Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I 9783658400705, 9783658400712, 3658400706

Obwohl PISA 2018 bei 21% der 14-Jährigen Defizite im basismathematischen Bereich feststellte, ist das Thema Rechenschwäc

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Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I
 9783658400705, 9783658400712, 3658400706

Table of contents :
Geleitwort
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten im Rechnen
2.1 Definitionen und Prävalenzen aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven
2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren
2.2.1 Die Ebene der individuellen Risikofaktoren
2.2.2 Die Ebene des sozialen und familiären Umfelds
2.2.3 Die Ebene des Mathematikunterrichts als Risikofaktor
3 Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit
3.1 Notwendige Vorkenntnisse und Einflussfaktoren für das Lernen von Mathematik in der Grundschule und der Sekundarstufe I
3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen
3.2.1 Das Modell der Zahlen-Größen-Verknüpfung nach Krajewski
3.2.2 Mathematische Kompetenzentwicklung nach Fritz, Ehlert und Balzer
3.2.3 Vorläuferfähigkeiten von Schulanfängern und Schulanfängerinnen
3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule
3.3.1 Das Stellenwertverständnis
3.3.2 Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept
3.3.3 Multiplikation und Division
3.3.4 Rechenstrategien bezüglich der Grundrechenarten
3.3.5 Die Fähigkeit zum Sachrechnen
3.4 Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
4 Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der Sekundarstufe I im Bereich der natürlichen Zahlen
4.1 Das Stellenwertverständnis
4.2 Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept
4.3 Multiplikation und Division
4.4 Die Verwendung von Rechenstrategien
4.5 Die Fähigkeit zum Sachrechnen
4.6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und weiteres Vorgehen
5 Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung und mögliche Probleme von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen
5.1 Gemeine Brüche
5.1.1 Identifizieren und Realisieren
5.1.2 Erweitern und Kürzen
5.1.3 Größenvergleich
5.1.4 Addition und Subtraktion
5.1.5 Multiplikation und Division
5.1.6 Zusammenfassung bezüglich der gemeinen Brüche
5.2 Dezimalzahlen
5.3 Prozentrechnung
5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen im Bereich der gebrochenen Zahlen
5.4.1 Bisherige empirische Erkenntnisse
5.4.2 Ergebnisse der DUDEN-Studie
5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
6 Diagnostik in Schule und Unterricht
6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests
6.1.1 Testverfahren, Testtheorien und Diagnosekriterien
6.1.2 Anforderungen an die Gütekriterien
6.1.3 Mögliche Inhalte und Aufgabengestaltungen
6.1.4 Zusammenfassung
6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik von Grund- und Fehlvorstellungen
6.2.1 Techniken der Aufgabengestaltung
6.2.2 Komplexitäten von verstehensorientierten Aufgaben
7 Zusammenfassung: Ziele und Anforderungen an das zu entwickelnde Testverfahren LeDi-Arithmetik
8 Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik
8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen
8.1.1 Aufgaben zum dekadischen Stellenwertsystem
8.1.2 Aufgaben zum Rechnen mit natürlichen Zahlen
8.1.3 Sachaufgaben
8.1.4 Einordnung der Aufgaben in ein theoretisches Niveaustufenmodell
8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen
8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen
9 Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben
9.1 Fragestellungen
9.2 Untersuchungsdesign
9.2.1 Vorgehen
9.2.2 Stichprobe
9.2.3 Erhebungsinstrumente
9.2.4 Test-Durchführungen
9.2.5 Statistische Methoden
10 Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung
10.1 Ergebnisse der Voruntersuchung
10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene
10.2.1 Testteil 1 und 2 – natürliche Zahlen
10.2.2 Testteil 3 – gebrochene Zahlen
10.2.3 Testteil 4 – ganze Zahlen
10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene
10.3.1 Festlegung der Grenzwerte
10.3.2 Überprüfung der Gütekriterien
10.3.3 Durchführung und Auswertung des LeDi-Arithmetik
11 Fazit und Ausblick
11.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
11.2 Ausblick
Literaturverzeichnis

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Susanne Dögnitz

Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I

Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I

Susanne Dögnitz

Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I

Susanne Dögnitz Leipzig, Deutschland Dissertation der Universität Leipzig, Fakultät für Mathematik und Informatik, 2022 Tag der Verteidigung: 18. Mai 2022 Erstgutachterin: Prof. Dr. Silvia Schöneburg-Lehnert Zweitgutachterin: Prof. Dr. Andrea Hoffkamp

ISBN 978-3-658-40070-5 ISBN 978-3-658-40071-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Marija Kojic Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort

Obgleich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rechenschwäche in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist die Forschung in diesem Bereich gegenüber der zur LRS, insbesondere was die Sekundarstufe I betrifft, noch verhältnismäßig jung. Es sind zwar mittlerweile einige Testverfahren zur Diagnostik von Rechenschwäche vorhanden, allerdings sind diese selten für die Sekundarstufe I und nicht für die Diagnostik im Klassenverband durch die Lehrkraft geeignet. In der Regel können sie nur von Expert:innen durchgeführt werden und sind meist sehr kostenintensiv. Genau diese Lücke schließt Frau Dögnitz mit ihrer Dissertation, in der sie sich mit der Konzeption eines quantitativen Testverfahrens mit qualitativen Elementen zur Diagnostik von Rechenschwäche im Klassenverband beschäftigt. Sie schafft mit ihrem Testverfahren ein für Lehrkräfte zugängliches, praxistaugliches Diagnoseinstrument, auf Grundlage dessen sowohl Schüler:innen als auch deren Eltern beraten und unterstützt werden können. Das Identifizieren geeigneter Aufgabeninhalte und -formate für ein solches Testverfahren steht im Fokus der Arbeit. Der erste Teil der Arbeit widmet sich theoretischen und fachdidaktischen Grundlagen zum Thema Rechenschwäche unter Einbeziehung verschiedener Forschungsperspektiven (neurowissenschaftlich, kognitionspsychologisch und entwicklungspsychologisch-fachdidaktischer), wobei der Schwerpunkt auf der letzten Perspektive liegt. Neben einer an Moser Opitz angelehnten Definition, die im Rahmen der Arbeit präzisiert wird, ist es Ziel dieses theoretischen Teils geeignete mathematische Inhalte für die Diagnostik von Rechenschwäche zu identifizieren und die Umsetzung dieser in diagnostischen Tests genauer zu beleuchten. Der Fokus liegt dabei zum einen auf dem Herausarbeiten mathematischer Basisfähigkeiten für einen erfolgreichen Kompetenzerwerb, zum anderen

V

VI

Geleitwort

auf der Entwicklung dieser sowie auf Unterschieden bei mathematisch unauffälligen und rechenschwachen Schüler:innen. Frau Dögnitz gelingt es im Rahmen ihrer theoretischen Betrachtungen überzeugend sieben markante Kriterien für ein gutes Diagnoseinstrument herauszuarbeiten, deren Einhaltung sie im praktischen Teil ihrer Arbeit aufs Genauste beachtet. Die besonders hervorzuhebende Leistung dieser Arbeit ist im praktischen, empirischen Teil der Arbeit zu sehen. Diese beruht auf der Konzeption geeigneter Aufgaben zu natürlichen und gebrochenen Zahlen für den von ihr entwickelten „LeDi-Arithmetik“ (Leipziger Diagnostikum arithmetischer Basiskompetenzen in der Sekundarstufe I) sowie den damit einhergehenden empirischen Analysen. Nach zwei Vorstudien wurde die Hauptstudie in 21 Klassen der Jahrgangsstufe 8 in Sachsen durchgeführt. Dabei wurde neben dem von Frau Dögnitz entwickelten LeDi-Arithmetik ein Ergänzungsfragebogen für Lehrkräfte und der BADYS 8+ als Erhebungsinstrumente eingesetzt. Die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse erfolgt sehr detailliert, die Schülerlösungen zu den verstehensorientierten Aufgaben werden zudem noch qualitativ ausgewertet, um ihr wirkliches Potential zu erfassen. Frau Dögnitz zeigt dabei, dass auch Aufgaben mit offenem Antwortformat für ein quantitatives Testinstrument geeignet sind, ohne die Objektivität zu verletzen. Damit zeichnet sie sich gegenüber anderen Gruppentestverfahren aus, in denen dies bis jetzt nicht zum Tragen gekommen ist. Frau Dögnitz ist es gelungen, ein zweistufiges Testinstrument (Zusatzskala: gebrochene Zahlen) für den Einsatz im Klassenverband zu entwickeln, das sich durch die Integration verstehensorientierter Elemente auszeichnet und auch von Lehrkräften ohne Professionswissen zu Rechenschwäche eingesetzt werden kann. Damit leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur mathematikdidaktischen Forschung und nicht zuletzt auch zur Verbesserung des Mathematikunterrichts. Mit Hilfe ihres Testverfahrens wird Lehrkräften ein gut durchdachtes, kostenfreies Instrument zur Diagnostik zur Verfügung gestellt, auf deren Basis weitere Schritte und/oder Fördermöglichkeiten im und außerhalb des Mathematikunterrichts abgeleitet werden können. Die Erkenntnisse von Frau Dögnitz können unmittelbar in die Lehreraus- und -weiterbildung einfließen. Leipzig 25.10.2022

Danksagung

Es ist geschafft – kaum zu glauben und auch wenn es wie eine übliche Floskel klingt, allein ist so ein Riesenprojekt nicht zu schaffen und damit kann ich nun die vielleicht schönsten Zeilen dieser Arbeit schreiben, um den Menschen zu danken, ohne die die folgenden 400 Seiten nicht zustande gekommen wären. Mein erster ganz großer Dank gilt Prof. Dr. Silvia Schöneburg-Lehnert, die mich in der gesamten Zeit der Promotion, aber ganz besonders am Ende begleitet und unterstützt hat und es schaffte jede kritische Prüfung von Texten und Ergebnissen in ein angenehmes Gespräch zu verwandeln. Nicht einmal hast du mich ratlos zurückgelassen, sondern mir über jede große Hürde geholfen. So eine Betreuerin zu haben ist unglaublich viel wert und dafür bin ich sehr dankbar. Ich danke außerdem besonders Martina Gembski. Sie half mir nicht nur mit ihrer großen Expertise zum Thema Rechenschwäche, sondern trug mit ihren Kontakten dazu bei, dass viele Lehrer und Lehrerinnen an diesem Projekt teilnahmen und unterstützte mich außerdem auch viele Male an den Schulen bei der Datenerhebung. Des Weiteren danke ich natürlich meinen lieben Mitstreiter:innen beim Promovieren und den anderen Mitgliedern des Doktorandenkolloquiums: Holger Wuschke, Felix Wlassak, Lea Dasenbrock, Jennifer Rothe, Steffen Hintze und Dr. Thomas Krohn. Mit kritischem Blicken, Nachfragen und vor allem hilfreichen Ideen haben sie wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Dabei gilt ein ganz besonderer Dank Felix Wlassak, der mir vor allem bei statistischen Fragen stets zur Seite stand. Auch möchte ich mich herzlich beim DUDEN-Institut für Lerntherapie, im Besonderen bei Jana Köppen und Dr. Lorenz Huck bedanken, die mir einen spannenden Einblick in ihre Arbeit gewährten und durch den Zugang zu ihren

VII

VIII

Danksagung

Archiven die Möglichkeit gaben, mehr über die Schwierigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler herauszufinden. Ich möchte mich bei den vielen Lehrkräften bedanken, die mir ein paar Stunden ihrer kostbaren Unterrichtszeit schenkten und mit vielen wertvollen Hinweisen zur Verbesserung des LeDi-Arithmetik und des Manuals beigetragen haben. Und da sind natürlich noch meine Freunde, denen ich von Herzen danken möchte, denn sie unterstützten mich nicht nur durch aufmunternde Worte, sondern haben auch ganz praktisch zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen. An erster Stelle möchte ich mich bei Marie Annisius bedanken, die sich gewissenhaft durch alle Seiten kämpfte (durch manche auch mehrfach, wenn die Technik nicht so wollte wie wir), um große und kleine Missgeschicke in Rechtschreibung und Grammatik zu beheben. Des Weiteren gilt mein Dank Cora-Sophie Schwanebeck, die mir bei der Dateneingabe viele Stunden Arbeit abgenommen hat und Uli Krause, der den LeDi-Arithmetik zu einem digitalen Testverfahren gemacht hat. Als letztes und vielleicht wichtigstes möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, bei meiner Mutter Sylke Dögnitz und meiner Schwiegermutter Birgit Busch, die immer mit so viel Freude jeden möglichen Enkeldienst übernehmen und bei meinem Ehemann Niels, der sich nicht nur darum bemühte, dass diese Arbeit möglichst schick daherkommt, sondern mir durch viele Monate Elternzeit erst die Möglichkeit gab, diese Arbeit fertigzustellen und mit unseren drei Mäusen Amos, Merle und Mads fröhlich in die Natur entschwand, wenn Mama mal wieder an „ihrem Buch“ weiterschreiben musste. Mein Liebster, ohne dich hätte dieses ganze Riesenprojekt niemals fertiggestellt werden können. Ich danke dir.

Susanne Dögnitz

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten im Rechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Definitionen und Prävalenzen aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Ebene der individuellen Risikofaktoren . . . . . . . . . 2.2.2 Die Ebene des sozialen und familiären Umfelds . . . . . 2.2.3 Die Ebene des Mathematikunterrichts als Risikofaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Notwendige Vorkenntnisse und Einflussfaktoren für das Lernen von Mathematik in der Grundschule und der Sekundarstufe I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen . . . . . . . . . 3.2.1 Das Modell der Zahlen-Größen-Verknüpfung nach Krajewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Mathematische Kompetenzentwicklung nach Fritz, Ehlert und Balzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Vorläuferfähigkeiten von Schulanfängern und Schulanfängerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Das Stellenwertverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 7 7 22 26 38 41 45

45 50 50 54 59 62 67

IX

X

Inhaltsverzeichnis

3.3.2

3.4 4

5

Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Multiplikation und Division . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Rechenstrategien bezüglich der Grundrechenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Die Fähigkeit zum Sachrechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . .

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der Sekundarstufe I im Bereich der natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . 4.1 Das Stellenwertverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept . . . . . . . . 4.3 Multiplikation und Division . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Verwendung von Rechenstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Fähigkeit zum Sachrechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung und mögliche Probleme von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Gemeine Brüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Identifizieren und Realisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Erweitern und Kürzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Größenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Addition und Subtraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Multiplikation und Division . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.6 Zusammenfassung bezüglich der gemeinen Brüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Dezimalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Prozentrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen im Bereich der gebrochenen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Bisherige empirische Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Ergebnisse der DUDEN-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76 81 84 101 104 109 111 113 117 120 124 127

131 133 136 140 141 144 147 152 153 165

167 167 173 178

Inhaltsverzeichnis

6

7 8

XI

Diagnostik in Schule und Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests . . . . . . . . . . 6.1.1 Testverfahren, Testtheorien und Diagnosekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Anforderungen an die Gütekriterien . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Mögliche Inhalte und Aufgabengestaltungen . . . . . . . . 6.1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik von Grund- und Fehlvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Techniken der Aufgabengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Komplexitäten von verstehensorientierten Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 182

219

Zusammenfassung: Ziele und Anforderungen an das zu entwickelnde Testverfahren LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

185 189 203 207 210 211

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Aufgaben zum dekadischen Stellenwertsystem . . . . . . 8.1.2 Aufgaben zum Rechnen mit natürlichen Zahlen . . . . . 8.1.3 Sachaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Einordnung der Aufgaben in ein theoretisches Niveaustufenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263 266 276

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Erhebungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Test-Durchführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Statistische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287 287 288 288 289 290 296 298

10 Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Ergebnisse der Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene . . . . . . . . . . 10.2.1 Testteil 1 und 2 – natürliche Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Testteil 3 – gebrochene Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 304 305 307 336

9

229 229 231 241 261

XII

Inhaltsverzeichnis

10.2.3 Testteil 4 – ganze Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Festlegung der Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Überprüfung der Gütekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Durchführung und Auswertung des LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

344 348 349 358

11 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . 11.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 367 374

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

377

365

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1 Abbildung 2.2

Abbildung 2.3 Abbildung 2.4 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2 Abbildung 3.3 Abbildung 3.4 Abbildung 3.5 Abbildung 5.1 Abbildung 5.2 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

5.3 5.4 5.5 5.6

Ursachenfelder einer Rechenschwäche nach Schipper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungspsychologisch-didaktisches Modell: „Rechenschwäche im Kontext unterrichtlicher, individueller und schulstruktureller Faktoren“ nach Moser Opitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Triple-Code-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau des Gedächtnisses nach Baddeley . . . . . . . . . . Notwendige Fähigkeiten und deren Einflussfaktoren bis zur Sekundarstufe . . . . . . . . . . . . Das Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-verknüpfung nach Krajewski . . . . . . . . . Verteilung der konzeptuellen Niveaus pro Messzeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzstufenverteilung nach KMK und IQB . . . . Hürden und Stolpersteine beim Erlernen des Rechnens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kompetenzen in Grundschule und Sek. I . . . . . . . . . . . Beispielaufgabe zum Identifizieren von gemeinen Brüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multiplikation gemeiner Brüche als Flächeninhalt . . . 1 1 1 1 3 · 2 als 3 von 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwerttafel für Dezimalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafte Rückbezüge, Vorstellungen und Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

24 29 32 49 52 60 63 105 132 138 148 149 154 158

XIII

XIV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 5.7 Abbildung 5.8 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

6.1 6.2 6.3 6.4

Abbildung 6.5

Abbildung 6.6

Abbildung 6.7 Abbildung 6.8 Abbildung 6.9 Abbildung 6.10 Abbildung 6.11 Abbildung 6.12 Abbildung 7.1 Abbildung 7.2 Abbildung 8.1 Abbildung 8.2 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

8.3 9.1 10.1 10.2

Übergang von der räumlich-simultanen Anordnung zur Flächenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . Rechenbeispiel für die Division zweier Dezimalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozess der Testentwicklung (Schwerpunkte) . . . . . . . Nachbildung des Items 3e) des ERT 4+ . . . . . . . . . . . . Beispiel für eine Fehlerbegründungsaufgabe . . . . . . . . Aufgabenbeispiel für einen algebraisch-ikonischen Darstellungswechsel . . . . . . . . Aufgabenbeispiel für einen algebraisch-ikonischen Darstellungswechsel in zwei Richtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenbeispiel für einen ikonisch-algebraischen Darstellungswechsel für die stellenweise Subtraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehrbuchbeispiel für eine Übersetzung zwischen realer und mathematischer Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für eine Kombination von Darstellungswechsel und Begründung . . . . . . . . . . . . . Rechenstrategieerfassung im Screeningverfahren nach KIWIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für die Erhebung von Fehlerstrategien im TAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taxonomietabelle nach Krathwohl . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für den Vergleich von Rechenwegen . . . . . . . Inhaltsbereiche des LeDi-Arithmetik zu den natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsbereiche des LeDi-Arithmetik zu den gebrochenen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stadien der Entwicklung negativer Zahlen als eigenständiges Denkobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . devided number line model in Kombination mit Regelwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . continuous number line model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiedene IC-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Addierte Rohwerte der Testteile 1 und 2 . . . . . . . . . . . Lineare Regression zwischen den Ergebnissen des BADYS 8+ und der Rohwerte des LeDi-Arithmetik Teil 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 164 183 204 213 214

215

215 216 216 217 218 220 222 226 227 278 279 280 299 307

309

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 10.3 Abbildung 10.4 Abbildung 10.5 Abbildung 10.6 Abbildung 10.7 Abbildung 10.8 Abbildung 10.9 Abbildung 10.10 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

10.11 10.12 10.13 10.14 10.15 10.16

Abbildung 10.17 Abbildung 10.18 Abbildung 10.19

Abbildung 10.20 Abbildung 10.21 Abbildung 10.22 Abbildung 10.23

Vergleich der IC-Funktionen von üblichem Kurvenverlauf mit dem des Items „halbieren c“ . . . . . Person-Item Map zu den Aufgaben der Testteile 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel einer korrekten Lösung der Anton-Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel einer inkorrekten Lösung der Anton-Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiteres Beispiel einer Falschlösung der Anton-Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Beispiele korrekter Lösungen der Umkehraufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafte Lösungen der Umkehraufgaben . . . . . . . . Tauschaufgabe wird fehlerhaft als richtige Lösung angenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiellösung für die Fehlersuchaufgabe . . . . . . . . . . Lösungsbeispiel der Aufgabe 64 – 25 . . . . . . . . . . . . . Falschlösung zur Aufgabe 18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Falschlösung zur Aufgabe 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der Punktzahlen im Testteil 3 . . . . . . . . . . . Lineare Regression zwischen den Gesamtpunktzahlen des BADYS und denen des Testteils 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Person-Item Map des Teils 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der Gesamtpunktzahlen des Teils 4 des LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung richtiger und falscher Antworten innerhalb der Aufgaben des Testteils 4 des LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der Ergebnisse des Testteils 4 im Bezug zu denen des BADYS 8+ . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsschema nach der Diagnostik mittels LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bearbeitungszeiten der Schüler:innen für den LeDi-Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der Punktzahlen des BADYS 8+ . . . . . . . .

XV

314 315 320 320 321 322 322 323 324 326 333 333 337

339 342 345

346 347 357 359 360

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2.1 Tabelle 3.1 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

3.2 5.1 5.2 5.3

Tabelle 5.4 Tabelle 6.1 Tabelle 6.2 Tabelle 6.3 Tabelle 8.1 Tabelle 9.1 Tabelle 10.1 Tabelle 10.2

Tabelle 10.3

Übersicht über die verschiedenen Forschungsansätze zum Thema Dyskalkulie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiedene Niveaustufenmodelle und deren Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechenstrategien und ihre Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . Verschiedene Vorstellungen von gemeinen Brüchen . . . . Vorgehen beim Identifizieren von gemeinen Brüchen . . . Verteilung der Diagnosebögen auf die Schuljahre der Sekundarstufe I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsquoten für verschiedene Disziplinen im Bereich der gebrochenen Zahlen in % . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Testverfahren und ihre Eigenschaften . . . . . Vergleich der Testverfahren mit Kriterien und Einsatzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einordnung der verstehensorientierten Aufgabenformate in die Taxonomie von Krathwohl . . . . . Theoretische Niveaus der Aufgaben zu natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subtests des BADYS 8+ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnoseergebnisse des BADYS 8+ . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwerte und Signifikanzen der Testteile des LeDi-Arithmetik nach Diagnostik durch den BADYS 8+ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modellpassungen zwischen den Ergebnissen der Testteile 1 und 2 des LeDi-Arithmetik und der verschiedenen Skalen des BADYS 8+ . . . . . . . . . . . . . . . .

10 66 95 135 137 173 174 190 208 223 264 293 305

306

309

XVII

XVIII

Tabelle 10.4 Tabelle 10.5 Tabelle 10.6 Tabelle 10.7 Tabelle 10.8 Tabelle 10.9 Tabelle 10.10

Tabelle 10.11 Tabelle 10.12 Tabelle 10.13

Tabelle 10.14

Tabelle 10.15

Tabelle 10.16 Tabelle 10.17

Tabelle 10.18

Tabellenverzeichnis

Modell-Parameter der Testteile 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsquoten auffälliger Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwendung der Notizstrategien bei den einzelnen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korrekte Strategien und korrekte Ergebnisse bei der Strategieaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der richtigen Ergebnisse trotz falscher Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzahl fehlerhafter Strategien und Ergebnisse sowie deren Passung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der Testteile zu den natürlichen und den gebrochenen Zahlen der Vergleichs- und Risikogruppe . . . . . . . . . . . . . Itemkennwerte der Aufgaben zu gebrochenen Zahlen . . . Lösungsquoten des Testteils 3 unter Berücksichtigung des Splitkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsquoten der Risiko- (100 Lernende) und Vergleichsgruppe (299 Lernende) in Testteil 4 in Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwierigkeiten, Sprünge und damit verbundene Rohwerte zur empirischen Niveaustufenmodellierung der Aufgaben zu natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwierigkeiten, Sprünge und damit verbundene Rohwerte zur empirischen Niveaustufenmodellierung der Aufgaben zu gebrochenen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzwerte nach verschiedenen Kriterien . . . . . . . . . . . . Korrelationen zwischen den Rohwerten des LeDi-Arithmetik und verschiedener Vergleichskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korrelationen des Testteils gebrochene Zahlen mit anderen Vergleichskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

310 312 327 328 329 330

337 338 340

347

350

354 356

358 361

1

Einleitung

Rechenschwäche oder besondere Schwierigkeiten im Rechnen gelten vor allem als Forschungsgegenstand des Grundschulbereichs, denn laut der am häufigsten verwendeten Definition (der ICD-10 und -11 der WHO) zeichnen sie sich durch das Fehlen von basismathematischen Fähigkeiten aus, die sich grundlegend in den ersten vier Schuljahren entwickeln (Dilling 2005; World Health Organization 2020). Im Gegensatz zur LRS-Forschung ist die der Rechenschwäche noch recht jung (Landerl et al. 2017, S. 11). Die Diagnostik ist damit auch in der Grundschule noch nicht ausreichend etabliert, um davon auszugehen, dass alle Kinder erkannt werden können, denen das Erlernen von Basiskompetenzen und -fertigkeiten nicht im ausreichenden Maß gelungen ist, um auch in der Sekundarstufe am Mathematikunterricht erfolgreich teilzunehmen. Denn durch den spiralförmigen Aufbau des Mathematikcurriculums kann bei einer Nichtbehandlung einer Rechenschwäche in der Grundschulzeit auch kein adäquates Lernen in der Sekundarstufe erfolgen (z. B. Moser Opitz 2013, S. 220; Wartha und Güse 2009). Die wenigen bisher veröffentlichten Studien zu Rechenschwäche in der Sekundarstufe I zeigen, dass sich betroffene Schülerinnen und Schüler nicht dadurch auszeichnen, dass sie über keinerlei mathematische Fähigkeiten verfügen. Mithilfe der vorhandenen Kompetenzen sind sie oft in der Lage die großen Schwierigkeiten, die ihnen der Mathematikunterricht bereitet, zu verbergen (z. B. Balzer et al. 2007; Dögnitz 2018; Moser Opitz 2013; Schäfer 2005). Außerdem gibt es aus der Forschung Hinweise, dass Lehrende dazu neigen, die Leistungen sehr schwacher Schülerinnen und Schüler deutlich zu überschätzen (Lorenz 2011, S. 12). Im Allgemeinen gibt es verschiedene Betrachtungsweisen zum Thema Rechenschwäche/-störung oder Dyskalkulie. Bei Sichtung der Literatur wird erkennbar, dass dieses Thema bisher größtenteils von der Psychologie beforscht © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_1

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Einleitung

wird, auch wenn die Herangehensweisen innerhalb dieser Disziplin sehr unterschiedlich sind: Die Neuropsychologie fragt nach Defiziten im Hirn, die zu einer Rechenstörung führen können (z. B. Kuhn 2017, S. 116 ff.), die Kognitionspsychologie hingegen sucht nach Störungen von kognitiven Funktionen und Prozessen (z. B. Landerl et al. 2017, S. 114 ff.). Demgegenüber fragt die Entwicklungspsychologie nach den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zum Erwerb und zur Weiterentwicklung von mathematischen Kompetenzen notwendig sind (z. B. Fritz und Ricken 2008, S. 28 ff.). Die Mathematikdidaktik ist als eigenständige Forschungsrichtung hingegen weniger vertreten (Kuhn 2017, S. 24 f.). Dies mag vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass sich starke Überschneidungen zur Entwicklungspsychologie zeigen, wenn der Frage nach dem Zustandekommen mathematischer Fähigkeiten und Leistungen nachgegangen wird. Während die Entwicklungspsychologie nach Modellen sucht, die beschreiben, wie das Zahlund das Operationsverständnis der Grundrechenarten unabhängig vom Kontext Schule zustande kommen und aufeinander aufbauen, beschreibt die Mathematikdidaktik allgemeine und inhaltliche mathematische Kompetenzen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gelernt sein müssen (in Form der Bildungsstandards), zu denen das Zahl- und Operationsverständnis ebenfalls gezählt werden. In welchen Schritten entwickeln sich diese Kompetenzen, welche individuellen Denkprozesse liegen dieser Entwicklung zu Grunde, welche behindern sie hingegen und welche unterrichtlichen Faktoren begünstigen oder erschweren den Kompetenzaufbau? Dies sind zentrale Fragen, auf die die Mathematikdidaktik Antworten sucht (vgl. Bruder et al. 2015). Damit sind, bezogen auf die Rechenschwäche, große Überschneidungen der Entwicklungspsychologie und der Mathematikdidaktik festzustellen, besonders bezogen auf die Frage, welche Inhalte als Grundlage für eine Diagnose der Rechenschwäche erforderlich sind. Jedoch kann die Mathematikdidaktik auch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Diagnostik und zum Aufdecken von Denkprozessen geben, wenn es um die Gestaltung von geeigneten Aufgaben geht, denn dies ist ureigenes Gebiet dieser Wissenschaftsdisziplin (Leuders 2015, S. 435). Auf diese Weise kann die Verknüpfung von Entwicklungspsychologie und Mathematikdidaktik einen Gewinn für eine gute Diagnostik von Rechenschwäche darstellen – ganz besonders für betroffene Schülerinnen und Schüler, sowie deren Lehrer:innen und Eltern. Zurzeit sind bereits einige Testverfahren erhältlich, mit denen Rechenschwäche diagnostiziert werden kann (Landerl et al. 2017, S. 157 ff.; Schipperges 2016, S. 40 ff.). Nur wenige sind jedoch für die Sekundarstufe I ausgelegt und keines ist für die Durchführung in einer ganzen Klasse sowie eine Auswertung durch die Lehrkraft vollumfänglich geeignet (vgl. Moser Opitz und Ramseier 2012,

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Einleitung

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S. 103 f. und Abschnitt 6.1). Es ist also für Lehrkräfte nur schwer möglich innerhalb ihres Unterrichts rechenschwache Schülerinnen und Schüler zu erkennen. Die Leitfrage dieser Dissertation lautet deshalb: Welche mathematischen Aufgabeninhalte eignen sich, um Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen im Klassenverband durch die Lehrkraft zu diagnostizieren und wie können diese in einem Testverfahren umgesetzt werden?

Diese Frage lässt drei Schwerpunkte innerhalb dieser Arbeit erkennen, die den roten Faden des theoretischen Teils bilden sollen: Es soll um mathematische Aufgaben und ihre Eigenschaften gehen, besondere Schwierigkeiten im Rechnen bzw. Rechenschwäche und das Diagnostizieren im Klassenverband. So wird sich der erste Teil (Kapitel 2) mit verschiedenen Aspekten des Phänomens besondere Schwierigkeiten im Rechnen/Rechenschwäche/Dyskalkulie auseinandersetzen. Innerhalb dieses Kapitels soll zum einen der aktuelle Forschungsstand auf diesem Gebiet aufgezeigt werden, zum anderen ist jedoch auch zu thematisieren, wo in der Forschung Diskussionspotenzial und Widersprüche zu finden sind, denn Vokabular, Ursachenzuschreibung und Betrachtungsweisen unterscheiden sich je nach Wissenschaftsdisziplin. Ziel dieses Kapitels ist deshalb auch die Einordnung in und die Abgrenzung von den vorgestellten Forschungsrichtungen, aufgrund derer eine geeignete Arbeitsdefinition für die Beantwortung der Forschungsfrage formuliert wird. Im zweiten Teil der theoretischen Betrachtung soll den Fragen nachgegangen werden, welche Fähigkeiten als mathematische Basisfähigkeiten für einen erfolgreichen Kompetenzerwerb angenommen werden können, wie sich diese entwickeln (Kapitel 3) und wie sie bei mathematisch unauffälligen und rechenschwachen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I ausgebildet sind (Kapitel 4). In der Auseinandersetzung wird deutlich, dass beiden Schülergruppen spezifische Kompetenzen fehlen, um in weiterführenden Schulen höhere mathematische Fähigkeiten zu erwerben. Die Frage, die ein Diagnoseverfahren nun beantworten muss, ist, ob die Basiskompetenzen genügend gut ausgebildet sind, um das Lernen in der Sekundarstufe I zu ermöglichen. Auf diese Frage kann ein Testinstrument prinzipiell drei verschiedene Antworten liefern: Die vorhandenen Fähigkeiten sind für die Sekundarstufe I ausreichend entwickelt, sie sind es nicht oder es kann kein eindeutiges Ergebnis ermittelt werden, da die ermittelten Leistungen des Lernenden im Grenzbereich liegen und deshalb keine eindeutige Diagnose zulassen. Deshalb scheint es für diesen Fall sinnvoll auch weiterführende Inhalte einzubeziehen, denn Schülerinnen und Schüler, die gute Ergebnisse

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Einleitung

bzgl. dieser erzielen, müssten über genügend ausgebildete Basiskompetenzen verfügen, auch wenn das Ergebnis dieses Testteils nicht eindeutig ist. Daraus ergibt sich die Überlegung, dass arithmetische Inhalte der Sekundarstufe, wie gebrochene Zahlen zur Diagnostik, geeignet wären. Mit diesem Inhalt sowie den Kompetenzen mathematisch unauffälliger und rechenschwacher Schülerinnen und Schüler beschäftigt sich Kapitel 5 genauer. Ziel dieses zweiten theoretischen Teils ist demnach das Herausarbeiten der Inhalte, die in einem diagnostischen Verfahren zum Erkennen von Rechenschwäche notwendig sind. Der dritte theoretische Schwerpunkt (Kapitel 6) beschäftigt sich dann mit der Umsetzung dieser Inhalte in diagnostischen Tests. Es werden Konstruktionsmöglichkeiten und Kriterien für Testverfahren zur Diagnostik von Rechenschwäche/Dyskalkulie aufgezeigt und bisher veröffentlichte Instrumente dahingehend verglichen. Um der Frage nachzugehen, wie das diagnostische Potenzial von Aufgaben weiter gesteigert werden kann, sollen mathematikdidaktische Erkenntnisse zu geeigneten Aufgabenformaten für die Diagnostik betrachtet werden, um, nach der inhaltlichen Präzisierung im zweiten Teil der Theorie, nun sinnvolle Aufgabengestaltungen für das Erkennen von Rechenschwäche im Klassenverband zu identifizieren. In Kapitel 7 werden dann die bisherigen Erkenntnisse gebündelt dargestellt und die in Kapitel 6 aufgeführten Kriterien für ein gutes Diagnoseinstrument zum Thema Rechenschwäche mithilfe der Anforderungen, dass das entstehende Testverfahren für die Durchführung und Auswertung durch die Lehrkräfte geeignet sein soll, erweitert. Der Praxisteil widmet sich dann zunächst der Konstruktion geeigneter Aufgaben (Kapitel 8). Dabei werden zum Teil zu gleichen Inhalten mehrere Aufgaben erstellt, um anschließend die diagnostisch effektivsten zu ermitteln. Nach einer Beschreibung des Forschungsdesigns (Kapitel 9) werden die Ergebnisse der empirischen Erprobung des aus den Aufgaben entstandenen Testverfahrens Leipziger Diagnostikum arithmetischer Basiskompetenzen in der Sekundarstufe I (kurz: LeDi-Arithmetik) präsentiert, die anhand von ca. 400 Schülerinnen und Schülern der achten Klasse gewonnen wurden. Ziel ist es u. a. durch eine RaschModellierung der Schülerergebnisse und unter Einbeziehung weiterer Kriterien wie Schulnote, Lehrerurteil und Ergebnisse eines anderen Diagnoseinstruments für Dyskalkulie genau die Aufgaben zu identifizieren, die für das Erkennen einer Rechenschwäche geeignet sind (Abschnitt 10.1. und 10.2.). Das anschließende Kapitel des praktischen Teils (Abschnitt 10.3) untersucht dann die Eignung des gesamten Testverfahrens auf testtheoretischer Ebene, um

1

Einleitung

5

zu ermitteln, ob das aus den gewählten Aufgaben zusammengesetzte Diagnoseinstrument LeDi-Arithmetik geeignet ist, um von Lehrkräften gewinnbringend eingesetzt werden zu können. Den Abschluss dieser Arbeit bilden ein Fazit und Überlegungen darüber, welche Forschungen sich anschließen können und wie das Testverfahren LeDiArithmetik weiter verbessert, der Anwendungsbereich erweitert und das Diagnoseinstrument bestmöglich in den Unterricht integriert werden kann, um zu erreichen, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler nicht über genügend mathematische Kompetenzen verfügen, um „[…] voll am Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen“, wie es bei PISA heißt (OECD 2016b, S. 205).

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten im Rechnen

2.1

Definitionen und Prävalenzen aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven

Rechnen gilt als eine der Kulturtechniken, welche die Teilhabe an einer modernen Gesellschaft ermöglichen (Hasselhorn und Gold 2009, 128 f.). Aus diesem Grund stehen mathematische Lernprozesse im Fokus verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen. In den letzten Jahrzehnten konnten vielfältige Resultate über die Funktionsweisen mathematischer Kompetenzentwicklungen gewonnen werden und damit einhergehend auch Schwierigkeiten bei der Entwicklung dieser erfasst werden. In diesem Kapitel soll aus verschiedenen Forschungsperspektiven aufgezeigt werden, mithilfe welcher Fragen man sich den Ursachen und Erscheinungsformen der Dyskalkulie nähern kann. Aufgrund differentieller theoretischer Annahmen und Vorgehensweisen unterscheiden sich Erklärungsansätze und Prävalenzen, die im Folgenden vergleichend dargestellt und diskutiert werden. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei die Frage nach Risikofaktoren ein, denn, wenn auch die Diagnostik von Dyskalkulie nicht explizit Thema dieses Kapitels ist, so stellt sich im Hinblick auf die Zielsetzung dieser Arbeit die Frage, welche Auffälligkeiten dyskalkulische Kinder zeigen. Am Ende des Kapitels soll offengelegt werden, welches Verständnis von Dyskalkulie zu Grunde gelegt und welche Termini für welchen Zweck verwendet werden. Seit den 1970er Jahren ist das Thema Dyskalkulie immer mehr in das allgemeine Forschungsinteresse gerückt. Im Gegensatz zur verwandten Legasthenie ist dieses Forschungsthema damit noch vergleichsweise jung – das Forschungspotential dementsprechend groß (Lorenz und Radatz 2008, S. 4). Dem Lernen mathematischer Inhalte kann man sich, wie bei allen Themen des Kompetenzerwerbs und damit einhergehenden Problemen, von unterschiedlichen Perspektiven

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_2

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2

Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

nähern. Zum einen kann der Frage nachgegangen werden, welche Gehirnverarbeitungsprozesse beim Erwerb mathematischer Kompetenzen ablaufen, welche Hirnareale daran beteiligt sind und welche Defizite dabei auftreten können (Kuhn 2017, S. 16; Landerl et al. 2017, S. 107 f.). Antworten hierauf zu finden, versuchen vor allem Mediziner:innen und Neurowissenschaftler:innen. Dabei ist die Art und Weise der Informationsverarbeitung nicht sichtbar, sondern wird durch Modelle beschrieben und erforscht. So untersuchen vor allem Kognitionspsycholog:innen die Arbeitsweisen kognitiver Funktionen, die am Rechenprozess beteiligt sind, wobei besonders das Arbeitsgedächtnis im Mittelpunkt des Interesses steht. Diese beiden Forschungsrichtungen gehen vor allem von allgemein ablaufenden Prozessen aus und untersuchen hier speziell die Verarbeitung mathematischer Inhalte. Demgegenüber stehen die Entwicklungspsychologie und die Mathematikdidaktik, die vor allem die Besonderheiten der mathematischen Inhalte und den Erwerb dieser in den Fokus rücken. So sucht die Entwicklungspsychologie nach Hierarchien innerhalb früher mathematischer Kompetenzen, um „Nadelöhre“ (Fritz und Ricken 2008, S. 49; Moser Opitz et al. 2010, S. 11) im mathematischen Kompetenzaufbau ausfindig machen zu können, ohne deren Verständnis das weitere Lernen von Mathematik nicht möglich ist. Die Begriffe „mathematische Kompetenzen“ und „mathematische Fähigkeiten“ bezeichnen innerhalb dieser Arbeit ein Verständnis der mathematischen Inhalte und sind vom Begriff mathematische Fertigkeiten zu unterscheiden, der lediglich das Vermögen ein bestimmtes Verfahren auszuführen (was nicht zwangsläufig ein Verständnis dafür voraussetzt) beschreibt. Da die Vermittlung der Inhalte, die als sogenannte Nadelöhre gelten, Aufgabe der Schule ist, muss bei der Betrachtung der Risikofaktoren für eine Dyskalkulie auch der Mathematikunterricht analysiert werden, um zu ergründen, wie dieser zur Begünstigung oder Vermeidung der Entstehung einer Dyskalkulie beitragen kann. Mit dieser Frage setzen sich besonders Mathematikdidaktiker:innen auseinander. Die definitorische Grundlage entspricht dabei der der Entwicklungspsychologie, sodass diese beiden Forschungsperspektiven an vielen Stellen vereinbar sind (vgl. hierzu Kapitel 3 und 4). Aus diesem Grund wird im Weiteren auch von der entwicklungspsychologischmathematikdidaktischen Perspektive gesprochen. Richtet man den Blick auf einzelne Forschungsfragen, lassen sich immer wieder Überschneidungen, Kooperationen und ähnliche Forschungsziele finden, sodass es nicht möglich ist die verschiedenen Disziplinen jederzeit exakt zu trennen. Die Unterteilungen und die verwendeten Bezeichnungen der verschiedenen Forschungsansätze unterscheiden sich je nach Quelle (z. B. Fritz und Ricken 2008, S. 17 f.; Kuhn 2017, S. 16 f.). Allerdings werden die Fragen nach

2.1 Definitionen und Prävalenzen aus unterschiedlichen …

9

den Charakteristika einer Rechenschwäche/Dyskalkulie und wie diese zustande kommt von den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen anders beantwortet. So unterscheiden sich sowohl die Definitionen als auch damit einhergehend, die angenommenen Prävalenzen und Ursachenzuschreibungen. Eine Einheitlichkeit bezüglich der Verwendung von Begriffen des Phänomens ist ebenfalls nicht gegeben. Begriffe wie Dyskalkulie, Rechenschwäche, Rechenstörung, Entwicklungsstörung bzw. –schwäche des Rechnens, besondere Schwierigkeiten im Rechnen, mathematische Lernstörung oder Schulleistungsstörung werden von manchen Autor:innen teilweise synonym verwendet (z. B. Landerl et al. 2017; Moser Opitz et al. 2010), während andere sie voneinander abgrenzen, um unterschiedliche Schweregrade (z. B. Jacobs und Petermann 2003; Merdian et al. 2015a, vgl. auch Kapitel 5) oder Ursachenzuschreibungen (z. B. Wartha 2009a) voneinander abzugrenzen. Zumeist wird der Begriff Dyskalkulie mitverwendet, wobei jedoch Autor:innen unterschiedlicher Forschungsrichtungen etwas anderes darunter verstehen. Es besteht lediglich die Übereinstimmung, dass Dyskalkulie ein „dauerhaftes Nichterreichen von Leistungszielen im Fach Mathematik“ ist (Schipperges 2016, S. 8). Um dieser Arbeit im Weiteren besser folgen zu können sind zentrale Fragen und Vorgehensweisen in Tabelle 2.1 übersichtlich dargestellt. Da der Fokus insgesamt auf dem Phänomen Rechenschwäche aus der entwicklungspsychologisch-didaktischen Perspektive liegen soll, wird hierauf im Folgenden der Schwerpunkt gelegt und diese von anderen Forschungsansätzen abgegrenzt. Die Wissenschaftsdisziplin, die (lange Zeit) am häufigsten im Fokus der Auseinandersetzung mit dem Thema Dyskalkulie stand und auf deren Grundlage die am meisten verwendete und diskutierte Definition (die ICD-10) formuliert wurde, ist die Medizin, im Speziellen die Neuropsychologie. Erkenntnisse werden vor allem durch den Vergleich von Menschen mit unauffälligen mathematischen Fähigkeiten und Dyskalkuliker:innen gewonnen, deren Gehirnverarbeitungsprozesse mithilfe bildgebender Verfahren wie der funktionalen Kernspintomographie oder der transkraniellen Magnetstimulation untersucht werden (van Eimeren und Ansari 2009, S. 26). Dabei werden grundsätzlich zwei Arten von Dyskalkulie unterschieden: die erworbene und die entwicklungsbedingte Dyskalkulie (Fritz und Ricken 2008, S. 177 ff.; Landerl und Kaufmann 2008, S. 137; u. A. Moser Opitz 2013, S. 44). Erstere hat ihren Ursprung in Unfällen oder Krankheiten, wie dem Gerstmann-Syndrom (Landerl und Kaufmann 2008, S. 137). Die betroffenen Personen verfügte ursprünglich durchaus über gute Rechenfertigkeiten, verloren

Fragen zu den Ursachen und Ausprägungen von Dyskalkulie

Welche Defizite verhindern zahlenverarbeitende Prozesse im Gehirn?

Beispiele für Bezeichnungen – Medizinische der Forschungsdisziplin Perspektive – Neuro-psychologie – Medizinischneurologische Perspektive Fragen zum Lernen von Was passiert beim Rechnen Mathematik im Gehirn?

Welche Defizite weisen dyskalkulische Kinder bzgl. der verschiedenen Bereiche des Arbeitsgedächtnisses auf?

Welche „Nadelöhre“ gibt es bzgl. der Entwicklung früher mathematischer Kompetenzen und wie wirkt sich der Nichterwerb dieser auf das weitere Lernen von Mathematik aus?

Welche Vorstellungen haben rechenschwache Kinder von mathematischen Inhalten entwickelt und wie vermeiden oder begünstigen unterrichtliche Praktiken das Entstehen einer Rechenschwäche?

Was fördert und erschwert das Lernen und Lehrens von Mathematik?

– Mathematikdidaktik – Schulpädagogische Perspektive

Besonderheiten mathematischer Inhalte – Entwicklungspsychologie – kognitiv-entwicklungspsychologische Perspektive

Welche Funktionen sind am Wann entwickeln sich Rechenprozess beteiligt und welche mathematischen wie funktionieren diese? Fähigkeiten und wie bauen diese aufeinander auf?

– Psychologie – Kognitions-psychologie

2

Allgemeine (Gehirn-)verarbeitungsprozesse

Tabelle 2.1 Übersicht über die verschiedenen Forschungsansätze zum Thema Dyskalkulie

10 Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

2.1 Definitionen und Prävalenzen aus unterschiedlichen …

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diese jedoch aufgrund von Gehirnläsionen in Bereichen, die für das Rechnen fundamental sind1 . Die Ursachen einer Rechenstörung werden innerhalb der klinischen Psychologie vor allem durch eine „Entwicklungseinschränkung oder -verzögerung von Funktionen, die eng mit der biologischen Reifung des Zentralnervensystems verknüpft sind“ erklärt (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation 2013, S. 325). So klassifizierte die Weltgesundheitsorganisation Rechenstörung innerhalb der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) bisher als „umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fähigkeiten“, die neben der Rechenstörung auch die Lese-Rechtschreibstörung sowie die isoliere Rechtschreibstörung und komorbide Störungen beinhaltet. Diesen Phänomenen ist nach ICD-10 gemein, dass sie bereits in der frühen Kindheit beginnen und nicht Folge eines Mangels an Intelligenz, an Lerngelegenheiten oder einer Hirnschädigungen sind, sondern biologische Entwicklungsverzögerungen des Zentralnervensystems als Ursache angenommen werden. Damit werden lediglich individuelle Voraussetzungen berücksichtigt, andere mögliche Faktoren, wie schulische Bedingungen oder soziales Umfeld, werden nicht berücksichtigt und zum Teil als Ursache ausgeschlossen. So wird eine Rechenstörung explizit wie folgt definiert (Dilling 2005): Diese Störung besteht in einer umschriebenen Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Trigonometrie, Geometrie, und Differential- sowie Integralrechnung benötigt werden.

Bei dieser Definition handelt es sich um eine sogenannte Diskrepanzdefinition, denn hier wird eine Rechenstörung als unerwartetes mathematisches Leistungsdefizit, besonders bezogen auf das Rechnen, verstanden, welches nicht durch mangelnde Intelligenz oder ungünstige Beschulung erklärbar ist. Sinn dieser Definition ist es, eine Rechenstörung von allgemeinen Mathematikproblemen, wie sie auch in der Sekundarstufe auftreten, abzugrenzen. Allerdings bleibt die Hierarchie der mathematischen Inhalte unberücksichtigt. So müssen bereits für das

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Diese Form der Dyskalkulie soll im Folgenden keine weitere Beachtung finden, da diese Arbeit das Thema im Rahmen der Dissertation Rechenschwäche aus didaktischer, nicht aus medizinischer Sicht bearbeitet wird.

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Verständnis der Grundrechenarten verschiedenste Kompetenzen erworben worden sein (vgl. Abschn. 3.2) und höhere mathematische Fertigkeiten, wie sie in der Definition genannt werden, sind ohne ein Verständnis der Grundrechenarten nicht möglich. Auch beinhaltet diese Definition lediglich inhaltliche Fertigkeiten. Weder wird ein Verständnis mathematischer Inhalte erwähnt, noch geht es um mathematische Kompetenzen, die über arithmetische Fertigkeiten hinausgehen. Damit werden die Vielseitigkeit und die Komplexität der Schulmathematik verkannt. Diesen Kritikpunkt greift auch die KMK auf, da das Verständnis der Grundrechenarten „oberstes Ziel des Mathematikunterrichts der Grundschule“ ist (KMK 2005, S. 6). Ergänzend zur Definition der ICD existiert im zweiten zentralen Manual der WHO (Landerl et al. 2017, S. 101), das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (kurz: DSM-V ) der American Psychiatric Association (APA), eine Definition für Dyskalkulie, in der folgende Kriterien für das Vorliegen einer Dyskalkulie genannt werden: A. Die mit individuell durchgeführten standardisierten Tests gemessenen mathematischen Fähigkeiten liegen wesentlich unter denen, die aufgrund des Alters, der gemessenen Intelligenz und der altersgemäßen Bildung einer Person zu erwarten wären. B. Die unter A. beschriebene Störung behindert deutlich die schulischen Leistungen oder Aktivitäten des täglichen Lebens, bei denen mathematische Fähigkeiten benötigt werden. C. Liegt ein sensorisches Defizit vor, sind die Schwierigkeiten beim Rechnen wesentlich größer als diejenigen, die gewöhnlich mit diesem Defizit verbunden sind. (American Psychiatric Association 2013, übersetzt nach Jacobs und Petermann 2012, S. 16). Im Kern beschreiben die Definitionen der WHO und der APA dasselbe Phänomen. Die DSM-V-Definition nennt ebenso die unerwartet schlechte mathematische Leistung im Vergleich zur Intelligenz, Alter und Bildung. Es handelt sich also auch hier um eine Diskrepanzdefinition. Allerdings werden in der DSM-V die genauen mathematischen Fähigkeiten nicht genannt, sondern es wird lediglich auf ihre Bedeutung für die Zukunft des Einzelnen eingegangen. Auf der einen Seite beschränkt sich diese Definition, im Gegensatz zur ICD-10, somit nicht nur auf einzelne ausgewählte Aspekte mathematischer Inhalte und lässt Spielraum für Ergänzungen bezüglich der Hierarchien mathematischer Kompetenzen, während auf der anderen Seite durch die unpräzise Formulierung nicht klar ist, ob es sich lediglich um Inhalte der Sekundarstufe und explizit nicht um basismathematische Fähigkeiten und Fertigkeiten handeln kann. Dies wird aus der Beschreibung des

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diagnostischen Vorgehens unter A nicht deutlich, da lediglich von einem standardisierten Mathematiktest die Rede ist und dessen Inhalte nicht weiter beschrieben sind. Somit könnte auch ein Verfahren zur Diagnostik zum Einsatz kommen, das ausschließlich Aufgaben aus dem Curriculum der Sekundarstufe enthält. In Anlehnung an die Definition der DSM-V entwickelte die WHO die Definition der Rechenstörung weiter. In der 2022 in Kraft tretenden (und bisher nur als vorläufige Version verfügbaren) ICD-11 heißt es unter dem Punkt „6A03.2 Developmental learning disorder with impairment in mathematics“ (World Health Organization 2020): Developmental learning disorder with impairment in mathematics is characterized by significant and persistent difficulties in learning academic skills related to mathematics or arithmetic, such as number sense, memorization of number facts, accurate calculation, fluent calculation, and accurate mathematic reasoning. The individual’s performance in mathematics or arithmetic is markedly below what would be expected for chronological or developmental age and level of intellectual functioning and results in significant impairment in the individual’s academic or occupational functioning. Developmental learning disorder with impairment in mathematics is not due to a disorder of intellectual development, sensory impairment (vision or hearing), a neurological disorder, lack of availability of education, lack of proficiency in the language of academic instruction, or psychosocial adversity.

Aufgrund der Forschungsergebnisse der letzten Jahre konnte die WHO die mathematischen Kompetenzen, die bei rechenschwachen Kindern ungenügend ausgebildet sind, exakter beschreiben, wobei sie sich aber lediglich an Resultaten der Neuro- und Kognitionspsychologie orientiert. Auch werden nun höhere mathematische Fähigkeiten wie das Argumentieren genannt und so der Fokussierung auf Fertigkeiten, wie sie noch in der Vorläuferversion zu finden war, ein Stück weit entgegengewirkt. Inhaltlich ist die ICD-11 deutlich genauer als die der APA, lässt jedoch mit der Formulierung „in mathematics or arithmetic“ nötigen Spielraum, um die Besonderheiten der mathematischen Inhalte und deren Hierarchie einschließen zu können. Es finden sich nun, wie in der DSMV-Definition, Berücksichtigungen individueller Folgen für die Betroffenen in Schule und beruflichem Werdegang. Allerdings wurde der Katalog ausschließender Kriterien erweitert. Neben intellektuellen Fähigkeiten, die bereits in der Vorläuferversion als unzulässige Ursache angegeben wurde, kommen nun auch neurologische Störungen, unterrichtssprachliche Schwierigkeiten und psychosoziale Widrigkeiten hinzu. Ferner dürfen keine sensorischen Störungen vorliegen, was einen klaren Widerspruch zur Definition der DSM-V darstellt, wo dieser Faktor bei Erfüllung des Intelligenzkriteriums aufgeführt wird. Wie in der Definition

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der APA wird nun nicht mehr von einer unangemessenen Beschulung, sondern lediglich von mangelnder Verfügbarkeit von Bildung gesprochen, wodurch eine unzureichende Qualität des Mathematikunterrichts (bei durchschnittlicher Intelligenz und entsprechenden sprachlichen Fähigkeiten) als Ursache anerkannt wäre. Auch ist eine Kombination von Dyskalkulie und Legasthenie im Gegensatz zur Vorläuferversion zulässig. In Deutschland spielt (bisher) besonders die Definition der ICD-10 eine entscheidende Rolle, da sie zumeist die Grundlage für die Diagnostik von Rechenstörungen ist (Schipperges 2016, S. 9). Sie bildet damit den Ausgangspunkt für jegliche Auseinandersetzung mit der Thematik und wird dementsprechend oft diskutiert und kritisiert (z. B. Fritz und Ricken 2008, S. 10; Lorenz und Radatz 2008, S. 16). Dabei wird vor allem die Diskrepanz zwischen der mathematischen Leistung und der Intelligenz kritisch bewertet. Bisher konnte keine Studie belegen, dass die Störung der Rechenleistung bei Kindern mit schwacher oder durchschnittlicher Intelligenz wesentliche Unterschiede zeigt (bspw. Landerl und Kaufmann 2008, S. 96). Mehrere Studien zeigen hingegen, dass die Probleme und Auffälligkeiten dyskalkulischer Kinder mit und ohne verminderter Intelligenz nicht unterscheidbar sind. So untersuchten Ehlert et al. die Verfügbarkeit und flexible Anwendbarkeit konzeptuellen Wissens bei 458 Erstklässler:innen auf Grundlage des Entwicklungsmodells von Fritz und Ricken, welches in Abschnitt 3.2.2. näher beschrieben wird (Ehlert et al. 2012, S. 178). Sie stellten fest, dass sich rechenschwache Erstklässler:innen mit und ohne erfülltem Diskrepanzkriterium größtenteils auf derselben Entwicklungsstufe befanden. Beide Untersuchungsgruppen zeigten am Ende des ersten Schuljahres Fähigkeiten, die unauffällige Rechner:innen bereits zur Einschulung mitbrachten. Espinel und Gonzales kamen bei der Untersuchung von Strategien beim Lösen von Textaufgaben zum selben Resultat: Rechenschwache Kinder zwischen sieben und neun Jahren mit guter und niedriger allgemeiner Intelligenz zeigten keinen Unterschied im Lösungsverhalten und der Verwendung von Lösungsstrategien (Jiménez Gonzales und García Espinel 2002, S. 16 f.). Dabei wurden 148 spanische Kinder in drei Gruppen unterteilt: rechenschwach mit normaler Intelligenz, rechenschwach mit unterdurchschnittlicher Intelligenz und eine Kontrollgruppe mit durchschnittlicher Intelligenz und durchschnittlichen mathematischen Fähigkeiten. Erwartungsgemäß schnitten die beiden Gruppen der Rechenschwachen schlechter ab als die Kontrollgruppe. Allerdings unterschieden sich die Leistungen der zwei Untersuchungsgruppen der Rechenschwachen mit durchschnittlicher und unterdurchschnittlicher Intelligenz weder in der Bearbeitungsgeschwindigkeit

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noch in der Lösungshäufigkeit. Moser Opitz konnte dies auch für andere Basiskompetenzen der Mathematik zeigen (Moser Opitz 2013, S. 186 ff.) (vgl. dazu Kapitel 4). Trotzdem wird der Unterschied zwischen mathematischen Fähigkeiten und allgemeiner Intelligenz teilweise als Kriterium herangezogen, um in der Praxis eine Dyskalkulie zu diagnostizieren (z. B. im RZD (Jacobs und Petermann 2014), im BADYS (Merdian et al. 2015a) oder im ZAREKI-R (von Aster 2009) vgl. Abschnitt 6.1). Nach den Standards der klinischen Diagnostik muss ein Kind sowohl laut Definition der ICD-10, als auch der DSM-V in einem standardisierten Mathematiktest unterdurchschnittliche Leitungen erbringen und eine Diskrepanz von mindestens 1.5 Standardabweichungen zur Intelligenz aufweisen (z. B. Fritz und Ricken 2008, S. 11; Landerl et al. 2017, S. 102; Moser Opitz 2013, S. 17 f.; Tischler 2019, S. 16 f.). Ein Kind mit sehr schwachen mathematischen Leistungen (z. B. Prozentrang < 15) benötigt demnach einen Intelligenzquotienten im normalen Bereich (IQ > 85) (Fritz und Ricken 2008, S. 11). Bei einer unauffälligen Entwicklung des Kindes, normaler Beschulung und Intelligenz müssen klare unterdurchschnittliche Leistungen im Fach Mathematik vorliegen. Eine Diskrepanz von mindestens 1.5 Standardabweichungen soll sicherstellen, dass die gemessenen Leistungen des Kindes unabhängig von der Tagesform oder anderen temporären Einflüssen eindeutig unterdurchschnittlich sind. Wissenschaftlich betrachtet sind feste Grenzwerte sinnvoll, damit Erkenntnisse, die in der Dyskalkulieforschung gewonnen werden, tatsächlich auf Studien mit betroffenen Kindern zurückzuführen sind und nicht auf Lernbehinderungen im Allgemeinen oder lediglich schwächeren Mathematikleistungen (Landerl et al. 2017, S. 103). Allerdings ist eine große Anzahl von Testverfahren zur Feststellung mathematischer Kompetenzen und zur Diagnose von Dyskalkulie erhältlich, die konzeptuell und inhaltlich zum Teil stark voneinander abweichen (z. B. ERT 4 + , BADYS, BASIS-MATH und ZAREKI; vgl. hierzu Abschnitt 6.1). Welches Verfahren zur Diagnostik herangezogen werden soll, wird nicht vorgeschrieben, genauso wenig, wie dies bei Intelligenztests der Fall ist. Aus diesem Grund ist die Verwendung einer Diskrepanzdefinition für wissenschaftliche Zwecke schwierig. “For this reason it has been hard for researchers to pinpoint the key deficits in dyscalculia, or to be sure how to define dyscalculics for studies” (Landerl et al. 2004, S. 100). Viele Autor:innen behelfen sich eher mit einer phänomenologischen Definition, indem sie typische Defizite beschreiben, statt eine eigene, diskutable Definition oder Diagnosekriterien vorzuschlagen (z. B. Landerl et al. 2004, S. 100). Das unspezifische Vorgehen bei der Diagnostik von Dyskalkulie stellt im Besonderen für die Praxis ein großes Problem dar. Die uneinheitliche Verwendung verschiedener Testverfahren kann dazu führen, dass ein Kind bei einem Test

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unauffällig bleibt, bei einem anderen jedoch eine Dyskalkulie diagnostiziert wird (Freesemann 2014, S. 10; Landerl und Kaufmann 2008, S. 97). Ein weiteres Problem birgt die Konzeption der Intelligenztests, da sie Aufgaben beinhalten, die mit mathematischen Fähigkeiten gelöst werden müssen. Im Wilde-Intelligenztest sollen bspw. Zahlenreihen wie die folgende vervollständigt werden: 7 21 18 9 27 24 12 ? (Kersting et al. 2008) Zum Lösen dieser Aufgaben ist das Beherrschen des kleinen Einmaleins sowie ein Verständnis für Zahlbeziehungen notwendig. Da rechenschwachen Kindern diese Fähigkeiten meist gerade fehlen (vgl. Kapitel 4), zeigen sie aufgrund schwacher Mathematikleistungen folgerichtig schwächere Intelligenzleistungen. Im Wechsler-Intelligenztest müssen Kinder auch Textaufgaben wie folgende lösen: „Maik hat zweimal so viel Geld wie Jörn. Maik hat 17 Euro […]. Wieviel Geld hat Jörn?“ (Petermann und Petermann 2014, S. 166). Mathematische Fähigkeiten werden somit im Mathematiktest und im Intelligenz-Test gemessen, was das Erreichen der nötigen Diskrepanz erschwert. Aus der Perspektive der Intelligenzforschung ergibt die Implementierung von Aufgaben zu rechnerischen Fähigkeiten Sinn, da mathematische Fähigkeiten Bestandteil vieler einflussreicher Intelligenzmodelle und -theorien sind (z. B. der Theorie fluider und kristalliner Intelligenz (Schneider und McGrew 2012) oder dem Three Stratum Modell (Carroll 1993)). Damit kann gezeigt werden, dass Intelligenz und mathematische Fähigkeiten hoch miteinander korrelieren und das stärker, als dies z. B. bei sprachlichen Fähigkeiten der Fall ist (Brühwiler und Helmke 2018, 80 ff.; Moser Opitz 2013, S. 2017 f.; Steinmayr und Meißner 2013, S. 277). Es gibt jedoch auch Tests, die diesen Teil der Intelligenz nicht berücksichtigen. Bspw. verwendet Moser Opitz zur Validierung des BASIS-MATHs den Culture-FairTest, ein Instrument, das Intelligenz über Ergänzungen von Matrizen misst, bei denen mehrere Grafiken vorgegeben sind, die sich nach einem bestimmten Muster unterscheiden und eine passende Grafik als Ergänzung ausgewählt werden muss. Jedoch wird auch diese Vorgehensweise kritisiert, da viele Kinder mit Dyskalkulie Probleme bei der Verarbeitung visuell-räumlicher Informationen zeigen (Jacobs und Petermann 2012, S. 76). So steckt die Diagnostik der Dyskalkulie mittels Intelligenzmessung in einem Dilemma, welches sowohl für die Forschung als auch für die Praxis ein großes Problem darstellt, wobei die Folgen für betroffene Kinder als besonders kritisch zu sehen sind. Fischbach et al. untersuchten, welchen Einfluss das doppelte Diskrepanzkriterium (also eine Diskrepanz der Leistung und des IQs zu denen von durchschnittlichen Kindern) auf die Diagnostik von Lernstörungen in der Mitte

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der zweiten Klasse hat (LRS und Dyskalkulie) (N = 2195). Dabei unterschieden die Autor:innen zwischen Lernschwäche, die sich durch unterdurchschnittliche Leistung, aber mindestens durchschnittlicher Intelligenz auszeichnet und dem einfachen Diskrepanzkriterium entspricht und Lernstörungen, bei denen das doppelte Diskrepanzkriterium erfüllt sein musste (Fischbach et al. 2013, 65 f.). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass ein Viertel der untersuchten Schülerinnen und Schüler trotz durchschnittlicher Intelligenz entwicklungsbedingte Lernschwierigkeiten aufwiesen, jedoch nur 43 % davon auch das doppelte Diskrepanzkriterium erfüllten. Das entsprach 10 % der untersuchten Schülerschaft (Fischbach et al. 2013, S. 71). Tischer weist ebenfalls darauf hin, dass die Erfüllung dieses Kriteriums ebenso für die klinische Verwendung zu streng ist, um sinnvoll eingesetzt zu werden (Tischler 2019, S. 16). Wird das Diskrepanzkriterium verfehlt, kann das Kind keine (staatlich unterstützte) Förderung erhalten, obwohl dies dringend nötig wäre. Aus diesem Grund schlägt die, neben der ICD und DSM für Deutschland relevante und unter Aufsicht der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft entwickelte, S3 Leitlinie eine Distanzierung von diesem Kriterium vor. Stattdessen wird für die ausschließliche Verwendung einer Alters- bzw. Klassennormdiskrepanz plädiert (Schulte-Körne 2018, S. 19). So unterscheiden inzwischen viele Vertreter:innen der klinischen Psychologie zwei Formen der Dyskalkulie: Beim Vorliegen einer Diskrepanz von 1.2 bzw. 1.5 Standardabweichungen des IQs (der höher sein muss als 70) und der Mathematikleistung (welche unter einem Prozentrang von 10 liegen muss) sprechen die Autor:innen von einer Rechenstörung. Ist diese Diskrepanz nicht gegeben wird von einer Rechenschwäche gesprochen (Jacobs und Petermann 2012, S. 96; Kaufmann und von Aster 2012, S. 770). Diese Herangehensweise findet zum Teil auch in neuropsychologischen Diagnoseinstrumenten wie dem BADYS Anwendung (Merdian et al. 2015a, S. 29) (vgl. Abschnitt 6.1.1). Oft wird betont, dass die Beschreibung von Dyskalkulie auf Grundlage von Kriterienkatalogen (was die Definitionen der ICD-11 und die DSM-V letztendlich sind) und im Besonderen durch das Diskrepanzkriterium für die Praxis wenig hilfreich sind (Landerl et al. 2017, S. 102 f.; Lorenz 2008, S. 15), sodass andere Testautor:innen, besonders aus der entwicklungspsychologischen oder didaktischen Forschungsrichtung, andere Diagnosekriterien verwenden (z. B. BASIS-MATH 4 –8 (Moser Opitz et al. 2010) oder BIRTE (Wartha und Schipper 2013, S. 185)). Durch das Fehlen allgemeingültiger Diagnosekriterien schwanken die Zahlen Betroffener auf Grundlage der ICD-10 und der DSM-V je nach Studie zum Teil erheblich. Wyschkon et al. untersuchten, wie sich die Prävalenzrate zur Rechenstörung unter Berücksichtigung verschiedener Diagnosekriterien bei Kindern zwischen sechs und elf Jahren veränderte (N = 1970) (Wyschkon et al.

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2009, S. 503), wobei die Definition der ICD-10 die Grundlage der Kriterien bildete. Dabei variierten die Autor:innen die Art der gemessenen Intelligenz (nonverbal vs. verbale Intelligenz vs. Gesamtintelligenz) sowie die Diskrepanz zwischen der jeweiligen Intelligenz und der Mathematikleistung. Je nach verwendetem Kriterium lagen die Prävalenzraten zwischen 0,1 % und 8,1 % (Wyschkon et al. 2009, S. 504). Die meisten Studien ergaben Zahlen zwischen 5 % und 8 % (z. B. Hasselhorn und Schuchardt 2006, S. 212). Bei der Bewertung von Vorkommenshäufigkeiten muss ebenfalls berücksichtigt werden, ob neben den gewählten Diskrepanzkriterien Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche mit einbezogen wurden. Bei alleiniger Anwendung der ICD-10-Definition wäre dies ausgeschlossen. Diese Kinder würden in die Kategorie Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten eingruppiert werden, einer „schlecht definierte[n] Restkategorie für Störungen mit deutlicher Beeinträchtigung der Rechen-, der Leseund der Rechtschreibfähigkeiten“ (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation 2013, S. 326). Die Zahl der Betroffenen, die sowohl eine Dyskalkulie als auch eine Legasthenie aufweisen, schwankt erheblich. Studien zeigen Komorbiditäten zwischen 51,27 % (Ramaa und Gowramma 2002, S. 82) und lediglich 2,7 % (Warnke 2011, S. 150). Es ist zu vermuten, dass die Ursache für diese starken Abweichungen ähnlich denen für eine Rechenstörung ist, wobei hier noch verstärkend hinzukommt, dass bei der Feststellung einer Lese-Rechtschreibschwäche ausschließlich Lese- oder Rechtschreibschwäche als Diagnosekriterium genügen. Dyskalkulie kann demnach aus neuro- und kognitionspsychologischer Perspektive als ein Auftreten starker Defizite im mathematischen Bereich definiert werden, was durch eine Entwicklungsverzögerung des zentralen Nervensystems verursacht wird und deshalb lediglich individuelle Voraussetzungen des Schülers oder der Schülerin fokussiert. So ist zu erklären, dass die mathematikspezifischen Lernprozesse eher in den Hintergrund rücken bzw. lediglich unter dem Schwerpunkt der im Gehirn ablaufenden Prozesse gesehen werden. Denn „die neuround kognitionspsychologische Forschung zu Lernschwierigkeiten in Mathematik untersucht in der Regel nicht das mathematische Lernen selbst, sondern dessen Voraussetzungen.“ (Gaidoschik 2016, S. 2, Hervorhebung im Original). Demgegenüber stehen die Entwicklungspsychologie und die Didaktik, die das Lernen von Mathematik als konstruktivistischen Prozess verstehen, nach Hierarchien und Hürden im Lernprozess suchen und Dyskalkulie dementsprechend durch Defizite in vorschulischen mathematischen Kompetenzen und durch das Versagen der Institution Schule verursacht sehen, die häufig nicht genügend

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Aufmerksamkeit auf diese unterschiedlichen Voraussetzungen und die Individualität des Lernprozesses legt. „[…] Mathematische Lernschwierigkeiten [sind] Ausdruck dessen […] was Kinder aktuell über mathematische Objekte wissen, denken und verstehen und was sie auf dieser Grundlage an Strategien entwickelt haben.“ (Gaidoschik 2016, S. 2). Bei dieser Perspektive auf Rechenschwäche werden durchaus die kognitiven Ursachen berücksichtigt, allerdings stehen hier vor allem die mathematischen Denkprozesse im Vordergrund. Moser Opitz schlägt eine Begriffsbestimmung vor, die der der ICD-10 und -11 an vielen Stellen widerspricht: Rechenschwäche wird […] verstanden als stark unterdurchschnittliche Mathematikleistung, welche sich auf unterschiedlichen Intelligenzniveaus und manchmal in Kombination mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten zeigt und durch komplexe Wechselwirkungen zwischen unterrichtlichen, individuellen und schulstrukturellen Faktoren zustande kommt. Rechenschwäche wird somit verstanden als ein Versagen im Mathematikunterricht: ein Versagen beim Erwerben mathematischer Kompetenzen aufgrund spezifischer individueller Voraussetzungen und auch als Versagen des Mathematikunterrichts. (Moser Opitz 2013, S. 139)

Moser Opitz bettet Rechenschwäche damit ausschließlich in den Kontext Schule ein, ungeachtet vorschulischer Fähigkeiten, die Teil der „individuellen Voraussetzungen“ sein können, die jedoch in der Definition der ICD-11 expliziter erwähnt werden (z. B. number sens) (vgl. weiter oben in diesem Kapitel). Zwar findet sich auch in der Definition von Moser Opitz die Leistungen des Individuums im Vergleich zu anderen (stark unterdurchschnittliche Mathematikleistung), allerdings werden diese nicht in Bezug zu intellektuellen Fähigkeiten gesetzt und somit neuere Forschungsergebnisse wie die von Espinel und Gonzales berücksichtigt. Bei dieser Definition handelt es sich also im Gegensatz zu denen der ICD und der DSM-V nicht um eine Diskrepanzdefinition, da die mathematische Leistung nicht in Bezug zu anderen Persönlichkeitsmerkmalen gesetzt wird. Moser Opitz beschränkt sich dabei nicht nur auf grundlegende mathematische Fähigkeiten, wie dies die ICD-10 noch tat, sondern spricht allgemein von Versagen im Mathematikunterricht, wobei individuelle und schulische Risikofaktoren, als auch Wechselwirkungen zwischen diesen Komponenten als Ursache herangezogen werden. Zwar schließt die ICD-11 und die DSM-V unterrichtliche Faktoren nicht aus, jedoch liegt der Fokus in der Neuro- und Kognitionspsychologie auf dem Individuum und weniger auf dem Zusammenspiel zwischen ihm und der Schule. Auf Grundlage dieser Betrachtung wird eine klar umrissene, exakte und allgemeingültige Definition als nicht hilfreich für die Praxis gewertet, da das Spektrum an Auffälligkeiten und individuellen Voraussetzungen zu groß ist, um

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dem in einer Definition gerecht zu werden (Fritz und Ricken 2008, S. 14; Lorenz und Radatz 2008, S. 26). Daher werden ebenfalls phänomenologische Beschreibungen herangezogen (Schipper 2005, S. 22). Auch ist die Verwendung von Begrifflichkeiten in diesen Forschungszweigen eher uneinheitlich (Fritz 2009b; Moser Opitz et al. 2010; Wartha 2009a). Die Begriffe Rechenstörung, Rechenschwäche, besondere Schwierigkeiten im Rechnen und Dyskalkulie werden meist synonym verwendet und anders als z. B. in der klinischen Psychologie nicht voneinander abgegrenzt. Da das Diskrepanzkriterium in der entwicklungspsychologischen und mathematikdidaktischen Forschungsperspektive nicht zur Anwendung kommt, ist die Anzahl betroffener Kinder deutlich höher. Für eine Schätzung wird meist die PISA-Studie herangezogen, die die Fähigkeiten der getesteten Schülerinnen und Schüler in sechs Kompetenzniveaus einteilt, welche sich jeweils in der Komplexität mathematische Modelle zu entwickeln und Probleme zu lösen sowie in der Schwierigkeit des Zahlenmaterials und der Anzahl der Rechenschritte unterscheiden (OECD 2019, S. 106). Als rechenschwach werden in Publikationen der mathematikdidaktischen Fachdisziplin meist die Schülerinnen und Schüler gewertet, die das Kompetenzniveau 2 nicht erreichen, welches „[…] erforderlich ist, um am vollen Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen.“ (OECD 2016b, S. 205). Denn diese Stufe ist laut OECD das minimum level of proficiency, das alle Lernenden am Ende der weiterführenden Schule erreicht haben sollten, um nicht als besonders gefährdet zu gelten (OECD 2019, S. 105). Dieses Level befähigt dazu elementare Regeln, Algorithmen und Formeln anzuwenden, was das Rechnen mit ganzen Zahlen einschließt. In der letzten PISA-Untersuchung erreichten 21 % der deutschen 15-jährigen Schülerinnen und Schüler dieses Kompetenzniveau nicht. Dabei erreichten rund 14 % Niveaustufe 1, in welcher vertraute Fragen beantwortet werden, bei denen alle Informationen klar gegeben sind und Routineverfahren nach direkter Instruktion ausgeführt werden können. Knapp 7 % der deutschen Schülerinnen und Schüler erreichten auch dieses Niveau nicht (OECD 2019, S. 106). Zusammenfassend ist festzustellen, dass in verschiedenen Forschungsdisziplinen ein unterschiedliches Verständnis von Dyskalkulie existiert, wobei sich besonders in Bezug auf die Bedeutung der Intelligenz und des schulischen Einflusses Differenzen zeigen. Übereinstimmend wird Dyskalkulie als persistentes Versagen im Mathematikunterricht verstanden, was dementsprechend früh beginnt und Folgen sowohl für den schulischen als auch für den beruflichen Werdegang

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mit sich bringt. Dabei verbirgt sich unter dem Begriff Dyskalkulie nicht eine einheitliche Ansammlung von Auffälligkeiten, sondern stellt einen Sammelbegriff für das Versagen beim Erwerb mathematischer Kompetenzen dar, dessen Ursachen und Ausprägungen sehr vielseitig sind. Viele Praktikerinnen und Praktiker betonen immer wieder, dass die Begriffe wie Rechenschwäche oder Dyskalkulie zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führt und das Phänomen so als Krankheit verstanden wird (Lorenz und Radatz 1993, S. 17; Schipper 2002, S. 48). Allerdings muss dieser Ansammlung zur besseren Verständigung ein Name gegeben werden, wobei man sich der Unzulänglichkeit eines Begriffs im Klaren sein muss. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten können mit verschiedenen Begriffen unterschiedliche Erklärungen für dieses Phänomen beschrieben werden. So sprechen Neurowissenschaftler:innen, Mediziner:innen und Kognitionspsycholog:innen in Anlehnung an die Definitionen der ICD-10 und -11 von Rechenstörung. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff Rechenstörung dann verwendet werden, wenn aus neuro- und kognitionswissenschaftlicher Perspektive Dyskalkulie als Phänomen verstanden wird, welches durch nicht adäquat ablaufende Hirnverarbeitungsprozesse erklärt wird. Die Begriffe Rechenschwäche, Rechenschwierigkeiten und besondere Schwierigkeiten im Rechnen werden hingegen dann verwendet, wenn der Unterricht als möglicher Risikofaktor (im Widerspruch zur ICD-10) angenommen wird. Der Begriff Dyskalkulie schließt beide Begriffe mit ein. Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist eine genaue inhaltliche Klärung des zu untersuchenden Konstrukts (anders als es in der Praxis der Fall ist) notwendig. Da Rechenschwierigkeiten vor allem aus mathematikdidaktischer Perspektive betrachtet werden, stehen in einer Definition des Phänomens besonders die mathematischen Fähigkeiten der Kinder und deren Einfluss auf das Lernen von Mathematik in der Sekundarstufe im Mittelpunkt. Zusammengeführt aus den bisher diskutierten Definitionen werden für diese Arbeit folgende Definition und Begriffe zugrunde gelegt: Rechenschwäche oder besondere Schwierigkeiten im Rechnen werden als stark unterdurchschnittliche Mathematikleistung definiert, die durch komplexe Wechselwirkungen zwischen unterrichtlichen, individuellen und schulstrukturellen Faktoren zustande kommt. Die Ursache hierfür liegt im Fehlen grundlegender mathematischer Kompetenzen und Konzepte. Werden die Defizite nicht behoben, können auch in der Sekundarstufe keine tragfähigen mathematischen Grundvorstellungen entwickelt werden, wodurch die Teilhabe am vollen Leben einer modernen Gesellschaft gefährdet ist. Rechenschwäche wird somit als ein Versagen im Mathematikunterricht verstanden: ein Versagen beim Erwerben mathematischer Kompetenzen aufgrund spezifischer individueller Voraussetzungen und auch als Versagen des Mathematikunterrichts.

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2.2

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Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

Es ist bisher nicht umfassend geklärt,wodurch es zu einer Dyskalkulie oder Rechenschwäche kommt. Jedoch herrscht zwischen den Forschungsdisziplinen Einigkeit, dass die Ursachen vielfältig sind und dementsprechend auch das „Störungsbild“ keineswegs einheitlich ist. Deshalb kann nicht von einer Ursache im Sinne einer kausalen Ursache-Wirkungs-Kette gesprochen werden, weswegen eher der Begriff Risikofaktoren zu bevorzugen ist (Freesemann 2014, S. 12; Lorenz 2003, S. 106; Schipper 2005, S. 25). So sprechen manche Autor:innen von Rechenschwächen, um die Heterogenität des Phänomens zu betonen (Milz und Amft 2004; Nolte 2000). Um die Entstehung von Rechenstörungen oder -schwächen zu erklären, haben Forscher und Forscherinnen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen Kausalmodelle entwickelt, die die Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen darstellen, wobei die meisten die gleichen Komponenten beinhalten, jedoch andere Schwerpunkte setzen und Kausalitäten betonen (z. B. Jacobs und Petermann 2012, S. 52; Landerl und Kaufmann 2008, S. 154; Moser Opitz 2013, S. 141; Nestle 2004, S. 29). Exemplarisch sollen hier zwei Modelle aus der entwicklungspsychologischen und didaktischen Forschungsrichtung erläutert und verglichen werden, die neben schulstrukturellen und unterrichtlichen Aspekten auch die Kenntnisse aus den anderen Wissenschaftsdisziplinen berücksichtigen. Damit stellen sie, im Gegensatz zu anderen Modellen, die vor allem einen Forschungsaspekt fokussieren, den aktuellen Kenntnisstand übersichtlich und vielseitig dar und ermöglichen somit eine gute Orientierung für die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Risikofaktoren. Das erste hier vorgestellte Modell ist das von Wilhelm Schipper, der drei Ursachenfelder für das Entstehen einer Rechenschwäche identifiziert hat (Abbildung 2.1):

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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Abbildung 2.1 Ursachenfelder einer Rechenschwäche nach Schipper (2005, S. 26)

Dieses Modell stellt die Wechselwirkung der drei Bereiche Individuum, Schule sowie familiäres und soziales Umfeld dar. Dabei betont Schipper, dass bei der Entstehung einer Rechenschwäche immer Faktoren aller drei Bereiche beteiligt sind (Schipper 2005, S. 2). Auf der Ebene des Individuums finden sich mit sensorischen Beeinträchtigungen die Forschungsergebnisse der Medizin und Neuropsychologie wieder, während die Punkte „Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis“ vor allem auf Resultaten der Kognitionspsychologie beruhen. Der Bereich der schulischen Ursachen entspricht hingegen dem Forschungsschwerpunkt der Mathematikdidaktik. Da keine mathematischen Inhalte und Kompetenzen erwähnt werden, die „Nadelöhre“ der Entwicklung darstellen, sind die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie nicht berücksichtigt. Diese finden sich hingegen im Modell von Elisabeth Moser Opitz (Abbildung 2.2):

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Abbildung 2.2 Entwicklungspsychologisch-didaktisches Modell: „Rechenschwäche im Kontext unterrichtlicher, individueller und schulstruktureller Faktoren“ nach Moser Opitz (2013, S. 141)

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2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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In diesem Modell werden der Mathematikunterricht und der Schüler bzw. die Schülerin in die gesellschaftliche und schulstrukturelle Ebene eingeordnet. Diese Fokussierung ist durch die zugrunde gelegte Definition von Rechenschwäche als „Versagen im Mathematikunterricht“ zu begründen (vgl. oben). Moser Opitz trennt in ihrem Modell unterrichtliche Faktoren, ebenso wie Schipper, von der individuellen Ebene und bettet sie in den gesellschaftlichen und sozialen Kontext ein. Dabei gibt es zwischen den Ursachenfeldern „Subjekt“ in ihrem Modell und „Individuum“ im Modell Schippers viele Überschneidungspunkte. So werden in beiden Modellen Aspekte wie visuell-räumliche Verarbeitung, Gedächtnis und Interesse genannt. Moser Opitz wird allerdings ausführlicher, in dem sie auch genetische Dispositionen und andere neuropsychologische Voraussetzungen wie Hirnreifungsverzögerungen nennt. Des Weiteren werden in beiden Modellen viele Komponenten aufgeführt, die die pädagogische Psychologie als Determinanten der Schulleistung ansieht (z. B. INVO-Modell von Hasselhorn und Gold (2009, S. 68)). Das sind neben dem Arbeitsgedächtnis die Aufmerksamkeit, Motivation, Volition (was im Modell Schippers als Anstrengungsbereitschaft bezeichnet wird), das Selbstkonzept, die metakognitive Regulation und Lernstrategien sowie das Vorwissen. Letzteres ist im Modell von Moser Opitz kein direkter Bestandteil, wird jedoch in Beziehung zur Intelligenz gesetzt, deren Zusammenhang bspw. in der SCHOLASTIK-Studie gezeigt werden konnte. Offenbar ist die Intelligenz für die Organisation, Vernetzen und Flexibilisierung des Vorwissens verantwortlich (Helmke und Schrader 2006, S. 83) (vgl. auch Abschnitt 2.2.1.). Lediglich Lernstrategien und metakognitive Regulation finden sich in keinem der beiden Modelle wieder, was dadurch zu begründen ist, dass zum einen kognitive Lernstrategien in der Mathematik Bearbeitungs- und Rechenstrategien entsprechen (Hasselhorn und Gold 2009, S. 90) und zum anderen Strategien zum Lernen von Fakten in der Mathematik von geringerer Bedeutung sind. Die individuellen Ursachenfelder können durch mathematikunterrichtliche Aspekte, die das Versagen im Mathematikunterricht fördern, verstärkt werden. Diese sieht Moser Opitz zum einen auf institutioneller Seite, z. B. in Form der Lehrpläne, und zum anderen durch unpassendes pädagogisches Handeln der Lehrkräfte. Für Schipper ist Letzteres nur ein Faktor für das Entstehen einer Rechenschwäche und er führt auch Aspekte wie Lernmaterialien und -methoden oder ungünstiges Verhalten von Mitschüler:innen an. Des Weiteren bindet Moser Opitz mathematische Kompetenzen in ihr Modell ein, die die zentralen Elemente des Mathematikunterrichts der Grundschule beinhalten und größtenteils Resultate entwicklungspsychologischer Forschungen sind, welche durch die Konzeption von Entwicklungsmodellen mathematischer Kompetenzen Stolpersteine identifizieren konnten (vgl. Kapitel 4).

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

Neben der individuellen und institutionellen Ebene finden sich in beiden Modellen soziale Ursachenfelder. Dabei betont Moser Opitz eher den sozioökonomischen Hintergrund, mit „soziale Herkunft und Kenntnis der Schulsprache Deutsch“ (Moser Opitz 2013, S. 137), welcher neben Zuweisungsmechanismen für Sonderschulklassen und Geschlechterstereotypen, als beeinflussender Faktor angesehen wird. Schipper fokussiert hier hingegen eher die familiäre und soziale Situation, die auch Erziehungsstile und Hausaufgabenbetreuung miteinschließt. Zusammenfassend zeigen beide Modelle große Übereinstimmungen, wobei jedoch unterschiedliche Aspekte mehr oder weniger ausführlicher beschrieben werden und es damit zu einer Verschiebung der Schwerpunkte kommt. Dabei ordnet Moser Opitz den Mathematikunterricht und das Individuum in den gesellschaftlichen Kontext ein, während Schipper diesen nicht berücksichtigt. Zusammengenommen beinhalten beide Modelle alle bisherigen Erkenntnisse für mögliche Risikofaktoren. Somit können insgesamt die vier Ebenen individuelle Voraussetzungen, sozialer und familiärer Hintergrund, die Gestaltung des Mathematikunterrichts und inhaltliche mathematische Aspekte (Stolpersteine) unterschieden werden. Im Folgenden soll der aktuelle Forschungsstand zu den vier Risikofaktoren dargestellt werden, wobei die Bereiche Individuum, Unterricht sowie sozialer und familiärer Hintergrund innerhalb dieses Kapitels betrachtet werden. Da die Frage danach, welche mathematischen Fähigkeiten rechenschwache Schülerinnen und Schüler von unauffälligen unterscheidet, für die Konzeption eines Diagnoseinstruments grundlegend ist, werden die inhaltlichen mathematischen Aspekte ausführlicher in den Kapiteln 3 bis 5 beleuchtet.

2.2.1

Die Ebene der individuellen Risikofaktoren

Besonders die Wissenschaftsdisziplinen der Neuropsychologie, Medizin und Kognitionspsychologie beschäftigen sich mit den Komponenten, die auf individueller Ebene zum Lernen von Mathematik beitragen. Bei der Betrachtung der oben beschriebenen Modelle fällt auf, dass die individuellen Voraussetzungen unterteilt werden können in die kognitiven Voraussetzungen, wie die Intelligenz, das Vorwissen, räumliche Fähigkeiten, das Gedächtnis und neuropsychologische Voraussetzungen (die evtl. von genetischen Dispositionen bestimmt werden) und affektive Voraussetzungen, wie Interesse, Motivation, Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept sowie Angst. Sprachliche Aspekte werden analog zum Modell Schippers den familiären und sozialen Ursachen zugeordnet. Auch zwischen diesen Komponenten besteht ein enger Zusammenhang wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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Kognitive Komponenten In der Forschung besteht weitgehend Konsens darüber, dass im Falle einer Dyskalkulie bereits bei Schuleintritt eine „[…] verzögerte Entwicklung rechenrelevanter Lernvoraussetzungen bzw. Beeinträchtigungen im Verständnis mathematikspezifischer Inhalte“ vorliegt (Fritz und Ricken 2008, S. 15). Es existiert demnach bereits im Moment der Einschulung eine Diskrepanz der mathematischen Vorläuferfertigkeiten zwischen Kindern mit und ohne späterer Rechenschwäche (Selter und Spiegel 2007, S. 24, siehe hierzu auch Schneider et al. 2016, S. 195; von Aster 2005, S. 26). Ein Beleg dafür liefert die SCHOLASTIK-Studie, die den Einfluss des Vorwissens und der Intelligenz auf die Entwicklung der Rechenleistung untersucht hat. Dabei wurden längsschnittig die mathematischen Leistungen im Rechnen im Zusammenhang mit der Intelligenz bei Kindern im Vorschulalter bis zur dritten Klasse verfolgt. Es konnte eine hohe Kohärenz zwischen den mathematischen Leistungen im Vorschulalter und denen in der ersten Klasse ermittelt werden. Dieser Zusammenhang zeigte sich mit steigender Klassenstufe noch deutlicher. Kinder mit guten Vorkenntnissen im Vorschulalter entwickelten sich zu guten Rechner:innen während der Grundschulzeit, Kinder mit geringen Vorkenntnissen blieben hingegen in der Grundschule schlechte Rechner:innen (Fritz und Ricken 2008, S. 15). Diese Resultate konnten von Schulze et al. bestätigt werden, die Kinder mit Rechenstörung (doppeltes Diskrepanzkriterium erfüllt) und Rechenschwäche (einfaches Diskrepanzkriterium erfüllt) längsschnittlich von der zweiten bis zur fünften Klasse untersuchten. Sie kam zu dem Schluss, dass Kinder beider Untersuchungsgruppen gleichermaßen eine Standardabweichung hinter durchschnittlich intelligenten und eine halbe Standardabweichung gegenüber unterdurchschnittlichen Schülerinnen und Schülern zurückblieben und Rechenschwäche und -störung damit ein ernsthaftes Entwicklungsrisiko darstellen (Schulz et al. 2018, 76 f.). Außerdem konnte in der SCHOLASTIK-Studie gezeigt werden, dass Intelligenz und Entwicklung der Rechenleistung statistisch eng zusammenhängen, dieser Einfluss allerdings mit steigendem Alter nachlässt. Je länger ein Kind die Schule besucht und sich damit fachspezifische Vorkenntnisse aneignet, desto geringer wird die Bedeutung der Intelligenz (Helmke 1997, S. 211 f.). Für die Sekundarstufe I konnten diese Ergebnisse von Moser Opitz teilweise bestätigt werden. Die Varianz der Mathematikleistung in der fünften Klasse kann zu 68,8 % durch die Kenntnisse des Basisstoffs erklärt werden, die Intelligenz kann hingegen nur zu 17 % zur Varianzaufklärung beitragen. In der achten Klasse beträgt der Anteil der Varianz des Vorwissens zum Basisstoff wider Erwarten nur noch 52,3 %, wohingegen der der Intelligenz auf 32,5 % steigt. Moser Opitz führt diesen Effekt auf die Zusammensetzung der Stichprobe

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

zurück, die in der achten Klasse vor allem aus leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern bestand (wie Klassen für Lernbehinderung) (Moser Opitz 2013, S. 218). Es wird deutlich, dass über alle Studien hinweg dem Vorwissen und im Besonderen den zugrunde liegenden mathematischen Kompetenzen eine größere Rolle zukommt als der Intelligenz, da alle mathematischen Bereiche schrittweise über die Schuljahre hinweg erarbeitet werden. Neue Inhalte des Mathematikunterrichts bauen unmittelbar auf bereits erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf (Vollrath und Weigand 2007, S. 25). Nach diesem so genannten Spiralprinzip sind die Lehrpläne der deutschen Bundesländer konzipiert. Lücken im Vorwissen des Schülers oder der Schülerin verringern dessen bzw. deren Chancen auf gute Leistungen in der Mathematik. Weist der oder die Lernende bereits fehlendes Wissen und fehlende Strategien innerhalb grundlegender mathematischer Fähigkeiten wie den Grundrechenarten auf, wird erfolgreiches Lernen und Kompetenzentwicklung, nicht nur bezogen auf den Lernstoff der Grundschule, deutlich erschwert. Denn auch weitere Lernerfolge können nicht im Gleichschritt mit den Klassenkamerad:innen erfolgen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Kinder über ihre gesamte Schullaufbahn hinweg zwei bis vier Schuljahre unter den erwarteten Mathematikleistungen zurückbleiben und für die Erarbeitung des Lernstoffes von einem Schuljahr mindestens zwei benötigen (Parmar und Cawley 1997, S. 188). Die Neuropsychologie und die Medizin suchen bei der Frage nach den Ursachen dieser Verzögerungen im Gehirn der Schülerinnen und Schüler. Es wird unter anderem erforscht, ob ihnen bestimmte Voraussetzungen von Geburt an fehlen und es damit eine genetische Ursache für Dyskalkulie geben kann. Studien zeigten tatsächlich, dass Fähigkeiten wie das Unterscheiden von Mengen (Antell und Keating 1983, S. 695) und das Erkennen von Kleiner-Größer-Relationen (Brannon 2002, 226 f.) angeboren zu sein scheinen. Demnach wäre eine genetische Ursache möglich. Studien von Alacórn et al. (1997, S. 619 f.) und Shalev et al. (2001, S. 59) zeigten ein erhöhtes Risiko für eine Dyskalkulie, wenn bereits andere Familienmitglieder davon betroffen sind. Allerdings merkt Moser Opitz an, dass mathematische Fähigkeiten im engen Zusammenhang mit äußerlichen Faktoren wie Umwelt, Beschulung usw. stehen, sodass diese Faktoren ebenfalls die Ergebnisse erklären könnten (Moser Opitz 2013, S. 42 f.). Beispielsweise entspricht ein Großteil der untersuchten Stichprobe der Studie Shalevs et al. der unteren Mittelschicht (2001, S. 60). Hätte man nun die Untersuchungshypothese angestellt, dass soziale Zugehörigkeit einen Einfluss auf das Auftreten einer Dyskalkulie hat, hätten die Ergebnisse ebenso interpretiert werden können. So ist es methodisch schwierig einen genetischen Einfluss auf die Entwicklung einer

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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Dyskalkulie zu beweisen, da familiäre Komponenten vielfältigen, eben nicht nur genetischen Einflüssen unterliegen. Allenfalls kann davon ausgegangen werden, dass „ein genetischer Faktor bei der Entwicklung einer Dyskalkulie wahrscheinlich [ist]“ und dass, die „familiäre Häufung einen wesentlichen Risikofaktor für die Persistenz einer Dyskalkulie dar[stellt].“ (Jacobs und Petermann 2012, S. 46). Eine andere Erklärung dafür, dass manche Schülerinnen und Schüler bereits mit Rückständen in den Vorläuferfähigkeiten in die Schule kommen, könnten Defizite bei der Zahlenverarbeitung im Gehirn sein, wobei jedoch anders als lange vermutet, verschiedene Bereiche für spezifische Aufgaben verantwortlich sind (Fritz und Ricken 2008, S. 17). Auf Grundlage dieser Erkenntnis entwickelte Dehaene das Tripple-Code-Modell, welches häufig die Grundlage für wissenschaftliche Untersuchungen dieses Forschungszweigs ist.

Abbildung 2.3 Das Triple-Code-Modell (nach Landerl und Kaufmann 2008 und Schneider et al. 2016)

Nach diesem Modell wird die Zahlenverarbeitung bei Erwachsenen durch drei verschiedene Module (Codes) gesteuert. Dabei ist jedes Modul für eine

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

unterschiedliche Repräsentationsform von Zahlen zuständig. Die Funktionseinheit der verbal-phonologischen Zahlenform verarbeitet gesprochene Zahlen und Numerale. Cohen konnte mittels bildgebender Verfahren zeigen, dass dieses Modul ebenso für das Zählen sowie das Lösen von kleinen Einmaleins- bzw. Einspluseins-Aufgaben aus dem Gedächtnis zuständig ist. Die Funktionseinheit der visuell-arabischen Zahlform ist hingegen für die Verarbeitung von Zahlzeichen verantwortlich. Hier werden alle Rechenoperationen mit mehrstelligen Zahlen bearbeitet, jedoch auch die Beurteilung, ob eine Zahl gerade oder ungerade ist (von Aster 2009, S. 202). Das letzte Modul ist das der so genannten analogen Größenrepräsentation und wird als „innerer Zahlenstrahl“ oder gar „Zahlensinn“ bezeichnet, dessen Aufgabe das Schätzen, Größenvergleiche und das Überschlagen ist. Dieses Modul ist immer involviert, wenn das Wissen um die numerische Größe oder Mächtigkeit einer Zahl oder Menge abgerufen werden muss. Dabei werden die Mengen mental ihrer Größe entsprechend räumlich von links nach rechts repräsentiert2 . Die Existenz dieser Module konnte durch nachgewiesene Effekte in Studien belegt werden (Dehaene et al. 1993, Opfer und Siegler 2007; Siegler und Opfer 2003 und Nuerk et al. 2005, S. 189). Allerdings merken Moser Opitz et al. an, dass das Tripple-Code-Modell auf Grundlage von Daten von Erwachsenen entwickelt wurde und sich nicht ohne weiteres auf die kindliche Entwicklung übertragen lässt (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 104). Damit ist fraglich, ob es sich zur Erklärung von Ursachen für eine Dyskalkulie bei Kindern eignet. Jedoch eröffnete dieses Modell neue Forschungsperspektiven, wodurch ermittelt werden konnte, dass besonders der innere Zahlenstrahl eine fundamentale Bedeutung für die Entwicklung mathematischer Kompetenzen zu haben scheint (von Aster 2005, S. 22). Dieser ist bei Kindern zunächst logarithmisch aufgebaut, was bedeutet, dass die Distanz von großen Zahlen als geringer wahrgenommen wird, als das bei kleinen Zahlen der Fall ist. Erst im Alter von ca. neun Jahren wird der innere Zahlenstrahl mehr und mehr linear (Siegler und Opfer 2003, S. 239). Für Kinder der zweiten und vierten Klasse mit einer Rechenstörung konnten Landerl et al. Defizite beim Eintragen von Zahlen auf einem leeren Zahlenstrahl, besonders bei Zahlen ab 1000 zeigen. Hier folgte der Zahlenstrahl der dyskalkulischen Kinder nahezu exakt der Logarithmusfunktion (Landerl et al. 2009, S. 320). Auch wurde bei rechengestörten Kindern neben den schwächeren Leistungen eine deutlich geringere Aktivierung in der erwarteten Hirnregion beim Lösen von Aufgaben zum approximierten Rechnen festgestellt (Kucian et al. 2006, S. 17 f.). Allerdings zeigte sich in dieser Studie 2

In welchen Gehirnregionen sich die jeweiligen Module befinden, kann bspw. bei Dehaene (1999), bei von Aster (2009) oder Landerl und Kaufmann (2008) nachgelesen werden.

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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ebenso eine schwächere Aktivierung der Arbeitsgedächtnis- und Aufmerksamkeitsfunktionen (Kucian et al. 2006, S. 15), sodass diese Defizite auch direkt auf Minderleistungen in diesen Bereichen zurückgeführt werden könnten. Besonders dem Gedächtnis scheint beim Erwerb mathematischer Kompetenzen eine wichtige Rolle zuzukommen. „Denn zum größten Teil besteht das schulische Lernen darin, sprachliche und mathematische Symbolsysteme zu verarbeiten und anzuwenden“ (Hasselhorn und Gold 2009, S. 49). Es wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass das menschliche Gedächtnis aus mehreren Teilmodulen besteht, die die gerade aufgenommenen Informationen kurzzeitig speichern, mit Aufmerksamkeit bedachte Reize verarbeiten und anschließend die Informationen im Langzeitgedächtnis speichern. Je nach Modell und Theorie werden verschiedene Teilmodule unterschiedlich zusammengefasst oder disjunkt betrachtet (vgl. hierzu z. B. Baddeley 2012; Engle 2002; Miyake 2007; Süß et al. 2002). Ein z. Z. häufig rezipiertes Modell, welches auch Grundlage von verwandten Wissenschaftszweigen wie der Neuro- und Entwicklungspsychologie ist, ist das Informationsverarbeitungsmodell von Baddeley (2000, S. 417; z. B. verwendet in Landerl et al. 2017, S. 44; Moser Opitz 2013, S. 55). Er geht davon aus, dass das Gedächtnis aus zwei Komponenten besteht, dem Kurz- und dem Langzeitgedächtnis (Baddeley 2010, S. 418). Besonders der Aufbau und die Wirkungsweisen des Kurzzeitgedächtnisses, was wegen seiner komplexen und vielfältigen Funktionen oft auch als Arbeitsgedächtnis bezeichnet wird, ist ein Forschungsschwerpunkt der Kognitionspsychologie. Dies ist kein eindimensionales Konstrukt, sondern ein „komplexes Systemgefüge“ (Hasselhorn und Gold 2009, S. 73) (Abbildung 2.4).

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

Abbildung 2.4 Aufbau des Gedächtnisses nach Baddeley (2000, S. 421)

In diesem Modell besteht das Arbeitsgedächtnis aus vier Teilsystemen, deren Mittelpunkt die zentrale Exekutive darstellt. Sie ist das Schaltorgan, deren Aufgabe, neben der Steuerung der in den Hilfssystemen ablaufenden Verarbeitung, in der Überwachung und Kontrolle der Verfügungskapazitäten des gesamten Arbeitsgedächtnisses sowie der Hemmung störender Faktoren oder Gedanken besteht (Hasselhorn und Gold 2009, S. 80). Damit ist sie der Sitz der Konzentration. Darüber hinaus entwirft, überwacht und modifiziert die zentrale Exekutive Verarbeitungs- und Handlungspläne, koordiniert Informationen aus verschiedenen Quellen und stellt diese gezielt in den Vordergrund, um Anknüpfungspunkte zu schaffen. Je nach Art der Information, ob visuell oder verbal, werden die Informationen durch die zwei Hilfssysteme des visuell-räumlichen Notizblocks und der artikulatorischen Schleife verarbeitet. Der episodische Puffer (nicht mit dem gleichnamigen im Modell von Attkins und Shiffrin zu verwechseln) hat die Aufgabe eine Reihe von zusammenhängenden Informationen zu bündeln und so die Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses zu erhöhen (Baddeley 2000, S. 421). Die häufig überprüfte Erkenntnis, dass rechenschwache Kinder starke Defizite beim Abruf von mathematischem Faktenwissen zeigen (z. B. Geary 2004, S. 7), legt die Vermutung nahe, dass diese Kinder über Einschränkungen des Arbeitsgedächtnisses verfügen. Besondere Bedeutung scheinen dabei der zentralen Exekutive und der phonologischen Schleife zuzukommen. Die phonologische Schleife ist beim Rechnen für die Speicherung von Zwischenergebnissen verantwortlich. Es wird vermutet, dass beim Vorliegen einer Störung die Zahlen

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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mit denen gerechnet wird und das dazugehörige Ergebnis nicht gleichzeitig im Kopf behalten werden können. Dadurch ist es nicht möglich, einen entsprechenden Eintrag im semantischen Langzeitgedächtnis vorzunehmen, mathematisches Faktenwissen kann somit nicht aufgebaut werden (Moser Opitz 2013, S. 56 f.). Ein Zusammenhang zwischen Defiziten der zentralen Exekutive und dem Vorliegen einer Rechenschwäche ist gut belegt (Jacobs und Petermann 2012, S. 49), wobei ein besonderer Einfluss dieser beim Kopfrechnen und beim Lösen von Textaufgaben aufgezeigt werden konnte (Jacobs und Petermann 2012, S. 49; Landerl et al. 2017, S. 130 f.). Ein anderer Bestandteil der zentralen Exekutive sind Hemmmechanismen, auch Inhibition genannt, die dafür zuständig sind, irrelevante Informationen und Einflüsse auszublenden. Gezeigt werden konnte ein negativer Zusammenhang zwischen mangelnden Hemmmechanismen und der Multiplikationsfertigkeit (Barrouillet et al. 1997, S. 272 f.). Allerdings meint Inhibition ebenfalls, dass störende Einflüsse allgemein ausgeblendet werden, um sich auf eine Aufgabe konzentrieren zu können. An dieser Stelle kann eine Begründung dafür gefunden werden, warum ein hoher Anteil der Kinder mit Dyskalkulie auch unter einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leidet. Mangelnde Hemmmechanismen führen dazu, dass Betroffene nicht in der Lage sind, sich lange auf eine Sache zu konzentrieren und dieser dauerhaft ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Somit können Defizite der zentralen Exekutive auf vielfältige Weise zu Beeinträchtigungen beim Lernen von Mathematik führen. Im Gegensatz dazu konnte ein Einfluss des Langzeitgedächtnisses bei der Entstehung einer Dyskalkulie nicht gezeigt werden. Zwar vermutete Geary die Ursache von Subtypen der Dyskalkulie (wie auch der Legasthenie) in Defiziten des semantischen Teils des Langzeitgedächtnisses (in dem Faktenwissen aller Art gespeichert wird) (Geary und Hoard 2001, S. 644), allerdings konnte diese Vermutung durch Studien widerlegt werden: Kinder mit Dyskalkulie konnten sich tatsächlich nur Zahlenfakten nicht merken. Das Abrufen von Buchstabenkombinationen, Hauptstädten, u. Ä. gelang ihnen stattdessen vergleichbar gut, wie Kindern, deren Rechenleistung unauffällig war (Temple und Sherwood 2002, S. 748 f.). In engem Zusammenhang zum räumlich-visuellen Notizblock steht das räumliche Vorstellungsvermögen, da Prozesse wie das Rotieren und das räumliche Wahrnehmen in diesem Teil des Arbeitsgedächtnisses angesiedelt sind (Baddeley 2000, S. 420), da das visuelle Arbeitsgedächtnis Vorstellungsbilder erzeugt und mental manipuliert (z. B. drehen oder verschieben) (vgl. Maier 1999, S. 14). Auch hier könnte ein Zusammenhang zwischen schwächeren Leistungen bei arithmetischen Teilgebieten und dem visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnis zu finden sein, da das Verständnis mathematischer Operationen auf dem Durchführen und dem späteren Verinnerlichen von Handlungen beruht (bspw. die Addition

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

als Hinzufügen). So wird die Fähigkeit zum räumlichen Vorstellen als kognitive Grundlage zur Repräsentation von mathematischen Inhalten und Handlungen mit diesen gesehen (Grüßing 2012, S. 16). Empirisch konnten der Einfluss des räumlichen Vorstellungsvermögens auf mathematischen Kompetenzerwerb besonders im Grundschulbereich gezeigt werden. So beeinflussen räumliche Fähigkeiten grundlegende Kompetenzen wie das Transkodieren, das Schätzen, die Strukturerkennung des dezimalen Stellenwertsystems (hier besonders die Komponente des mentalen Rotierens), die Verarbeitung mehrstelliger Zahlen (Kajda 2010, S. 114 ff.) oder den Erwerb von Faktenwissen (Grüßing 2012, S. 249), wobei letztere besonders mit der Fähigkeit zum Veranschaulichen oder Visualisieren im Zusammenhang stehen. Somit hat das räumliche Vorstellungsvermögen einen indirekten Einfluss auf die Rechenleistung und es wird vermutet, dass dies vor allem mit dem mentalen Zahlenstrahl (vgl. Tripple-Code-Modell nach Dehaene 1999, Abbildung 2.3), der auch für die (räumlichen) Zahlenvorstellungen und damit für flexibles Rechnen notwendig ist, zusammenhängt. Darüber hinaus werden das Verständnis von Zusammenhängen, das Anwenden von Mathematik, das Lösen von Problemen und das Argumentieren durch diese Komponenten beeinflusst (Graß und Krammer 2018, S. 62). Diesbezüglich konnte Kajda deutliche Defizite bei dyskalkulischen Kindern in der räumlichen Veranschaulichungsfähigkeit feststellen (2010, S. 115). Kinder mit Dyskalkulie scheinen Vorstellungsbilder zu mathematischen Konzepten häufig nicht oder deutlich später als gleichaltrige Kinder mental erzeugen zu können (Schulz 2001, S. 63), wodurch kaum ein Verständnis der Grundrechenarten entwickelt werden kann. Genauer im Grad der mathematischen Begabung, untersuchte van Gaderen rechenschwache, normal begabte und besonders begabte amerikanische Sechstklässler:innen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zum räumlichen Visualisieren und dem Lösen mathematischer Sachaufgaben. Dabei wurde jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen rechenschwachen und normalbegabten Lernenden in den räumlichen-visuellen Fähigkeiten festgestellt, jedoch zwischen diesen beiden Gruppen und besonders begabten Schülerinnen und Schülern (van Garderen 2006, S. 501). Dasselbe Ergebnis konnte auch für den Zusammenhang zwischen dem Lösen von Sachaufgaben und dem Grad der mathematischen Begabung ermittelt werden (van Garderen 2006, S. 502). Allerdings umfasste die Stichprobe bei ihrer Untersuchung lediglich 66 Schülerinnen und Schüler, wobei die drei Untersuchungsgruppen gleichmächtig waren. Aufgrund weniger Studien auf dem Gebiet des räumlichen Vorstellungsvermögens und der Dyskalkulie, kann ein Zusammenhang zwischen beiden nicht eindeutig belegt werden. Da räumlich-visuelle Fähigkeiten zur Entwicklung von Vorstellungen zu mathematischen Konzepten

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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jedoch notwendig sind, scheint dies wahrscheinlich. Weitere Studien, besonders in Bereich der Sekundarstufe, müssen jedoch zur endgültigen Klärung beitragen. Affektive Komponenten Intelligenz, Vorwissen, Arbeitsgedächtnis und visuell-räumliche Fähigkeiten haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung mathematischer Kompetenzen. Doch wie Modelle des erfolgreichen Lernens wie das INVO- oder GIV-Modell (Hasselhorn und Gold 2009, S. 68; Pressley et al. 1989, S. 862) andeuten, bilden kognitive Voraussetzungen nur einen Bestandteil für erfolgreiches Lernen. Daneben ist die Qualität und die Intensität, mit denen die Informationen verarbeitet werden, entscheidend, die wiederum von emotionalen und motivationalen Komponenten abhängig sind (Hasselhorn und Gold 2009, S. 89). In der Definition der ICD-11 werden diese psychosocial adversities für das Entstehen einer Rechenstörung ausgeschlossen (vgl. Abschnitt 2.1.) Dabei stehen Emotionen bezüglich der Mathematik, der Lernprozesse und die Leistungen in diesem Fach in einem engen Zusammenhang (Lingel et al. 2014, S. 67; Pekrun et al. 2004, S. 358). Mathematikfreude korreliert deutlich positiv mit Interesse, Lernmotivation, Elaborationsstrategien, selbstreguliertem Lernen und den Zeugnisnoten, wo hingegen diese Korrelationen für Emotionen wie Angst, Hoffnungslosigkeit und Langeweile überwiegend negativ ausfallen (vgl. Pekrun et al. 2004, S. 358). Damit sind auch hier vielfältige Risikofaktoren für das Zustandekommen einer Dyskalkulie oder Rechenschwäche möglich. In Bezug auf das Phänomen der Rechenschwäche sind besonders die lernbegleitenden Emotionen Schwerpunkt empirischer Untersuchungen, denn es wird vermutet, dass Emotionen eine Schlüsselfunktion für das Lernverhalten und den Kompetenzerwerb im Fach Mathematik einnehmen (Pekrun et al. 2004, S. 347). „Das Rechnen vor der Klasse verlangt von den Kindern Selbstvertrauen, Mut und eine gewisse Risikobereitschaft.“ (Nestle 2004, S. 33) So kann eine besondere emotionale Disposition, wie Ängstlichkeit oder mangelndes Selbstvertrauen zur Entwicklung einer Rechenschwäche beitragen. Auf der anderen Seite können dauerhaft schwache Mathematikleistungen und Unverständnis der Unterrichtsinhalte zu großen emotionalen Belastungen führen, die die kognitiven Probleme weiter verstärken. Somit kann meist nicht zwischen affektiven Komponenten als Ursache und Folge unterschieden werden, da sie in den meisten Fällen nicht trennbar sind (Nestle 2004, S. 33). Emotionen in Bezug auf das Lernen können in positive Emotionen wie Lernfreude, leistungsbezogene Hoffnung oder Stolz, aktivierend negative Emotionen, wie Angst oder Ärger und desaktivierend negative Emotionen, wie Hoffnungslosigkeit und Langeweile unterteilt werden (Pekrun et al. 2010, S. 116). Die Emotionen haben einen Einfluss auf die Belastung des

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

Arbeitsgedächtnisses, wobei im Besonderen Angst und Ärger zur Blockade von Arbeitsgedächtnisressourcen führen und die Aufmerksamkeitszuwendung deutlich reduzieren. Dies gilt auch für negative desaktivierende Emotionen, durch die tiefere Verarbeitung von Informationen verhindert wird (Hasselhorn und Gold 2017, S. 124). Moser Opitz (für die Klassen fünf und acht) und Schäfer (für die fünfte Klasse) konnten übereinstimmend anhand von Interview-Studien ermitteln, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler zwar prinzipiell kaum signifikant negativere Emotionen zum Fach Mathematik im Allgemeinen zeigen (Moser Opitz 2013, S. 230 f.) als unauffällige Schülerinnen und Schüler, Angstsituationen jedoch häufig erlebt werden, besonders im Zusammenhang mit Klassenarbeiten, Hausaufgaben und dem Vorrechnen im Unterricht (z. B. an der Tafel) (Moser Opitz 2013, S. 284, Schäfer 2005, S. 492 und S. 499). Dabei werden Erfahrungen der Beschämung und des Ausgelacht-Werdens mit Zunahme der mathematischen Schwierigkeiten immer gravierender (Schäfer 2005, S. 490). Besonders für Prüfungsangst konnten negative Folgen für die Leistungsentwicklung ermittelt werden, da sie die Aufmerksamkeit verringert, das Arbeitsgedächtnis blockiert und damit vor allem schwierigere und komplexere Aufgaben kaum gelöst werden können (Aldrup et al. 2020, S. 745; Wild et al. 2006, S. 210), wobei davon auszugehen ist, dass für rechenschwache Kinder aufgrund mangelnder basismathematischer Kompetenzen sehr viele Aufgaben zu dieser Gruppe gehören (vgl. hierzu Kapitel 4). Unter lernpsychologischen Gesichtspunkten führt Angst auch zur Hemmung von Fähigkeitsentwicklungen, da angstauslösende Situationen im Allgemeinen vermieden werden. So kommt es dazu, dass betroffene Kinder sich immer weniger am Unterricht beteiligen und weniger Zeit für inhaltliches Lernen aufbringen (von Aster et al. 2017, S. 165). Es ist anzunehmen, dass Mathematikangst durch Lehrkräfte verstärkt werden kann, wenn diese wenig positive Rückmeldungen zu den Schülerfähigkeiten geben (die positive Wirkung sensibler Lehrkräfte konnten Aldrup und Kolleg:innen (2020) zeigen). Zu negativen Emotionen führt bei rechenschwachen Kindern auch das Fehlen der erlebten Selbstwirksamkeit, im Sinne von Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Moser Opitz 2013, S. 272 f.). Günstige Selbstwirksamkeitserwartungen würden sich positiv auf Emotionen, Anstrengungsbereitschaft und den Einsatz von tiefergehenden Lernstrategien, wie Elaboration auswirken. Im Vergleich zu ihren Mitschülern und Mitschülerinnen können Kinder mit Dyskalkulie durch erhöhte Anstrengung jedoch kaum mehr Lern- und Leistungserfolge erreichen (Pekrun et al. 2010, S. 121), was auf Dauer zu desaktivierenden negativen Emotionen wie Hoffnungslosigkeit führen kann. So zeigen 10 % der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler einer Stichprobe von 85 Lernenden gar eine Schulunlust und schulvermeidendes Verhalten (Huck

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

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und Schröder 2016, S. 160), was sich wiederum negativ auf die Lernmotivation auswirkt (Hasselhorn und Gold 2017, S. 124). Ständige Misserfolge, unabhängig von den Bemühungen des Kindes, können zur Folge haben, dass sich ein negatives schulisches Selbstkonzept im Fach Mathematik entwickelt (Bonifacci et al. 2015, S. 7). Unter diesem Begriff versteht man das Wissen und die Einschätzung der eigenen Kompetenzen (Wild et al. 2006, S. 225). Studien belegen einen positiven Zusammenhang zwischen Selbstkonzept und Leistung, was zum einen auf größere Unterrichtsbeteiligung und damit zur Verbesserung der Leistung zurückzuführen ist. Zum anderen kann im Zusammenhang mit Selbstwirksamkeitserwartungen davon ausgegangen werden, dass Lernende, die von ihren Fähigkeiten überzeugt sind, eine größere Anstrengungsbereitschaft zeigen und dies zu Erfolgen und besseren Leistungen führt. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Motivation aus. Durch ein negatives Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit werden dementsprechend schwache Leistungen verstärkt. Moser Opitz und Schäfer konnten zeigen, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler, genau wie unauffällige, die eigenen Fähigkeiten sehr realistisch einschätzen (Moser Opitz 2013, S. 273; Schäfer 2005, S. 464 f.). Ein negatives Fähigkeitsselbstkonzept ist bei sehr schwachen Mathematikleistungen damit wahrscheinlich. Negatives Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit führt zu geringerer Volition, da eine höhere Anstrengungsbereitschaft nicht zu besseren Leistungen führt. Wendland und Rheinberg konnten Zusammenhänge zwischen geringer motivationaler Selbststeuerung (Volition) und mangelnder Mathematikleistungen belegen (Rheinsberg und Wendland 2002, S. 315). Auch wenn bisher keine Untersuchungen zu Rechenschwäche und Motivation vorliegen, so kann davon ausgegangen werden, dass mangelnde Motivation, ausgelöst durch fehlendes Selbstwirksamkeitsempfinden die Defizite in der mathematischen Kompetenzentwicklung weiter verstärken, da 26,5 % der Mathematikleistung (in den Klassen fünf bis neun) durch die Motivation erklärbar ist (Rheinsberg und Wendland 2002, S. 315). Zusammenfassend konnten Studien zeigen, dass Selbstkonzept, Emotionen und Motivation wesentlich durch schulische Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen bestimmt werden (Pekrun et al. 2010, S. 121). Bei Schülerinnen und Schülern mit sehr schwachen Mathematikleistungen ist davon auszugehen, dass sie häufig Angstsituationen im Unterricht erleben, ein negativ ausgebildetes Fähigkeitsselbstkonzept und kaum ein Erleben der Selbstwirksamkeit haben, was zu einer Verringerung der Volition führt. Dabei sind es besonders diese Komponenten (neben Selbststeuerungsproblemen und geringer Ausdauer), die die Mathematikleistung im Wesentlichen mitbestimmen (Rheinsberg und Wendland 2004, S. 320). Diese Auseinandersetzung zeigt, dass affektive Komponenten bei

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

Kindern mit schwachen Mathematikleistungen zu Behinderungen der Informationsverarbeitung führen und bestehende Probleme verstärkt werden können. Hinzu kommen stressfördernde Faktoren im Lebensumfeld des Schülers oder der Schülerin, die im engen Zusammenhang mit affektiven Komponenten wie Emotionen und Selbstkonzept stehen. Diese Einflussfaktoren sollen im Folgenden näher beschrieben werden.

2.2.2

Die Ebene des sozialen und familiären Umfelds

Lernbegleitende Emotionen werden durch Interaktionen mit Mitschülerinnen und Mitschülern sowie mit den Eltern beeinflusst (Pekrun et al. 2004, S. 348). Im Fall sehr schwacher Mathematikleistungen entstehen vor allem negative Emotionen und tragen zur Entwicklung einer Rechenschwäche bei. Sind Kinder besonders sensibel, entmutigt, vernachlässigt oder verwöhnt, kann dies zu Schwierigkeiten in der Klassengemeinschaft führen, die Lernblockaden und Druck in Leistungssituationen verursachen können. Treten sie als Folge bzw. als Begleiterscheinungen der Rechenschwäche auf, äußert sich das meist durch Angst, Abwehr, Aggression, Apathie und mangelndes Selbstvertrauen (Nestle 2004, S. 33). Bereits im vorhergehenden Abschnitt wurde konstatiert, dass Rechenschwache häufig Situationen des Ausgelachtwerdens und der Beschämung von Seiten der Mitschüler und Mitschülerinnen ausgesetzt sind. Laut einer Studie von Huck und Schröder kommt es oft zu Mobbing durch Klassenkamerad:innen, worunter 23,5 % der untersuchten rechenschwachen Schülerinnen und Schüler leiden, sowie dem Gefühl der Isolierung aus der Klassengemeinschaft, wovon sich 13 % betroffen fühlen (2016, S. 160). Jugendliche sind dabei weit häufiger betroffen als Kinder der ersten bis fünften Klasse. Allerdings weist die Studie gerade im höheren Altersbereich nur eine sehr kleine Stichprobe auf, wodurch die Ergebnisse unter Vorbehalt zur Problemanalyse dyskalkulischer Kinder und Jugendlicher herangezogen werden kann. Einen noch größeren Einfluss auf die Leistung des Kindes als Mitschüler:innen hat das Elternhaus, da es sowohl den sozio-ökonomischen Status und über die Beherrschung der Bildungssprache bestimmt als auch Einfluss auf affektive Komponenten des oder der Lernenden hat. Eltern beeinflussen durch Erwartungen bezüglich minimaler Leistungsansprüche, Überzeugungen, den Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen des Kindes sowie Belohnung und Bestrafung motivationale und emotionale Merkmale von Schülerinnen und Schülern (Tillack und Mösko 2013, S. 130), wobei besonders das Selbstkonzept bei Kindern mit

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

39

Lernschwierigkeiten wie Dyskalkulie oder LRS einem hohen elterlichem Einfluss unterliegen (Bonifacci et al. 2015, S. 11). Negative soziale Bedingungen, wie Familienkonflikte (auch mit Geschwistern), belastende Trennungen oder Vernachlässigung können zu Verhaltensweisen und Ausprägungen wie mangelnde Leistungsmotivation, ein impulsiver Kognitionsstil, geringe Ausdauer und eine problematische Arbeitshaltung führen, die das schulische Lernen weiter erschweren (Nestle 2004, S. 48; Schönebaum 2005, S. 9). Insbesondere können schwache mathematische Leistungen die Eltern-Kind-Beziehung belasten, da Eltern durch die Lernschwierigkeiten ihres Kindes öfter gestresst sind als Eltern, deren Kinder in jenem Bereich über normal entwickelte kognitive Fähigkeiten verfügen (Bonifacci et al. 2015, S. 10). Somit kann es zu einer ungünstigen Interaktionen zwischen Kindern und Eltern kommen („Du bist nur faul.“, „Konzentrier dich doch mal.“), wodurch der Druck auf das Kind steigt und emotionale Lernbarrieren hervorgerufen werden (Jacobs und Petermann 2012, S. 52). So wird das Selbstkonzept der Kinder nicht nur durch das Erleben der eigenen Unfähigkeit in der Schule negativ beeinflusst, sondern auch durch die enttäuschten Leistungserwartungen der Eltern. Die Angst des Kindes vor der Mathematik kann dadurch zusätzlich erhöht werden (Fritz und Ricken 2008, S. 15 f.). Im Modell der Risikofaktoren von Schipper bildet die familiäre Situation somit folgerichtig ein weiteres mögliches Ursachenfeld für die Entstehung von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen. Hierunter werden neben ungünstigen Erziehungsstilen und Konflikten innerhalb der Familie, die Einflüsse auf affektive Komponenten haben, auch eine andere Muttersprache (im Sinne der Sprache, die zu Hause gesprochen wird) gezählt. Moser Opitz fokussiert besonders diese letzte Komponente zusammen mit der sozialen Herkunft und benennt damit vor allem Schwierigkeiten, die Migrationskinder3 zeigen (Moser Opitz 2013, S. 137 f.). Dabei ist der Einfluss des sozio-ökonomischen Status’ zu Beginn der Schulzeit kaum vorhanden, gewinnt jedoch bis zur vierten Klasse stark an Bedeutung. So können anhand der sozialen Schicht 43 % der Mathematikleistung am Ende der Grundschulzeit erklärt werden. Damit ist die soziale Herkunft ein deutlich größerer Faktor als bspw. die Intelligenz, die in der ersten Klasse noch 24 %, in der vierten Klasse jedoch nur noch 10 % der Leistung voraussagt (Krajewski und Schneider 2006, S. 256 f.). In den PISA-Studien wurden die Einflüsse von sozio-ökonomischem Hintergrund und Beherrschen der Schulsprache auf die Mathematikleistung beleuchtet, wobei besonders die Gegebenheiten von lower performing students (also der 3

Kinder, die nicht in Deutschland, bzw. deren Eltern oder Großeltern nicht in Deutschland geboren wurden.

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Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

Schülerinnen und Schüler, die die Kompetenzstufe 2 nicht erreichen und damit aus mathematikdidaktischer Sicht als rechenschwach angesehen werden) im Interesse der Untersuchung standen. Es zeigt sich, dass im OECD-Durchschnitt Migrationskinder ca. ein Schuljahr hinter den Fähigkeiten von Lernenden ohne Migrationshintergrund liegen (OECD 2016a, S. 71). In Deutschland gehören Kinder aus Einwandererfamilien mit einem Anteil von 31 % zu den lower performing students, im Rest der Schülerschaft beträgt dieser nur 13 % (OECD 2016a, S. 72). Damit ist die Wahrscheinlichkeit die Schule mit ungenügenden mathematischen Kompetenzen zu verlassen für Migrationskinder 3,2-mal höher als für Kinder, deren Familien schon mehr als drei Generationen in Deutschland leben (OECD 2016a, S. 73). Lernende, deren Eltern ein höheres Bildungsniveau und einen angesehenen und gut bezahlten Arbeitsplatz haben, profitieren vom Zugang zu einem breiteren Spektrum an finanziellen (z. B. Privatunterricht, technische Ausstattung, Bücher), kulturellen (z. B. erweitertem Wortschatz, Zeitmanagementfähigkeiten) und sozialen Ressourcen, die ihnen den Erfolg in der Schule erleichtern, verglichen mit Schülerinnen und Schülern aus Familien mit niedrigerem Bildungsniveau oder mit Eltern, die von chronischer Arbeitslosigkeit, schlecht bezahlten Jobs oder Armut betroffen sind (OECD 2016a, S. 63). 31 % der Schülerinnen und Schüler, die zum schwächsten sozio-ökonomischen Viertel in Deutschland gezählt werden, gehören zu den lower perfomance students. Bei den Lernenden der oberen beiden Viertel sind es im Gegensatz dazu weniger als 10 % (OECD 2016a, S. 63). Einen noch größeren Einfluss als der sozio-ökomische Status haben jedoch sprachliche Fähigkeiten (Prediger et al. 2013, S. 52). Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Faktor, trotz guter empirischer Befunde als mögliche Ursache einer Dyskalkulie von der ICD-11 ausgeschlossen wird (lack of proficiency in the language of academic instruction). Dabei können sprachliche Schwierigkeiten (nicht nur bei Migrationskindern (Ufer et al. 2020, S. 5)) dazu führen, dass dem Unterricht nicht gefolgt werden kann, da dort vor allem die Bildungssprache genutzt wird, die sich im Gegensatz zu Alltagssprache durch eine hohe Dichte an Informationen, komplexe grammatikalische und syntaktische Strukturen und Fachbegriffe auszeichnet (Prediger et al. 2015, S. 79). Sprache dient im mathematischen Lernprozess nicht nur dem Verstehen von Aufgabenstellungen und Sachaufgaben sowie dem Folgen des Unterrichts, sondern wird vor allem benötigt, um eigenes Wissen zu strukturieren, anzupassen und zu erweitern sowie Ergebnisse und Vorgehensweisen zu reflektieren und zu optimieren (Wilhelm 2016, S. 301). Schwache Sprachkompetenzen führen demnach zu Hürden bei kognitiv anspruchsvolleren Prozessen, wie beim Sich-festlegen bei Argumentationen oder dem Bilden von Sachsituationen bei Modellierungsprozessen und zu

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

41

konzeptuellen Hürden, die das Erschließen mathematischer Grundvorstellungen erschweren (Prediger et al. 2015, S. 100), da Sprache Werkzeug des Denkens ist und zur Konstruktion von Wissen und Verständnis benötigt wird (Ufer et al. 2020, S. 1). Somit können sprachliche Defizite einen Risikofaktor für das Zustandekommen einer Rechenschwäche darstellen, auch wenn keine basalen und kognitiven Auffälligkeiten vorliegen.

2.2.3

Die Ebene des Mathematikunterrichts als Risikofaktor

Es wurde bereits festgestellt, dass Mitschüler und Mitschülerinnen einen Einfluss auf das Entstehen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen durch das Hervorrufen von negativen Emotionen haben können. Darüber hinaus kommen jedoch auch der gesamten Institution Schule und dem Mathematikunterricht eine schwerwiegende Bedeutung für besonders schwache Mathematikleistungen von Schülerinnen und Schülern zu. Für manche Autor:innen ist im Mathematikunterricht gar der größte Risikofaktor zu finden. So sagt Ginsburg: “The most reasonable explanation for a nondisabled child’s failure in mathematics is the conventional instructional system – the textbooks, teachers, cultural atmosphere, and curriculum.” (1997, S. 27) Auch Moser Opitz definiert Rechenschwäche als Versagen des Mathematikunterrichts durch Unterrichts- und Förderkonzepte sowie Vorgehensweisen, die den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern mit ungünstigen Voraussetzungen nicht gerecht werden (2013, S. 139). Thiel spricht in diesem Zusammenhang von einer ungenügenden Passung, da Schwierigkeiten erst entstünden und sich verfestigen würden, wenn Lernvoraussetzungen, also kognitive, affektive und soziale Komponenten, nicht genügen, um die Lernanforderungen zu erfüllen (Thiel 2001, S. 26). In den Definitionen der ICD-10 und -11 wird der Risikobereich Schule zum Teil ausgeklammert, da in der 10er-Version noch davon gesprochen wird, dass eine ungünstige Beschulung keine Ursache für eine Rechenstörung sein kann. In der aktuellen Version wird dies hingegen relativiert, da nur noch von lack of availability of education gesprochen wird (s. o.). Der Grund für die unterschiedlichen Ansichten ist, dass die medizinische Forschungsrichtung, aus der diese Definitionen konzipiert wurden, den Fokus auf das Individuum legt, während pädagogische und entwicklungspsychologische Konzepte Lernen unter individuellen, sozialen und institutionellen Gegebenheiten betrachten (Hannover et al. 2014, S. 114 ff.), was sich in der Berücksichtigung möglicher Risikofaktoren widerspiegelt. Des Weiteren wird unter der medizinischen Sichtweise die Komplexität mathematischer Konzepte und Kompetenzen nicht beachtet, da lediglich von der

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2

Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten (ICD-10), Zahlensinn, Auswendiglernen von Zahlenfakten und exakten und flüssigen Berechnungen (ICD-11) die Rede ist (eine Ausnahme bildet lediglich das mathematische Argumentieren in der ICD-11). Der Erwerb von mathematischen Grundvorstellungen wird jedoch maßgeblich durch den Mathematikunterricht beeinflusst, dessen Ziel es ist, die Kindern bei der Entwicklung mathematischer Kompetenzen zu unterstützen (KMK 2005, S. 7). Dabei sind besonders grundlegende mathematische Fähigkeiten von Bedeutung, da die Lehrpläne der Mathematik so aufgebaut sind, dass diese als Grundlage für weiteres Lernen vorausgesetzt (Spiralprinzip) werden (Bruner 1972, S. 26; Kwapis 2016, S. 6; Wittmann 1983, S. 9). Somit ist der Mathematikunterricht unmittelbar für Defizite bei grundlegenden mathematischen Kompetenzen verantwortlich. Schlechter Mathematikunterricht, der Schülerinnen und Schüler unzureichend bei der Entwicklung von Vorstellungen unterstützt, kann durch institutionelle und didaktische Mängel verursacht werden. Moser Opitz und Ginsburg betonen besonders die Rolle schlechter Lehrpläne und nach diesen aufgebaute Schulbücher für einen Mathematikunterricht, der wenig auf das Problemlösen, sondern vor allem auf Drill und das Beherrschen von Algorithmen ausgelegt ist. Dabei stehen bei Moser Opitz besonders die Sonderschulen in der Kritik, da die Lehrpläne hier vorgeben, dass Unterrichtsinhalte sehr kleinschrittig aufgebaut sind und damit das Verstehen von Zusammenhängen kaum möglich machen (2013, S. 35 ff.). Diese Kritik kann teilweise auf die Hauptschulen in Deutschland übertragen werden. Auch hier sind die Lehrpläne besonders auf das Beherrschen und Anwenden von Fertigkeiten ausgerichtet, wobei sich jedoch zum Teil höhere mathematische Kompetenzen finden lassen, wie sie durch die Bildungsstandards in Deutschland vorgeschrieben sind (z. B. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2004/2009/2019, S. 18 ff.). Gaidoschik kritisiert besonders im Zusammenhang mit der Hauptschule, dass als „naturgegeben“ hingenommen wird, dass nicht wenige Kinder beim Übertritt aus der Grundschule in ganz elementaren mathematischen Bereichen massive Defizite haben (2008, S. 290). Insbesondere in Deutschland führt die frühe Selektion, bei der anhand von Noten und nicht von untersuchten Kompetenzen geurteilt wird, zu einem Zeit- und Notendruck für die Lehrkräfte, die ihren Unterricht dementsprechend anpassen (Kwapis 2016, S. 7). Dadurch wird der Fokus nicht mehr auf das verständnisorientierte Erlernen der Mathematik gelegt, sondern auf korrekte Ergebnisse für gute Schulnoten. Dies wird ebenso durch zu große Klassen verursacht, bei denen eine individuelle Feststellung von Lerndefiziten und eine damit einhergehende Förderung nicht möglich ist (Nestle 2004, S. 42 f.). Zudem gäbe es sowohl in Grundschulen als auch in der Sekundarstufe viel zu wenig Förderungsmöglichkeiten für Kinder mit besonderen

2.2 Erklärungsmodelle, Ursachen und Risikofaktoren

43

Schwierigkeiten im Rechnen (Gaidoschik 2008, S. 290), die Probleme durch zu große Klassen teilweise kompensieren könnten. Aufgrund institutioneller Vorgaben (Moser Opitz 2013, S. 137 f.), aber ebenso durch pädagogisches Unvermögen (Gaidoschik 2008, S. 289 f.; Kwapis 2016, S. 7) treten didaktische Mängel auf, die zu Unverständnis mathematischer Inhalte und damit zu besonderen Schwierigkeiten im Rechnen führen. Besonders im mathematischen Anfangsunterricht können diese schwerwiegende Folgen haben, da hier die Grundlagen für alle weiteren Inhalte der folgenden Schuljahre gelegt werden (Kwapis 2016, S. 5). Inhaltlich genauer wird auf diese in Kapitel 3 bis 5 eingegangen. Ein Verständnis von mathematischen Konzepten wird durch die individuellhandelnde Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand gewonnen. Erst wenn diese enaktiv entwickelt sind, kann auf eine bildliche und später auf eine symbolische Ebene übergegangen werden (Hasemann und Gasteiger 2014, S. 67). Für Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen kognitiven Voraussetzungen ist dies von besonderer Wichtigkeit, da sie bei Defiziten in den räumlich-visuellen Fähigkeiten nicht in der Lage sind Vorstellungen, die durch Bilder oder Symbole erzeugt werden sollen, selbstständig zu produzieren. Es muss demnach zu einer konstruktivistischen Auseinandersetzung zwischen dem Kind und dem Material bzw. den Bildern kommen, in der Handlungen und Vorstellungen durch das Kind beschrieben werden (Gaidoschik 2004, S. 5 f.). Stattdessen erfolgt ein zu schneller Übergang auf die abstrakte Ebene (Nestle 2004, S. 41). Auch unstrukturierte und unpassende Arbeitsmittel können zu einer nicht gelungenen Zahlenbegriffsbildung und mangelndem Verständnis der Grundrechenoperationen beitragen, da durch diese keine Vorstellung im Sinne einer Handlung dargestellt werden, sondern beispielsweise unbedeutende Aspekte, die den Fokus vom eigentlichen Lerngegenstand entfernen (z. B. 5 – 3 als *****-***, wobei hier lediglich Zahlen veranschaulicht wurden und nicht die Subtraktion als Wegnehmen). Ebenso negativ wird der Lernverlauf durch das Verständnis von Üben als Bewältigung von noch mehr Aufgaben beeinflusst, da dadurch nur unelaborierte Rechenstrategien wie zählendes Rechnen verfestigt werden, jedoch kein vertiefendes Verständnis gewonnen wird. Zusammenfassend sind schulische Mängel dadurch gekennzeichnet, dass keine Vorstellungen und kein Verständnis von Zusammenhängen entwickelt werden, sondern durch institutionelle Vorgaben und didaktische Mängel Rechenfertigkeiten und Algorithmen im Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Auf Grundlage dieser Art von Wissen kann in der Sekundarstufe kein Verständnis für Inhalte entwickelt werden. Somit werden aus rechenschwachen Grundschülern und Grundschülerinnen rechenschwache Sekundarschüler und -schülerinnen, die dann

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2

Rechenschwäche, Dyskalkulie und besondere Schwierigkeiten …

in Untersuchungen wie PISA durch mangelnde mathematische Fähigkeiten auffallen. Grund dafür ist, dass die Schule und der Mathematikunterricht nicht in der Lage waren und sind, die besonderen Bedürfnisse von Kindern, die mit Risikofaktoren wie problematischen individuellen oder sozialen und familiären Schwierigkeiten in die Schule kommen zu berücksichtigen.

3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Individuelle, soziale und mathematikunterrichtliche Faktoren tragen dazu bei, dass manche Kinder nicht in der Lage sind wichtige mathematische Kompetenzen zu erwerben. Dabei werden diese Kinder häufig bereits mit defizitär ausgeprägten Vorläuferfertigkeiten eingeschult und bleiben auch über die gesamte Grundschulzeit hinweg hinter den anderen Kindern zurück. Im Folgenden soll nun betrachtet werden, welche Fähigkeiten die Grundlagen für mathematischen Lernerfolg vor und in der Schule bilden sowie welche Stolpersteine beim Entwickeln von Vorstellungen überwunden werden müssen, an denen Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen zu scheitern scheinen und die im Ursachenmodell von Moser Opitz die vierte Komponente für das Versagen im Mathematikunterricht darstellen (vgl. Abbildung 2.2).

3.1

Notwendige Vorkenntnisse und Einflussfaktoren für das Lernen von Mathematik in der Grundschule und der Sekundarstufe I

In Abschnitt 2.2.1 wurde beschrieben, dass Kinder bereits mit Fähigkeiten wie dem Erfassen und Vergleichen von Mengen geboren werden. Bis zum Schuleintritt erwerben Kinder weitere mathematische Kompetenzen, deren Ausprägung einen bedeutenden Einfluss auf den Schulerfolg hat. So konstatieren Fritz und Ricken, dass „[…] als Kern der Problematik (gemeint ist das Entstehen einer Rechenschwäche, Anmerkung der Autorin) eine verzögerte Entwicklung rechenrelevanter Lernvoraussetzungen bzw. Beeinträchtigungen im Verständnis mathematikspezifischer Inhalte angenommen“ wird (2008, S. 15). Seit den 1980er Jahren versuchen vor allem Entwicklungspsycholog:innen spezifische und unspezifische Komponenten zu ermitteln, die eine Voraussagekraft für die © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_3

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

mathematische Schulleistung haben (Fritz und Ricken 2008, S. 22). Unspezifische Komponenten beschreiben dabei diejenigen, die nicht nur für das Lernen von Mathematik, sondern auch für das anderer Fähigkeiten verantwortlich sind, wobei sich Untersuchungen meist zusätzlich auf die Lesefähigkeit beziehen. Bei diesen Komponenten handelt es sich um kognitive Faktoren, die bereits in Abschnitt 2.2.1 beschrieben wurden. Studien konnten zeigen, dass besonders dem sozio-ökonomischen Hintergrund eine große Bedeutung zukommt, dessen Einfluss zu Beginn der Schullaufbahn nur gering ist, jedoch bis zur vierten Klasse deutlich zunimmt (Krajewski und Schneider 2006, S. 256 f.). Hingegen beeinflussen die Intelligenz und Arbeitsgedächtnisleistung zwar am Anfang der Schulzeit den Lernerfolg in Mathematik, jedoch verlieren diese Komponenten mit zunehmender Klassenstufe an Einfluss (Brühwiler und Helmke 2018, S. 82). Andere Komponenten wie räumlich-visuelle Fähigkeiten, Konzentrationsvermögen und Sprachverständnis vor der Einschulung haben nur eine sehr geringe Vorhersagekraft für die Mathematikleistungen über die Grundschulzeit hinweg (Krajewski und Schneider 2006, S. 260). Da diese allgemeinen kognitiven Komponenten auch die Entwicklung der Lesefähigkeit beeinflussen, ist bei Defiziten in diesen Bereichen ein Grund für Kombinationen von Dyskalkulie und Lese-Rechtschreib-Schwäche zu finden. Neben diesen allgemeinen rechenrelevanten Lernvoraussetzungen wurde untersucht, welches Verständnis mathematikspezifischer Inhalte zu Schulbeginn notwendig ist, um in der Grundschule (und darüber hinaus) erfolgreich mathematische Kompetenzen erwerben zu können. Durch Längsschnittstudien, die bereits im Kindergartenalter einsetzen und die Leistungsentwicklung bis in die Grundschulzeit hinein verfolgen, konnten besonders die Zählfähigkeiten, das nichtsymbolische Mengenwissen und die Verknüpfung beider zur Mengen-ZahlKompetenz als notwendige spezifische Vorläuferfertigkeiten ermittelt werden. Zählfähigkeiten entwickeln sich in Stufen zusammen mit sprachlichen Fähigkeiten immer weiter, beginnend mit dem Begreifen der Zahlenworte als Einheit, die man wie ein Gedicht aufsagen kann. Man spricht von der Zahlwortreihe als unteilbare Struktur (string level), bei der die Zahlworte eine feste Reihenfolge haben, von der nicht abgewichen wird (Krajewski und Schneider 2006, S. 249; Schneider et al. 2016, 26 f.; Weißhaupt und Peucker 2009, S. 60). Die Zahlwortreihe wird erst im sogenannten unbreakable list level als getrennte Einheiten aufgefasst, wobei jedoch immer von eins an gezählt werden muss. Allerdings flexibilisiert sich die Zahlwortreihe immer weiter, bis von jeder anderen Zahl gezählt werden kann und das sowohl vorwärts und rückwärts, als auch von einer beliebigen Zahl an weiter (breakable chain level) (Weißhaupt und Peucker 2009, S. 62). Diese flexiblen Zählfähigkeiten konnten Aunola und Kollegen anhand von 194 finnischen Kindern, mittels sechs Messzeitpunkten von Kindergarten bis ins zweite Schuljahr als notwendige Vorläuferfertigkeit identifizieren (2004, S. 707; siehe

3.1 Vorkenntnisse für das Lernen von Mathematik

47

auch Lyons et al. 2014, S. 721). Dabei ist nicht nur das flexible Zählen für spätere Lernprozesse essenziell, sondern ebenso das Anwenden von Zählprozeduren zum Ordnen von Zahlen (Gersten et al. 2005, S. 299; Krajewski und Schneider 2006, S. 248). Das Vergleichen von Mengen mit zwei bis zwölf Elementen, ohne dabei auf Zählkompetenzen zurückgreifen zu müssen, konnte als nichtsymbolisches Mengenwissen nachgewiesen werden (Fyfe et al. 2019, S. 409). Die Ausprägung dieser Kompetenz vor der Einschulung steht nach einer Studie von Fyfe und Kolleg:innen in einem hohen Zusammenhang mit den Leistungen aus High-stakes-Mathematik-Tests im vierten bis zum sechsten Schuljahr bei 519 USamerikanischen Kindern mit niedrigem sozio-ökonomischen Hintergrund (Fyfe et al. 2019, S. 409). Darüber hinaus zeigt sich, dass die Verknüpfung des Mengen- und Zahlenwissens ausschlaggebend für schulischen Lernerfolg ist. Die Fähigkeit der Zahlen-Größen-Verknüpfung (auch Zahlen-Mengen-Wissen genannt (Schneider et al. 2016, S. 25 f.)) bei Kindergartenkindern kann nach einer Studie von Krajewski und Schneider 47 % der Mathematikleistung in der ersten Klasse und 51 % in der vierten Klasse (gemessen mittels des DEMATs 1 und 4) voraussagen (Krajewski und Schneider 2006, S. 256). Hier deutet sich bereits an, dass diese basale Kompetenz mit zunehmender Schulklasse sogar noch an Bedeutung gewinnt. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass diese Kompetenz zusammen mit dem Konventions- und Regelwissen 67 % der Mathematikleistung in der neunten Klasse erklärt (Ennemoser et al. 2011, S. 239). Daraus lässt sich schließen, dass sich die Zahlen-Mengen-Kompetenz über die Schullaufbahn hinweg weiterentwickelt und mit der Erschließung neuer Zahlenräume erweitert (Ennemoser et al. 2011, S. 239 f.). Zählfähigkeiten, Mengenwissen und Zahlen-Mengen-Wissen sind demnach die notwendigen mathematikspezifischen Voraussetzungen, um adäquat mathematische Fähigkeiten zu erwerben. Dieses Wissen bildet die Grundlage für die Kompetenzentwicklung über die Grundschulzeit hinweg. Denn: […] der Mathematikunterricht der Grundschule greift die frühen mathematischen Alltagserfahrungen der Kinder auf, vertieft und erweitert sie und entwickelt aus ihnen grundlegende mathematische Kompetenzen. Auf diese Weise wird die Grundlage für das Mathematiklernen in den weiterführenden Schulen und für die lebenslange Auseinandersetzung mit mathematischen Anforderungen des täglichen Lebens geschaffen (KMK 2005, S. 7).

Ehlert und Kolleg:innen versuchten zu ermitteln, welche Fähigkeiten diese „Grundlage für das Mathematiklernen in den weiterführenden Schulen“ sind. Anhand von Literaturrecherchen der Studienergebnisse der letzten Jahre,

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

wobei besonders die Studien von Moser Opitz und Humbach (siehe hierzu Abschnitt 3.3) und die PALMA-Studie (siehe Kapitel 5) von Bedeutung waren, konnten die Autoren und Autorinnen vier zentrale Basiskompetenzen identifizieren, die für das Lernen von Mathematik in der Sekundarstufe I notwendige Voraussetzung sind (Ehlert et al. 2013, S. 240): • das Teil-Teil-Ganze-Konzept bzgl. der Addition und der Subtraktion von natürlichen Zahlen (im Weiteren mit TTG abgekürzt) • das Verständnis des Stellenwertsystems1 • das Verständnis der Multiplikation und der Division in unterschiedlichen semantischen Kontexten sowie • die Kompetenz zum Modellieren von Textaufgaben Empirisch belegt werden konnte die Bedeutung dieser vier Kompetenzen durch Moser Opitz, die die Varianz der Mathematikleistung in der fünften Klasse durch die Fähigkeiten Zählen, Rechenfertigkeiten in den Grundrechenarten (jeweils einzeln erhoben), Verdoppeln/Halbieren, Operationsverständnis der Grundrechenarten (nicht ausdifferenziert), Verständnis des Dezimalsystems und Textaufgaben erklären konnte. Für die Leistungen in Klassenstufe acht waren hingegen Zählund Divisionsfähigkeiten sowie das Verständnis des Dezimalsystems von großer Wichtigkeit (Moser Opitz 2013, S. 217 f.). Die besondere Bedeutung der Division konnte auch durch die Auswertung von largescale-Studien aus den USA und Großbritannien bestätigt werden. Die Kenntnisse von Zehnjährigen zu dieser Grundrechenart wiesen dabei (neben Vorkenntnissen zu Brüchen) den höchsten Vorhersagewert für allgemeine mathematische Leistungen und algebraisches Wissen in der zehnten Klasse auf. Auch die Multiplikation zeigte höhere Vorhersagewerte, die für die Fähigkeiten des Addierens und Subtrahierens sind hingegen von einem deutlich geringeren Stellenwert, aber ebenfalls vorhanden, das TTG wurde nicht erfasst (Siegler et al. 2012, S. 693 ff.). Die Bedeutung der Kompetenz Text- bzw. Modellierungsaufgaben korrekt zu lösen ist des Weiteren wenig überraschend, da dies das Verständnis der Grundrechenarten voraussetzt und zusammen mit dem notwendigen Prozess des Mathematisierens als höchste der von Ehlert und Kolleg:innen genannten Kompetenzen einzuordnen ist. Neben den vier ermittelten Grundkompetenzen sind auch, übereinstimmend mit Ennemoser und Kolleg:innen, Konventions- und Regelwissen von großer 1

Die Begriffe Stellenwertsystem, dezimales Stellenwertsystem und Dezimalsystem werden in dieser Arbeit synonym verwendet, da keine anderen Stellenwertsysteme (wie bspw. das der Maya zur Basis 20) thematisiert werden.

3.1 Vorkenntnisse für das Lernen von Mathematik

49

Bedeutung für den Kompetenzerwerb (Ennemoser et al. 2011). Dieses muss jedoch auf Grundlage des hier dargestellten konzeptuellen Wissens erworben werden, um nicht als isoliertes Oberflächenwissen nur für spezifische Aufgabenformate anwendbar zu sein (Ehlert et al. 2013, S. 240). Denn „[…] nicht das Verständnis der Grundoperationen im Sinn der Durchführung von Prozeduren [sagt] die Mathematikleistung voraus, sondern Inhalte, welche Verständnis und Einsicht in grundlegende mathematische Beziehungen erfordern.“ (Moser Opitz 2013, S. 220) Da diese Kompetenzen die Grundlage für das Lernen von Mathematik in der Sekundarstufe darstellen (im Weiteren als Basiskompetenzen oder grundlegende mathematische Kompetenzen bezeichnet) und somit als Ausgangspunkt für eine mögliche Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen dienen, werden sie ausführlicher in Abschnitt 3.3 beschrieben. Zusammengefasst konnten für das Lernen von Mathematik in der Sekundarstufe I notwendige Fähigkeiten ermittelt werden, welche bei Defiziten in diesen Bereichen zu einer Rechenschwäche führen können. Dabei beginnt die Ausbildung dieser Fähigkeiten nicht erst in der Grundschule, sondern bereits im Mutterleib. Sie entwickeln sich über die Kindergarten- und Grundschulzeit immer weiter, wobei der Einfluss verschiedener affektiver, kognitiver und sozialer Faktoren auf das Lernen je nach Alter unterschiedlich stark ist. Diese Zusammenhänge und Entwicklungsverläufe sind in Abbildung 3.1 veranschaulicht.

Abbildung 3.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Einflussfaktoren bis zur Sekundarstufe

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

In welchen Schritten die Entwicklung der einzelnen Fähigkeiten von Geburt bis zum Ende der Grundschulzeit erfolgt, welche besonderen Meilensteine und damit auch mögliche Hürden im Lernprozess auftreten (wie sie Moser Opitz als vierte Komponente möglicher Ursachen für das Versagen im Mathematikunterricht benennt (vgl. Abschnitt 2.2)), wird durch die entwicklungspsychologischen Modelle von Krajewski und Fritz, Ehlert und Balzer beschrieben. Dabei stellen beide Modelle Weiterentwicklungen von älteren Theorien unter Berücksichtigung aktueller Studien dar und bilden damit den aktuellen Forschungsstand ab.

3.2

Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

Die beiden Modelle unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Fähigkeit, die als „Motor der Kompetenzentwicklung“ (Schneider et al. 2016, S. 52) angenommen wird. Für Krajewski, die ihr Modell auf der 1989 von Resnick entwickelten Theorie der protoquantitativen Schemata aufbaut, welche mit der Zahlenwertreihe verbunden werden müssen, ist dieser „Motor“ die Kompetenz Zahlen und Größen miteinander zu verknüpfen. Im Gegensatz dazu folgen Fritz, Ehlert und Balzer in ihrem Modell, neben der Theorie Resnicks, dem Ansatz von Fuson, die die Entwicklung mathematischer Kompetenzen anhand der Qualität der Zählfähigkeiten festmacht (Fritz et al. 2013, S. 42; Fritz et al. 2018, S. 42; Landerl et al. 2017, S. 98; Schneider et al. 2016, S. 37). Es werden somit unterschiedliche Vorläuferfähigkeiten als zentral angenommen, wobei die Wichtigkeit dieser empirisch breit gestützt ist (s. o.). Im Folgenden sollen beide Modelle genauer beschrieben werden, da durch sie Stolpersteine der für die Sekundarstufenmathematik notwendigen Kompetenzen aufgedeckt werden.

3.2.1

Das Modell der Zahlen-Größen-Verknüpfung nach Krajewski

Für Krajewski führt die Entwicklung mathematischer Grundfähigkeiten zunächst über eine immerwährende Verbesserung der Fähigkeit Zahlwörter mit der dahinterstehenden Menge zu verknüpfen. Bereits während der Vorschulzeit erlangen Kinder dabei nicht-numerisches Wissen, welches sie sich unabhängig von Zahlenwissen durch Alltagserfahrungen intuitiv aneignen (Resnick 1989, S. 162 f.). Dabei entwickeln sich laut Resnick verschiedene protoquantitative Schemata, die nur aufgrund von Wahrnehmung Mengen, ohne Messprozesse, beschreibbar machen (Resnick 1989, S. 163). Diese stellen in ihrer Theorie, in der sie

3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

51

insgesamt vier solcher Schemata identifizierte, die Schlüsselkompetenzen der vorschulischen mathematischen Entwicklung dar. Zunächst entwickelt sich das Schema zum Vergleichen von Mengen, wobei Kinder diese durch Worte wie „viel“ oder „wenig“ beschreiben und miteinander vergleichen (Resnick 1989, S. 162 f.). Mit drei bis vier Jahren bilden sich zwei protoquantitative Schemata zur Addition bzw. Subtraktion heraus. Hierbei erkennen die Kinder, dass sich Mengen verändern, wenn ich ihnen etwas hinzufüge oder von ihnen etwas wegnehme. Deshalb werden diese beiden Schemata auch Zu- bzw. Abnahmeschemata genannt (Resnick 1989, S. 163). Das letzte von Resnick identifizierte Schema ist das Teil-Ganzes-Schema, durch das Kinder verstehen, dass man Mengen auseinandernehmen kann und dass, setzt man sie wieder zusammen, wieder die ursprüngliche Menge entsteht. Fügt man zwei Mengen zusammen, entsteht eine noch größere. Dieses protoquantitative Wissen ermöglicht es Kindern, Urteile über die Beziehungen zwischen Teilen und Ganzem zu fällen. Sie wissen zum Beispiel, dass ein ganzer Kuchen größer ist als jedes seiner Stücke. Sie können dieses Urteil logisch fällen, ohne den Kuchen und seine Teile tatsächlich sehen zu müssen (Resnick 1989, S. 163). Mit der Theorie der protoquantitativen Schemata beschreibt Resnick die Vorstufen der Entwicklung einer der wichtigsten Konzepte der Grundschulmathematik: das TTG. Das von ihr dargestellte Wissen muss mit der erlernten Zahlwortreihe gekoppelt werden, um Mengen quantitativ exakt bestimmen (Resnick 1989, S. 163 f.) und das Verständnis für Addition und Subtraktion als Gegenoperationen im Sinne des TTG verstehen zu können. Krajewski greift diese Theorie auf und beschreibt in ihrem Modell der ZahlenGrößen-Verknüpfung (im Weiteren ZGV-Modell genannt), wie diese Kopplung, ausgehend von der Fähigkeit der Mengenunterscheidung hin zu Mengen-ZahlenWissen in drei aufeinander aufbauenden Ebenen, von statten geht (Schneider et al. 2016, S. 34).

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Abbildung 3.2 Das Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-verknüpfung nach Krajewski (nach Schneider et al. 2013, S. 25)

Angeborene Fähigkeiten (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.1) ermöglichen Kindern zunächst die (noch sehr undifferenzierte) Unterteilung in viel und wenig bzw. weniger und mehr. Zusammen mit Zählprozeduren und der Beherrschung der exakten Zahlenfolge bilden diese Fähigkeiten die erste Ebene im Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen (Schneider et al. 2016, S. 26 f.). Dabei ist unwichtig, wie die Zählfertigkeiten des Kindes ausgebildet sind (also ob es vorwärts- und rückwärts oder weiterzählen kann und ob es in der Lage ist, von einer vorgegebenen Zahl an weiter zu zählen), da dieses Wissen sich nach der Theorie Krajewskis auch lediglich durch Auswendiglernen, ohne konzeptuelles Wissen zu Mengen und dem Aufbau der Zahlen, entwickelt haben kann (weswegen hier von Zählfertigkeiten gesprochen wird). In dieser Stufe weisen deshalb Zählzahlen und Mengen noch keine Beziehungen zueinander auf. Die beiden notwendigen Vorläuferfähigkeiten Mengenwissen und Zählfähigkeiten werden somit von Krajewski in der ersten Stufe als Basisfähigkeiten verortet, da auch das Ordnen von Zahlen, wie es Aunola als notwendige Voraussetzung

3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

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benennt (s. o.), bereits in dieser Ebene durch das Aufsagen der Zahlwortreihe möglich ist (Schneider et al. 2016, S. 27). Die Entwicklung der dritten Vorläuferfähigkeit, der Zahlen-GrößenVerknüpfung ist dann Teil der zweiten Ebene, die gleichzeitig die Kernkompetenz dieses Modells darstellt. Zunächst können Kinder nun durch ein unpräzises Anzahlkonzept konkrete Zahlen mit viel oder wenig in Verbindung bringen (zwei ist wenig, 50 ist viel und 1000 ist sehr viel). Zu Beginn der Entwicklung innerhalb der zweiten Ebene vermögen Kinder dies auch, ohne bis 1000 zählen zu können. Dann wird „viel“ mit „viel zählen“ bzw. „lange zählen“ oder „weiter, als ich zählen kann“ gleichgesetzt. Später sind sie in der Lage jede einzelne Zahl der Zahlenfolge mit exakt einer auszählbaren Menge in Verbindung zu bringen (präzises Anzahlkonzept) (Schneider et al. 2016, S. 28). Dabei repräsentiert die letzte genannte Zahl beim Auszählprozess die Mächtigkeit der Gesamtmenge (Kardinalitätsprinzip). Durch das Kardinalzahlkonzept bzw. einer präzisen Größenrepräsentation erlangen die Kinder das Verständnis, dass sich benachbarte Zahlen in ihrer Größe unterscheiden. Nun erfolgt der Schritt des mathematischen Kompetenzaufbaus, indem nicht nur Mengen mit Zahlwörtern verknüpft werden, sondern auch nahe beieinander liegende Zahlwörter hinsichtlich ihrer Größe zueinander in Beziehung gesetzt werden können (Schneider et al. 2016, S. 28 f.). Diese Kompetenz gilt als unabdingbare Voraussetzung für den Erwerb der Grundoperationen und damit als „Prädiktor“ für die weitere mathematische Entwicklung (Garrote et al. 2015, S. 27). Denn die spätere Grundschulmathematik stützt sich vor allem auf das Erkennen und das Nutzen der Größenrepräsentationen von Zahlen, wofür der Erwerb des präzisen Anzahlkonzeptes grundlegend ist und bis in das neunte Schuljahr hinein die Entwicklung mathematischer Kompetenzen in anderen Zahlenbereichen mitbestimmt (Ennemoser et al. 2011, S. 239). Durch das Verständnis der Mengeninvarianz, wonach sich eine Menge nicht verändert, wenn ihr nicht etwas hinzugefügt oder von ihr etwas weggenommen wird, bildet sich ein erstes Teil- Ganzes-Schema, wie es Resnick dargestellt hat. Für Ehlert et al. stellt der Erwerb dieses Konzepts eine der vier notwendigen Basiskompetenzen dar (2013, S. 240). Es beschreibt das Verständnis, dass jede Menge aus kleineren Mengen zusammengesetzt ist und dadurch in unterschiedliche Teilmengen zerlegt werden kann. In dieser Ebene können diese Teilmengen jedoch noch nicht quantifiziert werden, sondern es wird lediglich verstanden, dass diese Zerlegung möglich ist (Schneider et al. 2016, S. 30).

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

In der anschließenden dritten Ebene werden Zahlen nicht nur als Abbildung konkreter Mengen interpretiert, sondern die Erkenntnis entwickelt, dass sie auch Relationen, also Unterschiede zwischen Mengen, darstellen können. Dadurch kommt es zur Entwicklung des Teil-Teil-Ganzen-Konzepts im Sinne Ehlerts und Kolleg:innen. So erlangen Kinder erste intuitive Vorstellungen von der Addition und der Subtraktion als Gegenoperationen und von ihrem Zusammenhang, dem Ergänzen. Insgesamt werden in Krajewskis Modell drei Fähigkeiten als zentral angesehen: das Beherrschen der Zahlwortreihe (wie gut ist hier allerdings nicht von Bedeutung), die Verknüpfung von Zahlen mit Mengen und das Verständnis von Zahlen als Relationen, wobei den in Ebene 2 entwickelten Konzepten die größte Bedeutung zukommt. Damit vereinigt sie alle drei notwendigen Vorläuferfähigkeiten, die sich in der zweiten Stufe vollständig ausbilden und zeigt ihre Entwicklung bis in die Schulzeit hinein auf. Diese Fähigkeiten bilden für sie zusammen mit dem Verständnis des relationalen Zahlbegriffs die Meilensteine früher mathematischer Kompetenzentwicklung und können damit bei Defiziten zu besonderen Schwierigkeiten im Rechnen führen. Dabei bauen die drei Kompetenzen aufeinander auf, auch wenn die Entwicklungsverläufe nicht für alle Zahlenräume und Repräsentationsformen (vgl. Tripple-Code-Modell in Abschnitt 2.2.1) gemeinsam geschehen. Wenn eines dieser Konzepte nicht ausreichend entwickelt wurde, kann kein weiterer Kompetenzerwerb stattfinden. Krajewskis Modell endet mit der Entwicklung des TTG und des relationalen Zahlbegriffs, obschon gezeigt werden konnte, dass sich die Zahlen-GrößenVerknüpfung bis in die Sekundarstufe hinein weiterentwickelt (Ennemoser et al. 2011). Im Gegensatz dazu beschreiben Fritz, Ehlert und Balzer den mathematischen Kompetenzerwerb bis zum Ende der Grundschulzeit, wodurch weitere Erkenntnisse zu Hürden bei der Entwicklung der notwendigen Basiskompetenzen gewonnen werden können.

3.2.2

Mathematische Kompetenzentwicklung nach Fritz, Ehlert und Balzer

Wie das Modell von Krajewski basiert auch das Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen auf den Überlegungen zu protoquantitativen Schemata von Resnick, wobei diese Theorie hier mit den Überlegungen von Fuson kombiniert wird, die die Entwicklung mathematischer Kompetenzen anhand der Zählfähigkeiten beschreibt (Fuson 1988). Denn „[…] the achievement of the verbal number-words is a prerequisite for achieving explicit knowledge about

3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

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numerical concepts.“ (Fritz et al. 2013, S. 42) Dies steht im Widerspruch zu den Überlegungen Krajewskis, die Zählfertigkeiten zwar ebenfalls als Kernkompetenz beschreibt, jedoch davon ausgeht, dass diese auch ohne Verknüpfung mit konzeptuellem Wissen, also lediglich als memorierte Fakten gelernt werden können. Im Mittelpunkt des nun vorgestellten Modells (nach den Namen des Autors und der Autorinnen im Folgenden kurz FEB-Modell genannt) steht die Entwicklung des Verständnisses für die Grundrechenarten durch die Weiterentwicklung von Zählfähigkeiten und des Verständnisses verschiedener Zahlaspekte. Damit geht dieses Modell inhaltlich weiter, als das von Krajewski und beschreibt auch die Entwicklung der Basiskompetenzen nach Ehlert et al. deutlich ausführlicher. Es stellt eine Weiterentwicklung der von Fritz und Ricken entworfenen Kompetenzstufen von 2007 dar, wobei hier eine weitere Stufe hinzukommt und die einzelnen Niveaus deutlich ausführlicher beschrieben werden. Der Erwerb dieser Kompetenzen wird nun durch sechs Entwicklungsstufen für Kinder zwischen vier und acht Jahren beschrieben, womit es später einsetzt als das Modell von Krajewski. Das FEBwurde im Gegensatz zum ZGV-Modell bereits validiert (Fritz et al. 2018, S. 34), letzteres ist jedoch Grundlage des mehrfach positiv evaluierten Förderprogramms „Mengen, Zählen, Zahlen“ (Fritz et al. 2018, S. 34; Schneider et al. 2016, S. 24), weswegen auch hier die Gültigkeit des Modells angenommen werden kann. Da Zählfähigkeiten in diesem Modell als „Motor“ der Kompetenzentwicklung gesehen werden, setzt es im ersten Niveau mit dem Verständnis der Zahl als Zählzahl ein, wobei das Auszählen kleiner Mengen und die Anwendung dieser Prozedur auf den Mengenvergleich durch Eins-zu-Eins-Zuordnung, bei der jede Menge einzeln ausgezählt werden muss, die Basis bildet. Die Kinder haben bezüglich ihrer Zählprozeduren bereits das unbreakable list level erreicht. Auch bildet sich in diesem Stadium die Fähigkeit kleine Mengen simultan zu erfassen und der richtigen Zahl zuzuordnen. Hierbei ist jedoch noch keine Verknüpfung zwischen Mengen und Zahlen möglich, sondern es wird einer simultan erfassten Menge ein Wort zugewiesen (Fritz et al. 2018, S. 14). Die Zahl existiert sowohl bei der simultanen Erfassung als auch beim Abzählen für das Kind nicht mehr, sobald die Zählfolge abgeschlossen ist. Daher beginnen die Kinder erneut zu zählen, wenn sie gefragt werden, wie viele Objekte sie gezählt haben. Zahlen sind in diesem Stadium der Entwicklung lediglich transitory entities, die erst durch das Zählen entstehen, immer wieder neu erstellt werden müssen und nicht unabhängig von der Aktivität des Zählens existieren (Fritz et al. 2013, S. 44). Auf dieser ersten Stufe des FEB-Modells können zwar Zahlen nach ihrer Mächtigkeit durch Auszählen unterschieden werden, die Beziehung der Zahlen zueinander spielt jedoch noch keine Rolle.

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Dies entwickelt sich innerhalb des zweiten Niveaus, bei dem die Zahlwortreihe mit spezifischen Quantitäten verknüpft wird und dadurch eine Ordnung erhält, die zur Ausbildung eines ersten mentalen Zahlenstrahls führt. Dieser stellt dabei lediglich eine ordinale Repräsentation der Zahlwortreihe (Fritz et al. 2018, S. 14 f.) dar. Wenn im ersten Niveau die Zahlen als Zählzahlen verstanden wurden, wird nun der Ordinalzahlaspekt vollständig ausgebildet, in dem Zahlen auch als Ordnungszahlen verstanden werden (Hasemann und Gasteiger 2014, S. 9). Dieser Zahlenstrahl ist zunächst, wie bereits die Studien von Sigel und Opfer zeigen, noch nicht äquidistant aufgebaut (Siegler und Opfer 2003, S. 239 und Abschnitt 2.2.1). Jedoch können durch einen solchen Zahlenstrahl Vorgängerund Nachfolger bestimmt werden. Kinder können durch das ordinale Verständnis Vergleiche von Mengen durch das Bestimmen ihrer Anzahl und der Einordnung dieser in die Zahlenreihe vornehmen („Fünf Elemente sind weniger als sechs Elemente, da die Fünf vor der Sechs kommt.“), was in Niveaustufe I nur durch eine Eins-zu-Eins-Zuordnung möglich war. An dieser Stelle gewinnen die protoquantitativen Schemata des Vermehrens und Verminderns an Bedeutung, da diese in Verbindung mit der Zahlenstrahlrepräsentation erste Additionen und Subtraktionen durch zählendes Rechnen unter Zuhilfenahme von Materialien oder Fingern ermöglichen. Dabei müssen beide Objekte von eins beginnend gezählt werden (Fritz et al. 2018, S. 15) (count-all-strategy), wobei bei Additionsaufgaben vorwärts, bei Subtraktionsaufgaben hingegen rückwärts gezählt wird, sodass bereits bezüglich der Zählprozeduren das breakable chain level erreicht worden sein muss. Das Beherrschen dieser Zählstrategie ist nach Aunola eine der Kompetenzen, die den Lernerfolg im Mathematikunterricht der Grundschule maßgeblich mit beeinflussen (Aunola et al. 2004, S. 707). Die kardinale Mengenvorstellung bildet die dritte Niveaustufe im FEB-Modell und gilt als zentral in der Entwicklung arithmetischer Kompetenzen, da sie als Verknüpfung von Mengen und Größen eine notwendige Vorläuferfertigkeit vor dem Schuleintritt darstellt. Einer einzelnen Zahl kommt nun eine Bedeutung zu, sie ist nicht mehr nur Teil einer Reihe. Zahlen können jetzt durch die Menge, die sie repräsentieren, verglichen werden („Fünf ist weniger als sechs, da eine Menge von sechs Elementen kleiner ist als eine Menge von fünf Elementen.“). Auf handelnder Ebene können erste Aufgaben zum TTG gelöst werden, bei denen eine Teilmenge und die Gesamtmenge gegeben sind. Dabei entwickeln sich die Zählstrategien weiter: Beim zählenden Rechnen muss nun nicht mehr mit der eins begonnen, sondern es kann von der ersten, bereits gezählten Menge, weitergezählt werden. Fügt man also einer Menge zwei Objekte hinzu, so sind die Kinder nun in der Lage von der ersten Zählung aus weiterzuzählen und nicht wie bisher von vorne zu beginnen (count-on-strategy) (Fritz et al. 2018, S. 16).

3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

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Die im FEB-Modell als Schlüsselstelle angesehene Kompetenz, bildet sich in der vierten Niveaustufe aus, in der ein konzeptuelles Verständnis des TTG, auch auf algebraisch-symbolischer Ebene entwickelt wird. Dies gilt als bedeutendstes Konzept der gesamten Grundschulmathematik (Fritz et al. 2018, S. 16) und ist im Weiteren die Grundlage für Modellierungsaufgaben (Fritz und Ricken 2008, S. 56). Als Basis für dieses Verständnis gilt das Konzept des Enhaltenseins, was bedeutet, dass die Zahl vier, die Zahlen von eins bis drei enthält. Diese Fähigkeit verortet Krajewski in der zweiten Stufe unter der Bezeichnung präzises Anzahlkonzept. Im Gegensatz zur vorherigen Stufe des FEB-Modells kann durch das Verständnis des Enthaltenseins jede Zahl systematisch zerlegt werden (6 = 0 + 6, 1 + 5, 2 + 4, usw.), wodurch drei Zahlen ein so genanntes Zahlentripel bilden. Additions- und Subtraktionsaufgaben werden somit als aus Teilmengen und Gesamtmengen zusammengesetzte Konstrukte verstanden, wobei es keine Rolle spielt, ob die Gesamtmenge, die Austauschmenge (a + ? = c) oder die Ausgangsmenge gesucht ist (? + a = c) (Fritz et al. 2018, S. 16 f.). Damit ist die Ablösung des zählenden Rechnens, welches lediglich auf dem Ordinalzahlaspekt beruht, möglich. Stattdessen können Additions- und Subtraktionsaufgaben nun durch konzeptuelles Verständnis als Gegenoperationen gelöst werden. Die Zahl, die einen Abschnitt auf dem Zahlenstrahl repräsentiert, kann somit in unterschiedlichste Teile zerlegt werden. Nach der Studie von Siegler und Opfer (vgl. Abschnitt 2.2.1) entwickelt sich der mentale Zahlenstrahl ab ca. dem zweiten Schuljahr von einem logarithmischen zu einem linearen Zahlenstrahl weiter. Der Abstand zwischen zwei benachbarten Zahlen wird unabhängig von ihrer Größe als immer gleich angesehen: jede Zahl ist um genau eins größer als ihre Vorgängerin. Somit kann innerhalb der fünften Niveaustufe verstanden werden, dass Zahlen nicht nur eine spezifische Menge repräsentieren, sondern auch verschiedene Abschnitte auf dem Zahlenstrahl und somit Beziehungen (Relationen) zwischen zwei Zahlen darstellen (Fritz et al. 2018, S. 17). Nun können zwei Mengen nicht mehr nur hinsichtlich der Frage, welche größer ist, verglichen werden, es ist auch möglich zu ermitteln, wie groß die Differenz zwischen zwei Mengen ist, wodurch Ergänzungsaufgaben unabhängig von Materialien oder eingebetteten Situationen lösbar werden (Fritz et al. 2009, S. 23 f.). Das relationale Zahlkonzept bildet im Weiteren die Grundlage für das Verständnis der Multiplikation, der Division und des dezimalen Stellenwertsystems, welche sich anschließend in der sechsten und bisher letzten Stufe durch das Konzept der Zahlen als gleichmächtige Bündel entwickeln (Fritz et al. 2018, S. 18). Die Teilmengen können nun nicht mehr beliebig mächtig werden, sondern müssen gleichgroß sein, die Anzahl dieser spielt dabei

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

keine Rolle. So kann bspw. eine Menge aus sechs Einheiten durch sechs Einerbündel, zwei Dreierbündel, drei Zweierbündel oder ein Sechserbündel erzeugt werden, wodurch beide essenziellen Grundvorstellungen der Multiplikation (als wiederholte Addition und als Vereinigung gleichmächtiger Mengen) entwickelt werden. Auch die Vorstellungen der Division (besonders die des Verteilens, bei der die Mächtigkeit eines Bündels betrachtet wird) wird durch dieses Verständnis ermöglicht (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.3). Durch den Spezialfall der Unterteilung in Zehner-, Hunderterbündel oder weitere 10n -Bündel und die Umwandlung einer solchen Einheit in eine größere entsteht das Verständnis des dezimalen Stellenwertsystems (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.1). Dies wird erst möglich, wenn das TTG mit dem relationalen Zahlenbegriff verknüpft wird. Damit erfolgt zusammengefasst die Entwicklung grundlegender Kompetenzen wie des TTGs, der Multiplikation, Division und des Stellenwertverständnisses durch die Weiterentwicklung des Zahlaspekts, von Zahlen als Zählzahlen, mit denen Mengen bezeichnet werden können, über den Ordinalzahlaspekt, da Zahlen eine feste Reihenfolge auf einem Zahlenstrahl haben hin zu dem Verständnis, dass Zahlen Mengen repräsentieren. Diese Mengen können unterschiedlich zerlegt werden, wobei zwei Teilmengen und die Gesamtmenge ein Tripel bilden. Zahlen können jedoch auch Abschnitte auf dem Zahlenstrahl bezeichnen. Die Kombination dieser Verständnisse führt zur Bildung gleichmächtiger Bündel und damit zum Verständnis von Multiplikation, Division und Stellenwertsystem. Somit sind übereinstimmend mit Krajewski das Zählen, das Anzahlkonzept (Kardinalität), das TTG und das Verständnis der Relationalität wesentliche Meilensteine der Entwicklung, wobei im FEB-Modell das Konzept der gleichmächtigen Bündel noch ergänzt wird. Allerdings unterscheiden sich die Modelle darin, wie diese erreicht werden. Für Krajewski entwickeln sich die Konzepte bis in die zweite Ebene hinein weitgehend ohne den Bezug zu Zahlen, sondern anhand der protoquantitativen Schemata. Im FEB-Modell sind es hingegen die Zählprozesse, die die Kompetenzentwicklung voranbringen. Dieses Modell geht durch die Stufe der gleichmächtigen Bündel weiter als das von Krajewski und ist mit der Orientierung an Rechenstrategien und Verständnis der Grundrechenarten näher an der Schulmathematik. Des Weiteren ist es, im Gegensatz zum ZGV-Modell, bereits empirisch bestätigt worden, weshalb das FEB-Modell im Weiteren Grundlage dieser Arbeit ist. Dieses Modell erweist sich als sehr nützlich, um die Hierarchie der mathematischen Inhalte der Grundschulmathematik aufzuzeigen und somit auch explizit Schwierigkeiten und Stolpersteine im mathematischen Lernprozess sichtbar zu machen sowie Lösungsstrategien mathematischen Kompetenzstufen zuordnen zu können.

3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

3.2.3

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Vorläuferfähigkeiten von Schulanfängern und Schulanfängerinnen

Im Abschnitt 3.1. wurde dargestellt, dass Zählfähigkeiten im Sinn des breakable chain levels, Mengenwissen und Mengen-Größen-Verknüpfung als Vorläuferfähigkeiten die mathematische Kompetenzentwicklung in der Grundschule maßgeblich beeinflussen. Das Mengenwissen wird nach dem FEB-Modell und in Übereinstimmung mit dem Modell Krajewskis bereits als protoquantitatives Schema vor der Kompetenzstufe I erworben. Im ZGV-Modell, welches zeitlich früher einsetzt, ist es Bestandteil der ersten Ebene (unpräzise Mengen- und Größenunterscheidung, vgl. Abbildung 3.2) (Schneider et al. 2016, S. 26). Zum Erwerb der notwendigen Zählfähigkeiten ist nach dem FEB-Modell das Erreichen der zweiten Niveaustufe notwendig, da dort durch das ordinale Verständnis Bewegungen auf dem mentalen Zahlenstrahl und damit flexibles Zählen möglich wird. Hingegen entwickelt sich das kardinale Verständnis als Zahlen-GrößenVerknüpfung erst in Niveaustufe III. Diese müsste demnach vor Schuleintritt erreicht werden, um ein problemloses Lernen im Mathematikunterricht der ersten Schuljahre und darüber hinaus zu ermöglichen. Fritz und Kolleg:innen untersuchten die Fähigkeiten von zunächst 78 Kindern längsschnittlich von der Kindergartenzeit bis in die Mitte der ersten Klasse über drei Messzeitpunkte hinweg (neun Monate vor der Einschulung, zur Einschulung und acht Monate nach der Einschulung) mittels des MAKO-D(+1), der anhand des hier dargestellten Entwicklungsmodells früher mathematischer Kompetenzen konzipiert worden ist (Fritz et al. 2018, S. 26). Abbildung 3.3 zeigt die Ergebnisse für die drei Messzeitpunkte. Alle Kinder der Stichprobe haben mit Beginn der Schullaufbahn mindestens die Kompetenzstufe II und damit ein ordinales Zahlverständnis erreicht, was die notwendigen Zählfähigkeiten einschließt (Fritz et al. 2018, S. 27). Nicht eines der untersuchten Kinder verfügte im Moment der Einschulung lediglich über Kompetenzen auf Niveaustufe I. Neun Monate zuvor lag dieser Anteil noch bei 18 %, was zeigt, wie dynamisch die Kompetenzentwicklung in dieser Lebensspanne ist und wie besondere Schwierigkeiten im Rechnen auch durch verfrühte Einschulung zustande kommen können. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich 37 % der Untersuchungsstichprobe auf Niveaustufe II und haben somit den Kardinalzahlaspekt noch nicht erworben, der jedoch ebenfalls als notwendige Voraussetzung anzusehen ist. Bei diesen Kindern ist ein erhöhtes Risiko für das Entstehen einer Rechenschwäche festzustellen, auch wenn in der Studie ebenfalls ermittelt werden konnte, dass Kinder im unteren Niveau während der ersten acht Monate der Schulzeit deutlich größere Lernzuwächse zeigen, als solche, die

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Abbildung 3.3 Verteilung der konzeptuellen Niveaus pro Messzeitpunkt (Fritz et al. 2018, S. 27)

bereits zum Schuleintritt auf den Niveaustufen IV und V waren (Fritz et al. 2018, S. 28). Trotzdem konnten 5 % der Schülerinnen und Schüler nach acht Monaten Beschulung noch kein kardinales Verständnis erwerben und sind deshalb für eine mögliche Rechenschwäche besonders gefährdet. Des Weiteren scheint der Rückstand von Schülerinnen und Schülern mit schwachen Vorläuferfähigkeiten über die Schuljahre hinweg anzuwachsen, auch wenn der Lernzuwachs am Anfang steiler verläuft (Scammacca et al. 2020, S. 730). Die Ergebnisse der Studie von Fritz und Kolleg:innen ist aufgrund des geringen Stichprobenumfangs allerdings unter Vorbehalt zu betrachten. Jedoch untersuchten auch andere, unabhängig von Entwicklungsmodellen, die Fähigkeiten von Kindern kurz vor der Einschulung und können die Ergebnisse von Fritz und Kolleg:innen weitestgehend bestätigen. So prüfte Hasemann die Zählfähigkeiten vor Schulbeginn anhand von 300 Kindern mittels des Osnabrücker Tests zur Zahlenbegriffsentwicklung. Dabei ermittelte er, dass bereits 77 % der Kinder mindestens bis 20 zählen können, 71 % sind bereits vor Beginn der Schullaufbahn in der Lage, ab der Zahl neun bis zur 15 weiterzuzählen (Hasemann und Gasteiger 2014, S. 29). In derselben Studie zeigte sich, dass knapp 80 % der Kinder, die größere der Zahlen 13 und 14 bestimmen können. 69 % gelingt dies auch,

3.2 Entwicklungsmodelle mathematischer Kompetenzen

61

wenn die dazugehörige Menge nicht zu sehen ist und der Vergleich damit nur aufgrund der Zählkompetenz durchgeführt werden kann (Hasemann und Gasteiger 2014, S. 32). Somit ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Schulanfänger und -anfängerinnen die Zahlenfolge zumindest als aufgebrochene Kette versteht, wobei die meisten bereits das breakable chain level erreicht zu haben scheinen. Auch zeigen Schulanfänger und -anfängerinnen hinsichtlich der Zahlen-GrößenVerknüpfung bereits Vorkenntnisse, obschon diese nicht so gut ausgeprägt sind, wie das bei der Zählkompetenz der Fall ist. In der Untersuchung von Hasemann und Gasteiger konnten 58 % der Kinder eine geordnete Menge an Klötzen zählen; war die Menge ungeordnet, betrug der Anteil noch 49 % (2014, S. 29). In den Studien von Selter sowie Grassmann et al. sollten Kinder im Vorschulalter neun von zwanzig Kreisen markieren, was 87 % (Selter 1995, S. 14) bzw. 78 % (Grassmann 2002, S. 17 f.) gelang. Bezüglich der Ausprägung des kardinalen Verständnisses ist die Befundlage demnach nicht eindeutig. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Kinder zu Schulbeginn bereits über dieses Konzept verfügt, so dass Lehrkräfte auf dieser Fähigkeit aufbauen können. Auf der anderen Seite gibt es auch einen nicht geringen Anteil von Kindern, die ein erhöhtes Risiko für problematische Entwicklungsverläufe zeigen, da sie zwar über ausreichende Zählfähigkeiten und Mengenwissen verfügen, jedoch nicht über das Verständnis der Mengen-Größen-Verknüpfung. So konnte in einer Studie anhand des mengen- und zahlenbezogenen Vorwissens 61 % der später als rechenschwach klassifizierten Erstklässlerinnen und Erstklässler ein halbes Jahr vor Schulbeginn als „Risikokinder“ identifiziert werden (von Waaden 2016, S. 18 f.). Der Mathematikunterricht der Grundschule muss dieser Leistungsheterogenität begegnen, um allen Schülerinnen und Schülern maximalen Kompetenzerwerb zu ermöglichen. Doch wie bereits in Abschnitt 2.2.3 dargestellt, kann der Unterricht durch pädagogische und schulstrukturelle Mängel zur Verfestigung der Probleme beitragen. Im Folgenden soll nun genauer auf Inhalte der Grundschulmathematik eingegangen werden, um zu verstehen, wie es, ausgehend von den Vorläuferfähigkeiten, zur Ausbildung der für die Sekundarstufe I grundlegenden Fähigkeiten des TTGs, des Stellenwertverständnisses, des Operationsverständnisses der Multiplikation und Division sowie zu Modellierungsfähigkeiten kommt und wie sich diese zeigen. Dabei soll auch betrachtet werden, welche Problembereiche auftreten können.

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3.3

3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

Durch Lehrpläne und Bildungsstandards wird in der deutschen Bildungslandschaft festgelegt, welche Inhalte vermittelt und welche Kompetenzen in der Grundschule erworben werden sollen. Dadurch wird festgelegt, über welche Fertigkeiten (im Sinne von prozeduralem Wissen) und Fähigkeiten (als konzeptuelles Wissen) ein Schüler oder eine Schülerin am Ende ihrer Grundschulzeit verfügen muss. Im Bereich der Leitidee Zahlen und Operationen geben diese Standards drei Ziele vor: Zahldarstellungen und Zahlbeziehungen verstehen, Rechenoperationen verstehen und anwenden können und im Kontext rechnen (KMK 2005, S. 10). Dabei spiegeln diese Bereiche implizit und explizit die von Ehlert et al. formulierten grundlegenden mathematischen Fähigkeiten wider. Das Stellenwertverständnis ist Teil der Zahldarstellungen und Zahlbeziehungen, wobei das Verständnis des Dezimalsystems, das Darstellen und in Beziehung setzen von Zahlen, sowie die Orientierung im Zahlenraum bis 1.000.000 Teil dieser inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenz ist. Das TTG und das Operationsverständnis für Multiplikation und Division wird unter dem Punkt „die vier Grundrechenarten und ihre Zusammenhänge verstehen“ beschrieben (KMK 2005, S. 10). Modellierungsfähigkeiten sind hingegen Teil von „im Kontext rechnen“, wobei Modellieren als allgemeine mathematische Kompetenz einen zusätzlichen Stellenwert in den Bildungsstandards einnimmt (KMK 2005, S. 7 und S. 9). Die Ausprägung dieser Fähigkeiten am Ende der Grundschulzeit wird durch ein fünfstufiges Kompetenz-Modell beschrieben, das sich sowohl an inhaltsbezogenen, als auch an den allgemeinen mathematischen Kompetenzen orientiert2 (KMK und IQB 2013, S. 10). Die Stufen unterscheiden sich in den Anforderungen des Problemlöseprozesses von Routineprozeduren auf Grundlage einfachen begrifflichen Wissens bis hin zur Modellierung komplexer Probleme unter selbstständiger Entwicklung geeigneter Strategien (KMK und IQB 2013, S. 11 bzw. S. 13) (vgl. Abbildung 3.4) und sind somit mit den Kompetenzstufen nach PISA und IGLU vergleichbar (KMK und IQB 2013, S. 11).

2

Dieses Modell beinhaltet auch Kompetenzen zu anderen Bereichen wie der Geometrie und der Stochastik. Da diese Themenbereiche nicht Teil der Arbeit sind, wird darauf im Weiteren nicht eingegangen.

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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Abbildung 3.4 Kompetenzstufenverteilung nach KMK und IQB (2013b, S. 20)

Der Mindeststandard gilt dann als erreicht, wenn die Fähigkeiten der zweiten Kompetenzstufe entwickelt werden konnten. 10 % der Schülerinnen und Schüler erreichten diese Stufe nicht. Vergleicht man diese Zahl mit den Prävalenzen für besondere Schwierigkeiten im Rechnen nach PISA (21 %) wird deutlich, dass durch das Erreichen der zweiten Kompetenzstufe nicht unbedingt auf genügend entwickelte mathematische Fähigkeiten geschlossen werden kann, da bei Betrachtung der Prozentangaben auch hier Kinder zu finden sein müssten, die noch als rechenschwach gelten. Ist man hingegen in der Lage einen Großteil der Aufgaben zu lösen, die der dritten Stufe zugeordnet sind (Regelstandrad), verfügt man mit einer hohen Wahrscheinlichkeit über gut entwickelte mathematische Basiskompetenzen. Die Stufen wurden anhand von Tests in den dritten und vierten Klassen mittels einer Stichprobe von 12.000 Schülerinnen und Schülern aus allen Bundesländern erarbeitet. Bezüglich der von Ehlert und Kolleg:innen genannten Basiskompetenzen zeichnen die Stufen des KMK-Kompetenz-Modells die Entwicklung des Verständnisses von Zahlen, der Rechenfähigkeiten anhand geeigneter Strategien

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

sowie der Modellierungsfähigkeit in immer unbekannteren Kontexten nach. Allerdings werden diese Bereiche nicht unabhängig voneinander betrachtet, da sie sich gegenseitig beeinflussen, wobei unklar ist, wie dies genau aussieht. Denn: „[…] ob ein gut entwickeltes Stellenwertverständnis Voraussetzung für sicheres und flexibles Rechnen ist, oder ob umgekehrt sicheres Rechnen und die Thematisierung verschiedener Rechenstrategien die Entwicklung des Stellenwertverständnisses positiv beeinflussen, konnte in der mathematikdidaktischen Forschung bisher nicht abschließend geklärt werden. Es ist jedoch unbestritten, dass es einen Zusammenhang gibt.“ (Wartha und Schulz 2011, S. 11)

Das Modell der KMK orientiert sich vor allem an den in den Bildungsstandards beschriebenen Kompetenzen, unterteilt jedoch diese nicht in die verschiedenen Zahlenräume und geht auch nicht explizit auf die Qualität des konzeptuellen Wissens ein, da es sich um ein output-orientiertes Modell handelt und Grundvorstellungen nur implizit erfasst und interpretiert werden können, obwohl sich Schülerfähigkeiten hierin stark unterscheiden. Aus diesem Grund soll zur besseren Differenzierung der Schülerfähigkeiten und der Aufgabenschwierigkeit zusätzlich das Modell Humbachs herangezogen werden, da hier die Zahlenräume, in denen innerhalb einer Aufgabe gearbeitet werden muss zur Beurteilung der Schwierigkeit herangezogen werden. Auf allgemeine mathematische Kompetenzen wird allerdings nicht eingegangen, sodass die Verwendung dieses Modells allein nicht genügt. Anhand von 458 Schülerinnen und Schülern von Haupt-, Gesamt-, Realschulen und Gymnasien im Kölner Raum erhob Humbach die arithmetischen Basiskompetenzen von Zehntklässler:innen (Humbach 2008, S. 69 f.). Sie unterteilte die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, die mittels eines eigens entwickelten Arithmetiktests erhoben wurden, anhand der Prozentränge in vier verschiedene Niveaustufen, die sich durch den verwendeten Zahlenraum, das notwendige Operations- und Stellenwertverständnis und die Modellierungsfähigkeiten qualitativ voneinander unterscheiden. Diese überschreiten die in den Bildungsstandards festgelegten Kompetenzen kaum, obwohl sie für die zehnte Klasse erhoben werden. Dabei finden sich in der ersten Stufe lediglich prozedurale Fertigkeiten im zahlenraum bis 1000. Im zweiten Niveau verfügen die Schülerinnen und Schüler hingegen bereits über ein sicheres Verständnis des Stellenwertsystems und damit über bessere Rechenfertigkeiten auch in höheren Zahlenräumen. Konzeptuelles Verständnis der Grundrechenarten im Sinne des TTG ist hingegen Voraussetzung für das Erreichen der dritten Kompetenzstufe. In der letzten von Humbach identifizierten Stufe ist dann der sichere und flexible Umgang mit allen Grundrechenarten erforderlich (Humbach 2008, S. 163 ff.). Im Gegensatz zum Modell der KMK finden allgemeine mathematische Kompetenzen

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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jedoch keinerlei Beachtung. Bis auf Sachaufgaben finden sich im Arithmetiktest Humbachs nur Kalkülaufgaben. Zusammenfassend beschreiben die Modelle verschiedene Aspekte der mathematischen Kompetenzen: Beim Kompetenzstufen-Modell nach den Bildungsstandards handelt es sich um ein normatives, bei dem bestimmte Ziele bereits vorher festgelegt sind und deren Erreichen in Form von Mindest-, Regel(-plus)- und Optimalstandards bewertet wird (KMK und IQB 2013, S. 10). Während das Modell der KMK also den Soll-Zustand beschreibt und das FEB-Modell die Entwicklung der dort festgehaltenen Fähigkeiten, stellt das Modell Humbachs den Ist-Zustand der arithmetischen Basisfähigkeiten von Zehntklässler:innen dar. So können durch dieses Modell, im Gegensatz zu den beiden anderen, die tatsächlichen Fähigkeiten deutscher Schülerinnen und Schüler beschrieben und mit dem Soll-Zustand, der durch das Modell der Bildungsstandards beschrieben wird, verglichen werden. Dabei sind die mathematischen Fähigkeiten in den Niveaus Humbachs deutlich ausdifferenzierter als es bei den Kompetenzstufen nach den Bildungsstandards der Fall ist. Der große Vorteil von Kompetenzstufenniveaus im Allgemeinen besteht darin, dass zum einen Aufgaben spezifisch für eine Kompetenzstufe entwickelt werden bzw. vorhandene Aufgaben eingeordnet werden können und ermittelte Schülerleistungen diesen zuordenbar sind. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass ein Schüler oder eine Schülerin, der oder die eine bestimmte Kompetenzstufe erreicht, auch über die Fähigkeiten der darunterliegenden Niveaus verfügt, selbst wenn dort zugeordnete Aufgaben teilweise falsch gelöst werden. Im Bezug zum Thema Rechenschwäche ist davon auszugehen, dass betroffene Schülerinnen und Schüler vor allem Aufgaben der unteren Niveaustufen korrekt lösen können. Welche Stufen so genannte cut-off-Punkte bilden und welche Niveaus von unauffälligen Schülerinnen und Schülern meist erreicht werden, sollen in diesem und im folgenden Kapitel analysiert werden. Durch alle Modelle zusammen können der Komplexitätsgrad von Inhalten zu einem Thema sowie themenübergreifend und damit auch für Aufgaben genau beschrieben werden, wobei die Einordnung in das FEB-Modell die Identifizierung des notwendigen Vorwissens und von Stolpersteinen ermöglicht, das Modell von Humbach die inhaltliche Schwierigkeit vor allem auf Grundlage des Verständnisses der Grundrechenarten und des Zahlenraums beschreibt und das Modell der Bildungsstandards neben einer groben Einordnung der Inhalte zur Analyse der geforderten allgemeinen mathematischen Kompetenzen beiträgt (Tabelle 3.1).

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Tabelle 3.1 Verschiedene Niveaustufenmodelle und deren Anwendungsbereiche

FEB-Modell

Modell der KMK

Modell von Humbach

beschreibt …

… die Kompetenzentwicklung bis ca. zum Ende der Grundschulzeit.

…, welche Fähigkeiten Schülerinnen und Schüler am Ende der vierten Klasse entwickelt haben müssen, um ein bestimmtes Kompetenzniveau zu erreichen. Auf Zahlenräume wird nicht eingegangen, jedoch auf allgemeine mathematische Kompetenzen.

… Kompetenzstufen, die Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse tatsächlich aufweisen. Diese unterscheiden sich vor allem nach Verständnis der Grundrechenarten und der Zahlbereiche.

eignet sich, um…

… notwendiges Vorwissen zu identifizieren, somit die Schwierigkeiten der mathematischen Inhalte zu erkennen und Bearbeitungsstrategien und Fehlermuster einer Kompetenzstufe zuzuordnen.

… mathematische Inhalte im Zusammenhang mit allgemeinen mathematischen Kompetenzen zu vergleichen.

… die geforderten Fähigkeiten mit den tatsächlich ausgebildeten abzugleichen und mathematische Inhalte je nach Zahlenraum und Rechenart einer Fähigkeitsstufe zuzuordnen.

Im Folgenden sollen die vier Basiskompetenzen näher beschrieben und die didaktischen Hintergründe, Grundvorstellungen, Problembereiche und empirische Ergebnisse zu diesen Fähigkeiten bei Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe I näher erläutert und den verschiedenen Kompetenzstufen-Modellen zugeordnet werden.

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

3.3.1

67

Das Stellenwertverständnis

Das Stellenwertverständnis ist von großer prädikativer Bedeutung für das Lernen von Mathematik in der Grundschule und der Sekundarstufe (Herzog et al. 2017, S. 272). Es ermöglicht den Schülerinnen und Schülern Beziehungen zwischen den Zahlen zu erkennen und herzustellen, zu schätzen und zu überschlagen und mit Größen und Einheiten zu rechnen sowie diese umzuwandeln (Freesemann 2014, S. 34). Im Verstehen des Dezimalsystems vereinigt sich das Verständnis von Zahlen und Mengen in Form einer Notation, wobei sich die symbolische Schreibweise von der Bildung von Zahlwörtern unterscheidet (Zehner-EinerInversion, s.u.). Deshalb setzen sich die Grundvorstellungen zu Zahlen aus dem Verständnis verschiedener Zahlaspekte und deren Schreib- und Sprechweise im Stellenwertsystem zusammen (Wartha und Schulz 2011, S. 6). Diese Vorstellungen zeigen sich durch das Wissen, wie die einzelnen Ziffern des Zahlzeichens, die Bestandteile des Zahlwortes und die Anzahlen der einzelnen Bündelungseinheiten zusammenhängen (Schulz 2014b, S. 150). Das Verständnis des Stellenwertsystems setzt sich zum einen aus prozeduralem Wissen in Form der (verbalen) Zahlwortreihe, die zumindest im Zahlenraum bis 12 auswendig gelernt werden muss, der Zahlnotationen sowie der Übersetzung zwischen den beiden Repräsentationsformen und zum anderen aus konzeptuellem Wissen bezüglich der Bündelungen zusammen (Herzog et al. 2017, S. 269 f.; van de Walle 2004, S. 117 f.), wie sie die sechste Niveaustufe des FEB-Modells darstellt. Die Bündelungen in Zehnereinheiten bilden eines der Grundprinzipien des dekadischen Stellenwertsystems (Bündelungsprinzip). Es werden jeweils zehn Elemente einer Einheit zusammengefasst und zur nächstgrößeren Einheit gebündelt. Wie viele Bündel in einer Einheit enthalten sind, wird durch das multiplikative Prinzip angegeben. In der Zahl 132 steht die Drei demnach für drei Zehnerbündel. Welche Bündeleinheit jeder Ziffer zugeordnet werden kann, wird durch das Stellenwertprinzip festgelegt. Demnach verändert sich der Wert einer Ziffer in Abhängigkeit ihrer Position in einer Zahl. Die Ziffer eins steht im Beispiel damit für die Hunderter. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Null zu. Diese gilt bei unbesetzten Stellen als Platzhalter und ermöglicht die Unterscheidung von Zahlen wie 132, 1302 oder 1032. Mithilfe dieser drei Prinzipien kann die Zahl 132 interpretiert werden als die Zusammensetzung von zwei Einern, drei Zehnerbündeln und einem Hunderterbündel oder 2, 30 und 100. Das additive Prinzip beschreibt zuletzt, dass der Gesamtwert durch die Addition der drei Bündel ermittelt werden kann (Herzog et al. 2017, S. 267; Moser Opitz 2013, S. 90; Selter et al. 2014, S. 30).

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Die Prozesse des Bündelns und Entbündelns von Zahlworten, Zahlzeichen sowie konkreten Mengen und deren Abbildungen ist somit eine der grundlegenden Fähigkeiten, die zum Verständnis des Stellenwertsystems notwendig sind. Die Theorie der Grundvorstellungen zum Stellenwertsystem zeigt dabei Übereinstimmungen mit den Entwicklungsverläufen, die im FEB-Modell dargestellt werden. Denn auch hier wird die Entwicklung des Verständnisses des Stellenwertsystems durch die Erweiterung der Zahlaspekte beschrieben, die mit der Verwendung der Darstellungsformen Zahlwort (Stufe I), Zahlenstrahl (Stufe II), Mengendarstellungen unter Verwendung von Zahlzeichen (Stufe III und IV (Zerlegung von Mengen)) und (Stufe VI) dem Schreiben größere Zahlen mithilfe des Stellenwertverständnisses einhergeht. In diesem Modell ist jedoch die Kompetenz zum Bündeln in Niveau VI die entscheidende, während es im Grundvorstellungsmodell die Fähigkeit ist, Bezüge zwischen den in den einzelnen Stufen verwendeten Zahlaspekten und Darstellungsformen herzustellen und diese miteinander zu verknüpfen. Das Bündeln von Mengen wird im Anfangsunterricht der Grundschulen besonders durch das Arbeiten mit der Stellenwerttafel sowie der vereinfachten Form mit den Buchstaben E (Einer), Z (Zehner) usw. verdeutlicht. Durch diese Repräsentationsformen können die Prinzipien des Stellenwertsystems verdeutlicht und eine Brücke zwischen anschaulichen und abstrakten Darstellungen von Zahlen ermöglicht werden (Käpnick 2014, S. 170). Einen vertieften Einblick, der alle Prinzipien des Stellenwertsystems verknüpft, ermöglicht das Arbeiten mit sogenannten Zauberzahlen, bei denen eine Einheit mehr als zehn Bündel besitzt (bspw. 1T, 12H). Hierbei müssen Bündel umgewandelt werden, was zu einer Reflexion der dezimalen Struktur beitragen kann (Selter et al. 2014, S. 30) und solche Aufgaben ermöglichen, vor allem das additive und multiplikative Prinzip des Dezimalsystems zu überprüfen. Moser Opitz konnte diesbezüglich zeigen, dass der Umgang mit Zauberzahlen den Schülerinnen und Schülern der Klassen fünf und acht große Schwierigkeiten bereitet. Sie ermittelte in ihrer Studie über welchen Basisstoff rechenschwache Schülerinnen und Schüler mit normalem und unterdurchschnittlichem IQ im Vergleich zu mathematisch durchschnittlichen Kindern verfügen (Moser Opitz 2013, S. 143). Dies untersuchte sie anhand von 2458 Fünft- und 1540 Achtklässler:innen deutsch-schweizer Regel- und Sonderschulen. Nur 51 % der mathematisch unauffälligen Schülerinnen und Schüler in Klasse fünf und 53 % in Klasse acht waren in der Lage zwei Zahlen im Zahlenraum bis 10.000 anhand ihrer Stellenwertschreibweise korrekt anzugeben (z. B. 3T, 42Z, 7E) (Moser Opitz 2013, S. 202), was auf Defizite im Verständnis des Bündelungsprinzips hindeutet. Entbündelungen werden außerdem beim Subtrahieren mit Zehner-, HunderterÜbergang, usw. vorgenommen. Durch Aufgaben wie 100000 – 10 kann diese

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

69

Fähigkeit überprüft werden. In der oben erwähnten Studie gelang das Lösen solcher Aufgaben in der fünften Klasse 60% der unauffälligen Schülerinnen und Schüler, in der achten Klasse sank der Anteil um 17%. Humbach, die in ihrer Studie zur Entwicklung eines Kompetenzstufenmodells die arithmetischen Basisfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern der zehnten Klasse erhob (vgl. Abschnitt 3.1), konnte bei dieser Art von Aufgaben etwas besser entwickelte Kompetenzen feststellen, die sich jedoch je nach Zahlenraum und Anzahl der Entbündelungen deutlich unterschieden. Waren es bei der Aufgabe 1000 – 9 nur 7%, die diese Aufgabe nicht lösen konnten, so waren es bei 50000 – 400 fast ein Viertel der getesteten Schülerinnen und Schüler, was zeigt, dass diese für das Stellenwertverständnis grundlegenden Fähigkeiten auch in der Sekundarstufe I nur teilweise ausgebildet sind (Humbach 2008, S. 115). Hierin könnte ein Grund für den großen Einfluss der Mengen-Zahl-Kompetenz liegen, wie ihn Ennemoser für die neunte Klasse beschrieben hat (Ennemoser et al. 2011), denn das Verständnis des Mengenbündelns in Zehnerbündel ist Grundlage für das Stellenwertverständnis und das der Grundrechenarten. Das Stellenwertverständnis ist somit unabdingbare Voraussetzung für das Zahlverständnis, denn es setzt sich zusammen aus • dem schnellen Erkennen und Darstellen von Anzahlen, • Zählen können (konkret und verbal) und • dem Herstellen von Beziehungen zwischen Zahlen (Häsel-Weide et al. 2017). Dabei stehen besonders der erste und dritte Punkt in einem engen Zusammenhang zum Stellenwertverständnis, da es hier um das Ordnen und Zerlegen von Zahlen sowie das Übersetzen in unterschiedliche Repräsentationsformen geht, was durch das Verständnis der verschiedenen Prinzipien des Dezimalsystems möglich wird. Zahlvorstellungen und Stellenwertverständnis sind somit Grundlage für den flexiblen Umgang mit Kardinalitäten und dem TTG. Denn „[…] von einer guten Zahlvorstellung können wir dann sprechen, wenn ein Kind (oder Erwachsener) in der Lage ist, sicher zwischen dem notierten Zahlzeichen einer Zahl, dem dazugehörigen Zahlwort und der entsprechenden (vorgestellten) Menge hin und her zu übersetzen“ (Schulz 2014b, S. 150), womit hier auch die Grundvorstellungen zum Stellenwertsystem thematisiert werden. Kleine Mengen (bis zu ca. vier Objekten) können bereits in der ersten Stufe des FEB-Modells erkannt werden. Das Strukturieren von Mengen, um diese schnell erfassen zu können, ist hingegen erst auf der vierten Kompetenzstufe möglich, wenn sich das TTG entwickelt und Mengen damit beliebig zusammengefügt oder zerlegt werden können. Auch hier kommt besonders der Zehnerbündelung

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

(und Potenzen davon) eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Entwicklung des Stellenwertverständnisses zu. Die Reihenfolge der Nennungen der Bündelungseinheiten unterscheidet sich jedoch bei Zahlworten und Zahlzeichen. „Im gesprochenen Zahlwort […] benutzen wir […] kein Stellenwertsystem, sondern nur ein reines Bündelungssystem. Erst auf der Ebene der Ziffer des geschriebenen Zahlwortes spielt der Stellenwert eine zentrale Rolle, arbeiten wir also mit einem Stellenwertsystem.“ (Padberg 2007, S. 11 f.) Diese Schwierigkeit beim Übersetzungsprozess ist durch die besondere Struktur der deutschen Sprache bedingt. Zwar haben, wie in vielen anderen europäischen Sprachen, die Zahlen elf und zwölf eine besondere Sprechweise, zusätzlich kommt es in der deutschen Sprache aber zur sogenannten Zehner-Einer-Inversion (Landerl und Kaufmann 2008, S. 27). Dabei wird die Zehner-, als auch die Einer-Stelle an einer anderen Position im Wort gesprochen als geschrieben (bspw. ein-und-dreißig als 3-1). Schwierigkeiten birgt dann ebenso der Übergang zu Zahlen größer als 100, denn im Gegensatz zur Zehnerstelle werden die Hunderter, Tausender und viele weitere Bündelungseinheiten, stellenwertkonform von links nach rechts gelesen, wodurch es zu Sprüngen im Lesefluss kommt. Möchte man bspw. die Zahl einhundertein-und-dreißig schreiben, muss man zuerst die erste, dann die dritte und erst am Schluss die zweite Ziffer notieren. Mit steigender Stellenanzahl vergrößert sich somit die Anzahl der Inversionen, da es auch bei Zehntausendern, Zehnmillionern usw. zu dieser Anomalie kommt. Die Übersetzung zwischen Zahlwort und Zahlzeichen ist deshalb fehleranfällig, denn neben den Zahlendrehern durch die Zehner-Einer-Inversion werden, durch ein unverstandenes Stellenwertprinzip, Zahlen lautgetreu geschrieben, die einzelnen in der Wortform verwendeten Zahlen also hintereinander aufgeführt (z. B. 30020 statt 320). Durch das einseitige Konzept der Null als „nichts“ und damit Defiziten beim Verständnis des Stellenwertprinzips kommt es des Weiteren zum Auslassen dieser Ziffer, wodurch bspw. die 3012 als 312 geschrieben wird. Die Studie Humbachs zeigt, dass Zehntklässler:innen im Allgemeinen in der Lage sind, Zahlen zu transkribieren, besonders dann, wenn die zu übersetzenden Zahlen keine Null enthalten. Müssen hingegen Übertragungen von oder in Wortform von Zahlen vorgenommen werden, in denen die Null als Platzhalter verwendet werden muss, steigt die Fehlerquote auf bis zu 14 % (bei der Übersetzung von neunundzwanzigtausendeins) (Humbach 2008, S. 113). Aufgrund dieser geringen Fehlerzahl verortet Humbach die Fähigkeit Zahlen zu transkribieren auf Kompetenzstufe I (Humbach 2008, S. 165), sodass davon auszugehen ist, dass der größte Teil der deutschen Schülerinnen und Schüler diese Fähigkeit, die im Stufenmodell der Bildungsstandards als vorgelagerte Kompetenz nicht explizit erwähnt wird (KMK und IQB 2013, S. 12), tatsächlich aufweist.

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

71

Für ein umfassendes Verständnis des Dezimalsystems wird als Veranschaulichungsmaterial häufig der Zahlenstrahl verwendet, da er eine Orientierungshilfe beim Erkennen von Zahlstrukturen und von Analogien im Dezimalsystem darstellt (Käpnick 2014, S. 170) und außerdem Übergänge (z. B. zwischen Zehner, Hunderter, usw.), Nachbarzahlen (z. B. Nachbarzehner, Nachbarhunderter, usw.) und dezimale Größenbeziehungen (ein Hunderter ist zehnmal so viel wie ein Zehner) thematisiert werden können. Des Weiteren eignet er sich zur Erarbeitung des Größenvergleichs von Zahlen sowie für das Zählen in Schritten (Freesemann 2014, S. 100 f.) und somit auch für die Erarbeitung von Zahlbeziehungen, die, neben dem Übersetzen in unterschiedliche Repräsentationsformen und dem Zählen, einen weiteren Aspekt des Zahlverständnisses darstellen (vgl. oben). Der Zahlenstrahl ist ein geeignetes Anschauungsmittel, um vor allem den Ordinalzahlaspekt aufzugreifen und später mit dem kardinalen Aspekt zu verknüpfen, indem eine Zahl nun auch als (bildliche) Position interpretiert werden kann (Käpnick 2014, S. 165 f.). So ist die Verwendung eines Zahlenstrahls unter anderem Voraussetzung für das Erreichen der zweiten Entwicklungsstufe des FEB-Modells und damit später für die Entwicklung eines Operationsverständnisses der Addition und Subtraktion (worauf im Weiteren Multiplikation und Division aufbauen) (Fritz et al. 2018, S. 14 f.). Dem Zahlenstrahl kommt darüber hinaus nach dem Triple-Code-Modell die Aufgabe der inneren analogen Größenrepräsentation zu, auf deren Grundlage Vorgänge wie Schätzen, Überschlagen und der Größenvergleich möglich sind (vgl. Abschnitt 2.2.1) (Landerl und Kaufmann 2008, S. 24 f.). Ist der Zahlenstrahl nur teilweise beschriftet, kann somit durch das Schätzen von Positionen die Orientierung im Zahlenraum überprüft werden (Freesemann 2014, S. 100 f.). Sollen die Schülerinnen und Schüler an einem leeren Zahlenstrahl vorgegebene Zahlen eintragen, so ist eine häufige Fehlerstrategie das Einzeichnen aller Einer-Einheiten. Dies geschieht nahezu willkürlich, sodass diese Anzahl der Einheiten nicht der Zielzahl entspricht. Eine weitere Fehlerstrategie ist die Einteilung in unterschiedlich große Abschnitte, die durch den bis zum Alter von neun Jahren meist logarithmisch ausgeprägten inneren Zahlenstrahl verursacht wird, bei dem größere Zahlen als näher beieinanderliegend interpretiert werden als kleine Zahlen. So wird den kleinen Zahlen am Anfang der Zahlenreihe mehr Platz eingeräumt, wodurch es zu einer Verzerrung von Abständen kommt (vgl. Abschnitt 2.2.1) (Siegler und Opfer 2003, S. 239). Erst in der Kompetenzstufe V des FEB-Modells werden die Abstände als gleich betrachtet, wodurch der relationale Zahlaspekt entwickelt wird (Fritz et al. 2018, S. 17). Besonders schwierig ist für Schülerinnen und Schüler in diesem Zusammenhang, dass die Skalierung eines Zahlenstrahls abhängig vom jeweiligen Zahlenraum ist und durch diese variable Skalierung

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

in größeren Zahlenräumen eine neue Orientierung stattfinden muss (Freesemann 2014, S. 106). Die Fähigkeit Zahlen in ihre verschiedenen Repräsentationsformen umwandeln zu können, entwickelt sich demnach über alle sechs Stufen des FEB-Modells und sollte somit im Alter von ca. acht Jahren abgeschlossen sein. Aus diesem Grund gilt diese Kompetenz im Stufen-Modell der Bildungsstandards als Voraussetzung für die formulierten Niveaus und wird nicht explizit erwähnt, da sie die Fähigkeiten nach vier Schuljahren (und dementsprechend mit ca. zehn Jahren) beschreiben und sollte demnach von allen Schülerinnen und Schülern erworben wurden sein (KMK und IQB 2013). Auch im Modell von Humbach wird diese Kompetenz als grundlegend eingestuft, da sie sich Niveau I als Teil der Beherrschung des „weitgehenden Verständnisses“ des dekadischen Stellenwertsystems befindet. Lediglich die Einordnung einer Zahl, die eine sehr genaue Zahlenraumvorstellung voraussetzt, ist der Niveaustufe II zugeordnet (Humbach 2008, S. 165 f.). Es ist also durch die Einordnung dieser zwei Modelle davon auszugehen, dass die Fähigkeit Zahlen auf dem Zahlenstrahl korrekt zu positionieren im Allgemeinen gut ausgebildet ist. Empirisch konnten diese Befunde durch Moser Opitz nur teilweise bestätigt werden: In Klasse fünf gelang das korrekte Einzeichnen von Zahlen auf dem Zahlstrahl nur zwei Dritteln aller Schülerinnen und Schüler, in Klasse acht waren es 70,2 %. Allerdings gibt die Autorin nicht an, um welche und wie viele Aufgaben es sich genau handelt, sodass diese Prozentangaben nur schwer interpretierbar sind (vgl. Moser Opitz 2013, S. 202). Auch Humbach untersuchte diese Fähigkeiten mit Zahlenstrahlen, die an unterschiedlichen Stellen Markierungen enthielten und unter diesen die richtige ausgewählt werden musste. Dabei erhielt sie Fehlerquoten zwischen 5,7 und 32,3 %, wobei der Anteil inkorrekter Lösungen mit steigendem Zahlenraum und der Nähe falscher Markierungen an der richtigen steigt (Humbach 2008, S. 16), sodass davon auszugehen ist, dass die Fähigkeiten unauffälliger Schülerinnen und Schüler hinsichtlich dieser Kompetenz gerade für kleinere Zahlenräume gut ausgebildet sind, wie es das Kompetenzstufen-Modell der Bildungsstandards zeigt, mit steigender Größe der Zahlen jedoch Defizite zu finden sind. Weiterhin nimmt das Zählen eine Schlüsselrolle bei der Konstruktion von dezimalen Strukturen für Anzahlen ein und verbindet diese mit Zahlzeichen und Zahlwörtern (Fuson et al. 1997, S. 132; Gerster und Schultz 2004, S. 84). Bei den Zahlen von eins bis zwölf müssen zunächst sowohl die Namen als auch die Reihenfolge auswendig gelernt werden, was meist bereits im ersten Niveau des FEB-Modells der Fall ist. Bereits ab der Zahl 13 ist dann die Zahlwortstruktur Anzahl des Einers – Anzahl des Zehners (bzw. Dekadenname) nutzbar, wobei jedoch die Bezeichnungen einiger Zehnerzahlen aufgrund von Ausnahmen

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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gelernt werden müssen (zwanzig statt „zweizig“, dreißig statt „dreizig“, sechzig statt „sechszig“ und siebzig statt „siebenzig“). Doch gerade zu Beginn des Zählenlernens werden diese Zahlen als Worte memoriert, ohne die Struktur dahinter zu erfassen (Benz 2005, S. 53; Schulz 2014b, S. 146 f.). Das Arbeitsgedächtnis kommt jedoch beim bloßen Memorieren mit zunehmender Länge der Zahlenwortkette an seine Grenzen, sodass erst das Erfassen der Struktur das Weiterführen dieser in höheren Zahlenräumen ermöglicht. Fehler treten deshalb besonders bei Übergängen innerhalb (37 – 38 – 39 – 100) und zwischen den einzelnen Stellen (208 – 209 – 300) auf, da hier das Arbeitsgedächtnis zusätzlich belastet wird. Des Weiteren kommt es häufig zu Auslassungen von Zahlen die nur aus gleichen Ziffern bestehen, da es im Zählprozess so klingt, als hätte man diese Zahl bereits genannt (einundzwanzig – dreiundzwanzig) (Schmassmann und Moser Opitz 2008, S. 14). Die Verknüpfung zwischen dem Zählen und dem Erkennen von Beziehungen zwischen Zahlen bildet dann das Zählen in Sprüngen bzw. Schritten. Das Zählen in Schritten größer Eins setzt eine höhere Flexibilität voraus als das Zählen in Einerschritten. Es erfordert einerseits die sichere Repräsentation der Zahlwortreihe, andererseits aber auch die Vorstellung, dass jedes Zahlwort eine Einheit darstellt und dass z. B. beim Zählen in Zweier-Schritten immer eine Einheit übersprungen werden muss. (Moser Opitz 2013, S. 84).

Dies stellt mathematisch eine wiederholte Addition bzw. Subtraktion (beim Rückwärtszählen) dar und führt zur Ökonomisierung des Zählvorgangs (Selter et al. 2014, S. 58). Dabei kommt dem Zählen in Sprüngen eine Schlüsselrolle für den Aufbau des Verständnisses des Bündelungsprinzips und der Verknüpfung dieses Wissens mit der Bildung von Zahlzeichen und Zahlwörtern zu (van de Walle 2004, S. 189). Besonders beim Rückwärtszählen müssen Entbündelungen vorgenommen werden (403 – 401 – 399). In Hinblick auf das Stellenwertsystem ist besonders das Zählen in Schritten von Zehnerpotenzen von Bedeutung, da Zahlen mit einem Abstand von Zehn verstanden werden, als solche bei denen ein Zehnerbündel hinzugefügt worden ist. Durch das Zählen in Sprüngen kann die Struktur des Dezimalsystems genutzt werden, um Zahlenfolgen fortzusetzen und Aufgaben auch durch systematisches Probieren zu lösen. Damit ist diese Fähigkeit der Kompetenzstufe II des Modells der Bildungsstandards einzuordnen (KMK und IQB 2013, S. 12). Im Kompetenzstufenmodell Humbachs finden sich keine Zählfähigkeiten.

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Wurde nur der ordinale Zahlaspekt erworben, ist das Zählen in Sprüngen nur mit einem sehr hohen kognitiven Aufwand möglich, da im Kopf im Stillen weitergezählt werden und der Überblick über die Anzahl der Zählschritte behalten werden muss, wodurch es zu Fehlern kommen kann. Diese Fehler unterscheiden sich je nach Aufgabenstellung. Wird von den Lernenden verlangt eine Zahlenkette zu ergänzen, wobei lediglich Start- und Zielzahl gegeben sind, werden die notwendigen Schritte geraten. Sollen sie hingegen in Sprüngen verbal zählen, so zeigen sich besondere Schwierigkeiten bei Übergängen (z. B. 17 – 19 – 20 – 22), wobei die Schrittgröße geändert wird oder Zahlen ausgelassen werden (Moser Opitz 2013, S. 189). Moser Opitz ermittelte, dass Schülerinnen und Schüler der Klassen fünf und acht Unsicherheiten im Zählen in Sprüngen zeigen. Beim Vorwärtszählen in Zweierschritten und Rückwärtszählen in Zehnerschritten ermittelte sie in Klasse fünf eine Fehlerquote von 31 % und auch in Klasse acht gelang es „nur“ 78,7 % bzw. 68,1 % der Schülerinnen und Schüler mit Zahlen bis 200 in Sprüngen zu zählen (Moser Opitz 2013, S. 189), was bei einer solch basalen Kompetenz eine besorgniserregend niedrige Lösungsquote darstellt, wobei die untersuchten rechenschwachen Schülerinnen und Schüler in den hier dargestellten Lösungsquoten gar nicht berücksichtigt wurden. Für das Verständnis von Zahlbeziehungen ist des Weiteren das Ordnen und Vergleichen ein wichtiger Bestandteil, wobei das Verwenden eines Zahlenstrahls und damit der Darstellungswechsel zwischen bildlicher Repräsentation und Ziffern- bzw. Wortform hilfreich ist (Käpnick 2014, S. 170). Das Vergleichen von Zahlen der Größe nach ist wie bereits beschrieben ab der zweiten Stufe der Entwicklung des FEB-Modells möglich, denn dann kann die Größe einer Zahl mit ihrer Position in der Zählabfolge in Zusammenhang gebracht werden. Flexibel gelingt dies jedoch erst auf der sechsten Stufe, wenn dieses Wissen mit dem Konzept der Kardinalität und des Stellenwertes verknüpft ist, da dann der Größenvergleich nach Analyse der Anzahl der Stellen und anschließend nach Größe der Werte von links nach rechts erfolgt. Da das Ordnen von Zahlen auch lediglich durch die Nutzung des ordinalen Zahlaspekts möglich ist, wird diese Fähigkeit (zumindest bei kleinen Zahlen) von der KMK als technische Grundlage aufgefasst und in die Kompetenzstufe I eingeordnet (KMK und IQB 2013, S. 11), die demnach allen Schülerinnen und Schülern am Ende der Grundschulzeit gelingen sollte. Quantitative Studien hierzu gibt es allerdings nicht und auch im Modell Humbachs findet sich diese Kompetenz nicht wieder. Werden Zahlen nur mit ihrem ordinalen Aspekt verknüpft, können numerisch große und weit auseinander liegende Zahlen nur schwer verglichen werden, da dies durch die Bestimmung der Zahlen in der Zahlwortreihe kaum möglich ist (z. B. 3080 und 380). Aus diesem Grund greifen Schülerinnen und Schüler mit

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

75

hauptsächlich ordinal ausgebildetem Zahlaspekt zu Ausweichstrategien. Ist die Bedeutung der einzelnen Stellenwerte nicht bekannt, werden Zahlen, die die gleichen Ziffern enthalten als gleichmächtig angesehen (z. B. 75 und 57) (Gaidoschik 2015, S. 43). Des Weiteren kann besonders das Auftreten (numerisch) großer Ziffern zu fehlerhaften Vergleichen führen, so wenn die Anzahl größerer Ziffern bei der kleineren Zahl größer ist (z. B. 1210 und 1199). Gerade die Ziffern 8 und 9 werden als Indikatoren für mächtigere Zahlen interpretiert. Auch orientieren sich Schülerinnen und Schüler an der letzten Ziffer, statt die gesamte Zahl zu betrachten (Selter et al. 2014, S. 52). Bei unzureichend ausgebildetem Verständnis des Stellenwertsystems kann es zu fehlerhaften Deutungen der Null kommen, besonders bei dem Verständnis dieser Zahl als „nichts“, sodass Zahlen wie 3002 als kleiner angenommen werden können als 788 (Padberg 2005, S. 39 f.). Zusammenfassend ist die Entwicklung für ein Verständnis von Zahlen, deren Darstellung und Beziehungen, sowie des Stellenwertsystems ein hoch komplexer, sich gegenseitig bedingender Prozess. Dieses Verständnis ist jedoch die Grundlage für einen Großteil aller weiteren zu erwerbenden mathematischen Kompetenzen, beginnend mit dem Verständnis der Grundrechenarten. Dies wird auch darin deutlich, dass Fähigkeiten zum Stellenwertsystem im Modell der Bildungsstandards kaum explizit erwähnt werden und somit davon ausgegangen wird, dass sie von allen Schülerinnen und Schülern, die zumindest das Kompetenzniveau I erreichen, beherrscht werden. Da die beschriebenen Fähigkeiten Bestandteil der ersten beiden Niveaus des Kompetenzstufenmodells von Humbach darstellen, wobei sich die beiden Stufen vor allem durch die verwendeten Zahlenräume unterscheiden, kann davon ausgegangen werden, dass sie von deutschen Zehntklässler:innen tatsächlich ausgebildet werden konnten. Die hiermit verbundenen Fähigkeiten zeigen sich durch das Wechseln von Darstellungsformen, das Bündeln und Entbündeln, das Zählen (auch in Sprüngen), das Ordnen von Zahlen nach ihrer Größe sowie der Fähigkeit Mengen schnell erfassen und deren Mächtigkeit ermitteln zu können. Somit müssen diese Kompetenzen in einem Diagnoseverfahren zur Überprüfung grundlegender mathematischer Kompetenzen enthalten sein, sollten Sekundarschüler und -schülerinnen mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen hierbei Defizite zeigen, was in Kapitel 4 genauer untersucht werden soll.

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3.3.2

3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept

Mit einem intuitiven Verständnis von Addition und Subtraktion kommen Kinder bereits in die Schule, da sie über die protoquantitativen Schemata des Verminderns und Vermehrens verfügen (vgl. Abschnitt 3.2.1). Allerdings können diese Vorgänge noch nicht quantitativ erfasst werden, sodass die Vorstellungen zu diesen Rechenoperationen in Konkurrenz stehen mit denen vom Weiter- und vom Rückwärtszählen (Hasemann und Gasteiger 2014, S. 120), da sich viele Schülerinnen und Schüler zu Beginn der Schulzeit noch auf Entwicklungsstufe II nach dem FEB-Modell befinden und somit noch keine Mengen-Zahl-Verknüpfung stattgefunden hat (vgl. Abschnitt 3.2.3). Aufgaben werden demnach durch zählendes Rechnen gelöst, wobei die gelernte Zahlwortreihe auf Objekte angewendet wird. Hierbei handelt es sich um die erste Form von Rechenstrategien, die zum Lösen von Aufgaben verwendet werden. Diese werden durch Üben, auch ohne die Verknüpfung mit Kardinalitäten, immer flexibler, beginnend mit der counteverything-Strategy, bei der sowohl die Ausgangsmenge als auch die hinzugefügte Menge einzeln von eins beginnend ausgezählt und erst im letzten Schritt beide Mengen gemeinsam gezählt werden. Eine Weiterentwicklung stellt die count-allStrategy dar, bei der nur noch die Vereinigung beider Mengen gezählt wird. Bei der count-on-Strategy ist es dann möglich von der Ausgangsmenge weiterzuzählen, was in der nächsten Stufe (Min-Strategy) unter Nutzung der kommutativen Beziehungen der Addition von der größeren Menge aus geschieht (Ostad 1997, S. 349; Schulz 2014a, S. 93 f.). Das Lösen von Aufgaben durch diese Strategien ordnet Humbach auf Niveaustufe I ein, da hierfür noch kein Verständnis des Stellenwertsystems notwendig ist (2008, S. 165). Durch das Erreichen der Kompetenzstufe III lässt sich hingegen die Addition durch Rückgriff auf die Vereinigung von Mengen und die Subtraktion durch Restmengenbildung definieren, indem man von einer gegebenen Menge eine Anzahl von Elementen wegnimmt. Dabei wird ein Zusammenhang zwischen der Addition und der Handlung des Hinzu- bzw. Zusammenfügens von Objekten sowie zwischen der Subtraktion und der Handlung des Wegnehmens bzw. Entfernens hergestellt (Hasemann und Gasteiger 2014, S. 118). Nach Moser Opitz bildet das TTG die Grundlage für die Zahlzerlegung kleiner Zahlen, die simultan erfasst werden können (Moser Opitz 2013, S. 95). Daraus können Kinder durch die Prozesse des „fast Verdoppelns“ (z. B. 6 + 7 = 2 · 6 + 1), des Verdoppelns, Zusammensetzens und Malnehmens neue Zahlen „erzeugen“ (van de Walle 2004, S. 129). Somit können nach Belieben Zahlen zerlegt und zusammengesetzt werden, um schnelle und vorteilhafte Rechenwege identifizieren zu können (Moser Opitz 2013, S. 95). Mithilfe des TTGs können

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

77

diese durch weitere Prinzipien wie das Kommutativgesetz der Addition, das n+1bzw. n–1-Prinzip (49 + 12 = 50 + 11 = 61), das n·10-Prinzip (7 + 2 = 9 → 70 + 20 = 90), sowie das Inversprinzip der Addition und Subtraktion erweitert werden. Mit dem Erreichen der vierten Kompetenzstufe nach dem FEB-Modell und damit der Entwicklung des TTGs kann die Grundvorstellung des Ergänzens als Zusammenhang beider Grundrechenarten erworben werden (Fritz et al. 2018, S. 16 f.). Diese ist durch den Unterschied zwischen zwei gegebenen Werten, der durch die Handlung des Hinzufügens bestimmt wird, charakterisiert. Das gesuchte Ergebnis ist dabei der hinzugefügte Wert. Das Ergänzen weist also wie die Grundvorstellungen der Addition und der Subtraktion einen dynamischen Charakter auf (Wessel 2015, S. 41). Je nach Kontext können weitere Vorstellungen für das Ergänzen und damit für den Zusammenhang zwischen Addition und Subtraktion entwickelt werden, wie das Vergleichen (Wie viel hat a mehr als b?), das Ausgleichen (Wie viel muss a dazubekommen, um genauso viel wie b zu haben?) oder das Verändern (b gibt a etwas, wie viel hat a jetzt bzw. bekommen?) (Padberg 2005, S. 85 f. bzw. S. 106). Während die Vorstellungen des Veränderns und Ausgleichens, wie die bereits erläuterten Vorstellungen, dynamischer Natur sind, zeichnet sich die Grundvorstellung des Vergleichens durch ihren statischen Charakter aus, da hier der Unterschied zwischen zwei gegebenen Werten zu ermitteln ist, was nicht mit einer Handlung verbunden werden kann (Fromme et al. 2011, S. 36). Im Gegensatz zu den anderen Grundvorstellungen kann diese damit erst auf Kompetenzstufe V entwickelt werden, da erst hier das Verständnis für Relationen ausgebildet wird und damit eine Zahl keine genaue Menge mehr angeben muss, sondern einen Abschnitt auf dem Zahlenstrahl oder eine Beziehung beschreiben kann (Fritz et al. 2018, S. 17). Damit ist das Lösen von Vergleichsaufgaben als deutlich komplexer einzuschätzen als die Bearbeitung von Additions- und Subtraktionsaufgaben und von Ergänzungsaufgaben, die auf dynamischen Vorstellungen beruhen. Die Entwicklung der Grundvorstellungen über die verschiedenen Stufen des FEB-Modells hinweg werden auch im Kompetenzstufen-Modell der Bildungsstandards deutlich, in dem diese sowie das Beherrschen von EinspluseinsAufgaben und das Lösen von einfachen Kalkül- oder Anwendungsaufgaben in gut vertrauten oder geübten Kontexten der Kompetenzstufe I zugeordnet werden. Die flexible Nutzung von Zahlbeziehungen und der sichere Umgang mit diesen Operationen findet sich hingegen in Kompetenzstufe III, für die das Verständnis des TTGs notwendig ist (KMK und IQB 2013, S. 11 f.). Das konzeptuelle Verständnis der Strichrechenarten und deren Zusammenhänge finden sich in Humbachs Kompetenzstufenmodell auf den Niveaus III und IV, wobei sich diese in der

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Sicherheit und Flexibilität im Umgang mit den Operationen unterscheiden (Humbach 2008, S. 168). Es wird somit eine Stufung des Komplexitätsgrades sichtbar, beginnend beim Lösen einfacher Aufgaben, die auch noch durch Zählstrategien lösbar sind, über solche, bei denen halbschriftliche Strategien angewendet werden müssen und die zumindest ein grobes Verständnis des TTGs verlangen (wie einfache Ergänzungsaufgaben), hin zu Aufgaben, die flexible und gut ausgebildete Grundvorstellungen notwendig machen. In der falschen Verwendung von Rechenstrategien und dem Brechen von Rechengesetzen liegt eine der größten Fehlerquellen bei der Lösung besonders von Subtraktionsaufgaben, indem das Assoziativ- und das Kommutativgesetz der Addition auf die Subtraktion übertragen wird, was auf mangelnde Grundvorstellungen zu dieser Rechenoperation und dem einseitigen Verständnis dieser als Rückwärtszählen zurückgeführt werden kann. Dies führt vor allem zu Rechenrichtungsfehlern bei Aufgaben mit Übertrag, wie 34 – 25 = 11, bei denen die Einerstellen vom Minuenden und vom Subtrahenden vertauscht werden (Padberg 2005, S. 113). Eine besonders große Schwierigkeit kann im Laufe der Grundschulzeit und darüber hinaus das Festhalten an zählenden Rechenstrategien darstellen, dessen Merkmal es ist, dass die Lösung nicht durch das mentale Operieren mit (abstrakten) Zahlen und ihren Beziehungen zueinander gefunden werden kann, sondern durch den zählenden Umgang mit Zahlrepräsentanten (Schulz 2014b, S. 91), ohne diese mit der dahinterstehenden Menge in Zusammenhang zu bringen. Zu Beginn der Schullaufbahn ist diese Rechenstrategie eine erwartungskonforme und zielführende Möglichkeit der Aufgabenlösung (Gaidoschik 2011, S. 35), da vielen Kindern aufgrund ihres Entwicklungsstandes auf Kompetenzniveau II des FEB-Modells nur diese Lösungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Doch wird auch am Ende des ersten Schuljahres noch daran festgehalten, können ernsthafte Schwierigkeiten beim Mathematiklernen entstehen, da durch diese Lösungsmethode keine Einsicht in die Operationen als Veränderungen oder Vergleich von Mengen entwickelt werden kann (Häsel-Weide 2016, S. 23). Eine weitere Folge des verfestigten zählenden Rechnens kann die unzureichende Entwicklung eines Stellenwertverständnisses sein, da durch die Zählprozedur die Wichtigkeit der Zehn und ihrer Potenzen nicht deutlich werden kann, stattdessen wird in der Zählreihe die Bedeutung dieser Zahlen und damit der Aufbau des Stellenwertsystems durch die Fokussierung auf die Ergebniszahl als Endpunkt der Zahlenreihe im Zählprozess nicht deutlich (Wartha und Schulz 2011, S. 9). Dadurch entstehen Fehler, bei denen die einzelnen Stellen falsch zusammengerechnet werden (34 + 6 = 94, oder 39 + 12 = 411) (Padberg 2005, S. 13 und S. 99). Zudem verhindert das zählende Rechnen den Aufbau von Faktenwissen, da durch die

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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Zählprozedur die Arbeitsspeicherkapazität erschöpft ist und das Ergebnis nicht mehr mit der Aufgabe in Zusammenhang gebracht werden kann. Somit kann sich auch keine Intuition für die Richtigkeit eines Ergebnisses entwickeln, was die Fehlerhäufigkeit durch diese Rechenstrategie weiter erhöht. In diesem Zusammenhang treten typischerweise der +1- bzw. der –1-Fehler auf (Häsel-Weide 2016, S. 22 f.), der entsteht, indem bei der count-on- oder Min-Strategie der erste Summand bzw. der Minuend mitgenannt wird. So kann das Festhalten am zählenden Rechnen zusammengefasst eine Ursache für das Entstehen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen sein, denn „[…] ein Kind, dass am Ende der ersten Schulstufe vorwiegend zählend rechnet, ist nicht deshalb schon ‚rechenschwach‘, aber es läuft Gefahr, unter dem Druck kommender schulischer Anforderungen ‚rechenschwach‘ zu werden“ (Gaidoschik, 2009a, S. 170). Wie gut die Grundvorstellungen zur Addition und Subtraktion sowie das TTG in der Sekundarstufe I ausgebildet sind, zeigt sich (wie bereits beim Stellenwertverständnis) durch die Fähigkeit zwischen verschiedenen Darstellungsformen übersetzen zu können, d. h. zu einer gegebenen Aufgabe eine Handlung beschreiben zu können, diese in eine Sachsituation zu überführen oder eine solche in eine Aufgabe zurückzuübersetzen. Denn „Kinder scheitern bei ‚Übersetzungsprozessen‘, wenn sie nicht verstehen, was sie tun“ (Hess 2012, S. 201). Die Ausprägung der Grundvorstellungen anhand des Darstellungswechsels untersuchten die Studien von Moser Opitz und Ehlert et al. Letztere überprüften in einer Längsschnittstudie die Fähigkeiten von deutschen Fünft- bis Siebtklässler:innen hinsichtlich dieser Kompetenz, sowie die Fähigkeiten des Dividierens, Multiplizierens und des Rechnens im Kontext (Ehlert et al. 2013, S. 237). Sie erhoben diese Fähigkeiten mithilfe einfacher Additions-, Subtraktions- und Ergänzungsaufgaben im Zahlenraum bis 1000 sowie mit Textaufgaben. Die Ergebnisse zeigen große Leistungsunterschiede zwischen den Schulformen (untersucht wurden Gesamt-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien). 50 % der Gesamt- und Hauptschüler:innen sowie 30 % der Realschüler:innen verfügen lediglich über grundlegende Fähigkeiten bzgl. der Addition, der Subtraktion und des TTGs, die es ihnen ermöglichen, einfache Aufgaben im Zahlenraum bis 1000 zu lösen. Moser Opitz kam zu dem Ergebnis, dass es zwar den meisten Schülerinnen und Schülern gelingt Additions- und Subtraktionsaufgaben zu veranschaulichen, dass jedoch speziell Ergänzungsaufgaben in den Klassen fünf und acht große Schwierigkeiten verursachen. So konnten nur 44,4 % der Fünftklässler:innen und 46,8 % der Achtklässler:innen die Aufgabe 73 + ? = 100 korrekt veranschaulichen (Moser Opitz 2013, S. 191 ff.), was auf große Defizite bezüglich der Vorstellungen zum TTG hindeutet.

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Zu vergleichbaren Ergebnissen gelangte auch die Studie Humbachs. Dabei stellte sie bezüglich der Addition und Subtraktion ausschließlich Ergänzungsaufgaben, bei denen die Ausgangsmenge oder die Austauschmenge gesucht waren. Die Fehlerquoten bei Ergänzungsaufgaben zur Addition betrugen maximal 12 % bei der Aufgabe 36 + __ = 374 (Humbach 2008, S. 121). Bezüglich der Subtraktion zeigte sich die Fehleranzahl deutlich höher. Bis zu 43,4 % der befragten Schülerinnen und Schüler konnten Ergänzungsaufgaben im Zahlenraum bis 1000 nicht lösen (Humbach 2008, S. 123). Häufig kam es sowohl bei Additionsals auch bei Subtraktionsaufgaben zum Ergänzen zur Verwendung der falschen Rechenoperation. Weiterhin wurden viele Aufgaben durch das Verwenden schriftlicher Rechenverfahren oder zählender Strategien (zu erkennen am ±1- Fehler) falsch gelöst (Humbach 2008, S. 121 und S. 123). So zeigt sich insgesamt, dass die Lernenden in der Lage sind besonders Additionsaufgaben zum Ergänzen korrekt zu lösen, es ihnen aber nicht gelingt diese zu veranschaulichen. Das Fehlen des Verständnisses für das TTG wird dann an der hohen Fehleranzahl bei der Bearbeitung von Subtraktionsaufgaben zum Ergänzen deutlich. Zusammenfassend ist das Verständnis des TTGs zentral für die weiteren mathematischen Lernerfolge. Dabei müssen verschiedenste Grundvorstellungen entwickelt worden sein, zu denen neben dem Hinzufügen und Wegnehmen auch das Ergänzen (Verändern und Ausgleichen) und das Vergleichen gehören. Ist das TTG nicht entwickelt, wird hingegen an zählenden Rechenstrategien festgehalten, die den Aufbau von Grundvorstellungen und des Stellenwertverständnisses behindern. Allerdings zeigt sich, dass diese Vorstellungen bei vielen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe nicht vollständig entwickelt sind, was durch Defizite in der Fähigkeit des Darstellungswechsels deutlich wird. Ein Diagnoseverfahren zum Erkennen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen muss deshalb Aufgaben beinhalten, die das Verständnis des TTGs durch Rechenaufgaben und Darstellungswechsel sichtbar machen. Außerdem muss es in der Lage sein, zu erkennen, ob Rechenaufgaben vor allem durch zählende Rechenstrategien gelöst werden, da dann ebenfalls auf Defizite bzgl. des Verständnisses des TTGs geschlossen werden kann. Welche Strategien darüber hinaus verwendet werden und welche Schlüsse hinsichtlich der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler aus der Verwendung dieser geschlossen werden können, soll in Abschnitt 3.3.4 näher beleuchtet werden.

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

3.3.3

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Multiplikation und Division

Aufbauend auf den beiden oben betrachteten Grundrechenarten werden in der Grundschule die Multiplikation und die Division erarbeitet. Die Grundvorstellung der Addition wird erweitert, indem nun Mengen der gleichen Mächtigkeit zusammengefügt werden. Damit baut die Multiplikation auf dem Konzept der wiederholten Addition gleicher Summanden auf (Gerster und Schultz 2004, S. 387). Dies entwickelt sich durch das Verständnis von Zahlen als gleichmächtige Bündel in der sechsten und bisher letzten Stufe des FEB-Modells (Fritz et al. 2018, S. 18). Mit der Vereinigung von Mengen gleicher Mächtigkeit gehen die zeitlich-sukzessive (dynamische) sowie die räumlich-simultane (statische) Grundvorstellung einher. Bei ersterer werden immer gleichmächtige Bündel handelnd aneinandergefügt. Bei der zweiten Grundvorstellung ist hingegen von vornherein die Gesamtmenge als Darstellung der gleichmächtigen Bündel gegeben, die durch die räumliche Anordnung auf einen Blick (simultan) erfasst werden können (Padberg 2005, S. 118 f.; Transchel 2020, S. 22 f.). Darüber hinaus existiert die kombinatorische Vorstellung, die jedoch zumeist an dieser Stelle nicht Teil des Mathematikunterrichts ist, da die Möglichkeiten zum enaktiven Handeln und die Vorerfahrungen der Kinder sehr gering sind und der Zusammenhang zwischen Multiplikation und Division als Umkehroperation nur schwer herstellbar ist (Padberg 2005, S. 120 ff.). Im Gegensatz zur Addition sind bei der Multiplikation verschiedene Zahlenpräsentationen notwendig. Der Multiplikand gibt die Menge an, die es zu replizieren gilt, der Multiplikator die Anzahl der Replikationen. Der Multiplikand steht im Vergleich zum Summanden hier nicht für eine Mächtigkeit oder Kardinalität, sondern hat eher einen Symbolcharakter (Ehlert et al. 2013, S. 243), was jedoch im Widerspruch zu der Notation von Multiplikationsaufgaben steht. „Während die unterschiedlichen Rollen beider Faktoren bei Situationen dieses Typs Tatsache ist, handelt es sich bei der Reihenfolge der Niederschrift um eine Vereinbarung, die keineswegs so festgelegt sein muss“ (Ruwisch, 2002, S. 116). Auch Gaidoschik betont die Wichtigkeit der Unterscheidung des Multiplikators und des Multiplikanden für die Ausbildung tragfähiger multiplikativer Vorstellungen. Besonders deutlich wird dies beim Lösen verwandter Aufgaben wie die Herleitung des Ergebnisses der Aufgabe 11 · 4 aus 10 · 4, bei der ohne dieses Verständnis nicht klar ist, ob das Ergebnisses aus 10 · 4 mit vier oder der zehn ergänzt werden muss (Gaidoschik 2015, S. 47). Ein Kind hat den Grundgedanken der Multiplikation als Vervielfachen nicht verstanden, wenn es die Faktoren nicht unterscheiden kann und demnach nicht versteht, dass einer der beiden als Anzahl

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

und der andere als Auskunft darüber, wie oft diese Anzahl genommen werden muss, interpretiert werden muss (Gaidoschik 2015, S. 40). Anders ist dies bei der Division, bei der Dividend und Divisor Mengen repräsentieren, wobei letzterer je nach Grundvorstellungsaspekt anders zu interpretieren ist. Beim Aufteilen ist die Anzahl der Teilmengen gesucht, die aus der Grundmenge gebildet werden können (15 Äpfel werden so in Körbe verteilt, dass in jedem 5 Äpfel sind. Wie viele Körbe können gefüllt werden?). Bei der Vorstellung des Verteilens wird hingegen nach der Mächtigkeit der Teilmengen gefragt (15 Äpfel werden in 3 Körbe verteilt. Wie viele Äpfel sind in jedem Korb?). Dabei bildet bei beiden Modellen die Grundmenge den Ausgangspunkt (Dividend), deren Teilung immer gerecht sein muss und so lange erfolgt, bis kein zu teilender Rest mehr übrig ist (Moser Opitz 2013, S. 110). Wie bei der Addition und der Subtraktion gilt es auch bei der Multiplikation und der Division bestimmte Aufgaben als Faktenwissen zu „lernen“. In diesem Fall ist das das kleine Einmaleins. Nach Schipper ist „[…] das Auswendigwissen des kleinen Einmaleins […] immer noch ein wichtiges Ziel – der Weg dorthin ist jedoch keine Gedächtnisübung, sondern eine Verstandesübung und steht am Schluss eines langen Lernprozesses.“ (2009, S. 143) Indem man die Division als Umkehroperation zur Multiplikation verstanden hat, kann das Einmaleins auch zum Lösen dieser Aufgaben verwendet werden. Auf Grundlage des Kommutativ und Assoziativgesetzes, welche bereits bei der Auseinandersetzung mit der Addition und Subtraktion eingeführt wurden, können zusammen mit dem Distributivgesetz was bei den Punktrechenarten noch hinzu kommt, Aufgaben oberhalb des kleinen Einmaleins auf dieses zurückgeführt werden (Padberg 2005, S. 127). Sind die Vorstellungen zu Multiplikation und Division nicht oder nur einseitig ausgebildet, können Hilfsstrategien wie die wiederholte Addition oder Subtraktion verwendet werden, indem bspw. bei der Aufgabe 7 · 9 entweder sieben Mal die Ziffer neun untereinandergeschrieben und dann schriftlich addiert wird oder die Malfolgen einzeln Schritt für Schritt durchgegangen und die Zwischenergebnisse notiert werden (Simon 2018, S. 152). Das konzeptuelle Verständnis dieser Grundrechenarten wird im Kompetenzstufenmodell von Humbach äquivalent zu denen des TTGs anhand des Schwierigkeitsgrads der zu lösenden Aufgabe festgemacht und auf den Niveaus III und IV verortet, wobei Aufgaben, die ausschließlich durch das Nutzen von Rechenvorteilen schnell gelöst werden können (3 · 299) oder drei Faktoren beinhalten, der letzten Stufe zugeordnet werden (Humbach 2008, 167 f.). Multiplikationsaufgaben sind im Modell der Bildungsstandards zusammen mit Addition und Subtraktion Bestandteil der Kompetenzstufen I (Einmaleins) und II (halbschriftliches und schriftliches Rechnen). Die Division nimmt hingegen

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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eine gesonderte Stellung ein, da sie erst in Niveau III beim Umgang mit Zahlen und Operationen im curricularen Umfang eingefasst wird (KMK und IQB 2013, S. 11 f.). Die besondere Komplexität der Division konnte auch empirisch bestätigt werden. Die Ergebnisse der Studien von Moser Opitz, Humbach und Ehlert et al. zeigen für die Punktrechenarten zunächst im Allgemeinen deutlich schlechtere Ergebnisse als für Addition und Subtraktion. Zwar sind fast alle Schülerinnen und Schüler in der Lage einfache Multiplikationsaufgaben aus dem Bereich des kleinen Einmaleins und darüber hinaus korrekt zu lösen (Ehlert et al. 2013, S. 245; Humbach 2008, S. 135), doch gelingt es nur wenigen korrekte Veranschaulichungen zur Multiplikation (57,8 % in Klasse fünf und 55,3 % in Klasse acht) oder Division (51,1 % Klasse fünf bzw. 63,8 % in Klasse acht) zu finden (Moser Opitz 2013, 197 ff.). Vor allem die Division scheint als besonders schwierig zu gelten und gerade für schwächere Schülerinnen und Schüler einen „Cut-off-Punkt“ darzustellen (Moser Opitz 2013, S. 201). Die Studie Humbachs konnte ermitteln, dass oberhalb des kleinen Einmaleins mehr als ein Viertel der Schülerinnen und Schüler Platzhalteraufgaben zur Division nicht mehr lösen können (Fehlerquoten von 29,5 % bis 50,2 %). Besonders niedrig ist die Lösungsquote bei Aufgaben, deren Ergebnis nicht mehr aus dem kleinen Einmaleins abgeleitet werden kann (46,5 %) (Humbach 2008, S. 136). Verwechslungen von Rechenoperationen, wie sie bei den Ergänzungen bei Addition und Subtraktion häufig auftraten, konnten in den Studien nicht festgestellt werden. Hingegen kommt es besonders zu Perserverationsfehlern, wobei innerhalb des kleinen Einmaleins Ergebnisse ähnlicher Aufgaben verwendet werden (6 · 8 = 54) (Humbach 2008, S. 136; Padberg 2005, S. 137). Häufig treten sogenannte Verhältnisfehler auf, bei denen die Schülerinnen und Schüler nicht erkennen, in welchem Größenverhältnis Dividend und Divisor zueinanderstehen und dadurch eine falsche Anzahl von Endnullen an das Ergebnis angehängt wird (Humbach 2008, S. 137). Diese Fehlerart kann auch durch Defizite im Stellenwertverständnis verursacht sein. Padberg ergänzt, dass im Allgemeinen das Multiplizieren und Dividieren mit der Null eine häufige Fehlerquelle sein kann, da fälschlicherweise die Null als „nichts“ interpretiert wird und äquivalent zur Addition und Subtraktion keine Veränderung des Ergebnisses herbeiführt (Padberg 2005, S. 137 und S. 156). Der Transfer des Wissens, dass die Multiplikation mit Null Null ergibt, führt dann bei der Division zu falschen Ergebnissen, indem auch hier bei Aufgaben wie 5 : 0 dieses Ergebnis angegeben wird. Wagner untersuchte die Kopfrechenfähigkeiten von 185 Hauptschülern und -schülerinnen der fünften Klasse bezüglich der Multiplikation und Division mithilfe schriftlicher Tests und ermittelte erhebliche Fehlerquoten bei beiden Grundrechenarten (Wagner 2006, S. 1). Dabei traten besonders häufig Fehler beim Rechnen mit der Null auf, besonders bei Aufgaben

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

wie 0 · 8 (Fehlerquote 76,9 %). Außerdem wurde bei der Multiplikation häufig ziffernweise gerechnet, was jedoch bei dieser Rechenart nicht möglich ist, sodass 32,8 % aller Fehler hierauf zurückgeführt werden können. Allerdings kam es zusätzlich gehäuft zu falschen Ergebnissen beim Abrufen des kleinen Einmaleins. Des Weiteren zeigte sich, dass die Fehlerquote bei Divisionsaufgaben umso höher wird, je größer der Dividend ist. Auch hier wurde häufig ziffernweise gerechnet (Wagner 2006, S. 3) und so ist hier ebenfalls davon auszugehen, dass es auf Grundlage mangelnder tragfähiger Vorstellungen zu fehlerhaften Übertragungen der Rechenregeln von Addition und Subtraktion kommt. Zusammenfassend sind die Multiplikation und Division für Schülerinnen und Schüler deutlich schwerer als Addition und Subtraktion, da sie auf diesen aufbauen. Die Grundvorstellungen sind somit komplexer, sodass es zu vielen Fehlern aufgrund falscher Übertragungen von Rechenstrategien aus den Strichrechenarten kommt. Für ein Verständnis von Multiplikation und Division muss bereits eine höhere Kompetenzstufe nach dem FEB-Modell erreicht worden sein, da es hier um das Bündeln von gleichmächtigen Mengen geht, im Gegensatz zur Addition, bei der in den meisten Fällen Mengen unterschiedlicher Mächtigkeit zusammengefügt werden (Fritz et al. 2018, S. 18). Das Wissen über die Bündelung gleichmächtiger Mengen bildet das Fundament des Verständnisses von Multiplikation und Division und später weiterführend für gebrochene Zahlen und ist damit essenziell für ein erfolgreiches Lernen in der Sekundarstufe. Aufgaben zu allen Grundrechenarten sind durch vielfältige Strategien lösbar. Diese können Aufschluss darüber geben, wie gut die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern auf diesen Gebieten ausgebildet sind, da Aufgaben zum einen durch aufwendige, fehleranfällige Strategien lösbar sind, zum anderen aber auch durch adäquate, elaborierte Rechenstrategien, die jedoch gut ausgebildete Grundvorstellungen bezüglich der Grundrechenarten und des Stellenwertsystems voraussetzen. So sollen im Weiteren die verschiedenen Vorgehensweisen beim Lösen von Rechenaufgaben genauer beleuchtet werden.

3.3.4

Rechenstrategien bezüglich der Grundrechenarten

Die KMK beschreibt in den Bildungsstandards, dass Aufgaben mithilfe der verschiedenen Rechenmethoden Kopfrechnen, halbschriftliches und schriftliches Rechnen zu lösen sind (KMK 2005, S. 9). Während die letzten beiden Rechenmethoden klar voneinander abgegrenzt werden können, ist eine Unterscheidung zwischen dem Kopfrechen und den beiden anderen Verfahren nicht eindeutig feststellbar (Selter 2000, S. 228). Dies liegt auch daran, dass der Begriff

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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des Kopfrechnens mathematikdidaktisch nicht einheitlich bzw. exakt definiert ist (Krauthausen 2009, S. 102). Demnach umfasst der Begriff Kopfrechnen eine ganze Palette von Strategien: von ersten Abzählversuchen und dem Abruf von Faktenwissen über elaborierte Lösungsstrategien, bis hin zum algorithmischen Vorgehen, wie es beispielsweise bei den schriftlichen Rechenverfahren verwendet wird (schriftliches Rechnen im Kopf). Diese große Spannbreite des Begriffs ist für viele Fachdidaktiker:innen nicht zufriedenstellend, weshalb Krauthausen in diesem Zusammenhang von einer „diffusen inhaltlichen Zugehörigkeit“ bzgl. der Strategie, der Aufgabentypen und der Zahlenräume spricht (Krauthausen 2009, S. 102). Allen Kopfrechenstrategien gemein ist, dass dabei keine Notizen gemacht werden, weshalb auch von mündlichem Rechnen gesprochen wird (z. B. Padberg 2005, S. 81; Selter 2000, S. 236). Lediglich die Rechenstrategien des zählenden Rechnens und des Abrufs von Zahlenfakten sind ausschließlich im Kopf möglich. Das Kompetenzstufenmodell der Bildungsstandards ordnet die Rechenstrategien Abruf des Einmaleins und Einspluseins3 , halbschriftliches und schriftliches Rechnen immer gemeinsam auf einer der Niveaustufen I bis IV ein, unterscheidet jedoch nach Schwierigkeit der Aufgabe und der Notwendigkeit von Überschlagsrechnungen (KMK und IQB 2013, S. 11 ff.). Beim halbschriftlichen Rechnen sind für die Lösung einer Rechenaufgabe einzelne Notizen nötig, allerdings handelt es sich dabei nicht um klar definierte durchzuführende Rechenschritte, so wie dies beim schriftlichen Rechnen der Fall ist (Padberg 2005, S. 159 f.). Hier stehen individuelle Rechenwege im Vordergrund, die auf irgendeine Art und Weise schriftlich festgehalten werden. Trotz der Individualität können je nach Quelle bis zu fünf halbschriftliche Rechenstrategien unterschieden werden, die jedoch nicht für alle Grundrechenarten möglich bzw. sinnvoll sind. Dazu gehören das stellen- und schrittweise Lösen (bzw. Mischformen aus beiden), das Verwenden von Hilfsaufgaben und das Vereinfachen (Padberg 2005, S. 170 ff.; Selter 2000, S. 231; Selter et al. 2014, S. 99). Da bei allem Verfahren Zahlen zerlegt werden müssen, setzen alle Strategien ein Verständnis der Teil-Teil-Ganzes-Beziehung voraus und sind somit frühestens ab dem Erreichen der vierten Kompetenzstufe des FEB-Modells anwendbar (Fritz et al. 2018, S. 16), wobei sie sich jedoch in der Flexibilität und Tiefe mit der dieses Konzept entwickelt sein muss, unterscheiden. Ist diese Stufe noch nicht erreicht, können Lösungen hingegen nur zählend oder durch auswendiggelernte, unverstandene Algorithmen ermittelt werden.

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Damit sind auch die Aufgaben des kleinen Einsminuseins bzw. Einsdurcheins gemeint, wenn diese nicht explizit davon abgetrennt werden.

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Im Weiteren sollen die verschiedenen halbschriftlichen Rechenverfahren genauer vorgestellt werden, um zu analysieren, wie gut die Grundvorstellungen und das Stellenwertverständnis ausgebildet sein müssen, um diese Strategie anwenden zu können. Des Weiteren interessiert welche Fehler typischerweise bei Defiziten auftreten (wenn diese bisher wissenschaftlich erfasst wurden) denn diese sind im Allgemeinen keine Flüchtigkeitsfehler, sondern zu 70 % bis 90 % das Ergebnis von fehlerhaften Regelanwendungen (z. B. Ginsburg 1977, 107 ff.; Radatz 1980, S. 72). Demgegenüber stehen einfache Flüchtigkeitsfehler, die durch Unaufmerksamkeit zustande kommen und keinen Hinweis auf Defizite liefern können (unsystematische Fehler). Ebenfalls als unsystematische Fehler gelten solche, die durch Fluchtreaktionen verursacht werden, wenn der oder die Lernende keinerlei Strategie zum Lösen der Aufgabe besitzt (Heckmann 2006, S. 24; Wartha und Wittmann 2009, S. 78). Dann werden Ergebnisse geraten oder Zahlen willkürlich zusammengerechnet, sodass Ergebnisse zustande kommen können, die keinen Bezug zur Aufgabe zeigen. Diese Fehler können kaum ohne weitere Untersuchungen in die Analyse von Schülerkompetenzen einfließen, da durch sie allein wenig konkrete Informationen über die genaue Ursache der Probleme zu erhalten sind. Halbschriftliche Rechenstrategien Stellenweises Rechnen Beim stellenweisen Rechnen werden die miteinander zu verrechnenden Zahlen in Hunderter, Zehner, Einer usw. aufgespaltet, einzeln miteinander verrechnet und die Teilergebnisse anschließend addiert. Im Gegensatz zum schriftlichen Rechenverfahren wird hier zahlenweise und nicht ziffernweise und von der größten zur kleinsten Stelle gerechnet. Somit müssen ein Verständnis der Bedeutung der einzelnen Stellenwerte sowie das TTG ausgebildet sein, um die einzelnen Ziffern der Zahl korrekt interpretieren zu können, wobei jedoch lediglich die Zerlegung in Stellenwerte notwendig ist, was auch durch Einüben eines Algorithmus ermöglicht wird.

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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Das stellenweise Rechnen beruht auf dem Zerlegen der Aufgabe in Unteraufgaben, die auf Grundlage des kleinen Einmaleins und Einspluseins (und deren Analogien 2 + 3 = 5 → 200 + 300 = 500) leicht lösbar sind und eignet sich damit zur Berechnung von Aufgaben im Zahlenraum oberhalb von 20. Die stellenweise Subtraktion ist dabei deutlich komplexer als die Addition, da es bei Zehner-Überschreitungen zu negativen Zwischenergebnissen kommt, die dann entsprechend interpretiert werden müssen. Da negative Zahlen nicht Teil des Curriculums der Grundschule sind, wird die stellenweise Subtraktion hier kaum thematisiert bzw. die Schreibweise der Rechnung wie oben zu sehen verändert, um die Notation negativer Zahlen zu vermeiden (Padberg 2005, S. 171). Ein häufiger Fehler der stellenweisen Subtraktion ist das Subtrahieren der Zwischenergebnisse, statt diese zu addieren. Das negative Vorzeichen vor einem der Zwischenergebnisse kann diesen Effekt noch verstärken (Selter et al. 2014, S. 105). Auch kann es zum Ignorieren oder Vergessen des Vorzeichens kommen sowie zum Wechsel der Rechenrichtung beim Unterschreiten der Null bei einem Zwischenschritt (Selter et al. 2014, S. 101), was auf Defizite im Operationsverständnis der Subtraktion hindeutet. Bei der Multiplikation kann das stellenweise Rechnen auf zwei Arten geschehen. Analog zur Addition werden die Stellenwerte einzeln miteinander multipliziert, dann jedoch, im Gegensatz zur Addition, bei der nur gleiche Stellenwerte miteinander verrechnet werden, auch noch die Stellenwerte untereinander (Selter et al. 2014, S. 117), was zwar durch das Operationsverständnis der Multiplikation erleichtert wird, jedoch ebenso als Algorithmus ohne Verständnis durchgeführt werden kann. 23 ∙ 17 = 200 + 140 + 30 + 21 = 391 20 ∙ 10 = 200 20 ∙ 7 = 140 3 ∙ 10 = 30 3 ∙ 7 = 21 Stellenweise Multiplikation

Die Ähnlichkeit zur Addition führt dazu, dass das Multiplizieren der Stellenwerte untereinander vergessen wird, stattdessen würden im Beispiel lediglich die Zehner- und Einerstellen einzeln multipliziert und am Ende addiert werden. Aus diesem Grund wird die stellenweise Multiplikation auch über das sogenannte

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Malkreuz durchgeführt (Ehlert et al. 2013, S. 117; Padberg 2005, S. 174 f.; Selter et al. 2014, S. 117).

Diese Methode ist deutlich weniger fehleranfällig, Rechenfehler bei der Multiplikation und anschließender Addition sowie Stellenwertfehler können trotzdem vorkommen (Selter et al. 2014, S. 117 ff.). Bei der Division ist das stellenweise Rechnen hingegen nicht möglich, da der Divisor nicht aufgespalten werden kann. Schrittweises Rechnen Beim schrittweisen Rechnen werden die Zahlen nicht stellenweise zerlegt, sondern sie werden, je nach Aufgabe, auf unterschiedliche, individuelle Weise zerlegt und miteinander verrechnet, sodass Zwischenergebnisse entstehen, auf deren Basis weiter gerechnet werden kann (Padberg 2005, 159 f.). Somit gibt es keine klaren Vorgehensweisen, wie das beim stellenweisen Rechnen der Fall ist. Bei Addition und Subtraktion können beide Summanden bzw. Subtrahend und Minuend zerlegt werden.

Im Gegensatz zum stellenweisen Rechnen ist hier der Übergang zum Kopfrechnen einfach möglich, da die Zwischenergebnisse wieder Ausgangszahlen für die nächste Rechnung darstellen (Padberg 2005, S. 168). Das Vorgehen beim schrittweisen Rechnen ist dabei auf sehr vielen verschiedenen Wegen möglich, im Gegensatz zum stellenweisen, welches durch seine einfache Zerlegung in die einzelnen Stellenwerte mit algorithmischen Methoden vergleichbar und so dem schriftlichen Rechnen von allen Strategien am ähnlichsten ist. Somit muss bei

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der schrittweisen Rechenmethode das TTG deutlich flexibler angewendet werden als das beim stellenweisen Rechnen der Fall ist. Auch Ergänzungen spielen hierbei eine Rolle, wie bei der obigen Aufgabe, bei der der Abstand zwischen 555 und 600 gesucht wird. 45 muss anschließend von 75 abgezogen werden, sodass diese Rechenmethode ein sehr gut ausgeprägtes TTG erfordert und somit eine elaboriertere Rechenstrategie als das stellenweise Rechnen darstellt. Dazu ist ebenso ein gut ausgebildetes Faktenwissen vonnöten, um günstige Zerlegungen zu finden. Es kann auch zu einer Vermischung der beiden Strategien kommen, bei denen bestimmte Stellenwerte einzeln berechnet, andere wiederum nicht zerlegt werden. Durch viele einzelne Zerlegungen, die überblickt und miteinander verrechnet werden müssen, bietet sich diese Strategie vor allem bei Additionen und Subtraktionen bei bis zu vierstelligen Zahlen an, da es sonst aufgrund des hohen kognitiven Anspruchs vermehrt zu Rechenfehlern kommen kann. Im Gegensatz zum stellenweisen Rechnen, bei dem sehr systematisch vorgegangen wird, kommt es hier bei jeder Aufgabe zu anderen Zahlzerlegungen und so kann es passieren, dass Teilmengen vergessen oder mehrfach verrechnet werden (Selter et al. 2014, S. 110). Ein Grund dafür kann eine falsche Vermischung von stellenweisem und schrittweisem Rechnen sein, da nicht beachtet wird, welche Stellen bereits verrechnet wurden. 55 + 75 = 135 55 + 70 = 125 5 + 5 = 10 Möglicher Fehler beim schrittweisen Addieren

Als Sonderform des schrittweisen Rechnens bezeichnet Padberg das Ergänzen zur Lösung von Subtraktionsaufgaben, eine Strategie, die auf dem Verständnis der Addition als Umkehrung der Subtraktion beruht (Padberg 2005, S. 172 f.; Selter et al. 2014, S. 99). Dabei wird schrittweise vom Subtrahenden zum Minuenden ergänzt. Das Ergebnis ergibt sich dann aus der Summe der Ergänzungszahlen. 458 ‒ 316 = 142 316 +

2 = 318

318 + 100 = 418 418 + 40 = 458 Schrittweises Ergänzen

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Im Gegensatz zur schrittweisen Addition und Subtraktion wird bei der Multiplikation und Division nur eine Zahl zerlegt. Bei der Multiplikation ist es durch die Kommutativität egal, welcher der beiden Faktoren das ist. Auch bei der Multiplikation kann es zu Mischformen zwischen schritt- und stellenweisem Rechnen kommen, besonders wenn beide Faktoren mehrstellig sind.

Die schrittweise Division beruht auf der Grundvorstellung des Aufteilens (Selter et al. 2014, S. 127). Dabei wird der Dividend so zerlegt, dass einfache Zwischenrechnungen ohne Rest möglich sind. Diese Strategie bietet sich jedoch besonders bei einstelligem Divisor an, sobald der Dividend zu groß ist, wird es schwer, schnell mögliche Zwischenrechnungen aufzustellen. 144 : 8 = 18 80 : 8 = 10 40 : 8 = 5 24 : 8 = 3 Schrittweise Division

Fehler bei der schrittweisen Multiplikation und Division sind das unvollständige oder falsche Aufteilen des Divisors oder des Multiplikators oder es kommt zu nicht stellenkonformen Verrechnungen der Zwischenergebnisse (Selter et al. 2014, S. 120 und S. 129). Insgesamt ist davon auszugehen, dass schrittweises Rechnen eine halbschriftliche Rechenstrategie darstellt, durch die viele Aufgaben schneller und effektiver gelöst werden können, als das beim stellenweisen Rechnen der Fall ist. Denn hier werden Zahlbeziehungen und Zahlzerlegungen genutzt, wodurch sie jedoch auch fehleranfälliger ist, da sie nicht einem klaren schematischen Vorgehen folgt, sondern je nach Zahlenmaterial angepasst wird, was einen hohen kognitiven Aufwand und tragfähige Grundvorstellungen verlangt. Ähnlich ist dies bei

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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den Hilfsaufgaben, bei denen Zahlbeziehungen für bestimmte Aufgaben genutzt werden können. Hilfsaufgaben und Vereinfachen Die Strategien der Hilfsaufgaben und des Vereinfachens können nur bei bestimmtem Zahlenmaterial verwendet werden und weisen Ähnlichkeiten mit dem schrittweisen Rechnen auf, nur das hierbei die Ausgangszahlen so verändert werden, dass eine verwandte Aufgabe gebildet wird, die sehr einfach zu berechnen ist bzw. als Fakt abgerufen werden kann.

Bei der Strategie der Hilfsaufgabe werden beide Zahlen beliebig verändert, bis eine Aufgabe entsteht, die schnell gelöst werden kann. Das Ergebnis muss dann jedoch um die vorgenommene Veränderung korrigiert werden. Dieses Vorgehen ist nicht auf Grundlage von Algorithmen möglich, sondern bedarf ein flexibel ausgebildetes TTG. Bei der Multiplikation erfordert die korrekte Verwendung dieser Rechenstrategie die Kombination der Grundvorstellungen der räumlichsimultanen Anordnung und der zeitlich-sukzessiven Vorstellung als wiederholten Addition, da die einzelnen Reihen der räumlich-simultanen Anordnung durch weitere Reihen ergänzt (wiederholte Addition) werden muss, bis Rechnungen entstehen, die einfach lösbar sind. Bei der Division ist besonders die Vorstellung des Aufteilens hilfreich, wenn klar wird, dass bspw. eine Menge von 354, die in Sechserbündel aufgeteilt werden soll, auch 360 solcher Einheiten aufgeteilt werden können, wenn am Ende wieder ein Bündel entfernt wird. Zu den speziellen Aufgaben, die durch die Strategie der Hilfsaufgaben bearbeitet werden können, zählen ebenso solche, bei denen Multiplikationen und Divisionen mithilfe von Stufenzahlen gelöst werden (auch Stufenaufgaben genannt (z. B. Selter et al. 2014, S. 108)), wie bei der Lösung der Aufgaben 720 : 8, die von 72 : 8 abgeleitet werden kann (Padberg 2005, S. 178). Hierfür muss neben den Grundvorstellungen auch das Stellenwertverständnis gut entwickelt sein, um die Anzahlen der Endnullen richtig ermitteln zu können. Die Strategie des Vereinfachens beruht hingegen auf dem Prinzip des gleichsinnigen und gegensinnigen Veränderns, sodass keine nachträgliche Korrektur stattfinden

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muss. Durch ein sicheres Verständnis des TTGs wird klar, dass sich die Relationen zweier Zahlen bei Addition und Subtraktion nicht verändern, wenn sich die Mächtigkeit der Zahlen ebenfalls gleichmäßig ändert. Ähnliches gilt für die Punktrechenarten, was besonders durch die räumlich-simultane Anordnung deutlich wird: Halbiere ich die Anzahl der Reihen, verdoppele jedoch die in einer Reihe enthaltenen Elemente, verändert sich das Produkt (und in Umkehrung auch der Quotient) nicht.

Damit gibt es auch bei diesen Strategien keine klar festgelegten Wege, wie das beim stellenweisen Rechnen der Fall ist (Padberg 2005, S. 169). Im Gegensatz zum schritt- und stufenweisen Rechnen eignen sich diese Strategien jedoch nur bei speziellen Aufgaben. Der Grad der entwickelten Grundvorstellungen sowie die Flexibilität dieser ist demnach deutlich höher als bei stufenweisem oder schrittweisem Rechnen. Schriftliche Rechenverfahren In der dritten Klasse werden an deutschen Grundschulen die schriftlichen Rechenverfahren erlernt. Dabei handelt es sich um algorithmische Verfahren, die, aufbauend auf den Grundaufgaben, für das Lösen jeder beliebigen Aufgabe verwendet werden können (ISB; vg. z. B. Staatsministerium für Kultus 2019, S. 18 f.). Mithilfe des Einspluseins und Einmaleins können Aufgaben nach genau definierten Regeln gelöst werden, wobei (außer bei der Division) vom kleinsten zum größten Stellenwert gerechnet wird. Damit handelt es sich jedoch mehr um ein stellengerechtes Ziffern- als ein Zahlenrechnen, wobei eine große komplexe Rechnung in viele kleine Teilschritte zerlegt wird (Selter 2000, S. 228; Selter et al. 2014, S. 135). Im Bezug zur aktuellen Diskussion um den Stellenwert des schriftlichen Rechnens in Deutschland, sollten diese Verfahren immer dann eingesetzt werden, wenn die Rechnung für das Kopf- und halbschriftliche Rechnen zu komplex ist (Gerster 2017, S. 244). Schriftliche Rechenverfahren vermitteln meist große Rechensicherheit, da sie ohne großes Nachdenken und Verständnis zum richtigen Ergebnis führen können (Gerster 2017, S. 245; Selter et al. 2014, S. 135). Gerade wenn nicht die Rechnung selbst, sondern bspw. eine Sachsituation im Mittelpunkt einer Aufgabe steht, entlasten Algorithmen das Arbeitsgedächtnis. Bei richtiger Thematisierung sind diese Verfahren in der Lage

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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ein tieferes Verständnis für das dezimale Stellenwertsystem und die Rechenoperationen zu erzeugen (Gerster 2017, S. 248). Des Weiteren können Schritte des schriftlichen Rechnens auch in das Kopf- und halbschriftliche Rechnen integriert werden, sodass der oder die Lernende je nach Aufgabentyp aus einem breiten Spektrum von Strategien wählen kann. Während für die Addition, Multiplikation und Division hauptsächlich ein Algorithmus verwendet wird, sind in den Lehrbüchern der Grundschulen mehrere Rechenverfahren zum Lösen von Subtraktionsaufgaben vorhanden, die sich zunächst in die zwei Möglichkeiten Ermittlung der Differenz und Behandlung des Übertrags unterscheiden lassen (Padberg 2005, S. 222 ff.; Selter et al. 2014, S. 144). Für beide Methoden existieren unterschiedliche Sprechweisen, die verschiedene Grundvorstellungen voraussetzen. Das Ermitteln der Differenz kann über das Abziehen (Minussprechweise: 43 – 21 bedeutet „3 minus 1 ist 2, 4 minus 2 ist 2“) erfolgen, oder über das Ergänzen (Plussprechweise: „2 plus 1 ist 3, 2 plus 2 ist 4“) (Padberg 2005, S. 222 ff.; Selter et al. 2014, S. 144). Treten Überträge bei diesem Verfahren auf, muss auf die zweite Möglichkeit, die Behandlung des Übertrags zurückgegriffen werden, die wiederum in die drei Techniken Entbündeln, Erweitern und Auffüllen unterschieden werden, wobei letztere nur sehr selten in Schulbüchern verwendet wird, weswegen sie hier nicht genauer beschrieben werden soll (Selter et al. 2014, S. 144). Auch für diese Techniken lassen sich die beiden Möglichkeiten Plus- und Minussprechweise formulieren, die sich durch das Abziehen (minus) und das Ergänzen (von … bis...) unterscheiden. Die erste Technik beruht auf der Entbündelung der nächsthöheren Stelle, sollte der Subtrahend größer sein als der Minuend. Damit muss zum Verständnis dieser Technik das Bündelungsprinzip des Stellenwertsystems klar sein, was nach dem FEB-Modell mit dem Niveau VI erst deutlich nach dem Verständnis des Abziehens (Stufe III) und Ergänzens (Stufe IV) entwickelt wird. Die Minussprechweise beruht wieder auf der Vorstellung der Subtraktion als Wegnehmen oder Abziehen, sodass die Aufgabe 423 – 136 durch folgende verbale Überlegung gelöst werden kann: „3 minus 6 geht nicht. Ich entbündele einen Zehner, das sind zehn Einer, die ich zu den 3 Einern dazuzählen kann. 13 minus 6 ergibt dann 7 […]“ (Selter et al. 2014, S. 144). In der Plussprechweise kommt es wiederum zum Ergänzen, indem festgestellt wird, dass die Ergänzung „[…] von der 6 bis zur 3 nicht geht. Ich entbündele einen Zehner, das sind zehn Einer […]“ (Selter et al. 2014, S. 144). Die Technik des Erweiterns beruht hingegen auf dem Gesetz der Konstanz der Differenzen, wenn sowohl Minuend als auch Subtrahend um die gleiche Zahl verändert werden, wobei die betreffende Stelle des Minuenden um Zehn und der Subtrahend an der nächsthöheren Stelle um eins erweitert wird. („Von der 6 bis

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

zur 13 sind 7, schreibe 7 merke 1, …) (Selter et al. 2014, S. 144). Damit ist für das Verständnis dieses Verfahrens das Verständnis für Relationen zwischen Zahlen notwendig. Dieses entwickelt sich laut FEB-Modell in Stufe V und ist damit als weniger komplex einzuschätzen als die Entbündelungstechnik, für die bereits Stufe VI erreicht worden sein muss. Sowohl bei der Addition als auch bei der Subtraktion ist das Vergessen des Übertrags der häufigste Fehler. Ebenso kommt es häufig vor, dass er an der falschen Stelle notiert wird, besonders dann, wenn der Minuend mehr Stellen hat als der Subtrahend bzw. der erste Summand mehr als der zweite. Des Weiteren kommen Fehler vor, die bereits bei anderen Rechenstrategien zu finden sind, wie Zählfehler, stellenwertisolierte Teilschritte bei der Addition oder dem Wechseln der Rechenrichtung bei der Subtraktion (Padberg 2005; Selter et al. 2014; Wehrmann 2011, S. 34 ff.). Die schriftlichen Rechenverfahren als prozedurales Wissen der Punktrechnungen sind wesentlich komplexer als die der Addition und Subtraktion, da hier ein bloßes stellenweises Vorgehen nicht möglich ist und damit die Einhaltung der Stellenwerte bei der Berechnung deutlich erschwert wird. Während bei der Addition das kleine Einspluseins zur Lösung ausreicht, müssen bei der Multiplikation sowohl das kleine Einmaleins als auch das kleine Einspluseins beherrscht werden. Der Algorithmus besteht dabei aus einer Vielzahl von Teilschritten. Für die schriftliche Multiplikation einer dreistelligen mit einer zweistelligen Zahl sind bspw. allein sechs einzelne Multiplikationen und (ohne Übertrag) zwei Additionen nötig. Dazu kommt noch eine Vielzahl an Rechenrichtungsänderungen (von rechts nach links und von oben nach unten). Treten dann noch Überträge auf, steigert sich die Komplexität des Rechenschemas zusätzlich. Halbschriftliche Rechenverfahren bilden deshalb eine wichtige Alternative zu diesem aufwendigen Vorgehen, denn durch das Distributiv- und Assoziativgesetz lassen sich alle Aufgaben in solche des kleinen Einmaleins und des Rechnens mit Zehnerpotenzen zerlegen. Allerdings nimmt die Summe dieser Zerlegungen mit zunehmender Ziffernanzahl der Faktoren zu und rechtfertigt die Verwendung des Algorithmus. Wie bei der Multiplikation im Allgemeinen so ist auch beim schriftlichen Rechenverfahren der Umgang mit der Null eine der Hauptfehlerquellen. Analog zu den Stufenaufgaben wird das Anhängen von Endnullen vergessen, wenn der Multiplikator oder der Multiplikand eine solche aufweist, dieser Fehler passiert ebenso bei Zwischennullen. Des Weiteren kommt es zu Fehlern aufgrund falscher Stellennotationen (Padberg 2005; Selter et al. 2014; Stiews und Padberg 1986, S. 22). Im Gegensatz zur Multiplikation reicht der Rückgriff auf das kleine Einmaleins bei der Division nicht aus, da zwar der Dividend, jedoch nicht der Divisor

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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in seine einzelnen Stellen zerlegt wird. Stattdessen bildet die Kombination vieler verschiedener Rechenarten und –schritte eine große Schwierigkeit: Jeder Teildividend muss durch Überschlagen ermittelt werden (z. B. bei der Rechnung 14310 : 45 → Wie oft passt die 45 in die 143, oder 143 : 45). Nachdem diese Zahl gefunden wurde, muss dividiert und anschließend wieder multipliziert werden. Die so erhaltene Zahl wird dann vom ersten Teildividenden (schriftlich) subtrahiert und anschließend mit der Differenz weitergerechnet (Padberg 2005, S. 289 f.). Zusammenfassend sind für die Durchführung schriftlicher Rechenverfahren Kombinationen mehrerer Grundrechenarten notwendig. Waren bei der schriftlichen Addition und dem Abziehverfahren der Subtraktion lediglich diese Rechenoperationen nötig, so musste beim Ergänzungsverfahren noch der Zusammenhang von Addition und Subtraktion herangezogen werden. Die schriftliche Multiplikation erfordert dann eine Kombination von Multiplikation und schriftlicher Addition. Bei der schriftlichen Division muss hingegen überschlagen, dividiert, multipliziert und schriftlich subtrahiert werden. Aufgrund der hohen Komplexität des Verfahrens nimmt letzteres in vielen Lehrplänen lediglich eine untergeordnete Rolle ein, indem bloß das Einblickgewinnen in das Rechenverfahren verlangt wird (z. B. ISB; LISUM Berlin-Brandenburg 2017, S. 35; Staatsministerium für Kultus 2019, S. 26). Durch die Vielzahl an Teilschritten ist der Algorithmus der schriftlichen Division sehr fehleranfällig. Besonders häufig treten, je nach Zahlenmaterial, Fehler beim Überschlag auf sowie mit End- und Zwischennullen, die häufig vergessen werden. Auch kommt es bei den Zwischenschritten zu fehlerhaften Subtraktionen und Multiplikationen (letzteres besonders bei zweistelligem Divisor) (Bathelt et al. 1986, S. 40). Damit unterscheiden sich die hier analysierten Rechenstrategien in ihren notwendigen kognitiven Fähigkeiten, ihrer Effizienz beim Rechnen und ihrer Einsatzbreite. Tabelle 3.2 Rechenstrategien und ihre Eigenschaften Notwendiges Verständnis/Wissen

Effizienz

Einsatzbereich

Abruf

Fakten aus dem 1 × 1, 1 + 1 und darüber hinaus

sehr schnell und effizient

nur für begrenzte Zahl von Aufgaben

Zählendes Rechnen

Zahlen als Position in der Zahlenreihe mit Vorgänger und Nachfolger

sehr langwierig, ineffizient vor allem für und fehleranfällig, kaum kleine Aufbau von Faktenwissen Zahlenräume möglich (Fortsetzung)

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Tabelle 3.2 (Fortsetzung) Notwendiges Verständnis/Wissen

Effizienz

Einsatzbereich

Schriftliches Rechnen

Algorithmus, kleines 1 × 1, 1 + 1 oder zählendes Rechnen

z. T. sehr viele Teilschritte, daher sehr zeitaufwendig und wenig effizient, bei Unverständnis sehr fehleranfällig

für alle Aufgaben und Zahlenräume durchführbar

Stellenweises Rechnen

Stellenwertprinzip, grundlegendes TTG (Addition und Subtraktion), Algorithmus oder Operationsverständnis der Grundrechenarten, 1 × 1 und 1 + 1 unter Verwendung von Analogieaufgaben

Anzahl der Teilschritte durch Anzahl der Stellenwerte bestimmt, eher zeitaufwendig

für den Zahlenraum bis 10000 gut geeignet, nicht für die Division

Schrittweises Rechnen

Flexibles TTG (alle Arten in Kombination), Stellenwertverständnis, gutes Verständnis der Grundrechenarten notwendig, Erkennen von Zahlbeziehungen

hohe Effizienz durch geringe Anzahl von Teilschritten durch vorteilhafte Zerlegungen

für den Zahlenraum bis 10000 geeignet, eher für kleinere Zahlenräume

sehr hohe Effizienz durch sehr geringe Anzahl an Teilschritten

nur für spezielle Aufgaben geeignet

Hilfsaufgabe/ Vereinfachen

In Tabelle 3.2 sind die verschiedenen Rechenstrategien und deren Eigenschaften noch einmal vergleichend dargestellt. Dabei steigert sich der Grad der für die Durchführung benötigten mathematischen Kompetenz von oben nach unten. Allerdings hängt er, wie oben dargestellt, darüber hinaus auch vom Zahlenmaterial und von der Rechenart ab und gibt deshalb hier nur eine Tendenz an. Dabei wird deutlich, dass die Effizienz einer Aufgabenlösung mit zunehmendem Grad steigt, da immer mehr Eigenschaften der Zahlen zur Lösungsfindung nutzbar sind. Allerdings sinkt (von den Strategien Abruf und zählendes Rechnen einmal abgesehen) die Einsatzbreite. Zwar können theoretisch auch mit stellen- und schrittweisen Rechenstrategien Aufgaben jedes Zahlenraums gelöst werden, allerdings erhöht sich mit ansteigender Stellenanzahl der kognitive Anspruch deutlich, da immer mehr Zwischenergebnisse memoriert werden müssen. Beim schrittweisen Rechnen sind geeignete Zwischenschritte und -resultate immer schwerer zu

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

97

finden, weswegen diese Methode noch für kleinere Zahlenräume als das stellenweise Rechnen geeignet ist. Das Finden von Hilfsaufgaben und das Vereinfachen sind Strategien, die im Vergleich zum schrittweisen Rechnen einen besonders guten Blick für Zahlbeziehungen benötigen, da sie im Gegensatz dazu nur für spezielle Aufgaben geeignet sind. Während der Einsatz von schrittweisen Strategien in jedem Zahlenraum möglich ist, muss bei diesen speziellen Aufgaben die Eignung dieser Rechenstrategien erst noch erkannt werden, was einen tendenziell höheren Anspruch darstellt. Jeder der aufgeführten Strategien kann auch im Kopf durchgeführt werden, wobei nur das zählende Rechnen und das Abrufen ausschließlich zu dieser Art von Rechenmethoden zu zählen sind. Schülerinnen und Schüler, die über ein gut ausgebildetes Operations- und Stellenwertverständnis verfügen, sollten in der Lage sein für jede Aufgabe die geeignete Strategie zu wählen. Ob dies der Fall ist, oder ob Lernende bestimmte Strategien bevorzugt verwenden, soll im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Verwendung der Rechenstrategien Die vorgenommenen Betrachtungen zeigen, dass den Schülerinnen und Schülern nach Beendigung der Grundschule ein großes Repertoire an Strategien zur Verfügung stehen könnte. Nach dem Strategy-Change-Modell gibt es vier Komponenten, die für die Wahl einer Strategie für die Bearbeitung einer Aufgabe maßgeblich sind (Heinze et al. 2020, S. 16; Siegler 1998, S. 160 ff.; Torbeyns et al. 2002, S. 277): • Die Verfügbarkeit von Strategien (Strategierepertoire), • Informationen darüber, wie oft Strategien des Strategierepertoires genutzt werden und für welche Aufgabentypen sie anwendbar sind (Strategieverteilung), • Sicherheit und Schnelligkeit, mit der Strategien ausgeführt werden können (Strategieausführung) und • Flexibilität und kriteriengeleitete Entscheidung bei der Auswahl einer Strategie aus mehreren, die zur Lösung einer Aufgabe geeignet wären (Strategieauswahl). Davon ausgehend könnte ein hoher Stellenwert der schriftlichen Rechenverfahren abgeleitet werden, da diese durch die Behandlung und häufige Durchführung im Allgemeinen verfügbar sind, diese Strategie für jede Aufgabe anwendbar ist und ein hohes Sicherheitsempfinden mit sich bringt. Halbschriftliche Rechenverfahren sind dagegen für weniger Aufgaben geeignet, dafür jedoch deutlich schneller in der Umsetzung. Dies gilt zwar auch für Hilfsaufgaben und das Vereinfachen,

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

allerdings ist die Anzahl damit lösbarer Aufgaben sehr begrenzt, was dazu führen kann, dass Schülerinnen und Schüler diese Strategien zum einen nicht in die Strategiewahl einbeziehen (sie können sowieso kaum eingesetzt werden) und sie deshalb nicht die Fähigkeiten entwickelt haben diese zu verwenden. Untersuchungen von Selter bzgl. der Verwendung von Rechenstrategien bei Additions- und Subtraktionsaufgaben zeigen tatsächlich, dass nach der Behandlung der schriftlichen Rechenverfahren diese bis zu 60 % bei einfachen Aufgaben verwendet werden und dieser Anteil bis zum Ende der Grundschulzeit nahezu konstant hoch bleibt (Selter 2000, S. 237). Dabei untersuchte er längsschnittlich über drei Messzeitpunkte hinweg die Strategieverwendung von 289 Schülerinnen und Schülern der dritten und vierten Klasse zu Additions- und Subtraktionsaufgaben, wobei nur mit Zahlen im Raum zwischen 100 und 1000 gerechnet wurde, sodass die Verwendung halbschriftlicher Rechenstrategien sinnvoll wäre (Selter 2000, S. 231 f.). Diese verlieren nach der Behandlung der schriftlichen Rechenverfahren der Addition und Subtraktion deutlich an Bedeutung und werden nur noch in 10 % der Fälle, bei dem dieses Verfahren angebracht wäre, verwendet (vorher waren es 35 %). Allerdings bleibt der Anteil des Kopfrechnens mit 30 % bis 55 %, je nach Aufgabe, hoch (Selter 2000, S. 278). Anhand einer Längsschnittstudie von der zweiten bis zur vierten Klasse ermittelte Fast, dass das schriftliche Rechnen besonders von Grundschülern und -schülerinnen verwendet wird, die bereits vorher vor allem stellenweises oder zählendes Rechnen verwendeten (2016, S. 240), also keine Strategie, die Zahlbeziehungen nutzt und zu den unelaborierten Strategien zählt. Bezüglich der Verwendung schriftlicher Rechenverfahren konnte die Studie von Moser Opitz zeigen, dass der von Selter ermittelte hohe Anteil in der Sekundarstufe I wieder abnimmt. So lösten 42,2 % der untersuchten mathematisch unauffälligen Fünftklässler:innen die Aufgaben 199 + 198 und 37,8 % die Aufgabe 701 – 698 schriftlich. Der Anteil der halbschriftlichen Verfahren war mit 44,4 bzw. 33,3 % vergleichbar hoch. Für die Subtraktionsaufgabe blieb die Anteile der beiden Strategien ungefähr gleich. Die Additionsaufgabe lösten hingegen nun noch knapp 30 % schriftlich (Moser Opitz 2013, S. 210 f.). Zählende Rechenstrategien spielen hingegen in der Sekundarstufe I noch eine geringe Rolle (auch bei unauffälligen Schülerinnen und Schülern), deren Anteil jedoch von der fünften bis zur achten Klasse deutlich abnimmt. Hingegen werden tendenziell mehr Aufgaben durch Abruf gelöst (Moser Opitz 2013, S. 221), sodass davon ausgegangen werden kann, dass zählendes Rechnen immer mehr durch Faktenkenntnisse ersetzt werden kann. Die Strategie des Kopfrechnens wurde in dieser Studie nicht erfasst (Moser Opitz 2013, S. 210 f.). Hierfür konnte Wehrle Studienergebnisse liefern. Die Untersuchungen zum Kopfrechnen in der Sekundarstufe I liefern das

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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für den Autor überraschenden Ergebnis, dass die Schülerinnen und Schüler Kopfrechenaufgaben sicher lösen können. Eine der Hypothesen des laufenden Projekts ist die Annahme, die in der Grundschule erworbenen Fähigkeiten im Kopfrechnen werden im Verlauf der Sekundarstufe (möglicherweise durch die Allverfügbarkeit technischer Hilfsmittel) so sehr vernachlässigt, dass sie schwinden. Dies lässt sich verneinen. Wie im Beispiel des Addierens in der Gemeinschaftsschule […] sind die Leistungen im Kopfrechnen je Schulart im Vergleich zwischen den beiden Klassenstufen 5 und 7 nie zurückgegangen, in der Regel sogar deutlich gestiegen. (Wehrle 2018, S. 1015)

Dazu untersuchte der Autor dieser Studie 2175 Schülerinnen und Schüler der fünften und siebten Klasse aus Baden-Württemberg. Exemplarisch gibt er an, dass sie durchschnittlich 50 bzw. 65 % der Aufgaben zur Addition korrekt im Kopf lösen konnten. Übereinstimmend mit den anderen bisher zitierten Studien zum Thema konnte auch Wehrle zeigen, dass Additionsaufgaben am besten, Divisionsaufgaben hingegen am schlechtesten gelöst werden (Wehrle 2018, S. 1015). Allerdings beschreibt Wehrle die verwendeten Aufgaben nicht genauer. Es ist nicht klar, in welchem Zahlenraum sich die Aufgaben bewegen, es wird lediglich geklärt, dass es sich um typische, nicht eingekleidete Rechenaufgaben handelt. Die dargestellten Ergebnisse sind rein quantitativ, sodass über die Vorgehensweise der Schülerinnen und Schüler keine Aussagen getroffen werden können. Selter untersuchte hingegen in seiner Studie ebenso die verschiedenen Vorgehensweisen beim halbschriftlichen Rechnen. Beleuchtet man diese Ergebnisse genauer, so fällt auf, dass das schritt- und stellenweise Rechnen (sowie die Mischform) bei Additions- und Subtraktionsaufgaben nahezu 100 % aller verwendeten halbschriftlichen Rechenstrategien in der Grundschule darstellen, wobei besonders das stellenweise Rechnen Verwendung findet. Strategien wie Ergänzen, Vereinfachen oder Hilfsaufgaben werden hingegen auch bei Aufgaben, bei denen eine dieser Methoden augenscheinlich angebracht ist, kaum genutzt (Selter 2000, S. 246). Dieser Trend setzt sich in der Sekundarstufe I fort. Moser Opitz zeigte, dass die Aufgabe 199 + 198 8,9 % und die Aufgabe 701 – 698 24,2 % der Schülerinnen und Schüler in Klasse fünf über Hilfsaufgaben lösen. In Klasse acht steigerte sich der Anteil auf 23,4 % bei der Additions-, bzw. 34 % bei der Subtraktionsaufgabe (Moser Opitz 2013, S. 210 f.). Warum Hilfsaufgaben und Vereinfachungen so selten verwendet werden und das stellenweise Rechnen so dominant ist, ist nur schwer begründbar, zeigen Einblicke in aktuelle Schulbücher doch, dass sowohl das Verwenden von Hilfsaufgaben und das Vereinfachen unter der Rubrik „vorteilhaftes Rechnen“ sowie das schrittweise Rechnen (jedoch

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

auch die schriftlichen Rechenverfahren) in der fünften Klasse durchaus noch einmal thematisiert werden (z. B. Geukes 2012, S. 36 ff.; Griesel 2012, S. 24 ff.). Ein Blick in den Schweizer Lehrplan, um die Ergebnisse der Studie Moser Opitz‘ besser einordnen zu können, ergibt, dass auch hier das Kopfrechnen, sowie das Finden eigener Lösungswege expliziter Teil des zweiten Zykluses ist4 (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2015). In den Lehrbüchern wird dann jedoch nur das Rechnen mit Stufenzahlen noch einmal thematisiert (Affolter et al. 2013, S. 8). Wenige Studien gibt es bezüglich verwendeter Rechenstrategien zur Multiplikation und Division (Greiler-Zauchner 2016, S. 329). Hirsch untersuchte die Verwendung von Rechenstrategien in den Klassen drei und vier und kam zu dem Ergebnis, dass vor der Behandlung der schriftlichen Verfahren fast ausschließlich das schrittweise Rechnen verwendet wird. Während bei der Multiplikation der Anteil schrittweisen Rechnens bei 80 % lag, waren es bei der Division 94 %. Das Malkreuz wurde nicht ein einziges Mal zum Lösen herangezogen und auch Hilfsaufgaben spielten kaum eine Rolle. Lediglich bei der Aufgabe 420 : 7 wurde diese Strategie verwendet (Hirsch 2001). Der geringe Anteil an stellenweisen Rechenstrategien kann durch das Strategy-Change-Modell erklärt werden, da nur Aufgaben zur Multiplikation mit diesem Verfahren gelöst werden können und dabei nur ein Faktor zerlegt werden kann. Divisionsaufgaben sind damit nicht lösbar, wodurch diese Strategie insgesamt bei deutlich weniger Aufgaben bzgl. der Punktrechenarten angewendet werden kann als das schrittweise Rechnen. Schülerinnen und Schüler, welche die schriftliche Division beherrschen, verwenden, anders als bei Addition und Subtraktion, diese nicht häufiger als halbschriftliche Rechenverfahren. Ehlert und Kolleginnen untersuchten Lernende längsschnittlich von der vierten bis zur fünften Klasse hinsichtlich der Division und stellten fest, dass der Anteil von schriftlichen und halbschriftlichen Rechenstrategien bei Aufgaben mit einstelligem Divisor vergleichbar hoch ist (Ehlert et al. 2014, S. 332). Auch dies kann durch das Strategy-Change-Modell erklärt werden, da der Algorithmus zur schriftlichen Division, im Gegensatz zu denen der Addition und Subtraktion, sehr zeitaufwändig und fehleranfällig ist, sodass sich die Schülerinnen und Schüler eher für das schrittweise Rechnen entscheiden. Im Kompetenzstufenmodell von Humbach sind Aufgaben, in denen Rechenvorteile beim Multiplizieren genutzt werden müssen, dem höchsten Niveau zugeordnet, was bedeutet, dass deren Verwendung mit als komplexeste basismathematische Fähigkeit angesehen werden kann, die von weniger als einem 4

Das entspricht dem dritten bis sechsten Schuljahr.

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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Viertel der Schülerinnen und Schüler beherrscht wird. In der Regel nutzten die Schülerinnen und Schüler den schriftlichen Algorithmus, um Aufgaben wie 3·299 zu lösen, statt eine Hilfsaufgabe zu verwenden. Von den 70 % falscher Lösungen dieser Aufgabe erklären sich 45 % durch Fehler beim schriftlichen Rechnen (Humbach 2008, S. 150 f.) Insgesamt verwenden Schülerinnen und Schüler also kaum die didaktisch wünschenswerten Strategien der Hilfsaufgaben, des Vereinfachens und des Ergänzens (Selter 2000, S. 245 ff.), da diese Strategien einen sehr hohen Grad des Verständnisses voraussetzen und die für die Anwendung geeigneten Aufgaben begrenzt sind. Auch das Zahlenmaterial scheint wenig Einfluss auf die verwendeten Strategien zu haben. Vielmehr wenden die meisten Kinder durchgängig eine konstante Strategie an (Fast 2016, S. 236; Selter 2000, S. 246). Allerdings unterscheidet sich die Verwendung der Rechenmethoden je nach Grundrechenart: Während für das Lösen von Additions- und Subtraktionsaufgaben vor allem das stellenweise Rechnen als halbschriftliche Strategie genutzt wird, ist es bei den Punktrechenarten das schrittweise Rechnen. Schriftliche Rechenverfahren werden darüber hinaus in der Sekundarstufe I noch von vielen Schülerinnen und Schülern verwendet.

3.3.5

Die Fähigkeit zum Sachrechnen

Die inhaltsbezogene mathematische Kompetenz „im Kontext rechnen“ (KMK 2005, S. 9) beschreibt die Fähigkeit zum Lösen von Sachaufgaben unter Anwendung arithmetischer Verfahren. Die in den Bildungsstandards formulierten Kompetenzen versteht das Sachrechnen jedoch nicht als einfaches Herauslesen der Rechenoperationen (mehr als entspricht plus, weniger minus, je mal), sondern beschreibt höhere kognitive Kompetenzen, wie das Herstellen von Beziehungen zwischen Kontext und einzelnen Lösungsschritten, das Überprüfen der Plausibilität des Ergebnisses, Genauigkeitsüberlegungen (ist eine Überschlagsrechnung ausreichend?) oder das systematische Probieren (KMK 2005, S. 9). Im Stufenmodell der Bildungsstandards der Grundschule bildet die Fähigkeit curriculares Wissen auf Sachsituationen anwenden zu können eine Kernkompetenz zum Erreichen einer höheren Stufe. Während in Stufe 1 nur technische Grundlagen zu finden sind, müssen für das zweite Niveau einfache Sachsituationen gelöst werden. Darauf aufbauend gilt es diese in den folgenden Stufen selbstständig zu modellieren und damit verbundene Problemstellungen zu bearbeiten, wobei der Kontext immer weniger vertraut ist und in der höchsten Stufe auch komplexe Modellierungen gelingen sollen (KMK und IQB 2013,

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Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

S. 11 ff.). Damit entscheidet vor allem der Grad der Problemlösefähigkeit in nicht innermathematischen Kontexten über die Einordnung in die Kompetenzstufen. Der Übergang zwischen dem Lösen von Sachaufgaben und dem Modellieren ist dabei fließend, die Verwendung der Begriffe ist nicht klar abgegrenzt und oft synonym. Franke und Ruwisch verwenden deshalb oft den weniger umstrittenen Begriff (Greefrath 2010, S. 6) des Sachrechnens: „Im Allgemeinen wird unter dem Sachrechnen das Bearbeiten von Aufgaben verstanden, die eine Situation des realen Lebens aus dem Erfahrungsbereich der Schüler und Schülerinnen beschreiben […].“ (Franke und Ruwisch 2010, S. 13) Modellieren ist nach Greefrath dann der Übergang zwischen der realen Welt und der Mathematik und beschreibt demnach einen Teilprozess des Sachrechnens (Greefrath 2010, S. 12), denn „Modellieren findet immer dann statt, wenn wir Mathematik in Beziehung, zu der uns umgebenden sozialen oder natürlichen Umwelt bringen.“ (Büchter und Leuders 2016, S. 18). Die Begriffe werden, wie auch Sachaufgabe, Textaufgabe, Aufgabe zum Sachrechnen und Modellierungsaufgabe im Unterricht und ebenso in wissenschaftlichen Studien, wie der von Ehlert und Kolleginnen oder Humbach, nicht oder kaum voneinander abgegrenzt (vgl. Ehlert et al. 2013, S. 245; Humbach 2008, S. 125) und häufig synonym verwendet. Textaufgaben können insoweit von den anderen Begriffen des Sachrechnens abgegrenzt werden, dass die Informationen ausschließlich in Textform gegeben sind und nicht als Bild oder Grafik (Franke und Ruwisch 2010, S. 61), wie es bspw. bei Fermi-Aufgaben der Fall ist. Für Greefrath sind es hingegen Aufgaben, die ganz ohne Umweltbezug auskommen können („Addiere drei und sieben.“) (Greefrath 2010, S. 69). In allen anderen hier aufgeführten Quellen sind Textaufgaben immer mit Sachkontexten verknüpft und sollen innerhalb dieser Arbeit auch so verstanden werden. In vielen Quellen wird besonders der Begriff Modellieren verwendet, ohne Beziehung zu dem von Leuders und Büchter formulierten Bezugsprozess zu nehmen. Aus diesem Grund wird der Begriff Modellierungsfähigkeit, wie ihn Ehlert und Kolleginnen bei den notwendigen mathematischen Kompetenzen beschreiben, als Fähigkeit zum Sachrechnen umgedeutet, wie er dort, zu erkennen an den beigefügten Aufgaben, eigentlich gemeint ist (vgl. Ehlert et al. 2013, S. 245 und S. 253 f.). Im Gegensatz zum Modell der Bildungsstandards, bei dem das Maß an Problemlösefähigkeit in Sachkontexten über die Einordnung in eine Stufe entscheidet, gruppiert Humbach Modellierungs- und Textaufgaben nach der Anzahl der verwendeten Schritte und dem verwendeten Zahlenraum. Während in Stufe I nur einschrittige Lösungsprozesse im Zahlenraum bis 1000 notwendig werden, sind es auf Niveau II bereits mehrere Lösungsschritte. Auf Kompetenzstufe III beinhalten diese auch anspruchsvolle Berechnungen, bei denen mehrere

3.3 Arithmetische Kompetenzen in der Grundschule

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Informationen in unterschiedliche Rechenaufgaben übersetzt werden müssen. In der letzten Stufe müssen dann eigenständig Lösungen für Problemsituationen gefunden und das Ergebnis am Ende des Lösungsprozesses reflektiert werden (Humbach 2008, S. 163 ff.). Der Bekanntheitsgrad des Kontextes spielt im Gegensatz zum Niveaustufenmodell der Bildungsstandards hier keine Rolle. Betrachtet man beide Modelle gemeinsam, kann abgeleitet werden, dass Schülerinnen und Schüler, die den Mindeststandard erreichen in der Lage sind sehr einfache Sachsituationen mathematisieren zu können, was nach Humbach auch tatsächlich gelingt, solange lediglich einschrittige Rechnungen durchgeführt werden müssen und damit kein hoher Grad an ausgebildeten Grundvorstellungen notwendig ist. Sachaufgaben sind u. a. eine Darstellungsform von Grundrechenoperationen und nach dem Grundvorstellungskonzept würde die korrekte Bearbeitung damit auf ausgebildetes Operationsverständnis hindeuten. Das Lösen dieser Aufgaben verläuft im Allgemeinen in vier Stufen: In der ersten Phase erfolgt eine Problemanalyse, bei der herausgelesen werden muss, welche Informationen zur Verfügung stehen, welches Ergebnis erzielt werden soll und welche Daten dafür erst ermittelt werden müssen. Dieser Phase schließt sich die Planungsphase an, bei der Verbindungen zwischen dem Gegebenen und Gesuchten ermittelt werden. Dafür wird das Problem strukturiert, um geeignete Lösungsheurismen zu finden und im nächsten Schritt des Lösungsprozesses den Plan mit geeigneten mathematischen Mitteln auszuführen, bevor im letzten Teilschritt die gewonnenen Ergebnisse noch einmal mit der Ausgangssituation verglichen werden, um festzustellen, ob das gewonnene Ergebnis zum Ursprungsproblem passt. Somit können auch die verwendeten heuristischen Strategien noch einmal reflektiert werden, um sie auf weitere Probleme übertragen zu können (Franke und Ruwisch 2010, S. 66). Dabei können drei unterschiedliche Werte gesucht werden: die Ausgangsmenge (_ ± b = c), die Austauschmenge (a ± _ = c) oder die Gesamtmenge (a ± b = _) (Moser Opitz 2013, S. 203). Bei konsistenten Aufgaben können die Rechnungen und ihre Operationen direkt aus dem Text übersetzt werden, da bestimmte Worte immer für eine Rechenoperation stehen. Der Vorgang des Herauslesens und Lösens kann so meist nach einem gelernten Schema durchgeführt werden. Demgegenüber gibt es inkonsistente Aufgaben, bei denen diese einfache Übersetzung nicht möglich ist, da den Signalwörtern oft eine andere Bedeutung zukommt. Eine hierfür typische Aufgabe ist die so genannte Vergleichsaufgabe, wie folgende: „Ein Eisbärjunges wiegt 352 kg. Sein Eisbärfreund wiegt 65 kg weniger. Wie viel wiegen beide zusammen?“ (Ehlert et al. 2013, S. 249)

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Ein Schüler oder eine Schülerin, der oder die das Wort weniger einfach übersetzen würde, würde die Rechnung 352 – 65 aufstellen, da beide gegebenen Größen durch das Wort „weniger“ verknüpft sind. Damit erhöht die Inkonsistenz der Formulierung den Komplexitätsgrad einer Sachaufgabe. Untersuchungen zeigen, dass die Schwierigkeit einer Sachaufgabe abhängig ist vom verwendeten Zahlenraum, der Anzahl der Teilschritte, der gesuchten Menge und von der bzw. den zu verwendeten Grundrechenoperation/-en. Während konsistente Aufgaben zur Addition und Subtraktion von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I problemlos gelöst werden können, verringert sich der Anteil korrekter Bearbeitungen bei Aufgaben zum TTG, Multiplikations- und besonders bei Divisionsaufgaben sowie Kombinationen davon wie beim Dreisatz. Addition und Subtraktion werden, wie oben dargestellt, im Allgemeinen gut verstanden, wohingegen Grundvorstellungsdefizite bei der Multiplikation, Division und beim TTG deutlich wurden. So überrascht es nicht, dass Aufgaben, bei denen die Austausch- oder Ausgangsmenge gesucht sind, schwerer lösbar sind als solche, bei denen das Endergebnis gesucht ist. Solche Aufgaben erfordern die Einsicht in Teil-Teil-Ganzes-Beziehungen. Für Schülerinnen und Schüler sind Vergleichsaufgaben, also Aufgaben, bei denen die in der Aufgabe verwendeten Hinweisworte nicht zu Rechenoperation passen, am kompliziertesten, da hier die Beziehungen zwischen den Zahlen schwerer zu entschlüsseln sind. Damit stehen die Kompetenzen zum Lösen von Sachaufgaben in einem engen Zusammenhang zum Operationsverständnis der Grundrechenarten und können deren Verständnis offenlegen, was somit für die Diagnostik arithmetischer Basiskompetenzen einen wichtigen Stellenwert für das Erkennen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen einnehmen kann.

3.4

Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse

Das Verständnis des Stellenwertsystems und der Grundrechenoperationen sowie die Fähigkeit zum Sachrechnen bilden die Grundpfeiler der arithmetischen Kompetenzentwicklung der Grundschulzeit und der Sekundarstufe I. Dabei erleichtert der Abruf des kleinen Einmaleins und Einspluseins die Entwicklung höherer mathematischer Kompetenzen, da Aufgaben hierzu nicht mehr berechnet werden müssen und somit nicht die Verarbeitungskapazität des Arbeitsgedächtnisses vermindern. Damit bilden diese Fähigkeiten auch die Hürden oder Stolpersteine, die es zu überwinden gilt, wobei besonders dem zählenden Rechnen und damit dem einseitigen Verständnis von Zahlen als Position in einer Zahlenreihe eine Rolle bei

3.4 Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse

105

der Nichtüberwindung dieser Hürden zukommt, wie im Schema Gersters deutlich wird (Abbildung 3.5).

Abbildung 3.5 Hürden und Stolpersteine beim Erlernen des Rechnens (Gerster 2007, S. 16)

Um alle Hürden überwinden zu können, müssen Schülerinnen und Schüler die fünfte Kompetenzstufe nach dem FEB-Modell erreicht haben, denn diese ermöglicht ein sicheres Verständnis des Stellenwertsystems und der Grundrechenarten im Sinne des TTGs. Allerdings stellte Humbach fest, dass die damit verbundenen Fähigkeiten nur von 50 % der Schülerinnen und Schüler sicher bzw. von 25 % sehr sicher beherrscht werden. Die verschiedenen Teilkompetenzen werden durch unterschiedliche mathematische Anforderungen gelernt und erkannt. So zeigt sich das Stellenwertverständnis darin, Zahlen in verschiedenen Repräsentationsformen darstellen und umwandeln zu können, diese zu ordnen, zu bündeln und zu entbündeln sowie Zahlbeziehungen zu erkennen. Das Operationsverständnis der Grundrechenarten wird ebenso durch die Fähigkeit sichtbar, Rechenoperationen in verschiedenen Darstellungsformen umwandeln zu können. Zu einer dieser Darstellungsformen gehören Sachsituationen, wie sie in Textaufgaben zu finden sind. Des Weiteren wird das Verständnis des Stellenwertsystems und der Grundrechenarten durch die Verwendung elaborierter Rechenstrategien deutlich, denn im Gegensatz zum algorithmischen Vorgehen bei den schriftlichen Rechenverfahren, müssen vor allem beim schrittweisen Rechnen, dem Verwenden von

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3

Mathematische Kompetenzentwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit

Hilfsaufgaben und dem Vereinfachen Grundvorstellungen entwickelt worden sein, Eigenschaften des Stellenwertsystems genutzt und Zahlbeziehungen erkannt werden. Die Studien, die die arithmetischen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe I zeigten, bestätigten übereinstimmend, dass die Lernenden meist über ein gut entwickeltes Stellenwert- und Zahlenraumverständnis verfügen, da sie in der Lage sind, Zahlen in verschiedene Darstellungsformen umzuwandeln, zu bündeln und sie auf dem Zahlenstrahl einzutragen. Allerdings nehmen diese Fähigkeiten mit größer werdendem Zahlenraum ab. Hingegen sind die Grundvorstellungen zu den Grundrechenoperationen eher schwach ausgebildet. Zwar verstehen die Schülerinnen und Schüler die Addition und Subtraktion als Hinzufügen und Wegnehmen, doch bereits deren Zusammenhang als Ergänzen wird häufig nicht verstanden. Auch liegen Defizite in den Vorstellungen zur Multiplikation und besonders zur Division vor, da viele Lernende nicht in der Lage sind, eine Sachsituation für eine einfache Aufgabe anzugeben. Das bedeutet, dass diese Schülerinnen und Schüler die dritte und/oder vierte Hürde des Rechnenlernens nach Gerster nicht bewältigen konnten und damit die arithmetische Kompetenzentwicklung in der Sekundarstufe gefährdet ist. Einen Hinweis auf die Entwicklung dieser Fähigkeiten und mögliche Defizite bilden auch die von den Lernenden gemachten Fehler (Wartha und Benz 2021, S. 13). Zwar werden diese zunächst von allen Schülerinnen und Schülern begangen, doch zeigen sich diese bei Lernenden mit mangelnden arithmetischen Fähigkeiten besonders häufig und hartnäckig. Dabei wurde bei einigen Schülerinnen und Schülern der Erwerb der mathematischen Kompetenzen aufgrund von Entwicklungsverzögerungen bezüglich notwendiger Vorläuferfähigkeiten, im Besonderen der Zahlen-Mengen-Verknüpfung, erschwert. Die Gründe hierfür sind nach den Kausalmodellen von Moser Opitz und Schipper (vgl. Abschnitt 2.2) vor allem Defizite auf individueller, im speziellen auf kognitiver und sozialer bzw. familiärer Ebene zu finden. Der Mathematikunterricht der Grundschule kann diese Defizite teilweise nicht ausgleichen oder verstärkt sie mitunter, indem bspw. zählendes Rechnen als Strategie lange Zeit zugelassen und gefördert wurde. Dadurch kann der Übergang von einer ordinalen zu einer kardinalen Zahlvorstellung nicht stattfinden und so das Erreichen der dritten Niveaustufe des FEB-Modells behindern. Für ein Diagnoseverfahren zum Erkennen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen bilden die Hürden des Rechnenlernens das Fundament der konzeptuellen Aufgabengestaltung, wobei vor allem die Fähigkeit des Darstellungswechsels, die verwendeten Rechenstrategien und die beim Lösen gemachten Fehler im Mittelpunkt stehen müssen (Wartha und Benz 2021, S. 13). Dabei stellt sich

3.4 Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse

107

die Frage, wie sich die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit unauffälliger von problematischer Kompetenzentwicklung unterscheiden, da es nicht sinnvoll erscheint Aufgaben einzusetzen, die beide Gruppen gut bzw. kaum lösen können. Deshalb sollen im Folgenden die Fähigkeiten von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I hinsichtlich der arithmetischen Basiskompetenzen genauer beleuchtet werden.

4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der Sekundarstufe I im Bereich der natürlichen Zahlen

Rechenschwäche ist aus der mathematikdidaktisch-entwicklungspsychologischen Forschungsperspektive vor allem Gegenstand der Grundschuldidaktik, da die in der Definition der ICD-11 beschriebenen Kompetenzen eben Teil des Curriculums der ersten vier Schuljahre sind. Aus der diesbezüglichen Forschungsliteratur wird deutlich, dass besonders die Entwicklung kardinaler Vorstellungen für Schülerinnen und Schüler eine große Hürde im Prozess des Rechnenlernens darstellt, da hierdurch der Aufbau von Grundvorstellungen und des Stellenwertverständnisses behindert werden (Gaidoschik 2011, S. 35; Lorenz 2014, S. 44; Schulz 2014b, S. 91; Wehrmann 2008, S. 1). Gründe hierfür werden von Autoren und Autorinnen verschiedener Forschungsrichtungen auf unterschiedlichen Ebenen verortet. So gehen Neurowissenschaftler und -wissenschaftlerinnen davon aus, dass durch kognitive Defizite, die auch angeboren sein können, die Ausbildung kardinaler Vorstellungen erschwert bzw., bei der Betrachtung von genetisch bedingten Rechenstörungen, unmöglich gemacht wird. Andere Wissenschaftler:innen wie Gaidoschik nehmen hingegen an, dass besonders didaktische Mängel der Lehrkräfte für die Verhärtung des zählenden Rechnens verantwortlich sind. Die dritte Position, die bspw. von Moser Opitz oder Schipper vertreten wird, geht hingegen von einem Wechselspiel zwischen individuellen, sozialen und schulischen Defiziten bei der Verfestigung des zählenden Rechnens und damit ordinaler Zahlvorstellungen aus (detailliert hierzu Abschnitt 2.1). Unabhängig von den Ursachen der Schwierigkeiten im Verständnis, haben die entstanden Defizite Folgen für das Lernen von Mathematik in der Sekundarstufe I. Welche das sind, welche Kompetenzen im Laufe der Schuljahre noch erworben werden und welche Fehlvorstellungen sich verfestigen ist für ein diagnostisches Verfahren zum Erkennen von Rechenschwäche essenziell und soll deshalb im weiteren genauer betrachtet werden.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_4

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

Für die Sekundarstufe I gibt es nur wenige Untersuchungen zu den Schwierigkeiten und Fähigkeiten von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern. Die wichtigste Studie auf diesem Gebiet stammt von Elisabeth Moser Opitz aus dem Jahr 2007, in der sie deren arithmetische Fähigkeiten mit normalem und unterdurchschnittlichem IQ im Vergleich zu mathematisch durchschnittlichen Kindern untersuchte (2013, S. 146). Dabei führte sie schriftliche Tests und Interviews mit 2458 Fünft- und 1540 Achtklässler:innen deutsch-schweizer Regel- und Sonderschulen durch. Die besondere Bedeutung dieser Studie ist durch die Breite der untersuchten mathematischen Kompetenzen zu erklären, da alle bisher betrachten Fähigkeiten hier untersucht wurden. Innerhalb ihrer Studie konnte sie keine signifikanten Unterschiede zwischen den Fähigkeiten von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern mit normalem und unterdurchschnittlichem IQ feststellen (Moser Opitz 2013, S. 182 f.), was gegen die von der ICD-10 definierten Kriterien für die Anerkennung einer Dyskalkulie spricht. Des Weiteren steigerten sich die rechenschwachen Schülerinnen und Schüler in fast allen Gebieten von der fünften zur achten Klassenstufe hin (Moser Opitz 2013, S. 188 ff.), was zeigt, dass diese Lernenden zwar hinter denen mit unauffälligen Leistungen zurückliegen, jedoch trotzdem weiter arithmetische Basiskompetenzen erwerben, obwohl diese nicht mehr explizit Teil des Curriculums sind. Weitere Studien beziehen sich auf spezifischere Kompetenzen von Hauptschülern und -schülerinnen, wie die Interviewstudie von Schäfer der Klassenstufe fünf oder die Studie Mittelbergs für die Klassenstufe sieben und acht zu Rechenfertigkeiten. Eine Besonderheit unter den Studien zu Rechenschwäche in der Sekundarstufe I ist die Studie von Balzer und Kolleg:innen. Sie reanalysierten die 2002 in allen achten Klassen in Rheinland-Pfalz durchgeführte MARKUS-Studie um Daten über Häufigkeit, Erscheinungsformen und Ausprägungen von Rechenproblemen in der Sekundarstufe zu gewinnen (Balzer et al. 2007, S. 177). Da während der Durchführung keine Unterscheidung in rechenschwache und nicht rechenschwache Schülerinnen und Schüler vorgenommen wurde, bestimmten die Autor:innen die 3 % der schlechtesten Schülerinnen und Schüler und analysierten deren Noten in den anderen Hauptfächern. Als rechenschwach galten diejenigen, die in den Vergleichsnoten (Deutsch und Englisch) des vorherigen Halbjahreszeugnisses mindestens die Note 3 erreichten. Damit sollte, in Anlehnung an die Definition nach ICD-10 und das Diskrepanzkriterium, die Auswahl der Schülerinnen und Schüler so verändert werden, dass bei diesen möglichst nur eine isolierte Störung im Fach Mathematik vorliegt, es sich jedoch nicht um allgemein sehr leistungsschwache Schülerinnen und Schüler handelt. Des Weiteren existieren ältere Studien aus dem nicht-deutschen Sprachraum, wie die von Ostad

4.1 Das Stellenwertverständnis

111

zu Rechenstrategien oder von Cawley und Kolleg:innen, die ebenfalls arithmetische Fertigkeiten untersuchten. Die Ergebnisse der hier aufgeführten Studien sollen aufgeschlüsselt werden in die vier arithmetischen Basiskompetenzen, wie sie Ehlert und Kolleg:innen formulierten.

4.1

Das Stellenwertverständnis

Die Ergebnisse auf diesem Gebiet sind ehr spärlich, da nur in den Studien von Moser Opitz, Humbach und Schäfer explizit Aufgaben zum Stellenwertsystem gestellt wurden. Letztere überprüfte die arithmetischen Kenntnisse von 43 rechenschwachen Schülerinnen und Schülern der fünften Klasse der Hauptschule mittels diagnostischer Interviews (Schäfer 2005, S. 95). In beiden Studien fanden sich Aufgaben zum Bündeln und Entbündeln, dem Umgang mit dem Zahlenstrahl sowie Zählfähigkeiten. Zu den Kompetenzen des Ordnens und Vergleichens von Zahlen sowie dem Umwandeln in verschiedene Repräsentationsformen (außer dem Zahlenstrahl) liegen hingegen keine Ergebnisse vor. Die Resultate Humbachs zum Verständnis des Dezimalsystems zeigen, dass die untersuchten Schülerinnen und Schüler im Zahlenraum bis 1000 meist ein gutes Verständnis entwickelt haben. Allerdings gelingt es besonders Haupt- und Gesamtschüler:innen häufig nicht dieses Wissen auf den Zahlenraum über 20 000 zu erweitern, da hier bei Aufgaben zum Entbündeln Fehlerquoten von über 25 % festgestellt werden konnten (Humbach 2008, 118) und auch Transkriptionsaufgaben, bei denen die umzuwandelnden Zahlen mindestens fünfstellig waren und eine Null enthielten, wurden von rund 18 % der Lernenden dieser Schulformen nicht korrekt gelöst, wobei es besonders häufig zu Stellenwertfehlern kam, bei denen die Null weggelassen, die lautgetreue Schreibweise verwendet wurde oder Zahlendreher auftraten (vgl. Abschnitt 3.3.1) (Humbach 2008, S. 117 f.). Es ist davon auszugehen, dass dieser Effekt bei Rechenschwachen ebenfalls feststellbar ist und dementsprechend vor allem Schwierigkeiten im höheren Zahlenbereich auftreten, da sich die 25 % der schwächsten Schülerinnen und Schüler in der Studie Humbachs, unter denen sich mögliche rechenschwache Schülerinnen und Schüler befinden, lediglich im Zahlenraum bis 1000 sicher bewegen konnten (Humbach 2008, S. 165). Durch die Studien von Moser Opitz und Schäfer konnte des Weiteren ermittelt werden, dass das Bündeln von Mengen (Zehnerbündel bilden) den meisten rechenschwachen Fünft- und Achtklässler:innen gelingt, auch das Stellenwertprinzip ist den meisten klar, da sie die Bedeutung der 2 bzw. der 3 in der Zahl

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

1234 beschreiben konnten (Moser Opitz 2013, S. 202; Schäfer 2005, S. 99). Deutlich schwächer zeigten sich die Fähigkeiten in beiden untersuchten Schuljahren beim Entbündeln, was durch Aufgaben wie 100000 – 10 oder dem Umwandeln von Stellenwertschreibweisen überprüft wurde (3T, 42Z, 7E). Hierbei lagen die Lösungsquoten der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler zwischen 17,6 und 24,7 % (Moser Opitz 2013, S. 202). Mittenberg stellte innerhalb seiner Studie mit Siebt- und Achtklässler:innen der Hauptschule (acht Klassen) in den von ihm verwendeten informellen Tests zwar keine Aufgaben explizit zum Stellenwertsystem (vgl. Mittelberg 2004, S. 40), doch findet sich in den Aufgaben zu Addition und Subtraktion die Rechnung 15000 – 15, die von allen Aufgaben dieses Bereichs mit 35,6 % die höchste Fehlerquote zeigt. Er gibt an, dass der Großteil der Fehler durch Stellenwertprobleme verursacht wurde, schlüsselt die Ergebnisse jedoch nicht in die untersuchten Klassenstufen auf, sodass nicht festgestellt werden kann, ob es hier ebenfalls zu keiner Verbesserung kommt (Mittelberg 2004, S. 65 f.). Allerdings zeigen die Vergleiche der hier aufgeführten Studien mit den Ergebnissen unauffälliger Schülerinnen und Schüler, dass auch ihnen das Lösen solcher Aufgaben schwerfällt (vgl. Abschnitt 3.3.1). Im Umgang mit dem Zahlenstrahl liegen die Lösungsquoten der rechenschwachen Lernenden bei 31,5 % in Klasse fünf und 40 % in Klasse acht, und damit signifikant unter den Ergebnissen der Vergleichsgruppe, wobei Moser Opitz nicht angibt, in welchem Bereich sich die einzuordnenden Zahlen befanden (vgl. Moser Opitz 2013, S. 202). Die Zählfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen unterscheiden sich stark, je nach Aufgabenstellung. Zwar gelingt ihnen das Weiterzählen relativ sicher (in beiden Studien Lösungsquoten über 70 %), jedoch zeigen sich bereits in kleineren Zahlenräumen bis 150 Defizite beim Rückwärtszählen (Moser Opitz 2013, S. 189; Schäfer 2005, S. 100 f.). Signifikant schwache Leistungen treten dann besonders beim Zählen in Sprüngen auf, wobei nur geringe Schwankungen in den Lösungsquoten zwischen den verschiedenen Aufgabenstellungen zu finden sind. In der Studie von Moser Opitz lösten die Aufgaben zum Vorwärts- und Rückwärtszählen in Zweier-, Zehner- und Hundertersprüngen 40 bis 48 % der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler richtig (Moser Opitz 2013, S. 189). In der Untersuchung Schäfers schwankt der Anteil hingegen zwischen 51 und 63 % (Schäfer 2005, S. 101 ff.). Dabei zeigte sich, dass besonders Fehler bei den Übergängen zwischen Zehnern und Hundertern auftreten, jedoch auch Zahlenauslassungen und Wechsel der Schrittgröße, besonders an Übergängen zu finden sind (Moser Opitz 2013, S. 189). Die besseren

4.2 Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept

113

Lösungsquoten der zweiten Studie sind auf die Möglichkeit der spontanen Korrektur durch die Lernenden zurückzuführen, die es in der Studie von Moser Opitz nicht gab. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler über breite Defizite im Stellenwertverständnis verfügen. Zwar haben sie das Bündelungs- und Stellenwertprinzip verstanden und können vorwärts weiterzählen, jedoch sind sie zumeist nicht in der Lage Zahlen zu entbündeln, auf dem Zahlenstrahl einzutragen und rückwärts oder in Sprüngen zu zählen. Nach den Ergebnissen von Humbach scheinen die Probleme in größeren Zahlenräumen noch anzusteigen, was jedoch auch bei unauffälligen Schülerinnen und Schülern der Fall ist.

4.2

Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept

Nach dem Modell Gersters bildet das Verständnis des TTGs eine entscheidende Schwierigkeit beim Erlernen des Rechnens, da dies Teil der Hürde 2 (Zahlen als Zusammensetzung anderer Zahlen), 3 (Stellenwertkonzept im Sinne des TTGs) und 4 (Verständnis der vier Rechenoperationen im Sinne des TTGs) ist (vgl. Abbildung 3.5) (Gerster 2007, S. 16). Zum Verständnis des TTGs ist das Erreichen der vierten Niveaustufe nach dem FEB-Modell notwendig, um die determinierte Beziehung zwischen Teilen und dem Ganzem erkennen zu können (Fritz et al. 2018, S. 19). Im Vergleich zum Stellenwertverständnis zeigt sich die Studienlage hinsichtlich der Strichrechenarten deutlich umfangreicher, auch existieren einige Befunde zur Ausbildung des TTGs. Zur Überprüfung des Operationsverständnisses forderten Moser Opitz und Schäfer die Lernenden auf, die Rechenaufgaben 5 + 3 und 9 – 5 mithilfe von Material darzustellen oder sie in einen Sachkontext einzubetten (Moser Opitz 2013, S. 206; Schäfer 2005, S. 204 f.). Dabei konnten für die Addition etwas höhere Lösungsquoten festgestellt werden als für die Subtraktion. Jedoch zeigte sich in beiden Studien, dass ein Großteil der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler in der Lage ist, die Aufgaben richtig zu veranschaulichen, auch wenn der Anteil korrekter Lösungen in Klasse fünf bei Moser Opitz mit 71,9 % für die Addition und 68,5 % für die Subtraktion geringer ausfällt als bei Schäfer, in der beide Rechenoperation von über 90 % der Schülerinnen und Schüler veranschaulicht werden konnten (Moser Opitz 2013, S. 206; Schäfer 2005, S. 206). Diese Unterschiede können einerseits durch eine andersartige Untersuchungsgruppe zustande kommen, andererseits stellt Moser Opitz

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Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

härtere Kriterien für eine korrekte Antwort. So mussten sowohl die zu berechnenden Zahlen in der Darstellung vorkommen als auch das Ergebnis. Des Weiteren wurde bei kommutativen Rechenoperationen die Einhaltung der korrekten Reihenfolge für eine richtige Lösung vorausgesetzt (Moser Opitz 2013, S. 205 ff.) und dies könnte so die Lösungsquote bei der Bearbeitung dieser Aufgaben weiter senken. Allerdings verbesserte sich die Untersuchungsgruppe vom fünften zum achten Schuljahr deutlich. Nun konnten 90,6 % der rechenschwachen Kinder die Addition korrekt veranschaulichen, bei der Subtraktion waren es 81,2 %. Übereinstimmend zeigen die Studien von Moser Opitz, Cawley und Kolleg:innen1 , Mittelberg und Schäfer, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler der Klassen fünf bis acht einfache Aufgaben zur Addition sicher lösen und ähnlich gute Ergebnisse erzielen wie Lernende ohne mathematische Lernschwierigkeiten (Cawley et al. 2001, S. 319; Mittelberg 2004, S. 68; Moser Opitz 2013, S. 191 f.; Schäfer 2005, S. 275). Die Ergebnisse für Subtraktionsaufgaben sind hingegen etwas schwächer als die zur Addition und zur Vergleichsgruppe einzuschätzen (Cawley et al. 2001, S. 319; Mittelberg 2004, S. 68; Moser Opitz 2013, S. 193 f.; Schäfer 2005, S. 307), wobei sie ihre Fähigkeiten in beiden Strichrechenarten über die Schuljahre hinweg steigern konnten (Cawley et al. 2001, S. 320; Moser Opitz 2013, S. 192). Allerdings unterscheiden sich die Lösungshäufigkeiten nach der Größe des Zahlenraums und nach der Anzahl der Überträge. So sinken die von Schäfer ermittelten Lösungsquoten bei Additionsaufgaben von rund 90 % bei zweistelligen Zahlen ohne Zehnerübertrag auf 72 % mit einem solchen. Das schlechteste Resultat wurde bei der Aufgabe 70 + 360 mit 65 % Lösungsquote erzielt (Schäfer 2005, S. 275). Bei der Subtraktion liegen die Prozentpunkte rund 10 % unter denen der Addition, wobei die schwerste Aufgabe 1683 – 7 gar von nur 49 % gelöst werden konnte (Schäfer 2005, S. 307). In der Studie von Mittelberg lässt sich der Trend ebenfalls feststellen, auch wenn dort insgesamt höhere Lösungsquoten zu erkennen sind (Mittelberg 2004, S. 68). Die anderen Studien unterscheiden entweder nicht zwischen den verschiedenen Typen oder geben keine Lösungsquoten an. Beim Abrufen von Zahlenfakten des kleinen Einspluseins ist die Ergebnislage nicht eindeutig. So zeigten die rechenschwachen Schülerinnen und Schüler in der Studie Cawleys und Kolleg:innen deutlich schlechtere Resultate, als ihre

1

Sie untersuchten hierfür die Fähigkeiten von 937 mathematisch unauffälligen und 197 USAmerikanischen Schülerinnen und Schülern mit Rechenschwäche mittels eines adaptiven Tests, beginnend mit einfachen Additionsaufgaben auf Stufe 1 bis hin zu Multiplikationsund Divisionsaufgaben mit zwei und dreistelligen Divisor bzw. Faktoren in den Leveln 7 und 8 (Cawley et al. 2001, S. 311 und S. 320).

4.2 Addition, Subtraktion und Teil-Teil-Ganzes-Konzept

115

unauffälligen Mitschüler:innen, wobei besonders beim Lösen von Subtraktionsaufgaben deutliche Defizite feststellbar sind, jedoch ist hier ebenfalls eine Steigerung bei der Lösung solcher Aufgaben über die Schuljahre hinweg zu beobachten (Cawley et al. 2001, S. 319). In der Untersuchung von Ostad zeigen Schülerinnen und Schüler bei einfachen Aufgaben der Form a ± b in der sechsten Klasse mit Lösungsquoten von 94 % vergleichbar gute Ergebnisse wie die unauffälligen Lernenden (100 %) (Ostad 1998, S. 10). Snorre A. Ostad erforschte vor allem längsschnittlich die Strategieverwendung rechenschwacher norwegischer Schülerinnen und Schüler beim Lösen einfacher Additions- und Subtraktionsaufgaben und erzielte in allen Studien zwar Ergebnisse, die tendenziell mit denen anderer Forscher:innen übereinstimmen, jedoch sonst deutlich von diesen abweichen. Dabei werden sowohl sehr viel positivere Ergebnisse rechenschwacher Schülerinnen und Schüler, wie im Fall des Faktenabrufens bei einfachen Additions- und Subtraktionsaufgaben, erzielt als prägnant schlechtere wie bspw. der Anteil zählender Rechner:innen, sodass diese Unterschiede nicht einfach mit der Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe erklärbar sind. Diese stellt er bei der hier erwähnten Studie anhand von zwölf Schulen zusammen, wobei als MD children (mathematik disable children) diejenigen angesehen wurden, die über mehr als zwei Jahre an einem in die Schulen integrierten speziellen Unterstützungs-Programm teilgenommen haben (Ostad 1998, S. 6). Worauf diese deutlichen Unterschiede in den Studienergebnissen zurückzuführen sind, ist unklar, da auch die PISA-Ergebnisse von Norwegen mit denen der Schweiz vergleichbar und deutlich besser sind als die Deutschlands oder der USA (OECD 2019, S. 106), sodass nicht das Schulsystem an sich oder allgemeine schlechtere Schülerleistungen die Ursache sein können. Aus diesem Grund können die Ergebnisse Ostads nur mit Vorbehalt in die Analyse der Fähigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler, wie die zu zum Ergänzen, einbezogen werden. In der Studie waren nur 2 % der als rechenschwach eingeschätzten Schülerinnen und Schüler in der Lage Aufgaben der Form a ± _ = c zu lösen. Bei Items der Form _ ± b = c lag diese Quote bei nur 1 %, wobei nur Aufgaben im Zahlenraum bis 20 verwendet wurden und somit Faktenwissen abgerufen werden können, was nach eben dieser Studie bei den überprüften Kindern vorhanden ist (zum Vergleich: die Lösungsquote der Kontrollgruppe betrug 84 % beim ersten Aufgabentyp und 76 % beim zweiten Typ) (Ostad 1998, S. 10). Moser Opitz und Schäfer konnten hier deutlich positivere Ergebnisse feststellen, auch wenn die Lösungsquote mit rund 65 % in der fünften und achten Klasse bei Aufgaben mit vierstelligen Summanden bzw. Minuenden deutlich tiefer lag, als bei einfachen Additions- und Subtraktionsaufgaben (Moser Opitz 2013, S. 195 f.; Schäfer 2005, S. 307). Auch hier sanken die Anteile richtiger Lösungen mit steigender Größe des Zahlenraums

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

und der Anzahl der Übergänge (Schäfer 2005, S. 275 und S. 307). Des Weiteren wurden Aufgaben zum Ergänzen bei der Subtraktion besonders im Zahlenraum ab 1000 schlechter gelöst als die zur Addition, wobei es hier vor allem zu Abzählund Stellenwertfehlern kam (Schäfer 2005, S. 275 und S. 307). Oft wurden völlig unmögliche Ergebnisse genannt, die auf fehlende Größenvorstellungen hinweisen (Moser Opitz 2013, S. 196). Der Grund für den hohen Fehleranteil bei Aufgaben zum Ergänzen liegt im fehlenden Verständnis des TTGs, denn nur 25,8 % der getesteten rechenschwachen Fünftklässler:innen und 34,1 % der Achtklässler:innen konnten die Aufgabe 73 + ? = 100 veranschaulichen, wobei jedoch die Vergleichsgruppe hier ebenfalls große Defizite zeigte (Moser Opitz 2013, S. 196). Bei der Lösung von Additions-, Subtraktions- und Ergänzungsaufgaben kam es bei den rechenschwachen Schülerinnen und Schülern der fünften Klasse besonders häufig zu Fehlern im Bereich des Zahl- und Operationsverständnisses sowie zu Abzählfehlern (Schäfer 2005, S. 320 und S. 287). Dabei bildete die erste Fehlerkategorie mit 55 % bei der Addition (auch Ergänzen) und 39 % bei der Subtraktion (und Ergänzungen) den größten Fehlerschwerpunkt, wobei diese Fehler in Probleme im Stellenwertverständnis, in der Zahlauffassung (z. B. Hörverständnisfehler und Zahlendreher), der Zahldarstellung (z. B. Unsicherheit bei der Zahlwortbildung oder der Zahlenschreibweise) sowie in den Verlust der Orientierung unterteilt werden (Schäfer 2005, S. 320 und S. 287). Allerdings schlüsselt die Autorin die Fehlerhäufigkeiten nicht noch einmal in diese Unterkategorien auf. 14 % der Fehler bei der Addition bzw. 11 % bei der Subtraktion lassen sich hingegen auf Zählfehler zurückführen. Der Anteil von Fehlern durch mangelnden Operationsverständnis ist in Übereinstimmung zu den guten Ergebnissen der rechenschwachen Schülerinnen und Schülern zu den Grundvorstellungen mit 4 % bei Plusrechenaufgaben und 8 % bei solchen zum Subtrahieren eher gering. So ist insgesamt davon auszugehen, dass einem Teil der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler das Lösen von Additions-, Subtraktions- und Ergänzungsaufgaben aufgrund von mangelnden Stellenwert- und Zahlverständnis nicht gelingt. Ebenfalls spielen bei der Subtraktion auch Fehler, die beim schriftlichen Rechnen gemacht wurden (ohne das diese Strategie zur Bearbeitung vorgegeben wurde) mit 11 % eine größere Rolle (Schäfer 2005, S. 320), wobei hier nicht klar ist, ob diese Fehler ebenfalls vor allem durch mangelndes Operationsverständnis verursacht wurden. Zusammenfassend haben rechenschwache Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe die Rechenoperationen der Addition vergleichbar gut wie unauffällige Lernende verstanden und können Aufgaben des Formats a + b = _ sicher lösen. Verständnis und Rechenfertigkeiten bezüglich der Subtraktion sind wenig

4.3 Multiplikation und Division

117

schlechter ausgeprägt. Des Weiteren sind sie in der Lage die Aufgaben des kleinen Einspluseins abzurufen. Allerdings sind die Fähigkeiten Aufgaben dieser Art zu lösen abhängig vom verwendeten Zahlenraum und der Anzahl der Überträge, sodass davon ausgegangen werden kann, dass rechenschwachen Schülerinnen und Schülern vor allem das Rechnen im Zahlenraum bis 1000 gut gelingt, wie es im Niveau I im Stufenmodell von Humbach definiert ist. Es scheint, als hätten viele rechenschwache Schülerinnen und Schüler Niveau III des FEB-Modells erreicht, auf dessen Grundlage die Grundvorstellungen für die Addition und Subtraktion als Hinzufügen oder Wegnehmen mithilfe des Verständnisses für Kardinalitäten möglich wird. Die Kompetenzstufe IV hingegen, die das Verständnis für das TTG ermöglicht, wurde von ihnen häufig nicht erreicht, da Aufgaben zum Ergänzen deutlich höhere Fehlerquoten im Vergleich zu den unauffälligen Mitschülern und Mitschülerinnen zeigen.

4.3

Multiplikation und Division

Für rechenschwache Schülerinnen und Schüler untersuchten ebenfalls nur Schäfer und Moser Opitz das Operationsverständnis innerhalb der Punktrechenoperationen. Die Ergebnisse fielen gravierend schlechter aus als bei der Addition und Subtraktion: In der Studie von Schäfer konnten ca. 45 % der Kinder die Aufgabe 3 · 7 bzw. 4 · 6 weder mit Material nachlegen noch eine passende Sachsituation finden und zeigten dementsprechend ein problematisch ausgebildetes Operationsverständnis der Multiplikation. Noch schlechtere Resultate wurden für die Division erzielt (16 : 4), bei der diese Lösungsquote bei 53 % lag (Schäfer 2005, S. 209) und nur 10 % der untersuchten Kinder gelang es beide Anforderungen an das Operationsverständnis zu erfüllen. Ähnlich schlecht schnitten die Schülerinnen und Schüler in der Studie von Moser Opitz ab. Eine Sachsituation für die Aufgabe 3 · 7 konnten hier gar nur 29,2 % der rechenschwachen Fünftklässler:innen nennen, bei der Division sank die Quote auf 19,1 % (12 : 4). Allerdings traten, wie bei der Addition und Subtraktion, auch hier deutliche Verbesserungen zum achten Schuljahr hin auf. Nun gelang es immerhin 48,2 % der rechenschwachen Achtklässler:innen, die Multiplikationsaufgabe korrekt darzustellen. Bei der Division lag die Lösungsquote nun bei 31,8 % (Moser Opitz 2013, S. 206). Um Multiplikations- und Divisionsaufgaben lösen zu können, spielen neben dem schriftlichen Rechnen, vor allem das schrittweise Rechnen, das Verdoppeln oder Halbieren, der Abruf des kleinen Einmaleins sowie das Herleiten von Aufgaben eine wichtige Rolle (vgl. Abschnitt 3.3.3.). Schäfer untersuchte diesbezüglich die Rechenfertigkeit mit Aufgaben, die für die letzten drei Rechenstrategien

118

4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

geeignet sind. Dabei wurden Verdopplungsaufgaben bis in den zweistelligen Bereich von fast allen Schülerinnen und Schülern korrekt gelöst (zu 98 %), erst bei dreistelligen Faktoren sank die Lösungsquote auf 58 % (Schäfer 2005, S. 248). Halbieren gelang hingegen deutlich schlechter. So konnten die Aufgaben 180 : 2 nur 67 % der Lernenden lösen (Schäfer 2005, S. 293). Moser Opitz erhielt hingegen für beide Prozesse in beiden untersuchten Klassenstufen sehr schwache Ergebnisse, wobei besonders häufig schriftlich oder zählend gerechnet wurde oder es zu falschen Herleitungen kam (2 · 7 = 14 → 2 · 17 = 114) (Moser Opitz 2013, S. 194 f.). Probleme beim Lösen von Stufenaufgaben konnten übereinstimmend in allen Untersuchungen festgestellt werden, wobei es fast ausschließlich zu Stellenwertfehlern kam. Die Aufgaben für die Multiplikation wurden dabei genauso wenig gelöst, wie die der Division (Mittelberg 2004, S. 82; Moser Opitz 2013, S. 198; Schäfer 2005, S. 393). Im Gegensatz dazu wurden Aufgaben zum Abruf des kleinen Einmaleins häufig korrekt bearbeitet, allerdings besteht hier eine Diskrepanz zwischen Multiplikations- und Divisionsaufgaben. Während Aufgaben zur Multiplikation sicher gelöst werden konnten, in der Studie von Cawley sogar vergleichbar wie die des kleinen Einspluseins bei der Addition, gelang das bei den gleichen Aufgaben zur Division deutlich seltener (Cawley et al. 2001, S. 319; Moser Opitz 2013, S. 198; Schäfer 2005, S. 348 und 393). So waren bspw. in der Untersuchung Schäfers 51 % der Kinder nicht in der Lage die Aufgaben 18: 2 zu lösen (Schäfer 2005, S. 393). Dieses Ergebnis scheint interessant im Vergleich zur Studie Ehlerts und Kolleg:innen, in der die Aufgabe 9 · x = 18 die höchste Lösungsquote erzielte (Ehlert et al. 2013, S. 253). Sicherlich sind beide Studien durch unterschiedliche Stichprobenzusammensetzungen nicht vergleichbar, es scheint jedoch eine Tendenz zu geben, nach der die Multiplikation nicht als Umkehroperation zur Division erkannt wird, was die unterschiedlichen Kompetenzen beim Lösen von kleinen Einmaleinsaufgaben bei Multiplikation und Division erklärt. Allerdings unterscheiden sich auch die Lösungsquoten der Multiplikation je nach Zahlenmaterial. So stellte Schäfer einen Unterschied von neun Prozentpunkten bei Aufgaben mit vertauschten Faktoren fest. Tendenziell scheinen des Weiteren Aufgaben aus der höheren Siebeneroder Achterreihe schwerer lösbar zu sein als die übrigen Aufgaben (Moser Opitz 2013, S. 198; Schäfer 2005, S. 348). Dies lässt sich möglicherweise damit begründen, dass diese Aufgaben sehr spät in der Multiplikationsfolge (auch in der des anderen Faktors) auftreten und somit in der Wortfolge weit hinten kommen. Weniger Ergebnisse liegen für Aufgaben vor, die nicht durch die Rechenstrategien des Verdoppelns/Halbierens, Herleitens oder Abrufens zu lösen sind. Nach der Untersuchung von Cawley und Kolleg:innen gelingt es rechenschwachen

4.3 Multiplikation und Division

119

Schülerinnen und Schülern kaum das Level 5 zu erreichen, auf dem die Aufgaben 27 · 3 und 358 · 8 zu lösen sind (MVGL = 120, MU = 22 in Klasse sieben) (Cawley et al. 2001, S. 320). In Schäfers Untersuchung wurden für die Aufgaben 3 · 16 und 3 · 106, die typischerweise mit schrittweisem oder schriftlichem Rechnen gelöst wurden, Lösungsquoten von 58 bzw. 44 % ermittelt (Schäfer 2005, S. 348). Bei Aufgaben zur Multiplikation scheint also die Art des Zahlenmaterials bestimmend für die Lösungshäufigkeit zu sein. Während Aufgaben zum kleinen Einmaleins sicher gelöst werden können, scheitern Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen, wenn das Zahlenmaterial schrittweises oder schriftliches Rechnen sowie Herleiten notwendig macht. Bei der Division sind hingegen auch Aufgaben aus dem kleinen Einsdurcheins für rechenschwache Lernende häufig problematisch. So wurde in der Untersuchung von Moser Opitz die Aufgabe 12 : 4 in Klassenstufe fünf mit 75,3 % am häufigsten gelöst, was jedoch im Vergleich zu den Multiplikationsaufgaben derselben Studie, die mit 100 und 80 % gelöst wurden, ein eher niedriger Wert ist (Moser Opitz 2013, S. 198 f.), wobei Schäfer vergleichbare Ergebnisse erhielt (Schäfer 2005, S. 393). Dementsprechend schwach sind die Fähigkeiten beim Lösen von Aufgaben oberhalb des kleinen Einsdurcheins. Die Aufgaben 1000 : 8 konnten bspw. nur von 11,1 % der Fünft- und 14,1 % der Achtklässler:innen richtig gelöst werden (Moser Opitz 2013, S. 201 f.). Durch Defizite im Stellenwertverständnis und im kleinen Einsdurcheins ist auch das Lösen von Stufenaufgaben schwer möglich (Schäfer 2005, S. 393), sodass von der Division bei Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen von einem Cut-off-Punkt gesprochen werden kann (Cawley et al. 2001, S. 319). Ihre Fähigkeiten sind in der achten Klasse lediglich mit denen von unauffälligen Fünftklässler:innen vergleichbar oder liegen sogar noch darunter (Cawley et al. 2001, S. 318; Moser Opitz 2013, S. 200). Jede der hier zitierten Studien deutet darauf hin, dass die Division die schwierigste Grundrechenart zu sein scheint. Das Verständnis des Auf- und Verteilens ist bei rechenschwachen Kindern häufig nicht genügend ausgeprägt, um die Operation zu veranschaulichen und dadurch flexibel anwenden zu können. Insgesamt zeigt sich im Vergleich zu Additions- und Subtraktionsaufgaben eine große Diskrepanz zwischen unauffälligen und rechenschwachen Schülerinnen und Schülern beim Multiplizieren und Dividieren. Dies gilt besonders bei Aufgaben zum Operationsverständnis, mit Stufenzahlen oder solchen, die oberhalb des kleinen Einmaleins und Einsdurcheins liegen. Allerdings zeigten besonders bei den ersten beiden Aufgabentypen auch unauffällige Lernendende Schwierigkeiten. Aufgaben, die das kleine Einmaleins nicht übersteigen, konnten hingegen, wie bereits Additions- und Subtraktionsaufgaben gut gelöst werden. Unter der Betrachtung,

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

dass gerade die Division einen hohen Stellenwert für die Kompetenzentwicklung in der Sekundarstufe hat, sind diese Ergebnisse besonders schwerwiegend, da das Lösen von Additions- und Subtraktionsaufgaben wenig Vorhersagekraft für allgemeine mathematische Kompetenzen in der Sekundarstufe I zeigte (Siegler et al. 2012, S. 963 ff., vgl. Abschnitt 3.1.). Um innerhalb eines Diagnoseprozesses Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen zu erkennen, scheint es deshalb sinnvoll deren Vorgehen beim Lösen von Aufgaben näher zu betrachten, da davon auszugehen ist, dass sie aufgrund mangelnder Fähigkeiten bezüglich des Stellenwertsystems, des Operationsverständnisses und des Erkennens von Zahlbeziehungen eher auf wenig elaborierte Rechenstrategien zurückgreifen (vgl. Abschnitt 3.3.4.).

4.4

Die Verwendung von Rechenstrategien

Die Verwendung von Rechenstrategien ist nach dem Strategy-Change-Modell (vgl. Abschnitt 3.3.4) abhängig von der Verfügbarkeit dieser Strategien, die wiederum durch mathematische Grundvorstellungen und Stellenwertverständnis bestimmt wird, der Sicherheit und Schnelligkeit mit der diese ausgeführt werden können und der Anwendungsbreite der Strategien. Wie in den vorherigen drei Kapiteln gezeigt wurde, verfügen rechenschwache Schülerinnen und Schüler zwar oft über gute Vorstellungen zur Addition und Subtraktion, doch zeigen sie Defizite im Stellenwertverständnis sowie im Operationsverständnis der Multiplikation und der Division. Demzufolge sollten viele Rechenschwache in der Lage sein, Additions- und Subtraktionsaufgaben durch schrittweises Rechnen zu lösen. Liegen allerdings Defizite im Stellenwertverständnis vor, müssen sie auf das stellenweise oder schriftliche Rechnen zurückgreifen. Da Schülerinnen und Schüler meist nicht über Erkenntnisse zu Zahlbeziehungen verfügen und Defizite im TTG zeigen, ist nicht davon auszugehen, dass Strategien wie das Suchen von Hilfsaufgaben, Vereinfachen oder Ergänzen verwendet werden. Bei falschen Zahlvorstellungen können auch immer noch zählende Rechenstrategien verwendet werden. Tatsächlich liegen zu den Strategieverwendungen rechenschwacher Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I bisher nur Ergebnisse zu den Strichrechenarten vor. Gleich mehrere hierzu führte Ostad durch. In diesen untersuchte er die Entwicklung von Rechenstrategien rechenschwacher und in Mathematik unauffälliger Kinder in einer Längsschnittstudie von der ersten bis zur siebten Klasse bzgl. der Addition (1997) und Subtraktion (1999). Darin unterschied er acht Formen des zählenden Rechnens (SUM, count-all, count-on, Min,

4.4 Die Verwendung von Rechenstrategien

121

Verwenden von Zählmaterialien außer den Fingern, dem selbstständigen Anfertigen einer Zählskizze und andere Strategien2 ) und Abrufstrategien, wobei auch Zerlegungsstrategien unter diese Kategorie fallen. Der natürlichen Entwicklung des Rechenlernens folgend, betrug der Anteil zählender Rechner:innen bei Additionsaufgaben in der ersten Klasse ca. 96 %. Bei mathematisch-unauffälligen Kindern sank die Quote der zählenden Rechner:innen bis zur Klassenstufe fünf auf 74 %, in Klassenstufe sieben sogar auf 59 %. Die Zahl der zählenden Rechner:innen blieb bei rechenschwachen Kindern von Klasse eins bis sieben nahezu unverändert bei 97 % (Ostad 1997, S. 350). In der Studie zu Subtraktionsstrategien weichen die Prozentzahlen von denen der Untersuchung zur Addition kaum ab. Hier lag der Anteil zählender Rechner:innen in den Schuljahren drei, fünf und sieben bei 99 statt 97 % (Ostad 1999, S. 30). Das bedeutet, dass fast alle rechenschwachen Kinder in Norwegen das zählende Rechnen auch im Verlauf der Schulzeit nicht ablegten. Eine genauere Analyse der Studie Ostads zeigt, dass sie bereits in der ersten Klasse uneffektivere Strategien nutzten als ihre unauffälligen Mitschüler:innen. Denn 58,7 % verwendeten zum Lösen von Additionsaufgaben die SUM-Strategie, die den größten kognitiven Aufwand verlangt. Bei den unauffälligen Schülerinnen und Schülern betrug dieser Anteil nur 16,6 %. Die Vergleichsgruppe nutzte hingegen in der ersten Klasse am häufigsten die count-on-Strategie (34,8 %). Der Anteil der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler, die die SUM-Strategie verwendeten, nahm von Schuljahr zu Schuljahr immer weiter ab. In der fünften Klasse nutzten nur noch 18,1 % diese Strategie, in Klasse sieben waren es nur noch 8,5 %. Dafür stieg der Anteil der Kinder, die count-all- und count-on-Strategien verwenden deutlich an (Ostad 1997, S. 351). Für das Lösen von Subtraktionsaufgaben wurde die SUM-Strategie deutlich häufiger genutzt, hier lag der Anteil auch in Klasse sieben noch bei 37 % und ist damit die in der Stichprobe am meisten verwendete Strategie. Die Strategien Rückwärtszählen (7 – 4 → 6 – 5 – 4) und Hochzählen (7 – 4 → 5 – 6 – 7) wurden mit 27 und 21,5 % ebenfalls häufig genutzt. Alle anderen zählenden Strategien sind hingegen bedeutungslos (Ostad 1999, S. 29). Die mit 59,8 % extrem hohe Zahl zählender Rechner:innen bei Schülerinnen und Schülern in Norwegen, die keine spezielle Förderung erhalten und damit in den Studien Ostads als unauffällig gelten, überrascht. Ostad

2

Ostad verwendet für die Zählstrategien leicht abweichende Begriffe, die jedoch laut seiner kurzen Definitionen dieselbe Bedeutung haben, wie die oben aufgeführten. So nennt er die SUM-Strategie „Count everything, and start again from the beginning“, die countall-Strategy “count everything” und die count-on-Strategy “counting further” (Ostad 1997, S. 349).

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

sieht für diesen hohen Wert das Schulsystem und die Lehrkräfte als Verantwortliche: „Teachers should be in mind to suggestion that children can be channeled into inappropriate development patterns, for which teachers itself might be partly responsible.“ (Ostad 1998, S. 16). Im Vergleich dazu kamen Moser Opitz und Schäfer zu deutlich positiveren Ergebnissen. Erstere zeigte, dass zwar in der Vergleichsgruppe in Klasse fünf und acht bedeutend weniger abgezählt wurde als in den beiden Untersuchungsgruppen (rechenschwach und normaler IQ bzw. rechenschwach und unterdurchschnittlicher IQ), jedoch löste der allergrößte Teil der Schülerinnen und Schüler die Aufgaben durch Abruf (in Klasse fünf in der Gruppe der Rechenschwachen mit normalem IQ wurden bspw. 810 Aufgaben durch Abruf, 81 durch Zählen und 54 schriftlich gelöst.) (Moser Opitz 2013, S. 221). Der Anteil der zählenden Rechner:innen halbierte sich in jeder der untersuchten Gruppen nahezu in der achten Klasse, dafür erhöhte sich der Anteil der Lösungen durch Abruf und Ableiten oder Zerlegen (Moser Opitz 2013, S. 221). In der Studie Schäfers betrug der Anteil zählender Rechner:innen bei Additions- und Subtraktionsaufgaben 11 bzw. 12 % (Schäfer 2005, S. 275 f. und S. 306 f.). Es scheint also, dass die Strategie des zählenden Rechens zwar von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I verwendet wird, sie jedoch auch über andere Strategien verfügen und nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie fast ausschließlich anhand dieser Rechenmethode zu erkennen sind, wie bspw. Wehrmann annimmt (2008, S. 1). Allerdings spielt das schriftliche Rechnen beim Lösen von Additions- und Subtraktionsaufgaben eine große Rolle. Moser Opitz untersuchte, auf welche Weise die beiden Aufgaben 199 + 198 und 701 – 698 gelöst wurden, wobei sie zwischen den Strategien Hilfsaufgabe, halbschriftliches und schriftliches Rechnen unterschied, aber keine Differenzierung zwischen stellenweisem, schrittweisem Rechnen oder einer Mischform beim halbschriftlichen Rechnen vorgenommen wurde. In den untersuchten Schulstufen war das schriftliche Rechnen bei beiden Aufgaben die am häufigsten verwendete Strategie, wobei der Anteil bei der Additionsaufgabe von Klasse fünf zu sieben von 50,6 auf 61,2 % stieg, der Anteil der Subtraktionsaufgabe mit 53,9 und 52,9 % hingegen nahezu unverändert blieb, ein großer Teil der Lösungen jedoch durch Fehler im Übertrag bedingt durch ein fehlendes Verständnis der Subtraktion zustande kamen (Moser Opitz 2013, S. 209 f.). Halbschriftliche Verfahren wurden etwas häufiger zur Lösung der Additions- als der Subtraktionsaufgaben verwendet, was durch das etwas bessere Operationsverständnis dieser Grundrechenart erklärbar ist, wobei der Anteil dieser Strategie jedoch bei der Aufgabe 199 + 198 von 42,7 % in Klasse fünf

4.4 Die Verwendung von Rechenstrategien

123

auf 35,3 % drei Schuljahre später abnahm. Das bedeutet, bei Additionsaufgaben ist mit laufender Schulentwicklung von rechenschwachen Kindern ein Trend von halbschriftlichen Rechenverfahren hin zu schriftlichen zu erkennen und das, obwohl dies nicht mehr Teil des Lehrplans in der Deutschschweiz zu diesem Zeitpunkt ist3 (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2015). In der Vergleichsgruppe ist diese Tendenz nicht auszumachen, da hier der Anteil des schriftlichen Addierens deutlich abnimmt (Moser Opitz 2013, S. 210 f.). Wie zu erwarten verwendeten rechenschwache Schülerinnen und Schüler die Strategie der Hilfsaufgabe besonders bei der Addition mit rund 2 % in beiden Untersuchungszeiträumen kaum. Hingegen wurde die Strategie Vereinfachen bei der Subtraktionsaufgabe von der Untersuchungsgruppe von 11,8 % der Schülerinnen und Schülern gewählt. Zusammenfassend wird entgegen der aus den bisher vorliegenden Studien zu den Fähigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler sowie dem StrategyChange-Modell abgeleiteten Vermutungen halbschriftliches Rechnen weniger verwendet als erwartet. Schriftlichen Rechenverfahren kommt hingegen eine große Bedeutung zu, obwohl diese oft fehlerhaft ausgeführt werden. Zu vermuten ist, dass Lernende mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen diese Strategie trotzdem verwenden, da das Stellenwertverständnis und die Fähigkeiten zum Erkennen von Zahlbeziehungen zu schwach ausgebildet sind, um schrittweises Rechnen zu nutzen, oder dass sie durch ein mangelndes Selbstkonzept, verursacht durch ständige Misserfolgserlebnisse (vgl. Abschnitt 2.2.2), ihren eigenen Fähigkeiten nicht trauen und sich stattdessen in die vermeintliche Sicherheit der schriftlichen Rechenmethoden flüchten. Für die Diagnostik von Rechenschwäche ist abzuleiten, dass diese Schülerinnen und Schüler weniger durch zählendes als durch schriftliches Rechnen auffallen. Jedoch lösen auch mehr als ein Drittel Aufgaben durch halbschriftliche Strategien. Andere elaborierte Strategien werden hingegen besonders bei der Addition wenig angewendet. Allerdings gibt es ebenso rechenschwache Schülerinnen und Schüler, die Subtraktionsaufgaben durch Ergänzen und somit unter Verwendung des TTGs lösen können. Zu vermuten ist, dass diese dann vor allem Defizite in den Punktrechenarten aufweisen. Leider sind für die Verwendung von Rechenstrategien der Multiplikation und Division für die Sekundarstufe keine Studien bekannt. In der Grundschulforschung sind vor allem verschiedene Strategien benannt wurden, ohne deren Verwendung quantitativ zu untersuchen. So geben bspw. 3

Schriftliche Addition und Subtraktion ist in der Deutschschweiz Bestandteil des zweiten Zykluses, der dem dritten bis sechsten Schuljahr entspricht (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2015).

124

4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

Schwarz und Defitowski an, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler häufig zählend vorgehen, indem sie entweder die Malreihen Schritt für Schritt im Kopf durchgehen oder aber einen Faktor so oft untereinander schreiben, wie es der andere vorgibt (ohne die Bedeutung von Multiplikand und Multiplikator zu nutzen) und diese dann schriftlich addieren (Defitowski 2015, S. 38; Schwarz 2001). Auf Grundlage der Studienergebnisse zu den Fähigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler bzgl. der Punktrechenarten ist davon auszugehen, dass sie elaborierte Rechenstrategien kaum nutzen, da sie dies schon nicht bei der Addition und Subtraktion taten, bei denen das Operationsverständnis deutlich besser ausgeprägt ist. Sicherlich werden häufig schriftliche Rechenverfahren verwendet, die jedoch meist falsch durchgeführt werden, da sie deutlich komplexer sind als die der Addition und Subtraktion, die bereits hohe Fehlerzahlen aufweisen. Aufgrund von mangelndem Operationsverständnis kann auch schrittweises Rechnen nicht verwendet werden, oder es kommt gehäuft zu Fehlern, indem bspw. die Zahlen falsch zerlegt werden (vgl. Abschnitt 4.3.). Stattdessen werden Aufgaben durch zählende Multiplikations- und Divisionsstrategien gelöst. Insgesamt ist feststellbar, dass sich die verwendeten Rechenstrategien von Schülerinnen und Schülern mit und ohne besonderen Schwierigkeiten im Rechnen unterscheiden, da erstere aufgrund von Grundvorstellungsdefiziten und Problemen im Stellenwertverständnis viel seltener elaborierte Rechenstrategien verwenden. Die Erfassung dieser Strategien zur Diagnostik scheint daher ein wichtiger Ansatzpunkt zum Erkennen von Rechenschwäche zu sein.

4.5

Die Fähigkeit zum Sachrechnen

Die obigen Betrachtungen zeigen, dass die Schwierigkeit einer Sachaufgabe abhängig ist vom verwendeten Zahlenraum, der Anzahl der Teilschritte, der gesuchten Menge (Ausgangs-, Austausch- oder Gesamtmenge) und von den zu verwendenden Grundrechenoperationen. Während konsistente Aufgaben zur Addition und Subtraktion von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I problemlos gelöst werden können, verringert sich der Anteil korrekter Bearbeitungen bei Aufgaben zum TTG, bei Multiplikations- und besonders bei Divisionsaufgaben sowie Kombinationen davon wie beim Dreisatz. Zwar gibt es keine Studien, die den Einfluss des Zahlenraums auf die Lösungsquote von Sachaufgaben bei rechenschwachen Schülerinnen und Schülern untersucht, jedoch können die Einflüsse der anderen schwierigkeitsbestimmenden Faktoren empirisch bestätigt werden, wobei eine ältere US-amerikanische Studie von Parmer

4.5 Die Fähigkeit zum Sachrechnen

125

und Cawley die umfangreichste ist. Sie untersuchten querschnittlich 210 unauffällige und 197 rechenschwache Schülerinnen und Schüler der Schuljahre drei bis acht (Parmar et al. 1996, S. 418), um zu ermitteln, wie die Konsistenz bzw. Inkonsistenz der Aufgabe, das Enthalten irrelevanter Informationen und die Zweischrittigkeit des Lösungsweges die Lösungsquoten beeinflussen (Parmer et al. 1996, S. 417). In nahezu jeder der untersuchten Typen von Aufgaben konnte die besondere Schwierigkeit beim Lösen von Multiplikations- und Divisionsaufgaben bestätigt werden, wobei die Divisionsaufgaben tendenziell schwerer zu lösen waren. Jedoch zeigte sich bei konsistenten Aufgaben auch ein großes Gefälle zwischen Additions- und Subtraktionsaufgaben. Im Zusammenhang mit der verwendeten Grundrechenart ist die Zweischrittigkeit des Lösungsprozesses der schwierigkeitsbestimmende Faktor mit dem größten Einfluss. Die Schülerinnen und Schüler der Untersuchungsgruppe konnten hier kaum eine Aufgabe korrekt lösen (höchste Lösungsquote bei 15 % in der achten Klasse, bei zweifacher Addition) (Parmar et al. 1996, S. 426). Vereinzelt konnten Aufgaben, die zweimalige Addition, Addition und Subtraktion sowie Multiplikation und Addition enthielten, gelöst werden. Das korrekte Bearbeiten von Aufgaben, bei denen dividiert und addiert werden musste, gestaltete sich hingegen für die rechenschwachen Lernenden als nahezu unmöglich (maximal 3 % in Klasse fünf), dabei verzeichnete auch die Vergleichsgruppe mit maximal 23 % korrekter Lösungen in Klasse acht hier nur geringe Erfolge (Parmar et al. 1996, S. 426). Weiterhin stellt das Verwenden von irrelevanten Informationen im Aufgabentext für die Untersuchungsgruppe ein großes Problem dar, wobei keine zusätzlichen Zahlen im Aufgabentext enthalten waren, sondern z. B. das Geschlecht der handelnden Personen besonders betont wurde (Parmar et al. 1996, S. 417). Hier zeigten sich in der achten Klasse ungefähr die Fähigkeiten der unauffälligen Drittklässler:innen, wobei dieser Faktor von geringerem Einfluss ist als die Mehrschrittigkeit und die Inkonsistenz (Parmer et al. 1996, S. 420 f.). Bei letzterem unterscheiden sich interessanterweise kaum die Lösungsquoten zwischen den verschiedenen Grundrechenarten. Rechenschwache Achtklässler:innen zeigen hier die Fähigkeiten von unauffälligen Lernenden der vierten Klasse. Zwar steigern sich die Lösungsraten beider Gruppen über die Schuljahre hinweg (lässt man die siebte Klasse außer Acht), jedoch zeigten sich, außer bei Additionsaufgaben mit konsistenten Informationen, signifikante Unterschiede zwischen der Untersuchsund Vergleichsgruppe (Parmer et al. 1996, S. 418 ff.). Auch die Ergebnisse der Re-Analyse der MARKUS-Studie bestätigen den Einfluss der Mehrschrittigkeit und der verwendeten Grundrechenart (vgl. Einführung Kapitel 4). Hier

126

4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

bestanden die Rechnungen nicht aus einfachen Grundrechenausdrücken, vielmehr mussten Verhältnisse bestimmt oder Division mit vorheriger Umwandlung der Größeneinheiten durchgeführt werden. Die Lösungsquoten lagen bei beiden in der MARKUS-Studie enthaltenen Sachaufgaben mit 29,9 und 27,3 % rund 10 bzw. 20 % unter denen der unauffälligen Schülerinnen und Schüler (Balzer et al. 2007, S. 182). So gelangten Balzer und Kolleg:innen zu vergleichbaren Schlussfolgerungen: Die Befunde deuten an, dass es nicht in erster Linie textlich eingekleidete Aufgaben sind, die den rechenschwachen Schülerinnen und Schülern die größten Schwierigkeiten bereiten; die Schwierigkeiten resultieren eher aus fehlenden grundlegenden mathematischen Konzepten, die nicht nur den Zugang zu effektiven Rechenstrategien erschweren, sondern grundsätzlich das Verständnis darüber, was Zahlen miteinander zu tun haben und welche Beziehungen zwischen ihnen bestehen. (Balzer et al. 2007, S. 186)

Die Studie von Moser Opitz bestätigt ebenfalls die Resultate von Parma bezüglich der Grundrechenarten und dem Einfluss der Anzahl der Lösungsschritte, obschon sowohl in Klasse fünf, als auch in Klasse acht die Subtraktionsaufgabe (Lösungsquote 97,8 bzw. 90,6 %) besser ausfiel, als die Additionsaufgabe (85,4 % bzw. 84,7 %). Ein Grund hierfür könnte sein, dass bei der Additionsaufgabe die Ausgangsmenge, bei der Subtraktionsaufgabe hingegen die Gesamtmenge gesucht wurde. Tendenziell kann damit der Einfluss der gesuchten Mengen auf die Schwierigkeit einer Sachaufgabe bestätigt werden, die Untersuchungsergebnisse sind jedoch auf diesem Gebiet eher von geringem Umfang und bedürfen dementsprechend weiterer Studien. Da rechenschwache Schülerinnen und Schüler häufig Defizite im TTG zeigen, ist davon auszugehen, dass Aufgaben, in denen Austausch- und Anfangsmenge gesucht werden, deutlich schlechter gelöst werden können als solche, bei denen nach der Ergebnismenge gefragt wird, wie es die Ergebnisse der Studie Ehlerts und Kolleg:innen andeuten (Ehlert et al. 2013, S. 254). Die Aufgabe zur Division, bei der die Gesamtmenge gesucht wurde, konnte nur vor 22,5 % der Untersuchungsgruppe in Klasse fünf und von 29,4 % in Klasse acht gelöst werden (es wurde keine Multiplikationsaufgabe gestellt) (Moser Opitz 2013, S. 203). Des Weiteren untersuchte sie den Einfluss der Anzahl der Teilschritte, in dem sie zwei Vergleichsaufgaben stellte, wobei die eine Aufgabe zwei Werte enthielt, die andere jedoch drei. Auch bei der Vergleichsgruppe lagen die Lösungsquoten mit Werten zwischen 60 und 70 % (außer in der Klasse fünf (86,7 %)) deutlich niedriger als bei den anderen Aufgaben (außer der Division), die der Untersuchungsgruppe lag jedoch meist noch weit darunter. Während die Aufgabe mit

4.6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und weiteres Vorgehen

127

zwei Werten in Klasse fünf noch von 52,8 % der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler gelöst werden konnte (in Klasse acht waren es 58,8 %), fiel die Lösungsquote bei einem Zahlenwert mehr auf 16,9 % in Klasse fünf und 24,7 % in Klasse acht. Der Unterschied zwischen den Leistungen der Untersuchungsund Vergleichsgruppe war hier bei allen Textaufgaben am größten. Zusammenfassend zeigt sich, dass rechenschwache Lernende vor allem konsistente Sachaufgaben der Addition und der Subtraktion korrekt lösen können. Hingegen zeigen sich große Defizite bei Aufgaben, die Grundvorstellungen zum Multiplizieren, Dividieren und vermutlich auch zum TTG verlangen. Liegen Vergleichsaufgaben vor oder müssen Grundrechenarten kombiniert werden, sind sie kaum noch fähig passende Gleichungen zu ermitteln. Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen scheitern demnach bereits an der Problemanalyse und in der Planungsphase beim Lösen von Sachaufgaben. Sie sind oft nicht in der Lage die entscheidenden Informationen zu interpretieren, da sie diese aufgrund mangelnder Grundvorstellungen nicht erkennen oder falsch verknüpfen. Deshalb können solche Aufgaben zur Analyse des Operationsverständnisses herangezogen werden und dementsprechend einen hohen Stellenwert innerhalb eines Diagnoseverfahrens zum Erkennen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen einnehmen. Denn „[…] test developers must make more effort to present a variety of reasoning and problem-solving activities in standardized tests“ (Parmar et al. 1996, S. 415).

4.6

Zusammenfassung der Erkenntnisse und weiteres Vorgehen

Vergleicht man die Ergebnisse der hier dargestellten Studien, mit denen zu den Fähigkeiten unauffälliger Lernender, fällt auf, dass die Problembereiche ähnlich sind, die Defizite zeigen sich jedoch bei Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen deutlich gravierender. Bezüglich des Stellenwertverständnisses scheinen die Kompetenzen zum Bündeln, Transkribieren und Vorwärtszählen gut ausgebildet zu sein. Jedoch existieren große Defizite beim Entbündeln, Vorwärts- und Rückwärtszählen in Sprüngen und dem Umgang mit dem Zahlenstrahl. Dabei nehmen die Schwierigkeiten mit zunehmendem Zahlenraum zu. Somit ist davon auszugehen, dass Lernende mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen zwar ein grundlegendes Stellenwertverständnis erworben haben, sie jedoch große Unsicherheiten zeigen, die auch die Rechenfähigkeiten und die Verwendung elaborierter Rechenstrategien behindern.

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

Bezüglich der Grundrechenarten konnte festgestellt werden, dass Schülerinnen und Schüler gute Vorstellungen zu den Operationen der Addition und Subtraktion haben, aber große Defizite im TTG, was ebenfalls die Nutzung effektiver Rechenstrategien erschwert. So verwenden sie zwar weniger das zählende Rechnen, jedoch werden verstärkt schriftliche Verfahren benutzt, die dann häufig aufgrund von mangelndem Operationsverständnis und dem ungenügenden Erkennen von Zahlbeziehungen, fehlerhaft sind. Halbschriftliche Rechenverfahren werden ebenfalls genutzt, wobei nicht geklärt ist, ob sowohl das schrittweise als auch das stellenweise Rechnen verwendet wird. Besonders elaborierte Strategien sind hingegen kaum festzustellen. Im Gegensatz zu Addition und Subtraktion werden die Punktrechenoperationen kaum verstanden, sondern es findet vor allem ein rezeptartiger Umgang mit diesen statt. Dabei bildet besonders die Division einen Cut-off-Punkt. Zwar können häufig Aufgaben aus dem kleinen Einmaleins gelöst werden, doch bereits die Umkehrung (Einsdurcheins) gelingt meist nicht. Aufgaben, die darüber hinaus gehen, können nicht mehr korrekt bearbeitet werden, das Lösen von Stufenaufgaben ist aufgrund mangelnden Stellenwertverständnisses meist nicht machbar. Deutlich werden die Defizite auch beim Lösen von Sachaufgaben, die eine weitere Repräsentationsform der Grundrechenarten darstellen und deren Lösungsquoten sich bei konsistenten Aufgaben dementsprechend gestalten. Inkonsistente Formulierungen, mehrschrittige Lösungsprozesse und irrelevante Informationen erhöhen den Schwierigkeitsgrad einer Sachaufgabe zum Teil deutlich. Rechenschwache Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe haben demnach häufig nur die Kompetenzstufe II des Kompetenzmodells der Bildungsstandards erreicht, da sie nicht in der Lage sind, mit Zahlen und Operationen in curricularem Umfang sicher umzugehen, Additions-, Subtraktions- und Multiplikationsaufgaben zumindest schriftlich und halbschriftlich zu lösen und einfache Sachaufgaben korrekt bearbeiten zu können. Lernende dieser Stufe haben lediglich den Mindeststandard der Vorgaben des Mathematikunterrichts der Grundschule erreicht (KMK und IQB 2013, S. 11 f.). Je nach Entwicklungsstand befinden sie sich hinsichtlich den FEB-Modells auf dem Niveau II (bei zählendem Rechnen) bis IV (grundlegendes Verständnis des TTGs), da sie häufig nicht in der Lage sind Ergänzungen vorzunehmen (Stufe V) und Mengen zu Entbündeln (Stufe VI) (Fritz et al. 2018, S. 14 ff.). Dementsprechend haben Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen zum großen Teil bereits einige Stolpersteine nach Gerster überwunden. So konnte ermittelt werden, dass einseitige Zahlvorstellungen und mit ihnen einhergehend das zählende Rechnen zwar noch eine Rolle spielen, jedoch viele betroffene Lernende dies bereits nicht

4.6 Zusammenfassung der Erkenntnisse und weiteres Vorgehen

129

(mehr) nutzen. Auch das kleine Einmaleins und Einspluseins stellen (im Gegensatz zu den Fakten der Division und Subtraktion) meist keine Probleme mehr dar. Besonders hoch scheint hingegen die Hürde des Stellenwertverständnisses unter Nutzung des TTGs sowie damit einhergehend das Verständnis der Grundrechenarten zu sein, was zu den Befunden des FEB-Modells passt (vgl. Gerster 2007, S. 16). Aufgrund dieser Überlegungen kann die in 2.2.3 angeführte Definition für besondere Schwierigkeiten im Rechnen nun inhaltlich erweitert werden: Rechenschwäche wird als stark unterdurchschnittliche Mathematikleistung definiert, die durch komplexe Wechselwirkungen zwischen unterrichtlichen, individuellen und schulstrukturellen Faktoren zustande kommt. Die Ursache hierfür liegt im Fehlen grundlegender mathematischer Kompetenzen und Konzepte, wobei besonders Defizite im Verständnis des Stellenwertsystems (was sich besonders durch eine hohe Fehleranzahl beim Zählen in Sprüngen, Entbündeln und der Verwendung des Zahlenstrahls zeigt), des TTGs, der Multiplikation und der Division vorliegen und sich damit einhergehend, das Lösen von Rechen- und Sachaufgaben mit diesen Grundrechenarten, besonders im Zahlenraum ab 1000 als problematisch erweist und meist durch einseitige algorithmische Verwendung von Rechenstrategien erfolgt. Werden die Defizite nicht behoben, können auch in der Sekundarstufe keine tragfähigen mathematischen Grundvorstellungen entwickelt werden, wodurch die Teilhabe am vollen Leben einer modernen Gesellschaft gefährdet ist. Rechenschwäche wird somit als ein Versagen im Mathematikunterricht verstanden: ein Versagen beim Erwerben mathematischer Kompetenzen aufgrund spezifischer individueller Voraussetzungen und auch als Versagen des Mathematikunterrichts. Die Schwerpunkte für die Diagnose mathematischer Basiskompetenzen sind damit identifiziert. Die Ursachen dieser Probleme liegen meist bereits in mangelnden Vorläuferfähigkeiten, die das Lernen bereits zu Beginn der Schullaufbahn behinderten und der Mathematikunterricht der Grundschule war nicht in der Lage diese Defizite auszugleichen. Prinzipiell sind die Schülerinnen und Schüler im Stande die notwendigen Fähigkeiten nachträglich zu erwerben, da die Studien zeigten, dass sie in vielen Bereichen mit zunehmender Beschulungsdauer bessere Leistungen in den mathematischen Basisfähigkeiten erzielen konnten, jedoch erreichen sie nur selten die sechste Stufe des FEB-Modells und hängen somit immer mehrere Schuljahre zurück, wodurch das Lernen in der Sekundarstufe I weiter behindert wird. Es zeigte sich jedoch, dass auch unauffällige Lernende

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4

Defizite und Kompetenzen von rechenschwachen Lernenden der …

Defizite in einigen Bereichen aufweisen. Die Frage ist nun, ob die Basiskompetenzen genügend gut ausgebildet sind, um das Lernen in der Sekundarstufe I zu ermöglichen. Ein Diagnoseverfahren kann auf diese Frage drei Resultate liefern: Die Fähigkeit genügt, sie genügt nicht oder das Ergebnis ist uneindeutig. Deshalb scheint es sinnvoll weiterführende Inhalte mit einzubeziehen, denn Lernende, die gute Ergebnisse bzgl. dieser erzielen, müssten über genügend ausgebildete Basiskompetenzen verfügen, auch wenn das Ergebnis dieses Testteils nicht eindeutig ist. Die hingegen, die zwar uneindeutige Ergebnisse bezüglich der Basiskompetenzen erzielen, aber schwache Resultate in den weiterführenden Inhalten, haben zu wenig grundlegende Fähigkeiten erworben, um den Inhalten der Sekundarstufe folgen zu können und müssten so als rechenschwache Schülerinnen und Schüler erkannt werden. Zur Diagnostik sinnvolle Inhalte aus der Sekundarstufe I wären solche, die Schlüsselstellen im Lernprozess darstellen und einen besonders engen Zusammenhang zu den Basiskompetenzen aufweisen. Nach Schneider und Kolleg:innen sind diese Schlüsselstellen die Zahlbereichserweiterungen zu den gebrochenen Zahlen, die Einführung des Variablenbegriffs und später das Verständnis für die Unendlichkeit (Schneider et al. 2016, S. 118 f.). Da das Diagnoseverfahren für möglichst viele Klassen der Sekundarstufe I anwendbar sein soll, würden sich vor allem die gebrochenen Zahlen für die erweiterte Diagnostik anbieten, da diese meist bereits in den Klassenstufen fünf und sechs abschließend behandelt werden. Die Auseinandersetzung mit Variablen beginnt gezielt hingegen erst in Klasse sieben und wird über die laufenden Schuljahre in der Verknüpfung mit dem Funktionsbegriff immer weiter vertieft. Daher eignet sich dieser Inhalt weniger für eine Diagnostik, genau wie der Unendlichkeitsbegriff, der eher im Gymnasium und erst in höheren Schuljahren Thema des Unterrichts ist. So soll im Weiteren beleuchtet werden, wie der arithmetische Kompetenzerwerb in der Sekundarstufe fortgesetzt wird, welche inhaltlichen Schwerpunkte dabei auftreten und welche Fähigkeiten und Defizite rechenschwache Schülerinnen und Schüler dabei zeigen.

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung und mögliche Probleme von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen Der Erwerb mathematischer Kompetenzen ist unmittelbar abhängig von den in der Grundschule erworbenen Kenntnissen. Dabei spielen, wie bereits in Abschnitt 3.1 deutlich wurde, besonders das Stellenwertverständnis sowie Grundvorstellungen zu den Rechenoperationen eine wichtige Rolle. Dies gilt im Besonderen auch für ganze und gebrochene Zahlen, wie es bspw. in Abbildung 5.1 ersichtlich wird. Demnach sind das Verständnis der Kardinalität und darauf aufbauend der Erwerb von Grundvorstellungen zu den Rechenoperationen Voraussetzung für die Entwicklung von Kompetenzen bezüglich der gemeinen Brüche. Dem Stellenwertverständnis kommt hingegen eine fundamentale Bedeutung für das Verständnis von Dezimalzahlen zu. Die Bedeutung des arithmetischen Basiswissens für das Erlernen mathematischer Inhalte in der Sekundarstufe I konnte auch Humbach zeigen, indem sie in der bereits oben beschriebenen Studie neben dem basismathematischen Test einen Rechentest (RT 9+ ) durchführte. Dabei handelt es sich um einen standardisierten Test für Haupt- und Realschulen, der die Bereiche Bruchrechnen, Prozentrechnen, Zinsrechnen, Gleichungen, Potenzen und Wurzeln sowie Rechnen mit Größen beinhaltet (Bremm und Kühn 1992). Ihre Ergebnisse zeigen hohe Zusammenhänge zwischen den Resultaten des Rechentests und denen des Tests zu arithmetischen Basisfähigkeiten (der bereits in Abschnitt 3.3 ausführlicher beschrieben wurde): Alle Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse, die gute Ergebnisse im RT 9+ erzielten, zeigten vergleichbare Leistungen im ArithmetikTest. Jugendliche hingegen, die hier niedrige Punktwerte aufwiesen, schnitten auch im RT 9+ schlecht ab. Es gab jedoch ebenso Schülerinnen und Schüler, die trotz guter Ergebnisse im Arithmetik-Test niedrige Werte im Rechentest erzielten. Gutes arithmetisches Basiswissen ist demnach eine notwendige Bedingung für erfolgreiches Lernen der Mathematik in der Sekundarstufe I, jedoch keine hinreichende (Humbach 2008, 174 f.). © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_5

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132

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Abbildung 5.1 Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kompetenzen in Grundschule und Sek. I (nach Wehrmann 2011, S. 22)

Diese Verknüpfung zwischen den Inhalten der Grundschule und der Sekundarstufe wird auch in den Bildungsstandards deutlich, da diese für beide Schulformen sehr ähnliche Leitideen und außermathematische Kompetenzen beinhalten (vgl. KMK 2022, 2022). Dementsprechend existiert für die Sekundarstufe I ein sechsstufiges Kompetenzstufenmodell, das auf Grundlage der Bildungsstandards entwickelt wurde1 . Die darin beinhalteten Kompetenzen sind, analog zu denen der Grundschule, sowohl über alle Leitideen hinweg in einem Globalmodell angeordnet als auch genauer in den einzelnen Leitideen aufgeschlüsselt. Äquivalent zum Modell der Grundschule steigert sich von Stufe zu Stufe der Komplexitätsgrad, wobei diese in etwa parallel zu den Anforderungsbereichen formuliert sind. Die Stufe Ia liegt dabei noch unterhalb des Anforderungsbereichs I. Über die Stufen hinweg kommt es zu einer Steigerung des Reflexionsgrades und dem Grad der Problemlösefähigkeiten in immer unbekannteren Kontexten (vgl. KMK und 1

Das Kompetenzstufenmodell der IQB orientiert sich an der Version der Bildungsstandards von 2004. Die in der Fassung von 2022 formulierte allgemeine mathematischen Kompetenz mit Medien mathematisch Arbeiten findet sich dementsprechend noch nicht im Kompetenzstufenmodell, genauso wie die neuen Bestandteile der Leitidee Zahl und Operation, wie die Verwendung von digitalen Mathematikwerkzeugen oder von Potenzen und Wurzeln, die innerhalb dieser Arbeit aber nicht von Belangen sind.

5.1 Gemeine Brüche

133

IQB 2012, S. 62 ff.). Innerhalb dieser Arbeit interessieren besonders die steigenden Anforderungen, die für die Leitidee Zahl formuliert sind, da diese die arithmetischen Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I beschreiben. Auffällig dabei ist, dass ein besonderer Schwerpunkt auf gebrochenen Zahlen liegt und diese dementsprechend eine hervorgehobene Stellung innerhalb dieser Leitidee einnehmen. Wie bereits im Globalmodell angedeutet, finden sich auf der ersten Niveaustufe nur Inhalte der Grundschulmathematik, ab der Stufe Ib steigern sich dann die Bearbeitungsschritte beim Lösen von Aufgaben (auch in Realkontexten) sowie der Verallgemeinerungs- und Reflexionsgrad (KMK und IQB 2012, S. 68). Im Weiteren sollen die Schwierigkeiten der mathematischen Tätigkeiten in Bezug auf gebrochene Zahlen durch dieses Modell beschrieben werden. Die Inhalte zu den gebrochenen Zahlen setzen sich laut Bildungsstandards und Kompetenzstufenmodell aus gemeinen Brüchen, Dezimalzahlen und Prozenten zusammen. Alle drei Formen sind Repräsentationen der gleichen Mengen, weisen jedoch ganz unterschiedliche Hürden im Lernprozess auf und sind mit verschiedenen Problemstellungen verbunden. Eine große Zahl von Aufgaben kann dabei durch syntaktisch-algorithmisches Denken mithilfe von Rechenvorschriften gelöst werden, für die im Allgemeinen kein Verständnis für die Zahlen und wofür sie stehen notwendig ist, vergleichbar mit den schriftlichen Rechenverfahren bei den natürlichen Zahlen. Demgegenüber steht das semantisch-begriffliche Denken, in dem es um die Beziehungen zwischen Bruchzahlen untereinander und die durch sie beschriebenen Sachsituationen geht, wobei ein konzeptuelles Verständnis vonnöten ist (Wartha und Wittmann 2009, S. 74). Wie bereits bei den natürlichen Zahlen sind einige Aufgaben sowohl mit syntaktisch-algorithmischem als auch durch semantisch-begriffliches Denken lösbar. Jedoch ist die Aufgabenbearbeitung ausschließlich auf Grundlage algorithmisch-syntaktischen Wissens sehr fehleranfällig, wenn die verwendeten Verfahren nicht verstanden wurden und Fehler somit nicht erkannt werden können. Im Weiteren soll dieses Wissen für die verschiedenen Arten gebrochener Zahlen genauer dargestellt, Hürden im Lernprozess und damit verbundene Fehler aufgezeigt sowie die Fähigkeiten deutscher Schülerinnen und Schüler anhand empirischer Studien beschrieben werden.

5.1

Gemeine Brüche

Die Brucharithmetik erfordert das Erlernen einer Anzahl unterschiedlicher Verfahren. Zum einen bedarf es Vorstellungen zu allen vier Grundrechenoperationen der natürlichen Zahlen, die zum Teil modifiziert werden müssen. Zum anderen ist

134

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

auch die Beherrschung von Techniken wie z. B. das Finden gleichwertiger Brüche oder das Umwandeln von Brüchen in Dezimalzahlen und andersherum nötig sowie das Wissens, ob der Bruch bei einer Grundrechenoperation invertiert werden muss oder wenn für die Lösung Brüche gleichnamig gemacht werden müssen (Addition und Subtraktion) bzw. eine Operation sowohl auf den Nenner als auch auf den Zähler angewendet werden soll (Multiplikation und Division) (LortieForgues et al. 2015, S. 210). Es ist davon auszugehen, dass der Bruchzahlbegriff wohl der schwierigste ist, mit dem sich die Schülerinnen und Schüler bis zur Klassenstufe 10 auseinandersetzen müssen und deshalb als Schlüsselstelle angesehen werden kann (z. B. Schneider et al. 2016, S. 118, Stoye 2010, S. 79). Dabei erschwert die Schreibweise gemeiner Brüche mit Zähler, Nenner und Bruchstrich den Umgang mit ihnen im Vergleich zu den natürlichen Zahlen. Dadurch ist das Bearbeiten von Aufgaben zu Brüchen für das Arbeitsgedächtnis deutlich aufwendiger, da erheblich mehr kognitive Ressourcen erforderlich sind. Die größere Speicherlast beim Umgang mit gemeinen Brüchen verringert die kognitiven Ressourcen, die zum Nachdenken über das Verfahren zur Lösung, zur Überwachung des Fortschritts während der Ausführung des Verfahrens und zum Abschätzen des Ergebnisses verfügbar sind (Lortie-Forgues et al. 2015, S. 206 f.). Laut einer Studie von Siegler et al. bilden die Vorkenntnisse zu Brüchen den entscheidenden Prädiktor für die Vorhersage allgemeiner mathematischer und algebraischer Kompetenzen in der zehnten Klasse (2012, S. 693), was die Bedeutung dieses Themenkomplexes noch einmal hervorhebt. Doch wodurch zeichnet sich ein Verständnis für gemeine Brüche aus? Wie bereits bei den natürlichen Zahlen, müssen auch für die gebrochenen Zahlen Grundvorstellungen erworben werden, die sich dadurch auszeichnen, dass die Umwandlung in verschiedene Repräsentationsformen gelingt und dass sie als mentale Modelle verfügbar sind, um eine Verbindung zwischen mathematischer und Alltagswelt herzustellen, was das semantisch-begriffliche Denken verkörpert. Je nach Quelle können die Grundvorstellungen zu gemeinen Brüchen unterschiedlichen Aspekten zugeordnet werden, wie die eines Bruchs als Anteil, Maßzahl, Operator, Verhältnis oder Quotient, wobei sich diese Aspekte zum Teil stark überlappen (Padberg und Wartha 2017, S. 19 ff.). Die Vorstellungen des Bruchs als Anteil und als Operator können dabei als die zentralen Grundvorstellungen angesehen werden, da diese am stärksten in den einzelnen Aspekten enthalten sind (Padberg und Wartha, S. 21 f.; Pitkethly und Hunting 1996, S. 21 f.; Wartha 2017, S. 288). Die Vorstellung des Bruchs als Anteil besteht wiederum aus den zwei Vorstellungen des Bruch als Teil eines und mehrerer Ganzen (Padberg und Wartha 2017, S. 32). Dabei wird ein Ganzes oder mehrere Ganze in gleichgroße Teile zerlegt und eine bestimmte Anzahl

5.1 Gemeine Brüche

135

dieser hervorgehoben. Werden die Ganzen in letzterer Vorstellung als diskrete (unteilbare) Größen aufgefasst, spricht man von einem Bruch als relativem Anteil oder multiplikativer Teil-Ganzes-Relation (Schink 2013, S. 27). Dabei wird das Ganze nicht als Einheit dargestellt, wie es beim Bruch als Teil mehrerer Ganzen ist, sondern als Zusammensetzung aus einzelnen Objekten. Die Anteile bestehen demnach aus einer diskreten ganzzahligen Menge. Dieses Teil-Ganzes-Konzept der gebrochenen Zahlen unterscheidet sich vom TTG dadurch, dass es nicht nur additive Zusammensetzungen beschreibt, sondern der Anteil in relativen Bezug zum Ganzen gesetzt wird (Schink 2013, S. 27). Damit steht diese Vorstellung in einem engen Zusammenhang zu der eines Bruchs als Operator, bei der ein Bruch als Funktion, die auf eine Menge wirkt (Wartha 2009b, S. 59) und als multiplikative Handlungsanweisung verstanden werden kann (Padberg und Wartha 2017, S. 20). Der Operatoraspekt kommt demnach zur Anwendung, wenn sich der Bruch auf eine Menge oder Einheit bezieht (Wartha 2009b, S. 59; 2017, S. 288). Deshalb ordnen Padberg und Wartha die Vorstellung eines Bruchs als relativen Anteil dem Operatoraspekt zu, wobei das Ganze und die Teilmengen diskret sind (Padberg und Wartha 2017, S. 22). Zusammenfassend werden die verschiedenen Aspekte in Tabelle 5.1. Tabelle 5.1 Verschiedene Vorstellungen von gemeinen Brüchen Bruch als Anteil Bruch als Teil eines Ganzen

Bruch als Operator Bruch als Teil mehrerer Ganzen

Bruch als relativer Anteil

Bruch als Operator

1 1 1 Eines von drei Zwei Ganze werden 3 von 6 (Ganzes ist 3 von 2 (Ganzes gleich großen Teilen gleichmäßig in drei Teile vor und nach dem ist beliebig) eines Ganzen geteilt, sodass jeder Teil Teilungsprozess eine 1 entspricht (Ganzes ist natürliche Zahl) 3

eine natürliche Zahl)

Dabei weisen alle Konzepte enge Zusammenhänge zur Vorstellung der Division auf, bei der ebenfalls eine Menge in gleichgroße Teile gerecht geteilt wird. Die Ähnlichkeit ist bei der Vorstellung des Bruchs als relativer Anteil besonders

136

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

prägnant. Eine Teilung erfolgt bei dieser Vorstellung durch das Bündeln gleichgroßer Mengen, sodass neben dem Verständnis der Division auch das für Zahlen als gleichmächtige Bündel entwickelt worden und demnach die sechste Stufe im FEB-Modell erreicht sein muss (vgl. Fritz et al. 2018, S. 17 f.). Prinzipiell scheinen die Grundvorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu gemeinen Brüchen eher schwach ausgebildet zu sein. In einer älteren Studie von Neumann verfügten nicht einmal zwei Drittel der 411 getesteten Gesamtschüler und -schülerinnen über eine Vorstellung, wobei vor allem die beiden Aspekte des Bruchs als Anteil im Mittelpunkt der Untersuchung standen (Neumann 1999, S. 73). Nur 26 % entwickelten die Vorstellung als Teil eines Ganzen und 9 % die des Bruchs als Teil mehrerer Ganze (Neumann 1999, S. 74). Daraus ergibt sich, dass viele Schülerinnen und Schüler nicht über tragfähige Grundvorstellungen zu den Brüchen verfügen und somit Aufgaben, wenn dies möglich ist, über syntaktisch-algorithmisches Wissen zu lösen versuchen. Die Defizite in den Grundvorstellungen werden im Weiteren auch durch die Fehlerarten und geringen Lösungsquoten in allen für gemeine Brüche typischen Handlungen deutlich.

5.1.1

Identifizieren und Realisieren

Wie bereits bei den natürlichen Zahlen, kann der Ausbildungsgrad tragfähiger Grundvorstellungen auch bei gemeinen Brüchen durch die Fähigkeit des Darstellungswechsels identifiziert werden (Padberg und Wartha 2017, S. 1 f.). Damit bilden Realisieren und Identifizieren die Grundlagen für die Arbeit mit gemeinen Brüchen und werden deshalb im Niveaustufenmodell der KMK für die Leitidee Zahl auf Niveaustufe Ib eingeordnet, also der ersten Stufe, die Inhalte oberhalb der natürlichen Zahlen aufgreift (KMK und IQB 2012, S. 68). Der Schwerpunkt von Studien zu Schülerleistungen liegt bisher vor allem auf dem Identifizieren von Brüchen, das Realisieren wurde hingegen nur wenig empirisch untersucht. Dabei werden gemeine Brüche, äquivalent zu den natürlichen Zahlen, mithilfe des Zahlenstrahls, durch Punktmuster oder andere Bilder wie Kreise oder Rechtecke dargestellt. Zur Lösung dieser Aufgaben ist vor allem die Verwendung der Anzahlkonzepte notwendig, wobei zunächst das Ganze erkannt werden muss, dann untersucht wird, ob es in gleich große Teile zerlegt wurde und welchen Anteil ein Bruchteil einnimmt, um zuletzt die Anzahl der Bruchteile, die den Anteil darstellen, zu ermitteln. Bei der Vorstellung eines Bruchs als relativer Anteil wird das Ganze hingegen aus einzelnen Objekten gebildet, die immer gleich groß sind, womit auch die Anzahlermittlung sehr einfach ist.

5.1 Gemeine Brüche

137

Tabelle 5.2 Vorgehen beim Identifizieren von gemeinen Brüchen Bruch als Anteil

vier Teile, davon sind zwei markiert 2 4

Bruch als relati-

Das Ganze besteht aus sechs Teilen, vier davon sind

ver Anteil

markiert

4 6

Bei beiden Vorstellungen stellt besonders der Bezug zum Ganzen eine große Fehlerquelle dar, da das Ganze zugleich eins und im Beispiel vier bzw. sechs ist. So werden bei der Teil-zu-Ganzen-Fehlerstrategie die Anzahl der markierten Teile mit denen der nicht-markierten in Beziehung gesetzt, die jeweils Zähler und Nenner repräsentieren (Herden und Pallack 2000, S. 265). Schülerinnen und Schüler greifen demnach besonders auf das innere Teilverhältnis des Verhältnisaspekts zurück, was jedoch für ein Verständnis der Bruchrechnung (im Gegensatz zum äußeren Teilverhältnis, bei dem die einzelnen Elemente im Verhältnis zur Gesamtmenge dargestellt werden) nicht tragfähig ist (Padberg 2015, S. 30; Padberg und Wartha 2017, S. 22) (im Beispiel aus Tabelle 5.2 24 oder 24 ). Des Weiteren wird bei einer Übergeneralisierung der natürlichen Zahlen nur die Anzahl der markierten Teile (im ersten Bsp. 2) oder, in einer Weiterentwicklung dieser Fehlerstrategie, der Anteil der Bruchteile als Stammbruch angegeben (also 21 ) (Padberg 2015, S. 30; Padberg und Wartha 2017, S. 22). Bei diesen beiden Fehlertypen wird demnach vor allem der Zähler als dominierender Teil des Bruchs fokussiert. Viele Falschlösungen entstehen beim Identifizieren auch, wenn Bruchteile unterschiedlich groß dargestellt sind, wie im ersten Beispiel. Dann wird häufig nur die Anzahl der Bruchteile ermittelt, ohne auf deren Größe einzugehen. Hierbei ist die Vorstellung des gerechten bzw. gleichmächtigen Teilens, wie es aus der Division bekannt ist, nicht ausreichend entwickelt oder wird nicht mit den gemeinen Brüchen in Zusammenhang gebracht. In einer Studie von Pallack und Herden gelang es zwar 65 % der 244 Schülerinnen und Schüler der siebten Klasse verschiedener Essener Gymnasien nach der systematischen Behandlung der Bruchrechnung (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2007, S. 21) den Bruch 43 anhand eines Rechtecks mit gleichmäßiger Unterteilung zu identifizieren, waren die Bruchteile jedoch unregelmäßig, konnten nur noch ca. 22 % eine korrekte Lösung angeben (Herden

138

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

und Pallack 2000, S. 264). Allerdings war das Erkennen der korrekten Anzahl der Bruchteile in der Testaufgabe recht schwierig, da die vorgegebenen nicht symmetrisch aufgebaut waren (Padberg 2007, S. 41) und die korrekte Unterteilung erst durch Drehen und Verschieben der bereits vorhandenen Bruchteile ermittelt werden musste. Dabei scheint es Schülerinnen und Schülern im Allgemeinen leichter zu fallen, diskrete Darstellungen zu identifizieren (z. B. vier von sechs Rechtecken sind gefärbt, wie in der unteren Zeile von Tabelle 5.2) als die, in denen der Bruch in einem Ganzen dargestellt wird (z. B. in einem Kreis oder einem Rechteck), denn hier lag die Lösungsquote sogar bei rund 80 % (Herden und Pallack 2000, S. 264). Die Autor:innen vermuten, dass es für Lernende einfacher ist mit Mengen als mit Flächen umzugehen, da diese nur ausgezählt werden müssen, wohingegen bei Flächen der Anteil der Bruchteile erst erkannt werden muss (Herden und Pallack 2000, S. 266). Demnach scheint die Vorstellung eines Bruchs als relativer Anteil im Zusammenhang mit der Identifikation von gemeinen Brüchen besser ausgebildet zu sein als der eines Bruchs als Anteil. Neben diesen Darstellungen, gilt auch der Zahlenstrahl als übliches Veranschaulichungsmittel, der bereits von den natürlichen Zahlen bekannt ist. Allerdings gilt er für Schülerinnen und Schüler als große Hürde, da bereits vorhandenes Wissen aus der Grundschule nur in Ansätzen weiterhilft, um die richtigen Unterteilungen zu finden. Zwar ist das Verfeinern der Unterteilung bereits aus der Grundschule bekannt, wie die einzelnen Unterteilungen gefunden werden können, ist hingegen nicht aus den natürlichen Zahlen übertragbar. Welche Bruchzahlen sind durch die Punkte A, B, C, D und E dargestellt?

0

A

B

1

C D

E

2

Abbildung 5.2 Beispielaufgabe zum Identifizieren von gemeinen Brüchen (Herden und Pallack 2000, S. 261)

So konnten in der oben erwähnten Studie nur 8,2 % der untersuchten Siebtklässler:innen alle fünf Brüche aus Abbildung 5.2 identifizieren, wobei 73 % keinen einzigen Bruch korrekt benennen konnten (Herden und Pallack 2000, S. 261). Im Gegensatz zu den natürlichen Zahlen sind Zahlenstrahlaufgaben demnach nicht durch dezimales Wissen und einfache Halbierungen lösbar, sondern durch das Finden von Unterteilungen, da sie semantisch-begriffliches Wissen

5.1 Gemeine Brüche

139

voraussetzen. Das falsche Vornehmen von Einteilungen ist demnach eine häufige Fehlerquelle beim Umgang mit dem Zahlenstrahl. Dazu kommt ein falsches Fokussieren des Abschnittes, in dem die gesuchte Zahl liegt, wobei der gesamte Strahl vernachlässigt wird, sodass im Beispiel häufig die Zahlen C bis E zwischen 0 und 1 verortet werden (Herden und Pallack 2000, S. 66). Darüber hinaus werden, wie auch bei den anderen Repräsentationsformen, falsche Interpretationen von Zähler und/oder Nenner vorgenommen, wodurch bspw. der Zähler als Startpunkt verstanden wird, ab dem, entsprechend der Größe des Nenners, weitergezählt werden muss (bei 41 wird bei eins gestartet und vier Schritte nach rechts weitergezählt) (Herden und Pallack 2000, S. 66). Wie eingangs erwähnt, gibt es zur Tätigkeit des Realisierens kaum empirische Ergebnisse. In einer Vorstudie zu späteren Interviews untersuchte Schink 153 Siebtklässler:innen aus NRW hinsichtlich des flexiblen Umgangs mit gemeinen Brüchen (Schink 2013, S. 92). Dabei ermittelte sie eine große Abhängigkeit der Repräsentationsfähigkeiten zum Bekanntheitsgrad der gegebenen Brüche. So konnten 61 % ein Viertel in einem Kreis mit zwölf vorgegebenen Teilen markieren, bei einem Sechstel gelang das hingegen nur 40 % der Lernenden (Schink 2013, S. 162). In einer anderen Aufgabe wurde ein Bruchteil angegeben und es sollte das dazugehörige Ganze gezeichnet werden. Entsprach das vorgegebene Dreieck einem Viertel, konnten 53 % der untersuchten Lernenden das Ganze richtig repräsentieren, bei einem Achtel lag der Anteil hingegen nur noch bei 45 % (Schink 2013, S. 285). Die Verwendung von bereits aus dem Alltag gut bekannten Brüchen scheint demnach nicht geeignet zu sein, um Grundvorstellungen zu überprüfen, da hierzu meistens Repräsentanten vorhanden sind, die jedoch nicht auf andere, unbekanntere gemeine Brüche übertragen werden können und daher keine Stütze beim Entwickeln von Grundvorstellungen bilden (Wittmann 2006, S. 70). Die hier geschilderten Befunde bestätigen die Resultate Neumanns weitestgehend, wonach ein Großteil der Schülerinnen und Schüler kaum tragfähige Grundvorstellungen zu gemeinen Brüchen zu haben scheint und demnach nicht in der Lage ist, diese darzustellen oder zu identifizieren. Die Schwierigkeit einer Aufgabe ist dabei vom Bekanntheitsgrad des gegebenen Bruches, der Art der Veranschaulichung (Bild oder Zahlenstrahl) und von der Richtung des Darstellungswechsels abhängig, da das Realisieren eines Bruchs schwieriger zu sein scheint als vergleichbare Aufgaben zum Identifizieren und das auch, wenn das Ganze und die Buchteile bereits vorgegeben waren.

140

5.1.2

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Erweitern und Kürzen

Eine der großen Schwierigkeiten im Umgang mit gemeinen Brüchen ist, dass sie nicht nur durch verschiedene ikonische Darstellungen veranschaulicht werden können, sondern, dass für die symbolische Darstellung ein großes Spektrum an Schreibweisen existiert, da sie durch unendlich viele verschiedene Teilungs- und Messvorgänge entstehen können und auch als Dezimal-, Prozent- oder Promillezahl darstellbar sind (Hefendehl-Hebeker und Prediger 2006, S. 5). An dieser Stelle muss demnach ein Grundvorstellungsumbruch aus den natürlichen Zahlen erfolgen, denn diese waren in ihrer Darstellung immer eindeutig. Durch Erweitern und Kürzen kann nun jedoch die gleiche Menge durch unterschiedliche Ausdrücke beschrieben werden. Durch die oben genannten Grundvorstellungen kann ein Verständnis für das Erweitern und Kürzen erfolgen, da die Vorgänge beim Bruch als Teil eines Ganzen das Verfeinern bzw. das Vergröbern der Unterteilungen des Ganzen darstellen (Padberg 2015, S. 52 und 54). Bei der Vorstellung des Bruchs als relativer Anteil kann auf das Wissen der natürlichen Zahlen und der Division zurückgegriffen werden, da Mengen durch verschiedene gleichmäßige Zerlegungen entstehen und somit auch Anteile der Menge durch unterschiedliche Teilungsprozesse zustande kommen können (Schink 2013, S. 27 f.). Behindert werden kann die Entwicklung des Verständnisses durch die verwendeten Begriffe, da Erweitern eine Vergrößerung suggeriert (den Horizont erweitern, die Produktpalette erweitern), der Begriff Kürzen hingegen eine Verkleinerung (das Gehalt kürzen), sodass das intuitive, durch die Begriffe entwickelte Verständnis mit denen der mathematischen Deutung kollidiert (Padberg und Wartha 2017, S. 52). Um gemeine Brüche schnell kürzen und erweitern zu können ist das Abrufen des Einmaleins Voraussetzung, sowie die Multiplikation und Division für Aufgaben, die oberhalb dessen liegen, wenn die Aufgabe es verlangt. So ermittelten Herden und Pallack für eine Aufgabe, bei der lediglich ein fehlender Nenner oder Zähler ergänzt und nur innerhalb des kleinen Einmaleins gearbeitet werden musste, eine Lösungsquote von 68,9 %. Bei der Aufgabe, bei der das kleine Einmaleins überschritten werden musste, sank die Lösungsquote auf 53,3 % (es musste die Erweiterungszahl von 12 auf 108 gefunden werden) (Herden und Pallack 2000, S. 266 f.). Grundsätzlich belegen Studien, dass das Verfahren an sich von den Schülerinnen und Schülern gut beherrscht wird, wenn nur explizit danach gefragt wird und nicht bspw. nach dem vollständigen Kürzen am Ende einer Rechenaufgabe. Dann erreichen die Schülerinnen und Schüler Lösungsquoten in beiden Disziplinen von über 90 %, wobei nur bei bestimmtem Zahlenmaterial Fehler auftraten (Padberg 1983, S. 46 f.). Neben Aufgaben, bei denen das kleine Einmaleins überschritten wird, kommt es zu Assoziationsfehlern beim Kürzen

5.1 Gemeine Brüche

141

9 von gemeinen Brüchen wie 18 , bei der die Neun so dominant ist, dass das Ergeb1 nis 9 angegeben wird. Weiterhin treten Probleme beim Einbetten der natürlichen in die gebrochenen Zahlen auf, wenn bspw. die Zahl fünf in einen Bruch umgewandelt werden soll, besonders dann, wenn der Nenner bereits gegeben ist und der korrekte Zähler gefunden werden muss (Padberg und Wartha 2017, S. 53). Die im Allgemeinen hohen Lösungsquoten sind jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Verständnis für das Vorgehen. So konnten in der bereits oben beschriebenen Untersuchung von Herden und Pallack zwar 55,3 bzw. 59,7 % der Lernenden die (Nicht-)Gleichwertigkeit der Brüche 46 und 68 bzw. 17 17 und 18 18 erkennen, eine Begründung anzugeben gelang bei der ersten Aufgabe jedoch nur 17,6 %, bei der zweiten hingegen 52 % (Herden und Pallack 2000, S. 267). Das bedeutet, dass diese Aufgaben zumeist sehr gut mittels syntaktisch-algorithmischem Wissen gelöst werden können, häufig aber kein semantisch-begriffliches Wissen vorherrscht. Zum Lösen einfacher Aufgaben zum Erweitern und Kürzen scheint syntaktisch-algorithmisches Wissen auszureichen, betrachtet man die hohen Lösungsquoten solcher Aufgaben in den Studien.

5.1.3

Größenvergleich

Jede natürliche Zahl hat einen Vorgänger und einen Nachfolger. So können bereits auf der ersten Stufe des FEB-Modells Zahlen nach ihrer Position in der Zahlwortfolge verglichen werden. Bei ausreichenden Kenntnissen des Dezimalsystems sind Vergleiche über den Stellenwert der Ziffern von links nach rechts möglich. Für gemeine Brüche ist dies hingegen nicht durchführbar – sie besitzen keinen direkten Vorgänger und Nachfolger, wodurch zählende Strategien nicht mehr eingesetzt werden können. Zwischen zwei scheinbar benachbarten Brüchen wie 35 und 45 liegen noch unendlich viele weitere (Padberg 2015, S. 65). Somit sind jedoch auch viele verschiedene Lösungs- und somit Fehlerstrategien möglich, die sich je nach Zahlenmaterial unterscheiden und einen tiefen Einblick in die ausgebildeten Grundvorstellungen der Schülerinnen und Schüler geben können. Diese analysierten Clarke und Roche im Hinblick auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Niveaus von Grundvorstellungen und die Erfolgsquoten bei der Anwendung der Strategien (Clarke und Roche 2009, S. 128 f.). Im Allgemeinen können diese unterschieden werden in komponentenweisen und holistischen Vergleich, bei dem die Brüche als Ganzes verarbeitet werden. Je nach Aufgabenstellung sind diese Vorgehensweisen unterschiedlich effektiv, besonders hinsichtlich der Bearbeitungsgeschwindigkeit (Obersteiner 2014, S. 867). Für Größenvergleiche,

142

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

bei denen identische Komponenten vorhanden sind, kann sich der komponentenweise Vergleich als deutlich schneller und einfacher gestalten, besonders bei identischen Nennern, denn hierbei ist eine Übertragung des Vorgehens aus den natürlichen Zahlen noch problemlos möglich. Sind gleiche Zähler vorhanden, muss hingegen eine Umkehrung erfolgen, denn dann bedeutet ein größerer Nenner einen kleineren Bruch, womit Vergleiche dieses Typs deutlich fehleranfälliger sind (Obersteiner 2014, S. 867). Eine allgemeingültige Strategie, die jedoch nur syntaktisch-algorithmisches Wissen erfordert, ist das Gleichnamigmachen von Brüchen, denn dazu sind lediglich Kenntnisse zum Erweitern und des Einmaleins notwendig. Kann das kleine Einmaleins flexibel genutzt werden, ermöglicht dies das Finden des kleinsten gemeinsamen Vielfachen. Jedoch ist auch das Erweitern auf das Produkt der Nenner eine Lösungsmöglichkeit, die, je nach Zahlenmaterial, einen größeren Rechenaufwand mit sich bringen kann, aber ebenfalls zu einer korrekten Lösung führt, sollte das Einmaleins lediglich als unflexibles Faktenwissen vorhanden 5 sein (z. B. der Vergleich von 12 und 41 ). Die Strategie des Gleichnamigmachens ist zwar universell einsetzbar, aber meist zeitintensiv und, durch ihre vielen Rechenschritte fehleranfällig. Dies kann durch gut ausgebildete Grundvorstellungen ersetzt werden, die die Nutzung von Strategien, wie dem Orientieren an einem Referenzpunkt wie 21 oder 1, oder dem Bestimmen des Restes zur nächsten natürlichen Zahl, ermöglichen (Clarke und Roche 2009, S. 131). Strategien zum Größenvergleich untersuchten auch Singer und Schöneburg-Lehnert anhand von 1640 Schülerinnen und Schülern aus Deutschland und Österreich anhand 18 des Größenvergleichs der Brüche 17 18 und 19 . Die Lösungsquoten in den Klassen fünf bis acht schwankten leicht zwischen 50 % und 55 % und stiegen dann ab Klasse neun auf rund 70 % an. Dabei zeigte sich, dass das Ergänzen zu einem Ganzen mit 16 % sowie das Gleichnamigmachen und das Umwandeln in Dezimalzahlen oder Prozente mit je 15 % die meistgenutzten Strategien waren. Das 17 Bilden von Analogieaufgaben ( 23 ist größer als 21 , also ist 18 19 größer als 18 ) war zwar die Strategie, die am häufigsten zu korrekten Ergebnissen führte, sie wurde jedoch nur von 1 % der Schülerinnen und Schüler verwendet (Singer und Schöneburg-Lehnert 2018, S. 1697). Viele falsche Lösungen lassen sich durch die Verwendung der fehlerhaften Fokussierung auf die Differenz zwischen Zähler und Nenner zurückführen, die bei den beiden Brüchen jeweils eins beträgt und so den Schluss auf eine Gleichwertigkeit zulässt. Im Weiteren sind die auf ungenügend ausgebildeten Grundvorstellungen zurückzuführende, getrennte Betrachtung von Zähler und Nenner eine Hauptfehlerquelle, da nur die Zähler oder nur die Nenner betrachtet und der Größe nach verglichen werden. Dies führt zu Fehlerstrategien wie

5.1 Gemeine Brüche

143

„kleinerer Nenner/Zähler bedeutet kleinere/größere Zahl“ oder dem komponen9 tenweisen Vergleich, wenn dies möglich ist, wie bei 67 und 12 , bei dem sowohl der Zähler als auch der Nenner beim letzten Bruch größer ist und deshalb insgesamt als größer angenommen wird (Eichelmann et al. 2012, S. 44). Die getrennte Betrachtung von Zähler und Nenner kann jedoch durchaus zu richtigen Ergebnissen führen, wie z. B. bei 35 < 79 , woraus einigen Lernenden fälschlicherweise die Allgemeingültigkeit dieser Strategie ableiten. In Studien, die die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern zum Vergleichen von gemeinen Brüchen erfassen, werden jeweils mehrere Brüche vorgegeben, bei denen der größte identifiziert werden muss bzw. der Größe nach geordnet werden müssen. So waren dies in der Studie Pallacks und Herdens die Brüche 35 , 85 und 43 . Mit rund 49 % waren nicht einmal die Hälfte der untersuchten Siebtklässler:innen in der Lage, diese drei Brüche der Größe nach zu ordnen, wobei es jedoch keine typische falsche Reihenfolge gab (Herden und Pallack 2000, S. 267). Etwas eindeutiger waren hier die Ergebnisse der MARKUS- und 7 PALMA-Studie, bei denen der größte der Brüche 45 , 43 , 58 und 10 ausgewählt werden musste (Balzer et al. 2007, S. 182 ff.; Wartha 2007b, S. 173 ff.). In der MARKUS-Studie, die mit über 40.000 Achtklässler:innen aus NRW durchgeführt wurde, konnten nur rund 38 % diese Aufgabe korrekt lösen. Auch in der Untersuchung PALMA, die die Fähigkeiten von rund 2000 bayerischen Siebtklässler:innen erfasste (Pekrun et al. 2006, S. 27), lag die Lösungsquote bei lediglich 43 % an Gymnasien und 32 % an Realschulen (Wartha 2007b, S. 173 f.). Dabei wurden in beiden Studien bei den meisten fehlerhaften Antworten 43 als der größte Bruch identifiziert (bei MARKUS rund 70 %, bei PALMA 73 %), was auf eine Fokussierung auf Alltagsbrüche zurückzuführen ist. Anscheinend haben die Schülerinnen und Schüler nur zu diesen konkrete Größenvorstellungen (Wittmann 2006, S. 70), während die anderen gemeinen Brüche „inhaltsleere Zeichenkombinationen“ darstellen (Padberg 2015, S. 66). Rund 24 % der Teilnehmenden der MARKUS-Studie und 18 % der PALMA-Studie, die falsch antworteten, wählten 7 hingegen den Distraktor mit dem größten Zähler und Nenner 10 (Balzer et al. 2007, S. 183; Wartha 2007a, S. 175). In einer australischen Studie wurden acht verschiedene Paare mit gleichen und ungleichen Komponenten Schülerinnen und Schülern der sechsten Klasse vorgegeben, die diese unter Angabe des Lösungsweges in Einzelinterviews lösen sollten, wobei die systematische Behandlung der gebrochenen Zahlen bereits abgeschlossen war (Clarke und Roche 2009, S. 129 f.). Dabei erzielten, wie zu erwarten, die Lernenden bei Aufgaben mit gleichem Nenner mit 77,1 % die höchste Lösungsquote – hier kann das Verfahren aus den natürlichen Zahlen direkt übertragen werden. Anders ist dies bei gleichem Zähler, da in diesem

144

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Fall ein einfacher Vergleich, wie er aus den natürlichen Zahlen bekannt ist, zum falschen Ergebnis führt, was die geringe Lösungsquote von 37,2 % erklärt. So konnten auch nur 50 % der Schülerinnen und Schüler Aufgaben lösen, bei denen Zähler und Nenner jeweils vertauscht wurden und damit ein Bruch größer als eins war (Clarke und Roche 2009, S. 132). Das bedeutet, obwohl es möglich ist den Vergleich von Brüchen ohne semantisch-begriffliches Wissen durch das Verfahren des Gleichnamigmachens zu lösen, sind viele Schülerinnen und Schüler nicht in der Lage gemeine Brüche miteinander zu vergleichen, was darauf hinweist, dass der Algorithmus als unverstandenes Wissen schnell wieder vergessen wird, während die intuitiven Vorstellungen, dass Zähler und Nenner zwei getrennte natürliche Zahlen darstellen, verankert bleiben und als Lösungsmethode verwendet werden. Trotzdem bildet der Größenvergleich nur eine Grundlage für die Leitidee Zahl und wird deshalb lediglich in Kompetenzstufe II eingeordnet (KMK und IQB 2012, S. 68).

5.1.4

Addition und Subtraktion

Addition als Hinzu- oder Zusammenfügen, Subtraktion als Wegnehmen und Ergänzen – diese Vorstellungen aus den natürlichen Zahlen können äquivalent auf die gemeinen Brüche übertragen werden, sodass zunächst keine Grundvorstellungsumbrüche für diese Rechenoperationen stattfinden müssen. Genau hierin kann jedoch auch eine wichtige Fehlerquelle liegen, denn zwar können die Vorstellungen zu den Rechenoperationen übernommen werden, jedoch nicht die der Zahlenbereiche, sodass es bei der Bearbeitung von Additions- uns Subtraktionsaufgaben, je nach Zahlenmaterial zu vielfältigen Fehlern kommen kann. Die Addition und Subtraktion gemeiner Brüche ist vor allem über den Abruf syntaktisch-algorithmischen Wissens lösbar, da nur Aufgaben mit Brüchen gleichen Nenners oder Alltagsbrüche ohne den Abruf eines Algorithmus ohne weiteres lösbar sind. Die anderenfalls notwendigen Verfahren sind hingegen ungleich komplizierter und verlangen, je nach Zahlenmaterial, viele verschiedene Teilschritte, die wiederum andere Teilfertigkeiten wie Erweitern oder Kürzen voraussetzen. Denn es können nur Brüche addiert und subtrahiert werden, die sich auf das gleiche Ganze und auf gleiche Unterteilungen beziehen. Bei ungenügend entwickelten Grundvorstellungen zu Brüchen wird dies oft nicht berücksichtigt, sodass die vorherrschende Fehlerstrategie die getrennte Addition bzw. Subtraktion von Zähler und Nenner ist, während Aufgaben mit gleichem Nenner oft ohne

5.1 Gemeine Brüche

145

Schwierigkeiten gelöst werden können. So lag die Lösungsquote bei der Addition gleichnamiger Brüche in einer älteren Studie Padbergs bei 85 % nach der Behandlung der Bruchrechnung, bei der ungleichnamiger Brüche hingegen nur bei 70 % (Padberg 1986, S. 61). Nach neueren Studien ist besonders beim Rechnen mit ungleichnamigen Brüchen die Fehlerquote deutlich vom Zahlenmaterial abhängig. So lösten in der Studie Pallacks und Herdens je 80 % der untersuchten Schülerinnen und Schüler die Additionsaufgaben, bei denen ein Nenner Vielfaches des anderen Nenners war, korrekt. Musste hingegen zuerst ein Hauptnenner gebildet werden, bei dem beide Nenner Vielfaches einer Zahl oder teilerfremd waren, sanken die Lösungsquoten auf zwischen 40 % und 60 %, wobei die Größe der Nenner und damit der Aufwand der Multiplikation eine Rolle für die Lösungshäufigkeit zu haben scheinen (Herden und Pallack 2000, S. 262 ff.). Innerhalb der PALMA-Studie wurden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert die Aufgabe 41 + 16 sowohl rechnerisch als auch grafisch zu lösen, wobei bereits ein in zwölf Segmente unterteiltes Kreisdiagramm vorgegeben war. Dabei konnten 63 % der untersuchten Schülerinnen und Schüler die Aufgabe zwar rechnerisch lösen, jedoch waren nur 30 % in der Lage, sie zeichnerisch korrekt zu bearbeiten. Daraus folgert Wartha, dass die Addition (und sicherlich auch die Subtraktion) gemeiner Brüche von einem großen Teil der Schülerinnen und Schüler (ein Drittel) nur ein technisches Manipulieren von Zahlen ist (Wartha 2007b, S. 192). Aufgrund dieses mangelnden Verständnisses begehen die Schülerinnen und Schüler vielfältige Fehler beim algorithmischen Lösen der Additions- und Subtraktionsaufgaben. Der mit Abstand häufigste Fehler ist dabei die getrennte Verrechnung der Zähler und Nenner (z. B. 13 + 25 = 38 ) (Eichelmann et al. 2012, S. 47 und S. 51). Jedoch kommt es ebenso zur Addition von Zähler und Nenner innerhalb der beiden Summanden. Die Summe des ersten Summanden ist dann der neue Zähler, die 1 des zweiten Summanden der neue Nenner (z. B. 12 + 43 = 13 7 ) (Eichelmann et al. 2012, S. 48). Bei der Subtraktion findet sich dieser Fehler eher selten, da diese Rechnung bei echten Brüchen Ergebnisse liefern würde, die kleiner als Null sind. Hingegen kommt es besonders bei der Addition zur Ersetzung dieser durch die Multiplikation, da häufig der Hauptnenner gebildet wird, indem die beiden Nenner multipliziert werden. Statt beide Zähler nun jedoch mit dem jeweils anderen Nenner zu multiplizieren, werden auch die Zähler miteinander multipliziert (Eichelmann et al. 2012, S. 48 und S. 51), ganz so wie es aus dem algorithmischen Rechnen aus den natürlichen Zahlen bekannt ist, bei dem Gleiches immer mit Gleichem verrechnet werden muss. Eine weitere Fehlerkategorie ist die teilweise Durchführung des Algorithmus, indem zwar der Hauptnenner korrekt gebildet wird, jedoch keine Erweiterung

146

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

des Zählers stattfindet (Eichelmann et al. 2012, S. 48 und S. 51). Im Vergleich zur getrennten Addition und Subtraktion von Zähler und Nenner nehmen alle anderen Fehlertypen aber eine eher untergeordnete Rolle ein (Eichelmann et al. 2012, S. 47). Bei der getrennten Subtraktion von Zähler und Nenner treten weitere Schwierigkeiten auf. Wenn Zähler oder Nenner des Subtrahenden größer sind als die des Minuenden, wechseln die Schülerinnen und Schüler die Rechenrichtung, was darauf hindeutet, dass das Rechnen mit gebrochenen Zahlen als willkürliches Regelwerk verstanden wird, bei dem auch die Regeln aus den natürlichen Zahlen, selbst wenn diese der Bearbeitung zu Grunde gelegt werden, nicht gelten. Noch schwieriger als das Lösen von Aufgaben mit echten Brüchen scheint für Schülerinnen und Schüler die Addition und Subtraktion von gemeinen Brüchen mit natürlichen Zahlen zu sein, was wiederum mit der Prägnanz des syntaktischen Arbeitens begründet werden kann. Aufgaben wie 2 + 15 , die auf Basis von Grundvorstellungen trivial gelöst werden können, sind durch den üblichen Algorithmus, der auf dem Bilden des Hauptnenners beruht, deutlich schwerer zu bearbeiten, was wiederum zu Fehlern führt, besonders beim Umwandeln der natürlichen Zahl in einen gemeinen Bruch, wobei meist die falsche Umwandlung der natürlichen Zahl in nn gewählt wird. Hierdurch wird ersichtlich, dass die Vorstellung des Bruchs als Quotient, bei dem der Bruchstrich das Symbol der Division darstellt, nicht erkannt wird. Zwar wissen die meisten Schülerinnen und Schüler, dass die Division einer Zahl mit sich selbst stets eins ergibt, können dies jedoch nicht auf gebrochene Zahlen übertragen. Bei der Vorstellung eines Bruchs als zwei getrennte natürliche Zahlen kommt es bei der Addition eines Bruchs mit einer natürlichen Zahl dazu, dass diese nur mit dem Zähler addiert wird. So konnten in der Studie Padbergs diese Aufgaben nur zu 55 % (natürliche Zahl + Bruch) bzw. 50 % (Bruch + natürliche Zahl) korrekt gelöst werden (Padberg 1986, S. 60). Es wird somit deutlich, dass Probleme bei der Addition und Subtraktion gemeiner Brüche häufig auf eine mangelnde semantische Durchdringung der Grundvorstellungen zu gemeinen Brüchen zurückzuführen sind, die sich darin zeigt, dass semantisch sehr einfach zu lösende Rechnungen fehlerhaft bearbeitet werden, jedoch Aufgaben, die aufgrund eines Standardalgorithmus gelöst werden können, die höchsten Lösungsquoten zeigen. Muss die Rechenvorschrift hingegen angepasst werden oder steigt die Anzahl notwendiger Rechenschritte, gelangen immer weniger Lernende zu korrekten Ergebnissen. Dabei sind Fehler zum großen Teil nicht auf Probleme bei den Rechenfertigkeiten zurückzuführen, da die Aufgabenbearbeitung meist nur innerhalb des kleinen Einmaleins und

5.1 Gemeine Brüche

147

Einspluseins zu bewältigen ist, sondern auf mangelndes Verständnis des Algorithmus, der auf dem Finden gleicher Unterteilungen der beiden Brüche beruht. Dabei ist für die Rechenoperationen prinzipiell kein Grundvorstellungsumbruch vonnöten, jedoch müssen die Grundvorstellungen eines Bruchs als Anteil ausgebildet sein, um den Algorithmus zu verstehen und korrekt durchführen zu können, um Aufgaben, bei denen natürliche mit gebrochenen Zahlen verrechnet werden müssen, schnell lösen zu können. Doch genau dies scheint häufig nicht der Fall zu sein. Ein Bruch wird als Zusammensetzung zweier natürlicher Zahlen verstanden und Rechenregeln werden zum Teil von dort direkt übernommen. Das bedeutet, dass Additions- und Subtraktionsaufgaben zum einen nicht mithilfe von Grundvorstellungen gelöst werden können, zum anderen der Lösungsalgorithmus, auf Grundlage des sehr aufwendigen Rechenprozesses, der von vielen formalen Regeln bestimmt ist, eine hohe kognitive Belastung darstellt (Wittmann 2006, S. 58). So ist zu erklären, dass Lehrkräfte ihren Mathematikunterricht in Bezug auf die Addition und Subtraktion gemeiner Brüche als sehr kleinschrittig und nicht als kognitiv aktivierend beschreiben, während Lernende diese Inhalte als kognitive Herausforderung erleben (Baumert et al. 2004, S. 329 ff.). Die Diskrepanz zwischen dem Verständnis der Verfahren zur Addition und Subtraktion gemeiner Brüche und deren Anwendung wird auch im Kompetenzstufenmodell der Bildungsstandards für die Sekundarstufe I deutlich. Denn während die Prozesse als wenigschrittige Prozeduren in Kompetenzstufe II eingeordnet werden können, entspricht deren Verständnis der höchsten Niveaustufe V, in der die Schülerinnen und Schüler Begründungen für Operationen mit Bruchzahlen geben können (KMK und IQB 2012, S. 68).

5.1.5

Multiplikation und Division

Multiplikation und Division verhalten sich konträr zu den Strichrechenarten: Die Rechenvorschriften können aus den Multiplikation natürlichen Zahlen übernommen werden (bei der Division mit vorheriger Kehrwertbildung des Divisors), jedoch nicht die Grundvorstellungen zu den beiden Rechenoperationen. So lässt sich die Vorstellung der Multiplikation als wiederholte Addition nur noch auf den Fall natürliche Zahl mal Bruch unter Rückgriff auf die quasikardinale Vorstellung übertragen (drei Mal ein Viertel ist 1 Viertel + 1 Viertel + 1 Viertel) (Padberg und Wartha 2017, S. 21), jedoch nicht auf Bruch mal natürliche Zahl

148

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

(außer durch die Verwendung der Kommutativität) (Padberg und Wartha 2017, S. 107) sowie Bruch mal Bruch (Padberg und Wartha 2017, S. 5). Bei einem Drittel mal ein Halb kann kein Springen auf dem Zahlenstrahl oder schriftliches Addieren durchgeführt werden. Die Vorstellung der Multiplikation als räumlichsimultane Darstellung kann, wie das auch bei den natürlichen Zahlen der Fall ist, als Flächeninhalt interpretiert werden, wobei die beiden Faktoren als Maßzahlen aufgefasst werden (Padberg und Wartha 2017, S. 110 f.) (Abbildung 5.3).

Abbildung 5.3 Multiplikation gemeiner Brüche als Flächeninhalt (nach Padberg und Wartha 2017, S. 111)

Hinzu kommt eine Deutung der Multiplikation, die innerhalb der natürlichen Zahlen nicht tragfähig ist: die der Anteilbildung. Während der Anteil drei von sechs Murmeln nicht durch die Multiplikation darstellbar ist, kann die Aufgabe 1 1 3 · 2 als die Hälfte von einem Drittel interpretiert werden (Padberg und Wartha 2017, S. 109) (Abbildung 5.4):

5.1 Gemeine Brüche Abbildung 5.4 1 1 3 von 2

1 3

·

1 2

149 als

So wird auch deutlich, dass die Multiplikation zweier echter Brüche zu einer Verkleinerung führt, da ein Anteil von einem Anteil kleiner ist als die Ausgangsmenge selbst. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den natürlichen Zahlen, bei denen die Multiplikation eine Menge stets vergrößert (oder bei Multiplikation mit eins konstant bleibt). Ausgedrückt wird diese Anteilsbildung dann jedoch lediglich durch die getrennte Multiplikation der Zähler und Nenner, genauso wie es bei der Vorstellung eines Bruchs als Zusammensetzung zweier natürlicher Zahlen intuitiv durchgeführt werden würde. Somit kann aus einer korrekten Aufgabenbearbeitung einer einfachen Multiplikation keineswegs auf das Verständnis der von-Deutung geschlossen werden. So konnten in einer Untersuchung von Prediger nur 17 % der Gymnasiast:innen der siebten Klasse eine inhaltliche Deutung der Aufgabe 23 · 43 angeben (Prediger 2006, S. 3). Die Lösungsquoten für Multiplikationsaufgaben echter Brüche sind aufgrund der einfachen Rechnungen hoch, wobei es bei falschen Lösungen vor allem zu fehlerhaften Übertragungen aus anderen Rechenoperationen, im Besonderen der Addition, kommt. So sind in der älteren von Padberg durchgeführten Studie zu den Rechenfertigkeiten der Schülerinnen und Schüler 72 % in der Lage ungleichnamige Brüche zu multiplizieren, bei gleichnamigen Brüchen liegt die Quote 10 % tiefer, da hier oft, äquivalent zur Addition und Subtraktion, der Nenner beibehalten wird und lediglich die Zähler multipliziert werden (Padberg 1986, S. 65). Die Fehlerzahl ist bei Aufgaben zur Multiplikation von Bruch mit natürlicher Zahl und andersherum am höchsten, wobei Padberg keinen Unterschied in den Lösungsquoten zwischen den beiden Aufgabentypen ermitteln konnte und das, obwohl die Grundvorstellung der Multiplikation als wiederholte Addition im Fall natürliche Zahl mal Bruch aufrecht erhalten werden kann und die Fehlstrategie aus der Addition,

150

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

bei der nur der Zähler mit der natürlichen Zahl verrechnet wird, bei der Multiplikation zum richtigen Ergebnis führt (60 % Lösungsquote) (Padberg 1986, S. 65). Die Studie von Herden und Pallack bestätigt Padbergs Befunde, denn auch hier wird die Multiplikation gleichnamiger Brüche mit 69,7 % deutlich seltener korrekt gelöst, als die ungleichnamiger Brüche (82,4 %) (Herden und Pallack 2000, S. 269). In der MARKUS-Studie wurde als verwandte Aufgabe   folgende Rechnung gestellt: 43 + 23 · 41 (Balzer et al. 2007, S. 189), bei der vier Antwortmöglichkeiten vorgegeben waren und eine Lösungsquote von rund 61 % 5 dar, den man erzielt wurde. 54 % aller Falschlösungen stellte der Distraktor 16 erhält, wenn die Multiplikation zwar richtig durchgeführt wurde, dann jedoch komponentenweise addiert wird (Balzer et al. 2007, S. 182 f.), was einmal mehr bestätigt, dass die Durchführung der Multiplikation nicht das eigentliche Problem ist, sondern die nicht tragfähigen Grundvorstellungen zu den gemeinen Brüchen, die eine korrekte Anwendung der Rechenalgorithmen, in diesem Fall speziell bei der Addition, erschweren. Ähnlich verhält es sich bei der Division gemeiner Brüche. Auch diese bringt Grundvorstellungsumbrüche und neue Deutungen der Rechenoperation mit sich, während die zur Ausführung notwendige Rechenvorschrift auf die der Multiplikation gemeiner Brüche zurückgeführt werden kann, indem man den Kehrwert des Divisors bildet. Für den Spezialfall Bruch durch natürliche Zahl kann die bereits bekannte Vorstellung des Verteilens verwendet werden (Padberg 2015, S. 122). Das Aufteilen ist, wie es aus den natürlichen Zahlen vertraut ist, nur noch dann möglich, wenn der Dividend ein Vielfaches des Divisors ist (Padberg und Wartha 2017, S. 144). Konnten also bei den natürlichen Zahlen alle Aufgaben im Sinne beider Grundvorstellungen gedeutet werden, gelingt dies bei den gebrochenen Zahlen nur für wenige Aufgaben und dann nur mit einer der beiden Vorstellungen. Weiterhin muss die Idee überwunden werden, dass Division nur dann möglich ist, wenn der Dividend ein Vielfaches des Divisors ist und, begründet durch die Vorstellungen des Auf- und Verteilens, die Division immer verkleinert. Um auf die bekannte Vorstellung des Aufteilens zurückgreifen zu können, schlagen Padberg und Wartha vor, die Division bei Brüchen anhand der Vorstellung des Messens einzuführen, die zumindest für einige Repräsentanten anschaulich dargestellt werden kann, um gewonnene Kenntnisse anschließend auf Grundlage des Permanenzprinzips zu verallgemeinern (Padberg und Wartha 2017, S. 134 und S. 137 f.). Den Kern bildet hierbei das Verständnis, dass sich der Quotient nicht ändert, wenn sowohl der Dividend als auch der Divisor mit derselben Zahl multipliziert werden. Es macht demnach keinen Unterschied, ob ich frage, wie oft ein drittel Meter in einem halben Meter enthalten ist, ein Meter in eineinhalb Metern oder zwei Meter in drei Metern. In Formelsprache ausgedrückt heißt das:

5.1 Gemeine Brüche

151

1 1 : = 2 3



   1 1 1·3 1 3 ·3 : ·3 = :1= · 2 3 2 2 1

Daraus kann anschließend die allgemeine Divisionsregel abgeleitet werden (Padberg und Wartha 2017, S. 135): a c b:d

=

a·d c·d d : b

=

a·d b :c

=

a·d b·c

= ba : dc a,b,c,d ∈ N.

Wie bei der Multiplikation können Aufgaben nur durch Kenntnisse des Einmaleins gelöst werden. Die von Padberg ermittelten Aufgabenschwierigkeiten entsprechen demnach weitestgehend denen der Multiplikation, wobei die Aufgaben mit ungleichnamigen Brüchen mit 65 % am besten gelöst werden, die mit gleichnamigen hingegen mit 60 % etwas schlechter. Die Lösungsquote sackt hingegen auf 40 % und darunter ab, wenn natürliche Zahlen in der Aufgabe enthalten sind (Padberg 1986, S. 70) und das auch, wenn die Aufgaben anhand von Divisionsvorstellungen aus den natürlichen Zahlen lösbar sind. Somit ist hier ebenfalls davon auszugehen, dass Schülerinnen und Schüler diese Aufgaben nur anhand des Algorithmus lösen und nicht durch semantisches Wissen, was die Bearbeitung deutlich erschwert, da so die Anzahl der Rechenschritte und damit der möglichen Fehler ansteigt. Deutlich schlechtere Ergebnisse erzielten die Lernenden für den Aufgabentyp Bruch durch Bruch in der Studie Pallacks und Herdens. Hier lösten die Aufgaben nur 45,9 % bzw. 54 % (Herden und Pallack 2000, S. 270), wobei Zahlenmaterial verwendet wurde, was das Lösen der Aufgaben mittels Algorith56 mus sehr schwer macht, selbst dann, wenn, wie bei der ersten Aufgabe ( 112 51 : 119 17 7 und 3 : 18 ) vorher gekürzt wurde (Herden und Pallack 2000, S. 263). Doch konnten neben Rechenfehlern die gleichen Fehlerstrategien festgestellt werden wie in der Studie Padbergs, die im Allgemeinen mit denen der Multiplikation übereinstimmen. Hinzu kommen Kehrwertfehler, bei denen das Reziproke des Dividenden gebildet wird oder dieser Schritt komplett fehlt, sodass die beiden Brüche nur multipliziert werden (Herden und Pallack 2000, S. 269). Es wird ersichtlich, dass bei den Punktrechenarten eine große Diskrepanz zwischen Rechenfertigkeiten und Verständnis der Operationen herrscht. Je einfacher die Aufgabe mittels Rechenvorschriften lösbar ist, desto höher sind die Lösungsquoten. Kann eine Aufgabe aufgrund von semantischem Wissen leicht gelöst werden und ist die Verwendung des Algorithmus hingegen erschwert (wie bspw. bei 1: 15 ), steigen die Fehlerquoten deutlich an. Dies spiegelt, wie auch bei der Addition und Subtraktion, die Einteilung der Multiplikation und Division in die Kompetenzstufen wider, denn während die sehr einfachen Rechnungen in

152

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Kompetenzstufe Ib eingeordnet werden können, entspricht das Verständnis der Verfahren wiederum der Kompetenzstufe V (KMK und IQB 2012, S. 68).

5.1.6

Zusammenfassung bezüglich der gemeinen Brüche

Zusammenfassend konnten die empirischen Untersuchungen zeigen, dass Probleme in der Bruchrechnung vor allem auf nicht hinreichend entwickelte inhaltliche Vorstellungen zurückzuführen sind, also vor allem Probleme beim semantisch-begrifflichen Wissen vorliegen (Eichelmann et al. 2012, S. 31). Dabei verfügt mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler nicht über adäquat entwickelte Vorstellungen wie die des Bruchs als Teil eines oder mehrerer Ganzen oder als Operator. Dementsprechend ist für diese Lernenden das Rechnen mit gemeinen Brüchen „[…] mit hoher Wahrscheinlichkeit nur ein rein technisches Manipulieren nach unverstandenen Regeln“ (Padberg 2015, S. 87). So erklären sich auch die sechs unterschiedlichen, kontextunabhängigen Fehlerstrategien, die Wartha (Wartha 2009b, S. 73 ff.) in seiner Untersuchung ermitteln konnte: • Vermeiden von Brüchen und Ausweichen auf natürliche Zahlen oder Prozentrechnung • Orientieren an Brüchen aus dem Alltag • Übertragen der Regeln zum Umgang mit natürlichen Zahlen auf Bruchzahlen • Wahl einer falschen Rechenoperation, insbesondere bei der Anteilsbildung • Bei Sachaufgaben Berechnung von Termen aus den Zahlen der Aufgabe, ohne Bezug zur Aufgabenstellung • Anpassen der Regeln, um ein plausibles Ergebnis herzustellen Damit entsprechen viele dieser Fehler denen, die auch typisch für rechenschwache Schülerinnen und Schüler beim Umgang mit natürlichen Zahlen sind, wie die Wahl falscher Rechenoperationen, besonders beim Lösen von Sachaufgaben, bei denen oft nur die angegebenen Zahlen irgendwie miteinander verrechnet werden oder das Anpassen von Rechenregeln. Diese Ausweichstrategien aus vermeindlich gut beherrschten Inhalten scheinen immer dann angewendet zu werden, wenn keine tragfähigen Grundvorstellungen vorhanden sind. Dabei können einfache Rechenaufgaben mit zwei gemeinen Brüchen bei allen vier Rechenoperationen gut gelöst werden. Kommt es jedoch zu einer Vermischung der Zahlbereiche (was die Verwendung eines Algorithmus erschwert), steigt die Fehlerquote deutlich an. Demnach werden die Aufgaben für die Lernenden umso schwieriger, je mehr Schritte im Algorithmus enthalten sind und Anpassungen vorgenommen werden

5.2 Dezimalzahlen

153

müssen. Dies entspricht den Verortungen der unterschiedlichen Teilfertigkeiten in das Kompetenzstufenmodell der KMK für die Sekundarstufe I, denn hier erfolgt die Einteilung einerseits anhand der Anzahl der im Lösungsprozess enthaltenen Teilschritte und andererseits der Notwendigkeit für ein Verständnis. So finden sich die hier beschriebenen Fertigkeiten ausschließlich auf den Niveaus I und II, da es sich um ein- oder wenigschrittige Prozesse handelt, während Fähigkeiten, die ein Verständnis der Bruchzahlaspekte voraussetzen, wie das Umwandeln zwischen verschiedenen Darstellungen gebrochener Zahlen oder das Finden von Begründungen zu Rechenoperationen, erst in den beiden höchsten Stufen zu finden sind. Es scheint dementsprechend nicht sinnvoll zu sein, zur Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen schwerpunktmäßig Aufgaben zur Erfassung von Grundvorstellungen einzubeziehen, sondern eher kalkülhafte Aufgaben zu verwenden, bei denen unauffällige Schülerinnen und Schüler hohe Lösungsquoten zeigen, um entsprechende Unterschiede bei den beiden Gruppen zu identifizieren. Um diese Fähigkeiten bei rechenschwachen Schülerinnen und Schülern soll es in Abschnitt 5.4 gehen. Zunächst soll sich hingegen mit einem zweiten Teilgebiet der Bruchrechnung auseinandergesetzt werden, welches eine Verknüpfung zwischen gemeinen Brüchen und natürlichen Zahlen darstellen kann und somit Vorstellungen und Verständnis beider Bereiche voraussetzt.

5.2

Dezimalzahlen

Auch Dezimalzahlen2 stellen, wie gemeine Brüche, Teile eines oder mehrerer Ganze dar, repräsentieren also die gleichen Mengen wie gemeine Brüche, werden jedoch völlig anders dargestellt. Deshalb steht die Erweiterung der Stellenwerte besonders im Fokus der Auseinandersetzung, weniger die Grundvorstellungen zu gebrochenen Zahlen, die bereits in der Auseinandersetzung mit gemeinen Brüchen thematisiert wurden (Heckmann 2006, S. 55). Für dieses Verständnis sind zwei Aspekte zentral: Vorstellungen zu den Stellenwerten und der Zusammenhang zwischen den einzelnen Stellenwerten (Wartha 2017, S. 291). Hierbei wird der Zusammenhang zu den gemeinen Brüchen deutlich, denn jede endliche Dezimalzahl ist ein spezieller gemeiner Bruch mit einer Zehnerpotenz im Nenner (Heckmann 2006, S. 53). Dabei kann eine endliche Dezimalzahl als Addition verschiedener Zehnerbrüche angesehen werden (lokale Sichtweise) (z. B. 0,25 als 2 5 10 + 100 oder zwei Zehntel + fünf Hundertstel) oder als einzelner Zehnerbruch 2

Hier werden nur endliche und unendliche periodische Dezimalzahlen betrachtet, da sich diese in gemeine Brüche umwandeln lassen.

154

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

25 (globale Sichtweise) (z. B. 0,25 als 100 oder 25 Hundertstel) (Heckmann 2006, S. 53). Die Zehnerpotenzen wachsen von rechts nach links um je eins, was an der Stellenwerttafel deutlich wird. Der Kern des Verständnisses von Dezimalzahlen ist dementsprechend das Verständnis des Stellenwertsystems und der Zusammenhang zwischen gemeinen Brüchen und Dezimalzahlen. Mit der Wichtigkeit des Stellenwertverständnisses gewinnt auch das Verständnis für gleichmächtige Bündelungen im Vergleich zu den gemeinen Brüchen an Bedeutung. Dafür spielt das TTG und mit ihm die Vorstellung eines Bruchs als relativer Anteil nur noch eine untergeordnete Rolle, da Ausdrücke wie 0,2 von 20 im Alltag nicht vorkommen und die inhaltliche Deutung ohne die Verwendung gemeiner Brüche kaum möglich ist (der fünfte Teil einer Menge vs. der 0,2te Teil einer Menge).

·10

·10

·10

Hunderter Zehner Einer , Zehntel Hundertstel Tausendstel 1 1 1 , 100 10 1 10 100 1000 :10

:10

:10

Abbildung 5.5 Stellenwerttafel für Dezimalzahlen

Die in Abbildung 5.5 dargestellte Stellenwerttafel deutet darauf hin, dass Gemeinsamkeiten zwischen Dezimal- und natürlichen Zahlen bestehen, sodass viele Rechenvorschriften übernommen werden können. Allerdings ist der Bezugspunkt nun nicht mehr die letzte Stelle einer Zahl mit Blickrichtung nach links, so wie dies bei den natürlichen Zahlen der Fall war, sondern das Komma, welches den ganzzahligen Anteil vom gebrochenen trennt, und von dort aus nach rechts und links geblickt werden muss (Padberg 2015, S. 165). Dabei kann das Komma nicht als Symmetriepunkt gedeutet werden, da die „Eintel-Stelle“ nicht existiert. Die Dezimalzahlen werden durch die Division von eins durch Zehnerpotenzen gebildet, wobei die Division von eins durch eins eben eins ergibt, wodurch kein neuer Stellenwert entsteht, wie in der Abbildung 5.5 ersichtlich wird. Zwar lassen sich so gemeine Brüche und Dezimalzahlen leicht ineinander umwandeln, jedoch wird ebenso ersichtlich, dass die gemeinen Brüche in gekürzter Form mit denen in Prozent- und Dezimalschreibweise auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten haben, wie bspw. die beiden Ausdrücke 18 und 0,125. Aus diesem Grund betrachten einige Schülerinnen und Schüler gemeine Brüche und Dezimalzahlen als

5.2 Dezimalzahlen

155

zwei völlig unterschiedliche Zahlbereiche, die keine Gemeinsamkeiten aufweisen (Heckmann 2006, S. 52) und das auch, wenn die einzelnen Stellenwerte phonetisch den Zusammenhang mit gemeinen Brüchen verdeutlichen. Damit scheint für 1 diese Lernenden zum Teil kein Zusammenhang zwischen den Ausdrücken 10 und 0,1, wie es in der Stellenwerttafel zu finden ist, zu bestehen. So ist ein häufiger Schülerfehler die Gleichsetzung des Kommas mit dem Bruchstrich, sodass 2,5 in 2 5 umgewandelt wird. Des Weiteren ist auch hierbei der Umgang mit der Null ein großer Fehlerschwerpunkt, da entweder dem Nenner die falsche Zehnerpotenz zugeordnet oder der Stellenwert des Zählers eines Zehnerbruchs nicht beachtet wird (Padberg 25 2015, S. 193 f.). Im Beispiel 100 würde ein Lernender bzw. eine Lernende die fehlerhafte Denkweise anwenden, nach der ein gemeiner Bruch mit dem Nenner 100 immer zu einer Dezimalzahl der Form 0,0… umgewandelt werden kann, unabhängig vom Zähler, sodass er bzw. sie das Ergebnis 0,025 angeben würde. Die PALMA-Studie zeigte, dass besonders das Umwandeln von Dezimalzahlen in gemeine Brüche einen großen Problembereich bildet. Zwar konnten 80 % 5 der Schülerinnen und Schüler den Bruch 1000 in 0,005 umwandeln, andersherum gelang dies jedoch nur 70 %. Beim Umwandeln des Bruchs 0,28 musste eine große Diskrepanz zwischen Gymnasiast:innen mit einer Lösungsquote von 75 % und Realschüler:innen mit nur 35 % festgestellt werden (Wartha 2007a, S. 175 f.). Ein Grund für diese große Diskrepanz konnte nicht festgestellt werden. Zwar sollte der entstandene Bruch am Ende noch vollständig gekürzt werden, allerdings 28 machte hierbei nur jede:r sechste Schüler:in, der bzw. die vorher das Ergebnis 100 erhielt, Fehler, sodass dies als Ursache der großen Diskrepanz ausgeschlossen werden kann. Deutlich geringere Lösungsquoten für Gymnasialschüler:innen ermittelten Pallack und Herden. In ihrer Studie konnten lediglich 54,9 % der Schülerinnen und Schüler 0,04 in einen gemeinen Bruch umwandeln, obwohl die Aufgabenkomplexität in beiden Studien identisch war. Womöglich ist die zeitliche Diskrepanz oder die Zusammensetzung der Stichprobe (Bayerische Schülerinnen und Schüler bei Wartha, Essener Lernende in der Studie von Pallack und Herden) Ursache für diese unterschiedlichen Ergebnisse, denn die Umwandlung von gemeinen Brüchen und gemischten Zahlen in Dezimalzahlen gelang hier nur in wenigen Fällen. So konnten 43,4 % der Lernenden 75 und nur 20,1 % 1 23 als Dezimalzahl angeben (Herden und Pallack 2000, S. 271). Allerdings sind die in dieser Studie gestellten Aufgaben schwieriger als die in der Studie Warthas, weil hier nicht nur endliche Dezimalzahlen umgewandelt werden sollten, sondern auch periodische. Denn auch bei der Dezimlazahl 0, 4 lag die Lösungsquote, wenig überraschend, mit nur 22,1 %, deutlich unter der für endliche Dezimalzahlen.

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5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Die hier angeführten Studien von Wartha sowie Herden und Pallack geben einen kleinen Einblick in Schülerkompetenzen und systematische Fehler bezüglich einiger Tätigkeitsbereiche der Dezimalzahlen. Der Schwerpunkt beider Untersuchungen lag jedoch eher bei gemeinen Brüchen. Viele große empirische Studien zum Thema, vorwiegend quantitativer Natur, wurden besonders in den 1980er und -90er Jahren in der internationalen mathematikdidaktischen Forschung durchgeführt (Heckmann 2006, S. 139 ff.). Seitdem gab es allerdings nur noch wenige umfangreichere Studien hierzu. Eine sehr detaillierte Untersuchung stammt von Kirsten Heckmann aus dem Jahr 2006, in der sie mittels eines schriftlichen Tests das Dezimalzahlverständnis erfasste, typische Fehler systematisierte und anschließend qualitative Interviews zur Erfassung von (Fehl-)Vorstellungen durchführte. In ihrer Studie untersuchte sie 165 nordrhein-westfälische Lernende von drei Realschulen über drei Messzeitpunkte der sechsten Klasse hinweg, wodurch sie Fähigkeiten vor, während und nach der Behandlung der Dezimalzahlrechnung im Unterricht erfasste (Heckmann 2006, S. 247). Nach dieser Studie wurden vor allem methodische Ansätze zur Verbesserung der Kompetenzen zum Dezimalzahlverständnis (z. B. Isotani et al. 2011) und der Einfluss des Zahlenmaterials auf Aufgabenlösungen erforscht (Bikner-Ahsbahs et al. 2017). Zwar können identifizierte systematische Fehlerstrategien aus älteren Studien, wie denen von Padberg, oder Untersuchungen aus anderen Ländern, bspw. der australischen Studie von Isotani und Kolleg:innen für die Analyse heutiger Schülerfähigkeiten verwendet werden (Isotani et al. 2011), allerdings sind empirisch ermittelte Kompetenzen anhand von Lösungsquoten aufgrund der Veränderungen des Unterrichts durch die Einführung der Bildungsstandards auf die heutige Zeit nur unter Vorbehalt übertragbar. Auch global unterscheiden sich die Schulsysteme z. T. deutlich voneinander, sodass Erkenntnisse aus anderen Ländern nicht für deutsche Schülerinnen und Schüler gelten müssen. Eine besonders wichtige Rolle beim Ermitteln von Schülerkompetenzen kommt dabei dem Größenvergleich zu, da sich hier besonders viele Fehlvorstellungen im Bezug zum Stellenwertsystem und damit zur Einbettung der natürlichen Zahlen in die Dezimalzahlen erkennen lassen (Heckmann 2006, S. 75). Dass Schülerinnen und Schüler dazu neigen, selbstständig formulierte, nur für Spezialfälle anwendbare Regeln zu verallgemeinern, zeigen qualitative und quantitative Fehleranalysen. So sind in diesem Bereich die am meisten zu beobachtenden Fehlerstrategien die je-länger-desto-größer-Strategie (Isotani et al. 2011, S. 185), bei der Größenvergleiche nur anhand der Länge der Zahlen vorgenommen wird. Der Grund für diese Fehlerstrategie ist demnach eine unvollständige Übertragung von Regeln aus den natürlichen Zahlen, da für den Vergleich der ganzzahligen Komponente diese Regel zum richtigen Ergebnis

5.2 Dezimalzahlen

157

führt, jedoch nicht für den gebrochenen Teil. Anders ist dies hingegen bei der Fehlerstrategie je-kürzer-desto-größer, die auf einer fehlerhaften Übertragung aus den gemeinen Brüchen resultieren kann, bei denen im  1 Fall von  Stammbrüchen 1 ein größerer Nenner für einen kleineren Bruch steht 75 > 125 . Beim Größenvergleich spielt der Umgang mit der Null eine bedeutende Rolle, da mit dem Verständnis der Null als Nichts Größenvergleiche, bei denen diese Ziffer direkt nach dem Komma auftritt (wie 1,03 verglichen mit 1,3) vermehrt falsch gelöst werden (Heckmann 2006, S. 79). Dies beruht auch auf der Eigenschaft von Dezimalzahlen, nach der Endnullen tatsächlich als Nichts interpretiert und somit weggelassen werden können. Des Weiteren konnte beobachtet werden, dass Schülerinnen und Schüler zu einem nicht unerheblichen Teil (in der Studie von Steinle und Starcy waren es 10 %), eine fehlerhafte Verbindung zwischen Dezimalund negativen Zahlen herstellen, indem sie davon ausgehen, dass der dezimale Anteil der Zahl den Abstand von der Null mit negativem Vorzeichen symbolisiert, sodass die Regel (betragsmäßig) größere Zahl ist kleiner formuliert wird (Isotani et al. 2011, S. 185; Padberg und Wartha 2017, S. 200; Steinle und Stacey 2004, S. 544). Somit können für falsche Lösungen wie 0,3 < 0,04 anhand des Ergebnisses keine eindeutigen Fehlvorstellungen identifiziert werden, da dieses Resultat sowohl aufgrund der länger-ist-größer-Strategie als auch durch den fehlerhaften Rückbezug der Dezimalzahlen in die negativen Zahlen, Fehlvorstellungen zur Null (Null bedeutet nichts) sowie Kombinationen dieser Fehlerstrategien zustande gekommen sein kann. In der Studie von Heckmann wird deutlich, dass der Größenvergleich zweier Dezimalzahlen bei unterschiedlichem ganzzahligen Anteil oder nur einer Nachkommastelle problemlos erfolgt. Dabei konnten die Schülerinnen und Schüler die Dezimalzahlen 5,2 und 5,4 sowie 7,8 und 8,2 bereits vor der Behandlung der Bruchrechnung zu nahezu 90 % korrekt lösen, wobei die Lösungsquoten über die Messzeitpunkte hinweg weiter zunahmen (Heckmann 2006, S. 288). Anders war dies hingegen bei Aufgaben mit gleichem ganzzahligen Anteil und unterschiedlichen Stellenanzahlen im gebrochenen Teil, wie 6,2 und 6,19. Hier lagen die Lösungs- und Fehlerquoten zum ersten Messzeitpunkt, also vor der Behandlung der Bruchrechnung bei nur 45 %. Am Ende des Schuljahres konnten dann jedoch 79 % die größere Dezimalzahl identifizieren (Heckmann 2006, S. 290). Interessant sind dabei die für den Größenvergleich herangezogenen Fehlerstrategien, die durch eine verlangte Begründung ermittelt werden konnten. Es zeigte sich, dass die Komma-trennt-Strategie (KT) die vorherrschende ist, bei der das Komma als Trennsymbol für zwei natürliche Zahlen aufgefasst wird und demnach 6,2 kleiner ist als 6,19, da 2 kleiner ist als 19. Die keinKomma-Strategie (KK), bei der die beiden Zahlen als 62 und 619 interpretiert und

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5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

verglichen werden, spielte hingegen keinerlei Rolle (Heckmann 2006, S. 290 ff.). Bei einer anderen Aufgabe wurde vor allem die Verwendung der länger-istgrößer- und kürzer-ist-größer-Strategie untersucht, indem vier verschieden lange Dezimalzahlen mit unterschiedlichen Ziffern in den Nachkommastellen vorgegeben wurden, wobei die größte zu identifizieren war. Die Lösungsquote dieser Aufgabe entsprach ungefähr der der Aufgabe zum Vergleichen von 6,2 und 6,19. Die gemachten Fehler lassen sich fast ausschließlich, wie zu erwarten, auf die länger-ist-größer-Strategie zurückführen. Dabei wird auch der Zusammenhang mit der Komma-trennt- und der kein-Komma-Strategie deutlich, denn beide führen zur länger-ist-größer-Strategie. Es handelt sich demnach bei der KK- und KT-Strategie um übergeordnete Fehlerstrategien, die auf einer ungenügenden Abgrenzung der Dezimal- und natürlichen Zahlen beruhen, wie es auch bei Isotani dargestellt ist (Isotani et al. 2011, S. 184). Fehlerhafter Rückbezug auf

Fehlvorstellung Komma trennt zwei natürliche Zahlen

natürliche Zahlen

Fehlerstrategie

länger ist größer

Kein Komma

gemeine Brüche

n = n, m m

kürzer ist größer

negative Zahlen

Zahlen kleiner 1 sind negativ

kleiner Dezimalteil bedeutet größere Zahl

Abbildung 5.6 Fehlerhafte Rückbezüge, Vorstellungen und Strategien (in Anlehnung an Isotani et al. 2011, S. 184)

Für die kürzer-ist-größer-Strategie greifen Schülerinnen und Schüler auf ihr Wissen zu den gemeinen Brüchen zurück, was eine kognitiv höhere Anforderung darstellt, als die Verwendung von Konzepten aus den natürlichen Zahlen, wie es bei der länger-ist-größer-Strategie notwendig ist (Heckmann 2006, S. 297) (Abbildung 5.6), weshalb diese Strategie vor allem von leistungsstärkeren Lernenden verwendet wird (Padberg und Wartha 2017, S. 200). Die fehlerhafte Verknüpfung von negativen und Dezimalzahlen wurde in der Studie Heckmanns nicht untersucht, da dieser Zahlenbereich erst nach dem Untersuchungszeitraum

5.2 Dezimalzahlen

159

systematisch behandelt wurde und das verwendete Zahlenmaterial (alle ganzzahligen Anteile sind größer oder gleich eins) diesen Fehler nicht impliziert. Ebenso gibt es kaum ältere Studien zu dieser Fehlvorstellung. Isotani bemerkt in seinen Ausführungen bloß, dass dieses Misskonzept nach dem länger-bzw. kürzerbedeutet-größer-Konzept das dritthäufigste ist, auch wenn es deutlich seltener vorkommt, als die beiden anderen (Isotani et al. 2011, S. 185). Der Größenvergleich von Dezimalzahlen findet sich dabei, wie der von gemeinen Brüchen, auf Niveau II, da dieser ebenfalls durch die Formulierung Erkennen Kleiner-größer-Beziehungen zwischen einfachen Bruchzahlen innerhalb des Kompetenzstufenmodells der Bildungsstandards abgebildet wird. Müssen hingegen Zahlen verschiedener Darstellungen, wie Prozente, Dezimalzahlen und gemeine Brüche, miteinander verglichen werden, ist der Größenvergleich auf Stufe IV zu finden (KMK und IQB 2012, S. 68), da hierbei verschiedene Bereiche arithmetischen Wissens zu verknüpfen sind. Anhand der Studienergebnisse wird klar, dass besonders eine fehlerhafte Verknüpfung zwischen natürlichen Zahlen und Dezimalzahlen Probleme verursacht, da die länger-ist-größer-Strategie mit Abstand am häufigsten zum Größenvergleich eingesetzt wird. Diese falsche Vorstellung zu Dezimalzahlen zeigt sich gleichfalls bei der Bestimmung von Zwischenzahlen bei zwei vorgegebenen Dezimalzahlen. Diese liegen ebenso wie die gemeinen Brüche, dicht. So fällt es den Schülerinnen und Schülern bei scheinbar benachbarten Zahlen zunächst schwer Zwischenzahlen zu finden, wie beispielsweise bei den Randzahlen 1,5 und 1,6. Da zwischen 5 und 6 keine natürliche Zahl existiert, gehen Lernende davon aus, dass auch zwischen den zwei gegebenen Zahlen keine weitere Zahl zu finden ist, eine Erweiterung der Stellenwerte findet demnach zunächst nicht statt. In der Studie von Heckmann konnten vor der Behandlung der Dezimalzahlrechnung 37 % diese Aufgabe korrekt lösen, nach der systematischen Behandlung lag die Lösungsquote dann bei 77 % (Heckmann 2006, S. 303). Neben dem Aspekt der Dichtheit müssen für beide Arten gebrochener Zahlen auch dieselben Akkomodationen bzgl. der Multiplikation und Division vorgenommen werden, während die Vorstellungen zu den Strichrechenarten aufrechterhalten werden können. Allerdings treten Fehler hier ebenfalls nicht durch falsche Grundvorstellungen zu Addition und Subtraktion auf, sondern vor allem durch Fehlvorstellungen bezüglich der Eigenschaften der Zahlen. So ist die Komma-trennt-Strategie hier ebenso häufig zu sehen, indem die Zahlen der beiden Summanden vor und nach dem Komma als einzelne, voneinander unabhängige Zahlen interpretiert und separat verrechnet werden. So ist das Ergebnis der Aufgabe 3,79 + 2,4 gleich 5,83, da 79 und 4 zusammen 83 ergeben (Padberg

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5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

2015, S. 202). Dieser Fehler tritt besonders vor der systematischen Behandlung der Dezimalzahlen, also intuitiv auf. In der Untersuchung Heckmanns lag der Anteil der Lernenden, die zum ersten Messzeitpunkt für die Rechnung 3,48 m + 4,3 m 7,51 angaben und somit die Komma-trennt-Strategie anwendeten, bei 52 %. Am Ende der sechsten Klasse lösten noch 10 % der untersuchten Schülerinnen und Schüler diese Aufgabe durch die getrennte Addition der Zahl vor und hinter dem Komma, knapp 90 % lösten die Aufgabe korrekt (Heckmann 2006, S. 361). Haben die Zahlen mehr als zwei Dezimalstellen, werden häufig schriftliche Algorithmen zum Lösen einer Aufgabe verwendet. Diese unterscheiden sich kaum von denen der natürlichen Zahlen, lediglich die Frage, wie die Zahlen untereinander zu schreiben sind, muss anhand von Wissen aus dem Bereich der Dezimalzahl beantwortet werden, denn wie bereits beschrieben, gehört ein veränderter Orientierungspunkt zu den Grundvorstellungsumbrüchen, die beim Übergang von natürlichen zu Dezimalzahlen zu bewältigen sind. So werden bei Zahlen mit unterschiedlichen Anzahlen an Nachkommastellen, wie bei den natürlichen Zahlen, fehlerhaft die letzten Stellen untereinandergeschrieben und nicht die Kommata, wie es der Umgang mit den Dezimalzahlen verlangt. Dabei kommt es auch vor, dass Schülerinnen und Schüler, die wissen, dass eigentlich die Kommata untereinander stehen sollen, diese zusätzlich verschieben, um beiden (vermeidlichen) Regeln gerecht zu werden, sodass die Aufgabe 11,4 + 2,13 zu 1,14 + 2,13 wird (Heckmann 2006, S. 161 ff.). Des Weiteren wirkt sich dieser Fehler zum Teil auf die Addition von natürlichen Zahlen mit Dezimalzahlen aus, da Aufgaben wie 0,2 + 6 mit dem Ergebnis 0,8 gelöst werden. Padberg begründet das Zustandekommen eines solchen Ergebnisses hingegen vor allem durch ein Weiterzählen (Padberg 2015, S. 202). In der Studie von Heckmann wird dieser Aufgabentyp nicht untersucht. Für die Subtraktion zeigen sich ähnliche Lösungsquoten, auch wenn die Verwendung der Komma-trennt-Strategie mit 6 % am Ende der sechsten Klasse etwas niedriger ist. Interessanterweise verwenden einige Schülerinnen und Schüler hier stattdessen die kein-Komma-Strategie, die bei der Addition keinerlei Rolle spielt. Das große Problemfeld ist bei der Subtraktion jedoch, wie bereits bei den natürlichen Zahlen, der Umgang mit Überträgen. Dieser Fehler ist besonders prägnant, wenn ein Übertrag über das Komma hinaus verlangt wird (Heckmann 2006, S. 169). Wie bereits aus den natürlichen Zahlen bekannt, besteht die Subtraktion u. a. aus der Vorstellung des Ergänzens, die ebenso essenziell für das TTG ist. Die Frage, um wie viel 0,75 größer ist als 0,5 kann dabei aufgrund der vertrauten Zahlen gut inhaltlich gelöst werden (Heckmann 2006, S. 379). Äquivalent zu Aufgaben aus dem Grundschulbereich lag auch hier der Anteil erfolgreicher Aufgabenbearbeitungen deutlich niedriger als bei einfachen Subtraktionsaufgaben. Nach der

5.2 Dezimalzahlen

161

systematischen Behandlung der Dezimalzahlen konnte diese Aufgabe von der Hälfte der Lernenden korrekt gelöst werden, wobei die größte Fehlerquelle die Verwendung der Komma-trennt-Strategie war (Heckmann 2006, S. 382). In einer älteren Studie wurden die Aufgabentypen nach ihren Lösungshäufigkeiten systematisiert. Demnach ist, wie zu erwarten, die Addition von Dezimalzahlen mit derselben Anzahl an Nachkommastellen für die Schülerinnen und Schüler sehr leicht lösbar, gefolgt von der Addition von natürlichen Zahlen mit Dezimalzahlen und dem Addieren und Subtrahieren von Dezimalzahlen mit unterschiedlichen Anzahlen von Nachkommastellen (Padberg 1991, S. 44 f.). Subtraktions- und Ergänzungsaufgaben wurden hingegen nicht erfasst. Betrachtet man die Punktrechenarten, so müssen, wie bei den gemeinen Brüchen, für die Dezimalzahlen die Grundvorstellungen aus den natürlichen Zahlen, bei der die Multiplikation stets vergrößert und die Division immer verkleinert und, bei der der Dividend ein ganzzahliges Vielfaches des Divisors und damit immer größer sein muss als letzterer, verändert werden. Die Multiplikation und Division mit und durch Zehnerpotenzen bietet die Möglichkeit zur Diagnostik des Stellenwertaspekts bei Dezimalzahlen, da diese zu einer Verschiebung der Stellenwerte und damit, aus Schülersicht, des Kommas führen. Diese Fähigkeiten sind wichtige Grundlagen für das Kopfrechnen und das halbschriftliche Rechnen und eine Voraussetzung für das verständnisbasierte Multiplizieren bzw. Dividieren von Dezimalzahlen mit und durch natürlichen Zahlen (Prediger und Hußmann 2014, S. 139). Doch häufig kommt es aufgrund von unverstandenen Regeln zu einem probierhaften Verschieben des Kommas oder, wie aus den natürlichen Zahlen bekannt, Wegstreichen oder Anhängen von Nullen an unterschiedlichsten Positionen der Dezimalzahl (Prediger und Hußmann 2014, S. 141). So werden bei der Multiplikation mit Zehnerpotenzen Nullen an den ganzzahligen Teil und/oder als Endnull angehangen, wobei deutlich wird, dass die Bedeutung des Kommas nicht klar ist (3,12 · 10 = 30,12 oder 3,120). Für andere Lernende ist hingegen die Art der Verschiebung des Kommas nicht klar, indem es je nach Rechenoperation zu Verschiebungen in die falsche Richtung oder um zu viele bzw. zu wenige Stellen kommt. Auch verschieben einige Schülerinnen und Schüler das Komma nicht weiter, wenn keine Stellen mehr angegeben sind (3,12 · 1000 = 312) (Prediger und Hußmann 2014, S. 141). Trotz des engen Zusammenhangs zwischen dem Stellenwertverständnis, der für die Dezimalzahlen fundamental ist, und der Multiplikation mit und Division durch Zehnerpotenzen, existieren kaum Studien zu diesem Zusammenhang (z. B. Heckmann 2006, S. 23; Schöttler 2019, S. 65). In der Studie Heckmanns wird eine Sachaufgabe gestellt, bei der 5,98 e mit zehn multipliziert werden muss. Dabei machten die Schülerinnen und Schüler zu allen Messzeitpunkten kaum Fehler mit „Kommaverschiebungen“ oder

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5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

im Umgang mit der Null. Heckmann führt dieses auch für sie überraschende Ergebnis auf die Einbettung in einen Kontext zurück, da dieser besonders im Zusammenhang mit Geld Fehlern entgegenwirkt, sodass maximal 5 % der Schülerinnen und Schüler Antworten wie 5,980 e oder 50,98 e gaben (Heckmann 2006, S. 392). Die Studie Schöttlers beschäftigt sich mit der Konzeption von Lernumgebungen zur Entwicklung des dezimalen Denkens in inklusiven Settings und liefert keine empirischen sondern vor allem qualitative Ergebnisse zu den Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern bei der Multiplikation und Division von Dezimalzahlen mit und durch Zehnerpotenzen (Schöttler 2019, S. 3 f.). Auf der anderen Seite ist die Multiplikation und Division von Dezimalmit und durch natürliche Zahlen sowie von Dezimalzahlen untereinander von Bedeutung. Die Multiplikation von Dezimal- mit natürlichen Zahlen ist dabei (unter Zurückführung auf die Kommutativität) mithilfe der Vorstellung der Multiplikation als wiederholte Addition lösbar, doch beim Fall der Multiplikation zweier Dezimalzahlen greift diese Vorstellung nicht mehr und auch die räumlichsimultane Anordnung ist bildlich (im Sinne von Punktmustern) nicht mehr möglich. Diese kann jedoch im Zusammenhang mit Größen erweitert werden, indem die Multiplikation zweier Dezimalzahlen zum Aufspannen eines Rechtecks führt (Wartha 2017, S. 233) (Abbildung 5.7).

Abbildung 5.7 Übergang von der räumlich-simultanen Anordnung zur Flächenvorstellung

Die Anteil-vom-Anteil-Deutung ist, losgelöst von den gemeinen Brüchen bei Dezimalzahlen, nicht anwendbar (0,3 von 4). Zwar können Ausdrücke wie das 3,5-fache von 4 gefunden werden, diese Vorstellungen greifen dann jedoch eher die Vorstellung der Multiplikation als wiederholte Addition auf. Wurde der Zusammenhang zwischen gemeinen Brüchen und Dezimalzahl hingegen verstanden, können alle Deutungen der Multiplikation übernommen werden.

5.2 Dezimalzahlen

163

Um beliebige Dezimalzahlen ohne vorherige Umwandlung in gemeine Brüche miteinander multiplizieren zu können, wird diese auf die der natürlichen Zahlen zurückgeführt. Die Dezimalzahlen werden dabei jeweils mit Zehnerpotenzen multipliziert, bis sie zu natürlichen Zahlen werden. Anschließend werden zunächst die natürlichen Zahlen miteinander multipliziert und schließlich das Ergebnis durch das Produkt der Zehnerpotenzen dividiert. Diese sogenannte KommaVerschiebungs-Regel (obwohl eigentlich die Stellenwerte verschoben werden) ist somit eine Kombination der Multiplikation natürlicher Zahlen mit der Division von natürlichen Zahlen durch Zehnerpotenzen. Um diese Regel zu verstehen muss demnach das Stellenwertverständnis auch für die Dezimalzahlen gut ausgebildet sein sowie das Verständnis der Division als Umkehroperation zur Multiplikation. Fähigkeiten zu Multiplikationen zweier Dezimalzahlen wurden allerdings bisher empirisch nicht erfasst. In der Studie Heckmanns gibt es lediglich zwei Aufgaben zur Multiplikation einer Dezimal- mit einer natürlichen Zahl, eingebettet in eine einfache Sachaufgabe. Dabei wurde die Aufgabe, bei der die Dezimalzahl größer als eins ist (1,35 · 4), mit 76 % nach der Behandlung der Dezimalzahlrechnung (Heckmann 2006, S. 395) besser gelöst als die Aufgabe 0,8 · 5, bei der die Lösungsquote zum selben Messzeitpunkt 67 % betrug (Heckmann 2006, S. 388). Dieses Ergebnis überrascht zunächst, ist doch der Rechenaufwand und die zu lösende Multiplikationsaufgabe nach dem oben beschriebenen Vorgehen bei der zweiten Aufgabe deutlich geringer (8 · 50 vs. 135 · 400). Allerdings kommt es bei der zweiten Aufgabe zu einer „Kommaverschiebung“, bei der ersten jedoch nicht, sodass die Fehler vor allem durch falsche Kommasetzung zustande gekommen sind (die häufigste Falschantwort ist 0,4) und das trotz der Einbettung in einen Kontext, bei der die Überprüfung des Ergebnisses am Text das falsche Ergebnis sofort deutlich macht (Heckmann 2006, S. 388). Bei der Division von Dezimalzahlen mit natürlichen Zahlen ist vor allem die Vorstellung des Aufteilens gut interpretierbar, da sie ebenfalls die Messsituation „wie oft passt … in …“ symbolisiert (Prediger und Hußmann 2014, S. 146). Dabei ist neben der Gesamtmenge die Anzahl der Objekte, die in einer Gruppe zusammengeführt werden, gegeben. Im Gegensatz dazu sind Verteilsituationen nur eingeschränkt interpretierbar (Prediger und Hußmann 2014, S. 146). Zwar können Aufgaben des Typs Dezimalzahl durch natürliche Zahl zum Teil noch in eine Verteilsituation übersetzt werden (0,75 l werden an drei Personen verteilt), im Fall natürliche Zahl durch Dezimalzahl ist dies hingegen nicht mehr möglich, da hier die Anzahl an Gruppen, an die verteilt werden würde, nicht ganzzahlig ist (ich verteile 3 l an 3,5 Personen) (Prediger und Hußmann 2014, S. 146). Zur Division von Dezimalzahlen kann ein ähnliches Lösungsverfahren herangezogen werden wie für die Multiplikation. Dabei werden die Stellenwerte von

164

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Dividend und Divisor solange gleichsinnig verändert (bzw. das Komma solange verschoben) bis der Divisor eine natürliche Zahl ist. Das Ergebnis ändert sich dadurch nicht (Abbildung 5.8). 3,24

:

1,2

·10↓

:

↓·10

32,4

:

12

·10↓

:

↓·10

324

:

120

324,0 :120=2,7 240 ↓ 84 0

Abbildung 5.8 Rechenbeispiel für die Division zweier Dezimalzahlen

Somit kann jede Divisionsaufgabe zweier Dezimalzahlen auf die Division einer Dezimal- und einer natürlichen Zahl oder gar zweier natürlicher Zahlen, wie im Beispiel, zurückgeführt werden. Die Studie Heckmanns beinhaltete nur eine Aufgabe zur Division des Typs Dezimalzahl durch natürliche Zahl, die diese in einen Kontext einband. Im Gegensatz zu den bisher thematisierten Zahlbereichen waren die Lösungsquoten zu dieser Aufgabe im Vergleich zu denen der anderen Grundrechenoperationen nicht die niedrigsten. Vor Behandlung der Dezimalzahlarithmetik konnten 56 % die Aufgabe korrekt lösen. Zum Messzeitpunkt zwei sank der Anteil richtiger Lösungen sogar um 5 %, nach der systematischen Behandlung konnten dann 63 % der Schülerinnen und Schüler die Aufgabe korrekt beantworten (Heckmann 2006, S. 399). Damit waren die Lösungsquoten zum letzten Messzeitpunkt vergleichbar mit denen der Multiplikationsaufgabe 0,8 · 5 und höher als die der Ergänzungsaufgaben. Zusammenfassend wird deutlich, dass bei allen Bereichen der Dezimalzahlrechnung das Stellenwertverständnis fundamental ist, anders als bei den gemeinen Brüchen. Ohne dies wird die Arithmetik auf diesem Gebiet zu einem sinnlosen Hantieren mit Ziffern und Verschieben von Kommata. Besonders im Zusammenhang mit der Zahl Null zeigen bereits unauffällige Schülerinnen und Schüler große Defizite beim Umgang mit Dezimalzahlen. Zusätzlich ist auch der Zusammenhang mit gemeinen Brüchen ein essenzieller Bestandteil der Dezimalzahlrechnung, was jedoch einen großen Problembereich markiert, der zur Folge hat, dass es zu einer fehlerhaften Einbettung und Abgrenzung der Dezimalzahlen zu den natürlichen Zahlen kommt, die sich besonders durch die Verwendung der Komma-trennt-Vorstellung zeigen. Die Studienergebnisse lassen den Schluss zu, dass Aufgaben immer schwerer lösbar sind, je weniger direkte Übertragungen aus den natürlichen Zahlen möglich sind. So erschweren unterschiedliche Anzahlen von Nachkommastellen sowie

5.3 Prozentrechnung

165

Nullen an unterschiedlichen Stellen die Bearbeitung von Aufgaben deutlich. Auch können Aufgaben zum Umwandeln von Dezimalzahlen in gemeine Brüche kaum auf Grundlage von Wissen aus den natürlichen Zahlen korrekt bearbeitet werden. Andererseits ist der Umgang mit Dezimalzahlen dem mit natürlichen Zahlen deutlich ähnlicher, als dem mit gemeinen Brüchen, bei dem das Wissen um das Stellenwertsystem bei den natürlichen Zahlen kaum bei der Bewältigung von Aufgaben hilfreich ist und Lösungsprozesse durch eine Übergeneralisierung eher behindert werden. Bei den Dezimalzahlen können im Besonderen Algorithmen der Grundrechenarten angewendet werden, obschon sich der Orientierungspunkt im Vergleich zu den natürlichen Zahlen geändert hat, da er nun nicht mehr auf der letzten Stelle, sondern auf dem Komma liegt. So ist zu begründen, dass Schülerinnen und Schüler im Allgemeinen bessere Leistungen im Bereich der Dezimalzahlen zeigen als bei den gemeinen Brüchen. Aufgrund dieser Überlegungen ist davon auszugehen, dass auch rechenschwache Schülerinnen und Schüler zwar in beiden Bereichen der gebrochenen Zahlen große Schwierigkeiten haben, jedoch diese bei den gemeinen Brüchen noch ausgeprägter sein werden. Dies soll später in Abschnitt 5.4 überprüft werden.

5.3

Prozentrechnung

Teile, Anteile und Ganze zu bestimmen sind Tätigkeiten, die im Kontext der gemeinen Brüche das Verstehen von Zusammenhängen und die Flexibilität bei der Bearbeitung voraussetzen. Der Zusammenhang zwischen diesen drei Komponenten gebrochener Zahlen spielt besonders in der Prozentrechnung eine zentrale Rolle, denn hier bilden diese drei die Grundaufgaben. Teil, Anteil und Ganzes heißen hier Prozentwert, Prozentsatz und Grundwert (Schink 2013, S. 27). Somit besteht eine sehr enge Beziehung zwischen gebrochenen Zahlen und Prozentzahlen. Deutlich wird diese vor allem im Zusammenhang mit Brüchen, bei denen der Nenner Einhundert ist und damit mit Dezimalzahlen, denn der hundertste Teil kann auch als eins von Hundert und damit als Pro-zent interpretiert werden. Alle Grundvorstellungen zur Prozentrechnung stehen in direktem Zusammenhang zu Brüchen mit dem Nenner Einhundert, sprechen allerdings unterschiedliche Grundvorstellungsaspekte der gebrochenen Zahlen an. So greifen die Von-Hundert- und Bedarfseinheiten-Vorstellungen den Aspekt des Bruchs als Anteil auf. In der von-Hundert-Vorstellung besteht eine Grundmenge G aus Päckchen zu je hundert gleichgroßen Teilen und von diesen werden jeweils Einheiten genommen, die p% entsprechen (eine Grundmenge von 400 Menschen würde demnach vier Päckchen zu je hundert Menschen entsprechen. 20 % von

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5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

400 wären also je 20 Menschen aus jedem der vier Päckchen, also 80 Menschen insgesamt). Die Bedarfseinheiten-Vorstellung ermöglicht hingegen mehr Flexibilität, denn hier kann die Grundmenge G auch dann in hundert Einheiten zerlegt werden, wenn dies in der Sachsituation nicht sinnvoll interpretierbar ist. Die Vorstellung von Prozenten als Hundertstel- oder Prozentoperator beruht hingegen auf der Vorstellung des Bruchs als Operator, bei dem der Prozentwert p als das 100 -fache des Grundwertes interpretiert wird (Hafner 2012, S. 37 f.). Damit entspricht besonders bei der letzten Vorstellung der Prozentwert der Multiplikation einer Dezimalzahl oder eines gemeinen Bruchs mit dem Grundwert. Bei der Berechnung des Prozentsatzes wird hingegen die Vorstellung des Bruchs als Anteil verwendet, in dem der Anteil des Prozentwertes an der Grundmenge gesucht wird. Innerhalb der PALMA-Studien wurde je eine Aufgabe für jede der gesuchten Größen gestellt, die Zahlenmaterial in vergleichbaren Größenbereichen enthalten. Am Ende der siebten Klasse konnten alle drei Aufgaben von weniger als der Hälfte der Schülerinnen und Schüler gelöst werden. Dies gilt sowohl insgesamt als auch für jede Schulform einzeln. Dabei wurden vor allem Dreisatz-Strategien, die der Bedarfseinheiten-Vorstellung entsprechen sowie die Operatorstrategie, die der gleichnamigen Vorstellung entspringt, verwendet (Hafner 2012, S. 125). Die schwächsten Ergebnisse erzielten die Schülerinnen und Schüler bei der Ermittlung des Prozentwerts. Nur 26,6 % konnten die gestellte Aufgabe korrekt lösen (Hafner 2012, S. 92). Besonders häufig kam es bei der Aufgabenlösung zu Rechenfehlern, die 44 % aller ermittelten Fehler dieser Aufgabe ausmachen, sowie Zuordnungsfehler bei der Rechenoperation mit rund 30 % (Hafner 2012, S. 96). Dabei wurden also der Grundwert sowie der Prozentsatz den gegebenen Größen korrekt zugeordnet, diese jedoch durch die falsche Rechenoperation verknüpft. Etwas bessere Ergebnisse erzielten die Lernenden bei Lösung der Aufgabe, in der der Prozentsatz gesucht war. Allerdings war hier das Zahlenmaterial sehr einfach gewählt, da der Grundwert 500 und der Prozentwert 100 betrug. Trotzdem lösten nur 38,1 % die Aufgabe korrekt (Hafner 2012, S. 115), wobei Rechenfehler jedoch nur einen Anteil von 16 % einnehmen. Stattdessen kam es hier ebenfalls gehäuft zu Zuordnungsfehlern bei der Rechenoperation (75 %) (Hafner 2012, S. 119). Am besten konnte die Aufgabe zum gesuchten Grundwert mit 41,4 % gelöst werden (Hafner 2012, S. 103). Wie in den anderen Aufgaben so kam es auch hier vermehrt zu Rechen- (36 %) und Zuordnungsfehlern bei den Operationen (20 %). Die meisten Fehler entstanden mit 40 % als Zuordnungsfehler der Größen (Hafner 2012, S. 108). Prozentwert, Prozentsatz und der Grundwert konnten demnach nicht korrekt zugeordnet werden. Schülerinnen und

5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen …

167

Schüler der siebten Klasse sind demnach zu großen Teilen nicht in der Lage Prozentaufgaben, unabhängig von der gesuchten Größe, korrekt zu lösen, was sowohl auf mangelnde arithmetische Fähigkeiten sowie Defizite im Begriffsverständnis der Prozentrechnung zurückzuführen ist. Betrachtet man diese Resultate für mathematisch unauffällige Lernende wird deutlich, dass es für ein Testverfahren zur Diagnostik von Rechenschwäche nicht sinnvoll zu sein scheint, komplexere Aufgaben zur Prozentrechnung zu verwenden, sondern stattdessen vor allem Aufgaben, die kaum in einen Sachkontext eingebunden sind, um die Zuordnung von Grundwert, Prozentwert und Prozentsatz zu erleichtern. Zum anderen sollten die Aufgaben sehr einfaches Zahlenmaterial enthalten, um das Verrechnen als Fehlerquelle auszuschließen. Um diese vorläufigen Überlegungen sowohl für die Prozentrechnung als auch für dem Umgang mit gebrochenen Zahlen durch die bisherigen empirischen Belege zu den Fähigkeiten rechenschwacher Lernende zu verifizieren und auszuweiten, werden diese im Weiteren genauer betrachtet.

5.4

Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen im Bereich der gebrochenen Zahlen

5.4.1

Bisherige empirische Erkenntnisse

Aus den bisherigen Darstellungen wird deutlich, dass ein großer Teil deutscher Schülerinnen und Schüler über keine tragfähigen Grundvorstellungen bzgl. der gebrochenen Zahlen verfügt. Sie lösen Aufgaben hauptsächlich durch das Durchführen von Prozeduren auf Grundlage syntaktisch-algorithmischen Wissens, ohne die Bedeutung der einzelnen Schritte zu erfassen. Nach der Studie Humbachs könnte dies auch an ungenügenden mathematischen Basisfähigkeiten liegen, da diese in direktem Zusammenhang zu den Fähigkeiten bezüglich der Inhalte der Sekundarstufe stehen, wie beispielsweise in der Abbildung Wehrmans (vgl. Abbildung 5.1) deutlich wurde. Dabei spielt besonders das Operationsverständnis der Multiplikation und Division eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Grundvorstellungen zu gemeinen Brüchen sowie das Stellenwertverständnis im Zusammenhang mit Dezimalzahlen. Die in Abschnitt 3.3 aufgeführten empirischen Befunde zeigten hingegen übereinstimmend, dass die Lernenden meist über ein gut entwickeltes Stellenwert- und Zahlenraumverständnis verfügen, da sie in der Lage sind, Zahlen in verschiedene Darstellungsformen umzuwandeln, zu bündeln und auf dem Zahlenstrahl

168

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

einzutragen und damit über die Voraussetzungen verfügen sollten, ein fundiertes Verständnis von gebrochenen Zahlen zu entwickeln. Allerdings nehmen diese Fähigkeiten mit steigender Größe des Zahlenraums der natürlichen Zahlen ab, was einen Hinweis darauf geben könnte, dass es auch bei Dezimalzahlen, besonders bei vielen Nachkommastellen und damit zahlreichen zu verarbeitenden Informationen, zu Schwierigkeiten kommen kann. Die Grundvorstellungen zu den Grundrechenoperationen scheinen hingegen eher schwach ausgebildet zu sein, da die Schülerinnen und Schüler zwar die Addition und Subtraktion als Hinzufügen und Wegnehmen verstehen, doch bereits deren Zusammenhang als Ergänzen häufig nicht erkennen. Auch liegen Defizite in den Vorstellungen zur Multiplikation und besonders zur Division vor, da viele Lernende nicht in der Lage sind, eine Sachsituation für eine einfache Aufgabe anzugeben. Das bedeutet, dass diese Schülerinnen und Schüler die dritte und/oder vierte Hürde des Rechnenlernens nach Gerster nicht bewältigen konnten und damit die arithmetische Kompetenzentwicklung in der Sekundarstufe gefährdet ist. Dies wird wiederum in Bezug auf gemeine Brüche deutlich, für die das Verständnis und die Weiterentwicklung des TTGs sowie die Division für die Entwicklung der Grundvorstellungen Vorrausetzung sind. Zusätzlich spielen diese Rechenoperationen in ihrer Anwendung bei gemeinen Brüchen und Dezimalzahlen eine wichtige Rolle. So können Defizite bzgl. der Basiskompetenzen zu großen Schwierigkeiten beim Erlernen der Brucharithmetik führen. Dies bestätigte auch die Studie von Wartha und Güse. In einer Untersuchung testeten sie 43 Hauptschüler:innen hinsichtlich der Fähigkeiten zu natürlichen Zahlen und gemeinen Brüchen und stellten fest, „[…] dass ein gefestigtes Verständnis des dezimalen Aufbaus der natürlichen Zahlen, eine sichere Orientierung im Zahlenraum und die Nutzung von operativen Zusammenhängen beim Rechnen notwendige (aber nicht hinreichende) Voraussetzungen für einen erfolgreichen Aufbau von Grundvorstellungen zu Bruchzahlen [sind].“ (Wartha und Güse 2009, 276 f.) Allerdings gab es ebenso Schülerinnen und Schüler, bei denen ein (sehr) gutes Verständnis der natürlichen Zahlen zu einer Übergeneralisierung der Eigenschaften führte und somit ebenfalls den Aufbau tragfähiger Grundvorstellungen behinderte. Vergleicht man die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen zu basismathematischen Fähigkeiten unauffälliger Lernender (vgl. Abschnitt 3.3) mit denen von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen (vgl. Kapitel 4), fällt auf, dass die Problembereiche ähnlich sind. Die Defizite zeigen sich jedoch bei rechenschwachen Lernenden deutlich gravierender. Bezüglich des Stellenwertverständnisses scheinen die Kompetenzen u. a. zum Bündeln gut ausgebildet zu sein, jedoch existieren große Schwierigkeiten beim Entbündeln, was zu Problemen im Umgang mit Dezimalzahlen führen könnte,

5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen …

169

bspw. wenn Stellen bei Additions- und Subtraktionsaufgaben ge- und entbündelt werden müssen. Bezüglich der Grundrechenarten konnte festgestellt werden, dass Schülerinnen und Schüler gute Vorstellungen zu den Operationen der Addition und Subtraktion haben, jedoch große Defizite im TTG sowie bei Multiplikation und Division. Dabei bildet besonders Letztere einen Cut-off-Punkt. Zwar können häufig Aufgaben aus dem kleinen Einmaleins gelöst werden, doch bereits die Umkehrung (Einsdurcheins) gelingt meist nicht. Aufgaben, die darüber hinausgehen, können sowohl für die Multiplikation als auch für die Division nicht mehr korrekt bearbeitet werden. Es ist demnach davon auszugehen, dass diese Defizite ebenfalls bei sehr einfachen Prozessen, die besonders auf der Division beruhen, wie das Kürzen, zu Problemen bei der Aufgabenlösung führen können. Rechenschwache Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe haben demnach häufig nur die Kompetenzstufe II des Modells der Bildungsstandards für die Grundschule erreicht, da sie nicht in der Lage sind, mit Zahlen und Operationen im curricularen Umfang sicher umzugehen, Additions-, Subtraktions- und Multiplikationsaufgaben jedoch zumindest schriftlich und halbschriftlich lösen und einfache Sachaufgaben korrekt bearbeiten können (KMK und IQB 2013, S. 11 f.). Damit entsprechen ihre Fähigkeiten zumeist nicht dem Niveau Ia des Kompetenzstufenmodells der Sekundarstufe, das die Grundlage für alle Inhalte der Leitidee Zahl der Schuljahre fünf bis zehn bildet (KMK und IQB 2012, S. 68). Noch genauer lassen sich die Entwicklungsstände der betroffenen Schülerinnen und Schüler durch das FEB-Modell verorten. Je nach Entwicklungsstand befinden sie sich dort auf dem Niveau II (zählendes Rechnen) bis IV (grundlegendes Verständnis des TTGs), da sie häufig nicht in der Lage sind Ergänzungen vorzunehmen (Stufe V) und Mengen zu Entbündeln (Stufe VI) (Fritz et al. 2018, S. 14 ff.). Besonders hoch scheint die Hürde des Stellenwertverständnisses unter Nutzung des TTGs sowie damit einhergehend das Verständnis der Grundrechenarten zu sein, ohne die der Erwerb des Verständnisses für Brüche nahezu unmöglich ist. Aufgrund der mangelnden Vorkenntnisse ist demnach davon auszugehen, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler kaum in der Lage sind Grundvorstellungen zu Brüchen, besonders zu den gemeinen Brüchen, zu erwerben und es bei der Ausführung der zum Lösen von Aufgaben notwendigen Algorithmen zu häufigen Fehlern kommt. Empirische Befunde gibt es hierzu jedoch kaum. Die bereits oben zitierte Reanalyse der MARKUS-Studie enthielt drei Aufgaben zu gemeinen Brüchen, wobei eine Aufgabe das Berechnen eines Anteils thematisierte, eine weitere den Größenvergleich und die letzte eine Rechenaufgabe aus kombinierter Multiplikation und Addition darstellte. Daneben beinhaltet der Aufgabenkatalog dieser Untersuchung verschiedenste Inhalte der Sekundarstufe I, wie Rechnen mit Variablen, Stochastik, geometrische Zusammenhänge,

170

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

räumliches Vorstellungsvermögen und einfache funktionale Zusammenhänge. Vergleicht man die Lösungsquoten der Aufgaben zu gemeinen Brüchen mit den übrigen, wird deutlich, dass diese drei Items zu den schlechtesten vier des gesamten Tests gehören, wobei es sich bei der Aufgabe mit der drittniedrigsten Lösungsquote um eine zu Proportionalität handelt (Balzer et al. 2007, S. 182 und S. 189 f.). Bei den Lösungsquoten der Vergleichsgruppe ist dieser Zusammenhang zwischen Inhalt und Schwierigkeitsgrad in diesem Maße nicht erkennbar, obschon dort ebenfalls Probleme bei den Aufgaben zu gemeinen Brüchen feststellbar sind. Besonders hoch ist die Diskrepanz Untersuchungs- und Vergleichs zwischen  gruppe bei der Rechenaufgabe 43 + 23 · 41 . Lediglich 26,8 % der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler lösten diese Aufgabe korrekt. Von den mathematisch unauffälligen Lernenden kamen hingegen rund 62 % zum richtigen Ergebnis (Balzer et al. 2007, S. 182). Über die Hälfte der falschen Lösungen bei rechenschwachen Schülerinnen und Schülern kam durch die getrennte Addition von Zähler und Nenner zustande, während die Multiplikation korrekt durchgeführt wurde (Balzer et al. 2007, S. 183). Dieses Ergebnis bestätigt die Annahme, dass Lernenden mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen bei einfachen Rechenprozeduren deutlich mehr Fehler unterlaufen als ihren Mitschüler:innen. Allerdings wurde die obige Aufgabe zum Thema gemeine Brüche von allen von der Untersuchungsgruppe noch am besten gelöst. Stattdessen konnten nur 14,2 % einen Anteil korrekt bestimmen3 . Allerdings lösten diese Aufgabe auch die mathematisch unauffälligen Schülerinnen und Schüler nur selten richtig (rund 30 %) (Balzer et al. 2007, S. 182). Alle Distraktoren waren größer als eins, was darauf hindeutet, dass die Grundvorstellung eines Bruchs als Anteil im Allgemeinen nicht gut aufgebaut werden konnte. Von beiden Gruppen wurde die Lösung 45 am häufigsten gewählt, welche der Literanzahl der roten Farbe zur Literanzahl der blauen und gelben Farbe entspricht und dementsprechend ein Verhältnis darstellt. Die mit Abstand höchste Fehlerquote der rechenschwachen Schülerinnen und Schüler zeigte mit 91,6 % die Aufgabe zum Größenvergleich von gemeinen Brüchen. Dabei sollte die größte 7 Zahl aus 45 , 43 , 58 und 10 ermittelt werden, wobei fast zwei Drittel aller Jugendlichen mit Dyskalkulie den letzten Distraktor wählten (Balzer et al. 2007, S. 183). Auch hier war die getrennte Betrachtung von Zähler und Nenner die hauptsächliche Fehlerstrategie, denn 7 ist von allen Zählern der größte, während 10 der größte Nenner ist. Bei dieser Aufgabe unterscheidet sich interessanterweise das Antwortverhalten der beiden Untersuchungsgruppen, da die Vergleichsgruppe 3

Zur Herstellung einer bestimmten Farbe mischt Anna 5 l Rot, 2 l Blau und 2 l Gelb. Wie ist das Verhältnis von roter Farbe zur Gesamtmenge?

5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen …

171

mit rund 70 % den Bruch 43 als den größten bestimmten (Balzer et al. 2007, S. 183). Es scheint, als würden sich unauffällige Schülerinnen und Schüler mehr an Alltagsbrüchen orientieren, zu denen sie eine Vorstellung aufbauen konnten und deshalb einen bekannten großen Bruch wählen, während rechenschwache Schülerinnen und Schüler vollständig in den natürlichen Zahlen verhaftet bleiben und nicht einmal zu sehr gebräuchlichen Brüchen Vorstellungsbilder aufbauen konnten. Für die Dezimalzahlen sind die bisherigen empirischen Befunde ähnlich dünn wie für die gemeinen Brüche. Mittelberg untersuchte die Fähigkeiten von Hauptschüler:innen der siebten und achten Klasse und versucht diese Ergebnisse auf die Fähigkeiten Rechenschwacher zu verallgemeinern. Die Ergebnisse des verwendeten informellen Tests können deshalb nur einen Hinweis auf die Kompetenzen von Lernenden mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen geben. Übergreifend über alle Aufgaben fallen Stellenwertprobleme als Fehlerquelle auf. Besonders gilt dies für den Größenvergleich von Dezimalzahlen, wobei acht Zahlen von groß nach klein geordnet werden sollten. Dabei gelten auch die umgekehrte Reihenfolge sowie das Vertauschen zweier Zahlen noch als richtig. Trotzdem konnten nur 29,9 % der untersuchten Hauptschüler:innen diese Aufgabe korrekt bearbeiten, wobei mehr als die Hälfte der Falschlöser:innen die Zahlen nach der Anzahl ihrer Stellenwerte anordnete, so wie sie es aus den natürlichen Zahlen kennen (Mittelberg 2004, S. 74). Die Verwendung der Kein-Komma-Strategie war demnach hier besonders prägnant. Des Weiteren untersuchte Mittelberg mit verschiedenen Aufgaben die Fähigkeiten der Lernenden beim Ergänzen mit Dezimalzahlen. Hierbei kamen zwar auch Stellenwertfehler gehäuft vor, jedoch können die meisten inkorrekten Lösungen auf das Unverständnis des TTGs aus den natürlichen Zahlen zurückgeführt werden, da die gegebenen Zahlen durch falsche Rechenoperationen verknüpft worden sind. Des Weiteren wird sichtbar, dass die geringsten Schwierigkeiten bestehen, wenn lediglich mit dem ganzzahligen Teil gearbeitet werden muss oder der gebrochene Teil einfach übernommen werden kann. Hier lagen die Fehlerquoten bei maximal 13 %. Eine Ausnahme bildet die Aufgabe 345 + __ = 345,67, die von 28,8 % der Hauptschüler:innen falsch gelöst wurde. Dabei kam es häufig zur Addition der beiden gegebenen Zahlen, sowie zu Stellenwertfehlern. Besonders stark stiegen die Fehlerzahlen, wenn aktiv mit den gebrochenen Teilen der Zahlen hantiert werden musste, wobei die Zahlen in den vorgegebenen Aufgaben nur jeweils eine Nachkommastelle besaßen, wie es bei der Aufgabe 6,4 – __ = 3,6 der Fall ist, die 52,3 % der Hauptschüler:innen richtig lösten, die häufigste Fehlerquelle waren dabei Stellenwertfehler. Die höchste Fehlerquote (56,3 %) wurde jedoch bei der Aufgabe __ – 7,5 = 12 erzielt. Hierbei war wiederum mit

172

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

30 % der Fehler, die Verwendung falscher Rechenoperationen das Hauptproblem (Mittelberg 2004, S. 72). Es wird deutlich, dass diese Ergebnisse nur zum Teil aussagekräftig für die Fähigkeiten bzgl. der Addition und Subtraktion von Dezimalzahlen sind, da eine der größten Probleme die korrekte Anwendung des TTGs darstellt und Stellenwertfehler erst nachrangig auftraten. Die Erkenntnisse, die über die Fähigkeiten und Probleme beim TTG in den natürlichen Zahlen zu finden sind (vgl. Abschnitt 4.2), sind demnach auf Aufgaben zu den Dezimalzahlen weitestgehend übertragbar. Andere Ergebnisse liefert hier eine Aufgabe zur schriftlichen Addition dreier Zahlen mit unterschiedlichen Anzahlen an Dezimalen, bei deren Bearbeitung deutlich wird, dass die Veränderung des Bezugspunktes beim Rechnen mit Dezimalzahlen nicht erfolgte, sondern weiterhin die letzte Stelle als Orientierungspunkt verwendet wurde. Von den 53,8 % der Falschlösungen können nur 3,7 % als Rechenfehler klassifiziert werden. Die Restlichen kommen durch Rechtsbündigkeit bei der schriftlichen Addition oder der Kommaverschiebungen innerhalb der Dezimalzahlen zustande, wobei besonders häufig die natürliche Zahl 59 in die Rechnung als 0,59 einging und es somit nicht gelang, diese natürliche Zahl in eine Dezimalzahl „umzuwandeln“ (Mittelberg 2004, S. 78). Die Verknüpfung der Zahlbereiche scheint also besonders komplex zu sein. Auch die Multiplikation zeigt zum Teil sehr geringe Lösungsquoten (bei der Vergleichsgruppe ebenfalls), die häufig durch Stellenwertfehler verursacht sind. Dabei konnte die Aufgabe, bei der die Komma-trennt-Strategie erfolgreich ist (0,7 · 0,8) mit 59,3 % am erfolgreichsten bearbeitet werden, wobei Rechenfehler hier ebenso eine häufige Fehlerquelle waren. Die Multiplikationen zweier Dezimalzahlen, bei denen diese Strategie nicht zum richtigen Ergebnis führt, wurden hingegen von weniger als einem Drittel korrekt bearbeitet (Mittelberg 2004, S. 76). Wird jedoch nur nach der Position des Kommas bei Multiplikationen gefragt, bei denen in keiner Dezimalzahl Nullen enthalten sind, sinkt die Fehlerquote stark auf maximal 30 % (Mittelberg 2004, S. 80). Es scheint demnach, dass Probleme im Stellenwertverständnis für Dezimalzahlen die Hauptfehlerquelle bei Hauptschüler:innen darstellt, so wie dies bereits für die Lernenden der anderen Schulformen attestiert werden konnte. Es werden Verfahren aus den natürlichen Zahlen ohne Veränderung für die Dezimalzahlen verwendet, was zur Häufung der Komma-trennt- sowie der kein-Komma-Strategie führt. Dabei scheint auch das Auftreten von Nullen die Schwierigkeit einer Aufgabe zu erhöhen. Insgesamt sind bisher die empirischen Erkenntnisse zu den Fähigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler bezüglich der gebrochenen Zahlen gering, da die MARKUS-Studie nur drei Aufgaben zu gemeinen Brüchen enthält und die Erhebung Mittelbergs lediglich Kompetenzen zu den Dezimalzahlen zu

5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen …

173

erfassen versucht und das auch nur von Hauptschüler:innen und nicht explizit von Rechenschwachen. Aus diesem Grund wurden weitere Informationen über Defizite und Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen erhoben. Diese Ergebnisse sowie ihr Zustandekommen sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.

5.4.2

Ergebnisse der DUDEN-Studie

Die Basis für diesen Erkenntnisgewinn bildet die Auswertung der Diagnosebögen des DUDEN-Instituts für Lerntherapie in Berlin, die vor dem Beginn einer Lerntherapie durchgeführt werden. In die Auswertung werden deshalb alle Diagnosebögen einbezogen, bei denen eine Weiterbehandlung empfohlen wird. Insgesamt stellte uns das DUDEN-Institut Berlin 137 Eingangsdiagnosebögen zur Verfügung, die die Klassenstufen fünf bis zehn abdecken, wobei der Anteil der Diagnosebögen von Mädchen mit 62 % deutlich höher ist als der von Jungen mit 38 %. Dabei wurde nur Datenmaterial von Lernenden in die Untersuchung einbezogen, die anschließend eine mehrjährige Lerntherapie absolvierten. Ein Teil der Ergebnisse wurde bereits veröffentlicht (vgl. Dögnitz 2018). Insgesamt ergab sich folgende Verteilung über die Klassenstufen hinweg (Tabelle 5.3): Tabelle 5.3 Verteilung der Diagnosebögen auf die Schuljahre der Sekundarstufe I

Klassenstufe

Anzahl an Diagnosebögen

5

42

6

49

7

82

8

38

9

34

10

32

Aufgrund der geringen Stichprobenzahl und der nicht standardisierten Datengrundlage können die Ergebnisse nur unter Vorbehalt betrachtet werden. Die analysierten Diagnosebögen enthalten mehr als 100 Aufgaben zu natürlichen, gebrochenen und negativen Zahlen. Dabei wurden nur einige dieser Aufgaben vom untersuchten Kind auch bearbeitet, wobei die Entscheidung darüber dem Diagnostiker bzw. der Diagnostikerin obliegt. Oft wird ein Aufgabenkomplex abgebrochen, wenn ersichtlich wird, dass der Schüler bereits bei einfachen Aufgaben scheitert oder aber die jeweilige Disziplin sehr sicher beherrscht, sodass

174

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

genügend Informationen über die Fähigkeiten des Kindes vorhanden sind, um eine entsprechende Diagnose stellen zu können. Des Weiteren sind auf dem Diagnosebogen zum Teil die Rechenwege des Schülers bzw. der Schülerin oder Anmerkungen des Diagnostikers bzw. der Diagnostikerin zu Beobachtungen oder Vorgehensweisen zu finden. Bezüglich der gebrochenen Zahlen enthält der Fragebogen klassische Aufgaben zur Bruchrechnung, aber auch Prozentaufgaben und Aufgaben zu Dezimalzahlen. Genauer werden die einzelnen Items bei der Darstellung der Ergebnisse beschrieben. Tabelle 5.4 Lösungsquoten für verschiedene Disziplinen im Bereich der gebrochenen Zahlen in % Klasse 6

Klasse 7

Klasse 8

Klasse 9

Klasse 10

Identifizieren

58

51

57

53

40

Darstellen

38

38

45

50

39 57

Gemeine Brüche

Größenvergleich

53

42

69

54

Addition (ungleichnamig)

27

33

53

44

60

Addition (gleichnamig)



46

70

50

97

Subtraktion (ungleichnamig)

63

56

18

43



Multiplikation

80

73

67

71

100

Division

50

33

40

20

50

von-Aufgaben

36

30

38

33

44

Dezimalzahlen vergleichen

40

32

81

71

66

Prozente



42

49

40

31

Die in Tabelle 5.4 dargestellten Lösungsquoten variieren sowohl insgesamt als auch bei der Betrachtung einer einzelnen Disziplin stark. Die höchste Lösungsquote aller Aufgaben konnte mit 56 % in Klasse sechs festgestellt werden (für die fünfte Klasse wurden keine Ergebnisse ausgewertet, da in den Diagnosen zu wenige Aufgaben zu den gemeinen Brüchen gestellt wurden). Diese Ergebnisse sowie die Kommentare der Diagnostiker:innen, die die Untersuchung durchführten, deuten darauf hin, dass die richtigen Ergebnisse vor allem durch auswendiggelernte Verfahren und weniger durch Verständnis zustande kamen, da in der sechsten Klasse die Bruchrechnung gerade erst Teil des Unterrichts war und die erlernten Algorithmen dementsprechend noch abrufbar sind. Vergleichbar hoch ist das Ergebnis nur in Klasse zehn mit 51 %, was vermutlich mit

5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen …

175

einer Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen zu begründen ist. In den übrigen Schuljahren betragen die Lösungsquoten zwischen 36 % und 47 %. Damit wird deutlich, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler in fast allen Bereichen und über die untersuchten Schuljahre hinweg sehr schwache Leistungen zeigen. Eine Ausnahme hiervon bildet die Multiplikation gemeiner Brüche. Die Aufgabe 43 · 25 konnte ein großer Teil der untersuchten Lernenden korrekt lösen, was auf die einfache Regel zur Multiplikation mit Brüchen und die sehr einfachen Multiplikationsreihen, die für die Lösung notwendig sind, zurückzuführen ist. Dabei liegt die Lösungsquote, außer in der achten Klasse, sogar höher als die der unauffälligen Schülerinnen und Schülern in der Studie Padbergs (75 %) (Padberg 1986, S. 65). Ein Grund hierfür könnte die sehr ausgeprägte Vorstellung rechenschwacher Kinder sein, dass ein Bruch eine Vereinigung zweier natürlicher Zahlen ist und damit auch nur eine einzige Regel angewendet werden kann. Bei den Aufgaben zum Vergleich von Dezimalzahlen ist das Ergebnis hingegen zweigeteilt, da nach sehr geringen Anteilen korrekter Lösungen in den Klassenstufen sechs und sieben ein deutlicher Sprung in den Lösungsquoten festgestellt werden konnte, sodass es scheint, als würden die untersuchten Schülerinnen und Schüler der oberen Klassen der Sekundarstufe I zu einem großen Teil Dezimalzahlen vergleichen können. In den anderen Disziplinen zeigen sie hingegen große Defizite, wie es auch bei mathematisch unauffälligen Schülerinnen und Schülern der Fall ist, nur dass die Lösungsquoten hier entsprechend tiefer sind. Wie bereits die Ergebnisse der oben erwähnten Studien zeigen, fällt es den Lernenden leichter einen Bruch zu identifizieren als zu realisieren. Bei letzterem sollte der Bruch 13 beliebig zeichnerisch dargestellt werden. Der Großteil der Falschlösungen zeigte einen Kreis, der zuerst halbiert und eine Hälfte anschließend noch einmal halbiert wurde, sodass drei bzw. ein Viertel dargestellt wurden. Das Verständnis eines Bruchs als Teil eines Ganzen, bei dem alle Teile gleichgroß sein müssen, so wie es auch das Verständnis der Division voraussetzt, ist demnach nicht entwickelt. Das Identifizieren gelang meist besser. Dabei muss7 ten die Brüche 58 und 10 anhand von Rechteckdarstellungen erkannt werden. Sehr häufig wurden statt Anteilen Verhältnisse angegeben und bei diesen Zähler und Nenner vertauscht, sodass bei der ersten Frage die häufigste falsche Antwort 53 lautete, wobei dieser Fehler bereits in der MARKUS-Studie als größte Fehlerquelle identifiziert wurde. Auch beim Vergleichen von gemeinen Brüchen stimmen die Ergebnisse der DUDEN- und der MARKUS-Studie überein. Beim Bestimmen des größeren Bruchs von 13 und 21 wurde fast immer der erste Bruch als Analogie zu den natürlichen Zahlen als der größere identifiziert. Beim Vergleich von 56 und 65 beriefen sich die Lernenden zumeist auf eine vermeintliche

176

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Gleichheit der beiden Brüche, da dieselben Zahlen enthalten sind. Die anderen fehlerhaften Antworten kamen durch einen Nennervergleich zustande, bei dem die Regel angewendet wird größerer Nenner bedeutet kleinerer Bruch, der nur beim Spezialfall des Stammbruchvergleichs sowie beim Vergleich reziproker Brüche tatsächlich zum richtigen Ergebnis führt. Insgesamt waren die Lösungsquoten der beiden Aufgaben gleichhoch. Auch die Ergebnisse zu den Strichrechenarten weisen dieselben Tendenzen auf. So konnten Aufgaben zur Addition gleichnamiger Brüche ebenfalls besser gelöst werden als die ungleichnamiger. Allerdings liegen die Lösungsquoten hier deutlich tiefer, da unauffällige Lernende Aufgaben mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad (also kleine Nenner und Zähler) noch zu 63 bis 80 % korrekt bearbeiteten. Wie zu erwarten, war besonders die getrennte Addition und Subtraktion von Zähler und Nenner die Hauptfehlerquelle, wie dies bereits in der MARKUS-Studie festgestellt wurde. Bei der Subtraktion der Brüche 34 und 16 kam dann noch die Vertauschung von Minuend und Subtrahend hinzu, da 4 – 6 zu einem negativen Ergebnis führen würde. Die Subtraktionsaufgabe in Klasse zehn wurde so wenig im Diagnosegespräch gestellt, dass sie nicht in die Auswertung einbezogen werden konnte (wie alle Aufgaben, bei denen die Werte in Tabelle 5.4 fehlen). Die Aufgabe zur Division 67 : 37 ist mit der Vorstellung des Enthaltenseins gut lösbar. Doch zeigten die oben aufgeführten Studien bereits, dass auch unauffällige Schülerinnen und Schüler kaum über dieses Konzept verfügen. Dementsprechend wenig überraschend sind die schwachen Ergebnisse der rechenschwachen Lernenden, für die die Division ohnehin meist eine enorme Hürde im Lernprozess darstellt. Das Zahlenmaterial suggeriert weiterhin die getrennte Division von Zählern und Nennern, sodass das häufigste inkorrekte Ergebnis 21 lautete. Außerdem kam es gehäuft zu Rechenfehlern bei der Anwendung des Algorithmus, bei dem besonders für die Aufgabe 6·7 viele falsche Ergebnisse auftraten. Auch wurde häufig multipliziert statt dividiert und somit der Schritt der Kehrwertbildung vergessen. Somit liegen in dieser Disziplin die Ergebnisse Rechenschwacher deutlich unter den Lösungshäufigkeiten unauffälliger Lernender, die in der Studie Padbergs bei der Division ungleichnamiger Brüche immerhin eine Lösungsquote von 60 % erzielten (Padberg 1986, S. 70). Für Aufgaben zum von-Ansatz gab es bisher keinerlei Studienergebnisse, die zum Vergleich herangezogen werden können. Laut der obigen Darstellungen sind Aufgaben dieses Typs die mit den höchsten Fehlerquoten aller Aufgabengebiete der gebrochenen Zahlen, demnach ist die Grundvorstellung des Bruchs als Operator kaum entwickelt. Die angegebenen Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler scheinen durch unsystematische Fehler zustande zu kommen und wurden (laut Anmerkungen der Diagnostiker:innen) oft geraten oder über sehr abwegige

5.4 Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen …

177

Rechenwege ermittelt. Beispielsweise wird 13 von 24 e mit 9 angegeben, wobei die Schülerin 24 durch den Nenner teilte und dann den Zähler addierte. Andere Schüler:innen schätzten das Ergebnis mit „es muss mehr als die Hälfte sein“ ein. Daneben existiert noch eine Vielzahl weiterer falscher Lösungen, die fast jede natürliche Zahl zwischen vier und zwanzig abdecken. Der Diagnosebogen des DUDEN-Instituts enthält zwar einige Aufgaben zu verschiedenen Disziplinen der Dezimalzahlrechnung, jedoch wurden lediglich die Aufgaben zum Vergleich häufig gestellt. Items zu Grundrechenarten sind hingegen nur äußerst selten Teil der Diagnose gewesen und liefern dementsprechend keine aussagekräftigen Ergebnisse. Die Lösungsquoten des Dezimalzahlvergleichs anhand der Diagnosebögen des DUDEN-Instituts sind allerdings nicht mit denen Mittelbergs vergleichbar, da bei ersteren jeweils nur zwei Zahlen miteinander in Beziehung gesetzt werden mussten, während es bei Mittelberg acht waren. Dies erklärt die deutlich höheren Lösungsquoten. Trotzdem sind die hohen Lösungsquoten überraschend, da beim Vergleich der Zahlen 1,19 und 1,131 sowie 0,12 und 0,0899 die unter Rechenschwachen anscheinend weit verbreiteten Fehlerstrategien Komma-trennt und kein-Komma zum falschen Ergebnis führen würden. Den Diagnosebögen ist nicht zu entnehmen, wodurch die hohen Lösungsquoten in den Klassen acht bis zehn zustande kommen. Es kann vermutet werden, dass bei der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit rationalen Zahlen der stellenweise Vergleich noch einmal thematisiert wurde und diese Strategie anschließend im Diagnosegespräch des DUDEN-Instituts abrufbar war. Den letzten Inhaltsbereich im Kontext gebrochener Zahlen bilden die einfachen Prozentsätze 5 % von 100 e, 1 % von 1 e und 200 % von 50kg. Dabei schwankten die Lösungsquoten stark je nach Aufgabe, wobei besonders die erste noch vergleichsweise häufig richtig bearbeitet wurde (60 %), die letzte wurde hingegen kaum korrekt gelöst. Hier argumentierten die Schülerinnen und Schüler meist, dass „das nicht geht, da die Prozentzahl größer ist als der Grundwert“. Diese Antwort gibt Anlass zur Vermutung, dass kein Verständnis für den Prozentbegriff ausgebildet ist. Bei der Aufgabe 1 % von 1 e kam es vor allem zu Stellenwertfehlern, wobei am häufigsten Lösungen wie 0,1 und 0,001 als Falschlösungen genannt wurden. Häufig gelang auch die Umwandlung der Euro- in Cent-Beträge nicht, wodurch vermutet werden kann, dass der Umgang mit einer konkreten Größe kaum eine Hilfe für die Bearbeitung von Prozentaufgaben ist.

178

5.5

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

Zusammenfassung der Ergebnisse

Bereits unauffällige Schülerinnen und Schüler zeigen große Probleme beim Verständnis gebrochener Zahlen. Dabei besteht eine klare Diskrepanz zwischen den im Kompetenzstufenmodell der Bildungsstandards formulierten Anforderungen und den Studienergebnissen zu den Fähigkeiten deutscher Schülerinnen und Schüler, denn diese sind zum großen Teil nicht in der Lage mehrschrittige Operationen durchzuführen (Stufe III) oder Zusammenhänge zwischen gemeinen Brüchen und Dezimalzahlen sicher herzustellen, um Zahlen miteinander zu vergleichen (Stufe IV) (KMK und IQB 2012, S. 68). Stattdessen arbeiten sie hauptsächlich algorithmusbasiert. Rechenschwache Schülerinnen und Schüler lösen Aufgaben zur Bruchrechnung ausschließlich über syntaktisch-algorithmisches Wissen, scheitern jedoch dabei sehr oft, da sie die einzelnen Schritte der Verfahren nicht verstehen. Deshalb machen sie besonders dann Fehler, wenn der Algorithmus mehrere Teilschritte aufweist, bei denen unterschiedliche Handlungen mit Brüchen nötig sind, wie beim Addieren und Subtrahieren. Sie haben die Vorstellung eines Bruchs als Anteil kaum entwickelt, sind aber zum Teil in der Lage Brüche zu identifizieren, jedoch nicht zu realisieren. Es scheint als betrachten sie Brüche größtenteils als zwei natürliche Zahlen, die durch einen Strich in der Mitte getrennt sind, weswegen sie Aufgaben durch bekannte Verfahren aus den natürlichen Zahlen zu lösen versuchen. Deshalb treten auch ähnliche Fehler auf, wie das Verwechseln von Multiplikationsreihen oder der Wechsel der Rechenrichtung bei der Subtraktion oder Division. Die Multiplikation können sie bei einfachen Standardaufgaben jedoch korrekt durchführen, da hier das Verhaften an Lösungsstrategien aus den natürlichen Zahlen zum Erfolg führt, die damit verbundene Vorstellung eines Bruchs als Operator haben sie hingegen kaum erworben. Nach den wenigen Studienergebnissen zur Dezimalzahlrechnung kann festgestellt werden, dass im Umgang mit diesen besonders das Komma als neuer Bezugspunkt große Schwierigkeiten bereitet, was zu einer Dominanz der Komma-trennt- und kein-Komma-Strategie führt. Dabei scheint im Besonderen bei der Multiplikation und Division das Vorhandensein von Nullen eine wichtige Rolle für die Lösungshäufigkeit zu spielen. Uneinheitlich sind hingegen die Ergebnisse zum Vergleich von Dezimalzahlen, da Mittelberg hier sehr geringe Lösungsquoten feststellte, während in der DUDEN-Studie Aufgaben in diesem Zusammenhang häufig korrekt gelöst werden konnten.

5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

179

Anhand dieser Darstellungen wird deutlich, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler maximal die Stufe Ib im Kompetenzstufenmodell der Bildungsstandards der Sekundarstufe I im Umgang mit gebrochenen Zahlen erreicht haben, da sie nur in der Lage sind einschrittige einfache Rechenprozeduren, wie die Multiplikation durchzuführen, jedoch kaum wenigschrittige Rechnungen oder größer-kleiner-Beziehungen erkennen, was notwendig für das Erreichen der Stufe II wäre (KMK und IQB 2012, S. 68). Mathematisch unauffällige Lernende verfahren zwar meist ebenso über syntaktisch-algorithmisches Wissen, machen dabei jedoch zum Teil deutlich weniger Fehler, vor allem bei der Addition und Subtraktion ungleichnamiger Brüche, bei der Division oder beim Vergleichen. Über andere Bereiche, wie das Erweitern und Kürzen, liegen hingegen zu den Fähigkeiten Rechenschwacher keine Kenntnisse vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie auch dort hauptsächlich ohne Verständnis und aufgrund eines Algorithmus agieren und dabei vermutlich aufgrund von Defiziten im kleinen Einmaleins deutlich mehr Fehler machen als unauffällige Lernende. Für die Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen bedeuten diese Ergebnisse, dass es nicht sinnvoll ist schwerpunktmäßig Aufgaben zu Grundvorstellungen von Brüchen zu stellen, da Schülerinnen und Schüler ohne Defizite in basismathematischen Fähigkeiten diese ebenso häufig nicht tragfähig ausgebildet haben. Stattdessen müssen vermehrt die Fertigkeiten abgefragt werden, bei denen unauffällige Lernende im Gegensatz zu rechenschwachen Schülerinnen und Schülern z. T. hohe Lösungsquoten verzeichneten. Dies umfasst für gemeine Brüche vor allem die Addition und Subtraktion ungleichnamiger Brüche, wobei keine gemischten oder natürlichen Zahlen vorkommen sollten, da hierbei die Vergleichsgruppe ebenfalls Schwierigkeiten zeigt. Weiterhin scheint der Größenvergleich ein gewinnbringender Inhalt zu sein, da Studienergebnisse hier große Diskrepanzen zwischen den Vergleichs- und Untersuchungsgruppen aufdeckten. Sowohl die Strichrechenarten als auch der Größenvergleich stehen beim ausschließlich kalkülhaften Rechnen in einem engen Zusammenhang zum Erweitern, da diese Komponente ein Teil der Algorithmen darstellt. Für diese Disziplin sowie das Kürzen liegen keine Resultate für rechenschwache Schülerinnen und Schüler vor, jedoch ist aufgrund der obigen Erläuterung davon auszugehen, dass sich hier größere Schwierigkeiten zeigen. Ähnliche Überlegungen führen dazu von- und Prozentaufgaben für eine Diagnostik einzubeziehen. Hierzu liegen zwar keine expliziten Zahlen für unauffällige Lernende vor, jedoch zeigte die DUDEN-Studie, dass Rechenschwache mit solchen Aufgaben enorme Probleme haben. Für die Dezimalzahlrechnung ist die Studienlage ebenfalls eher gering. Da der Kern des Verständnisses hierzu die Erweiterung des Stellenwertsystems

180

5

Arithmetische Kompetenzen bezüglich der Bruchrechnung …

ist und empirisch belegt werden konnte, dass Rechenschwache hier Defizite zeigen, scheint es sinnvoll den Schwerpunkt der Aufgaben auf diesen Aspekt zu legen. Damit konnten nach der Betrachtung der natürlichen auch Inhalte für die gebrochenen Zahlen identifiziert werden. Im Weiteren soll es nun um eine Einbettung möglicher Aufgaben in den diagnostischen Prozess zum Erkennen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen gehen und welche Eigenschaften ein Testverfahren und damit die enthaltenen Aufgaben aufweisen müssen, um dies zu ermöglichen.

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Diagnostik in Schule und Unterricht

In den bisherigen Darstellungen konnte gezeigt werden, welche Fähigkeiten essenziell sind für die Entwicklung mathematischer Kompetenzen in der Sekundarstufe, wie diese bei rechenschwachen und unauffälligen Schülerinnen und Schülern ausgebildet sind und wie sich dies auf arithmetische Inhalte der Sekundarstufe auswirkt. Damit konnten besondere Schwierigkeiten im Rechnen auf inhaltlicher Ebene klar beschrieben werden, was die Grundlage für ein diagnostisches Instrument darstellen muss. Im Folgenden wird nun der Frage nachgegangen, wie diese Erkenntnisse für die Diagnostik verwendet werden können, welche praxisrelevanten Lücken im diagnostischen Prozess geschlossen werden müssen und wie demnach ein Diagnoseverfahren zu konzipieren ist. Anhand der in der Diagnostik von Rechenschwäche etablierten Tests für die Sekundarstufe I sollen deren Eigenschaften und Herangehensweisen mit ihren Vor- und Nachteilen aufgezeigt und diese mit aus dem Testkonstruktionsprozess abgeleiteten Kriterien für ein geeignetes quantitatives Verfahren verglichen werden. Es geht dabei weniger um eine Bewertung, sondern vornehmlich um die Suche nach geeigneten Aufgabenformaten und Konstruktionsmöglichkeiten1 . Es wird sich zeigen, dass eine besondere Herausforderung für diagnostische Tests die Erhebung von Verständnis, insbesondere des Operationsverständnisses und von Grundvorstellungen, darstellt. Für diesen Zweck sind aus der mathematikdidaktischen Forschungsrichtung zahlreiche Aufgabenformate und Methoden der Aufgabengestaltung entwickelt worden, deren Eignung für die Diagnostik arithmetischer Basiskompetenzen in schriftlichen Gruppentests abschließend analysiert werden soll. 1

Kritische Vergleiche und Auseinandersetzungen zu Diagnoseverfahren zum Erkennen von Dyskalkulie finden sich vor allem bei Jacobs und Petermann (2012); Landerl et al. (2017); sowie Moser Opitz und Ramseier (2012); Schipperges (2016). © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_6

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Diagnostik in Schule und Unterricht

6.1

Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

Die Vorgehensweisen zur Diagnostik von Rechenschwäche oder Dyskalkulie sind so vielfältig wie die forschungsperspektivischen Hintergründe, in denen sie verortet sind. So beinhalten die diagnostischen Prozesse je nach Forschungsrichtung unterschiedliche Teile, was auch am Fehlen von bundeseinheitlichen rechtlichen Vorgaben liegt (Schipperges 2016, S. 68 ff.). Neurokognitive und medizinische Ansätze gehen davon aus, dass die Ursache für eine Dyskalkulie in Defiziten in der neuronalen Verarbeitung und im Arbeitsgedächtnis zu finden sind, wobei laut Definition der ICD-10 keine Leserechtschreibschwäche vorhanden sein darf und ein mindestens durchschnittlicher IQ vorliegen muss (vgl. Abschnitt 2.1). Dementsprechend besteht der diagnostische Prozess aus einer Reihe von Untersuchungen bezüglich der Rechenleistung, aber auch der Intelligenz, der Lese- und Rechtschreibleistung, des sozialen, motivationalen und emotionalen Status’ und bei Auffälligkeiten zu Arbeitsgedächtnisstörungen, zur visuellen Informationsverarbeitung und zur Aufmerksamkeit. Somit kann die Frage beantwortet werden, ob eine klinisch relevante Störung der Rechenleistung vorliegt (Jacobs und Petermann 2012, S. 96). Demgegenüber steht der diagnostische Prozess aus der entwicklungspsychologisch-didaktischen Forschungsrichtung, der ebenfalls aus zwei Ebenen besteht, bei der zunächst auf quantitativer Ebene mittels eines Mathematiktests die grundlegenden Fähigkeiten des bzw. der Lernenden erhoben werden sollen. Werden hier Defizite festgestellt, soll in einer zweiten Stufe eine qualitative Diagnose stattfinden, bei der in einem Einzelgespräch mit dem Schüler oder der Schülerin dessen bzw. deren mathematische Defizite genauer analysiert und Denkweisen offengelegt werden (Moser Opitz 2009, S. 294). In beiden diagnostischen Prozessen kommen demnach quantitative Mathematiktests zum Einsatz, deren Eigenschaften aufgrund des Themas dieser Arbeit im Weiteren den Kern der hiesigen Betrachtung darstellen sollen. Dabei können aus jeder der drei Stufen der Testentwicklung, wie sie in der Abbildung 6.1 zu sehen sind, Kriterien für ein diagnostisches Verfahren zum Erkennen von Rechenschwäche abgeleitet werden.

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

183

Abbildung 6.1 Prozess der Testentwicklung (Schwerpunkte) (nach Moosbrugger und Kelava 2020, S. 63)

Bereits in den bisherigen Betrachtungen dieser Arbeit konnte aufzeigen werden, dass die Forschungsrichtung, aus der ein Diagnoseverfahren entwickelt wurde, essenziell für den Anwendungsbereich, das Diagnosekriterium und die Inhalte eines Tests ist. Aus diesem Grund ist die Offenlegung des Forschungshintergrundes und damit des Verständnisses von Rechenschwäche ein notwendiges Kriterium für ein gutes Testverfahren. Betrachtet man die den Forschungsrichtungen zugrunde gelegten Definitionen von Dyskalkulie, stehen immer mathematische Fertigkeiten (ICD-10) bzw. Fähigkeiten (Moser Opitz) (vgl. Abschnitt 2.1 im Vordergrund, weshalb mathematische Inhalte auch den Kern eines Testverfahrens ausmachen müssen. Zentrale, empirisch belegte Kompetenzen sind demnach eine weitere Grundvoraussetzung für ein geeignetes Testverfahren, obgleich die Auswahl dieser Kompetenz von der Forschungsrichtung inhärenten Auffassung von Rechenschwäche abhängt. Wie in allen Stufen der Testkonstruktion ist hierbei die Einbettung in wissenschaftliche Theorien und empirische Erkenntnisse essenziell. Des Weiteren unterscheiden sich wissenschaftlich fundierte, psychometrische Tests von einer unwissenschaftlichen Fragensammlung durch die empirisch nachgeprüften Gütekriterien (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 8). Die Erfüllung der Validität, der Objektivität und der Reliabilität ist ein notwendiges Kriterium für ein gutes Testverfahren zur Diagnostik, die anhand einer Erprobung an einer größeren Stichprobe überprüft werden müssen. Auch wird in dieser Phase das in

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Diagnostik in Schule und Unterricht

der Planung vorgesehene Diagnosekriterium quantitativ bestimmt, wobei notwendige Punktzahlen für positive und negative Diagnosen festgelegt werden. Da die Feststellung einer vorhandenen Rechenschwäche von großer Bedeutung für eine weitere Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern darstellt, muss das Entscheidungskriterium für eine positive Diagnose klar nachvollziehbar und begründet sein und darf damit keiner Willkür unterliegen. Die hier formulierten vier notwendigen Kriterien für ein Diagnoseverfahren für Rechenschwäche und Dyskalkulie, die sich durch andere Ansatzpunkte abgeleitet bei Moser Opitz (2009, S. 291) finden, sind, wie bereits angedeutet, nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig zum Teil deutlich. Dabei hat das theoretische Verständnis einen direkten Einfluss auf das Diagnosekriterium, bestimmt jedoch auch die Inhalte maßgeblich mit. Deren Umsetzung entscheidet wiederum über Teile der Gütekriterien (im Besonderen der Validität). Die vier Kriterien Offenlegung des Verständnisses von Rechenschwäche, Abprüfen zentraler mathematischer Inhalte, Begründung des Entscheidungskriteriums sowie Einhaltung der Gütekriterien sollen aus diesem Grund genauer betrachtet werden. Diagnostische Tests lassen sich zudem grundsätzlich in Einzel- und Gruppentestverfahren unterteilen, die spezifische Vor- und Nachteile mit sich bringen. Erstere haben den Vorteil, dass zum einen das Vorgehen des Schülers bzw. der Schülerin beim Lösen von Aufgaben besser festgestellt werden kann, da Vorgehens- und Denkweisen erfragt werden können. Zum anderen ist im Gegensatz zu Gruppentests das Spektrum an möglichen Aufgabeninhalten und -formaten deutlich höher. Denn einerseits besteht die Möglichkeit Aufgaben zu stellen, die nur verbal beantwortet werden können, was besonders im Kontext des Zahlverständnisses, wie beim Zählen oder Transkodieren eine wichtige Rolle spielt und andererseits kann auf Verständnisfragen besser eingegangen bzw. bei nicht intendierter Aufgabenbearbeitung nachgefragt werden. Die Anfälligkeit des Zustandekommens fehlerhafter Testresultate, z. B. durch das Vergessen von Aufgaben oder das Abschreiben, ist in Gruppentests deutlich höher als bei Einzeltests, bei denen diese Fehler nahezu ausgeschlossen werden können (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 36). Demgegenüber haben Gruppentests den großen Vorteil, dass sie für große Untersuchungsgruppen, wie ganze Schulklassen geeignet sind und damit eine deutlich bessere Testökonomie zeigen. Um einen Einzeltest gewinnbringend in der Schule einzusetzen, muss die Lehrkraft bereits einen Verdacht haben und den Schüler oder die Schülerin in einer außerunterrichtlichen Testsituation befragen. Studien zeigten jedoch, dass viele Lehrkräfte die Fähigkeiten vor allem von schwächeren Schülerinnen und Schülern überschätzen (z. B. Lorenz 2011, S. 12) und dass es somit lohnend ist, die erste Stufe im diagnostischen Prozess nach Moser Opitz in einer gesamten Klasse durchzuführen, auch um

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

185

Informationen über die basalen Fähigkeiten aller Schülerinnen und Schüler zu erlangen, nicht nur der vermeintlich rechenschwachen. Zusammengefasst haben Einzeltestverfahren das Potenzial, tiefer in die Kompetenzen und Defizite des Schülers bzw. der Schülerin vorzudringen, Gruppentestverfahren hingegen eine breitere Schülerschaft zu erfassen und in den Unterricht integrierbar zu sein. Dabei können Gruppen- und Einzeltestverfahren für jede Forschungsperspektive genutzt werden, wie im Folgenden gezeigt werden soll, und sind unabhängig von der zur Konstruktion verwendeten Testtheorie.

6.1.1

Testverfahren, Testtheorien und Diagnosekriterien

Quantitative Testverfahren können auf Grundlage zweier Testtheorien entwickelt werden, deren Verwendung meist die Art des Entscheidungskriteriums bestimmt, sodass das Verständnis von Rechenschwäche, die Art der Testkonstruktion und das Entscheidungskriterium in einem engen Zusammenhang stehen. Die klassische Testtheorie (KTT) geht davon aus, dass die erreichte Punktzahl in einem Testverfahren nicht den tatsächlichen Fähigkeiten des Probanden bzw. der Probandin entspricht und versucht den sogenannten wahren Wert durch eine große Aufgabenanzahl, Messwiederholung und Paralleltestung zu ermitteln (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 104). Auf Grundlage dieser Testtheorie werden im Bereich der Dyskalkulie vor allem Instrumente konzipiert, die mittels sozialer Normen diagnostizieren, wobei die Schülerleistung in Bezug zu der einer Vergleichsgruppe gesetzt wird. Eine Rechenstörung zeigt sich hier als Mathematikleistung, die deutlich unter der zu erwartenden liegt, und das trotz ordentlicher Beschulung und ohne eine zugrunde liegende Intelligenzminderung, als Auswirkung neurologischer Störungen oder Entwicklungsverzögerungen in den kognitiven Fähigkeiten. Darunter fallen alle diagnostischen Tests, die auf Grundlage der ICD-10 Dyskalkulie diagnostizieren. Entspricht die Leistung des getesteten Schülers oder der getesteten Schülerin nach ICD-10 der der schlechtesten 10 % der Vergleichsgruppe und besteht eine Diskrepanz von mehr als 1,2 Standardabweichungen zur Intelligenz, wird die entsprechende Diagnose gestellt (Jacobs und Petermann 2012, S. 96). Viele dieser Verfahren unterscheiden in der Schwere der Rechenstörung, indem ein Prozentrang zwischen 25 und 10 als Rechenschwäche und unter 10 als Rechenstörung klassifiziert wird (z. B. Merdian et al. 2015a, S. 29). Eine Begründung für den Prozentrang von 10 bzw. 25 ist in keinem der Testverfahren angegeben, wird aber, wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, in den Forschungsrichtungen der Neuro- und Kognitionswissenschaft allgemeingültig anerkannt.

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6

Diagnostik in Schule und Unterricht

Hierbei gelten meist für Jungen und Mädchen sowie verschiedene Klassenstufen und Schulformen unterschiedliche Punktzahlen als Entscheidungskriterien. Mädchen und Lernende von Hauptschulen können demnach mit einem geringeren Rohwert als unauffällig gelten als Jungen oder Lernende der Realschulen und Gymnasien. Sie müssen demnach weniger mathematische Kompetenzen besitzen. Hat ein Schüler oder eine Schülerin einen bestimmten Prozentrang im Mathematiktest unterschritten, zeigt allerdings unauffällige Werte im Intelligenztest, gilt er oder sie als dyskalkulisch. Die Diagnostik durch das Einordnen der Schülerleistung in Prozentrangtabellen hat den Vorteil, dass sie auch für Laien sehr einfach ist. Die Auswertung erfolgt durch das Auszählen von Punkten, die am Ende addiert und in die entsprechende Prozentrangtabelle eingeordnet werden können. Zurzeit sind im deutschsprachigen Raum mit dem Rechenfertigkeits- und Zahlenverarbeitungs-Diagnostikum für die Klassen 2–8 (RZD) ein Einzeltestverfahren und dem Bamberger Dyskalkuliediagnostikum 4–8 (BADYS) ein Gruppentest für die Sekundarstufe I etabliert, die nach der KTT konzipiert wurden und auf Grundlage der ICD-10 diagnostizieren (da die ICD-11 erst 2020 verifiziert wurde, gibt es bisher hierzu noch kein Testverfahren). Bezüglich des Diagnoskriteriums unterscheiden sich beide Testverfahren hinsichtlich des für eine negative Diagnose notwendigen Prozentrangs. Der RZD gibt einen Prozentrang von 7 an (Jacobs und Petermann 2020, S. 89 ff.). Dieses Diagnosekriterium wird nicht begründet, weswegen das zweite Kriterium für gute Rechenschwächetestverfahren als nicht erfüllt angesehen werden muss. Beim BADYS ist das Kriterium für eine negative Diagnose wie üblich der Prozentrang 10. Darüber hinaus wird bei beiden Verfahren wird neben der Durchführung des Mathematiktests noch ein Intelligenztest empfohlen, sodass die Verfahren vor allem für die Anwendung durch den schulpsychologischen Dienst und die klinische Praxis konzipiert wurden, wobei jedoch angegeben wird, dass der Einsatz durch Lehrkräfte ebenfalls möglich ist, um Schüler und Schülerinnen im unteren Leistungsbereich zu erkennen, wie es im BADYS heißt (Merdian et al. 2015a, S. 6). Allerdings ist für die Bestellung des BADYS der Nachweis über eine besondere Ausbildung in Anwendung und Interpretation von psychometrischen Testverfahren erforderlich (Merdian und Merdian 2021) und auch der RZD sowie die im Folgenden thematisierten ERT- und BASIS-MATH-Reihen sind für Lehrerinnen und Lehrer nicht zugänglich, da die Richtlinien des vertreibenden Hogrefe-Verlags lediglich einen Verkauf an Psychologen und Psychologinnen erlauben (Hogrefe 2021). Neben den nach ICD-10 konzipierten Verfahren BADYS und RZD existieren mit dem Eggenberger Rechentest für die vierte und fünfte sowie die siebte und achte Klasse und das Erwachsenenalter (ERT 4+ und ERT JE) noch zwei

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

187

weitere Gruppenverfahren, welchen die KTT zugrunde gelegt wurde und die anhand sozialer Normen diagnostizieren, sich dabei zwar ebenfalls auf die ICD10 und DSM-V berufen (Holzer et al. 2017, S. 11), jedoch ein eigenes Modell zur Erklärung von Dyskalkulie zur Grundlage nehmen und deren Vorhandensein in Abhängigkeit von der Klassenstufe mittels vier determinierender Faktoren feststellen. Für die Klassen der Sekundarstufe I sind das mathematische Ordnungsstrukturen, algebraische Strukturen, Größenbeziehungen und angewandte Mathematik (Holzer et al. 2017, S. 11). Durch die Vermischung von klinischen Diagnosekriterien mit pädagogischen Konzepten und dem Fehlen anderer Hinweise zur Verortung in den Manualen können die beiden Testverfahren der ERT-Reihe nicht einem theoretischen Hintergrund zugeordnet werden, wodurch das erste Kriterium für diagnostische Tests nicht erfüllt ist. Der ERT JE hebt sich von allen anderen Tests deutlich durch seine Zielsetzung und Inhalte ab. Zwar soll auch er Dyskalkulie diagnostizieren, jedoch geht es vor allem um die sinnvolle Gestaltung der letzten Schuljahre, um eine mathematische Eignung für das spätere Berufsleben zu gewährleisten (Holzer et al. 2017, S. 7). Aus diesem Grund beinhaltet dieser Test, bis auf wenige Ausnehmen, nur Inhalte der Sekundarstufe wie die gebrochenen Zahlen, das Umrechnen von Maßen und den Umgang mit statistischen Darstellungen. Die Notwendigkeit eines Intelligenztests wird hier nicht erwähnt, wodurch der Test auch von Pädagog:innen durchgeführt werden kann (Schaupp et al. 2010, S. 11). Im Gegensatz zu BADYS und RZD legt der ERT einen Prozentrang von 16 zur Diagnostik fest (Holzer et al. 2017, S. 23; Schaupp et al. 2010, S. 21). Für diesen Wert findet sich keine Begründung (vgl. Schaupp et al. 2010, S. 25), womit der ERT das zweite Kriterium für diagnostische Tests, nach dem das Zustandekommen des Diagnosekriteriums offengelegt werden muss, nicht erfüllt. Die nach KTT konstruierten Testverfahren haben vor allem das Ziel ein Urteil zu fällen, ob eine Dyskalkulie vorhanden ist und nicht, wie die notwendigen Fähigkeiten ausgeprägt sind. Sie ermitteln zwar, ob Grundvorstellungen in irgendeiner Weise ausgebildet sind, um Aufgaben überhaupt lösen zu können, weniger interessieren hingegen, wodurch falsche Ergebnisse verursacht werden, weswegen sie den dritten Punkt der Kriterien für diagnostische Tests nur teilweise erfüllen. Die Resultate eines solchen Tests sind im Hinblick auf eine anschließende Förderung wenig aussagekräftig. Zwar sagen alle Autor:innen der Testverfahren, dass die jeweiligen Diagnoseinstrumente für eine Förderung gut geeignet seien, allerdings können höchstens defizitär entwickelte Gebiete aufgedeckt werden. Welche Fehlvorstellungen vorhanden sind und wo genaue Defizite verortet werden können wäre jedoch gerade für die anschließende Förderung von großem Nutzen. Damit sind diese Testverfahren für Lehrkräfte nur bedingt hilfreich, da nicht

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6

Diagnostik in Schule und Unterricht

die Frage beantwortet werden kann, ob ein Schüler bzw. eine Schülerin deshalb so geringen Lernzuwachs verzeichnet, weil ihm bzw. ihr die grundlegenden Fähigkeiten fehlen, sondern lediglich, ob die Grundlagen aufgrund von eventuell zurückliegenden Entwicklungsverzögerungen oder kognitiven Störungen fehlen. Anders ist dies bei Testverfahren aus der entwicklungspsychologischmathematikdidaktischen Forschungsrichtung. Denn besonders die Überlegung, dass Lernende je nach Geschlecht und besuchter Schulform unterschiedlich ausgeprägte Kompetenzen benötigen, um als rechenschwach zu gelten, ist aus dieser Perspektive abwegig, da das Lernen von Mathematik von bestimmten grundlegenden mathematischen Fähigkeiten abhängig ist und es um die Frage geht, ob genau diese entwickelt wurden, wobei das Geschlecht und die besuchte Schulform keinerlei Rolle spielen. Die bisher publizierten Verfahren aus dieser Forschungsrichtung sind auf Grundlage der Item-Respons-Theorie (IRT) entwickelt, die annimmt, dass durch das Antwortverhalten von Proband:innen auf die Ausprägung eines latenten Personenmerkmals geschlossen werden kann. Dabei geht diese Theorie davon aus, dass eine Aufgabe in Abhängigkeit von der Personenfähigkeit mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit gelöst werden kann. Bearbeitet eine Schülerin oder ein Schüler mit einer hohen Personenfähigkeit viele schwierige Aufgaben erfolgreich, ist davon auszugehen, dass sie oder er auch die einfachen Aufgaben lösen kann, obschon ihr oder ihm dabei ein Fehler unterläuft. Aufgrund dieser Überlegung wird mittels der erreichten Punktzahl auf die zugrundeliegende mathematische Kompetenz geschlossen (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 228 f.) und diese meist mithilfe von Niveaustufen in Bezug zu den notwendigen mathematischen Kompetenzen gesetzt. Damit ist das Diagnosekriterium nicht die Leistung des Schülers bzw. der Schülerin im Vergleich zur Leistung anderer, sondern die mathematische Kompetenz. Es handelt sich dabei also um eine kriteriale Bezugsnorm, nicht um eine soziale (Hesse und Latzko 2017, S. 77). Bisher ist mit dem aus der Arbeitsgruppe um Elisabeth Moser Opitz entwickelten Einzeltest-verfahren BASIS-MATH 4–8 ein nach IRT konzipierte Diagnoseinstrument etabliert. Laut ihrem theoretischen Konzept gelten Schülerinnen und Schüler „[…] dann als rechenschwach, und haben besonderen Förderbedarf im Fach Mathematik, wenn sie bezüglich des basalen Lernstoffs große Kenntnislücken aufweisen […]“ (Moser Opitz et al. 2010, S. 11). Rechenschwäche wird also unabhängig von der Definition der ICD-10 und aufgrund fachmathematischer und nicht neuropsychologischer bzw. –kognitiver Defizite diagnostiziert. Aus diesem Grund werden keine Altersdifferenzierungen im Test vorgenommen. Auf Grundlage der eigens von ihr durchgeführten Studie, deren Ergebnisse bereits

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

189

ausführlich im Kapitel 4 beschrieben wurden, und den Erkenntnissen von Humbach, Krajewski, Balzer u. A. (ebenfalls im Kapitel 4 beschrieben) verortet sie die Fähigkeiten Zählen, Mathematisieren, Problemlösen sowie das Verständnis für Teil-Ganzes-Beziehungen und das Dezimalsystem als mathematische Nadelöhre für die weitere Wissensaneignung (Moser Opitz et al. 2010, S. 11). Die Fähigkeiten bzgl. dieser Kompetenzen bilden demnach das Diagnosekriterium dieser Tests. Als Mischform derselben Arbeitsgruppe um Moser Opitz wurde des Weiteren das Gruppentestverfahren BASIS-MATH- G 4+ -5 entwickelt, was im letzten Quartal des vierten sowie im fünften Schuljahr angewendet werden kann2 . Zwar ist auch dieser Test auf Basis der IRT konzipiert, allerdings verwendet er keine Niveaustufen sondern diagnostiziert ebenfalls mithilfe des Prozentranges 10 der Schweizer Stichprobe (da sich die deutsche Stichprobe aufgrund der Zusammensetzung der Population, die aus sehr leistungsschwachen Schüler:innen bestand hierfür nicht eignet), wobei hier keine Begründung für diesen Wert angegeben wird (Moser Opitz et al. 2016, S. 65 und S. 95 ff.) und Moser Opitz somit gegen ihr eigenes Kriterium für gute diagnostische Tests zum Erkennen von Rechenschwäche zu verstoßen scheint. Um in den folgenden Auseinandersetzungen die Übersicht über die verschiedenen Tests und deren Eigenschaften zu behalten, werden die Erkenntnisse dieses Kapitels in Tabelle 6.1 zusammengefasst.

6.1.2

Anforderungen an die Gütekriterien

Bisher ist deutlich geworden, dass sich das Konstrukt „mathematische Basiskompetenzen“ aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt und diese oft nicht direkt messbar sind, sondern anhand von Rechenergebnissen und Vorgehensweisen darauf geschlossen werden muss. Es handelt sich somit um ein latentes – nicht sichtbares – Merkmal. Aus diesem Grund muss ein Testverfahren bestimmten Kriterien genügen, die objektiv Auskunft darüber geben, wie gut ein solches Instrument ist (Hesse und Latzko 2017, S. 70). Dies sind die drei Gütekriterien Validität, Objektivität und Reliabilität. Validität Nach Moosbrugger und Kelava stellt unter diesen dreien die Validität das wichtigste Kriterium dar (2012, S. 13). Dieses erfüllt ein Test dann, „[…] wenn er das Merkmal, das er messen soll, auch wirklich misst und nicht irgendein anderes.“ (Moosbrugger und Kevala 2012, S. 13) Dabei ermöglichen zwar Objektivität 2 Kurz vor Abgabe dieser Arbeit erschien darüber hinaus der BASIS-MATH 6 + , der hier jedoch aus zeitlichen Gründen nicht thematisiert wird.

Einzeltest

Gruppentest

RZD

ERT

4 bis 5 und 7 bis 8

2 bis 8

Gruppengröße Klassenstufe

Test

KTT

KTT

ICD-10 und eigenes Faktorenmodell, PR ≤ 16

ICD-10, PR ≤ 7

Inhaltsvalidität durch eigenes Modell, lädt jedoch für 4. und 5. Klasse nur auf drei statt vier Faktoren, manche Ladungen gleich, Kriteriumsvalidität durch Lehrerfragebogen (komorbide Störung), DEMAT 4 und Schultypzugehörigkeit, unbegründeter Diagnosegrenzwert

4+ : Zahlennachbarn, Zahlenreihen, Zahlen identifizieren durch MSB, halbschriftliches Rechnen und Lösen von Ergänzungsaufgaben bei Addition und Subtraktion, schriftliches Rechnen bei allen GRA, Maße, Textaufgaben JE: gemeine und Dezimalzahlen ordnen, schriftliches Rechnen mit Dezimalzahlen, Maße umwandeln, statistische Darstellungen lesen, Textaufgaben

6 (Fortsetzung)

Keine Angaben zur Inhaltsvalidität, Kriteriumsvalidität durch Elternurteil und Mathematiknote, Trennschärfeparameter fehlen

Auffälligkeiten bzgl. der Gütekriterien

Zahlen transkodieren, vorwärts-/rückwärtszählen, Zahlenstrahl, Mengen schätzen, Größenvergleich, Kopfrechnen und schriftliches Rechnen bei allen vier GRA, ergänzen, Regelverständnis, Textaufgaben

Testkonstruktion Theoretischer Inhalte (Überblick) nach Hintergrund, Diagnosekriterium

Tabelle 6.1 Ausgewählte Testverfahren und ihre Eigenschaften

190 Diagnostik in Schule und Unterricht

BASIS-MATH Einzeltest 4–8

Gruppentest

BADYS

4 bis 8

4 bis 8

Gruppengröße Klassenstufe

Test

Tabelle 6.1 (Fortsetzung)

IRT

KTT

Notwendige mathematische Basisfähigkeiten nach eigener Studie, RW ≤ 67

ICD-10, PR ≤ 10

Rechnen mit Strategieerfassung bei allen vier GRA, auch verdoppeln/halbieren, Ergänzungsaufgaben zu Addition und Subtraktion, Grundvorstellungen zu Multiplikation und Division, zählen in Schritten, bündeln und entbündeln, Zahlenstrahl, Stellenwerttafel, Textaufgaben

Stellenwerttafel, Zahlenstrahl, Größenvergleich, einfaches Rechnen, Platzhalteraufgaben und schriftliches Rechnen bei allen GRA, Geometrie, Terme aufstellen, Textaufgaben, Runden, Rechenzeichen setzen, Zusatzskalen zu vers. Bereichen, z. B. Brüche

Testkonstruktion Theoretischer Inhalte (Überblick) nach Hintergrund, Diagnosekriterium

(Fortsetzung)

Inhaltsvalidität durch eigene Studien, Kriteriumsvalidität durch Lehrerurteil und Intelligenztest

Teilweise Problematische Trennschärfewerte, Kriteriumsvalidität durch Schulnote

Auffälligkeiten bzgl. der Gütekriterien

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests 191

Notwendige mathematische Basisfähigkeiten nach eigener Studie PR ≤ 10

Kopfrechnen, Umkehraufgaben Zahlenstrahl, Malaufgaben aus Punktfeldern ablesen, halbieren/verdoppeln, Aufgaben mit Umkehroperation, ergänzen zur Addition und Subtraktion, zählen in Sprüngen, Geld zählen, Stellenwerttafel, Textaufgaben, (halb)-schriftliches addieren und subtrahieren, Stufenaufgaben, entbündeln, Maße

Testkonstruktion Theoretischer Inhalte (Überblick) nach Hintergrund, Diagnosekriterium

Viertes IRT Quartal der 4. bis 5. Klasse

Gruppengröße Klassenstufe

BASIS-MATH Gruppentest G 4–5 +

Test

Tabelle 6.1 (Fortsetzung)

Inhaltsvalidität durch eigene Studie Kriteriumsvalidität durch Intelligenztest und DEMAT 4 Problematische Prozentrangtabelle durch verzerrte Stichproben

Auffälligkeiten bzgl. der Gütekriterien

192 6 Diagnostik in Schule und Unterricht

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

193

und Reliabilität „[…] eine hohe Messgenauigkeit, liefern aber nur die günstigen Voraussetzungen für das Erreichen einer hohen Validität, da ein Test, der eine niedrige Reliabilität aufweist, keine hohe Validität haben kann.“ (Moosbrugger und Kevala 2012, S. 13). Dabei gibt es verschiedene theoretische und empirische Überlegungen und Überprüfungen, um die Gültigkeit eines Tests nachzuweisen, die wiederum unterschiedlichen Arten von Validitäten zugeordnet werden können. Inhaltsvalidität Der Begriff der Inhaltsvalidität bezieht sich darauf, inwieweit die Inhalte eines Tests bzw. der Items, aus denen er sich zusammensetzt, tatsächlich das interessierende Merkmal erfassen (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 148). Die Inhaltsvalidität muss damit die Definition des zu messenden Konstrukts exakt abbilden, besonders, wenn es sich dabei um ein theoretisches Konstrukt, wie das der Rechenschwäche handelt (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 104). Damit muss der Nachweis der Inhaltsvalidität „[…] vor allem durch eine gute theoretische Fundierung, eine daran orientierte Itementwicklung und eine schlüssige Argumentation zu erbringen [sein]“. (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 150) So ist die Inhaltsvalidität keine in Zahlen ermittelbare Größe, die nach der Erprobung des Tests errechnet werden kann, sondern wird maßgeblich im Entwicklungsprozess bestimmt und bildet somit direkt das Verständnis von Rechenschwäche oder Dyskalkulie ab. Damit steht die Inhaltsvalidität in engem Zusammenhang mit dem ersten Kriterium für diagnostische Tests zur Erfassung von Rechenschwäche, bei dem das theoretische Verständnis von Rechenschwäche offengelegt werden muss. Jedoch geht die Inhaltsvalidität noch tiefer, indem nicht nur eine Verortung in eine Forschungsrichtung angegeben sein muss, sondern ganz konkrete Inhalte, aus Studien oder theoretischen Überlegungen abgeleitet, dargelegt werden müssen. In den bisher vorgestellten Testverfahren wird die Inhaltsvalidität auf unterschiedliche Weise und unterschiedlich stark begründet. So wird im Manual des RZD keine Angabe zur Inhaltsvalidität gemacht (vgl. Jacobs und Petermann 2020, S. 74). Die inhaltliche Gestaltung der ERT-Reihe ist laut Manual durch die vier deterministischen Faktoren mathematische Ordnungsstruktur, algebraische Struktur, Größenbeziehungen und angewandte Mathematik bestimmt (Holzer et al. 2017, S. 13; Schaupp et al. 2010, S. 15). Allerdings ist die Inhaltsvalidität als fraglich zu bewerten, da die vier deterministischen Faktoren zwar beschrieben, aber nicht theoretisch oder empirisch hergeleitet werden. Die Angaben im Manual bzgl. der inhaltlichen Validität beschränken sich darauf, dass „[…] eine mehrfache Validierung durchwegs gute Ergebnisse aufwies“ (Holzer et al. 2017, S. 50; Schaupp et al. 2010, S. 56). Auch passen die Aufgaben im ERT 4+ nicht immer

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6

Diagnostik in Schule und Unterricht

zu den Beschreibungen der Faktoren. So wird bspw. unter dem Faktor ‚mathematische Ordnungsstrukturen‘ laut Manual vor allem das Verständnis zum Bündeln und Entbündeln von Hundertern, Zehnern usw. verstanden, sowie das Wissen um die Stellenwertschreibweise und der damit verbundenen Bedeutung der Null (Schaupp et al. 2010, S. 15). Überprüft werden soll dies im Testbogen mit dem Bestimmen von Vorgänger und Nachfolger, dem Einsetzen von Zahlen in Zahlenreihen, wobei erkannt werden muss, welche Sprünge innerhalb der Zahlenreihe dargestellt sind, und dem Erkennen von Zahlen aus Darstellungen durch Mehrsystemblöcke, wobei hier jedoch keine Umbündelungen vorgenommen werden müssen, da nie mehr als fünf Bündel eines Stellenwerts abgebildet sind. Eine untergeordnete Rolle spielt hier die Null als Platzhalter, da nur in einer Aufgabe die Hunderterstelle nicht besetzt ist, bei einer anderen die Einer- und Zehnerstelle, wobei bei diesen beiden Aufgaben die Anordnung der Tausenderwürfel, Hunderterplatten, Zehnerstangen und Einerwürfel so durcheinander ist, dass die Darstellungen der Zahl weiter erschwert werden (vgl. Abbildung 6.2). Die Aufgaben scheinen in erster Linie eher die Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich des sicheren Bewegens innerhalb der natürlichen Zahlen im Allgemeinen und das Identifizieren von Zahlen anhand von Mehrsystemmaterialien abzufragen, was wichtige Kompetenzen sind, die jedoch nicht mit den Beschreibungen der Autor:innen übereinstimmen. Ähnlich ist es bei den Aufgaben zu algebraischen Strukturen, mit denen vor allem das schriftliche Rechnen gemeint ist. Im Manual heißt es dazu, dass es sinnvoll ist, die begleitende Durchführung von Überschlagsrechnungen einzufordern, „[…] um ein bewusstes Denken in Stellenwerten auch bei der Arbeit mit dem schriftlichen Algorithmus aufrecht zu erhalten […]“ (Schaupp et al. 2010, S. 16). Im Testheft findet sich jedoch keine Aufgabe zum Überschlag. Im Gegensatz zum ERT sind die Aufgaben im BADYS thematisch sehr umfangreich. Bei der Inhaltsvalidität berufen sich die Autor:innen auf die „[…] vorliegenden theoretischen Erkenntnisse zu Bedingungsfaktoren und Merkmalen einer Rechenschwäche“ (Merdian et al. 2015a, S. 51) sowie Expertenwissen aus langjähriger Erfahrung mit von Dyskalkulie betroffenen Kindern. Einige empirische Erkenntnisse, besonders zu grundlegenden arithmetischen Fähigkeiten und der Bedeutung des Arbeitsgedächtnisses, sind auch im Manual aufgeführt. Jedoch wird nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage die Aufgaben zu Termen, Geometrie, Überschlägen, Brüchen und Klammerausdrücken dem Test beigefügt wurden. Im Gegensatz dazu sind die Begründungen für die Inhalte im BASIS-MATH 4–8 sehr ausführlich und mit empirischen Studien unterlegt (vgl. Moser Opitz et al. 2010, S. 13 ff.). Die Basis bildet hierfür vor allem die von Moser Opitz

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durchgeführte Studie, die bereits in Kapitel 4 beschrieben wurde. Vergleicht man die Aufgaben der Studie mit denen des Tests, fällt auf, dass alle Aufgaben, die große Unterschiede in den Leistungen von rechenschwachen und unauffälligen Schülerinnen und Schülern zeigten, genauso im Testbogen zu finden sind, wie sie auch in der Studie verwendet wurden. Zusätzlich beinhaltet der Gruppentest des BASIS-MATH Aufgaben zum Umgang mit Größen und zu schriftlichen Rechenverfahren. Diese Inhalte werden jedoch nicht durch Studien begründet, sondern durch die Überlegung, dass hierfür ein tiefgreifendes Verständnis des Stellenwertsystems notwendig und besonders beim Rechnen mit Überträgen ein Verständnis der schriftlichen Algorithmen überprüfbar sei (Moser Opitz et al. 2016, S. 18). Jedoch zeichnen sich schriftliche Algorithmen gerade dadurch aus, dass sie ohne großes Verständnis, lediglich durch häufiges Anwenden korrekt durchgeführt werden können (vgl. Abschnitt 3.3.4), im Gegensatz zum Finden von Begründungen für das Funktionieren des Algorithmus oder dessen Grenzen, wofür bei den Grundrechenarten sowohl Grundvorstellungen zu den Rechenoperationen als auch Stellenwertverständnis notwendig sind. Ein Verständnis der Algorithmen kann somit durch das korrekte Durchführen dieser nicht belegt werden. Des Weiteren gibt es bisher keine Studie, die die Fähigkeiten rechenschwacher Kinder im Umgang mit Größen untersucht. Ob der Einsatz dieser Inhalte für die Diagnostik sinnvoll ist, kann durch eine Faktorenanalyse durch die Feststellung der Konstruktvalidität überprüft werden. Konstruktvalidität Für diagnostische Tests zur Rechenschwäche kann mittels einer ein- oder mehrdimensionaler Faktorenanalyse die Zusammenhangsstruktur der Items ermittelt und, sollte der Testkonstruktion ein Faktorenmodell zugrunde liegen, dies überprüft werden (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 162). Im BASIS-MATH-G 4+ -5 konnten 16 Faktoren durch die Analyse bestätigt werden (Moser Opitz et al. 2016, S. 52 ff.), was bedeutet, dass der Test 16 unterschiedliche Fähigkeitsbereiche erfasst. Tatsächlich laden die Aufgaben zu Maßen auf denselben Faktoren wie Kopfrechen-, Ergänzungs- und Entbündelungsaufgaben (z. B. 10000 – 1), wodurch davon ausgegangen werden kann, dass mit diesen Aufgaben das Stellenwertverständnis beim Rechnen überprüft wird. Im BASIS-MATH 4–8 zeigen hingegen die Aufgaben zum Zählen eine ungenügende Faktorenladung. Sie werden jedoch durch die empirisch überprüfte Relevanz für die Diagnostik von Rechenschwäche und aufgrund einer nachträglich durchgeführten qualitativen Analyse trotzdem beibehalten. Auch laden einige Aufgaben auf zwei Faktoren gleich hoch, sodass die einzelnen Faktoren nicht als Subskala interpretiert werden können (Moser Opitz et al. 2010, S. 38).

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Anders sollte dies bei den Tests der ERT-Reihe sein, da in diesen das Konstrukt Rechenkompetenz durch die vier Faktoren bzw. im Test angelegte Subskalen mathematische Ordnungsstruktur, algebraische Struktur, Größenbeziehungen und Angewandte Mathematik zusammengesetzt ist. Die Faktorenanalyse für den ERT 4+ ergibt jedoch nur die drei Faktoren mathematische Ordnungsstrukturen, Größenbeziehungen und algebraische Strukturen. Angewandte Mathematik setzt sich hingegen aus den beiden Faktoren Größenbeziehungen und algebraische Strukturen gleichmäßig zusammen und ist damit kein eigenständiger Faktor, wodurch das zugrundeliegende Modell nicht bestätigt werden kann. Auch laden mehrere Aufgaben auf zwei Faktoren ähnlich stark und sind somit nicht durch das Faktorenmodell bestätigbar. Somit zeigt der ERT 4+ weder ausreichende Inhalts- noch Konstruktvalidität. Für den ERT JE können hingegen die vier Faktoren bestätigt werden, jedoch laden hier ebenfalls Aufgaben auf anderen Faktoren als theoretisch angenommen wurde (Holzer et al. 2017, S. 53), sodass die Aufgaben, besonders zu Maßen, nicht immer der intendierten Skala zugeordnet werden können. Im Manual des RZD sind, wie bereits bei der Inhaltsvalidität, keine Angaben zur Konstruktvalidität zu finden. Es wird lediglich vermerkt, dass eine Faktorenanalyse durchgeführt wurde (Jacobs und Petermann 2020, S. 74 f.). Kriteriumsvalidität Die letzte Möglichkeit die Validität eines Testverfahrens zu überprüfen, dessen interessierendes Konstrukt nicht durch ein eindeutiges Merkmal bestimmbar ist, erfolgt durch die Berechnung von vorhersagbaren Korrelationen mit verwandten, eindeutig messbaren Außenkriterien (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 153). „Ein Test weist Kriteriumsvalidität auf, wenn vom Verhalten der Testperson innerhalb der Testsituation erfolgreich auf ein »Kriterium«, nämlich auf ein Verhalten außerhalb der Testsituation, geschlossen werden kann“ (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 18). Als schwierig stellt sich die Frage nach günstigen Vergleichsindikatoren zur Ermittlung der Konstruktvalidität. Da es sich bei Rechenschwäche bzw. ungenügenden mathematischen Basisfähigkeiten um ein latentes Merkmal handelt, müssen Indikatoren herangezogen werden, die mit diesem Merkmal in einer hohen Korrelation stehen. Das können zum einen solche sein, die von diesem latenten Konstrukt beeinflusst werden und zum anderen, die es direkt beeinflussen. So verwenden die Verfahren, die sich auf die ICD-10 berufen, sowie die ERTReihe die Schulnote als Vergleichswert und ermitteln hohe Korrelationen, woraus abgeleitet werden kann, dass die in den Tests gemessenen grundlegenden mathematischen Fähigkeiten und Fertigkeiten eng mit Leistungen in der Sekundarstufe I zusammenhängen. Des Weiteren verwendet der BASIS-MATH 4–8 und der ERT

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4+ das Lehrerurteil, wobei der Lehrerfragebogen im ERT 4+ eher Informationen über zusätzliche Störungen wie LRS, ADHS oder prekäre Lebensumstände abfragt, als Auffälligkeiten im Mathematikunterricht (Schaupp et al. 2010, S. 57). Damit kann also eher die Frage beantwortet werden, ob die im ERT 4+ erfassten Kompetenzen im Zusammenhang mit sonstigen kognitiven, emotionalen oder motorischen Dispositionen stehen, womit die aus neuro- und kognitionspsychologischer Sicht typische Begleiterscheinungen der Dyskalkulie erfasst werden (vgl. Abschnitt 2.2.). Die Einschätzung der Lehrkraft bzgl. der mathematischen Fähigkeiten ist hier hingegen nicht Gegenstand des Interesses. Moser Opitz gibt nicht an, wodurch das Lehrerurteil gebildet wurde (vgl. Moser Opitz et al. 2010, S. 37). Das Problem an Lehrerurteilen, wie auch an der Schulnote ist, dass sie kein objektives Kriterium darstellen, sondern durch subjektive Einschätzungen, wie dem Big-Fisch-Little-Pond-Effekt, dem Halo- oder dem Pygmalioneffekt beeinflussbar sind (Hesse und Latzko 2017, S. 46 ff.) und so zwar einen Hinweis auf geltende Kriteriumsvalidität geben, diese jedoch nicht bestätigen können. So konnten Studien zeigen, dass die Übereinstimmung zwischen Lehrerurteil und Testergebnis in vielen Fällen nicht als hoch eingeschätzt werden kann. Eine Studie von Fischer et al., die in der Grundschule mit der Befragung von Lehrkräften sowie dem RZD 2–6 und dem Teddy-Math durchgeführt wurde, zeigte Übereinstimmungswerte zwischen 59 % und 83 % (Fischer et al. 2015, S. 275). Auch beim Vergleich der Testergebnisse des BASIS-MATH 4–8 mit dem Lehrerurteil kam es in 177 von 654 Fällen zu falsch-negativen Einschätzungen durch die Lehrkraft, bei 22 Lernenden hingegen zu falsch-positiven Befunden (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 111). Somit zeigte sich insgesamt eine Übereinstimmung von rund 70 %, was einer hohen Korrelation von 0,57 entspricht (Moser Opitz et al. 2010, S. 37). Das bedeutet, dass Lehrkräfte häufig die Probleme von Schülerinnen und Schülern bzgl. grundlegender mathematischer Inhalte nicht erkennen. Die Lehrereinschätzung und die Schulnote können also als alleiniges Merkmal zur Sicherung der Konstruktvalidität nicht verwendet werden. Eine andere Möglichkeit besteht deshalb darin, verwandte Tests hinzuzuziehen, wie beispielsweise einen Mathematiktest wie den DEMAT oder ein anderes Verfahren zur Feststellung von Dyskalkulie, wobei auch hier das Problem ist, dass teilweise ganz unterschiedliche Konstrukte und Kompetenzen gemessen werden. Zur Sicherung der Kriteriumsvalidität verwenden die Autor:innen der BASIS-MATH-Reihe weiterhin einen Intelligenztest, da, wie in Abschnitt 2.2.1 die Mathematikleistung besonders in unteren Schuljahren hoch mit der Intelligenz korreliert, doch geben die Autor:innen selbst an, dass diese nicht Basis für die Sicherstellung der Kriteriumsvalidität sein kann, da ein Diagnoseverfahren

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zum Erkennen von Rechenschwäche eine von der Intelligenz unabhängige Leistungsschwäche identifizieren soll (in Abgrenzung zur ICD-10) (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 111). Zur Feststellung der Kriteriumsvalidität für Diagnoseinstrumente für Dyskalkulie kann es demnach nicht ein geeignetes Mittel geben und die Kriteriumsvalidität allein kann dementsprechend keine ausreichende Auskunft über die Gültigkeit eines Tests liefern. Insgesamt kann konstatiert werden, dass der Begründung der Inhalte eine wichtige Rolle zukommt, da diese im direkten Zusammenhang zum Verständnis eines Konstrukts – in diesem Fall der Rechenschwäche – stehen. Diese sollten auf empirischen Erkenntnissen oder begründeten theoretischen Annahmen basieren. Häufig sind die Angaben hierzu nur unzureichend im Manual angegeben, was die Gültigkeit eines Verfahrens in Frage stellen kann. Bei der Testkonstruktion ist darauf also ein besonderes Augenmerk zu legen, vor allem, da die Konstruktvalidität die Inhaltsvalidität nur überprüft und für die Kriteriumsvalidität, besonders im Zusammenhang mit Dyskalkulie oder Rechenschwäche, kein uneingeschränkt aussagekräftiges Außenkriterium besteht. Objektivität Ein weiteres Gütekriterium, was alle standardisierten Tests erfüllen müssen, ist die Objektivität. Diese ist dann gegeben, wenn: […] das Testverfahren, bestehend aus Testunterlagen, Testdarbietung, Testauswertung und Testinterpretation so genau festgelegt ist, dass der Test unabhängig von Ort, Zeit, Testleiter und Auswerter durchgeführt werden könnte und für eine bestimmte Testperson bzgl. des untersuchten Merkmals dennoch dasselbe Ergebnis zeigen würde. (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 10).

So wird auch in Durchführungs-, Auswertungs-, und Interpretationsobjektivität unterschieden (Hesse und Latzko 2017, S. 70). Bei paper-pencil-Tests werden alle Unterarten der Objektivität durch die Vorgaben im Manual oder Protokollbogen maßgeblich beeinflusst. Hier müssen bezüglich der Auswertungsobjektivität die genauen Wortlaute der Aufgabenstellungen, mögliche Zeitbegrenzungen oder der Umgang mit Fragen geregelt sein (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 9). Zur Wahrung dieser werden bspw. beim BADYS alle Aufgaben gleichzeitig von allen Lernenden bearbeitet, wobei die Testleitung zunächst die Aufgabenstellung der jeweils zu lösenden Aufgabe vorliest. Durch dieses Vorgehen können die Items, die mit einem Zeitlimit versehen sind, an unterschiedlichen Stellen innerhalb des Tests durchgeführt werden. Der Nachteil ist hingegen, dass schnellere Schülerinnen und Schüler viel Zeit haben,

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in denen sie nicht arbeiten, während langsamere Lernende über die gesamte Bearbeitung hinweg unter Druck stehen, da die Bearbeitung erst fortgesetzt werden kann, wenn sie eine Aufgabe fertig gelöst haben, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen kann. Jedoch kann es auch bei Lernenden, die die Aufgaben schnell lösen können, durch den fremdgesteuerten Bearbeitungsrythmus und ständig wechselnden Konzentrations- und Ruhephasen zu einer ungünstigen Ergebnisbeeinflussung kommen. Damit kann der Versuch die Durchführungsobjektivität zu gewährleisten zu einer Erhöhung der Messfehler der Ergebnisse führen. Die anderen Tests lassen die Schülerinnen und Schüler hingegen in ihrem eigenen Tempo arbeiten und gewährleisten die Durchführungsobjektivität durch klare Aufgabenstellungen und Vorgaben, wie auf Fragen oder Unklarheiten zu reagieren ist und welche Hilfestellungen gegeben werden dürfen (z. B. Jacobs und Petermann 2020, 20 ff.; Moser Opitz et al. 2016, S. 60 f.). Um das Auftreten möglicher Fragen zu verhindern, werden bei einigen Items im BADYS und im RZD Beispiele gezeigt. Das kann bei ungewöhnlichen Aufgabenstellungen hilfreich sein, um die geforderte Bearbeitung zu verdeutlichen. Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr, dass unnötige Hinweise auf die Lösung gegeben werden. Aus diesem Grund verwenden die Testverfahren häufig sehr einfache Beispielaufgaben. Auch die Auswertungsobjektivität ist abhängig von den im Test enthaltenen Aufgaben, wobei diese bei Tests, die ausschließlich geschlossene Aufgabenformate mit eindeutigen Lösungen enthalten, meist einfacher sicherzustellen ist, besonders, wenn lediglich eine dichotome Bewertung vorliegt, wie es beim ERT (Holzer et al. 2017, S. 19; Schaupp et al. 2010, S. 21) oder RZD (Jacobs und Petermann 2020, S. 52) der Fall ist. Anders ist dies bei Aufgaben, bei denen Abstufungen vorgenommen werden und dementsprechend, je nach Grad der Korrektheit einer Lösung, mehrere Punkte vergeben werden. Dann muss deutlich sein, wann wie viele Punkte zu verteilen sind. Beim BADYS ist dies z. B. nicht immer gegeben, da sich bei den Aufgaben, die mit zwei Punkten bewertet werden, keine Abstufungen im Auswertungsbogen finden und damit nicht klar ist, ob überhaupt teilweise Bewertungen möglich sind, oder die erhöhte Punktzahl dazu beitragen soll, besonders wichtigen Aufgaben mehr Gewicht im Endergebnis zu verleihen. Im BASIS-MATH 4–8 sind hingegen Lösungsbeispiele im Manual gegeben, die vollständig-, teilweise richtige und falsche Ergebnisse zeigen (Moser Opitz et al. 2010, S. 21). Einen noch höheren Schwierigkeitsgrad bei der Sicherstellung der Auswertungsobjektivität zeigen Aufgaben mit offenen Antwortformaten, wie sie bei den hier betrachteten Tests ausschließlich im

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BASIS-MATH 4–8 zu finden sind, wenn die Lernenden zu vorgegebenen Aufgaben Geschichten entwickeln oder sie mit Material oder zeichnerisch nachbilden sollen. Wie bereits bei den Aufgaben, bei denen eine abgestufte Bewertung möglich ist, müssen hier sehr konkrete Vorgaben im Manual zu finden sein, um eine von der auswertenden Person unabhängige Bepunktung zu ermöglichen. Ist die Auswertungsobjektivität bei den hier betrachteten Testverfahren gegeben, so ist die Interpretationsobjektivität ebenfalls leicht sicherzustellen, da diese immer durch das Zusammenrechnen der einzelnen Punkte zu einem Gesamtscore und durch seine Einordnung zu einer Referenzgröße zustande kommt. Dies hat den großen Vorteil, dass die Diagnose auch durchgeführt werden kann, wenn keine Expertise auf einem Gebiet vorhanden ist. So müssen Lehrkräfte typische Fehlermuster und Erscheinungsformen nicht kennen, um mithilfe eines Testverfahrens Defizite bezüglich grundlegender mathematischer Fähigkeiten und damit eine Rechenschwäche zu diagnostizieren, da diese Aussage lediglich auf Basis von Punkteinordnungen getroffen werden. Somit kann die Diagnose mittels Cutoff-Wert eine Expertise auf dem Gebiet der Rechenschwäche ersetzen. Wären Lehrkräfte hingegen bereits Experten und Expertinnen, würde dies die Durchführung eines standardisierten diagnostischen Tests überflüssig für eine schulinterne weitere Förderung machen, da eine weiterführende qualitative Diagnostik deutlich mehr Erkenntnisse über die Fähigkeiten des Schülers bzw. der Schülerin liefern kann, als das ein einstündiger Paper-pencil-Test vermag. Beim BASIS-MATH 4–8 ist diese Referenzgröße ein Grenzwert, wobei jedoch ein Toleranzbereich Spielraum für Interpretationen liefert. Erreicht der Schüler oder die Schülerin zwischen 67 und 73 Punkte „[…] muss die Interpretation durch eine differenzierte Analyse der Ergebnisse und eventuell durch das Einsetzen von weiteren Diagnoseaufgaben überprüft werden.“ (Moser Opitz et al. 2010, S. 23). Weiterführende Hinweise hierfür sind ebenfalls im Manual zu finden. Auf den ersten Blick scheint diese Unsicherheit des Toleranzbereiches ein Nachteil zu sein, jedoch spiegelt dieses Vorgehen die Tatsache wider, dass Schülerleistungen Schwankungen unterliegen, die durch innere und äußere Einflüsse zustande kommen können und betont weiterhin, dass das Verständnis des mathematischen Basisstoffs ein kontinuierliches Konstrukt ist und nicht so einfach in die Kategorien „genügt“ oder „genügt nicht“ unterteilt werden kann und ein exakter Cut-off-Wert dem nicht gerecht wird. Mit einem solchen erfolgt hingegen die Interpretation der Ergebnisse in den anderen hier betrachteten Testverfahren, wobei die Einordnung des Rohwertes eines Schülers bzw. einer Schülerin in eine Prozentrang-Tabelle meist sehr einfach möglich ist. Auch hier sind T-Wert-Bänder gegeben, die die Unsicherheit des Testergebnisses mitberücksichtigen. Etwas problematisch scheint dies beim

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BADYS zu sein, bei dem das Ergebnis in unterschiedliche Tabellen eingeordnet werden kann und diese unterschiedliche Interpretationen zulassen. So kann beispielsweise der Rohwert einer Achtklässlerin aus der Realschule einmal in die Tabelle für alle Achtklässlerinnen und in die für die Achtklässlerinnen, die eine Realschule oder Gymnasium besuchen, eingeordnet werden, womit unterschiedliche Punktzahlen für eine positive Diagnose verbunden sind. So müssen im ersten Fall 55, im zweiten Fall jedoch 59 Punkte erreicht werden, um nicht als dyskalkulisch zu gelten (Merdian et al. 2015b, S. 5 und S. 9). Reliabilität Das letzte zu erfüllende Gütekriterium ist das der Reliabilität. „Ein Test ist dann reliabel (zuverlässig), wenn er das Merkmal, das er misst, exakt, d. h. ohne Messfehler, misst.“ (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 11). Um die Gültigkeit der Testergebnisse zu bestimmen, können zum einen die Tests mehrfach an denselben Personen (Retest-Reliabilität) oder an unterschiedlichen Probanden und Probandinnen mit verschiedenen Testversionen (Paralleltest-Reliabilität) durchgeführt werden (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 12). Ist dies nicht möglich, da bspw. die Personengruppen nicht mehr zur Verfügung stehen, Merkeffekte sehr wahrscheinlich sind oder der Item-Pool zu klein ist, kann auch anhand einer Stichprobe die Reliabilität bestimmt werden, indem man den Test selbst in zwei oder mehr Hälften teilt und Korrelation dieser Teile bestimmt. Wird der Test in zwei möglichst parallele Hälften separiert, spricht man von der Testhalbierungsoder split-half-Reliabilität (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 12). Nimmt man hingegen jedes Item als einzelnen Testteil, ist der Zusammenhang der Aufgaben innerhalb des Tests bestimmbar (interne Konsistenz, durch Cronbach’s α bestimmt) (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 13) und dadurch die Zusammengehörigkeit einzelner Items zu einer (Sub-)Skala bestätigen oder wiederlegen (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 132 f.). Besonders bei der Bestimmung von Fähigkeiten Einzelner müssen gute Reliabilitätswerte vorliegen, da eine zu große Messungenauigkeit direkte Auswirkungen auf das einzelne Ergebnis hat, so wie es bei der Diagnostik von Rechenschwäche der Fall ist (anders als wenn Forschungsfragen nach Unterschieden von Personengruppen beantwortet werden sollen, bei denen sich Messfehler wegmitteln) (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 136). Von einer guten Reliabilität wird gesprochen, wenn Cronbachs α als .90 ist. Ein Wert zwischen .80 und .90 wird hingegen als ausreichend bewertet (Bortz und Döring 2016, S. 443). Alle hier diskutierten diagnostischen Verfahren geben diesen Wert an, wobei BASIS-MATH 4–8 und ERT 4+ keine weiteren Reliabilitätskoeffizienten verwendeten. Die internen Konsistenzen zeigen im Allgemeinen gute Reliabilitätswerte.

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Nur der BADYS sowie seine Subskalen liefern nur ausreichende bzw. schwache Cronbachs-α-Werte zwischen .42 und .63, wobei der Kerntest insgesamt einen Wert von .74 bis .78, je nach Schulform, zeigt (Merdian et al. 2015a, S. 50) (ausführlicher in Abschnitt 9.2.3). Des Weiteren werden in diesem Test sowie im BASIS-MATH 4+ -5, im RZD und im ERT JE Retest-Reliabilitäten angegeben, die beim BADYS nur für einige Aufgaben berechnet wurden und bei einem Stichprobenumfang zwischen 25 und 37 ausreichende bis gute Werte zeigen (Merdian et al. 2015a, S. 50). Bei den anderen Testverfahren wurden sie für alle Skalen angegeben und ebenfalls als ausreichend bis gut bewertet (Holzer et al. 2017, S. 49 f.; Jacobs und Petermann 2020, S. 76). Im BASIS-MATH 4+ -5 konnten bei Stichprobengrößen mit mehr als 500 Schülerinnen und Schülern mit Werten zwischen .83 und .87 ebenfalls ausreichend gute Kenngrößen festgestellt werden. Insgesamt zeigte sich, wie in Tabelle 6.1 zusammengefasst, dass alle Testverfahren gute Reliabilitäten und Objektivitäten aufweisen. Für deren Gewährleistung scheinen in der pädagogischen Psychologie feste Vorgehensweisen sowie notwendige zu berechnende Maßzahlen zu existieren, die von den Testautor:innen leicht übernommen werden können. Anders scheint dies beim, nach Moosbrugger, wichtigsten Gütekriterium zu sein, der Validität – im Besonderen der Inhaltsvalidität. Dazu merkt Bühner kritisch an, dass die Testverfahren häufig an einer mäßigen Inhaltsvalidität kranken und oft das Ergebnis eines statistischen Homogenisierungsprozesses seien, der mit der theoretischen Fundierung nichts mehr zu tun habe. Dies erklärt er damit, dass die Inhaltsvalidität im Gegensatz zu den beiden anderen schwer sicherzustellen ist, denn sie lässt sich nicht anhand von Koeffizienten berechnen (Bühner 2011, S. 62). Da die Konstruktvalidität maßgeblich durch die Inhaltsvalidität beeinflusst wird, kann diese ebenso nicht mehr gewährleistet werden. So zeigen die Verfahren des ERT und der RZD hier erhebliche Mängel, finden sich doch zum Hintergrund der Aufgabengestaltung bzw. zur Herleitung des dahinterliegenden Modells keine Angaben im Manual. Ähnliches gilt für den BADYS, bei dem die Autor:innen zwar einige Inhalte durch Studien begründen, jedoch viele Aufgaben und deren Gewichtung nicht nachvollziehbar sind. Weiterhin wurden sowohl in diesem Verfahren wie auch im RZD keine Faktorenanalysen durchgeführt (oder veröffentlicht), sodass die Konstruktvalidität, die theoretische Annahmen überprüfbar gemacht hätte, nicht bestätigt werden konnte. Nur bei den beiden Verfahren der BASIS-MATH-Reihe fanden sich bezüglich dieser Kriterien zufriedenstellende Angaben. Die Kriteriumsvalidität kann hingegen wieder durch konkrete Größen, unabhängig von inhaltlichen Überlegungen, überprüft und somit bei allen Testverfahren bestätigt werden. Es wurde jedoch festgestellt, dass dieses Kriterium allein

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nicht genügt, um die Gültigkeit eines Tests zu bestätigen, da nur Auskunft darüber gegeben werden kann, ob das zu messende Konstrukt im Zusammenhang mit verwandten Außenkriterien steht. Bei genügend großen Stichprobenzahlen zeigen sich solche Zusammenhänge meist schnell, wie am Beispiel des Lehrerurteils gezeigt werden konnte. So muss konstatiert werden, dass die Testverfahren ERT 4+ und RZD das Kriterium für diagnostische Verfahren zum Erkennen von Rechenschwäche oder Dyskalkulie, nach dem die Gütekriterien erfüllt sein müssen, nur teilweise erfüllen.

6.1.3

Mögliche Inhalte und Aufgabengestaltungen

Insgesamt weisen die bisher veröffentlichten Testverfahren, besonders in Bezug auf grundlegendes mathematisches Wissen, zum großen Teil dieselben Inhalte auf. Überblicksartig finden sich diese in Tabelle 6.1. Die Ausnahme bildet der ERT JE, der aufgrund seiner Zielstellung nahezu ausschließlich Inhalte der Sekundarstufe I aufweist. Damit erfüllt der ERT JE das letzte Kriterium für diagnostische Tests zur Erfassung von Rechenschwäche nicht, da er die zentralen mathematischen Kompetenzen nicht erfasst. In allen anderen Instrumenten finden sich hingegen Aufgaben zu den vier Grundrechenarten bei natürlichen Zahlen, zum Stellenwertverständnis sowie Textaufgaben, wobei jeder Test, je nach gewähltem Modell, verschiedene Schwerpunkte setzt. Darüber hinaus haben die einzelnen Testverfahren spezifische Aufgabenbereiche, wobei der RZD und der BADYS auch Inhalte der Sekundarstufe, wie Bruchrechnung, abfragen. Aufgrund der Vielfalt der Inhalte sollen diese hier nur exemplarisch aufgezeigt und verglichen werden. Für alle Testverfahren außer dem BADYS ist das Zählen eine wichtige Kompetenz zur Erhebung des Stellenwertverständnisses. Jedoch kann diese nur in den Einzeltestverfahren einfach abgefragt werden, da hier ein verbales Antwortformat möglich ist. Im ERT 4+ müssen hingegen Zahlenreihen ergänzt werden, wobei nur eine Lücke auszufüllen ist, jedoch muss dafür zunächst die Sprunggröße und die Richtung der Zahlenreihe (vorwärts oder rückwärts) erkannt werden. Im BASIS-MATH-G 4+ -5 sind nur zwei benachbarte Zahlen gegeben, dafür ist jedoch sowohl die Sprunggröße als auch die Richtung in der Aufgabenstellung vermerkt. Weiterhin finden sich in den Testverfahren des BASIS-MATHs und dem BADYS Aufgaben mit der Stellenwerttafel, bei denen auch umgebündelt werden muss. Der ERT 4+ arbeitet hingegen bei der Erhebung des Stellenwertverständnisses mit Abbildungen, die an Mehrsystemmaterial erinnern, allerdings sind die

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einzelnen Würfel (außer die Einerwürfel) nicht abgebildet, sodass eine Stange erst als Zehn, eine Platte als Hundert und ein großer Würfel als Tausend gedeutet werden muss, wie in Abbildung 6.2 deutlich wird Schaupp et al. 2010, S. 15).

Abbildung 6.2 Nachbildung des Items 3e) des ERT 4+

Das Verwenden von Mehrsystemmaterial in dieser Art kann problematisch sein, da hierbei eine zusätzliche Hürde bei der Interpretation der Abbildungen bestehen könnte, was besonders schwierig ist, wenn das Anschauungsmaterial nicht gut bekannt ist. Besser eignen sich daher selbsterklärende Abbildungen, die keine zusätzlichen Deutungen voraussetzen. Alle Testverfahren beinhalten zudem Aufgaben zum Rechnen, wobei den schriftlichen Rechenverfahren im ERT, im BADYS und im RZD eine große Bedeutung zukommt, mit der Begründung, dass dyskalkulische Kinder durch Defizite im Arbeitsgedächtnis sowie mit Richtungsproblemen diese nicht lösen können (Jacobs und Petermann 2014, S. 30; Merdian et al. 2015a, S. 47; Schaupp et al. 2010, S. 15). Allerdings zeigen die Rechenaufgaben im BADYS schlechte Trennschärfekennwerte, was bedeutet, dass sie nicht gut zwischen Schülerinnen und Schülern mit niedriger oder hoher mathematischer Kompetenz unterscheiden. Von den Autor:innen wird jedoch gegenargumentiert, dass solche Aufgaben notwendig sind, um Rechenschwäche zu diagnostizieren (Merdian et al. 2015a, S. 47), sodass diese Aufgaben trotz der schlechten Kennwerte im Test verbleiben. Im ERT 4+ zeigten diese Aufgaben hingegen gute Trennschärfen, was an

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der unterschiedlichen Altersklasse der beiden Tests liegen könnte, da womöglich schriftliches Rechnen in den Klassen vier und fünf von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern deutlich schlechter beherrscht wird als von ihren unauffälligen Mitschüler:innen, die Fähigkeiten sich mit höheren Schuljahren jedoch immer mehr angleichen. Über die Trennschärfeparameter im RZD zu diesen Aufgaben können keine Aussagen getroffen werden, da sich hierzu im Manual keine Angaben finden. Auch zeigte die Studie von Moser Opitz, dass rechenschwache ebenso wie unauffällige Schülerinnen und Schüler der achten Klasse bei der Verwendung von schriftlichen Rechenverfahren (Addition und Subtraktion) häufig Fehler machen. In Klasse fünf schnitten die unauffälligen Schülerinnen und Schüler hingegen noch deutlich besser ab (Moser Opitz 2013, S. 211 f., vgl. auch Abschnitt 3.3.4) Dies stützt die These, dass schriftliche Rechenverfahren gerade in höheren Klassenstufen nur noch wenig Aussagekraft haben. Im ERT wird dies auch eingeräumt, da damit nicht erkennbar wird, ob Stellenwertverständnis und grundlegendes Operationsverständnis entwickelt sind, weshalb Aufgaben zum halbschriftlichen Rechnen und Platzhalteraufgaben im Test integriert sind (Schaupp et al. 2010, S. 16). Bereits in den Abschnitten 3.3.4 und 4.4 wurde gezeigt, dass die Verwendung elaborierter Rechenstrategien wie schrittweises Rechnen, die Verwendung von Hilfsaufgaben oder Ableiten nur durch Operationsverständnis und Stellenwertverständnis ermöglicht wird und dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler aufgrund fehlender Kompetenzen eher auf uneffektiven Rechenstrategien wie zählendes Rechnen oder schriftliche Algorithmen zurückgreifen. Die Aufgaben im RZD sind jedoch so gestaltet, dass Ableitungsstrategien oder gegensinniges Verändern gar nicht verwendet werden können, da die Aufgaben unbesetzte Zehner- und Einerstellen aufweisen. Auch soll bloß das Ergebnis angegeben werden, sodass der Rechenweg und damit die Verwendung einer geeigneten Rechenstrategie nicht sichtbar wird. Einen anderen Weg bei der Erfassung von Rechenstrategien geht der BASIS-MATH 4–8. Hier werden neben den Lösungen von typischen Aufgaben die Rechenstrategien erfasst, wobei es für eine elaborierte Rechenstrategie Zusatzpunkte gibt, wenn das Ergebnis korrekt ist. Dadurch weist dieses Testverfahren qualitative Merkmale auf, da nicht nur ermittelt wird, wie viele der Aufgaben, sondern auch wie die Aufgaben gelöst wurden. Da der BASIS-MATH 4–8 das erste Verfahren ist, das diese Art der Diagnoseaufgaben verwendet, untersuchten die Autor:innen die Aussagekraft und den Einfluss auf eine positive Diagnose genauer. Dabei ermittelten sie, dass, wie zu erwarten, die Schülerinnen und Schüler, die im BASIS-MATH 4–8 ohne Berücksichtigungen der Rechenstrategien besonders schwach abschnitten, auch signifikant seltener elaborierte Strategien nutzen, da der Anteil geeigneter Strategieverwendungen mit

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83 % deutlich geringer ausfiel als der der Vergleichsgruppe mit 93 %. Trotzdem zeigt sich, dass im Allgemeinen sehr viele Aufgaben durch effektive Strategien gelöst werden können (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 108). Demnach ist der Einfluss dieses Kriteriums auf die endgültige Diagnose eher gering, da nur 6 % der Stichprobe beim Ignorieren der Zusatzpunkte anders klassifiziert werden würde, was die Autor:innen selbst als verbesserungswürdig bewerten (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 109 f.). Die Autor:innen der Diagnoseinstrumente BADYS, RZD und ERT verwenden für die Erfassung elaborierter Strategien stattdessen Speedkomponenten, womit die Leistungen von Schülerinnen und Schülern erfasst werden sollen, die zwar richtig, aber sehr langsam rechnen. Da dyskalkulische Schülerinnen und Schüler aufgrund mangelnder Grundvorstellungen keine adäquaten Rechenstrategien entwickelt haben, können sie Rechenaufgaben nur sehr langsam lösen, so die These. Ist die Zeit abgelaufen, so werden die Rechenergebnisse im RZD und BADYS für den Gesamtscore anschließend nicht mehr berücksichtigt (Jacobs und Petermann 2014, S. 14; Merdian et al. 2015a, S. 19 ff.). Im ERT werden zwar kritische Werte für die Bearbeitungszeit angegeben, diese finden jedoch keinen Eingang in die Auswertung, sondern werden als weiterführender Förderhinweis verstanden (Schaupp et al. 2010, S. 25). Die Verwendung einer Speedkomponente als Beleg für uneffektive Rechenstrategien ist jedoch kritisch zu sehen, da besonders zählendes Rechnen mitunter blitzschnell abläuft (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 103). Auch ist fraglich ob mittels einfacher Rechenaufgaben wirklich Operationsverständnis überprüft werden kann, wie es die Autor:innen von ERT und BADYS behaupten (Merdian et al. 2015a, S. 19; Schaupp et al. 2010, S. 16). Zumindest kann nicht geklärt werden, wo die Defizite im Verständnis genau liegen, sondern höchstens, ob sie vorhanden sind, denn tragfähige Grundvorstellungen zeigen sich vor allem durch die Fähigkeit Inhalte in verschiedene Darstellungsformen übersetzen zu können (vgl. Abschnitt 3.3). In der BASIS-MATH-Reihe müssen deshalb Punktmuster in Aufgaben übersetzt, zu vorgegebenen Aufgaben Rechengeschichten gefunden oder Punktmuster gezeichnet werden. Damit unterscheiden sich diese Testverfahren von den anderen durch die Art der Aufgabenformate. So weisen alle Aufgaben in den anderen Testverfahren geschlossene Formate auf, bei denen es nur einen vorgegebenen Lösungsweg und nur eine korrekte Antwort gibt. Aufgrund dieser Erörterungen kann festgestellt werden, dass sich in den Verfahren der BASIS-MATH-Reihe die mathematischen Inhalte, die von Ehlert et al. und Moser Opitz als grundlegend für den Kompetenzerwerb in der Sekundarstufe identifiziert wurden (vgl. Abschnitt 3.1), in größerem Umfang als in den anderen Tests finden. Denn in den Testverfahren RZD, BADYS und ERT 4+ werden

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zwar bei den Aufgaben zum Stellenwertverständnis Grundvorstellungen durch Darstellungswechsel mittels Stellenwerttafel oder Mehrsystemmaterialien überprüft, bei den Grundrechenarten jedoch nur Rechenfertigkeiten (in Einklang mit der ICD-10). Dies ist problematisch, da gezeigt werden konnte, dass das erfolgreiche Lösen von Routineaufgaben Verständnis vortäuschen kann (Scherer 2009, S. 817).

6.1.4

Zusammenfassung

Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines geeigneten Tests zur Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen in der Schule. Insgesamt stehen dafür in der Sekundarstufe bisher der RZD, der BADYS und die beiden Testverfahren der BASIS-MATH- und ERT-Reihe als standardisierte Diagnoseverfahren zur Verfügung. Alle Testinstrumente haben den großen Vorteil, dass sie in kurzer Zeit (weniger als zwei Stunden) durchführbar und durch die einfache Auswertung und anschließende Einordnung der Punkte in Prozentrangtabellen oder in Bezug setzend zu einem Grenzwert auch durch Laien einfach und schnell anwendbar sind. Doch erfüllen die Instrumente die vier Kriterien für diagnostische Tests zum Erkennen von Rechenschwäche unterschiedlich gut, wie in Tabelle 6.2 zusammengefasst wird: Dabei ist auffällig, dass Verfahren, die mittels Prozenträngen diagnostizieren, keine Begründungen für diese angeben, was den Eindruck von Willkürlichkeit bei der Diagnose erweckt. Bis auf den BASIS-MATH 4+ -5 sind es dann genau diese Verfahren, die Defizite bei der Inhalts- und teilweise auch bei der Konstruktvalidität zeigen. Es ist zu vermuten, dass die Testentwickler:innen die Bewertung der Qualität der Instrumente anhand von testtheoretischen Kennzahlen über die Testqualität auf Basis von theoretischen und empirischen Befunden stellen. Somit kann nur BASIS-MATH 4–8 die vier Kriterien allumfassend erfüllen. Dies ist dahingehend zu erwarten, da die Kriterien und die BASIS-MATH-Reihe aus der Feder derselben Autorin stammen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die anderen Instrumente als qualitativ schlecht zu bewerten sind, es fehlen allerdings Angaben und Begründungen, um die Qualität der Verfahren ausreichend beurteilen zu können. Andere Kriterien, wie das Beinhalten zentraler mathematischer Kompetenzen, können nicht eindeutig als gegeben oder nichtgegeben bewertet werden, da die verschiedenen Instrumente unterschiedliche mathematische Kompetenzen

ja

Beinhaltet zentrale mathematische Kompetenzen? zum Teil

zum Teil

ja

nein

ja Einzel 2 bis 8

Gruppentest/ Einzeltest

Einsatzzeitpunkte

4 bis 8

Gruppe

ja

4 und 5

Gruppe

nein

Validität teilweise problematisch

zum Teil

Intelligenztest nötig?

Eignung für Unterricht

ja

nein

ungenügend

ERT 4+

7 und 8

Gruppe

nein

zum Teil

nein

nein

ungenügend

ERT JE

4 bis 8

Einzel

nein

ja

ja

ja

ja

BASIS-MATH 4–8

4 und 5

Gruppe

nein

ja

ja

nein

ja

BASIS-MATH 4+ -5

6

Gütekriterien erfüllt?

nein

Diagnosekriterium begründet?

ja

BADYS

nicht nach Ehlert et al.

ja

Theoretisches Verständnis erläutert?

Kriterien für Dyskalkulietests

RZD

Tabelle 6.2 Vergleich der Testverfahren mit Kriterien und Einsatzbereich

208 Diagnostik in Schule und Unterricht

6.1 Diagnostische Prozesse und psychometrische Tests

209

als zentral ansehen. So erachten alle Tests, außer dem BASIS-MATH 4–8, schriftliche Rechenverfahren als besonders wichtig, obwohl es empirisch dafür keine Anhaltspunkte gibt. Andererseits nimmt ein klinisches Verfahren wie der RZD Mengenerfassung als zentral an, was andere, eher schulmathematisch ausgerichtete Verfahren nicht berücksichtigen. In Bezug auf die vorliegende Arbeit wird deutlich, dass lediglich die Testverfahren der BASIS-MATH-Reihe die Kompetenzen erheben, die nach der Definition in Abschnitt 4.6 als grundlegend angenommen werden. Aus der Lehrerperspektive der Sekundarstufe stehen Verfahren für die fünfte bis achte Klasse zur Verfügung, wobei der BADYS und der RZD zwar einen breiten Geltungsbereich aufweisen, jedoch aus einem kognitionspsychologischen oder medizinischen Hintergrund entwickelt wurden, was einen zusätzlichen Intelligenztest nötig macht, der jedoch nicht mehr im Kompetenzbereich der Lehrkraft liegt. Im BADYS ist zwar vermerkt, dass dieser Test auch durch Pädagogen und Pädagoginnen durchgeführt werden kann, aber dann nur, um Lernende im unteren Leistungsbereich zu erkennen (Merdian et al. 2015a, S. 6). Dahingegen eignen sich die beiden Testverfahren der ERT-Reihe besser, jedoch ist der ERT 4+ nur für die fünfte Klassenstufe anwendbar und die Version für die siebte und achte Klasse gibt keine Auskunft über grundlegende mathematische Fähigkeiten. Diese Informationen erhalten Lehrkräfte durch die Ergebnisse des BASIS-MATH, doch das Gruppentestverfahren zeigt hier dasselbe Problem wie der ERT 4+ , es ist nur für die fünfte Klasse anwendbar. Sicherlich ist diese Klassenstufe für die Diagnostik von Rechenschwäche die wichtigste, da bei einer frühen Testung in der Sekundarstufe große Defizite besser aufholbar sind als in höheren Jahrgängen. Des Weiteren lernen die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler erst kennen, sodass besonders ein Gruppentestverfahren an dieser Stelle sinnvoll ist, um mathematische Basisfähigkeiten zu überprüfen. Trotzdem ist auch in anderen Klassenstufen testbasierte Diagnostik notwendig, besonders dann, wenn in der fünften Klasse keine Basisdiagnostik durchgeführt worden ist. Dafür steht den Lehrkräften der BASIS-MATH 4–8 zur Verfügung. Bei einem Verdacht kann dieses Verfahren außerhalb des Unterrichts eingesetzt werden. Doch „[…] fallen längst nicht alle Schülerinnen und Schüler mit gravierend schlechten Teilleistungen im Fach Mathematik auch im Mathematikunterricht als besonders schwach auf.“ (Fritz 2009a, S. 69). Ein Gruppentest würde diesem Problem Abhilfe schaffen, welcher jedoch bisher nicht existiert. Aus diesen die Aspekte des Tests betreffenden und schulpraktischen Gründen sowie den vorher dargestellten Überlegungen zu den Inhalten eines möglichen Testverfahrens können, neben den vier bereits diskutierten Kriterien, drei weitere abgeleitet werden, die das zu erstellende Diagnoseverfahren erfüllen muss:

210

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

• Das Instrument muss für Lehrkräfte anwendbar sein, die keine Expertise auf dem Gebiet der Rechenschwäche aufweisen. • Das Instrument muss, da es zur Diagnostik im Klassenverband geeignet sein soll, schnell und einfach auswertbar sein. • Das Instrument muss demnach neben vielen quantitativen Elementen auch qualitative Aufgaben beinhalten, um Grundvorstellungen und Operationsverständnis sichtbar zu machen. In den bisherigen Betrachtungen wurde ersichtlich, dass vor allem das Erheben des Verständnisses im Allgemeinen und im Besonderen von Grundvorstellungen eine große Herausforderung ist. Techniken, die dies durch quantitative Informationen erheben wollen, wie eine Speedkomponente, sind zwar in der Lage Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Vorstellungen zu ziehen, aber konkrete Defizite werden nicht erkannt. Außerdem sind Schülerinnen und Schüler teilweise sehr schnell im Lösen von Aufgaben durch schriftliches oder zählendes Rechnen. Im BASIS-MATH 4–8 sind deshalb Aufgaben zum Darstellungswechsel zu finden, wodurch mögliche Probleme deutlich konkreter auszumachen sind. Auch werden in diesem Verfahren Rechenstrategien qualitativ erhoben, da diese Rückschlüsse auf das Operations- und Stellenwertverständnis zulassen. In einem Gruppentest ist dieses Vorgehen jedoch nicht möglich. Aus diesem Grund soll im Weiteren analysiert werden, welche alternativen Aufgabenformate in ein Diagnoseverfahren integriert werden, um notwendigen Inhalte repräsentieren zu können.

6.2

Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik von Grund- und Fehlvorstellungen

„Ein Überblick über die Leistungen ist immer hilfreich, um weitere Lernprozesse zu gestalten. Noch hilfreicher ist es, wenn man nicht nur erfährt, welche Schüler einer Klasse etwa eine bestimmte Kompetenz (wahrscheinlich) besitzen, weil sie eine bestimmte Aufgabe lösen können, sondern auch, woran einzelne Schüler scheitern und welches mögliche Ursachen ihrer Schwierigkeiten sind.“ (Leuders 2012, S. 87). Dieses einführende Zitat verdeutlicht bereits, dass es beim einfachen Stellen von Aufgaben nicht bleiben kann, möchte man Grund- und vor allem Fehlvorstellungen von Schülerinnen und Schülern ermitteln. Das Aufdecken einiger Misskonzepte lässt sich sicherlich durch spezifische Rechenfehler erkennen, die durch Aufgaben mit gut gewähltem Zahlenmaterial ermöglicht werden. Dies können z. B. Subtraktions- oder Ergänzungsaufgaben mit Zehnerüberträgen sein, bei denen Probleme im Stellenwertverständnis sichtbar werden,

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ...

211

oder Items zum Halbieren, bei denen nicht jede Ziffer der gegebenen Zahl durch zwei teilbar ist und deshalb entbündelt werden muss. Auf der anderen Seite stehen jedoch Kompetenzen wie das Verständnis des Stellenwertsystems oder die Grundvorstellungen zum TTG, zur Multiplikation und Division, die durch einfache Rechenaufgaben kaum erfasst werden können (vgl. Abschnitt 3.3.). Auch die verwendeten Rechenstrategien, die nach dem Strategy-Change-Modell (vgl. Abschnitt 3.3.4) wichtige Hinweise auf das Operationsverständnis liefern können, werden allein durch angegebene Ergebnisse von Rechenaufgaben kaum erkennbar. Aber genau diese Inhalte scheinen nach den Analysen aus den Kapiteln 3 und 4 notwendig für die Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen zu sein. Es braucht also Aufgabenformate, die innerhalb eines schriftlichen Tests Verständnis und Fehlvorstellungen erfassbar machen, Aufgaben, die „[…] die Kenntnis eines Begriffs oder Verfahrens verknüpft mit Verstehensleistung […]“ (Leuders 2006, S. 82) überprüfen, dies jedoch ohne großen Zeitaufwand in der Durchführung und der Auswertung tun sowie eine eindeutige und objektive Bewertung ermöglichen, um die Güte des zu entwickelnden Tests zu erhalten. Es stellt sich demnach die Frage, durch welche Techniken diese verstehensoder kompetenzorientierten Aufgaben (Leuders 2006, S. 82), durch die Grundund Fehlvorstellungen erkennbar werden, konzipiert werden können und welchen Einfluss diese Techniken auf die Komplexität von Aufgaben haben, da die zu konzipierenden Aufgaben vor allem im unteren Leistungsbereich differenzieren sollten.

6.2.1

Techniken der Aufgabengestaltung

Die Verstehensleistung wird nach Leuders vor allem dadurch gezeigt, dass Aufgaben nicht durch den Abruf von Kenntnissen gelöst werden können, sondern durch prozessbezogene Kompetenzen wie Vorstellen, Darstellen oder Problemlösen (Leuders 2006, S. 82). Die Schülerinnen und Schüler müssen somit komplexere Aufgaben bearbeiten als reine Reproduktionsaufgaben und werden stattdessen zur Erzeugung von Eigenproduktionen aufgefordert (Büchter und Leuders 2016, S. 181; Leuders 2006, S. 80; Wollring 1999, S. 272)3 . Die Darstellung der Eigenproduktionen kann den Lehrkräften eine deutlich breitere Grundlage für eine Diagnose bieten, als es Lösungen einfacher Rechenaufgaben könnten, denn 3

Wie die Schwierigkeitsgrade verstehensorientierter Aufgaben eingeschätzt werden können, soll im folgenden Kapitel genauer analysiert werden.

212

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

durch die Aufgaben müssen Denkweisen offengelegt und das eigene Vorgehen reflektiert werden. Verstehensorientierung durch reflexionsanregende Fragen Um dies zu erreichen finden sich nach der Analyse möglicher Aufgabenformate aus der mathematikdidaktischen Lehr-Lern-Forschung zwei verschiedene Herangehensweisen (vgl. Büchter und Leuders 2016, S. 181; Leuders 2006, S. 82; Sjuts 2007, S. 49 f., 2012, S. 110 ff.): die explizite Reflexion des eigenen Vorgehens und die Auseinandersetzung mit den Rechnungen anderer. Durch gezielte Fragen muss in der ersten Variante das eigene Handeln beschrieben, begründet oder erläutert werden. Passende Aufgabenstellungen wären hierfür „Beschreibe dein Vorgehen“, „Begründe, warum das so ist“, „Gib ein Beispiel an“ oder „Erkläre, warum …“. Dadurch sind die Lernenden aufgefordert einen Begleittext anzufertigen und sich somit mit den eigenen Denkweisen auseinanderzusetzen (Sjuts 2012, S. 110). Die Art der Reflexion des eigenen Vorgehens ist ebenso eine Möglichkeit die Rechenstrategien der Schülerinnen und Schüler durch Aufgabenstellungen wie „Beschreibe, wie du gerechnet hast“ zu erheben. Auf der anderen Seite sind Fehlvorstellungen zu Rechenverfahren durch einen eigenständig angefertigten Text deutlich besser erkennbar „[…] als [eine] […] oberflächlich vielleicht makellose […] Ausführung des Verfahrens“ (Sjuts 2012, S. 81), wie im Beispiel zu sehen: Erläutere kurz, was der Zentralwert ist und wie man ihn bestimmen kann! (Leuders 2006, S. 80)

Statt nach der Ausführung wird im zweiten Teil der Aufgabe nach einer allgemeinen Beschreibung gefragt, die durch den ersten Teil mit dem Begriffsverständnis zum Zentralwert verknüpft werden muss. Somit können durch diese Aufgabe viel konkreter Erkenntnisse über Verständnisschwierigkeiten zum Begriff und zur Prozedur gewonnen werden. Im Bereich der natürlichen und gebrochenen Zahlen gibt es ebenfalls Rechenverfahren, deren Verständnis analog zu der obigen Aufgabe erfragt werden können, wie die Multiplikation natürlicher Zahlen oder die „Komma-Verschiebungs-Regel“ bei der Multiplikation und Division von Dezimalzahlen mit Zehnerpotenzen. Auch die Auseinandersetzung mit den „Gedankenwelten anderer“ (Sjuts 2007, S. 49 f.) beim Analysieren von Rechnungen, Rechenwegen oder Fehlern kann den Stand der kognitiven Strukturen der Lernenden sichtbar machen und damit Grund- und Fehlvorstellungen aufdecken. Nach Sjuts sind diese besonders geeignet, um „[…] Verborgenes Aufzudecken und Unsichtbares sichtbar zu machen“

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ...

213

sowie sich seines eigenen Denkens bewusst zu werden (Sjuts 2007, S. 35 und S. 49). Darüber hinaus können Fehler thematisiert werden, ohne dass dem Schüler bzw. der Schülerin diese tatsächlich unterlaufen. Damit muss er bzw. sie eine Fehlvorstellung explizit benennen, was einen besonders hohen Lerneffekt haben kann (Sjuts 2007, S. 49). In der Umsetzung scheint es für das Begründen von Fehlern sinnvoll zu sein, diesen bereits anzugeben, um zu verhindern, dass der Fehler nicht auf rein prozeduraler Ebene beschrieben, sondern die konzeptuelle Ursache dafür benannt wird, um Rückschlüsse auf das dahinterliegende Verständnis zu geben und nicht nur auf die Fähigkeit einen Algorithmus korrekt durchzuführen, wie dies bspw. die erste Aufgabe in Abbildung 6.3 tut. Mithilfe der zweiten Teilaufgabe wird hingegen das Verständnis des Algorithmus und damit auch das Wissen um die Nützlichkeit der Eigenschaften des Stellenwertsystems bei der Verwendung der schriftlichen Addition erfragt.

Abbildung 6.3 Beispiel für eine Fehlerbegründungsaufgabe (Selter et al. 2014, S. 137)

Verstehensorientierung durch Darstellungswechsel Neben der Produktion von Texten bei der Reflexion des eigenen Denkens oder der Auseinandersetzung mit dem Denken anderer sind ikonisch-algebraische Darstellungswechsel sowie die Anwendung mathematischer Inhalte auf die Umwelt eine sinnvolle Möglichkeit Grundvorstellungen in schriftlichen Tests zu erheben. Denn gerade im Sinne des EIS-Prinzips können diese durch Übersetzungsprozesse zwischen der enaktiven, ikonischen und symbolischen Darstellungsebene (die wiederum aus einer formalen und einer sprachlichen Ebene zusammengesetzt

214

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

ist) sowie zwischen der mathematischen und realen Welt diagnostiziert werden (vgl. Absatz 3.3). Umwandlungen zwischen der enaktiven Ebene und den beiden anderen bieten sich hierfür allerdings nicht an, da diese schriftlich nur schwer festgehalten werden können, um eine anschließende Bewertung zu ermöglichen. In bereits vorhandenen Diagnosematerialien, wie den Standortbestimmungen von „Mathe sicher können“, sind unterschiedliche Varianten des Darstellungswechsels für Rechenaufgaben und Rechenoperationen zu finden (vgl. Selter et al. 2014). So werden insbesondere bei der Multiplikation und der Division verschiedene Punktdarstellungen verwendet, um die Fähigkeit des ikonisch-symbolischen Übersetzens zu überprüfen. Dabei sind die Darstellungen sowohl in der räumlichsimultanen Anordnung abgebildet als auch in Würfelbildern, die die Vorstellung der Multiplikation als wiederholte Addition ansprechen (Abbildung 6.4).

Abbildung 6.4 Aufgabenbeispiel für einen algebraisch-ikonischen Darstellungswechsel (Selter et al. 2014, Standortbestimmung Baustein N4 A)

Für diese Vorstellung finden sich auch Zahlenstrahldarstellungen, bei denen aus den abgebildeten Sprüngen eine Rechenaufgabe abgeleitet werden muss oder zu einer Aufgabe eine geeignete Darstellung am Zahlenstrahl gesucht wird (Abbildung 6.5). Für Additions- und Subtraktionsaufgaben werden neben Zahlenstrahlen vor allem Darstellungen anhand des Mehrsystemmaterials verwendet. Damit können nicht nur Übersetzungsprozesse für das Stellenwertsystem anhand dieses Materials veranschaulicht werden, wie es der ERT 4+ versucht, sondern auch Rechenverfahren, wie im unteren Beispiel zu sehen. Ikonisch-algebraische Übersetzungsprozesse für Ergänzungsaufgaben sind hingegen nicht zu finden, obgleich diese, wie in Abschnitt 4.2 gezeigt, für die Diagnostik von Bedeutung sind (Abbildung 6.6).

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ...

215

Abbildung 6.5 Aufgabenbeispiel für einen algebraisch-ikonischen Darstellungswechsel in zwei Richtungen (Selter et al. 2014, Standbortbestimmung Baustein N4 B)

Abbildung 6.6 Aufgabenbeispiel für einen ikonisch-algebraischen Darstellungswechsel für die stellenweise Subtraktion (Selter et al. 2014, S. 105)

Des Weiteren sind ikonische Darstellungen mit Alltagsbezug zum Erkennen von Grundvorstellungen geeignet, die Übersetzungsprozesse von der realen in die mathematische Welt anregen. Einige Darstellungen, die sich in Diagnosematerialien finden lassen, sind dabei noch sehr nahe an den mathematischen Vorstellungen, wie die einer Tafel Schokolade, für die eine passende Multiplikationsaufgabe gefunden werden muss. In Lehrbüchern der Grundschule finden sich hingegen auch komplexere Abbildungen, die einen größeren Interpretationsspielraum bei der Wahl der gewählten Sachsituation lassen und damit tatsächlich Übersetzungsprozesse zwischen realer und mathematischer Welt anregen, wie in untenstehender Abbildung zu sehen ist (Abbildung 6.7). Andersherum können auch Rechengeschichten für eine gegebene Rechenaufgabe gefunden werden.

216

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

Abbildung 6.7 Lehrbuchbeispiel für eine Übersetzung zwischen realer und mathematischer Welt (Padberg 2005, S. 143)

Probleme und Lösungsvorschläge bei der Konstruktion verstehensorientierter Aufgaben Die hier vorgestellten Möglichkeiten zur Erhebung von Grundvorstellungen sind ebenso in kombinierter Form einsetzbar, bspw. in dem der eigene Rechenweg mit einem weiteren vorgegebenen verglichen werden soll oder zunächst ikonische Darstellungen angefertigt werden, um deren Gültigkeit anschließend zu bergründen. In der untenstehenden Aufgabe wird zusätzlich noch ein Ankreuzformat gewählt, um die Beantwortung der Frage zunächst zu erleichtern (Abbildung 6.8).

Abbildung 6.8 Beispiel für eine Kombination von Darstellungswechsel und Begründung (Schulz 2017, S. 18)

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ...

217

Als Schlüssel, um durch schriftliche Aufgaben Einblicke in die Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu gewinnen, konnten Eigenproduktionen wie Texte, Bilder, Skizzen oder Ähnliches identifiziert werden. Im Vergleich zu einfachen Rechenaufgaben ist der Aufwand zur Lösung einer solchen Aufgabe damit deutlich erhöht. Einige Autor:innen, die anderweitige diagnostische Aufgaben einsetzen, nennen deshalb Schreibunlust als ein Problem dieser Aufgabenformate und suchen nach Wegen dieser entgegenzuwirken oder andere Komponenten mit einfließen zu lassen. Einige diagnostische Verfahren verwenden hierfür unterschiedliche Varianten des Single-Choice-Formates. So entwickelten Hofkamp und Löhr eine Screening-Version des neuseeländischen diagnostischen Interviews KIWIS und nutzten zum Erfassen von Rechenstrategien eine Kombination aus Single-Choice und freien Antworten. Dabei wird den Schülerinnen und Schülern eine Routineaufgabe gestellt und verschiedene Rechenwege angeboten. Aufgabe der Lernenden ist es die Rechnung zu lösen und anzukreuzen, wie sie zu dieser Lösung gekommen sind (Abbildung 6.9).

Abbildung 6.9 Rechenstrategieerfassung im Screeningverfahren nach KIWIS (Hoffkamp und Löhr 2017, S. 32)

Zudem wurde mit den Schülerinnen und Schülern zu Beginn der Testung kurz geübt, wie man seine eigenen Lösungsideen kommunizieren kann (2017, S. 29). Ähnlich wurde auch im „Test arithmetischer Grundlagen“ (kurz TAG) vorgegangen (Richarz und Greber 2017, S. 25). Allerdings wurden hier zu jeder Aufgabe vier mögliche Ergebnisse vorgegeben, bei denen den Distraktoren typische Fehlerstrategien zugrunde liegen, sodass damit zwar Fehlerstrategien, jedoch keine (un)effizienten Rechenstrategien erhoben werden können (Abbildung 6.10).

218

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

Abbildung 6.10 Beispiel für die Erhebung von Fehlerstrategien im TAG (Richarz und Greber 2017, S. 25)

Der Vorteil dieses Aufgabenformats liegt darin, dass rechenstarke Schülerinnen und Schüler die Aufgabe auch lösen können, indem sie unmögliche Ergebnisse einfach aussortieren (Richarz und Greber 2017, S. 25). Leuders und Büchter bezweifeln hingegen jedoch die Eignung von Ankreuzaufgaben für die Diagnostik, da mithilfe eines gesetzten Kreuzes nur mit einem sehr hohen Grad an Unsicherheit auf mögliche Kompetenzen oder Fehlvorstellungen geschlossen werden kann (Büchter und Leuders 2016, S. 175). Auch ist der Nachteil, dass korrekte Antworten durch Raten entstanden sein könnten bei diesem Aufgabenformat zu berücksichtigen. Demgegenüber befürwortet Sjuts den Einsatz solcher Aufgaben zur Diagnose besonders dann, wenn ausschließlich im Kopf gearbeitet wird. Dies bringe den Vorteil, dass bei einer hohen Anzahl von Teilnehmenden eine rasche Auswertung möglich ist. Aufgaben in diesem Format werden seiner Meinung nach vielfach unterschätzt, denn sie würden nicht nur einen Überblick liefern, sondern könnten Aufschlüsse über Fehlvorstellungen, Fehlschlüsse und Fehllösungen geben (Sjuts 2007, S. 34). Durch das Stellen vieler Ankreuzaufgaben, die immer wieder denselben Fehler verdeutlichen, kann die diagnostische Sicherheit weiter erhöht werden. Das Vorgeben von Antwortmöglichkeiten scheint also eine Möglichkeit zur Erhebung von Rechenstrategien in einem Gruppentest zu sein, wenn die Rechenaufgaben nicht zu komplex sind, sodass sie von unauffälligen Schülerinnen und Schülern hauptsächlich im Kopf gelöst werden könnten, obschon diese Aufgaben nicht dasselbe diagnostische Potenzial wie die Beobachtung des Schülervorgehens oder ein diagnostisches Gespräch aufweisen können. Bis auf Aufgaben im Ankreuz-Format zeichnen sich alle anderen hier diskutierten Aufgabenformate durch ihre Offenheit aus. Die Aufforderung nach

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ...

219

Erläuterungen, Stellungnahmen, Begründungen, Beschreibungen aber auch zum Finden einer passenden Textaufgabe oder eines Bildes liefert unterschiedlichste Ergebnisse. Es gibt nicht mehr nur eine einzige richtige Lösung, sondern ein ganzes Spektrum, sodass die Lehrkraft deutlich mehr Informationen über individuelle Schülerfähigkeiten gewinnen kann als das einfache Rechenaufgaben vermögen. Deshalb ist das Öffnen von Aufgaben in der mathematikdidaktischen Forschung ein häufig verwendetes Mittel, um das diagnostische Potenzial von Aufgaben zu erhöhen (Büchter und Leuders 2016, S. 181; Leuders 2012, S. 87). Aus testtheoretischer Perspektive erschwert dies jedoch die Sicherstellung der Auswertungsobjektivität, da offene Aufgaben, im Gegensatz zu geschlossenen, die nur ein einziges korrektes Ergebnis haben, je nach Korrektor:in unterschiedlich bewertet werden können. Ein Manual, was Korrekturhinweise und Beispielaufgaben beinhaltet, kann jedoch zur Gewährleistung der Objektivität beitragen. Weiterhin wird deutlich, dass die Anforderungen, die verstehensorientierte Aufgaben an den Schüler bzw. die Schülerin stellen, über die einfacher Rechenaufgaben, wie sie typischerweise in standardisierten Tests verwendet werden, hinausgehen, da prozessbezogene Kompetenzen wie Erklären, Darstellen oder Problemlösen im Allgemeinen einen deutlich höheren kognitiven Anspruch haben als einfache Reproduktionen. Das zu entwickelnde Testverfahren soll jedoch besonders im unteren Leistungsbereich diagnostizieren. Deshalb sollen im Weiteren Schwierigkeitsgrade verstehensorientierter Aufgaben genauer untersucht und den verschiedenen Aufgabenformaten zugeordnet werden.

6.2.2

Komplexitäten von verstehensorientierten Aufgaben

Der Schwierigkeitsgrad wird maßgeblich durch das Aufgabenformat beeinflusst (Klieme 2000, S. 84). Das Vorliegen eines Kontextes, die Offenheit einer Aufgabe, die Notwendigkeit einer Begründung, der Bearbeitungsumfang, die notwendigen Vorkenntnisse sowie die Komplexität der kognitiven Anforderung gehören zu den schwierigkeitsbestimmenden Faktoren (Büchter und Leuders 2016, S. 90; Drücke-Noe 2018, S. 11). Da bis auf die Ankreuzaufgaben zur Bestimmung einer Rechenstrategie alle diskutierten verstehensorientierten Aufgabenformate einen offenen Charakter haben und bei einigen Begründungen oder Stellungnahmen gefordert sind, ist davon auszugehen, dass diese Aufgaben tatsächlich einen erhöhten Schwierigkeitsgrad für die Schülerinnen und Schüler aufweisen, da sie mehrere der obigen Faktoren erfüllen.

220

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

Ein oft verwendetes Modell, welches die bereits angesprochenen kognitiven Anforderungen unter dem Begriff Denkhandlung beschreibt, ist die Taxonomie nach Bloom, die hierarchisch die Handlungen Wissen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Synthese und Beurteilung unterscheidet (Bloom 1976). Diese Taxonomie wurde von Krathwohl weiterentwickelt, indem der Ebene der Denkhandlungen (Cogitiv Process Dimension) die Dimension der Wissensarten (Knowledge Dimension) hinzugefügt wurde (Krathwohl 2002, S. 213). Dieses Merkmal umfasst Faktenwissen, prozedurales, konzeptuelles und metakognitives Wissen, womit durch die Dimension der Wissensart das mathematische Wissen allumfassend beschrieben werden kann (Leuders 2015, S. 438). Jede Aufgabe kann nach dem Modell Krathwohls beiden Dimensionen zugeordnet werden, was durch eine Tabelle gut zu veranschaulichen ist (Abbildung 6.11).

Abbildung 6.11 Taxonomietabelle nach Krathwohl (2002, S. 216)

Für die Mathematik sind den verschiedenen Wissensarten unterschiedliche Anforderungen zuschreibbar. So bildet der Abruf einzelner Fakten die am wenigsten anspruchsvolle Wissensstufe, gefolgt von prozeduralem Wissen, welches zum einen Fakten im Sinne von auswendig gelernten Formeln sowie deren einfache Anwendung beinhaltet (Hiebert 2013, S. 6). Konzeptuelles Wissen beinhaltet demgegenüber das Verständnis der mathematischen Inhalte und damit der einzelnen Schritte eines Algorithmus (Hiebert 2013, S. 4). Denn „[…] procedural flexibility comes as a result of connections to conceptual knowledge. Only when a student knows ‘the conceptual basis for each of its steps’ (Baroody et al. 2007, S. 119) can only have deep knowledge of a procedure (Star 2007, S. 133).“ Allerdings gibt es auch Prozeduren, die nur dann angewendet werden können, wenn

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ...

221

das konzeptuelle Wissen vorhanden ist (Star 2007, S. 133). Somit sind die beiden Wissensarten meist eng verknüpft und eine Aufgabe nicht immer eindeutig zuordbar (Blum et al. 2012, S. 20; Hiebert 2013, S. 19). Metakognitives Wissen meint hingegen Wissen über Planung, Überwachung und Regulation mathematischer Lösungsprozesse sowie die Reflexion über das eigene Verständnis und Wissenslücken (Lingel et al. 2014, S. 52). Die Taxonomie nach Krathwohl bildet einen Orientierungsrahmen zur Einordnung verstehensorientierter Aufgaben. Allerdings muss für diesen Zweck, da es sich um ein allgemeinpädagogisches Modell handelt, die Dimension der Denkhandlung aus mathematikdidaktischer Perspektive weiter konkretisiert werden. Am Beispiel der schriftlichen Subtraktion können die einzelnen Denkhandlungen gut unterschieden werden. In der einfachsten Stufe Remember geht es lediglich um das Beherrschen des Algorithmus. Auch die Kenntnis, dass das Kommutativgesetz nicht angewendet werden kann (Factual Knowledge), ist hier einzuordnen. In dieser Stufe finden sich vor allem Aufgaben zum Reproduzieren. Understand meint dann das Verständnis des Wissens, bspw. wenn nach einer Begründung für einzelne Schritte der schriftlichen Subtraktion gefragt wird, wie dies beispielsweise in der ersten Aufgabe in Abbildung 6.3 verlangt wird. Der Darstellungswechsel, der ein Indikator für vorhandene Grundvorstellungen ist, kann hier ebenfalls eingeordnet werden. Für die schriftliche Subtraktion kann dies z. B. das Zeichnen eines Bildes anhand von Mehrsystemblöcken zu einer Aufgabe sein, so wie es in umgekehrter Übersetzung in Abbildung 6.6 zu sehen ist (Cognitive Knowledge). In der metakognitiven Wissensart ist das Begründen des eigenen Vorgehens hier einzuordnen, wenn angegeben werden soll, warum die gegebene Aufgabe schriftlich gerechnet wurde (Metacognitive Knowledge). In dieser Stufe muss das Wissen noch nicht auf Problemstellungen angewendet werden, dies ist erst Bestandteil der nächsthöheren Stufe Apply. Hierzu gehört die Auseinandersetzung mit den Rechenwegen anderer, da dabei das Wissen um einen Begriff oder ein Verfahren auf das Vorgehen anderer angewendet werden muss, wie es bspw. bei der Ergänzung von Tims Rechenweg in Abbildung 6.12 verlangt wird. Ist Tims Rechenweg dann noch mit einem anderen zu vergleichen, kann das hingegen der Denkhandlung des Analysierens zugeordnet werden (vgl. Abbildung 6.12). Sind mehrere Rechenwege zusätzlich noch zu bewerten, kann dies der nächsten Denkhandlung Evaluate zugeordnet werden, wenn bspw. die zusätzliche Frage gestellt wird, bei welchem Zahlenmaterial welcher Weg besser geeignet ist.

222

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

Abbildung 6.12 Beispiel für den Vergleich von Rechenwegen (Selter et al. 2014, S. 104)

Die höchste Stufe Create würde im Beispiel der schriftlichen Subtraktion die Entwicklung eines eigenen Algorithmus bspw. für Spezialfälle von Zahlen beinhalten. Anhand der schriftlichen Subtraktion wird deutlich, dass das Beherrschen einer konkreten Denkhandlung alle vorherigen voraussetzt. Demnach steigt der kognitive Anspruch von Remember bis hin zu Create immer weiter an (Krathwohl 2002, S. 214). So wie am Beispiel der schriftlichen Subtraktion veranschaulicht, können auch die bisher vorgestellten Aufgabenformate unterschiedlichen Denkhandlungen und Wissensarten und damit unterschiedlichen Tabellenzellen und verschiedenen Schwierigkeitsgraden zugeordnet werden. Zur Konkretisierung ist jeweils ein Beispielitem mit einem passenden Operator angegeben. Da jedoch keine expliziten Aufgaben verwendet werden, um die Allgemeingültigkeit zu erhalten, können die verschiedenen Aufgabenformate nur grob einsortiert werden, besonders in der Dimension der Denkhandlung. Anhand von Tabelle 6.3 wird deutlich, dass keines der Formate zur Entwicklung verstehensorientierter Aufgaben in die erste Spalte eingeordnet werden kann, da immer das Verständnis im Fokus der Diagnose steht und sich alle so entwickelten Aufgaben mindestens auf der zweiten Stufe der Denkhandlung befinden. Somit zeigt die Einordnung der Aufgabenformate in die Taxonomie nach Krathwohl, dass die verstehensorientierten Aufgaben immer schwerer sind als einfache Rechenaufgaben, wie sie zumeist in den bisher veröffentlichten Gruppentestverfahren zu finden sind. Auch ist zu erkennen, dass Aufgabenformate, die

Einfordern von Reflexionen Begründe deine Entscheidung. Darstellungswechsel Gib eine Sachsituation an oder zeichne ein Bild zu folgender Rechnung. Einfordern von Reflexionen Beschreibe dein Vorgehen. Wie hast du gerechnet?

Metakognitives Wissen

Verstehen

Denkhandlung

Wissen

Konzeptuelles Wissen

Prozedurales Wissen

Faktenwissen

Wissensart Rechenwege fortsetzen Setze Arnes Rechenweg fort.

Anwenden

Analyse fehlerhafter Beispielrechnungen Erkläre, was hier falsch gerechnet wurde.

Stellungnahme ohne Bewertung Vergleiche die beiden Rechenwege…

Analysieren

Stellungnahme mit Bewertung …Welcher scheint dir geeigneter zur Lösung der Aufgabe.

Bewerten

Tabelle 6.3 Einordnung der verstehensorientierten Aufgabenformate in die Taxonomie von Krathwohl

Kreieren

6.2 Verstehensorientierte Aufgaben zur Diagnostik ... 223

224

6

Diagnostik in Schule und Unterricht

explizit nach dem eigenen Vorgehen fragen, niedrigeren Denkhandlungen zugeordnet werden können als die Auseinandersetzung mit den Handlungen anderer, da sich letztere gut zur Erstellung von Aufgaben eignen, die den höheren Ebenen Anwenden, Analysieren und Bewerten entsprechen. Die Einordnung von Aufgabenformaten, die einen besonders reichhaltigen Rückschluss auf das Verständnis und die Problembereiche ermöglichen, offenbart ein Dilemma der Diagnostik von Rechenschwäche in Gruppentestverfahren: Man möchte möglichst viele Informationen über Schülerkompetenzen erhalten und sollte dafür die hier betrachteten Aufgabenformate verwenden, muss jedoch so einfache Aufgaben stellen, dass Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen in der Lage sind diese zu bearbeiten und zumindest zum Teil richtig zu lösen. Des Weiteren ist für Eigenproduktionen wie Beschreibungen oder Begründungen die Auswertungsobjektivität viel schwerer zu gewährleisten als bei einfachen Rechenaufgaben mit eindeutigen Ergebnissen. Damit erschwert die Verwendung von verstehensorientierten Aufgaben die Erfüllung der Gütekriterien. Ansätze und Lösungsmöglichkeiten dieser Problematik beizukommen, sollen in Kapitel 8 aufgezeigt werden, indem Überlegungen zur konkreten Aufgabenkonstruktion geschildert sind. Zur besseren Nachvollziehbarkeit sollen vorher die für die praktische Umsetzung wichtigsten Erkenntnisse aus den vorherigen Kapiteln noch einmal kurz zusammengefasst werden.

7

Zusammenfassung: Ziele und Anforderungen an das zu entwickelnde Testverfahren LeDi-Arithmetik

Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildete die Auseinandersetzung zum Verständnis von Rechenschwäche in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Es wurde herausgearbeitet, dass die Forschungsergebnisse der Neuro- und Kognitionspsychologie für die Schulpraxis weniger hilfreich sind als die Ansätze der Entwicklungspsychologie und der Didaktik, da sich diese mit Defiziten bezüglich schulrelevanter mathematischer Kompetenzen und deren Zustandekommen auseinandersetzen (vgl. Kapitel 2). Die für diese Arbeit zugrunde liegende Definition stammt deshalb aus dieser Forschungsrichtung. Durch die Auseinandersetzung mit notwendigen mathematischen Kompetenzen für die Sekundarstufe I und den Vergleich von Fähigkeiten unauffälliger Lernender mit denen von Rechenschwachen in weiterführenden Schulen, konnten die für die Diagnostik bedeutenden Fähigkeiten identifiziert werden, die den Bereichen Stellenwertverständnis, Rechnen mit natürlichen Zahlen und Lösen von Sachaufgaben zugeordnet werden können (Abbildung 7.1). Dabei steht vor allem das Verständnis innerhalb dieser Bereiche im Mittelpunkt, sodass Diagnoseaufgaben in der Lage sein müssen, Grund- und Fehlvorstellungen zu identifizieren. Weniger geht es hingegen um das Beherrschen von Algorithmen und auswendig gelernten Regeln (vgl. hierzu Kapitel 3 und 4). Davon ausgehend konnte die Definition für Rechenschwäche inhaltlichphänomenologisch erweitert werden, sodass sie nun wie folgt lautet:

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_7

225

226

7

Zusammenfassung

Rechenschwäche wird als stark unterdurchschnittliche Mathematikleistung definiert, die durch komplexe Wechselwirkungen zwischen unterrichtlichen, individuellen und schulstrukturellen Faktoren zustande kommt. Die Ursache hierfür liegt im Fehlen grundlegender mathematischer Kompetenzen und Konzepte, wobei besonders Defizite im Verständnis des Stellenwertsystems (was sich besonders durch eine hohe Fehleranzahl beim Zählen in Sprüngen, Entbündeln und der Verwendung des Zahlenstrahls zeigt), des TTGs, der Multiplikation und der Division vorliegen. Damit einhergehend erweist sich das Lösen von Rechen- und Sachaufgaben mit diesen Grundrechenarten besonders im Zahlenraum ab 1000 als problematisch und erfolgt meist durch einseitige algorithmische Verwendung von Rechenstrategien. Werden die Defizite nicht behoben, können auch in der Sekundarstufe keine tragfähigen mathematischen Grundvorstellungen entwickelt werden, wodurch die Teilhabe am vollen Leben einer modernen Gesellschaft gefährdet ist. Rechenschwäche wird somit als ein Versagen im Mathematikunterricht verstanden: ein Versagen beim Erwerben mathematischer Kompetenzen aufgrund spezifischer individueller Voraussetzungen und auch als Versagen des Mathematikunterrichts.

Abbildung 7.1 Inhaltsbereiche des LeDi-Arithmetik zu den natürlichen Zahlen

Da Studienergebnisse allerdings zeigen, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler oft in der Lage sind ihre Defizite zu verbergen und durch aufwendige Rechenprozeduren trotzdem zu korrekten Ergebnissen gelangen können, soll eine Zusatzskala aus dem Bereich der Sekundarstufe I hinzugefügt werden, die bei der Interpretation uneindeutiger Ergebnisse im Bereich der natürlichen Zahlen Aufschluss über die Fähigkeiten der Lernenden geben soll. Die Analyse möglicher Themenbereiche ergab, dass sich hierfür gebrochene Zahlen besonders eignen, da sie direkt auf den Kompetenzen der natürlichen Zahlen aufbauen und frühzeitig

7

Zusammenfassung

227

Teil des Curriculums der Sekundarstufe sind. Allerdings deuten Studienergebnisse zu den Fähigkeiten deutscher Schülerinnen und Schüler darauf hin, dass auch diese kaum über Grundvorstellungen zu gemeinen Brüchen verfügen. Es scheint also nicht gewinnbringend zur Diagnostik vor allem Aufgaben zum Verständnis verschiedener Bruchzahlaspekte in den Fokus zu rücken, da so keine Unterscheidung zwischen unauffälligen und rechenschwachen Schülerinnen und Schülern möglich ist. Stattdessen sollen Fertigkeiten abgefragt werden, die unauffällige Lernende in der Regel gut beherrschen, rechenschwache jedoch (vermutlich) nicht. Aufgrund der wenigen empirischen Ergebnisse auf diesem Gebiet sowie theoretischen Überlegungen (vgl. Kapitel 5) konnten die folgenden Bereiche als mögliche Inhalte zur Diagnostik identifiziert werden (Abbildung 7.2):

• Darstellen • Vergleichen • Addition und Subtraktion gleichnamiger und ungleichnamiger Brüche • Kürzen und Erweitern • Division • Von-Aufgaben Gemeine Brüche

• Stellenwertverständnis • Bedeutung des Kommas • Gleichwertige Dezimalzahlen erkennen • Vergleichen Dezimalzahlen

• Einfache Prozentsätze wie 1%, 10“ oder 50% Prozente

Abbildung 7.2 Inhaltsbereiche des LeDi-Arithmetik zu den gebrochenen Zahlen

Damit konnten durch die Analysen in den Kapiteln 3 bis 5 die inhaltlichen Schwerpunkte für die zu entwickelnden Aufgaben identifiziert werden. Diese Aufgaben sollen später zu einem Testverfahren zusammengefasst werden, was aufgrund der Zielsetzung und des Anwendungsbereichs im Folgenden Leipziger Diagnostikum arithmetischer Basiskompetenzen für die Sekundarstufe I (kurz: LeDi-Arithmetik) genannt wird. Es stellt sich nun die Frage, wie die Inhalte zunächst konkret in Aufgaben und diese später in einem Testverfahren umgesetzt werden können. Die Auseinandersetzung mit bisher erschienenen Diagnoseinstrumenten (vgl. Abschnitt 6.1) ergab, dass es besonders an kriteriumsorientierten Gruppentestverfahren fehlt, die ab der sechsten Klasse durch Lehrkräfte eingesetzt werden können. Notwendige Kriterien zur Konstruktion eines guten Tests und an gute Testaufgaben wurden

228

7

Zusammenfassung

herausgearbeitet und durch die Zielsetzung einen Gruppentest für Lehrkräfte zu kreieren, der auch Grundvorstellungen erfasst, erweitert, sodass die folgenden Punkte bei der Konzeption der Aufgaben und des Testinstruments zu beachten sind: 1. Das theoretische Verständnis von Rechenschwäche/ Dyskalkulie muss offengelegt werden. 2. Das Instrument muss zentrale mathematische Kompetenzen erfassen und die aus den Kompetenzen entwickelten Aufgaben müssen gut zwischen rechenschwachen und unauffälligen Schülerinnen und Schülern unterscheiden. 3. Das Instrument muss für Lehrkräfte anwendbar sein, die keine Expertise auf dem Gebiet der Rechenschwäche aufweisen. 4. Das Instrument muss, da es zur Diagnostik im Klassenverband geeignet sein soll, schnell und einfach anwendbar und auswertbar sein. 5. Das Instrument muss demnach neben vielen quantitativen Elementen auch qualitative Aufgaben beinhalten, um Grundvorstellungen und Operationsverständnis sichtbar zu machen. 6. Es muss erklärt werden, wie man zu den Entscheidungskriterien für eine positive Diagnose gelangt. 7. Die Gütekriterien müssen erfüllt sein, wobei besonders die Validität im Fokus stehen muss. Diese Kriterien können den Schritten der Testkonstruktion zugeordnet werden, die bereits in Abschnitt 6.1 ausführlicher beschrieben wurden. Die Kriterien 1 und 2 sind notwendige Vorüberlegungen zur Definition des Konstrukts, damit zusammenhängend zu den Inhalten des Testverfahrens und somit in der Planungsphase zu verorten. Hingegen beschreiben die folgenden drei Kriterien Anforderungen, die bei der konkreten Aufgabenkonstruktion zu berücksichtigen sind. Die Kriterien 6 und 7 können erst durch eine Evaluation und damit eine anschließende Itemanalyse überprüft werden, welche sich im Kapitel 10 findet. Um die Kriterien 3 bis 5 zu erfüllen, müssen Aufgabenformate gefunden werden, die zum einen Verständnis und Denkvorgänge offenlegen, zum anderen jedoch schnell und einfach auswertbar sind, um für den Klassenverband geeignet zu sein. Für diesen Zweck wurden einige mögliche Aufgabenformate vorgestellt und analysiert, wie das Einfordern von Begründungen oder Beschreibungen, Darstellungswechsel, die sich bereits in den Auseinandersetzungen zu den verschiedenen Grundvorstellungen bezüglich der Basisfähigkeiten als essenziell herausstellten, oder das Verwenden von Ankreuzitems für die Erfassung von Rechenstrategien. Das folgende Kapitel widmet sich nun der konkreten Aufgabenkonstruktion, in dem die bisherigen Überlegungen zusammengeführt werden sollen.

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Die Taxonomien Blooms und Krathwohls sowie die Vorstellung der verschiedenen verstehensorientierten Aufgabenformate machen deutlich, dass ein einziger mathematischer Inhalt durch unterschiedlichste Aufgaben repräsentiert werden kann (vgl. Abschnitt 6.2). Im Folgenden soll aufgezeigt werden, warum bei der Konstruktion der Diagnoseaufgaben ein bestimmtes Aufgabenformat gewählt wurde und wie es zur Auswahl des Zahlenmaterials kam. Zur besseren Übersicht werden die Itemkonstruktionen für die verschiedenen Zahlebereiche einzeln dargestellt, wobei auch die Konzeption einzelner Aufgaben aus dem Bereich der ganzen Zahlen beschrieben werden, obschon diese aufgrund mangelnder Studienlage nicht in den LeDi-Arithmetik eingebunden werden sollen, sondern es sich eher um eine explorativen Ansatz zur Gewinnung von Informationen zu den Fähigkeiten rechenschwacher Schüler:innen handelt. Da das Testergebnis nicht durch Abschreiben verfälscht werden soll, ist eine A- und B-Version erstellt worden, die sich nur gering in der Reihung der Aufgaben und im Zahlenmaterial voneinander unterscheiden, was keinen Einfluss auf die Schwierigkeit der Aufgabe haben sollte (vgl. Abschnitt 9.2.3.). In der folgenden Darstellung der Aufgaben sind jeweils beide Versionen zu finden, sollten sich diese unterscheiden. Zeigen sich weitere Besonderheiten innerhalb der Items, wie bspw. Spezifika bei der Bewertung der Aufgabe, wird dies ebenfalls vermerkt.

8.1

Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

Stellenwertverständnis, Rechnen mit natürlichen Zahlen sowie die Fähigkeit zum Lösen von Sachaufgaben bilden die Voraussetzungen für den Kompetenzaufbau in der Sekundarstufe. Aufgaben hierzu können auf unterschiedlichen Verständnisgraden konzipiert werden. Da die Items aufgrund der Zielsetzung jedoch im © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_8

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8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

unteren Leistungsbereich differenzieren sollen, ist es nicht gewinnbringend viele komplexe Aufgaben zur Diagnostik zu stellen. Vielmehr müssen Möglichkeiten gefunden werden mit möglichst einfachen Aufgaben möglichst viele Informationen über die Kompetenzen der Schüler:innen zu erhalten. Aus diesem Grund und um die in der Einleitung formulierte Frage Welche mathematischen Aufgabeninhalte eignen sich, um Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen im Klassenverband durch die Lehrkraft zu diagnostizieren und wie können diese in einem Testverfahren umgesetzt werden? beantworten zu können, werden teilweise zu einem Inhalt mehrere Items mit unterschiedlichen Aufgabenformaten erstellt. Um die Schwierigkeit der Aufgaben abschätzen zu können, sollen sie in verschiedene Kompetenzniveaus eingeordnet werden. Dabei beschäftigt sich das Entwicklungsmodell von Fritz, Ehlert und Balzer (vgl. Abschnitt 3.2.2) vor allem mit sehr elementaren mathematischen Fähigkeiten, die unabhängig von Zahlenräumen beschrieben werden. Da jedoch die in Kapitel 4 aufgeführten Studien zeigen, dass die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen abhängig vom Zahlenraum sind, sollten Diagnoseaufgaben verschiedene Zahlenräume erfassen, die mit dem FEB-Modell nicht ausdifferenziert werden könnten. Aus diesem Grund wird für die Niveaustufenzuordnung das Modell von Humbach verwendet (im Folgenden Nis. H abgekürzt), das ähnliche Abstufungen vornimmt, jedoch auch die Unterscheidung in Zahlenräume sowie Fähigkeiten beim Lösen von Sachaufgaben ermöglicht, die im FEB-Modell nicht Bestandteil sind. Allerdings werden in diesem Modell lediglich Inhalte beschrieben, keine Kompetenzen. Wie bereits in Abschnitt 6.2 dargestellt, spielten die Aufgabenformate eine entscheidende Rolle, wenn es um die Ermittlung des Ausbildungsgrades der dahinterliegenden Kompetenz geht. Dies hat jedoch häufig eine Steigerung des Schwierigkeitsgrades zur Folge. Die Einordnung der Aufgaben nur auf Grundlage des Modells von Humbach würde deshalb zu kurz kommen, da besonders die Schwierigkeitsbeurteilung bei Aufgaben, die mithilfe der Kriterien von Leuders, Büchter und Sjuts konzipiert wurden, nicht gelingen würde. Das Kompetenzmodell, welches in den Bildungsstandards der Grundschule beschrieben wird (im Weiteren mit KomS. GS abgekürzt) beinhaltet hingegen sowohl die Dimension der Denkhandlung als auch die der Wissensart, geht jedoch nicht auf verschiedene Zahlenräume ein. Da es sich bei den Inhalten um solche handelt, die bereits in der Grundschule Teil des Curriculums sind, bietet sich dieses Modell zur Einordnung der Aufgaben als Ergänzung zum Modell Humbachs somit an. In den unten aufgeführten Tabellen finden sich hinter den zugeordneten Niveaustufen die jeweilige Begründung für die gewählte Einordnung, die sich sehr stark an den Wortlauten der Beschreibungen der Stufen der beiden Modelle orientiert, die ausführlich in Abschnitt 3.3 beschrieben wurden. Aus der Kombination der beiden Niveaustufenmodelle sollen am Ende dieses Teilkapitels die erstellten Aufgaben in ein

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

231

eigenes Niveaustufenmodell eingeordnet werden, um somit eine erste Grundlage für ein kriteriumsorientiertes Testverfahren zu schaffen.

8.1.1

Aufgaben zum dekadischen Stellenwertsystem

Umwandeln von Zahlen in verschiedene Darstellungsformen Die in Abschnitt 3.3.1 beschriebenen Studien zeigen, dass die Schwierigkeit von Aufgaben zum Umwandeln von Zahlen mit zunehmendem Zahlenraum steigt. Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen haben bereits im Zahlenraum ab 1000 Probleme. Deshalb ist das Umwandeln von Zahlen in verschiedene Darstellungsformen Teil jedes Einzeltests zur Diagnostik von Rechenschwäche (vgl. Abschnitt 6.1), wobei Zahlen auch von den Lernenden vorgelesen werden müssen. Da es jedoch darum geht Aufgaben zu konzipieren, die im Klassenverband durchgeführt werden, können diese Aufgaben nicht im herkömmlichen Sinne eingebunden werden. Stattdessen wurde versucht adäquate Aufgabenformen zu finden. Transkription von der auditiven Form in die dezimale Zahlenschreibweise Um die Fehler von Rechenschwachen nicht nur quantitativ, sondern ebenso qualitativ erfassen und einordnen zu können, wurde für das Übersetzen von Zahlen von der auditiven Wortform in die dekadische Ziffernschreibweise die Single-ChoiceForm gewählt, wobei sich hinter den Distraktoren typische Fehler verbergen. Denn wie bereits Sjut sagte, kann durch dieses Aufgabenformat Aufschluss über Fehlvorstellungen, Fehlschlüsse und Fehllösungen gegeben werden, die bei einer einfachen gewohnten Aufgabe, die algorithmisch abgearbeitet wird, unentdeckt bleiben würden (Sjuts 2007, S. 34). Um sicher zu stellen, dass es sich bei einem falsch gesetzten Kreuz nicht um einen Flüchtigkeitsfehler handelt und somit die diagnostische Sicherheit zu erhöhen sowie der Kritik Leuders‘ und Büchters entgegenzuwirken (vgl. Abschnitt 6.2.2), wurden die am häufigsten auftretenden Fehler (die Verwendung der lautgetreuen Schreibweise, die Interpretation der Null als nichts und Zahlendreher) mehrfach eingebunden. Um einen eher seltenen Fehler wie das Verwechseln von Zahlzeichen zu erfassen, wurde auch hierzu ein Distraktor in der letzten Teilaufgabe erstellt. Zusätzlich wurden in einer zweiten Version die Ankreuzitems weggelassen, um herauszufinden, welchen Effekt die Vorgabe von Möglichkeiten hat und welches Aufgabenformat sich somit besser eignet. In beiden Varianten wurden die Zahlen nacheinander jeweils drei Mal vorgelesen, damit nicht die Merkfähigkeit der vorgelesenen Zahl das eigentlich zu messende Merkmal ist.

232

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Aufgabenstellung (Variante A):

Welche Zahl wurde vorgelesen? Kreuze an!

Aufgabenstellung (Variante B):

Notiere die vorgelesene Zahl.

Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

3076

Beschreibung:

Transkription im Zahlenraum bis 10 000; Position der Null wird durch Wortform nicht klar; Zahlendreher an einer Stelle möglich

Lösungsmöglichkeiten (Variante A): ႒ 3067

Zahlendreher

႒ 300076

lautgetreue Schreibweise

႒ 367

Null als nichts interpretiert

႒ 3076

richtige Lösung

Aufgabe:

20082

Beschreibung:

Transkription im Zahlenraum bis 100 000, Position der Null wird durch Wortform nicht klar, Zahlendreher an einer Stelle möglich

Lösungsmöglichkeiten (Variante A): ႒ 2000082

lautgetreue Schreibweise

႒ 2082

Null als nichts interpretiert

႒ 20082

richtige Lösung

႒ 20028

Zahlendreher

Aufgabe:

76067

Beschreibung:

Transkription im Zahlenraum bis 100 000; Position der Null wird durch Wortform nicht klar; Zahlendreher an zwei Stellen möglich

Lösungsmöglichkeiten (Variante A): ႒ 67067

NiS. H (Humbach):

Zahlendreher

႒ 76067

richtige Lösung

႒ 76078

Verwechslung der Zahlzeichen 6 und 8

□ 7600067

lautgetreue Schreibweise

I, da Lernende in dieser Stufe das Transkribieren von Zahlen beherrschen.

KomS. GS (Grundschule):

0, da nur höher anzusiedelnde Kompetenzen in der Kompetenzstufe I (technische Grundlagen) beschrieben werden. Wird als Voraussetzung für das Erreichen der ersten Stufe angesehen.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

233

Transkription von Zahlen in dezimaler Zifferndarstellung in die Zahlenwortform Beim Übersetzen von Zahlen aus der dekadischen Ziffernschreibweise in die geschriebene Wortform wurde auf die Möglichkeit des Single-Choice-Formats verzichtet, da dann unter vielen langen Worten das richtige gefunden werden muss. Somit bestünde die Gefahr, dass statt Fähigkeiten bzgl. des Stellenwertsystems Lesekompetenz abgefragt werden würde. Stattdessen soll eine geschriebene Zahl in ein Zahlwort übertragen werden, wobei Rechtschreibung bei der Bewertung keine Rolle spielt. Auch hier wurde das Zahlenmaterial so gewählt, dass es die typischen Fehler, wie das Ignorieren der Null oder Zahlendreher ermöglicht und unterschiedliche Zahlenräume abdeckt. Aufgabenstellung: Schreibe als Zahlwort! Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

7845

Beschreibung:

Transkription im Zahlenraum bis 10 000; Zahlendreher an einer Stelle möglich

Aufgabe:

31274

Beschreibung:

Transkription im Zahlenraum bis 100 000; Zahlendreher mehrfach möglich

Aufgabe:

23070

Beschreibung:

Zahl mit zwei Nullen als Platzhalter zu übersetzen; Transkription im

NiS. H.

I, da Lernende in dieser Stufe das Transkribieren von Zahlen beherrschen.

Zahlenraum bis 100 000; Zahlendreher an einer Stelle möglich

KomS. GS:

0, da nur höher anzusiedelnde Kompetenzen in der Kompetenzstufe I (technische Grundlagen) beschrieben werden. Wird als Voraussetzung für das Erreichen der ersten Stufe angesehen.

Eintragen von Zahlen auf dem Zahlenstrahl Bei dieser Aufgabe geht es um das Schätzen von Positionen auf dem Zahlenstrahl. Aufgaben ähnlich dieser sind in fast allen Diagnoseverfahren zum Erkennen von Dyskalkulie zu finden (außer im ERT JE). Mit dem Übergang vom Zahlenraum bis 100 zum Zahlenraum bis 1000 soll erkannt werden, ob sich der innere Zahlenstrahl der Schülerinnen und Schüler bereits vom logarithmischen zum linearen Zahlenstrahl weiterentwickelt hat (vgl. Abschnitt 2.2.1). Dafür eignen sich Zahlenstrahlen besser, bei denen nur die Null und eine weitere Zahl gegeben sind und kein Lineal benutzt werden darf, da hierbei die intuitive Zahlenraumvorstellung gut erkennbar ist. Sind hingegen bereits verschiedene Möglichkeiten gegeben und die richtige soll ermittelt werden, kann auch über ein Ausschlussverfahren

234

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

vorgegangen werden. Des Weiteren stellte Humbach bei einer solchen Aufgabe in ihrem Test fest, dass die Positionen der Distraktoren einen großen Einfluss auf die Lösungsquote haben (Humbach 2008, S. 116) und somit die Aufgaben nicht gut untereinander vergleichbar sind. Die Aufgaben b) und c) ermöglichen zudem zu ermitteln, ob die Schülerinnen und Schüler die Analogien, die zwischen Hunderter- und Tausenderraum bestehen, erkennen können. Aufgabenstellung: Zeichne ein, wo sich die dargestellten Zahlen auf dem leeren Zahlenstrahl befinden! Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgaben:

a)

b) Beschreibung:

Orientierung im Zahlenraum bis 100; kaum Bezugspunkte, außer der Null und 100 vorgegeben, somit müssen weitere Bezugspunkte selbstständig gefunden werden

Aufgaben:

c)

d) Beschreibung:

Orientierung im Zahlenraum bis 1000; kaum Bezugspunkte, außer der Null und 1000 vorgegeben, somit müssen weitere Bezugspunkte selbst-ständig gefunden werden; in der vierten Aufgabe muss eine vergleichbar große Zahl wie in der zweiten Aufgabe eingetragen werden, jedoch mit neuer Bezugsgröße (1000 statt 100); der Punkt wird gegeben, wenn die Markierung maximal einen halben Zentimeter von der korrekten Stelle abweicht

NiS. H:

I, da Lernende in dieser Stufe in der Lage sind, Zahlen einer räumlich ana-logen Position zuzuweisen.

KomS. GS:

II, da Zahlen in dieser Stufe am Zahlenstrahl dargestellt werden können, diese aber nicht skaliert sind, wie es in Stufe I beschrieben ist. Stattdessen muss die Struktur des dezimalen Stellenwertsystems genutzt werden, um die Zahlen am Zahlenstrahl darzustellen.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

235

Zählfähigkeiten Gezählt werden kann vorwärts und rückwärts sowie in verschiedenen Sprunggrößen. Besonders letzteres bietet eine gute Möglichkeit das Stellenwertverständnis und die Flexibilisierung der Zahlwortreihe des Lernenden zu analysieren, da das einfache Auswendiglernen der Zahlwortreihe bei der Lösung der Aufgabe nicht ausreicht. Hier muss bereits die höchste Stufe nach dem FEB-Modell erreicht worden sein. Allerdings ist das laute Zählen in einem schriftlichen Testverfahren nicht ohne weiteres abfragbar. Aus diesem Grund sollen zwei andere Aufgabenformate erprobt werden: Zum einen sollen Zahlenfolgen ergänzt werden. Dieses Aufgabenformat wird bereits im ERT 4+ verwendet und soll in modifizierter Form hier wieder aufgegriffen werden. So muss im LeDi-Arithmetik nicht nur eine Lücke, sondern fünf gefüllt werden, damit mehr Informationen über die Zählfähigkeit gewonnen werden können, so wie das Aufgabenformat auch im Diagnosematerial von Mathe sicher können eingesetzt wird (Prediger und Hußmann 2014, S. 60). Besondere Probleme zeigen sich in solchen Aufgaben bei Übergängen, denn hier kommt es häufig zu Veränderungen der Sprunggröße, dem Benennen des vollen Zehners/Hunderters/Tausenders/… oder dem Auslassen von Zahlen (vgl. Abschnitt 3.3.1). Es wird demnach Zahlenmaterial verwendet, welches genau diese Übergänge fokussiert. Dabei können die Schülerinnen und Schüler die Sprunggröße in den ersten beiden Aufgaben zum einen durch die (wünschenswerte) Analyse der einzelnen Stellenwerte ermitteln, zum anderen durch das Bestimmen der Differenzen der beiden gegebenen benachbarten Zahlen. In der letzten Teilaufgabe ist die letzte Lösungsmöglichkeit nicht mehr gegeben, da hier eine Zwischenzahl gefunden werden muss. Außerdem ist das Bestimmen von Vorgänger und Nachfolger gleichzusetzen mit der Tätigkeit des Vorwärts- und Rückwärtszählens um je eine Zahl. Dabei stellen wiederum besonders die Übergänge die größte Fehlerquelle dar, was bei dieser Aufgabe fokussiert werden soll.

236

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Zahlenfolgen ergänzen Aufgabenstellung: Ergänze die Zahlenfolge. Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

a)

Beschreibung:

Zählen im Zahlenraum bis 1000, Vorwärts- und Rückwärtszählen in Zweiersprüngen; Übergänge an der Hunderter- und Zehnerstelle beim Vorwärtszählen und an der Zehnerstelle beim Rückwärtszählen

Aufgabe:

b)

Beschreibung:

Zählen im Zahlenraum bis 10 000; Vorwärts- und Rückwärtszählen in Zehnersprüngen; Übergänge an der Hunderterstelle beim Vorwärtszählen

Aufgabe:

c)

Beschreibung:

Zählen im Zahlenraum bis 100 000; Vorwärts- und Rückwärtszählen in Hundertersprüngen; Übergänge an der Tausenderstelle beim Vorwärtszählen; die Sprunggröße kann nicht ohne weiteres durch Differenz der beiden vorgegebenen Zahlen bestimmt werden

NiS. H:

II, da Lernende dieser Stufe das Prinzip des dekadischen Stellenwertsystems nachvollzogen haben und über eine sichere Zahlenraumvorstellung verfügen.

KomS. GS:

II, da Gesetzmäßigkeiten beim Fortsetzen von Zahlenfolgen erkannt und genutzt werden müssen.

Vorgänger und Nachfolger bestimmen Aufgabenstellung: Notiere den Vorgänger und Nachfolger der gegebenen Zahl. Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

700

Beschreibung:

Übergänge an Hunderter-, Zehner- und Einerstellen beim Bestimmen des Vorgängers; Übergänge an der Einerstelle beim Bestimmen des Nachfolgers

Aufgabe:

2299

Beschreibung:

Übergänge an Hunderter-, Zehner- und Einerstelle beim Bestimmen des Nachfolgers; Übergänge an der Einerstelle beim Bestimmen des Vorgängers

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen NiS. H:

237

I, da Lernende dieser Stufe über ein grundlegendes Verständnis des Stellenwertsystems verfügen und Entbündelungen im Zahlenraum bis 20 000 durchführen können.

KomS. GS:

0, da nur höher anzusiedelnde Kompetenzen in der Kompetenzstufe I (technische Grundlagen) beschrieben werden. Wird als Voraussetzung für das Erreichen der ersten Stufe angesehen.

Ordnen von natürlichen Zahlen Die Fähigkeit Zahlen zu ordnen gibt eine Auskunft über Einsichten in das Stellenwertsystem. Bei verstandenem Stellenwertprinzip können Zahlen zunächst anhand der Anzahl der Stellen verglichen werden, sind diese gleich muss ein stellenweiser Vergleich von links nach rechts erfolgen. Allerdings zeigen die Analysen von Prediger und Kolleg:innen zu möglichen Fehlern beim Ordnen (Prediger und Hußmann 2014, S. 52), dass es stattdessen besonders häufig zu Fokussierungen auf einzelne große Ziffern kommt, wodurch Zahlen als groß eingeschätzt werden, die Neunen und Achten enthalten. Nullen verkleinern die Zahlen demnach, unabhängig von der Anzahl und Position der Stellen. Diese fehlerhaften Denkweisen sollen durch das gewählte Zahlenmaterial aufgedeckt werden. Zum Vereinfachen der Aufgabenschwierigkeit wurde jedoch das Ordnen nach aufsteigender Größe gewählt, da äquivalent zum Zählen, die Vorwärtsorientierung einfacher ist als die Rückwärtsorientierung.

Aufgabenstellung: Ordne die folgenden Zahlen, beginne mit der kleinsten! Aufgabenformat: Aufgaben:

Geschlossene Aufgabe A-Version: 310001; 30819; 3189; 38011; 3811 B-Version: 210001; 20819; 2189; 28011; 2811

Beschreibung:

Orientierung zum Ordnen nur durch Anzahl der Stellen sowie der Position und Anzahlen der Nullen; kaum Orientierung an großen Ziffern möglich; der Punkt wird nur gegeben, wenn alle Zahlen korrekt geordnet wurden

NiS. H:

I, da Lernende dieser Stufe über ein grundlegendes Verständnis des Stellenwertsystems verfügen.

KomS. GS:

I, da Lernende dieser Stufe Zahlen verglichen können.

238

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Entbündeln und Bündeln Entbündeln durch Subtraktion Aufgaben zum Entbündeln gehörten in der Studie von Moser Opitz zur schwersten bezüglich des Dezimalsystems. In ihrer Untersuchung verwendete sie zwei unterschiedliche Aufgabenformate hierzu: Das Entbündeln durch Subtraktion und aus der Stellenwertschreibweise (3T, 42Z = 3420) (Moser Opitz 2013, S. 202). Da für das letztere Format sowohl für die Vergleichs- als auch für die Untersuchungsgruppe nur sehr geringe Lösungsquoten erzielt werden konnten, soll die erste Variante in den LeDi-Arithmetik eingebunden werden. Der BASIS-MATH 4–8 enthält ebenfalls vergleichbare Aufgaben, die sich als besonders aussagekräftig für die Diagnostik zeigten (Moser Opitz und Ramseier 2012, S. 103). Bei diesen Aufgaben sollen nicht die Fähigkeiten bzgl. der Subtraktion im Vordergrund stehen, weshalb nur sehr einfaches Zahlenmaterial verwendet wird. Aufgabenstellung: Berechne. Lies genau! Aufgabenformat: Aufgaben:

Geschlossene Aufgabe a) 1000 – 10 = b) 1000 – 100 =

Beschreibung:

Es muss erkannt werden, an welcher Stelle Überträge gemacht werden müssen; die Aufgaben enthalten dabei verschiedene Anzahlen von fortgesetzten Entbündelungen: Aufgabe b) weist dabei mit einer Entbündelung (an der Tausenderstelle) eine weniger auf als Aufgabe a) (an der Tausender- und Hunderterstelle) und ist damit als komplexer einzuschätzen als Aufgabe b)

NiS. H:

I, da im Zahlenraum bis 20 000 fortgesetzte Entbündelungsprozesse in Form der Subtraktion durchgeführt werden müssen.

KomS. GS: Aufgaben:

II, da hier die Struktur des Dezimalsystems genutzt werden muss. c) 100000 – 1 = d) 100000 – 1000 =

Beschreibung:

Es muss erkannt werden, an welcher Stelle Überträge gemacht werden müssen; die Aufgaben enthalten dabei verschiedene Anzahlen von fortgesetzten Entbündelungen: Aufgabe d) enthält wie Aufgabe a) zwei Entbündelungen (an der Hunderttausender- und Zehntausenderstelle), ist jedoch aufgrund des höheren Zahlenraums als komplexer einzuschätzen; Aufgabe c) enthält mit fünf Entbündelungen (an der Hunderttausender-, Zehntausender-, Tausender-,

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

239

Hunderter- und Zehnerstelle) die meisten Entbündelungen aller Aufgaben zu diesem Thema und ist deshalb wohl die schwierigste NiS. H:

II, da im Zahlenraum bis 1 000 000 fortgesetzte Entbündelungsprozesse in Form der Subtraktion durchgeführt werden müssen.

KomS. GS:

II, da hier die Struktur des Dezimalsystems genutzt werden muss.

Bündeln von Punktmengen Eines der grundlegenden Eigenschaften des dekadischen Stellenwertsystems ist das Bündelungsprinzip, das beschreibt, dass immer die gleiche Anzahl von Einheiten zu Bündeln der nächsthöheren Einheit zusammengefasst wird (vgl. Abschnitt 3.3.1). Der ERT 4+ enthält eine Aufgabe zu diesem Themenbereich, die mithilfe von Abbildungen von Mehrsystemmaterial umgesetzt wurde. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieses Material Schüler:innen auch in höheren Klassenstufen der Sekundarstufe I noch vertraut ist, wurde diese Möglichkeit hier nicht verwendet, weil so eher die Kenntnis des Materials sowie die Fähigkeit dies zu interpretieren abgefragt werden würde, statt der eigentlich interessierenden Fähigkeit. Einen anderen Weg wählten die Autoren und Autorinnen des BASIS-MATH 4–8, indem die Anzahl von Punkten durch Zehnerbündelungen ermittelt werden musste. Der Fokus dieser Aufgabe liegt also vor allem auf der Angabe der richtigen Anzahl und somit auf dem fehlerfreien Zählen, das Vorgehen ist hingegen bereits klar. Die Idee der Aufgabe wird hier aufgegriffen, jedoch verändert, denn die Art der Bündelung ist nicht vorgegeben. Dadurch wird eine vielfältigere Bearbeitungsweise und somit auch ein tieferer Einblick in die Fähigkeit des Bündelns erhofft, da andere Bündelungen und dadurch mehr mögliche Fehlvorstellungen oder Defizite aufdeckbar sind, wenn bspw. jeder Punkt einzeln gezählt wird. Bei der Lösung dieser Aufgaben geht es explizit nicht um das Ermitteln der korrekten Punktanzahl, sondern um die Bewertung der Vorgehensweise. Dabei ist das Antwortformat frei wählbar, indem sowohl Zeichnungen angefertigt oder kurze Erläuterungen angegeben werden können.

240

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Aufgabe:

Aufgabeformat:

Beschreibungsaufgabe (auch ikonisch möglich)

Beschreibung:

Um das Zählen einzelner Punkte bei Schülerinnen und Schülern mit guten Bündelungskompetenzen zu vermeiden, wurde eine hohe Anzahl an Punkten gewählt, sodass ein Abzählen der einzelnen Punkte sehr langwierig und ineffizient ist; Punkt wird gegeben, wenn deutlich wird, dass gebündelt wurde

NiS. H:

II, da hierfür ein sicheres Verständnis des Stellenwertsystems notwendig ist.

KomS. GS:

II, da strukturiertes Zählen verlangt wird.

Verständnis des Stellenwertprinzips Das Stellenwertprinzip ist eines der fundamentalen Prinzipien des Dezimalsystems und im Weiteren auch für das Rechnen mit mehrstelligen Zahlen essenziell. Besonders bei schriftlichen Rechenverfahren, bei denen ausschließlich einzelne Ziffern miteinander stellengerecht verrechnet werden, kommt dieses Prinzip zum Tragen und führt bei Defiziten zu falschen Ergebnissen. In den in Abschnitt 6.1 beschriebenen Testverfahren wird das Stellenwertprinzip meistens durch die Verwendung der Stellenwerttafel bzw. der Zuordnung der Stellenwertbezeichnung vorgenommen (markiere den Hunderter in 2345). Doch das Lösen dieser Aufgaben kann auch anhand von Algorithmen geschehen, indem klar ist, dass die gegebene Zahl von hinten nach vorn in die Stellenwerttafel eingetragen werden muss oder der Hunderter als die dritte Stelle von hinten verstanden und abgezählt wird. Um ein algorithmisches Vorgehen zu verhindern, soll deshalb eine Fehleranalyse durchgeführt und eine Begründung für den Fehler angegeben werden, denn wie bereits in Abschnitt 6.2.1 ermöglicht die Auseinandersetzung mit den Rechenwegen anderer und die Formulierung von Fehlvorstellungen eigene Vorstellungen und Misskonzepte aufzudecken. Dazu wird die schriftliche Addition und damit die am besten verstandene Rechenoperation verwendet (vgl. Abschnitt 3.4 und 4.6), um den Fokus auf die

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

241

Stellenwertaspekte zu legen und eine Überlagerung durch Defizite bezüglich des Operationsverständnisses zu vermeiden. Um eine Begründung aufgrund der Stellenwerte zu erhalten, wurde bereits im Aufgabentext festgehalten, dass die Zahlen falsch untereinandergeschrieben wurden. Denn diese Antwort würde die Frage, wo Antons Fehler liegt, zwar beantworten, jedoch wäre weiterhin unklar, ob der Lernende anhand des Wissens um die Stellenwerteigenschaften oder aufgrund seiner Kenntnisse zum Algorithmus argumentiert. Aufgabe:

Aufgabenformat: Beschreibung:

Erkläraufgabe, Fehleranalyse Der Punkt wird gegeben, wenn anhand der Stellenwerte und nicht mithilfe des Algorithmus korrekt begründet wird

NiS. H:

IV, da zur Lösung dieser Aufgabe ein sicheres Verständnis des Stellenwertsystems basierend auf konzeptuellen Einsichten notwendig ist.

KomS. GS:

V, da Schülerinnen und Schüler dieser Stufe in der Lage sind ihr Vorgehen sicher und nachvollziehbar kommunizieren und begründen zu können.

8.1.2

Aufgaben zum Rechnen mit natürlichen Zahlen

Das Rechnen mit natürlichen Zahlen setzt sich aus dem Operationsverständnis und den Rechenfähigkeiten zusammen. Nach dem Strategy-Change-Modell und der Analyse der Eigenschaften der verschiedenen Rechenverfahren (vgl. Tabelle 3.2) ist die Verwendung von Rechenstrategien auch abhängig von den entwickelten Grundvorstellungen zu einer Rechenart. Dieser Teil des LeDi-Arithmetik enthält demnach Aufgaben zu den Grundrechenoperationen, die bereits nach Abschluss der Grundschule gelöst werden können. Dabei sollen verschiedene Aufgabenformate erprobt werden, um diejenigen zu finden, die das höchste Diagnosepotenzial für die beschriebenen Teilbereiche in sich bergen. Darunter befinden sich einfache Rechenaufgaben, die in den meisten Diagnosetests

242

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

zu finden sind (außer im BASIS-MATH 4–8), jedoch auch die Verwendung von vorgegebenen Lösungsmöglichkeiten und Fehlersuchen, um Fehlvorstellungen aufzudecken sowie Aufgaben, mit deren Hilfe die Rechenstrategien erfasst werden sollen. Für die explizite Erhebung des Operationsverständnisses werden hingegen verschiedene Varianten des Darstellungswechsels erprobt. Rechenfähigkeiten zu Addition, Subtraktion und TTG Die Ergebnisse der Studien zu den Fähigkeiten Rechenschwacher zeigten, dass die Addition die am besten beherrschte Grundrechenart ist, die Subtraktion und besonders das TTG hingegen größere Schwierigkeiten bereiten (vgl. Abschnitt 4.2). Deshalb stehen hier auch die beiden im Fokus. Dazu werden zunächst einfache Rechenaufgaben gestellt, deren Zahlenmaterial so gewählt ist, das typische Fehler auftreten können. Jedoch ist nicht nur interessant, ob die Schülerinnen und Schüler Aufgaben lösen, sondern vor allem wie sie das tun und welche Fehler sie dabei begehen. Um dies innerhalb eines schriftlichen Diagnoseverfahrens zu ermitteln, werden verschiedene Herangehensweisen untersucht. Wie bereits in 6.2.2 beschrieben können Aufgaben im Single-Choice-Format dazu beitragen, Fehlerstrategien aufzudecken, wenn die Distraktoren durch typische Fehlermuster zustande gekommen sind. Inadäquate Rechenstrategien sind so allerdings nicht erkennbar, weswegen im Weiteren ein anderes Format erprobt wird, was die Strategieerfassung in den Fokus nimmt. Hierzu wird ein ähnliches Aufgabenformat verwendet, wie es bereits im Test nach dem diagnostischen Interview KIWIS zur Anwendung kommt (vgl. Abbildung 6.9). Jedes Item besteht dabei aus zwei Teilen: Zum einen müssen die Schülerinnen und Schüler die Rechenaufgabe lösen, zum anderen werden sie aufgefordert die dabei verwendete Rechenstrategie zu reflektieren. Sie müssen diese jedoch in den meisten Fällen nicht beschreiben, sondern aus vorgegebenen typischen Strategien die von ihnen verwendete auswählen. Da Rechen- und Fehlerstrategien bzgl. der Grundrechenarten gut erforscht sind, konnten diese als Antwortmöglichkeiten in Form eines Single-Choice-Formats übertragen werden. Für die Bewertung soll das Vorgehen von Moser Opitz et al. im Basis-MATH verwendet werden, wobei für jede Rechenaufgabe ein Punkt für das richtige Ergebnis verteilt wird. Außerdem kann ein Zusatzpunkt vergeben werden, wenn zum richtigen Lösen der Aufgabe eine elaborierte Lösungsstrategie wie Abrufen innerhalb von drei Sekunden oder Ableiten/Zerlegen verwendet wird. Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten im LeDi-Arithmetik enthalten im Gegensatz zu denen des KIWIS‘ Strategien, die zu falschen Ergebnissen führen. So können mit dieser Herangehensweise auch Gründe für eine fehlerhafte Lösung ermittelt werden, vorausgesetzt die Schülerinnen und Schüler sind in der Lage ihren Lösungsweg mit den vorgegebenen in Einklang zu bringen. So ist es möglich zeitsparend Hinweise

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

243

auf Lösungsstrategien zu gewinnen. Es ist davon auszugehen, dass den Lernenden Aufgaben, bei denen sie Lösungsstrategien angeben müssen, schwerer fallen als einfache Rechenaufgaben oder Ankreuzitems, da hierbei zusätzlich die metakognitive Komponente nach Krathwohl notwendig wird und somit zwei Wissensarten aktiviert werden müssen. Bei Aufgaben zum TTG werden typische Platzhalteraufgaben gestellt. Da hier nicht die Rechenfertigkeiten im Vordergrund stehen, wurde das Zahlenmaterial so gewählt, dass Probleme bei der Suche nach der richtigen Rechenoperation und den Übergängen zwischen den Stellen sichtbar werden. Eine Variante das Diagnosepotenzial einer Aufgabe zu erhöhen, beststeht wie in Abschnitt 6.2.1 beschrieben, im Öffnen von Aufgaben. Eine einfache Möglichkeit ist dabei das Stellen von Umkehraufgaben durch Zielumkehr. Dies verhindert das Abspulen von Algorithmen und erhöht das Potenzial Fehler zu machen, die auf individuelle Misskonzepte zurückgeführt werden können. Dabei ist es möglich eine Vielzahl von Fehlern zu begehen, die durch den Versuch entstehen, eine zweite Aufgabe aus der ersten abzuleiten. Besonders gut geeignet scheint dabei die Subtraktion als nichtkommutative Rechenoperation zu sein, da ein Verständnis für die Subtraktion auch durch die Einsicht erkennbar wird, dass dieses Gesetz hier nicht gilt. So sollen in diesem Themenkomplex verschiedene Aufgabenformate zum Einsatz kommen, um zu erproben, ob tatsächlich geschlossene StandardRechenaufgaben, wie sie in nahezu jedem diagnostischen Verfahren zum Thema vorkommen, am besten geeignet sind oder ob die Verwendung anderer Aufgabentypen einen tieferen Einblick in die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler ermöglicht.

244

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Einfache Rechenaufgaben zu Addition und Subtraktion

Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben. Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

344 + 48 =

Beschreibung:

Addition von einer drei- mit einer zweistelligen Zahl mit Zehnerübertrag im Tausenderraum

Aufgabe:

471 + 352 =

Beschreibung:

Additionen von zwei dreistelligen Zahlen mit Hunderterübertrag

NiS. H:

I, da es sich um eine einfache Additions- und Subtraktionsaufgabe im Zahlenraum bis 20 000 mit Zehner- und Hunderterüberträgen handelt.

KomS. GS:

I, da das kleine Einspluseins beim mündlichen, halbschriftlichen oder schriftlichen Rechnen genutzt werden muss. Überschlagsrechnung oder Abschätzung der Größenbereiche sind nicht gefordert.

Aufgabe:

300 – 98 =

Beschreibung

Subtraktion von einer drei- mit einer zweistelligen Zahl mit Zehner- und Hunderterüberträgen, sehr leicht durch Ergänzen lösbar

Aufgabe:

378 – 287 =

Beschreibung:

Subtraktion im Zahlenraum bis 1000, sehr ähnliches Zahlenmaterial bei Minuend und Subtrahend animiert zu fehlerhaften Lösungen, wie 100; Übertrag an der Hunderterstelle

NiS. H:

II, da es sich um eine Subtraktion im Zahlenraum bis 20 000 mit Entbündelung an der Hunderterstelle handelt.

KomS. GS:

I, da das kleine Einspluseins beim mündlichen, halbschriftlichen oder schriftlichen Rechnen genutzt werden muss. Überschlagsrechnung oder Abschätzung der Größenbereiche sind nicht gefordert.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

245

Single-Choice-Aufgaben zu Addition und Subtraktion

Auf gabenstellung: Berechne. Kreuze das richtige Ergebnis an! Aufgabenformat:

Single-Choice-Aufgabe, geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

2208 + 713 =

Beschreibung:

Addition im Zahlenraum bis 10 000 mit Zehnerübertrag

Lösungsmöglichk.:

9311

Addition ohne Rücksicht auf die Stellenwerte der beiden Zahlen, kann von unauffälligen Schülerinnen und Schülern durch Überschlag sofort ausgeschlossen werden

2921

richtige Lösung

2920

Zählfehler (‒1-Fehler)

29111

Stellenisolierte

Teilschritte,

kann

von

unauffälligen

Schülerinnen und Schülern sofort ausgeschlossen werden

NiS. H: KomS. GS:

2911

Übertrag vergessen

…..

freie (falsche) Antwort möglich

I, da es sich um eine Additionsaufgabe im Zahlenraum bis 20 000 handelt. I-II, da das kleine Einspluseins beim mündlichen, halbschriftlichen oder schriftlichen

Rechnen

genutzt

werden

muss.

Zwar

wird

keine

Überschlagsrechnung oder Abschätzung der Größenbereiche explizit gefordert, jedoch können Distraktoren durch diese Strategien ausgeschlossen wer-den, weswegen es auch der Stufe II zugeordnet werden könnte. Aufgabe:

89 – 75 =

Beschreibung:

Subtraktion im Zahlenraum bis 100, keine Überträge

Lösungsmöglichk.:

41

Stellenwerte vertauscht, kann von unauffälligen Schülerinnen

14

richtige Lösung

6

Fehlerhafter Zwischenschritt (80 – 70 = 10, 9 – 5 = 4

15

Zählfehler (+1-Fehler)

…..

freie (falsche) Antwort möglich

und Schülern sofort ausgeschlossen werden

10 – 4 = 6

NiS. H:

I, da es sich um eine Subtraktionsaufgabe im Zahlenraum bis 20 000 ohne Entbündelungen handelt.

246 KomS. GS:

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

I-II, da das kleine Einspluseins beim mündlichen, halbschriftlichen oder schriftlichen

Rechnen

genutzt

werden

muss.

Zwar

wird

keine

Überschlagsrechnung oder Abschätzung der Größenbereiche explizit gefordert, jedoch können Distraktoren durch diese Strategien ausgeschlossen wer-den, weswegen es auch der Stufe II zugeordnet werden könnte.

Aufgabe:

124 – 36 =

Beschreibung:

Subtraktion im Zahlenraum bis 1000, Zehner- und Hunderterüberträge

Lösungsmöglichk.:

188

Übertrag an falscher Stelle, kann von unauffälligen Schülerinnen und Schülern sofort ausgeschlossen werden

NiS. H:

112

Wechsel der Rechenrichtung bei der Zehner- und Einerstelle

92

Wechsel der Rechenrichtung bei der Einerstelle

88

richtige Lösung

…..

freie (falsche) Antwort möglich

II, da es sich um Subtraktionen im Zahlenraum bis 20 000 mit fortgesetzten Entbündelungen handelt.

KomS. GS:

I-II, da das kleine Einspluseins bei mündlichen, halbschriftlichen oder schriftlichen Rechenarten genutzt werden muss. Es wird zwar keine Überschlagsrechnung oder Abschätzung der Größenbereiche explizit gefordert, jedoch können Distraktoren durch diese Strategien ausgeschlossen wer-den, weswegen es auch der Stufe II zugeordnet werden könnte.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

247

Additions,- Subtraktions- und Ergänzungsaufgaben mit Strategieerfassung Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben! Wie hast du gerechnet? Kreuze an! Aufgabenformat:

Rechnungen: geschlossene Aufgabe, Strategieauswahl: offene Aufgabe im Single-Choice-Format

Aufgabe:

66 + 44 = _____

Beschreibung:

Addition im Zahlenraum bis 1000, lädt zur fehlerhaften Lösung 100 ein, Überträge an allen Stellen

Lösungsmöglichk.:

Ich rechne schriftlich: +66 44

Abruf prozeduralen Wissens, als unreife

Da muss ich nicht rechnen

Abrufen; 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung,

Hilfsstrategie

Das sehe ich gleich.

kann jedoch auch bei der Lösung 100 angekreuzt werden

Ich addiere erste die

Schriftlich im Kopf gerechnet

Zehner, dann die Einer. Ich rechne erst 66 + 40 und dann noch vier dazu

Verwendung des TTG-Konzepts Kompetenzstufe V des Modells von Fritz und Ricken; 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

Ich zähle jeweils von

Zählstrategie, Kompetenzstufe 2 im FEB-

6 vier weiter: 7, 8, 9, …

Modell

Ich rechne anders und

Mögliche andere Lösung, kann anschließend

zwar so:

von der Lehrkraft auch in eine der anderen Kategorien eingeordnet werden, wenn gleiche Strategie verwendet wurde.

Aufgabe:

64 – 25 = ___

Beschreibung:

Subtraktion im Zahlenraum bis 100 mit Zehnerübertrag

Lösungsmöglichk.:

Ich rechne 60 – 20 und

Wechsel der Rechenrichtung an Einerstelle

5 – 4. Ich rechne 60 – 20 und

Zerlegen; 1 Zusatzpunkt

4 – 5. Ich rechne erst 60 – 20 und Fehlerhafter Zwischenschritt 60 – 20 = 40 dann 40 – 9.

40 – (4 + 5)

60 – 20 – 9

248

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Ich rechne schriftlich: −64 25 Abruf prozeduralen Wissens, als unreife Hilfsstrategie Ich zähle erst in 10er-

Zählstrategie, Kompetenzstufe 3 des

FEB- Schritten rückwärts und

Modells, da mit Verknüpfung der

Kardinalität ziehe dann noch die Einer ab. Ich rechne 64–20, dann

Verwendung des TTG-Konzepts

ziehe ich erst 4, dann 1 ab.

Kompetenzstufe V des

FEB-Modells;

1

Zusatzpunkt bei korrekter Lösung Ich rechne anders und

Mögliche andere Lösung, kann anschließend

zwar so:

von der Lehrkraft auch in eine der anderen Kategorien eingeordnet werden, wenn gleiche Strategie verwendet wurde.

NiS. H:

I, da es sich um einfache Additions- und Subtraktionsaufgabe im Zahlenraum bis 20 000 handelt. Bei der Subtraktion ist nur eine Entbündelung nötig. Reflexionen über eigene Vorgehensweisen werden nicht im Modell erwähnt.

KomS. GS:

I, da es sich bei den Rechenaufgaben lediglich um Erweiterungen des Einspluseins handelt, wobei sie durch halbschriftliches Rechnen problemlos gelöst werden können. IV, für die Auswahl der Strategie, da eigene Vorgehensweisen beschrieben oder fremde Lösungswege verstanden und reflektiert werden müssen, was bei der Auswahl der verwendeten Strategie notwendig wird.

Platzhalteraufgaben zum TTG Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben, ergänze die Lücken! Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

___ + 87 = 99

Beschreibung:

Die Ausgangsmenge wird gesucht; Zahlenmaterial im Zahlenraum bis Hundert ohne Überträge

Aufgabe:

199 + ___ = 1000

Beschreibung:

Die Austauschmenge ist gesucht; Zahlenmaterial im Zahlenraum bis 1000; es

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

249

finden sich Überträge an allen Stellen; ein häufiger Fehler ist die Ergänzung zum nächsten Hunderter NiS. H:

I, da es sich hierbei um Platzhalteraufgaben zur Addition im Zahlenraum bis 20 000 handelt.

KomS. GS:

I, da der Zusammenhang von Addition und Subtraktion bei einfachen Rechnungen genutzt werden muss.

Aufgabe:

100 ‒ ___ = 75

Beschreibung:

Die Austauschmenge ist gesucht; Zahlenmaterial im Zahlenraum bis 1000;

Aufgabe:

geläufiges Zahlenmaterial; Überträge an allen Stellen ____ ‒ 9 = 2691

Beschreibung:

Die Ausgangsmenge wird gesucht; Zahlenmaterial im Zahlenraum bis 10000; der Subtrahend ist einstellig; das Ergebnis ist ohne Rechenaufwand ermittelbar; Überträge an Hunderter-, Zehner und Einerstelle

NiS. H:

III, da es sich hierbei um eine Platzhalteraufgabe zur Subtraktion im Zahlenraum bis 20 000 mit Überträgen handelt.

KomS. GS:

I, da der Zusammenhang von Addition und Subtraktion bei einfachen Rechnungen genutzt werden muss.

Umkehraufgabe zur Subtraktion

Aufgaben:

A-Version: Finde zwei Subtraktionsaufgaben mit dem Ergebnis 89. B-Version: Finde zwei Subtraktionsaufgaben mit dem Ergebnis 78.

Aufgabenformat:

Umkehraufgabe

Beschreibung:

Die Zahlen wurden so gewählt, dass Überträge sehr wahrscheinlich sind und somit der Wechsel der Rechenrichtung offensichtlich werden würde

NiS. H:

III, da es sich um eine Umkehraufgabe handelt, die konzeptuelles Verständnis der Subtraktion voraussetzt.

KomS. GS:

II, da ein sicherer Umgang mit der Subtraktion und ggf. auch dem Dezimalsystem zur Lösung der Aufgaben notwendig ist.

Rechenfähigkeiten zu Multiplikation und Division Rechenaufgaben zur Multiplikation und zur Division können in unterschiedliche Teildisziplinen untergliedert werden, die aufeinander aufbauen. Aufgaben zum Verdoppeln und Halbieren gelten als zentral zum Aufbau von Rechenfertigkeiten, da

250

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

sie zur Entwicklung von elaborierten Rechenstrategien aller Grundrechenarten beitragen können (vgl. Abschnitt 3.3.4). Die Schülerinnen und Schüler müssen dabei die Begriffe Verdoppeln und Halbieren in die richtige Rechnung übertagen. Ebenso bildet das kleine Einmaleins die Basis für das Lösen aller Multiplikations- oder Divisionsaufgaben, denn darauf aufbauend können Aufgaben oberhalb dieser einfachsten Rechenaufgaben bearbeitet werden. Items hierzu sollen durch Abruf lösbar sein, sodass zur Erfassung dieses Faktenwissens die Verwendung einfacher Rechenaufgaben genügt, wobei Folgen aus dem kleinen Einmaleins verwendet werden sollen, die bei Rechenschwachen höhere Fehlerquoten hervorrufen (vgl. Abschnitt 3.3.3). Um demgegenüber auch das Verständnis zu erfassen, wird zusätzlich wie bereits bei der Subtraktion eine Umkehraufgabe gestellt, wobei sich aufgrund der nicht geltenden Kommutativität wiederum die Division anbietet. Je nach Zahlenmaterial und mathematischen Fähigkeiten können für das Lösen von Multiplikations- und Divisionsaufgaben unterschiedliche Rechenstrategien verwendet werden. Somit ist nicht nur interessant, ob Aufgaben korrekt gelöst werden können, sondern ebenso wie diese bearbeitet werden. Das Nutzen von Ableitungsstrategien zum Lösen von Multiplikationsaufgaben erfordert zum einen Kenntnisse des kleinen Einmaleins sowie ein Verständnis des Stellenwertsystems. Da rechenschwache Schülerinnen und Schüler in beiden Bereichen Defizite aufweisen, scheint das Einbinden von Stufenaufgaben gewinnbringend. Nach dem Strategy-ChangeModell (vgl. Abschnitt 3.3.4) wird die Wahl einer geeigneten Strategie jedoch nicht nur dadurch beeinflusst, dass das Operations- und Stellenwertverständnis entwickelt ist, sondern auch von anderen Aspekten, wie der Sicherheit, mit der ein Verfahren beherrscht wird, was wiederum mit der Häufigkeit der Nutzung einhergeht. Das bedeutet trotzdem, dass von einem Nichtverwenden einer Rechenstrategie, nicht direkt auf Defizite im Verständnis geschlossen werden kann. Dies zeigen ebenfalls die Ergebnisse der Studie von Moser Opitz, in der auch unauffällige Schülerinnen und Schüler nur selten Strategien wie Hilfsaufgaben oder Ableiten verwendeten. Strategieerfassung, ohne den Schüler bzw. die Schülerin im Lösungsprozess zu beobachten und zu befragen, ist jedoch schwierig. Aus diesem Grund sollen hier verschiedene Aufgabenformate erprobt werden, wie sie bereits im Abschnitt 6.2.2 diskutiert wurden. So wie bei der Addition, der Subtraktion und dem TTG werden Aufgaben zur Strategieerfassung mit Ankreuzitems verwendet. Zum anderen wird ein Single-Choice-Format gewählt, wobei die Distraktoren Probleme beim Stellenwertverständnis und bei der Division sichtbar machen sollen. Eine andere Variante ist die Fehlersuche, bei der die Schülerinnen und Schüler richtige Ergebnisse von falschen zunächst intuitiv, ohne Rechnen unterscheiden sollen und diese anschließend berichtigen. Dabei wird das Zahlenmaterial so gewählt, dass die Aufgaben

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

251

aus denen die korrekten Ergebnisse abgeleitet werden können leicht lösbar sind und somit der Stellenwertaspekt besonders in den Fokus rückt. Verdoppeln/Halbieren Aufgabenstellung: Verdopple die folgenden Zahlen. Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe

Aufgabe:

37

Beschreibung:

Übertrag an der Einerstelle

Aufgabe:

78

Beschreibung:

Überträge an der Einer- und Zehnerstelle

Aufgabe:

167

Beschreibung:

Dreistellige Zahl; Überträge an der Einer- und Zehnerstelle

Aufgabenstellung: Halbiere die folgenden Zahlen. Aufgabe:

76

Beschreibung:

Zehnerziffer nicht halbierbar; isolierte Halbierung der Einerstelle führt zum falschen Ergebnis; Analogie aus Verdopplung von 37 nutzbar

Aufgabe:

246

Beschreibung:

Dreistellige Zahl, da alle Ziffern halbierbar

Aufgabe:

336

Beschreibung:

Dreistellige Zahl; Hunderter- und Zehnerstelle nicht halbierbar; isolierte Halbierung der Einerstelle führt zum falschen Ergebnis

NiS. H:

I, da zur Lösung der Aufgaben nur sehr grundlegendes arithmetisches Wissen notwendig ist.

KomS. GS:

I, da lediglich einfache mathematische Begriffe und Prozeduren verwendet werden. Bekannte Strategien, wie etwa das Verdoppeln, werden auch in größeren Zahlenräumen angewendet (Halbieren wird nicht explizit genannt).

252

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Einfache Multiplikations- und Divisionsaufgaben Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben. Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgaben

Aufgabe:

6∙7=

Beschreibung:

Aufgabe aus dem kleinen Einmaleins; schwierigere Multiplikationsfolge

NiS. H:

I, da die Multiplikationsaufgabe durch Anwendung einer Oberflächenstrategie lösbar ist.

KomS. GS:

I , da es sich um eine Grundaufgabe des kleinen Einmaleins handelt.

Aufgabe:

72 : 9 =

Beschreibung:

Aufgabe aus dem kleinen Einmaleins; schwierigere Malfolge

NiS. H:

I, da es sich um eine Divisionsaufgabe innerhalb des kleinen Einmaleins handelt.

KomS. GS:

I, da es sich um eine Grundaufgabe des kleinen Einmaleins handelt.

Aufgabe:

12 ∙ 4 =

Beschreibung:

Aufgabe, die das kleine Einmaleins überschreitet; durch Zerlegung leicht lösbar, da einfache Malfolgen

NiS. H:

II, da die Lernenden hierfür über bessere Rechenfähigkeiten als in Stufe I verfügen müssen und die Aufgaben nicht durch eine Oberflächenstrategie gelöst werden kann.

KomS. GS:

II, da Einmaleins-Aufgaben auf einen größeren Zahlenraum übertragen werden müssen.

Aufgabe:

60 : 4 =

Beschreibung:

Aufgabe, die das kleine Einmaleins überschreitet; durch Zerlegung leicht lösbar,

NiS. H:

II, da die Lernenden hierfür über bessere Rechenfähigkeiten als in Stufe I

da einfache Malfolgen

verfügen müssen und die Aufgabe nicht durch eine Oberflächenstrategie gelöst werden kann. KomS. GS:

III, da hierfür ein sicherer Umgang mit allen Grundrechenoperationen notwendig ist. Die Division wird in Stufe II noch explizit ausgeschlossen.

Aufgabe:

96 : 12 =

Beschreibung:

Aufgabe, bei der Dividend und Divisor über den Zehnerraum hinausgehen; schriftlich und halbschriftlich lösbar

NiS. H: KomS. GS:

III, da es sich um eine Division durch eine zweistellige Zahl handelt III, da hierfür ein sicherer Umgang mit allen Grundrechenoperationen notwendig ist. Die Division wird in Stufe II noch explizit ausgeschlossen.

Aufgabe:

12 · 0 · 3 =

Beschreibung:

Multiplikation dreier Faktoren; Null als zweiter Faktor, was nach Padberg

NiS. H:

III, da zur Lösung dieser Aufgabe ein konzeptuelles Verständnis der

vermehrt zum Ignorieren der Null führt (vgl. Kapitel 3.3.3)

Grundrechenarten notwendig ist.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen KomS. GS:

253

III, da ein sicherer Umgang mit allen Grundrechenoperationen nötig ist und nicht das Verwenden von halbschriftlichen oder schriftlichen Rechenverfahren, wie in Stufe II verlangt, im Fokus steht.

Aufgabe:

200 : 50 =

Beschreibung:

Stufenaufgabe zur Division, die auf eine einfache Multiplikationsfolge zurückzuführen ist

NiS. H:

II, da Divisionsaufgaben, deren Zahlen mit Nullen besetzte letzte Stellen aufweisen, gelöst werden können.

KomS. GS:

IV, da zur Lösung dieser Divisionsaufgabe Eigenschaften des Dezimalsystems systematisch genutzt werden müssen.

Aufgabe zur Multiplikation und Division mit Strategieerfassung Aufgabenstellung: Löse die Aufgaben. Wie hast du gerechnet? Kreuze an. Aufgabenformat:

Geschlossene

Rechenaufgaben

mit

Single-Choice-Format

zur

Strategieerfassung Aufgabe:

12 · 11 =_______

Beschreibung:

Aufgabe, die das kleine Einmaleins überschreitet; durch Zerlegung leicht lösbar

Lösungsmöglichk.:

Ich rechne schriftlich.

Abruf prozeduralen Wissens, als unreife Hilfsstrategie

Ich rechne 12 · 10 und

Zerlegung; 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

addiere 12. Ich rechne 12·10 und

Falsche Zerlegung aufgrund mangelnden

addiere 11.

Operationsverständnisses

Ich gehe die 11er-Reihe

unreife Hilfsstrategie

durch: 1 · 11 = 11, 2 · 11 = 22, … Ich addiere 12-mal die 11:

Verwendung der Multiplikation als wiederholte

11 + 11 + 11 + 11,…

Addition, unreife Hilfsstrategie

Ich rechne anders

Mögliche andere Lösung, kann anschließend

und zwar so:

von der Lehrkraft auch in eine der anderen Kategorien eingeordnet werden, wenn gleiche Strategie verwendet wurde.

NiS. H:

II, da die Lernenden hierfür über bessere Rechenfähigkeiten als in Stufe I verfügen müssen und die Aufgaben nicht durch eine Oberflächenstrategie gelöst werden kann.

254 KomS. GS:

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

II, da Einmaleins-Aufgaben auf einen größeren Zahlenraum übertragen werden müssen und halbschriftliche Multiplikation in dieser Stufe sicher gelingt. IV, für die Auswahl der Strategie, da eigene Vorgehensweisen beschrieben oder fremde Lösungswege verstanden und reflektiert werden müssen, was bei der

Auswahl der verwendeten Strategie notwendig wird. Aufgabe:

450 : 90 =_______

Beschreibung:

Aufgabe, die das kleine Einmaleins überschreitet; Stufenaufgabe; durch Ableitung leicht lösbar

Lösungsmöglichk.:

Ich rechne 450 : 9 und

Falsche Zerlegung aufgrund mangelnden hänge

an das Ergebnis eine

Operationsverständnisses

Null an. Ich rechne schriftlich.

Abruf prozeduralen Wissens, als unreife Hilfsstrategie

Ich rechne 45 : 9.

Zerlegung; 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

Ich rechne 45 : 9

Falsche Zerlegung aufgrund mangelnden

und hänge eine Null an.

Operationsverständnisses

Ich rechne 90 : 45 und

Verwechseln von Dividend und Divisor und

hänge eine Null an.

fehlerhaftes

Streichen

von

Nullen,

um

vermeintlich leichte Aufgabe zu erzeugen. Ich rechne anders

Mögliche andere Lösung, kann anschließend

und zwar so:

von der Lehrkraft auch in eine der anderen Kategorien eingeordnet werden, wenn gleiche Strategie verwendet wurde.

NiS. H:

II, da Divisionsaufgaben, deren Zahlen mit Nullen besetzte letzte Stellen aufweisen, gelöst werden können.

KomS. GS:

IV, da zur Lösung dieser Divisionsaufgabe Eigenschaften des Dezimalsystems systematisch genutzt werden müssen. IV, für die Auswahl der Strategie, da eigene Vorgehensweisen beschrieben oder fremde Lösungswege verstanden und reflektiert werden müssen, was bei der Auswahl der verwendeten Strategie notwendig wird.

Aufgabe:

___ : 3 = 9

Beschreibung:

Platzhalteraufgabe zur Division innerhalb des kleinen Einmaleins; die Multiplikation muss als Gegenoperation zur Division erkannt werden

Lösungsmöglichk.:

Da muss ich nicht rechnen.

Abruf von Faktenwissen; 1 Zusatzpunkt bei

Das sehe ich gleich.

korrekter Lösung

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen Ich rechne 9 : 3.

255 Falsche Assoziation von 3 und 9, kein Verständnis

des

Zusammenhangs

von

Multiplikation und Division

Ich rechne 9 ∙ 3.

Multiplikation als Umkehrung der Division verstanden, Abruf konzeptuellen Wissens; 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

Ich überlege, welche Zahl durch 3 geteilt 9 ergibt.

Verständnis der Platzhalteraufgabe als Umkehraufgabe, Abruf konzeptuellen Wissens; 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

Ich rechne 3 : 9.

Kein Verständnis der Platzhalteraufgabe als Umkehraufgabe

NiS. H:

Ich rechne anders

Mögliche andere Lösung, kann anschließend

und zwar so:

von der Lehrkraft auch in eine der anderen

II, da es sich hier um eine Platzhalteraufgabe zur Division in eindeutiger Analogie zum kleinen Einmaleins handelt.

KomS. GS:

III, da Beziehungen zwischen Multiplikation und Division genutzt werden müssen. IV, für die Auswahl der Strategie, da eigene Vorgehensweisen beschrieben oder fremde Lösungswege verstanden und reflektiert werden müssen, was bei der Auswahl der verwendeten Strategie notwendig wird.

Aufgabe:

4 ∙___= 96

Beschreibung:

Platzhalteraufgabe zur Multiplikation oberhalb des kleinen Einmaleins; die Division muss als Umkehroperation als Lösungsstrategie erkannt werden

Lösungsmöglichk.:

Da muss ich nicht rechnen. Abruf von Faktenwissen; 1 Zusatzpunkt bei Das sehe ich gleich.

korrekter Lösung

Ich rechne 4 : 96.

Multiplikation als Umkehrung der Division ist bekannt, wurde jedoch falsche Umsetzung/kein Verständnis.

Ich rechne 96 : 4.

Division als Umkehrung der Multiplikation verstanden, Abruf konzeptuellen Wissens, 1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

Ich rechne 4 ∙ 96.

Kein Verständnis der Platzhalteraufgabe als Umkehraufgabe

Ich überlege mir, welche

Verständnis der Platzhalteraufgabe als

Zahl mit 4 multipliziert

Umkehraufgabe, Abruf konzeptuellen Wissens;

256

NiS. H: KomS. GS:

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

96 ergibt.

1 Zusatzpunkt bei korrekter Lösung

Ich gehe die 4er-Reihe

Abruf prozeduralen Wissens als unreife

durch.

Hilfsstrategie

Ich rechne anders

Mögliche andere Lösung, kann anschließend

und zwar so:

von der Lehrkraft auch in eine der anderen

II, da es sich um eine Platzhalteraufgabe zur Multiplikation handelt. III, da Beziehungen zwischen Multiplikation und Division genutzt werden müssen. IV, für die Auswahl der Strategie, da eigene Vorgehensweisen beschrieben oder fremde Lösungswege verstanden und reflektiert werden müssen, was bei der Auswahl der verwendeten Strategie notwendig wird.

Umkehraufgabe zur Division Aufgaben:

A-Version: Finde zwei Divisionsaufgaben mit dem Ergebnis 8. B-Version: Finde zwei Divisionsaufgaben mit dem Ergebnis 9.

Aufgabenformat:

Offene Aufgabe, Umkehraufgabe

Beschreibung:

Verwendung von schwierigeren Divisionsreihen (vgl. Kapitel 3.3.3); der Punkt wird gegeben, wenn zwei korrekte Aufgaben angegeben werden konnten

NiS. H:

III, da es sich um Platzhalteraufgaben handelt, die konzeptuelles Verständnis der Division voraussetzen.

KomS. GS:

III, da ein sicherer Umgang mit Zahlen und Operationen notwendig ist (in Stufe II wird die Division explizit ausgeschlossen) und die Grundaufgaben des mündlichen Rechnens auch in ungewohnten Kontexten angewendet werden können.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

257

Verwenden von Analogien zum Lösen von Stufenaufgaben Aufgabe:

56 : 8 = 7

Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe im Multiple-Choice-Format

Beschreibung:

Einfache Einmaleins-Aufgabe als Grundaufgabe; der Punkt wird nur gegeben,

Kreuze alle Aufgaben an, bei denen dir diese Rechnung hilft.

wenn alle Kreuze richtig gesetzt wurden Lösungsmöglichk.:

65 : 8

Ziffern, nicht Reihenfolge für Rechnung wichtig

560 : 8

richtige Lösung

506 : 8

Dividenden sind keine Stufenzahlen von 56, sehen jedoch auf den ersten Blick und bei Defiziten im Stellenwertverständnis so aus

NiS. H:

5060 : 8

s.o.

5600 : 8

richtige Lösung

II, da hierfür ein gutes Verständnis des Stellenwertsystems und anspruchsvolle Rechenstrategien notwendig sind, mit denen auch die Berechnung größerer Zahlen gelingt.

KomS. GS:

III, da die Eigenschaften des dezimalen Stellenwertsystems genutzt werden müssen.

Fehlersuche Aufgabenstellung: Überprüfe Adas Hausaufgaben. Berichtige, wenn nötig. Aufgabenformat:

Geschlossene Aufgabe, Fehlersuche mit Korrektur, aber ohne Begründung

Aufgaben zur Multiplikation:

Beschreibung:

Aufgaben enthalten je drei Faktoren oberhalb des Einmaleins, um zu verhindern, dass sofort gerechnet, sondern zuvor abgeschätzt wird; es gibt unterschiedliche Stellung der Null, denn nach Padberg treten besonders bei Nullen in der Mitte Fehler auf, während Aufgaben, bei denen die Null am Anfang steht, schnell

258

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

richtig „berechnet“ werden können; die vermeintlich leichtere Aufgabe ist korrekt, um das Erkennen des fehlerhaften Ergebnisses zu erleichtern, der Punkt wird gegeben, wenn falsche Aufgabe richtig korrigiert wurde NiS. H:

III, da zur Lösung dieser Aufgabe ein konzeptuelles Verständnis der Grundrechenarten notwendig ist.

KomS. . GS:

II, da einfache Aufgaben zur Multiplikation im Kopf gerechnet werden können.

Aufgaben zur Division:

Beschreibung:

Stufenaufgaben, die sich auf Grundlage einfacher Einmaleins-Aufgaben ableiten lassen; die vermeintlich leichtere Aufgabe mit je einer Endnull bei Dividend und Divisor ist korrekt, um das Erkennen des fehlerhaften Ergebnisses zu erleichtern; der Punkt wird gegeben, wenn falsche Aufgabe richtig korrigiert wurde

NiS. H:

II, da es sich um Divisionsaufgaben handelt, bei denen die letzten Stellen mit Null besetzt sind und ein gutes Verständnis des Stellenwertsystems und anspruchsvolle Rechenstrategien genutzt werden müssen, mit denen auch die Berechnung größerer Zahlen gelingt.

KomS. GS:

IV, da die Lösungswege anderer Kinder verstanden und reflektiert werden müssen und Eigenschaften des Dezimalsystems beim Rechnen systematisch genutzt werden müssen.

Darstellungswechsel bei der Multiplikation, der Division und dem TTG Studien von Moser Opitz und Ehlert haben gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler zwar gute Vorstellungen bzgl. der Addition und Subtraktion entwickelt haben, jedoch die Punktrechenoperationen und das Ergänzen nicht erklären können. Besonders im achten Schuljahr waren die Unterschiede zwischen den rechenschwachen und den unauffälligen Schülerinnen und Schülern bezüglich der Strichrechnungen nur noch marginal, bei der Punktrechnung konnten diese Unterschiede noch deutlich gefunden werden, wenn sie auch nicht mehr so signifikant waren wie in der fünften Klasse (vgl. Abschnitt 3.3.2 und 3.3.3). Um das Operationsverständnis von Schülerinnen und Schülern zu überprüfen, findet man in bereits erschienenen Testverfahren verschiedene Herangehensweisen: Es wird verlangt, dass die Schülerinnen und Schüler ein Bild zu einer vorgegebenen Aufgabe zeichnen oder eine Rechengeschichte schreiben. Im BASIS-MATH

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

259

4–8 wird den Schülerinnen und Schülern die Wahl gelassen (vgl. Abschnitt 6.1.3). Andere Tests oder Studien erfassen das Operationsverständnis über das Lösen von Textaufgaben, da dieses für die Mathematisierungsfähigkeit essenziell ist und in engem Zusammenhang mit entwickelten Grundvorstellungen stehen (Moser Opitz 2013, S. 205). Allerdings muss man sich die Frage stellen, ob das Lösen von Textaufgaben nicht auch noch im hohen Maße von anderen Faktoren wie Problemlösefähigkeiten oder Textverständnis beeinflusst wird, um das Operationsverständnis valide erfassen zu können. Anknüpfend an diese Aussage werden hier drei verschiedene Aufgabenformate erprobt. So werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert eine Sachsituation zu einer vorgegebenen Rechenaufgabe zu schreiben, was einer Übersetzung von der symbolischen Darstellung in eine Sachsituation entspricht. Des Weiteren wird für die Division ein bisher nicht verwendetes Format getestet, um eine Übersetzung gänzlich ohne die Verwendung algebraischer Sprache zu ermöglichen, indem eine Szene in Form eines Bildes vorgegeben ist und die Schülerinnen und Schüler eine passende Sachaufgabe dazu schreiben sollen. Solche Aufgaben sind den Schülerinnen und Schülern bereits aus der Grundschule bekannt (vgl. Abschnitt 6.2.1). Es besteht die Möglichkeit, dass den Lernenden das Finden einer Lösung durch ein vorgegebenes Szenario leichter fällt und die Lösungshürde kleiner ist, da der kreative Akt, ein Szenario zu erdenken, wegfällt. Auf der anderen Seite besteht immer die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler auf eine andere Grundrechenart als die eigentlich intendierte ausweichen. Bei der Multiplikation und Division wird des Weiteren die Veranschaulichung durch Punktmuster erprobt, da diese direkt mit der Grundvorstellung der räumlichsimultanen Anordnung bzw. mit der Vorstellung der Division als Umkehroperation zur Multiplikation verknüpft ist. Hier steht damit der symbolisch-ikonische Übersetzungsprozess im Vordergrund. Niveaustufen für alle Aufgaben:

NiS. H:

IV, da zur Lösung der Aufgaben ein sicheres konzeptuelles Verständnis der Grundrechenarten vorhanden sein muss.

KomS. GS:

IV, da die Schülerinnen und Schüler zur Lösung dieser Aufgaben begriffliches Wissen sicher und flexibel anwenden müssen.

260

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Darstellungswechsel von der algebraischen Form in eine Sachsituation

Aufgabenstellung: Formuliere je eine Textaufgabe zu folgenden Aufgaben. Aufgabenformat:

Offene Aufgabe, Übersetzung zwischen algebraischer Darstellung und einer Sachsituation

Aufgaben:

3·4 27 – __= 12 20 : 5

Beschreibung:

Sehr einfache Kopfrechenaufgaben, um nicht Rechenfertigkeit abzufragen; der Punkt wird gegeben, wenn Rechnungen mit allen gegebenen Zahlen in eine Sachsituation eingebunden sind und mit der richtigen Rechenoperation verknüpft werden; die Aufgabe muss nicht gelöst werden

Darstellungswechsel vom szenischen Bild zur Textaufgabe

Aufgabe:

Aufgabenformat:

Offene Aufgabe, Übersetzung zwischen realer und mathematischer Welt

Beschreibung:

Divisionsaufgabe wird intendiert; der Punkt wird gegeben, wenn alle gegebenen Zahlen in eine Rechenaufgabe mit passendem Kontext übersetzt wurden; die Aufgabe muss nicht gelöst werden

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

261

Algebraisch- ikonischer Darstellungswechsel

Aufgabenstellung: Zeichne ein passendes Punktmuster zu folgenden Aufgaben. Aufgabenformat:

Offene Aufgabe, Übersetzung zwischen symbolischer und ikonischer Darstellung

Aufgaben:

5·3

Beschreibung:

Sehr einfache Kopfrechenaufgaben mit wenig zeichnerischem Aufwand; da

18 : 6

bereits bei der Aufgabe zum Bündeln Punktmuster verwendet werden, sollten hier keine Verständisschwierigkeiten auftreten; der Punkt wird gegeben, wenn aus der Darstellung die Rechenoperation deutlich wird und Bündelungen vorgenommen wurden; bei der Multiplikation wird auch die Veranschaulichung von 3·5 als korrekt bewertet, wenn eine räumlich-simultane Darstellung gewählt wurde, da nicht eindeutig ist, welche Aufgaben veranschaulicht wurden

8.1.3

Sachaufgaben

Wie bereits oben beschrieben stellen Übersetzungen von Sachsituationen in algebraische Ausdrücke eine weitere Möglichkeit dar Operationsverständnis zu diagnostizieren und bilden eine Grundlage für Modellierungsprozesse, die eine der notwendigen mathematischen Fähigkeiten für Lernerfolg in der Sekundarstufe darstellen (vgl. Abschnitt 3.1). Die Komplexität einer solchen Aufgabe wird dabei durch die zu verwendende Rechenoperation, das Zahlenmaterial und die Konsistenz der Aufgabenformulierung beeinflusst (vgl. Abschnitt 3.3.5). Aus den Studien von Moser Opitz, Humbach, Ehlert und Kolleg:innen sowie Cawley und Kolleg:innen lässt sich ableiten, dass sich zur Diagnostik besonders Aufgaben zum TTG, zur Multiplikation und Division sowie Aufgaben, die Kombinationen mehrerer Grundrechenarten enthalten, eignen, da Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Vergleich zu unauffälligen hier große Defizite zeigen (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.5). Für die Erfassung des TTGs bieten sich vor allem inkonsistente Aufgaben an, bei denen die Rechenoperationen nicht direkt aus dem Text entnommen werden können. Wie bei Textaufgaben üblich wird sowohl eine Rechnung als auch ein Antwortsatz verlangt und der Punkt nur gegeben, wenn beides korrekt ist.

262

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Aufgabenstellung: Löse folgende Textaufgaben. Gib deine Rechnung an und formuliere einen Antwortsatz. Aufgabenformat: Aufgabe:

Geschlossene Aufgabe, Sachaufgabe In der Pause spielen die Kinder auf dem Hof. 15 Kinder gehen. 25 sind noch auf dem Hof. Wie viele waren am Anfang da? ? (nach Fritz und Ricken 2008, S. 57)

Beschreibung:

Sachaufgabe zum Teil-Teil-Ganzes-Konzept, da die Ausgangsmenge gesucht ist; die größte Zahl kann nicht als Ausgangsmenge für die Subtraktion angenommen werden

Aufgabe:

21 Kinder sitzen im Klassenraum. Mia und ihre Freundinnen kommen herein. Nun sind es 26 Kinder. Wie viele Kinder sind dazu gekommen?

Beschreibung:

Sachaufgabe zum TTG, da die Austauschmenge gesucht wird

Aufgabe:

In der Klasse 8b sind 26 Schülerinnen und Schüler. Das sind 4 mehr als in der Klasse 8a. Wie viele Schülerinnen und Schüler sind in der Klasse 8a?

Beschreibung:

Vergleichsaufgabe zur Subtraktion; „mehr“ darf nicht als Addition interpretiert werden

NiS. H: KomS. GS:

I, da es sich um einschrittige Modellierungsaufgaben handelt. III, da die Beziehungen zwischen Addition und Subtraktion systematisch genutzt werden müssen, um Sachsituationen modellieren zu können.

Aufgabe:

Niels hat 15 Sammelkarten, Marie hat fünfmal so viele und noch drei mehr. Wie

Beschreibung:

Kombination von Multiplikation und Addition, wobei die Formulierungen

viele Sammelkarten hat Marie? (angelehnt an Ehlert et al. 2013, S. 253)

konsistent sind; sowohl „fünfmal“ als auch der Ausdruck „mehr“ kann sofort in die richtige Rechenoperation überführt werden Aufgabe:

Aus einem Wasserhahn fließen in 2 Minuten 12 Liter Wasser. Wie viel Liter fließen in 3 Minuten aus dem Wasserhahn?

Beschreibung:

Aufgabe zum Dreisatz; Kombination von Multiplikation und Division; keine sprachlichen Hinweise, welche Rechenoperation zu verwenden ist

NiS. H:

II, da es sich um eine Modellierungsaufgabe mit mehreren Teilschritten handelt. Es muss jedoch nur ein Ergebnis berechnet und Informationen müssen nicht in mehrere Einzelrechnungen übersetzt werden (was Stufe III entsprechen würde).

KomS. GS:

IV, da komplexe Sachsituationen modelliert werden müssen.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

8.1.4

263

Einordnung der Aufgaben in ein theoretisches Niveaustufenmodell

Es fällt auf, dass sich viele Aufgaben lediglich in der ersten und zweiten Stufe des Modells von Humbach einordnen lassen. 50 % der deutschen Zehntklässler:innen lösen hauptsächlich Aufgaben, die diesen Niveaus zuzuordnen sind (vgl. Abschnitt 3.1). Da das Testverfahren LeDi-Arithmetik im unteren Leistungsbereich differenzieren soll, ist es sinnvoll viele Aufgaben zu stellen, die diesen Kompetenzstufen zuzuordnen sind. Da das Niveaustufenmodell der Grundschule im Gegensatz zu dem von Humbach lediglich das Curriculum der ersten vier Jahre widerspiegelt, es sich außerdem um ein feingliedrigeres Modell handelt und auch metakognitive Kompetenzen mit einbezogen werden, ist die Streuung der Aufgaben nach dieser Einordnung größer, wobei die meisten Items den Stufen III und IV zugeordnet werden können. Durch die Einordnung der Aufgaben in die beiden Stufenmodelle können bereits Annahmen über deren Komplexität getroffen werden. Doch wie können die Einordnungen in beide Modelle zu einem sinnvollen Vergleich der Aufgabenschwierigkeiten führen? Zunächst könnten beide zugeordneten Niveaustufen als einzelne, voneinander unabhängige Parameter betrachtet werden, die den Aufgabenanspruch in zwei verschiedenen Ebenen beschreiben. Dies hat den Nachteil, dass eine hierarchische Stufung der Aufgaben nicht durchgeführt werden kann bzw. die Aufgaben nur schwer miteinander verglichen werden können. Dieses Vorgehen scheint auch deshalb nicht sinnvoll, da die in den Modellen beschriebenen Kompetenzen zum Teil deckungsgleich sind und keinesfalls als unabhängig voneinander betrachtet werden können. Es stellt sich also eher die Frage, wie man beide Modelle zusammenführen kann, um einen explorativen Ansatz zur Ermittlung von möglichen Schwierigkeitsgraden der Aufgaben zu erhalten. Beide Modelle weisen Eigenheiten auf, die einen Einfluss auf die Komplexität einer Aufgabe haben, wie der Zahlenraum, in dem gearbeitet wird (vgl. Abschnitt 3.3) oder das Aufgabenformat (vgl. Abschnitt 6.2.2). Zwar bestehen beide aus einer unterschiedlichen Anzahl von Stufen, die oben beschriebenen Aufgaben konnten jedoch in vergleichbar viele eingeordnet werden (in das Modell Humbachs vier, in das der Bildungsstandards fünf), sodass es möglich und sinnvoll erscheint beide Modelle in gleichem Maße bei der Bewertung der konstruierten Aufgaben zu berücksichtigen. Daher bietet sich eine Addition der einzelnen Niveaustufen (Stufensummen) an, da hierdurch gut interpretierbare Ergebnisse entstehen, die Abstände zwischen den Stufen äquidistant sind und somit die beiden ursprünglichen Niveaustufenmodelle gut abgebildet werden, wodurch insgesamt acht unterschiedliche Niveaus identifiziert werden. (Würde man die Subtraktion verwenden, würden sich diese Vorteile ebenso ergeben,

264

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

allerdings wären einige Niveaustufen negativ, was auf den ersten Blick zu einer Interpretation als „negative Kompetenz“ und somit als Defizit führen könnte.) Tabelle 8.1 Theoretische Niveaus der Aufgaben zu natürlichen Zahlen Niveau

Stufensumme

Aufgaben

I

1

Transcodieren (Variante A und B) Transkribieren Bestimmen von Vorgänger und Nachfolger

II

2

Ordnen einfache Rechnungen1 : 344 + 48; 471 + 352 Single-Choice-Aufgaben: 2208 + 713; 89 – 75 Rechnungen zu Strategieaufgaben 66 + 44 und 64 – 25 Platzhalteraufgaben zum TTG: __ + 87 = 99; 199 + __ = 1000 Verdoppeln, Halbieren einfache Rechnungen: 6 · 7, 72 : 9

III

3

Zahlenstrahl Entbündelungen: 1000 – 10 und 1000 – 100 einfache Rechnungen: 378 – 287 und 300 – 98 Single-Choice-Aufgabe: 124 – 36

IV

4

Zahlenreihen ergänzen Entbündelungen: 100000 – 1 und 100000 – 1000 Punktmenge bündeln Platzhalteraufgaben zum TTG: 100 – __ = 75; __ – 9 = 2691 einfache Rechnung: 12 · 4 Rechnung zur Strategieaufgabe 12 · 11 einschrittige Sachaufgaben

V

5

Umkehraufgaben zur Subtraktion Strategieangabe: 66 + 44; 64 – 25 einfache Rechnung: 60 : 4; Multiple-Choice-Aufgabe: Stufenaufgaben finden Fehlersuche: 21 · 0 · 5 = 105 Rechnungen zu den Strategieaufgaben: __ : 3 = 9 und 4 ·__ = 96

VI

6

Umkehraufgaben zur Division einfache Rechnungen: 96 : 12; 12 · 0 · 3; 200 : 50 Fehlersuche: 300 : 60 = 50 mehrschrittige Sachaufgaben Rechnungen zu den Strategieaufgaben: 450 : 90 Strategieangabe 12 · 11; 450 : 90; __ : 3 = 9; 4 ·__ = 96

VII

8

Darstellungswechsel vom szenischen Bild in Textaufgabe Darstellungswechsel von algebraischer Form zur Textaufgabe Ikonisch-algebraischer Darstellungswechsel

VIII

9

Erkläraufgabe zum schriftlichen Addieren

1

meint Rechenaufgaben ohne besondere Anforderungen hinsichtlich des Aufgabenformats, wie bspw. Begründungen oder Strategieangabe.

8.1 Aufgaben zu den natürlichen Zahlen

265

Die Anforderungen steigen hinsichtlich des Zahlenraums sowie der Notwendigkeit konzeptuelles und metakognitives Wissen zu verwenden. So finden sich auf den ersten Stufen vor allem einfache Aufgaben zum Darstellen natürlicher Zahlen und Rechenaufgaben, die durch das Ausführen von Rechenprozeduren sicher lösbar sind. Je größer der Zahlenraum wird, in dem sich bewegt werden muss, desto sicherer müssen diese Prozeduren beherrscht oder Aufgaben auf der Basis von Grundvorstellungen bearbeitet werden. Items, die zwar durch konzeptuelles Wissen leicht korrekt bearbeitet werden können, dieses jedoch nicht aufgrund der Aufgabenstellung explizit gezeigt werden muss, befinden sich vor allem in den Stufen III und IV. Den Divisionsaufgaben wird außerhalb des kleinen Einsdurcheins im Niveaustufenmodell der Bildungsstandards ein erhöhter Schwierigkeitsgrad zugeordnet, weshalb auch einfachere Rechenaufgaben hierzu in der hiesigen Einordnung in höheren Stufen als die anderen Grundrechenarten zu finden sind (V und VI). Den höchsten drei Stufen sind (bis auf die Rechenaufgaben 96 : 12, 200 : 50, 450 : 90 und 12 · 0 · 3) nur Aufgaben, bei denen durch das Aufgabenformat metakognitives oder konzeptuelles Wissen offengelegt werden muss, zugeordnet. Die Einordnung dieser Aufgaben in hohe Niveaustufen war nach den Schwierigkeitsanalysen verstehensorientierter Aufgaben nach dem Modell Krathwohls in Abschnitt 6.2.2 zu erwarten. Die Aufgaben zum Darstellungswechsel auf Stufe VII entsprechen analog der Einordnung in Tabelle 6.2 der Kathwohl‘schen Denkhandlung des Verstehens, während die Aufgabe, bei der die Schülerinnen und Schüler den Fehler bei der schriftlichen Addition erklären müssen, dem Analysieren zugeordnet werden kann und somit die komplexeste Denkhandlung aller entwickelten Aufgaben verlangt, wie es im hiesigen Niveaustufenmodell der Fall ist. Im Gegensatz dazu finden sich auf den ersten drei Stufen ausschließlich Aufgaben aus der einfachsten Denkhandlung Wissen, da sich hier einfache Rechnungen und Prozeduren finden, die kaum Verständnis verlangen und algorithmisch lösbar sind. In den Stufen IV bis V sind sowohl Aufgaben dieser niederschwelligen Denkhandlung zu finden als auch solche, die dem Verstehen (wie bspw. die Aufgaben zum Ergänzen von Zahlenfolgen, bei denen lediglich Abruf von Wissen nicht ausreichend ist) oder dem Anwenden zugeordnet werden können, wie die Sachaufgaben. Diese Einteilung ermöglicht einen Einblick in eine mögliche Staffelung der Aufgaben nach Schwierigkeit, die im empirischen Teil weiter überprüft werden muss, da die Einordnungen durch verallgemeinernde Formulierungen in den verwendeten Stufenmodellen sicherlich nicht für alle Aufgaben zutreffend sind. So werden beispielsweise die Textaufgaben im Kompetenzstufenmodell der Grundschule nur grob beschrieben, Zahlenräume werden nicht konkretisiert, sodass

266

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

alle Aufgaben eines Typs in dieselbe Stufe eingeordnet werden, wobei jedoch durch die Verwendung verschiedener Zahlenräume davon auszugehen ist, dass unterschiedliche Schwierigkeiten vorliegen.

8.2

Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen

Wie bereits bei den Betrachtungen zu den natürlichen Zahlen gezeigt werden konnte, begehen rechenschwache Schülerinnen und Schüler dieselben Fehler wie mathematisch unauffällige Kinder. Diese Fehler treten nur besonders gehäuft und zeitlich zumindest teilweise stabil auf. Studien zu den Fähigkeiten bezüglich der gebrochenen Zahlen konnten allerdings zeigen, dass bei mathematisch unauffälligen Schülerinnen und Schülern ebenfalls große Defizite zu finden sind (vgl. Kapitel 5). Sie arbeiten hauptsächlich auf Grundlage von Algorithmen und zeigen größtenteils Fähigkeiten und Fertigkeiten, die maximal auf der zweiten Stufe des Kompetenzstufenmodells der Bildungsstandards für die Sekundarstufe I eingeordnet werden können. Dementsprechend scheint es nicht sinnvoll Aufgaben zu stellen, die auch mathematisch unauffällige Schülerinnen und Schüler höchstwahrscheinlich nicht lösen können. Im Gegensatz zu den Items bezüglich der natürlichen Zahlen kann somit nicht das Erfassen von Verständnis und Grundvorstellungen im Mittelpunkt stehen. Stattdessen müssen einfache Aufgaben zu Fertigkeiten zur Anwendung kommen, bei denen mathematisch unauffällige Schülerinnen und Schüler meist gute Leistungen zeigen. So werden hier zum größten Teil übliche, einfache Aufgabenformate zu prozeduralem Wissen verwendet. Begründungen, Reflexionen oder Ähnliches werden hingegen kaum verlangt, da davon auszugehen ist, dass diese Aufgaben keine ausreichende Diskrimination zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne ausreichenden mathematischen Basisfähigkeiten zeigen, sodass die Beschreibung von Aufgabenformaten hier nicht sinnvoll ist. Auch eine Zuordnung zu Niveaustufen, wie es im Bereich der natürlichen Zahlen vorgenommen wurde, würde hier keinen Mehrwert bringen: Ein vergleichbares Modell wie das von Humbach existiert bisher zu den gebrochenen Zahlen nicht und eine Einordnung in das Modell der Bildungsstandards für die Sekundarstufe I ist nicht zielführend, da es für diesen Zweck viel zu grob ist und fast alle Aufgaben auf den Stufen I und II zu finden wären. Somit kann hier keine hierarchische Stufung der Aufgabenschwierigkeiten auf theoretischer Basis vorgenommen werden.

8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen

267

Identifizieren von gemeinen Brüchen Hohe Lösungsquoten erzielten in den in Abschnitt 5.1.1 und 5.4 aufgeführten Studien Aufgaben zum Identifizieren und Realisieren von Brüchen, wobei erstere noch bessere Ergebnisse lieferte. Diese Items dienen dazu grundlegendes semantischbegriffliches Denken zu erfassen. Zur Überprüfung der Fertigkeiten im Identifizieren werden zwei verschiedene Aufgaben verwendet, wobei die erste das Verständnis des Bruchs als Teil eines Ganzen und die zweite als relativer Anteil repräsentiert. Zur Vereinfachung der Aufgabe wird vorgegeben, wie die Angabe des Anteils aussehen muss, um auszuschließen, dass der Anteil als Verhältnis dargestellt wird. Aufgabe:

Welcher Anteil ist grau gefärbt? Gib diesen als Bruch an.

Bruch: _________ Beschreibung:

Bruch als Anteil; typische Darstellung in Form eines Rechteckschemas; durch einfaches Abzählen und In-Beziehung-Setzen lösbar

Aufgabe:

Welcher Anteil an Sternen ist schwarz? Gib diesen als Bruch an.

Bruch: _________ Beschreibung:

Bruch als relativer Anteil in bildlicher Darstellung; nach Studien in Kapitel 5.1.1 ist die Aufgabe als leichter einzuschätzen als obige Aufgabe; durch einfaches Abzählen und In-Beziehung-Setzen lösbar

Realisieren von Brüchen Für die gebrochenen Zahlen sind sowohl bildliche Darstellungen wie Rechteckschemata als auch Zahlenstrahle typische Darstellungsformen. Deshalb sollen diese beiden hier zur Anwendung kommen, wobei gemeine Brüche und Dezimalzahlen verwendet werden.

268

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Es sind insgesamt zwei Brüche bildlich darzustellen, die derselben Äquivalenzklasse entstammen. Dies geschieht lediglich als zusätzliche Hilfestellung, um die Aufgabe weiter zu vereinfachen. Es wurde bei der Erstellung dieser Aufgaben jedoch ebenso darauf geachtet, möglichst einfache, jedoch keine Alltagsbrüche zu verwenden, da Studien zeigten, dass solche Aufgaben durch das Abrufen von Alltagswissen lösbar sind (vgl. Abschnitt 5.1.1). Auch die Auswertung der DUDENDiagnosebögen in Abschnitt 5.4.2 zeigte, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler in der Lage sind Brüche wie 21 oder 41 ohne größere Schwierigkeiten, meist unter Rückbezug auf Uhren, darzustellen. Bei den Zahlenstrahlen sind lediglich Anfangs- und Endpunkte gegeben, hilfreiche Unterteilungen müssen erst gefunden werden. Dabei sollte bei der ersten Aufgabe der Zahlenstrahl in vier gleichgroße Teile untergliedert werden, was durch den bekannten Bruch 43 einfach möglich ist. Bei der zweiten Aufgabe ist dieses Vorgehen nicht ohne weiteres möglich, da dann zunächst 1,75 in einen gemeinen Bruch umgewandelt werden müsste, was jedoch aufgrund des einfachen Zahlenmaterials problemlos gelingen kann. Allerdings kann die Aufgabe auch ohne Rückbezug auf die gemeinen Brüche gelöst werden.

Aufgabenstellung: Stelle folgende Brüche zeichnerisch dar! Aufgabe: Beschreibung:

Offeneres Aufgabenformat, da viele verschiedene ikonische Darstellungen gewählt werden können; obgleich es sich um einen Stammbruch handelt ist es ein etwas schwierigerer Bruch, da er nicht durch fortlaufende Halbierung im Kreis darstellbar ist

Aufgabe: Beschreibung:

Zu gleichwertiger Bruch als Hilfestellung; schwieriger Bruch, da sowohl der Zähler als auch der Nenner größer ist

Aufgabenstellung: Zeichne ein, wo sich die dargestellten Zahlen auf dem leeren Zahlenstrahl befinden. Aufgabe:

8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen Beschreibung:

269

Einfacher, aus dem Alltag bekannter Bruch

Aufgabe: Beschreibung:

Einfacher Bruch größer eins, aber in Dezimalschreibweise

Größenvergleich gemeiner Brüche Der Größenvergleich von Brüchen kann sowohl syntaktisch-algorithmisch erfolgen, wenn das Verfahren über das Gleichnamigmachen angewendet wird, als auch semantisch-begrifflich, wenn ausreichend Grundvorstellungen zu den Brüchen ausgebildet sind, um u. a. Strategien wie die Orientierung an einem Referenzpunkt zu nutzen (vgl. Abschnitt 5.1.3). Das Zahlenmaterial dieser Aufgabe wurde so gewählt, dass beide Wege leicht durchgeführt werden können. Schülerinnen und Schüler mit guten Vorstellungen zu Brüchen können die Aufgaben durch bloßes Hinschauen lösen. Damit keine Fehler aufgrund von falscher Interpretation der Vergleichszeichen entstehen, werden diese in der Aufgabenstellung noch einmal erklärt. Aufgabenstellung: Vergleiche die Brüche. Setze das richtige Zeichen ein. (> bedeutet größer als, < kleiner als und = meint gleich) Aufgabe: Beschreibung:

1 3

und

1 4 1

Stammbrüche; aus dem Alltag bekannt; Vorgehen aus den natürlichen Zahlen 4

(Nennervergleich) führt zu falschem Ergebnis Aufgabe: Beschreibung:

4 6

und

2 6

Zwei Brüche mit gleichem Nenner; ein Zählervergleich genügt, damit ist dies die vermeintlich leichteste Aufgabe, da Vorgehen aus den natürlichen Zahlen übertragen werden kann.

Aufgabe: Beschreibung:

4 5

und

5 4

Es sind die gleichen Ziffern enthalten, jedoch ist ein Bruch größer als ein, sodass der Vergleich durch die Orientierung am Referenzpunkt ein schnell durchführbar ist, jedoch auch typische Fehlerstrategien möglich, wie das Fokussieren auf die Differenz der einzelnen Zahlen, die gleich ist, oder die Strategie gleiche Ziffern bedeutet gleichwertiger Bruch

270

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Kürzen gemeiner Brüche Das isolierte Kürzen und Erweitern bereitet den Schülerinnen und Schüler meist wenig Probleme (vgl. Abschnitt 5.1.2). Unsicherheiten treten nur bei bestimmten Zahlenkombinationen oder bei gemischten Zahlen auf. Auf beide Typen wird hier verzichtet, um die Aufgaben so zu gestalten, dass diese für mathematisch unauffällige Lernende gut lösbar sind. Die Rechenvorgänge des Erweiterns und Kürzens sind ausschließlich dem syntaktisch-algorithmischen Denken zuzuordnen. Für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen kann vor allem das Kürzen problematisch sein, da sie die Division in einem neuen Kontext verwenden müssen. Bei Defiziten bzgl. der Division könnten also auch sehr einfache Aufgaben zu Schwierigkeiten führen. Bei der Gestaltung der Aufgaben sind die unterschiedlichen Notationen zu beachten, die beim Kürzen von Brüchen verwendet werden. Es wurde versucht eine Form zu wählen, die für alle Schülerinnen und Schüler eindeutig und klar verständlich ist. Aufgabenstellung: Mit welcher Zahl wurde gekürzt? Ergänze die Lücke. Aufgabe:

5 20

=

1 4

Gekürzt wurde mit:____ Beschreibung:

Sehr leichtes Ermitteln der gesuchten Zahl durch eine eins im Zähler des gekürzten Bruchs möglich

Aufgabe:

8 12

=

2 3

Gekürzt wurde mit:____ Beschreibung: Aufgabe:

Einfache Einmaleins-Reihe muss verwenden werden 20 5

= 4

Gekürzt wurde mit:____ Beschreibung:

Mögliche Probleme durch Vermischung von Brüchen und natürlichen Zahlen

Addition und Subtraktion mit gemeinen Brüchen Die vorliegenden Studien zum Rechnen mit Brüchen zeigen, dass besonders innerhalb der Strichrechenarten Probleme auftreten, da Rechenregeln aus den natürlichen Zahlen nicht übertragen werden können, wie es beispielsweise bei der Multiplikation der Fall ist. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt innerhalb des LeDi-Arithmetik auf den Strichrechenarten. Das Lösen von Subtraktions- und Additionsaufgaben erfolgt nach Studienlage zumeist durch syntaktisch-algorithmisches Denken (vgl.

8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen

271

Abschnitt 5.1.4). Allerdings wurde das Zahlenmaterial so gewählt, dass die Aufgaben auch mithilfe semantisch-begrifflichen Denkens gut gelöst werden können. Um die Items so leicht wie möglich zu halten, wird auf das Kürzen des Ergebnisses verzichtet. Innerhalb der bereits diskutierten Studien erreichten besonders Aufgaben mit gleichnamigen Brüchen hohe Lösungsquoten, gefolgt von Aufgaben mit einfachen ungleichnamigen gemeinen Brüchen (vor allem keine gemischte Zahlen), da für diese die typischen Algorithmen besonders gut trainiert werden und sich deshalb im LeDi-Arithmetik genau solche Aufgaben wiederfinden. Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben. Aufgabe: Beschreibung:

1 6

5

+ = 6

Addition zweier gleichnamiger gemeiner Brüche, die sich zu eins ergänzt; Erweitern ist nicht notwendig, deshalb und durch Addition vermeintlich leichteste Aufgabe

Aufgabe: Beschreibung:

2 3

1

+ = 4

Addition zweier ungleichnamiger Brüche; die Aufgabe ist vor allem algorithmisch lösbar, dann müssen jedoch beide Brüche erweitert werden; Nenner aus leichter Einmaleinsreihe zum Ermitteln des gemeinsamen Nenners

Aufgabe: Beschreibung:

3 5

1

− = 5

Subtraktion zweier gleichnamiger gemeiner Brüche; es ist deshalb nicht nötig die Brüche zu erweitern

Aufgabe: Beschreibung:

3 4

1

− = 2

Subtraktion zweier ungleichnamiger gemeiner Brüche; die Aufgabe ist durch bildliche Vorstellung einfach lösbar, da es sich um Alltagsbrüche handelt; bei einer algorithmischer Bearbeitung muss nur ein Bruch erweitert werden, dazu muss nur eine sehr einfache Einmaleinsreihe verwendet werden

Von-Aufgaben und Prozentrechnung Die Ergebnisse der Analyse der DUDEN-Diagnosebögen sowie die PALMA-Studie zeigen, dass sowohl rechenschwache als auch unauffällige Schülerinnen und Schüler die Multiplikation von gemeinen Brüchen meist sicher beherrschen, was zweifelsohne an der Übernahme der Rechenregeln aus den natürlichen Zahlen liegt (vgl. Abschnitt 5.1.5 und 5.4.2). Die Strategie des getrennten Verrechnens von Zähler und Nenner, die bei der Addition und Subtraktion zu hohen Fehlerzahlen führt, ist

272

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

hier erfolgreich (vgl. Abschnitt 5.1.5). Im Gegensatz dazu gelingt die Interpretation des „von“ als „mal“ besonders rechenschwachen Lernenden meist nicht (vgl. Abschnitt 5.4.2). Wie gut diese Interpretation mathematisch unauffälligen Schülerinnen und Schülern gelingt, wurde bisher nicht eindeutig ermittelt. Innerhalb der Studie Warthas gelang diese Interpretation bei deutlich komplexerer Einbettung des Kontextes in Klasse sieben durchschnittlich 58,6 %, wobei ein deutlicher Abfall zwischen Lernenden von Gymnasien sowie Real- und Hauptschule zu beobachten ist (vgl. Abschnitt 5.1.5). Neben der Wahl der falschen Rechenoperation und Rechenfehlern ist die dritte identifizierte Fehlerquelle das Nutzen der Prozentrechnung als Ausweichstrategie, wenn bspw. 16 als 6 % interpretiert wird. Dies lässt die Vermutung zu, dass die getesteten Schülerinnen und Schüler der siebten Klasse die Prozentrechnung als einfacher als die Bruchrechnung empfinden, da sie viele Aufgaben durch Rechenvorschriften wie den Dreisatz bearbeiten können. Auch hier zeigen die Ergebnisse der DUDEN-Studie sehr große Defizite von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen. In den Aufgaben des LeDiArithmetik geht es um grundlegende Prozentsätze wie 1 % bzw. 10 %, wobei das Zahlenmaterial so gewählt ist, dass Rechenfehler möglichst ausgeschlossen werden und die Aufgaben durch mehrere Vorstellungen zur Prozentrechnung lösbar sind (vgl. Abschnitt 5.3). Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben. Aufgabe: Beschreibung:

1 3

von 24

Einschrittiger Lösungsprozess; Zahlenmaterial einfach; „von“ muss als „mal“ gedeutet werden

Aufgaben: Beschreibung:

2 5

von 10

Bei Verwendung des Operatoraspekts ergibt sich ein zweischrittiger Lösungsweg; einfaches Zahlenmaterial; „von“ muss als „mal“ gedeutet werden

Aufgaben:

10% von 50

Beschreibung:

Sehr einfaches Zahlenmaterial; grundlegender Prozentsatz ohne vorgegebenen Kontext; die Aufgabe ist leicht durch die Operator- und die BedarfseinheitenVorstellung lösbar

Aufgaben:

1% von 200

Beschreibung:

Sehr einfaches Zahlenmaterial; grundlegender Prozentsatz, ohne vorgegebenen Kontext; die Aufgabe ist leicht durch die Operator- und die von-HundertVorstellung lösbar, die Verwendung der Bedarfseinheiten-Vorstellung ist ebenfalls möglich

8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen

273

Gleichwertigkeit von Dezimalzahlen erkennen Hinter diesen Aufgaben steckt das Verständnis dafür, dass sich der Wert einer Dezimalzahl durch das Anhängen von Endnullen nicht verändert, da die letzte Stellenwerte, die mit Nullen besetzt sind, nach dem additiven Prinzip des Stellenwertsystems keine Bedeutung haben. Anders verhält es sich hingegen, wenn andere Stellen mit der Null besetzt sind, da diese analog zu den natürlichen Zahlen als Platzhalter für nicht besetzte, aber zu berücksichtigende Stellen stehen. Das Ankreuzfomat bietet sich hier an, um zu ermitteln, ob die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung der Null an unterschiedlichen Stellen einer Dezimalzahl richtig deuten können, da sie durch dieses Format gezwungen sind, sich auch mit fehlerhaften Lösungen auseinanderzusetzen.

Aufgaben:

Welche Zahlen sind gleich? Kreuze alle richtigen Lösungen an. 0,2 = 0,02 0,2 = 0,20 0,2 = 0,002 0,2 = 0,200

Beschreibung:

Unterschiedliche Stellungen der Null und Anzahl der Stellen, zwei richtige Lösungen müssen gefunden werden

Größenvergleich von Dezimalzahlen Das Vergleichen von Dezimalzahlen setzt ein gutes Verständnis des Stellenwertsystems voraus. Die Übertragung von Strategien aus den natürlichen Zahlen, wie bspw. der Längenvergleich, führt nur in ausgewählten Fällen zum Erfolg (vgl. Abschnitt 5.2). Die Aufgabe ist in Analogie zur Untersuchung von Heckmann in einen Kontext eingebettet, da dies das Lösen einer Aufgabe erleichtern kann.

274 Aufgabe: Lösungsmöglichk.:

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Wer sprang am weitesten? Kreuze an. Cora: 3,65 m

Falsche Lösung; im Alltag bekannte Zahlenkombination

Lea: 3,545 m

länger-ist-größer-Strategie, da von allen Zahlen die

längste;

kein-Komma-Strategie,

da

bei

Nichtbetrachtung des Kommas diese Zahl als Tausenderzahl die größte wäre oder Komma-trenntStrategie, da die Einerstelle bei allen Antworten gleich besetzt ist; da 545 von allen „Zahlen nach dem Komma“

die

größte

ist

und

somit

viele

Fehlerstrategien anwendbar sind, ist dieser Distraktor wohl die häufigste Falschantwort Theo: 3,7 m

kürzer-ist-größer-Strategie, da diese Zahl mit zwei besetzten Stellen die wenigsten hat

Uli: 3,75 m

Richtige Lösung

Rechnen mit Dezimalzahlen Auch beim Rechnen mit Dezimalzahlen soll das Stellenwertverständnis im Mittelpunkt der Aufgabenkonzeption stehen und mit unterschiedlichen Grundrechenoperationen kann dies auf verschiedene Weise überprüft werden. So zeigten die in Abschnitt 5.2 aufgeführten Studien, dass den Schülerinnen und Schülern die Addition im Allgemeinen zwar leichtfällt, es jedoch bei Aufgaben wie 0,3 + 6 vermehrt zu Fehlern kommt, da sie die Verwendung der kein-Komma-Strategie suggerieren und somit deutlich wird, wenn die Einer- und Zehntelstelle als gleichwertig betrachtet werden. Diese Fehlerstrategie, wie auch die Komma-trennt-Strategie, ist durch die Angabe des Unterschieds zwischen zwei Dezimalzahlen erfassbar, indem die Zahlen nach dem Komma als eigenständige Zahlen aufgefasst werden. Da jedoch nicht die Rechenfertigkeit im Fokus stehen soll, wurde Zahlenmaterial ohne Überträge bei der Rechnung gewählt. Die Multiplikation und Division mit Zehnerpotenzen bieten die Möglichkeit zur Diagnostik des Verständnisses des Stellenwertaspekts bei Dezimalzahlen, da diese bei der Multiplikation zu einer Verschiebung der Stellenwerte nach links bzw. bei der Division nach rechts führen. Diese Fähigkeit ist eine wichtige Grundlage für das Kopfrechnen und das halbschriftliche Rechnen und eine Voraussetzung für das verständnisbasierte Multiplizieren bzw. Dividieren von Dezimalzahlen mit natürlichen Zahlen.

8.2 Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen

275

Aufgabenstellung: Löse die folgenden Aufgaben. Aufgabe: Beschreibung:

0,3 + 7 = Die Aufgabe lädt zum Zählen und besonders zur Verwendung der kein-KommaStrategie ein

3+7=1

Aufgaben:

Um wie viel ist 0,75 größer als 0,7? (nach Heckmann 2006, S. 46)

Beschreibung:

Subtraktionsaufgabe, um den Unterschied anzugeben

Aufgaben:

10 ∙ 2,5 =

Beschreibung:

Einfaches Zahlenmaterial; das Ergebnis ist eine natürliche Zahl

Aufgabe:

250 : 100 =

Beschreibung:

Division natürlicher Zahlen durch Zehnerpotenz mit natürlichem Exponenten; die

Aufgabe

ist

durch

Nullen

Streichen

und

„Komma-

Verschiebungsregeln“ lösbar; das Ergebnis ist eine Dezimalzahl

Dichtheit von Dezimalzahlen Ein wichtiger Unterschied zwischen Dezimalzahlen und natürlichen Zahlen ist, dass erstere dicht liegen. Verstehen die Schülerinnen und Schüler Dezimalzahlen jedoch als zwei natürliche Zahlen, die durch ein Komma voneinander getrennt sind, so sind sie nicht in der Lage eine Zwischenzahl zu finden, wenn zwei Dezimalzahlen die gleiche Anzahl von Dezimalstellen besitzen und die letzte Stelle bei der einen Zahl genau um eins größer ist, während alle anderen Stellen gleich sind, da dann keine „natürliche Zahl“ gefunden werden kann, die dazwischen liegt. Nach verschiedenen empirischen Studien fällt es den Schülerinnen und Schülern dabei besonders schwer Zwischenzahlen zu finden, wenn die Dezimalzahlen mehr als eine Nachkommastelle besitzen (Heckmann 2006, S. 122). Damit eine Unterscheidung zwischen Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen und unauffälligen Lernenden festgestellt werden kann, wird hier nur eine Nachkommastelle verwendet. Aufgabe:

Gibt es Zahlen zwischen 2,5 und 2,6? O ja, z. B.______

O nein

Komma als Bezugspunkt Dezimalzahlen unterscheiden sich von natürlichen Zahlen durch ihren Bezugspunkt beim Rechnen. Während bei den natürlichen Zahlen immer von der letzten Stelle ausgegangen wird, bildet bei den Dezimalzahlen das Komma den Orientierungspunkt (vgl. Abschnitt 5.2). Treten hierbei Defizite auf, wird dies besonders beim

276

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

schriftlichen Rechnen deutlich, wenn Zahlen rechtsbündig untereinandergeschrieben und anschließend verrechnet werden, ohne auf die Wertigkeit der einzelnen Stellen zu achten. Eine Fehlersuchaufgabe eignet sich deshalb besonders gut, um die Erkenntnis über den veränderten Bezugspunkt zu diagnostizieren, da sich, wie in Abschnitt 6.2.1 beschrieben, mit den Denkweisen anderer und mit Fehlern auseinandergesetzt werden kann, die dem oder der Lernenden nicht selbst unterlaufen sind. Anders als bei der Fehlerkorrekturaufgabe beim Stellenwertsystem muss hier jedoch keine Erklärung für den Fehler, sondern lediglich eine Berichtigung angegeben werden. Das Zahlenmaterial wurde so gewählt, dass das Ergebnis durch einen Überschlag sehr schnell als falsch bewertet werden kann.

Aufgabe:

Hat Steffen richtig gerechnet? Berichtige, wenn nötig.

Insgesamt konnten somit 28 Einzelitems zu den gebrochenen Zahlen konstruiert werden. Bei den gemeinen Brüchen finden sich vor allem technische Aufgaben und solche zum Darstellungswechsel, während bezüglich der Dezimalzahlen besonders Aufgaben zum Stellenwertverständnis enthalten sind. Verfügen Schülerinnen und Schüler nicht über ausreichende Basiskompetenzen zu den Grundrechenarten, sollten sie bei den Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen große Schwierigkeiten haben, wie anhand der in Kapitel 5 beschriebenen Studienergebnisse deutlich wird. Um Aufgaben zu Dezimalzahlen korrekt zu bearbeiten ist hingegen ein gut ausgebildetes Stellenwertverständnis fundamental. Jedoch zeigen rechenschwache Lernende auch in diesem Bereich Defizite, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die hier beschriebenen Aufgaben gut als zusätzliches Diagnosekriterium bei uneindeutigen Ergebnissen herangezogen werden können.

8.3

Aufgaben zu den ganzen Zahlen

Im Curriculum der Sekundarstufe I findet sich noch ein weiterer Zahlenbereich, der ausführlich in jeder Schulform thematisiert wird: die ganzen Zahlen. Im Gegensatz zu natürlichen und gebrochenen Zahlen sind die Forschungsresultate

8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen

277

auf diesem Gebiet eher gering, da lange Zeit angenommen wurde, dass negative Zahlen aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu den positiven Zahlen keine konzeptuellen Schwierigkeiten aufweisen (Fraenkel 2004, S. 68). Hierzu erschienene Studien stammen vor allem aus dem fremdsprachigen Raum und den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts (z. B. Human und Murray 1987, Murray 1985, Tatsuoka 1983, Peled 1989 und Peled und Kolleg:innen 1991, Mukhopadhyay 1997). Inzwischen beschäftigen sich einige theoretische Untersuchungen mit der Entwicklung des Verständnisses für negative Zahlen und Hürden im Lernprozess (wie z. B. Malle 2007 und Ulovec 2007). Empirische Studien über die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe finden sich hingegen kaum. Es existieren hierzu vor allem fremdsprachige Interview-Studien zu den Fähigkeiten zum Vergleich ganzer Zahlen in spezifischen Kontexten, aus denen keine Hinweise für die Konstruktion geeigneter Aufgaben abgeleitet werden können (z. B. Peled et al. 1989; Thomaidis und Tzanakis 2007)2 . In den letzten Jahren sind lediglich Untersuchungen zu Vorläuferfähigkeiten von Grundschulkindern (Bofferding 2010; Rütten 2015; Schindler 2014) oder zur Konzeption und Effektivität von Unterrichtsmethoden (Beatty 2010; Bruno 2009) erschienen. Demzufolge scheint die Erkenntnisgrundlage zu gering, um daraus eine weitere Zusatzskala kreieren zu können. Um jedoch mehr Einblicke in die Fähigkeiten von besonders leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern zu diesem Thema gewinnen zu können und damit möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt Aufgaben zu diesem Bereich in eine Diagnostik mit einzubeziehen, wurden einige Items zu ganzen Zahlen konzipiert und diese zusammen mit denen der anderen Aufgaben erprobt. Dabei stellte das Stufenmodell von Malle die theoretische Grundlage der Itemkonstruktion dar, da es sich hierbei um das aktuellste Modell zu dieser Thematik handelt. Ergänzt werden soll dies durch die Erkenntnisse der oben erwähnten Auseinandersetzungen zu Grundvorstellungsumbrüchen und Problembereichen. Das Modell nach Malle beschreibt die Verständnisentwicklung der ganzen Zahlen ausgehend von einer fehlerhaften, aus Alltagswissen abgeleiteten Einbettung in die natürlichen Zahlen hin zu einem Verständnis als eigenständiges Denkobjekt in vier Stadien (Malle 2007, S. 52 f.) (Abbildung 8.1):

2

Thomaidis und Tzanakis fragten 30 16-jährige griechische Lernende Folgendes: „If a,b,c are three negative integers, which is the smallest integer that can be added to a,b,c so that all three of them become positive?“ (Thomaidis und Tzanakis (2007, S. 171)). In den Ausführungen Peleds und Kolleg:innen finden sich lediglich vereinzelte Aussprüche aus den Interviews mit 20 US-amerikanischen Schülerinnen und Schülern der sechsten Klasse (vgl. Peled (1991, S. 149 f.)).

278

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Abbildung 8.1 Stadien der Entwicklung negativer Zahlen als eigenständiges Denkobjekt (nach Malle 2007)

Im ersten Stadium sind lediglich einzelne Repräsentanten bspw. als Temperaturangaben oder als Nummerierungen von Kellergeschossen aus dem Alltag bekannt. Negative Zahlen bilden in diesem Stadium statische Zustände ab (z. B. -3°C), Veränderungen können durch sie nicht angegeben werden, es handelt sich um natürliche Zahlen mit einer zusätzlichen Interpretation bzw. einem zusätzlichem Vorzeichen (Malle 2007, S. 53). Die Kinder wissen demnach bereits um die Existenz negativer Zahlen, die links von der Null auf der Zahlengerade zu finden sind, bei -1 beginnen und weitergezählt werden können, indem die „normalen“ Zahlen mit einem Minus davor zu versehen sind (Peled 1991, S. 146). Dabei sind viele Aspekte der natürlichen Zahlen nicht auf negative Zahlen übertragbar. Zwar kann der Maßzahlaspekt (wie bei der Temperatur) erhalten bleiben, jedoch ist der kardinale Zahlaspekt, der für den Umgang mit natürlichen Zahlen als Rechenzahlen fundamental ist (vgl. Abschnitt 3.2), nicht übertragbar, da eine negative Objektanzahl (minus drei Äpfel) keinen Sinn ergibt (Schindler 2014, S. 79; Ulovec 2007, S. 16). Der zweite wichtige Aspekt der natürlichen Zahlen, der Ordinalzahlaspekt (vgl. ebenfalls Abschnitt 3.2), bleibt hingegen auch bei den ganzen Zahlen erhalten, kann jedoch zum Größenvergleich, wie es bei den natürlichen Zahlen möglich war, nur bei einer adäquaten Erweiterung des Zahlenstrahls zur Zahlengerade verwendet werden und steht damit in unmittelbarem Zusammenhang zum zweiten Stadium des Modells von Malle, in der das Ordnen von ganzen Zahlen einen ersten Anstoß zur Objektivierung negativer Zahlen gibt. Da diese keinen kardinalen Zahlaspekt aufweisen, kommt der Zahlengerade zur Repräsentation der negativen Zahlen eine große Bedeutung zu (Schindler 2014, S. 86). Die Veranschaulichung ganzer Zahlen auf der Zahlengerade kann zur Überwindung der Alltagsvorstellungen und damit zur Objektivierung der ganzen Zahlen beitragen, da im Gegensatz zu den intuitiven Vorstellungen der natürlichen Zahlen ein verändertes Verständnis von mehr und weniger entwickelt werden muss (Ulovec 2007,

8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen

279

S. 16). Denn nach dem Alltagsverständnis sind bspw. 300 e Schulden mehr als 100 e Schulden (Malle 2007, S. 53). Stattdessen wird per Definition die fortlaufende Anordnung der ganzen Zahlen gewählt (Malle 2007, S. 54). Fehlerhafte Vorstellungen zur Zahlengeraden und eine Verhaftung in den natürlichen Zahlen können zu ungenügend ausgebildeten Grundvorstellungen zu den negativen Zahlen führen. Schülerinnen und Schüler, die Größenvergleiche durch den Abstand einer Zahl vom Nullpunkt vornehmen, verfügen dabei lediglich über ein devided number line model (Peled et al. 1989, S. 108) (Abbildung 8.2) und tendieren eher dazu Zahlen hinsichtlich ihrer Beträge zu vergleichen, da sie die Abschnitte rechts und links von der Null als voneinander getrennte Bereiche betrachten (Malle nennt dies die spiegelbildliche Anordnung (Malle 2007, S. 54)). Durch ihre Kenntnisse zu den natürlichen Zahlen wissen die Schülerinnen und Schüler: a kommt vor b, bzw. a ist kleiner als b, genau dann, wenn beim Zählen von 0 aus zuerst ‚a’ und dann ‚b’ aufgezählt (genannt) werden. Wird aber beim Vergleichen von 0 aus nach unten/links gezählt [...], so wird gerade die umgekehrte Sicht zugemutet: a kommt vor b bzw. a ist kleiner als b genau dann, wenn beim Zählen von 0 aus zuerst ‚b’ und dann ‚a’ aufgezählt (genannt) werden. Solange das Zählen in dieser Weise auf den Nullpunkt zentriert ist, solange muß die Ordnung der negativen Zahlen widernatürliche Züge tragen. (Winter 1989, S. 23)

Jedoch können Lernende anhand von der dann unverstandenen Regel im negativen Bereich gelten umgekehrte Ordnungsrelationen korrekte Größenvergleiche vornehmen (Peled et al. 1989, S. 108).

Abbildung 8.2 devided number line model in Kombination mit Regelwissen (Peled et al. 1989, 108)

Diese geteilte Ordnungsrelation ist zu überwinden um ein continuous number line modell – das Modell der einheitlichen Zahlengerade zu entwickeln (Peled et al. 1989, S. 108), wodurch kontinuierliches Vorwärtszählen, damit das Verfahren des Abschreitens der Zahlengerade von links nach rechts für den Größenvergleich herangezogen werden kann und somit in Ergänzung an das obige

280

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Zitat von Winter das Vorwärtszählen „[…] wieder mit der Ordnung in Einklang [gebracht wird].“ (Winter 1989, S. 23) (Abbildung 8.3).

Abbildung 8.3 continuous number line model (Peled et al. 1989, 108)

Es ist somit davon auszugehen, dass das Modell der einheitlichen Zahlengerade tragfähiger ist, da es auf einem Verständnis der negativen Zahlen als eigenständige Denkobjekte beruht, während das Modell des geteilten Zahlenstrahls vor allem regelgeleitet und eher im Denken der negativen Zahlen als natürliche Zahlen mit einer zusätzlichen Interpretation verankert ist. So kann auf Grundlage der einheitlichen Zahlengerade folgende Regel formuliert werden: Auf einer Zahlengerade liegt die kleinere Zahl weiter links. Vergleiche ich zwei negative Zahlen miteinander ist demnach die betragsmäßig größere die kleinere der beiden Zahlen. Beim Vergleich zweier Zahlen mit unterschiedlichen Vorzeichen ist dies hingegen immer die negative, unabhängig vom Betrag der Zahlen. In diesem zweiten Stadium nach Malle werden negative Zahlen zwar als Größen und Zählzahlen verstanden, jedoch nicht als Operatoren. Dies folgt in das dritte Stadium, in der bei der Addition und der Subtraktion negativer mit positiver Zahlen eine Unterscheidung zwischen Rechenzeichen und Vorzeichen vorgenommen und verstanden werden muss und dies durch Klammerausdrücke verdeutlicht wird (Malle 2007, S. 54 f.). Dieses Wissen ist nach Beatty fundamental, denn „[…] when coming to understand negative numbers, students must develop an integrated understanding that the minus sign performs several roles, which then leads to an overall understanding of ‘negativity’“ (Beatty 2010, S. 219). Auf Grundlage der alten Vorstellung können zwar Aufgaben wie -20 – 50 oder 20 – 50 gelöst werden, da zumindest noch der Subtrahend als Größe interpretiert werden kann und es sich beim Betrag des Minuenden um eine natürliche Zahl handelt, sodass solche Aufgaben auf Grundlage der Vorstellung negativer Zahlen als natürlicher Zahl mit zusätzlicher Interpretation lösbar sind (Malle 2007, S. 54). Kommt es in einer Aufgabe hingegen zu einer Kombination von Rechenzeichen und Vorzeichen beim zweiten Summanden bzw. Subtrahenden ist diese Vorstellung negativer Zahlen nicht mehr anwendbar. An dieser Stelle kommt es

8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen

281

zur Einführung der Klammerschreibweise, die die Übertragung der Addition und Subtraktion von den natürlichen zu den ganzen Zahlen ermöglicht (Malle 2007, S. 54). Von den Schülerinnen und Schülern wird diese Schreibweise zumeist als unnötig kompliziert empfunden, was darauf zurückzuführen ist, dass diese Notation ein Denken in den (meist noch nicht ausgebildeten) Vorstellungen der ganzen Zahlen voraussetzt (Malle 2007, S. 54). Auch müssen die Vorstellungen des Hinzufügens und Wegnehmens aus den natürlichen Zahlen für die Addition und Subtraktion (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2) zum Teil modifiziert werden. Lediglich bei gleichen Vorzeichen können die Vorstellungen übernommen werden, sodass für die Addition die Regel beim Addieren von Summanden mit gleichem Vorzeichen setzen wir das gemeinsame Vorzeichen und addieren die Beträge formuliert werden kann (Malle 2007, S. 55). Äquivalent kann eine Regel für die Subtraktion zweier Zahlen gleichen Vorzeichens beschrieben werden. Bei verschiedenen Vorzeichen führt die Addition, auch im Gegensatz zu den positiven gebrochenen Zahlen, nicht mehr zu einer stetigen Vergrößerung. Die Subtraktion verkleinert hingegen die Ausgangszahl nicht, wenn von dieser eine negative Zahl subtrahiert wird (Ulovec 2007, S. 16). Somit ist hierfür eine veränderte Regel notwendig: Beim Addieren von Summanden mit verschiedenen Vorzeichen setzen wir das Vorzeichen der Zahl mit dem größeren Betrag und subtrahieren den kleineren Betrag vom größeren (Malle 2007, S. 55). Das Festhalten an alten Deutungen der Rechenoperationen, die starke Abwehr der Klammerschreibweise sowie die fehlerhafte Interpretation der negativen Zahlen sind für Malle typische Hürden für das Erreichen des dritten Stadiums (Malle 1987, S. 202). Im vierten und letzten Stadium, der Multiplikation negativer Zahlen, findet dann der endgültige Anstoß zur Objektivierung statt. Die Vorzeichenregeln sind nicht mehr aufgrund von Alltagsvorstellungen verstehbar (die Multiplikation von Schulden ergibt ein Guthaben), da es sich um definitorische Festlegungen handelt (Malle 2007, S. 57), sodass folgende Regeln für die Multiplikation (und äquivalent für die Division) formuliert werden können: Multipliziert man zwei Zahlen mit dem gleichen Vorzeichen ist das Produkt stets positiv bzw. multipliziert man zwei Zahlen mit unterschiedlichem Vorzeichen ist das Produkt stets negativ. Die Vorstellungen der Multiplikation als wiederholte Addition und als von-Deutung sind bei den ganzen Zahlen nur noch für den Spezialfall aufrecht zu erhalten, bei denen der Multiplikator eine natürliche Zahl ist (das Dreifache von -3 bzw. drei mal -3) (Ulovec 2007, S. 16) und da die kardinale Vorstellung nicht mehr für die negativen Zahlen tragbar ist, steht auch die räumlich-simultane Anordnung nicht zur Verfügung, da diese auf der Darstellung der Objekte, die eine Menge beschreiben, aufbaut. Ähnliches gilt für die Division: Zwar ist es möglich 12 e

282

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

Schulden auf vier Personen zu verteilen ((-12) : (+3)), die Gesamtmenge, die aufge- oder verteilt werden soll, kann demnach negativ sein, die Anzahl der Bündel sowie die Anzahl der in einem Bündel enthaltenen Einheiten muss hingegen eine natürliche Zahl sein. Zusammenfassend zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler bereits über Alltagserfahrungen zu negativen Zahlen verfügen. Um ein Verständnis der ganzen Zahlen als eigenständiges Denkobjekt zu entwickeln, muss zwar auf diesen Alltagsvorstellungen aufgebaut werden, jedoch ist das Ziel der schulischen Auseinandersetzung die Überwindung dieser Konzepte, um ganze Zahlen als abstrakte mathematische Objekte verstehen zu können. Diese Überwindung scheint eine Hürde im Lernprozess darzustellen, die besonders rechenschwachen Schülerinnen und Schülern womöglich nicht gelingt, da sie, wie bereits bei den gebrochenen Zahlen, verstärkt dazu neigen, in den natürlichen, aus dem Alltag wohl bekannten Zahlen verhaftet zu bleiben (vgl. Abschnitt 5.4). Es ist deshalb zu erwarten, dass Aufgaben, die nicht mehr mit Alltagsdenken lösbar sind, bzw. bei denen dies zu falschen Ergebnissen führt, besonders problematisch sind, wie die Strichrechenarten unter Verwendung der ausführlichen Schreibweise mit Klammerausdrücken, oder der Vergleich zweier negativer Zahlen (3 e sind mehr Schulden als 1 e). Da diese Lernenden bereits bei der Multiplikation und Division natürlicher Zahlen große Defizite zeigen, ist davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage sind entsprechende Aufgaben im Bereich der ganzen Zahlen erfolgreich zu bearbeiten. Aus diesem Grund wurden Aufgaben zu den Stadien eins bis drei konzipiert. Einzeichnen von Zahlen auf der Zahlengerade Der Zahlenstrahl und im Weiteren die Zahlengerade sind für alle Zahlenbereiche geeignete, im Unterricht viel verwendete Anschauungsobjekte. Auf der Grundlage intuitiver Vorstellungen, entwickelt aus Alltagserfahrungen mit Thermometern oder Stockwerken, können bereits im ersten Stadium nach Malle negative Zahlen identifiziert werden. Ohne einen Sachkontext gelingt dies hingegen erst im zweiten Stadium, wenn die Zahlengerade auch zum Vergleichen von Zahlen herangezogen wird. Ein fester Bezugspunkt für das Bearbeiten von Aufgaben am Zahlenstrahl ist bereits bei den natürlichen und (positiven) gebrochenen Zahlen die Null, die hier den Anfang markiert. Bei den negativen Zahlen hat dieser Punkt eine andere Bedeutung, da er den Spiegelpunkt der Zahlengerade markiert und die Interpretation der negativen Zahl als Abstand vom Nullpunkt in Zusammenhang mit einer Richtung beschreibt. Dies ist die Erweiterung der natürlichen Zahlen, bei denen Zahlen auch als eine Position auf der Zahlengeraden verstanden werden müssen, die sich in eine Zahlenkette eingliedert und so Vorgänger und Nachfolger aufweist.

8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen

283

Für dieses Verständnis sind im LeDi-Arithmetik Aufgaben enthalten, bei der die Null tatsächlich den Spiegelpunkt des Zahlenstrahls bildet; dazu sollen zwei Zahlen an der Zahlengerade markiert werden, die denselben Betrag aufweisen. Zusätzlich sind jedoch Aufgaben enthalten, bei denen die Orientierung am Nullpunkt als Spiegelpunkt nicht stattfinden kann, da die Zahlengerade in positiver Richtung kürzer ist, als in negativer Richtung, sodass es passieren kann, dass die jeweilige Zahl an der falschen Stelle eingezeichnet wird. Allerdings sind die meisten Schülerinnen und Schüler solche Darstellungen gewöhnt, denn auch Thermometer, Höhenprofile und andere typische Darstellungen sind diesbezüglich meistens unsymmetrisch. Aufgaben:

Markieren die Stelle, an der sich die jeweilige Zahl auf der Zahlengerade befindet.

Beschreibung:

Die Aufgabe gilt als korrekt gelöst, wenn die Zahl an der richtigen Stelle ± 5% des Abschnitts des richtigen Vorzeichens eingezeichnet ist

Ganze Zahlen vergleichen Im zweiten Stadium nach Malle kommt es zu ersten kognitiven Konflikten zwischen dem Alltagswissen bezüglich den negativen Zahlen und den mathematischen Definitionen (Malle 2007, S. 54). Aufgaben zum Vergleichen ganzer Zahlen können vier verschiedene Kombinationen haben, da sowohl der Betrag der Zahl als auch das Vorzeichen eine wichtige Rolle spielen. Der Vergleich zweier positiver Zahlen gehört dabei zum Bereich der natürlichen Zahlen und wurde bereits an anderer Stelle erörtert. Eine zweite (einfache) Möglichkeit, die keine Grundvorstellungsumbrüche notwendig macht, ist der Vergleich einer positiven und einer negativen Zahl, bei der

284

8

Die Aufgaben des LeDi-Arithmetik

die positive Zahl betragsmäßig die größere ist. Hier können die Vorstellungen aus den natürlichen Zahlen übernommen werden, dieselbe Strategie führt zum richtigen Ergebnis und korrekte Ergebnisse sind auch durch ein devided number line model ohne zusätzliche unverstandene Regelanwendung korrekt lösbar. Schwieriger ist es, wenn zwei Zahlen unterschiedlicher Vorzeichen verglichen werden sollen, bei denen die negative Zahl absolut gesehen größer ist als die positive. Zwar können die Zahlen nicht hinsichtlich ihrer Beträge verglichen werden, allerdings führt der Vergleich nach Vorzeichen hier zum richtigen Ergebnis. Auf Grundlage der Regel positive Zahlen sind immer größer als negative kann solch eine Aufgabe ohne weiteres gelöst werden. Der wohl schwierigste Fall ist der, bei dem beide Zahlen ein negatives Vorzeichen aufweisen, da alle bis hier beschrieben Strategien zum Vergleichen von Zahlen scheitern und auch die Verwendung von Alltagswissen hier nicht zum Erfolg führt. Aufgabenstellung: Vergleiche die Zahlen. Setze das richtige Zeichen ein. (> bedauert größer als, < kleiner als und = meint gleich) Aufgabe:

-2 6

Beschreibung:

Die betragsmäßig größere Zahl ist auch tatsächlich größer; der Vergleich nach Vorzeichen ist möglich und die Lösung damit bereits auf Stadium 1 möglich

Aufgabe:

-3

Beschreibung:

Der Vergleich nach Vorzeichen ist nicht möglich; die Lösung ist über

-10

Regelanwendung oder anhand des continiuos number line models ermittelbar und erst ab Stadium 2 möglich Aufgabe:

-10 1

Beschreibung:

Der Vergleich nach Vorzeichen ist möglich; die betragsmäßig kleinere Zahl ist größer

Addition und Subtraktion mit ganzen Zahlen Die Addition und Subtraktion von rationalen Zahlen bildet das dritte Stadium im Modell nach Malle. Dabei müssen die Schülerinnen und Schüler die Unterscheidung zwischen Rechenzeichen und Vorzeichen verstehen und wie damit einhergehende Rechenregeln anzuwenden sind. Aufgaben wie 2 – 4 korrekt zu lösen gelingt womöglich besser, da sie mithilfe von Alltagswissen lösbar sind. Anders verhält sich dies mit Aufgaben der Schreibweise (+2) + (−4). Diese Schreibweise macht das Arbeiten mit negativen Zahlen als eigenständiges Denkobjekt notwendig. +2 und −4 müssen nun als eigenständige Zahlen betrachtet werden und erst im

8.3 Aufgaben zu den ganzen Zahlen

285

nächsten Schritt kann die Gleichwertigkeit der beiden obigen Terme festgestellt werden. Aufgabenstellung: Löse folgende Aufgaben. Aufgabe: Beschreibung:

-4 – 2 = Die Aufgabe ist auf Stadium 1 durch Alltagswissen lösbar, da nur der Minuend eine negative Zahl ist; die Vorstellung einer negativer Zahl als eigenes Denkobjekt ist nicht notwendig

Aufgabe:

(+4) + (+2) =

Beschreibung:

Es werden nur Additionszeichen verwendet; mit Wissen aus den natürlichen Zahlen lösbar, da die Rechenzeichen der „alten Schreibweise“ (Malle 2007, S. 55) (4 + 2) der ausführlichen Klammerschreibweise entsprechen, damit können die Vorzeichen ignoriert werden

Aufgabe:

(+4) – (+2) =

Beschreibung:

Subtraktion zweier positiver Zahlen, damit ist die Aufgabe mit Wissen aus den natürlichen Schreibweise“

Zahlen (Malle

lösbar,

da

2007,

S.

die 55)

Rechenzeichen (4



2)

der

der

„alten

ausführlichen

Klammerschreibweise entsprechen; damit können die Vorzeichen ignoriert werden Aufgabe:

(+4) + (-2) =

Beschreibung:

Addition einer positiven mit einer negativen Zahl; die Aufgabe kann nicht ohne Weiteres in die alte Schreibweise übersetzt werden (4 – 2), da es dann zu einer Uminterpretation der Rechenzeichen kommen muss; die Aufgabe kann erst im Stadium 3 gelöst werden

Zusammenfassend wurde insgesamt elf Items zu den ganzen Zahlen konzipiert. Da zu den Fähigkeiten rechenschwacher Lernender bisher keine Ergebnisse vorliegen, ist nicht klar, inwieweit sich diese Aufgaben zur Diagnostik eignen. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass besonders die Items zu Problemen führen werden, die auf Grundlage des Wissen auf Stadium 3 nach dem Kompetenzentwicklungsmodell von Malle zu lösen sind. Ob diese Aufgaben jedoch auch für unauffällige Lernende problematisch sind oder im Gegensatz, die Aufgaben im Allgemeinen zu einfach sind, um zur Diagnostik geeignet zu sein, soll im Weiteren untersucht werden.

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

9.1

Fragestellungen

Auf Basis der theoretischen Überlegungen und empirischer Studien wurden insgesamt 93 Aufgaben aus den Bereichen natürliche Zahlen, gebrochene und ganze Zahlen entwickelt. Nun soll mithilfe statistischer Methoden überprüft werden, welche dieser Aufgaben (besonders der ersten beiden Bereiche) sich zur Diagnostik arithmetischer Basiskompetenzen eignen. Auf der Grundlage der sieben Kriterien für ein Diagnoseverfahren für Rechenschwäche (vgl. Abschnitt 6.1.4) können nun Forschungsfragen bezüglich der quantitativen und qualitativen Analyse formuliert werden: 1. Das theoretische Verständnis von Rechenschwäche/Dyskalkulie muss offengelegt werden. Diesem Punkt wurde bereits am Ende des Kapitels 2.1 sowie zusammengefasst in Kapitel 7 nachgegangen. 2. Das Instrument muss zentrale mathematische Kompetenzen erfassen und die aus den Kompetenzen entwickelten Aufgaben müssen gut zwischen rechenschwachen und unauffälligen Schülerinnen und Schülern unterscheiden. Forschungsfragen: a. Welche Aufgaben unterscheiden gut zwischen Schülerinnen und Schülern mit mangelnden und gut ausgebildeten mathematischen Basiskompetenzen? b. Welche Aufgaben eignen sich, um die Fähigkeiten rechenschwacher Lernender differenziert erfassen zu können? c. Welchen Beitrag leisten dabei Aufgaben aus dem Bereich der gebrochenen Zahlen?

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_9

287

288

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

3. Das Instrument muss für Lehrkräfte anwendbar sein, die keine Expertise auf dem Gebiet der Rechenschwäche aufweisen. 4. Das Instrument muss, da es zur Diagnostik im Klassenverband geeignet sein soll, schnell und einfach anwendbar und auswertbar sein. d. Wie lange dauert die Anwendung und Auswertung des Testverfahrens? 5. Das Instrument muss demnach neben vielen quantitative Elemente auch qualitative Aufgaben beinhalten, um Grundvorstellungen und Operationsverständnis sichtbar zu machen. Forschungsfrage: e. Ist der Einsatz verstehensorientierter Aufgaben für die Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen als gewinnbringend zu bewerten? 6. Es muss erklärt werden, wie man zu Entscheidungskriterien für eine positive Diagnose gelangt. Dies soll, wie in Abschnitt 6.1.4 beschrieben, durch das Erreichen von Niveaustufen geschehen. Forschungsfrage: f. Welchen Niveaustufen können die Aufgaben zugeordnet werden? g. Welche Niveaustufe und Punktzahl kann als Grenzwert für eine Diagnose herangezogen werden? 7. Die Gütekriterien müssen zumindest minimalen Anforderungen entsprechen. Forschungsfrage: h. Erfüllt das Testinstrument mit der bisherigen Stichprobe von 399 Schülerinnen und Schülern die Testgütekriterien? i. Treten Schwierigkeiten bezüglich der Auswertungsobjektivität bei Aufgaben mit offenem Aufgabenformat auf?

9.2

Untersuchungsdesign

9.2.1

Vorgehen

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Schülerinnen und Schüler von Oberschulen, Gesamtschulen und Gymnasien die 93 entwickelten Aufgaben vorgelegt. Um die Verständlichkeit der Aufgabenstellung, die Bekanntheit der Abbildungen sowie erste Eindrücke über die Eignung der Aufgaben zu gewinnen, wurden die Aufgaben in verschiedenen Vorstudien untersucht. Dabei handelte es sich zum einen um eine Interviewstudie mit vier Schülerinnen und Schülern, wobei zwei rechenschwach waren und zwei unauffällige mathematische

9.2 Untersuchungsdesign

289

Leistungen zeigten. Zum anderen wurden die Aufgaben in fünf Realschul- bzw. Gesamtschulklassen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Um im weiteren Verlauf Fehleinschätzungen durch Abschreiben zu verhindern wurden, wie bereits beschrieben, zwei Paralleltestversionen angefertigt. Um die Aufgaben des LeDi-Arithmetik hinsichtlich ihrer Eignung und ihres Niveaus beurteilen zu können, wurde eine Rasch-Modellierung durchgeführt und Items, die keine Modellpassung zeigten noch einmal genauer analysiert, um zu ermitteln, ob die Aufgaben tatsächlich keinen Mehrwert für eine Diagnostik liefern (vgl. Abschnitt 10.2). Auch die verstehensorientierten Aufgaben werden noch einmal auf ihr diagnostisches Potenzial hin überprüft, sodass am Ende dieser Auswertung nur noch Aufgaben erhalten bleiben, deren diagnostischer Nutzen deutlich wird. Um die Güte des daraus entwickelten Testverfahrens überprüfen zu können, sind zudem die letzte Zeugnisnote im Fach Mathematik, die Lehrermeinung, die anhand eines nichtstandardisierten Fragebogens erfasst wurde, ein Vergleichsverfahren zur Diagnostik von Dyskalkulie, dem BADYS 8+ , der das einzige Gruppentestverfahren in dieser Klassenstufe ist (vgl. Abschnitt 6.1.1) sowie die Muttersprache erhoben wurden. Die Bewertung des LeDi-Arithmetik hinsichtlich der Gütekriterien findet sich in Abschnitt 10.3.

9.2.2

Stichprobe

Die Hauptuntersuchung fand von August 2018 bis zum Januar 2019 statt. Die Schülerinnen und Schüler befanden sich demnach am Anfang bis zur Mitte der achten Klasse, sodass sichergestellt werden konnte, dass alle Inhalte, die in den Aufgaben enthalten sind, bereits Bestandteil des Unterrichts waren. Die Stichprobe umfasst 399 Schülerinnen und Schüler aus 21 Klassen in Sachsen. 73,7 % der Untersuchungsgruppe besucht eine Oberschule, wobei 64,9 % einen Realschulabschluss anstreben, 8,8 % hingegen den Hauptschulabschluss. Dabei wurden die Hauptschüler:innen zu einem Großteil in die Realschulklassen integriert. Schülerinnen und Schüler mit geringerem Schulleistungsniveau werden aufgrund einer Bildungsempfehlung in der vierten Klasse mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Oberschule besuchen. Es ist daher zu vermuten, dass potenziell schwächere Schülerinnen und Schüler eher einen Real- oder Hauptschulabschluss anstreben als ein Abitur und somit der Anteil potenziell rechenschwacher Lernender höher ist als an Gymnasien. Aus diesem Grund liegt der Anteil der untersuchten Schülerinnen und Schüler dieser Schulform bei lediglich 26,3 %. Ob dies tatsächlich so ist, wird die Analyse der Schülerleistungen zeigen. Die Schulklassen wurden durch Kontakte zu Mitarbeiterinnen der

290

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

mathematikdidaktischen Abteilung der Universität Leipzig oder von Studierenden rekrutiert, die dort bereits Praktika absolviert hatten. Sechs der 21 Klassen stammen aus Schulen des ländlichen Raums, die übrigen aus mittleren und großen Städten wie Meißen oder Leipzig. Die Verteilung der Geschlechter ist mit einem Anteil von 47,1 % Mädchen und 52,9 % Jungen nahezu ausgeglichen. 31 der untersuchten 399 Schülerinnen und Schüler (7,8 %) haben eine andere Muttersprache als deutsch. Bis auf wenige Ausnahmen aus dem mitteleuropäischen Ausland stammen alle diese Kinder aus arabischsprechenden oder osteuropäischen Ländern. Im Weiteren sollen die Erhebungsinstrumente näher beschrieben werden. Neben den zu erprobenden Mathematikaufgaben, die im Testverfahren LeDiArithmetik in zwei Vergleichsversionen zusammengefasst sind, werden ein weiteres Testverfahren zur Diagnostik von Rechenschwäche (BADYS 8+ ) und ein Fragebogen für Lehrkräfte durchgeführt. Neben weiteren Schülerdaten wie Mathematiknote und Muttersprache werden sie bei der quantitativen Analyse der Aufgaben als Vergleichskriterien herangezogen.

9.2.3

Erhebungsinstrumente

LeDi-Arithmetik, Version A und B Wie bereits beschrieben wurden die Aufgaben in zusammengefasster Form als Leipziger Diagnostikum arithmetischer Basiskompetenzen in der Sekundarstufe I in zwei verschiedenen Versionen untersucht, die sich vor allem in der Reihung der Aufgaben unterscheiden. Jedoch gab es bei einigen Aufgaben auch verändertes Zahlenmaterial, wobei stets darauf geachtet wurde, dass sich die Komplexität der Aufgabe nicht veränderte. Ein Mittelwertvergleich und anschließender MannWhitney-U-Test bestätigt, dass beide Testversionen gleichwertig sind (MA = 42,77; MB = 44,21; unter asymptotische Signifikanz: 0,297). Zur einheitlichen und vereinfachten Auswertung der Diagnosebögen wurde ein Manual angefertigt, in welchem zur Gewährleistung der Auswertungsobjektivität für jede Aufgabe die korrekte Lösung angegeben ist. Bei Aufgaben mit offenem Antwortformat sind sowohl Korrekturhinweise als auch richtige und falsche Beispiellösungen zu finden. Die Rückmeldungen der Korrektor:innen sowie eine stichprobenhafte Überprüfung zeigte, dass, bis auf sehr wenige Ausnahmen, alle

9.2 Untersuchungsdesign

291

Aufgaben richtig korrigiert wurden und damit die Auswertungsobjektivität gegeben ist, was in Abschnitt 10.3.2 noch einmal genauer beschrieben werden soll (vgl. Forschungsfrage i1 ). Ergänzungsfragebogen für Lehrkräfte Als ein weiteres Kriterium zur Validierung der entwickelten Diagnoseaufgaben sollte die Einschätzung der Lehrkräfte über eine mögliche Rechenschwäche ihrer Schülerinnen und Schüler erhoben werden. Da Lehrerinnen und Lehrer in vielen Fällen nicht über umfassendes Wissen zur Thematik verfügen, wurde hierfür ein Fragebogen eingesetzt. In der Ursprungsversion wurde dieser von einer langjährigen Rechenschwächetherapeutin auf Grundlage von Praxiserfahrungen, Theorierecherche und Kooperationen mit anderen Instituten entwickelt und im Rahmen von Lehrerfortbildungen zum Thema Dyskalkulie als Material bereitgestellt. Für den Einsatz innerhalb dieser Datenerhebung wurde der Fragebogen auf Grundlage aktueller Forschungsergebnisse ergänzt sowie überarbeitet und beinhaltet nun vor allem die Komponenten der Kausalmodelle von Moser Opitz und Schipper zu den Ursachen von Rechenschwäche (vgl. Abschnitt 2.2). Insgesamt werden mit diesem Fragebogen 17 typische Auffälligkeiten für Rechenschwäche beschrieben. Zehn Items zeigen Auffälligkeiten auf mathematischer Ebene wie Zahlendreher, Fingerzählen, willkürliches Vermischen von Regeln und erhöhten Zeitbedarf beim Lösen von Aufgaben. Es finden sich aber auch Inhalte auf der individuellen/Subjekt-Ebene wie Konzentrationsschwierigkeiten, Selbstvertrauen und Angst sowie Fragen zum schulischen und außerschulischen Umfeld, z. B. die Rolle in der Klasse oder Probleme im Elternhaus. Alle Items sind in einer Tabelle aufgeführt, in der die Lehrkraft die Möglichkeit hat die entsprechende Aussage mit „ja“, „nein“ oder „keine Angabe“ zu beantworten. Am Ende des Fragebogens wird sie, erneut in Form eines Ankreuzitems, um ein endgültiges Urteil gebeten. Damit der Aufwand für die Lehrkräfte nicht unnötig erhöht wird, sollte der Fragebogen nur für diejenigen Schülerinnen und Schüler ausgefüllt werden, bei denen bereits ein Verdacht auf eine mögliche Rechenschwäche besteht. Bei der Rückgabe der Fragebögen hatten alle Lehrerinnen und Lehrer das Bedürfnis ihre Entscheidungen noch einmal verbal mit der Testleitung zu besprechen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Fragebögen mit bestem Wissen ausgefüllt wurden.

1

Treten Schwierigkeiten bezüglich Auswertungsobjektivität bei Aufgaben mit offenem Aufgabenformat auf?

292

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

BADYS 8+ Die Bamberger Dyskalkuliediagnostik 5–8+ von Gerhild und Franz Merdian sowie Konstanze Schardt wurde erstmals 2012 im PaePsy-Verlag veröffentlicht und ist vom letzten Quartal der Klasse fünf bis zum Ende der Klasse acht (als auch für ältere Schülerinnen und Schüler) als Gruppen- oder Einzeltest anwendbar (Merdian et al., 2012, S. 7). Zurzeit liegt die dritte unveränderte Auflage des Tests vor. Es wird von den Autor:innen als ein förderdiagnostisches Verfahren zur Erfassung von Rechenproblemen beschrieben und soll sowohl eine quantitative Einordnung auf Grundlage von sozialen Normen als auch eine individuelle Förderung mithilfe von beigefügten qualitativen Auswertungsbögen und informellen Ergänzungstests ermöglichen. Dabei ist das Testverfahren auf Grundlage der ICD-10 Definition konzipiert und verwendet zur Diagnostik von Rechenschwäche die Diskrepanz zwischen Intelligenz, die durch ein separates Testverfahren erhoben werden muss, und mathematischer Leistung. Damit handelt es sich um ein psychometrisches Verfahren im Sinne der klassischen Testtheorie (vgl. hierzu Abschnitt 6.1.1). Die Autor:innen unterscheiden zwischen Rechenschwäche und Rechenstörung, wobei als rechenschwach laut BADYS-Manual ein Schüler bzw. eine Schülerin mit einem Prozentrang von unter 25 gilt, als rechengestört ab einem Prozentrang von unter 10 bei einem Abstand von mehr als zwölf T-WertPunkten zu einem Intelligenztest. Damit unterscheidet sich ihre Definition dieser Begriffe von denen von Jacobs und Petermann, die ausschließlich die Differenz zur Intelligenz und nicht die Schwere der mathematischen Defizite als Unterscheidungskriterium verwenden (Jacobs und Petermann 2012, S. 96). Die Einordnung in die Normierungsstichprobe erfolgt anhand von Klassenstufe, Geschlecht und Schulform. Insgesamt besteht das Diagnostikum aus einem Kerntest, der wiederum in fünf Subtests untergliedert ist, sowie drei Zusatzskalen. Da innerhalb der Datenerhebung lediglich die Version für achte Klassen verwendet wurde, soll es im Weiteren nur um diese gehen. Der Kerntest setzt sich hier aus 75 Aufgaben zur Zahlerfassung, Addition und Subtraktion, Geometrie, Multiplikation und Division sowie zur Anwendung von Rechenregeln zusammen, bei denen insgesamt 87 Punkte erreicht werden können. Die theoretische Fundierung bilden zum einen Studien, die die Fähigkeiten von Sekundarschüler:innen betrachten und die zum Teil Grundlage dieser Arbeit sind, wie die von Moser Opitz oder Humbach. Des Weiteren wird sich an Entwicklungsmodellen wie dem von Fritz und Ricken oder Krajewski orientiert. Zusätzlich finden sich viele Querverweise zu kognitionspsychologischen Befunden, die durch Testteile wie denen zum Arbeitsgedächtnis oder zur Geometrie im Test repräsentiert werden. Die Inhalte der einzelnen Subtests sind die folgenden (Merdian et al. 2015a, S. 21) (Tabelle 9.1):

9.2 Untersuchungsdesign

293

Tabelle 9.1 Subtests des BADYS 8+ Subtest

Aufgabengruppen im Test

Anzahl der Aufgaben

Zahlerfassung

Stellenwertsystem Stellenwerttafel, Stellenschreibweise, Zahlverständnis

11

Zahlenraumorientierung Nachbarstellen Zahlenstrahl Addition und Subtraktion

Kopfrechenaufgaben mit mehrstelligen Zahlen mit Zeitbegrenzung Ergänzungsaufgaben mit Zeitbegrenzung Überschlagsrechnung, Schriftliches Rechnen

18

Geometrie

Räumliches Vorstellen Körpernetze, Würfelbauten (Visualisieren) Raumlagebeziehungen Water-Level-task nach Piaget, Verschiebungen, Drehungen (räumliche Rotation), Spiegelungen Operationsbegriffe senkrecht und parallel, Winkel messen

12

Multiplikation und Division

Kopfrechenaufgaben mit mehrstelligen Zahlen mit Zeitbegrenzung Ergänzungsaufgaben mit Zeitbegrenzung Division mit Rest mit Zeitbegrenzung Überschlagsrechnung, Schriftliches Rechnen

18

(Fortsetzung)

294

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

Tabelle 9.1 (Fortsetzung) Subtest

Aufgabengruppen im Test

Anwenden von Rechenregeln

Operationsbegriffe 16 Fachbegriffe des Grundrechnens Gleichungen Zahlen, Rechenzeichen und Klammern ergänzen Angewandtes Rechnen Textaufgaben und Zahlenrätsel

Anzahl der Aufgaben

Brüche und Dezimalbrüche (Zusatz)

Basisaufgaben Brüche erkennen (Rechtecke und Kreise, Zahlenstrahl) Kürzen und Erweitern, Umwandeln von gemeinen Brüchen in Dezimalbrüche

14

Es handelt sich bei allen Items um einfache Aufgaben mit Formaten wie bspw. „Berechne“ oder „Gib an“. Kognitiv anspruchsvollere Aufgabenformate wie Begründungen oder Darstellungswechsel werden nicht verlangt. Im Bereich der Grundrechenarten sind sowohl einfache Rechen- und Umkehraufgaben unter Zeitdruck zu lösen als auch Aufgaben zum Überschlagen und schriftliche Rechenaufgaben. Dabei wird für jedes Item ein Punkt vergeben, wobei jedoch Aufgaben zum schriftlichen Rechnen (0 oder 2 Punkte) und Aufgaben zum Überschlagen (0, 1 oder 2 Punkte) Ausnahmen bilden. Damit wird auf diese Aufgaben ein besonderes Gewicht gelegt, was fraglich ist, da es für die achte Klasse keine Hinweise darauf gibt, dass insbesondere das schriftliche Rechnen und das Überschlagen eine besonders hohe Aussagekraft bzgl. der Rechenschwäche haben. Im Gegenteil zeigte Moser Opitz in ihrer Studie, dass beide Fertigkeiten auch unauffälligen Lernenden meist schwer fällt (vgl. Kapitel 3). Tatsächlich zeigen die Aufgaben zum schriftlichen Rechnen im beigefügten Manual schwache Itemkennwerte. Von den Autor:innen wird jedoch die Wichtigkeit dieses Aufgabentyps als „[…] notwendiger Bestandteil eines Diagnoseinstruments zur Aufdeckung von Rechenschwierigkeiten […]“ (Merdian et al. 2015a, S. 47) betont und so der Verbleib im Test gerechtfertigt.

9.2 Untersuchungsdesign

295

Des Weiteren soll laut Manual mithilfe einfacher Rechenaufgaben überprüft werden, ob die Schülerinnen und Schüler über ein Operationsverständnis verfügen (Merdian et al. 2015a, S. 19 f.). Dies muss kritisch hinterfragt werden, da sich dies besonders an der Fähigkeit des Darstellungswechsels sowie an der Verwendung von Rechenstrategien zeigt (Wartha und Schulz 2011, S. 5), was die gestellten Aufgaben aber nicht abfragen. Tatsächlich finden sich drei Teilaufgaben, bei denen aus einer Wortvorschrift ein Term aufgestellt werden muss, was zwar keinen Darstellungswechsel zwischen den Bruner’schen Darstellungsebenen entspricht, jedoch zwischen der formalen und sprachlichen Ebene, die zusammen die symbolische Darstellung bilden. Die Fähigkeiten zum Rechnen mit natürlichen Zahlen sowie der Umgang mit Rechenregeln werden im Teil „Anwendung von Rechenregeln“ überprüft. Rechengesetze werden dabei durch Klammersetzungen oder Ergänzen von Zahlen oder Rechenzeichen getestet. Des Weiteren lassen sich Aufgaben zur Geometrie finden. Die Inhalte dieses Untertests basieren auf theoretischen Überlegungen, nach denen Rechenschwache Defizite im visuell-räumlichen Bereich aufweisen und die Aufgaben zum Teil Komponenten des räumlichen Vorstellungsvermögens erfassen (Merdian et al. 2015a, S. 13). Studien hierzu aus der Sekundarstufe gibt es nicht. Kajda konnte jedoch Zusammenhänge besonders bei den Komponenten des Visualisierens und des räumlichen Rotierens zur Entwicklung mathematischer Fähigkeiten und zu Rechenschwäche in der Grundschule herstellen (Kajda, 2010). Allerdings erfassen lediglich zwei der zwölf Items eine dieser Fähigkeiten (Würfelbauten), weswegen hier ebenfalls fraglich ist, ob die im Test enthaltenen Aufgaben Prädiktoren für eine mögliche Rechenschwäche sein können. Da der LeDi-Arithmetik Aufgaben zu gebrochenen Zahlen enthält, wurde im Weiteren die Zusatzskala zur Bruchrechnung des BADYS verwendet. Dieser Testteil beinhaltet Aufgaben zum Identifizieren und Vergleichen von gemeinen Brüchen, zum Umwandeln dieser in die Dezimalzahlschreibweise sowie zum Realisieren auf dem Zahlenstrahl. Im Gegensatz zum Kerntest wird hier das Aufgabenformat des Zuordnens verwendet, wodurch acht der 14 Punkte erreichbar sind. Auch wenn dieses Aufgabenformat einfach in der Durchführung ist und als „besondere“ Aufgabenstellung zu einer höheren Motivation beitragen kann, muss hinterfragt werden, ob es sich im Hinblick auf die Einordnung von Schülerleistungen in soziale Normen eignet, da es keine einfache Abstufung der Punktzahlen zulässt. Denn es ist nicht möglich nur einen Fehler zu machen, da beim Vertauschen zweier Antworten immer zwei Punkte abgezogen werden müssen und so die Leistungen des Schülers bzw. der Schülerin nicht im geeigneten Maße erfasst werden können.

296

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

Abschließend kann festgestellt werden, dass das Testverfahren BADYS 8+ Inhalte enthält, deren Eignung durch wissenschaftliche Studien belegt sind (vgl. Kapitel 4). Allerdings muss ebenfalls konstatiert werden, dass die Konzeption des Testverfahrens einige Fragen offenlässt, wie die nach der Auswahl einiger Aufgabeninhalte und -formate, die nicht in Gänze im Manual nachvollziehbar begründet sind. Somit können nicht alle Kriterien erfüllt werden, die Moser Opitz für ein Diagnoseverfahren für Rechenschwäche aufstellt. Dies gilt neben der Begründung für die mathematischen Inhalte auch für die Gütekriterien des Tests. Zwar werden diese im Mindestmaß eingehalten, allerdings zeigen sich bezüglich der im Manual angegebenen Reliabilitäten und Trennschärfen einige kritische Werte (vgl. Merdian et al. 2015a, S. 47 f. und S. 50). Weiterhin sind die Stichprobengrößen für jedes Schuljahr eher als gering einzuschätzen, was besonders im Hinblick auf soziale Normen kritisch zu bewerten ist, die im Fall des BADYS die Gesamtheit der Schülerschaft repräsentieren soll. Ob eine Stichprobe von 128 Schülern der achten Klasse dafür ausreichend ist, scheint fraglich. Dies gilt auch für die Anwendung der Cut-off-Kriterien zur Diagnostik. Entspricht die erreichte Punktzahl den Leistungen der schwächsten 25 % bzw. 10 % wird eine Rechenschwäche bzw. Rechenstörung bescheinigt. Woher diese Prozentangaben kommen wird nicht weiter aufgeführt, allerdings erfüllen dieses Kriterium für gute Diagnoseverfahren von Moser Opitz die meisten anderen Instrumente zum Erkennen von Rechenschwäche ebenfalls nicht (z. B. RZD, ZAREKI oder ERT), da es gängige Praxis zu sein scheint, aufgrund dieser Werte ohne zusätzliche Erklärung zu diagnostizieren. Aufgrund der hier erwähnten Mängel sind die Ergebnisse des BADYS unter Vorbehalt zu interpretieren, wobei jedoch eine Vielzahl von quantitativen Aussagen über die mathematischen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern der achten Klasse getroffen werden können und dieses Diagnoseinstrument somit als Vergleichsverfahren herangezogen werden kann. Wie die beiden Testverfahren LeDi-Arithmetik und BADYS im Unterricht eingesetzt wurden, um die notwendigen Informationen zur Analyse der entwickelten Aufgaben zu gewinnen, soll im Folgenden kurz näher erläutert werden.

9.2.4

Test-Durchführungen

Dank der Unterstützung der Schulen konnten die beiden Diagnoseinstrumente immer in je zwei Doppelstunden bearbeitet werden, zwischen denen immer mindestens zwei Tage lagen, um zu verhindern, dass sich beide Testdurchführungen beeinflussen und somit Auswirkungen auf die Ergebnisse haben könnten. Die Ergänzungsfragebögen erhielten die Lehrkräfte im Voraus, sodass hier ein

9.2 Untersuchungsdesign

297

Einfluss zwischen erzielten Testergebnissen und Lehrermeinung ausgeschlossen werden kann. Die Diagnosebögen wurden unter Aufsicht einer Testleitung durchgeführt, die vorher für diesen Zweck geschult wurde. Neben dieser war zumeist eine Lehrkraft bei der Durchführung anwesend, lediglich in einer Schule wurden die Diagnosebögen nur unter Aufsicht der Testleitung durchgeführt. Bei beiden Tests wurden die im Tagesablauf integrierten Pausen eingehalten, um Ermüdungserscheinungen zu minimieren. In fast allen Fällen wurde zuerst der LeDi-Arithmetik durchgeführt und in der nächsten Doppelstunde der BADYS. Dabei wurde die in den Manualen vorgegebene Vorgehensweise eingehalten. Im Fall des LeDi-Arithmetik begann die Bearbeitung des Diagnosebogens mit einer Aufgabe, bei der Zahlen transkribiert werden müssen, die von der Testleitung dreimal vorgelesen wurden. Nachfragen im Anschluss gab es nicht, sodass davon ausgegangen werden kann, dass Falschlösungen nicht durch Verständnisprobleme zustande gekommen sind. Im Anschluss bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler die Testbögen selbstständig. Inhaltliche Fragen wurden nicht beantwortet. Sobald die Lernenden die Bearbeitung abgeschlossen hatten, wurden die Diagnosebögen bei der Testleitung abgegeben, die diese auf Vollständigkeit überprüfte. Bei nicht gelösten Aufgaben wurden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert diese zu bearbeiten. Sagten die Lernenden, dass sie dies nicht können, wurden die Testhefte eingesammelt und die Bearbeitungszeit notiert. Da es bezüglich der benötigten Zeit große Schwankungen gab, wurden Rätsel bereitgelegt, die im Anschluss gelöst werden konnten, um den Lernenden mit längerer Bearbeitungszeit ein weiteres ruhiges Arbeiten zu ermöglichen. Insgesamt kam es bei den Durchführungen des LeDi-Arithmetik kaum zu Störungen, Unterbrechungen oder anderen Auffälligkeiten, die die Gültigkeit der erhobenen Daten beeinflussen konnten. Die Kontrolle auf Vollständigkeit der Testbögen ist bei der Durchführung des BADYS nicht notwendig, da alle Schülerinnen und Schüler durch die Vorgaben im Manual den Test zur selben Zeit beenden. Jede Aufgabe wird einzeln von der Testleitung vorgelesen und anschließend von den Lernenden gleichzeitig bearbeitet. Die Bearbeitung wird erst fortgesetzt, wenn alle die Aufgabe beendet haben. Vorher fertige Schülerinnen und Schüler können ein beigelegtes Arbeitsblatt bearbeiten, bei denen die Zahlen von 1 bis 100 verbunden werden sollen. Dadurch ist es nicht möglich, dass einzelne Aufgaben vergessen werden. Notwendig ist diese Vorgehensweise auch aufgrund der Speed-Komponente des Tests, bei der von insgesamt vier Aufgabenpäckchen innerhalb einer vorgegebenen Zeit so viele Items wie möglich gelöst werden müssen, wobei nicht leistungsschwache Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, alle Ergebnisse zu berechnen. Da diese Speed-Items nicht hintereinander gelöst werden, müssen

298

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

die Reihenfolge und die Bearbeitungszeit festgelegt und einheitlich sein. Diese Vorgehensweise wurde laut Rückmeldung von Lernenden und von der Testleitung als sehr anstrengend empfunden, da es nach kurzer Zeit schnell zu Unruhen kam, was langsamere Schülerinnen und Schüler zu hetzen schien, sodass es möglich ist, dass Bearbeitungen von Aufgaben vorzeitig abgebrochen worden sind. So musste die Testleitung hier mehr disziplinierend eingreifen, als dies beim LeDi-Arithmetik der Fall war, was die Testergebnisse besonders der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler möglicherweise negativ beeinflusst haben könnte. Dies muss bei der Auswertung und Analyse der Ergebnisse des BADYS´ berücksichtigt werden. Die verwendeten statistischen Methoden, mit denen die erhobenen Daten der Diagnoseverfahren, im Besonderen des LeDi-Arithmetik, zu analysieren sind, sollen im folgenden Kapitel beschrieben werden.

9.2.5

Statistische Methoden

In Abschnitt 6.2 wurden bereits verschiedene Möglichkeiten zur Konstruktion von diagnostischen Testverfahren diskutiert und daraus Forderungen für den LeDi-Arithmetik abgeleitet. Da es sich dabei um ein Testverfahren handeln soll, welches auf Grundlage von Niveaustufen diagnostiziert, erfolgt die Konstruktion und Analyse auf Basis der Item-Response-Theorie. Diese geht davon aus, dass man anhand von messbaren, manifesten Variablen, hier die Schülerlösungen mathematischer Aufgaben, auf das dahinterliegende latente Fähigkeitsoder Persönlichkeitsmerkmal, hier die mathematische Kompetenz, schließen kann (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 228). Dafür müssen die Items so konzipiert sein, dass ausschließlich die latente Variable das Antwortverhalten beeinflusst (Itemhomogenität) (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 299). Es wird davon ausgegangen, dass ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Schwierigkeit des Itmes (σi ) und der Personenfähigkeit (ξi ) vorliegt, der durch eine IC-Funktion ausgedrückt werden kann. Bei der probabilistischen IC-Funktion wird jeder Persönlichkeitsausprägung eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet, mit der der Proband bzw. die Probandin ein bestimmtes Item lösen kann. Die hierfür verwendeten Funktionen und Modelle sind abhängig von der Anzahl der Modellparameter, die für Antwortwahrscheinlichkeit herangezogen werden. Zur Analyse der Aufgaben des LeDi-Arithmetik kommt das Rasch-Modell zur Anwendung, welches von dichotomen, skalierten Items ausgeht (Geiser und Eid 2010, 314 f.). Die Grundannahme dieses Modells ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Proband bzw. eine bestimmte Probandin (v) ein konkretes Item (i) korrekt löst, ausschließlich von der Schwierigkeit des Items (σi ) und der Fähigkeit des

9.2 Untersuchungsdesign

299

bzw. der Aufgabenlösenden (ξv ) abhängt. Dieser Zusammenhang kann durch die Gleichung P(xvi ) =

exvi (ξv −σi ) 1 + e(ξv −σi )

Formel 1: Modellgleichung für die Lösungswahrscheinlichkeiten bei Gültigkeit des Rasch-Modells beschrieben werden, wobei xvi die Werte 0 für eine inkorrekte Lösung und 1 für ein richtiges Ergebnis annehmen kann (Koller et al. 2012, S. 9). Der Itemschwierigkeitsparameter σi ist definiert als jene Merkmalsausprägung ξv , bei dem die Lösungswahrscheinlichkeit für ein Item i genau 0,5 beträgt. Somit können beide Parameter auf derselben Skala aufgetragen werden, wobei sich die IC-Funktionen wie folgt darstellen (Abbildung 9.1):

Abbildung 9.1 Verschiedene IC -Funktionen (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 238)

In der Grafik sind die IC-Funktionen von drei Items mit den Schwierigkeiten –2, 1 und 2 abgebildet, wobei das erste Item das einfachste ist, da es von einem

300

9

Fragestellungen und Design der empirischen Überprüfung der Aufgaben

Probanden bzw. einer Probandin mit der Fähigkeit –2 mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,5 gelöst werden kann. Die Lösungswahrscheinlichkeit für das zweite Item liegt bei derselben Person hingegen nur noch bei weniger als 0,1. Durch eine genügend große Anzahl an Itemlösungen kann jedem Item ein Schwierigkeitswert zugeordnet werden, wonach die verschiedenen Aufgaben angeordnet werden können und so die Grundlage für eine Niveaustufenmodellierung bilden. Durch die Eigenschaften des Raschmodells kann allein aus einem errechneten Score auf die Personenfähigkeit geschlossen werden, da dieser aufgrund der damit zusammenhängenden Lösungswahrscheinlichkeiten zustande kommt (Geiser und Eid 2010, S. 315). Dafür muss jedoch sichergestellt werden, dass die Lösungswahrscheinlichkeiten nur von einer latenten Variablen bestimmt werden. Ist dies gegeben, spricht man von Rasch-homogenen Items, womit die stochastische Unabhängigkeit gegeben ist (ebd.). Das heißt, die Items müssen so konzipiert sein, dass zum einen keine Subgruppenbenachteiligung vorliegt und zum anderen die einzelnen Aufgaben unabhängig voneinander gelöst werden können. Bei der Konstruktion der Aufgabe wurde darauf bereits geachtet, wobei die Rechenaufgaben unter Angabe der verwendeten Strategien diesbezüglich problematisch sind, da ein Punkt für ein elaboriertes Vorgehen nur dann gegeben werden soll, wenn das Rechenergebnis korrekt ist. Damit würde jedoch das Kriterium der stochastischen Unabhängigkeit verletzt werden. Aus diesem Grund wird für die Verwendung einer geeigneten Strategie bei korrektem Ergebnis ein Zusatzpunkt vergeben. Liegt bei allen Items Rasch-Homogenität vor, so sind die zugehörigen IC-Funktionen lediglich parallel nach rechts oder links verschoben. Der große Vorteil des Rasch-Modells gegenüber anderen Modellen der IRT ist, dass hierbei als einziges die Gültigkeit des Modells anhand statistischer Tests überprüfbar ist (Moosbrugger und Kelava 2012, S. 252). Um das Kriterium der stochastischen Unabhängigkeit (und damit der Rasch-Homogenität) zu kontrollieren, kann der Andersen-Likelihood-Ratio-Test (kurz LRT) angewendet werden (Koller et al. 2012, S. 15 ff.). Damit tatsächlich keine andere latente Variable zugrunde liegt, wird beim LRT überprüft, ob die Schwierigkeit der Aufgaben für zwei unterschiedliche Personengruppen gleich ansteigend ist und somit hauptsächlich von der mathematischen Kompetenz abhängt. Das Kriterium ist dann erfüllt, wenn der Unterschied zwischen dem ermittelten LR- und dem Chi2 -Wert (und damit die Unterschiede der IC-Funktionen) nicht signifikant (also p ≤ 0,05) ist. Mithilfe des Wald-Tests können auch einzelne Items der beiden Gruppen miteinander verglichen werden, um abweichende Items zu identifizieren (Koller et al. 2012, S. 62). Dabei gibt der z-Wert den Unterschied zwischen den normierten Lösungswahrscheinlichkeiten beiden Gruppen an, der p-Wert, ob dieser Wert mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0,05 signifikant ist. Da

9.2 Untersuchungsdesign

301

der LeDi-Arithmetik Aufgaben aus unterschiedliche Zahlenbereichen enthält, ist davon auszugehen, dass verschiedene, latente Variablen die Lösungswahrscheinlichkeiten beeinflussen. Aus diesem Grund werden die Testteile zu natürlichen, gebrochenen und ganzen Zahlen jeweils unabhängig voneinander ausgewertet. Eine weitere Grundannahme des Rasch-Modells ist, dass alle Items gleich gut zwischen den unterschiedlichen Gruppen unterscheiden; damit muss die Trennschärfe der einzelnen Aufgaben gleich groß sein. Der Itemfit-Wert (MNSQ) kann als Trennschärfe-Parameter interpretiert werden und sollte bei Stichprobengrößen, die geringer als 500 sind, zwischen 0,7 und 1,3 liegen (Bond und Fox 2015, S. 4). Werden diese Werte unter- bzw. überschritten, sollte das Item aus dem Fragebogen entfernt werden, da die Annahmen des Rasch-Modells damit als verletzt gelten (Geiser und Eid 2010, S. 314).

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

10

Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Datenauswertung sowohl auf Aufgaben(Abschnitt 10.2) als auch auf Testebene (10.3.) dargestellt werden. Ziel ist es die Aufgaben zu identifizieren, die sich am besten zur Diagnostik von Rechenschwäche eignen. Durch eine Voruntersuchung, die in Abschnitt 10.1. geschildert wird, konnten bereits erste Aufgaben aus dem Pool entfernt werden. Getrennt nach Zahlbereichen werden anschließend die verbliebenen Items untersucht. Der erste Schritt ist dabei die Durchführung einer Rasch-Modellierung, um festzustellen, ob die Items gut zwischen Schülerinnen und Schülern mit hoher und niedriger Kompetenz unterscheiden. Hierfür wird zunächst ein geeignetes Teilungskriterium für die beiden Schülergruppen gesucht. Die Aufgaben, die eine ungenügende Modellpassung zeigen, werden anschließend noch einmal genauer auf ihre Eignung hin untersucht. In den Testteilen zu den natürlichen Zahlen spielen verstehensorientierte Aufgaben eine besondere Rolle, die bisher in diagnostischen Instrumenten zur Erfassung von Rechenschwäche/Dyskalkuklie kaum zu finden sind (vgl. Abschnitt 6.1.3). Aus diesem Grund soll hier noch einmal konkret untersucht werden, welchen Mehrwert diese Aufgaben haben. Nachdem die geeigneten Aufgaben für die natürlichen als auch für die gebrochenen Zahlen identifiziert wurden, soll das daraus entstandene Testverfahren hinsichtlich der Erfüllung der Gütekriterien bewertet und ein geeigneter Grenzwert zur Diagnostik gefunden werden.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_10.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_10

303

304

10.1

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Ergebnisse der Voruntersuchung

Die Voruntersuchungen hatten zur Folge, dass manche Aufgabenstellungen noch einmal präzisiert (bspw. wurde in den Zahlenstrahlaufgaben angefügt, dass kein Lineal verwendet werden darf, was zuerst lediglich vor Testbeginn angesagt wurde), wichtige Worte wie halbieren und verdoppeln in der Aufgabenstellung hervorgehoben und die Qualität mancher Darstellungen erhöht wurden. Des Weiteren wurden Aufgaben, die ähnliche Kompetenzen erfassen sollen, miteinander verglichen. Dabei zeigte sich zum einen, dass manche Aufgaben Lösungsquoten von über 90 % aufwiesen und damit fast nie falsch gelöst wurden, wie die Aufgabe zum Bestimmen von Vorgänger und Nachfolger aus dem Bereich des Stellenwertverständnisses sowie die Single-Choice-Aufgaben und einfache Rechenitems zur Addition und Subtraktion, weshalb diese Aufgaben aus der Aufgabensammlung entfernt wurden. Bei der Transkription von vorgelesenen Zahlen kam es hingegen vor allem zu Fehlern, die auf Probleme beim Merken der vorgelesenen Zahlen (die drei Mal vorgelesen wurden) zurückzuführen sind, sodass stattdessen das Single-Choice-Format beibehalten wurde. Auf der anderen Seite konnten für einige Aufgaben Lösungsquoten von unter 20 % ermittelt werden. Dazu gehören die Multiplikationsaufgabe 12 · 0 · 5 sowie die Divisionsaufgabe 300 : 60, wenn diese als einfache Rechenaufgabe gestellt wurden. Zudem zeigten sich bei einigen Aufgaben große Unsicherheiten, vor allem bei denen zum Darstellungswechsel beim Ergänzen, Multiplizieren und Dividieren. So sollte beispielsweise zu gegebenen Rechenaufgaben Punktmuster gezeichnet oder Sachsituationen gefunden werden (vgl. Abschnitt 8.1). Dabei zeigte sich, dass deutliche Schwierigkeiten beim Verständnis der Aufgabenstellung bezüglich des Zeichnens von Punktmustern auftraten und somit das Finden einer passenden Sachsituation für das Ergänzen und die Multiplikation deutlich geeigneter ist. Grund dafür ist sicherlich, dass Sachaufgaben im Mathematikunterricht im Gegensatz zu Punktmustern eine größere Rolle spielen und damit deutlich vertrauter sind. Bei der Division erwiesen sich beide Formate als ungeeignet. Stattdessen sollte nun ausgehend von einer bildlichen Darstellung eine Sachsituation gefunden werden. Diese Aufgabe schien für die untersuchten Schülerinnen und Schüler deutlich einfacher zu lösen zu sein, jedoch muss hier der Korrekturrahmen der Aufgabe erweitert werden, da ein Bild deutlich mehr Interpretationsmöglichkeiten zulässt als eine einfache Rechenaufgabe.

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

10.2

305

Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

Im Zentrum des Tests stehen die Teile 1 und 2, da sich diese mit den für das Lernen in der Sekundarstufe I notwendigen Inhalte beschäftigen. Aus diesem Grund bilden die darin enthaltenen Aufgaben den Schwerpunkt der Auswertung. Der Testteil 3 zu gebrochenen Zahlen ist hingegen als Zusatzskala anzusehen, deren Ergebnisse bei uneindeutigem Testergebnis mit einbezogen werden. Der letzte Testteil zu ganzen Zahlen ist hingegen eher als Voruntersuchung zu den Fähigkeiten Rechenschwacher zu verstehen. Diese Aufgaben werden am Ende zur Diagnostik keine Rolle spielen. Um die Aufgaben hinsichtlich ihrer Eignung zur Diagnostik von Rechenschwäche analysieren zu können, werden ausgehend von den Testergebnissen des BADYS 8+ die Schülerinnen und Schüler in eine Untersuchungsgruppe, die aus den vermeintlich rechenschwachen Schülerinnen und Schülern gebildet wird, und in eine Vergleichsgruppe unterteilt, in der Lernende mit unauffälligen mathematischen Fähigkeiten zu finden sind, obschon dieses Kriterium mittels der oben beschriebenen testtheoretischen Mängel unter Vorbehalt zu betrachten ist. Dies zeigt sich auch bei quantitativer Betrachtung der vom BADYS 8+ als dyskalkulisch identifizierten Schülerinnen und Schüler in Tabelle 10.1. Demnach diagnostiziert der BADYS bei 46 % der getesteten Schülerinnen und Schüler eine Dyskalkulie, d. h. sie erreichen einen Prozentrang von höchstens 10. Tabelle 10.1 Diagnoseergebnisse des BADYS 8+ Häufigkeit Gültig

Prozent

Gültige Prozente

Keine Dyskalkulie

187

46,9

54,0

Dyskalkulie

159

39,8

46,0

Gesamt

346

86,7

100,0

Fehlend

53

13,3

Gesamt

399

100,0

Da sich die Stichprobe aus Lernenden aller Schulformen zusammensetzt, erscheint dieses Ergebnis doch als sehr hoch, was die Zweifel nach der Eignung dieses Testverfahrens noch einmal bestärkt, auch wenn die Stichprobe keinem Intelligenztest unterzogen wurde, wie dies die Autor:innen des BADYS 8+ verlangen. Dieser Umstand kann jedoch vernachlässigt werden, da dies nur zur Erfüllung des stark umstrittenen und von der S3 Leitlinie abgelehnten Diskrepanzkriteriums beitragen soll. Der zu erwartende Wert, den Studien aus der

306

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

kognitionspsychologischen Richtung, der dieses Testverfahren zuzuordnen ist, für das Auftreten einer Rechenstörung angeben, liegt bei ca. 6 % (vgl. hierzu Abschnitt 2.1). Auf der anderen Seite ist es Ziel des LeDi-Arithmetik alle Schülerinnen und Schüler zu identifizieren, die über unzureichende mathematische Basisfähigkeiten verfügen, um in der Sekundarstufe I erfolgreich mathematische Kompetenzen zu erwerben. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Schülerinnen und Schüler fehlerhaft erfasst werden. So ist eine zu große Untersuchungsgruppe, wie sie zunächst anhand der Ergebnisse des BADYS 8+ gebildet wird, zu rechtfertigen bis weitere sinnvolle Unterteilungen, wie die anhand der ermittelten Fähigkeiten in den Testteilen 1 und 2, ermöglicht werden können. Vergleicht man die Untersuchungs- und Vergleichsgruppe hinsichtlich der erreichten Punktzahlen in den einzelnen Testteilen des LeDi-Arithmetik fallen deutliche Unterschiede auf, die nach den Ergebnissen des doppelten T-Tests zweier unabhängiger Stichproben alle signifikant sind (vgl. Tabelle 10.2). Tabelle 10.2 Mittelwerte und Signifikanzen der Testteile des LeDi-Arithmetik nach Diagnostik durch den BADYS 8+ Levene-Test für Varianzen sind gleich Dyskalkulie Mittelwert Std.-Abw. F nach BADYS? Rohwert nein Teil 1/2 ja

47,20

4,12

39,64

8,02

Rohwert nein Teil 3 ja

23,57

4,07

16,30

6,05

Rohwert nein Teil 4 ja

10,05

1,72

8,55

2,58

Sig.

T-Test für Mittelwerts-Vergleiche T

df

Sig. (2-seitig)

59,33

,000

11,24

343

,000

34,20

,000

13,268

344

,000

26,45

,000

6,446

344

,000

Daraus lässt sich ableiten, dass sich alle Testteile prinzipiell für die Unterscheidung zwischen rechenschwachen und unauffälligen Schülerinnen und Schüler eignen, wenn man die Ergebnisse des BADYS 8+ als Vergleichskriterium verwendet.

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

307

10.2.1 Testteil 1 und 2 – natürliche Zahlen Allgemeine Auswertung Insgesamt konnten in den Testteilen 1 und 2 zusammen 52 Punkte erreicht werden, hinzukommen sechs Zusatzpunkte, die für die Wahl einer geeigneten Strategie bei Rechenaufgaben mit Strategieerfassung vergeben wurden. Dabei erreichte die schwächste Schülerin lediglich drei Punkte (15 der 20 Aufgaben wurden eindeutig bearbeitet), die Stärksten hingegen die volle Punktzahl. Wie bereits anhand der Abbildung 10.1 ersichtlich wird, handelt es sich bei der Verteilung der Punktzahlen nicht um eine Normalverteilung, was der KolmogorovSmirnov-Anpassungstest bestätigt. Da der LeDi-Arithmetik besonders im unteren Leistungsspektrum differenzieren soll und keine soziale Normierung vorgesehen ist, kann jedoch auf eine Normalverteilung verzichtet werden.

Abbildung 10.1 Addierte Rohwerte der Testteile 1 und 2

308

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Aufgabenanalyse Überprüfung der Modellparameter und inhaltliche Deutung Die Niveaustufenmodellierung erfolgt mithilfe des eindimensionalen RaschModells, welches sich besonders gut für kriteriumsorientierte Tests eignet (vgl. Abschnitt 9.2.5). Zuerst werden die Item-Fit-Werte der einzelnen Aufgaben überprüft, die Auskunft darüber geben, ob die aus dem Modell vorhergesagten Lösungshäufigkeiten mit den beobachteten Häufigkeiten übereinstimmen. Es wird ersichtlich, dass die zwei Items „Punktmengen bündeln“ und „Halbieren b“ nicht die geforderten (strengeren) Werte von 0,8 und 1,2 bzw. 0,7 und 1,3 nach Bond und Fox aufweisen (2015, S. 4) (vgl. Tabelle 10.4). Die Aufgabe zum Bündeln von Punktmengen ist die Einzige, die diese Kompetenz im gesamten Test erfasst, die Aufgabe zum Halbieren stellt eine Brücke zwischen der einfachen Halbierungsaufgabe a mit zwei Stellen und der schwierigen c (die genau wie bei b drei Stellen aufweist, jedoch Überträge nötig sind) dar. Da beide Werte von den geforderten strengen Kriterien nur minimal abweichen, inhaltlich für den Test jedoch von Bedeutung sind, sollen diese Aufgaben trotz der leicht kritischen Werte im LeDi-Arithmetik zunächst erhalten bleiben. Mittels des Wald-Tests soll überprüft werden, ob die einzelnen Items entsprechend den Forderungen des Rasch-Modells hauptsächlich von einer latenten Variablen, in diesem Fall der mathematischen Kompetenz, abhängen und so Rasch-Homogenität aufweisen. Dafür wird die Stichprobe in zwei Leistungsgruppen unterteilt und die Itemschwierigkeit innerhalb der beiden Gruppen einzeln geschätzt. Der Wald-Test überprüft dann, ob die Abweichungen der Itemschwierigkeiten zwischen den beiden Gruppen signifikant ist, was auf eine Verletzung der Modellgültigkeit hindeutet. Üblicherweise wird als Splitkriterium zwischen den Gruppen der Median oder der Mittelwert verwendet (Koller et al. 2012, S. 62). In diesem Fall geht es jedoch nicht darum die bessere, mit der schlechteren Hälfte zu vergleichen, sondern die Lernenden mit ungenügenden mathematischen Basisfähigkeiten mit dem Rest. Aus diesem Grund werden verschiedene Überlegungen für ein Splitkriterium herangezogen: Ein statistischer Wert würde sich nach PISA richten und die 21 % der schwächsten Schülerinnen und Schüler im LeDi-Arithmetik wählen (vgl. Abschnitt 2.1.). Das wären diejenigen, die weniger als 38 Punkte erzielen. Andere Werte liefern Vergleiche mit den Ergebnissen des BADYS 8+ . Durch lineare Regression werden die Punktzahlen ermittelt, die im LeDi-Arithmetik erzielt werden müssen um nicht als dyskalkulisch im Sinne des BADYS zu gelten (Abbildung 10.2). Da für Jungen und Mädchen sowie für verschiedene Schulformen getrennte Prozentrangtabellen vorliegen, wird dieses Verfahren für alle Gruppen durchgeführt (Tabelle 10.3).

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

309

Tabelle 10.3 Modellpassungen zwischen den Ergebnissen der Testteile 1 und 2 des LeDiArithmetik und der verschiedenen Skalen des BADYS 8+ R2 gesamt

R2 Hauptschule

R2 Realschule und Gymnasium

Mädchen

0,678

0,641

0,613

Jungen

0,506

0,586

0,519

Die beste Modellpassung zeigt die Skala Mädchen_gesamt mit R2 = 0,678, die eine Punktzahl von 39 ergibt. Dieser Wert wird deshalb als Splitkriterium verwendet, da es Ziel des LeDi-Arithmetiks ist möglichst alle Schülerinnen und Schüler mit unzureichenden mathematischen Fähigkeiten zu finden und dieser mehr Lernende einschließt. Die Schülerinnen und Schüler, die weniger als 40 Rohwert-Punkte in den Testteilen 1 und 2 erreichten, werden im Folgenden als Risikogruppe bezeichnet, die insgesamt 100 Schülerinnen und Schüler umfasst.

Abbildung 10.2 Lineare Regression zwischen den Ergebnissen des BADYS 8+ und der Rohwerte des LeDi-Arithmetik Teil 1 und 2

Die Durchführung der statistischen Tests mithilfe der Software R ergibt die aufgeführten Resultate (vgl. Tabelle 10.4). Um den weiteren Ausführungen besser folgen zu können, werden die Aufgaben nummeriert und die Bezeichnungen bleibt im Folgenden erhalten. Da verstehensorientierte Aufgaben aufgrund der

310

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Fragestellungen a, b und e1 von besonderem Interesse sind, werden diese in den Tabellen des Ergebnisteils unterstrichen hervorgehoben. Tabelle 10.4 Modell-Parameter der Testteile 1 und 2 Infit MSQ Transcodieren

Zahlenreihen ergänzen

z-Statistik

p-Wert

1a

1,064

2,167

0,03

1b

0,928

0,906

0,365

1c

1,008

1,251

0,211

2a

1,033

1,691

0,091

2b

0,971

−1,175

0,24

2c

0,896

−1,878

0,06

3a

0,924

0,854

0,393

3b

0,966

0,295

0,768

3c

0,882

0,048

0,962

Ordnen

4

1,073

2,253

0,024

Entbündeln

5a

1,041

1,623

0,105

5b

1,011

0,197

0,844

5c

1,159

2,905

0,004

Transkribieren

5d

1,080

0,76

0,447

6a

0,896

0,052

0,959

6b

0,928

−1,016

0,31

6c

0,982

0,622

0,534

6d

1,045

1,325

0,185

Punktmenge bündeln

7

1,213

6,52

0

Verdoppeln

8a

0,996

0,23

0,818

8b

0,963

0,036

0,971

8c

1,002

0,521

Zahlenstrahl

0,602 (Fortsetzung)

1

a. Welche Aufgaben unterscheiden zwischen Schülerinnen und Schülern mit mangelnden und gut ausgebildeten mathematischen Basiskompetenzen? b. Welche Aufgaben eignen sich, um die Fähigkeiten rechenschwacher Lernender differenziert erfassen zu können? e. Ist der Einsatz verstehensorientierter Aufgaben für die Diagnostik von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen als gewinnbringend zu bewerten?

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

311

Tabelle 10.4 (Fortsetzung) Infit MSQ

z-Statistik

9a

0,806

−3,297

0,001

9b

0,790

−2,8

0,005

9c

0,830

−2,296

0,022

10a

0,950

−1,55

0,121

10b

0,980

10c

0,940

−1,03

10d

0,876

−1,664

0,096

Stellenwert bei schriftlicher Addition

11

1,084

1,684

0,092

Subtraktionsaufgaben finden

12

1,004

0,118

0,906

Einmaleins

13a

0,981

0,319

0,75

13b

0,960

0,031

0,975

13c

0,872

−1,833

0,067

13e

0,855

−3,661

0

Halbieren

Ergänzen

0,114

p-Wert

0,909 0,303

13f

0,851

−3,387

0,001

Divisionsaufgaben finden

14

0,990

0,591

0,555

Stufenaufgaben finden

15

0,954

0,95

0,342

Fehlersuche

16

0,941

0,408

0,683

16

1,050

1,08

0,28

17a

1,137

2,82

0,005

17b

0,999

0,631

0,528

17c

1,046

1,562

0,118

17d

0,993

0,27

0,787

17e

0,962

0,011

0,991

17f

0,946

−1,052

0,293

Strategieaufgaben

Grundvorstellung Division

18

1,194

2,896

0,004

Grundvorstellung Multiplikation

19a

1,019

−0,087

0,931

Grundvorstellung Ergänzen

19b

0,974

0,169

0,866

Textaufgaben

20a

1,018

0,838

0,402

20b

0,954

0,616

0,538

20c

1,104

1,575

0,115

20d

0,957

−0,075

0,94

20e

0,922

−1,178

0,239

312

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Es wird ersichtlich, dass elf der insgesamt 52 Aufgaben ungenügende Kennwerte im Wald-Test aufweisen (kursiv gedruckt), da die p-Werte bei diesen Items kleiner oder gleich 0,05 sind und somit nicht als Rasch-homogen angesehen werden können. Bei der Betrachtung der Lösungsquoten beider Gruppen bezüglich der kritischen Items, fällt auf, dass die Aufgaben Transkodieren der Zahl 3076, Ordnen von Zahlen, Bündeln von Punktmengen und die Strategieaufgabe 66 + 44 nicht genug zwischen Vergleichs- und Risikogruppe unterscheiden, da sie von beiden Gruppen in etwa gleichhäufig gelöst wurden. Bei den anderen in Tabelle 10.5 aufgeführten Items (kursiv) sind hingegen die Lösungsquoten bei der unteren Leistungsgruppe deutlich geringer als die der oberen, sodass die ermittelten Werte nicht mehr dem Modell entsprechen.

Tabelle 10.5 Lösungsquoten auffälliger Aufgaben ≥ 40 Punkte

< 40 Punkte

Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent Transcodieren 3076 Ordnen Punktmenge bündeln

Falsch

9

9,0

17

4,3

Richtig 91

91,0

382

95,5

Falsch

19

19,0

22

7,4

Richtig 81

81,0

276

92,6

Falsch

59,4

66

66,0

177

Richtig 34

34,0

121

40,6

Falsch

38

38,0

51

17,1

Richtig

62

62,0

247

82,9

Falsch

49

49,0

13

4,4

Richtig

51

51,0

285

95,6

Falsch

39

39,0

9

3,0

Richtig

61

61,0

289

97,0

Halbieren 336

Falsch

67

67,0

41

13,8

Richtig

33

33,0

257

86,2

Einmaleins 60:4

Falsch

53

53,0

22

7,4

Richtig 47

47,0

276

92,6

Falsch

62

62,0

34

11,4

Richtig

38

38,0

264

88,6

Falsch

25

25,0

36

12,1

Richtig 75

75,0

262

87,9

Ergänzen 100000–1 Halbieren 76 Halbieren 246

Einmaleins 96:12 Strategieaufgabe 66 + 44

Operationsverständnis Division Falsch

37

37,0

50

16,8

Richtig

63

63,0

248

83,2

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

313

Die Items entscheiden demnach „zu gut“ zwischen Lernenden mit niedrigen und mit unauffälligen mathematischen Kompetenzen. Betrachtet man die entsprechenden IC-Funktionen, fällt auf, dass den meisten diese Items vor allem von Schülerinnen und Schülern mit einer sehr niedrigen Fähigkeitsausprägung nicht gelöst werden können. Im Bild unten zeigt die schwarze ICC einen charakteristischen Kurvenverlauf, die rote Kurve hingegen den Verlauf des Items „halbieren c“. Es wird ersichtlich, dass die schwarze Kurve zu Beginn deutlich schwächer ansteigt als die rote, sodass Schülerinnen und Schüler, die eine geringe Fähigkeit haben, dieses Item mit einer kleineren Wahrscheinlichkeit lösen als kompetentere. Koller und Kolleg:innen meinen dazu, dass solche Items praktisch nicht problematisch sind, jedoch strenggenommen gegen die Gültigkeit des Rasch-Modells sprechen (Koller et al. 2012, S. 25). Da das Weglassen dieser Items dem Test jedoch entscheidendes Potenzial nehmen kann, bleiben sowohl die Aufgaben zum Halbieren als auch die Entbündelungsaufgabe und die Aufgaben aus dem Bereich oberhalb des Einmaleins erhalten (Abbildung 10.3). Die Aufgaben Punktmengen bündeln, Ordnen, Transcodieren (3076) und die Strategieaufgabe 66 + 44 werden hingegen entfernt, da die notwendigen Parameter nicht erfüllt werden und die ähnlichen Lösungsquoten der Risiko- und Vergleichsgruppe darauf hindeuten, dass das diagnostische Potenzial dieser Aufgaben eher gering ist. Auch die Aufgabe zum Operationsverständnis der Division wird aus dem Fragebogen entfernt, da die Korrektur zeigte, dass viele durch die Aufgabenstellung als korrekt zu bewertende Antworten keine Sachsituation zur Division darstellten, sondern vor allem zur Addition und Subtraktion. Damit ist das Item nicht geeignet, um zu erkennen, ob Lernende Vorstellungen zur Division entwickeln konnten oder nicht, womit der Mehrwert dieser Aufgabe bei ungenügenden Item-Kennwerten nicht gegeben ist. Im Anschluss kann die Itemschwierigkeit aller verbliebenen Aufgaben mithilfe von R berechnet und der Zusammenhang zwischen den ermittelten Personenfähigkeiten und den Schwierigkeiten der Items anhand der von R ausgegebenen Person-Item Map übersichtlich dargestellt werden. Dabei werden die Personenfähigkeit und die Itemschwierigkeit als latente Dimension gemeinsam dargestellt (tabellarisch finden sich alle Werte in Anhang I.II des elektronischen Zusatzmaterials).

314

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Abbildung 10.3 Vergleich der IC-Funktionen von üblichem Kurvenverlauf mit dem des Items „halbieren c“

Am oberen Rand des Diagramms ist die Verteilung der Personenfähigkeit zu erkennen, wobei ersichtlich wird, dass sich diese eher auf die rechte Diagrammhälfte verteilt. Eine Person mit der Fähigkeit ξ = 0 kann dabei ein Item mit der Schwierigkeit σ = 0, also bspw. die Aufgabe zum Halbieren der Zahl 76, mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,5 lösen. Um der Frage nachzugehen, welche Aufgaben sich zur Diagnostik von Rechenschwäche nun besonders gut eignen, wurden die Forschungsfragen a und b formuliert. Zum einen ist interessant, welche Aufgaben zwischen der Risikogruppe und der Vergleichsgruppe besonders gut unterscheiden (Frage a). Zum anderen stellt sich die Frage (b), welche Aufgaben innerhalb der Risikogruppe gut differenzieren, um genaue Informationen über die tatsächlichen Fähigkeiten dieser Lernenden zu erhalten. Die Analyse zeigt, dass Schülerinnen

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

Abbildung 10.4 Person-Item Map zu den Aufgaben der Testteile 1 und 2

315

316

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

und Schüler der Risikogruppe höchstens eine Personenfähigkeit von 1 erreichen. Die Auseinandersetzung mit den Aufgaben, die unterhalb dieses Wertes liegen und deshalb zur Beantwortung der zweiten Frage herangezogen werden, zeigt, dass besonders Aufgaben zum Darstellen von Zahlen in verschiedenen Formen als besonders leicht angesehen werden können. Anhand der theoretischen Niveaustufenmodellierung aus Abschnitt 8.1.4 war dies bereits zu erwarten, da diese Aufgaben im Modell der Bildungsstandards auf der Stufe 0 eingeordnet wurden und Vorläuferfertigkeiten für die in Stufe 1 erwähnten Kompetenzen darstellen. Abgesehen von den Ausreißern am linken Rand (bei denen es sich um DAZSchüler:innen handelt und nicht klar ist, wie lang (und ob) sie bereits die Schule in ihren Heimatländern besuchten) können diese Aufgaben alle anderen untersuchten Schülerinnen und Schüler mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 0,5 lösen. Das bedeutet, dass diese Items mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch von Schülerinnen und Schülern mit ungenügenden mathematischen Basiskompetenzen gelöst werden können. Da es jedoch von großer Bedeutung ist, dass sehr schwache Schüler:innen überhaupt Aufgaben korrekt lösen können, sollten diese Items trotzdem verbleiben. Der Schwerpunkt eines diagnostischen Verfahrens zum Erkennen von Rechenschwäche ist jedoch nicht auf Items zu diesen Fähigkeiten zu legen. Hingegen erweisen sich für das Stellenwertverständnis eher Aufgaben wie das Ergänzen von Zahlenreihen oder Entbündelungen als geeigneter, da diese, je nach Zahlenraum zu erheblich größeren Problemen bei rechenschwachen Schülerinnen und Schülern führen können, was an den Schwierigkeitsparametern zwischen σ = −0,8 (Entbündeln 1000 – 10) und σ = 1,6 (Entbündeln 100000 – 1000) deutlich wird. Der große Einfluss des Zahlenraums für die Schwierigkeit und damit auch die diagnostische Aussagekraft einer Aufgabe wird darüber hinaus über alle Items deutlich. Rechenaufgaben wie 1000 – 1, 1000 – 10 oder __ + 87 = 99 finden sich wie die Aufgaben zur Zahldarstellung ebenfalls weit links und weisen damit wesentlich geringere Schwierigkeitsparameter auf als vergleichbare Aufgaben mit mehrstelligerem Zahlenmaterial. Rechenaufgaben, besonders zu den Strichrechenarten und zum TTG, die sich vor allem mindestens im Zahlenraum ab 1000 bewegen, scheinen das geeignetste Zahlenmaterial zu sein, da auch zu große Zahlenräume zu vermeiden sind, um schriftliches Rechnen bei Lernenden mit guten mathematischen Basisfähigkeiten möglichst zu vermeiden. Somit scheinen die Schwerpunkte bei Rechenaufgaben zu diesen Grundoperationen in der Aufgabensammlung des LeDi-Arithmetik bezüglich des Zahlenmaterials gut gewählt zu sein. Die Verwendung des Modells Humbachs, welches explizit die Größe der Zahlenräume zur Einordnung der Aufgaben in ein Niveaustufenmodell berücksichtigt, kann hierdurch noch einmal bestätigt werden.

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

317

Betrachtet man weiterhin die Schwierigkeitsparameter der verschiedenen Grundrechenoperationen wird deutlich, dass für Aufgaben zum TTG (Ergänzen, Textaufgaben a und b) eher niedrigere Werte ermittelt wurden. Da diese Aufgaben in den in Kapitel 4 vorgestellten Studien als die schwierigsten zu den Strichrechenarten eingeschätzt wurden, ist davon auszugehen, dass entsprechende Additions- und Subtraktionsaufgaben noch geringere Schwierigkeiten gezeigt hätten, was durch die Vorstudie bereits gezeigt werden konnte und damit zur Diagnostik von Rechenschwäche eher ungeeignet sein würden. Stattdessen verdeutlicht die Analyse der Aufgabenschwierigkeiten im Zusammenhang mit den Grundrechenarten den Stellenwert der Multiplikation und besonders der Division. Die grundlegende Fähigkeit des Verdoppelns scheint dabei im Allgemeinen gut ausgebildet zu sein. Das Halbieren erweist sich als deutlich anspruchsvoller, da besonders die Aufgabe im Tausenderraum mit mehreren Überträgen mit einem σ von 0,84 eine hohe Schwierigkeit zeigt. Dieser Trend ist auch bei den anderen Rechenaufgaben zu beobachten: Sobald bei Aufgaben mit ähnlichem Zahlenmaterial eine Division statt einer Multiplikation gefordert wird, ist der Schwierigkeitsparameter bei ersterer Grundrechenart deutlich höher. Den Schwerpunkt also auf die Division zu legen erscheint zur Diagnostik von Rechenschwäche eine gute Entscheidung gewesen zu sein. Dabei zeigte sich, dass Aufgaben zum Verdoppeln, zum Halbieren und zur Division von Zahlen, bei denen die letzten Stellen mit Null besetzt sind, deutlich schwieriger erscheinen als vermutet. In beiden zum Vergleich herangezogenen Modellen wurden Halbieren und Verdoppeln nicht explizit erwähnt und in die Kategorie der technischen Grundlagen eingeordnet. Es zeigt sich, dass diese Verallgemeinerung empirisch nicht haltbar ist und diese Fähigkeiten als deutlich komplexer einzuschätzen sind, als die Einfachheit der Aufgabe zunächst vermuten lässt. Die Schwierigkeitsparameter der unterschiedlichen Aufgabenformate zur Division schwanken innerhalb der empirisch ermittelten Werte erheblich (zwischen σ = −0,3 bei der Rechenaufgabe 72 : 8 bis σ = 2,48 bei der Fehlersuche 300 : 60 = 50), sodass durch die verschiedenen Operatoren tatsächlich eine gute Differenzierung in den Fähigkeiten gewährleistet werden kann. Die Aufgabenformate scheinen auch bei der Unterscheidung zwischen den Fähigkeitsparametern der Risiko- und Vergleichsgruppe und damit in Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfrage a, eine entscheidende Rolle zu spielen, denn unter den Aufgaben, bei denen alle Lernende der Risikogruppe Lösungswahrscheinlichkeiten von unter 50 % aufweisen, finden sich bis auf die Ergänzung der Zahlenreihe c) und das Finden von Stufenaufgaben ausschließlich verstehensorientierte Aufgaben, bezieht man die Rechenaufgaben zur Strategieerfassung mit ein. Dass die Rechenaufgaben zur Strategieerfassung deutliche Abweichungen von den zu erwartenden Schwierigkeiten nach dem Niveaustufenmodell

318

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

aus Abschnitt 8.1.4 aufweisen, ist dadurch zu begründen, dass die metakognitive Komponente der Strategiereflexion nicht im Modell der zu erwartenden Schwierigkeiten berücksichtigt werden konnte, da es im Modell Humbachs hierzu keinerlei Angaben gibt. Im Kompetenzstufenmodell der Grundschule findet sich diese Kompetenz auf Stufe IV. Es kann also davon ausgegangen werden, dass der Einfluss dieser Wissensart Auswirkungen auf die Schwierigkeit der Rechenaufgabe hat. Nach dem Modell Krathwohls (vgl. Abschnitt 6.2.2) und den beschriebenen Kompetenzen im Niveaustufenmodell der Bildungsstandards waren die erhöhten Schwierigkeitsparameter bei den verstehensorientierten Aufgaben zu erwarten. Nun zeigt sich jedoch, dass sich diese Aufgaben auch besonders gut zur Diskrimination zwischen rechenschwachen Lernenden und solchen mit unauffälligen mathematischen Fähigkeiten eignen und das bereits, ohne die Eigenproduktionen der Schülerinnen und Schüler qualitativ ausgewertet zu haben. Um den qualitativen Beitrag zur Diagnostik der verstehensorientierten Aufgaben soll es im nächsten Unterkapitel gehen. Die Werte zeigen bisher, dass die in Abbildung 10.4 aufgeführten Aufgaben jede für sich und in ihrer Gesamtheit gut zwischen unauffälligen Schülerinnen und Schülern und denen, die ungenügende mathematische Basiskompetenzen erworben haben, sowie innerhalb der letzten Gruppe unterscheiden und somit Forschungsfrage a und für die Testteile 1 und 2 beantworten. Dabei spielen vor allem Aufgaben zum Ergänzen von Zahlenreihen, zum Entbündeln, zum TTG im Zahlenraum ab 1000, zur Multiplikation und zur Division sowie verstehensorientierte Aufgaben eine besondere Rolle. Vergleicht man die empirisch bestimmten Schwierigkeiten mit denen, die auf Basis der Stufenmodelle der Bildungsstandards der Grundschule und von Humbach ermittelt wurden (vgl. Tabelle 8.1), kann festgestellt werden, dass die Schwierigkeiten bereits aufgrund der Theorie tendenziell richtig bestimmt werden konnten. Allerdings sind auch größere Abweichungen einzelner Aufgabengruppen festzustellen. So scheinen Aufgaben im Zahlenraum bis 1000, Sachaufgaben, sowie das Finden von Subtraktionsund Divisionsaufgaben zu vorgegebenen Ergebnissen deutlich leichter zu sein als es durch die Modelle zu erwarten war. Ein Grund dafür könnte das Fehlen von Zahlenräumen im Kompetenzstufenmodell der Grundschule, sowie eine eher grobe Abstufung bei Modellierungsaufgaben sein. Hingegen zeigte sich, dass Aufgaben zum Verdoppeln und Halbieren, zur Division von Zahlen, bei denen die letzten Stellen mit Null besetzt sind sowie zu Rechenaufgaben, bei denen anschließend nach der verwendeten Strategie gefragt wurde, deutlich schwieriger zu sein als vermutet. In beiden zum Vergleich herangezogenen Modellen wurden Halbieren und Verdoppeln nicht explizit erwähnt und in die Kategorie der technischen Grundlagen eingeordnet. Es zeigt sich, dass diese Verallgemeinerung

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

319

nicht zutreffend ist und diese Fähigkeiten als deutlich komplexer einzuschätzen ist, als die Einfachheit der Aufgabe zunächst vermuten lässt. Bei den Rechenaufgaben zur Strategieerfassung konnten lediglich die Rechnungen den Modellen zugeordnet werden, da die metakognitive Komponente der Strategieauswahl nicht im Modell Humbachs berücksichtigt wird. So wie letztere wiesen die anderen verstehensorientierten Aufgaben ebenfalls hohe Schwierigkeitsparameter auf. Der Beitrag, den solche Aufgaben neben der Diskrimination zwischen der Risiko- und der Vergleichsgruppe zur qualitativen Diagnostik grundlegender mathematischer Kompetenzen leisten können, soll im Folgenden genauer analysiert und somit auch Forschungsfrage e beantwortet werden. Analyse der verstehensorientierten Aufgaben Aufgabe 11- Erkläraufgabe zum Stellenwert bei schriftlicher Addition (AntonAufgabe) Die Antonaufgabe fragt nach einer Erklärung für den vorliegenden Fehler bei der schriftlichen Addition, wobei der Fehler bereits vorgegeben ist. Dabei soll ermittelt werden, wie das Stellenwertverständnis der Schülerinnen und Schüler ausgebildet ist und ob sie dies auch auf Rechenoperationen wie die Addition übertragen können. Dieses Wissen ist über eine rein technische Aufgabe nicht ermittelbar und bedarf eines entsprechend kommunikativen Aufgabenformats (vgl. Abschnitt 6.2.1). Zwar könnte man aus den Lösungen von einer genügend großen Anzahl von Rechenaufgaben Schlussfolgerungen ziehen, jedoch ist der Interpretationsspielraum hier sehr groß, da die Bearbeitungsstrategien der Schülerinnen und Schüler in der Regel nicht erkennbar sind. Mit dem Einfordern einer Erklärung gehörte die Anton-Aufgabe zu den schwierigsten von allen (σ = 1,859). Die Lösungsquote dieser Aufgabe liegt innerhalb der gesamten Stichprobe bei 53,6 %. Allerdings lag die Fehlerquote der Risikogruppe mit 68 % deutlich über der der Vergleichsgruppe, die lediglich 39 % beträgt. Die niedrigen Lösungsquoten kommen allerdings in beiden Untersuchungsgruppen auch dadurch zustande, dass die Aufgabe in ca. 15 % der Fälle nicht bearbeitet wurde. Aus diesem Grund lässt eine nicht bearbeitete Aufgabe keine Schlüsse über die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler zu. Dies muss als Nachteil der Aufgabe gewertet werden, den jedoch schreiblastigere Aufgaben, wie später auch die Anwendungssuche, immer mit sich bringen. Als richtig wurde die Aufgabe gewertet, wenn aufgrund des Stellenwerts korrekt argumentiert wurde (wie bspw. in Abbildung 10.5).

320

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Abbildung 10.5 Beispiel einer korrekten Lösung der Anton-Aufgabe

Hier wird ersichtlich, dass die Schülerin das Stellenwertprinzip als eine zentrale Eigenschaft des dezimalen Stellenwertsystems verstanden hat und auf die Addition anwenden kann. So erkennt sie, dass die 7 auf dieser Position für 700 und nicht für 7000 steht. Schülerinnen und Schüler, die diese Erkenntnis nicht erworben haben oder nicht in der Lage sind sie anzuwenden, argumentieren hingegen ausschließlich mit dem Algorithmus, ohne Erklärungen abzugeben, wie in Abbildung 10.6 zu sehen ist.

Abbildung 10.6 Beispiel einer inkorrekten Lösung der Anton-Aufgabe

Natürlich kann nicht abschließend geklärt werden, ob diese Fehler auf Unverständnis der Aufgabenstellung zurückzuführen sind, allerdings ist auffällig, dass eine solche Antwort von schwachen Schülerinnen und Schülern deutlich häufiger gegeben wird. Mehrere Studien konnten zeigen (vgl. Kapitel 4), dass Schülerinnen und Schüler mit mangelnden mathematischen Basiskompetenzen dazu neigen schriftliche Algorithmen zum Lösen von Aufgaben zu verwenden, ohne diese jedoch verstanden zu haben. Eine Argumentation, die ausschließlich die technische Seite des Algorithmus enthält, scheint dann die logische Konsequenz zu sein.

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

321

Auf dieser Grundlage kommt sicherlich auch der zweite häufige Fehler zustande, bei dem nicht die Stellung der einzelnen Ziffern, sondern der Zahlen fokussiert wird, wie es bei der schriftlichen Subtraktion der Fall ist (vgl. Abbildung 10.7).

Abbildung 10.7 Weiteres Beispiel einer Falschlösung der Anton-Aufgabe

Eine solche Aufgabenlösung lässt vor allem auf fehlende Grundvorstellungen bezüglich der Addition schließen, was für eine anschließende Förderung der Schülerin eine wichtige Erkenntnis darstellt, die durch andere Aufgaben nicht gewonnen werden kann. Somit wird deutlich, dass die Anton-Aufgabe über die einfache dichotome Wertung hinaus wichtige Hinweise auf Kompetenzen und Defizite hinsichtlich des Verständnisses des Stellenwertsystems und der Eigenschaften der Addition liefern kann. Aus diesem Grund ist der Einsatz einer solchen Aufgabe, obschon die Lösungsquoten in der Stichprobe eher gering waren, zur Diagnostik von Rechenschwäche sinnvoll. Aufgabe 12 und 18 – Umkehraufgaben Auch wenn es sich bei Umkehraufgaben um offene Aufgabenformate handelt, so sind diese doch deutlich einfacher zu lösen als Aufgaben, bei denen bspw. komplexe Begründungen oder Auseinandersetzungen mit Lösungen anderer notwendig sind, was bereits durch das Modell Krathwohls (vgl. Tabelle 6.11) deutlich wurde (σSubtr. = 0,154; σDiv. = 0,401). Die Aufgabe galt nur dann als richtig gelöst, wenn zwei korrekte Aufgaben gefunden wurden. Die Einzelwertung der beiden Rechnungen konnte aufgrund der Vorgaben des Rasch-Modells nicht erfolgen, da damit entweder keine dichotome Aufgabenwertung möglich gewesen wäre oder eine getrennte Betrachtung der Schüleraufgaben das Kriterium der stochastischen Unabhängigkeit verletzt hätte. Die Subtraktionsaufgabe lösten 34 % der Risikogruppe und 8,1 % der Vergleichsgruppe falsch. Die Divisionsaufgabe fiel erwartungsgemäß etwas schlechter aus. Hier konnten 88 % der Vergleichsgruppe und 55 % der Risikogruppe jeweils zwei richtige Aufgaben erreichen.

322

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Abbildung 10.8 Zwei Beispiele korrekter Lösungen der Umkehraufgaben

Meistens wählten die Schülerinnen und Schüler sehr einfache, offensichtliche Aufgaben, wie Abbildung 10.8 zeigt. Bei den Subtraktionsaufgaben konnte, wie im Beispiel zu sehen, häufig die Strategie des gleichsinnigen Veränderns festgestellt werden. Für den Dividenden wählten die Schülerinnen und Schüler bei der Divisionsaufgabe zum großen Teil das Doppelte des Ergebnisses. Es kam ebenso zur Verwendung besonders kreativer Aufgaben, die negative oder sehr große Zahlen enthielten, was jedoch auch zu einem häufig auftretenden Fehler führte, wie bei der ersten Subtraktionsaufgabe in Abbildung 44, wobei es sich durchaus häufig um Flüchtigkeitsfehler handelt (Abbildung 10.9).

Abbildung 10.9 Fehlerhafte Lösungen der Umkehraufgaben

Weitere häufige Fehler sind Rechenfehler bei der Division, die innerhalb des kleinen Einmaleins auftreten, was zum einen ebenfalls durch Flüchtigkeit erklärt werden kann, zum anderen jedoch auch ein Hinweis auf mangelndes Faktenwissen sein kann. Diese ist sicherlich die Ursache, wenn lediglich eine Divisionsaufgabe erstellt werden konnte. Neben Rechenfehlern wurden Fehler begangen, die auf mangelndes Operationsverständnis der Subtraktion und Division zurückzuführen sind, indem Minuend und Subtrahend bzw. Dividend und Divisor vertauscht wurden, wie in Abbildung 10.10. Die Vorstellung, dass

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

323

Minuend und Dividend Ausgangsmengen darstellen, scheint hier nicht ausgebildet zu sein und dadurch wird die Gültigkeit des Kommutativgesetzes hierbei fälschlicherweise vorausgesetzt. Solche Fehler könnten durch einfache geschlossene Subtraktions- und Divisionsaufgaben nicht aufgedeckt werden, wo Umkehraufgaben hingegen viele Informationen liefern, ohne dabei eine besondere Herausforderung an die Schülerinnen und Schüler (bei der Bearbeitung) als auch die Lehrenden (bei der Bewertung) zu stellen.

Abbildung 10.10 Tauschaufgabe wird fehlerhaft als richtige Lösung angenommen

Aufgabe 16 – Fehlersuche Die Fehlersuche kann als andere Art der Umkehraufgabe gesehen werden. Hier müssen jedoch keine Ergebnisse berechnet, sondern Fehler gesucht und berichtigt werden. Die Voruntersuchung zeigte, dass Stufenaufgaben zur Division sowie Multiplikationsaufgaben mit zwei Faktoren und der Null kaum gelöst werden konnten (vgl. Abschnitt 10.1). Da beide Kompetenzen jedoch abgeprüft werden sollen, wurde zusätzlich dieses Aufgabenformat erprobt. Dabei konnte in der qualitativen Voruntersuchung festgestellt werden, dass Schülerinnen und Schüler ihre Entscheidungen, ob ein Ergebnis richtig oder falsch ist, weniger durch Nachrechnen treffen, sondern eher nach dem Gefühl gehen. Damit kann diese Aufgabe dazu beitragen Fehlvorstellungen von der Multiplikation mit Null und Division von Stufenzahlen aufzudecken, ohne dass diese von (unreflektierten) Berechnungen überlagert werden. Denn, wie bereits Sjuts anmerkte, kann die Auseinandersetzung mit den Fehlern anderer, eigene Vorstellungen aufdecken (vgl. Abschnitt 6.2.1). Die Aufgabe ist so angelegt, dass jeweils ein falsches und ein richtiges Ergebnis der beiden Typen vorhanden ist. In der A- und B-Version waren diese jeweils durchmischt, sodass Reihenfolgeneffekte ausgeschlossen werden können. Punkte wurden nur für das Finden und Berichtigen der falschen Aufgaben gegeben, da die Schülerinnen und Schüler auf beide Aufgaben eines Typs die gleiche Vorstellung anwenden mussten und es sonst zu einer doppelten Bewertung gekommen wäre. Damit ist die Aufgabe sehr schnell quantitativ auszuwerten und bringt außerdem für die Schülerinnen und Schüler kaum einen zeitlich größeren Bearbeitungsaufwand, was einen ökonomischen Einsatz eines solchen Formats ermöglicht. Dies konnte in der praktischen Auswertung bestätigt werden.

324

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Aufgrund der Aufgabenkonzeption konnte davon ausgegangen werden, dass diese Aufgaben schwerer sind als das bloße Berechnen, da zwei Teilleistungen gefordert sind: das Finden des Fehlers und das Berechnen des richtigen Ergebnisses. So finden sich diese beiden Aufgaben am unteren Ende der Schwierigkeitsskala. Die Berichtigung der Divisionsaufgabe ist mit σ = 2,478 die schwierigste aller Aufgaben im gesamten Test, die Multiplikation mit Null ist hingegen mit σ = 1,077 deutlich leichter, jedoch trotzdem im oberen Schwierigkeitsbereich zu finden (vgl. Abbildung 10.4). Von Probanden und Probandinnen der Risikogruppe konnte die Divisionsaufgabe kaum gelöst werden. Lediglich 12 der 100 Schülerinnen und Schüler konnten die falsche Aufgabe korrigieren (Vergleichsgruppe 50,3 %). Bei der Multiplikationsaufgabe lag der Anteil immerhin bei 46 % (Vergleichsgruppe 76 %). Besonders auffällig zeigte sich, dass viele dieser Lernende für sehr ähnliche Aufgaben unterschiedliche „Regeln“ verwenden, wie dies im unteren Beispiel (Abbildung 10.11) deutlich wird. Je nach dem, an welcher Stelle die Null in der Multiplikationsaufgabe steht, hat sie einen anderen Einfluss auf das Ergebnis, wodurch ein spezifisches Defizit in der Vorstellung der Multiplikation aufgedeckt werden kann. Außerdem konnte für die Untersuchungsstichprobe durch diese Aufgabe gezeigt werden, dass die Fähigkeiten zum Rechnen mit Stufenzahlen im Allgemeinen schwach ausgebildet sind und Lernende der Risikogruppe hierzu fast ausschließlich ungenügende Vorstellungen besitzen. Beim Lösen solcher Aufgaben müssen Konzepte des Stellenwertverständnisses mit der Division verknüpft werden, was die Komplexität der Aufgabe erhöht und ebenfalls die geringe Lösungsquote erklärt. Wahrscheinlich ist diese Aufgabe auch deshalb so schwierig, da die korrekte Beispielrechnung c) die Regel ich rechne die kleine Einmaleinsaufgabe und hänge dann so viele Nullen dran, wie ich nicht wegkürzen kann, zum richtigen Ergebnis führt, während das beim fehlerhaften Item b) nicht der Fall ist. Abbildung 10.11 Beispiellösung für die Fehlersuchaufgabe

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

325

Somit ermöglicht die Fehlersuchaufgabe zusätzliche Einblicke in das Verständnis der Schülerinnen und Schüler und kann in der Gesamtheit der Aufgaben zur Diagnostik der mathematischen Basiskompetenzen beitragen, wodurch der Einsatz dieser Aufgabe gerechtfertigt werden kann. Aufgabe 17- Rechenaufgaben mit Strategieerfassung Die Intension der Strategieaufgaben ist es, die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler nicht nur anhand richtig oder falsch gelöster Aufgaben einzuschätzen, sondern auch die verwendeten Rechenstrategien zu bewerten. Analog zum BASIS-MATH können die Schülerinnen und Schüler bei Anwendung elaborierter Rechenstrategien Zusatzpunkte erhalten (vgl. Abschnitt 6.1.3). Dabei können die vorgegebenen Strategien in die drei Gruppen elaborierte, nicht-elaborierte und fehlerhafte Strategien (die Strategie führt zu einem falschen Ergebnis) unterteilt werden. Hinzukommen noch Strategien, die von den Schülerinnen und Schülern bei der letzten Ankreuzmöglichkeit jedes Items hinzugefügt wurden und immer einer der drei obigen Gruppen zugeordnet werden können, was allerdings einen Mehraufwand für die korrigierende Lehrkraft bedeutet. Insgesamt konnte erwartungsgemäß festgestellt werden, dass die Additionsund Subtraktionsaufgaben deutlich einfacher waren als die Multiplikations- und Divisionsaufgaben. Die Lösungsquote der Additionsaufgabe unterscheiden sich zwischen den beiden Gruppen so wenig (75 % vs. 87 %), dass die Aufgabe wegen zu schlechter Modellpassung aus dem Aufgabenkatalog gestrichen werden musste. Dies bestätigt die Ergebnisse von Moser Opitz, dass rechenschwache Achtklässler:innen die Addition in der Regel genauso gut beherrschen, wie unauffällige Schülerinnen und Schüler (vgl. Abschnitt 4.2) und rechtfertigt auch, dass sich nicht mehr Rechenaufgaben zur Addition im LeDi-Arithmetik finden. Die verbliebenen Strategieaufgaben befinden sich vom Schwierigkeitsgrad eher im oberen Drittel, wenn ausschließlich die korrekte Aufgabenlösung, nicht jedoch die verwendete Strategie bewertet wird. Dies gilt ebenso für die Aufgabe 64 – 25, die nach dem FEB-Modell deutlich leichter sein sollte als bspw. die Ergänzungsaufgabe __– 9 = 2691. Im Folgenden sollen die einzelnen Aufgaben mit ihren Ankreuzmöglichkeiten genauer untersucht werden. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob sich dieses Aufgabenformat für die Diagnostik von Rechenstrategien eignet und einen Mehrwert für die qualitative Analyse von Kompetenzen liefern kann. Hierzu wurden 299 Diagnosebögen hinsichtlich der tatsächlich verwendeten Strategien untersucht. Bei fünf Aufgaben ergibt das insgesamt 1495 Einzeldaten. Es ist zum einen zu klären, ob Schülerinnen und Schüler der Risikogruppe tatsächlich häufiger unelaborierte Rechenstrategien verwenden, zum anderen wie gut

326

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

die angekreuzten Strategien die tatsächlich verwendeten widerspiegeln. Um dies ermitteln zu können gibt es zwei verschiedene Herangehensweisen: Zum einen können beigefügte Notizen (am Rand oder auf Extraseiten) herangezogen werden, da die Schülerinnen und Schüler bei jeder Erprobung dazu aufgefordert wurden, am Testrand Nebenrechnungen zu notieren, oder verwendete Schmierzettel mit abzugeben. Zum anderen kann die Passung zwischen Ergebnis und angekreuzter Strategie überprüft werden. Die Antwortmöglichkeiten wurden so konzipiert, dass bestimmte Strategien zu bestimmten falschen Ergebnissen führen. Kann dies durch die Diagnosebögen bestätigt werden, so ist davon auszugehen, dass eine Passung zwischen angekreuzter und verwendeter Strategie besteht. Genauso verhält es sich bei richtigen Ergebnissen und dazugehörigen Strategien. Die Analyse von Notizen bietet eine sehr sichere Variante der PassungsÜberprüfung. Da die Aufgaben im Allgemeinen kleines Zahlenmaterial enthalten, werden lediglich beim schriftlichen Rechnen, wiederholten Addieren oder beim Durchgehen von Reihen Notizen angefertigt. Diese drei Strategien werden im Weiteren unter dem Begriff Notizstrategien zusammengefasst und beinhalten so die unelaborierten Strategien, die laut Studienlage (vgl. Kapitel 4.4) gehäuft von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern verwendet werden. Tatsächlich konnte in fast allen Fällen, in denen diese Strategien ausgewählt wurden, auch passende Nebenrechnungen gefunden werden (vgl. Abbildung 10.12).

Abbildung 10.12 Lösungsbeispiel der Aufgabe 64 – 25

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

327

Hier kann mit hoher Sicherheit von einer Passung gesprochen werden. Tabelle 10.6 zeigt die Verteilung der Notizstrategie auf die einzelnen Aufgaben: Tabelle 10.6 Verwendung der Notizstrategien bei den einzelnen Aufgaben

Aufgabe

Strategie

64 – 25

Schriftlich

richtig falsch

9

12 · 11

Reihe durchgehen

richtig

14

Falsch

25

Richtig

6

Wiederholte Addition

450 : 90 4 ·__ = 96

28

Falsch

4

Schriftlich

Richtig

38

Falsch

9

Schriftlich

Richtig

8

Falsch

11

Reihe durchgehen

Richtig

9

Falsch

16

Insgesamt

174

Insgesamt wurde bei 174 der 1196 Aufgabenbearbeitungen (bei der Aufgabe _ : 3 = 9 gab es keine dieser Strategien zur Auswahl) eine Notizstrategie gewählt, wobei aufgrund der häufigen Notizen davon ausgegangen werden kann, dass die tatsächlich verwendete Strategie angekreuzt wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz dieser unelaborierten Strategien fehleranfällig ist. Zwar konnten die Schülerinnen und Schüler durch das schriftliche Rechnen in 74 von 100 Anwendungen zur richtigen Lösung gelangen, die Strategien Reihen durchgehen und wiederholte Addition führten jedoch nur in 28 von 74 Fällen zum korrekten Ergebnis. Insgesamt zeigen die in Tabelle 10.6 aufgeführten Zahlen, dass Notizstrategien in einem nicht zu vernachlässigendem Maß auch noch in der achten Klasse eine Rolle spielen und die ohne die Verwendung dieses Aufgabenformats in einem schriftlichen Test im Verborgenen bleiben würden. Die weitere Analyse untersucht die Passung der Rechenergebnisse mit der ausgewählten Strategie. Ist das Ergebnis korrekt und es wurde außerdem eine Strategie gewählt, die zum richtigen Ergebnis führt, kann von einer Passung ausgegangen werden. Nicht mit einbezogen werden dabei Notizstrategien, da diese bereits analysiert wurden, sowie die Strategie des Abrufens, da hier bei falschen

328

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Ergebnissen davon auszugehen ist, dass dies nicht durch eine mangelhafte Konstruktion der Antwortitems verursacht wird, sondern durch falsches Faktenwissen des Lernenden. Für die verbliebenen Ergebnisse entsteht folgendes Bild: Tabelle 10.7 Korrekte Strategien und korrekte Ergebnisse bei der Strategieaufgabe Aufgabe

Strategie, die zum richtigen Ergebnis führt, wurde angekreuzt

Davon richtiges Ergebnis angegeben

Passung in %

64 – 25

190

161

84,7

12 · 11

100

83

83,0

450 : 90

165

123

75,0

__ : 3 = 9

174

154

88,5

4 ·__ = 96

185

156

84,3

Die in Tabelle 10.7 aufgeführten Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Allgemeinen eine gute Passung zwischen Ergebnis und ausgewählter Strategie zu bestehen scheint. Die Abweichungen betragen bis auf eine Ausnahme maximal 17 %, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Lernenden bei der Anwendung einer elaborierten Strategie verrechnet haben. Allerdings sticht die Aufgabe 450 : 90 heraus, bei der die Abweichung ein Viertel beträgt, wobei alle falschen Ergebnisse 50 oder 500 lauten. Um zu diesen Resultaten zu kommen, dividiert man sicherlich im ersten Schritt 45 und 9, im Anschluss werden jedoch fälschlicherweise Nullen angehangen. D. h., tatsächlich ist die Rechnung 45 : 9, die das korrekte Item darstellt, ein Lösungsschritt, der zu fehlerhaften Ergebnissen führt. Da dieses Ankreuzitem das erste war, haben die Schülerinnen und Schüler oft nicht weitergelesen, um die eigentlich gewählte Strategie zu finden. An dieser Stelle muss die Reihung der Items und die Formulierung nachgebessert werden, sodass keine Ankreuzmöglichkeit einen Teilschritt eines falschen Lösungsweges enthält. Viele falsche Ergebnisse wurden des Weiteren bei der Aufgabe 12 · 11 durch die Strategie „Ich rechne 12 · 10 und 12 · 1 und addiere die beiden Ergebnisse“ festgestellt. Bei genauerer Betrachtung muss jedoch davon ausgegangen werden, dass hier Verrechnen die häufigste Ursache war, da die falschen Ergebnisse nur zweimal durch eine andere gegebene Strategie erreicht werden können. Sehr auffällig sind die Ergebnisse bei den Items der Aufgabe 64 – 25. Während die Strategie „Ich rechne 64 – 20, dann ziehe ich 5 ab“ 108- von 116-mal zum richtigen Ergebnis führt, passiert das beim Item „Ich rechne 60 – 20 und 4 – 5 und addiere beide Ergebnisse“ 53-mal (bei 74 Rechnungen). Dies scheint vor

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

329

allem daran zu liegen, dass es dasselbe Item auch noch mit der Rechnung 5 – 4 gibt, was zum falschen Ergebnis 41 führt und von weiteren acht Schülerinnen und Schülern gewählt wurde, die das richtige Ergebnis notierten. Diese beiden Ankreuzitems scheinen sich zu sehr zu ähneln, um eine Passung von verwendeter und ausgewählter Strategie gewährleisten zu können. Bei diesen Items müssen andere Formulierungen gefunden oder die Rechnungen hervorgehoben werden. Zusammenfassend wurden bei 1495 Rechnungen 814-mal elaborierte Rechenstrategien angekreuzt. 677-mal ist davon auszugehen, dass die Aufgabe mit der angegebenen Rechenstrategie gelöst wurde. Das entspricht einem Anteil von knapp 83 %. Allerdings kam es vermehrt zu falschen Strategieauswahlen bei sehr ähnlich formulierten Items und bei der Strategie 45 : 9, um die Aufgabe 450 : 90 zu lösen. Eine andere Analysemöglichkeit ist die Ermittlung der Anzahl von korrekten Ergebnissen, bei denen jedoch eine Strategie angekreuzt wurde, die zu einem falschen Ergebnis führen sollte. Hier ist davon auszugehen, dass die ausgewählte Strategie nicht der verwendeten entspricht. Tabelle 10.8 zeigt die Verteilung dieser Fälle bei den verschiedenen Aufgaben und Ankreuzmöglichkeiten. Tabelle 10.8 Verteilung der richtigen Ergebnisse trotz falscher Strategie Aufgabe

Strategie

64 – 25

60 – 20, dann 40 – 9

Anzahl der Verwendungen 8

Richtiges Ergebnis 2

60 – 20 und 5 – 4

19

8

12 · 11

12 · 10 und 11 · 1

12

8

10 · 10 und 2 · 1

32

7

450 : 90

90 : 45, eine Null anhängen

6

1

45 : 9, eine Null anhängen

37

6

450 : 9, eine Null anhängen 45 : 9, zwei Nullen anhängen

3

1

18

3

6

3

__ :3 = 9

9:3 3:9

3

2

4· __ = 96

4 : 96

17

11

4 · 96

9

6

Insgesamt wurden bei der Bearbeitung der Aufgaben 58-mal korrekte Ergebnisse berechnet, jedoch eine Strategie ausgewählt, die zu einem falschen Ergebnis

330

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

führen muss. Für eine qualitative Diagnostik sind diese Fehler vernachlässigbar, denn es ist davon auszugehen, dass alle Lernenden, die die Aufgaben richtig gelöst haben, keine fehlerhafte Strategie angewendet haben. Wie bereits beschrieben, kreuzten acht Schülerinnen und Schüler die Strategie „60 – 20 und 5 – 4“ an, obwohl sie zum richtigen Ergebnis kommen und davon auszugehen ist, dass zwei Items zu ähnlich formuliert sind und es so zu Fehlern gekommen ist. Die gleiche Ursache liegt sicherlich auch den insgesamt 15 falsch gewählten Strategien bei der Aufgabe 12 · 11 zugrunde, bei denen eine Strategie gewählt wurde die eigentlich zu einem falschen Ergebnis führt, das berechnete Resultat ist jedoch korrekt. So gibt es hier ebenfalls drei ähnlich formulierte Rechenstrategien, die jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Bei der Aufgabe 450 : 90 ist zu vermuten, dass die 11 falsch gewählten Strategien durch den gleichen Effekt zustande gekommen sind, wie die inkorrekten Rechenergebnisse mit der gewählten Strategie 45 : 9. Es wurde nur nach der passenden Aufgabe 45 : 9 gesucht und ein Item ausgewählt, das diese Aufgabe enthält ohne das gesamte Item zu lesen. Ein Hinweis auf diese Hypothese ist dabei, dass das Item 450 : 9 und 90 : 45 und eine Null anhängen, welches die Rechnung 45 : 9 nicht enthält, kaum fälschlicherweise gewählt wurden. Überraschend ist zudem die hohe Zahl der falschen Strategieauswahlen bei der Aufgabe 4 · __ = 96 und der Rechenstrategie 4 : 96. Hier muss davon ausgegangen werden, dass den Schülerinnen und Schülern, die nicht gegebene Kommutativität der Division nicht bewusst ist. Eine letzte Analysequelle bilden inkorrekte Schülerlösungen und die vorgegebenen Rechenstrategien, die zu diesen führen. Betrachten wir zunächst die Verteilung der fehlerhaften Strategien (Tabelle 10.9): Tabelle 10.9 Anzahl fehlerhafter Strategien und Ergebnisse sowie deren Passung

Aufgabe

Strategie

64 – 25

60 – 20, dann 40 – 9

12 · 11

Falsche Ergebnisse

Dazu passende Ergebnisse

6

6

60 – 20 und 5–4

11

8

12 · 10 und 11 · 1

4

3

10 · 10 und 2·1

25

23 (Fortsetzung)

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene Tabelle 10.9 (Fortsetzung)

331

Aufgabe

Strategie

450 : 90

90 : 45, eine Null anhängen

5

1

45 : 9, eine Null anhängen

31

21

450 : 9, eine Null anhängen

2

0

45 : 9, zwei Nullen anhängen

15

7

__ : 3 = 9 4 · __ = 96

Falsche Ergebnisse

Dazu passende Ergebnisse

9:3

3

3

3:9

1

0

4 : 96

6

0

4 · 96

1

1

Insgesamt wurden 110-mal Strategien angekreuzt, die zu falschen Ergebnissen führen, und tatsächlich auch inkorrekte Ergebnisse notiert. Insgesamt sechs der zwölf Ankreuzmöglichkeiten erhielten zufriedenstellende Übereinstimmungen zwischen den (inkorrekten) Ergebnissen und der gewählten Strategie. Bei allen kursiv markierten Items konnten hingegen kaum Übereinstimmungen festgestellt werden. Häufig wurden hier keine Zahlen notiert oder diese wieder durchgestrichen. Dies spricht nicht zwangsläufig dafür, dass sie die angegebene Strategie nicht verwendet haben, sondern eher dafür, dass die durch die Strategie entstandenen Aufgaben die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler überstiegen, da die in den Items angelegten Rechnungen in höheren Zahlenräumen gelöst werden müssen oder den Bereich der natürlichen Zahlen verlassen. Problematisch scheinen die Ankreuzitems der Aufgabe 450 : 90 zu sein, da insgesamt nur das Item zum schriftlichen Rechnen hohe Übereinstimmungswerte zeigte. Des Weiteren kann bei dieser Aufgabe anhand des Ergebnisses leicht auf die Strategie geschlussfolgert werden. Außerdem ist mit der Fehlersuchaufgabe 300 : 60 = 50 eine weitere Aufgabe desselben Typs im LeDi-Arithmetik enthalten. Aus diesem Grund ist der Mehrwert der Strategieerfassung dieser Divisionsaufgabe infrage zu stellen und aus dem Testbogen zu entfernen.

332

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Die Auswertung der 1495 Aufgabenlösungen zeigt insgesamt, dass bei 924 Rechnungen und gewählten Strategien von einer Passung auszugehen ist, da entweder eine Notizstrategie verwendet wurde (174-mal), eine elaborierte Strategie auch zum richtigen Ergebnis (677-mal) führt, oder zu einem falschen Ergebnis die passende fehlerhafte Strategie angekreuzt wurde (73-mal), was insgesamt einem Anteil von rund 62 % der Stichprobe entspricht (wenn das nun aussortierte Item 450 : 90 mitberücksichtigt wird). Bei 58 Antworten ist davon auszugehen, dass anders gerechnet wurde als durch die angekreuzte Strategie suggeriert (rund 4 %). Keine Aussagen können über die Strategien Abrufen oder Zählen gemacht werden, da es hier keine Notizen gibt, sie jedoch trotzdem fehleranfällig sind. Außerdem wurden insgesamt 164-mal andere Strategien von den Schülerinnen und Schülern notiert, bei denen es sich häufig um weitere elaborierte Rechenstrategien handelte. Sonstige unangemessene Hilfsstrategien, die durch ein Diagnoseverfahren für Rechenschwäche aufgedeckt werden müssten, wurden nicht angegeben. Zum Auslassen der Ankreuzitems kam es 73-mal, wodurch keine Aussage getroffen werden kann. Insgesamt scheinen die angekreuzten Strategien zum großen Teil den verwendeten zu entsprechen. Bei einigen Items kam es jedoch gehäuft zu Verwechslungen. Dies passierte besonders bei ähnlich formulierten Rechenstrategien oder wenn Teilschritte der eigentlichen Fehlerstrategien beschrieben wurden. So kann davon ausgegangen werden, dass sich diese Art der Aufgaben zur Diagnostik durchaus eignen, wobei im Besonderen auf die Formulierung und Reihung der Items geachtet werden muss. Außerdem zeigte sich, dass nicht alle Rechenaufgaben geeignet sind, wie sich bei dem Item 450 : 90 zeigte. Für einen Paper-Pencil-Test scheint es ein gut umsetzbares Aufgabenformat zu sein, um Informationen über die Vorgehensweisen und damit auch über die grundlegenden mathematischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Aufgabe 18 – Darstellungswechsel von der algebraischen Form zur Textaufgabe Haben die Lernenden Grundvorstellungen zu einem Sachverhalt erworben, sind sie in der Lage Darstellungswechsel zu vollführen (Wartha und Schulz 2011, S. 5). Eine Möglichkeit des Darstellungswechsels ist die Rückübersetzung eines Rechenausdrucks in einen Sachkontext. Jedoch stellte bereits Moser Opitz fest, dass die Fähigkeiten aller Lernenden der achten Klasse bezüglich des Operationsverständnisses der Grundrechenarten eher schwach ausgeprägt sind. Hier konnten nur 55,3 % der Vergleichsgruppe und 48,2 % der Rechenschwachen die Aufgabe 3 · 7 in einen Kontext einbetten. Noch geringer waren die Lösungsquoten bei der Ergänzungsaufgabe 73 + __ = 100 mit 46,8 % in der Vergleichsgruppe und 34,1 % in der Untersuchungsgruppe (vgl. Abschnitte 4.2 und 4.3). Auch bei

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

333

der Auswertung des LeDi-Arithmetik muss festgestellt werden, dass die beiden Aufgaben zur Übersetzung zwischen einem algebraischen Ausdruck und einer Sachsituation mit σ = 2,07 für die Aufgabe 3 · 4 und σ = 2,47 für die Aufgabe 27 – __ = 12 tatsächlich zu den schwierigsten des gesamten Tests zählen, wobei adäquat zu den Ergebnissen der Studie Moser Opitz’ die Ergänzungsaufgabe noch höhere Schwierigkeitsparameter zeigt als die Multiplikation. Bei der Analyse der Ergebnisse konnten insgesamt drei Fehlertypen unterschieden werden: Es kam etwa bei der Aufgabe 3 · 4 zur Verwechslung der Rechenoperation. Meistens wurde eine Additionsaufgabe formuliert wie in Abbildung 10.13 gezeigt.

Abbildung 10.13 Falschlösung zur Aufgabe 18

Bei der Aufgabe 27 – __ = 12 kam es hingegen besonders häufig zur Beschreibung von Sachsituationen, die statt der eigentlichen Aufgabe den Ausdruck 27 – 15 = __ beschrieben (vgl. Abbildung 10.14).

Abbildung 10.14 Falschlösung zur Aufgabe 19

Zudem kam es vor, dass keine Kontexte angegeben, sondern stattdessen eine Umschreibung der Aufgaben vorgenommen wurde, sodass es sich statt einem Darstellungswechsel zwischen einem algebraischen Ausdruck und einer

334

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Sachsituation um einen inner-symbolischen Übersetzungsprozess handelt (formalsprachlich). Hier ist nicht klar, ob der oder die Lernende dies als Ausweichstrategie nutzt, weil er oder sie nicht in der Lage ist einen Kontext zu finden, oder ob der Fehler durch ein Verständnisproblem zustande kommt und die Aufgaben möglicherweise durch ein beigefügtes Beispiel verbessert werden sollten. Häufig wurden die Aufgaben, wie bereits beschrieben, nicht bearbeitet. Wie bei allen anderen Aufgaben auch, kann damit keine Aussage über die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler getroffen werden, da nicht klar ist, wodurch dies verursacht wurde. Das Operationsverständnis der Multiplikation und des TTG-Konzepts gehören zu den fundamentalen Basisfähigkeiten ohne die die Kompetenzentwicklung in der Sekundarstufe kaum möglich ist (Ehlert et al. 2013, S. 178). Die beschriebenen ersten beiden Fehler können darauf hindeuten, dass Schülerinnen und Schüler dies nicht im ausreichenden Maße haben. Damit kann der Einsatz der Aufgabe trotz der hohen Schwierigkeitsparameter gerechtfertigt werden. Zusammenfassung der Ergebnisse Ein gut ausgebildetes Stellenwertverständnis sowie Grundvorstellungen zu den Rechenoperationen bilden die Grundlage für den weiteren mathematischen Kompetenzerwerb in der Sekundarstufe I. Die Aufgaben, die dies abprüfen sollen, bilden somit den Kerntest des LeDi-Arithmetik mit den Inhaltsbereichen Stellenwertverständnis, Rechnen mit natürlichen Zahlen und Lösen von Sachaufgaben. Die Analyse der 52 Aufgaben zeigte, dass 47 gut zwischen mathematisch unauffälligen Schülerinnen und Schülern und solchen mit mangelnden Basisfähigkeiten unterscheiden. Lediglich die Aufgaben zum Transkodieren der Zahl 3076, zum Ordnen, zur Strategieerfassung der Addition, zum Bündeln von Punktmengen und zum Finden einer Sachsituation zu einem vorgegebenen Bild zeigten schwache Itemkennwerte und werden aus dem Test entfernt. Die ersten drei Items konnten auch die Schülerinnen und Schüler der Risikogruppe lösen, was zeigt, dass sehr schwache Lernende in der Sekundarstufe I durchaus über grundlegende Fähigkeiten verfügen. Die übrigen zwei Aufgaben zeigten hingegen kaum Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Gruppen, was durch die ungewöhnlichen und damit wenig bekannten Aufgabenformate zu begründen ist. Des Weiteren wurde die Aufgabe 450 : 90 mit Strategieerfassung aus der Aufgabensammlung genommen, da es hierbei sehr viel falsch ausgewählte Strategien gab und der Mehrwert dieser Aufgabe nicht deutlich wurde, da mit der Fehlersuchaufgabe 300 : 60 = 50 noch ein vergleichbares Item im Test verbleibt.

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

335

Trotz der Entfernung dieser fünf Items sind bis auf wenige Ausnahmen, wie das Bündeln, alle Inhalte im LeDi-Arithmetik zu finden, die durch Studien als Indikatoren für eine mögliche Rechenschwäche ermittelt wurden, enthalten. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der Analyse der Aufgaben mit erhöhtem Diagnosepotenzial, da solche Aufgaben in standardisierten Mathematiktests im Allgemeinen und in Diagnoseinstrumenten zum Erkennen von Rechenschwäche im Besonderen bisher kaum enthalten sind. Die Ergebnisse zeigen, dass viele dieser Aufgaben hohe Schwierigkeitsparameter zeigen. Besonders Aufgaben, bei denen Texte verfasst werden mussten, scheinen eine besonders hohe Komplexität zu haben. Jedoch zeigten auch andere Aufgaben wie die Fehlersuchaufgabe 300 : 60 = 50 hohe Schwierigkeitsparameter, was darauf hindeutet, dass das Schreiben von Texten nur ein schwierigkeitsbestimmendes Merkmal ist (vgl. Abschnitt 6.2.2), das verwendete Zahlenmaterial und die Bekanntheit des Aufgabenformats allerdings ebenso eine wichtige Rolle spielen und diese Aufgaben damit sehr gut zwischen der Risiko- und der Vergleichsgruppe unterscheiden. Durch die Analyse der Items zeigte sich, dass besonders die qualitativen Informationen, die diese Aufgaben liefern, für die Diagnose eine zentrale Rolle spielen können, da eine Vielzahl von Fehlvorstellungen aufgedeckt werden, was in dieser Form durch geschlossene Aufgabenformate nicht möglich ist. Verfestigte Rechenschemata können Fehlvorstellungen verdecken, da Aufgaben trotz Fehlvorstellungen korrekt gelöst werden. Mithilfe von Aufgabenformaten wie Fehlersuche, Zielumkehr, Erklären oder Finden von Sachsituationen können diese Schemata nicht mehr angewendet werden. Stattdessen müssen diese Aufgaben auf Grundlage von Operationsverständnis gelöst werden, was sie zwar schwieriger macht, die diagnostische Aussagekraft jedoch deutlich erhöht. Zumal zeigte die Vorstudie, dass einige andere Aufgabenformate, wie das Zeichnen von Punktmustern oder das einfache Berechnen von Stufenaufgaben nicht die gewünschten Resultate lieferte und somit die bestmöglichen Aufgaben für diesen Zweck im Testverfahren LeDi-Arithmetik eingesetzt werden. Somit haben verstehensorientierte Aufgaben einen deutlichen Mehrwert für ein Diagnoseverfahren zum Erkennen von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen, womit die Forschungsfrage e (vgl. Abschnitt 9.1) beantwortet werden konnte.

336

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

10.2.2 Testteil 3 – gebrochene Zahlen Allgemeine Auswertung Ausgehend von der These, dass Lernende mit ungenügenden mathematischen Basisfähigkeiten zwar in der Lage sind Kompensationsstrategien zu verwenden, um grundlegende, bekannte Mathematikaufgaben zu lösen, diese Strategien jedoch bei arithmetischen Inhalten der Sekundarstufe I versagen, wurden Aufgaben zu gebrochenen Zahlen konzipiert, die bei nicht eindeutigem Ergebnis als Zusatzskalen herangezogen werden können. So soll nun nachfolgend ermittelt werden, welche Aufgaben sich für die Zusatzskala der gebrochenen Zahlen eignen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass grundlegende mathematische Fähigkeiten zwar eine hinreichende, jedoch keine notwendige Bedingung für das Bruchzahlverständnis darstellen (vgl. Einführung in Kapitel 5). Das heißt, dass ein schwaches Abschneiden im Teil 3 des Tests nicht zwingend auf ungenügende grundlegende mathematische Fähigkeiten schließen lässt. Des Weiteren sind nach den Ergebnissen der PALMA-Studie in diesem Zahlenbereich auch bei unauffälligen Schülerinnen und Schülern deutlich höhere Fehlerquoten zu erwarten (Padberg und Wartha 2017) als dies im Testteil 1 und 2 der Fall ist. Der Testteil 3 enthält insgesamt 28 Einzelitems. Der Mittelwert der korrekt gelösten Items liegt, wie zu erwarten, mit 20 Punkten prozentual niedriger als der der Testteile 1 und 2 (vgl. Abschnitt 10.2.1). Es fällt außerdem auf, dass die Leistungen bzgl. der gebrochenen Zahlen deutlich mehr streuen, als dies bei den grundlegenden mathematischen Fähigkeiten der Fall ist (Abbildung 10.15). Im Allgemeinen kann eine hohe Korrelation zwischen den Testteilen zu den natürlichen Zahlen und dem zu den Brüchen festgestellt werden, wobei der Zusammenhang für die Risikogruppe (RG) noch deutlicher ausfällt als für die Vergleichsgruppe (VG) (Tabelle 10.10).

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

337

Abbildung 10.15 Verteilung der Punktzahlen im Testteil 3

Tabelle 10.10 Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der Testteile zu den natürlichen und den gebrochenen Zahlen der Vergleichs- und Risikogruppe Gesamtpunktzahl Teil 3 VG

Gesamtpunktzahl Teil 1 und 2

Korrelation nach Pearson

,509**

Signifikanz (2-seitig)

,000

N RG

Gesamtpunktzahl Teil 1 und 2

299

Korrelation nach Pearson

,580**

Signifikanz (2-seitig)

,000

N

100

Aufgabenanalyse Überprüfung der Modell-Parameter Das Vorgehen bei der Suche nach geeigneten Aufgaben entspricht dem, der Testteile 1 und 2. Zunächst werden mithilfe der Software R die Itemfit-Werte sowie auf Grundlage des Wald-Tests die Eignung der Einzelitems anhand des p-Wertes zur Raschmodellierung überprüft.

338

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Tabelle 10.11 Itemkennwerte der Aufgaben zu gebrochenen Zahlen Aufgabe

Itemfit MSQ

Bruch erkennen, Rechteck

z-Statistik

p-Wert

21

1,078

1,855

0,064

Bruch erkennen, Sterne

22

1,096

2,075

0,038

1 3 darstellen 4 12 darstellen 3 4 auf dem Zahlenstrahl

23a

1,133

2,247

0,025

23b

1,215

4,35

24a

0,888

0,394

1,75 auf dem Zahlenstrahl eintragen

24b

1,378

5,122

0

1 1 3 und 4 vergleichen 4 2 6 und 6 vergleichen 4 5 5 und 4 vergleichen 8 12 kürzen 5 20 kürzen 20 5 kürzen 1 5 6 + 6 = 2 1 3 + 4 = 3 1 5 − 5 = 3 1 4 − 2 = 1 3 von 24 2 5 von 10

25a

0,987

0,105

0,916

25b

1,239

2,204

0,027

25c

0,939

0,77

0,442

26a

0,918

0,146

0,884

26b

0,892

−1,062

0,288

26c

1,124

2,3

0,021

27a

0,872

−1,966

0,05

27b

0,792

−2,843

0,004

eintragen

0 0,694

27c

0,992

0,615

0,538

27d

0,883

−3,069

0,002

28a

0,875

0,316

0,752

28b

0,865

−1,251

0,211

10 % von 50

28c

0,851

−1,392

0,164

1 % von 200

28d

0,978

0,393

0,694

gleiche Zahlen finden

29

0,913

0,754

0,451

Größenvergleich Dezimalzahlen

30

0,891

−1,178

0,239

0,3 + 7 =

31a

0,866

−1,326

0,185

10·2,5 =

31b

0,973

0,403

0,687

250:100 =

31c

0,836

−2,037

0,042

Um wie viel ist 0,75 größer als 0,7?

31d

0,981

0,292

0,77

Komma als Bezugspunkt

32

1,22

3,257

0,001

Zahlen zwischen 1,5 und 1,6

33

0,921

0,829

0,407

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

339

Wie in Tabelle 10.11 ersichtlich wird, erfüllt das Item 24b (1,75 auf dem Zahlenstrahl eintragen) die Anforderungen an den Itemfit-Wert nicht und ist deshalb aus dem Test zu entfernen. Um den Wald-Test durchführen zu können, musste erneut ein geeignetes Splitkriterium gesucht werden. Analog zu den Testteilen 1 und 2 wurden hierfür lineare Regressionen anhand der Punktzahlen des Kerntests des BADYS 8+ durchgeführt. Dahinter steht die Frage, wie viele Punkte im Testteil 3 die Schülerinnen und Schüler erreichen, die im BADYS als dyskalkulisch erkannt werden. Wiederum zeigt die Gruppe Mädchen_gesamt die beste Passung. Die lineare Regression mit dem Grenzwert 59 im BADYS ergibt eine Punktzahl von 17 im Testteil 3 des LeDi-Arithmetik (Abbildung 10.16).

Abbildung 10.16 Lineare Regression zwischen den Gesamtpunktzahlen des BADYS und denen des Testteils 3

Der Wald-Test mit dem Splitkriterium Gesamtpunktzahl Testteil 3 < 18 zeigt, dass weitere zehn Items signifikante p-Werte aufweisen. So muss anhand der Lösungsquoten überprüft werden, ob die Aufgaben dennoch zur Zusatzdiagnostik von Rechenschwäche geeignet sind. Diese zeigen, dass wie bereits vermutet,

340

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

auch Schülerinnen und Schüler der Vergleichsgruppe deutlich mehr Defizite aufweisen als im Bereich der natürlichen Zahlen. Allerdings handelt es sich bei denen, die weniger als 18 Punkte erreichten nicht in jedem Fall um Lernende, die in den Testteilen der natürlichen Zahlen der Risikogruppe zugeordnet wurden, dieser Anteil beträgt lediglich 79 %. 21 Proband:innen dieser Gruppe konnten hingegen in diesem Testteil die kritische Punktzahl übertreffen. Es gibt somit Schüler:innen, die trotz mangelnder gezeigter Basisfähigkeiten, gute Fertigkeiten hinsichtlich des algorithmischen Arbeitens mit Brüchen zeigen. Somit könnte der Testteil der gebrochenen Zahlen allein nicht für eine Diagnose von Rechenschwäche ausreichen, sondern die Fähigkeiten müssen immer mit denen zu den natürlichen Zahlen in Zusammenhang gebracht werden. Tabelle 10.12 Lösungsquoten des Testteils 3 unter Berücksichtigung des Splitkriteriums Aufgabe

≥ 18 Punkte

< 18 Punkte

Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent Anteil identifizieren, Stern 22 Bruch

1 3

Bruch

4 12

falsch

32

25,4

14

5,1

richtig

94

74,6

259

94,9

darstellen

23a falsch

42

33,3

21

7,7

richtig

84

66,7

252

92,3

darstellen

23b falsch

38

30,2

29

10,6

richtig

88

69,8

244

89,4

25b falsch

41

32,5

28

10,3

richtig

85

67,5

245

89,7

falsch

78

61,9

55

20,1

Vergleich von 20 5

und

2 6

kürzen

1 6

+

5 6

2 3

+

1 4

3 4

4 6



1 2

= = =

250:100 Komma als Bezugspunkt

26c

richtig

48

38,1

218

79,9

27a falsch

85

67,5

33

12,1

richtig

41

32,5

240

87,9

27b falsch

119

94,4

101

37,4

richtig

7

5,6

171

62,6

27d falsch

116

92,1

87

31,9

31c 32

richtig

10

7,9

186

68,1

falsch

91

72,2

34

12,5

richtig

35

27,8

239

87,5

falsch

109

86,5

152

55,7

richtig

17

13,5

121

44,3

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

341

Die DUDEN-Studie ergab, dass rechenschwache Schülerinnen und Schüler zwar wenig Schwierigkeiten beim Identifizieren eines Bruchs oder Anteils haben, ihnen das Realisieren aber große Probleme bereitet (vgl. Abschnitt 5.4.2). Der Wald-Test zeigt jedoch, dass beide Items zu diesem Sachverhalt signifikante p-Werte aufweisen. Aufgrund der Studienergebnisse ist jedoch dafür zu plädieren, dass zumindest eine Aufgabe zum Realisieren von gemeinen Brüchen im Test verbleibt, um diese Kompetenz im LeDi-Arithmetik prüfen zu können. Die Aufgabe 23a zeigte eine geringere Abweichung vom geforderten Wert als die Aufgabe b. Des Weiteren sind die Unterschiede zwischen den Lösungsquoten der beiden Gruppen größer, sodass die Aufgabe 23a im Test verbleiben sollte, die Aufgabe 23b jedoch zu streichen ist. Die Aufgaben 25b und 26c können trotz hoher Unterschiede in den Lösungsquoten entfernt werden, da jeweils noch zwei weitere Aufgaben zur Thematik im Test verbleiben. Bei den Aufgaben zur Addition und Subtraktion von gemeinen Brüchen zeigen drei der vier Aufgaben auffällige p-Werte im Wald-Test (vgl. Tabelle 10.11). Dies deutet darauf hin, dass sich die Leistungen rechenschwacher und unauffälliger Schülerinnen und Schüler hier sehr unterscheiden, was durch die Zahlen in Tabelle 10.12 bestätigt wird. Wie zu erwarten ist die Additionsaufgabe 23 + 41 die mit der geringsten Lösungsquote, da sie im Vergleich zum Item 43 − 21 nicht nur aus Alltagsbrüchen besteht, zu denen intuitive Vorstellungen vorhanden sind. Stattdessen wird die Additionsaufgabe durch Abrufen eines Algorithmus bearbeitet. Jedoch zeigten beide Aufgaben gleichermaßen geringe Lösungsquoten, was vermuten lässt, dass auch die vermeintlich einfache Aufgabe mit den bekannten Brüchen 43 und 1 2 vor allem algorithmisch gelöst wird, die Risikogruppe die notwendige Rechenvorschrift jedoch nicht beherrscht und die Notwendigkeit zu subtrahieren die Fehlerquote zusätzlich erhöht. Aufgrund der sehr hohen Fehlerquote in dieser Gruppe sollten die beiden Aufgaben im Test verbleiben, genauso wie die Aufgabe 1 5 6 + 6 , die immer noch eine deutliche Diskrimination zwischen der Risikogruppe und der Vergleichsgruppe zeigt, wie anhand der Lösungsquoten bestätigt wird. Dasselbe Argument ist für die Aufgabe 250 : 100 anzuführen, da es mit einer Lösungsquote von 87,5 % bei dieser Aufgabe nur selten zu Fehlern innerhalb der Vergleichsgruppe kommt, die Risikogruppe löst das Item jedoch nur zu 27,8 % richtig. Es ist also nur etwas mehr als jede:r vierte dieser Schüler:innen in der Lage, die Aufgabe korrekt zu lösen. Anders sieht dies bei der schriftlichen Addition von zwei Dezimalzahlen aus, bei der nicht das Komma, sondern wie bei natürlichen Zahlen die letzte Stelle als Bezugspunkt gewählt wurde. Nicht einmal die Hälfte der Vergleichsgruppe konnte eine korrekte Lösung finden, sodass ein falsches Ergebnis hier kaum Aussagekraft besitzt und diese Aufgabe deshalb aus dem Test entfernt wird.

342

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Stellt man die mittels eindimensionalen Raschmodell berechneten Schwierigkeiten der verbliebenen Items in einer Person-Item Map dar, ergibt sich folgendes Bild (Abbildung 10.17):

Abbildung 10.17 Person-Item Map des Teils 3

Im Gegensatz zu den Testteilen 1 und 2 streuen die Personenfähigkeiten hier deutlich mehr. Wiederum sind die beiden Ausreißer am linken Diagramm-Rand zu bemerken, bei denen es sich um dieselben Schülerinnen und Schüler wie im Testteil 1 und 2 handelt. Des Weiteren ist zu erkennen, dass sich die Items eher in der Mitte und auf der rechten Seite des Diagramms befinden, die Aufgaben sind daher als deutlich schwieriger zu werten, als die der Teile 1 und 2, was jedoch zu

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

343

erwarten war, da es sich nicht um grundlegende mathematische Fähigkeiten handelt. Allerdings erreichen viele Schülerinnen und Schüler eine Personenfähigkeit, die deutlich oberhalb der Itemschwierigkeiten liegt, sodass auch dieser Testteil nicht im oberen Leistungsbereich differenziert. Es zeigen jedoch alle getesteten Schülerinnen und Schüler (außer die Ausreißer) eine Personenfähigkeit, die mindestens genauso hoch liegt, wie der Wert der Itemschwierigkeit, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Items gut für den unteren Leistungsbereich geeignet sind. Die 92 Lernenden, die die vorher festgesetzte Marke von 18 Punkten unterschreiten weisen maximal eine Personenfähigkeit von ξ = −0,25. Zur Unterscheidung zwischen den Lernenden mit guten und weniger guten Fertigkeiten zur Bruchrechnung sind vor allem die Aufgaben geeignet, die sich nahe rechts und links von diesem Wert befinden. Das scheinen vor allem Aufgaben zur Dezimalzahlrechnung zu sein. Die Schwankung der Itemschwierigkeit ist mit 0,739 eher gering, lässt man die Aufgabe zum Finden gleicher Zahlen außer Acht, der Schwierigkeitsgrad dieser Aufgaben ist somit vergleichbar hoch. Damit können diese Aufgaben als sehr geeignet zur Diagnostik eingeschätzt werden. Hingegen wird deutlich, dass den Schülerinnen und Schülern besonders das Darstellen von Brüchen sowie das Kürzen eher leicht fällt. Damit unterscheiden diese Aufgaben gut zwischen den Schüler:innen innerhalb der besagten Gruppe, sind aber zur Diskrimination zwischen den Lernenden mit guten und weniger guten Fertigkeiten in diesem Bereich nicht so gut geeignet. Sehr einfache Aufgaben, die von fast allen Schülerinnen und Schülern mit hohen Wahrscheinlichkeiten gelöst werden können, wie das bei den natürlichen Zahlen der Fall ist, gibt es im Testteil der gebrochenen Zahlen nicht. Stattdessen finden sich viele Aufgaben, die einen eher hohen Schwierigkeitsgrad aufweisen, wobei besonders die Aufgaben zum Rechnen mit ungleichnamigen Brüchen sowie Prozent- und von-Aufgaben als komplex zu bewerten sind, wie aus der Studienlage zu erwarten war (vgl. Kapitel 5). Wie zum Teil bereits in Tabelle 10.12 dargestellt wurde, konnten die Schülerinnen und Schüler, die weniger als 18 Punkte erreichten und damit zumeist der Risikogruppe angehören diese Aufgaben kaum bewältigen. Lernende, die in der Lage sind ungleichnamige Brüche zu addieren und zu subtrahieren und Prozent- und von-Aufgaben zu lösen, sind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht rechenschwach, weswegen sich diese Aufgaben zur Diagnostik gut eignen, auch wenn sich aus unkorrekten Ergebnissen nicht direkt auf mangelnde Fertigkeiten, die möglicherweise mit einer Rechenschwäche erklärt werden können, schließen lassen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass es nur wenige Schülerinnen und Schüler gibt, die schwach im Bereich der natürlichen Zahlen abgeschnitten haben,

344

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

jedoch gute Leistungen im Testteil 3 zeigten, was die Forschungsergebnisse von Wartha und Güse weitestgehend bestätigt (2009, 276 f.). Die verbliebenen Aufgaben unterscheiden damit im Allgemeinen zwischen Schülerinnen und Schülern mit schwachen Basisfähigkeiten und solchen, die gut entwickelte mathematische Grundkenntnisse aufweisen (vgl. Forschungsfrage a2 ). Somit zeigt sich, dass sich dieser Testteil zur weiterführenden Diagnostik von Rechenschwäche eignet und als zusätzliches Diagnosekriterium einen wichtigen Beitrag zum Erkennen rechenschwacher Schülerinnen und Schüler zu leisten vermag (vgl. Forschungsfrage b3 ). Wie dies genau aussehen kann, wird in Abschnitt 10.3 gezeigt.

10.2.3 Testteil 4 – ganze Zahlen Aufgrund der geringen Studienlage gilt dieser Testteil eher als Vorstudie für eine spätere mögliche Zusatzskala. Die Grundlage der Aufgabenkonstruktion bildete das Stufenmodell nach Malle, wobei die ersten vier Aufgaben zum Zahlenstrahl sowie die anschließenden drei Aufgaben zum Größenvergleich der Stufe 2 und die abschließenden Aufgaben zum Addieren und Subtrahieren von ganzen Zahlen der Stufe 3 zuzuordnen sind (vgl. Kapitel 8.3). Es wird davon ausgegangen, dass Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen Aufgaben der vierten Stufe im Modell nach Malle, also der Multiplikation und Division, nicht lösen können, da ihnen bereits die Multiplikation und Division natürlicher Zahlen schwer fällt, weswegen Aufgaben hierzu nicht gestellt wurden. Wie in Abbildung 10.18 zu sehen ist, erreichten die Schülerinnen und Schüler im Allgemeinen sehr gute Ergebnisse in diesem Testteil. Mehr als die Hälfte lösten alle elf Aufgaben korrekt. Im Mittel konnten die Schülerinnen und Schüler neun Aufgaben lösen und damit fällt dieser Testteil von allen mit Abstand am besten aus. Möglicherweise liegt dies an der Aktualität des Lehrstoffs, da ganze Zahlen Bestandteil des Curriculums der siebten Klasse in Sachsen sind.

2

Welche Aufgaben unterscheiden zwischen Schülerinnen und Schülern mit mangelnden und gut ausgebildeten mathematischen Basiskompetenzen? 3 Welchen Beitrag leisten dabei Aufgaben aus dem Bereich der gebrochenen Zahlen?

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

345

Abbildung 10.18 Verteilung der Gesamtpunktzahlen des Teils 4 des LeDi-Arithmetik

Aufgabenanalyse Wie bereits angedeutet, lässt sich vermuten, dass sich die Lösungsquoten mit steigender Niveaustufe nach Malle verringern. In Abbildung 10.19 ist dies auch tatsächlich zu beobachten. Dabei zeigen die beiden ersten Zahlengeradenaufgaben höhere Fehlerquoten als erwartet, da diese im Gegensatz zu denen, auf denen die 50 bzw. −100 eingetragen werden müssen, symmetrisch aufgebaut sind, was die Lösung leichter machen sollte als die beiden letzten beiden Zahlengeraden. Der Vergleich zweier ganzer Zahlen zeigt hingegen die vorher angenommenen Lösungsquoten, wonach der Vergleich von Zahlen am leichtesten ist, wenn die betragsmäßig größere Zahl auch die größere beim Vergleich ist. Am schwersten ist der Vergleich zweier negativer Zahlen, der den Vorstellungen aus den natürlichen Zahlen widerspricht, da nicht die spiegelbildliche, sondern die fortlaufende Anordnung negativer Zahlen gilt. Wie zu erwarten sind die Rechenaufgaben zu ganzen Zahlen die schwierigsten. Sie zeigen die vier höchsten Fehlerquoten des gesamten Testteils. Gerade die Aufgaben, bei denen die zweite Zahl negativ ist, scheinen besondere Probleme zu verursachen und das unabhängig davon, ob die Zahlen als Klammerausdrücke geschrieben sind und somit ein Verständnis negativer Zahlen als eigenständiges Denkobjekt nötig machen (Stufe 3), oder so, wie es auch noch als Interpretation negativer Zahlen als positive mit Vorzeichen auf

346

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Abbildung 10.19 Verteilung richtiger und falscher Antworten innerhalb der Aufgaben des Testteils 4 des LeDi-Arithmetik

Stufe 2 möglich wäre. Da die Schülerinnen und Schüler die negativen Zahlen im Unterricht bereits behandelt haben, stellte die Schreibweise −4 – 2 für sie eventuell bereits die erweiterte Form der Klammernotation dar, was die Aufgabenlösung erschwerte. Zwar zeigen die Ergebnisse des BADYS 8+ und des Testteils 4 einen höchst signifikanten Zusammenhang (r = ,56, p < 0,001), allerding zeigt das Diagramm in Abbildung 10.20, dass sehr viele Schülerinnen und Schüler, die im BADYS als rechenschwach gelten, sehr gute Ergebnisse in diesem Testteil zeigen. So erreichten 43 % der Untersuchungsgruppe in diesem Testteil neun Punkte oder mehr und die bestmögliche lineare Regression zeigt mit einem R2 von 0,344 eine sehr schlechte Modellpassung, weswegen für diesen Testteil auf eine RaschModellierung verzichtet werden muss.

10.2 Auswertung und Interpretation auf Aufgabenebene

347

Abbildung 10.20 Verteilung der Ergebnisse des Testteils 4 im Bezug zu denen des BADYS 8+

Vergleicht man die einzelnen Aufgaben hinsichtlich der Lösungsquoten der Risiko- (RG) und der Vergleichsgruppe (VG), fällt auf, dass erstere zwar wie zu erwarten niedriger sind als bei der Vergleichsgruppe, jedoch dieselben Tendenzen zeigen. Es scheint also kein Aufgabengebiet der negativen Zahlen zu geben, bei denen sich rechenschwache Schülerinnen und Schüler prinzipiell von unauffälligen unterscheiden. Lediglich bei den Aufgaben der Stufe 3 nach Malle zeigen Lernende der Risikogruppe vermehrt Probleme (Tabelle 10.13). Tabelle 10.13 Lösungsquoten der Risiko- (100 Lernende) und Vergleichsgruppe (299 Lernende) in Testteil 4 in Prozent Zahlengerade

Größenvergleich

Addition und Subtraktion

3

−3

50

−100

−2 und 6

3 und − 10

−10 und 1

−4 – 2

(+4) + (+2)

(+4) – (+2)

(+4) – (−2)

RG

68

73

85

79

79

66

69

46

68

56

46

VG

94

92

99

97

95

90

96

78

93

85

80,5

348

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Einfache Routine-Aufgaben zu ganzen Zahlen scheinen Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen demnach gut lösen zu können. Im Gegensatz zu gebrochenen Zahlen scheint eine Diagnostik auf Basis von Grundvorstellungen zu diesem Thema sinnvoll zu sein, da Aufgaben, wie sie hier gestellt wurden, für eine Diagnostik nicht ausreichend sind. Außerdem scheint die Erhebung der Kompetenzen auf der vierten Stufe interessant und zielführend. Dies müsste in einer weiteren Studie nachgeholt werden.

10.3

Auswertung und Interpretation auf Testebene

Am Ende der Aufgabenentwicklung und Erprobung soll ein Diagnoseverfahren stehen, welches alle als geeignet erscheinenden Aufgaben enthält. Nach den Analysen in Kapitel 10 sind das insgesamt 48 Aufgaben aus dem Bereich der natürlichen Zahlen (Haupttest) und 22 Aufgaben aus dem Themengebiet der gebrochenen Zahlen (Zusatzskala). Im Weiteren soll nun überprüft werden, ob das so entwickelte Diagnoseverfahren LeDi-Arithmetik als für die Praxis gut geeignetes Testverfahren angesehen werden kann. Dazu muss es zum einen die testtheoretischen Gütekriterien erfüllen (vgl. Forschungsfrage h und i), des Weiteren aber auch im Unterricht durch Lehrkräfte ökonomisch einsetzbar sein, was sich durch eine einfache Handhabung in der Durchführung und Auswertung zeigt (vgl. Forschungsfrage d) sowie in der Interpretation der Ergebnisse, die durch die Einteilung der Schülerleistungen in Niveaustufen möglich gemacht werden soll (vgl. Forschungsfrage f und g). Um im Besonderen die Erfüllung der Gütekriterien beurteilen zu können, sind jedoch noch weitere Testdurchführungen notwendig, da die Stichprobenzahl mit 399 noch zu gering ist, die Erprobung bisher ausschließlich in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern stattgefunden hat und es aufgrund des Bildungsföderalismus in Deutschland notwendig ist weitere Bundesländer in die Stichprobe mit einzubeziehen. Des Weiteren müssen für den Haupttest und die Zusatzskala Grenzwerte ermittelt werden, ab denen eine vertiefte Diagnostik notwendig ist. Dies kann mithilfe der bisherigen Ergebnisse, sowie einer Einbeziehung von Expertenmeinungen und theoretischen Überlegungen geschehen. Da dieses Verfahren auf Grundlage der mathematischen Basisfähigkeiten eine mögliche Rechenschwäche diagnostiziert und nicht aufgrund der Einordnung von Schülerleistungen in Vergleichsgruppen, wird auf das Beifügen von Normtabellen bewusst verzichtet.

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

349

10.3.1 Festlegung der Grenzwerte Im Allgemeinen sind Grenzwerte kritisch zu hinterfragen, da sie allein nichts über eigentliche Kompetenzen aussagen und dazu verleiten Schülerinnen und Schüler in Kategorien (hier rechenschwach oder unauffällig) zu unterteilen, so wie es die Cut-off-Kriterien der ICD-10 (vgl. Kapitel 2) tun und dafür zu Recht heftig kritisiert werden. Grenzwerte sind daher vor allem als Hinweis anzusehen, bei welchen Schülerinnen und Schülern eine genauere Analyse der Einzellösungen notwendig ist, um ein Testverfahren zeitökonomisch sinnvoll einsetzbar zu machen und Lehrkräften, die keine Expert:innen im Themenbereich Rechenschwäche sind, ein hilfreiches Werkzeug zu geben. Der Festlegung eines Grenzwerts kommt eine enorme Bedeutung zu, da dieser entscheidet, wann eine Schülerleistung als zu gering erachtet wird, um in der Sekundarstufe I mathematische Kompetenzen aufbauen zu können. Ist dieser Wert zu hoch angelegt, werden Schülerinnen und Schüler nicht erfasst, die notwendige Hilfen dringend bräuchten. Daher ist es mit Blick auf die Zielstellung des Testverfahrens sinnvoll, den Grenzwert eher niedriger anzulegen und damit eine geringere Spezifität in Kauf zu nehmen. Werden hingegen zu viele Schülerinnen und Schüler erfasst, stellt sich die Frage nach der Ökonomie und dem Nutzen eines solchen Verfahrens, da es fraglich ist, ob eine Lehrkraft ein solches Verfahren anwendet, wenn ein Großteil der positiv diagnostizierten Schülerinnen und Schüler, die anschließend eine, womöglich kostspielige, genauere Diagnose erhalten, eigentlich unauffällig sind. Der Grenzwert wird auf Grundlage derselben Überlegungen wie der der Splitkriterien für den Wald-Test der einzelnen Testteile festgelegt. Es werden demnach zur Grenzwertfestlegung die Ergebnisse des theoretischen Niveaustufenmodells der Testteile 1 und 2 (vgl. Abschnitt 8.1.4) einbezogen sowie Expertenurteile und die empirischen Niveaustufenmodelle, welche anhand der Rasch-Modellierung erstellt wurden, verwenden. Auch die lineare Regression zwischen den Ergebnissen der einzelnen Testteile und des BADYS 8+ sollen als Anhaltspunkt dienen, obschon diese aufgrund der oben beschriebenen Mängel des Testverfahrens unter Vorbehalt zu berücksichtigen sind. Im Folgenden soll nun erläutert werden, wie die als geeignet erscheinenden Grenzwerte bestimmt wurden und somit Forschungsfrage f und g4 beantwortet werden.

4

f. Welchen Niveaustufen können die Aufgaben zugeordnet werden? g. Welche Niveaustufe und Punktzahl kann als Grenzwert für eine Diagnose herangezogen werden?

350

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Grenzwert für die Testteile Stellenwertverständnis und Rechnen mit natürlichen Zahlen Die bestmögliche Regression (R2 = ,602) mit dem Gesamtergebnis des BADYS 8+ ergibt einen Wert von 39 Punkten für die Testteile 1 und 2, der als erste Orientierung gilt. Bei der Betrachtung des empirischen Niveaustufenmodells fällt auf, dass in den oberen und unteren Bereichen die Sprünge meist sehr groß sind. Hier muss diskutiert werden, ob sich die Items im unteren und oberen Schwierigkeitsbereich mit großen Sprüngen trotzdem zur Diagnostik eignen. Im oberen Schwierigkeitsbereich sind viele Aufgaben mit erhöhtem Diagnosepotenzial zu finden. Wie bereits oben ausführlich diskutiert, liefern diese Aufgaben viele Erkenntnisse für die Interpretation der Ergebnisse, falls sie bearbeitet werden. Deshalb sollten sie unbedingt im Test erhalten bleiben. Zum anderen ist es notwendig, dass genügend einfache Items vorhanden sind, um im unteren Leistungsbereich differenzieren zu können. Klammern wir die Anfangs- und Endbereiche mit vielen großen Sprüngen aus, sind zwei größere Sprünge zu beobachten: bei 22 und 39 Punkten. So scheint es angemessen den LeDi-Arithmetik in insgesamt drei Niveaustufen zu unterteilen (Tabelle 10.14). Tabelle 10.14 Schwierigkeiten, Sprünge und damit verbundene Rohwerte zur empirischen Niveaustufenmodellierung der Aufgaben zu natürlichen Zahlen Aufgabe

Schwierigkeit σ

Sprunggröße

Punkte

Niveaustufe 1 6a) Zahlenstrahl (12)

−2,109

0,268

1

3c) Transkribieren (23070)

−1,841

0,078

2

3a) Transkribieren (7845)

−1,763

0

3

3b) Transkribieren (31274)

−1,763

0,074

4

6b) Zahlenstrahl (73)

−1,689

0,367

5

10a) Ergänzen (__ + 87 = 99)

−1,322

0,198

6

1b) Transcodieren (20028)

−1,124

0

7

1c) Transcodieren (76067)

−1,124

0,045

8

6c) Zahlenstrahl (733)

−1,079

0

9

5b) Entbündeln (1000 – 100 = )

−1,079

0

10

8a) Verdoppeln (37)

−1,079

0

11

20b) Textaufgaben (Jakob)

−1,079

0,128

12 (Fortsetzung)

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

351

Tabelle 10.14 (Fortsetzung) Aufgabe

Schwierigkeit σ

Sprunggröße

Punkte

20a) Textaufgaben (Pausenhof)

−0,951

0,154

13

5a) Entbündeln (1000 – 10)

−0,797

0,173

14

13a) Einmaleins (6 · 7 = )

−0,624

0,125

15

2a) Zahlenreihen ergänzen (295 297)

−0,499

0,059

16

13b) Einmaleins (12·4 = )

−0,44

0,057

17

8b) Verdoppeln (78)

−0,383

0,028

18

9b) Halbieren (246)

−0,355

0,027

19

10c) Ergänzen (100 - __ = 75)

−0,328

0,027

20

13c) Einmaleins (72:9)

−0,301

0,104

21

20e) Textaufgaben (Wasserhahn)

−0,197

0,204

22

Niveaustufe 2 9a) Halbieren (76)

0,007

0,031

23

8c) Verdoppeln (167)

0,038

0,044

24

10b) Ergänzen (199 + __ = 1000)

0,082

0,072

25

10d) Ergänzen (__− 9 = 2691)

0,154

0

26

12) Subtraktionsaufgaben finden (_ - _ = 89)

0,154

0

27

20c) Textaufgaben (Klasse 8a)

0,154

0,053

28

20d) Textaufgaben (Niels)

0,207

0,04

29

13d) Einmaleins (60 : 4 = )

0,247

0,04

30

17b) Strategieaufgaben (64 – 25 = )

0,287

0,114

31

18) Divisionsaufgaben finden (_ : _ = 8)

0,401

0,126

32

5c) Entbündeln (100000 – 1 = )

0,527

0,017

33

17f) Strategieaufgaben (4 · _ = 96)

0,544

0

34

17e) Strategieaufgaben (__: 3 = 9)

0,544

0,102

35

13e) Einmaleins (96 : 12 = )

0,646

0,017

36

2b) Zahlenreihen ergänzen (2289 2299)

0,663

0

37

2c) Zahlenreihen ergänzen (12799 12999)

0,663

0,016

38 (Fortsetzung)

352

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Tabelle 10.14 (Fortsetzung) Aufgabe 6d) Zahlenstrahl (81)

Schwierigkeit σ 0,679

Sprunggröße 0,16

Punkte 39

Niveaustufe 3 9c) Halbieren (336)

0,839

0,238

40

16) Fehlersuche (21 · 0 · 5 = 105)

1,077

0,168

41

15) Stufenaufgaben finden (56 : 8 = 7)

1,245

0,186

42

17c) Strategieaufgaben (12 · 11 = )

1,431

0,167

43

5d) Entbündeln (100000 – 10000 = )

1,598

0,013

44

11) Stellenwert bei schriftlicher Addition

1,859

0,207

45

19a) Grundvorstellung Multiplikation (3 · 4)

2,066

0,4

46

19b) Grundvorstellung Ergänzen (27 - _ = 12)

2,466

0,012

47

16) Fehlersuche (300 : 60 = 50)

2,478

48

Es ist zu erkennen, dass die Schülerinnen und Schüler, welche die Niveaustufe 1 erreichen, grundlegend das Stellenwertsystem und das Rechnen mit natürlichen Zahlen im Zahlenraum bis 1000 beherrschen. Sie können vor allem Zahlen transkribieren und -codieren, auf dem Zahlenstrahl eintragen, wenn die Zahl zu einem linear ausgeprägten Zahlenstrahl passt, addieren, subtrahieren und Zahlen verdoppeln. Zahlen zu halbieren gelingt ihnen nur, wenn jede einzelne Ziffer halbiert werden kann. Multiplikations- und Divisionsaufgaben können nur ohne weitere Anforderungen (wie Strategieangabe) innerhalb des kleinen Einmaleins gelöst werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Fähigkeiten nicht reichen, um mathematische Kompetenzen in der Sekundarstufe I zu erwerben, da sie nicht alle Kompetenzen erworben haben, die von Ehlert et. al sowie Moser Opitz als Voraussetzung für einen weiteren mathematischen Kompetenzerwerb definiert worden sind. Dies würde auf zwölf Schülerinnen und Schüler der Stichprobe zutreffen. Lernende, die die zweite Kompetenzstufe erreichen, verfügen des Weiteren über die Fähigkeiten sich im Zahlenraum bis 100 000 sicher zu bewegen. Sie können Multiplikations- und Divisionsaufgaben oberhalb des Einmaleins lösen, auch wenn sie nach ihrer Strategie gefragt werden. Allerdings gelingt es ihnen nicht Aufgaben korrekt zu bearbeiten, bei denen beide Faktoren bzw. Dividend und Divisor größer als 10 sind. Sie können Zahlen halbieren und verdoppeln,

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

353

und das auch, wenn die einzelnen Ziffern nicht im Bereich der natürlichen Zahlen halbiert werden können oder es bei Verdoppelungen der Ziffern mehrfach zu Zehnerüberschreitungen kommt. Des Weiteren sind sie in der Lage Aufgaben zu vorgegebenen Ergebnissen zu entwickeln. Damit verfügen diese Schülerinnen und Schüler über alle Kompetenzen des hier definierten mathematischen Basisstoffs und können somit weiterführende mathematische Kompetenzen aufbauen. Demnach würden unter Berücksichtigung der 5 möglichen Zusatzpunkte aus der Aufgabe 17 111 Schülerinnen und Schüler unter diesen Grenzwert fallen, was 27 % der Schülerinnen und Schüler betreffen würde. Die Schülerinnen und Schüler der Kompetenzstufe 3 beherrschen nun auch sicher den Zahlenraum oberhalb von 100 000 und können beliebig oberhalb des kleinen Einmaleins multiplizieren und dividieren. Sie verfügen über die Fähigkeit, zu vorgegebenen Aufgaben Sachsituationen zu finden, womit sie gute Grundvorstellungen bezüglich des TTG und der Multiplikation zeigen. Die Expert:innen teilten übereinstimmend die Aufgaben ebenfalls in drei Niveaustufen ein, wobei die Schülerinnen und Schüler, die Niveaustufe 1 erreichen, maximal 21 Punkte erzielen. Die Niveaustufe 2 beinhaltet 16 Aufgaben, sodass hier 37 Punkte den Grenzwert definieren würden. Bei den beiden Exper:innen handelt es sich um zwei Mitarbeitende des DUDEN-Instituts für Lerntherapie in Leipzig und Halle an der Saale, die bereits seit mehr als zehn Jahren in der Diagnostik und Förderung rechenschwacher Schülerinnen und Schüler tätig sind. Grenzwert des Testteils gebrochene Zahlen Um einen geeigneten Grenzwert als Zusatzkriterium in diesem Teil zu bestimmen gibt es mehrere Möglichkeiten. Es kann erneut eine lineare Regression ohne die aussortierten Items durchgeführt werden. Die beste Passung zeigt erneut die Gruppe Mädchen_gesamt mit R2 = 0,619 und der Geradengleichung f(x) = 32,51 + 1,99x, wobei x der Rohwert des LeDi-Arithmetik Teil 3 und f(x) der Rohwert des BADYS 8+ ist. Dies ergibt bei einem Grenzwert im BADYS 8+ von 59 eine Punktzahl von 13,3 als Grenzwert im LeDi-Arithmetik Teil 3 (Tabelle 10.15).

354

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Tabelle 10.15 Schwierigkeiten, Sprünge und damit verbundene Rohwerte zur empirischen Niveaustufenmodellierung der Aufgaben zu gebrochenen Zahlen Schwierigkeit σ

Sprunggröße

Größenvergleich Dezimalzahlen

−2,117

0,396

1

Bruch identifizieren, Rechteck

−1,721

0,558

2

5 20 kürzen 8 12 kürzen 3 4 auf dem

−1,163

0,054

3

Aufgabe

Punktzahl

Niveaustufe 1

−1,109

0,205

4

−0,904

0,174

5

Gleichwertige Dezimalzahlen finden

−0,730

0,095

6

Zahlen zwischen 1,5 und 1,6

−0,635

0,114

7

0,3 + 7 =

−0,521

0,497

8

−0,024

Zahlenstrahl eintragen

Niveaustufe 2 1 3 1 6

und

1 4

+

=

0,244

9

0,220

0,09

10

0,310

0,018

11

0,328

0,018

12

250:100 =

0,346

0,123

13

10·2,5 =

0,469

0,154

14

0,623

0,084

15

5 6

vergleichen

Um wie viel ist 0,75 größer als 0,7? 3 5



1 5

=

Niveaustufe 3 1 3

von 24 4 5

0,707

0,1

16

10 % von 50

0,807

0,15

17

1 3 2 5

darstellen

0,957

0,174

18

von 10

1,131

0,159

19

1 % von 200 3 4 2 3

und

5 4

− +

1 2 1 4

vergleichen

1,290

0,33

20

=

1,620

0,282

21

=

1,902

22

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

355

Versucht man die Ergebnisse der Raschmodellierung des Testteils 3 einer Niveaustufenmodellierung zu unterziehen fällt auf, dass wie bereits bei den Testteilen 1 und 2 im oberen und unteren Bereich der Tabelle die Sprünge größer sind als im mittleren. Prinzipiell sind die Abstände zwischen den einzelnen Aufgaben im Testteil 3 größer, was durch die geringe Anzahl an Items im Bezug zur Schwierigkeitsskala begründbar ist.Wie bei den natürlichen Zahlen, so scheint hier ebenfalls eine Unterteilung in drei Niveaustufen sinnvoll: Der erste große Sprung im mittleren Bereich ist nach Item 8 mit 0,497 zu vermerken. Schülerinnen und Schüler, die die Niveaustufe 1 erreichen, sind demnach in der Lage gemeine Brüche zu identifizieren und zumindest auf einem Zahlenstrahl abzutragen, wenn es sich um gebräuchliche Brüche (in diesem Fall 43 ) handelt. Sie sind außerdem in der Lage gemeine Brüche zu kürzen und haben grundlegende Fähigkeiten zum Stellenwertverständnis bezüglich der Dezimalzahlen, d. h. sie können mit diesen rechnen, wenn es keine Überträge gibt, wissen um die Erweiterung der Stellenwerte nach rechts und können so gleichwertige Dezimalzahlen identifizieren. Es gelingt ihnen jedoch nicht dieses Wissen auf das Rechnen mit Dezimalzahlen zu übertragen, wenn es zu Veränderungen der Stellenwerte kommt. Auch sind sie nicht in der Lage mit gemeinen Brüchen zu rechnen oder sie zu vergleichen, unabhängig davon, ob es sich dabei um sehr gebräuchliche Brüche handelt. Die Niveaustufe 1 hätten 53 (13,3 %) Schülerinnen und Schüler der Stichprobe erreicht. Schülerinnen und Schüler der zweiten Niveaustufe gelingt es zumindest gleichnamige Brüche zu addieren und subtrahieren, nicht jedoch ungleichnamige, unabhängig vom Bekanntheitsgrad. Vor allem haben diese Schülerinnen und Schüler das Stellenwertsystem auf Dezimalzahlen erweitert. Sie können Rechenaufgaben lösen, wenn sich die Anzahl an Dezimalstellen ändert und Abstände zwischen Dezimalzahlen korrekt angeben. Schülerinnen und Schüler, denen das gelingt, müssten demnach auch das Stellenwertverständnis im Bereich der natürlichen Zahlen verstanden haben. Aus diesem Grund erscheint das Erreichen der Niveaustufe 2 als sinnvolles Kriterium, um die Diagnostik der Testteile 1 und 2 zu ergänzen. Dies wird durch die Expertenbefragung unterstützt, die eine Einteilung in zwei Niveaustufen ergibt, wobei insgesamt 12 Aufgaben der Niveaustufe 1 und 10 Aufgaben der Niveaustufe 2 zugeordnet werden. Nach den geschilderten Überlegungen ergeben sich zusammenfassend folgende mögliche Grenzwerte (Tabelle 10.16):

356

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Tabelle 10.16 Grenzwerte nach verschiedenen Kriterien Kriterium

Grenzwert Stellenwertverständnis und Rechnen mit natürlichen Zahlen

Grenzwert gebrochene Zahlen

Regression mit BADYS 8+

39

13

Theoretisches Niveaustufenmodell

37



Empirisches Niveaustufenmodell

39

14

Expertenbefragung

37

12 bzw. 13

Nach dieser Betrachtung kann der Grenzwertbereich unter Berücksichtigung eines Messfehlers für den Testteil zu natürlichen Zahlen auf 37 bis 40 Punkte festgelegt werden, der Ergänzungsskala der gebrochenen Zahlen wird ein kritischer Wertebereich von 12 bis 14 Punkten zugeordnet. Das bedeutet in der Praxis, dass Schülerinnen und Schüler, die im Testteil zu natürlichen Zahlen weniger als 37 Punkte erreichen, das Kriterium mathematische Basiskompetenzen erworben nicht erfüllen und sich deshalb einer weiterführenden Einzeldiagnostik unterziehen sollten. Schülerinnen und Schüler, die mehr als 40 Punkte erzielten, verfügen über genügend mathematische Basiskompetenzen, um in der Sekundarstufe I Grundvorstellungen zu erwerben. Die Ergebnisse der Lernenden, die zwischen 37 und 40 Punkte erreichen, müssen noch einmal genauer analysiert werden. Hilfreich kann dabei die Zusatzskala der gebrochenen Zahlen sein. Liegen die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler im Testteil 1 und 2 im Zwischenbereich, haben sie jedoch die Kompetenzstufe 2 im Testteil 3 erreicht, ist davon auszugehen, dass sie genügend mathematische Basisfähigkeiten entwickelt haben, diese im Testteil 1 und 2 aber nicht ausreichend zeigen konnten. Haben die Schülerinnen und Schüler im Testteil 3 weniger als 12 Punkte ist davon auszugehen, dass sie auch unzureichende Basiskompetenzen im Bereich der natürlichen Zahlen aufweisen, dies jedoch in den Testteilen 1 und 2 verdecken konnten, was aber bei den Brüchen nicht mehr gelingt. Eine schwierige Beurteilung ist dann gegeben, wenn beide Ergebnisse im Zwischenbereich liegen. Es ist dann zumindest davon auszugehen, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler wenige Kompetenzen in den untersuchten Themenbereichen haben. Da es darum geht, jeden Lernenden und jede Lernende zu finden, der bzw. die ungenügend mathematische Basisfähigkeiten besitzen, ist eine Einzeldiagnostik wahrscheinlich auch hier sinnvoll. Zusammengefasst werden kann das weitere Vorgehen in folgendem Handlungsschema (Abbildung 10.21):

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

Testteil natürliche

Testteil gebrochene

Zahlen

Zahlen

< 37 Punkte

zwischen 37 und 40 Pkte.

> 40 Pkte.

357

Notwendige Handlung

Einzeldiagnose notwendig

< 12 Pkte.

Einzeldiagnose notwendig

zwischen 12 und 14 Pkte.

genauere Analyse der Einzelergebnisse sinnvoll, wahrscheinlich Einzeldiagnose notwendig

> 14 Pkte.

Einzeldiagnose wahrscheinlich nicht notwendig (evtl. weitere Beobachtung durch die Lehrkraft) keine Einzeldiagnose notwendig (evtl. weitere Beobachtung durch die Lehrkraft)

Abbildung 10.21 Handlungsschema nach der Diagnostik mittels LeDi-Arithmetik

In der untersuchten Stichprobe erreichten 80 Schülerinnen und Schüler (20 %) weniger als die geforderten 37 Punkte, was dem Wert von PISA, nach dem 21 % der deutschen 15jährigen nicht über genügend mathematischen Fähigkeiten verfügen, um am Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen (vgl. Abschnitt 2.1) sehr nahekommt. 47 Schülerinnen und Schüler erreichten zwischen 37 und 40 Punkten, sodass eine genauere Analyse hier sinnvoll scheint. Von diesen erreichten 11 nicht die geforderte Punktzahl von 12 im Testteil 3 (was 3 % der Stichprobe entspricht) und sollten dementsprechend die zweite Stufe des Diagnoseprozesses in Form einer Einzeldiagnose in Anspruch nehmen. Bei insgesamt neun Schülerinnen und Schülern (2 %) sind die Ergebnisse uneindeutig und sollten genauer analysiert werden. Die übrigen Schülerinnen und Schüler (7 %) haben hingegen mehr als 14 Punkte und können somit als unauffällig gelten, was jedoch nicht bedeutet, dass sie keine Defizite im Bereich der Brüche und natürlichen Zahlen zeigen. 272 Schülerinnen und Schüler gelten hingegen als unauffällig, was bedeutet, dass sie das Kriterium mathematische Basiskompetenzen erworben erreicht haben (67 %). Es ist natürlich trotzdem möglich, dass einzelne Lücken im Basiswissen vorhanden sind, die den Kompetenzerwerb in der Sekundarstufe I an einzelnen Stellen behindern. Damit liefert das Testverfahren in

358

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

sehr vielen Fällen ein eindeutiges Ergebnis und kann somit eine wertvolle Hilfe für Lehrkräfte beim Erkennen von Rechenschwäche darstellen, wobei die Aufgaben zu den gebrochenen Zahlen ein weiteres diagnostisches Hilfsmittel bieten (vgl. Forschungsfrage c5 ).

10.3.2 Überprüfung der Gütekriterien Validität Inhaltsvalidität Das Testverfahren LeDi-Arithmetik kann als inhaltsvalide angenommen werden, da jede Aufgabe aufgrund empirischer Studien konzipiert wurde, die in den Kapiteln 3 bis 5 ausführlich beschrieben wurden. Kriteriumsvalidität Im Allgemeinen zeigen sich hohe Korrelate zwischen den Rohwerten des Testteils 1 und 2 und allen Vergleichskriterien. So ergeben sich sowohl für die Lehrerbeurteilung (−,499) als auch für die Schulnote (−,529) Signifikanzen auf 0,001-Niveau. Die negativen Vorzeichen ergeben sich beim Lehrerurteil dadurch, dass ein positives Urteil mit 1 codiert wurde, ein negatives mit 0 und bei den Schulnoten ebenfalls eine höhere Ziffer geringere Leistungen kennzeichnet (Tabelle 10.17). Tabelle 10.17 Korrelationen zwischen den Rohwerten des LeDi-Arithmetik und verschiedener Vergleichskriterien Bearbeitungszeit Korrelation nach Pearson

−,312**

Lehrerurteil ,499**

Note

BADYS 8+

−,529**

,768**

Sig. (2-seitig)

,000

,000

,000

,000

N

389

338

338

347

Wie vermutet konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Rohwerten und der Bearbeitungszeit des Gesamttests festgestellt werden. Vergleicht man diejenigen, die im BADYS 8+ eine positive Diagnose erhalten haben, mit denen, deren Mathematikleistung unauffällig ist, so betrug die durchschnittliche Bearbeitungszeit acht Minuten mehr als die der Lernenden mit unauffälligen 5

Welchen Beitrag leisten dabei Aufgaben aus dem Bereich der gebrochenen Zahlen?

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

359

Ergebnissen im BADYS 8+ (62 Minuten vs. 54 Minuten). So scheint die Zeit, die Schülerinnen und Schüler für das Lösen basismathematischer Aufgaben benötigen, als Hinweis auf eine mögliche Rechenschwäche dienen zu können, da rechenschwache Schülerinnen und Schüler durch ungünstige Strategien länger zum Lösen von Mathematikaufgaben brauchen, als solche, die über gut ausgebildete Grundvorstellung bezüglich der natürlichen Zahlen verfügen, was bereits durch andere Studien (vgl. Kapitel 4) nachgewiesen werden konnte. Allerdings kann im Einzelfall kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den beiden Testwerten hergestellt werden, da bspw. die Schülerin, die mit 105 Minuten mit Abstand die längste Bearbeitungszeit aufwies, sowohl im BADYS als auch im LeDi-Arithmetik unauffällige Ergebnisse erzielte (Abbildung 10.22).

Abbildung 10.22 Bearbeitungszeiten der Schüler:innen für den LeDi-Arithmetik

Auch die Korrelation zwischen den Ergebnissen des BADYS 8+ und den Testteilen 1 und 2 des LeDi-Arithmetik zeigen einen hohen signifikanten Zusammenhang. Da es sich bei beiden Testverfahren um Mathematiktests handelt, die zum Großteil grundlegende mathematische Fähigkeiten überprüfen, ist dieser hohe Zusammenhang wenig überraschend. Wie bereits beschrieben diagnostiziert der BADYS auf der Basis sozialer Normen. Folgt man dieser Einordnung, identifizierte das Diagnoseverfahren 92 Jungen und 64 Mädchen als dyskalkulisch, was heißt, dass ihr Prozentrang unter 10 liegt und einem Anteil von 56 % bzw. 35 % entspricht. Des Weiteren gelten nach dem BADYS 27 Jungen und 40 Mädchen als rechenschwach mit einem Prozentrang unter 25, was 16,5 % bzw. 22 % entspricht. Da diese Zahlen sehr weit

360

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

entfernt liegen von denen der Persistenz von Dyskalkulie, auf die sich im Manual des BADYS bezogen wird, scheint dieses Diagnoseverfahren eine geringe Spezifität aufzuweisen. Diese gibt die Wahrscheinlichkeit an mit der ein Merkmal nicht vorhanden ist, jedoch durch ein Testverfahren als vorhanden angezeigt wird (Moosbrugger und Kelava 2020, S. 181) (Abbildung 10.23).

Abbildung 10.23 Verteilung der Punktzahlen des BADYS 8+

Dazu werden allerdings im Manual keine Aussagen gemacht, da als Vergleichskriterium lediglich die Schulnote herangezogen wurde, die sich zum Berechnen von Sensitivität (Wahrscheinlichkeit, mit der das Vorhandensein eines Merkmals erfasst wird) und der Spezifität nicht eignet. Wäre dem so, bräuchte man keine zusätzlichen Diagnoseinstrumente, da die Note allein als Diagnosekriterium ausreichen würde und somit die aktuelle Mathematikleistung ausschließlich von den mathematischen Basisfähigkeiten abhängig wäre (vgl. Abschnitt 6.1.). Weiterhin zeigt der Testteil der gebrochenen Zahlen eindeutige Signifikanzen mit den Vergleichskriterien. Neben dem Kerntest des BADYS ist auch die Zusatzskala zu Brüchen erhoben worden. Interessanterweise ist die Korrelation zwischen dem Testteil gebrochene Zahlen mit den Testteilen, die sich mit natürlichen Zahlen befassen, höher als die mit der Zusatzskala zu den Brüchen des BADYS. Auch die Schulnote korreliert etwas stärker mit der Zusatzskala der Brüche des

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

361

LeDi-Arithmetik als des Testteils zu natürlichen Zahlen, was sicherlich dadurch begründbar ist, dass gemeine Brüche vielfältig in den Curricula der Sekundarstufe I zu finden sind, eine intensive Auseinandersetzung mit den natürlichen Zahlen jedoch nur in der fünften Klasse stattfindet (Tabelle 10.18). Tabelle 10.18 Korrelationen des Testteils gebrochene Zahlen mit anderen Vergleichskriterien LeDi-Arithmetik Teil 1 und 2

BADYS 8+

Zusatzskala Brüche BADYS

Lehrerurteil

Note

−,570**

Korrelation nach Pearson

,748**

,749**

,667**

,393**

Signifikanz (2-seitig)

,000

,000

,000

,000

,000

N

399

347

337

338

338

Des Weiteren enthält der LeDi-Arithmetik im Gegensatz zum BADYS zum Teil sehr textlastige Aufgaben. Sowohl zwischen den Ergebnissen des LeDiArithmetik (t(31) = −3,3, p = 0,02) als auch zu denen des BADYS 8+ (t(24) = −3,7, p = 0,001) zeigten sich signifikante Zusammenhänge im T-Test, was jedoch aufgrund der allgemein schlechteren Mathematikleistung von DAZ-Schülerinnen und -Schülern wenig verwunderlich ist (vgl. Abschnitt 2.2.2). Allerdings zeigen sich keine signifikanten Ergebnisse zwischen den textlastigeren Aufgaben (z. B. Anton-Aufgabe), Strategieaufgaben (Zusatzpunktwertung) und Anwendungssuche zwischen den DAZ-Schülerinnen und -Schülern und der Vergleichsgruppe (t(397) = 4,31, p = 0,639). Das heißt, Lernende, deren Muttersprache eine andere als Deutsch ist, werden durch die Sprache des Tests nicht benachteiligt. Konstruktvalidität Für diagnostische Tests zur Rechenschwäche kann mittels einer Faktorenanalyse die Zusammenhangsstruktur der Items ermittelt und, sollte der Testkonstruktion ein Faktorenmodell zugrunde liegen, dieses überprüft werden. Der Itemkonstruktion des LeDi-Arithmetik lag kein Faktorenmodell zugrunde, es wurden vielmehr verschiedene Inhalte ausgewählt, die anhand von empirischen und theoretischen Überlegungen zum Erkennen einer Rechenschwäche hilfreich sein sollten. Insgesamt konnten 16 Faktoren ermittelt werden. Das bedeutet, dass die

362

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

Aufgaben des Testteils natürliche Zahlen voneinander weitestgehend unabhängige Kompetenzbereiche erfassen. Aus Gründen der Übersicht findet sich die Tabelle der Faktorenladungen im Anhang II.I des elektronischen Zusatzmaterials). Alle Aufgaben zeigen eine zumindest zufriedenstellende Faktorenladung, die durch die grauen Felder markiert werden. Damit kann die Konstruktvalidität als gegeben angesehen werden. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass für viele Aufgaben, die auf einen gemeinsamen Faktor laden, ein inhaltlicher Zusammenhang erkennbar ist. So laden alle Aufgaben zum Transkribieren auf demselben Faktor. Insgesamt sind die Zuverlässigkeit und die Genauigkeit aber zu gering, um die Faktoren als unterschiedliche Subskalen zu interpretieren. Jede im LeDi-Arithmetik enthaltene Aufgabe ist somit nicht eindeutig einer einzelnen fundamentalen Kompetenz zuzuordnen, sondern verschiedene Kompetenzen greifen bei der Bearbeitung der Aufgaben ineinander. Die Zusatzskala der gebrochenen Zahlen kann ebenfalls als konstruktvalide angenommen werden, da die Faktorenanalyse sechs unabhängige Komponenten bestätigte und hier alle enthaltenen Aufgaben ebenfalls eine gute Faktorenladung zeigen (vgl. Anhang II.II des elektronischen Zusatzmaterials). Tatsächlich sind hier die Zusammenhänge der Komponenten meist leicht interpretierbar. So laden alle Aufgaben zur Dezimalzahlrechnung auf einem Faktor. Auch die Addition und Subtraktion gemeiner Brüche sowie Prozent- und von-Aufgaben konnten jeweils ein eindeutiger Faktor zugeordnet werden. Beim Darstellen, Identifizieren, Vergleichen und Kürzen gemeiner Brüche ist dies hingegen nicht der Fall, sodass hier ebenso nicht von einer Interpretation der einzelnen Komponenten als Subskalen ausgegangen werden kann. Reliabilität Die Reliabilität der einzelnen Skalen wurde nach Löschung ungeeigneter Items zunächst mittels Cronbachs α bestimmt. Die Reliabilität wird ab einem Wert von 0,8 als gut, ab 0,9 als sehr gut bewertet, sie sollte jedoch immer mindestens 0,7 betragen. Des Weiteren wurde über die Testhalbierungsmethode der Spearman-Brown-Koeffizient mit Testlängenkorrektur berechnet bei dem es um die Frage geht, ob ein hoher Reliabilitätswert vor allem durch eine hohe Anzahl von Items zustande kommt, da Cronbachs α aufgrund der Berechnungsformel mit steigender Itemzahl größer wird. Mit einem Wert von 0,89 ist die Reliabilität der Testteile 1 und 2 als gut einzuschätzen. Über die Testhalbierungsmethode wurde der Spearman-Brown-Koeffizient mit Testlängenkorrektur berechnet. Dabei sind die Werte für die erste und zweite Testhälfte mit 0,817 und 0,822 (Cronbachs α) sehr ähnlich. Dies bestätigt noch einmal, dass die Testteile zum Stellenwertverständnis und zum Rechnen mit natürlichen Zahlen zusammengeführt werden

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

363

können, da beide Kompetenzbereiche sehr eng zusammenhängen. Der SpearmanBrown-Koeffizient beträgt 0,820, womit alle Werte der Testteile 1 und 2 als gut zu bewerten sind. Der Testteil zu gebrochenen Zahlen, in dem nach Streichung ungeeigneter Items noch 22 Aufgaben verbleiben, zeigt mit einem Cronbachs α von 0,90 sogar einen sehr guten Wert. Aufgrund des guten Reliabilitätswertes und der geringen Anzahl an Items wäre hier die Testhalbierungsmethode prinzipiell nicht notwendig. Die Items der ersten Testteilhälfte erreichen jedoch trotzdem einen Reliabilitätswert von 0,83, die der zweiten Testteilhälfte 0,86. Die in den beiden Testhälften enthaltenen Aufgaben sind damit als nicht vollständig homogen anzusehen, was durch die Anordnung der Aufgaben in gemeine Brüche, die vor allem Bestandteil der ersten Testteilhälfte sind, und Dezimalzahlen, die ausschließlich innerhalb der zweiten Teststeilhälfte vorkommen, zu erwarten war. Der Spearman-Brown-Koeffizient beträgt hier 0,818, sodass auch der Testteil zu gebrochenen Zahlen eine gute Reliabilität aufweist. Objektivität Die Objektivität beschreibt, inwieweit das Ergebnis eines Tests durch die Testleitung beeinflusst wird. Im Gegensatz zur Kriteriumsvalidität und zur Reliabilität wird kein Wert berechnet, sondern es ist durch verschiedene Maßnahmen sicherzustellen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Testleitung und Testergebnis gibt. Unterschieden wird dabei in Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität. Alle drei Objektivitäten sollen im Fall des LeDi-Arithmetik durch ein beigefügtes Manual gewährleistet werden. Dieses enthält zur Sicherstellung der Durchführungsobjektivität Instruktionen für die Lehrkraft, sowie Hinweise für die Schülerinnen und Schüler. Es wurde außerdem darauf geachtet, dass bei Aufgaben, bei denen die Einbeziehung von Hilfsmitteln naheliegend ist, in der Aufgabenstellung noch einmal explizit auf die Einhaltung der Regeln hingewiesen wird (bspw. bei Zahlenstrahlaufgaben, bei denen kein Lineal verwendet werden darf). Des Weiteren werden im Manual alle korrekten Lösungen angegeben. Bei Aufgaben, bei denen es mehrere mögliche korrekte Antworten gibt, sind ausführlichere Erklärungen sowie Beispiele für korrekte und inkorrekte Lösungen vorgegeben. Um festzustellen, ob die Angaben im Manual, besonders für die offenen Aufgaben ausreichend sind (und damit Forschungsfrage i6 zu beantworten) wurden die Bewertungen von vier verschiedenen Korrektoren, was einer Stichprobe

6

Treten Schwierigkeiten bezüglich der Auswertungsobjektivität bei Aufgaben mit offenem Aufgabenformat auf?

364

10

Ergebnisse der empirischen Aufgabenüberprüfung

von insgesamt 154 Testbögen entspricht, die diese unabhängig voneinander vornahmen mit der Korrektur der Testautorin verglichen. Bei den geschlossenen Aufgaben konnte insgesamt eine Übereinstimmung von 95,8 % festgestellt werden. Hier traten kaum systematische Fehler auf, sondern lediglich solche, die durch Unaufmerksamkeit zustande kamen. Bspw. wurden des Öfteren die Entbündelungsaufgabe 100000 – 1 = 999999 als richtig bewertet, obwohl hier eine neun zu viel im Ergebnis zu finden ist. Eine Korrektorin bewertete die Transkriptionsantworten der Art siebentausendachthundertundfünfundvierzig (Hervorhebung durch die Autorin) als falsch, obwohl die Zahl richtig transcodiert wurde und die Aufgabe somit als korrekt bewertet werden sollte, auch wenn sie nicht der typischen deutschen Sprechweise entspricht. Dies könnte im Manual noch ergänzt werden. Mehrere Abweichungen zeigten sich ebenso bei den Zahlenstrahlaufgaben dann, wenn die Markierungen der Schülerinnen und Schüler im Grenzbereich lagen. Die Zahlenstrahlen wurden extra so skaliert, dass ein verbotenerweise verwendetes Lineal beim Lösen der Aufgaben keine Vorteile bringt. Die Korrektur würde die Verwendung 10 cm langer Zahlenstrahle jedoch deutlich vereinfachen. Somit bietet es sich an, die Zahlenstrahle entsprechend zu verlängern und die Testleitungen noch einmal betont darauf hinzuweisen, dass eine Verwendung des Lineals strikt untersagt ist. Die offenen Aufgaben zeigten mit einer Quote von 92,3 % immer noch eine sehr gute Übereinstimmung. Dabei traten eher Probleme bei der Anton-Aufgabe (Übereinstimmung 89,6 %) auf als bei den Aufgaben, in denen ein algebraischer Ausdruck in eine Sachsituation übersetzt werden sollte (Übereinstimmung 93,1 % bei der Aufgabe zum TTG und 94,2 % bei der Multiplikationsaufgabe). Es ist davon auszugehen, dass die Korrektur der letzterwähnten Aufgaben etwas einfacher ist, da die Anweisungen, wann eine Sachsituation mit den Vorgaben, dass alle im Item erwähnten Rechenzahlen vorkommen und diese durch die korrekte Operation verknüpft sein müssen, klarere Kriterien sind als dass mit dem Stellenwertsystem argumentiert werden muss, wie es bei der Anton-Aufgabe der Fall ist. Darüber hinaus gab es keine Abweichungen bei der Zusatzpunktvergabe bei der Einordnung von selbstbeschriebenen Rechenstrategien in Aufgabe 17, sodass insgesamt von einer hohen Auswertungsobjektivität ausgegangen werden kann, die so bei den Aufgaben mit offenem Format gewährleistet ist und die Forschungsfrage i damit positiv beantwortet werden kann. Die Interpretationsobjektivität soll am Ende der Testentwicklung durch die festgelegten Grenzwerte sowie Auswertungsbeispiele im Manual gewährleistet werden. Nach der Korrektur der fälschlich bewerteten Aufgaben der 154

10.3 Auswertung und Interpretation auf Testebene

365

Diagnosebögen gab es keine Abweichungen in der Interpretation der Testergebnisse, womit davon ausgegangen werden kann, dass das Testverfahren eine gute Interpretationsobjektivität gewährleistet. Insgesamt kann nach Betrachtung der einzelnen Gütekriterien davon ausgegangen werden, dass sich das Diagnoseverfahren LeDi-Arithmetik aus testkonstruktiver Sicht, um ein geeignetes Testverfahren handelt, da alle Gütekriterien erfüllt werden.

10.3.3 Durchführung und Auswertung des LeDi-Arithmetik Der LeDi-Arithmetik wurde in seiner jetzigen Form zunächst in drei Realschulklassen in Leipzig durchgeführt, um die Dauer der Anwendung und Auswertung einschätzen zu können (vgl. Forschungsfrage d). Durch die Streichung einiger Aufgaben konnte die Bearbeitungszeit von durchschnittlich 62 Minuten auf 49 Minuten reduziert werden, wobei in dieser kleinen Stichprobe der Schüler mit der längsten Bearbeitungszeit 82 Minuten benötigte. Somit braucht es für diesen Test immer noch zwei Schulstunden. Die Dauer der Auswertung, durchgeführt von einer Studentin des Studienganges Lehramt Mathematik an Oberschulen und eines Studenten des Lehramts für Gymnasien betrug bei den ersten Testbögen noch ca. 20 Minuten, konnte aber im Laufe der Korrektur auf ca. sieben Minuten reduziert werden. Bei letzter Zeitdauer würde die bloße Korrektur der Aufgaben in einer Klasse mit 25 Schüler:innen noch knapp drei Stunden in Anspruch nehmen, ohne eine ausführlichere qualitative Diagnostik der Ergebnisse, was immer noch eine hohe zeitliche Belastung für die Lehrkraft bedeutet. Da dieses Testverfahren allerdings einmalig in einer Klasse angewendet werden sollte und es, wie bereits gezeigt wurde, ein großes diagnostisches Potenzial hat, ist dieser Aufwand trotzdem zu rechtfertigen. Eine weitere Verkürzung ist darüber hinaus nicht angebracht, möchte man aussagekräftige Ergebnisse erzielen. Für eine Klassenauswertung wäre die Bereitstellung einer Excel-Tabelle hilfreich, die kritische Punktzahlen bereits markiert, sinnvoll. Welche weiteren Möglichkeiten der Ökonomieverbesserung darüber hinaus möglich sind, soll im Ausblick (Abschnitt 11.2) geschildert werden.

11

Fazit und Ausblick

11.1

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Mithilfe einer Stichprobe von 399 Schülerinnen und Schülern aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern konnten unter Verwendung des Rasch-Modells aus insgesamt 107 konzipierten Aufgaben 48 im Bereich der natürlichen Zahlen sowie 22 Aufgaben aus dem der gebrochenen Zahlen als geeignet zur Diagnostik mathematischer Basiskompetenzen im unteren Leistungsbereich ermittelt werden. Das Verständnis von Rechenschwäche, das für jede Phase der Testkonstruktion grundlegend war, wurde in der in Kapitel 7 dargestellten Definition deutlich gemacht und beruft sich auf ein Verständnis von besonderen Schwierigkeiten im Rechnen aus einer entwicklungspsychologisch-mathematikdidaktischen Forschungsperspektive, womit das erste Kriterium1 für ein Instrument zur Diagnostik von Rechenschwäche erfüllt ist. Die Inhalte der Aufgaben wurden dabei auf Grundlage der von Ehlert et al. identifizierten mathematischen Basisfähigkeiten (2013, vgl. Abschnitt 3.1), dem Stufenmodell mathematischer Kompetenzentwicklung von Fritz, Ehlert und Balzer (2018, vgl. Abschnitt 3.2.2), den Kompetenzstufenmodellen der Bildungsstandards des Primarbereichs und dem Humbachs (2008, vgl. Einführung Abschnitt 3.3) sowie Studienergebnissen über die Fähigkeiten und Defizite (rechen)schwacher Schülerinnen und Schüler entwickelt (vgl. Abschnitt 3.3 und 4), wie etwa die Forschungsresultate von Moser Opitz aus dem Jahr 2009 bezüglich der Fähigkeiten im Bereich der natürlichen Zahlen sowie die PALMA-Studie (Wartha 2007a) für den Bereich der Brüche. Um die diagnostische Aussagekraft einzelner Items aus dem Bereich der natürlichen Zahlen zu erhöhen und somit Grundvorstellungen und Stellenwertverständnis zu ermitteln (vgl. Abschnitt 6.2), wurden einige verstehensorientierte Aufgaben konzipiert. Für 1

Das theoretische Verständnis von Rechenschwäche/Dyskalkulie muss offengelegt werden.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022 S. Dögnitz, Diagnostik von besonderen Rechenschwierigkeiten in der Sekundarstufe I, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40071-2_11

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Fazit und Ausblick

die gebrochenen Zahlen schien dieses Vorgehen hingegen nicht gewinnbringend zu sein, da Studienergebnisse verdeutlichten, dass auch unauffällige Schülerinnen und Schüler oft keine Grundvorstellungen zum Bruchzahlbegriff entwickeln konnten (vgl. hierzu Kapitel 5). Die Analyse der erstellten Aufgaben zu den natürlichen Zahlen zeigt, dass diese ein breites Spektrum mathematischer Kompetenzen abbilden. Zwar entsprechen nicht alle Item-Werte den in der Theorie geforderten, jedoch scheint es angebracht, Aufgaben, die sehr gut zwischen mathematisch schwachen und unauffälligen Lernenden diskriminieren, beizubehalten. Items zum Transcodieren und zum Rechnen im Zahlenraum bis 1000 sowie einzelne Textaufgaben konnten als sehr einfach identifiziert werden, da Schülerinnen und Schüler mit niedrigen Personenfähigkeitsparametern diese Aufgaben mit einer hohen Wahrscheinlichkeit lösen können (vgl. Abbildung 10.4). Da es jedoch von Bedeutung ist, dass der Test auch Items enthält, die sehr schwache Lernende lösen können, sollten diese trotzdem im Diagnoseinstrument enthalten bleiben. Es fällt auf, dass überraschenderweise besonders die Textaufgaben eine recht geringe Schwierigkeit aufweisen und das, obwohl die Aufgaben viele der schwierigkeitsbestimmenden Merkmale enthalten, die nach den Auseinandersetzungen in Abschnitt 3.3.5 und 4.5 als besonders gewinnbringend ermittelt wurden, wie die Verwendung der Division, die Kombination mehrerer Grundrechenarten oder inkonsistente Formulierungen. Die Textaufgaben zeigten im Vergleich zum Streuungsbereich anderer Aufgabengruppen (wie bspw. denen zum Entbündeln) recht ähnliche Schwierigkeitsparameter, obwohl sie inhaltlich sehr unterschiedlich gestaltet sind. Damit sind die Aufgaben trotzdem zur Diagnostik gut geeignet, die Differenzierungsmöglichkeiten zwischen den Fähigkeiten rechenschwacher Lernender ist jedoch nicht so groß, wie in anderen Bereichen und es wäre an dieser Stelle möglicherweise sinnvoll noch schwierigere Textaufgaben zu stellen. Hierfür sind bereits einige Textaufgaben, die vor allem mehrere Kombinationen von Rechenschritten enthalten, entwickelt worden. Ergebnisse zu deren Eignung stehen allerdings noch aus. Aufgaben zum Ergänzen von Zahlenreihen, zum Entbündeln, zum TTG im Zahlenraum ab 1000, zur Multiplikation und zur Division weisen hingegen geeignete Schwierigkeitsparameter auf. Die Bedeutung dieser Themenbereich für eine Diagnose für Rechenschwäche kann als wesentliches Resultat dieser Arbeit gewertet werden. Da auf diesen Inhalten die Schwerpunkte und damit auf einem großen Teil der Aufgaben lagen, ist damit bestätigt, dass die Auseinandersetzung und Einbeziehung der gewählten Studienergebnisse und theoretischer Überlegungen gewinnbringend für die Konstruktion eines Testverfahrens war und ist. In den anderen in Abschnitt 6.1. vorgestellten Instrumenten sind diese Aufgabengebiete

11.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

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zwar meist auch vertreten, jedoch machen sie nur einen kleinen Teil aus und der Fokus liegt eher auf anderen Gebieten wie bspw. dem schriftlichen Rechnen (vgl. Tabelle 6.1). Auf der anderen Seite zeigt sich, dass der LeDi-Arithmetik nur wenige Aufgaben enthält, die von rechenschwachen Schülerinnen und Schülern in der Regel nicht gelöst werden. Dabei handelt es sich vor allem um verstehensorientierte Aufgaben, denen damit eine doppelte Diagnoserolle zukommt: Zum einen differenzieren sie zwischen der Risiko- und der Vergleichsgruppe, zum anderen ermöglichen sie einen tieferen Einblick in die Vorstellungen und Misskonzepte von Schülerinnen und Schülern, die für eine anschließende Förderung wichtig sind. Die Bedeutung, die verstehensorientierten Aufgaben innerhalb standardisierter Testverfahren zukommen kann, ist ebenfalls als eine der Haupterkenntnisse dieser Arbeit zu deuten (vgl. Kriterium 52 ). So konnte bspw. neben den Fähigkeiten zum Darstellungswechsel festgestellt werden, dass manche Lernende zwar zu richtigen Ergebnissen bei Rechenaufgaben kommen, diese jedoch nur über Notizstrategien erhalten, was durch ein fehlendes Verständnis des Stellenwertsystems sowie mangelndes Operationsverständnis bezüglich der Multiplikation und des TTG begründet werden kann. Diese Informationen könnte ein rein quantitativ ausgelegtes Instrument nicht ermitteln. Allerdings müssen diese Ergebnisse zusätzlich durch die Testleitung interpretiert werden, um geeignete Fördermaßnahmen ableiten zu können, da die einfache Punktevergabe die gewonnenen Erkenntnisse so nicht widerspiegeln kann. Allerdings zeigte sich, dass die diagnostischen Möglichkeiten gewissen Einschränkungen bei der Wahl der Aufgabenformate unterliegen. So konnten Lernende mit einigen Aufgabenstellungen, wie dem Zeichnen von Punktmustern nicht umgehen. Da in der Testsituation auf Verständnisfragen seitens der Lernenden nicht geantwortet werden kann, um das Testergebnis nicht zu verfälschen, können einige Aufgaben mit hohem diagnostischen Potenzial nicht genutzt werden. Hingegen konnten Aufgabenformate, bei denen Begründungen angegeben werden mussten oder Übersetzungsprozesse zwischen einem algebraischen Ausdruck und einer Sachsituation als geeignet zur Diagnostik bewertet werden. Dies gilt auch für Aufgabenformate wie der Fehlersuche (ohne Begründung) und Umkehraufgaben. Besonders letztere können sehr einfach als verstehensorientierte Aufgaben in ein standardisiertes Testverfahren einbezogen werden, da sie keinerlei Probleme bzgl. der Auswertungsobjektivität

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Das Instrument muss neben vielen quantitative Elemente auch qualitative Aufgaben beinhalten, um Grundvorstellungen und Operationsverständnis sichtbar zu machen.

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Fazit und Ausblick

mit sich bringen. Bei den Items, bei denen die Schülerinnen und Schüler selbstständig Texte produzieren müssen, konnte die Objektivität jedoch durch Beispiele im Manual sichergestellt werden (vgl. Abschnitt 6.2.1 und 10.3.2). Des Weiteren zeigten sich bei den Rechenaufgaben mit Strategieerfassung einige Herausforderungen bezüglich der Aufgabenauswahl, der Formulierung und der Reihung von Ankreuzitems. So lohnt sich das Aufgabenformat zum einen nicht bei zu einfachen Rechnungen wie der Addition im Hunderterraum, zum anderen kann es auch nicht gewinnbringend bei sehr schwierigen Aufgaben eingesetzt werden, die nur wenige korrekte und elaborierte Lösungsstrategien zulassen. So erweist sich bspw. die Aufgabe 450 : 90 als nicht geeignet, da es hier nur das Ableiten auf Verwendung der Stufenaufgabe 45 : 9 als elaborierte Strategie gibt. Besonders bei diesem Item wurde darüber hinaus deutlich, welchen Stellenwert die Reihung der Antwortitems hat, denn hier ist die erste Antwort besonders häufig gewählt worden, obwohl es sich dabei nur um einen Teilschritt der Rechnung handelt. In den Ankreuzmöglichkeiten der Subtraktionsaufgabe 64 – 25 kam es ebenfalls zu größeren Unstimmigkeiten zwischen den Rechenergebnissen und den angekreuzten Strategien, was sicherlich an einer sehr ähnlichen Formulierung zweier Items liegt. Ob sich eine andere Reihung besser anbietet, ist zurzeit Gegenstand weiterführender Untersuchungen, die auch ermitteln sollen, ob es sinnvoll ist Zahlen in den Items auszuschreiben, um die Lernenden zu zwingen alle Items zu lesen und nicht nur nach „Signalzahlen“ zu suchen. Da es sich bei den Punkten für eine elaborierte Rechenstrategie um Zusatzpunkte handelt, die nicht grundsätzlich zum Erreichen der dritten Niveaustufe und damit einer negativen Diagnose notwendig sind, kann davon ausgegangen werden, dass das Aufgabenformat an sich geeignet ist (vgl. Abschnitt 10.2.1). Leider ist es aufgrund der Kriterien zur Anwendung der Rasch-Modellierung nicht möglich die Ankreuzitems in das Niveaustufenmodell einzubeziehen und damit einer elaborierten Rechenstrategie einen Schwierigkeitsparameter zuzuordnen, wodurch die Bedeutung der verwendeten Strategie im Testverfahren nicht den gewünschten Stellenwert einnehmen kann. Dies ist allerdings ein testtheoretisches Problem, was nicht ohne weiteres behoben werden kann. Neben diesen verstehensorientierten Aufgaben konnten nur Items zur Division mit Stufenzahlen und der Multiplikation mit Null der höchsten Kompetenzstufe zugeordnet werden. Auch hier wird im Weiteren überprüft, ob die Einbindung von mehr schwierigeren Aufgaben, zum Beispiel zur Division und Multiplikation oberhalb des kleinen Einmaleins, eine gewinnbringende Ergänzung darstellen würde, um eine größere Anzahl von Aufgaben in der höheren Kompetenzstufe bzw. im Grenzbereich zwischen der zweiten und dritten Stufe zu erhalten. Trotz der hier angesprochenen kleineren Schwächen enthalten die Testteile 1 und

11.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

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2 des LeDi-Arithmetik die zentralen Inhalte, die zur Diagnostik von Rechenschwäche unbedingt notwendig sind, womit das zweite Kriterium für ein gutes Testverfahren erfüllt werden kann.3 In den Ergebnissen der beiden Testteile zu den natürlichen Zahlen wurden besonders für die Risikogruppe hohe Zusammenhänge zu den Fertigkeiten bezüglich der gebrochenen Zahlen ermittelt. Allerdings gab es auch Schüler:innen die schwache Basisfähigkeiten zeigten, jedoch gute Ergebnisse im Bereich der Brüche erzielten, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Testteil 3 nicht alleine zur Diagnostik von Rechenschwäche ausreichen würde, sondern diese Fertigkeiten immer mit denen zu den natürlichen Zahlen in Beziehung gesetzt werden müssen. Mit den im Test verbliebenen 22 Aufgaben ist es möglich, gut zwischen den Lernenden mit genügenden und ungenügenden Fertigkeiten bezüglich der Brüche zu unterscheiden, die nachgewiesenermaßen in einem hohen Zusammenhang mit den mathematischen Basiskompetenzen stehen, wodurch auch diese Items einen wichtigen Beitrag zur Diagnostik liefern (vgl. Tabelle 10.10). Im Gegensatz zum Zahlenbereich der gebrochenen Zahlen wird deutlich, dass die empirischen Ergebnisse zu den ganzen Zahlen nicht ausreichend sind, um zu einer Diagnostik besonderer Schwierigkeiten im Rechnen herangezogen zu werden. Die aufgrund theoretischer Modelle erstellten Aufgaben erweisen sich als zu einfach und damit nicht aussagekräftig genug, da es Schülerinnen und Schülern der Risikogruppe im Allgemeinen gut gelang Zahlen auf der Zahlengerade einzutragen und positive und negative Zahlen miteinander zu vergleichen. Lediglich bei der Addition und besonders bei der Subtraktion negativer Zahlen zeigten sie größere Schwierigkeiten. Die theoretischen Überlegungen, nach denen auf Aufgaben zur Multiplikation und Division sowie auf verstehensorientierte Aufgaben verzichtet wurde, erweisen sich nicht als zutreffend und es bedarf an dieser Stelle weiterer Untersuchungen. Da die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler jedoch keinen Einfluss auf ein Diagnoseresultat haben, können die hier erstellten Aufgaben und die daraus gewonnenen und nicht gewonnenen Forschungsergebnisse ohne negative Folgen für Betroffene für sich stehen, da zur Diagnose nur die Testteile 1 und 2 sowie 3 als Zusatzskala einbezogen wurden. Die Diagnose selbst erfolgt schließlich über Grenzwerte. Da das Arbeiten mit sogenannten Cut-off-Werten kritisch zu beurteilen ist, wurde der Bereich der hierfür notwendigen Punkte erweitert und die Zusatzskala der gebrochenen 3

Das Instrument muss zentrale mathematische Kompetenzen erfassen und die aus den Kompetenzen entwickelten Aufgaben müssen gut zwischen rechenschwachen und unauffälligen Schülerinnen und Schülern unterscheiden.

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Fazit und Ausblick

Zahlen als vertiefende Diagnosemöglichkeit eingeführt. Der Grenzwertbereich spiegelt die Unsicherheit diagnostischer Urteile und deren Abhängigkeit von der Tagesform der Lernenden sowie den Einfluss äußerer Bedingungen wider. Alle herangezogenen Möglichkeiten diesen Grenzwert zu bestimmen, ergaben ähnliche Werte und konnten so einen Grenzwertbereich bilden, der zwischen 37 Punkten (ermittelt durch das Expertenurteil und die theoretische Niveaustufenmodellierung) und 39 Punkten (ermittelt durch die empirische Niveaustufenmodellierung und der Regression des BADYS 8+ ) liegt, wodurch auch das sechste Kriterium für ein gutes standardisiertes Testverfahren zur Diagnostik von Rechenschwäche erfüllt werden konnte4 . Neben dem LeDi-Arithmetik verwenden andere Testverfahren wie die der BASIS-MATH-Reihe (vgl. Abschnitt 6.1) ebenfalls Grenzwertbereiche, die bspw. mit sechs Punkten im BASIS-MATH 4–8 deutlich umfangreicher sind als im LeDi-Arithmetik. Allerdings werden in diesem Verfahren mit 83 Punkten auch deutlich mehr Bewertungseinheiten vergeben, was einen Unsicherheitsbereich zwischen 67 und 73 Punkten sinnvoll macht. Würde im LeDi-Arithmetik der Grenzwertbereich ebenfalls vergrößert werden, würde dies den Stellenwert der Zusatzskala der Brüche erhöhen, der zur Zeit in 12 % der Fälle zur Anwendung gekommen ist, was als guter Anteil betrachtet werden kann, da der Hauptschwerpunkt auf den natürlichen Zahlen liegen muss (vgl. Kriterium 2 für ein gutes Diagnoseverfahren). Außerdem gibt es zu wenige gesicherte Erkenntnisse zu den Fähigkeiten rechenschwacher im Unterschied zu unauffälligen Schülerinnen und Schülern zu diesem Themengebiet, um diesem Testteil einen höheren Stellenwert einzuräumen. Auf der anderen Seite würde das Instrument ohne diese Zusatzskala bei 12 % der Lernenden kein eindeutiges Ergebnis liefern, was in einer Schulklasse mit 25 Schülerinnen und Schülern drei Lernenden entspricht und die Nützlichkeit des Testverfahrens in Frage stellen würde. Unter Berücksichtigung der Zusatzskala kann der Wert uneindeutiger Diagnosen auf weniger als einen Lernenden bzw. eine Lernende (0,5) reduziert werden. Die Diagnose mit Grenzwerten ermöglicht eine zügige Interpretation der Ergebnisse. Erleichtert wird die Korrektur durch das beigefügte Manual, welches die Durchführungs- und Auswertungsobjektivität sicherstellt und das auch bei offenen Aufgaben. Ebenso sind die anderen Testgütekriterien als zufriedenstellend zu bewerten. Dabei wurde sehr viel Wert auf die Sicherstellung der Validität, im Besonderen der Inhaltsvalidität gelegt, da der Test auf Grundlage ausführlichster Literaturrecherchen, der Verwendung von Studienergebnissen und (im Fall 4

Es muss erklärt werden, wie man zu Entscheidungskriterien für eine positive Diagnose gelangt.

11.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

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der gebrochenen Zahlen) auf eigenen Erhebungen beruht, wo empirische Ergebnisse rar sind. Die Kriteriumsvalidität ist durch hohe Korrelationen zwischen den Ergebnissen des Testteils zu natürlichen Zahlen mit den Vergleichskriterien Lehrerurteil (welches durch einen zusätzlichen Fragebogen erhoben wurde), die letzte Zeugnis-Mathematiknote und das Ergebnis des BADYS 8+ sichergestellt und auch die Konstruktvalidität konnte durch Faktorenanalysen für die verschiedenen Skalen bestätigt werden. Die Reliabilitäten der Testteile können mit einem Cronbachs α von 0,89 in den Testteilen 1 und 2 sowie 0,90 in Testteil 3 als gut oder sogar sehr gut bewertet werden. So zeigt die bisherige Auswertung, dass das Testverfahren LeDi-Arithmetik ein aus testtheoretischer Sicht geeignetes Instrument zur Diagnose mathematischer Basisfähigkeit im unteren Kompetenzbereich für die achte Klasse zu sein scheint (was das siebte Kriterium für gute diagnostische Tests darstellt). Endgültig kann dies noch nicht gesagt werden, da eine Stichprobe von 399 Schülerinnen und Schülern zu gering ist, um die Gütekriterien endgültig sicherzustellen. Durch die Reduktion der Items konnte die Durchführungs- und Auswertungszeit verkürzt werden, wobei erstere in zwei Schulstunden gut umsetzbar ist und letztere (hat man schon einige Diagnosebögen korrigiert) ca. sieben Minuten pro Diagnosebogen umfasst, wenn keine genauere Ergebnisanalyse notwendig ist. Damit ist der Aufwand, den eine Testdurchführung verlangt, immer noch als deutliche zeitliche Belastung zu bewerten, obschon das Diagnoseinstrument so kaum aufwendiger im Schuleinsatz ist als eine größere Klassenarbeit und somit gut in den Unterricht integriert werden kann (wodurch auch das vierte Kriterium erfüllt ist5 ). Eine weitere Reduktion von Testaufgaben scheint außerdem nicht mehr möglich, möchte man aussagekräftige und differenzierte Informationen über die Basisfähigkeiten des bzw. der Lernenden gewinnen. Aus diesem Grund sollen im folgenden Kapitel weitere Verbesserungen diskutiert werden, um die Erfüllung dieses Kriteriums für gute Testverfahren zum Thema Rechenschwäche weiter zu steigern und somit den Einsatz im Unterricht zu vereinfachen. Denn es zeigte sich, dass es mittels LeDi-Arithmetik gut möglich ist Lernende mit mangelnden mathematischen Basisfähigkeiten zu identifizieren und damit einen ersten Schritt aus dem Teufelskreis Rechenschwäche, wie Gaidoschik es nennt, herauszugehen (2016, S. 4).

5

Das Instrument muss, da es zur Diagnostik im Klassenverband geeignet sein soll, schnell und einfach anwendbar und auswertbar sein.

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11.2

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Fazit und Ausblick

Ausblick

Viele wichtige Erkenntnisse zu den Fähigkeiten rechenschwacher Schülerinnen und Schüler konnten gewonnen und diese in einem Testinstrument für Lehrkräfte sinnvoll eingebettet werden, doch besteht weiterhin großer Forschungsbedarf, denn die Ergebnisse dieser Arbeit beschränken sich auf die achte Klasse. Im Weiteren soll der Einsatzbereich des LeDi-Arithmetik für alle anderen Klassenstufen der Sekundarstufe I erweitert werden, um es den Lehrkräften zu erleichtern, möglichst vielen Schülerinnen und Schülern einen mathematischen Wissensstand zu ermöglichen, der sie befähigt „[…] am Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen“, wie es bei PISA heißt (OECD 2016b, S. 205). Hierfür liegen bereits ca. 200 Datensätze aus der fünften Klasse sowie ca. je 50 aus den Klassen sechs und sieben vor. Besonders das Interesse in der Eingangsklasse der Sekundarstufe I zeigt sich sehr hoch, was darauf schließen lässt, dass der Wunsch nach einer einfach für Lehrkräfte anwendbaren, frei verfügbaren und kostenlosen Möglichkeit der Diagnostik von mathematischen Basisfähigkeiten groß ist und der LeDi-Arithmetik genau das liefern kann. Um den Einsatz in den Unterricht weiter zu vereinfachen soll außerdem die doch recht lange Bearbeitungs- und Korrekturzeit verringert werden. Aus diesem Grund wurde eine erste digitale Version6 des LeDi-Arithmetik entwickelt, die einige Vorteile gegenüber des Paper-pencil-Tests aufweist (vgl. hierzu auch Dögnitz 2021). So werden alle geschlossenen Aufgaben (bis auf die Aufgabe zum Schreiben von Zahlwörtern, da hier jeder Rechtschreibfehler das Ergebnis als falsch markieren würde) automatisch korrigiert und die Ergebnisse in eine Excel-Tabelle übertragen. Die Lehrkraft muss somit nur noch die offenen Aufgaben, die Textaufgaben und die Bruchdarstellungen der Schülerinnen und Schüler händisch bewerten, was die Auswertungszeit stark verkürzt. Des Weiteren kann die Testperson die nächste Seite erst abrufen, wenn alle Aufgaben bearbeitet sind. Die noch nicht gelösten Items werden rot markiert, sodass das Vergessen auszuschließen ist. Die digitale Version ist prinzipiell für mobile Endgeräte einsetzbar. Allerdings zeigten erste Testungen hier noch Probleme bei den Aufgaben, bei denen Brüche grafisch dargestellt werden müssen, die es noch zu beheben gilt. Insgesamt bietet die digitale Version eine große Zeitersparnis bei der Vorbereitung des Testverfahrens (kopieren), der Durchführung und vor allem der Auswertung. Sie muss aber noch weiter verbessert werden, um problemlos durch die Lehrkräfte angewendet werden zu können. Denn ob dies sowohl bei der digitalen als

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Diese ist unter home.uni-leipzig.de/ledi abrufbar.

11.2 Ausblick

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auch der Paper-pencil-Version der Fall ist und damit das dritte Kriterium7 für ein gutes diagnostisches Testverfahren erfüllen kann, muss der flächendeckende Einsatz in der Zukunft zeigen. Erste Gespräche mit Lehrkräften zu ihren Erfahrungen bezüglich der selbstständigen Testdurchführung deuten darauf hin, dass es sowohl bei der Durchführung als auch bei der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse wenige Probleme gibt. Zusätzlich werden bereits Lehrerfortbildungen angeboten, um die Anwendung des LeDi-Arithmetik weiter zu vereinfachen. Das Testverfahren LeDi-Arithmetik hebt sich im Vergleich zu bisher erschienenen Verfahren vor allem durch die reichhaltigere Verwendung verstehensorientierter Aufgaben ab, die neben der Diskrimination den Vorteil hat, dass konkrete Vorstellungen und Fehlkonzepte aufgedeckt werden und wichtige Hinweise für eine Förderung geliefert werden können – nicht nur für rechenschwache Schülerinnen und Schüler – und das ohne große Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der Auswertungsobjektivität. Allerdings konnte hier nur ein kleines Spektrum verstehensorientierter Aufgaben erprobt werden. Das Potenzial solcher Aufgaben für standardisierte Tests sollte damit mehr in den Fokus der Forschung, auch aus psychologischer Sicht, rücken, in der diese Art von Items bisher kaum zur Anwendung kommt, was zum einen an Fragen der Auswertungsobjektivität, zum anderen sicherlich jedoch ebenso an geringen Erfahrungen und Vorwissen auf diesem Gebiet seitens der Testautor:innen liegen kann. Die Zusammenarbeit zwischen diesem Fachbereich und der Mathematikdidaktik konnte hier gewinnbringende Erkenntnisse liefern und sollte zudem für weitere Forschungsergebnisse zu den Fähigkeiten und Defiziten von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I im Bereich der natürlichen Zahlen, aber auch für spezifische Inhalte der fünften bis zehnten Klasse, eingesetzt werden, da die Anzahl an Studienresultaten im Gegensatz zur Grundschulzeit eher gering ist. Denn diese Arbeit bestätigt einmal mehr, worauf bereits andere Autor:innen wie Gaidoschik, Moser Opitz, Humbach, Wartha und viele anderen hinweisen: Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen sind in der Sekundarstufe I durchaus keine kleine Randgruppe und bedürfen mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Forschung, der universitären Lehre und eben auch von Seiten der Lehrkräfte, für die diese Arbeit und vor allem der LeDi-Arithmetik hoffentlich ein Stück weit sorgen kann.

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Das Instrument muss für Lehrkräfte anwendbar sein, die keine Expertise auf dem Gebiet der Rechenschwäche aufweisen.

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