as a “country of immigration” in 2001 – redebates the cultural belonging of immigrants. Based on empirical studies, the concept highlights how Germany addresses its national identity in these renegotiations, especially when dealing with Muslim immigrants. By analyzing recent developments in international family law legislation and court decisions, this paper aims to show how Private International Law reflects these post-migrant identity conflicts: It does not operate primarily on “conflicts interests” as first propounded by the German Scholar Gerhard Kegel. Instead, the post-migrant identity conflict between the immigrant’s individual cultural identity and the immigration country’s collective cultural identity influences the formation and application of conflict-of-law rules.

I. Einleitung: Die postmigrantische Gesellschaft Postmigrantisch, postpatriarchal, postkolonial. Man könnte annehmen, die Verwendung des Präfixes post sei Ausdruck einer gegenwärtigen Sprachmode. Dahinter stehen indes verschiedene soziologische Konzepte.2 Diesen ist die Analyse gemein, dass sich die gegenwärtige Gesellschaft in bestimmten Aspekten aufgrund eines Werte- und Interessenwandels von der jüngeren Vergangenheit unterscheidet.3 So steht auch hinter dem Begriff der postmigrantischen Gesellschaft ein Konzept, das die Migrationsforschung in den 2010er Jahren entwickelt hat.4 Zum zeitlichen Ausgangspunkt nimmt dieses Konzept die politische Anerkennung Deutschlands als „Einwanderungsland“ im Jahr 2001. Waren die migrationspolitischen Debatten bis dahin noch von der Annahme geprägt, die „Gastarbeiter“ würden wieder in ihre Heimatländer zurückkehren, erkannte die 1  Die Verf. dankt Katharina Kaesling, Bettina Rentsch und Marc-Philippe Weller für wertvolle Anmerkungen zum Manuskript. 2  Für die Gesellschaft der Postmoderne vgl. Jean-François Lyotard, La Condition postmoderne: Rapport sur le savoir, 1979; Einführung in die Postcolonial Studies vgl. María do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, 2005. 3  Pratt/Franke, Pluralität und Pluralismus: Zu Kontexten und Grundformen des christlich-islamischen Dialogs in Deutschland, Marburg Journal of Religion 13 (2008), 1, 5. 4  Foroutan, Die postmigrantische Gesellschaft, 2. Auflage 2021, 227, 231.

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Bundesregierung im Jahr 2001 Deutschland erstmals als Einwanderungsland an: „Deutschland ist faktisch ein Einwanderungsland. Menschen sind gekommen und geblieben. […] Die Anerkennung der Realität ist an die Stelle von Tabus getreten.“5 Das Konzept der postmigrantischen Gesellschaft bildet ab, wie Deutschland infolge dieser politischen Anerkennung der eigenen Einwanderungsrealität Debatten um kulturelle Zugehörigkeit und politische Teilhabe von Zugewanderten nachholend, also post-migrantisch, neu aushandelt und bewertet. 6 Dabei stellt das Konzept auf der Grundlage empirischer Untersuchungen heraus, wie Deutschland in diesen Aushandlungsprozessen – insbesondere in Auseinandersetzung mit muslimischen Zugewanderten – Identitäten neu verhandelt.7 Fragen der kulturellen Zugehörigkeit, wie „Wer sind wir und wer gehört zu dem Wir?“,8 werden hierfür gesamtgesellschaftlich neu gestellt und diskutiert.9 Wie das Recht diese postmigrantischen Identitätskonflikte spiegelt, lässt sich an einem Urteil des VGH Baden-Württemberg aus dem Jahr 2020 veranschaulichen.10 Das Gericht lehnte die Einbürgerung eines Libanesen ab, weil er Frauen aus religiösen Gründen kategorisch den Handschlag verweigerte.11 Die Ablehnung des Einbürgerungsanspruchs begründete das Gericht damit, dass eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse nach §  10 Abs.  1 S.  1 StAG nicht gewährleistet sei: „Das Händeschütteln ist aufgrund seiner gesellschaftlichen und rechtlichen Bedeutung Teil der deutschen Lebensverhältnisse […] unabhängig von sozialem Status, Geschlecht oder anderen personellen Merkmalen […].“12 Diese Entscheidung bildet den postmigrantischen Identitätskonflikt akkurat ab: Auf der einen Seite steht die religiöse Weltanschauung des Zugewanderten, die sich unmittelbar in seiner Lebensführung niederschlägt. Diese lässt sich unter den soziologischen Begriff der individuellen kulturellen Identität 5  Unabhängige Kommission Zuwanderung, Zuwanderung gestalten Integration fördern, 4.7.2001, S.  1, abrufbar unter http://www.jugendsozialarbeit.de/media/raw/Zuwanderungs bericht_pdf.pdf (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 6  Foroutan (Fn.  4), 227, 231. 7  Die empirische Grundlage bilden zwei Datensätze, die in den Jahren 2014/15 und 2018/19 unter der Leitung von Naika Foroutan an der Humboldt-Universität zu Berlin durch das Zentrum für empirische Sozialforschung erhoben und am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung und am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung ausgewertet wurden, Foroutan (Fn.  4), 7. 8  Foroutan, Postmigrantische Gesellschaften, in: Brinkmann/Sauer (Hrsg.), Einwanderungsgesellschaft Deutschland, 2016, 227, 244. 9  Foroutan (Fn.  4), 13 ff.; Spielhaus, Vom Migranten zum Muslim und wieder zurück, in: Halm/Meyer (Hrsg.), Islam und die deutsche Gesellschaft, 2013, 169 ff. 10  VGH, Urteil v. 20.8.2020 – 12 S 629/19 = NJW 2021, 483. 11  VGH, Urteil v. 20.8.2020 – 12 S 629/19 = NJW 2021, 483, 486. 12  VGH, Urteil v. 20.8.2020 – 12 S 629/19 = NJW 2021, 483, 486, Rn.  45, 46.; kritisch Strauß, Kein Handschlag – keine Einbürgerung, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/keinhandschlag-keine-einburgerung/ (zuletzt abgerufen am 2.10.2023).

Postmigrantisches Internationales Privatrecht

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fassen.13 Demgegenüber formuliert das Gericht mit dem Hinweis auf die „jahrhundertelange Praxis“14 des Handschlags eine kollektive kulturelle, konkret eine nationale Identität des Einwanderungslandes.15 Der soeben skizzierte postmigrantische Identitätskonflikt spielt sich jedoch nicht nur im öffentlichen Migrationsrecht und damit unmittelbar im Verhältnis zwischen Zugewandertem und Staat ab. Er findet auch Eingang in die privatrechtlichen Beziehungen des Zugewanderten. Dies wird besonders am Beispiel des Internationalen Familienrechts deutlich. Das Internationale Familienrecht bestimmt, ob identitätsstiftende Statusverhältnisse des Zugewanderten, wie Ehe, Scheidung, Abstammung oder elterlichen Fürsorge, der Rechtsordnung seines Heimatlandes oder des Einwanderungslandes unterstellt werden.16 Dieser Beitrag wird in einer Rechtsprechungsanalyse offenlegen, dass das Internationale Familienrecht dabei nicht vornehmlich auf Grundlage der tradierten kollisionsrechtlichen Interessenlehre im Sinne Gerhard Kegels operiert. Stattdessen beeinflusst der postmigrantische Identitätskonflikt zwischen individueller kultureller Identität des Zugewanderten und der Annahme einer kollektiven kulturellen Identität des Einwanderungslandes die Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen. Diese Offenlegung ist kein Selbstzweck, sondern ermöglicht, einen Interessen- und Wertewandel im Internationalen Familienrecht abzubilden, den dieser Beitrag unter den Begriff des postmigrantischen Internationalen Privatrechts fasst. Hierfür wird zunächst in die bis heute anerkannte Interessenlehre Gerhard Kegels eingeführt (II.).17 Sodann wird in Anlehnung an die Arbeiten von Erik Jayme veranschaulicht, wie Gerichte Ende des 20. Jahrhunderts der individuellen kulturellen Identität des Migranten methodisch Rechnung getragen haben und seine Heimatrechtsordnung auf familienrechtliche Statusverhältnisse angewendet haben (III.).18 Anschließend wird anhand aktueller Beispiele aus Recht13 

39 f.

14 

Zum Begriff der individuellen kulturellen Identität Delitz, Kollektive Identitäten, 2018,

VGH, Urteil v. 20.8.2020 – 34 Wx 146/14 12 S 629/19 = NJW 2021, 483, Rn.  46. Zum Begriff der kollektiven Identität als nationale Identität, Giesen, Kollektive Identität, 1999, 9; Delitz (Fn.  13), 39; Mansel greift die Unterscheidung zwischen der kulturellen Identität der natürlichen Person und der kulturellen Identität von Staaten für das IPR auf, Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: Nolte u. a. (Hrsg.), Pluralistische Gesellschaften und Internationales Recht, 2008, 137, 143. 16  Zur Bedeutung des Internationalen Familienrechts in Migrationsfragen schon Dutta, Familienrecht in der multikulturellen Gesellschaft, JZ (76) 2021, 321 ff.; Weller/Thomale/ Zimmermann, Massenmigration und Geschlechtergleichstellung im IPR, JZ (72) 2017, 1080 ff.; Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, Dialog Internationales Familienrecht, 2018. 17  Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im IPR, in: Gerwig/August/Spiro/Süß/ Wolff (Hrsg.), Festschrift Hans Lewald, 1953, 259, 274 ff. 18  Jayme, Identité culturelle et intégration: le droit international privé postmoderne, in: Cours général de droit international privé, Recueil des Cours 251 (1995), 9 ff.; Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, in: ders. (Hrsg.), Kulturelle Identität und In15 

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sprechung und Gesetzgebung im Internationalen Familienrecht offengelegt, wie das Pendel mit der politischen Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland im Jahr 2001 immer mehr umgeschwungen ist: Zum einen erkennen Gerichte den Zugewanderten als Träger einer sog. hybriden kulturellen Identität an; d. h. sie setzten seine kulturelle Identität nicht mehr schlicht mit der Anwendung seiner Heimatrechtsordnung gleich.19 Zum anderen hält der Schutz der nationalen Identität des Einwanderungslandes verstärkt Einzug in das Kollisionsrecht (IV.). Damit prägen nicht die tradierten privaten Rechtsanwendungsinteressen Kegels, sondern verschiedene individuelle und kollektive kulturelle Identitäten Gesetzgebung und Rechtsprechung im heutigen Internationalen Familienrecht; diese Identitätskonflikte bildet die Interessenlehre Kegels nicht hinreichend ab. Deshalb – so meine zur Diskussion zu stellende Kernthese – muss Kegels Interessenjurisprudenz für das Internationale Familienrecht zu einer Identitätsjurisprudenz ausgebaut werden (V.).

II. Interessenjurisprudenz im IPR: Kegels Interessenlehre Spätestens mit Kegels Aufsatz zur „Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht“20 setzte sich Mitte des 20. Jahrhunderts die Ansicht durch, dass bei der Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen verschiedene Interessen zusammenwirken.21 Dabei geht Kegel davon aus, dass dem IPR nur sogenannte kollisionsrechtliche Interessen zugrunde liegen und damit grundsätzlich „andere [Interessen]“22 als dem materiellen Privatrecht (1.). Nur in wenigen Ausnahmefällen dürfen ihm zufolge auch materiell-privatrechtliche oder staatliche Interessen Einfluss auf die Bestimmung des anwendbaren Recht haben (2.).23 1. Grundsatz: Private Rechtsanwendungsinteressen Kegel differenziert innerhalb der kollisionsrechtlichen Interessen zwischen Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen. Das Parteiinteresse soll dem Interesse ternationales Privatrecht, 2003, 5, 7; Weller, Vom Staat zum Menschen – Die Methodentrias des Internationalen Privatrechts unserer Zeit, RabelsZ 81 2017, 747, 756; Mansel (Fn.  15), 137, 142. 19 Zum Begriff kultureller Hybridität, Reckwitz, Multikulturalismustheorien und der Kulturbegriff, Berliner Journal für Soziologie 2001 (11), 179, 188; Foroutan, Hybride Identitäten, in: Brinkmann/Uslucan (Hrsg.), Dabeisein und Dazugehören, 85, 87. 20  Kegel (Fn.  17), 259. 21  Ausführlich zu den Vordenkern dieser Interessenjurisprudenz Jhering und Heck vgl. Schinkels, Das internationalprivatrechtliche Interesse – Gedanken zur Zweckmäßigkeit eines Begriffs, in: Kronke/Thorn (Hrsg.), Grenzen überwinden – Prinzipien bewahren, Festschrift für Bernd von Hoffmann zum 70. Geburtstag, 2011, 390. 22  Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Auflage 2004, 132. 23  Kegel (Fn.  17), 259, 278.

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gerecht werden, das eine Person daran hat, dass ihre persönlichen Verhältnisse, wie bspw. Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Name, Ehe und Erbfolge, nach der Rechtsordnung beurteilt werden, mit der sie am engsten verbunden und vertraut ist.24 In Betracht käme hierfür das Recht des Staates, dem eine Person rechtlich angehört, und das Recht des Staates, in dem sie faktisch wohnt.25 Dabei geht Kegel davon aus, dass Personen in der Regel das Recht des Staats vorziehen, dem sie angehören, weil es meist das Recht ist, unter dem sie aufgewachsen sind und das sie geprägt hat.26 Neben dem Parteiinteresse haben Gesetzgeber und Gerichte Verkehrsinteressen zu beachten, die darauf gerichtet sind, dass der Rechtsverkehr „leicht und sicher geht“.27 Das verlange nach Kollisionsnormen, die in ihrem Inhalt so klar formuliert sind, dass ihre Normadressaten ohne Weiteres erkennen können, welche materiell-rechtliche Rechtsordnung Anwendung findet.28 Zuletzt wirken Kegel zufolge Ordnungsinteressen auf die Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen ein. Diese wollen insbesondere den Internationalen Entscheidungseinklang fördern und dadurch vermeiden, dass beispielsweise eine Ehe in einem Staat als wirksam, in einem anderen Staat jedoch nicht anerkannt wird (sogenanntes hinkendes Rechtsverhältnis).29 Gemein ist diesen Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen, dass Kegel sie als private Rechtsanwendungsinteressen typisierte: Während im materiellen Privatrecht der „Inhalt des Rechts“ zähle (materiell-privatrechtliche Interessen), gehe es im IPR allein „um die Anwendung eines Rechts, gleich welchen Inhalt es hat“.30 2. Ausnahme: Materiell-privatrechtliche und staatliche Interessen Außerhalb dieses dreiteiligen Interessenkanons der privaten Rechtsanwendungsinteressen verortete Kegel dementsprechend den Schutz materiell-privatrechtlicher und staatlicher Interessen.31 Diese wirken nur in begründeten Ausnahmefällen auf die Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen ein. Materiell-privatrechtliche Interessen betreffen Kegel zufolge den Inhalt der Privatrechtsordnung.32 Der Inhalt der Rechtsordnung dürfe bei der Bestimmung 24 

Kegel (Fn.  17), 259, 274. Kegel/Schurig (Fn.  22), 445. 26  Kegel/Schurig (Fn.  2 2), 74. 27  Kegel/Schurig (Fn.  2 2), 135. 28  Kegel (Fn.  17), 259, 274. 29  Kegel (Fn.   17), 259, 274; Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang im europäischen Kollisionsrecht, 2016. 30  Kegel/Schurig (Fn.  2 2), 132. 31  Kegel (Fn.  17), 259, 278; Schulze, Individuelle und überindividuelle Interessen im IPR, in: Gebauer/Mansel/Schulze (Hrsg.), Die Person im Internationalen Privatrecht, 2019, 183, 186; Hornung, Internationales Privatrecht zwischen Wertneutralität und Politik, 2021, 15. 32  Kegel (Fn.  2 2), 132. 25 

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des anwendbaren Rechts nur dann relevant werden, wenn das eigentlich über die Kollisionsnorm berufene ausländische Recht gegen Wertvorstellungen der eigenen materiellen Rechtsordnung verstößt. Materiell-privatrechtliche Interessen sind folglich stets darauf gerichtet, die eigene Rechtsordnung anzuwenden.33 Er bezeichnete diese deshalb auch als „Fremdkörper“ im System allseitiger Kollisionsnormen.34 Methodisches Vehikel für die Durchsetzung dieser materiell-privatrechtlichen Interessen sei der Ordre-public-Vorbehalt. Dabei favorisierte Kegel die Ausgestaltung des Ordre-public-Vorbehalts als Generalklausel, wie in Art.  6 EGBGB.35 Auf diese Weise könne das Gericht umfassend abwägen, ob sich aufgrund einer hinreichenden Inlandsbeziehung des Sachverhalts materiell-privatrechtliche Interessen der eigenen Rechtsordnung ausnahmsweise gegenüber der eigentlich zur Anwendung berufenen ausländischen Rechtsordnung durchsetzen sollten. Diese Inlandsbeziehung könne beispielsweise über die (deutsche) Staatsangehörigkeit oder dem Eheschließungsort in Deutschland vermittelt werden.36 Von diesem Schutz materiell-privatrechtlicher Interessen grenzte Kegel noch „Interessen der Macht des eigenen Staates“ ab.37 Diese Staatsinteressen können sich zwar auch im materiell-rechtlichen Inhalt der Privatrechtsordnung widerspiegeln, es kann sich aber auch um politische und wirtschaftliche Interessen handeln, die gerade nicht positiv normiert sind.38 Gerichte können diese Interessen ebenfalls im Rahmen des Ordre-public-Vorbehalts durchsetzen; in Ausnahmefällen beeinflussen sie den Gesetzgeber jedoch auch schon bei der Wahl des Anknüpfungspunkts.39 Kegel missbilligte es vor diesem Hintergrund ausdrücklich, wenn ein Einwanderungsland im Rahmen des Personalstatuts an das Wohnsitzrecht anstelle des Heimatrechts des Ausländers anknüpft, „um die Ausländer einzugliedern“, also diese Anknüpfung an das Wohnsitzrecht mit einer integrationspolitischen Zielsetzung begründet. Eine solche „Wahl aus politischem Interesse“ sei „verfehlt“ und füge sich nicht in den Grundsatz der kollisionsrechtlichen Interessen ein.40

33 

Schulze (Fn.  31), 183, 186. Kegel (Fn.  17), 259, 274; Hornung (Fn.  31), 15. 35  Kegel/Schurig (Fn.  2 2), 146. 36  Kegel/Schurig (Fn.  2 2), 521. Das BVerfG sieht heute einen hinreichenden Inlandsbezug schon „in der Regel bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen im Inland“ als gegeben an, vgl. BVerfG, Urteil vom 18.7.2006 – 1 BvL 1/04, 243, 266 = NJW 2007, 900, 903; von Hein, in: MünchKomm BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, Art.  6 Rn.  148. 37  Kegel (Fn.  17), 259, 279. 38  Kegel (Fn.  17), 259, 279. 39 Am Beispiel einiger lateinamerikanischer Länder, Kegel, Internationales Privatrecht, 5. Auflage 1985, 258. 40  Kegel (Fn.  39), 262; Kegel (Fn.  17), 259, 279. 34 

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3. Zwischenergebnis Damit sollten nach Kegel vornehmlich private Rechtsanwendungsinteressen Gesetzgeber und Gerichte bei der Bildung und Anwendung „richtiger“ Kollisionsnormen leiten. Zumindest in formaler Hinsicht ist Kegel dieses Vorhaben geglückt, legte der deutsche Gesetzgeber bei der großen EGBGB-Reform von 1986 ausweislich der Gesetzesmaterialien Kegels Interessenlehre bei der Bildung der Kollisionsnormen zugrunde.41 Auch im heutigen IPR gilt die Interessenlehre Kegels in der kollisionsrechtlichen Lehrliteratur als Richtschnur für die Bildung und Anwendung richtiger Kollisionsnormen.42

III. Kulturelle Identität der Person Ende des 20. Jahrhunderts (Erik Jayme) Dass hingegen auch Identitäten bei der Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen relevant werden, bildete als erster Erik Jayme ab. Er führte den soziologischen Begriff der kulturellen Identität in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts in das IPR ein.43 Der Begriff war ursprünglich mit der Frage verknüpft, ob ein liberaler Staat zur Achtung der kulturellen Lebensweisen und Traditionen seiner nationalen Minderheiten verpflichtet ist.44 Für das IPR lenkte Jayme den Fokus nun auf die einzelne Person und fasste unter die kulturelle Identität ihre (Mutter-)Sprache, Religion, Geschichte, bestimmte Lebensweisen oder Traditionen.45 Jaymes Begriffsverständnis hat dabei sowohl eine normative als auch eine analytische Dimension. Normativ zu verstehen, ist seine Forderung, bei der Anknüpfung im Rahmen des Personalstatuts die kulturelle Identität des Einzelnen zu schützen, was Jayme zufolge in der Regel zu der Anwendung seiner Heimatrechtsordnung führe.46 Dies stützte er unter anderem auf 41 

BT-Drucks. 10/504, 25 ff.; Hornung (Fn.  31), 191. Schurig, Das Fundament trägt noch, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 5 ff.; Hornung (Fn.  31), 303; Wendelstein, Eigenes und Fremdes im Kollisionsrecht, ZVglRWiss 120 (2021), 349, 386; kritisch indes Schinkels (Fn.  21), 390; Michaels, Die europäische IPR-Revolution, in: Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Die richtige Ordnung, Festschrift für Jan Kropholler zum 70. Geburtstag, 2008, 151. 43  Jayme, Identité culturelle et intégration: le droit international privé postmoderne, in: Cours général de droit international privé, Recueil des Cours 251 (1995), 9 ff.; Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, in: ders. (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, 5, 7; Weller (Fn.  18) 747, 756; Mansel (Fn.  15), 137, 142. 44  Zu dieser Begriffsentwicklung von Bogdandy, Die Europäische Union und das Völkerrecht kultureller Vielfalt – Aspekte einer wunderbaren Freundschaft, European Diversity and Autonomy Papers 1/2007, 5, 10 f.; Yvonne M. Donders, Towards a Right to Cultural Identity, Antwerpen, 2002. 45  Jayme (Fn.  43), 5, 7; Jayme, Religiöses Recht vor staatlichen Gerichten, 1999, 30 f. 46  Jayme, Menschenrechte und Theorie des Internationalen Privatrechts, IJVO 2 (1991/1992), 8, 10; Mansel, Das Staatsangehörigkeitsprinzip im deutschen und gemeinschaft42 

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Art.  22 Charta der Grundrechte der EU und Art.  8 Abs.  1 EMRK.47 Auf diese Weise verknüpfte Jayme den Begriff der kulturellen Identität mit der Herkunftsidentität der Person.48 Diese Forderung hat sich jedoch nicht durchsetzen können, im IPR gibt es kein Recht des Individuums auf Anwendung seiner Heimatrechtsordnung.49 Stattdessen ist im nationalen und europäischen IPR sogar ein Trend zugunsten der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Person zu beobachten.50 Neben dieser normativen Dimension nutzte Jayme den Begriff der kulturellen Identität jedoch auch analytisch und zeigte mit dessen Hilfe auf, wie Gerichte Ende des 20. Jahrhunderts Kegels Parteiinteresse durch die Religionszugehörigkeit der Person kulturell anreicherten.51 Im Folgenden wird in Anlehnung an Jaymes Arbeiten anhand von zwei Urteilen illustriert, wie Gerichte der Herkunftsidentität des Individuums methodisch Rechnung getragen haben und auf diese Weise seine Heimatrechtsordnung auf familienrechtliche Statusverhältnisse angewendet haben. 1. Namensrecht, AG Essen vom 24.9.1997 Das AG Essen entschied mit Beschluss vom 24.9.1997 in einem Streit zwischen libanesischen Eheleuten, wer den Vornamen des gemeinsamen Kindes bestimmen dürfe. Alle Beteiligten waren Muslime und lebten in Deutschland.52 Nach libanesischem Recht steht in Übereinstimmung mit dem Koran allein dem Vater das Recht der Namensgebung zu. Entgegen dem libanesischen Gesetz wollte die Mutter ebenfalls den Namen ihres Kindes bestimmen und wandte sich deshalb an das deutsche Gericht. Aufgrund der libanesischen Staatsangehörigkeit des Kindes gelangte das Gericht über Art.  10 Abs.  1 EGBGB zu der Anwendung libanesischen Familienrechts. Hiernach entschied das AG Essen, dass es bei dem alleinigen Namensbestimmungsrecht des Vaters bleibe. Es verneinte insbesondere einen Ordre-public-Verstoß aufgrund einer Verletzung von Art.   3 Abs.  2 GG mangels ausreichender Inlandsbeziehung des Sachverhalts: lichen Internationalen Privatrecht: Schutz der kulturellen Identität oder Diskriminierung der Person? in: Erik Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 119, 121. 47  Mansel (Fn.  15), 137, 145 f. 48  Mansel spricht in diesem Zusammenhang von einem „personenbezogenen Begriffsverständnis“ der kulturellen Identität vgl. Mansel (Fn.  15), 137, 144. 49  Hornung (Fn.  31), 298. 50  Der nationale und europäische Gesetzgeber trägt der Herkunftsidentität des Individuums jedoch zumindest dadurch Rechnung, dass er die Aufenthaltsanknüpfung in der Regel durch eine partielle Rechtswahlfreiheit zugunsten der Heimatrechtsordnung ergänzt, vgl. Weller (Fn.  18), 747, 762, 767. 51  Eine Auswahl an analysierten Entscheidungen z. B. in Jayme, Zugehörigkeit und kulturelle Identität, 2012. 52  AG Essen, Beschluss v. 24.9.1997 – 79 III 30/96 = IPRax 1998, 213; Jayme (Fn.  43), 7.

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„Denn alle Beteiligte[n] sind libanesische Staatsangehörige und sunnitisch-moslemischen Glaubens. Allein der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann nicht dazu führen, daß trotz des ausdrücklichen Verweises auf das ausländische Recht im Ergebnis doch wieder deutsches Recht angewendet wird.“53

Anhand dieser Entscheidung veranschaulichte Jayme eingängig, wie das Gericht die kulturelle Identität der Parteien bereits auf der Verweisungsebene heranzog und mit ihrer Hilfe die für einen Ordre-public-Verstoßes erforderliche Inlandsbeziehung relativierte. So maß das Gericht der Staatsangehörigkeit und der Religionszugehörigkeit der Parteien eine größere Bedeutung zu als ihrem gemeinsamen Wohnsitz in Deutschland.54 2. Mehrehe, LG Frankfurt a. M. vom 12.1.1976 Ein weiteres Beispiel, das veranschaulicht, wie die Gerichte der kulturellen Heimatidentität der Beteiligten Rechnung getragen haben, ist die Entscheidung des LG Frankfurt a. M. vom 12.1.1976 zur Wirksamkeit einer polygamen Eheschließung.55 Ein jordanischer Staatsangehöriger und eine indonesische Staatsangehörige heirateten wirksam nach indonesischem Recht. Der Ehemann war zum Zeitpunkt dieser Eheschließung bereits verheiratet. Alle Beteiligten waren Muslime und lebten in Deutschland. Als er mit seiner zweiten Ehefrau ein Kind bekam, beantragte der Ehemann, die Eintragung des Kindes als „ehelich“ in das Geburtenregister. Unstreitig war, dass die Zweitehe nach dem Eheschließungsstatut der Ehegatten, also nach ihrer beider Heimatrecht, wirksam war. Jedoch äußerte der Standesbeamte Zweifel darüber, ob diese zweite Eheschließung aufgrund des Verbots der Mehrehe in Deutschland (§  1306 BGB, §  172 StGB) einen Ordre-public-Verstoß darstelle (Art.  6 EGBGB). Das LG Frankfurt a. M. wies diese Zweifel zurück und erkannte die Zweitehe mit Verweis auf die Argumente des VG Gelsenkirchen im Jahr 1974 an: „[…] polygame Ehen [sind] anzuerkennen, wenn sie dem Heimatrecht der in Betracht kommenden Personen entsprechen. Es kann daher nicht angehen, (…) einer solchen Ehe praktisch dadurch die Anerkennung zu versagen, dass man sie als Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik Deutschland ansieht und damit die eigenen Sitte- und Moralvorstellungen als alleinigen Wertmaßstab durchsetzt.“56

Hieran anknüpfend bejahte das LG Frankfurt a. M. die Ehelichkeit des Kindes:

53 

AG Essen, Beschluss v. 24.9.1997 – 79 III 30/96 = IPRax 1998, 213. Kritisch hierzu schon Mankowski, Kulturelle Identität und IPR, IPRax 2004, 282, 285. 55  LG Frankfurt a. M., Beschluss v. 12.1.1976 – 2/9 T 2/76 = FamRZ 1976, 217. 56  VG Gelsenkirchen, Urteil v. 18.7.1974 – 2 K 763/72 = FamRZ 1975, 338, 340. 54 

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„Es geht nicht an, ein Kind nur deshalb als nichtehelich zu behandeln […]. Gerade die in heutiger Zeit mannigfache Verflechtung der Kulturkreise haben ein größeres Verständnis für andere Formen menschlichen Zusammenlebens geschaffen.“57

Auch in dieser Entscheidung relativierte das Gericht im Rahmen des Ordre-public-Vorbehalts die Wertvorstellungen der eigenen Gesellschaft, konkret das Verbot der Mehrehe (§  172 StGB).58 Es argumentierte ausdrücklich mit dem Verständnis für andere Kulturkreise und schützte damit die Heimatidentität der am Rechtsstreit beteiligten Personen. 3. Bewertung: Kulturelle Identität als Rechtsanwendungsinteresse Den ausgewählten Entscheidungen ist gemein, dass das entscheidungsrelevante Familienrechtsverhältnis sowohl einen Bezug zur deutschen als auch zu einer islamisch geprägten Rechtsordnung hatte. Es lässt sich an ihnen veranschaulichen, wie die Gerichte Kegels Parteiinteresse kulturell aufgeladen haben.59 Zog Kegel als Indiz für das Parteiinteresse nur die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz der Parteien heran, stellten die Gerichte auf ihre Religionszugehörigkeit oder ihre Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis ab. Dies führte dazu, dass die Gerichte das Heimatrecht der Beteiligen auch dann anwendeten, wenn dieses teilweise erheblich von den Grundwertungen des deutschen Familienrechts abwich. 60 Zugleich wird jedoch deutlich, dass sowohl Jayme als auch die Gerichte die kulturelle Identität lediglich als eine Ausprägung von Kegels Rechtsanwendungsinteressen verstanden haben:61 Sie setzen die kulturelle Identität der Beteiligen mit dem Interesse der Person an der Anwendung ihrer Heimatrechtsordnung gleich, ohne zu fragen, ob sich diese mit dem konkreten Inhalt ihrer Heimatrechtsordnung identifizieren. So rechtfertigte in der Entscheidung des AG Essen die gemeinsame Religionszugehörigkeit aller Beteiligten die Annahme, dass die Parteien am engsten mit der libanesischen Rechtsordnung verbunden waren. Nicht gewürdigt wurde indes, dass sich die Ehefrau mit dem Inhalt der religiösen Rechtsordnung im konkreten Fall nicht identifizierte; forderte sie doch vor deutschen Gerichten das Recht ein – entgegen ihrer Heimatrechtsordnung – den Namen ihres Kindes bestimmen zu dürfen.

57 

LG Frankfurt a. M., Beschluss v. 12.1.1976 – 2/9 T 2/76 = FamRZ 1976, 217, 218. Zur kulturellen Relativität des ordre public, Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im IPR, 1986. 59  AG Essen, Beschluss v. 24.9.1997 – 79 III 30/96 = IPRax 1998, 213 mit Anm. Jayme. 60  Zu dieser Beobachtung auch Dutta (Fn.  16), 321, 324. 61 Entgegen Looschelders, der im Zusammenhang mit der kulturellen Identität Jaymes von einer stärkeren Materialisierung des IPR spricht, Looschelders, Die Ausstrahlung der Grundund Menschenrechte auf das Internationale Privatrecht, RabelsZ 65 (2001), 463, 468. 58 

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IV. Postmigrantische Identitätskonflikte im 21. Jahrhundert Im Folgenden wird anhand aktueller Beispiele aus Rechtsprechung und Gesetzgebung offengelegt, wie seit der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland das Pendel auch im Internationalen Familienrecht immer mehr umgeschwungen ist: Es wirken verschiedene und mehrdimensionale Identitäten auf die Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen ein, die sich nur noch schwer mit Kegels Interessenlehre abbilden lassen. Stattdessen lässt sich dieser Wandel mithilfe des Konzepts der postmigrantischen Gesellschaft nachvollziehen. Hierfür wird der bereits kurz skizzierte postmigrantische Identitätskonflikt zwischen der individuellen kulturellen Identität der Person (1.) und der nationalen Identität des Einwanderungslandes (2.) in das IPR eingeführt. 1. Individuelle kulturelle Identität der Person Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird die individuelle kulturelle Identität der Person als in der Kultursoziologie eine hybride Identität verstanden. „Hybride“ steht in diesem Zusammenhang für kulturelle, religiöse, nationale und ethnische Überlappungen innerhalb einer Person. 62 Der Zugewanderte kann sich nach einiger Zeit sowohl mit seinem Herkunftsland als auch mit dem Einwanderungsland kulturell verbunden fühlen. Bei jeder Person kann diese kulturelle Überlappung anders ausgestaltet sein. Manche Zugewanderte bewahren nur Alltagspraktiken ihres Herkunftslandes, z. B. eine Ess- oder Gebetskultur, andere halten an den Familienstrukturen ihres Herkunftslandes fest, indem sie beispielsweise nach ihrer religiös geprägten Heimatrechtsordnung im Ausland heiraten oder sich scheiden lassen. 63 Wie Gerichte der hybriden kulturellen Identität des Zugewanderten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts methodisch Rechnung tragen, lässt sich an einem BGH-Beschluss vom 26.8.2020 zur Talaq-Scheidung veranschaulichen.64 a) Talaq-Scheidung, BGH, Beschluss vom 26.8.2020 Im konkreten Fall heirateten zwei syrische Staatsangehörige 1999 in Syrien. Das Ehepaar verbrachte seine gemeinsame Ehezeit zunächst in Deutschland, danach in Syrien, sodann in Kuwait, um dann wieder zeitweise nach Syrien zu reisen. Beide erlangten neben der syrischen nach einiger Zeit in Deutschland auch die deutsche Staatsangehörigkeit. 65 Der Ehemann sprach bei einem Auf62 

Foroutan (Fn.  19), 85, 89. Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten, 2017, 402 f. 64  BGH, Beschluss v. 26.8.2020 – XII ZB 158/18 = NZFam 2020, 1009. 65  Ausführungen des Sachverberhalts vgl. OLG München, Beschluss v. 2.6.2015 – 34 Wx 146/14 = NZFam 2016, 703 ff. 63 

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enthalt in Syrien die Talaq-Formel aus, woraufhin die Ehefrau schriftlich den Empfang der ihr aus dem Ehevertrag zustehenden Leistungen (insgesamt 20.000 US-Dollar) bestätigte und ihren Ehemann aus seinen ehelichen Verpflichtungen befreite. 66 Die Talaq-Scheidung ist noch immer die traditionell am häufigsten anerkannte Form der Scheidung im Islam und besteht in der Regel in einem außergerichtlichen einseitigen Scheidungsrecht des Mannes gegenüber der Ehefrau. 67 Der Ehemann beantragte die Feststellung der Wirksamkeit dieser (religiösen) Privatscheidung in Deutschland; die Ehefrau lehnte die Anerkennung vor einem deutschen Gericht mit der Begründung ab, die Talaq-Scheidung durch ihren Ehemann sei nicht einvernehmlich erfolgt. 68 Aufgrund der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit der Ehegatten gelangte der BGH zu der Anwendung deutschen Familienrechts (Art.  17 Abs.  2 EGBGB i. V. m. Art.  8 lit.  c) Rom III-VO, Art.  5 Abs.  1 S.  2 EGBGB) und erkannte aufgrund des staatlichen Scheidungsmonopols nach deutschem Recht (§  1564 S.  1 BGB) die religiöse Privatscheidung nicht an. 69 b) Bewertung Wie der BGH der hybriden kulturellen Identität des Zugewanderten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts methodisch Rechnung trug, soll an seinen hilfsweise angestellten Ausführungen zur Ordre-public-Prüfung illustriert werden: Unterstellt, syrisches Recht hätte im konkreten Fall Anwendung gefunden, wäre die einseitige Verstoßungsscheidung durch den Ehemann aufgrund eines Ordre-public-Verstoßes (Art.  6 EGBGB), konkret einer Verletzung des Art.  3 Abs.  2 GG ebenfalls unwirksam gewesen.70 Diese Feststellung ist insbesondere vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die bisherige Rechtspraxis einen Ordre-public-Verstoß grundsätzlich ablehnte, wenn sich die Ehefrau mit der Talaq-Scheidung einverstanden erklärt.71 Der BGH hob in der vorliegenden Entscheidung jedoch hervor, dass es an einer solchen Einverständniserklärung der Ehefrau im konkreten Fall gerade fehle. Die schriftliche Erklärung der Ehefrau, in der diese die Zahlungen des Ehemannes bestätigte und ihn aus seinen ehelichen Verpflichtungen entließ, reiche für 66  „[…] Ich habe alle mir aus dem Ehevertrag und aufgrund der auf einseitigem Wunsch vorgenommenen Scheidung zustehenden Leistungen erhalten und somit befreie ich ihn von allen mir aus dem Ehevertrag und dem von dem Scharia-Gericht Latakia erlassenen Scheidungsbeschluss Nr.  1276 vom 20.5.2013 zustehenden Verpflichtungen. […]“, OLG München, Urteil v. 2.6.2015 – 34 Wx 146/14 = NZFam 2016, 703, 704. 67  No fear of talaq: A Reconsideration of Muslim Divorce Laws in Light of the Rome III. Regulation, Möller, JPIL 10 (2014), 461, 471; Grifo, Bedingte Gastfreundschaft im Internationalen Scheidungsrecht, NZFam 2021, 202. 68  OLG München, Beschluss v. 2.6.2015 – 34 Wx 146/14 = NZFam 2016, 703, 704. 69  BGH, Beschluss v. 26.8.2020 – XII ZB 158/18 = NZFam 2020, 1009, Rn.  49. 70  BGH, Beschluss v. 26.8.2020 – XII ZB 158/18 = NZFam 2020, 1009, Rn.  49. 71  BGH, Urteil v. 6.10.2004 – XII ZR 225/01 = FamRZ 2004, 1952 ff.

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die Annahme ihres Einverständnisses nicht aus, sie müsse vielmehr explizit die Form der einseitigen Verstoßung billigen.72 Damit ließ der BGH die schriftliche Erklärung der Frau während des syrischen Scheidungsverfahrens nicht ausreichen. Stattdessen würdigte das Gericht, dass sich die Ehefrau zu einem späteren Zeitpunkt im Feststellungsverfahren vor dem deutschen Gericht explizit gegen den Inhalt der islamisch geprägten Rechtsordnung aussprach. Indem der BGH im Rahmen der Ordre-public-Kontrolle allein auf die fehlende Einverständniserklärung der Ehefrau vor deutschen Gerichten abstellte, trug er der Möglichkeit Rechnung, dass die Ehefrau möglicherweise allein aufgrund fehlender anderer rechtlicher Optionen nach syrischem Recht in die Scheidung schriftlich eingewilligt hatte. So erhielt sie auf diese Weise wenigstens die ihr nach syrischem Recht zustehende finanzielle Kompensation durch ihren Ehemann.73 Auf diese Weise verstand der BGH die kulturelle Identität der Zugewanderten nicht eindimensional und setzte sie nicht schlicht mit der Herkunftsidentität der Ehefrau gleich. Dies lässt sich insbesondere im Vergleich mit der bereits dargestellten Entscheidung des AG Essen aus dem Jahr 1997 erkennen: Hier stellte das Gericht im Rahmen der Ordre-public-Prüfung schlicht auf die Religionszugehörigkeit der Ehefrau ab und entschied deshalb, dass es in Übereinstimmung mit dem libanesischen Recht beim alleinigen Namensbestimmungsrecht des Mannes bleibe. Dabei würdigte das Gericht gerade nicht, ob sich die Ehefrau überhaupt mit dieser religiösen Rechtsordnung identifizierte. In seiner Entscheidung zur Wirksamkeit der Talaq-Scheidung im Jahr 2020 erkannte der BGH indes im Rahmen des Ordre-public-Vorbehalts implizit an, dass sich die Ehefrau zumindest nicht mit dem Inhalt ihrer religiösen Heimatrechtsordnung identifizierte: Obwohl die Ehefrau (auch) syrische Staatsangehörige war, nach syrischem Recht in Syrien einen syrischen Staatsangehörigen geheiratet hatte, in Syrien aufwuchs und immer wieder zeitweise dorthin zurückkehrte, ließ der BGH ihre schriftliche Erklärung im syrischen Scheidungsverfahren nicht als Einverständniserklärung ausreichen. Damit erkannte der BGH an, dass die Ehefrau trotz zahlreicher Bezüge zur syrischen Rechtsordnung ihre rechtliche Gleichstellung gegenüber dem Ehemann im deutschen Scheidungsverfahren und nach deutschem Scheidungsrecht einforderte. 2. Nationale Identität des Einwanderungslandes Daneben ist Ausdruck eines postmigrantischen IPR, dass Gesetzgeber und Gerichte immer mehr auch die nationale kulturelle Identität des Einwanderungslandes adressieren. In den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde der 72 

BGH, Beschluss v. 26.8.2020 – XII ZB 158/18 = NZFam 2020, 1009, Rn.  54, 56. von Hein, Massenmigration und kulturelle Identität – Stresstest für das IPR, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, 2018, 29, 48, der vor diesem Hintergrund einen allzu großen Respekt vor der Herkunftskultur als fragwürdig bezeichnet. 73 Vgl.

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Schutz der nationalen Identität vornehmlich in einem europäischen Kontext adressiert: So sieht z. B. Art.  4 Abs.  2 EUV ausdrücklich vor, dass die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten achten muss.74 Im Einwanderungskontext hat die nationale Identität in den vergangenen Jahren nun jedoch eine zusätzliche Komponente erhalten. Sie wird in diesem Kontext ins Spiel gebracht, um eine kollektive kulturelle Identität der Mehrheitsgesellschaft zu adressieren und zu schützen. So führte der kanadische Philosoph Kymlicka aus, es gebe „keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Angehörigen von Mehrheiten weniger stark an der Freiheit hängen, in ihrer eigenen gesellschaftlichen Kultur zu leben, als die Angehörigen von Minderheiten“.75 Der Annahme einer nationalen kulturellen Identität liegt das Verständnis zugrunde, dass die Nation Träger bestimmter identitätsstiftender Merkmale ist, wie bspw. einer Sprache, Religion, Tradition oder Weltanschauung, die in ihrem Zusammenspiel die kollektive kulturelle Identität der Gesellschaft begründen.76 Wie die nationale Identität Einzug in das Kollisionsrecht hält, wird zum einen am Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (a)), zum anderen an zwei Entscheidungen zum islamisch geprägten Rechtsinstitut der Brautgabe (b)) veranschaulicht. a) Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017 Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ führte der deutsche Gesetzgeber den speziellen Ordre-public-Vorbehalt des Art.  13 Abs.  3 EGBGB in das Internationale Familienrecht ein.77 Nach diesem ist eine im Ausland geschlossene Minderjährigenehe aus deutscher Sicht nur wirksam und unaufhebbar, wenn beide Eheschließenden im Zeitpunkt der Eheschließung volljährig sind. Der Gesetzgeber begründete dies zunächst damit, die minderjährige Ehefrau schützen zu wollen, also mit einem Argument, das eher auf den Individualschutz der Person abzielte. Die Minderjährige soll auf diese Weise in ihrer Entscheidungsfreiheit geschützt werden, da sie häufig nicht die Folgen einer Eheschließung überblicken könne oder die Ehe nur aufgrund familiären Drucks einginge.78 Zumindest im Fall einer sog. Nicht-Ehe nach §  13 Abs.  3 Nr.  1 EGBGB, §  1303 BGB trägt der Gesetzgeber dem Individualschutz der Ehefrau jedoch gerade nicht hinreichend Rechnung, sondern die Nichtigkeitsanordnung kann im konkreten Fall sogar nachteilige Auswirkungen für die Minderjährige haben.79 So fehlt es dann auch für etwaige Unterhalts-, Güterrechts-, oder er74  Von Bogdandy, Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht?, VVDStRL 62 (2003), 156, 164 ff. 75  Kymlicka, Multikulturalismus und Demokratie, 1999, 42; von Hein, (Fn.  73), 29, 49. 76  Delitz (Fn.  13), 39; Reckwitz (Fn.  19), 179, 181 ff. 77  Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen, v. 17.7.2017, BGBl I 2429, in Kraft ab 18.7.2017. 78  BT-Drucks. 18/12086, 15; von Hein (Fn.  73), 29, 62. 79 Ausführlich zu den praktischen Konsequenzen vgl. von Hein (Fn.   73), 29, 64; Coester-Waltjen, Kinderehen – Neue Sonderanknüpfungen im EGBGB, IPRax 2017, 429, 435.

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brechtliche Ansprüche der Minderjährigen an dem Tatbestandsmerkmal einer wirksamen Eheschließung.80 Zudem kann eine Nicht-Ehe auch nicht die Abstammung des gemeinsames Kindes vom Vater vermitteln, es bedarf stattdessen einer Vaterschaftsanerkennung oder -feststellung. 81 Anders als in der Generalklausel des Art.  6 EGBGB können die Gerichte diesen Umständen des Einzelfalls nun nicht mehr in einer umfassenden Abwägung Rechnung tragen, was sich gerade im Vergleich zu der Entscheidung des LG Frankfurt a. M. zur Mehrehe im Jahr 1976 herausstellen lässt: Hatte das Gericht hier noch im Rahmen der Generalklausel des Ordre-public-Vorbehalts (Art.  6 EGBGB) die Möglichkeit, die Mehrehe zugunsten der Ehelichkeit des Kindes anzuerkennen, bietet die Nichtigkeitslösung des Art.  13 Abs.  3 Nr.  1 EBGB eine solche Flexibilität nicht mehr. Damit hat der spezielle Ordre-public-Vorbehalt des §  13 Abs.  3 Nr.  1 EGBGB weniger eine individualschützende Funktion, als er dem Schutz nationaler Wertvorstellungen und konkret der Annahme dient, eine Eheschließung in diesem Alter sei grundsätzlich nicht mit dem Kindeswohl vereinbar. Dass das Gesetz sogar explizit auf den Schutz der kollektiven kulturellen Identität der deutschen Gesellschaft abzielte, zeigt auch ein Blick in die Gesetzesmaterialien. In diesen begründete der deutsche Gesetzgeber die Notwendigkeit der Regelung unter anderem mit einer wachsenden Ablehnung von Kinderehen in der deutschen Gesellschaft: „Ehen von Minderjährigen werden in der Gesellschaft zunehmend kritisch gesehen“ […] Der Entwurf will dieser Überzeugung Rechnung tragen.“82

Durch die Einführung des speziellen Ordre-public-Vorbehalts §  13 Abs.  3 Nr.  1 EGBGB kehrt der Gesetzgeber das Regel-Ausnahmeverhältnis von Kegels Interessenlehre um: Staatliche Interessen, die an dominierende Wertvorstellungen der deutschen Gesellschaft rückgekoppelt werden, wirken nicht mehr nur im Ausnahmefall im Rahmen einer umfassenden Abwägung auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts ein. Stattdessen räumt der Gesetzgeber nationalen Wertvorstellung bereits auf der Ebene der Verweisung sogar den Vorrang ein. b) Brautgabe, OLG Frankfurt a. M. vom 26.4.2019 Abschließend lässt sich an der Brautgabe-Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. vom 26.4.2019 veranschaulichen, wie die nationale Identität Deutschlands Ein80 Aus diesen Gründen hat das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz jüngst für verfassungswidrig erklärt. Grundsätzlich handle es sich bei der öffentlichen Ächtung von Kinderehen zwar um einen legitimen Gesetzeszweck. Das Gesetz sei jedoch unangemessen, weil es an Folgeregelungen, wie etwa an unterhaltsrechtlichen Ansprüchen, zum Schutz der Betroffenen fehle, BVerfG, Beschluss v. 1.2.2023 – 1 BvL 7/18; Michaels, Der Gesetzgeber ist zu weit gegangen. Der Beschluss des BVerfG zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen, abrufbar unter https:// verfassungsblog.de/der-gesetzgeber-ist-zu-weit-gegangen/ (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 81  Schwab, Die verbotene Kinderehe, FamRZ 2017, 1369, 1371. 82  BT-Drucks. 18/12086, 14.

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gang in die kollisionsrechtliche Rechtsprechung findet. Im Zentrum dieser Entscheidung stand die Wirksamkeit einer Brautgabe-Vereinbarung zwischen zwei muslimischen Eheleuten. Bei der Brautgabe verpflichtet sich der Ehemann anlässlich der Eheschließung, der Ehefrau einen bestimmten Vermögensgegenstand zuzuwenden.83 In der Regel wird die Brautgabe-Vereinbarung bis zum Scheidungsfall gestundet und soll die Ehefrau für den Fall der einseitigen Verstoßung durch den Ehemann (Talaq-Scheidung) wirtschaftlich absichern.84 Ein libyscher Staatsangehöriger und eine deutsche Staatsangehörige, beide muslimischen Glaubens, heirateten im Jahr 2007 standesamtlich in Deutschland. Dieser staatlichen Eheschließung ging im Jahr 2006 eine religiöse Trauung nach islamischem Ritus voraus, bei der auch ein Imam anwesend war. Dabei verpflichtete sich der libysche Staatsangehörige schriftlich auf einem vorgedruckten Dokument mit dem Titel „Akt der Eheschließung“ zur Zahlung einer Pilgerreise nach Mekka. Nachdem die Ehe im Jahr 2016 nach deutschem Recht wirksam geschieden wurde, klagte die Frau gegen ihren früheren Ehemann auf Zahlung der Pilgerreise. Das OLG gelangte aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten zu der Anwendung deutschen Rechts (Art.  14 Abs.  1 Nr.  2 EGBGB a. F.) und ordnete das Brautgabe-Versprechen lediglich als eine gerichtlich nicht einklagbare Naturalobligation ein. Dies begründete das OLG mit zwei Argumenten, die ebenfalls dem Schutz der nationalen Identität Deutschlands dienten. Zum einen argumentierte das Gericht pauschal mit der „Trennung von Kirche von Staat“. Diese rechtfertige, dass für die Brautgabe-Vereinbarung kein „staatlicher Durchsetzungszwang […] zur Verfügung steht“. 85 Zudem zog das Gericht – wie auch schon der Gesetzgeber im Kontext des Verbots von Kinderehen – die kollektive Auffassung der deutschen Gesellschaft für seine Entscheidung heran, indem es argumentierte: Die Brautgabe stimme „als Institut nicht mit dem Grundverständnis der Ehe in der modernen Gesellschaft überein […]“. 86 Der BGH folgte in seiner Entscheidung vom 18.3.2020 zwar nicht der Ansicht des OLG Frankfurt, dass es sich bei der Brautgabe nur um eine nicht einklagbare Naturalobligation handle, verweigerte der Brautgabe jedoch „faktisch die Einklagbarkeit vor deutschen Gerichten“:87 Er wies die Rechtsbeschwerde der geschiedenen Ehefrau mit der Begründung zurück, die Brautgabe-Vereinbarung sei nach §  125 S.  1 BGB nichtig.88 Das islamisch geprägte Rechtsinstitut der Brautga-

83 

Yassari, Die Brautgabe im Familienvermögensrecht, 2014, 12. Yassari (Fn.  83), 263. 85  OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 26.4.2019 – 8 UF 192/17 = FamRZ 2020, 908, 909. 86  OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 26.4.2019 – 8 UF 192/17 = FamRZ 2020, 908, 909; Morgengabe als ein anderer Begriff für Brautgabe, Yassari (Fn.  83), 12. 87  Dutta (Fn.  16), 321, 329; BGH, Beschluss v. 18.3.2020 – XII ZB 380/19 = NJW 2020, 2024, 2028, Rn.  38. 88  BGH, Beschluss v. 18.3.2020 – XII ZB 380/19 = NJW 2020, 2024, 2028, Rn.  33. 84 

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be sei mit dem deutschen Rechtsinstitut der unbenannten Zuwendung vergleichbar und müsse deshalb analog §  518 Abs.  1 BGB notariell beurkundet werden.89 Weshalb hierin eine deutliche Betonung der nationalen Identität liegt, ist insbesondere im Vergleich zu einer anderen Brautgabe-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1987 erkennbar. Hier gelangte der BGH zwar auch zur Anwendung deutschen Sachrechts, unterstellte das Brautgabe-Versprechen jedoch explizit nicht dem deutschen Formzwang.90 Stattdessen „internationalisierte“ das Gericht – um es mit den Worten Heinz-Peter Mansels auszudrücken – das deutsche Sachrecht, um es den Besonderheiten des internationalen Sachverhalts anzupassen.91 So berücksichtigte der BGH im Jahr 1987, dass die Brautgabe nach der religiös geprägten Heimatrechtsordnung der Parteien wirksam wäre92 und gab dem Instanzgericht deshalb eine wirksamkeitserhaltende Interpretationsmöglichkeit nach deutschem Recht an die Hand; die Auslegung als Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt (§  1585c BGB a. F.), die gerade keiner speziellen Form bedürfe.93 Während der BGH auf diese Weise die religiöse Identität der Parteien im Jahr 1987 auch auf der Ebene des Sachrechts berücksichtigte, unterwarf er im Jahr 2020 das islamische Rechtsinstitut der Brautgabe dem deutschen Formzwang. Dabei ließ er außer Acht, dass Brautgaben, unabhängig davon, ob sie in Deutschland oder im Ausland im Rahmen einer religiösen Zeremonie vereinbart werden, in den seltensten Fällen unter der Hinzuziehung eines Notars, sondern eines Imams geschlossen werden.94 Indem der BGH trotzdem an dem Formerfordernis der notariellen Beurkundung festhielt und das deutsche Sachrecht nicht an die Internationalität des Sachverhalts adaptierte,95 priorisierte er die nationale Identität vor der kulturellen Identität der Ehefrau.

V. Fazit: Von einer Interessen- zu einer Identitätsjurisprudenz im Internationalen Familienrecht Kulturelle Identitäten wirken auf die Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen ein. Im 20. Jahrhundert zogen die Gerichte die kulturelle Identität der 89 

BGH, Beschluss v. 18.3.2020 – XII ZB 380/19 = NJW 2020, 2024, 2026, Rn.  20. BGH, Urteil v. 28.1.1987 – IVb ZR 10/86 = NJW 1987, 2161, 2164. 91  „Nachdem der Sachverhalt einer Rechtsordnung zugeordnet wurde (Nationalisierung), ist diese seinen Besonderheiten anzupassen (Internationalisierung)“, Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, 49 f.; Weller (Fn.  18), 747, 777. 92  Dies beurteilte sich für muslimische israelische Staatsangehörige nach §  2 der „Moslem Family Law Ordinance „nach den Regeln des Ottomanischen Familiengesetzes von 1917; BGH, Urteil v. 28.1.1987 – IVb ZR 10/86 = NJW 1987, 2161, 2163. 93  BGH, Urteil v. 28.1.1987 – IVb ZR 10/86 = NJW 1987, 2161, 2164. 94 Nach Dutta stellt die Beiziehung eines Notars deshalb eine „kulturelle Hürde“ dar, Dutta (Fn.  16), 321, 329. 95  Zur Adaption von Sachrecht an die Internationalität des Sachverhalts siehe bei von Bar/ Mankowski, Internationales Privatrecht Band 1, 2. Auflage 2003, §  4 Rn.  17 ff. 90 

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Person noch lediglich als eine Ausprägung von Kegels Parteiinteresse heran: Die Religionszugehörigkeit der Parteien und ihre Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis rechtfertigten die Anwendung der Heimatrechtsordnung. Der Inhalt dieser Heimatrechtsordnung spielte dabei weder für die Frage eine Rolle, ob sich die am Rechtsstreit beteiligte Person mit ihrer Heimatrechtsordnung überhaupt identifizierte. Noch maßen die Gerichte dem Inhalt der Heimatrechtsordnung im Rahmen des Ordre-public-Verstoßes eine große Bedeutung zu, selbst wenn dieser nicht mit nationalen Wertvorstellungen der Gesellschaft in Einklang zu bringen war. In den letzten Jahren schwang das Pendel jedoch um, was sich mit dem soziologischen Konzept der postmigrantischen Gesellschaft nachvollziehen lässt: Mit der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland liegt der Fokus mehr auf dem Inhalt der ausländischen Rechtsordnung. Dies äußert sich zum einen darin, dass Gerichte und Gesetzgeber den Zugewanderten als Träger einer hybriden kulturellen Identität verstehen, und damit nicht mehr nur der Herkunftsidentität des Individuums Rechnung tragen. Stattdessen berücksichtigen sie, ob sich dieser mit dem Inhalt seiner Heimatrechtsordnung identifiziert, indem sie anerkennen, dass sich beispielsweise die Frau gerade aus den patriarchalischen Strukturen ihrer Heimatrechtsordnung lösen möchte.96 Zudem adressieren Gesetzgeber und Gerichte bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts die nationale Identität Deutschlands, als Ausdruck einer kollektiven kulturellen Identität der Gesellschaft: Anders als Kegels Interessenlehre suggeriert, setzt sich diese in der jüngeren Entwicklung nicht nur in Ausnahmefällen im Rahmen einer umfassenden Abwägung durch.97 Stattdessen räumen Gesetzgeber und Gerichte der nationalen Identität bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts sogar einen Vorrang ein. Um zu der analytischen Funktion von Post-Theorien zu Beginn des Beitrags zurückzukehren: Der französische Philosoph Jean-François Lyotard nutzte das Präfix post „in äußerster Vereinfachung“98 , um auszudrücken, dass man den Leiterzählungen der jüngeren Vergangenheit „keinen Glauben mehr schenkt“.99 In Anlehnung daran könnte man sagen, das postmigrantische IPR ist abgerückt von Kegels Leiterzählung, es schenkt der tradierten „Interessenjurisprudenz“ keinen Glauben mehr. An ihre Stelle ist die Identitätsjurisprudenz getreten.

96 

von Hein (Fn.  73), 29, 48. Kegels Ausnahme von den materiell-privatrechtlichen und staatlichen Interessen, siehe oben: II. 2. 98  Lyotard, Das postmoderne Wissen, 2009, 7; Foroutan (Fn.  19), 85, 88. 99  Lyotard (Fn.  98). 97 

An Account of Private International Law in Terms of Relativism Victoria Garin Giménez 1 Private International Law is the field that deals with different legal systems. It does so by treating all legal systems as different, yet equivalent. Coupling difference and equivalence is a feature of Relativism. In this article, I explore the overlaps between Private International Law and Relativism. I argue that looking at Private International Law through the lens of Relativism can unveil some of its hidden assumptions, namely that difference has a value, but only when it concerns legal systems. I also point at some challenges raised against Relativism in other fields and explore the extent to which they can be opposed to Private International Law. I conclude that, from some points of view (namely, that of the individual Other), Private International Law faces questions of legitimacy and the separability of the individual.

“Yo soy el único espectador de esta calle; si dejara de verla se moriría.” Jorge Luis Borges, Caminata (1923) 2

I. Introduction In this article, I propose to look at Private International Law through the lens of relativism. The notion of relativism, I argue, sheds light on some of the assumptions underlying Private International Law. It also raises some challenges to which the field should provide an answer. I start by identifying the aim of the field as the handling of difference. Private International Law seeks to solve the riddle: how to handle cross-border legal situations involving claims from different legal systems? In order to answer this riddle, Private International Law relies on the assumption that national legal systems are all different yet equivalent. Therefore, the riddle can be solved by selecting one of the legal systems involved. Yet, in doing so, Private International Law shares some features with what in other fields is called Relativism. To 1  I thank the organizers of the Conference for their kind invitation, and in particular Florian Heindler and Katharina Kaesling for their kind and insightful comments. 2  “I am the only spectator of this street, / if I stopped watching it, it would die.”

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begin with, Private International Law’s starting point is difference – or the ‘fact of relativity,’ the idea that all legal systems are different in content. In addition, Private International Law sometimes ascribes value to difference – what has been labelled ‘normative relativism.’ Once established that Private International Law can be described in terms of relativity and relativism, I offer grounds to critique both. On the one hand, I suggest that we can contest that the fact of relativity is taken as the basis for discussion in Private International Law; this may involve, among other things, disregarding the individual Other. On the other hand, I point at the concerns that scholars from other fields have addressed to normative relativism and argue that, to the extent that Private International Law scholars rely on it, they should be ready to address all of these challenges. The aim of the article is to provide a critical – albeit limited – reading of Private International Law from the point of relativism. The hope is that this helps to both become aware of the underlying assumptions of the field and identify potential instances of injustice in (or by) it.

II. Private International Law’s Riddle Private International Law rules select which law applies to a cross-border legal situation. The discipline can thus be read as solving the following riddle: how to handle cross-border legal situations involving claims from different legal systems? The riddle is solved by asserting that one of the legal systems should be chosen and that the choice should be made without reference to the substance of the systems involved. Here, I argue that, implicit to this answer, is the idea that each legal system is different from the others yet equivalent to them. I refer to this as the assumptions of difference and equivalence. These assumptions are the core of Private International Law and, as I show in the following Section, resemble claims relativism.

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1. The riddle & the answer Private International Law is most often 3 described as the field of law that deals with the “multiplicity of different, often overlapping, state jurisdictions.”4 When a situation has “connections to more than one legal order,”5 Private International Law intervenes to decide which will govern it – this is, which of the several laws at stake will apply to a situation. The job of Private International Law and its ‘conflict rules’ is to solve the riddle: how to handle cross-border legal situations involving claims from different legal systems?6 The formulation of the riddle is not new,7 but it could be questioned what it refers to: Savigny’s Copernican revolution consisted precisely in arguing that Private International Law’s starting point should be the legal relations rather than the legal systems.8 Why go back to “conflicting claims from different legal systems”? To this, I can offer two answers. First, European Private International Law operates in a way that can be accurately described as answering to the riddle so formulated. Private International Law scholarship in Europe routinely describes conflict rules as a tool for allocating normative authority,9 achieving conciliation amongst laws,10 or seeking

3  Some accounts of Private International Law portray the discipline as revolving around the individual person – instead of focusing on the legal systems involved. These accounts often rely on Kantian theory. Take as an example Sagi Peari, who argues that choice-of-law rules “confirm and crystallize the neo-Kantian foundation” of individual choice (Peari, The Foundation of Choice of Law: Choice and Equality, 2018, xvii); or Toni Marzal and George Pavlakos, who propose a “progressive understanding of Kantian right” in Private International Law, which they ground on pre-institutional individual rights (Marzal, Pavlakos, A Relations-First Approach to Choice of Law, in: Banu/Green/Michaels [eds.], Philosophical Foundations of Private International Law, Forthcoming, 18, 27). Even Jürgen Basedow can be read as putting a focus on the individual when he argues that party autonomy in Private International Law is but a manifestation of contractual freedom, which in turn is itself a manifestation of the Kantian innate right of humanity, Basedow, Freedom of Contract in the European Union, European Review of Private Law 16 (2008) 901, 922. Yet, as I argue next, Private International Law is most often portrayed as dealing with legal systems. 4  Wai, Transnational Liftoff and Juridical Touchdown: The Regulatory Function of Private International Law in an Era of Globalization, Columbia Journal of Transnational Law 40 (2002) 209. 5  Michaels, A Symmetry of Asymmetries: A Private-International-Law Reconstruction of Lindahl’s Work on Boundaries, Duke Journal of Comparative and International Law 29 (2018) 405, 410. 6  See generally Rühl, Private International Law, Foundations, in Basedow et al. (eds.), Encyclopedia of Private International Law, 2017, 1381; Basedow, ibid., 1402. 7  See notably Currie’s theory of ‘interest analysis’ in the United States, Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws, 1990. 8  Sonnentag, Savigny, Friedrich Carl von, in: Basedow et al. (n. 6) 1610. 9  Muir Watt, Private International Law’s Shadow Contribution to the Question of Informal Transnational Authority, Indiana Journal of Global Legal Studies 25 (2018) 37. 10  Glenn, La Conciliation des Lois (Volume 364), 2011.

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the coordination of the legal systems11 – thus implying that the conflict between legal systems is at the core of the discipline.12 Second, unlike Savigny’s, my account here is not normative but descriptive. The aim here is not to build a system of Private International Law on the basis of the riddle, but to describe the existing conflict system – making the change of formulation “one of starting point only, not of result.”13 The formulation of Private International Law’s riddle is thus a plausible one.14 Private International Law’s answer is as follows: to handle a cross-border legal situation, one should select a law and apply it to the said legal situation. A law here stands for the entire legal systems of one country, and it is the provisions of this legal system which will set the terms of the interaction and settle any controversy. The job of Private International Law is thus limited to selecting one law. The answer resembles, as a much-quoted analogy puts it, “the inquiry office at a railway station where a passenger may learn the platform at which his train starts.”15 Private International Law selects a law; taking passengers to their destination is something for the selected law to do. The rules that indicate which law should be chosen are Private International Law’s ‘conflict rules.’16 A conflict rule would state, for example, that a cross-border contract for the sale of goods “shall be governed by the law of the country where the seller has his habitual residence,”17 thus discarding all other laws involved, such as that of the country of habitual residence of the buyer, or that of the place of delivery of the goods. Most Private International Law scholarship revolves around the correct formulation of conflict rules.18 Here, I zoom into the previous step: the move from the riddle to the answer. 11  Struycken, Co-Ordination and Co-Operation in Respectful Disagreement, General Course on Private International Law (Volume 311), 2004. 12 See Banu, Conflicting Justice in Conflict of Laws, Vanderbilt Journal of Transnational Law 53 (2020) 461. 13  Michaels, Globalizing Savigny: The State in Savigny’s Private International Law, and the Challenge of Europeanization and Globalization, in: Stolleis/Streeck (eds.), Aktuelle Fragen zu politischer und rechtlicher Steuerung im Kontext der Globalisierung, 2007, 132. 14  As I argue below, formulating the riddle in these terms adds clarity to the analysis, for it highlights its underlying assumptions – and thus the similarities between Private International Law and legal and moral philosophy. 15  Cheshire, North & Fawcett: Private International Law, 2008, 8. 16  Two things remain beyond the scope of this article: first, cases of dépeçage, where multiple laws apply to a single case; second, substantive conflict rules, where Private International Law rules provide a solution to the substance of the case (see, for example, Dinwoodie, A New Copyright Order: Why National Courts Should Create Global Norms, University of Pennsylvania Law Review, 149 [2000], 469). 17  Art.  4(1)(a) Regulation (EC) No 593/2008 of the European Parliament and of the Council of 17 June 2008 on the law applicable to contractual obligations (Rome I). 18  “The focus of attention has in the private international law context long shifted from its theoretical basis to the more practical question of what “the mechanisms for reaching the right result in substantive law terms” are in a particular case, i.e. to the discussion of choice-of-law

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2. The assumptions Three assumptions, I argue, are needed to move from the riddle to the answer in Private International Law: difference, equivalence, and extraterritoriality of national legal systems.19 Each assumption complements and, to some extent, presupposes the others. Without these assumptions, it is hard to make sense of Private International Law conflict rules; only if all legal systems are different, equivalent, and applicable to cross-border situations, it makes sense to choose one legal system to apply to situations of this kind. The first assumption on which Private International Law relies is that legal systems are each different in content.20 This may seem like a platitude: in order to make a choice, we need something to choose from, alternatives, a plurality of options that differ from one another.21 Yet, it is important spell out this assumption, for it is at the heart of both relativism and the system of Private International Law: Private International Law’s raison d’être is in fact the plurality of legal systems.22 The second assumption of Private International Law is that all legal systems are equal or, at least, equivalent.23 This means that any of the legal systems involved could legitimately solve the issue – as the first assumption implies –, but also that any of them would provide a (material) solution to the case that is equally valid or just. methods,” Wolff, Flexible Choice-of-Law Rules: Panacea or Oxymoron, JPIL 10 (2014) 431, 446. 19  There is a prior assumption: that there is such a thing as national legal systems. I thank a reviewer for bringing this to my attention. I do not engage here with this assumption fully, but it is a meaningful one. On the one hand, it involves a certain conception of the international legal sphere, which strongly relies on territoriality and the notion of the nation-state. On the other hand, it can be a problematic, or at least misguided, assumption in cases of plural, multicultural, or simply federal legal systems. This is usually addressed having resource to internal rules of conflict of laws, the content of which may mirror that of international ones (and thus reproduce their faults, sketched in Section 3). 20  One could argue that this is not an assumption but a statement of facts: legal systems are different; this is a reality. Yet, since Private International Law does not look at the content of substantive provisions, the difference is presumed. 21  Indeed, as Hesselink puts it: “it makes a difference who developed contract law and what their views were. Lawmakers with different views make different choices,” Hesselink, The new European private law: essays on the future of private law in Europe, 2000, 108. 22  There are rules of conflict because culture and the legal systems attached to them vary from one to the other: “[le] droit international privé […] conserve toute son utilité aussi longtemps que cette uniformisation [du droit des obligations] n’aura pas été réalisée,” Heuzé, De la compétence de la loi du pays d’origine en matière contractuelle ou l’anti-droit européen, in: Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde, 2005, 393. 23  “The reason for the existence of Private International Law is the equality of legal systems (and not only the equality accorded to the individuals subject to these systems)” Lipstein, Private International Law with a Social Content – a Super Law?, in: Bernstein et al. (eds.), Festschrift für Konrad Zweigert zum 70. Geburtstag, 1981, 179, 181.

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The third assumption is that national legal provisions are suited to govern, and can legitimately apply to, inter-national situations. Every time a case has connections with several legal systems, Private International Law chooses one of them to govern it. And every time Private International Law selects a national system to govern a cross-border case, two things happen. On the one hand, this creates some extraterritoriality: the scope of a legal system broadens in order to include a situation that contains foreign elements, sometimes even applying to foreigners who may not have had a say in their content.24 On the other hand, this nationalises a situation that, despite having links to other legal systems, becomes subjected to this legal system only – whether its provisions intended to be applied to this kind of cases or not. I later come back to the questions of legitimacy that this raises; here, it is enough to point out that Private International Law needs to rely on the assumption of extraterritoriality to construct an answer to the riddle. Coming back to the railway station analogy, according to which Private International Law’s job is to indicate the correct platform, we here face a problem: how can Private International Law select one platform over the others if all destinations are acceptable? How to choose a law if they are all similarly good? One option would be to designate a destination as the best one. Yet, this would not only assume that there is such thing as a better solution; it would also require that Private International Law looks into the content of each law and ranks them, something commonly deemed both rejectable25 and unfeasible.26 The alternative would be to select a platform – a law applicable to a cross-border situation – regardless of the content of the laws: this is, on the basis of criteria other than the substance, which would rule out having to choose which destination is best. This is what European rules of Private International Law, for the most part, do.27 As the example cited above, European conflict rules most often refer to ‘technical’ concepts, such as habitual residence, to select an applicable 24  The claim here is that Private International Law routinely expands the scope of national provisions. For the view that national (private) law is in fact dethroned by rules of private international law – more specifically, by party autonomy (the possibility of the parties to choose the law applicable to their relationship, which turns law into a commodity ‘parties can demand and need not even pay for’), see Rödl, Private Law beyond the Democratic Order? On the Legitimatory Problem of Private Law “Beyond the State”, The American Journal of Comparative Law 56 (2008) 743, 749. 25  Briggs, The Principle of Comity in Private International Law (Volume 354), 2012; Childress, Comity as Conflict: Resituating International Comity as Conflict of Laws, U.C. Davis Law Review 44 (2010) 11. For the overlaps between Public and Private International Law, see Mills, Connecting Public and Private International Law, in: Ruiz Abou-Nigm/McCall-Smith/ French (eds.), Linkages and Boundaries in Private and Public International Law, 2018. 26  Berman, Understanding Global Legal Pluralism: From Local to Global, from Descriptive to Normative, in: Berman (ed.), The Oxford Handbook of Global Legal Pluralism, 2020, 26. 27  I omit the (notable) cases of local data, see Dornis, Local Data, in: Basedow et al. (n. 6), 1167.

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law – and leave aside all substantive considerations. Doing so, I argue below, is a sensible solution insofar it does not fall into relativism. The current system of Private International Law resembles what in other fields has been labelled ‘relativism’: the descriptive claim that “cultures differ, often dramatically, across time and space” and that the normative claim any practice can be evaluated “by the standards of the culture in question” only.28 Relativism poses a series of problems. To the extent that Private International Law, its assumptions, riddle, and solution, mirror the reflections made by relativists, it makes sense to look at the discipline from the point of view of relativism and assess its potential shortcomings from this point of view. Private International Law can be read as answering to the riddle how to handle cross-border legal situations? Its answer – that one should select one of them – depends on the assumptions of difference, equivalence, and extraterritoriality of national legal systems. These assumptions also explain that the selection should be done irrespective of the content of the laws: any national law can, in principle, apply to any international case with which it has a connection, and all options are equally valid alternatives. In doing so, Private International Law makes claims that resemble those of what in other fields has been labelled relativism.

III. Private International Law as a Case of Relativism Relativism as a factual claim holds that things – in this case, legal systems – are relative to the place and time where they originated; relativism as a normative claim maintains that epistemological, ontological, or value claims can be derived from the fact of relativity attached to it. Below, I present the two ideas and argue that both can be found in Private International Law and its scholarship; this is, that Private International Law can, at least in some ways, be read as relativist – or as sharing assumptions and implications of what, in other fields, has been labelled ‘relativism.’29 As a result, the challenges raised against relativist 28 

Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007), 294, 294. mostly borrow from anthropology: Herskovits, Cultural Anthropology, 1955; Schmidt, Some Criticisms of Cultural Relativism, The Journal of Philosophy 52 (1955) 780; Fernandez, Tolerance in a Repugnant World and Other Dilemmas in the Cultural Relativism of Melville J. Herskovits, Ethos 18 (1990) 140; Lukes and Runciman, Relativism: Cognitive and Moral Proceedings of the Aristotelian Society 4 (1974); human rights: Binderup, Universalism and (Cultural) Relativism, in: Binder et al. (eds.), Elgar Encyclopedia of Human Rights; Ulrich, Human Rights Scepticism, in: Binder (ibid.); Donnelly, Cultural Relativism and Universal Human Rights, Human Rights Quarterly 6 (1984) 400; Donnelly, The Relative Universality of Human Rights, Human Rights Quarterly 29 (2007) 281; Howard, Cultural Absolutism and the Nostalgia for Community, Human Rights Quarterly 15 (1993) 315; Caney and Jones (eds.), Human Rights and Global Diversity, 2014; and moral theory: Baghramian and Carter, Relativism, in: Zalta (ed.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2022); Gowans, 29 I

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theories can be opposed to Private International Law, too. Borrowing from other fields which have dealt with the subject extensively,30 I show the parallelisms between their analysis and the assumptions of Private International Law, and point at possible objections.31 1. A simple account of relativism Discussions on relativism typically start with a section on terminology. It is easy to see why: even though the provoking nature of the term ‘relativism’ is clear, its meaning is more elusive.32 To define relativism, scholars tend to distinguish two notions. On the one hand, there is what is often referred to as the ‘fact of relativism:’ the empirical claim that cultures differ on their epistemological, moral, political, and legal conceptions.33 The fact of relativism, as a ‘well established empirical truth,’34 is descriptive: it is an assertion of how things are in the world today. Some refer to this as the fact of relativity.35 Opposed to, or at least different from, the fact of relativism is the claim that relativism has a normative value. This usually goes by the name of ‘normative relativism:’ the theses that 1) the plurality of views has a value on its own, and 2) each of the plural views can only be assessed from the inside: no external critique is legitimate. It is normative because the notion of relativism – and not merely the fact of relativity or difference – is valuable and thus praised, preserved, or encouraged.36 The difference can be summarized in the words of Donnelly (who, however, only talks of cultural relativity and relativism to highlight that, for him, difference can be explained in terms of culture):

Moral Relativism, in: Zalta (ibid.); Li, Moral Ambivalence: Relativism or Pluralism?, Acta Analytica 34 (2019) 473; Williams, Morality: an introduction to ethics (1976). 30  And sharing the intuition that Private International Law can be considered “a foundational subject like legal philosophy (with which it shares the stance that laws are its object),” Michaels, Global Legal Pluralism and Conflict of Laws, in: Berman (n. 26), 641. 31  See generally Knop/Michaels/Riles, Transdisciplinary Conflict of Laws: Foreword, Law and Contemporary Problems 71 (2008) 1. See also Muir Watt, Hospitality, Tolerance, and Exclusion in Legal Form: Private International Law and the Politics of Difference, Current Legal Problems 70 (2017) 111; Muir Watt, Discours sur les méthodes du droit international privé (des formes juridiques de l’inter-altérité), 2019. 32  Schmidt, The Journal of Philosophy 52 (1955), 780. 33  Schmidt, The Journal of Philosophy 52 (1955), 782; Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007), 294. 34  Schmidt, The Journal of Philosophy 52 (1955), 782. 35  Donnelly, Human Rights Quarterly 6 (1984), 400. 36  Binderup (n. 29) 509. Different authors use different labels: ‘particularism’ (O’Neill, Towards justice and virtue: a constructive account of practical reasoning, 1996, 66); ‘philosophical relativism’ (Herskovits [n. 29]), ‘relativism as a value theory’ (Schmidt, The Journal of Philosophy 52 [1955], 780, 785) or simply ‘relativism’ (Williams [n. 29]).

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“Cultural relativity is an undeniable fact; moral rules and social institutions evidence an astonishing cultural and historical variability. Cultural relativism is a doctrine that holds that (at least some) such variations are exempt from legitimate criticism by outsiders, a doctrine that is strongly supported by notions of communal autonomy and self-determination.”37

Disagreements mostly arise with regard to normative relativism.38 While most would agree that (legal) conceptions vary depending on the place and the culture from which they arise, many would reject that this has a normative value of its own, or that it should be translated into rules of Private International Law. Here, I explore whether and how the labels ‘relativity’ and ‘relativism’ can be transposed into Private International Law. In the following section, I list some of the challenges that this poses. 2. Relativism and Private International Law Both types of relativism can be found in Private International Law. As explained in the first section, Private International Law’s job is to answer to the question: how to handle cross-border legal situations involving claims from different legal systems? Its answer is that cross-border legal situations should be subject to a law, the selection of which should be done without regard to the content of its provisions. The answer, as shown in Section 1, relies on the assumptions of extraterritoriality, difference, and equivalence of national laws. Two of the three assumptions fit at least one form of relativism. The idea that laws differ from each other matches what I have labelled the ‘fact of relativity:’ legal provisions, as most institutions, vary from one country to the other. Difference is what justifies Private International Law:39 the need to choose one law over another can only exist insofar legal systems differ in content.40 Private International Law’s starting point is, therefore, a case of descriptive relativism. The assumption of difference is complemented by that of equivalence: any law can, in principle, govern a cross-border situation.41 Nothing in their content can make a law unfit for governing a cross-border situation a priori. As a result, laws must be selected by reference to something other than their content. Here appear Private International Law’s technical conflict rules: rules of conflict of 37 

Donnelly, Human Rights Quarterly 6 (1984), 400, 400. disagree about the existence of ‘cultural invariants’ (Schmidt, The Journal of Philosophy 52 [1955], 780, 783) or ‘lowest common denominator’ (Fernandez, Ethos 18 [1990] 140, 153). 39  “Private international law deals with the diversity of systems of private law,” Struycken (n. 11), 27–28. 40  And in the results they produce, for the application of different laws will necessarily lead to solving the controversies differently. 41  See above. 38 Anthropologists

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laws that select a law as applicable to a cross-border situation on the basis of elements other than the content of the laws involved42 – for example, conflict rules based on the proximity of a law to a cross-border situation.43 Here, the idea of equivalence is a case of descriptive relativism, too: difference makes it hard to choose one alternative over another, and, since no hierarchy can be easily found, other sources of choice must be made up.44 The idea of equivalence can also constitute an example of normative relativism: for some authors, choosing one law over another is not only difficult but it is also wrong, for it implies that the law chosen is better than the ones discarded. According to these scholars, Private International Law not only works with difference; it is also tasked to respect and protect it. This usually encompasses one of two claims: first, that, even if one tried, it would be impossible to find a neutral standpoint from which to evaluate which law is best. Second, that difference is valuable and should for this reason be respected or preserved. Starting by the impossibility to find a neutral standpoint, scholars have called into question the neutrality of Private International Law rules.45 They have explicitly targeted ‘technical’ conflict rules, the technicity of which, they argue, has often been unduly conflated with their neutrality. Rules of Private International Law, they claim, are creatures of national law and, as such, they embody certain worldviews as any other legal provisions.46 As a result, one cannot talk of an impartial way of solving conflicts, nor of one type of ‘conflict justice’ that would fit all.47 Instead, scholars of Private International Law must be aware of Private International Law’s biases – which can amount to a general attitude of 42  For a more recent praise of technique, see Salaymeh, Decolonial Comparative Law: A Conceptual Beginning, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 86 (2022), 166; Knop/Michaels/Riles, Stanford Law Review 64 (2012) 589; Michaels, Post-Critical Private International Law: From Politics to Technique, in: Muir Watt/Fernández Arroyo (eds.), Private International Law and Global Governance, 2014. 43  Lagarde, Le principe de proximité dans le droit international privé contemporain, 1986. The conflict rule in Art.  4(1)(a) Rome I Regulation belongs to this category. 44  In this case, equivalence could be interpreted as a consequence of difference. On the practical unfeasibility of (rather than normative opposition to) choosing the ‘best’ option amongst different laws, see Section 1. 45  See generally, Currie (n. 7); Kegel, The Crisis of Conflict of Laws, 1964. 46  Muir Watt, Choice of Law in Integrated and Interconnected Markets: A Matter of Political Economy, Columbia Journal of European Law 9 (2002) 383, 385. According to Ragno, the “‘innocence’ and the ‘pristine purity’ once attributed to this field” are not only gone but this is so recognized by all actors, Ragno, Certainty versus Flexibility in the EU Choice of Law System, in: Ferrari/Fernández Arroyo (eds.), Private International Law: Contemporary Challenges and Continuing Relevance, 2019, 27, 56. 47  I do not engage here with the full discussion of ‘what is justice in Private International Law.’ See generally Kegel (n. 45); Symeonides, Material Justice and Conflicts Justice in Choice of Law, in: Borchers/Zekoll (eds.), International conflict of laws for the third millennium: essays in honor of Friedrich K. Juenger, 2001; Weinberg, Theory Wars in the Conflict of Laws, Michigan Law Review 103 (2005), 1631; Banu (n. 12).

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respect towards the foreign;48 to the mandate that one should only speak for oneself; or to the call for revisiting even the most basic (and foundational) notions of Private International Law.49 The claim that there is no “view from nowhere”50 has been made in other fields, too. According to Benhabib, “Since Aristotle, we know that, in reasoning about matters of ethics and politics, we are ‘always already situated’ in medias res – we never begin the conversation without some presupposition and, in this case, without some shared understanding of what equality of participation in the conversation, challenging the agenda, and the like, may mean. Discourses are reflexive processes through which much of what we always already take for granted is challenged, questioned, ‘bracketed’, if you wish, until these presuppositions are reestablished at the end of the conversation – a conversation that itself is always open to a future challenge.”51

The parallelism between Private International Law and moral theory matters: if the reflections made by scholars of both fields are similar, then the arguments used to praise or challenge the arguments of one can perhaps be extended to the other. In other words, whichever argument was raised against relativism in moral theory may constitute a valid argument against a certain conception of Private International Law, too. That is what I explore in Section 3. In addition to the lack of neutrality, scholars of Private International Law have also focused on plurality and diversity.52 For them, Private International Law’s job is to preserve plurality, diversity, or both. Muir Watt, for example, regrets that “legal diversity is undergoing a progressive dismantlement, which 48  See for example Michaels, A Symmetry of Asymmetries: A Private-International-Law Reconstruction of Lindahl’s Work on Boundaries, Duke Journal of Comparative and International Law 29 (2018) 405; Michaels, Beyond Universalism and Particularism in International Law – Insights from Comparative Law and Private International Law, Boston University Law Review 99 (2019) 18. 49 For Bomhoff, “the labels ‘extraterritorial’ or ‘domestic’ are impossible to apply with any objectivity,” and “determining the location of rights infringements depends on preestablished conceptions of what the relevant right actually protects,” Bomhoff, The Reach of Rights: The Foreign and the Private in Conflict-of-Laws, State-Action, and Fundamental-Rights Cases with Foreign Elements Transdisciplinary Conflict of Laws, Law and Contemporary Problems 71 (2008) 39, 51. 50  Michaels (n. 30), 643. 51  Benhabib, Democratic Sovereignty and Transnational Law, in: Deutscher/Lafont (eds.), Critical theory in critical times: transforming the global political and economic order, 2017, 36. 52  This claim arises most commonly amongst scholars of legal pluralism. Pluralism has many meanings and one could safely speak of a ‘plurality of pluralisms,’ Hesselink, Anything Goes in Private Law Theory? On the Epistemic and Ontological Commitments of Private Law Multi-Pluralism, German Law Journal 23 (2022) 891, 892. I here make no distinctions; on plurality and pluralism in Private International Law, see generally Berman (n. 26); Michaels (n. 30); Muir Watt, Conflicts of Laws Unbounded, in: The Oxford Handbook of Global Legal Pluralism, 2020; Abou-Nigm/Noodt Taquela (eds.), Diversity and Integration in Private International Law, 2019.

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in turn smoothers the path for the universal expansion of capital.”53 Here, as her other writings make clear, she is not only lamenting the rise of global capitalism favoured by Private International Law, but also insisting on the intrinsic value of plurality.54 Similarly, Berman claims that: “in a plural world, eradicating normative conflict is not only impossible, it is undesirable,” and that “we would need conflicts as a way of emphasizing important normative differences that remain among the peoples of the world, rather than seeking homogenization.”55 These authors do not always derive this normative claim from the fact of relativity only. In the case of Berman, for example, he claims that “[a]dopting a conflicts framework, we can turn the gaze to the discursive interaction,”56 thus seemingly putting a value on the discursive process. In the case of Muir Watt, her focus seems to be epistemological: “in a conflict of laws perspective, there is no such thing as a subjective right ‘out there’ (as opposed, perhaps to a fundamental right): a right can only exist from the extremely relative perspective of a particular forum.”57 Since “each legal system can only decide conflicts for itself,”58 Muir Watt proposes that the only acceptable ethical stance to deal with diversity is what she calls ‘hospitality:’ an attitude whereby the local “welcomes in foreign law on its own terms.”59 In other words, when dealing with the foreign, one should always maintain one’s point of view, acknowledge that it is one-sided (and not universal), and yet remain open to the other. 60 In any case, to the extent that the conclusion is that not only that we should see Private International Law as a political tool,61 but also that we should refrain from any value judgement and hierarchy,62 maintain plurality for its own sake, or only see things from our point of view only, this is a claim of normative relativism. 53  Muir Watt/Fernández Arroyo (eds.), Private International Law and Global Governance, 2014, 9. 54  See for example Muir Watt, Empire through Contract: A Private International Law Perspective, in: Cutler; Dietz, The politics of private transnational governance by contract, 2017, 278. Pointing to a similar direction, see Pistor, The Code of Capital: How the Law Creates Wealth and Inequality, 2019, 134–137. 55  Berman, Conflict of Laws and the Legal Negotiation of Difference, in: Sarat/Douglas/ Merrill Umphrey (eds.), Law and the Stranger, 2010, 170. 56  Berman (n. 55) 170. 57  Muir Watt (n. 54), 290. 58  Muir Watt (n. 54), 290. 59  Muir Watt, Hospitality, Tolerance, and Exclusion in Legal Form: Private International Law and the Politics of Difference, Current Legal Problems 70 (2017) 111, 138. 60  If one’s point of view requires so, one can impose limits on the foreign – but these limits are to be established a posteriori, only once it has been established that the foreign poses actual challenges to the forum in the concrete case, such as matters of public policy, Muir Watt, Current Legal Problems 70 (2017) 111, 138. 61  Kennedy, The Political Stakes in “Merely Technical” Issues of Contract Law, European Review of Private Law 10 (2002) 7. 62  Michaels, Private International Law and the Question of Universal Values, in: Ferrari/ Fernández Arroyo (n. 46).

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Similar claims to the ones highlighted here – both in terms of descriptive and normative relativism – have been made by scholars of relativism in other fields. Looking into their discussions can help us spot potential problems hidden in the assumptions made by Private International Law. Private International Law starts with descriptive relativism: its starting point is the claim that all legal systems are different. Only difference, variation, justifies the existence of Private International Law. In addition, some claims from Private International Law scholarship resemble claims of normative relativism. As I show next, this raises a series of questions.

IV. The Dangers of a Relativist Private International Law While it is a fact that the world is plural – that ideas, conceptions, legal systems are different for different groups and in different places –, one should be careful when this (factual, descriptive) claim derives into a normative one. The former is a statement of fact; the latter constitutes a proper ‘substantive normative doctrine with prescriptive force’63 – which some have equated to ‘cultural absolutism.’64 If one wishes to embrace normative relativism, one should do it knowingly and provide convincing answers to the challenges that have been raised against it. Here, I introduce some of those challenges, as well as some objections that could be opposed to descriptive relativism, insofar as it serves as the only cornerstone of the conflict system. 1. A critique of relativism When it comes to normative relativism, the idea that there is no ‘view from nowhere,’ that any legal provision is deeply shaped by the context on which it was enacted, seems both appealing and intuitive. If Private International Law is indeed tasked with dealing with the plurality of legal systems (if it was indeed ‘established for this very purpose’), 65 then rules of Private International Law should make space for difference – for example, by not applying any substantive solutions on international cases if those solutions came from one State only. Yet, one should be careful not to slip from the (fact-based) statement that conceptions differ from one place to another to the normative assertion that no dialogue is possible, for each – person, community, State – is biased towards their

63 

Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007) 281, 294. Howard, Human Rights Quarterly 15 (1993) 315. For Howard, cultural absolutism “posits particularist cultures as of more ethical value than any universal principle of justice,” ibid., 315. 65  Michaels, ‘Global Legal Pluralism and Conflict of Laws’ (n. 35), 641. 64 

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own. 66 Very briefly, two sources of criticism can be opposed here: first, that this would constitute a case of faulty logic – deriving an ought from an is – that would devoid the claim from a strong normative foundation.67 As Bernard Williams points out, “it cannot be a consequence of the nature of morality itself that no society ought ever to interfere with another, or that individuals from one society confronted with the practices of another ought, if rational, to react with acceptance.”68

Second, one could argue that doing so would carry the risk falling into total relativism where even discourse is made impossible. In fact, “[t]he strongest form of radical cultural relativism would hold that the concept of “human being” is of no moral significance.”69 This would rule out any possibility to engage in a meaningful conversation with others.70 Finally, many authors have identified a series of negative consequences that derive from the application of normative relativism.71 This includes legitimizing unjust practices (deemed unquestionable simply because they have existed for years);72 being at the service of tyrants or elites, who use the discourse on relativism as a tool to serve their own interests;73 or even perpetuating traditions that no longer exist.74 Proponents of relativism in other fields have addressed these challenges, more or less convincingly. For some, the solution involves going back to some sort of universal;75 others put a stop to relativism that could seem arbitrary.76 In order to reflect upon these questions, discussions on moral theory may be of help: the field has long debated on the difference between a ‘universal attitude’ and uni-

66  See for example the works contained in Kitzinger/Wilkinson (eds.), Representing the Other: A Feminism & Psychology Reader, 1996. 67  Schmidt, The Journal of Philosophy 52 (1955), 780, 785. 68  Williams (n.  29), 39. 69  Donnelly, Human Rights Quarterly 6 (1984) 400, 404. 70 And dialogue is necessary for any account that deals with diversity: “the effects of speaking only for ourselves are often the silencing of Others, the erasure of their experience, and the reinscription of power relations,” Kitzinger/Wilkinson (n.  66), 12. 71 See generally Lukes/Runciman (n.  29); Fernandez (n.  29); Binderup (n.  29); Gowans (n.  29). 72 For Donnelly, ‘intolerant, even genocidal’ practices may hide behind the appeal to traditions, Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007) 281, 295. 73  Donnelly, Human Rights Quarterly 6 (1984) 400, 410–11. Donnelly speaks of ‘cynical manipulations of a dying, lost, or even mythical cultural past.’ 74  Donnelly, Human Rights Quarterly 6 (1984) 400, 411. 75  In order to say that we should ‘develop a legal language in which the negotiation of difference can take place,’ some sort of common understanding needs to be assumed, Berman (n.  55), 170. 76  O’Neill (n.  36), 37. O’Neill argues that “much, but not everything, depends on how the rules are interpreted and enacted,” O’Neill (n.  36) 83.

An Account of Private International Law in Terms of Relativism

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versal substance,77 and the distinction between concepts (which are universal) and conceptions (which are local and varying).78 When it comes to descriptive relativism – the fact of relativity –, on the other hand, one can critique the fact that it serves as one of the basic tenets of Private International Law. The intuition is that there can be a series of negative consequences deriving from using the assertion that there are a variety of legal systems in the world as the foundation of the discipline.79 For example, if we look at Private International Law from the point of view of the individual other, it is not implausible to claim that they – the individual others – could reasonably reject80 to being subject to laws they did not have a chance to shape (by questioning their legitimacy);81 the presumption of difference (in particular, when it is exoticizing);82 or the lack of accountability of legal systems other than those of the state.83 Whether we agree with these critiques is a matter of personal views and normative conceptions. The point here is only to look at the discipline from the

77 As Donnelly does in the case of human rights: for him, we should distinguish the ‘conceptual universality’ of human rights from “substantive universality, the universality of a particular conception or list of human rights,” Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007) 281, 282. 78  See for example, O’Neill (n. 36), 83. For Donnelly, “[s]ubstantial second order variation, by country, region, culture, or other grouping, is completely consistent with international legal and overlapping consensus universality,” Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007) 281, 300. 79  When it comes to ‘neutral’ conflict rules, Weinberg asks: “what must Justice be blind to? […] it is hard to believe that Justice must be blind to injustice,” Weinberg, Michigan Law Review 103 (2005), 1631, 1667. 80  Scanlon, What We Owe to Each Other, 1998. 81  The extraterritoriality of national laws raises a series of legitimacy issues that, I would claim, cannot be justified simply by a theory of voluntary submission. Contra: Peari, Savigny’s Theory of Choice-of-Law as a Principle of Voluntary Submission, University of Toronto Law Journal 64 (2014), 106; Peari, The Choice-Based Perspective of Choice-of-Law Symposium: What Is Private International Law, Duke Journal of Comparative and International Law 23 (2012), 477. 82  Although it is true that “il est parfaitement réducteur d’assimiler le pluralisme normatif à un désir d’exoticisme du juriste occidental” (Muir Watt [n. 31], 336), one should take the risk of orientalism seriously, Said, Orientalism (1979). Magnifying the difference, we may also fall into the situation where “[t]he “othering” project degrades although it also seeks to save,” Mutua, Savages, Victims, and Saviors: The Metaphor of Human Rights, Harvard International Law Journal 42 (2001) 201, 235. In fact, dichotomous reasoning – this is, reasoning that leads to ‘either/or’ conclusions rather than ‘both/and’ ones – has been identified as a feature of Eurocentric mode of thinking, Nunn, Law as a Eurocentric Enterprise, Law and Inequality: A Journal of Theory and Practice 15 (1997) 323, 334. 83  Muir Watt, Private International Law’s Shadow Contribution to the Question of Informal Transnational Authority, Indiana Journal of Global Legal Studies 25 (2018) 37; Muir Watt, Moral Commitments of Private Law and the Curbing of Global Corporate Power, Cornell International Law Journal Online 51 (2018) 133.

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Victoria Garin Giménez

point of view of relativism allows us to see a whole set of criticisms and (real) problems of which Private International Law scholars should be aware. 84 2. Some final thoughts Michaels regrets, in one of his articles, that “Pascal’s puzzlement over law’s plurality (“Plaisante justice qu’une rivière borne! Vérité au-deçà des Pyrénées, erreur au-delà”) 85 is regularly cited with approval.”86 After this analysis, we could wonder whether Pascal was indeed puzzled by the fact of plurality – or whether he was instead expressing awe (or even vertigo) at the possibility of a normative relativism that would question every foundation of truth. Here, I have tried to make the distinction clear in Private International Law. I have argued that plurality (or relativity) as an empirical fact is at the basis of the discipline: Private International Law starts by the assertion that legal systems are different and sets itself the aim to solve the problems this may cause when several of them overlap. I have also argued that the solution it proposes is limited to choosing among different systems, which leads to situations of extraterritoriality of national laws. I have distinguished this fact of relativity from normative relativism: the idea that there is a value in relativity, and that this implies that no value judgement but also no universal principle can be found. I have pointed at the challenges that have been raised against normative relativism in other fields, and argued that they appear in Private International Law too. Finally, I have contended that, even if Private International Law were only embracing descriptive and not normative relativism, still some aspects of it – in particular, its nature as the foundational principle of the entire system – can be revisited.

84 

“Culture is not destiny,” Donnelly, Human Rights Quarterly 29 (2007) 281, 296. “A strange justice that is bounded by a river! Truth on this side of the Pyrenees, error on the other side.” 86  Michaels, Boston University Law Review 99 (2019) 18, 19. 85 

Choice of Law Rule in Procedure and Overriding Mandatory Provisions: Opposite Trends? Shahar Avraham-Giller This paper presents two trends in private international law. On the one hand, the increasing willingness to permit the forum to apply its overriding mandatory provisions. On the other hand, the consistently restricted application of the choice of law rule in procedure, that is to say: the growing tendency to minimise the category of procedure. The paper will argue that these two trends seemingly conflict with each other. The first trend reflects a stronger tendency to apply the lex fori, and the later reflects a willingness to escape the application of the law of the forum. Then, the article will offer an innovative explanation to resolve this tension that connects the reducing scope of the choice of law rule in procedure to the far-reaching change in the perception of the role of the civil adjudicatory system. The article will argue that the two trends – the increasing willingness to apply overriding mandatory provisions and the restriction of the scope of the choice of law rule in procedure – are not in a conflict if a “private” model for the civil process is considering that perceives the civil process primarily as a method of achieving peaceful settlement of private disputes and not as an institute that serves mostly public interests.

I. Introduction Private International Law is based on the understanding that national legal systems are often willing to take jurisdiction over cases that are not wholly domestic and that they are also willing to decide such cases under foreign law. The dominant approach in choice of law has always been, and still is, the even-handed multilateral system of choice of law rules that designate which law should apply on the basis of an abstract legal category and an abstract connecting factor. Alongside this deference to the foreign and especially the willingness to enforce foreign law, theories in private international law always acknowledged a number of tools that permit, and even require the forum to give precedence to its own laws or values. Prominent among these are the rule subjecting procedural questions to the lex fori and the public policy exception, both of which have long been recognised as fundamental principles of choice of law. A more recent mechanism for applying forum law is the concept of overriding mandatory provisions. In this context of private international tools that lead to the application of the lex fori, there are two trends. On the one hand, the increasing willingness to permit the forum to apply its overriding mandatory provisions. On the other

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Shahar Avraham-Giller

hand, the consistently restricted application of the choice of law rule in procedural matters. This article argues that these trends may appear to be in conflict and offers a theoretical explanation to resolve the tension between them. First, the article discusses a recent trend in private international law – the increasing willingness of legal systems to apply their overriding mandatory law, i.e., provisions which are regarded by the legal system as essential for safeguarding its public interests, such as its political, social or economic organization, to such an extent that they apply to any situation falling within their scope, irrespective of the law otherwise applicable. Then, the article addresses the universally recognized lex fori regit processum rule. This choice of law rule subjecting procedural questions to the lex fori. The paper explores how this choice of law rule has been consistently restricted over the past century by narrowing the interpretation of what will be considered a procedural issue. Following that, the article argues that the increasing use of overriding mandatory provisions conflicts with the tendency to restrict the use of the choice of law rule in procedure. Then, the article offers a possible explanation for these conflicting trends, relating them to changes in the perception of the role of the civil adjudicatory system and procedure. From a more general perspective, this paper shows how the rules of private international law are connected to, and influenced by, changes in other fields of law.

II. The Increasing Use of Overriding Mandatory Provisions Together with the principle of deference to the laws of another country, private international law has always acknowledged a number of tools that explicitly permit, and even require the forum to give precedence to its own laws. Prominent among these are the public policy exception and the rule subjecting procedural questions to the lex fori that I will discuss in the following part. A more recent mechanism for applying forum law is the concept of “overriding mandatory provisions”. A typical definition of overriding mandatory rules presents them as rules “respect for which is regarded as crucial by a country for safeguarding its public interests, such as its political, social or economic organisation, to such an extent that they are applicable to any situation falling within their scope, irrespective of the law otherwise applicable”.1 Following this definition, overriding manda-

1  Art 9(1) Rome I. This definition raises several questions, such as: what is meant by ‘crucial’ and how should this be determined? These questions have yet to be fully answered in the literature (see: van Bochove, Overriding Mandatory Rules as a Vehicle for Weaker Party Protection in European Private International Law, Erasmus L. Rev. 7 (2014), 147, 148). The European legislator seems to afford a wide margin of appreciation to the courts (see: Kuipers, EU

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tory provisions are rules which may not be changed by foreign law.2 As such, they represent a significant deviation from traditional choice of law thinking in a number of ways. They introduce a new, preliminary stage to the choice of law process; they postpone the implementation of choice of law rules till the demands of overriding mandatory rules are exhausted; and they restrict the scope of choice of law rules to those issues in which there are no overriding mandatory rules. This mechanism focuses on forum law,3 determining its scope unilaterally, and privileges certain forum rules over any potentially applicable foreign rule. No less significantly, this mechanism uses different criteria for determining the scope of a rule’s application. Choice of law rules typically allocate control over legal situations on an abstract, categorical basis, not on the basis of the substance of the rules involved. While the scope of any ordinary forum rule of contract law, or tort law, or property law can be determined simply by consulting the relevant choice of law rule, irrespective of the content of the rule in question, the scope and identity of an overriding mandatory rule of the forum must be based on its content and on a substantive finding that it is crucial to the country’s public interests.4 Overriding mandatory provisions should also be distinguished from the public policy exception. The later private international rule grants the forum scope to express its own values only as a negative force, allowing it to refuse the application of a specific rule of the designated foreign law that has already been located and that offends fundamental local principles.5 For example, a forum might refuse to enforce, entirely or in part, a foreign law governing a contract, relied upon as a justification for non-performance, if that law permitted non-performance in the circumstances of the case simply because the other contractual party was of a particular religion or race. In this capacity, public policy functions as a shield, and is often termed negative public policy.6 Overriding mandatory rules, by contrast, function as a sword, actively promoting forum policy Law and Private International Law. The Inter-relationship in Contractual Obligations, 2012, 71). 2  Harris, Mandatory Rules and Public Policy under the Rome I Regulation, in: Ferrari/ Leible (eds.), Rome I Regulation: The Law Applicable to Contractual Obligation in Europe, 2009, 269. 3  It is important to note that the overriding mandatory provisions mechanism may also lead to the application of foreign overriding mandatory provisions. In this context see the CJEU, Judgement of 18.10.2016 – case C-135/15, Nikiforidis, EU:C:2016:774. 4  Wilke, A Conceptual Analysis of European Private International Law: The General Issues in the EU and its Member States, 2019, para. 2.9.2.2. 5 See: Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, 15th ed. 2012, para. 5.002–5.003. 6  The European regulations on the law applicable to obligations reveal a position according to which the use of the doctrine of public policy should be reduced. These regulations include the exception of the public policy but allow it to be applied only when the foreign law is manifestly incompatible with the public policy of the forum (see Art.  21 Rome I and Art.  26 Rome II).

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and are consequently also referred to as positive public policy.7 This means, that unlike in the case of the public policy doctrine in private international law, which overrides an applicable foreign law because of its negative content, overriding mandatory provisions apply to any situation irrespective of the content of any potentially applicable foreign law. Overriding mandatory provisions also differ from mandatory provisions in that they do not only supersede any resort to choice of law rules a priori but they also supersede the chosen law or the objectively determined applicable law. 8 The doctrine of overriding mandatory rules can be traced back to German jurist Friedrich Carl von Savigny.9 In the 19th century, Savigny developed a new approach to determine the applicable law in an international situation. Instead of unilateral rules that determined the scope of application of a national rule but remain silent on the applicability of foreign law, he introduced multilateral choice of law rules. According to Savigny, legal relationships must be allocated to a legal system, which can be the legal system of the forum but can also be a foreign one. He established categories of legal relationships, such as obligations and property, and designed choice of law rules that link these categories to a particular jurisdiction through objective connecting factors, such as the location of the property or the place of performance of a contractual obligation. Though decisional harmony and neutralism were at the heart of his theory, ­Savigny allowed a limited exception in favour of unilateralism, by means of the application of ‘strictly positive mandatory rules’ of the lex fori, but at the same time argued that this exception would eventually disappear. Savigny referred to these in 1849, as “laws of a strictly positive, imperative nature, which are consequently inconsistent with that freedom of application which pays no regard to the limits of particular states”. After Savigny, the first profound study of the application of overriding mandatory rules was made in the middle of the 20th century, especially in French literature.10 The cautious view on overriding mandatory provisions as reflected in ­Savigny’s work did not last long. In less than fifty years this legal institute has become well established. In the European Union, the concept of overriding mandatory provisions was laid down in the Rome Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations. Art.  9(2) of the Rome I Regulation and Art.  16 of the Rome II Regulation both explicitly recognize the right of a forum to apply its mandatory laws despite the choice of law rules in the Regulations. 7 See Hay, Comments on Public Policy in Current American Conflicts Law, in: Baetge/ von Hein/von Hinden (eds.), Die richtige Ordnung: Festschrift für Jan Kropholler, 2009, 89. 8  See ECR I, Judgement of 23.11.1999 – joined cases C-396/96, Arblade and C-376/96, Sofrage. See also: van Bochove, Erasmus Law Review 7 (2014), 147, 148. 9 See Savigny, System des Heutigen Römischen Rechts VIII, 1949, tr. Guthrie as Treatise on the Conflict of Laws and the Limitation of their Operation in Time and Place, 1849, para. 349. 10  Under the label lois de police or lois d’application immediate.

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Art.  9(3) of the Rome I Regulation goes even further and allows not only for the application of overriding mandatory provisions of the law of the forum, but also the application of overriding mandatory provisions which are in force in the country where the obligations arising out of the contract have to be or have been performed.11 Overriding mandatory provisions are also common outside the European Union. In 2014, Symeonides indicated twenty-four codifications outside the European Union and four conventions expressly authorizing the application of the overriding mandatory rules of the forum. Although these codifications do not use the word “overriding”, they provide that these mandatory rules apply “directly” and “irrespective of”, “regardless of”, or “notwithstanding” the law designated by the codification’s choice-of-law rules, including the rules that allow a contractual choice of law.12 Symeonides also lists eighteen codifications outside the European Union that authorize the application of the overriding mandatory rules of a “third” state that has a “close” connection with the case.13 Providing a precise list of the content of overriding mandatory norms seems to be unpredictable and extensive. However, the most frequent application of these provisions is competition law, import and export prohibitions, consumer protection rules and insurance law.14 An example of such a legislation can be found in English law in Art.  18 of Third Parties (Rights Against Insurers) Act, 2010. This law grants a third party the right that the insured has against his insurer, when the insured is insolvent in the UK. Art.  18 states that the application of the law does not depend on any relationship with the UK, and in particular does not depend on where the liability of the insured to the third party was incurred, or the place of residence or domicile of any of the parties, or whether the law applicable to the contract of insurance is English law, or whether the intended place where sums are due under the contract of insurance was is in the UK.15 This concept also spread to many legal methods and was absorbed as an explicit part of the choice of law system. The use of overriding mandatory provisions is not ending with the national or international legislation. Courts also interpreted legislation as overriding mandatory provisions more often than be11  For a discussion on the application of overriding mandatory provisions in the European Union case law see the text near footnote 16 and the following. 12  Symeonides, Codifying Choice of Law around the World: An International Comparative Analysis, 2014, 158. See, for example, Art.  18 and 19 of the Swiss Federal Code on Private International Law, 1987. 13  Whereas the forum’s mandatory rules apply automatically, the application of foreign mandatory rules is always discretionary. The court “may” apply or “take into account” the mandatory rules of the third state after considering the “nature” and “purpose” of those rules and the “consequences of their application or non-application”. (supra). 14 See Redfern/Hunter/Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, 2009, 204. Voser, Mandatory Rules of Law as a Limitation to the Law Applicable in International Commercial Arbitration, Am. Rev. Int’l Arb. 7 (1996), 319, 325. 15  See also Dicey (n. 5), para. 1-053, 1-062, for more examples.

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fore. Maybe the most famous case in the European Union is the Ingmar case.16 In this case the European Court of Justice ruled that European Council Directive 86/653/EEC on the Coordination of the Laws of the Member States Relating to Self-Employed Commercial Agents contains overriding mandatory rules for purposes of private international law and should be applied despite a contractual choice of law clause referring the parties to a different foreign law. The European Court of Justice justified the mandatory nature of commercial agent regulations by stating that the discussed Directive was not merely designed to protect commercial agents, but instead to ensure the freedom of establishment and the operation of undistorted competition in the internal European Union market. Protecting these public policy objectives required prohibiting non-­ European Union principals from contracting out of European Union agent regulations whenever they hired sales agents within the European Union. Thus, Art.  17 and 18 of the Directive apply to contracts with European Union sales agents even if the agency agreement specifies non-EU law as governing law. The Ingmar case was applied in different national courts. For example, in 2005 a self-employed commercial agent established in Germany agreed with a United States principal to procure business for the latter in Germany, Austria and the Czech Republic. The contract designated the law of Virginia as applicable and excluded the agent’s claim for post-contractual compensation that is granted by EU Directive 86/653 as a non-derogable right. Moreover, the contract conferred exclusive jurisdiction on the courts in Virginia. When, after termination of the agreement, the commercial agent brought an action for post-contractual compensation in Germany, the Court of Appeals of Stuttgart rejected the defendant’s invocation of the forum selection clause; according to the Court, provisions granting post-contractual compensation have to be classified, in accordance with the opinion of the European Court of Justice in Ingmar, as overriding mandatory provisions with the effect of invalidating not only the choiceof-law clause, but also the conferral of exclusive jurisdiction on a court in a third state that would not apply the European Directive. The Court of Appeals did not allow for a further appeal; the complaint against this decision was rejected by the Federal Court (BGH) in a summary opinion. According to the BGH, it cannot reasonably be doubted that the Directive on commercial agents allows invalidation of a contractual selection of a third state forum where the law of that state does not grant post-contractual compensation.17 16  ECJ, Judgement of 9.11.2000, case C-381/98, Ingmar GB Ltd v Eaton Leonard Technologies Inc., Case C-381/98, para. 20. See Roth, Common Market Law Review 39 (2002), 369 and Verhagen, Int’l & Comp. L.Q. 51 (2002), 135. 17  See German Supreme Court, Judgement of 5.9.2012 – VII ZR 25/12 = Internationales Handelsrecht (IHR) (2013), 35. For a further discussion in English on the judgment see: Antomo, German Supreme Court strikes down choice of court agreement prorogating courts of Virginia, published at 13.4.2013 at the blog “Transnational Notes”, available at https://blogs.

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Another significant ruling in the European context is the Unamar case.18 In this case, Unamar, as commercial agent incorporated in Belgium, and Navigation Maritime Bulgare (NMB), a Bulgarian company, concluded a commercial agency agreement for the operation of NMB’s container liner shipping service. The agreement, which was for a one-year term and was renewed annually, provided that it was to be governed by Bulgarian law and that any dispute relating to the agreement was to be determined by the arbitration chamber of the Chamber of Commerce and Industry in Sofia (Bulgaria). By the end of 2008, NMB informed its agents that it terminates their contractual relationship. Taking the view that its commercial agency contract had been unlawfully terminated, Unamar brought proceedings before the Antwerp Commercial Court for an order that NMB pay various forms of compensation provided for under the Law on commercial agency contracts, namely, compensation in lieu of notice, a goodwill indemnity and supplementary compensation. NMB contested the jurisdiction of the court, since parties had included an arbitration clause in the contract. However, the Belgian court ruled that it was competent to hear the case. In its judgment, the Antwerp Commercial Court ruled that NMB’s plea of lack of jurisdiction was unfounded. As regards the applicable law in the two disputes brought before it, that court ruled, inter alia, that Art.  27 of the Law on commercial agency contracts was a unilateral conflict-of-law rule which was directly applicable as a ‘mandatory rule’ and which thus rendered the choice of foreign law ineffective. In following proceedings, the Antwerp Court of Appeal declared that the arbitration clause was valid and that the Antwerp court had no jurisdiction. It also ruled that the provisions of the Belgian law on commercial agency contracts could not be qualified as overriding mandatory provisions. Moreover, the Court of Appeal held that, since Bulgaria also implemented the EU Agency Directive, establishing minimum standards for the protection of agents, Unamar received sufficient protection on the basis of the chosen law, even though Bulgarian law provided less protection than Belgian law. Unamar brought an appeal in cassation, and the Court of Cassation requested a preliminary ruling by the CJEU, asking whether the Belgian provisions exceeding the scope and the level of protection of the Agency Directive could be applied as overriding mandatory provisions of the lex fori within the meaning of Art.  7(2) of the Rome Convention, even if the law applicable to the contract was the law of an EU Member State in which the minimum protection provided by the Agency Directive had been implemented.19 law.nyu.edu/transnational/2013/04/german-supreme-court-strikes-down-choice-of-courtagreement-prorogating-courts-of-virginia/ (accessed 2.10.2023). 18  ECJ, Judgement of 17.10.2013, case C-184/12, United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV v Navigation Maritime Bulgare. 19  ECJ, Judgement of 17.10.2013, case C-184/12, United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV v Navigation Maritime Bulgare, para. 20–23. See the court analysis in van Bochove,

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In this case the European Court of Justice laid down limitations with respect to the concept of overriding mandatory rules. The first one is based on the provisions of the European Union Treaty, in particular the four freedoms. According to the ECJ, the application of national rules shall not be detrimental to the primacy and uniform application of European Union law.20 The second restriction is, that in order to secure the effect of the fundamental principle of freedom of contract, the term ‘overriding mandatory provisions’ should be interpreted strictly.21 To conclude so far, the emergence of overriding mandatory rules is a striking phenomenon. In a noticeably short period of time a controversial concept whose existence was difficult to justify has been dramatically transformed into a standard element of choice of law. These provisions are now acknowledged to be a fundamental element of choice of law; they are explicitly mentioned in most modern codifications, they are recognised in non-codified systems too, and they are acknowledged in many international choice of law conventions. This transformation invites further examination from different perspective, such as how different systems now define these rules, in what contexts they are recognised, how they are recognized and how they are implemented. In the meanwhile, what follows from the discussion so far is that in the context of overriding mandatory provisions there is a general trend to increase the scope and, thus, the influence of forum law.

III. The Restriction of the Choice of Law Rule in Procedure Another trend in private international law concerns the application of the choice of law rule in procedure that determines that procedural matters shall be governed almost exclusively by the law of the forum. According to the substance/ procedure distinction in law, substance relates to the creation, content, and termination of rights and duties, whereas procedure pertains to the implementation of such rights and duties.22 Although many commentators have written

Overriding Mandatory Rules as a Vehicle for Weaker Party Protection in European Private International Law, 7 Erasmus L. Rev. (2014), 147, at para. 2.2. 20  ECJ, Judgement of 17.10.2013, case C-184/12, United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV v Navigation Maritime Bulgare, para. 46. 21  ECJ, Judgement of 17.10.2013, case C-184/12, United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV v Navigation Maritime Bulgare, para. 49. For further discussion on the Unamar case see: van Bochove, Overriding Mandatory Rules as a Vehicle for Weaker Party Protection in European Private International Law, Erasmus L. Rev. 7 (2014), 147, 148. 22  Fitzgerald, Salmond on Jurisprudence, 12th ed. 1966, 461–66.

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about the difficulty of distinguishing between substance and procedure, 23 the distinction remains a dominant tool in legal thinking.24 The characterisation of norms25 as substantive or procedural leads to a series of results. One consequence of a norm being procedural or substantive concerns the issue at the heart of this article – choice of law. The most basic and universally recognised choice of law rule is that lex fori regit processum – procedural matters shall be governed by the forum law.26 The rule that forum law governs procedure has a long history, being apparently first pronounced by Balduinus of the ‘glossator school’ in the thirteenth century.27 He drew the distinction between norms which were ‘ad ordinandam litem’ (the rules by which the judge conducted the proceedings) and those which were ‘ad decidendam litem’ (the rules by which the judge resolved the dispute before the court). This is the first recorded articulation of what is now known as the procedure/substance distinction.28 While choice of law in general is a highly disputed area, the principle that matters of procedure are governed by the law of the forum is universally accepted and applied. However, the application of the choice of law rule in procedure has been consistently restricted over the years by narrowing the interpretation of what will be considered a procedural issue. This process has happened in different legal traditions, in different legal systems and in different degrees. It is well known that there has traditionally been a distinction between common and civil law legal systems in the scope of the category of procedure. Historically, in the common law legal tradition, procedure has always occupied a central place in the legal system and courts interpreted procedure very broadly. In English common law, a legal right was not recognized as existing in the abstract but only in the context of the procedural framework in which it could be enforced. The concepts of substance and procedure were, therefore, often blurred and overlapping, with enforcement of the substantive right being, in practice, more significant than the right itself.29 23  Carruthers, Substance and Procedure in the Conflict of Laws: A Continuing Debate in Relation to Damages, ICLQ 53 (2004), 691, 694; Dicey (n. 5), para. 7-004. 24  Ailes, Substance and Procedure in the Conflict of Laws, Mich. L. Rev. 39 (1940–1941), 392, 396–340; Garnett, Substance and Procedure in Private International Law, 2012, para. 2.02. 25  The distinction between procedure and substance usually deals with the difference between legal provisions, but it is also relevant to the characterization of a given factual situation, as in the characterization of forum selection clauses. When characterizing a factual situation, the legal question arises from the facts themselves, while when dealing with the question of whether a provision is substantial or procedural, the legal question arises from the provision itself. 26  Garnett (n. 24), paras. 5–6. Spiro, Forum Regit Processum (Procedure Is Governed by the Lex Fori), ICLQ 18 (1969), 949, 949–950. 27  See the description in Spiro, ICLQ 18 (1969), 949–950. 28  Garnett (n. 24), para. 2.02. 29  Garnett (n. 24), para. 2.03.

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Over the years, some common law countries, such as Australia and Canada, adopted an approach which gives a narrower scope to procedure.30 In the United Kingdom, the discussion on procedure reveals also a tendency to narrow down the category of procedure, although this tendency is not accepted by all and there are courts that still follow the broader approach for procedure in the context of private international law.31 Also, in the Anglo-American world it is possible to point to another approach that has developed over the years which recognised that an issue may be characterised as procedural in some contexts and substantive in others. An example of contextually distinct classification is the right of appeal, which is very often classified as a procedural issue that concerns the execution of substantial rights and duties, but was classified as a substantial issue when deciding its prospective application.32 Even in the civil law legal systems, where the scope of what is considered a procedural issue was always narrower than in common law legal systems, one can see this trend of narrowing the scope of procedure. Taking for example the EU instruments on choice of law, specifically the Rome I and Rome II Regulations, the drafters did not include a general definition of procedure. Instead, certain issues that traditionally might have been considered procedural, such as the nature and assessment of damage and the limitation of actions, are subjected to the applicable law of the obligation under the instrument.33 From the above discussion emerge two conflicting trends. On the one hand, the increasing willingness to permit the forum to apply its overriding mandatory provisions. This first trend reflects a stronger tendency to apply the lex fori. On the other hand, the consistently restricted application of the choice of law rule in procedure, that is to say: the growing tendency to minimize the category of procedure. This second trend reflects a tendency to escape or minimize the application of the lex fori.

IV. The Conflict and its Possible Explanation What can explain these two conflicting trends in private international law? A possible explanation for the decrease in application of the choice of law rule in procedure can be found in the long-standing criticism of this rule. Among other things, it is argued that reserving matters to the control of the law of the forum is undesirable because it compromises uniformity of outcome and encour-

30 

See for Australia: Garnett (n. 24), para. 2.21; for Canada: Garnett (n. 24), para. 2.28. Garnett (n. 24), para. 2.36 and see also Dicey (n. 5), Chapter 7. 32  For a support of the view of different classification in different contexts: Cook, The Logical and Legal Bases of the Conflict of Laws, 1942, 154 et seq. 33  See for example Art.  12(1)(c) Rome I. 31 

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ages forum shopping.34 It was also argued that the choice of law rule in procedure constitutes an automatic preference for forum law without examining whether application of a specific procedural rule is necessary to promote a particular public policy. Since no real interest of the forum is advanced, this is seen as an abuse of the power of the forum.35 It is submitted that there is a possible different explanation for these conflicting trends that is not connected to the historic criticism against the choice of law rule in procedure. Instead, the explanation connects these two trends in private international law to the far-reaching change in recent decades in the perception of the main role of the civil adjudicatory system as a whole and procedure in particular. The traditional model of civil adjudication conceptualized the civil process primarily as a method of ascertaining legal truth.36 The supporters of this idea believe that trials with reasonably accurate fact finding are essential for the foundations of liberal societies.37 An alternative view of the civil process that has emerged over the last decades is a conflict-resolution model that perceives the civil process primarily as a method of achieving peaceful settlement of private disputes.38 According to this more “private” concept of civil procedure, the court is, to a large extent, a service-provider whose function is to assist individuals in resolving disputes, and the role of procedure is to help the parties to achieve this purpose. In any society, conflicts are an inevitable situation. Thus, when a conflict arises between two individuals, the state must make available to them a mechanism that will allow them to settle the conflict between them peacefully, otherwise they may do justice by themselves and at the end of the day degenerate the society into a state of all-out war.39 Following the conflict-resolution model, it is more important for society that the dispute be settled peacefully by the parties than that it be settled in any particular way and procedural law has drifted away from its public role and become a tool for private parties who can adapt it according to their individual needs.40 It is of course important that the parties perceive the procedure as fair, in order for them to agree to litigate within the framework of public courts and accept the consequences of the procedure. However, apart from this limited require34 For criticism in American writing on the rule regarding procedure, see: Robertson, Characterization in the Conflict of Law, 1940, 245 et seq.; Cook (n. 32), 154. 35  Cook (n. 32), 154. 36  Scott, Two Models of Civil Procedure, Stan. L. Rev. 27 (1975), 937. 37  Allen, The Conceptual Challenges of Expert Evidence, in Contemporary Law of Evidence: Scientific Proof and Forensic Techniques, 2012, 215. 38  Scott (n. 36), 937–938. 39  Miller, Confidentiality, Protective Orders, and Public Access to the Courts, Harv. L. Rev. 105 (1991), 427, 441; Marcus, The Discovery Confidentiality Controversy, U. Ill. L. Rev. (1991), 457, 468–470. 40  Miller (n. 39) 441; Marcus (n. 39) 468–470.

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ment of “fairness” which can be interpreted in many and varied degrees, the concrete content of the procedural rules has little importance. One prominent expression of this new approach is seen, for instance, in the significant freedom now given to contracting parties to customize the procedure that will govern their disputes. A noticeable example can be found in the influential Bremen case in American case law.41 This case concerned the enforcement of a forum selection clause. In its judgment, the American Supreme Court emphasized the contractual nature of the debated clause and treated it as a contractual undertaking. The Court held that because of their contractual origin forum selection clauses are “prima facie valid and should be enforced”.42 Many writers also consider the case to signify a broader approach that gives parties more power to regulate, by means of prior agreements, the procedure by which their proceedings will be governed.43 Nowadays as this is clearly expressed in the American case law, contracting parties have significant freedom to customise different aspects of the procedure that will govern their disputes. With fee-shifting provisions parties can choose who will pay for the legal process. Parties can alter the service of process method as well as restrict or expand discovery.44 Parties can also waive their right to appeal, their right to a jury trial45 and their right to file a class action.46 Also, it is generally acknowledged 41 

Bremen v. Zapata Off-Shore Co. 407 U.S.  1 (1972). For the significant influence of the Bremen case on the treatment of jurisdiction agreements in American case law: Moberly/Burr, Enforcing Forum Selection Clauses in State Court, Sw. L. Rev. 39 (2009), 265, 276–77 (“Although Bremen arose under the federal courts’ admiralty jurisdiction, the Supreme Court’s analysis had an enormous influence on the enforceability of forum selection clauses in subsequent state court litigation.”); Marcus, The Perils of Contract Procedure: A Revised History of Forum Selection Clauses in the Federal Courts, Tul. L. Rev. 82 (2008), 973. 43  Marcus, 82 Tul. L. Rev. (2008), 973, 1042; Taylor/Cliffe, Civil Procedure by Contract: A Convoluted Confluence of Private Contract and Public Procedure in Need of Congressional Control, U. Rich. L. Rev. 35 (2002), 1085, 1096. 44  See for example, in the United States, Fed. R. Civ. P. 29 that allows to alter procedures for conducting discovery. In the United States most states have similar provisions. See for example Cal. Code Civ. Proc. §  2016/030 (West 2006) (“Unless the Court orders otherwise, the parties may be written stipulation modify the procedures provided by this article for any method or discovery permitted under Section 2019.010”). 45  See for example, in the Unites States, Fed. R. Civ. P. 38(d) (“The failure of a party to serve and file a demand as required by this rule constitutes a waiver by the party of trial by jury. A demand for trial by jury made as herein provided may not be withdrawn without the consent of the parties.”). As researches show, nearly all United States’ courts will enforce a jury trial waiver clause that is part of a contract (see Zitter, Annotation, Contracting Jury Trial Waivers in States Civil Cases, 42 A.L.R. 5TH 53, 62–69). 46  For the enforcement of arbitration clauses containing class action waivers in American case law see: Cronin v. CitiFinancial Servs., Inc., 352 F. App’x 630, 636 (3d Cir. 2009); Carter v. Countrywide Credit Indus., 362 F.3d 294, 302 (5th Cir. 2004); Wince v. Easterbrooke ­Cellular Corp., 681 F. Supp.  2d 679, 683 (N.D.W. Va. 2010). As already been noticed by Yeazel, “[o]ne of the hallmarks of U.S. law is the extent to which the rules of procedure are ‘default’ 42 

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that contracts to alter rules of evidence are also enforceable.47 In other words, according to the conflict-resolution model, procedural law became a tool for private parties that can alter it according to their individual needs. The conflict-resolution model is not without criticism. To a large extent, this model reflects a kind of world inhabited by autonomous individuals with equal powers, between which a conflict sometimes arises that requires judicial involvement to restore order. In reality, the world also consists of large corporations and bureaucratic institutions, with huge power gaps between them and the individuals. The deep inequality in these power relations means that the adoption of the conflict-resolution model that gives priority to the market over the state and the autonomy of the individual over equality will end up with harming individuals with little means and weakened social groups.48 But putting aside the criticism of the power of the parties to change the rules of procedure, it is submitted that these changes in the perceptions of the role of the civil process and of the role of procedure have affected the way in which private international law deals with this area of law. Following the conflict-resolution model of the civil process, procedural rules are not perceived anymore primarily as a reflection of public interests that should be guarded by the application of the law of the forum. Thus, the scope of the category of procedure can be reduced, the scope of the choice of law in procedure is also reducing, and maybe, the following progress will be that more procedural issues can be governed by foreign law. According to this new concept of the legal proceedings and rules of procedure, there is no conflict between the trend to expand the applicability of forum law through the tool of overriding mandatory provisions, since the rules of procedure are no longer seen as rules that primarily promote public interests, a requirement that is at the basis of the operation of the tool of overriding mandatory provisions. There is no contradiction between the two trends, but there is a difference: overriding mandatory provisions are public, and procedural law is becoming, to an increasing extent – private.49 This understanding raises a normative question. Even according to the conflict-resolution model perspective, civil procedure still serves a variety of underlying purposes and values, such as fact finding, efficiency, certainty and predictrules, rules that govern if the parties have not agreed to something else (Yeazell, Civil Procedure 144 (6th ed. 2004). 47  See, for example, United States v. Mezzanatto, 513 U.S.  196, 208 n.  5 (1995). See also: Henry S., If You (Re)Build It, They Will Come: Contracts to Remake the Rules of Litigation in Arbitration’s Image, Harv. J. Law Public Policy 30 (2007), 579, 607. 48  Fiss, The New Procedure, Rev. Jur. U.P.R. 209 (1985), 210–211. 49  To some extent, a similar shift took place in the United States from the late nineteenth to the mid-twentieth century in question of jurisdiction: a movement away from perception of state power in the operation of jurisdiction towards a perception that focus on fairness to defendants.

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ability, finality, equality, judicial impartiality, independence and transparency. Therefore, the forum will continue to have an interest in applying its own law in regard to some procedural provisions, depending upon the primary objective of the procedural rules. Thus, the analysis in the article raises the question: which elements of procedure should continue to be governed only by the forum and not by the parties? This question is for further investigation.

V. Conclusion To conclude, the paper discusses the growing tendency to use the tool of overriding mandatory provisions. This tool allows legal systems to move away from the general principle of deference to the foreign without expressing a negative position about the foreign law. Alongside this trend, the paper highlights the influence of the change in perception of the civil process on the understanding of the scope of choice of law rule in procedure, and how this change is not in a conflict with the general trend in private international law to increase the use of the tool of overriding mandatory provisions. From a more general perspective, this paper shows how private international law is connected to, and influenced by, changes in other fields of law. Namely, the article argues that perceptional changes in the field of civil litigation serve as an explanation for otherwise puzzling phenomena of conflicting attitude towards foreign law.

Zur Achtung des Fremden bei der Auslegung des Übereinkommens von Lugano Raphael Dummermuth1 The Lugano Convention enables a uniform jurisdiction, recognition and enforcement regime between the European Union and Norway, Iceland, Switzerland and Denmark. To this end, it extends regulatory content that already applies in secondary Union law to a narrowly defined circle of third countries by means of a convention of international law. The parallelism between the legal instruments implied in this “Brussels and Lugano system” is ensured, on the one hand, by regulatory congruence between these legal instruments. On the other hand, the parallelism between said instruments is brought to life by the methodological requirement enshrined in Art.  1 of the Second Protocol to the Lugano Convention to interpret similar regulations within the system in a uniform manner. The goal of a partial integration of these countries into the EU judicial area is thus partly implemented with the aid of a methodological guideline. This attempt at integration is based on the (political) premise that the legal systems of these partially integrated countries have sufficient structural features in common with the legal systems of the EU Member States to allow them to participate in parts of the Union legal acquis even without membership in the EU. This solution also expresses political considerations about the demarcation between the “foreign” and the “own” in the European context.

I. Ausgangslage Das Parallelübereinkommen von Lugano von 2007 (LugÜ)2 ist in zweierlei Hinsicht das Resultat einer Auseinandersetzung mit dem „Fremden“. Zunächst soll das Übereinkommen eine Reihe von Staaten integrieren, die nicht Mitgliedstaaten der Union sind: Die EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen und Island. Ebenjener Integrationsversuch basiert auf einer inhaltlichen Reproduktion von unions1  Für

die kritische Lektüre und die produktiven Diskussionen zum Thema des Beitrags ergeht aufrichtiger Dank an MLaw Violeta Kuzmanovic; MLaw LL.M. Moritz B. Kocher, Rechtsanwalt, MLaw LL.M. Anna Elisa Stauffer, BLaw Lale Andreani sowie MLaw Lorenz Tobler. Die in diesem Beitrag angestellten Überlegungen finden sich ausführlich bereits in der Promotionsschrift des Autors; Dummermuth, Die Auslegung des Übereinkommens von Lugano. Inhalt und Schranken der methodischen Vorgaben zum LugÜ, 2024; sowie in gedrängter Form auch in Dummermuth, Im Auslegen seid frisch und munter! Der EuGH äussert sich zu den methodischen Vorgaben aus dem zweiten Protokoll zum LugÜ – Eine Besprechung des Urteils C-358/21 vom 24. November 2022 (Tilman vs. Unilever Suppy Chain), recht 2023, 176 ff. 2 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007, SR 0.275.12.

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rechtlichem Besitzstand in der Form eines Staatsvertrags zwischen der Union und den genannten EFTA-Staaten. Weiter basiert jener Integrationsversuch auf der Prämisse, dass dieser enge Kreis von europäischen Drittstaaten in Bezug auf ihre nationalen Justizsysteme mit den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten hinreichende strukturelle Merkmale gemein haben, um sie in eine einheit­ liche Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckungsordnung in Zivil- und Handelssachen einzugliedern.3 Auf der Basis derselben Prämisse wird der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die mitgliedstaatlichen Justizsysteme auf ebenjene Staaten ausgeweitet. Es eröffnet sich uns damit eine Kategorie von Staaten, die dem europäischen Justizraum nicht gänzlich fremd und nicht gänzlich eigen scheinen; ein Kreis von Jurisdiktionen, die zwischen dem Fremden und dem Eigenen stehen; die mit den Staaten der EU hinreichend viele Gemeinsamkeiten teilen, dass man unionsrechtlichen Besitzstand auf sie ausweiten kann, ohne, dass in der Praxis Anwendungsprobleme erwartet werden müssen. Die Rechtsvereinheitlichung zwischen den unionsrechtlichen Rechtsinstrumenten und dem LugÜ basiert auf zwei verschiedenen Säulen, die zusammen die strukturgebenden Merkmale des „Parallelsystems von Brüssel und Lugano“ bilden: Der Rechtssetzungsparallelität, unter deren Titel postuliert wird, das LugÜ in Bezug auf seinen positiven Regelungsinhalt möglichst weitgehend an den Regelungsinhalt der unionsrechtlichen Rechtsinstrumente anzugleichen, die in Art.  64 LugÜ genannt werden. Die Auslegungsparallelität als zweite ­„ Seite“ der Parallelität wirkt hierzu ergänzend: Das mit dem Begriff der „Auslegungsparallelität“ umrissene Integrationsziel wird unter Zuhilfenahme einer methodischen Vorgabe vollzogen, die für die Anwendung des Übereinkommens bestimmte auslegungsbezogene Impulse (namentlich Vorgaben zu Auslegungsvorgängen sowie bestehende Auslegungsergebnisse) für verbindlich erklärt, die zu Rechtsinstrumenten des unionalen Acquis entstanden sind – und damit im eigentlichen Sinn übereinkommensfremd sind. Das Ziel einer partiellen Integration „fremder“ europäischer Rechtsordnungen in den europäischen Justizraum wird also unter Zuhilfenahme einer konkreten, positivierten methodischen Vorgabe umgesetzt. Diesen beiden Äusserungen einer Auseinandersetzung mit der Fremdheit zwischen der Union und einer Handvoll europäischer Drittstaaten bzw. der damit verbundenen Grenzziehung zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ sind die folgenden Zeilen gewidmet. Zuvörderst befasst sich der vorliegende Beitrag im Sinn des Gesagten mit dem Inhalt der methodischen Vorgaben zum LugÜ, wie sie sich aus Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ ergeben und deren rechtsaktübergreifenden, koordinierenden Funktion. Einerseits versucht er, ein operables Anwendungsprogramm für das LugÜ zur Verfügung zu stellen. Die damit verbundene methodische Fragestel3  Domej, Das Verhältnis nach „aussen“, in: von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Inter­ nationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union, 2016, 91 ff., 102 spricht bildlicher von einem „Andocken“.

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lung versucht der Frage nachzugehen, inwieweit übereinkommensfremde methodische Impulse und vorbestehende Auslegungsergebnisse zu anderen Rechts­ instrumenten verbindlich für die Anwendung des LugÜ wirken. Andererseits eröffnet die Untersuchung der anwendungsbezogenen Dynamik zwischen dem LugÜ und den unionsrechtlichen Sekundärrechtsakten aus dem Bereich des IZPR auch eine weitere, rechtspolitische Fragestellung nach der Rolle der „NurLugÜ-­Staaten“ Norwegen, Island und der Schweiz im europäischen Justizraum. Gelangt man in den Anwendungsbereich des LugÜ,4 so drängt sich unweigerlich früher oder später die Frage auf, in welcher Weise der Auslegung dieses Übereinkommens mit der Interpretation der Sekundärrechtsakte5 aus dem Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen Rechnung zu tragen ist. Primär stellt sich diese Frage aufgrund der Tatsache, dass zwischen der Brüssel I-VO, der Brüssel Ia-VO und dem LugÜ grosse Ähnlichkeiten bestehen und sie sich genealogisch und systematisch denkbar nahe stehen. Es scheint – alleine auf das Übereinkommen an sich besehen – gleichwohl unklar, welche Wirkung die Rechtsprechung zu einer Norm mit einem gleichgelagerten Rechtssatz aus der Brüssel I-VO oder der Brüssel Ia-VO entfaltet – und in welcher Form die Tat­ sache zu würdigen ist, dass das Übereinkommen in Bezug auf seine Rechtsnatur grundsätzlich anders ausgestaltet ist als die genannten Sekundärrechtsakte. Das LugÜ ist immerhin als staatsvertragliches Instrument, und nicht als sekundärrechtliche Verordnung ausgestaltet. Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Fragen muss hierbei Protokoll 2 zum LugÜ6 bilden, das die Auslegung des Übereinkommens regelt. Einschlägig ist hier Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ, welcher wie folgt lautet: 1. Jedes Gericht, das dieses Übereinkommen anwendet und auslegt, trägt den Grund­ sätzen gebührend Rechnung, die in massgeblichen Entscheidungen von Gerichten der durch dieses Übereinkommen gebundenen Staaten sowie in Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den Bestimmungen dieses Übereinkommens oder zu ähnlichen Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens von 1988 und der in Artikel  64 Absatz  1 dieses Übereinkommens genannten Rechtsinstrumente entwickelt worden sind. 4  Der sachliche Anwendungsbereich des LugÜ ist kongruent mit der Brüssel I-VO. Es ist gemäss seinem Art.  1 auf Zivil- und Handelssachen anwendbar, ohne, dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt (vgl. im Weiteren Acocella, in: Schnyder/Sogo (Hrsg.), Kommentar zum Lugano-Übereinkommen zum Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2.  Auflage 2023, Art.  1 LugÜ Rn.  1 ff.). 5  Hier angesprochen sind insbesondere Verordnungen i. S. von Art.  288 Abs.  2 AEUV; vgl. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2.  Auflage 2021 Rn.  4.16.; zu deren Auslegung vgl. ebenda Rn.  4.44 ff.; Pontier/Burg, EU Principles on Jurisdiction and Recognition and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters according to the case law of the European Court of Justice, 5 ff.; Dickinson, in: Dickinson/Lein (Hrsg.), The Brussels I Regulation Recast, 2015, Rn.  1.45. 6  Protokoll 2 zum Übereinkommen über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den ständigen Ausschuss. ABl L 2009/339, 27.

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II. Fragestellung Dieser Rechtssatz scheint nun wiederum mehr Probleme aufzuwerfen, als er zu lösen vermag. Erstens stellt diese methodische Vorgabe ein Problem der Rechtsquellenlehre dar: Welche Elemente eines Urteils sind mit den „Grundsätzen massgeblicher […] Entscheidungen“ gemeint und welche Bindungswirkung entfalten diese? Handelt es sich bei Entscheidungen zu ähnlichen Normen um Präjudizien mit einer (ggf. beschränkten) sekundäre Rechtsquellenqualität? Und: was sind überhaupt „ähnliche Bestimmungen“? Zweitens präsentiert sich uns mit Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ aber auch ein Methodenproblem: Was bedeutet es, einem Urteil im Sinn von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ „gebührend Rechnung“ zu tragen? Wie lässt sich diese Vorgabe in einen klassischen Auslegungskanon eingliedern? Ist sie als eine Art Korrekturregel gedacht, unter deren Anwendung am Ende eines vollzogenen Anwendungsvorgangs aus einer Reihe möglicher Auslegungsergebnisse jenes ausgesucht wird, welches dem postulierten Harmonisierungsziel am ehesten entspricht – oder beinhaltet sie neben einer Harmonisierung der Auslegungs­ ergebnisse zu gleichgelagerten Normen auch eine Harmonisierung der Auslegungsvorgänge im Rahmen einer Befolgungsregel? Drittens stellt sich uns hier jedoch auch eine Abgrenzungsfrage: Wie ist diese methodische Anweisung aus dem zweiten Protokoll zum LugÜ von einer interinstrumentellen Auslegungskoordination7 zu unterscheiden, die sich aus dem Völkergewohnheitsrecht und aufgrund der systematischen und genealogischen Nähe des LugÜ zur Brüssel I-VO auch ohne eine entsprechende methodische Vorgabe – und schlicht basierend auf den Grundsätzen einer juristischen Hermeneutik – aufdrängen würde? Bevor wir uns an die Beantwortung dieser Fragen wagen, können wir zum Regelungsgehalt von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ bereits einige Grundsätze festhalten: Die Norm schreibt (im Einklang mit den Prinzipien des internationalen Rechts) eine einheitliche Auslegung des Übereinkommens vor. Dazu tritt das Postulat, das LugÜ dort möglichst gleich auszulegen, wie die anderen Rechtsinstrumente des Systems von Brüssel und Lugano, wo sich diese Rechtsinstrumente in ihrem Regelungsgehalt „ähnlich“ sind. Dies gilt – je nach Darstellung8 als separates Auslegungsziel oder als Sonderform der Einheitlichkeit. 7  Vgl. zum Begriff der „inter-instrumental interpretation“ im Unionsrecht Grundmann, „Inter-Instrumental-Interpretation“, RabelsZ 2011, 882; vgl. ausführlicher zu dieser Abgrenzung Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  651 ff. 8  Grolimund/Bachofner, in: Schnyder/Sogo (Fn.  4), Protokoll 2 LugÜ Rn.  5 gehen von der Parallelität und der Einheitlichkeit als zwei separaten Auslegungszielen aus; Grolimund/Capaul, in: Schnyder/Sogo (Fn.  4), Einf. LugÜ Rn.  22 subsumieren das Parallelitätsziel hingegen unter das Postulat der Einheitlichkeit. Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des Parallelübereinkommens von Lugano, 1995, 58, 63 ff. andererseits unterscheidet zwischen „Parallelität“ und

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Jenes Parallelitätsziel diktiert mit anderen Worten eine Einheitlichkeit der Auslegung über den anzuwendenden Rechtsakt hinaus.

III. Gegenstand der Berücksichtigungspflicht gemäss Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ 1. Überblick Die methodische Vorgabe aus Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ, gemäss welcher „massgeblichen Entscheiden“ „gebührend Rechnung zu tragen“ ist (die sogenannte Berücksichtigungspflicht9) schreibt bestehenden Auslegungsergebnissen („Entscheiden“) zu anderen Rechtsinstrumenten als dem LugÜ selbst eine präjudizielle Wirkung zu. Es fragt sich also zunächst, zu welchen anderen Rechtsquellen diese Präjudizien ergangen sein müssen und welches Merkmal diese Rechtsquellen zu einem solchen Grad miteinander verbindet, dass sich eine rechtsaktübergreifende Berücksichtigung von vorbestehenden Auslegungsergebnissen rechtfertigt. 2. Das System von Brüssel und Lugano Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ legt einen engen Kreis von Rechtsquellen fest,10 aus denen Entscheidungen hervorgehen, denen bei der Auslegung des LugÜ „gebührend Rechnung“ zu tragen ist. Die genannte Norm verweist hierfür auf „Einheitlichkeit“; Kohler, Dialog der Gerichte im europäischen Justizraum. Zur Rolle des EuGH bei der Auslegung des neuen Übereinkommens von Lugano, in: Monti/Prinz von und zu Liechtenstein/Vesterdorf/Westbrook/Wildhaber (Hrsg.), Economic Law and Justice in Times of Globalisation. Wirtschaftsrecht und Justiz in Zeiten der Globalisierung, Festschrift für Carl Baudenbacher, 2007, 141 ff., 146 f. macht einen Unterschied zwischen „Uniformität“ und „Homogenität“ (vgl. die Darstellungen in Dummermuth, Diss., (Fn.  1), Rn.  244). 9  Weder im positiven Übereinkommenstext noch in der Rechtsprechung zum LugÜ findet sich in Bezug auf diese methodische Vorgabe eine gefestigte Bezeichnung. Der Begriff der Berücksichtigungspflicht stammt aus der Lehre (Oetiker/Weibel, in: Oetiker/Weibel [Hrsg.], Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, 2.  Auflage 2016, Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  4; Domej, in: Dasser/Oberhammer [Hrsg.], Stämpfli-Handkommentar zum Lugano-­ Übereinkommen [LugÜ], 3.  Auflage 2021, Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  1 ff.). Dieser Nomenklatur wird hier gefolgt; vgl. hierzu ausführlich Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn 330 ff. 10  Das LugÜ schlägt an dieser Stelle einen anderen Weg ein als andere Integrationsinstrumente; vgl. Dummermuth, Diss. (Fn. 1), Rn.  334; So stipuliert Art.  16 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21.6.1999 (SR. 0.142.112.681) (FZA) eine Pflicht des Gerichts, stets dann die Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung zu berücksichtigen, wenn die auszulegende Norm des Freizügigkeits­ abkommens sich auf Begriffe des Gemeinschaftsrechts stützt. Vgl. weiter Art.  1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr vom 21.6.1999 (SR 0.748.127.192.68) (LVA).

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Art.  64 LugÜ.11 Impliziert sind also das EuGVÜ12, die Brüssel I-VO und das Übereinkommen von 2005, mithilfe dessen Dänemark in den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO eingebunden wurde.13 Art.  64 LugÜ selbst hat grundsätzlich eine koordinative Aufgabe: Der telos der Vorschrift ist die Abgrenzung der sachlichen Anwendungsbereiche der verschiedenen Rechtsinstrumente, die sich mit der direkten Zuständigkeit, der Anerkennung und der Vollstreckung im Bereich des Zivil- und Handelsrechts befassen.14 Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ nimmt jedoch nicht auf den eigentlichen Regelungsgehalt von Art.  64 LugÜ Bezug, sondern bedient sich lediglich der dort positivierten Aufzählung von Rechtsquellen, aus deren Kombination ein einheitlicher europäischer Rechtsraum in Zivil- und Handelssachen im Sinn einer einheitlichen Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckungsordnung hervorgeht. Dass hiervon die Brüssel Ia-VO als inhaltlich zu weiten Teilen kongruentes Nachfolgeinstrument der Brüssel I-VO ebenfalls erfasst ist, scheint naheliegend. Bei der Verabschiedung des revidierten Vertragstexts des LugÜ war sie allerdings noch nicht erlassen, was ihr Fehlen erklärt. Eine Interpretation der Methodennorm in Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ ohne einen Miteinbezug der Brüssel Ia-VO scheint wenig sinnvoll und insbesondere mit Blick auf den hier herrschenden Parallelitätsgedanken, der auf eine Parallelität der tatsächlich herrschenden Rechtslage abzielt, fehlgeleitet. Gesprochen werden kann folglich in Bezug auf diese Gruppe  – inklusive der Brüssel Ia-VO von Rechtsquellen vom „System von Brüssel und Lugano“. 3. Das Prinzip der Anwendungsparallelität als allgemeiner Rechtsgrundsatz Die Koordinationsform, unter Zuhilfenahme derer die Rechtsinstrumente in ebenjenem System von Brüssel und Lugano miteinander verknüpft koexistieren, kann als zweiseitig beschrieben werden: Unterschieden werden kann zwischen einer Rechtssetzungsparallelität und einer Anwendungsparallelität.15 11  Zum Normgehalt dieses Rechtssatzes Meier/Weber, in: Schnyder/Sogo (Fn.  4), Art.  6 4 Rn.  1 ff. Die hier getätigen Überlegungen zu Art.  6 4 LugÜ finden sich ausführlicher auch in Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  210 ff. 12 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gericht­ licher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 23.9.1968, Abl. (EU) C 27 vom 26.1.1998, 1–33. 13  Nielsen, Brussels I and Denmark, IPRax 2007, 506; Buhr, Europäischer Justizraum und revidiertes Lugano-Übereinkommen Zum räumlich-persönlichen Anwendungsbereich des europäischen Rechts über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen, Diss. Luzern, Bern 2010, Rn.  99. 14  Meier/Weber, in: Schnyder/Sogo (Fn.  4), Art.  6 4 Rn.  1. 15  Markus, Einführung, in: Furrer/Markus/Petrelli (Hrsg.), Die Herausforderungen des Europäischen Zivilverfahrensrechts für Lugano- und Drittstaaten. The Challenges of European Civil Procedural Law for Lugano and Third States, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung, 2016, 17.

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Während die Rechtssetzungsparallelität eine möglichst weitgehende Kongruenz der jeweils geltenden positiven Texte der miteinander koordinierten Rechtsquellen beschreibt, soll die Anwendungsparallelität „voneinander abweichende Auslegungen“16 vermeiden, wie die Präambel zu Protokoll 2 LugÜ festhält. Innerhalb des Systems von Brüssel und Lugano und insbesondere bei der Auslegung des LugÜ nimmt das Prinzip der Anwendungsparallelität die Funktion eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ein,17 wie sie in der nationalen Methodenlehre beschrieben wird.18 Erstens verlangt der Grundsatz keine unmittelbare Geltung im Sinn einer tatsächlichen Subsumtionsfähigkeit, sondern drückt eine übergeordnete Systematik des Systems von Brüssel und Lugano aus, die strukturgebend für die Interpretation des Übereinkommens ist, selbst aber keine normative methodische Anweisung enthält; im Grundsatz verlangt sie eine möglich identische Auslegung von Normen mit einem identischen Regelungsgehalt, um das Ziel eines einheitlichen Rechtsraums zu verwirklichen, zu dessen 16 

Präambel zu Protokoll 2 LugÜ Abs.  7. Ausführlich hierzu bereits Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  217 ff. vgl. zum Begriff des allgemeinen Rechtsgrundsatzes etwa die grundlegenden Werke von Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung des Privatrechts: rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, 1956, und Dworkin, Taking rights seriously, 8.  Auflage 1996. 18 Der Rückgriff auf die privatrechtliche, nationale Methodenlehre der europäischen Rechtsordnungen bei der Systematisierung der methodischen Vorgaben zum LugÜ rechtfertigt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten (hierzu ausführlich bereits Dummermuth, Diss. [Fn.  1], Rn.  48 ff.; Einerseits ist das LugÜ ein Resultat intensiver rechtsvergleichender Arbeiten, im Rahmen derer die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Rechtsinstrumente untersucht wurden (vgl. aus den Materialien etwa Bericht Jenard/Möller, C-59/14 ff.). Andererseits befasst sich die Methodenlehre aber mit dem Vorgang des „Zum-Verständnis-Bringens“ von Rechtsnormen; dies ist ein Bereich, der, wie Wendehorst darlegt (Methodennormen in kontinentaleuropäischen Kodifikationen, RabelsZ 2011, 730 ff., 733 ff.) nur begrenzt positivierbar (und damit auch: nur begrenzt nationalisierbar) ist – im Grundsatz handelt es sich bei der Interpretation von Rechtssätzen um einen Vorgang, der überhistorisch und überrechtlich gültigen Grundsätzen der Hermeneutik folgt. Im Weiteren sind jedoch auch die nationalen Privatrechtsordnungen als Objekte der nationalen Methodenlehre (d. h. die interpretanda nationaler methodischer Vorgaben) geprägt von großen strukturellen Gemeinsamkeiten, die unter anderem darauf gründen, dass sie sich mit dem ius commune gemeinsame historische Grundlagen teilen ( Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, 750, 752; Zimmermann, Die Principles of European Contract Law als Ausdruck und Gegenstand Europäischer Rechtswissenschaft, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn, Vorträge und Berichte, Heft 138, 2004, 17 f.; Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, NJW 1990, 337 ff.). Aus diesem Grund gibt es keine genuin nationale Methodenlehre in Europa (Kramer, Juristische Methodenlehre, 6.  Auflage 2019, 51, spricht von einer „grundsätzliche(n) Parallelität des methodischen Vorgehens“ in der europäischen Methodenlehre), was die kontinentaleuropäische Methodenlehre zur Heranziehung für die Deutung eines Akts eines europäischen, internationalen Einheitszivilprozessrechts (den Begriff verwendet in Bezug auf das LugÜ etwa Domej (Fn.  3) eignet. Im Übrigen wird hier nicht die unmittelbare Anwendbarkeit der nationalen Methodenlehre behauptet, sondern deren Qualität als Bezugsdisziplin, aus der sich eine methodisch-systematische Einordnung des LugÜ als Emergenz ergeben kann. 17 

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Zweck das LugÜ existiert. Sie gibt aber keinen Aufschluss darüber, wie diese Anweisung methodisch umzusetzen ist. Für die Rechtsunterworfenen soll eine einheitliche Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckungsordnung entstehen, unter deren Geltung es keinen tatsächlichen Unterschied macht, ob ein Rechtsstreit in den Geltungsbereich des LugÜ fällt, oder in jenen der korrespondieren unionsrechtlichen Sekundärrechtsinstrumente. Zweitens lässt sich das Prinzip der Anwendungsparallelität auch induktiv aus Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ sowie aus der Präambel zum Protokoll 2 herleiten – und genügt damit auch einem prozessualen Anspruch an die Herleitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Die methodische Umsetzung der Anwendungsparallelität sowie dessen Einordnung in den Vorgang der Rechtsanwendung geschieht erst unter Zuhilfenahme der Berücksichtigungspflicht gemäss Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ. 4. Die Definition der Ähnlichkeit Nachdem nun herausgearbeitet wurde, wo genau bei der Auslegung des LugÜ nach ähnlichen Normen zu suchen ist, bleibt weiterhin unklar, was unter einer „Ähnlichkeit“ im Sinn von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ zu verstehen ist. Wie nahe müssen sich zwei Normen in ihrem Regelungsgegenstand sein, um unter das Normmerkmal der Ähnlichkeit zu fallen? a) Lehrmeinungen Zu unterscheiden sind bei der Beantwortung dieser Fragen grundsätzlich drei verschiedene Ansichten. Ein Teil der Lehre19 vertritt den Standpunkt, eine „Ähnlichkeit“ im Sinn des Gesagten liege ausschliesslich dann vor, wenn eine wortlautgenaue Übereinstimmung zweier Normen vorliege. 20 Der Norminhalt ist nach dieser Ansicht nicht bestimmend für die Beurteilung der Anwendbarkeit der Berücksichtigungspflicht. Die dies postulierenden Stimmen in der Lehre berufen sich auf den Bericht von Pocar, der zum Anlass der Revision des LugÜ im Jahr 2007 entstanden ist. 21 Ein anderer Teil der Lehre22 stellt auf einen formalen, aber grundsätzlich wortlautunabhängigen Ähnlichkeitsbegriff ab, 19  Oetiker/Weibel, in: BSK LugÜ (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  5; vgl. auch Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  352 ff. 20  Oetiker/Weibel, in: BSK LugÜ (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  5; vgl. auch Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  352 ff. 21  Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (unterzeichnet am 30.  Oktober 2007 in Lugano) – Erläuternder Bericht von Professor Fausto Pocar, Inhaber des Lehrstuhls für Völkerrecht an der Universität Mailand, ABl. C 319 vom 23.12.2009, 1–56; Oetiker/Weibel, in: BSK-LugÜ (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  5. 22  Domej, in: Dasser/Oberhammer (Fn.   9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  1; wohl auch ­Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 7.  Auflage 2021, 30.

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der sich im Unterschied zum bisher Gesagten auf den tatsächlichen Normgehalt der verglichenen Rechtssätze bezieht. Der Wortlaut eines zu prüfenden Rechtssatzes gilt zwar als wichtiger Indikator in dieser Ähnlichkeitsprüfung, aber nicht als einziges, ausschlaggebendes Argument. Eine dritte Ansicht in der Lehre unterlässt eine explizite Unterscheidung in „ähnliche“ und „nicht ähnliche“ Normen, ohne jedoch die alternativ für die Geltung der Berücksichtigungspflicht massgeblichen Kriterien offenzulegen. 23 b) Würdigung Nach der hier vertretenen Ansicht ist zweiterer Rechtsauffassung zu folgen. Die Gründe hierfür liegen nahe: Eine Beurteilung des Ähnlichkeitsmerkmals allein nach dem Wortlautindiz ist von einer Unterkomplexität, die der Rechtsrealität nicht gerecht werden kann. Zwei Normen mit einem gleichen Normsinn die „Ähnlichkeit“ abzusprechen, bloss, weil sie im Wortlaut punktuell voneinander abweichen, scheint mindestens fehlgeleitet  – mit etwas weniger hermeneutischem Wohlwollen liesse sich sagen, hier werde die Interpretation des LugÜ von der Anwendung der restlichen Rechtsinstrumente im System von Brüssel und Lugano bewusst entkoppelt. Eine wortlautbezogene „Ähnlichkeit“ zweier verglichener Normen scheint im Sinn des Gesagten deshalb zur Erfüllung des Normmerkmals der Ähnlichkeit zu genügen; das hält auch der EuGH fest. 24 Das dogmatische Argument hierfür ist denkbar einfach: Der Wortlaut eines Rechtssatzes ist nicht die Norm selbst. 25 Der Norminhalt erschliesst sich nicht aus dem Wortlaut allein. 26 Reduziert man eine LugÜ-Norm im Rahmen dieser Ähnlichkeitsprüfung also auf ihren Wortlaut, so legt man es darauf an, jene ex­ plizit und von Beginn weg nicht in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Das kann nicht Ziel der Anwendungsparallelität sein, die, um wiederum die Präambel zu Proto­ koll 2 zu bemühen, „voneinander abweichende Auslegungen“ von „Ähnlichem“ verhindern will. Damit können – wenn man bedenkt, dass auch bei der eigentlichen Auslegung das Wortlautargument nicht den einzigen Auslegungskanon darstellt – nach der hier vertretenen Ansicht nur Normen gleichen Regelungsge23  Schmidt-Parzefall (Fn.   8), 71; wohl auch Grolimund/Bachofner, in: Schnyder/Sogo (Fn.  4), Protokoll 2 LugÜ Rn.  37 ff. 24  EuGH, Urteil v. 24.11.2022 – Rs.  C -358/21, Tilmann SA ./. Unilever, Rn.  42. 25  Kramer (Fn.  18), 94; mit Verweis auf BGE 141 III 281; sowie BGE 144 II 100. 26­  Die Trennung von Wortlaut und Wortsinn ist in der kontinentaleuropäischen Methodendiskussion ein wohletablierter Allgemeinplatz, ebenso wie das grundsätzliche Primat des Wortsinns über den Wortlaut. Vgl. hierzu etwa Cels. Dig. 1.3.17: „Scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem“; vergleichbar Donellus (Comentarii, Buch  I, Kap.  X III, Nr.  II): „In legibus sententia totum facit […] Quod si discrepabit sentantia a verbis: verba ius non erunt“ (vergleichbar etwa das Decretum Gratiani 2.22.5.11). Federicis schreibt mit Berufung auf den Korintherbrief des Apostels Paulus (2 Cor 3.6) vom Primat des mens über die scriptura (De Federicis, Interpretatione legum, Teil  1, 4 f, Fol. 210 r) (vgl. zum Ganzen, Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, 2001, Band  I, 466 ff.). Hierzu bereits ausführlich Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  371 m.w.H.

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halts gemeint sein, also Rechtssätze, die für den oder die Rechtsunterworfene gleichgelagerte Rechte oder Pflichten eröffnen. Diese Ähnlichkeitsprüfung hat übereinkommensautonom zu erfolgen (also grundsätzlich weder durch einen Rückgriff auf eine nationale noch auf eine unionsautonome Methodologie). 5. Die Definition der Ähnlichkeit als Erfordernis für die Anwendbarkeit der Berücksichtigungspflicht Festgehalten werden kann also, dass es sich beim Normmerkmal der Ähnlichkeit um eine qualifizierte Beziehung zweier Normen innerhalb des Systems von Brüssel und Lugano handelt: Sie sollen – wo immer dies möglich ist – ein auslegungsbezogenes Schicksal teilen. Dieser Definitionsansatz des Normmerkmals der Ähnlichkeit zeigt nun auch auf, weshalb die oben erwähnte Lehrmeinung, die keinen bzw. keinen expliziten Unterschied zwischen koordinierten (ähn­ lichen) und unkoordinierten (nicht ähnlichen) Normen macht, 27 nicht weiter zu verfolgen ist: Um eine tatsächliche Auslegungskoordination herbeizuführen, sind wir auf eine Definition der „ähnlichen Normen“ angewiesen, um für jede LugÜ-Norm einen Kreis von potenziell präjudiziell wirkenden Entscheiden umreissen zu können, die sich auf Normen aus anderen in Art.  64 LugÜ genannten Rechtsinstrumenten beziehen. Ohne ein Verfahren, in welchem wir für eine auszulegende LugÜ-Norm eine inhaltlich-funktionale Entsprechung in den anderen Rechtsakten ausmachen können, mit deren Anwendung die Aus­ legung einer LugÜ-Norm tatsächlich koordiniert werden soll, lässt sich eine Einheitlichkeit der Rechtsanwendung innerhalb des Systems von Brüssel und Lugano nicht verwirklichen. Es scheint deshalb insgesamt etwas risikofreudig, auf die Unterscheidung zu verzichten oder jene nicht ausdifferenziert darzustellen. Hinter einer offenen, der Definition der „Ähnlichkeit“ keine nähere Beachtung schenkenden Würdigung der Berücksichtigung mag jedoch mithin auch ein argumentatives Kalkül stehen: Eine Vagheit in der Darstellung der ­methodischen Vorgaben zum LugÜ beugt auch deren tatsächliche Operabilität vor, was den Rechtsanwender und die Rechtsanwenderin zurückwirft auf die Vor­ gaben zur übereinkommensautonomen Auslegung von internationalem Ein­heitsrecht. Dies wiederum führt eine Entkopplung der Anwendung des LugÜ von den restlichen Rechtsinstrumenten im System von Brüssel und Lugano herbei. Eine argumentatorische Vorbereitung der Befürwortung von ausle27  Schmidt-Parzefall (Fn.  8), 71; je nach Lesart auch Grolimund/Bachofner, in: Schynder/ Sogo (Fn.  4), Protokoll 2 LugÜ Rn.  37 ff.; gegebenenfalls kann hier aus Rn.  39 eine Definition der Ähnlichkeit herausgelesen werden; unklar bleibt, ob von der Berücksichtigungspflicht sämtliche Rechtsprechung zu den anderen Rechtsinstrumenten des Systems von Brüssel und Lugano erfasst ist, oder ob eine Ähnlichkeit zwischen zwei spezifischen Normen eine qualifizierte Koordination zwischen ebenjenen Normen auslöst; vgl. Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  357 ff.

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gungsbezogenen Abweichungen zwischen dem LugÜ und dem europäischen Justizraum kann bei einer gezielt diffusen Darstellung der methodischen Vorgaben aus Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ beginnen. 28 6. Vorschlag zur Definition der Ähnlichkeit Es ist also eine Definition des Normmerkmals der Ähnlichkeit zu formulieren. Auszugehen ist dabei von deren Grundmechanik: Das Normmerkmal der Ähnlichkeit beschreibt eine qualifizierte Beziehung zweier inhaltlich gleichgelagerter Normen innerhalb des Systems von Brüssel und Lugano. Was in Bezug auf seinen Regelungsgehalt (und nicht in Bezug auf den Wortlaut) gleichgelagert ist, ist im Sinn von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ ähnlich. Ähnliche Normen sind durch das Postulat miteinander verbunden, möglichst gleich ausgelegt zu werden. Festgestellt werden muss also zunächst, ob zwei Rechtsnormen inhaltlich (d. h. in ihrem Regelungsgehalt) gleichgelagert sind. Auch die geneigte Leserin oder der geneigte Leser wird hier jedoch sogleich einzuwenden haben, dass dies auf den ersten Blick einen Zirkelschluss darzustellen scheint: Wie soll im Rahmen einer Vorprüfung – einer examinatio ante interpretationem – ergründet werden, ob zwei Normen denselben Regelungsgehalt aufweisen, wenn ebenjene Vorprüfung erst dazu dienen soll, eine Norm einem Auslegungsprogramm zuzuweisen? In der Tat scheint hier das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt zu werden, solange man sich nicht die Zirkularität des Auslegungsvorgangs per se in Erinnerung ruft: Stellt sich im Rahmen der übereinkommensautonomen Ähnlichkeitsprüfung einer LugÜ-Norm heraus, dass die Norm in einem anderen Rechtsinstrument des Systems von Brüssel und ­Lugano eine inhaltlich kongruente, im Sinn on Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ „ähnliche“ Norm findet, so kann das getroffene Vorverständnis korrigiert werden – und den bestehenden Präjudizien zu den anderen Rechtsinstrumenten des Systems von Brüssel und Lugano eine bindende Wirkung, wie sie die Berücksichtigung grundsätzlich verlangen würde, zugeschrieben werden. Festgehalten kann also insgesamt, dass eine Ähnlichkeitsprüfung im hier verwendeten Sinn mit der Eruierung des Normsinns zweier formal verschiedener Normen beginnt und hernach festzustellen versucht, ob jene in ihrem Regelungsgehalt gleichgelagert sind. Ist dies der Fall, sind sich die geprüften Normen im Sinn von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ ähnlich.

28  Eine andere Strategie besteht gemäss Domej in der Betonung des völkerrechtlichen Charakters des LugÜ und der sich hieraus ergebenden Unterscheidung von den anderen – unionsrechtlichen – Rechtsinstrumenten des Systems von Brüssel und Lugano (Domej, Das EU-Zivilprozessrecht und die Schweiz: parallel oder aneinander vorbei?, in: Busch/Kopp/McGuire/ Zimmermann (Hrsg.), Europäische Methodik: Konvergenz und Diskrepanz europäischen und nationalen Privatrechts, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2009, 2010, 405, 411).

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7. Zur Priorität der Ähnlichkeit mit Rechtsakten des geltenden Rechts Die Rechtsinstrumente des Systems von Brüssel und Lugano stehen sich ge­ nealogisch und systematisch überaus nahe; bei der Verabschiedung eines neuen Instruments wird jeweils ein Grossteil der Regelungsinhalte aus Vorgängerrechtsquellen übernommen. Entsprechend muss aus der beschriebenen „Ähnlichkeitsprüfung“ regelmässig eine Situation resultieren, in welcher sich in verschiedenen anderen Rechtsinstrumente des Systems von Brüssel Normen finden, die der auszulegenden LugÜ-Norm im Sinn von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ „ähnlich“ sind. Das drängt die Formulierung einer „Kollisionsregelung“ zum Umgang mit unterschiedlichen „Ähnlichkeiten“ auf. Zur Formulierung einer solchen kann wiederum auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Anwendungsparallelität rekurriert werden: Die Anwendungsparallelität stellt eines jener Instrumente dar, unter Zuhilfenahme derer ein uniformer Rechtsraum im Regelungsbereich der implizierten Rechtsinstrumente entstehen soll. Gemeint ist damit eine Uniformität der tatsächlichen Rechtsanwendung. Tatsächlich angewandt wird geltendes Recht. Eine Ähnlichkeit zwischen einer auszulegenden LugÜ-Norm und einer Norm der geltenden Brüssel Ia-VO ist demnach priori­tär zu behandeln. Mithin bedeutet dies, dass der Rechtsanwender oder die Rechtsanwenderin sich bei der Auslegung primär an den Präjudizien zu dieser „ähnlichen“ Norm des gegenwärtig geltenden Rechts zu orientieren haben.

IV. Inhalt der Berücksichtigungspflicht 1. Überblick Stellt der Rechtsanwender oder die Rechtsanwenderin also im Rahmen der beschriebenen examinatio ante interpretationem fest, dass sich in einem anderen Rechtsinstrument des Systems von Brüssel und Lugano eine Norm findet, die dem auszulegenden Rechtssatz aus dem LugÜ inhaltlich ähnlich ist, so hat die den „Entscheidungen“ zu dieser ähnlichen Norm „gebührend Rechnung zu tragen“. Was genau damit gemeint ist, scheint nicht gänzlich klar. Der Übereinkommenstext gibt hierauf keine nähere Antwort und auch die Rechtsprechung hält sich in Bezug auf die genauen Ausmasse dieser sich aus der Berücksichtigungspflicht ergebende Auslegungskoordination zurück. 2. Definitionsansätze in der Rechtsprechung a) Schweizerisches Bundesgericht Das Schweizerische Bundesgericht betont, eine Koordination der Auslegung des LugÜ mit den anderen Rechtsinstrumenten des Systems von Brüssel und

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Lugano sei – unter gewissen Vorbehalten – grundsätzlich angezeigt. 29 Es zeigt jedoch nicht auf, wie diese Harmonisierung einen herkömmlichen Methodenkanon einzugliedern ist oder wie sich dieses Harmonisierungsziel gegenüber anderen Sinnindikatoren verhält. Meist verhält sich das Bundesgericht ­allerdings so, wie sich ein Gericht aus einem Mitgliedstaat der Union bei der Auslegung der Brüssel I-VO oder der Brüssel Ia-VO verhalten würde.30 b) Norwegischer Høyesterett Der norwegische Høyesterett geht in seiner einschlägigen Rechtsprechung davon aus, das LugÜ sei autonom auszulegen und den systematischen und genealogischen zwischen dem LugÜ und den anderen Rechtsinstrumenten von Brüssel und Lugano sei im Rahmen ebenjener übereinkommensautonomen Auslegung Rechnung zu tragen.31 Das bedeutet etwa, dass die Sinnindikatoren, die sich aus den systematischen Bezügen des LugÜ zur Brüssel I-VO und der Brüssel Ia-VO ergeben, faktorenpluralistisch abgewogen werden müssen gegen andere auf den Normsinn hindeutenden Indikatoren wie etwa einem allfällig abweichenden Wortlautargument. Die Harmonisierung der Rechtsprechung zu den Rechts­ instrumenten im System von Brüssel und Lugano geniesst nach dieser Rechtsauffassung keine grundsätzliche Vorrangstellung oder gar eine zwingende Verbindlichkeit innerhalb des Methodenkanons, sondern ist ein Faktor unter vielen. c) EuGH Der EuGH äussert sich zwar nicht explizit zur Auslegungskoordination bei der Anwendung des LugÜ, lässt aber etwa in seiner Rechtsprechung in der Rechtssache Tilman vs. Unilever eine vom bis anhin Aufgezeigten abweichende Rechtsauffassung erkennen: Zunächst betont der EuGH die Notwendigkeit einer Auslegungsharmonisierung zwischen den Rechtsinstrumenten von Brüssel und Lugano;32 hernach nennt er die anzuwendende LugÜ-Norm (Art.  23),33 ­worauf er sämtliche Normen aus dem System von Brüssel und Lugano aufzählt, die der anzuwendenden Norm ähnlich sind.34 Hierauf verwendet es drei verschiedene Entscheide zu drei verschiedenen gleichgelagerten Auslegungsfragen 29 

BGE 135 III 185, E. 3.2, 189; BGE 139 III 345 E. 4 S.  347; BGE 138 III 232 E. 2.2; BGE 138 III 386 E. 2.1/2.2/2.6; BGE 138 III 305 E. 5.3.1 S.  313; BGE 135 III 185 E. 3.2; BGE 141 II 382, 386. 30  Kohler (Fn.  8), 146; Hess (Fn.  5), §  5 Rn.  5.45; exemplarisch hierzu etwa auch BGE 140 III 418, E. 4.1, 420 ff. 31 Norges Høyesterett  – Kjennelse; HR-2011-1240-A  – Rt-2011-897, Rn.   35; vgl. zum ­aLugÜ Rt-2004-981, Rn.  22. 32  EuGH, Urteil v. 24.11.2022 – Rs.  C -358/21, Rn.  34. (Tilman S.A. ./. Unilever). Die hier dargestellten Überlegungen zum Urteil in der Rechtssache Tilman finden sich ausführlicher auch in Dummermuth, recht 2023 (Fn.  1), 176 ff. 33  EuGH, Urteil v. 24.11.2022 – Rs.  C -358/21, Rn.  34. (Tilman S.A. ./. Unilever). 34  EuGH, Urteil v. 24.11.2022 – Rs.  C -358/21, Rn.  34. (Tilman S.A. ./. Unilever).

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zu anderen Rechtsinstrumenten aus dem System von Brüssel und Lugano im Rahmen der Sinnermittlung der genannten Norm.35 Hier behandelt der Gerichtshof mit anderen Worten Entscheide zum EuGVÜ, zur Brüssel I-VO und zur Brüssel Ia-VO als Sinnindikatoren für die Normtextarbeit an Art.  23 LugÜ, als würden sich diese Entscheide alle auf dieselbe Norm beziehen – er behandelt die auszulegende LugÜ-Norm also möglichst weitgehend so, wie er eine Norm aus der Brüssel Ia-VO behandeln würde. Damit führt er eine Harmonisierung von Auslegungsvorgängen sowie von Auslegungsergebnissen im System von Brüssel und Lugano herbei. Diese Harmonisierung, so bleibt anzumerken, ist dabei eine einseitige: Es werden sowohl geltende methodische Vorgaben zum sekundären Unionsrecht auf das LugÜ als auch bestehende Präjudizien t­ra­diert – eine umgekehrte Angleichung findet indes nicht statt. Die Anwendungsparallelität im System von Brüssel und Lugano ist gemäss dieser Rechtsauffassung also kein kommunikatives, reziprokes Abgleichen der Anwendungspraktiken zu zwei verschiedenen Rechtsinstrumenten, sondern die einseitige Tradie­r ung eines bestehenden Methodenkanons sowie bestehender Auslegungsergebnisse aus dem Unionsrecht auf das LugÜ. Anders gewendet stellt die methodische Vorgabe der Berücksichtigungspflicht zumindest in der Praxis ein von der Rechtsprechung des EuGH dominierter einseitiger Prozess dar. Hierüber kann auch das Bekenntnis des EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache ­Gambazzi vs. DaimlerChrysler Canada36 nicht hinwegtäuschen, nach welchem eine grundsätzliche Verpflichtung, zumindest bei der Auslegung des LugÜ auch der Rechtsprechung der Höchstgerichte der Nur-LugÜ-Staaten „gebührend Rechnung zu tragen“ besteht.37 3. Lehre In der Lehre finden sich verschiedene Antworten auf die Frage nach dem Inhalt dieses „gebührend Rechnung Tragens“,38 die jedoch erstaunlich homogen zu 35  EuGH, Urteil v. 24.11.2022  – Rs.   C-358/21, Rn.  39 f. (Tilman S.A. ./. Unilever) (zum EuGVÜ; hier wird der Entscheid des EuGH vom 14.12.1976  – Rs.  C-24/76 herangezogen), Rn.  41 (zur Brüssel Ia-VO wird der Entscheid des EuGH vom 8.3.2018 – Rs.  C-64/17, Rn.  28 herangezogen) und Rn.  43 (zur Brüssel I-VO wird des EuGH vom 21.5.2015 – Rs.  C-­322/14 herangezogen). 36  EuGH, Urteil v. 2.4.2009 – Rs.  C -394/07. 37  EuGH, Urteil v. 2.4.2009 – Rs.  C -394/07, Rn.  36; zum Ganzen vgl. Dummermuth, recht 2023 (Fn.  1), 176 ff. 38  Domej, in: Dasser/Oberhammer (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  10; vgl. Kohler, Integration und Auslegung – Zur Doppelfunktion des Europäischen Gerichtshofes, in: Jayme (Hrsg.), Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa, 1992, 11 ff., 21 ff.; Heerstrassen, Die künftige Rolle von Präjudizien des EuGH im Verfahren des Luganer Übereinkommens, RIW 1993, 179 ff., 182; Schmidt-Parzefall (Fn.  8), 75 ff.; Volken, Rechtsprechung zum Lugano-Übereinkommen (1990), SZIER 1991, 81 ff., 84; Buhr (Fn.  13), 652 ff.; Dasser, Rechtshängigkeit international – neue Spielregeln für forum running, in: Markus Rodriguez

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sein scheinen: Zunächst wohnt ihnen allen39 eine Konzentration auf Auslegungsergebnisse als Gegenstand der Berücksichtigungspflicht inne, die danach eine Präjudizienwirkung entfalten. Das liegt mit Blick auf den Wortlaut von Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ nahe, da dessen Wortlaut von „Entscheidungen“ spricht. Zweitens wird im Rahmen dieser Besprechungen regelmässig betont, eine formelle (rechtliche) Bindungswirkung in der Form einer Stare-decisis-­ Wirkung sei nicht Teil der Berücksichtigungspflichten.40 Eine Pflicht, jenen auch zu folgen, indem das in ihnen ausgedrückte Auslegungsergebnis reproduziert wird, besteht nach dieser Rechtsauffassung nicht.41 Während danach in der h. L. also eine beschränkte Koordination von Auslegungsergebnissen postuliert wird, die jedoch dort entfällt, wo ein geprüftes Präjudiz der Rechtsauffassung des Rechtsanwenders oder der Rechtsanwenderin widerspricht, unterbleibt in der Literatur mehrheitlich eine Äusserung über eine Angleichung bzw. eine Uniformität der Auslegungsmethode. Verschiedentlich wird gar betont, die Auslegung an sich habe übereinkommensautonom (also nach Massgabe der Vorschriften aus Art.  31 WVK42) zu geschehen – augenscheinlich, um das übereinkommensautonom zustande gekommene Auslegungsresultat mit einem unionsautonomen Präjudiz zu „korrigieren“.

(Hrsg.), Rechtshängigkeit  – national und international, 2018, 79, 96 f.; Sievi, Die negativen Feststellungsklagen des schweizerischen Rechts im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, Diss. Freiburg, 2017, 308; Oetiker/Weibel, in: BSK LugÜ (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  10; Bühr, Verfahrensfragen der Vollstreckbarerklärung ausländischer Geldleistungs-Entscheidungen, AJP 1993, 694, 697 ff.; Donzallaz, L’interpretation de la Conven­tion de Lugano (CL) par le Tribunal Fédéral: Etude de jurisprudence, ZSR 1999, 11, 12 f.; Maeder, Zur Auslegung des Lugano-Übereinkommens in der Schweiz im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, in: Commissione Ticinese pre la formazione permanente die giuristi (CFPG), La Convenzione di Lugano nella pratica forense e nel suo devenire. Atti della giornata di studio del 3–4 giugno 2002, 41, 46 ff. 39  Wohl mit Ausnahme von Buhr (Fn.  13), Rn.  6 49 f.; vgl. auch Dummermuth, Diss. (Fn.  1), Rn.  496 ff. (zur Auslegung intra verba) und Rn.  615 ff. (zur Lückenfüllung). 40  Oetiker/Weibel, in: BSK LugÜ (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  5 f.; Grolimund/ Bachofner, in: Schnyder/Sogo (Fn.  4), Protokoll 2 LugÜ Rn.  39.; Schmidt-Parzefall (Fn.  8), 77; Buhr (Fn.  13), 649 f.; Dasser, Sicht der Lugano Staaten, in: Furrer/Markus/Petrelli (Fn.  15), 153 ff., 153; Meier, Auslegungseinheit von LugÜ und EuGVVO – unter besonderer Berücksichtigung der Schweizer Beteiligung am Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, SZIER 2012, 632 ff., 650; Mankowski, Ist die Auslegung der Brüssel Ia-VO und mittelbar anderen EU-Rechts-Orientierungsmarke für die Auslegung des LugÜ?, in: Markus /Hrubesch / Rodriguez (Hrsg.), Festschrift für Jolanta Kren Kostkiewicz, 2018, 203, 205. 41  Domej, in: Dasser/Oberhammer (Fn.  9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  9 ff. 42  Furrer/Girsberger/Siehr, Internationales Privatrecht. Allgemeine Lehren, Bd.   IX/1 (Schweizerisches Privatrecht), 2008, Rn.  208, 216; Berti, Zur einheitlichen Auslegung des Lugano-Übereinkommens, Mitteilungen aus dem Institut für zivilgerichtliches Verfahren in Zürich, Nr.  14, 1992, 7 ff., 14; Kohler (Fn.  38), 23 f.; Kohler (Fn.  8), 146, 149; Furrer, Das Lugano-Übereinkommen als europarechtliches Instrument. Das Luganer Konvergenzsystem auf dem Prüfstand von Praxis und Politik, in: AJP 1997, 486, 500; Maeder (Fn.  38), 60; Domej, in: Dasser/Oberhammer (Fn. 9), Art.  1 Protokoll 2 LugÜ Rn.  9 ff.

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4. Würdigung Der in der Lehre mehrheitlich vertretene Ansatz ist zwar grundsätzlich kohärent und weist eine innere Logik auf, scheint m. E. jedoch in unterschiedlicher Weise überdenkenswert. Zuvörderst wird damit dem Gedanken widersprochen, den Auslegungsvorgang als ein, um mit Larenz zu sprechen, einheitliches, zusammenhängendes, insgesamt (und im weitesten Sinn des Wortes) organisches „gedankliches Verfahren“ zu sehen.43 Es scheint methodisch insgesamt wenig Sinn zu ergeben, einem übereinkommensautonomen Auslegungsvorgang ein Auslegungsergebnis hintanzustellen, das in einem unionsautonomen Auslegungsvorgang zustande gekommen ist. Jener unionsautonome Auslegungsvorgang ist mithin auf die auslegungsbasierte Systembildung innerhalb des unionsrechtlichen Besitzstands ausgerichtet44 und bedenkt damit Bezüge mit, die einer übereinkommensautonomen Auslegung fremd sind. Damit wird der Auslegungsvorgang von LugÜ-Normen eine Objektivierbarkeit grundsätzlich genommen. Er wird lediglich ergebnisorientiert auf eine Harmonisierung mit der Rechtsprechung zu den anderen Rechtsinstrumenten des Systems von Brüssel und Lugano ausgerichtet. Dass zwischen der Eruierung einer auszulegenden Norm und dem Auslegungsergebnis grundsätzlich ein Auslegungsvorgang zu stehen hat, der auf die Feststellung eines Auslegungsergebnisses ausgerichtet ist, wird ignoriert. Das macht die Rechtsanwendung nicht nur für die Rechtsunterworfenen weniger voraussehbar, sondern verkennt auch die Notwendigkeit der Klarheit methodischer Vorgaben für die Qualität der Arbeit der Rechtsanwenderin oder des Rechtsanwenders und lässt jene im Dunkeln stochern. Im Weiteren ist damit jedoch auch dem in der Präambel zu Protokoll 2 LugÜ festgehaltenen Postulat nicht entsprochen, nach welchem abweichende Auslegungen (und nicht nur Auslegungsergebnisse) zu verhindern sind. Danach ist ein solches Auseinanderdividieren von Auslegungsvorgang und Auslegungsergebnis aus dem Sinn und Zweck des LugÜ nicht zu rechtfertigen, welches doch die Funktion hat, zu Uniformitätszwecken Inhalte des unionalen Rechtsraums in ihrer Wirkung auszuweiten – also in Bezug auf ihr Resultat, aber auch in ihrem Zustandekommen möglichst deckungsgleich zu reproduzieren. Die Berücksichtigungspflicht ist keine Korrekturregel, unter Zuhilfenahme welcher zum Ende eines Auslegungsvorgangs jenes Auslegungsresultat gewählt werden soll, das zum gewünschten Harmonisierungsziel am ehesten passt; sie ist eine weitergehende Befolgungspflicht.

43 

Larenz, Methodenlehre, 5.  Auflage 1983, 351. dieser Systembildung Grundmann (Fn.  7), 905; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, 411; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, 55–58; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, 1997, 204. 44  Zu

Zur Achtung des Fremden bei der Auslegung des Übereinkommens von Lugano

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5. Definitionsvorschlag Mit der Berücksichtigungspflicht ist danach eine weitergehende Koordination der Auslegung von LugÜ-Normen mit dem Auslegungsprogramm gemeint, das für jene Normen gilt, mit denen die auszulegende LugÜ-Norm durch das Normmerkmal der Ähnlichkeit verbunden ist. Eine LugÜ-Norm soll demnach möglichst umfassend gleich ausgelegt werden wie ihr unionsrechtliches Pendant. Das bedeutet grundsätzlich eine möglichst weitgehende Reproduktion der unionsrechtlichen methodischen Vorgaben, die zur Auslegung von Sekundärrecht gelten. Daneben zu beachten ist die Präjudizwirkung all jener Rechtsprechung, die auch für die Normen präjudiziell wirken, mit welchen die auszulegende LugÜ-Norm koordiniert ist. Die Berücksichtigungspflicht ist damit keine ausschliesslich auf Auslegungsergebnisse bezogene Korrekturregel, sondern eine den Auslegungsvorgang wie die Auslegungsergebnisse beschlagende Befolgungspflicht. Grundsätzlich sind koordinierte LugÜ-Normen danach unionsautonom und nach den Massgaben der Methodik zum unionsrechtlichen Sekundärrecht auszulegen. Das Verhalten des unionalen Gerichts bei der Anwendung von Sekundärrecht ist in seiner Methodik in diesem Sinn so weit wie möglich zu reproduzieren. Ebenso sind sämtliche Präjudizien als verbindlich zu betrachten, die auch bei der Auslegung der korrespondierenden Norm aus dem unionalen Verordnungsrecht herangezogen würden, auch wenn jene von systematischen Überlegungen bezüglich Rechtsakten geprägt ist, die in Art.  64 LugÜ nicht genannt werden. Dass in der Union eine einheitliche Methodik zur Anwendung von Sekundärrecht besteht, kann mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtstraditionen der implizierten Rechtsordnungen dabei mit Fug und Recht bezweifelt werden; eine gewisse grundsätzliche Homogenität in der Rechtsanwendung wird der hier vertretenen Meinung aber als regulative Idee vorausgesetzt.45

V. Schluss Dem Fremden (im Sinn eines Übereinkommensfremden, sich nicht per se aus dem positiven Übereinkommenstext Ergebenden) ist bei der Auslegung des LugÜ demnach doppelt Rechnung zu tragen: Einerseits löst die Berücksichtigungspflicht eine Präjudizienwirkung von Urteilen aus, die nicht zum LugÜ selbst ergangen sind, sondern zu anderen Rechtsinstrumenten – sie erhalten eine rechtliche, rechtsaktübergreifende Bindungswirkung. Andererseits ist aber auch 45  A. M. Rodriguez in: Müller Chen/Widmer Lüchinger (Hrsg.), Zürcher Kommentar zum IPRG, Vorb. zu Art.  166–175 IPRG Rn.  59, wo behauptet wird, der Rechtsanwender habe die Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO und der InsVO bei der Auslegung des LugÜ nicht als bindend zu beachten.

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ein Methodenkanon heranzuziehen, der nicht zum Übereinkommen selbst entwickelt wurde, sondern zu anderen Rechtsinstrumenten. Diese Orientierung an methodischen Impulsen und Auslegungsergebnissen, die im Grundsatz und auf das Übereinkommen allein besehen Fremdkörper darstellen, geschieht im Interesse einer Anwendungshomogenität. So muss sich die Rechtsanwenderin oder der Rechtsanwender beispielsweise bei der Auslegung von Art.  1 LugÜ, wo es unter anderem auch um den Umfang des Ausschlusses insolvenzrechtlicher Streitigkeiten geht, die Abgrenzung zwischen der InsVO und der Brüssel Ia-VO gefallen lassen, die der EuGH zum unionsrechtlichen Sekundärrecht entwickelt hat.46 Sie wirkt für die Auslegung des LugÜ via die methodische Vorgabe aus Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ präjudiziell. Gleiches gilt etwa für die Auslegung von Art.  23 LugÜ und die daraus ableitbaren Formvorschriften für Gerichtsstandsvereinbarungen – auch hier erhält die existierende Judikatur des EuGH zu dieser Frage gestützt auf Art.  1 Abs.  1 Protokoll 2 LugÜ eine Bindungswirkung. Denkt man das Konzept der sich im Rahmen der Berücksichtigungspflicht entfaltende rechtsaktübergreifenden Bindungswirkung von Auslegungsmethoden und Auslegungsergebnissen zu Ende, so kommt man nicht umhin zu fragen, wie fremd diese zu übernehmenden methodischen Inhalte tatsächlich sind. Immerhin erweitert das LugÜ den räumlichen Anwendungsbereich bestehender Regelungsinhalte über den europäischen Justizraum auf eine beschränkte Anzahl von europäischen Drittstaaten. Das Übereinkommen überbrückt damit die Tatsache, dass bei der Bildung des „Rechtsraums von Brüssel und Lugano“ der Einsatz eines einzigen Rechtsinstruments aufgrund übergeordneten Rechts nicht möglich ist; Drittstaaten können an unionsrechtlichem Sekundärrecht nicht teilhaben, genauso wenig wie sie aufgrund der Römer Verträge am EuGVÜ teilhaben konnten.47 Diesem System soll das LugÜ grundsätzlich keine eigenen Wertungen oder Inhalte beifügen: es reproduziert lediglich bereits Bestehendes. Besieht man also das System von Brüssel und Lugano als kontingentes System von Wertungen und Regelungsinhalten und bedenkt man die wirkungsausweitende, reproduzierende Funktion, die das LugÜ darin einnimmt, so kann man zum Schluss kommen, dass die Auslegungsmethoden und Auslegungsergebnisse, die durch die Berücksichtigungspflicht aus der Rechtsanwendung einer Gruppe unionsrechtlicher Rechtsakte in die Anwendung eines Rechtsakts des internationalen Einheitsrechts überführt werden, so fremd gar nicht sind. Sie entspringen einer systemimmanenten Logik, die weder die EU noch die implizierten EFTA-Staaten als etwas Fremdes deklarieren oder etwas Eigenes beanspruchen können. 46 So in EuGH, Urteil v. 12.2.2009, Rs.   C-339/07, Seagon ./. Deko Marty Belgium SA, Rn.  28; vgl. hierzu wiederum die abweichende Meinung von Rodriguez, in: ZK IPRG (Fn.  45), Vorb. zu Art.  166–175 IPRG N 59. 47  Buhr (Fn.  13), 76; ähnlich Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, 3.

Die Achtung des Fremden und der erbrechtliche ordre public Ein Vergleich der Rechtsprechung zum deutschen und österreichischen Pflichtteilsrecht

Selina Mack1 International inheritance law, and more specifically the public policy exception, is a meeting-place for different culturally shaped values. Therefore, the public policy exception constitutes a promising lens for the comparative analysis of the principle of deference to the foreign in German and Austrian international inheritance law. For this purpose, this paper will compare the decisions of the Austrian Supreme Court (OGH) and the German Federal Court of Justice (BGH) on the violation (or not) of public policy by the English family provision. Placing a particular emphasis on the application criteria of the public policy exception that promote deference to the foreign, the restrictive approach towards public policy adopted by the Austrian judges appears to be more in line with the conflict of laws principles. Conversely, the far-reaching enforcement of the German regime of compulsory portion by German courts risks to reverse the typical rule-exception relation of private international law.

I. Einleitung Wie kaum ein anderes Rechtsgebiet vereint das Erbrecht als „Vermögensrecht des Generationenwechsels“2 emotionale, familiensoziologische, betriebs- und volkswirtschaftliche, aber auch politische Belange. Im internationalen Erbrecht und dort konkreter im Rahmen des Ordre-public-Vorbehalts treffen die verschiedenen geschichtlich gewachsenen und teils auch kulturell geprägten 3 Wertvorstellungen aufeinander. Der erbrechtliche ordre public soll deswegen hier als Ausgangspunkt für eine vergleichende Betrachtung des Grundsatzes der Achtung des Fremden im internationalen Privatrecht in Deutschland und Österreich dienen. 1 Für die kritische Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Hinweise gedankt sei S­ usanna Roßbach und Ben Köhler sowie den Diskutantinnen und Diskutanten bei der 4. IPR-­ Nachwuchstagung am 23. und 24.2.2023. 2  Begriff nach Dutta, Warum Erbrecht? Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 2014. 3  Kritische Hinterfragung der Rechtskulturthese bei Zimmermann, Kulturelle Prägung des Erbrechts, JZ 2016, 321.

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Die Einhaltung des internationalprivatrechtlichen Grundsatzes der Achtung des Fremden wird auch im Rahmen der Konkretisierung des ordre public über zahlreiche Kriterien sichergestellt (II.). Nach einer rechtsvergleichenden Einführung in die materiellrechtlichen Unterschiede der erbrechtlichen Mindestbeteiligung für Abkömmlinge (III.) werden die jüngsten Entscheidungen des OGH und BGH zur Ordre-public-Zugehörigkeit des Pflichtteilsrechts miteinander verglichen (IV.). Die unterschiedlichen Argumentationsmuster der Gerichtshöfe werden abschließend im Hinblick auf die darin zum Ausdruck kommende Achtung des Fremden analysiert (V.).

II. Der (erbrechtliche) Ordre-public-Vorbehalt als Instrument der Achtung des Fremden 1. Achtung des Fremden als Grundsatz des Kollisionsrechts Das von Savigny geprägte und auch im Europäischen Kollisionsrecht verbreitete Instrument der allseitigen, universellen Kollisionsnorm setzt die prinzipielle Bereitschaft zur Anwendung eines fremden Sachrechts voraus. Im internationalen Erbrecht beispielsweise wird für die internationale Zuständigkeit (Art.  4 EuErbVO) und das anwendbare Recht (Art.  21 Abs.  1 EuErbVO) grundsätzlich dasselbe Anknüpfungskriterium des letzten gewöhnlichen Aufenthaltsortes einer Erblasserin4 vorgesehen und somit ein Gleichlauf von ius und forum gefördert. Nichtsdestotrotz kann ein Gericht – insbesondere bei Vorliegen einer Rechtswahl ohne entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung oder der Begründung subsidiärer oder Notzuständigkeiten durch mitgliedstaatliche Gerichte – zur Anwendung fremden Rechts berufen sein.5 Der in diesen Fällen geltende kollisionsrechtliche Befehl zur Anwendung fremden Sachrechts ist Ausdruck einer Achtung des Fremden, die bei Savigny auf der grundsätzlichen Annahme der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen beruht. 6 Die zwischenzeitlich veränderten Bevölkerungsstrukturen und Migrationsbewegungen wurden in den letzten Jahren vermehrt zum Anlass genommen, dieses Leitmotiv der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen als „überkommen“7 abzutun und verschiedenste Vorschläge zur methodologischen 4  Die Begriffe „Erblasser“ und „Erblasserin“ werden im vorliegenden Beitrag nach dem Zufallsprinzip verwendet und sollen jeweils Personen aller Geschlechter erfassen. 5  Ausführlicher zu den Fällen des Auseinanderfallens von ius und forum im Anwendungsbereich der EuErbVO vgl. Bajons, Die EU-ErbrechtsVO: Gleichlauf und Auseinanderfall von forum und ius im Wechselspiel mit Drittstaaten, in: Stamm (Hrsg.), Festschrift für Helmut Rüßmann, 2013, 751–762 und Stürner, Die Bedeutung des ordre public in der EuErbVO, GPR 2014, 317, 320 f. 6  Seif, Savigny und das Internationale Privatrecht des 19. Jahrhunderts, RabelsZ 65 (2001), 491, 500 ff. 7  Weller, Vom Staat zum Menschen: Die Methodentrias des Internationalen Privatrechts

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Neugestaltung des Kollisionsrechts zu unterbreiten, die einen zeitgemäßeren Umgang mit der Fremde gewährleisten sollen.8 2. Achtung des Fremden im Rahmen des Ordre-public-Vorbehalts Auch im klassischen IPR bleibt der grundsätzliche Befehl zur Anwendung einer berufenen Fremdrechtsordnung jedoch nicht ohne Ausnahme – einem inakzeptablen fremden Rechtssatz muss keine Geltung verschafft werden. So erlaubt der kollisionsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt dem international zuständigen Gericht, eine eigentlich zur Anwendung berufene ausländische Rechtsordnung ausnahmsweise unangewendet zu lassen, wenn andernfalls ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Forumsstaats zu befürchten wäre. Nun ließe sich annehmen, der Ordre-public-Vorbehalt sei, indem er dem Fremden einen Riegel vorschiebe, gerade ein Instrument des Ausschlusses und nicht der Achtung des Fremden. Obwohl sich die inhaltliche Konkretisierung der öffentlichen Ordnung vornehmlich an den eigenen Wertvorstellungen des Forumsstaates orientiert, ist aber auch der Ordre-public-Vorbehalt vom Grundsatz der Achtung des Fremden geprägt. Anders als Eingriffsnormen, die als Sachnormen der lex fori unabhängig von dem zur Anwendung berufenen Recht Geltung beanspruchen,9 ist der Ordrepublic-Vorbehalt als reine Ergebniskontrolle konzipiert, der erst nach der Anwendung des Erbstatuts solche Anwendungsergebnisse herausfiltern soll, die aus Sicht des Forumsstaates gänzlich intolerabel sind. Der Mechanismus soll nur im äußersten Ausnahmefall greifen, nach Art.  35 EuErbVO beispielsweise nur, wenn die Fremdrechtsanwendung mit der öffentlichen Ordnung „offensichtlich unvereinbar“ ist. Eine pauschale Definition des Inhalts der öffentlichen Ordnung verbietet sich, eine Konkretisierung des Begriffs muss immer anhand des jeweiligen Einzelfalles erfolgen.10 Auch bei Betrachtung allgemeiner Methoden zur Konkretisierung des ordre public, wie sie beispielsweise von Jayme11 anhand der in der damaligen BGHRech­tsprechung verbreiteten Vorgehensweise vorgeschlagen wurden, wird der unserer Zeit, RabelsZ 81 (2017), 747, 770; ähnlich auch Stürner, GPR 2014, 317, 317, der die Prämisse der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen als „reine Fiktion“ bezeichnet. 8  Vgl. nur Weller, RabelsZ 81 (2017), 747; Gannagé, Les méthodes du droit international privé à l’épreuve des conflits de cultures, 2013. 9  Vgl. Definitionen in Art.  9 Abs.  1 Rom I-VO und Art.  16 Rom II-VO; vertiefend zur Abgrenzung von ordre public und Eingriffsnormen Hemler, Die Methodik der „Eingriffsnorm“ im modernen Kollisionsrecht. Zugleich ein Beitrag zum Internationalen Öffentlichen Recht und zur Natur des ordre public, 2019. 10  Vgl. nur von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht II, 2. Auflage 2019, §  5 Rn.  568; J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.2.2023, EuErbVO, Art.  35 Rn.  10. 11  Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im Internationalen Privatrecht, 1989, 41 ff.

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Fokus auf eine gleichberechtigte Behandlung fremder Rechtsordnungen offensichtlich. So sind Sinn und Zweck des ausländischen Rechtssatzes zu ermitteln, um im Rahmen eines funktionalen Vergleichs Unterschiede zur eigenen Rechtsordnung auszumachen. Sowohl die Hinterfragung der rechtspolitischen Erschütterung des ausländischen und eigenen Rechtssatzes als auch der Versuch der Ermittlung eines rechtsordnungsübergreifenden Standards im Wege der Rechtsvergleichung sollen als Anhaltspunkte für die Wesentlichkeit der konfligierenden Rechtssätze innerhalb ihrer jeweiligen Rechtsordnungen herangezogen werden. Über das Kriterium der Inlandsbeziehung wird schließlich die Durchsetzung der eigenen Wertungen im Rahmen des Ordre-public-Vorbehalts nochmals eingeschränkt. Je näher der Bezug zum Forumsstaat ist, desto eher kann dieser seine eigenen Wertmaßstäbe anlegen. Je näher umgekehrt der Bezug des Sachverhalts zu ausländischen Rechtsordnungen ist, desto eher muss der „Fremde“ Respekt gezollt und der ordre public zurückhaltend durchgesetzt werden. Der kollisionsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt ist also in zweierlei Hinsicht Instrument der Achtung des Fremden: indem er als Ausnahme den grundsätzlichen Befehl zur Anwendung eines Fremdrechts bestätigt und indem er nur äußerst restriktiv den Teil des Fremdrechts umreißt, dem keine Geltung verschafft werden kann. 3. Wertungen der EuErbVO zur Achtung des Fremden Für Deutschland und Österreich gilt in Gestalt der EuErbVO dasselbe Euro­ päische Erbkollisionsrecht und insbesondere der hier interessierende Ordrepublic-Vor­behalt des Art.  35 EuErbVO. Dieser verweist zwar ausdrücklich auf die öffentliche Ordnung des jeweiligen Forumsstaats und entzieht den Begriff somit einer autonom europäischen Auslegung.12 Nichtsdestotrotz unterliegen die Grenzen der mitgliedstaatlichen Ordre-public-Auslegung aber durchaus der Kontrolle durch den EuGH.13 Da sowohl über eine mögliche europäische Vereinheitlichung des ordre public 14 als auch über die Vereinbarkeit der BGHRecht­sprechung mit den europarechtlichen Vorgaben bereits an anderer Stelle 12  Soutier, Die Geltung deutscher Rechtsgrundsätze im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2015, 208. 13  Vgl. EuGH, Urteil v. 28.3.2000 – Rs. C-7/98, Krombach, Rn.  23; Soutier (Fn.  12), S.  208 f.; J. Schmidt, in: BeckOGK (Fn.  10) Art.  35 Rn.  13. 14  Basedow, Die Verselbständigung des europäischen ordre public, in: Coester/Martiny/ Sachsen Gessaphe (Hrsg.), Privatrecht in Europa: Vielfalt, Kollision, Kooperation. Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger zum 70. Geburtstag, 2004, 291; Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007; Soutier (Fn.  12); Stürner, Europäisierung des (Kollisions-)Rechts und nationaler ordre public, in: Kronke/Thorn (Hrsg.), Grenzen überwinden – Prinzipien bewahren. Festschrift für Bernd von Hoffmann zum 70. Geburtstag, 2011, 463, 464 ff.

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ausführlich geschrieben wurde,15 sollen diese Fragestellungen hier nur angeschnitten werden, soweit sie für die Achtung des Fremden relevant sind. Insgesamt lässt sich nämlich aus europarechtlichen Wertungen wohl jedenfalls keine zwingende Zugehörigkeit der jeweiligen nationalen Pflichtteilsrechte zum erbrechtlichen ordre public ableiten. Aus der Entstehungsgeschichte des Art.  35 EuErbVO und insbesondere der Streichung des zweiten Absatzes der Vorgängervorschrift im Kommissionsentwurf, wonach die Berufung auf den Ordrepublic-Vorbehalt nicht lediglich auf eine abweichende Regelung des Pflichtteilsrechts im zur Anwendung berufenen Recht gestützt werden konnte, lässt sich weder auf einen besonderen Schutz noch auf eine grundsätzlich fehlende Schutzwürdigkeit des Pflichtteilsrechts im Rahmen des ordre public schließen.16 Auch aus den europäischen Grundrechten, vornehmlich Art.  17 GR-Charta, ergibt sich keine besonders geschützte Position potenziell pflichtteilsberechtigter Personen.17 Zur Erreichung von Zielsetzungen wie der Harmonisierung des Erbkollisionsrechts, der Förderung des Entscheidungseinklangs und der Gewährleistung erbrechtlicher Planungssicherheit setzt die EuErbVO mit ihren universellen Kollisionsnormen und der Rechtswahlmöglichkeit auf Instrumente, die in ihrer Funktionsweise auf dem kollisionsrechtlichen Grundsatz der Achtung des Fremden aufbauen. Die in der EuErbVO und ihren Erwägungsgründen zum Ausdruck kommenden Wertungen verlangen deswegen gerade auch die ausreichende Beachtung dieses Grundsatzes im Rahmen des ordre public. Konkrete Anhaltspunkte gegen eine zu weitreichende Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen über den Ordre-public-Vorbehalt lassen sich beispielsweise in den Ausführungen zur Rechtswahl erkennen. So wurde die Möglichkeit einer Umgehung der Pflichtteilsrechte naher Angehöriger durch eine strategisch günstige Rechtswahl des Erblassers gerade bedacht und nur im Rahmen der sehr beschränkten Rechtswahlmöglichkeit in Kauf genommen.18 Solche zulässigen Fälle der Ausübung der Rechtswahlfreiheit über eine nachträgliche Einschränkung im Wege des ordre public zu beschneiden, liefe also Sinn und Zweck der 15  Boosfeld, Pflichtteilsrecht als Teil des ordre public? – „Recht zu erben“ und Grenzen seiner Durchsetzung, ZEuP 2023, 249; zur Frage der Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH s. Weber, RFamU 2022, 424, 430; vgl. auch Ayazi, Das deutsche Pflichtteilsrecht und der ordre public-Vorbehalt des Art.  35 EuErbVO am Beispiel eines deutsch-südafrikanischen Erbfalls, NJOZ 2018, 1041. 16  Vgl. nur Soutier (Fn.  12), 209 ff.; Magnus, in: Dauner-Lieb/Grziwotz/Herzog (Hrsg.), Pflichtteilsrecht, Anh. 4, Internationales Pflichtteilsrecht, Rn.  76; Dutta, in: MünchKomm BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, EuErbVO, Art.  35 Rn.  3. 17  Über Art.  17 GR-Charta wird ein Erbe nach der Rechtsprechung des EGMR erst dann geschützt, wenn die Erbschaft schon zum Anwartschaftsrecht erstarkt ist, vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), GRCh, 3. Auflage 2018, GR-Charta, Art.  17 Rn.  17 m. w. N. 18  Vgl. ErwGr. 38 S.  2 zur EuErbVO; Weber, in: Dutta/Weber (Hrsg.), Internationales Erbrecht, 2. Auflage 2021, Einl., Rn.  37; Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung im internationalen Familien- und Erbrecht der EU, 2019, 129 f.

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EuErbVO entgegen.19 Diese Erwägung scheint insbesondere deswegen relevant, weil sich in der Praxis zahlreiche Fälle des Auseinanderfallens von ius und forum gerade infolge der Vornahme einer Rechtswahl durch den Erblasser stellen dürften.20 Daneben sieht Art.  30 EuErbVO vor, dass Eingriffsnormen, die für bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten am Lageort der entsprechenden Nachlassgegenstände gelten, sich gegenüber dem nach Art.  21, 22 EuErbVO ermittelten Erbstatut durchsetzen. Hier könnte man zunächst denken, dass es sich auch bei nationalen Pflichtteilsrechten um solche besondere Regeln handeln könnte, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren. Bereits der enge Anwendungsbereich von Art.  30 EuErbVO, der nur Sondervorschriften zur Vererbung bestimmter Nachlassgegenstände erfasst, spricht jedoch deutlich dagegen. Das Pflichtteilsrecht dürfte nämlich in der Regel – jedenfalls aber im deutschen und österreichischen Recht – nicht auf bestimmte Nachlassgegenstände beschränkt sein. Auch die Zuweisung des Art.  23 Abs.  2 lit.  h) EuErbVO, wonach der verfügbare Teil des Nachlasses, die Pflichtteile und andere Beschränkungen der Testierfreiheit dem Erbstatut unterliegen, spricht deutlich gegen eine rechtliche Sonderbehandlung des Pflichtteilsrechts. Ganz deutlich ist schließlich Erwägungsgrund 54, der eine enge Auslegung der Ausnahme in Art.  30 EuErbVO fordert, damit diese der allgemeinen Zielsetzung der Verordnung nicht zuwiderlaufe. Daher – so Satz 4 – dürfen Bestimmungen, die einen größeren Pflichtteil als den vorsehen, den das nach der EuErbVO bestimmte Erbstatut festlegt, nicht unter die Ausnahme des Art.  30 EuErbVO subsumiert werden.21 Eine Durchsetzung des nationalen Pflichtteilsrechts im Wege einer Eingriffsnorm verbietet das europäische Recht also – eine Wertung, die auch im Rahmen der Ordre-public-Auslegung zu berücksichtigen ist.22

III. Überblick über verschiedene Modelle erbrechtlicher Mindestbeteiligung naher Angehöriger Aus dem breit gefächerten Spektrum potenzieller Fallgruppen erbrechtlicher Ordre-public-Verstöße von diskriminierenden religiösen Erbvorschriften bis hin zur Zulässigkeit von Erbverträgen oder gemeinschaftlichen Testamenten 19 

So auch Boosfeld, ZEuP 2023, 249, 266; Brosch (Fn.  18), 130 f. Vgl. Fn.  5 m. w. N. 21  Vgl. dazu auch J. Schmidt, in: Dutta/Weber (Hrsg.), Internationales Erbrecht, 2. Auflage 2021, EuErbVO, Art.  30, Rn.  15; Dutta, in: MünchKomm BGB, Band 12, 8. Auflage 2020, EuErbVO, Art.  30 Rn.  9. 22  So auch Schacherreiter, ÖJZ 2021/131, 940. 20 

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soll hier das Fehlen eines Pflichtteilsrechts für Abkömmlinge des Erblassers herausgegriffen werden. Die Suche nach einer Balance zwischen Testierfreiheit der Erblasserin und erbrechtlichen Schutzmechanismen für deren nahe Angehörige stellt eine der wesentlichen Konfliktlinien aller (liberalen) Erbrechtsordnungen dar23 und rückt aktuell wieder stärker in den Fokus rechtspolitischer Debatten.24 Die Frage der Ordre-public-Widrigkeit des fehlenden Pflichtteilsrechts für nahe Angehörige stellte sich in den letzten Jahren sowohl den österreichischen 25 als auch deutschen obersten Zivilgerichten 26 . Die den Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte waren dabei durchaus vergleichbar. So hatte der OGH über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Erblasserin britischer Staatsangehörigkeit mit letztem gewöhnlichem Aufenthaltsort in Österreich eine Rechtswahl zugunsten des englischen Rechts vorgenommen und ihre Enkelinnen enterbt hatte.27 Vor dem BGH wurde über die Erbschaft eines deutsch-britischen Doppelstaatlers mit letztem gewöhnlichem Aufenthaltsort in Deutschland verhandelt, der eine Rechtswahl zugunsten des englischen Rechts vorgenommen und seinen Adoptivsohn enterbt hatte.28 In beiden Fällen stand also ein Konflikt des englischen Erbrechts mit dem Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge nach österreichischem bzw. deutschem Erbrecht im Zentrum. Dies soll hier zum Anlass genommen werden, einen kurzen Überblick über das deutsche und österreichische Pflichtteilsrecht einerseits und die family provision des englischen Rechts andererseits zu geben. Wie eingangs dargelegt, dient ein Vergleich des materiellen Rechts und verfolgten Sinn und Zwecks der Regelungen auch der Herausarbeitung eines zwischen dem Eigenen und Fremden bestehenden Unterschieds im Rahmen der Konkretisierung des ordre public. 1. Das „eigene“ deutsche und österreichische Pflichtteilsrecht Deutschland und Österreich werden traditionell der gleichen Rechtskultur oder -tradition zugeordnet.29 Nun mag diese Zuteilung sowieso und insbesondere in Bezug auf das bei dieser Einteilung nicht gerade im Fokus stehende Rechtsge23 

Beckert, Unverdientes Vermögen: Soziologie des Erbrechts, 2004, 11 f. Zimmermann/Bauer/Bialluch/Humm/Klapdor/Köhler/Schmidt/Scholz/Wiedemann, Zwingender Angehörigenschutz im Erbrecht. Ein Reformvorschlag, 2022. 25  OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i = ErbR 2021, 620 = FamRZ 2021, 1487 = ÖJZ 2021/131 m. Anm. Schacherreiter, 940 = NZ 2021/93 m. Anm. Schauer, 330 = iFamZ 2021/187 m. Anm. Schweda, 229 = JEV 2021, 89 m. Anm. Sprohar-Heimlich = EF-Z 2022/49 m. Anm. Knotz, 114 = ZEuP 2023, 249 m. Anm. Boosfeld, 260. 26  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, BGHZ 234, 166 = NJW 2022, 2547 m. Anm. Windeknecht, 2552 = FamRZ 2022, 1489 m. Anm. Schmidt, 1493 = ZEuP 2023, 249 m. Anm. Boosfeld, 260 = ZEV 2022, 667 m. Anm. Dörner, 672. 27  OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  1 ff. 28  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, BGHZ 234, 166. 29  Vgl. zum Begriff der Rechtstradition Glenn, Comparative Legal Families and Compa24 

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biet des Erbrechts kritikwürdig sein.30 Aber auch eine genauere Untersuchung des rechtsgeschichtlichen Hintergrunds der Entstehung des Pflichtteilsrechts in den beiden Rechtsordnungen ergibt zahlreiche Parallelen. So beruhen die Pflichtteilsvorschriften beider Staaten auf dem römischen Recht.31 Das früher entstandene österreichische ABGB stand zudem mit seinem Pflichtteilsrecht gerade den Redakteuren des deutschen BGB Modell32 und auch nach der österreichischen Erbrechtsreform von 2015 bestehen – zumindest hinsichtlich der Pflichtteilsberechtigung von Abkömmlingen des Erblassers – kaum Unterschiede zwischen den beiden Pflichtteilsrechten. Anders als das „romanische“ Modell der Erbschaftsreserve, bei dem ein gewisser Teil der Erbmasse von vornherein der Testierfreiheit der Erblasserin entzogen ist,33 sehen das österreichische und deutsche Erbrecht feste Quotenpflichtteile für die Abkömmlinge einer Erblasserin vor. Auch der vorgesehene Anteil stimmt in den beiden Rechtsordnungen überein: Einem Abkömmling steht die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil zu.34 Da die Höhen der gesetzlichen Erbteile in den beiden Rechtsordnungen jedoch nicht identisch ausgestaltet sind, können sich auch bei den Pflichtteilshöhen Unterschiede ergeben. Hinterlässt ein Erblasser beispielsweise seine testamentarisch als Alleinerbin eingesetzte Ehefrau und ein testamentarisch nicht bedachtes Kind, so könnte das Kind nach österreichischem Recht ein Drittel der Erbmasse als Pflichtteil beanspruchen, während ihm nach deutschem Recht nur ein Pflichtteil in Höhe von einem Viertel der Erbmasse zustünde.35 Der aktuelle Sinn und Zweck des österreichischen und deutschen Pflichtteilsrechts wird und wurde an so mancher Stelle in Frage gestellt.36 Historischer Zweck des österreichischen Pflichtteilsrechts, wie er aus den Materialien zum ABGB hervorgeht, war wohl die finanzielle Versorgung der Kinder nach dem Tod eines Elternteils.37 Versorgung wurde dabei aber nicht im Sinne eines existenzsichernden Unterhaltsanspruchs der Kinder verstanden, sondern im Sinne rative Legal Traditions, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 421 ff. 30 Vgl. Kötz, Abschied von der Rechtskreislehre?, ZEuP 1998, 493, 495 ff. zu allgemeiner Kritik an der Rechtskreislehre. 31  Zimmermann, Pflichtteil und Noterbrecht in historisch-vergleichender Perspektive, RabelsZ 84 (2020), 465, 473 ff. 32 Vgl. Mugdan (Hrsg.), Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 5, 1899, 202 ff.; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 1970, 12; Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 465, 484. 33  Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 465, 475 ff. 34  Vgl. §  2303 Abs.  1 BGB, §§  757, 758 Abs.  1, 759 ABGB. 35  Sofern man annimmt, dass die Eheleute im gesetzlichen Güterstand verheiratet waren. 36  Prankl, Der Zweck des Pflichtteils, Journal für Rechtspolitik (JRP) 2021, 79. 37  Mit der Reform durch das ErbRÄG 2015 dürfte der Versorgungsgedanke etwas in den Hintergrund gerückt sein, vgl. dazu Eccher, Die österreichische Erbrechtsreform 2015, 2016, 8.

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der Erhaltung des „gewohnten und elterlicherseits vorgelebten Lebensstandards“.38 Bei der Ausarbeitung des Pflichtteilsrechts des BGB stand hingegen die Erreichung eines Kompromisses zwischen der Freiheit des Erblassers und der Gleichberechtigung der Erben im Vordergrund. Das Pflichtteilsrecht sollte ein Mindestmaß an gleichberechtigter Nachlassbeteiligung garantieren.39 Das auf diesem Wege gleich verteilte Startkapital sollte den Nachkömmlingen den Weg in die bürgerlich-liberale Wirtschaftsgesellschaft ebnen.40 Für die konkrete Ausgestaltung des deutschen Pflichtteilsrechts hingegen waren wohl vor allem praktische Erwägungen maßgeblich, nach welchen eine möglichst klare rechtliche Konstruktion zur Vermeidung von Erbauseinandersetzungen bevorzugt werden sollte.41 2. Die „fremde“ englische family provision Im Gegensatz zum deutschen und österreichischen Modell kennt das englische Erbrecht keinen von vornherein festgelegten Quotenpflichtteil für Abkömmlinge der Erblasserin. Die erbrechtliche Mindestbeteiligung naher Angehöriger beruht, wie in vielen angelsächsisch geprägten Rechtssystemen,42 auf dem flexiblen System der family provision, welches über den Status als Familienmitglied hinaus auch ein finanzielles Bedürftigkeitskriterium anlegt.43 Die Entscheidung über den Zuspruch und die Höhe einer family provision steht im Ermessen des Gerichts, welches bei seiner Entscheidung eine Vielzahl von Faktoren von der Größe des Nachlasses über die finanziellen Ressourcen und Bedürfnisse aller (auch potenzieller) Antragssteller und Erben bis hin zum Verhalten eines Antragstellers einbeziehen kann.44 Anhaltspunkte für eine etwaige interne Hierarchie dieser Kriterien lassen sich weder aus dem Gesetz noch aus der englischen Rechtsprechung entnehmen.45 38 

Prankl, JRP 2021, 79, 87. Mertens (Fn.  32), 84 ff. 40  Mertens (Fn.  32), 88 f. 41  Mertens (Fn.  32), 99. 42  Vgl. Überblick bei Reid, Mandatory Family Protection in the Common Law Tradition, in: Reid/de Waal/Zimmermann (Hrsg.), Comparative Succession Law: Volume III: Mandatory Family Protection, 2020, 707. 43  Vgl. Section 1(1) Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975. 44  Aufzählung der beachtlichen Kriterien in section 3(1) und section 3(3) Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975; vgl. auch Kerridge, Family Provision in England and Wales, in: Reid/de Waal/Zimmermann (Hrsg.), Comparative Succession Law: Volume III: Mandatory Family Protection, 2020, 384, 392 f.; Sawyer/Spero, Succession, Wills and Probate, 3. Auflage 2015, Chapter 15, Rn.  15.16; Dutta, Entwicklungen des Pflichtteilsrechts in Europa, FamRZ 2011, 1829, 1834. 45  Zimmermann, Zwingender Angehörigenschutz im Erbrecht. Entwicklungslinien jenseits der westeuropäischen Kodifikationen, RabelsZ 85 (2021), 1, 47 m. w. N. 39 

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Während erwachsenen Kindern früher praktisch nur eine family provision zugesprochen wurde, wenn sie aufgrund physischer oder mentaler Behinderungen nicht selbst für ihr Auskommen sorgen konnten oder sich noch in der Ausbildung befanden,46 ist die Rechtsprechung des Court of Appeals in den letzten 25 Jahren etwas großzügiger geworden.47 So haben nun auch erwachsene Kinder, die in Hoffnung auf den späteren Erhalt einer Erbschaft für lange Zeiträume unterbezahlt in Familienunternehmen gearbeitet48 oder deren vorverstorbener Elternteil zunächst vom anderen Elternteil beerbt wurde, welcher die Kinder dann von der Erbschaft ausschloss,49 eine realistische Chance auf den Erhalt einer family provision.50 Auch in den von Kerridge sogenannten „lameduck“-Fällen, die erwachsene Kinder betreffen, die ihren Lebensunterhalt auch ohne das Vorliegen einer Behinderung nicht selbstständig bestreiten können, werden family provisions zunehmend zugesprochen.51 Während früher das Vorliegen einer „moral obligation“ des Verstorbenen gegenüber seinem – die family provision beantragenden – erwachsenden Kind verlangt wurde, wird diese nun nicht mehr für essentiell gehalten.52 Die Übernahme der family provision aus dem Recht der damaligen britischen Kolonie Neuseeland zu Beginn des 20. Jahrhunderts fiel in eine (entgegen weitverbreiteter Ansicht recht kurze) Periode sehr umfassender Testierfreiheit des Erblassers im britischen Recht.53 Während in der frühen Gesetzgebung zur family provision das Bedürftigkeitskriterium und damit die Unterhaltsfunktion des Instruments noch sehr im Zentrum standen, hat die jüngere Gesetzgebung den begünstigten Personenkreis stark erweitert und das strikte Bedürftigkeitskriterium aufgeweicht.54 Dem Gericht kommt somit ein großer Ermessensspielraum bei Entscheidungen über die family provision zu und es lassen sich kaum konkrete Vorhersagen im Hinblick auf Ansprüche erwachsener Kinder treffen.55

46 Vgl.

Kerridge (Fn.  4 4), 384, 390; dazu auch Zimmermann, RabelsZ 85 (2021), 1, 42 f. Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1830 m. w. N. 48  Re Abraham (Deceased) [1996] 2 F.L.R. 379 (ChD). 49  Re Goodchild (Deceased) [1997] 1 W.L.R. 1216 (CA). 50 Vgl. Re Hancock [1998] 2 F.L.R. 346 (CA) und Espinosa v Bourke [1999] 1 F.L.R. 747 (CA); Kerridge (Fn.  4 4), 384, 398 f.; vgl. dazu auch Röthel, Englische family provision und ordre public, in: Kronke/Thorn (Hrsg.), Grenzen überwinden – Prinzipien bewahren. Festschrift für Bernd von Hoffmann zum 70. Geburtstag, 2011, 348, 356 f. m. w. N. 51  Kerridge (Fn.  4 4), 384, 398 f.; vgl. auch Douglas, Family Provision and Family Practices – The Discretionary Regime of the Inheritance Act of England and Wales, Oñati Socio-Legal Series 4 (2014), 222, 238 ff. 52  Zimmermann, RabelsZ 85 (2021), 1, 48 m. w. N. 53  Kerridge (Fn.  4 4), 384, 387 f. 54 Vgl. Kerridge (Fn.  4 4), 384, 390 ff. 55  So auch Zimmermann, RabelsZ 85 (2021), 1, 47 f. 47 

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3. Zusammenfassung und Prognose für den Rechtsvergleich Wollte man das deutsche und österreichische Pflichtteilsrecht auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner bringen, so wäre dieser angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Erbquoten wohl der bedarfsunabhängige, quotenmäßig festgelegte Pflichtteil für Abkömmlinge des Erblassers. Wesentliche Unterschiede zum englischen System der erbrechtlichen Mindestbeteiligung naher Angehöriger bestehen darin, dass die Nachlassbeteiligung nach englischem Recht von einem Bedürftigkeitskriterium abhängt und in ihrer Höhe nicht gesetzlich festgelegt ist. Sowohl hinsichtlich der Bedarfsabhängigkeit als auch der dem Einzelfall angepassten Höhe einer Nachlassbeteiligung hat das Gericht einen weiten Ermessensspielraum. Die mit den jeweiligen Regelungen verfolgten Zwecke variieren je nach rechts- und ideengeschichtlichem Kontext ihrer Entstehung, waren aber allesamt als Einschränkungen der Testierfreiheit gedacht. Kindern sollte eine finanzielle Beteiligung am Nachlass ihrer Eltern zustehen, sei es aus Gründen der Erhaltung eines gewohnten Lebensstandards, der Ermöglichung einer gleichberechtigten Teilhabe am Wirtschaftsleben oder zur Verhinderung finanzieller Notlagen. Nach dieser überblicksartigen Betrachtung der „eigenen“ Pflichtteilsrechte der beiden Staaten und der englischen family provision würde man mit guten Gründen einen ähnlichen Ausgang beider Verfahren – plakativ gesagt: eine ähnliche Reaktion Deutschlands und Österreichs auf die englische „Fremdheit“ – erwarten. Zwar lässt sich zunächst ein Unterschied zwischen dem deutsch-österreichischen und dem englischen System der Nachlassbeteiligung feststellen. Angesichts der doch recht ähnlichen historischen Zweckrichtungen der Regelungen aller drei Systeme scheint die Annahme eines krassen – oder in der Terminologie der EuErbVO „offensichtlichen“ Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung dennoch nicht naheliegend.

IV. Rechtsvergleichende Betrachtung der Urteile des OGH und BGH Anders als nach diesen Überlegungen zu erwarten, kommen die obersten Zi­ vilgerichte Deutschlands und Österreichs zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während der OGH in seiner Entscheidung von 202156 einen Verstoß des englischen Erbrechts gegen den österreichischen ordre public ablehnt, nimmt der BGH einen solchen Verstoß gegen den deutschen ordre public in seiner Entscheidung von 202257 an. Zunächst sollen die wesentlichen Argumente der Ge56  57 

OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i. BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, BGHZ 234, 166.

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richtshöfe überblicksartig dargelegt werden, um anschließend die sich daraus ergebenden Erklärungsansätze für die unterschiedliche Ordre-public-Auslegung in Österreich und Deutschland zu hinterfragen. 1. OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i Der OGH stützt seine Entscheidung im Wesentlichen auf vier Argumente, von denen drei allgemein der Einschätzung der Wesentlichkeit des bedarfsunabhängigen Pflichtteilsrechts für Abkömmlinge im österreichischen Recht dienen und das letzte auf den konkreten Fall bezogen ist. Zunächst legt das Gericht dar, dass das österreichische Verfassungsrecht das Erbrecht als Teilaspekt des verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechts anerkenne und die Privatautonomie des Erblassers schütze. Eine verfassungsrechtlich geschützte Erwerbsposition potenzieller Erben oder Pflichtteilsberechtigter ergebe sich aus dem österreichischen Verfassungsrecht hingegen nicht. Ein über das österreichische Verfassungsrecht hinausgehender grundrechtlicher Schutz erbrechtlicher Erwerbsaussichten ließe sich auch nicht aus den europäischen Grundrechten ableiten. Die fehlende verfassungsrechtliche Institutsgarantie des Pflichtteilsrechts und die somit nicht unter grundrechtlichem Schutz stehende erbrechtliche Erwerbsaussicht einer pflichtteilsberechtigten Person sprächen dagegen, das österreichische Pflichtteilsrecht zum unabweichlichen Kernbestand erbrechtlicher Vorschriften zu zählen.58 In seinem zweiten Argument stellt der OGH dar, dass die materielle Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts im österreichischen Erbrecht keineswegs in jedem Erbfall zu einer zwingenden, der vorgesehenen Pflichtteilsquote entsprechenden erbrechtlichen Beteiligung der Abkömmlinge führt. Auch nach österreichischem Erbrecht ist über Pflichtteilsentzug (§  770 ABGB) und -minderung (§  776 ABGB) eine Begrenzung der Beteiligung – zumindest bis zur Unterhaltsgrenze (§  777 ABGB) – möglich. Dass ein erwachsener, nicht bedürftiger Abkömmling ohne Pflichtteil zurückbleibt, könne in Ausnahmefällen auch Ergebnis der Anwendung österreichischen Rechts sein.59 Das dritte Argument des OGH gründet auf der gesetzgeberischen Tendenz zur Schwächung des Pflichtteilsrechts in Österreich. Die mit der Neukodifikation des Erbrechts 2015 einhergegangenen Änderungen, wie die Abschaffung des Aszendenten-Pflichtteils und Erweiterungen der Möglichkeit einer Pflichtteilsminderung, wertet das Gericht als Anhaltspunkte für die kritische Hinterfragung des bedarfsunabhängigen Pflichtteils in der österreichischen Rechtspolitik. Dass solche rechtspolitische Reformüberlegungen fruchten und durch einfache Gesetzesänderungen bereits teilweise umgesetzt werden konnten, 58  59 

OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  42. OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  43.

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spricht gegen eine Zugehörigkeit des Pflichtteilsrechts zum österreichischen ordre public. 60 Schließlich betont der OGH in seinem vierten Argument den nur als gering einzustufenden Inlandsbezug des Falles. Da die Erblasserin nur britische Staatsangehörige war und für lange Zeiträume in Großbritannien, Südafrika, Frankreich, Belgien und Österreich lebte und die klagenden Enkelinnen der Erblasserin ebenfalls britische Staatsangehörige sind, die wiederum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden und England haben, sei der spezifische Bezug des Falles zur österreichischen Rechtsordnung als gering einzuschätzen. Eine möglicherweise andere Beurteilung der Frage für Fälle mit stärkerem Inlandsbezug von Vermögen und Nachkommen lässt der OGH bewusst offen. 61 2. BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV BR 110/21 Die Argumentation des BGH ist etwas unübersichtlicher als die des OGH. Im Wesentlichen stützt der BGH sich zur Feststellung des Verstoßes der englischen family provision gegen den deutschen ordre public aber auf zwei Argumente. Das erste Argument beruht auf dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, unter dem das bedarfsunabhängige Pflichtteilsrecht der Kinder in Deutschland stehe. So ergebe sich aus der wegweisenden Entscheidung des BVerfG vom 19.4.2005,62 dass „dem Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers unter Verweis auf die Erbrechtsgarantie des Art.  14 Abs.  1 S.  1 i. V. m. Art.  6 Abs.  1 GG Grundrechtscharakter im Sinne einer grundsätzlich unentziehbaren und bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass“ zukomme. 63 Das Pflichtteilsrecht habe eine „familienschützende Funktion“, nämlich die Ermöglichung der „Fortsetzung des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs von Vermögen und Familie – unabhängig von einem konkreten Bedarf des Kindes – über den Tod des Vermögensinhaber hinaus“. 64 Dieses Verständnis des Pflichtteilsrechts als „grundrechtlich geschützte Rechtsposition“ habe das BVerfG auch in einer jüngeren Entscheidung von 2018 bestätigt. 65 Obwohl Ausgestaltung und Höhe des Pflichtteilsanspruchs nicht verfassungsrechtlich vorgegeben seien, ließe sich aus der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie ein Verstoß gegen den erbrechtlichen ordre public dann bejahen, wenn der Pflichtteil eines Kindes „von nicht vorab festgelegten Kriterien, die nicht bedarfsunabhängig sind, abhängt und in 60 

OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  4 4. OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  45. 62  BVerfG, Beschl. v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00, 188/03, BVerfGE 112, 332. 63  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  14(1), BGHZ 234, 166, 171. 64  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  14(1), BGHZ 234, 166, 172. 65  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  14(1), BGHZ 234, 166, 172 mit Verweis auf BVerfG ZEV 2019, 79 Rn.  13 = NJW 2019, 1434 Ls. zur Verfassungsgemäßheit von §  2325 III 3 BGB. 61 

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das Ermessen des Gerichts gestellt wird“. 66 Die ältere Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte, die eine Ordre-public-Zugehörigkeit des deutschen Pflichtteilsrechts verneint hatte, sei durch die zwischenzeitliche Rechtsprechung des BVerfG hinfällig geworden.67 In seinem zweiten wesentlichen Argument evaluiert auch der BGH die Inlandsbeziehung des ihm vorgelegten Falles. Diese sei wegen des gewöhnlichen und für lange Zeit bestehenden Aufenthaltsortes des Erblassers und des Klägers in Deutschland, der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers sowie der Situierung des Nachlassvermögens in Deutschland als „hinreichend stark“ einzustufen. Von der Annahme eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public sei somit nicht abzuweichen. 68

V. Untersuchung der Erklärungsansätze auf die Achtung des Fremden Angesichts der Entscheidungsergebnisse könnte angenommen werden, der BGH habe wegen der Annahme eines Ordre-public-Verstoßes den internationalprivatrechtlichen Grundsatz der Achtung des Fremden missachtet. Dies lässt sich aber nur bewerten, indem die berücksichtigten Kriterien zur Auslegung des ordre public auf die darin zum Ausdruck kommende Achtung des Fremden untersucht werden. 69 Die unterschiedliche Beurteilung der Frage durch den OGH und BGH lässt sich hier vor allem auf die abweichende Einschätzung im Hinblick auf die Wesentlichkeit des eigenen Pflichtteilsrechts und die Inlandsbezüge der Sachverhalte zurückführen.70 1. Bewertung der Wesentlichkeit des eigenen Pflichtteilsrechts Während die Argumentation des BGH vornehmlich auf der verfassungsrechtlichen Verankerung des deutschen Pflichtteilsrechts aufbaut, die auf die große Bedeutung des Rechtssatzes für das deutsche Gesamtrechtsgefüge schließen lässt, wendet der OGH zahlreiche der eingangs genannten Methoden der kritischen Hinterfragung des eigenen Rechtssatzes an.

66 

BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  23(1), BGHZ 234, 166, 177. BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  27(e), BGHZ 234, 166, 178. 68  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  29(5), BGHZ 234, 166, 180. 69  Kritisch zum vorgelagerten Aspekt der ausreichenden Ermittlung des englischen Rechts durch den BGH Schmidt, FamRZ 2022, 1489, 1494. 70  Für eine kritische Betrachtung der weitreichenden Anwendung des deutschen Pflichtteilsrechts auf Rechtsfolgenseite des Ordre-public-Verstoßes in der BGH-Entscheidung vgl. Pfeiffer, LMK 2022, 811862 sowie Schmidt, FamRZ 2022, 1489, 1494. 67 

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a) Verfassungsrechtliche Verankerung des deutschen Pflichtteils Mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des bedarfsunabhängigen Pflichtteilsrechts beruft sich der BGH geradezu auf das „Totschlagargument“ im Rahmen der Ordre-public-Auslegung. Seit die Wirkung der Grundrechte im Internationalen Privatrecht erstmals durch das BVerfG festgestellt wurde,71 unterlag der Ordre-public-Vorbehalt als „Einfallstor“ für die Grundrechte im IPR einer steten „Vergrundrechtlichung“.72 Dies ist grundsätzlich kein deutsches Phänomen, sondern lässt sich in ganz Europa beobachten.73 Umgekehrt, stellt der OGH im Hinblick auf das Pflichtteilsrecht klar, dass dieses in Österreich weder als Institutionsgarantie noch als Erwerbsposition des potenziellen Pflichtteilsberechtigten grundrechtlichen Schutz genießt. Auch aus dem Wortlaut des deutschen Grundgesetzes (insb. Art.  14 Abs.  1 S.  1 GG) selbst lässt sich weder die Institutsgarantie des Erbrechts noch die Zugehörigkeit einer bedarfsunabhängigen quotenmäßigen Nachlassbeteiligung von Deszendenten herleiten. Die Entscheidung des BGH beruht deswegen ganz maßgeblich auf der Grundsatzentscheidung des BVerfG von 200574 und deren Bestätigung durch die Entscheidung von 201875. Angesichts dessen mag die Rechtsauffassung des BGH zum erbrechtlichen ordre public auf den ersten Blick unumgänglich erscheinen. Bei genauerer Betrachtung kommen jedoch Zweifel sowohl an der verfassungsrechtlichen Fundiertheit der BVerfG-Entscheidungen als auch an der Übertragbarkeit der Entscheidung auf internationalprivatrechtliche Sachverhalte auf. In der Entscheidung des BVerfG von 2005 ging es um die Auslegung und Anwendung von Pflichtteilsentziehungsgründen, nicht jedoch um die Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts der Kinder. Die Feststellung zum Verfassungsschutz des Pflichtteilsrechts der Kinder war für die Entscheidung des BVerfG in den zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden nicht relevant und wurde deswegen richtigerweise als „klassischer Fall eines obiter dictum“ beschrieben, auf die „sich die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht bezieht“.76 Auch inhaltlich können die vom BVerfG angeführten Argumente nur begrenzt überzeugen. So lässt sich weder aus der langen Tradition des Pflichtteilsrechts noch aus dem Rechtsvergleich mit anderen europäischen Staaten eine verfassungsrechtliche Gewährleistung der be71 

BVerfG, Beschl. v. 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58–87. Vgl. dazu Looschelders, Die Ausstrahlung der Grund- und Menschenrechte auf das Internationale Privatrecht, RabelsZ 65 (2001), 463, 475 ff. 73 Vgl. Wurmnest/Kübler-Wachendorff, The Constitutionalization of Public Policy in Private International Law, in: Hugo/Möllers (Hrsg.), Legality and Limitation of Powers. Values, Principles and Regulations in Civil Law, Criminal Law, and Public Law, 2019, 267, 288 ff. 74  BVerfG, Beschl. v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00, 188/03, BVerfGE 112, 332. 75  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14 = ZEV 2019, 79 = NJW 2019, 1434. 76  Zimmermann/Bauer/Bialluch/Humm/Klapdor/Köhler/Schmidt/Scholz/Wiedemann (Fn.  24), Rn.  22. 72 

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darfsunabhängigen Nachlassbeteiligung von Kindern überzeugend herleiten.77 Allein aus diesen Gründen kann die schlichte Übernahme der Entscheidung des BVerfG durch den BGH ohne vertieftere kritische Auseinandersetzung mit der Begründung des Verfassungsgerichts fragwürdig erscheinen. Der BGH verweist nun vor allem auf die Auslegung der Art.  14 Abs.  1 i. V. m. Art.  6 Abs.  1 GG durch das BVerfG, wonach die strukturprägenden Merkmale der Nachlassteilhabe von Kindern – der bedarfsunabhängige Quotenpflichtteil – Teil der Institutsgarantie des Erbrechts seien. Das ist im Rahmen der Ordre-public-Auslegung interessant, weil die grundrechtliche Institutsgarantie eine Einschränkung des einfachen Gesetzgebers und nicht etwa der internationalen Erblasserin bezwecken will.78 Dies wird besonders deutlich, wenn man dem Verweis des BVerfG auf die Kommentierung Boehmers zu Art.  154 WRV nachgeht,79 in der wohl erstmals die Idee der erbrechtlichen Institutsgarantie ausgeführt wurde. 80 Die dortigen Ausführungen Boehmers, wonach das Pflichtteilsrecht der Ehegatten, Eltern und Abkömmlinge zum Wesenskern des deutschen Erbrechts gehören und somit nur durch verfassungsänderndes Gesetz angetastet werden können, 81 sind in ihrem rechtspolitischen Zusammenhang zu lesen. Boehmer erhebt das Erbrecht einschließlich Pflichtteilsrecht zum Institut, um es vor „linksradikalen“ Reformbestrebungen zu schützen und gegen eine Abschaffung zugunsten weitreichender Zugriffsbefugnisse des Staates abzusichern. 82 Eine pauschale Übertragbarkeit der Wertungen des Bundesverfassungsgerichts auf das internationale Privatrecht scheint vor diesem Hintergrund zu weitgehend. 83 Bei der vom BGH zusätzlich angeführten Entscheidung des BVerfG vom 26.11.201884 schließlich, ging es um die Verfassungsmäßigkeit des Fristbeginns für die Berücksichtigung von Schenkungen unter Ehegatten für den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §  2325 Abs.  3 S.  3 BGB, also wiederum nicht um die verfassungsrechtliche Verankerung des Pflichtteilsrechts der Kinder. Die Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, die Berücksichtigung von im Todeszeitpunkt des Erblassers bereits mehr als zehn Jahre zurückliegenden Schen77  Zimmermann/Bauer/Bialluch/Humm/Klapdor/Köhler/Schmidt/Scholz/Wiedemann (Fn.  24), Rn.  25; Boosfeld, ZeuP 2023, 249, 269 f. 78  Zur erbrechtlichen Institutsgarantie vgl. Papier, Erbrecht und Verfassung, ErbR 2007, 134, 135 ff. 79  Boehmer, Artikel 154 – Erbrecht, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung. Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, 1930, Art.  154 WRV. 80  Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 11, 3. Auflage 2013, Art.  14 Rn.  5. 81  Boehmer, in: Nipperdey (Fn.  79), Art.  154 WRV S.  272. 82  Boehmer, in: Nipperdey (Fn.  79), Art.  154 WRV S.  255 ff., 265. 83  In diese Richtung auch Weber, RfamU 2022, 424, 430; Magnus, in: Dauner-Lieb/Grziwotz/Herzog (Fn.  16), Anh. 4, Internationales Pflichtteilsrecht, Rn.  78. 84  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14 = ZEV 2019, 79 = NJW 2019, 1434.

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kungen im Rahmen der Berechnung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen verstoße gegen Art.  3 Abs.  1 i. V. m. Art.  6 Abs.  1 GG, weil die Regelung nur auf an den Ehegatten des Erblassers gerichtete Schenkungen anwendbar sei. 85 Das BVerfG verweigerte die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung wegen Unbegründetheit. 86 Zur Begründung wird ausgeführt, eine Ungleichbehandlung der Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften durch §  2325 Abs.  3 S.  3 BGB sei jedenfalls wegen der wirtschaftlichen Verflechtung der Eheleute und der aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche gerechtfertigt. 87 So partizipiere der Ehegatte aufgrund der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen und im Rahmen des Zugewinnausgleichs auch nach Schenkung in der Regel weiter an den Nutzungen des Vermögens.88 §  2325 Abs.  3 S.  3 BGB stelle einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem hinterbliebenen Ehegatten und sonstigen Pflichtteilsberechtigten und insbesondere Kindern des Erblassers her. 89 Da das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge verfassungsrechtlich geschützt sei,90 könne die wohl von den Beschwerdeführern vorgebrachte Annahme, dass auch bei Ehegatten die Absicht zur Benachteiligung gesetzlicher Erben unterstellt werden kann, nicht berücksichtigt werden.91 Das laut BGH „ausdrückliche Festhalten“92 des BVerfG an der Einordnung des Pflichtteilsrechts von Kindern als grundrechtlich geschützte Rechtsposition erfolgt also in einer einzigen Randnummer einer knappen vierseitigen Entscheidung zur Bestätigung der allgemeinen Aussage, dass die Testierfreiheit des Erblassers durch die Pflichtteilsansprüche seiner Kinder eingeschränkt wird. Die tiefergehende Auseinandersetzung mit den wörtlich kopierten Abschnitten der Entscheidung von 2005 und insbesondere der für die Argumentation im Rahmen des Nichtannahmebeschlusses von 2018 nicht wirklich maßgeblichen quotenmäßigen und bedarfsunabhängigen Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts kann hier jedenfalls angezweifelt werden. Gerade in einer solchen tiefergehenden Auseinandersetzung mit der verfassungsmäßigen Gewährleistung der Bedarfsunabhängigkeit des deutschen Pflichtteilsrechts hätte aber der wesentliche, die frühere BVerfG-Entscheidung bestätigende, Mehrwert eines Verweises auf die BVerfG-Entscheidung von 2018 im Rahmen der Konkretisierung des ordre public durch den BGH gelegen. Insgesamt zeigen sich also bereits im Rahmen der Etablierung der Wesentlichkeit des deutschen Pflichtteilsrechts durch den BGH zahlreiche undifferen85 

BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  3. BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  4. 87  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  8 . 88  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  9 ff. 89  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  12. 90  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  13. 91  BVerfG, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14, Rn.  14. 92  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  14(1), BGHZ 234, 166, 172. 86 

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zierte Annahmen und Übertragungen aus der Rechtsprechung des BVerfG, die sich zulasten des Grundsatzes der Achtung des Fremden auswirken. Jedenfalls wäre die so ermittelte Position des deutschen Pflichtteilsrechts – wie in der Entscheidung des OGH bezüglich des österreichischen Pflichtteilsrechts geschehen – kritisch zu hinterfragen gewesen. b) Kritische Hinterfragung des eigenen Rechtssatzes durch den OGH Zwei der vier Hauptargumente des OGH dienen dazu, die Wesentlichkeit des österreichischen Pflichtteilsrechts im Rahmen der öffentlichen Ordnung zu relativieren. Der OGH stellt zunächst verschiedene Mechanismen des materiellen österreichischen Rechts vor, die zum selben Anwendungsergebnis wie das englische Fremdrecht führen. Anschließend nimmt er Bezug auf die rechtspolitische Schwächung, die das österreichische Pflichtteilsrecht durch andauernde Reformbestrebungen und erste Reformen im Jahr 2015 erlitten hat.93 Der BGH hingegen, geht nicht auf die im deutschen Recht zwar eingeschränkten, aber dennoch vorhandenen Möglichkeiten der Pflichtteilsbeschränkung und des Pflichtteilsentzugs ein.94 Auch Reformbestrebungen hinsichtlich des deutschen Pflichtteilsrechts werden vom BGH unterschlagen.95 Interessant ist schließlich auch, dass vom BGH keinerlei rechtsvergleichende Betrachtungen angestellt werden. Dies gilt einerseits in Bezug auf eine rechtsvergleichende Betrachtung der Auslegung des erbrechtlichen ordre public hinsichtlich nationaler Pflichtteilsrechte. So wird weder die Entscheidung des OGH noch die Entscheidungen der französischen Cour de cassation angesprochen, die sich beide jüngst mit derselben Frage befassten.96 Andererseits findet aber auch keine rechtsvergleichende Betrachtung materieller Pflichtteilsvorschriften statt.97 Der BGH verweist auch nicht auf die rechtsvergleichenden Teile der Entscheidung des BVerfG oder setzt sich mit den dortigen Annahmen kritisch auseinander.98

93 

Kritisch zur Gewichtigkeit dieses Arguments Schauer, NZ 2021/93, 330, 335. Kritisch dazu auch Pfeiffer, LMK 2022, 811862. 95 Vgl. Reformüberlegungen zum deutschen Pflichtteilsrecht nur Zimmermann/Bauer/ Bialluch/Humm/Klapdor/Köhler/Schmidt/Scholz/Wiedemann (Fn.  24); Röthel (Hrsg.), Reformfragen des Pflichtteilsrechts, 2007. 96  Cass. Civ. 1ère, Urteil v. 27.9.2017, Nr.  16-13.151, Nr.  16-17.198. 97  Rechtsvergleichende Betrachtungen zum zwingenden Angehörigenschutz im Erbrecht finden sich beispielsweise bei Pfundstein, Pflichtteil und ordre public. Angehörigenschutz im internationalen Erbrecht, 2010 und Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 465 und RabelsZ 85 (2021), 1. 98  Boosfeld, ZEuP 2023, 249, 269. 94 

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2. Inlandsbeziehung Obwohl die aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen in den beiden Fällen stark vergleichbar sind, ergeben sich offensichtliche Unterschiede im Hinblick auf die Inlandsbeziehungen zum jeweiligen Forumsstaat, die auch in den Entscheidungsbegründungen berücksichtigt wurden. Sowohl der BGH als auch der OGH stellen auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers, die Staatsangehörigkeit des Erblassers, die Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Forumsstaat, den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Pflichtteilsberechtigten und den Belegenheitsort des Vermögens des Erblassers ab, um die Inlandsbeziehung der Fälle einzustufen.99 Wegen der deutlichen Unterschiede hinsichtlich nahezu all dieser Kriterien erscheint die Einstufung der Inlandsbeziehung durch den BGH als hoch und durch den OGH als eher gering hier durchaus gerechtfertigt. Der OGH behält sich eine anders lautende Entscheidung bei stärkerem Inlandsbezug ausdrücklich vor100 und auch der BGH stellt seine Rechtsauffassung stets unter den Vorbehalt des – hier vorliegenden – hinreichenden Inlandsbezug.101 Als Kriterium, das der Achtung des Fremden im Rahmen des ordre public dienen soll, wird der Inlandsbezug hier von beiden Gerichten zur Anwendung gebracht. Die Argumentation des BGH lässt aber trotz des stets bedachten Verweises auf den „hinreichenden Inlandsbezug“ Zweifel daran aufkommen, dass die Entscheidung bei geringerem Inlandsbezug tatsächlich wesentlich anders ausgefallen wäre. Hätte der BGH über den österreichischen Fall zu entscheiden gehabt, so scheint es keinesfalls abwegig, dass er mit derselben Argumentation einen Ordre-public-Verstoß bejaht hätte. Wo wäre schließlich die Grenze zum nicht mehr hinreichenden Inlandsbezug zu ziehen? Lässt sich in einem internationalen Erbfall die Zuständigkeit deutscher Gerichte begründen, so wird stets ein gewisser Inlandsbezug vorliegen. Und bei einer so auf die deutschen Grundrechte gestützten Begründung ließe sich ein Ordre-public-Verstoß selbst bei Fällen mit relativ geringer Inlandsbeziehung aufgrund der Wesentlichkeit des Rechtssatzes leicht bejahen. Das eigentlich zur Gewährleistung der Achtung des Fremden bewusst flexibel gehaltene Kriterium des Inlandsbezugs droht so zur bloßen Ja-Nein-Frage ausgehöhlt zu werden.

99  OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  45; BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  29(5), BGHZ 234, 166, 180. 100  OGH, Urteil v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i, Rn.  45; kritisch zum Vorbehalt des OGH Schauer, NZ 2021/93, 330, 336 f.; Knotz, EF-Z 2022/49, 114, 115. 101  BGH, Urteil v. 29.6.2022 – IV ZR 110/21, Rn.  29(5), BGHZ 234, 166, 180.

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VI. Fazit: De facto Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses Bereits in der isolierten Betrachtung der Ausführungen zu den zentralen Anwendungskriterien des Ordre-public-Vorbehalts lässt sich eine Missachtung des Fremden durch den BGH erahnen. Dieses Bild verstärkt sich noch, wenn man sich die Reichweite der Rechtsprechung und Möglichkeit der Übertragung auf weitere Sachverhalte vor Augen führt.102 Gerade das Beharren auf einer bedarfsunabhängigen und im Voraus festgelegten Nachlassbeteiligung erscheinen problematisch. Tatsächlich sehen nämlich zahlreiche Rechtsordnungen keine in dieser Form ausgestaltete Nachlassbeteiligung vor. So kennen die meisten angelsächsischen Rechtsordnungen keinen bedarfsunabhängigen, quotenmäßig ausgestalteten Pflichtteil für Abkömmlinge. Wegen der starken verfassungsrechtlichen Begründungskomponente ist zu befürchten, dass die über das Kriterium der Inlandsbeziehung vorgesehene Relativierung des ordre public weitgehend zu entfallen droht. Das deutsche Pflichtteilsrecht würde sich dann de facto in allen internationalen Erbfällen mit Rechtsordnungen, die eine family provision oder einen bedarfsabhängigen Pflichtteil für Kinder vorsehen,103 als eine Art Eingriffsnorm darstellen, die sich weitgehend unabhängig von den Umständen des Einzelfalles durchsetzt.104 Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des IPR wäre damit umgekehrt, was nun gerade nicht dem Grundsatz der Achtung des Fremden gerecht wird. Erweitert man die Ordre-public-Rechtsprechung des BGH auf bedarfsunabhängige und im Voraus festgelegte Pflichtteilsrechte für Ehegatten steigen die Anwendungsfälle nochmal erheblich an, da auch hier in vielen Rechtsordnungen ein Bedürftigkeitskriterium vorgesehen ist.105 Übertrüge man die Rechtsprechung schließlich auch auf den nach deutschem Zivilrecht bestehenden bedarfsunabhängigen Pflichtteil für Eltern, ließe sich trotz nur geringer Praxisrelevanz dieser Anspruchsgrundlage, doch zumindest ein großes theoretisches Konfliktpotenzial mit zahlreichen anderen (auch europäischen) Rechtsordnungen ausmachen. Selbst das österreichische Erbrecht würde dann gegen den deutschen ordre public verstoßen. Eine solche Übertragbarkeit der Rechtsprechung scheint aufgrund der starken Bezugnahme auf das auch andere Familienmitglie102  Ein nur geringes Risiko der Ausweitung der BGH-Rechtsprechung auf jegliche (insb. quotenmäßige) Abweichungen vom deutschen Pflichtteilsrecht sieht Schmidt, FamRZ 2022, 1489, 1494; aA Litzenburger, FD-ErbR 2022, 450960. 103  Beispielsweise Belarus und Russland, vgl. dazu Dörner, ZEV 2022, 667, 674 m. w. N. 104  Vgl. dazu auch Schacherreiter, ÖJZ 2021/131, 940. 105  Vgl. beispielsweise das tschechische Pflichtteilsrecht für überlebende Ehegatten, dazu Zimmermann, RabelsZ 85 (2021), 1, 8 f.; gegen eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf Pflichtteilsansprüche anderer Familienmitglieder Miler, The EU Succession Regulation and forced heirship: a potential violation of German public policy?, JPIL 2020, 334, 342.

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der umspannende Argument der familiären Solidarität zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen. Wie das Urteil des OGH zeigt, bietet die Abgrenzung vom „Fremden“ immer auch Gelegenheit zur Hinterfragung des „Eigenen“. Indem der BGH das deutsche Pflichtteilsrecht zur zwingenden Vorschrift in internationalen Erbfällen erhebt, lässt er diese Gelegenheit verstreichen. Dies verstößt einerseits gegen den auf der Annahme der Gleichwertigkeit der Privatrechtsordnungen beruhenden internationalprivatrechlichen Grundsatz der Achtung des Fremden und verhindert andererseits eine dem gesellschaftlichen Wandel angepasste Überarbeitung des deutschen Pflichtteilsrechts.

Mind the Gaps: Adaptation Mechanisms in the Intra-EU Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters Tess Bens The principal aim of the system for recognition and enforcement under the Brussels Ibis Regulation is to facilitate the free movement of judgments in civil and commercial matters in the European Union. The structural differences between the domestic enforcement systems of the Member States did not disappear after the abolition of the declaration of enforceability and may raise difficulties in the cross-border enforcement of judgments. This contribution examines the role of adaptation mechanisms in dealing with such difficulties, which include the adjustment of domestic enforcement law, the substitution and transposition of respectively equivalent and unknown orders and measures, as well as the concretisation of the operative part of the judgment. In addition, the potential to anticipate such difficulties is discussed. Against this backdrop, the contribution explores whether adaptation mechanisms promote deference to the foreign or reinforce national differences.

I. Introduction The principal aim of the system for recognition and enforcement under the Brussels Ibis Regulation is to facilitate the free movement of judgments in civil and commercial matters between the Member States of the European Union.1 The 1968 Brussels Convention already greatly simplified recognition of foreign judgments by dispensing with indirect checks on jurisdiction, which can still be found in instruments such as the 2019 Hague Judgments Convention,2 and limiting the grounds for refusal. Moreover, it standardised the procedure for obtaining a declaration of enforceability (exequatur). The Brussels I Regulation further simplified this procedure by prohibiting an assessment of the grounds for refusal during the first instance proceedings and limiting its scope to a pure1  The aim to facilitate, as far as possible, the free movement of judgments was already expressed in the Jenard, Report on the Convention of 27.9.1968 on jurisdiction and the enforcement of judgments in civil and commercial matters (OJ 1979 C59/1, 5.3.1979), 43 (hereafter: Jenard Report) and later incorporated in Recital 6 of both the Brussels I Regulation and the Brussels Ibis Regulation. 2  Convention of 2.7.2019 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil or Commercial Matters. See Kessedjian, Is the Hague Convention of 2 July 2019 a useful tool for companies who are conducting international activities?, NIPR 2020, 19, 27–31.

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ly formal check of the documents required to render the judgment enforceable in the Member State of enforcement. The Brussels Ibis Regulation went a step further by abolishing the exequatur procedure, and introducing the principle that, if a judgment is enforceable in the Member State of origin, it is enforceable in all Member States.3 Similar to other international instruments that govern the “recognition and enforcement” of judgments,4 however, the Brussels Ibis Regulation governs the conditions and procedures to incorporate Member State judgments into the domestic legal order of other Member States and does not deal with the procedure for their execution after such incorporation. The Court of Justice of the European Union already affirmed in its ruling in Deutsche Genossenschaftsbank that the 1968 Brussels Convention does not govern the actual execution of the judgment in the Member State of enforcement once the judgment had been declared enforceable,5 which has been made explicit in Art.  41(1) Brussels Ibis. The procedure for the enforcement of a judgment is, subject to the limits imposed by the Regulation, governed by the domestic law of the Member State where enforcement is sought. Enforceable judgments given by the courts of the Member States shall be enforced in other Member States under the same conditions as domestic judgments. Nonetheless, at least four different systems of enforcement can be distinguished within the European Union, including bailiff-oriented systems (e.g. France and the Netherlands), court-oriented systems (e.g. Austria and Spain), mixed systems (e.g. Germany) and administrative systems (e.g. Sweden and Finland). Even though enforcement procedures in general are based on similar structures, there are significant differences between the Member States in the organisation of enforcement, which include the allocation of responsibilities between courts and other enforcement authorities or institutions, as well as the qualifications of enforcement agents. 6 Consequently, the enforcement systems of the Member States are characterised by structural differences that may raise legal and practical difficulties in the intra-EU execution of foreign judgments. The term ‘adaptation mechanisms’ refers to the various techniques that the courts and the competent enforcement authorities of the Member States may or must employ to deal with such difficulties. This contribution examines the role of adaptation mechanisms in the cross-border enforcement of judgments under 3  Cuniberti, Making Cross Border Enforcement More Efficient for Creditors, in: von Hein/Kruger (eds.), Informed Choices in Cross Border Enforcement, 2021, 413, 417–418. 4 See Kerameus, Enforcement in the International Context, Recueil des cours 264 (1997), 331. 5  CJEU, Judgment of 2.7.1985 – case 148/84, Deutsche Genossenschaftsbank, para. 18. 6  Hess, Comparative Analysis of the National Reports, in: Andenas/Hess/Oberhammer (eds.), Enforcement Agency Practice in Europe, 2006, 35, 31–36; Kennet, Brussels I Recast: General Context of Enforcement Systems, in: Rijavec et al. (eds.), Remedies Concerning Enforcement of Foreign Judgments, 2018, 273, 287–294.

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the Brussels Ibis Regulation and explores the extent to which they promote deference to the foreign, or rather reinforce national differences. The contribution first elaborates the framework for the free movement of judgments in civil and commercial matters under the Brussels Ibis Regulation and, in particular, the interplay between recognition, enforceability and enforcement (II). The starting point is that the domestic law of the Member State of enforcement governs the enforcement procedure, but an adjustment in accordance with the principles of equivalence and effectiveness may be required to limit some of its effects (III). Equivalent orders and measures must in principle be given effect by means of substitution under domestic enforcement law (IV), while unknown orders and measures have to transposed to equivalent orders and measures in accordance with Art.  54 Brussels Ibis (V). In addition, the operative part of the judgment may in some Member States have to be concretised, i.e. made more specific, prior to enforcement, although it is questionable whether the Brussels Ibis Regulation offers a legal basis for this adaptation mechanism (VI). In any case, the court of the Member State of origin has limited options to anticipate foreign enforcement (VII). Recourse to adaptation mechanisms in the Member State of enforcement in general promotes deference to the foreign in dealing with frictions in the framework for the free movement of judgments caused by structural differences in the enforcement systems of Member States, which became more pronounced after the abolition of the exequatur (VIII).

II. The Framework for the Free Movement of Judgments Chapter II of the Brussels Ibis Regulation establishes common rules governing the international jurisdiction of the courts of the Member States for defendants domiciled in the Member States, certain protective and exclusive rules that apply irrespective of the domicile of the defendant, as well as rules on parallel proceedings. Chapter III lays down the conditions for the recognition and the extension of enforceability of Member State judgments and establishes certain formal requirements concerning the documents to be provided, prior service and language. The common rules on jurisdiction and the safeguards provided to the defendant originally justified the liberal approach to recognition and enforcement under the 1968 Brussels Convention.7 The scope of the rules on recognition and enforcement, however, extends to all decisions of the courts of the Member States, irrespective of whether their international jurisdiction was

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based on those common rules,8 provided that they are ‘judgments’ in civil and commercial matters.9 The concept of judgment is defined in the first sentence of Art.  2(a) Brussels Ibis.10 According to the Court of Justice of the European Union, this concept covers any judgment given by a court or tribunal of a Member State, without a distinction being drawn according to its contents, provided that it was or could have been subject to an inquiry in adversarial proceedings before its recognition and enforcement is sought.11 The broad and autonomous interpretation of this concept is justified by the aim to facilitate the free movement of judgments and the principle of mutual trust, which requires disputes as to what constitutes a judgment to be avoided.12 The second sentence of Art.  2(a) Brussels Ibis adds that provisional, including protective, measures ordered by a court or tribunal that has jurisdiction as to the substance of the matter under the Brussels Ibis Regulation are also considered as judgments. Measures that were ordered by such a court or tribunal in non-adversarial proceedings are excluded, unless the judgment containing the measure is served on the defendant prior to enforcement.13 Measures ordered on the basis of Art.  35 Brussels Ibis do not enter the free circulation of judgments.14 Moreover, Court settlements and authentic instruments are excluded and subject to the regime of Chapter IV.15 Any judgment in civil and commercial matters that falls within the scope of Chapter III of the Brussels Ibis Regulation is recognised in all Member States, without any formal proceedings being required, as currently expressed in 8  The Brussels Ibis Regulation is a double instrument with incomplete duality between the rules on jurisdiction and recognition and enforcement. See Kruger, Brussels Calling: The Extra-EU Effect of European Private International Law, in: Van Calster/Falconis (eds.), European Private International Law at 50, 2018, 45, 47. 9  Art.  1(1) Brussels Ibis. Judgments by criminal courts and administrative tribunals in civil and commercial matters can also be subject to recognition and enforcement, provided that they do not fall within the scope of the exclusions under Art.  1(2) Brussels Ibis. See Jenard Report, 42. Penalty payments under public law that are imposed to enforce private law of obligations also fall within the scope of civil and commercial matters. See CJEU, Judgment of 5.4.2011 – case C-406/09, Realchemie, paras. 39–42. 10  The first sentence of Art.  2(a) Brussels Ibis incorporates the definitions previously found in Art.  25 Brussels Convention and Art.  32 Brussels I. 11  See CJEU, Judgment of 7.3.2022 – case C-569/20, H Limited, paras. 24–26. 12  See CJEU, Judgment of 15.11.2012 – case C-456/11, Gothaer, paras. 25–28. 13  The second sentence of Art.  2(a) Brussels Ibis is a partial codification of CJEU, Judgment of 21.5.1980 – case 125/79, Denilauler, para. 17. The specific limitation to measures ordered by a court having jurisdiction as to the substance of the case was introduced under the Brussels Ibis Regulation. See Nuyts, Cross-Border Provisional Measures: Stepping Backwards in the Brussels I Recast, in: Van Calster/Falconis (eds.), European Private International Law at 50, 2018, 83, 106–107 14  CJEU, Judgment of 6.10.2021 – case C-581/20, TOTO, para. 58. 15  Art.  2(b) and 2(c) Brussels Ibis respectively define the concepts of court settlement and authentic instruments. Court settlements were not considered as judgments due to their contractual nature in CJEU, Judgment of 2.6.1994 – case C-414/92, Solo Kleinmotoren, para. 18.

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Art.  36 Brussels Ibis. Recognition is ‘automatic’ in the sense that there is no requirement to verify whether a judgment meets specified conditions for recognition before it can be invoked in the legal order of another Member State. The party that wishes to invoke the judgment only needs to produce the documents listed under Art.  37 Brussels Ibis. The grounds for refusal of recognition under Art.  45 Brussels Ibis are examined on the initiative of either party, or, if the refusal of recognition arises as an incidental question.16 According to the ruling of the Court of Justice in Hoffmann, recognition must, in principle, have the result of conferring on a judgment the authority and effectiveness accorded to them in the Member State of origin.17 In other words, recognition consists of extending the effects that the rules in force in the Member State of origin attach to the judgment, rather than equalizing those effects to a judgment given in the Member State where the judgment is invoked.18 The notable exception is the ruling of the Court of Justice in Gothaer, according to which the res judicata effect of negative jurisdiction decisions on the basis of common rules in Chapter II is governed by a sui generis system.19 Pursuant to Art.  39 Brussels Ibis, the enforceability of a judgment given in a Member State is ‘automatically’ extended to all Member States.20 Member State judgments no longer have to be declared enforceable in exequatur proceedings to become operable in the Member State of enforcement. A party that obtains an enforceable judgment in the Member State of origin can directly proceed to the competent enforcement authorities in the Member State of enforcement, provided that the party produces the documents listed under Art.  42 Brussels Ibis and complies with the requirements of service prior to enforcement in Art.  43 Brussels Ibis. In addition, Art.  40 Brussels Ibis attaches to an enforceable judgment the authorisation to proceed to any protective measures available under the law of the Member State of enforcement. Enforcement can be opposed on the basis of Art.  45 and 46 Brussels Ibis on the same grounds available for the refusal or recognition, but the verification of these grounds takes place at the enforcement stage and only on the initiative of the party against whom enforcement is sought. The Brussels Ibis Regulation in this respect does not create a uniform enforcement procedure and only governs specific aspects of the crossborder enforcement of judgments. The procedure for enforcement is governed by the law of the Member State of enforcement pursuant to Art.  41(1) Brussels Ibis and judgments that are enforce16 

See Art.  36(2), 36(3) and 45(4) Brussels Ibis. CJEU, Judgment of 4.2.1988 – case 145/86, Hoffmann, para. 11. 18  Franzina, in: Dickinson/Lein (eds.), The Brussels I Regulation Recast, 2015, Chapter 13, para. 13.30. 19  CJEU, Judgment of 15.11.2012 – case C-456/11, Gothaer, para. 33–42. 20  However, pursuant to Art.  55 Brussels Ibis, the enforceability of judgments that order a payment by way of penalty is extended to the Member State of enforcement only if the amount of the payment has been finally determined in the Member State of origin. 17 

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able in the Member State of enforcement shall be enforced under the same conditions as domestic judgments. While the Brussels Ibis Regulation does not govern the enforcement procedure, the principles of effectiveness and equivalence have ramifications for how competent authorities in the Member State of enforcement apply domestic enforcement rules. The Court of Justice already introduced the principle of equivalence with respect to the treatment of foreign and domestic judgments for the purpose of their enforcement in its rulings in Apostolides, Prism Investments and Al Bosco, in which it held that, notwithstanding the extension of effects in the context of recognition, there is no reason to grant a judgment, when it is enforced, rights that it does not have in the Member State of origin or effects that a similar judgment given directly in the Member State of enforcement would not have.21 In addition, the Court of Justice affirmed the principle of effectiveness in Apostolides and Al Bosco, ruling that the application of domestic enforcement law, may not impair the effectiveness of schemes for recognition and enforcement by frustrating the aims and principles underlying the system for recognition and enforcement.22 The principles of equivalence and effectiveness in the cross-border enforcement of judgments also underlie Art.  41(2) Brussels Ibis, which allows national grounds for refusal of enforcement to be invoked (equivalence) insofar they are not incompatible with the grounds listed under Art.  45 Brussels Ibis (effectiveness).23 In theory, then, the effects of a judgment given in a Member State are recognised in all Member States and, once the judgment is enforceable in the Member State of origin, shall be enforceable in all Member States. The judgment shall be enforced by the competent enforcement authorities of the Member State of enforcement under the same conditions as domestic judgments. For this purpose, they must use the means and methods available under domestic enforcement law, which must be interpreted and applied in accordance with the principles of equivalence and effectiveness. In practice, however, certain types of proceedings and judgments in one Member State do not necessarily have an equivalent in the other Member States.24 Frictions may therefore arise in this framework for the free movement of judgments that are the result of structural differences between the enforcement systems of the Member States, which may require intervention by the competent enforcement authorities to give effect to the judgment under domestic enforcement law. The extension of effects of a judgment issued in another Member State, however, may be difficult to reconcile with the 21  CJEU, Judgment of 28.4.2009 – case C-420/07, Apostolides, para 66; CJEU, Judgment of 13.10.2011 – case C-139/10, Prism Investments, para. 38; CJEU, Judgment of 4.10.2018 – case C-379/17, Al Bosco, para. 40. 22  CJEU, Judgment of 28.4.2009 – case C-420/07, Apostolides, para 69; CJEU, Judgment of 4.10.2018 – case C-379/17, Al Bosco, para. 26. 23  Kramer, in: Dickinson/Lein (eds.), The Brussels I Regulation Recast, 2015, Chapter 13, para. 13.207. 24  CJEU, Judgment of 7.3.2022 – case C-569/20, H Limited, para. 34.

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obligation to enforce it under the same conditions as domestic judgments, as will be further elaborated in the next sections.

III. Adjustment of Domestic Enforcement Law Once a judgment is incorporated into the legal order of the Member State where enforcement is sought, the domestic enforcement law of that Member State applies in the same way as it does to domestic judgments.25 Even if giving effect to a foreign judgment requires some form of cognisance to determine its effects in the Member State of origin, the domestic law of the Member State where enforcement is sought solely governs the procedure for its enforcement.26 The problem known as adjustment or adaptation strictu sensu in private international law does not arise in the cross-border enforcement of judgments, as it presupposes the concurrent application of different laws to the same legal relation that may produce contradictory results.27 The structural differences between the enforcement systems of the Member States may, however, lead to situations where domestic enforcement law has to be adjusted in accordance with the principles of equivalence and effectiveness.28 One area where adjustment of domestic enforcement law may be required is the imposition of coercive measures in the Member State of enforcement that were not imposed in the Member State of origin, which can be illustrated with respect to penalty payments that aim to compel the debtor to perform a non-fungible act or an obligation to refrain from doing or tolerate a certain act. An interesting example can be found in a case decided by the District Court of Rotterdam in 2018.29 The applicant, an Austrian company, had obtained an order for the production of documents (Buchauszug) from a court in Austria, which it sought to enforce against a Dutch company based in Rotterdam. In particular, the applicant requested the District Court to impose penalty payments (dwangsom) for non-compliance with the request to produce the documents. The District Court ruled that the non-imposition of a penalty payments under Austrian law (Beugestrafe) did not preclude it from imposing penalty payments under Dutch law, especially because the imposition of penalty payments had not been considered or refused by the Austrian court. If the Austrian court had explicitly considered and refused the imposition of penalty payments, however, the question can be raised whether the principles of effectiveness and equivalence 25 

CJEU, Judgment of 13.10.2011 – case C-139/10, Prism Investments, para. 40. See CJEU, Judgment of 4.10.2018 – case C-379/17, Al Bosco, para. 36. 27 See Wilke, A Conceptual Analysis of European Private International Law, 2018, 271– 272. 28 Compare Wiedemann, Vollstreckbarkeit, 2017, 269–271. 29  Rechtbank Rotterdam, Judgment of 9.10.2018, ECLI:NL:RBROT:2018:11063. 26 

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preclude the District Court from imposing penalty payments under Dutch law. In principle, the Austrian judgment is not treated differently from domestic judgments, but this situation would come close to a review of the substance of the judgment, that is prohibited under Art.  52 Brussels Ibis, and may require limitation of Dutch enforcement law in accordance with the principle of effectiveness. Another area where adjustment of domestic enforcement law may be required concerns legal interests that accrue on the obligation to pay a sum of money. Legal interests can be a substantive right that the creditor seeks to enforce (pre-judgment interests) or a procedural right that applies regardless of the substantive claim recognised (post-judgment interests). The different types of interests may be governed by different laws and, according to Cuniberti, enforcement authorities that operate in systems where both types of interests are known will tend to apply domestic rules on post-judgment interests, even in enforcing foreign judgments.30 However, pre-judgment and post-judgment interests belong to the substance of the judgment and must be calculated and enforced by the competent authorities in the Member State of enforcement according to the applicable (foreign) substantive law or procedural rules in the Member State of origin.31 The application of domestic rules on post-judgment interests is inherently at odds with the principle of equivalence, as it results in more rights being afforded to the judgment than it has in the Member State of origin. Therefore, rules of domestic enforcement law on post-judgment interests that indiscriminately apply to both domestic and foreign judgments have to be adjusted in order to limit their scope. The principle of equivalence does not preclude the imposition of enforcement measures that are not available in the Member State of origin when the judgment is enforced in another Member State, while the principle of effectiveness does not entail an obligation to introduce enforcement measures that did not already exist in order to give effect to foreign judgments. The examples discussed above highlight that adjustment of domestic enforcement law may nonetheless be required in exceptional cases where its unrestricted application would contravene these principles through the duplication of rights or remedies. The implementation of a foreign judgment in the legal order of the Member State of enforcement, however, requires recourse to other adaptation mechanisms that concern the judgment itself.

30 

Cuniberti (n. 3), 413, 424. Sladič, Some Open Issues in Determining the Scope of Enforcement Titles in Brussels I Recast, in: Rijavec et al. (eds.), Remedies Concerning Enforcement of Foreign Judgments, 2018, 95, 96–101. 31 

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IV. Substitution of Equivalent Orders and Measures The principle that enforceable judgments given in another Member State are enforced under the same conditions as domestic judgments laid down in Art.  41(1) Brussels Ibis indicates that foreign judgments ought to be implemented through substitution under domestic enforcement law. In general, substitution raises the question whether a norm under domestic law can be interpreted in a manner that allows a foreign legal institution to be subsumed under its scope, which presupposes that the foreign and domestic institution are comparable to a certain extent.32 The form of substitution envisaged by Art.  41(1) Brussels Ibis is mandatory.33 The enforcement of monetary judgments is not particularly problematic due to the fact that they can be enforced using the means and methods available under domestic enforcement law, apart from cases where the operative part of the judgment is insufficiently specific and concretisation may be required.34 Non-monetary judgments that contain specific orders or measures, however, give rise to more complicated questions on whether and how substitution must take place. The cross-border enforcement of asset preservation measures may, for example, raise the question whether substitution pertains to the order itself or the measure that is enforced. The District Court of Rotterdam in 2015 granted leave to levy attachment (conservatoir beslag) on a ship located on the Danube, either in Austria or in Germany.35 A German enforcement agent apparently successfully implemented the measure by applying the German rules for attachment (Arrest).36 The case illustrates the point made by Wiedemann that the enforcement of preservation measures in Member States where the order is separated from the measure itself is largely unproblematic, although such a distinction is the exception rather than the rule. The order can be enforced using the equivalent measure available under the law of the Member State of enforcement, irrespective of whether the measure has less or more effects than the measure in the Member State of origin.37 However, even where substitution is possible, questions may still arise concerning the aspects governed by the law of the Member State of origin and the law of the Member State of enforcement, such as in the Al Bosco case. The Al Bosco case concerned the enforcement of an Italian attachment order in Germany under the Brussels I Regulation. After the attachment order was 32 See

Wilke (n. 27), 263–265. Wiedemann (n. 28), 108–109. 34  See Section VI. 35  Rb. Rotterdam, Judgment of 12.3.2022, ECLI:NL:RBROT:2015:3395. 36  Stein/Westerberg, Beslag en Buitenland, in: Van der Putten/Van Zanten (eds.), Compendium Beslag- en Executierecht, 2018, 901, 903–904. 37  Wiedemann (n. 28), 267–277. 33 

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declared enforceable in Germany, the judgment creditor applied for the registration of a debt-securing mortgage against the debtor’s real property in Germany. This classification of the attachment order as a seizure instrument under German law was not disputed in the proceedings, which rather concerned the question whether the time limits for making such an application under German law, that are shorter than the time limits provided under Italian law, had expired. According to the Court of Justice, the procedural law of the Member State of enforcement alone governs such time limits and its enforcement authorities are not required to apply any of the rules of the Member State of origin governing such time limits, which is borne out of the principle that judgments given in other Member States are enforced under the same conditions as domestic judgments.38 Any other interpretation would contravene the principle of equivalence by granting the attachment order more rights than a similar domestic judgment, while the principle of effectiveness does not require principles like the legal certainty of registrations in land registers to be sacrificed in achieving the free movement of judgments.39 The ruling in Al Bosco highlights that domestic enforcement law exclusively governs the implementation of asset preservation measures after the substitution of attachment orders, subject to the principles of effectiveness and equivalence. Apart from the cases in which the laws of the Member States contain equivalent orders that warrant substitution, however, more complicated questions arise if the measure that is ordered is known in both the law of the Member State of origin and the law of the Member State of enforcement, but enforced in a different manner. For example, measures that allow for the sequestration of property are known in the domestic enforcement laws of all Member States, but differences may exist with respect to who will sequestrate the property. If, under the law of the Member State of enforcement, another person or entity is competent for the purpose of sequestration or administration than under the law of the Member State of origin, should the measure be considered as equivalent or as unknown?40 In addition, the substitution of certain orders and measures may raise questions concerning the scope of the public policy exception of Art.  45(1)(a) Brussels Ibis and whether it allows the refusal of enforcement. For example, can an authorisation by a Dutch court for the eviction of immovable 38 

CJEU, Judgment of 4.10.2018 – case C-379/17, Al Bosco, para. 26. CJEU, Judgment of 4.10.2018 – case C-379/17, Al Bosco, para. 46. 40 See Linton, The Concepts of Recognition and Enforcement: Bees in the European Bonnet, in: Rijavec et al. (eds.), Remedies Concerning Enforcement of Foreign Judgments, 2018, 63, 72. Linton describes a case where the Swedish Supreme Court had to decide on the implementation of an Italian sequestro giudizario, in which an Italian company was appointed as administrator of assets located in Sweden, that was declared enforceable in Sweden. Under Swedish law, however, only the Swedish Enforcement Agency can administer sequestrated assets. The Swedish Supreme Court decided that Swedish law in this case governed the implementation of the Italian order. 39 

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property in France with the aid of the French police, in case of non-compliance with an order to cooperate with the sale of the property, substitute an authorisation by the French courts?41 The examples outlined above highlight that, even though substitution is in principle required where equivalent orders and measures exist, it is not always easy to determine whether an order or a measure ought to be considered as equivalent under domestic enforcement law. Moreover, substitution may in some cases be inappropriate and allow the party against whom enforcement is sought to apply for a refusal of enforcement on the basis of being manifestly contrary to public policy. In any case, the absence of an equivalent measure under domestic enforcement law is not a reason to refuse enforcement and rather entails an obligation to adapt the foreign order or measure under Art.  54 Brussels Ibis.42

V. Transposition of Unknown Orders and Measures The first sentence of Art.  54(1) Brussels Ibis provides a specific legal basis for the adaptation of unknown orders and measures, including any rights indicated therein,43 to equivalent measures or orders that pursue similar aims and interests available under the law of the Member State where the recognition or enforcement of the judgment is sought. The second sentence of Art.  54(1) Brussels Ibis adds that such adaptation shall not result in effects going beyond those provided for in the law of the Member State of origin. Recital 28 Brussels Ibis further specifies that the Member States determine how, and by whom, adaptation is to be carried out, which entails that the competence for adaptation may be assigned to authorities other than a court.44 In addition, Art.  54(2) Brussels Ibis grants any party the right to challenge the adaptation before a court. As pointed out by Linton, this provision can be seen as a response to the practical problem of giving a foreign order or measure the same effect as it does in the Member State of origin if no (direct) equivalent exists under the law of the Member State of enforcement.45 The second sentence of Art.  54(1) Brussels Ibis is often cited as an explicit confirmation of the doctrine of extension of effects,46 although this provision as a whole read in conjunction with Art.  41(1) Brussels Ibis rather appears to be an 41 

Rechtbank Overijssel, Judgment of 22.7.2022, ECLI:NL:RBOVE:2022:2491. d’Appello di Napoli, Judgment of 29.12.2021 (unreported). See Franzina, Violation of Public Policy as a Ground for Non-Recognition of Foreign Judgments – The Case of Judgments Preceded by a Mareva-Type Freezing Order, IRIC 2 (2022), 140, 153. 43  Recital 28 Brussels Ibis. 44 See Kennet (n. 6), 149, 152–159. 45  Linton (n. 40), 63, 73. 46  Kennet (n. 6), 149, 151. 42  Corte

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expression of the doctrine of cumulation in the context of enforcement.47 The situation envisaged by Art.  54(1) Brussels Ibis with respect to cross-border enforcement is perhaps best described as the procedural equivalent of a change in applicable laws due to a subsequent change in the pre-requisites determinative for the choice of a particular legal order under different systems of private international law, which is known as a conflict mobile or a Statutenwechsel.48 The authority and effectiveness of the judgment are recognised when it is incorporated into a different legal order, but a specific unknown measure or order has to be “transposed” into a legal institution known in the domestic law of the Member State of enforcement in order to give it effect using the methods and means for the enforcement of domestic judgments in that Member State.49 According to Kramer, unknown orders and measures may include payment orders, restraining orders and search orders, as well as certain provisional and protective measures and measures relating to rights in rem, which do not always have a direct equivalent in other Member States.50 The extent to which transposition may be required in the context of enforcement significantly depends on the type and nature of the order or measure involved, as well as the Member State in which enforcement is sought. The latter can be illustrated by reference to two examples: First, the cross-border enforcement asset preservation measures between common and civil law systems and, second, the cross-border enforcement of orders that seek to preserve evidence. While there are more categories of potentially unknown measures, it is submitted that these two examples are sufficient to illustrate its function and highlight some of the common problems involved in the interpretation and application of Art.  54 Brussels Ibis. The typical scenario discussed with respect to asset preservation measures concerns the cross-border enforcement of a freezing order of the kind issued by the English, Irish and Cypriot courts, which is an in personam injunction that prevents the defendant from disposing of his assets under the threat of criminal sanctions (contempt of court), in civil law systems.51 Unlike the attachment orders found in some civil law systems, including France, Germany and the Netherlands, a freezing order does not produce effects in rem. The absence of in rem 47  Linton (n. 40), 63, 72–73; Mankowski, Die Kumulationstheorie bei der Urteilsanerkennung, in: Peifer et al. (eds.), Ius Vivum: Kunst – Internationales – Persönlichkeit (FS Schack), 2022, 764, 778. 48  Bucher, La Dimension Sociale du Droit International Privé, Recueil des cours 341 (2010), 241. 49  The term transposition is often used to describe the form of adaptation envisaged by Art.  54 Brussels Ibis. See for example von Hein, Die Anpassung unbekannter Maßnahmen und Anordnungen nach Art.  54 EuGVVO nF, in: Schutze (ed.), Fairness Justice Equity (FS Geimer), 2017, 245, 246; Mankowski (n. 46), 764, 778. 50  Kramer in: Magnus/Mankowski (eds.), Brussels Ibis Regulation, 2016, Art.  5 4, paras. 7–8. 51  Kennet (n. 6), 149, 172.

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effects precludes a common law freezing order from being treated as an attachment order in civil law systems, but it may be transposed into an in personam order that is enforced under the threat of criminal sanctions, if available, for the violation of an attachment order.52 Conversely, an attachment order that produces in rem effects in a civil law system may have to be transposed to an in personam injunction when its enforcement is sought in a common law system, in order to avoid attributing effects to it that a similar judgment under domestic law would not have. The structural differences between measures available in common law and civil law systems are one source of frictions in the free movement of judgments that may require transposition. The need for transposition becomes more pronounced in case of the cross-border enforcement of protective orders aimed at obtaining information of preserving evidence, which pursuant to Recital 25 Brussels Ibis are considered as provisional and protective measures.53 The Evidence Regulation does not restrict the options to take evidence situated in other Member States, but encourages cooperation between the courts, unless the order affects the public powers of the other Member State.54 The cross-border enforcement of orders aimed at the preservation of evidence may nonetheless become complicated due to institutional differences in the systems for preserving evidence in the Member States.55 In theory, a Dutch court may give an order for the preservation of evidence that is situated in France or in Germany, which takes the form of an attachment order under Dutch law that is normally enforced by a bailiff (deurwaarder).56 Under French law, a bailiff (huissier de justice) can be ordered to record a factual situation (constat d’huissier) and enter the premises of defendant to acquire the relevant information. Due to the similarities between the Dutch and French system, including with respect to the role of the bailiff, transposition of the order requires minimal effort. In principle, a selbständiges Beweisverfahren in Germany serves a similar function. However, the factual situation is recorded by an expert and production of documents cannot be ordered. Moreover, while the defendant is not required to cooperate with or tolerate the investigation, it can be ordered to do so by an interim injunction parallel to a selbständiges Beweisverfahren. Due to the differences between the Dutch and German system,

52  Van Rest, Erkenning en tenuitvoerlegging van (ex parte) voorlopige en bewarende maatregelen op grond van de EEX-Verordening en de herschikking van de EEX-Verordening. Een analyse aan de hand van de Engelse Freezing Order, NIPR 2014, 351, 356. 53  Recital 25 Brussels Ibis specifically refers to Art.  6 and 7 of Directive 2004/48/EC on the enforcement of intellectual property rights, although this must be considered as an example and not as a limitation. See Bens, Grensoverschrijdend bewijsbeslag, NIPR 2017, 477, 482– 484. 54  CJEU, Judgment of 21.2.2013 – case C-332/11, ProRail, paras. 47–48. 55  See also Kennet (n. 6), 149, 171–172. 56  Bens, NIPR 2017, 477, 480–482, 486–487.

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it is difficult to establish whether to what extent a Dutch order for the preservation of evidence can be transposed.57 There are other elements that make it impractical to pursue the cross-border enforcement of orders for the preservation of assets or evidence, including the possibility to directly request such an order in the Member State of enforcement on the basis of Art.  35 Brussels Ibis,58 but the examples underline a crucial point. The determination of whether orders or measures are equivalent, or unknown and identifying equivalent orders or measures, involves a comparative exercise. If the competent enforcement authority is not a court, questions may arise concerning their qualifications with respect to the interpretation and application of foreign law.59 The need for transposition is likely to be infrequent, which at least partially explains the lack of empirical data that enables an evaluation of the scale of the obstacles posted, but the process is bound to be complicated and slow. 60 Art.  54 Brussels Ibis is clearly intended to promote deference to the foreign, although the Member States should ensure that it is implemented in such a way as to enable national courts to take a decision on the matter or ensure that enforcement authorities have proper qualifications to undertake the kind of transposition envisaged by this provision.

VI. Concretisation Adjustment of the law of the Member State of enforcement may be required to limit additional rights and measures that can be imposed in the context of enforcement proceedings, insofar as they would be incompatible with the principles of equivalence and effectiveness. Substitution and transposition are relevant for the purpose of implementing measures and orders created in the Member State of origin in the legal order of Member State of enforcement. None of these adaptation mechanisms, however, is adequate to deal with problems that arise from the structural differences between the Member States concerning the various degrees of specificity imposed on domestic enforcement titles. The peculiarity of such problems is that they only arise if the Member State of enforcement imposes stricter standards than the Member State of origin and the extent to which they can be resolved satisfactorily is inextricably connected to the competencies of national enforcement authorities. 57 

Bens, NIPR 2017, 477, 490–493. Bens, NIPR 2017, 477, 493–494. Another impracticality is the requirement of service prior to enforcement. Commencing enforcement of a Dutch attachment order in England prior to its service led to the revocation of the order in Rechtbank Noord-Nederland, Judgment of 22.5.2019, ECLI:NL:RBNNE:2019:2267. 59  Kennet (n. 6), 149, 173. 60  Kennet (n. 6), 149, 151. 58 

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In several Member States, including Austria, Croatia, Germany and Slovenia, the obligation to be performed has to be described in a very precise manner in the operative part of the judgment. Judgments that solely order the defendant to pay, without stating the amount due or the parameters pursuant to which the amount is to be calculated in the operative part, are insufficiently precise and, in principle, cannot be enforced. Member States such as Belgium, France and the Netherlands, however, maintain a less strict distinction between the operative part of the judgment and the supporting statement of reasons, which entails that the operative part may be not sufficiently precise when its enforcement is sought in a Member State that imposes stricter standards. 61 If the operative part of a judgment given in another Member State lacks the degree of specificity required for domestic titles in the Member State of enforcement, it may have to be adapted or ‘concretised’ before it can be enforced as a domestic judgment. Under the Brussels I Regulation, the concretisation of imprecise judgments took place in the context of exequatur proceedings. 62 Notwithstanding the fact that concretisation is not the principal function of such proceedings, they did afford the courts of the Member State of enforcement the option to issue a declaration of enforceability that, together with the judgment, would meet the requisite standard of specificity for domestic enforcement titles. 63 Due to the abolition of the exequatur, concretisation cannot take place in such proceedings anymore. 64 Problems do not appear to arise in Member States where the applicant must always obtain authorisation for enforcement, such as Austria and Slovenia, as the courts can concretise the judgment through the writ of execution prior to enforcement. 65 Nor do they appear in Member States such as France and the Netherlands, where questions of calculation and determining consequences that are not fully spelled out in the operative part of the judgment are typically left to the bailiffs. 66 More problematic situations arise in systems where enforcement agents are bound by the enforceable title and lack the competence to make any substantive determinations concerning the judgments, such as the German Gerichtsvollzieher. 67 How should the Gerichtsvollzieher proceed if she is confronted with a judgment where the operative part is insufficiently specific?

61 

Sladič (n. 31), 95, 102–104. See for example BGH, Judgment of 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 17 = NJW 1993, 1081, 1802. 63  Thöne, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO, 2016, 52–55 64  Thöne (n. 63), 81–84. 65  Slonina, in: Angst/Oberhammer (eds.), Kommentar zur Exekutionsordnung, 2015, §  86, para. 13; Merc, Recovery of Interest in Enforcement Procedure in the Republic of Slovenia, LeXonomica 13 (2021), 69, 81. 66 See Kennet (n. 6), 149, 162. 67  Hess (n. 6), 25, 37. 62 

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The solution advanced in German academic literature consists in the application of Art.  54 Brussels Ibis to allow enforcement agents such as the Ge­richts­ vollzieher to concretise the judgment ex officio. German scholars generally acknowledge that this solution is contrary to the wording of Art.  54 Brussels Ibis, but have raised a broad variety of justifications. 68 However, while it can be agreed that concretisation is a practical necessity, the question can be raised whether the analogous application of Art.  54 Brussels Ibis adequately compensates for the lack of an actual legal basis to deal with a problem that does not arise in a similar manner in all Member States. It neither excludes national differences in interpretation and application, nor solves the problem of national enforcement agents lacking the necessary qualifications to undertake concretisation. In fact, it re-introduces intermediary proceedings that ought to have been abolished together with the exequatur if one accepts that concretisation can be challenged before a court in the same way as an adaptation order. 69 A possible solution would be to introduce a separate provision governing the concretisation of judgments similar to Art.  54 Brussels IIter, which allows the authorities competent for enforcement or courts of the Member State of enforcement ‘to specify details regarding practical circumstances or legal conditions required under the law of the Member State of enforcement’ in order to ‘make the decision more concrete and precise’ for the purpose of enforcement.70 At present, however, analogous application of Art.  54 Brussels Ibis is the least worst solution, as the alternative would be to have the judgment sent back to be ‘corrected’ in the Member State of origin, which is in any case incompatible with the principles and aims underlying of the Brussels Ibis Regulation.71

VII. Anticipation The certificate issued in the Member State of origin pursuant to Art.  53 Brussels Ibis up to certain extent mitigates problems concerning the specificity of judgments and may aid the competent authorities in the Member State of enforcement whenever concretisation is required. With respect to statutory interests, for example, the certificate in Annex I contains sections where the statute and the time period(s) in which the interests accrue should be specified.72 In addi68  Gössl, Die Vollstreckung von dynamischen Zinssätzen unter der neuen EuGVVO, NJW 2014, 3479; Stürner, Die Vollstreckung aus ausländischen Zivilurteilen nach der Brüssel IaVO, DGVZ 2016, 215, 222; Thöne (n. 63), 86–87; Von Hein (n. 49), 245, 251–253; Wiedemann (n. 28), 281–284. 69 See Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit, 2020, 92–95. 70 See Hess et al., The Reform of the Brussels Ibis Regulation, MPILux Research Paper Series 2022 (6), 29. 71 See Hardung (n. 69), 94. 72  Bolzanas et al., Certification of Enforcability in Member State of Origin: Service of

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tion, it has been suggested that the court of the Member State of origin may employ a form of ‘reflexive drafting’ to promote enforceability of its judgment in other Member States, which requires courts regularly involved in cross-border litigation to be aware of how their judgments will be perceived in the Member State of enforcement.73 In either case, the question arises to what extent foreign enforcement can be anticipated in the Member State of origin in a way that avoids recourse to adaptation mechanisms in the Member State of enforcement. With respect to the certificate, it must be observed that it mainly serves a formal, evidential purpose and does not create rights and obligations for the parties.74 The certificate only makes explicit what is already contained in the judgment itself and does not substitute the judgment. In addition, it should be noted that the procedures for issuing the certificate differ amongst the Member States and may even be the responsibility of authorities other than a court,75 as well as that the procedure for disputing or correcting of the certificate is left to the Member States.76 The courts or other authorities that issue the certificate in the Member State of origin should nonetheless be aware that a judgment in their Member State may not be specific enough to enforce it in another Member State and ensure that the certificate contains clear and accurate information.77 While the certificate does not exclude recourse to adaptation mechanisms in the Member State of enforcement, it may aid enforcement authorities in determining how to implement the judgment, which is one way to defer to the foreign in the Member State of origin. The anticipation of enforcement in another Member State through reflexive drafting raises more practical difficulties due to the fact that an enforceable judgment will simultaneously be recognised and enforceable in all other Member States. Even if one considers that the judgment is likely to be enforced in one specific Member State, for example due to the presence of assets, and the court attempts to draft it in such a manner as to ‘optimise’ the chances of successful enforcement in that Member State, it cannot be excluded that enforcement will nonetheless be sought elsewhere and require recourse to adaptation mechanisms to give it effect. The parties may also take the prospect of enforcement in a different Member State into account in drafting their submissions, but the problem remains the same. The courts of the Member States cannot be required to anticCertificate, in: Rijavec et al. (eds.), Remedies Concerning Enforcement of Foreign Judgments, 2018, 113, 131–132. The concept of statutory interests is somewhat misleading, however, as it does not distinguish between different types of interests that may accrue on a judgment, see Cuniberti (n. 3), 413, 424. 73  Kennet (n. 6), 149, 173. 74  Bolzanas et al. (n. 72), 113, 121, 125, 75  Bolzanas et al. (n. 72), 113, 119–121. 76  Bolzanas et al. (n. 72), 113, 121–126. 77 See Hardung (n. 69), 95.

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ipate all potential obstacles that may arise in the cross-border enforcement of their judgments, which significantly reduces the utility of reflexive drafting.

VIII. Conclusion The reality of the cross-border enforcement of judgment in civil and commercial matters under the Brussels Ibis Regulation after the abolition of the exequatur is that, absent harmonisation, gaps due to structural differences in the enforcement systems of the Member States remain and become more pronounced. Deference to the foreign is inherently required in order to reconcile such differences through adaptation of domestic enforcement law, a specific order or measure or the operative part of the judgment itself, depending on the circumstances of the case. Domestic enforcement law in principle governs the procedure for enforcement, but may be subject to adjustment in accordance with the principles of ­effectiveness and equivalence in order to avoid the duplication of rights and measures. Equivalent orders and measures ought to be given effect through substitution under domestic enforcement law, while transposition comes into play where no such equivalent orders or measures exist. Moreover, the operative part of the judgment must be concretised in some Member States to render it sufficiently specific before it can be enforced, although the Brussels Ibis Regulation currently provides no explicit legal basis. National differences nonetheless consist in who defers to the foreign, which depending on the Member State involved may be either a court or another enforcement authority. In the latter case, questions can arise regarding the proper qualifications to defer to the foreign and ensure the effective implementation of Member State judgments. The task of the courts in the Member State of origin, as well as other authorities involved in the certification of their judgment, is to ensure that the competent authorities of the Member State of enforcement are furnished with accurate information regarding the enforceable content of the judgment, while being mindful of the gaps in the framework for the free movement of judgments. The European legislator will also have to be mindful of such gaps in a potential recast of the Brussels Ibis Regulation and should ensure that courts and other enforcement authorities of the Member States have the proper tools and qualifications to deal with frictions in the free movement of judgments, without introducing unnecessary intermediate proceedings.

Menschenrechte und Umweltschutz durch die Hintertür? Die internationalprivatrechtliche Dimension des Schadensersatzanspruchs im Richtlinienvorschlag zur Corporate Sustainability Due Diligence

Tabea Bauermeister According to Article 22(5) of the Proposal for a Corporate Sustainability Due Diligence Directive, Member States have to install the required liability clause as of “overriding mandatory application”. Because the European Union has legislative power regarding private international law and could thus solve the issue of its international use directly, this provision “through the back door” rather comes as a surprise. After giving an overview of the Proposal and its liability rule, this paper will identify the current conflict-oflaw-rules regarding human rights and environmental adverse impacts. Subsequently, it will explore the implications of overriding mandatory rules and thus demonstrate that Article 22(5) shows a disregard par excellence of the foreign. In conclusion, the paper will present a more appropriate solution, i.e. the introduction of a special conflict-of-law-rule with due diligence obligations as its connecting factor.

I. Achtung oder Missachtung des Fremden? „[A] threat to Europe’s competitiveness“,1 „Markt mit Moral“2 , „Rechtsimperialismus“,3 „Unsustainable Sustainability“,4 „Meilenstein“:5 Die Idee einer globalen Unternehmenshaftung für Menschenrechts- und Umweltverletzungen polarisiert – und mit ihr auch der am 23.2.2022 veröffentlichte Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie zur Corporate Sustainability Due Diligence 1  Haeusgen, The proposal on due diligence is a threat to Europe´s competitiveness, 23.1.2023, abrufbar unter https://www.euractiv.com/section/economy-jobs/opinion/the-­ proposal-­on-due-diligence-is-a-threat-to-europes-competitiveness/ (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 2  Fiebig, Markt mit Moral, 24.6.2022, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/ unternehmen-nachhaltigkeit-100.html (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 3  Blach, Globale Unternehmenshaftung im Lichte des IPR, in: Duden u. a. (Hrsg.), IPR für eine bessere Welt, 2022, 71, 78. 4  Lau Hansen, Unsustainable Sustainability, 12.4.2022, abrufbar unter https://www.ecgi. global/blog/unsustainable-sustainability (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 5  Baumüller/Scheid, Der Vorschlag zu einer Corporate Sustainability Due Diligence Directive, PiR 2022, 112, 112.

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(CSDD-RLV). 6 Dieser Beitrag kann – und will – weder den gesamten CSDDRLV noch den dort vorgesehenen, nicht minder kontroversen Schadensersatzanspruch in seiner Gänze analysieren. Insbesondere soll nicht dem weniger dogmatischen, denn rechtspolitischen Problem ihrer jeweiligen Sinnhaftigkeit nachgegangen werden. Vielmehr werden beide als gegeben angenommen. Mit dieser Prämisse kann nämlich der zwar nachgelagerten, aber nicht minder brisanten Frage der internationalen Anwendbarkeit des Schadensersatzanspruchs nachgegangen werden: Nach Art.  22 Abs.  5 CSDD-RLV findet die auf dem Schadensersatzanspruch basierende Haftung „zwingend Anwendung“ und hat „Vorrang […] in Fällen, in denen das auf entsprechende Ansprüche anzuwendende Recht nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.“ Die englische Version bringt es terminologisch klarer auf den Punkt: Sie spricht von „overriding mandatory application“. Die Mitgliedstaaten müssen den CSDD-Schadensersatzanspruch als Eingriffsnorm ausgestalten.7 Eingriffsnormen kommen unabhängig von dem an sich berufenen Statut zur Geltung. Der CSDD-RLV bedient sich damit einer Art kollisionsrechtlicher Hintertür. Das überrascht nicht zuletzt deshalb, weil der Unionsgesetzgeber gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV die Regelungskompetenz für das IPR hat, 8 also über den metaphorischen Schlüssel zum Haupteingang verfügt.9 Es wirft die Frage auf, welche Wertungen mit der Etablierung des CSDD-Schadensersatzanspruchs als Eingriffsnorm einhergehen – ob sich die Hintertür deshalb anbietet, weil der Weg durch sie minimalinvasiv wirkt und somit das Fremde besonders achtet – oder ob sie dieses zentrale Prinzip des IPR nicht vielmehr zur bloßen Leerformel verkommen lässt. Um diesem Fragenkomplex auf den Grund zu gehen stellt der Beitrag zunächst den CSDD-RLV (sub II) sowie seinen Schadensersatzanspruch (sub III) überblicksartig vor. Es folgt die gegenwärtige kollisionsrechtliche Situation bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen (sub IV) sowie eine nähere Betrachtung des Regelungskonzepts Eingriffsnorm (sub V). Auf dieser 6  In der deutschen Fassung: Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, 23.2.2022, COM(2022) 71 final. 7  Die sprachliche Abweichung von den Rom-Verordnungen ist insbesondere mit Blick auf die Rechtsklarheit durchaus kritisch zu sehen (ähnlich zu Art.  3 Abs.  4 RL (EU) 2019/633: Ungerer, Explicit Legislative Characterisation of Overriding Mandatory Provisions in EU Directives, JPIL 17 (2021), 399, 408). 8  Wird ein Mitgliedstaat für sich allein tätig, bietet die Ausgestaltung als Eingriffsnorm mangels Regelungskompetenz für das IPR hingegen eine der wenigen Optionen, sodass entsprechende Vorschläge im Schrifttum durchaus Sinn ergeben (so z. B. Monnheimer/Nedelcu, Wirtschaft und Menschenrechte, ZRP 2020, 205, 209; Rudkowski, Arbeitsbedingungen in den globalen Lieferketten, RdA 2020, 232, 236 f.). 9  Mit Art.  3 Abs.  4 RL (EU) 2019/633 und Art.  68 Abs.  6 RL 2014/59/EU gibt es allerdings bereits Vorläufer.

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Basis werden die mit der Eingriffsnormlösung einhergehenden Wertungen ermittelt und ein Alternativvorschlag unterbreitet (sub VI). Abschließend werden die zentralen Erkenntnisse in Thesenform zusammengefasst (sub VII). Nicht thematisiert werden hingegen der genaue Umfang der Regelungsanweisung,10 die sich aus der unionsrechtlichen Vorgabe ergebenden Friktionen zum mitgliedstaatlichen Recht11 und die gerichtliche Zuständigkeit.12

II. Der CSDD-RLV im Überblick Der CSDD-RLV oktroyiert Unternehmen wie auch ihrer Leitung verschiedene, mit Menschenrechts-, Umwelt- und Klimaschutz in Zusammenhang stehende Verpflichtungen. Sie treffen Gesellschaften, die wegen ihrer Gründung innerhalb der EU oder eines dort realisierten Umsatzes einen hinreichenden Konnex zum Binnenmarkt haben, und deren Produkte Teil einer Wertschöpfungskette sind. Diese Pflichten sind an drei unterschiedlichen Stellen des CSDD-RLV geregelt: In Art.  15, der die Eindämmung des Klimawandels betrifft,13 in den Art.  25, 26, die nicht das Unternehmen selbst, sondern seine Leitung adressieren,14 und schließlich in den Art.  4 bis 11. Letztere und hier insbesondere die Art.  6 bis 8 stellen das „Herzstück“ des CSDD-RLV dar:15 Nach Art.  6 CSDD-RLV muss ein Unternehmen die tatsächlichen und potenziellen negativen Auswirkungen

10 Vgl. Nietsch/Wiedmann, Der Vorschlag zu einer europäischen Sorgfaltspflichten-Richtlinie im Unternehmensbereich, CCZ 2022, 125, 134. 11 Vgl. Hübner/Habrich/Weller, Corporate Sustainability Due Diligence, NZG 2022, 644, 650. Allgemein zu dieser Regelungstechnik Ungerer, JPIL 17 (2021), 399 ff. 12  Zu drittstaatlichen Unternehmen: Schwemmer, in diesem Band, S.  153. 13 Ausführlich: Birkholz, CSDD-E: Konkrete Sorgfaltspflichten für Unternehmen statt Vorgaben zur Sustainable Corporate Governance?, DB 2022, 1306, 1312; Lutz-Bachmann/ Vorbeck/Wengenroth, Nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten in Geschäftsbeziehungen, BB 2022, 835, 841 f.; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125, 128 f. 14  Zu den Pflichten der Unternehmensleitung und zur Organhaftung: Bauer/Blach/Mayer, Organpflichten und -haftung im Lichte des Vorschlags, ZIP 2022, 1740 ff.; Burchardi, Lieferkettensorgfaltspflichten: Risiken für die Unternehmensleitung, NZG 2022, 1467, 1471 ff.; Harbarth, „Corporate Sustainability Due Diligence“-Richtlinie, AG 2022, 633, insb. 637 ff.; König, Die geplante EU-Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen, NZG 2022, 1186, 1191 f.; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125, 135 f. 15  Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 646. Ausführlich zu den Sorgfaltspflichten: Birkholz, DB 2022, 1306, 1310 ff.; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 835, 839 f.; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125, 129 ff.; Ruttloff/Rothenburg/Hahn, Der Richtlinienvorschlag zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit, DB 2022, 1116, 1118 ff.; Schneider, Der Entwurf der EU zur Corporate Sustainability Due Diligence (CSDD), DK 2022, 366, 367 ff.; Spindler, Der Vorschlag einer EU-Lieferketten-Richtlinie, ZIP 2022, 765, 770 ff.; Stöbener de Mora/Noll, Der Richtlinienvorschlag zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, EuZW 2023, 14, 17 ff.

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seiner Wertschöpfungskette auf die Umwelt und Menschenrechte ermitteln.16 Diese Pflicht betrifft nicht nur die Gesellschaft selbst, sondern auch Tochter­ gesellschaften, sofern sie mit der Wertschöpfungskette in Zusammenhang stehen,17 und darüber hinaus sogar etablierte Geschäftspartner.18 Sind die Auswirkungen mit Art.   6 CSDD-RLV ermittelt oder hätten sie ermittelt werden müssen, geht es mit Art.  7 und 8 CSDD-RLV weiter: Liegen nur potenzielle, d. h. noch nicht realisierte Auswirkungen vor, müssen sie mit Art.  7 Abs.  1 CSDD-RLV vermieden oder zumindest angemessen abgeschwächt werden. Handelt es sich um tatsächliche, also bereits eingetretene Auswirkungen, sieht Art.  8 CSDD-RLV die Pflicht zur Behebung oder zumindest Minimierung vor. Von diesen Pflichten begründenden und konkretisierenden Normen ist ein der Rechtsdurchsetzung dienender Regelungskomplex abzugrenzen.19 Inmitten von Regelungen unter anderem zu Aufsichtsbehörden (Art.  17 bis 21 CSDD-RLV) und dem Hinweisgeberschutz (Art.  23 CSDD-RLV) sieht Art.  22 CSDD-RLV eine zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen Art.  7 und 8 CSDD-RLV vor.

III. Anknüpfungsrelevante Aspekte des CSDD-Schadensersatzanspruchs Die Sorgfaltspflichten der Art.  7 und 8 CSDD-RLV werden also nicht nur durch behördliche Maßnahmen, sondern auch durch einen Schadensersatzanspruch flankiert. Weil für seinen internationalen Anwendungsbereich vor allem die Aktiv- und Passivlegitimation von Relevanz sind, beschränkt sich die folgende Darstellung auf diese beiden Komponenten.20 An sich sieht Art.  22 CSDD-RLV nur vor, dass Unternehmen für Schäden haften, regelt jedoch nicht explizit, wem gegenüber. Nachdem die Norm eine Verletzung von auf die eigene Wertschöpfungskette bezogenen Sorgfaltspflichten voraussetzt, liegt der Gedanke nahe, dass sich die Aktivlegitimation auf Teile dieser Wertschöpfungskette erstrecken und beschränken könnte. Eine solche Eingrenzung würde indes die Wirkweise der Sorgfaltspflichten verkennen: Sie 16  Zum Begriffspaar der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und Umwelt: Dutzi/Hasenau/Schneider, Verschärfte Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in Lieferund Wertschöpfungskette, DK 2022, 372, 374 f.; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125, 127 f.; Spindler, ZIP 2022, 765, 769; Stöbener de Mora/Noll, EuZW 2023, 14, 17 f. 17  Zum Verhältnis von Mutter- und Tochtersorgfaltspflichten und zur Haftung für Geschäftspartner von Tochtergesellschaften: Bettermann/Hoes, Die EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive, BKR 2022, 686, 689 ff. 18  Insofern kritisch: Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 647 f. 19 Ausführlich: Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 835, 843 ff.; Ruttloff/Rothenburg/Hahn, DB 2022, 1116, 1121 f.; Schneider, DK 2022, 366, 369; Stöbener de Mora/Noll, EuZW 2023, 14, 22 f. 20 Demgegenüber ausführlich zum Schadensersatzanspruch: König, NZG 2022, 1186, 1187 ff.

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betreffen gerade die durch Geschäftspartner verursachten negativen Auswirkungen auf Umwelt oder Menschenrechte und sind folglich nicht auf den Schutz der Geschäftspartner, sondern auf den Schutz Dritter vor diesen Geschäftspartnern ausgelegt. Der Schutz beruht nicht auf einer Vereinbarung zwischen Unternehmen und Lieferanten zugunsten von Dritten wie Arbeitnehmern, sondern ist rein deliktischer Natur. Damit ist jeder potenziell Geschädigte anspruchsberechtigt.21 Hinsichtlich der Passivlegitimation gibt Art.  22 Abs.  1 CSDD-RLV „Unternehmen“ vor. Der Begriff des Unternehmens wird in Art.  3 lit.  a CSDD-RLV legaldefiniert. Nach Ziff. i stellt die juristische Person, die in einer von Anhang I der EU-Bilanzrichtlinie22 genannten Rechtsform geführt wird, den Grundfall dar. Für Österreich sind dies die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, für Deutschland kommt die Kommanditgesellschaft auf Aktien hinzu. Personengesellschaften, die ein Handelsgewerbe betreiben (offene Handels- bzw. offene Gesellschaft und Kommanditgesellschaft) adressiert der CSDD-RLV grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nach Ziff. iii jedoch dann, wenn sie ausschließlich Kapitalgesellschaften als Gesellschafter haben. Darüber hinaus sind nach Art.  2 Abs.  2 CSDD-RLV auch in einem Drittland gegründete Gesellschaften erfasst, wenn ein hinreichender Nettoumsatz in der Union erzielt wurde.23 Dieser Umsatz dient nach ErwGr. 24 als territoriale Verbindung.24 Ziff. ii erweitert daher den Unternehmensbegriff auf juristische Personen, die mit einer in Anhang I oder II der Bilanzrichtlinie genannten Rechtsform vergleichbar sind. Der bedingungslose Verweis auf beide Anhänge führt allerdings dazu, dass bei drittstaatlichen Unternehmen auch Personengesellschaften haften, deren Gesellschafter natürliche Personen sind.25 Unabhängig von der Sinnhaftigkeit einer Begrenzung stellt jedenfalls diese unterschiedliche Behandlung einen Wertungswiderspruch dar und legt ein Redaktionsversehen nahe. Gegenwärtig spricht deshalb viel dafür, dass der CSDDRLV nur aus juristischen Personen konstituierte Unternehmen adressieren will.26 21  Spindler, ZIP 2022, 765, 775 weist darüber hinaus darauf hin, dass nur Geschädigte – und nicht etwa Verbände und NGOs – anspruchsberechtigt sind. 22  Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG, ABl. L 2013/182, 19. 23  Ausführlich zu drittstaatlichen Unternehmen im CSDD-RLV: Schwemmer, in diesem Band, S.  153. 24 Zustimmend: Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 646. Mit Blick auf die unterschiedlichen Anknüpfungsmaßstäbe bei EU- und Drittlandunternehmen kritisch: König, NZG 2022, 1186, 1186. 25  So auch Birkholz, DB 2022, 1306, 1309. 26  So dann auch der Vorschlag des Rates zu Art.  3 vom 30.11.2022 (15024/1/22 REV 1). Demgegenüber sieht der Draft Report Wolters für das Committee on Legal Affairs of the Eu-

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IV. Das nach den allgemeinen Kollisionsnormen anzuwendende Recht 1. Die Rom II-VO Nachdem sich Wertschöpfungsketten typischerweise über Landesgrenzen und vor allem über die Grenze der EU hinaus erstrecken, ist der internationale Anwendungsbereich des Schadensersatzes von zentraler Bedeutung. Weil Art.  22 CSDD-RLV nicht auf einer vertraglichen Sonderbeziehung beruht, sondern von deliktischer Natur ist, kommt nicht die Rom I-VO,27 sondern grundsätzlich die Rom II-VO zur Anwendung. Dabei ist jedoch die Ausnahme des Art.  1 Abs.  2 lit.  d Rom II-VO zu beachten. Sie schließt sich aus dem Gesellschaftsrecht ergebende außervertragliche Schuldverhältnisse aus.28 Zwar betreffen die in der Norm aufgezählten Beispiele mit der Errichtung, Rechts- und Handlungsfähigkeit, der inneren Verfassung und persönlichen Haftung von Gesellschaftern, Organen und Rechnungsprüfern andere als die im CSDD-RLV geregelten Materien. Hintergrund der Ausnahme ist jedoch, dass gewisse Haftungsfragen näher mit dem Gesellschaftsstatut als mit dem (allgemeinen) Deliktsstatut zusammenhängen und daher dem Gesellschaftsstatut unterfallen sollen.29 Da sich der CSDD-RLV abgesehen von der ein Redaktionsversehen nahelegenden Regelung des Art.  3 lit.  a Ziff. ii CSDD-RLV nur an aus juristischen Personen konstituierte Unternehmen richtet, genügt der reine Verweis auf die Beispiele nicht, um die Ausnahme abzulehnen. Gegen ihre Einschlägigkeit spricht jedoch, dass der CSDD-RLV juristische Personen nicht aufgrund der mit ihrer Verfasstheit einhergehenden Fragen, sondern aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten adressiert. Das zeigt sich vor allem bei den Sorgfaltspflichten gegenüber Tochtergesellschaften: Sie bestehen ropean Parliament vom 7.11.2022 (PE738.450v01-00) eine Haftung aller Personengesellschaften vor. 27  Vor Veröffentlichung des CSDD-RLV noch in diese Richtung: Heinlein, Zivilrechtliche Verantwortung transnationaler Unternehmen für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen in den Betrieben ihrer Lieferanten, NZA 2018, 276, 279; dem widersprechend: Rudkowski, RdA 2020, 232, 239; dies., Nachhaltigkeit in den internationalen Lieferketten als Haftungsrisiko für deutsche Unternehmen, CCZ 2020, 352, 355. 28 Siehe etwa Weller/Kaller/Schulz, Haftung deutscher Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland, AcP 216 (2016), 387, 397. Zu einer denkbaren, aber vom CSDD-RLV gerade nicht etablierten Durchgriffshaftung auf die Konzernspitze: Schall, Die Mutter-Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen ihrer Auslandstöchter, ZGR 47 (2018), 479, 509 f.; Thomale/Murko, Unternehmerische Haftung für Menschenrechtsverletzungen in transnationalen Lieferketten, EuZA 2021, 40, 57 f. bzw. auf die Organe Thomale/ Hübner, Zivilgerichtliche Durchsetzung völkerrechtlicher Unternehmensverantwortung, JZ 2017, 385, 391. 29  Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, 22.7.2003, KOM(2003) 427 endgültig, 10.

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nicht gegenüber jedweder, sondern nur gegenüber einer Tochter, die Teil der eigenen Wertschöpfungskette ist. Mehr noch: Die Haftung für das Fehlverhalten von Töchtern wird weitestgehend mit der für etablierte Geschäftspartner gleichgestellt.30 Hinzu kommt, dass die Sorgfaltspflichten ganz allgemein dem Schutz aller potenziellen Geschädigten, also dem allgemeinen Rechtsgüterschutz dienen.31 Daher ist eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation des Schadensersatzanspruchs abzulehnen. Es bleibt bei der Anwendung der Rom II-VO. Kapitel II der Rom II-VO sieht für bestimmte Bereiche des Sonderdeliktsrechts eigene Kollisionsnormen vor. Wenn diese nicht einschlägig sind, ist der allgemeine Art.  4 Abs.  1 Rom II-VO anzuwenden. Bei negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte i. S. v. Art.  2 lit.  c CSDD-RLV bleibt es im Kern bei dieser Norm. Im Schrifttum wird allerdings darüber hinaus auf Art.  4 Abs.  3 Rom II-VO und Art.  17 Rom II-VO hingewiesen.32 Für einen Schadensersatzanspruch, der i. S. v. Art.  3 lit.  b CSDD-RLV auf negativen Auswirkungen auf die Umwelt basiert, ist Art.  7 Rom II-VO zu beachten. 2. Das Kollisionsrecht bei Menschenrechtsverletzungen Nach Art.  4 Abs.  1 Rom II-VO findet das Recht des Erfolgsortes Anwendung. Mitgliedstaatliches Recht kommt bei einer Menschenrechtsverletzung folglich nur dann zum Tragen, wenn die Verletzung innerhalb des Territoriums der Union eintritt. Andernfalls verweist Art.  4 Abs.  1 Rom II-VO auf drittstaatliches Recht. Abweichend von der Grundregel des Art.  4 Abs.  1 Rom II-VO beruft Art.  4 Abs.  3 Rom II-VO eine andere Rechtsordnung, wenn „sich aus der Gesamtheit der Umstände [ergibt], dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem […] bezeichneten Staat aufweist“. Im „Interesse des Opferschutzes“ haben insbesondere Weller, Thomale und ursprünglich 33 auch Hübner noch vor Veröffentlichung des CSDD-RLV ein Optionsrecht des Geschädigten zugunsten einer Handlungsortanknüpfung im Wege einer Auslegung „praeter regulationem“34 bzw. einer „teleologische[n] 30  Lediglich in Art.  2 2 Abs.  2 CSDD-RLV findet sich bzgl. etablierter Geschäftspartner eine leichte Begrenzung. 31 Zu den Schutzrichtungen etwaiger Sorgfaltspflichten und ihren kollisionsrechtlichen Implikationen: Mansel, Internationales Privatrecht de lege lata wie de lege ferenda und Menschenrechtsverantwortlichkeit deutscher Unternehmen, ZGR 47 (2018), 439, 454. 32  Gesamtüberblick der vertretenen Varianten z. B. bei Habersack/Ehrl, Verantwortlichkeit inländischer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen durch ausländische Zulieferer – de lege lata und de lege ferenda, AcP 219 (2019), 157, 183 ff.; Mansel, ZGR 47 (2018), 439, 452 ff.; Wagner, Haftung für Menschenrechtsverletzungen, RabelsZ 80 (2016), 717, 739 ff. 33 Jetzt a.  A. (siehe Hübner, Unternehmenshaftung für Menschenrechtsverletzungen, 2022, 153 ff.). 34  Weller/Thomale, Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen, ZGR 2017, 509, 524 f. Anders noch Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 394.

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Korrektur“35 vorgeschlagen. Nimmt man eine unbewusste Regelungslücke mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen an,36 mag der systematische Verweis auf Art.  7 Rom II-VO als einzige Regelung eines Optionsrechts noch nicht zwingend gegen diese Form der Rechtsfortbildung sprechen.37 Jedenfalls aber erfüllt Art.  4 Abs.  3 Rom II-VO gerade nicht die „Funktion einer teleologischen Korrekturvorschrift“, sondern geht von einer „vorverletzungsbezogenen Sonderverbindung“ zwischen den Parteien aus.38 Schließlich kann jedenfalls ab dem Moment keine Planwidrigkeit mehr unterstellt werden, ab dem der europäische Gesetzgeber einen Schadensersatzanspruch inklusive IPR-Komponente (und sei es bloß über eine Eingriffsnormlösung) vorgibt. Ferner wird vereinzelt vorgetragen, dass ein unionseuropäisches Unternehmen bei einer Managemententscheidung bzgl. eines Drittlands aufgrund von Art.  17 Rom II-VO nicht die dortigen, sondern die Sorgfaltsanforderungen des eigenen Rechts zu beachten habe.39 Art.  17 Rom II-VO sieht vor, dass „faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen [sind], die an dem Ort […] des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind“. Gegen diese Lösung führt Wagner zurecht an, dass Art.  17 Rom II-VO genau für die umgekehrte Situation geschaffen wurde, nämlich zur Entlastung eines Schädigers bei abweichenden, insbesondere geringeren Sicherheitsstandards des Handlungsorts.40 Vor allem aber würde Art.  17 Rom II-VO sonst entgegen der gesetzgeberischen Intention das mit der Rom II-VO grundsätzlich verabschiedete Ubiquitätsprinzip wieder einführen.41 Für Menschenrechtsverletzungen bleibt es daher beim Recht des Erfolgs­ ortes.

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Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391. bewusste Entscheidung weg vom Ubiquitätsprinzip betraf das Deliktsrecht allgemein (vgl. Wagner, Internationales Deliktsrecht, die Arbeiten an der Rom II-Verordnung und der Europäische Deliktsgerichtsstand, IPRax 2006, 372, 376). 37  Dies als Gegenargument anführend: Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 157, 184 f.; Mansel, ZGR 47 (2018), 439, 457. Sich anschließend: Hübner (Fn.  33), 154. Ferner: Bomsdorf/ Blatecki-Burgert, Haftung deutscher Unternehmen für „Menschenrechtsverstöße“, ZRP 2020, 42, 43 f. 38  Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 157, 185. Ebenso: Mansel, ZGR 47 (2018), 439, 457 f. Sich anschließend: Hübner (Fn.  33), 155. 39  Mit Blick auf eine potenzielle deutsche Sorgfaltspflicht: Rudkowski, RdA 2020, 232, 234. Zum LKSG Bälz, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im internationalen Projektgeschäft, BB 2021, 648, 650 f.; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141, 150 f.; Rudkowski, CCZ 2020, 352, 354. 40  Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 742. 41  Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 742. 36  Die

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3. Das Kollisionsrecht bei Umweltschädigungen Der für Umweltschädigungen vorrangige Art.  7 Rom II-VO sieht ein Optionsrecht vor: Grundsätzlich gilt zwar auch hier das Recht des Erfolgsortes, der Geschädigte kann jedoch das Recht des Handlungsortes wählen. Weil sich die Sorgfaltspflichten des Art.  22 CSDD-RLV auch auf die Handlungen von Tochtergesellschaften und etablierten Geschäftspartnern erstrecken, ist die Norm dazu geeignet, die Haftung einer Gesellschaft herbeizuführen, die das schadensbegründende Ereignis lediglich mittelbar verursacht hat. Bei mehreren, aufeinander folgenden Akteuren ist die Bestimmung des Handlungsortes i. S. v. Art.  7 Rom II-VO allerdings umstritten.42 Insbesondere ist bisher nicht geklärt, ob ein einziger Handlungsort (etwa im Rahmen einer Schwerpunktbetrachtung) zu bestimmen ist, oder ob mehrere Handlungsorte mit einer entsprechenden Erweiterung des Optionsrechts denkbar sind.43 Zwar stellt der deutsche Wortlaut auf den Ort ab, an dem „das schadensbegründende Ereignis eingetreten ist“ und deutet damit in Richtung eines einzigen Handlungsortes. Im Englischen ist jedoch von „the event giving rise to the damage occurred“, also dem Ereignis, das den Schaden zur Folge gehabt hat, die Rede. Diese leichte Abweichung gibt Raum für eine Vielzahl von Handlungen, die den Schaden gemeinsam herbeigeführt haben, und lässt damit möglicherweise mehrere Handlungsorte zu. Das scheint ErwGr. 24 Rom II-VO zu bestätigen, wenn er auf Art.  174 EGV (heute Art.  191 AEUV) verweist und das Optionsrecht mit dem dort angestrebten hohen Schutzniveau und der „Begünstigung des Geschädigten“ begründet.44 Und so nahm auch die mit einer Klage gegen CO2Emissionen befasste Rechtbank Den Haag gerade unter Verweis auf ErwGr. 24 eine weite Auslegung des Handlungsorts vor und ließ die Entscheidung der Shell-Zentrale für eine Anwendung niederländischen Rechts ausreichen.45 Bisher ist eine Vorlage an den mit finaler Entscheidungskompetenz ausgestatteten EuGH unterblieben. Folglich ist nach wie vor nicht mit letzter Sicherheit geklärt, ob Art.  7 Rom II-VO die Option zu einem mitgliedstaatlichen Recht zulässt, wenn die unmittelbar schadensbegründende Handlung außerhalb seines Territoriums vorgenommen, sie aber durch ein Tun oder Unterlassen innerhalb der Union ermöglicht wurde. Darüber hinaus wird im Schrifttum darauf hingewiesen, dass – selbst wenn Art.  7 Rom II-VO mehrere Handlungsorte erfasst – der Sorgfaltspflichtenverstoß einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat nicht zwingend in der Union zu verorten ist, wenn er sich auf die 42  Speziell zu Lieferketten: Mansel, ZGR 47 (2018), 439, 459 ff.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 743 f. 43 Ausführlich: Huber, in: BeckOGK, 1.6.2022, Art.  7 Rom II-VO, Rn.  36 ff. 44  A. A. Blach (Fn.  3), 79: Verhaltenssteuerung. 45  Rechtsbank Den Haag, Urt. v. 26.5.2021 – C/09/571932 / HA ZA 19-379, ECLI:NL: RBDHA:2021:5339, Rn.  4.3.

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Vermeidung einer schadensbegründenden Handlung außerhalb des Unionsgebietes bezieht.46 Und schließlich adressiert der CSDD-RLV nach seinem Art.  2 Abs.  2 auch Unternehmen, die ihren Sitz nicht innerhalb der Union haben, sondern lediglich einen bestimmten Umsatz erzielen.47 Dass dieser Umsatz einen dortigen Handlungsort begründen kann, erscheint mehr als zweifelhaft. 4. Zwischenbetrachtung Zusammenfassend kommt es nach der Rom II-VO bei der Sorgfaltspflichtverletzung eines Unionsunternehmens nicht zur Anwendung mitgliedstaatlichen Rechts, wenn sie in einem Drittstaat zu einer negativen Auswirkung auf die Menschenrechte geführt hat. Bei einer negativen Auswirkung auf die Umwelt ist nicht final geklärt, ob und wann das Optionsrecht des Art.  7 Rom II-VO zu mitgliedstaatlichem Recht führt. Selbst wenn es bei Sorgfaltspflichtverstößen von Gesellschaften mit Sitz in der Union der Fall wäre, würde dies wohl nicht für Gesellschaften gelten, deren Konnex lediglich in einem dort realisierten Umsatz besteht. Demgegenüber ergibt sich aus ErwGr. 61 CSDD-RLV, dass der Schadensersatzanspruch gerade auch mit Blick auf Geschädigte in Drittstaaten geschaffen werden soll. Diesem Motiv kann nicht Rechnung getragen werden, wenn die unionseuropäischen Kollisionsnormen nicht zur Anwendung mitgliedstaatlichen Rechts führen.48 In der Vergangenheit wurde teilweise die Neueinführung einer eigenen Kollisionsnorm vorgeschlagen.49 Mit der Etablierung einer Eingriffsnorm geht der Richtlinienvorschlag nun einen anderen, einer vorherigen Entschließung des Parlaments50 folgenden Weg.

V. Eingriffsnormen als Wege durch die kollisionsrechtliche Hintertür Bei Eingriffsnormen handelt es sich um eine Regelungskonstruktion, über die trotz zahlreicher wissenschaftlicher Diskussionen nach wie vor Uneinigkeit 46 Vgl.

Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 157, 188 f.; Mansel, ZGR 47 (2018), 439, 461 ff. zu drittstaatlichen Unternehmen im CSDD-RLV: Schwemmer, in diesem Band, S.  153. 48 Ähnlich Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 649. 49 Insb. Committee on Legal Affairs of the European Parliament, Draft Report with recommendations to the Commission on corporate due diligence and corporate accountability, 11.9.2020, PE657.191v01-00, 31: „Article 6a“ für die Rom II-VO. 50  Europäisches Parlament, Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen, 10.3.2021, P9_TA-PROV [2021]0073, Ziff.  29 bzw. Art.  20. Ausführlich hierzu: Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht, ZUR 2021, 392 ff.; Rühl/Knauer, Zivilrechtlicher Menschenrechtsschutz?, JZ 2022, 105, 112 ff. 47  Ausführlich

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herrscht.51 Zwar gibt Art.  9 Abs.  1 Rom I-VO eine Definition vor, die mit ErwGr. 7 Rom II-VO auch für den allgemeiner gehaltenen Art.  16 Rom II-VO von Relevanz ist.52 Diese Begriffsbestimmung wird jedoch im Schrifttum vielfach – und das zurecht – als ungenau empfunden.53 Obgleich der Begriff durch das IPR geprägt wurde, ist eine Eingriffsnorm keine Kollisions-, sondern eine Sachnorm.54 Sie kommt unabhängig von dem an sich berufenen Statut zur Geltung55 und stellt damit eine Art kollisionsrecht­ lichen Weg durch die Hintertür dar. Zur Veranschaulichung bietet sich der Rekurs auf Schurigs Bild der Kollisionsnorm als Interessensbündel an: Danach sind Kollisionsnormen Bündelungen einzelner Anknüpfungselemente, denen gleichgelagerte kollisionsrechtliche Interessen zugrunde liegen.56 Hintergrund dieser Formulierung ist die zentrale Aufgabe des IPR, darüber zu entscheiden, wessen Staates Sachrecht Anwendung findet.57 Dies geschieht unter Zugrundelegung von Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen.58 Als Ziel ist im Grunde anerkannt, dass das sachnächste Recht zur Geltung kommen soll.59 Eine Eingriffsnorm zeichnet sich dadurch aus, dass sie andere Sachinteressen verfolgt und damit auch andere kollisionsrechtliche Interessen impliziert als die, denen die an sich einschlägige Kollisionsnorm dient.60 Dies liegt nicht darin begründet, dass die Eingriffsnorm eine grundlegend andere Thematik betrifft, sondern allein darin, dass ihre Regelungsziele andere sind. In den Worten Köhlers: „Eingriffsnormen entziehen sich nicht aufgrund ihrer – wie auch immer zu bestimmenden – materiellen ‚Wichtigkeit‘ den regulären Kollisionsnormen […], sondern deshalb, weil sie aufgrund ihrer besonderen materiellen Struktur ande-

51  In jüngerer Vergangenheit monographisch: Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 2002; Hemler, Die Methodik der „Eingriffsnorm“ im modernen Kollisionsrecht, 2019; Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, 2013; Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht, 2002. Mit Fokus auf ausländischen Eingriffsnormen: Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, 2020; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, 2012; Kronenberg, Normen als tatsächliche Umstände, 2021; Mühlbauer, Berücksichtigung der ausländischen Eingriffsnormen im Art.  9 Rom I-VO, 2021. 52  Junker, in: MüKoBGB, 8.   Aufl. 2021, Art.   16 Rom II-VO, Rn.   9; Maultzsch, in: BeckOGK, 1.12.2022, Art.  16 Rom II-VO, Rn.  1, 9. 53 Vgl. Maultzsch, in: BeckOGK, 1.12.2022, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  17 m. w. N. 54 Vgl. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9.  Aufl. 2004, 155. 55  Kropholler, Internationales Privatrecht, 6.  Aufl. 2006, 19. 56 Grundlegend: Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 1981, 89 ff. 57  Kropholler (Fn.  55), 1, 16. 58 Ausführlich: Kegel/Schurig (Fn.  5 4), 134 ff. 59  Vgl. grundlegend Savigny, System des Heutigen Römischen Rechts, Bd.  V III, 1849, Reprint 2017, 28: „dasjenige Rechtsgebiet […], welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist (worin dasselbe seinen Sitz hat)“. 60  Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 1990, 217, 224.

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re kollisionsrechtliche Interessen implizieren, die eine Zuordnung zu dem von der kodifizierten Kollisionsnorm geschnürten Bündel verhindern.“61 Anders als der Wortlaut von Art.  9 Abs.  1 Rom I-VO und Art.  16 Rom II-VO andeuten, kommt eine Sachnorm allerdings niemals ohne kollisionsrechtliche Entscheidung zur Geltung.62 Der insofern notwendige Anwendungsbefehl kann sich bereits aus der Eingriffsnorm selbst ergeben – entweder in ihr „versteckt“63 liegen oder ihr explizit, ggf. auch in einer formal betrachtet separaten Norm, beigeordnet sein. 64 Bei einer solchen „selbstgerechte[n] Sachnorm“65 handelt sich um einen Unterfall der einseitigen Kollisionsnorm, die hier kein Relikt aus früheren Zeiten,66 sondern die verschriftlichte Entscheidung hin zu einer Eingriffsnorm darstellt. 67 Ist kein zumindest versteckter Anwendungsbefehl gegeben, spricht die materiellrechtliche Interessenslage aber für eine Eingriffsnorm, besteht „eine Regelungslücke innerhalb des IPR“. 68 Es steht zwar fest, dass die Norm nicht mit den regulären Kollisionsnormen qualifiziert werden kann, es fehlt jedoch an einer eigenen Kollisionsnorm und damit vor allem an konkreten Anknüpfungsmomenten. In diesem Fall ist es Aufgabe der Judikative, die Regelungslücke im Wege der Rechtsfortbildung zu schließen. 69 Köhler bezeichnet Eingriffsnormen daher als den „unfertige[n] Teil des europäischen IPR“.70 Nach Art.  9 Rom I-VO beruht die Andersartigkeit der Interessen darauf, dass eine Eingriffsnorm öffentlichen Zwecken dient. Diese Konkretisierung wird von der h. M. auch in Art.  16 Rom II-VO hineingelesen.71 Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass Staaten aufgrund der Nähe von Eingriffsnormen zum öffentlichen Recht72 ein verstärktes Interesse an ihrer Geltung haben. Eingriffsnormen sollen unabhängig davon zur Anwendung kommen, was an sich mit Blick auf die Thematik das sachnächste Recht wäre.73 61 

Köhler (Fn.  51), 93. Hemler (Fn.  51), 155 ff.; Köhler (Fn.  51), 6 f. 63  Kropholler (Fn.  55), 108. 64  Köhler (Fn.  51), 11. 65  Kegel, Die selbstgerechte Sachnorm, in: GS Ehrenzweig, 1976, 51. 66  Das EGBGB von 1896 enthielt noch hauptsächlich einseitige Kollisionsnormen, mit der Neufassung von 1986 wurden diese jedoch zumeist in allseitige umgewandelt (Kropholler (Fn.  52), 106). 67  Kegel (Fn.  65), 69; Köhler (Fn.  51), 11 ff.; Sonnenberger, Eingriffsrecht, IPRax 2003, 104, 108. 68  Köhler (Fn.  51), 93. 69  Hemler (Fn.  51), 162; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 112. 70  Köhler (Fn.  51). 71  Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  52), Art.  16 Rom II-VO, Rn.  14 ff. m. w. N. 72 Ausführlich Rentsch, Krisenbewältigung durch konstitutionalisiertes Kollisionsrecht, in: Bauerschmidt (Hrsg.), Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, 2015, 256, Rn.  268 ff. 73  Kropholler (Fn.  55), 23. 62 

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Die Klassifizierung von öffentlichen Interessen als andersartig ist durch das traditionelle, zumeist in seinen Wurzeln bei Savigny verortete Verständnis des Zivilrechts als wertneutral bedingt.74 Doch selbst bei Savigny findet sich bereits der Gegenpol des die guten Sitten durchsetzenden, freilich als „anomalisch“75 bezeichneten, Zivilrechts.76 Darüber hinaus demonstriert die Existenz von Normen, die wie das Verbraucherschutz- oder Individualarbeitsrecht den Zweck verfolgen, die strukturell unterlegene Partei zu schützen,77 dass es Mischformen gibt. Und selbst bei vermeintlich neutralen Regelungen wie beispielsweise dem allgemeinen Kaufvertrag zeigt sich die gestalterische Wirkung der Gesetzgebung durch das bei mannigfacher individueller Durchsetzung auf kollektiver Ebene erreichte Ergebnis. Auch bei vorrangig dem Individualinteresse dienenden Normen findet sich daher stets eine Spur von Gemeininteressen.78 Der unterschiedlichen Interessensgewichtung wird auf Ebene des IPR teilweise mit Sonderkollisionsnormen Rechnung getragen. So sieht die Rom I-VO mit ihren Art.  6 und 8 für das Verbraucherschutz- und das Individualarbeitsrecht eigene Regelungen vor. Kennt das jeweilige IPR hingegen keine Sonderkollisionsnorm, stellt sich die schwierig zu beantwortende Frage, ab wann das staatliche Regulierungsinteresse so groß ist, dass es sich um eine Eingriffsnorm handelt.79 In den Worten Hemlers geht es nicht um das „‚Ob‘, sondern nur um das ‚Wieviel‘ der in einer Rechtsnorm verkörperten Gemeinwohlinteressen.“80 Dieses Graduelle legt nahe, dass selbst an sich als Eingriffsmaterie geltendes Recht Gegenstand einer allseitigen Sonderkollisionsnorm werden kann.81 Und so wurde das ordnungspolitische Interessen verfolgende Kartellrecht auch tatsächlich vor Inkrafttreten der Rom II-VO als die Eingriffsmaterie schlechthin betrachtet.82 Heute wird es hingegen als grundsätzlich83 von Art.  6 Abs.  3 74  Siehe z. B. Kühne, Die Entsavignysierung des Internationalen Privatrechts insbesondere durch sog. Eingriffsnormen, in: FS Heldrich, 2005, 815. 75  Savigny, System des Heutigen Römischen Rechts, Bd.  I , 1840, Reprint 2012, 57 ff. 76  Roth, Savigny, Eingriffsnormen und die Rom I-Verordnung, in: FS Kühne, 2009, 859, 860 ff. 77  Vgl. unter anderem Kühne (Fn.  74), 820 ff.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 106 ff., die gerade auch mit Blick auf das IPR eine Zunahme dieser Art von Normen kritisieren. 78 Vgl. Hemler (Fn.  51), 174, der es sogar als Pflicht des demokratischen Gesetzgebers ausmacht, die „überindividuellen Folgen eines vorrangig interindividuellen Rechtssatzes“ zu berücksichtigen. 79  Und selbst bei Vorliegen von Sonderkollisionsnormen ist der Streit nicht zwingend beendet: So wird beispielsweise kontrovers darüber diskutiert, ob nicht von Art.  6 Rom I-VO erfasste Verbrauchernormen Eingriffsnormen darstellen (zum Streit: Martiny, in: MüKo­ BGB, 8.  Aufl. 2021, Art.  6 Rom I-VO, Rn.  72). 80  Hemler (Fn.  51), 175. 81 Vgl. Hemler (Fn.  51), 181 ff. 82  Fezer/Koos, in: Staudinger, 2019, IntWirtschR, Rn.  8 0. 83  Mit Blick auf die Normhierarchie wird allerdings gemeinhin eine selbstständige Anknüpfung der Art.   101, 102 AEUV angenommen (Poelzig/Windorfer/Bauermeister, in: BeckOGK, 1.9.2022, Art.  6 Rom II-VO, Rn.  199 m. w. N.).

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Rom II-VO erfasst angesehen – und das, obwohl das Kartell(delikts)recht nach wie vor primär dem Wettbewerb und damit mehr dem Gemeinwohl als den individuellen Interessen dient. 84 Sucht man nach einer Begründung, warum das Kartellrecht nunmehr über eine allseitige Kollisionsnorm adressiert wird, liegen neben dem grundsätzlich überwundenen Nichtanwendungsdogma jeglicher Art fremdländischen „politischen Rechts“85 zwei Erklärungen nahe: Zum einen, dass nicht nur die EU (und ihre Mitgliedstaaten), sondern ein Großteil der Staaten weltweit im Grunde miteinander kompatible wettbewerbsrechtliche Verbote vorsehen. 86 Wenn aber fast alle Staaten das Problem hinreichend adressieren, bedarf es nicht zwingend der Anwendung des eigenen Rechts – es können ebenso gut andere Rechtsordnungen berufen werden. Auf der anderen Seite besteht bei Kartellrechtsverstößen – wie wohl bei jeder Form von Regulierungsprivatrecht87 – nur dann ein Regelungsbedarf und -interesse, wenn ein hinreichender Bezug zum eigenen Territorium vorliegt.88 Insofern passt zwar das den Geschädigten schützende und die Ermittlungen fördernde Erfolgsortrecht des Art.  4 Abs.  1 Rom II-VO nicht, wohl aber lässt sich eine allgemeine Kollisionsnorm formulieren, die dann zur Anwendung des Unions- oder mitgliedstaatlichen Rechts führt, wenn der lokale Markt von dem wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist. Die Sonderkollisionsnorm ist also gerade deshalb möglich, weil Art.  6 Abs.  3 Rom IIVO das ordnungspolitisch motivierte Auswirkungsprinzip89 zur allgemeinen Anwendungsregel macht.90 Betrachtet man beide Begründungen für sich, könnte man annehmen, dass das Vorliegen einer von beiden ausreicht, um eine allseitige Kollisionsnorm einzuführen. Diese Sichtweise würde jedoch verkennen, dass für die lex fori-Legislative – selbst bei einem präzise durch Anknüpfungsmomente charakterisierbarem territorialen Regelungsbereich – schlicht kein Grund besteht, eine allseitige Kollisionsnorm zu etablieren, wenn andere Staaten die Problematik nicht adressieren, und man darüber hinaus davon ausgeht, dass dies auch in 84 

Vgl. EuGH, Urt. v. 20.9.2001 – C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465, Rn.  27 – Courage. Martinek, Das internationale Kartellprivatrecht, 1987, 50. 86  In diese Richtung Höder, Die kollisionsrechtliche Behandlung unteilbarer Multi­stateVerstöße, 2002, 99. 87  Mit Blick auf Menschenrechtsverstöße: Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 747. 88  Zwar ist bei Art.  16 Rom II-VO wie auch Art.  9 Rom I-VO überaus umstritten, ob er – über den Wortlaut hinaus – einen bestimmten Inlandsbezug für die Anwendung von lex fori-Eingriffsnormen fordert (ausführlich: Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  53), Art.  9 Rom I-VO, Rn.  75 ff.), dieser Streit betrifft aber primär die konkreten Normen und nicht die lex ferenda. 89 Ausführlich: Poelzig/Windorfer/Bauermeister, in: BeckOGK (Fn.  83), Art.  6 Rom IIVO, Rn.  219 ff. 90 Vgl. Lehmann, Regulation, global governance and private international law, JPIL 16 (2020), 1, 24: „It is characteristic […] that the specific goal of the regulation requires a special connecting factor, which has found its way into the conflict-of-laws system.“ 85 Vgl.

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naher Zukunft nicht der Fall sein wird.91 Denn dann würde die Verweisung auf andere Sachrechte ohnehin ins Leere führen.92 Umgekehrt wird sich ein nationaler Gesetzgeber – jedenfalls, wenn er seinen Regelungsauftrag ernst nimmt – vor allem dann nicht in der Lage sehen, Anknüpfungsmomente zu normieren, wenn er befürchten muss, dass Sachverhalte bei ihrem Nichtvorliegen nicht ausreichend geregelt werden. In diesem Fall ginge nämlich mit der Benennung abschließender Anwendungsvoraussetzungen die Gefahr einer Nichtregelung einher. Die Etablierung einer allseitigen Kollisionsnorm ergibt aus Sicht der lex fori-Legislative folglich nur Sinn, wenn sich Anknüpfungsmomente entsprechend des staatlichen Regulierungsanspruchs konkret benennen lassen, und andere Staaten die betreffende Thematik ebenfalls hinreichend regeln oder zumindest alsbald regeln werden. Im Umkehrschluss wohnt dem Rückgriff auf eine Eingriffsnorm daher eine Absage an die Kompetenz der ausländischen Gesetzgebung inne.93

VI. Der CSDD-Schadensersatz: Eingriffsmaterie vs. allseitige Sonderkollisionsnorm Nach Art.  9 Rom I-VO dienen Eingriffsnormen öffentlichen Interessen. Legt man dies zugrunde, geht mit Art.  22 Abs.  5 CSDD-RLV die Wertung einher, dass der CSDD-Schadensersatzanspruch primär die Durchsetzung von Unionsinteressen bezweckt. Allgemein kann ein Schadensersatzanspruch sowohl durch das Kompensationsinteresse des Geschädigten als auch durch eine staatlich gewünschte Verhaltenssteuerung des potenziellen Schädigers motiviert sein.94 Bei letzterem spricht man von privater – im Unterschied zur staatlichen – Rechtsdurchsetzung.95 Bereits die systematische Stellung des Art.  22 CSDDRLV umgeben von Normen des public enforcement deutet an, dass der Schadensersatzanspruch mehr als nur den Interessensausgleich zwischen Geschädigtem und Schädiger verfolgt. Die Ausgestaltung als Eingriffsnorm geht noch 91 

So etwa mit Blick auf den damaligen §  130 GWB Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 115. So auch Lehmann, JPIL 16 (2020), 1, 24. 93  Hier fügt sich schließlich das nach wie vor mit Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO und dem Fehlen einer Regelung in Art.  16 Rom II-VO zum Ausdruck kommende Zögern bei der Anwendung fremder Eingriffsnormen gut ein. Bei fremdem Kulturgüterschutz (siehe z. B. BGH, Urt. v. 22.6.1972 – II ZR 113/70, BGHZ 59, 82) mag es noch verständlich sein, dass der eigene Staat keine Regelung aufweist, betrifft es hingegen allgemein-regulatorische Anliegen geht damit – neben den traditionellen Bedenken (vgl. Magnus, in: Staudinger, 2021, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  92) – auch das Eingeständnis eines eigenen Defizits einher. 94 Exemplarisch zum Wettbewerbsrecht: EuGH, Urt. v. 13.7.2006 – Rs. C-295/04 bis C-298/04, ECLI:EU:C:2006:461, Rn.  9 0 f., 95 – Manfredi. 95 Zum private enforcement: Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012. 92 

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darüber hinaus, denn sie macht deutlich, dass der Schadensersatzanspruch die Durchsetzung des Unionsrechts sogar an erste Stelle setzt.96 Art.  22 Abs.  5 CSDD-RLV benennt keine Anknüpfungsmomente. Die naheliegende Schlussfolgerung, dass es für seine Anwendung entsprechend des Wortlauts von Art.  16 Rom II-VO keines besonderen territorialen Konnexes zur Union bedarf, ist aber ebenso wenig korrekt, wie die Alternative, dass die Bestimmung des Inlandsbezugs in der Hand der mitgliedstaatlichen Legislative oder Judikative liegt. Mit der Deutung von Art.  22 CSDD-RLV als Norm des private enforcement muss der für die Anwendung der Sorgfaltspflichten notwendige Binnenmarktbezug vielmehr auf den Schadensersatzanspruch durchschlagen. Art.  22 CSDD-RLV kann den Art.  7 und 8 CSDD-RLV nämlich nur dann zu ihrer vollen Wirksamkeit verhelfen, wenn er parallel zu ihnen berufen wird. Nachdem Art.  2 Abs.  1 und 2 CSDD-RLV die internationale Anwendung der Sorgfaltspflichten bestimmen, müssen diese also auch für die Anwendung des Schadensersatzanspruchs herangezogen werden. Die bloße Bezeichnung als Eingriffsnorm ohne Benennung von Anknüpfungsmomenten verdeckt somit einen genau feststehenden Anwendungsbereich und vermittelt zu Unrecht den Eindruck der Unvollständigkeit. Wie Art.  6 Abs.  3 Rom II-VO verdeutlicht, muss Regulierungsprivatrecht nicht zwingend als Eingriffsnorm ausgestaltet werden und damit durch die Hintertür zur Anwendung kommen. Lassen sich die Anknüpfungsmomente exakt benennen, ist die Einführung einer Sonderkollisionsnorm transparenter und allein schon deshalb vorzugswürdig.97 Gösse man jedoch lediglich die Kriterien der Art.  2 Abs.  1 und 2 CSDD-RLV in eine Sonderkollisionsnorm für den CSDD-Schadensersatz, wäre zwar der Transparenz gedient. An der Natur des CSDD-Schadensersatzanspruchs als Eingriffsnorm änderte sich indes nichts, denn eine solche Kollisionsnorm wirkte nur einseitig zugunsten der EU. Auch dadurch würde der Unionsgesetzgeber seine Regelung als die einzig angemessene darstellen. Und das sogar – wie der KiK-Fall offenbart – zu Unrecht.98 Dieser Missstand würde erst durch die Einführung einer allseitigen Sonderkollisionsnorm behoben. Das Benennen geeigneter allseitiger Anknüpfungsmomente stellt sicherlich keine leichte Aufgabe dar. So sähe sich z. B. eine an Art.  7 Rom II-VO orientierte Regelung dem Vorwurf ausgesetzt, dass ein ex post-Wahlrecht die Präventionsfunktion des Schadensersatzanspruchs beeinträchtigt. Eine Steuerungswirkung entfaltet sich nämlich nur dann optimal, wenn die Normanwendung bereits ex ante feststeht.99 Und im Hinblick auf eine Neuregelung ähnlich des Art.  6 Abs.  3 Rom II-VO ist Mansel darin recht zu 96  So im Ergebnis auch Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 648; Lutz-Bachmann/ Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 835, 842. 97  Allgemein gegen Eingriffsnormklauseln Hemler (Fn.  51), 199 f. 98 Vgl. Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125, 134. 99 Vgl. Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 114.

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geben, dass es keinen „Markt“ für Geschädigte gibt.100 Möglich wäre aber ein Anknüpfen an (geschriebene wie ungeschriebene) Sorgfaltspflichten. Von der Regelungsstruktur ähnlich zu Art.  8 Rom II-VO könnte eine allseitige Sonderkollisionsnorm diejenige Rechtsordnung berufen, die solche Pflichten gegenüber dem potenziellen Schuldner etabliert. Weil das Regelungskonzept der Sorgfaltspflichten i.w.S. gemeinhin bekannt ist,101 würde diese Form der Anknüpfung auch in der Praxis nicht leerlaufen. Der Gefahr einer Mehrfachregelung könnte dadurch vorgebeugt werden, dass ein Anspruch einerseits nur den Sorgfaltspflichten seiner, nicht aber zusätzlich noch denen dritter Rechtsordnungen folgte, und ein bereits geleisteter Ersatz andererseits auf materiellrechtlicher Ebene berücksichtigt würde.102 Einer solchen Lösung wohnte der Vorteil inne, dass sie einen entsprechenden Schadensersatzanspruch – mit der Intention des CSDD-RLV konformgehend – primär als der Rechtsdurchsetzung dienende Norm betrachtete. Darüber hinaus bildete die einem Schadensersatzanspruch zwingend innewohnende verhaltenssteuernde Wirkung einen überzeugenden territorialen Anknüpfungspunkt. Demgegenüber wählt Art.  22 Abs.  5 CSDD-RLV die Eingriffsnormlösung. Anstatt eines umfassenden Ansatzes legt er den Fokus ausschließlich auf die unionseuropäische, die eigene Regelung. Drittstaatliche Normen werden nicht als gleichwertig anerkannt und ausländischen Gesetzgebern sogar die Fähigkeit abgesprochen, in naher Zukunft adäquate Gesetze zu schaffen. Die Etablierung des CSDD-Schadensersatzanspruchs als Eingriffsnorm stellt daher nicht den minimalinvasiven Weg dar, sondern ist eine Missachtung des Fremden par excellence.

VII. Zusammenfassende Thesen 1. Art.  22 CSDD-RLV ist zuvörderst Ausdruck eines gewollten private enforcement. 2. Als der privaten Rechtsdurchsetzung dienende Norm muss Art.  22 CSDDRLV immer dann zur Anwendung kommen, wenn Unternehmen die Sorgfaltspflichten der Art.  7 und 8 CSDD-RLV treffen. Seine internationale Anwendung bestimmt sich daher über Art.  2 Abs.  1 und 2 CSDD-RLV. 100 

Mansel, ZGR 47 (2018), 439, 458.

101 Vgl. Fleischer/Koch, DB 2019, 1944 ff., die verschiedene in Konzernstrukturen relevante

Varianten miteinander vergleichen. 102  Nach BGH, Urt. v. 4.6.1992 – IV ZR 149/91, BGHZ 118, 309, 334 ff. verstoßen punitive damages gegen den ordre public. Sähe das berufene Recht keine Möglichkeit zur Anrechnung vor, könnte jedenfalls ein deutsches Gericht auf Art.  26 Rom II-VO zurückgreifen. Für Rechtsordnungen, die Strafschadensersatz kennen, würde eine Mehrfachbelastung hingegen kein Problem darstellen.

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3. Bei Art.  22 CSDD-RLV ist die Bezeichnung als Eingriffsnorm kein Ausdruck von Unvollständigkeit, sondern verdeckt seinen genau feststehenden Anwendungsbereich. Die Etablierung einer Sonderkollisionsnorm wäre transparenter und schon deshalb vorzugswürdig. 4. Gösse man lediglich die Kriterien der Art.  2 Abs.  1 und 2 CSDD-RLV in eine Schadensersatz-Sonderkollisionsnorm, änderte dies jedoch nichts an seiner Natur als Eingriffsmaterie, denn eine solche Kollisionsnorm würde nur einseitig zugunsten der EU wirken. 5. Die Benennung adäquater allseitiger Anknüpfungsmomente ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ähnlich zur Regelungsstruktur des Art.  8 Rom IIVO bieten sich die den Haftungsadressaten treffenden Sorgfaltspflichten i. w. S. an. 6. Durch das Anknüpfen an Sorgfaltspflichten würde der Natur des Art.  22 CSDD-RLV als Norm des private enforcement besser Rechnung getragen als durch seine Ausgestaltung als Eingriffsnorm. 7. Mit der Eingriffsnormlösung unterstellt der Unionsgesetzgeber demgegenüber, dass andere Rechtsordnungen CSDD-Sachverhalte weder jetzt noch in naher Zukunft adäquat regeln. Sie ist daher eine Missachtung des Fremden par excellence.

Globale Nachhaltigkeitsstandards made in Brüssel? Drittstaatliche Unternehmen im CSDD-Richtlinienentwurf

Sophia Schwemmer Art.  2 of the draft Directive on Corporate Sustainability Due Diligence includes third country companies in its direct scope even without a registered office or establishment in the EU if they achieve a certain net turnover in the internal market. This article first looks at the reasons for the extraterritorial extension of the scope of application to third-country companies and its permissibility from a public international law perspective. It then examines to which extent the provisions of the draft directive can be applied to third-country companies from the perspective of conflict of laws.

I. Einführung Die europäische Lieferkettenregulierung will extraterritoriale Wirkungen in Drittstaaten erzielen: Inländischen Unternehmen werden Sorgfaltspflichten auferlegt, die sich auf deren gesamte Wertschöpfungskette beziehen. Sie sollen auf ihre Tochtergesellschaften und Zulieferer in Drittstaaten einwirken, damit diese in ihren Betrieben menschenrechtliche und umweltbezogene Mindeststandards umsetzen. Diese „indirekten extraterritorialen Effekte“ auf Unternehmen in Drittstaaten sind dem Konzept der Lieferkettensorgfaltspflichten inhärent.1 Der am 23.2.2022 veröffentlichte CSDD-Richtlinienentwurf2 erhebt aber einen noch offeneren extraterritorialen Regelungsanspruch: Er bezieht Drittstaatsunternehmen auch ohne Sitz oder Niederlassung in der EU in seinen direkten Anwendungsbereich ein, wenn sie einen bestimmten Nettoumsatz im Binnenmarkt erzielen. Die Kommission schätzt, dass etwa 13.000 Unternehmen aus der EU sowie 4.000 Unternehmen aus Drittländern in den Anwendungsbereich der künftigen Richtlinie fallen werden.3 Drittstaatsunternehmen 1  Vgl. auch Krisch, Entgrenzte Jurisdiktion: Die extraterritoriale Durchsetzung von Unternehmensverantwortung, in: Reinisch u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, 11, 21. 2 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.2.2022, COM(2022) 71 final (zitiert als „Kommissionsvorschlag“ bzw. „CSDD-RL-E“). 3  Kommissionsvorschlag, 20.

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würden danach fast ein Viertel der von einer CSDD-Richtlinie erfassten Unternehmen ausmachen. Damit erhebt der Richtlinienentwurf einen Regelungsanspruch für Drittstaatensachverhalte, deren potentiell einzige Verbindung zu den Mitgliedstaaten der EU der Vertrieb von Produkten im Binnenmarkt ist. Man könnte sich beispielsweise einen chinesischen Konzern vorstellen, der über diverse drittstaatliche Tochtergesellschaften eine Mine im Kongo betreibt, in der Kobalt unter menschenrechtswidrigen Arbeitsbedingungen (z. B. Kinderarbeit) abgebaut wird. Sofern die chinesische Konzernmutter in der EU – sei es mit dem im Kongo abgebauten Kobalt, sei es mit anderen Gütern – einen bestimmten Nettoumsatz erzielt, müsste sie nach den Vorstellungen des Unionsgesetzgebers ein nachhaltigkeitsbezogenes Compliance-System nach europäischen Standards einrichten und könnte unter anderem nach mitgliedstaatlichem Recht für etwaige Menschenrechtsverstöße im Kongo haften.4 Den Kollisionsrechtler lässt diese Ausweitung des Anwendungsbereichs erst einmal stutzen: Schließlich lässt sich kaum behaupten, dass dieser Sachverhalt besonders enge Verbindungen zum Recht eines EU-Mitgliedstaates aufweist. Dennoch wurde bislang – soweit ersichtlich – nicht diskutiert, inwieweit die direkte Anwendung von CSDD-Umsetzungsvorschriften auf Drittstaatsunternehmen kollisionsrechtlich abgesichert ist. Dieser Frage soll hier nachgegangen werden. Dazu werden in einem ersten Schritt die Inhalte und Wirkmechanismen des Richtlinienentwurfs kurz zusammengefasst (II.). In einem zweiten Schritt werden die Gründe für die extraterritoriale Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Drittstaatsunternehmen und seine völkerrechtliche Zulässigkeit näher beleuchtet (III.). Auf dieser Grundlage wird schließlich untersucht, inwieweit künftige CSDD-Umsetzungsvorschriften kollisionsrechtlich auf Drittstaatsunternehmen zur Anwendung gebracht werden können (IV.).

II. Überblick über Inhalte und Wirkmechanismen des CSDD-Richtlinienentwurfs 1. Nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten Der Richtlinienentwurf erlegt Unternehmen menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltspflichten auf.5 Herzstück des Entwurfs sind die lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten (Art.  4 bis 11 CSDD-RL-E). Sie verpflichten Unter4  Vgl. auch Peter, Auswirkungen der kommenden auf EU-Recht basierenden nachhaltigkeitsbezogenen Due-Diligence-Verpflichtungen auf chinesische Unternehmen am Beispiel von NIO, NR 2022, 349 ff. 5  Vgl. für einen ausführlicheren Überblick über die Regelungsgehalte z. B. Hübner/Habrich/Weller, Corporate Sustainability Due Diligence, NZG 2022, 644.

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nehmen zur Einrichtung eines Compliance-Systems, das nicht nur den eigenen Geschäftsbereich, sondern auch den von Tochterunternehmen und Geschäftspartnern in den Blick nehmen und dort negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte verhindern bzw. beseitigen soll. 6 Daneben will der Unionsgesetzgeber eine eigenständige Pflicht zur Eindämmung des Klimawandels einführen:7 Danach sollen Unternehmen einen Plan aufstellen, mit dem sie die Vereinbarkeit ihrer Unternehmensstrategie mit dem 1,5-Grad Ziel nach dem Pariser Klimaabkommen sicherstellen (Art.  15 CSDD-RL-E).8 2. Public und private enforcement Zur Durchsetzung dieser Sorgfaltspflichten setzt der Unionsgesetzgeber auf einen sog. smart mix 9 aus verschiedenen Wirkmechanismen: Mit der zivilrechtlichen Außenhaftung der Unternehmen nach Art.  22 CSDD-RL-E will man ein private enforcement durch die Geschädigten ermöglichen.10 Diese zivilrechtliche Haftung knüpft sich allein an die Verletzung der „kardinalen Sorgfaltspflichten“11 zur Vermeidung bzw. Behebung negativer Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt (Art.  7 und 8 CSDD-RL-E). Daneben wollte die EU-Kommission nach ihrem Entwurf auch gesellschaftsrechtliche Instrumente aktivieren.12 So werden nachhaltigkeitsbezogene Pflichten für die Mitglieder der Geschäftsleitung definiert, die bei Verstößen zu einer Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft führen sollten (Art.  25 und 26 CSDD-RL-E). Im Übrigen setzt auch die EU auf ein System des public enforcement: Mitgliedstaatliche Aufsichtsbehörden sollen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten umfassend überwachen und Verletzungen unter anderem durch Bußgelder sank­tionieren (Art.  17 ff. CSDD-RL-E). Diese Mischung aus private enforcement und public enforcement lässt eine Querschnittsmaterie zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht entstehen.13 6 

Näher dazu Bauermeister, in diesem Band, 136 ff. Näher zur systematischen Verortung dieser Pflicht außerhalb der lieferkettendimensionalen Sorgfaltspflicht Steuer, Klimaziele im Unternehmensrecht, ZIP 2023, 13,22. 8  Vgl. zur Einordnung dieser Pflicht Weller/Fischer, ESG-Geschäftsleitungspflichten, ZIP 2022, 2253, 2259. 9 Dazu Hübner, Unternehmenshaftung für Menschenrechtsverletzungen, 2021, 442  ff.; vgl. ferner Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, Nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten in Geschäftsbeziehungen – zum Entwurf der EU-Kommission für eine “Lieferkettenrichtlinie”, BB 2022, 835, 842. 10  Allgemein zur privaten Durchsetzung von wirtschaftsrechtlichen Regelungen Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016. 11  Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 648. 12  Ob diese gesellschaftsrechtlichen Regelungen den Weg in die endgültige Richtlinie finden werden, scheint nach derzeitigem Verhandlungsstand jedoch fraglich. Vgl. dazu näher unter IV. 1. d). 13  Die Rede ist auch von einem „Verbund der Regelungsinstrumente“. Vgl. dazu aus öffentlich-rechtlicher Sicht Burgi, Public Enforcement im Recht der nachhaltigen Unternehmens7 

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Dementsprechend verlangen die Fragen der internationalen Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit ihrer Regelungsinhalte eine differenzierte Betrachtung.

III. Extraterritoriale Erstreckung des Anwendungsbereichs des CSDD-Richtlinienentwurfs 1. Marktorientierter Anwendungsbereich Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verursachen Kosten.14 Durch die Pflichten nach dem Richtlinienentwurf könnten EU-Unternehmen Wettbewerbsnachteile gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten mit laxeren Nachhaltigkeitsstandards erleiden.15 Der Richtlinienentwurf zielt daher darauf ab, zumindest im Binnenmarkt ein level playing field mit Blick auf Nachhaltigkeitspflichten zu schaffen.16 Daher definiert der Unionsgesetzgeber – anders als der deutsche Gesetzgeber im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)17 – den persönlichen Anwendungsbereich im CSDD-Richtlinienentwurf marktorientiert:18 Er erfasst Unternehmen unabhängig von ihrem Ansässigkeitsstaat, dem Bestehen einer Niederlassung in der EU und ihrem Gesellschaftsstatut, sofern sie in einem bestimmten Umfang im Binnenmarkt wirtschaftlich tätig sind. Damit folgt der Entwurf den Vorbildern des UK Modern Slavery Act19 sowie des niederländischen Sorgfaltspflichtengesetzes gegen Kinderarbeit 20 . führung, ZHR 186 (2022), 779, 784; Augsberg, Hybride Regulierungsinstrumente im Finanzmarktrecht, Die Verwaltung 49 (2016), 369. 14  Rühl, Unternehmensverantwortung und (Internationales) Privatrecht, in: Reinisch u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, 89, 125. 15  Rühl (Fn.  14), 89, 125; Wagner, Haftung für Menschenrechtsverletzungen RabelsZ 80 (2016), 718, 780 f.; Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 646. Näher zu den Kosten der Unternehmenshaftung für Menschenrechtsverletzungen nach dem Alien Tort Statute des US-amerikanischen Rechts Sykes, Corporate Liability for Extraterritorial Torts Under the Alien Tort Statute and Beyond: An Economic Analysis, Georgetown Law Journal 100 (2012) 2162, 2164, 2193 ff. 16  Kommissionsvorschlag, 3, 14. 17  §  1 Abs.  1 LkSG beschränkt den Anwendungsbereich des LkSG auf Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben. 18  Für einen marktorientierten Anwendungsbereich menschenrechtsbezogener Sorgfaltspflichten daher schon Wagner, RabelsZ 80 (2016), 718, 781; Rühl (Fn.  14), 89, 126; Rühl, Towards a German Supply Chain Act? Comments from a Choice of Law and a Comparative Perspective, in: European Yearbook of International Economic Law, 2020, 55, 76; Kieninger, Englisches Deliktsrecht, internationale Unternehmensverantwortung und deutsches Sorgfaltspflichtengesetz, RIW 2021, 331, 339. Vgl. ferner die Begründung zum Kommissionsvorschlag, 23. 19  Section 54(12) des UK Modern Slavery Act 2015 c.30 erstreckt die menschenrechtsbezogenen Offenlegungspflichten auf alle Unternehmen einer bestimmten Größe, die ihr Geschäft oder Teile ihres Geschäfts im Vereinigten Königreich ausüben. 20  Art.  4 Abs.  1 Satz 2 Wet van 24 oktober 2019 houdende de invoering van een zorgplicht

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Nur hinsichtlich der maßgeblichen Schwellenwerte differenziert der Richtlinienentwurf zwischen EU-Unternehmen und Unternehmen aus Drittländern. EU-Unternehmen fallen schon dann in den Anwendungsbereich, wenn sie entweder mehr als 500 Beschäftigte und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. EUR haben (Art.  2 Abs.  1 lit.  a CSDD-RL-E) oder wenn sie mehr als 250 Beschäftigte haben und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. EUR erwirtschaften, sofern mindestens 50% davon in einem unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten kritischen Sektor21 erwirtschaftet werden (Art.  2 Abs.  1 lit.  b CSDD-RL-E). Bei „Unternehmen aus Drittländern“ kommt es für die relevanten Schwellenwerte nur auf den in der Europäischen Union erwirtschafteten Nettoumsatz an. Auch dieser muss entweder mindestens 150 Mio. EUR (Art.  2 Abs.  2 lit.  a CSDD-RL-E) betragen oder mindestens 40 Mio. EUR, die zu mindestens 50% in kritischen Sektoren erwirtschaftet werden (Art.  2 Abs.  2 lit.  b CSDD-RL-E). Bemerkenswert ist dabei zweierlei: Zum einen knüpft der Richtliniengeber bei der Bildung der zwei Kategorien allein an das Gründungsrecht des Unternehmens an. Das kann dazu führen, dass die unionsbezogenen Schwellenwerte auch auf Unternehmen Anwendung finden, die in der EU ansässig sind, aber nach drittstaatlichem Recht organisiert sind (z. B. Gesellschaften US-amerikanischen Rechts mit Sitz in Deutschland 22) – mit Blick auf Umgehungsmöglichkeiten ein zweifelhafter Ansatz. Zum anderen beziehen sich zwar die Schwellenwerte für drittstaatliche Gesellschaften allein auf die Umsätze im Binnenmarkt. Den lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten wird jedoch das gesamte Geschäft eines vom Anwendungsbereich erfassten Drittstaatsunternehmens unterstellt. Damit werden potentiell auch diejenigen Geschäftsbereiche eines drittstaatlichen Konzerns erfasst, die nicht für den Binnenmarkt produzieren.23

ter voorkoming van de levering van goederen en diensten die met behulp van kinderarbeid tot stand zijn gekomen (Wet zorgplicht kinderarbeid), Staatsblad 2019 Nr.  401 vom 13.11.2019 erstreckt die Pflicht zur Abgabe einer Erklärung zur Kinderarbeit auf Gesellschaften mit Sitz außerhalb der Niederlande, die Dienstleistungen oder Waren an niederländische Endkunden verkaufen. 21  Dazu zählen die Herstellung von und der Großhandel mit Textilien, Leder und verwandten Erzeugnissen (lit.  i), Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Herstellung von Lebensmittelprodukten und der entsprechenden Großhandel (lit.  ii) sowie die Gewinnung von und der Großhandel mit mineralischen Ressourcen (lit.  iii). 22  Diese sind nach Art. XXV des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 unabhängig von ihrem Verwaltungssitz als Gesellschaften nach ihrem Gründungsrecht anzuerkennen. Vgl. dazu näher z. B. Großerichter/Zwirlein-Forschner, in: BeckOGK, IntGesR AT, Rn.  20 ff. 23  Insoweit kritisch auch Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 835, 836 f.

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2. Völkerrechtliche Zulässigkeit extraterritorial wirkender Regelungen Die unterschiedlichen Schwellenwerte werden damit begründet, dass bei Unternehmen aus Drittländern durch den in der EU erzielten Umsatz der völkerrechtlich nötige territoriale Bezug zur EU hergestellt werde.24 Daher sei ein kurzer Blick auf den völkerrechtlichen Rahmen geworfen, in den sich diese Begründung des extraterritorialen Regelungsanspruchs einfügt. Regelungen mit extraterritorialem Anwendungsbereich sind keine Spezialität der Vereinigten Staaten mehr, 25 sondern werden auch in der Europäischen Union 26 zunehmend für legitim erachtet, um Sachverhalte effektiv zu regeln,27 sei es im Datenschutzrecht, 28 im Bereich der Finanzmarktregulierung,29 oder nun im Bereich des Menschenrechts- und Umweltschutzes.30 Dennoch ist traditioneller Ausgangspunkt für die Ausübung staatlicher Regelungsmacht (jurisdiction to prescribe) noch immer das Territorialitätsprinzip.31 Dieses erfährt aber eine bedeutsame Weiterung durch das im Wettbewerbsrecht entwickelte Wirkungsprinzip (effects doctrine), wonach auch Inlandsauswirkungen externer Sachverhalte eine Regelung legitimieren können.32 Daran anknüpfend lässt sich die Erstreckung von Sorgfaltspflichten der EU-Lieferkettenregulierung auf Drittstaatsgesellschaften mit möglichen Effekten unterschiedlicher Nachhaltigkeitsstandards auf den Wettbewerb im Binnenmarkt begründen. Aus dem völkerrechtlichen Interventionsverbot wird ferner abgeleitet, dass der Auslandssachverhalt, den ein Staat seinem Recht unterwirft, einen „genuine link“ zu diesem Staat aufweisen muss.33 Im Rahmen des Wirkungsprinzips 24 

Kommissionsvorschlag, 19 f., 43 (Erwägungsgrund 24). Extraterritoriale Regelungen der USA wurden früher gerade in Europa heftig kritisiert, vgl. dazu Lehmann, New challenges of extraterritoriality: superposing laws, in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law: Contemporary Challenges and Continuing Relevance, 2019, 258, 260 m. w. N. Zur jüngeren Gegenbewegung in den USA aber Engel, in: Bender (Hrsg.), The Law between objectivity and power, 251, 263 ff. 26 Vgl. dazu Scott, The New EU Extraterritoriality, Common Market Law Review 51 (2014), 1343; Lehmann (Fn.  25), 258, 260 f. 27  Lehmann (Fn.  25), 258, 259 ff.; Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2.  Aufl. 2018, §  20 Rn.  38. 28 Vgl. mit Blick auf die DSGVO Uecker, Extraterritoriale Regelungshoheit im Datenschutzrecht, 2017. 29  Vgl. z. B. Scott, Common Market Law Review 51 (2014), 1343, 1357 ff. 30  Monnheimer, Due Diligence Obligations in International Human Rights Law, 2021, 258 ff.; Krisch (Fn.  1), 11, 34 f. 31  Für einen Überblick Krisch (Fn.  1), 11, 13; Herdegen, Völkerrecht, 21.  Aufl. 2022, §  26 Rn.  1 ff.; von Arnauld, Völkerrecht, 5.  Aufl. 2022, Rn.  349. 32  Vgl. dazu z. B. Herdegen (Fn.  31), §  26 Rn.  5 ff.; Buxbaum, Territoriality, Extraterritoriality, and the Resolution of Jurisdictional Conflict, American Journal of Comparative Law 57 (2009), 631, 638 f.; Scott, Common Market Law Review 51 (2014), 1343, 1356 ff. Zum Verhältnis von Territorialitäts- und Wirkungsprinzip Szigeti, The Illusion of Territorial Jurisdiction, Texas International Law Journal 52 (2017), 369. 33  American Law Institute, Restatement (Fourth) of the Foreign Relations Law of the United States, 2018, 187 ff.; Kempen/Hillgruber (Fn.  27), §  20 Rn.  37. 25 

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heißt dies, dass die Inlandsauswirkungen des Verhaltens direkt, vorhersehbar und spürbar sein müssen.34 Nun dürften die Kosten der nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten und die korrespondierenden Wettbewerbsvorteile für Unternehmen aus Drittstaaten, die diesen Pflichten nicht unterlägen, durchaus beachtlich sein. Daher wird die extraterritoriale Erstreckung der Nachhaltigkeitspflichten auf Drittstaatsgesellschaften überwiegend für völkerrechtlich zulässig erachtet.35 In Frage stellen kann man diesen Wirkungszusammenhang aber insoweit, als die Pflichten auf den gesamten Geschäftsbereich von Drittstaatsunternehmen erstreckt werden sollen und nicht etwa nur auf die Lieferkette von Produkten, die im Binnenmarkt vertrieben werden.36 Eine vertiefte völkerrechtliche Auseinandersetzung mit diesem Aspekt des Richtlinienvorschlages steht, soweit ersichtlich, noch aus. 3. Durchsetzung gegenüber Unternehmen aus Drittländern Während extraterritoriale Regelsetzung immer mehr zur Normalität wird, ist es noch weitgehend anerkannt, dass die Regeldurchsetzung (jurisdiction to enforce) mittels Ausübung staatlicher Gewalt nur im eigenen Territorium in Betracht kommt.37 a) Public enforcement: Aufsichtszuständigkeiten Entsprechend können auch die mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden ihre hoheit­liche Tätigkeit nicht in Drittstaaten ausüben.38 Daher verlangt Art.  16 Abs.  1 CSDD-RL-E von Unternehmen aus Drittländern die Benennung eines Bevollmächtigten in einem Mitgliedstaat, der die Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden übernehmen soll. Allerdings sieht die Richtlinie bislang keine besonderen Sanktionen für Drittstaatsunternehmen wie beispielsweise Importbeschränkungen vor. Mit der Veröffentlichung von Entscheidungen der Aufsichtsbehörden haben (sog. naming and shaming, Art.  20 Abs.  4 CSDD-RL-E) werden sich zumindest gewisse Wirkungen auf die Reputation von Drittstaatsunternehmen erzielen lassen. Ob aber Geldbußen gegen Unternehmen aus Drittstaaten tatsächlich effektiv vollstreckt werden können, wird vom Einzel34 

Herdegen (Fn.  31), §  26 Rn.  8. Blick auf den Richtlinienvorschlag Jung, GPR 2022, 109, 119; Renner, Menschenrechts- und umweltbezogene Unternehmensverantwortung zwischen Kapitalmarkt und Lieferkette, ZEuP 2022, 782, 817. 36  Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2022, 835, 836 f. 37  Vgl. nur von Arnauld (Fn.  31), Rn.  351; American Law Institute, Restatement (Fourth) on Foreign Relations, 2018, §  432 (b). Zu Durchbrechungen dieses Grundsatzes Lehmann (Fn.  25), 258, 268 f. 38  Siehe nur Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, 13 ff., 341 ff. 35  Mit

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fall abhängen – die Bestellung eines Bevollmächtigten allein wird dies jedenfalls nicht immer sicherstellen.39 b) Private enforcement: Fehlende Zuständigkeitsregeln Auch das private enforcement gegenüber Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten wird Schwierigkeiten aufwerfen. Der Richtlinienentwurf enthält nämlich keine besonderen Vorschriften zur gerichtlichen Zuständigkeit.40 Die Brüssel Ia-VO gewährt regelmäßig keinen Gerichtsstand in der EU, wenn drittstaatliche Unternehmen wegen einer Rechtsverletzung im Drittstaat verklagt werden sollen.41 Dies bedeutet zwar nicht unbedingt, dass eine Klage vor mitgliedstaatlichen Gerichten völlig ausgeschlossen ist: Art.  6 Brüssel Ia-VO erlaubt bei Klagen gegen Drittstaatsangehörige den Rückgriff auf das autonome Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten. Sofern Drittstaatsgesellschaften Vermögen oder eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat haben, wird sich oftmals darin ein Gerichtsstand finden lassen, wie beispielsweise der Vermögensgerichtsstand des §  23 ZPO. Einige Mitgliedsstaaten kennen auch ein sog. forum necessitatis, also einen Notgerichtsstand für den Fall, dass im Ausland aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen kein effektiver Rechtsschutz erlangt werden kann.42 Um eine einheitliche Regelung in allen Mitgliedstaaten zu erreichen, hat zuletzt die GEDIP die Ergänzung des Richtlinienentwurfs (bzw. langfristig der Brüssel Ia-VO) um ein solches forum necessitatis für Klagen gegen Drittstaatsgesellschaften vorgeschlagen.43 Allerdings ist auch dieser Ausnahmetatbestand an 39 

Vgl. auch Peter, NR 2022, 349, 354. GEDIP, Recommendation concerning the Proposal for a directive of 23 February 2022 on Corporate Sustainability Due Diligence vom 9.–11.9.2022, abrufbar unter https://gedipegpil.eu/wp-content/uploads/2022/07/Recommendation-GEDIP2022E.pdf (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 41  Eine Ausweitung des Zuständigkeitsregimes der Brüssel Ia-VO war im Rahmen der Reformdiskussion zwar erwogen worden, konnte sich aber letztlich nicht durchsetzen. Vgl. dazu Stadler/Klöpfer, Die Reform der EuGVVO, ZEuP 2015, 732, 747 ff. m. w. N.; ferner den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig, 14.12.2010. 42  So z. B. Österreich, die Niederlande und Belgien. Vgl. dazu im Überblick Nuyts, Study on Residual Jurisdiction, 3.9.2007, abrufbar unter https://gavclaw.files.wordpress.com/ 2020/05/arnaud-nuyts-study_residual_jurisdiction_en.pdf, 64  ff. (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). Näher zum niederländischen Recht Bens, ‘Netherlands’, in: Lutzi/Piovesani/ Zgrabljić Rotar (Hrsg.), Jurisdiction Over Non-EU Defendants, 2023, 195, 200 ff. Bei der Reform der Brüssel Ia-VO wurde ein solches forum necessitatis ebenfalls diskutiert, aber am Ende nicht eingeführt. Vgl. dazu Stadler/Klöpfer, ZEuP 2015, 732, 750 ff. 43  GEDIP, 9.–11.9.2022 (Fn.  40); vgl. auch schon GEDIP, Recommendation to the European Commission concerning the Private international law aspects of the future Instrument of the European Union on Corporate Due Diligence and Corporate Accountability vom 8.10.2021, abrufbar unter https://gedip-egpil.eu/wp-content/uploads/2021/02/Recommand ation-GEDIP-Recommendation-EGPIL-final-1.pdf (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 40 

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hohe Hürden hinsichtlich der fehlenden Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten im Drittstaat geknüpft44 und setzt regelmäßig eine gewisse Verbindung des Sachverhalts zu dem potentiellen Forumsstaat voraus.45 Es wird sich also oft, aber durchaus nicht immer ein Gerichtsstand in der EU begründen lassen.

IV. Extraterritorialer Anwendungsbereich und internationales Privatrecht Unabhängig von der Durchsetzungsfrage können privatrechtliche CSDD-Umsetzungsvorschriften nur dann Rechtswirkungen für Unternehmen aus Drittstaaten entfalten, wenn sie auch kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen werden. Für die zivilrechtliche Haftung von EU-Unternehmen wurde diese Frage schon ausführlich diskutiert.46 Mit Blick auf Drittstaatsgesellschaften stellt sich die Frage nach der kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit aber noch einmal in verschärfter Form. Es ergeben sich insbesondere zwei zusätzliche Probleme: Zunächst weisen Sachverhalte, bei denen eine Haftung von Drittstaatsunternehmen in Betracht kommt, typischerweise nur geringe Inlandsbezüge auf. Dies kann der Eingriffsnormlösung im Wege stehen (dazu 2.). Löst man den Blick von der zivilrechtlichen Haftung und lenkt ihn auf die übrigen Regelungsinhalte des Richtlinienentwurfs, so fällt zudem auf, dass gesellschaftsrechtliche Regelungen bei Drittstaatsgesellschaften anders als bei EU-Gesellschaften nicht ohne Weiteres zur Anwendung kommen werden (dazu 1.). 1. Kollisionsrechtliche Anwendbarkeit gesellschaftsrechtlicher Regelungsinhalte a) Qualifikation der Regelungsinhalte Entsprechend der eingangs skizzierten drei Wirkmechanismen des Richtlinienentwurfs unterfallen seine Regelungsinhalte teils dem Deliktsstatut und teils 44 

Näher zum niederländischen Recht Bens (Fn.  42), 195, 200 ff. zum mitgliedstaatlichen Recht Nuyts (Fn.  42), 65 f. Auch die Empfehlung der ­GEDIP verlangt einen “link” des Sachverhalts mit dem Forumstaat, vgl. GEDIP, 8.10.2021 (Fn.  43). 46  Vgl. neben Bauermeister, in diesem Band, S.  136 ff., aus der kaum noch überschaubaren Literatur z. B. Weller/Kaller/Schulz, Haftung deutscher Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland AcP 216 (2016), 387, 392 ff.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 739 ff.; Mansel, Internationales Privatrecht de lege lata wie de lege ferenda und Menschenrechtsverantwortlichkeit deutscher Unternehmen, ZGR 2018, 439, 452 ff.; Mittwoch, Die Notwendigkeit eines Lieferkettengesetzes aus der Sicht des Internationalen Privatrechts, RIW 2020, 397, 399 ff.; Rühl (Fn.  15), 89, 102; Habersack/Ehrl, Verantwortlichkeit inländischer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen durch ausländische Zulieferer – de lege lata und de lege ferenda, AcP 219 (2019), 155, 181 ff.; Wendelstein, „Menschenrechtliche“ Verhaltenspflichten im System des Internationalen Privatrechts, RabelsZ 83 (2019), 111; Blach, Globale Unternehmenshaftung im Lichte des IPR, in: Duden u. a. (Hrsg.), IPR für eine bessere Welt, 2022, 71 ff. 45 Vgl.

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dem Gesellschaftsstatut – sofern die Regelungen überhaupt dem Privatrecht zuzuordnen sind.47 Letzteres ist mit Blick auf lieferkettenspezifische Sorgfaltspflichten im Schrifttum umstritten.48 Das erstaunt nicht: Schließlich vermischt der CSDDRicht­ linienentwurf als regulatorische Querschnittsmaterie Instrumente des öffentlichen Rechts und des Privatrechts und stellt das auf Zivil- und Handelssachen limitierte IPR so vor eine Herausforderung.49 Viele Regelungen haben Doppelfunktionen und bilden einen Anknüpfungspunkt für sowohl öffentlich-rechtliche als auch zivilrechtliche Rechtsfolgen.50 Das praktikabelste Abgrenzungskriterium dürfte dennoch der jeweilige Rechtsdurchsetzungsmechanismus sein.51 Entsprechend ihrer rein aufsichtsrechtlichen Durchsetzung öffentlich-rechtlich einzuordnen ist danach z. B. die neue Pflicht der Unternehmen zur Eindämmung des Klimawandels, an deren Verletzung sich nach dem Richtlinienentwurf keine zivilrechtlichen Rechtsfolgen knüpfen.52 Bei solchen rein öffentlich-rechtlichen Regelungen ist – wie gerade erläutert – vor allem die faktische Durchsetzbarkeit gegenüber Drittstaatsunternehmen zweifelhaft. Die Außenhaftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihrer Lieferkette unterfällt dem Deliktsstatut.53 Hier stellen 47  Vgl. zum Verhältnis von IPR und Regulierung auch Lehmann, Regulation, global governance and private international law: squaring the triangle, JPIL 16 (2020), 1, 3 ff. 48  Zum LkSG für eine öffentlich-rechtliche Einordnung Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67, 108; Leuering, NZG 2021, 753; Schneider, Deliktische „Lieferkettenhaftung“ unter Geltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), ZIP 2022, 407, 411 f.; a. A. (Gesellschaftsstatut) Paefgen, Haftung für die Verletzung von Pflichten nach dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, ZIP 2021, 2006, 2015; vorsichtiger (Gesellschaftsstaut, soweit die Pflichten zivilrechtlich sind) Mansel/Kuhl, Delikts- und Gesellschaftsstatut: Qualifikation der Unternehmensverantwortlichkeit in Lieferketten und bei einer Klimahaftung, in: Grothe u. a. (Hrsg.), FS von Bar, 2022, 251, 267. 49 Vgl. Michaels, Towards a Private International Law for Regulatory Conflicts, Japanese Yearbook of International Law 59 (2016), 175, 177; Lehmann, JPIL 16 (2020), 1. 50 Vgl. Lehmann, JPIL 16 (2020), 1, 9 f. 51  So überzeugend Hellgardt (Fn.  10), 549 ff. 52  Burgi, ZHR 186 (2022), 779, 784. Gut denkbar ist aber, dass einzelne Mitgliedstaaten diese Pflicht zur Eindämmung des Klimawandels auch mit Hilfe gesellschaftsrechtlicher Regelungen umsetzen, und z. B. in die erlaubte Zweckrichtung der Gesellschaft und/oder die Pflichten der Geschäftsleitung eingreifen. In diese Richtung denkend z. B. Weller/Fischer, ZIP 2022, 2253, 2259. 53  Mansel/Kuhl (Fn.  48), 251, 265; Mansel, ZGR 2018, 439, 454; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 183 mit Fn.  116; Thomale/Hübner, Zivilgerichtliche Durchsetzung völkerrechtlicher Unternehmensverantwortung, JZ 2017, 385, 391. Siehe auch zum Entwurf für ein deutsches SorgfaltspflichtenG aus 2019, das eine zivilrechtliche Haftung vorsah: Weller/Nasse, ZGR Sonderheft 22 (2020), 107, 131; Mittwoch, RIW 2020, 397, 403. Zur französischen loi de vigilance: Nasse, Devoir de vigilance, ZEuP 2019, 774, 798. Anders sind jedenfalls die Pflichten nach dem LkSG zu beurteilen, da diese keine zivilrechtliche Außenhaftung der Unternehmen gegenüber den außenstehenden Geschädigten begründen sollen, vgl. nur Mansel/Kuhl (Fn.  48), 251, 267.

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sich bei Drittstaatsunternehmen im Ausgangspunkt die gleichen Probleme wie bei der Haftung von EU-Gesellschaften. Bei Rechtsverletzungen im Drittstaat kommt als Recht des Erfolgsorts gem. Art.  4 Abs.  1 Rom II-VO drittstaatliches Recht zur Anwendung.54 Eine unionsrechtliche Haftung für Verletzungen menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten käme danach grundsätzlich nicht zum Zuge. Dem begegnet der Richtlinienentwurf mit der in Art.  22 Abs.  5 CSDDRL-E verankerten Eingriffsnormlösung hinsichtlich der deliktischen Haftung.55 Schwieriger ist die Einordnung der zugrundeliegenden kardinalen Sorgfaltspflichten (Art.   7 und 8 CSDD-RL-E), deren Erfüllung parallel durch Aufsichtsbehörden überwacht wird. Es lässt sich in solchen Konstellationen – wie es sie auch bei der Prospekthaftung oder im internationalen Kartelldeliktsrecht gibt – insbesondere streiten, ob derartige doppelfunktionale Pflichten als ein Element des Haftungsgrundes nach Art.  15 lit.  a Rom II-VO dem Deliktsstatut zuzuordnen oder als Vorfrage selbständig anzuknüpfen sind.56 Mit Blick auf die Eingriffsnormlösung, die auch die kardinalen Sorgfaltspflichten umfassen dürfte, soll diese Frage hier aber einmal dahingestellt bleiben. Eine Vielzahl von Regelungen des Richtlinienentwurfs unterfällt aber auch dem Gesellschaftsstatut. Dieses umfasst alle Regelungen zu Binnenpflichten der Organe sowie zur Organhaftung gegenüber der Gesellschaft bei Verletzung solcher Pflichten.57 Dazu gehören im Richtlinienentwurf die Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten in der allgemeinen Sorgfaltspflicht der Geschäftsleitung (Art.  25 Abs.  1 CSDD-RL-E),58 deren Verantwortlichkeit für die Erfüllung der lieferkettendimensionalen Sorgfaltspflichten (Art.  26 CSDD-RL-E) 59 sowie die potentielle Innenhaftung der Geschäftsleitung im Falle der Verletzung dieser Pflichten. Gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren wäre auch die 54  Vgl. statt vieler Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 393; Mansel, ZGR 2018, 439, 454 f. Der Versuch von Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391 f.; und Weller/Thomale, Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen, ZGR 2017, 509, 524 f., die Ausweichklausel des Art.  4 Abs.  3 Rom II-VO zur Begründung eines Wahlrechts des Geschädigten zwischen Handlungs- und Erfolgsort heranzuzuziehen, hat sich nicht durchgesetzt, vgl. Mansel, ZGR 2018, 439, 455 ff.; Mittwoch, RIW 2020, 397, 400; Rühl (Fn.  15), 89, 102; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 184 ff.; Wendelstein, RabelsZ 83 (2019), 111, 141 ff. 55  Zu den Problemen dieser Lösung mit Blick auf Drittstaatensachverhalte näher unter 2. 56  Vgl. zum Parallelproblem bei der Prospekthaftung z. B. Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, 220 ff.; zum internationalen Kartellrecht z. B. Poelzig/Windorfer/ Bauermeister, in: BeckOGK, Art.  6 Rn.  30 ff. 57  Knöfel, in: NomosKommentar, 3.   Aufl. 2019, Art.  1 Rom II-VO, Rn.  47; Kindler, in: MünchKomm BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Band 13, 8.  Aufl. 2021, Rn.  633; Zwirlein-Forschner, in: BeckOGK BGB, Stand: 1.12.2021, IntGesR AT, Rn.  301; Halfmeier, in: Calliess/Renner (Hrsg.), Rome Regulations, 3.  Aufl. 2020, Art.  1 Rome II Rn.  50 f.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 397. 58  Vgl. Erwägungsgrund Nr.  63 des Kommissionsvorschlags. 59 So Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644, 650 (Sorgfaltspflicht im Innenverhältnis gem. §  92 Abs.  1 AktG, Haftung aus §  93 Abs.  2 AktG). Insoweit skeptisch Burchardi, NZG 2022, 1467, 1472.

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Vorgabe des Art.  15 Abs.  3 CSDD-RL-E, der bei variablen Vergütungsbestandteilen eine Berücksichtigung der Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels verlangt. 60 b) Versteckte Kollisionsnorm oder beschränkter Regelungsanspruch? Diese gesellschaftsrechtlichen Regelungen fänden zwar ohne Weiteres Anwendung auf EU-Gesellschaften, nicht aber auf Drittstaatsgesellschaften im Sinne des Richtlinienentwurfs. Art.  2 Abs.  2 CSDD-RL-E bezieht sich insoweit auf Gesellschaften, die nach den Vorschriften eines Drittstaats gegründet wurden. Nach der Gründungstheorie wäre als Gesellschaftsstatut dann drittstaatliches Recht berufen. 61 Aber auch aus der Sicht eines Mitgliedstaats, der im Verhältnis zu Drittstaaten noch – wie Deutschland62 – der Sitztheorie folgt, käme man meist zum Recht eines Drittstaates, da die meisten dieser Unternehmen nicht in der EU ansässig sein werden. Auch die Eingriffsnormlösung (Art.  22 Abs.  5 CSDD-RL-E) 63 hilft hier nicht weiter, denn sie soll explizit nur für die deliktische Haftung gelten. Dieses kollisionsrechtliche Ergebnis steht in einem gewissen Spannungsverhältnis dazu, dass der Richtlinienvorschlag seinem Wortlaut nach Drittstaatsunternehmen umfassend in seinen Anwendungsbereich einbezieht. Man könnte daher daran denken, in die Definition des Anwendungsbereichs (Art.  2 Abs.  1 und 2 CSDD-RL-E) eine versteckte einseitige Kollisionsnorm hineinzulesen, die eine gesonderte Anknüpfung der neuen Nachhaltigkeitspflichten vorgäbe und so die Anwendbarkeit der privatrechtlichen Regelungsinhalte umfassend sichern würde. 64 Ein ähnliches Ergebnis würde man erreichen, wenn man – wie es die GEDIP vorgeschlagen hat – die Eingriffsnormlösung auf alle Regelungen der Richtlinie ausdehnen würde. 65 Diese Wege zur Sicherung der umfassenden kollisionsrechtlichen Anwendbarkeit der Richtlinienvorgaben dürften aber gerade mit Blick auf Drittstaatsgesellschaften nicht dem Willen des Unionsgesetzgebers entsprechen. In der Begründung heißt es nämlich hinsichtlich der Geschäftsleitungspflichten:

60  König, Die geplante EU-Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen, NZG 2022, 1186, 1191. 61  Das dürfte unabhängig von der konkreten Variante der Gründungstheorie gelten, vgl. zu den unterschiedlichen Ausprägungen z. B. Zwirlein-Forschner, in: BeckOGK BGB, Stand: 1.12.2021, IntGesR AT, Rn.  49 ff. 62  Vgl. statt vieler Zwirlein-Forschner, in: BeckOGK BGB, Stand: 1.12.2021, IntGesR AT, Rn.  105. 63  Dazu näher sogleich unter 3. 64  So z. B. der Vorschlag von Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2015 zu §  1 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 LkSG. 65 Vgl. GEDIP, 9.–11.9.2022 (Fn.  40).

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„Die Harmonisierung der Pflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung ist auf EU-Unternehmen beschränkt, sodass Unternehmen aus Drittländern weniger strengen Verpflichtungen unterliegen werden.“66

Man kann also davon ausgehen, dass die Kommission die kollisionsrechtliche Problematik bei der Anwendung gesellschaftsrechtlicher Regelungsinhalte auf Drittstaatsgesellschaften durchaus gesehen hat und auf den Eingriff in ein drittstaatliches Gesellschaftsstatut bewusst verzichtet. Dafür spricht auch, dass der Richtlinienentwurf keine Regelungen darüber enthält, welche mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften eigentlich auf drittstaatliche Unternehmen zur Anwendung kommen sollen. 67 Diese Zurückhaltung ist auch zu begrüßen. Während sich die Ausdehnung der zivilrechtlichen Haftung noch sehr direkt mit dem Ziel des Schutzes international akzeptierter Menschenrechte rechtfertigen lässt, adressieren die gesellschaftsrechtlichen Regelungen das „Wie“ der Umsetzung und greifen in die Binnenordnung der Gesellschaften ein. Ein solcher Eingriff in drittstaatliches Gesellschaftsrecht ginge auch unter Berücksichtigung der hochrangigen Schutzgüter zu weit. Auch in der allgemeinen politischen Diskussion sind die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben zu persönlichen Pflichten, Haftung und Vergütung der Geschäftsleitung im Gesetzgebungsverfahren auf einigen Widerstand aus den Mitgliedsstaaten gestoßen. Nach gegenwärtigem Verhandlungsstand wurden die entsprechenden Vorschriften daher auch für EU-Unternehmen gestrichen. 68 Ob und welche gesellschaftsrechtlichen CSDD-Umsetzungsvorschriften also tatsächlich einmal Gesetz werden, ist derzeit unklar. Relativ klar dürfte aber sein, dass sie für Drittstaatsgesellschaften jedenfalls nicht gelten werden. 2. Eingriffsnormlösung und drittstaatliche Gesellschaften Umso relevanter ist danach die Frage, ob die für die zivilrechtliche Außenhaftung vorgesehene Eingriffsnormlösung (Art.  22 Abs.  5 CSDD-RL-E) 69 gegenüber Drittstaatsgesellschaften greift. Denn die Heranziehung einer Eingriffsnorm im Sinne des Art.   16 Rom II-VO setzt nach ganz überwiegender

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Kommissionsvorschlag, 20. Rui Dias, CSDD and PIL: Some Remarks on the Directive Proposal, abrufbar unter https://conflictoflaws.net/2022/csdd-and-pil-some-remarks-on-the-directive-proposal (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). Nur für die nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichteten Unternehmen bestimmt der Vorschlag, dass „der Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, für die Regelung der unter diese Richtlinie fallenden Angelegenheiten zuständig ist“ (Art.  2 Abs.  4 CSDD-RL-E). 68  Rat der Europäischen Union vom 30.11.2022, 15024/1/22. 69  Dafür schon vor Veröffentlichung des Entwurfs Rühl (Fn.  15), 89, 123; Mansel, ZGR 2018, 439, 472 ff. 67 

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Auffassung einen engen Inlandsbezug des Sachverhalts zum Territorium des Normgebers voraus.70 Dies wird man bei der Haftung von EU-Gesellschaften noch annehmen können.71 Schwieriger wird es, wenn es um die Haftung von Drittstaatsgesellschaften geht. Das Problem zeigt sich plastisch im eingangs geschilderten Beispielsfall einer Menschenrechtsverletzung in einer kongolesischen Mine: Die einzigen Inlandsbezüge des Falls sind die Umsätze des chinesischen Mutterkonzerns im Binnenmarkt, wobei es sich dabei nicht einmal um den im Kongo abgebauten Kobalt handeln muss. Alle Parteien, die unternehmerischen Entscheidungen und ihre Umsetzung, sowie die Rechtsgutsverletzungen und die Schäden sind demgegenüber in Drittstaaten zu lokalisieren. Wie der für die Anwendung einer Eingriffsnorm erforderliche enge Inlandsbezug genau auszusehen hat, hängt nach der bislang überwiegenden Auffassung von der Zwecksetzung der konkreten Eingriffsnorm ab.72 So wird im Kartellrecht eine Auswirkung des wettbewerbsschädlichen Verhaltens auf den inländischen Markt verlangt.73 Allerdings schützen diese Normen gerade das Funktionieren des Marktes. Demgegenüber zielen die Regelungen des Richtlinienentwurfs zur Außenhaftung primär auf den Schutz von Rechtsgütern in den Produktionsstaaten, so dass man wohl eher einen Bezug des Geschädigten zum Gebiet der Mitgliedstaaten verlangen müsste. Eine Anwendung der CSDD-Umsetzungsvorschriften als Eingriffsnormen in Drittstaatssachverhalten würde somit das bislang vergleichsweise streng gehandhabte Kriterium des Inlandsbezugs aufweichen. 70  So die überwiegende Literatur, vgl. Mansel, ZGR 2018, 439, 471; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 746; Junker, in: MünchKomm BGB, Band 13, 8.  Aufl. 2021, Art.  16 Rom II-VO, Rn.  20; Jakob/Picht, in: Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4.  Aufl. 2016, Art.  16 Rom II-VO, Rn.  7. Zu Art.  9 Rom I-VO ebenso Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, 2012, 27 f.; Magnus, in: Staudinger, 2021, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  82 ff.; Staudinger, in: Ferrari (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, 3.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  11; Thorn, in: Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4.  Aufl. 2016, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  15; Martiny, in: MünchKomm BGB, Band 13, 8.  Aufl. 2021, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  124 ff.; Spickhoff, in: BeckOK BGB, Stand: 1.5.2022, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  16. Zum autonomen deutschen Kollisionsrecht von Hein, in: MünchKomm BGB, Band 12, 8.  Aufl. 2020, Art.  6 Rn.  92. A. A. Maultzsch, in: BeckOGK, Stand: 1.12.2022, Art.  16 Rom II-VO, Rn.  31; Art.  9 Rom I-VO, Rn.  85 f. 71  Mit diesem Schluss Mansel, ZGR 2018, 439, 471 f.; zur französischen loi de vigilance Nasse, ZEuP 2019, 774, 800. A. A. Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 746; skeptisch auch Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 157, 187. 72  Magnus, in: Staudinger (Fn.   70), Art.   9 Rom I-VO, Rn.   85; Spickhoff, in: BeckOK (Fn.  70), Art.  9 Rom I-VO, Rn.  17. 73  Vgl. dazu Martiny, in: MünchKomm (Fn.  69), Art.  9 Rom I-VO, Rn.  133 m. w. N.; Spickhoff, in: BeckOK (Fn.  70), Art.  9 Rom I-VO, Rn.  17; Magnus, in: Staudinger (Fn.  70), Art.  9 Rom I-VO, Rn.  85. Näher zur Bedeutung der Eingriffsnormlösung auch nach Schaffung des Art.  6 Rom II-VO Wurmnest, in: MünchKomm BGB, Band 12, 8.  Aufl. 2021, Art.  6 Rom IIVO Rn.  248 f.

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Das kann man kritisieren, und zwar nicht nur weil Eingriffsnormen einen methodischen Fremdkörper im IPR bilden.74 Der Zuwachs an extraterritorialen Regelungen setzt Regelungssubjekte zunehmend multiplen regulatorischen Anforderungen aus. So müsste der chinesische Konzern neben seinen heimischen Vorgaben nach den Vorstellungen des Unionsgesetzgebers zusätzlich noch europäische, vielleicht irgendwann auch US-amerikanische Nachhaltigkeitsvorgaben erfüllen. Aus der Vervielfachung von einander überlappenden Eingriffsnormen können Konfliktlagen entstehen, die zum Marktrückzug, also zu Desintegration und Deglobalisierung führen.75 Auf der anderen Seite dienen die Regelungen der CSDD nicht eigennützigen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, sondern gerade der praktischen Durchsetzung universeller Menschenrechte. Jayme und Mansel vertreten insoweit mit Recht, dass sich beim Inlandsbezug Abstriche machen lassen, wenn die Eingriffsnorm der Durchsetzung international akzeptierter Standards dient.76 Schon dies spricht für eine großzügigere Auslegung des Kriteriums. Wie wir gesehen haben, bestimmt zudem das Völkerrecht die Zulässigkeit einer extraterritorialen Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Regulierung anhand des offeneren Kriteriums des „genuine link“. Auch wenn der Inlandsbezug stärker auf den einzelnen Sachverhalt blickt, dienen beide Kriterien einem ähnlichen Zweck. Die Dogmatik der Eingriffsnormen bildet schließlich das kollisionsrechtliche Einfallstor für Normen mit regulatorischer Zwecksetzung.77 Die strikte Handhabung des Kriteriums des Inlandsbezugs würde also mitunter dazu führen, dass völkerrechtlich legitime extraterritoriale Regulierung auf kollisionsrechtlicher Ebene ins Leere läuft. Dies ließe sich durch eine Orientierung am „genuine link“-Erfordernis vermeiden. Im Ergebnis würde man auch kollisionsrechtlich nicht allein auf den Schutzzweck der Eingriffsnorm abstellen, sondern jeden vernünftigen Bezug zum regelsetzenden Staat ausreichen lassen. Das „genuine link“-Erfordernis müsste dabei freilich ernst genommen werden.78 So kann man bei der europäischen Lieferkettengesetzgebung insbesondere bezweifeln, ob die Erfassung des gesamten Geschäftsbereichs von Drittstaatsunternehmen unabhängig vom Vertrieb der konkreten Produkte in der EU wirklich gerechtfertigt ist. Der Vertrieb der konkreten Produkte in der EU würde aber die Heranziehung des zivilrechtlichen Haftungstatbestands bei Verletzung von CSDD-Pflichten als Eingriffsnorm rechtfertigen. 74 Vgl. allgemein zum methodischen Ausnahmecharakter der Eingriffsnormen z.  B. Maultzsch, in: BeckOGK, Stand: 1.12.2022, Art.  9 Rom I-VO Rn.  2 ff. Pointierte Kritik mit Blick auf den Eingriffsnormcharakter der Lieferkettenregulierung z. B. bei Blach (Fn.  46), 71, 77 ff.; Bauermeister, in diesem Band, S.  136, 144  ff. 75  Lehmann (Fn.  25), 258 ff. 76  Mansel, ZGR 2018, 439, 472; zum ordre public auch Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im internationalen Privatrecht, 1989, 44 ff. 77  Siehe auch Lehmann (Fn.  25), 258, 275 f. 78  Dafür spricht sich auch Lehmann (Fn.  25), 258, 283 aus.

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V. Zusammenfassung in Thesen 1. Um Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen aufgrund menschenrechts- und nachhaltigkeitsbezogener Sorgfaltspflichten zu vermeiden, definiert der CSDD-Richtlinienentwurf seinen Anwendungsbereich marktorientiert und will auch solche Unternehmen aus Drittländern erfassen, die in gewissem Umfang im Binnenmarkt wirtschaftlich tätig sind. Damit erfasst der Unionsgesetzgeber Drittstaatensachverhalte, deren einzige Verbindung zum Territorium der Mitgliedstaaten in bestimmten Umsätzen im Binnenmarkt liegt. 2. Völkerrechtlich lässt sich die mit dem Richtlinienvorschlag angestrebte ex­ traterritoriale Regelsetzung nach wohl überwiegender Auffassung recht­ fertigen. Der erforderliche „genuine link“ zum Territorium der Mitgliedsstaaten wird dabei in den Auswirkungen unterschiedlich strenger Anforderungen an Menschenrechts- und Umweltschutz auf den Wettbewerb im Binnenmarkt gesehen. Das public enforcement durch die mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden wird jedoch an faktische Grenzen stoßen. 3. Der Unionsgesetzgeber bezweckt offenbar keinen Eingriff in ein drittstaatliches Gesellschaftsstatut und nimmt insoweit den Regelungsanspruch der Richtlinienvorgaben gegen Drittstaatsunternehmen im Detail zurück. 4. Ob die zivilrechtliche Haftung effektiv durchgesetzt werden kann, wird von einer großzügigen Auslegung von Gerichtsständen und des Kriteriums des Inlandsbezugs bei der Eingriffsnormlösung abhängen. Da Eingriffsnormen das privatrechtliche Einfallstor für (mitunter legitime) extraterritoriale Regelungen sind, erscheint eine solche großzügigere Auslegung parallel zum völkerrechtlichen Erfordernis eines „genuine link“ durchaus erwägenswert. 5. Von der direkten und umfassenden Einbeziehung von Drittstaatsunternehmen in den Anwendungsbereich der Richtlinienentwurfs bleibt im Ergebnis nicht allzu viel übrig. Das ist zum Teil aber durchaus gewollt und im Sinne des Respekts für das Fremde auch wünschenswert. Effekte auf drittstaatliche Unternehmen wird die CSDD dennoch entfalten, nämlich auf indirektem Weg über die Sorgfaltspflichten der EU-Unternehmen, die sich auf die gesamte Wertschöpfungskette und damit auch auf Muttergesellschaften, Tochterunternehmen und Zulieferer in Drittstaaten beziehen.

(Miss-)Achtung des Fremden? – Extraterritoriale Drittstaatenregelungen, EU-Blocking-Statuten und deren Auswirkungen im Privatrecht Lena Hornkohl1 This paper assesses extraterritorial third-country regulations, EU blocking statutes, and their effects in EU international private law, especially against the background of the significance of current state sanctions. In particular, the general EU Blocking Regulation, its scope, limits and usability in and for private law relationships in the context of the Bank Melli Iran judgment of the European Court of Justice will be elaborated. The chapter critically examines the case law of the ECJ and shows above all that extraterritorial regulations and blocking statutes that contradict them primarily serve (foreign) political purposes but heavily influence private law relationships to the detriment of private parties. „Blocking statutes […] sind Maßnahmen ökonomischer Kriegsführung, die sich zunächst ohne Rücksicht auf die Interessen betroffener Privater gegen den Erlassstaat der „blockierten“ Normen richtet.“ – Mankowski, IPRax 2016, 483 (489)

I. Einleitung Das Phänomen der Extraterritorialität von privatrechtlichen Regeln ist zu einem wichtigen Forschungsthema im zeitgenössischen IPR geworden.2 Unter Extraterritorialität wird in der Regel die Geltendmachung von Befugnissen, insbesondere die Anwendung des nationalen Rechts und die Ausübung nationaler Gerichtsbarkeit, auf ausländisches oder nicht vollständig innerhalb des regulierenden Staates liegen Verhaltens verstanden.3 Der Anwendungsbereich, 1  Für hilfreiche Anmerkungen danke ich den Teilnehmer:innen der 4. IPR-Nachwuchs­ tagung. Ich danke Jasmin Wittmann für die redaktionelle Unterstützung. Der Beitrag wurde im März 2023 fertiggestellt, nachfolgende Rechtsentwicklungen mussten unberücksichtigt bleiben. 2  Buxbaum/Fleury Graff (Hrsg.), Extraterritoriality / L’extraterritorialité, 2022, passim; Hornkohl, The Extraterritorial Application of Statutes and Regulations in EU Law, MPILux Working Paper 2022, 1, passim. 3  Svantesson, The Extraterritoriality of EU Data Privacy Law – Its Theoretical Justifica-

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die Grenzen und die Unterschiede von Extraterritorialität in den verschiedenen Rechtsordnungen bedürfen der rechtlichen Klärung. Vor dem Hintergrund des Generalthemas der 4. IPR-Nachwuchstagung – Die Achtung des Fremden – kann Extraterritorialität besonders zu rechtlichen Herausforderungen führen. Extraterritoriale Rechtsanwendung erfolgt in der Regel ohne oder gegen die Zustimmung des betroffenen Drittstaates oder der Drittstaatenangehörigen. Extraterritoriale Regeln weiten den Anwendungsbereich der jeweiligen Rechtsordnung erheblich über das Territorium aus, ohne dass eine Achtung des Fremden und der fremden Rechtsordnung notwendigerweise garantiert wird. Vor allem die Europäische Union versucht deshalb, extraterritoriale Praktiken von Drittstaaten und somit den Einflussbereich fremden Rechts auf EUBür­ger mit sogenannten Blocking-Statuten zu begrenzen.4 Diese Blocking-Statuten verbieten Privaten, die Verbote oder Beschränkungen extraterritorialer Regelungen von Drittstaaten zu befolgen.5 Das Unionsrecht beinhaltet einige Blocking-Statuten. Im Datenschutzrecht begrenzt Art.  48 DSGVO6 beispielsweise die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer aufgrund extraterritorialer Regelungen dieser Drittstaaten.7 Dies kann vor allem im Zuge von zivilrechtlichen (Pre-trial-)Discovery-Verfahren relevant werden, wenn es um die Herausgabe von personenbezogenen Daten über Personen, deren Daten auf in Europa befindlichen Rechnern gespeichert sind, geht. 8 Vor allem aber hat die sogenannte Blocking-VO9, die hier im Vordergrund der Besprechung steht, jüngst durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Bank Melli Iran10 eine gewisse Berühmtheit erlangt. Dietion and Its Practical Effect on US Businesses, Stanford Journal of International Law 50 (2014), 53, 61. 4  Zu den Abwehrgesetzen anderer Staaten siehe unten bei II.1.b. 5 Grundlegend: Basedow, The Law of Open Societies: Private Ordering and Public Regulation in the Conflict of Laws, 2015, 388 ff. 6 Verordnung (EU) Nr.   2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG, ABl. L. 2016/119, 1 (DSGVO). 7  Swire, When Does GDPR Act as a Blocking-Statute: The Relevance of a Lawful Basis for Transfer, Georgia Tech Scheller College of Business Research Paper No.  3473187, 2019. 8  Metz/Spittka, Datenweitergabe im transatlantischen Rechtsraum – Konflikt oder Konsistenz?, ZD 2017, 361 ff. 9  Verordnung (EG) Nr.  2 271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. L. 1996/309, 1 (Blocking-VO). 10  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH; Schwendinger/Rehle, Blocking-VO: Kündigung aufgrund drohender US-Sekundärsanktionen ohne Nennung von Gründen gegenüber US-gelisteten Unternehmen, EuZW 2022, 227, 233 ff.; Schwendinger/Rehle, Die EU-Blocking-Verordnung zur Abwehr extraterritorialer US-Sanktionen – zugleich Besprechung des Urteils EuGH, 21.12.2021, in der Rechtssache C-124/20, RdTW 2022, 382 ff.; Wülfing/Rahimi Moghaddam/Ghassemi/Dobert,

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sem Vorabentscheidungsurteil lag ein Streit zwischen der Deutschen Telekom und der deutschen Tochterfirma der Bank Melli Iran zugrunde.11 Die Deutsche Telekom hatte ohne Genehmigung der Kommission nach Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO, Verträge über Telekommunikationsdienste mit der Bank Melli Iran gekündigt, nachdem letztere von den USA auf eine sogenannte „Specially Designated Nationals“ (SDN) Liste gesetzt wurde und Geschäfte mit ihr extraterritorialen US-Sekundärsanktionen unterfielen. Die Blocking-VO untersagt den EU-Bürgern und EU-Unternehmen bestimmte US-amerikanische Embargos und die darin enthaltenen Sekundärsanktionen zu befolgen, beispielsweise durch Vertragskündigungen mit iranischen Unternehmen.12 Besonders EU-Unternehmen mit großem US-Geschäft geraten so in eine scheinbar ausweglose Situation: entweder sie riskieren US-Sanktionen oder sie verstoßen gegen die Blocking-VO. Die Rechtsprechung in Bank Melli Iran hat zwar bereits einige wichtige Fragen in Bezug auf EU-Blocking-Statuten beantwortet. Der vorliegende Beitrag setzt sich umfassend mit extraterritorialen Drittstaatenregelungen, EU-Blocking-Statuten und deren Auswirkungen im (internationalen) Privatrecht auseinander, gerade auch vor dem Hintergrund der Bedeutung von aktuellen extraterritorialen staatlichen Sanktionen. Dabei sollen vor allem die Blocking-VO, ihr Anwendungsbereich, Grenzen und Stellung im und für Privatrechtsverhältnisse herausgearbeitet werden. Der Beitrag eruiert die Rechtsprechung des EuGHs kritisch und zeigt vor allem, dass extraterritoriale Regelungen und diesen entgegenstehenden Blocking-Statuten primär (außen-)politischen Zwecken dienen, die auf dem Rücken von Privatpersonen ausgetragen werden.

Art.  5 Abs.  1 der Blocking-Verordnung als Verbotsnorm nach §  134 BGB, IWRZ 2022, 116 ff.; Lieberknecht, Transatlantisches Tauziehen – Das Verbot der Befolgung von US- Wirtschaftssanktionen unter der Blocking-VO und seine Auswirkungen auf Vertragskündigungen (zu EuGH, 21.12.2021 – Rs. C-124/20 – Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, unten S.  291, Nr.  19), IPRax 2022, 260 ff.; Schöffski, Urteil des EuGH in der Rechtssache „Bank Melli Iran“– endlich mehr Klarheit bei der Anwendung der EU-Blocking-Verordnung im Umgang mit extraterritorialen Sanktionen?, CCZ 2022, 74 ff. 11  Ausführlich zum Sachverhalt: EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  16 ff. 12  Art.  5 Blocking-VO.

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II. Im Fokus: Die Blocking-VO und US-amerikanische Sekundärsanktionen 1. Kontext a) Hintergrund: US-amerikanische Sekundärsanktionen Die Blocking-VO wurde 1996 von der EU als Reaktion auf die extraterrito­ riale13 Anwendung der US-Embargos gegen Kuba, Iran und Libyen erlassen,14 den Helms-Burton Act15 (eigentlich: Cuban Liberty and Democractic Solidarity [Libertad] Act) und den D’Amato-Kennedy Act16 .17 Die EU sah die darin ­enthaltenen sogenannten Sekundärsanktionen der USA als völkerrechtswidrig18 an. Wirtschaftssanktionen19 sind Mittel der Außenpolitik zur Reaktion auf po­ litische Herausforderungen und Entwicklungen, die einen Anreiz zu einer ­bestimmten politisch motivierten Verhaltensänderung intendieren und in der Regel Straf- und Abschreckungsmaßnahmen gegen ein anderes Land, eine Organisation oder eine Person, zum Beispiel Reiseverbote, Einfrieren von Vermögenswerten, Kapitalverkehrs- oder Handelsbeschränkungen beinhalten.20 Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Primär- und Sekundärsanktionen.21 Außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika handelt es sich bei allen ver13 Dazu: Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, NJOZ 2015, 993 ff. 14  Umfassend zum historischen Kontext der Blocking-VO: EuGH, Schlussanträge Generalanwalt Hogan, v. 12.5.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  19 ff. 15  Cuban Liberty and Democratic Solidarity (Libertad) Act. 22 U.S.C. §§ 6021 ff. (1996). 16  Iran and Libya Sanctions Act. 50 U.S.C. §  1701 ff. (1996). 17  Lesguillons, Helms-Burton und D’Amato Acts: Reactions of the European Union, I.B.L.J. 1997, 9 ff.; Smis/van der Borght, The EU-U.S. Compromise on the Helms-Burton and D’Amato Acts, AJIL 93 (1999), 227 ff.; Lowe, Helms-Burton and EC Regulation 2271/96, C.L.J. 56 (1997), 248 ff. 18  Gebauer, Kollisionsrechtliche Auswirkungen der US-amerikanischen Helms-BurtonGesetz­gebung, IPRax 1998, 145, 150 ff.; Karpenstein/Sangi, Iran-Sanktionen am Scheideweg: Die EU-Blocking-Verordnung und INSTEX, EuZW 2019, 309, 310 ff.; Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, NJOZ 2015, 993, 994; Meng, Wirtschaftssanktionen und staatliche Jurisdiktion – Grauzonen im Völkerrecht, ZaöRV 1997, 269, 290; Sandrock, Völkerrechtliche Grenzen staatlicher Gesetzgebung, ZVglR­Wiss 115 (2016), 1, 79; Meng, Extrater­ ritoriale Jurisdiktion in der US-amerikanischen Sanktionsgesetzgebung, EuZW 1997, 423 ff.; Hafner, Völkerrechtliche Grenzen und Wirksamkeit von Sanktionen gegen Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 2016, 391, 396; Zeleny, Zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die EU, ZÖR 52 (1997), 197 ff. 19  Im Europarecht zumeist als restriktive Maßnahme bezeichnet, siehe Art.  215 Abs.  2 S.  1 AEUV. 20  Statt aller: Johnson, INSTEX als rechtskonformer Bypass aus dem geopolitischen Minenfeld zwischen den US-Iran-Sanktionen und EU-Blocking-Verordnung?, CCZ 2020, 16 ff. 21  Zur Unterscheidung statt aller: Sattler, Einführung in das Sanktionsrecht, Jus 2019, 18 ff.

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hängten Sanktionen in der Regel um Primärsanktionen. Primärsanktionen gelten nur für Personen und Unternehmen innerhalb der Hoheitsgewalt und Gerichtsbarkeit des sanktionierenden Landes, die mit den sanktionierten Ländern Handel treiben oder dort Investitionen tätigen.22 Ein aktuelles Beispiel sind die Sanktionen der EU als Reaktion auf die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine.23 Im Gegensatz dazu gelten Sekundärsanktionen der USA gegenüber Personen und Tätigkeiten, die nicht der Hoheitsgewalt und Gerichtsbarkeit der USA unterliegen, und richten sich damit vor allem gegen das Verhalten von Ausländern im Ausland.24 Sie sollen ausländische Personen davon abhalten, bestimmte Geschäfte mit Personen zu tätigen, die von den US-Sanktionsbehörden als so­ genannte SDNs eingestuft wurden. Somit können primäre Sanktionen nicht durch Handel mit Drittstaaten umgangen werden.25 Für privatrechtliche Rechtsverhältnisse können hauptsächlich Beschränkungen in Form von Verboten direkt relevant werden. Diese müssen im Umgang mit bestimmten Parteien (d. h. Personen oder Organisationen) oder bei bestimmten Arten von Transaktionen (z. B. Ausfuhren, Einfuhren oder Investitionen bestimmter Art) von Personen außerhalb der Hoheitsgewalt und Gerichtsbarkeit der USA beachtet werden. Eine Missachtung dieser Verbote zieht hohe Strafen, Einreiseverbote oder Beschränkungen des Zugangs zum US-Markt, insbesondere auch dem US-Finanzsystem, nach sich, sodass Transaktionen nicht mehr in US-Dollar abgewickelt werden können.26

22 Statt aller: Haellmigk, Das aktuelle US-Iran-Embargo und seine Bedeutung für die deutsche Exportwirtschaft: Das US-Sanktionsregime der Primary und Secondary Sanctions, CCZ 2018, 33, 35 f. 23  Zum Beispiel: Verordnung (EU) Nr.  269/2014 des Rates vom 17.3.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, ABl. L. 2014/ 78, 6, Verordnung (EU) Nr.  833/2014 des Rates vom 31.7.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl. L. 2014/ 229, 1; Überblick bei Europäischer Rat, Restriktive Maßnahmen der EU gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine (seit 2014), abrufbar unter https://wwwconsilium.europa.eu/de/ policies/sanctions/restrictive-measures-against-russia-over-ukraine/ (zuletzt abgerufen am 2.10.2023); dazu Schwendinger/Trennt, Die Russland-Embargo-Verordnung: Wirtschaftssanktionen der EU in der Ukraine-Krise, EuZW 2015, 93 ff.; Schwendinger/Göcke, Die Russland-Sanktionen der EU, EuZW 2022, 499 ff. 24 Zum Konzept und Inhalt von Sekundärsanktionen ausführlich: Haellmigk, 33, 36 f.; Haellmigk, Das Konzept der US-Re-Exportkontrolle – Eine systematische Erläuterung im Lichte des aktuellen US-Iran-Embargos, CCZ 2019, 135, 138. 25 Dazu: Haellmigk, Die US-Sanktionslisten und ihre Bedeutung für europäische Unternehmen – Eine systematische Darstellung zu ihrem Inhalt, Umfang und ihrer Reichweite, CCZ 2020, 147, 152. 26  Haellmigk, CCZ 2018, 33, 36 f.

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b) Gegenmaßnahmen, Kompromiss und Wiederbelebung Blocking-Statuten stellen die ebenfalls außenpolitische Gegenmaßnahme27 eines Staates dar, deren Staatsangehörige bzw. dort ansässige Personen und Unternehmen gegebenenfalls von den Sekundärsanktionen betroffen sein können.28 Die 1996 als Reaktion auf die genannten US-amerikanischen Akte erlassene Blocking-VO beinhaltet solche Gegenmaßnahmen.29 Weitere wichtige Handelspartner der USA reagierten mit ähnlichen Blocking-Statuten, zum Beispiel Kanada 30 und Mexiko31. Im April 1997 konnte der Konflikt jedoch vorläufig durch Einigung zwischen den USA und der EU beendet werden.32 Zwischenzeitlich hatte jeder Präsident eine Ausnahmeregelung für EU Personen erlassen und einige Bestimmungen, die im Annex der Blocking Verordnung aufgeführt sind und den Anwendungsbereich der Verordnung bestimmen, sind inzwischen von den USA aufgehoben geworden 33. Konsequenterweise befand sich die Blocking-VO seitdem in einem Dornröschenschlaf. Sie wurde nicht aufgehoben, aber kam kaum 34 zur Anwendung. Dies änderte sich im Jahr 2018, als die USA ihren Rückzug35 aus dem im Jahr 2015 geschlossenen sogenannten „Atomabkommen mit Iran“36 (JCPOA) und der (Wieder-)Einführung des Sanktionsregimes37 gegen den Iran erklärte. Im 27  Zu dem Begriff: Schnyder, „Gegenmaßnahmen“ im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, BerDtGesVR 37 (1998), 73, 95 ff.; Kayser, Gegenmaßnahmen im Außenwirtschaftsrecht und das System des europäischen Kollisionsrechts, 2001, 120  ff.; Lowe, Helms-Burton and EC Regulation 2271—96, Cambridge L.J. 1997, 248 ff.; Reinisch, Blockiermaßnahmen der EU gegen extraterritoriale Rechtsakte, ecolex 1997, 900 ff. 28  Allgemein bereits: April, in: Olmstead (Hrsg.), Extraterritorial Application of Laws and Responses Thereto, 1984, 223 ff. 29  Zum Inhalt der Blocking-VO und ihren Maßnahmen unten bei II.2. 30  The Canadian Foreign Extraterritorial Measures Act, R.S.C. 1985, c. F-29, siehe Dekany, “Canada’s Foreign Extraterritorial Measures Act: Using Canadian Criminal Sanctions to Block U.S. Anti-Cuban Legislation”, Can. Bus. L. Journ. 28 (1997), 210, 212. 31  Ley de Protección al Comercio y la Inversión de Normas Extranjeras que Contravengan el Derecho Internacional of 10 October 1996, Diario Oficial of 23 October 1996, Vargas, “Mexico: Act to Protect Trade and Investment from Foreign Norms that Contravene International Law”, Int. Leg. Mat. 36 (1997), 133 ff. 32  Dazu umfassend: Smis/van der Borght, AJIL, 93 (1999), 227, 231 ff.; Ruys/Ryngaert, Secondary Sanctions: A Weapon out of Control? The International Legality of, and European Responses to US Secondary Sanctions, British Yearbook of International Law 2020, 81 ff. 33  Pfeil/Mertgen, Compliance im Außenwirtschaftsrecht, 1. Auflage, 2016, E. Rn.  135 ff. 34  Siehe jedoch LG Dortmund, Urteil v. 15.1.2016 – 3 O 610/15, BeckRS 2016, 03046; dazu: Podszun, Paypal kann sich für Kontosperre nicht auf Kuba-Embargo stützen, GWR 2016, 211 ff.; Vranes, Durchsetzung US-amerikanischer außenpolitischer Interessen in der EU und Österreich, EuZW 2007, 325 ff. 35  Exec. Order No.  13846, 83 Fed. Reg. 152 (6.8.2018). 36  UN Security Council, Security Council resolution 2231 (2015), on Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) on the Islamic Republic of Iran’s nuclear programme, 20.7.2015. 37 Dazu: Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309, 310; Haellmigk, CCZ 2018, 33 ff.; Tehrani,

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Gegensatz zu den USA wollte die EU an dem JCPOA festhalten und sah europäische Personen und Unternehmen US-amerikanischen Sekundärsanktionen ausgesetzt. Demzufolge ergänzte die EU-Kommission den Anwendungsbereich der Verordnung, indem sie durch delegierten Rechtsakt dem Annex der ansonsten unveränderten Blocking-VO die US-Sekundärsanktionen hinzufügte.38 Die Blocking-VO gilt in ihrer aktualisierten Form seit dem 07.08.2018 und wurde bereits in der Praxis in mehreren Zivilverfahren in der gesamten EU angewandt.39 2. Die Blocking-VO im Überblick Bevor auf die weiteren Auswirkungen von (Sekundär-)Sanktionen und der Blocking-VO in Privatrechtsverhältnissen eingegangen werden kann, wird der Inhalt der Verordnung kurz umrissen. Art.  1 Blocking-VO bestimmt den Zweck40 und zusammen mit Art.  11 EU Blocking VO den Anwendungsbereich der Verordnung. Art.  11 Blocking-VO nennt abschließend den personellen Anwendungsbereich, zum Großteil EU-Bürger und EU-Unternehmen beziehungsweise solche, die hier ansässig sind. Die Blocking-VO ist ansonsten nach Art.   1 kein allgemeines41 Blocking-Statut und gilt somit nicht zur Abwehr gegen alle weltweit auftretenden extraterritorialen Regelungen von Drittstaaten. Sie gilt abschließend nur für diejenigen extraterritorialen Regelungen, die im Annex der Verordnung aufgenommen sind.42 Gleichzeitig nennt der Anhang nur die aufgeführten Rechtsakte allgemein und verweist nicht auf konkrete relevante Vorschriften. Somit ist

US Secondary Sanctions und ihre Bedeutung für die europäische Versicherungswirtschaft – das Ende der Neutralität?, VersR 2016, 85 ff., mit weiteren Hinweisen zu den einzelnen 2018 wiedereingeführten Sanktionsregelungen der USA im Bezug zum Iran. 38  Delegierte Verordnung (EU) Nr.  2018/1100 der Kommission vom 6.6.2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr.  2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. L. 2018/199, 1; Dazu: Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309, 310; Haellmigk (Fn. 22), CCZ 2018, 33, 33 ff.; Tehrani (Fn. 37), VersR 2016, 85 ff.; Walter, Der “Snap-back” der US-Sanktionen gegen den Iran und die wiederbelebte EU-Blocking-VO RIW 2018, 735 ff.; Johnson (Fn. 20), CCZ 2020, 16, 18. 39  Siehe einen Überblick bei: Harings, Die EU-Blocking-Verordnung in der Rechtsprechung – zugleich Anmerkung zu OLG Hamburg – Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, RdTW 2020, 442 ff. 40  Zum Zweck ausführlich unten bei II.5.b). 41  Anders beispielsweise der British Protection of Trading Interests Act 1980, siehe: Lowe, Blocking Extraterritorial Jurisdiction: The British Protection of Trading Interests Act 1980, A.J.I.L. 75 (1981), 257 ff. 42  Zu den politischen Dimensionen unten bei IV.

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der europäische Rechtsanwender gehalten, die an ihn gerichteten Verbote selbst zu ermitteln.43 Art.  2 und 3 Blocking-VO bestimmt eine Unterrichtungspflicht an die Kommission, wenn EU-Personen im Sinne von Art.  11 Blocking-VO von Sekundärsanktionen betroffen sind.44 Art.  4 Blocking-VO enthält ein dem §  328 dt. ZPO ähnliches45 Anerkennungs- und Vollstreckungsverbot für Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidungen, die auf den Gesetzen im Annex beruhen. Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO ist die für privatrechtliche Rechtsverhältnisse entscheidende Norm und diktiert den EU-Personen ein Befolgungsverbot.46 Diese dürfen also jenen Forderungen und Verboten nicht nachkommen, auch nicht durch bewusstes Unterlassen, die auf Rechtsakten basieren, die im Annex der Blocking-VO gelistet werden.47 Nach Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO können betroffene EU-Personen bei der Kommission einen Befreiungsantrag48 stellen. Eine Befreiung erteilt die Kommission unter Zuhilfenahme des Ausschusses für extraterritoriale Rechtsakte jedoch nur, wenn ein schwerer Schaden für ein geschütztes Interesse49 konkret droht.50 Dies wird nur in einem absoluten Ausnahmefall gegeben sein und nicht grundsätzlich, wenn US-Geschäft von EU-Personen betroffen ist.51 Art.  6 Blocking-VO beinhaltet in Abs.  1 und 2 eine Anspruchsgrundlage zur Liquidierung von sanktionsbedingten Schäden der betroffenen EU-Personen.

43 Dazu:

Harings (Fn. 39), RdTW 2020, 442, 443. Damit können nicht abstrakt-generelle Handelsverbote gemeint sein, die ohnehin schon im Anhang aufgenommen sind. Sinn und Zweck von Art.  2 Blocking-VO, kann nur sein, dass die Kommission einen Überblick über konkret betroffene Unternehmen erhält und gegebenenfalls auf diplomatischer Ebene auf die USA einwirken kann. Demnach kommt Art.  2 nur bei konkreten Sanktionsmechanismen, also zum Beispiel direkten behördlichen US-amerikanischen Anweisungen an EU-Personen, Handelsbeziehungen zu unterlassen, anders: H ­ arings, RdTW 2020, 442, 443. 45  Griessbach, Der „Cuban Liberty and Democratic Solidarity (LIBERTAD) Act” von 1996, RIW 1997, 275, 280; Gebauer, IPRax 1998, 145, 154. 46  Umfassend siehe: Bälz, Das „Befolgungsverbot“ der Blocking-VO (EG) Nr.  2 271/96, EuZW 2020, 416 ff. 47  Niestedt/Göcke, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt (Hrsg.), EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 2022, Verordnung (EG) Nr.  2271/96 Art.  5 Rn.  2. 48  Zu formalen Kriterien siehe: Art.  3 Durchführungsverordnung (EU) Nr.  2018/1101 der Kommission vom 3.8.2018 zur Festlegung der Kriterien für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr.  2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. L. 2018/199, 7 (DurchführungVO (EU) Nr.  2018/1101). 49  Siehe dazu Art.  4 Durchführung-VO (EU) Nr.  2018/1101; siehe auch Burkert-Basler/ Sprögel, Blocking Statute der EU, AW-Prax 2018, 357 ff. 50  Harings, RdTW 2020, 442, 444. 51  Burkert-Basler/Sprögel, AW-Prax 2018, 357, 360. 44 

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Da ein Schadensersatzanspruch gegen eine US-Behörde, die eine Sekundärsanktion durchsetzt, am Grundsatz der Staatenimmunität scheitert,52 kommt nur eine Haftung von Parteien, die aufgrund der US-Sanktionen die Leistung verweigern oder eine Vertragsbeziehung beenden und hierdurch den Vertragspartner schädigen, in Betracht.53 Die prozessuale Durchsetzung gewährt Art.  6 Abs.  3 Blocking-VO, der „nunmehr als Verweis auf die EuGVVO zu lesen ist“54 , mittels einer Zurverfügungstellung eines Vermögensgerichtsstandes nach dem Vorbild des §  23 dt. ZPO an einem Gericht eines Mitgliedstaates.55 Art.  9 Blocking-VO bestimmt, dass die Mitgliedstaaten im Fall von Verstößen gegen die Blocking-VO wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festsetzen müssen. In Deutschland ist eine Zuwiderhandlung gegen die Blocking-VO nicht strafbewehrt, sondern eine Ordnungswidrigkeit nach §  19 Abs.  4 Nr.  1, 6 AWG, §  82 Abs.  2 AWV.56 3. Zwischenergebnis: Interessenkollision Den US-amerikanischen Sekundärsanktionen und der europäischen Reaktion in Form der Blocking-VO, vor allem in Form des Befolgungsverbotes, ist ein Spannungsverhältnis immanent. Dieses ruft bei EU-Personen eine Interessenkollision57 hervor. Halten sich EU-Personen an US-amerikanische Sekundärsanktionen, verstoßen sie gegen das Befolgungsverbot aus Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO, welches nach Art.  9 Blocking-VO mitgliedstaatliche Sanktionen nach sich zieht. Befolgen EU-Personen US-amerikanischen Sekundärsanktionen nicht und folgen hingegen Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO, drohen ihnen in den USA Strafen, Einreiseverbote oder ein beschränkter Zutritt zum US-Markt. Dies ist vor allem für EU-Personen mit einem großen US-Geschäft angesichts 52  Niestedt/Göcke, in: Krenzler/Herrmann/Niested (Fn.  47), Verordnung (EG) Nr.  2271/­96 Art.  6 Rn.  3; anders: Walter, RIW 2018, 735, 739. 53  Lieberknecht, Die Blocking-Verordnung: Das IPR als Instrument der Außenpolitik, IPRax 2018, 573, 579; Niestedt/Göcke, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt (Fn.  47), Verordnung (EG) Nr.  2271/96 Art.  6 Rn.  4. 54  Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 579, mit Verweis auf Art.   68 Verordnung (EU) Nr.  1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L. 2012/351, 1; siehe auch: Niestedt/Göcke, in: Krenzler/Herrmann/ Niestedt (Fn.  47), Verordnung (EG) Nr. 2271/96 Art.  6 Rn.  5. 55  Huber, The Helms-Burton Blocking Statute of the European Union, Fordham Int’l LJ 20 (1996), 699, 706; Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 1997 – Vergemeinschaftung durch „Säulenwechsel“?, IPRax 1997, 385, 391; Gebauer, IPRax 1998, 145, 154. 56  Zuständig ist das Hauptzollamt nach §§  2 2 Abs.  3 AWG iVm 36 OWiG. 57 So auch: Gernert, Vertragskündigungen iranischer Geschäftsbeziehungen aufgrund US-Sanktionen und ein möglicher Verstoß gegen die EU-Blocking-Verordnung und §  7 AWV, IPRax 2020, 329 ff.; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 575; Schlussanträge Generalanwalt Ho­ gan, v. 12.5.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  136.

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der allgemeinen Bedeutung des US-Marktes, vor allem des US-Finanzmarktes und der Möglichkeit, Geschäfte in US-Dollar abzuwickeln, problematisch. 4. Rechtliche Auflösung der Interessenkollision aus der Perspektive des Kollisionsrechts Eine tatsächliche Interessenkollision für betroffene EU-Personen (mit US-Geschäft) besteht. Ob diese Interessenkollision rechtlich mit Hilfe des Kollisionsrechts aufgelöst werden kann, ist eine andere Frage. Diesbezüglich regelt das Kollisionsrecht die rechtlichen Wirkungen von US-amerikanischen Sekun­ därsanktionen im Forumsstaat, also die Frage, ob die US-amerikanischen Sekundärsanktionen direkt für EU-Personen anwendbar sind. In dem Zusammenhang sollen folglich zunächst die allgemeinen unionsrechtlichen Kollisionsregelungen in den Blick genommen werden, bevor auf die Frage eingegangen werden soll, welche Stellung die Blocking-VO einnimmt. a) (Sekundär-)Sanktionen als forumsfremde Eingriffsnormen Sanktionsnormen werden international-privatrechtlich durchweg als Eingriffsnormen (overriding mandatory provisions, lois de police) qualifiziert, also als zwingende Vorschriften ordnungspolitischer Zielsetzung, die unabhängig vom anwendbaren Recht Geltung beanspruchen.58 Sie werden im europäischen IPR von Art.  9 der Rom I-VO und Art.  16 Rom II-VO erfasst.59 In Bezug auf US-amerikanische Sekundärsanktionen stehen vor allem vertragliche Schuldverhältnisse im Vordergrund, so dass hier maßgeblich auf Art.  9 Rom I-VO eingegangen wird. Die Anwendbarkeit60 US-amerikanischer Sekundärsanktionen als drittstaatliche61 Sanktionsnormen und damit forumsfremde Eingriffsnormen wird nach 58  Bälz, EuZW 2020, 416, 417; Gernert, IPRax 2020, 329, 331; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 576; Mankowski, Drittstaatliche Embargonormen, Außenpolitik im IPR, Berücksichtigung von Fakten statt Normen: Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO im praktischen Fall, IPRax 2016, 485 ff; Cremer, Embargovorschriften als Eingriffsnormen, 10 Bucerius Law J. 18 (2016); Maultzsch, in: BeckOGK, Rom I-VO, 2023, Art.  9 Rom I-VO Rn.  245; Martiny, in: MünchKomm, BGB, Band 12, 8. Auflage 2021, Art.  9 Rom I-VO Rn.  61 ff.; allgemein zu Eingriffsnormen (Auszug): Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht, 2002, passim; Remy, Exception d‘ordre public et mécanisme des lois de police en droit international privé, 2008, passim; Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht, 2008, passim; Günther, Die Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen im Lichte der Rom I- und Rom II-Verordnungen, 2011, passim. 59  Dazu umfassend Günther (Fn.  58) passim. 60  Zur Auslegung der Terminologie „Wirkung verleihen“ siehe Martiny, in: MünchKomm (Fn.  6 4), Rom I-VO Art.  9 Rn.  120 ff. 61 Bei forumseigenen Eingriffsnormen, inklusive eigener europarechtlicher Sanktionen, käme nur Art.  9 Abs.  2 Rom I-VO zur Anwendung.

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Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO beurteilt. 62 Nach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO entfalten forumsfremde Eingriffsnormen nur dann Wirkung, wenn sie (1) am Erfüllungsort des Vertrags gelten und (2) den Vertrag unrechtmäßig werden lassen. 63 US-amerikanischer Sekundärsanktionen erfüllen diese Voraussetzungen in der Regel nicht, da der Erfüllungsort – der Ort, an dem die tatsächliche Erfüllungshandlung vorzunehmen ist64 – bei Handelsbeziehungen zwischen einer EU-Person und beispielsweise einem iranischen Unternehmen in der Regel gerade nicht in den USA liegt. 65 Über Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO kommen US-amerikanische Sekundärsanktionen demnach nicht zur Anwendung. b) Einfluss der Blocking-VO als negative Eingriffsnorm Die Blocking-VO ändert an diesem Ergebnis nichts. Sie gilt ohnehin nur für diejenigen Sekundärsanktionen, die im Annex aufgenommen sind. 66 Für weitere nicht geblockte Sekundärsanktionen bleibt es bei dem über Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO gefundenen Ergebnis. Darüber hinaus wird die Blocking-VO durchweg selbst als Eingriffsnorm verstanden. 67 Die Blocking-VO hat zumindest in ihrem Befolgungsverbot aus Art.  5 Abs.  1 als EU-Verordnung unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten der EU, da das Befolgungsverbot eine klare und unbedingte Verpflichtung begründet und sie keiner weiteren (Umsetzungs-) Maßnahmen bedarf. Dies stellte der EuGH in Bank Melli Iran klar. 68 Damit gilt die Blocking-VO als Eingriffsnorm des (jeweiligen) europäischen Forumsstaates und stellt somit eine negative Kollisionsnorm dar, die bestimmt, welche extraterritorialen Regelungen gerade nicht gelten sollen. 69

62  Bälz, EuZW 2020, 416, 417; Gernert, IPRax 2020, 329, 331; Lieberknecht (Fn.  53), IPRax 2018, 573, 576; Mankowski, IPRax 2016, 485, 489; Cremer, 10 Bucerius Law J. 18 (2016); Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  58), Art.  9 Rom I-VO Rn.  245; Martiny, in: MünchKomm (Fn.  58), Art.  9 Rom I-VO Rn.  61 ff. 63  Zu den umstrittenen Voraussetzungen umfassend: Martiny, in: MünchKomm (Fn.  58), Rom I-VO Art.  9 Rn.  112 ff.; Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  58), Rom I-VO Art.  9 Rn.  105 ff. 64  Zum verordnungsautonomen Erfüllungsortbegriff: Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  58), Rom I-VO Art.  9 Rn.  107–122 ff. 65  Bälz, Ausländische Wirtschaftssanktionen als Leistungshindernis in internationalen Verträgen, NJW 2020, 878, 879; Gernert, IPRax 2020, 329, 331; Lieberknecht (Fn.  53), IPRax 2018, 573, 576; Freitag, Ausländische Eingriffsnormen vor deutschen Gerichten, NJW 2018, 430, 431; Mankowski, IPRax 2016, 485, 486. 66  Zu weiteren nicht geblockten Sekundärsanktionen siehe IV. 67  Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 576; Mankowski, IPRax 2016, 485, 489; Gebauer (Fn.  18), IPRax 1998, 145, 152; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht (1994), 657. 68  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  51, 57. 69  Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 576; Mankowski, IPRax 2016, 485, 489; Gebauer, IPRax 1998, 145, 152; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion (Fn.  67), 657.

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Für Eingriffsnorm der lex fori gilt über Art.  9 Abs.  2 Rom I-VO eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung 70 und das Befolgungsverbot der Blocking-VO ist damit zwingend anwendbar. Dies verbietet die Befolgung von Forderungen und Verboten, die im Annex gelistet werden. Eine Anwendbarkeit der US-amerikanischen Sekundärsanktionen scheidet demnach aus.71 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man die Blocking-VO als lex specialis versteht, die Art.  9 Rom I-VO vorgeht.72 Aus einer rein kollisionsrechtlichen Perspektive schlägt sich der Interessenkonflikt demnach nicht in einer für EU-Personen maßgeblichen rechtlichen Konfliktlage nieder. Nach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO sind US-Sekundärsanktionen nicht anwendbar, die Blocking-VO unterstützt dieses Ergebnis. 5. Rechtliche Auflösung der Interessenkollision aus der Perspektive des Sachrechts Es stellt sich jedoch die Frage, ob US-amerikanische Sekundärsanktionen des Schuldstatuts auf der Ebene des materiellen Rechts berücksichtigt werden können.73 Dies wird vorliegend beispielhaft anhand des deutschen Rechts erläutert. a) Sachrechtliche Berücksichtigung der tatsächlichen Folgen von Sekundärsanktionen Aus kollisionsrechtlicher Perspektive gilt seit der Rs. Nikiforidis auch im Sachrecht eine Sperrwirkung für die Berücksichtigung von Eingriffsnormen „als Rechtsvorschriften“, die nach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO unanwendbar sind.74 Damit scheidet aus der Perspektive des deutschen Rechts eine Berücksichtigung über §§  134, 138, 275 Abs.  1, 314 BGB aus.75 Sekundärsanktionen würden andernfalls entweder als Verbotsgesetz nach §  134 BGB76 wirken, zur Sittenwid-

70 

Statt aller: Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  58), Art.  9 Rom I-VO Rn.  87. Eine Berücksichtigung der US-amerikanischen Sekundärsanktionen etwa als rechtliche Unmöglichkeit nach §  275 Abs.  1 BGB ist nur dann möglich, wenn man die Sanktion normativ heranzieht und damit im Sinne von Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO untersagterweise ein Verbot befolgt, vgl. Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577; kritisch: Gernert, IPRax 2020, 329, 332, dort Fn.  24. 72  So wohl: Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 576. 73  Umfassend dazu: Kronenberg, Normen als tatsächliche Umstände, 2021, passim. 74  EuGH, Urteil v. 18.10.2016 – Rs. C-135/15, Republik Griechenland / Grigorios Nikiforidis, Rn.  50. 75  So auch: Martiny, in: MünchKomm (Fn.  58), Art.  9 Rom I-VO Rn.  47; Maultzsch, in: BeckOGK (Fn.  58), Art.  9 Rom I-VO Rn.  157.1 ff. 76 Dazu: Gernert, IPRax 2020, 329, 331. 71 

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rigkeit nach §  138 BGB77 oder zu einer rechtlichen78 Unmöglichkeit nach §  275 Abs.  1 BGB79 führen sowie zur Kündigung aus wichtigem Grund aufgrund der Sekundärsanktion nach §  314 BGB80 ermächtigen.81 Damit würden die US-amerikanischen Sekundärsanktionen aber als Rechtsvorschriften normativ herangezogen, was nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zulässig ist.82 Laut EuGH verbietet es Art.  9 Rom I-VO aber nicht, „Eingriffsnormen eines anderen Staates […] als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit eine materielle Vorschrift des nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag anwendbaren Rechts dies vorsieht.“83 In diesem Zusammenhang wird die durch forumfremdes Recht geschaffene Sachlage faktisch und eben nicht normativ berücksichtigt. Als „tatsächliche Umstände“ könnten US-amerikanische Sekundärsanktionen aus der Perspektive des deutschen Rechts im Rahmen von §§  275 Abs.  2 oder 3 oder 313 BGB berücksichtigt werden. Diesbezüglich soll zunächst auf die Rechtslage ohne Berücksichtigung der Blocking-VO eingegangen werden. Bei §  275 Abs.  2 BGB wird zum Teil angenommen, dass die Erfüllung eines Vertrages beispielsweise mit einer als SDN gelisteten Person deshalb unmöglich 77  So früher: BGH, Urteil v. 24.5.1962 – II ZR 199/60 = NJW 1927, 2288; BGH, Urteil v. 22.6.1972 – II ZR 113/7, BGHZ 59, 82 = NJW 1972, 1575; BGH, Urteil v. 08.05.1985 – IVa ZR 138/83, BGHZ 94, 268 = NJW 1972, 1575; BGH, Urteil v. 22.6.1972 – II ZR 113/7, BGHZ 34, 168 (177) = NJW 1961, 822. 78  Eine tatsächliche Unmöglichkeit scheidet in der Regel aus, da ein Schuldner in aller Regel auch trotz US-Sekundärsanktionen weiter leisten kann und eine tatsächliche Unterbindung der Erfüllung durch die USA einen territorialen Bezug aufweisen muss, der bei Sekundärsanktionen gerade fehlt, vgl. Bälz, EuZW 2020, 416, 418; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577; anders bei Primärsanktionen, bei denen es auf die Mitwirkung eines anderen Staates ankommt, wie bei der Flugbeförderung eines israelischen Staatsbürgers mit Zwischenstopp in dem das Land Israel boykottierenden Kuwait, OLG Frankfurt, Urteil v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591 Rn.  42, 45; Mankowski, Politik und missliebige drittstaatliche Eingriffsnormen – der Fall Kuwait Airways, RIW 2019, 180, 182. 79 Dazu: Bälz, EuZW 2020, 416, 418; Mankowski, RIW 2019, 180, 182; Freitag, NJW 2018, 430, 433; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577. 80 Dazu Bälz, EuZW 2020, 416, 419. 81  Gernert, IPRax 2020, 329, 331; Mankowski (Fn.  58), IPRax 2016, 485, 490. 82  So auch: Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577. 83  EuGH, Urteil v. 18.10.2016 – Rs. C-135/15, Republik Griechenland / Grigorios Nikiforidis, Rn.  51; so auch: Kronenberg, Normen als tatsächliche Umstände, 2021, 62, 169 ff.; Mankowski, IPRax 2016, 485, 489 ff.; Freitag, Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen nach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, IPRax 2009, 109, 115; Martiny, Neues deutsches internationales Vertragsrecht, RIW 2009, 737, 746; Martiny, Neuanfang im Europäischen Internationalen Vertragsrecht mit der Rom I-Verordnung, ZEuP 2010, 747, 780; W.-H. Roth in FS Kühne, 2009, 859, 875; Siehr, Deutsche Arbeitsverträge mit der Republik Griechenland und Gehaltskürzungen nach griechischem Recht, RdA 2014, 206, 209; Siehr, Mandatory Rules of Third States From Ole Lando to Contemporary European Private International, ERPL 28 (2020), 509, 520 f.; Thomale, Deutsches Betriebsverfassungsrecht und ­österreichisches Arbeitsvertragsstatut – intertemporale Dimensionen ausländischer Eingriffs­ normen, IPRax 2013, 375, 379.

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sei, weil wegen potenziell existenzbedrohender US-Sekundärsanktionen eine Leistung unzumutbar im Sinne eines groben Missverhältnisses des Leistungsinteresse des Gläubigers sei.84 Auf der anderen Seite wird der Aufwand für die eigentliche Erbringung der Leistung, zum Beispiel die Erfüllung eines Telekommunikationsdienstleistungsvertrag durch die drohenden Sekundärsanktion an sich nicht verändert, sondern die Sekundärsanktion ist allein mittelbare Folge der Erfüllung, „die an die individuellen Umstände des Schuldners anknüpf[t]“.85 Individuelle Umstände des Schuldners seien nach herrschender Meinung bei §  275 Abs.  2 BGB unbeachtlich. 86 Individuelle Umstände des Schuldners, wie (potenzielle) US-Sekundärsanktionen, sind bei §  275 BGB hingegen über Abs.  3 zu beachten, der jedoch nur bei persönlich zu erbringenden Leistungen anwendbar ist.87 Bei Werk(-lieferungs)und Dienstverträgen sind Fälle der Höchstpersönlichkeit denkbar. 88 Dann stellt sich die Frage der Zumutbarkeit der Leistung, wobei nach §  275 Abs.  3 BGB das Leistungsinteresse des Gläubigers und Hindernisse auf der Seite des Schuldners abzuwägen sind. Die Bedeutung der Leistung für den Gläubiger, zum Beispiel existentielle Dienstleistungen wie Internet und Telefon für eine Bank, wie im Fall Bank Melli Iran, muss den zu erwartbaren Sanktionen für den Schuldner entgegengestellt werden, wobei bei letzterem vor allem die Größe des US-Geschäfts ausschlaggebend sein wird.89 Des Weiteren kommt eine Störung der Geschäftsgrundlage nach §  313 BGB in Betracht. Sofern es an vertraglichen Regelungen zu Folgen von (Sekundär-) Sanktionen fehlt,90 kann das Fehlen von (Sekundär-)Sanktionen grundsätzlich der Geschäftsgrundlage zugerechnet werden.91 Bei der Risikozuweisung ist bezüglich der US-amerikanischen Sekundärsanktionen zum Iran, die wie oben beschrieben ja nur ausgesetzt wurden, zu beachten, dass insoweit mit einem Wiederaufleben zumindest abstrakt immer zu rechnen war.92 Ansonsten ist bei der Zumutbarkeitsprüfung eine ähnliche Abwägung wie bei §  275 Abs.  3 BGB vorzunehmen.

84 So:

332.

85 

Bälz, NJW 2020, 878, 880; Bälz, EuZW 2020, 416, 419; Gernert, IPRax 2020, 329,

Freitag, NJW 2018, 430, 433; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 576. Ernst, in: MünchKomm BGB, 9. Auflage 2022, §  275 Rn.  82 f.; Lorenz, in: BeckOK BGB, 65. Auflage 2023, §  275 Rn.  60 ff.; Schulze, in: Schulze, BGB, 11. Auflage 2021, §  275 Rn.  20. 87  Statt aller Riehm, in: BeckOGK, BGB, 1.7.2022, §  275 Rn.  138 ff. 88 Allgemein: Schulze, in: Schulze, HK-BGB, 11. Auflage 2021, §  275 Rn.  15 mit Beispielen; in Bezug zu Sekundärsanktionen: Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577; kritisch: Freitag, NJW 2018, 430, 433. 89  Gernert, IPRax 2020, 329, 332. 90  Dazu siehe unten II.5.c). 91  Freitag, NJW 2018, 430, 434; Bälz, EuZW 2020, 416, 419; Bälz, NJW 2020, 878, 880 ff; siehe bereits: BGH, Urteil v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746, 1747. 92  So auch: Bälz, EuZW 2020, 416, 419. 86 

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b) Auswirkungen der Blocking-VO Die Blocking-VO hat auf die faktische Berücksichtigung der in ihrem Annex genannten Sekundärsanktionen auf sachrechtlicher Ebene vor allem im Lichte der Auslegung des EuGHs in der Rs. Bank Melli Iran eine Auswirkung.93 In dieser Rechtssache hatte der EuGH zum ersten Mal die Gelegenheit, über die Gültigkeit und Auslegung der Blocking-VO zu entscheiden. Der EuGH entschied zum einen, dass das Befolgungsverbot nach Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO auch dann als unmittelbar anwendbares Verbot gilt, welches in Zivilrechtsstreitigkeiten geltend gemacht werden kann, wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der USA, die die im Annex der Blocking-VO gelisteten Sekundärsanktionsnormen erlassen haben, keine konkrete Weisung zu deren Einhaltung an den Telekommunikationsdienstleister erfolgt ist.94 Der EuGH hat ferner klargestellt, dass auch eine ordentliche Kündigung, die ohne Anlass von Gründen nach nationalem Recht möglich ist, über eine Norm, die wie §  134 BGB die Unwirksamkeit von Willenserklärungen aufgrund eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot vorsieht, unwirksam sein kann, weil die Blocking-VO ein solches Verbot beinhaltet.95 Eine beweisbelastete Partei kann bei einer Kündigung, die nach nationalem Recht ohne Angabe von Gründen erfolgen kann, Schwierigkeiten haben, nachzuweisen, dass die andere Partei gekündigt hat, um nach Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO verbotenerweise eine US-Sekundärsanktion zu befolgen. Deshalb entschied der EuGH, dass wenn alle Beweismittel, über die das nationale Gericht verfügt, prima facie darauf hindeuten, dass US-Sekundärsanktionen befolgt werden, die Partei, die vermeintlich die Sanktionen befolgt, nachzuweisen hat, dass sie US-Sekundärsanktionen nicht befolgt.96 Außerdem ist zur Vereinbarkeit mit Art.  16 der Grundrechtecharta97 bei der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Verstoß gegen Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.98 Diesbezüglich fallen auf der einen Seite die Ziele der Blocking-VO, vor allem die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schützen und der Möglichkeit von Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO Gebrauch zu machen, ins Gewicht.99 Auf der anderen Seite ist das Ausmaß der wirtschaftlichen 93 

Zum Sachverhalt siehe oben bei I. Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom GmbH, Rn.  51. 95  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom GmbH, Rn.  40, 76. 96  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom GmbH, Rn.  68. 97  Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C. 2012/ 326, 391. 98  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom GmbH, Rn.  95. 99  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom GmbH, Rn.  95. 94  EuGH,

Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland

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Verluste für die betroffene Person, die nun am Vertrag unter Befolgung der Blocking-VO festhalten muss, abzuwägen.100 Auch wenn die sachrechtliche Berücksichtigung von Sekundärsanktionen und der Einfluss der Blocking-VO auf diese nicht Gegenstand der Rs. Bank Melli Iran war, so hat das Urteil dennoch diesbezüglich Aussagekraft. Der EuGH hat in Bank Melli Iran entschieden, dass auch eine Kündigung ohne Gründe, wenn sie aufgrund von Sekundärsanktionen erfolgt, gegen ein gesetzliches Verbot nach §  134 BGB verstoßen kann. Grundsätzlich gilt nichts anderes für die Einrede nach §  275 Abs.  3101, die Vertragsanpassung nach §  313 Abs.  1 oder Kündigung nach §  313 Abs.  3 BGB. Werden diese erhoben bzw. geltend gemacht, weil der Schuldner Sekundärsanktionen fürchtet, kommt er diesen nach und befolgt sie somit im Sinne von Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO, was nach dem unmittelbar anwendbaren Verbot in der Norm untersagt ist.102 Dennoch betonte der EuGH auch die notwendige Abwägung widerstreitender Interessen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung,103 die bei der angesprochenen Zumutbarkeitsprüfung von §§  275 Abs.  3, 313 BGB zur Anwendung kommen kann.104 Dort sind dann die Ziele der Blocking-VO, vor allem, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schützen und die Möglichkeit von Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO Gebrauch zu machen, mit dem Ausmaß der wirtschaftlichen Verluste für die sekundärsanktionsbetroffene Person abzuwägen. Hat der Schuldner keine Ausnahmegenehmigung nach Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO eingeholt, werden die Wertungen der Blocking-VO, die der EuGH mehrfach betont105 , in der Regel vorgehen, es sei denn, das Ausmaß der damit einhergehenden wirtschaftlichen Verluste ist besonders hoch. Das Ausmaß müsste jedoch ausreichen, um ansonsten eine Ausnahmegenehmigung nach Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO zu rechtfertigen, da die dortigen Voraussetzungen ansonsten unterlaufen werden könnten. Der grundsätzliche Vorrang des Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO zeigt sich aber daran, dass die von Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO angesetzten Parameter hoch sind und insbesondere ein schwerer Schaden verlangt wird.106 Art.  5 Blocking-VO wird demnach in der Regel zum Ausschluss der Berücksichtigung tatsächlicher Fol100  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  95. 101 Folgt man der genannten Mindermeinung, sind Sekundärsanktionen auch bei §   275 Abs.  2 BGB relevant. 102  So schon: Gernert, IPRax 2020, 329, 332. 103  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  95. 104  So auch: Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577; kritisch: Bälz, EuZW 2020, 416, 419. 105  EuGH, Urteil v. 21.12.2021 – Rs. C-124/20, Bank Melli Iran ./. Telekom Deutschland GmbH, Rn.  76, 84, 85, 95. 106  Siehe dazu: Art.  4 Durchführungs-VO (EU) Nr.  2018/1101; siehe auch: Burkert-Basler/ Sprögel, AW-Prax 2018, 357, 359, 360; Harings, RdTW 2020, 442, 444.

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gen von Sekundärsanktionen führen. Dadurch wird auch nichts „Unmögliches möglich gemacht“,107 denn es handelt sich um eine Wertungsentscheidung über das Zumutbarkeitselement. Ein rechtlicher Konfliktfall liegt demnach nicht vor, ein tatsächlicher Interessenkonflikt bleibt bestehen. c) Keine Klausellösung Um diesem Interessenkonflikt Herr zu werden, können Parteien versucht sein, die Folgen von (Sekundär-)Sanktionen selbst durch sogenannte Sanktionsklauseln in ihren jeweiligen Verträgen zu regeln, zum Beispiel indem sie die Leistungspflicht unter die Bedingung der sanktionsrechtlichen Zulässigkeit stellen. Art.  5 Blocking-VO in der vorgenannten Auslegung als Verbotsgesetz nach §  134 BGB verbietet jedoch auch eine solche Befolgung der Sekundärsanktion, wenn nicht ausnahmsweise die genannte Abwägung zugunsten des Sekundärsanktionierten ausfällt.108 Im Übrigen könnte zumindest im deutschen Recht auch in der Sanktionsklausel eine über §  134 BGB verbotene Boykotterklärung im Sinne von §  7 AWV vorliegen.109 Auch durch Vertragsgestaltung kann dem Interessenkonflikt somit nicht vorgebeugt werden. 6. Zwischenfazit: Keine Auflösung der Interessenkollision Das Kollisionsrecht und die Blocking-VO lösen den Konfliktfall nicht auf. Der Interessenkonflikt bleibt dennoch. Wie Lieberknecht110 ausführt, wird dieser auch nicht im Gegenzug durch das US-Recht aufgelöst. Die sogenannte foreign sovereign compulsion doctrine111 erlaubt zwar Verstöße gegen US-amerikanisches Recht wie Sekundärsanktionen, wenn das jeweilige Heimatrecht des Betroffenen zu dem Verstoß zwingt. Ebenfalls im US-amerikanischen Recht ist der Zweck und die Wertungen des verletzten US-Rechtsakts entscheidend.112 Da eine Befolgung der Blocking-VO gerade zu Lasten der Sekundärsanktionen geht, werden letztere in der Wertung oftmals vorgehen.

107 So:

Bälz, EuZW 2020, 416, 419. Harings/Loets, Auswirkungen personenbezogener Sanktionen auf privatrechtliche Verträge, RdTW 2015, 321, 326; Mankowski, IPRax 2016, 485, 492; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 575. 109  Harings/Loets, RdTW 2015, 321, 326. 110  Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 575. 111  Dazu auch: Gebauer, IPRax 1998, 145, 153; Meng, EuZW 1997, 423, 423. 112  Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 575. 108 

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III. Weiteres Blocking im EU-Recht: Art.  48 DSGVO als Blocking-Statut gegen US-amerikanische discovery Im EU-Recht kommt es zu weiteren Konfliktfällen zwischen extraterritorialen Drittstaatenregelungen und EU-Blocking-Statuten, gerade auch im Verhältnis EU-USA. Als weiteres Beispiel dient vorliegend das Datenschutzrecht.113 So verbietet Art.   48 DSGVO, der durchaus als EU-Blocking-Statut bezeichnet werden kann,114 grundsätzlich die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen eines Gerichts eines Drittlands oder Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde eines Drittlands, mit denen von einem Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter die Übermittlung oder Offenlegung personenbezogener Daten verlangt wird.115 Ausnahmen bestehen nach Kapitel V DSGVO nur für Übermittlungen oder Offenlegungen personenbezogener Daten aufgrund einer aktuell rechtsgültigen internationalen Übereinkunft wie einem Rechtshilfeabkommen zwischen dem betreffenden Drittland und der Union bzw. einem Mitgliedstaat116 , einem Angemessenheitsbeschluss117, vorbehaltlich geeigneter Garantien118 oder aufgrund einer Ausnahme für bestimmte Fälle.119 Eine ohne einen solchen Ausnahmegrund vorgenommene Datenübermittlung oder -offenlegung an den Drittstaat ist nach Art.  48 DSGVO unzulässig, bußgeldrechtlich sanktionierbar120 und schadensersatzrechtlich121 relevant. Art.  48 DSGVO soll möglichst umfassend Daten von EU-Bürgern vor ausländischen Zugriffen schützen.122 Im Gegensatz dazu, können Gerichte und Ermittlungsbehörden nach USameri­kanischem Recht vielfältig die Übermittlung oder Offenlegung personenbezogener Daten anordnen, wenn diese in der EU und nicht in den USA belegen sind. So gestattet etwa der sogenannte CLOUD Act (Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act)123 US-Ermittlungsbehörden grundsätzlich den Zugriff auf 113 Dazu: Voigt/Klein, Deutsches Datenschutzrecht als „blocking statute”? – Auftragsdatenverarbeitung unter dem USA PATRIOT Act, ZD 2013, 16; Metz/Spittka, Datenweitergabe im transatlantischen Rechtsraum – Konflikt oder Konsistenz?, ZD 2017, 361; Pauly/Dieckhoff, Dunkle Wolken über den transatlantischen Beziehungen, CCZ 2017, 270; Swire, When Does GDPR Act as a Blocking-Statute: The Relevance of a Lawful Basis for Transfer, Georgia Tech Scheller College of Business Research Paper No.  3473187, 2019. 114 So Pauly/Dieckhoff, CCZ 2017, 270, 271; Metz/Spittka, ZD 2017, 361, 363. 115 Umfassend: Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art.  48 Rn.  5; Jungkind, in: Wolff/Brink, BeckOK DatenschutzR, 43. Auflage 2021, Art.  48 Rn.  1 ff. 116  Art.  48 DSGVO iVm dem Rechtshilfeabkommen. 117  Art.  45 DSGVO. 118  Art.  46, 47 DSGVO. 119  Art.  49 DSGVO. 120  Art.  83 Abs.  5 lit.  c DSVO. 121  Art.  82 DSGVO. 122  Zerdick, in: Ehmann/Selmayr (Fn.  115), Art.  48 Rn.  1. 123  Consolidated Appropriations Act of 2018, Publ. L. No.  115–141, 132 STAT. 348 (2018).

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solche Daten, die amerikanische Unternehmen auf europäischen Servern speichern.124 Für Privatrechtsverhältnisse sind vor allem die Offenlegungspflichten im Rahmen der sogenannten discovery auch in Form der pre-trial discovery relevant, die unabhängig vom Belegenheitsort der offenzulegenden Beweismittel angeordnet werden kann.125 Damit können auch Daten bzw. Beweismittel die personenbezogene Daten enthalten, aber in der EU belegen sind nach den US-discovery-Regeln in einem Zivilverfahren angeordnet werden.126 Bei Nichtherausgabe drohen Sanktionen.127 Europäische Unternehmen mit US-Geschäft unterliegen somit einem vergleichbaren Interessenkonflikt: sie haben die Wahl zwischen einer Offenlegung personenbezogener Daten im US-amerikanischen Zivilprozess bei gleichzeitigem DSGVO-Verstoß oder sie folgen der DSGVO und riskieren Strafen in den USA. Immerhin zeigt sich die DSGVO im Vergleich zur Blocking-VO zumindest theoretisch offener für Ausnahmen. Für die Übermittlung oder Offenlegung personenbezogener Daten im Strafverfahren gilt beispielsweise das zwischen der EU und den USA geschlossene Abkommen über die Auslieferung und über die Rechtshilfe in Strafsachen128 . Für die internationale Übermittlung von Beweismitteln im Zivilprozess kann zwar grundsätzlich ein Rechtshilfeersuchen auf Grundlage des Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HBÜ)129 formelle Grundlage für die Übermittlung personenbezogener Daten nach Art.  48 DSGVO darstellen.130 Es haben jedoch nicht alle Mitgliedstaaten das HBÜ unterzeichnet und einige haben Vorbehalte nach Art.  23 HBÜ erklärt, wonach Rechtshilfeersuchen nicht erledigt werden, die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den Ländern des „Common Law“ unter der Bezeichnung „pre-trial discovery of documents“

124 Dazu: Gausling, Offenlegung von Daten auf Basis des CLOUD Act, CCZ 2018, 229 ff.; Rath/Spies, CLOUD Act: Selbst für die Wolken gibt es Grenze, CCZ 2018, 229 125  Rule 26–37 Federal Rules of Civil Procedure, dazu: Theissen, Das US-amerikanische Rechtsinstrument der „discovery“, IWRZ 2020, 10; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Auflage 2021, Rn.  881; Richard/Hess, The 1965 Service and 1970 Evidence Conventions as crucial bridges between legal traditions? in: John/Gulati/Köhler (Hrsg.), The Elgar Companion to the HCCH, 2021, 293 f. 126  Metz/Spittka, ZD 2017, 361, 363. 127  Fed. R. Civ. P. R 37. 128  Beschluss 2009/820/GASP des Rates vom 23.10.2009 über den Abschluss im Namen der Europäischen Union des Abkommens über Auslieferung zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika und des Abkommens über Rechtshilfe zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, ABl. L. 2009/291, 40; Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, ABl. L. 2003/181, 27. 129  Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen. 130  Zerdick, in: Ehmann/Selmayr (Fn.   115), Art.   48 Rn.   7.; Jungkind, in: Wolff/Brink (Fn.  115), Art.  48 Rn.  11.

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bekannt ist.131 In Deutschland galt bisher beispielsweise in §  14 I HZÜ/HBÜAusfG aF ein kategorischer Ausschluss der Erledigung von Rechtshilfeersuchen, deren Gegenstand auf eine „pre-trial discovery of documents“ zurückzuführen ist.132 Dieses wurde zwar kürzlich mit §  14 I HZÜ/HBÜ-AusfG nF etwas aufgeweicht,133 verlangt aber, dass „soweit personenbezogene Daten in den vorzulegenden Dokumenten enthalten sind, die Voraussetzungen für die Übermittlung in ein Drittland nach Kapitel V der Datenschutz-Grundverordnung erfüllt sind“. Dies zeigt einen Zirkelschluss auf, zumindest was Rechtshilfeabkommen im Sinne von Art.  48 DSGVO betrifft. Weitere Ausnahmeregelungen nach Kapitel V DSGVO scheinen derzeit nicht ersichtlich. Die EU hat zwar gerade einen neuen Angemessenheitsbeschluss134 für die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA auf Grundlage des neuen „EU-US Datenschutzrahmens“135 iSd Art.  45 DSGVO erlassen, nachdem der EuGH in Schrems II136 2020 den vorherigen Angemessenheitsbeschluss137 zum „EU-US Privacy Shield“ für ungültig erklärte. Weitere Klagen gegen die Regelung sind zu erwarten. Allenfalls Art.  49 Abs.  1 S.  1 lit.  e DSGVO käme in Betracht, wonach die Übermittlung oder Offenlegung in ein Drittland möglich ist, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich sind. Die genauen Voraussetzungen sind jedoch 131 Überblick bei: https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/status-table/?cid= 82 (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 132  Dazu kritisch: Schack (Fn.  125), Rn.  883; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Auflage 2020, Rn.  2424, Fn.  385; Schlosser, in: Schlosser/Hess, EuZPR, 5. Auflage 2021, Art.  23 HBÜ, Rn.  3, 5; Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage 2015, Anh. §  363 Rn.  103. 133 Dazu: Wagner, Neuigkeiten zum internationalen Zivilverfahrensrecht, EuZW 2022, 733, 735; Gemeinsame Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg und des Max-Planck-Instituts Luxemburg für Internationales, Europäisches und Regulatorisches Verfahrensrecht zum Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der EU-Verordnungen über grenzüberschreitende Zustellungen und grenzüberschreitende Beweisaufnahmen in Zivil- oder Handelssachen, zur Änderung der Zivilrechtshilfe, des Vormundschafts- und Betreuungsrechts sowie sonstiger Vorschriften, 14.2.2022, 13 ff., abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2022/Downloads/0214_Stellungnahme_MPl_HbgLux_Grenzueberschrei tende_Zustellungen.pdf;jsessionid=E37FFC6C81C482327E57043FA2E5D62B.2_cid289?__ blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 134  Durchführungsbeschluss der Kommission vom 10.7.2023 gemäß der Verordnung (EU) Nr.  2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Angemessenheit des Schutzes personenbezogener Daten nach dem Datenschutzrahmen EU-USA, C(2023) 4745 final. 135 Siehe: Gemeinsame Erklärung der Europäischen Kommission und der Vereinigten Staaten zum Transatlantischen Datenschutzrahmen, 25.3.2022, abrufbar unter https://ec. europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_2087 (zuletzt abgerufen am 2.10.2023). 136  EuGH, Urteil v. 16.7.2020 – Rs. C 311/18, Data Protection Commissioner / Facebook Ireland Ltd, Maximillian Schrems. 137  Durchführungsbeschluss (EU) Nr.  2016/1250 der Kommission vom 12.7.2016 gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Angemessenheit des vom EU-US-Datenschutzschild gebotenen Schutzes, ABl. L. 2016/207, 1 (Durchführungsbeschluss (EU) Nr.  2016/1250).

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umstritten138 und höchstrichterlich ungeklärt. Jedenfalls verlangt Art.  49 Abs.  1 S.  1 lit.  e DSGVO eine strenge Erforderlichkeitsprüfung der zu übermittelnden Daten, während die US-amerikanische (pre-trial) discovery gerade keine strenge Erforderlichkeit umfasst.139

IV. Bewertung und Fazit Extraterritoriale Regelungsinstrumente und Blocking-Statuten stehen sich diametral entgegen. Dies ist widersprüchlich, betrachtet man die umfassenden eigenen extraterritorialen Regelungen der EU im Privat- und Wirtschaftsrecht.140 Diese Regelungen widersprechen dem in den EU-Blocking-Statuten gewählten Ansatz: Auf der einen Seite scheint sich das Unionsrecht gegen die extraterritorialen Regelungen von Drittstaaten wehren zu wollen, auf der anderen Seite weitet das Unionsrecht seinen eigenen Anwendungsbereich extraterritorial aus. Blocking-Statuten führen oftmals zu einer Instrumentalisierung des Privatrechts zu politischen Zwecken, sei es Außenpolitik oder ein umfassenderer Datenschutz. Im Fall von Blocking-Statuten der EU, werden Europäer in praktisch ausweglose Interessenkonflikte gebracht, um europäische Interessen zu gewährleisten. Deutlich wird dies besonders bei der Blocking-VO als Reaktion auf US-amerikanische Sekundärsanktionen. Die Blocking-VO führt zu einer aus außenpolitischen Beweggründen motivierten Konfliktlage für EU-Personen, also letztendlich Außenpolitik, die auf den Schultern von Privaten ausgetragen wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Basedow141 und Mankowski142 Blocking-Statuten als „Maßnahmen ökonomischer Kriegsführung“ bezeichnen. Ebenfalls ist vor diesem Hintergrund der von der Blocking-VO proklamierte Zweck des Interessenschutzes von EU-Personen zu hinterfragen. US-amerikanische Sekundärsanktionen sind ohne Zweifel „formelles Gesetz gewordenen Außenpolitik“143 der USA, die speziell drittstaatliche Privatpersonen zu deren Lasten binden sollen. Die Blocking-VO hingegen will nach Art.  1 Abs.  1 Blocking-VO gerade auch die Interessen betroffener EU-Personen in dem Sinne schützen, dass ihre wirtschaftliche Handlungs- und Entscheidungsfreiheit erhalten bleibt und sie ohne Beachtung von Sekundärsanktionen frei 138 Umfassend: Lange/Filip, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 43. Auflage 2021, DS-GVO Art.  49 Rn.  32. 139 Umfassend: Lange/Filip, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht (Fn.  138), Art.  49 Rn.  33. 140 Umfassend: Hornkohl, The Extraterritorial Application of Statutes and Regulations in EU Law, MPILux Working Paper 2022, 1, passim. 141  Basedow, The Law of Open Societies (Fn. 5), 390. 142  Mankowski, IPRax 2016, 485, 489. 143  Mankowski, IPRax 2016, 485, 485.

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entscheiden und bewerten können, ob sie eine Geschäftstätigkeit mit Bezug zu dem sekundärsanktionierten Land unterhalten wollen.144 Tatsächlich zwingt die Blocking-VO jedoch vor allem EU-Personen mit US-Geschäft in die genannte Interessenkollision ohne hinreichend Rücksicht auf die Interessen der EU-Personen zu nehmen; vor allem die Ausnahmegenehmigung Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO soll eben eine Ausnahme bleiben.145 Der Blocking-VO scheint es demnach vielmehr um unionale Interessen als um den Interessenschutz von EU-Personen zu gehen, konkret die allgemeine Abwehr von extraterritorialen Regelungen als Prinzip, die Bewahrung der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt und Gerichtsbarkeit sowie die Bewahrung der unionalen und mitgliedstaatlichen Rechtsordnung.146 Dies stützen auch die Erwägungsgründe der Blocking-VO, da neben den vereinzelt erwähnten Interessen betroffener EU-Personen, dort ebenfalls die unionale und mitgliedstaatliche Rechtsordnung und ihr Schutz vor extraterritorialen Eingriffen im Vordergrund steht. Der Umstand, dass die Blocking-VO abschließend nur für diejenigen extraterritorialen Regelungen gilt, die im Annex der Verordnung aufgenommen sind und an deren Abwehr die EU ein Interesse hat, unterstreicht das Spannungsverhältnis von Sekundärsanktionen und Blocking-VO als gegenläufige Maßnahmen der interessengeleiteten Außenpolitik. Soweit die EU nämlich selbst beispielsweise ein Interesse an der Sanktionierung eines anderen Landes, Organisation oder Person hat, greift die Blocking-VO nicht. Aufgenommen sind derzeit nur die angesprochenen US-amerikanischen Sekundärsanktionsakte zu Iran und Kuba. Weitere US-amerikanische Sekundärsanktionen, beispielsweise diejenigen, die die USA im Nachgang der russischen Krim-Invasion 2014 in Bezug auf Russland verhängt hat,147 sind nicht mit aufgenommen,148 da 144 Hierzu Harings, RdTW 2020, 442, 443; Bälz, EuZW 2020, 416; Arlt, OFAC-Klauseln in Finanzierungsverträgen vor dem Hintergrund des Boykottverbots gem. §  7 AWV und der Blocking Statutes, ZIP 2015, 2202, 2205; Kayser (Fn.  27), 120 ff.; Lowe, C.L.J. 1997, 248 ff.; Reinisch, ecolex 1997, 900 ff.; siehe auch den nicht bindenden Leitfaden der Europäischen Kommission von 7.8.2018, Fragen und Antworten: Annahme der aktualisierten BlockingVO ABl. C. 2018/277 I, 4 (I, 6). 145  Siehe oben bei II.2. 146  Basedow (Fn. 5), The Law of Open Societies (Fn. 5), 390; Mankowski, IPRax 2016, 485, 489; siehe auch bereits die Erwägungsgründe der Blocking-VO. 147  Exec. Order No.  13660, Exec. Order No.  13661, Exec. Order No. 13662 , Exec. Order No.  13685; Ukraine Freedom Support Act of 2014, Publ. L. No.  113–272, 128 STAT. 2953 (2014); Support for the Sovereignty, Integrity, Democracy, and Economic Stability of Ukraine Act of 2014, Publ. L. No.  113–95, 128 STAT. 1088 (2014); Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act. Publ. L. No.  115–44, 131 STAT. 886 (2017); 148  Generell wurde eine Erweiterung der Blocking-VO angedacht, jedoch ohne spezifische Angaben der in Betracht kommenden Sekundärsanktionen, siehe Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission: Das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem: Mehr Offenheit, Stärke und Resilienz, COM (2021) 32 final, 19.1.2021, 21 ff. Das Vorhaben wurde jedoch bis dato nicht weiterverfolgt.

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die Union eigene Russland bezogene Sanktionen erlassen hat149 und die US-amerikanischen Sanktionen zu Russland unterstützt. Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht nun nicht nur besonders das außenpolitisch motivierte Konzept der Blocking-VO nach den Interessen der EU, sondern vor allem, dass die EU in Bezug auf extraterritorial wirkende Sanktionen mit zweierlei Maß misst. Seit dem 8. Sanktionspaket der EU gegen Russland im Kontext der russischen Aggressionen gegen die Ukraine vom 6.10.2022150 erlaubt nun auch die EU Sanktionen gegen Personen, die Verstöße gegen das Verbot der Umgehung und Vermeidung von EU-Sanktionen erleichtern.151 Solche werden nicht „wegen ihrer (primären) Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität oder Unabhängigkeit sanktioniert“, sondern weil sie das Sank­tionsregime der EU nicht respektieren und liegen damit nicht mehr fern von US-amerikanischen Sekundärsanktionen.152 Das der Blocking-VO zugrundeliegende Dogma der Völkerrechtswidrigkeit von extraterritorialen Sanktionen stellt dieses Vorhaben in Frage. Vielmehr handelt es sich um ein Instrument der interessengeleiteten Außenpolitik zu Lasten Privater. Während solche EU-Sanktionen an sich, wie eben auch umfassender Schutz personenbezogener Daten vor Weitergabe in Drittstaaten mit anderem Datenschutzniveau, durchaus politisch zu begrüßen sind, sind dennoch die Auswirkungen in privaten Rechtsverhältnissen zu hinterfragen. Vor allem das Ausnahmeregime in Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO ist vor dem Hintergrund kritisch zu bewerten. Eine verhältnismäßige Berücksichtigung berechtigter privater Interessen erlaubt dessen hohe Anforderungen derzeit nicht.

149  Zum Beispiel Verordnungen (EU) Nr.  269/2014 und Nr.  833/2014; Überblick bei Europäischer Rat, Restriktive Maßnahmen der EU gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine (seit 2014), abrufbar unter https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/ restrictive-measures-against-russia-over-ukraine/ (abgerufen am 2.10.2023); dazu Schwendinger/Trennt, EuZW 2015, 93 ff.; Schwendinger/Göcke, EuZW 2022, 499 ff. 150  Beschluss (GASP) Nr.  2022/1909 des Rates vom 6.10.2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren ABl. L. 2022/259, 122 (Beschluss [GASP] Nr.  2022/1909); Verordnung (EU) Nr.  2022/1904 des Rates vom 6.10.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr.  833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren ABl. L 2022/259, 3 (Verordnung [EU] Nr.  2022/1904); dazu: Harings/Kleinert, 8. Sanktionspaket der EU – Inhalt und Bedeutung, UKuR 2022, 544 ff. 151  Art.  3 Abs.  1 (h) der konsolidierten Verordnung (EU) Nr.  269/2014. 152  Zimmermann, Umgehungsverbote und Sekundärsanktionen: Sanktionspolitische Wende der EU?, UKuR 2022, 716, 720.

Verzeichnis der Autor*innen Dr. Shahar Avraham-Giller The Hebrew University of Jerusalem Prof. Dr. Tabea Bauermeister Universität Regensburg Tess Bens Universität Wien Dr. Raphael Dummermuth Université de Fribourg/Universität Basel Victoria Garin Giménez European University Institute, Florenz Vanessa Grifo Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Ass.-Prof. Dr. Lena Hornkohl, LL.M. (CoE) Universität Wien Selina Mack Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Horatia Muir Watt Sciences Po, École de droit, Paris Dr. Sophia Schwemmer Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg