Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament [Auflage: 2] 978-3825238186

Der Band versammelt Beiträge, welche die Bedeutung des Todes Jesu aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und nach des

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Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament [Auflage: 2]
 978-3825238186

Table of contents :
I. Zur Einführung
JÖRG FREY
Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen
Wissenschaft.
Streiflichter zur exegetischen Diskussion .................................................. 3
JENS SCHRÖTER
Sühne, Stellvertretung und Opfer.
Zur Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu.... 51
FRIEDERIKE NÜSSEL
Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche
Problematisierung ................................................................................... 73
II. Alttestamentliche, judaistische und
religionsgeschichtliche Horizonte
BERND JANOWSKI
Das Leben für andere hingeben.
Alttestamentliche Voraussetzungen für die Deutung des Todes Jesu........ 97
FRIEDHELM HARTENSTEIN
Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament ................ 119
JAN WILLEM VAN HENTEN
Jewish Martyrdom and Jesus’ Death...................................................... 139
FRIEDRICH AVEMARIE
Lebenshingabe und heilschaffender Tod in der rabbinischen Literatur... 169
HENK S. VERSNEL
Making Sense of Jesus’ Death.
The Pagan Contribution......................................................................... 213
III. Deutungen im Neuen Testament und im frühen Christentum
MICHAEL WOLTER
Der Heilstod Jesu als theologisches Argument....................................... 297
RUBEN ZIMMERMANN
,Deuten‘ heißt erzählen und übertragen.
Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer
Sinnbildung zum Tod Jesu..................................................................... 315
THOMAS SÖDING
Sühne durch Stellvertretung.
Zur zentralen Deutung des Todes Jesu im Römerbrief ........................... 375
CHRISTINE SCHLUND
Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition................. 397
CHRISTFRIED BÖTTRICH
Proexistenz im Leben und Sterben.
Jesu Tod bei Lukas................................................................................ 413
CILLIERS BREYTENBACH
„Christus litt euretwegen“.
Zur Rezeption von Jesaja 53 LXX und anderen frühjüdischen
Traditionen im 1. Petrusbrief ................................................................. 437
HERMUT LÖHR
Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief.
Ein Versuch........................................................................................... 455
THOMAS KNÖPPLER
Das Blut des Lammes.
Zur soteriologischen Relevanz des Todes Jesu nach der Johannesapokalypse
............................................................................................ 477
ENNO EDZARD POPKES
Die Umdeutung des Todes Jesu im koptischen Thomasevangelium ....... 513
WINRICH A. LÖHR
Deutungen der Passion Christi bei Heiden und Christen im zweiten
und dritten Jahrhundert.......................................................................... 545
IV. Systematische und religionspädagogische Perspektiven
PHILIPP STOELLGER
Deutung der Passion als Passion der Deutung.
Zur Dialektik und Rhetorik der Deutungen des Todes Jesu.................... 577
MIRJAM ZIMMERMANN
Die (Be-)Deutung des Todes Jesu in der Religionspädagogik.
Eine Skizze ........................................................................................... 609
Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes........................................... 649
Autorenregister ..................................................................................... 651
Stellenregister ....................................................................................... 662
Sachregister........................................................................................... 697

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UTB 2953

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament Herausgegeben von Jörg Frey und Jens Schröter

2., durchgesehene und mit einer neuen Einleitung versehene Auflage

Mohr Siebeck

Jörg Frey, geboren 1962; Studium der Theologie in Tübingen, Erlangen und Jerusalem; 1996 Promotion; 1998 Habilitation; seit 2010 Professor für Neutestamentliche Wissenschaft mit den Schwerpunkten Antikes Judentum und Hermeneutik an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Jens Schröter, geboren 1961; Studium der Theologie in Jena, Hamburg und Heidelberg; 1992 Promotion; 1996 Habilitation; seit 2009 Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie die neutestamentlichen Apokryphen an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.

2005 1. AuÀage (Mohr Siebeck) 2007 Unveränderte Studienausgabe (UTB) 2012 2. durchgesehene AuÀage (UTB) ISBN 978-3-8252-3818-6 (UTB Band 2953) Online Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://www.dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck, Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover¿lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Hubert & Co in Göttingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.

Vorwort Der vorliegende Band geht auf ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziertes Rundgespräch zurück, das vom 6. bis 8. Oktober 2003 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte stattfand. Die Anregung hierzu kam von den Herausgebern, die auf diese Weise ein für die christliche Vorstellung von der Erlösung zentrales Thema aufgreifen und in einem disziplinübergreifenden Diskurs bearbeiten wollten. Die Relevanz des Themas bedarf keiner ausführlichen Begründung. Der Satz, daß Jesus gestorben ist „für unsere Sünden“ oder „zur Sühne für unsere Sünden“, ist jedem bekannt, der mit liturgischer oder wissenschaftlich-theologischer Sprache vertraut ist. In nahezu jeder Kirche erinnert ein Kruzifix an den Tod Jesu Christi und führt so die Bedeutung dieses Ereignisses für den christlichen Glauben vor Augen. Gerade aufgrund seiner massiven Wirkungsgeschichte in kirchlicher Praxis und wissenschaftlicher Theologie erweist es sich jedoch als ebenso schwierig wie notwendig, immer wieder neu nach Verstehensmöglichkeiten dieses Todes zu fragen, die vor den urchristlichen Zeugnissen verantwortet sind. Ein solches Bemühen um ein theologisch sachgerechtes Verständnis betrifft alle theologischen Disziplinen. Deutende Kategorien wie „Sühne“, „Stellvertretung“ oder „Opfer“, die sowohl in der systematischen wie in der exegetisch-historischen Sprache Verwendung finden, können mißverständlich werden und müssen immer wieder auf ihre Tragweite und Angemessenheit hin überprüft werden. Weder ihre vorschnelle Verabschiedung als unzeitgemäßer, dem modernen Menschen nicht erschwinglicher Vorstellungen noch ihre unreflektierte Inanspruchnahme zur Deutung des neutestamentlichen Textbefundes helfen hier weiter. Gefragt ist vielmehr ein exegetisch-systematischer Dialog über urchristliche Verständnisweisen des Todes Jesu und deren Implikationen für heutiges theologisches Denken und gegenwärtige kirchliche Praxis. Darum war es ein in dem Band dokumentiertes Anliegen der Herausgeber, exegetische und systematische Perspektiven in der Behandlung des Themas miteinander ins Gespräch zu bringen. Dabei versteht es sich von selbst, daß für ein präzises Verstehen der Hintergründe, vor denen die urchristlichen Deutungen des Todes Jesu entstanden sind, der Blick auf alttestamentliche, frühjüdische sowie griechische und römische Texte unverzichtbar ist. Erst einem derart umfassend ausgerichteten Zugang erschließen sich die Dimensionen, in denen dieser

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Vorwort

Tod verstanden worden ist und bis in die Gegenwart hinein verstanden wird. So ist es etwa keinesfalls eindeutig, wie es zur Vorstellung eines „heilseffizienten“ Todes Jesu gekommen ist, genauer: in welcher Weise pagan-griechisches und israelitisch-jüdisches Denken auf entsprechende Aussagen eingewirkt haben. In etlichen der hier vorgelegten Beiträge wird dieser weitere Horizont urchristlicher Deutungen des Todes Jesu deutlich. Daß die Überzeugung einer vom Tod Jesu ausgehenden Heilswirkung zu den zentralen Bestandteilen urchristlicher Soteriologie gehört, dürfte unstrittig sein. Diese Überzeugung setzt diejenige von seiner Auferwekkung bereits voraus, die es erst ermöglicht, dem Tod Jesu positive Wirkungen zuzuschreiben. Daß diese in vielfältiger Weise formuliert werden konnten, ist eine sich aus dem neutestamentlichen und frühchristlichen Befund ergebende Einsicht, die in den entsprechenden Beiträgen dieses Bandes dokumentiert wird. Die Vorträge und Diskussionen im Zusammenhang des Rundgespräches waren ausgesprochen fruchtbar und fanden in angenehmer Atmosphäre statt. Sie haben einen Prozeß in Gang gesetzt, der, so steht zu hoffen, bei passender Gelegenheit eine Fortsetzung finden wird. Für die Beteiligung an dem Gespräch, für die Beiträge sowie für die Bereitstellung der Manuskripte für den Tagungsband sagen wir allen Teilnehmern Dank. Bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge haben Nina Schumann und Ulfert Sterz am Leipziger Lehrstuhl von Jens Schröter sowie Sönke Finnern und Juliane Schlegel am Münchener Lehrstuhl von Jörg Frey tatkräftig mitgewirkt, Sönke Finnern hat darüber hinaus mit großer Sorgfalt und technischer Kompetenz die Druckvorlage hergestellt sowie zusammen mit Dr. Enno Edzard Popkes die Erstellung der Register übernommen. Allen Genannten sei für ihre konstruktive und kompetente Mitarbeit herzlich gedankt. Unser Dank gilt schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bereitstellung der Mittel zur Durchführung des Rundgesprächs, der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern für die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten der Drucklegung sowie den Mitarbeitern im Verlag, insbesondere Frau Tanja Mix, für die kompetente verlegerische Betreuung. Leipzig und München, im März 2005

Jörg Frey und Jens Schröter

Inhaltsverzeichnis Einleitung zur 2. AuÀage .......................................................................... XI

I. Zur Einführung JÖRG FREY Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen Wissenschaft. Streiflichter zur exegetischen Diskussion ..................................................3 J ENS SCHRÖTER Sühne, Stellvertretung und Opfer. Zur Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu.... 51 FRIEDERIKE NÜSSEL Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung ................................................................................... 73

II. Alttestamentliche, judaistische und religionsgeschichtliche Horizonte BERND JANOWSKI Das Leben für andere hingeben. Alttestamentliche Voraussetzungen für die Deutung des Todes Jesu........ 97 FRIEDHELM HARTENSTEIN Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament ................ 119 JAN WILLEM VAN HENTEN Jewish Martyrdom and Jesus’ Death...................................................... 139 FRIEDRICH AVEMARIE Lebenshingabe und heilschaffender Tod in der rabbinischen Literatur... 169 HENK S. VERSNEL Making Sense of Jesus’ Death. The Pagan Contribution......................................................................... 213

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Inhaltsverzeichnis

III. Deutungen im Neuen Testament und im frühen Christentum MICHAEL WOLTER Der Heilstod Jesu als theologisches Argument....................................... 297 RUBEN ZIMMERMANN ,Deuten‘ heißt erzählen und übertragen. Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer Sinnbildung zum Tod Jesu..................................................................... 315 THOMAS SÖDING Sühne durch Stellvertretung. Zur zentralen Deutung des Todes Jesu im Römerbrief ........................... 375 CHRISTINE SCHLUND Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition ................. 397 CHRISTFRIED BÖTTRICH Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas ................................................................................ 413 CILLIERS BREYTENBACH „Christus litt euretwegen“. Zur Rezeption von Jesaja 53 LXX und anderen frühjüdischen Traditionen im 1. Petrusbrief ................................................................. 437 HERMUT LÖHR Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief. Ein Versuch........................................................................................... 455 THOMAS KNÖPPLER Das Blut des Lammes. Zur soteriologischen Relevanz des Todes Jesu nach der Johannesapokalypse ............................................................................................ 477 ENNO EDZARD POPKES Die Umdeutung des Todes Jesu im koptischen Thomasevangelium ....... 513 WINRICH A. LÖHR Deutungen der Passion Christi bei Heiden und Christen im zweiten und dritten Jahrhundert.......................................................................... 545

Inhaltsverzeichnis

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IV. Systematische und religionspädagogische Perspektiven PHILIPP STOELLGER Deutung der Passion als Passion der Deutung. Zur Dialektik und Rhetorik der Deutungen des Todes Jesu .................... 577 MIRJAM ZIMMERMANN Die (Be-)Deutung des Todes Jesu in der Religionspädagogik. Eine Skizze ........................................................................................... 609

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes........................................... 649 Autorenregister ..................................................................................... 651 Stellenregister ....................................................................................... 662 Sachregister........................................................................................... 697

Einleitung zur 2. Auflage Der zuerst 2005 in der Reihe „Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament“ erschienene Band „Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament“ (WUNT 181, Tübingen 2005) erfuhr eine erfreulich breite Rezeption. Der Verlag Mohr Siebeck entschloss sich deshalb dazu, ihn – wie in einigen Rezensionen bereits angeregt – zwei Jahre später auch als preisgünstige Studienausgabe im Programm der „Uni-Taschenbücher“ zu publizieren (UTB 2953, Tübingen 2007). Mittlerweile ist eine zweite Auflage dieser UTB-Ausgabe notwendig geworden. Das gibt den Herausgebern die Gelegenheit, in einer etwas ausführlicheren Einführung Anlass und Entstehungskontext des Bandes sowie die Diskurse, aus denen er entstanden ist und zu denen er selbst Stellung bezieht, genauer darzustellen. Offensichtlich sind die Fragen nach dem Sinn des Todes Jesu, seinen frühchristlichen Deutungen, deren traditionsgeschichtlichen Hintergründen und systematisch-theologischen Implikationen nach wie vor aktuell – nicht nur innerhalb der internationalen Fachdiskurse, sondern auch und gerade in kirchlichen, universitären und öffentlichen Debatten. Die Neuauflage des Bandes soll deshalb auch dazu genutzt werden, auf die verschiedenen Diskussionen der letzten Jahre einzugehen und Inhalt und Anliegen des vorliegenden Bandes vor diesem Hintergrund zu beleuchten. Damit soll seine Aktualität, von der er seit seiner Erstpublikation nichts eingebüßt hat, vor Augen geführt werden. Nicht zuletzt soll auch die von einem Rezensenten1 angeregte Reflexion darüber, was der Band bietet und wie er sich in die Diskussion über die Heilsbedeutung des Todes Jesu einzeichnen lässt, angestellt werden.

1. Entstehungskontext und Reaktionen Die meisten der in dem Band publizierten Beiträge gehen auf ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Rundgespräch zurück, das 2003 im Dietrich-Bonhoeffer-Hotel in Berlin-Mitte stattfand. Konkreter Anlass war seinerzeit die Frage nach der Angemessenheit und konkreten Bedeutung interpretationssprachlicher Kategorien zur Deutung des Todes Jesu, vor allem der Begriffe „Sühne“, „Stellvertretung“ und „Opfer“. Des Weiteren sollte die Vielfalt der im frühen Christentum ausgeprägten 1

W. Klaiber, in: ThLZ 132 (2007), Sp. 35.

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Einleitung zur 2. Auflage

Sichtweisen auf den Tod Jesu thematisiert werden, die in verschiedener Weise israelitisch-jüdische und griechisch-römische Traditionen und Sprachmuster aufgreifen, um die Bedeutung des Todes Jesu zur Sprache zu bringen. Der Band hat in zahlreichen Rezensionen ein überwiegend positives Echo gefunden. Häufig hervorgehoben wurde vor allem das breite Spektrum der Perspektiven, die in den verschiedenen Beiträgen deutlich werden.2 Als Defizit wurde dagegen gelegentlich benannt, dass die unterschiedlichen traditionsgeschichtlichen Ansätze sowie die Interpretationen des neutestamentlichen Befundes unverbunden nebeneinander stehen blieben, ohne dass sich übergreifende Konturen eines Zugangs zum Verständnis des Todes Jesu abzeichnen würden.3 Freilich wurde auch zugestanden, dass der Versuch einer derartigen Systematisierung den Nachteil besessen hätte, die verschiedenen Zugangsweisen einem vereinheitlichenden Blickwinkel – in diesem Fall: demjenigen der Herausgeber – zu unterwerfen.4 Es sei deshalb noch einmal betont, dass es uns seinerzeit vor allem darum ging, einen Diskussionsprozess anzustoßen, den wir angesichts der Bedeutung sowie der Umstrittenheit des Themas für notwendig hielten und noch immer halten. Der Band erhebt dabei nicht den Anspruch, auf dem Weg zu einem neuen Paradigma der Deutung des Todes Jesu zu sein, sondern versteht sich in erster Linie als Bestandsaufnahme verschiedener Perspektiven auf ein historisch wie theologisch zentrales Thema. Das spiegelt sich darin wider, dass verschiedene Interpretationen des Todes Jesu im Urchristentum zur Sprache kommen, diverse traditionsgeschichtliche Hintergründe beleuchtet werden und unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich der Verwendung interpretierender Kategorien wie „Sühne“ und „Stellvertretung“ deutlich werden. Insofern unterscheidet sich der Band bewusst von monographischen Zugängen zu dem Thema und favorisiert auch nicht eine bestimmte Position. Angesichts der durchaus offenen Gesprächssituation scheint uns dies nach wie vor adäquat zu sein und einen unveränderten Nachdruck der Beiträge zu rechtfertigen. Gleichwohl lassen sich einige Aspekte benennen, die den Ort des Bandes innerhalb der Forschungssituation profilieren. In einer längeren Besprechung des Buches hat Notger Slenczka den Hintergrund des Bandes als „Infragestellung eines relativ weitgehenden Konsenses“ beschrieben, der sich in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts herausgebildet hatte und den Sühnopferritus des Alten Tes-

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Dieses Urteil findet sich in praktisch allen Rezensionen des Buches. Vgl. etwa R. Feldmeier, in: ThBeitr 40 (2009), 63. 4 Vgl. C. Stenschke, in: NT 48 (2006), 303: „Eine Bündelung am Ende des Bandes wäre ebenso hilfreich wie vielleicht unmöglich gewesen.“ 3

Einleitung zur 2. Auflage

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taments als zentralen Deutungshorizont für den Tod Jesu ansah.5 Diese vor allem an der Tübinger Evangelisch-theologischen Fakultät entwickelte Sicht stellte, wie Slenczka zu Recht notiert, ihrerseits eine Reaktion auf diejenige Interpretation dar, die den christlichen Glauben nicht als ein Fürwahrhalten von berichteten Tatsachen, sondern als „eine radikale Umkehr des bisherigen Selbstverständnisses des Menschen“, als „die radikale Preisgabe der țĮȪȤȘıȚȢ“, des Selbstruhms, interpretierte und dabei das Sühnopferritual als „objektives“ Heilsgeschehen in Frage stellte.6 Darüber hinaus werde in dem Band die Tübinger Sicht eines einheitlichen Traditions- und Rezeptionsprozesses, der von den älteren Schriften Israels über die jüdischen Schriften der hellenistischen Zeit bis ins Urchristentum reiche, durch stärkere Differenzierungen der Textbefunde sowie durch eine deutlichere Berücksichtigung paganer hellenistisch-römischer Traditionen kritisch hinterfragt. Eine vergleichbare Einordnung des Profils des Bandes wird auch auf exegetischer Seite vorgenommen. Knut Backhaus konstatiert, dass der „Primat des bibeltheologischen Sühnemodells Tübinger Prägung … als erloschen gelten dürfte“.7 Ziel des Unternehmens, das in dem Band dokumentiert wird, war es in der Tat, die Diskussion über die Deutungen des Todes Jesu im Blick auf ihre traditionsgeschichtliche Vielfalt und ihre Einbettung in verschiedene argumentative und paränetische Kontexte zu öffnen. Damit sind bereits wichtige Aspekte für den Ort des Bandes in der gegenwärtigen Diskussion benannt. Es geht darum, die für das Verständnis des Todes Jesu herangezogenen Motive, Metaphern und Traditionen in ihrer jeweiligen Herkunft und urchristlichen Rezeption zu beleuchten. Dabei soll die letztlich wohl kaum weiterführende Opposition „objektives Heilsgeschehen versus subjektive Glaubensentscheidung“ hintangestellt werden. Wesentlich dafür ist die Einsicht, dass die urchristlichen Deutungen des Todes Jesu stets Interpretationen eines historischen Geschehens – der Hinrichtung Jesu am Kreuz durch die römische Militäradministration in Judäa – darstellen. Die dafür verwendeten Deutungskategorien herauszuarbeiten und nach ihrer Relevanz für systematisch-theologische Reflexionen über den Tod Jesu zu fragen, stellt deshalb ein wichtiges Anliegen des Bandes dar.

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N. Slenczka, in: Marburger Jahrbuch für Theologie 21 (2009), 152–158. So R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 8., durchgesehene, um Vorwort und Nachträge wesentlich erweiterte Auflage, hg. von Otto Merk, Tübingen 1980, 300. 7 K. Backhaus, ThRev 103 (2007), 117–121. 6

XIV

Einleitung zur 2. Auflage

2. Aktualität und Brisanz der Fragestellung Die Debatte über ein sachgemäßes Verständnis des Todes Jesu gehört zu den zentralen Aufgaben christlicher Theologie. Ihre Brisanz zeigt sich in nachdrücklicher Weise an den Versuchen, sich der damit verbundenen Verstehensschwierigkeiten dadurch zu entledigen, dass Interpretamente wie Opfer oder Sühne zu mythologischen Relikten der Antike erklärt werden, die dem modernen Menschen nicht mehr zugänglich seien und deshalb für einen in der Gegenwart verantworteten christlichen Glauben verabschiedet werden müssten. Derartige Positionen wurden in neuerer Zeit sowohl von dem emeritierten Berliner Theologieprofessor Klaus-Peter Jörns8 als auch von dem ehemaligen Superintendenten des Kirchenkreises Bonn, Burkhard Müller, vertreten.9 Die Argumentation lässt sich etwa so zusammenfassen: Jesus selbst habe die Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft verkündigt, den Menschen die Barmherzigkeit und Liebe Gottes nahegebracht und sich dabei auch mit den jüdischen Autoritäten angelegt. Seinen Tod habe er nicht gesucht, von Opfern nicht viel gehalten, seinen eigenen Tod auch nicht als einen Sühnetod betrachtet, der andere Menschen von ihren Sünden erlösen könnte. Erst Paulus habe das Thema der Sündenverfallenheit der Menschen in den Mittelpunkt gestellt und den Tod Jesu als Sühne- und Opfertod gedeutet. In der weiteren Wirkungsgeschichte sei dann die Sühnopferlehre immer stärker in den Vordergrund gerückt worden und habe den Inhalt des Wirkens Jesu verdunkelt. Die Konsequenz daraus müsse lauten, die Deutung des Todes Jesu als eines Heilstodes zu verabschieden und sich stattdessen auf das Leben Jesu und seine Auferstehung als diejenigen Inhalte zu konzentrieren, die das Heil Gottes im Wirken Jesu zur Wirkung gebracht hätten. Diese Thesen haben vor allem im kirchlichen Raum zu erheblichen Irritationen und Kontroversen geführt und damit Anlass zu Stellungnahmen von kirchenoffizieller Seite gegeben. So haben sich etwa die Kirchenleitungen der Evangelischen Kirche im Rheinland und derjenigen von Hessen-Nassau mit dem Thema befasst. Die Erklärungen führender Kirchen-

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K.-P. Jörns, Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum, Gütersloh 2004 (5. Aufl. 2010); ders., Lebensgaben Gottes feiern. Abschied vom Sühnopfermahl: Eine neue Liturgie, Gütersloh 2007; ders., Glaubwürdig von Gott reden. Gründe für eine theologische Kritik der Bibel, Stuttgart 2009. 9 B. Müller, Für unsere Sünden gestorben? Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion, Rheinbach 2010. Das Buch basiert auf Morgenandachten, die Müller im Februar 2009 im WDR gehalten hat und die eine heftige Kontroverse ausgelöst hatten. Zur kritischen Auseinandersetzung mit Müller vgl. R. Stuhlmann, Wenn die Opfer vergessen werden. Kritische Anmerkungen zur gegenwärtigen kirchlichen Diskussion über die Deutung des Todes Jesu, EvTh 72 (2012), 64–75.

Einleitung zur 2. Auflage

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vertreter beider Landeskirchen10 konvergieren dabei in dem Urteil, dass die Deutung des Todes Jesu als Opfer- oder Sühnetod wichtig und theologisch sachgemäß sei, es sich dabei aber nur um eine unter mehreren Deutungen handle, die im Neuen Testament anzutreffen seien. Es sei deshalb unsachgemäß, diese Deutung zu verabschieden, aber auch nicht notwendig, sie zur grundlegenden oder gar einzigen Sichtweise auf den Tod Jesu zu erklären. Zu dieser Diskussion, die in den zurückliegenden Jahren auch auf zahlreichen Tagungen kirchlicher Akademien sowie in Pastoralkollegs geführt wurde, soll kurz Stellung genommen werden. Zunächst ist dem von Jörns und Müller benannten Problem, dass die Vorstellung des Sühne- oder Opfertodes eines Menschen zugunsten anderer für neuzeitliches Denken sperrig und nur schwer nachzuvollziehen ist, sicher zuzustimmen. Daraus erklärt sich auch die Attraktivität und hohe Zustimmung, die beide Autoren dafür erhalten haben, sich dieser Schwierigkeit konsequent zu stellen. Allerdings sind in ihrem Umgang mit der bezeichneten Problematik deutliche Defizite zu konstatieren. Mit der Entgegensetzung des Wirkens Jesu einerseits, der Deutungen seines Todes im Urchristentum andererseits, bedienen sich Jörns und Müller einer Argumentationsfigur, die bei der Anwendung der kritischen Vernunft auf die biblischen Texte zum ersten Mal auftaucht und seither in verschiedenen Variationen immer wieder begegnet. Sie ist zuerst bei Hermann Samuel Reimarus anzutreffen, der die ethische Lehre Jesu von der Buße und Besserung des Lebens kritisch der Erdichtung eines Systems vom auferweckten und zum Himmel erhöhten Erlöser gegenübergestellt hatte. Derartige Ansätze sind einerseits die Konsequenz historisch-kritischer Differenzierung zwischen Deutung und Ereignis in den biblischen Texten, sie leiden jedoch andererseits darunter, den christlichen Glauben allein auf das Wirken des irdischen Jesus zu gründen und aus einer Deutung seines Wirkens und Geschicks insgesamt – also einschließlich seines Leidens und Todes sowie seiner Auferweckung und Erscheinung – herauszulösen. Das widerspricht jedoch der urchristlichen Sicht auf den Weg Jesu, der stets – auch in den Evangelien – als ein Gesamtgeschehen betrachtet wurde. Dabei stellt die Überzeugung von seiner Gottessohnschaft, seinem Heilstod sowie seiner Auferweckung und Erhöhung die entscheidende Voraussetzung dafür dar, auch seinem irdischen Wirken eine besondere Bedeutung zuzuweisen. Es wäre deshalb ein grobes Missverständnis, in einigen ur10

Vgl. das Interview mit Nikolaus Schneider in: chrismon plus rheinland 4/2009, 44– 47; ders., Was bedeutet der Kreuzestod Jesu?, ThBeitr 41 (2010), 348–353. Das Leitende Geistliche Amt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat im März 2008 eine „Stellungnahme zur umstrittenen Deutung des Todes Jesu als ein Gott versöhnendes Opfer“ verabschiedet.

XVI

Einleitung zur 2. Auflage

christlichen Schriften Sichtweisen identifizieren zu wollen, die den Tod Jesu nicht als Heilstod verstehen würden, wie das bei Jörns im Blick auf das Abendmahlsverständnis des Johannesevangeliums und der Didache geschieht, die er als Alternativen gegen eine angeblich „sühnetheologische“ Deutung dieses Mahles in den Einsetzungsworten profilieren will, oder bei Müller, dem zufolge die Verfasser der Evangelien ein verlässliches Bild von Jesu Botschaft gezeichnet hätten, ohne dabei auf die Vorstellung eines Sühnopfers zu rekurrieren. Ein weiteres Defizit besteht darin, dass Jörns und Müller nicht zwischen Deutungskategorien wie „Sühne“, „Stellvertretung“ und „Opfer“ einerseits und dem Befund der neutestamentlichen Texte andererseits unterscheiden und die bereits seit längerem in Gang befindliche exegetische und religionsgeschichtliche Diskussion über Herkunft und Gehalt dieser Begriffe ausblenden. Damit begehen sie denselben Fehler, den sie ihren Gegnern vorwerfen, nämlich Interpretamente auf die Texte anzuwenden, die nicht aus diesen selbst gewonnen sind. So läuft etwa die Zurückweisung der Deutung des Todes Jesu als eines Sühnopfers in den Einsetzungsworten zum Abendmahl schon deshalb ins Leere, weil eine solche Vorstellung in diesen Worten gar nicht vorliegt. Es ist schlechterdings unerklärlich, worauf die Behauptung gründet, die Wendungen „mein Leib für euch gegeben“ bzw. „mein Bundesblut für euch vergossen“ seien eine sühnetheologische Deutung des Todes Jesu. Den Einsetzungsworten selbst lässt sich das jedenfalls nicht entnehmen. Begriffe wie „Sühne“ und „Stellvertretung“ sind zudem ohnehin interpretierende Kategorien, die zur Deutung des neutestamentlichen Befundes verwendet werden, sich im Neuen Testament selbst dagegen nicht finden. Das beantwortet freilich noch nicht die Frage, ob bzw. inwiefern sie diesen angemessen zur Sprache bringen. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Heilsbedeutung des Todes Jesu für ausnahmslos alle urchristlichen Autoren – also einschließlich der Verfasser der Evangelien – zu ihrer Sicht auf Jesus Christus konstitutiv dazugehört. Eine Abtrennung des irdischen Jesus von dem auferweckten und erhöhten Herrn Jesus Christus und eine Bestreitung der Heilsbedeutung seines Todes würden deshalb dem Befund des Neuen Testaments und des frühen Christentums insgesamt eklatant widersprechen. Nur weil der Weg Jesu Christi in urchristlicher Perspektive als ein Geschehen betrachtet wird, das mit seiner Sendung in die Welt beginnt und mit seiner Erhöhung zur Rechten Gottes endet, war es auch möglich, seinen Tod als ein Heilsgeschehen aufzufassen, das die Bedeutung auch seines irdischen Wirkens erst verstehen lässt. Zur Interpretation dieses Geschehens wurden dabei unterschiedliche Vorstellungen, Begriffe und Metaphern verwendet, die ihren Hintergrund entweder in israelitisch-jüdischen Schriften besitzen oder aus dem paganen

Einleitung zur 2. Auflage

XVII

griechisch-römischen Bereich stammen. Mit ihrer Hilfe wurde der Tod Jesu als ein Geschehen gedeutet, das über sich hinausweist und eine Heilswirkung für andere Menschen in sich birgt. Das konnte z.B. mittels der Vorstellung des Freikaufs aus der Sklaverei, des Erwerbs für einen teuren Preis oder der Vollendung des Opferkultes am Großen Versöhnungstag zum Ausdruck gebracht werden. Diese Vorstellungen zu „verabschieden“, würde demnach zugleich bedeuten, einen konstitutiven Gehalt urchristlicher Theologie selbst zur Disposition zu stellen. Es muss jedoch darum gehen, die mit Hilfe dieser Deutungskategorien formulierte Überzeugung von der Bedeutung des Weges und Geschicks Jesu zu erheben. Des Weiteren wäre es eine grobe Verzerrung, einzelnen urchristlichen Autoren die Auffassung vom Tod Jesu als einem Sühnopfer zu unterstellen, das Gott gewollt habe, um den Menschen ihre Sünden zu vergeben. Die urchristlichen Autoren haben vielmehr auf je eigene Weise die Überzeugung formuliert, dass der Weg Jesu nicht am Kreuz geendet ist, sondern durch seine Auferweckung und Erhöhung eine neue Qualität gewonnen hat, die auch seinem Tod eine heilvolle Bedeutung verleiht. Den Komplex der dabei herangezogenen Vorstellungen, die im Verlauf der weiteren Theologie- und Liturgiegeschichte aufeinander bezogen und mit weiteren Deutungen angereichert wurden, auszuleuchten, ist ein wichtiges Anliegen des vorliegenden Bandes.

3. Zur neueren Diskussion über den Tod Jesu in der exegetischen und systematisch-theologischen Diskussion Kennzeichnend für die Diskussion der genannten Thematik innerhalb der akademischen Theologie ist die differenzierte Wahrnehmung der einzelnen Begriffe und Vorstellungen zur Deutung des Todes Jesu und deren Verhältnis zum neutestamentlichen Textbefund. Das schlägt sich etwa darin nieder, dass Begriffe wie „Kreuzestheologie“,11 „Stellvertretung“,12 „Sühne“13 und „Opfer“14 selbst zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht 11

A. Dettwiler/J. Zumstein (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151), Tübingen 2002; M. Korthaus, Kreuzestheologie. Geschichte und Gehalt eines Programmbegriffs in der evangelischen Theologie (BHTh 142), Tübingen 2007; K. Grünwaldt/U. Hahn (Hg.), Kreuzestheologie – kontrovers und erhellend, Hannover 2007. 12 B. Janowski, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff (SBS 165), Stuttgart 1997; S. Schaede, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie (BHTh 126), Tübingen 2004; J.Ch. Janowski/B. Janowski/ H.P. Lichtenberger (Hg.), Stellvertretung. Theologische, philosophische und kulturelle Aspekte, Band 1: Interdisziplinäres Symposium Tübingen 2004, Neukirchen-Vluyn 2006. 13 R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen 2001.

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und im Blick auf ihren exegetischen und systematisch-theologischen Aussagegehalt analysiert wurden. Dabei wurde deutlich, dass diese Begriffe eigenen philosophischen bzw. geistes- und theologiegeschichtlichen Konstellationen entstammen und den biblischen Befund diesen Kontexten entsprechend interpretieren. Bei ihrer Verwendung ist deshalb stets danach zu fragen, welche Vorstellungen mit ihnen auf die biblischen Texte übertragen werden, ohne sie mit dem sprachlichen Befund dieser Texte gleichzusetzen. Einige der neueren Beiträge stehen dabei im Kontext der oben geschilderten Debatte. Dazu gehören der von Volker Hampel und Rudolf Weth herausgegebene Sammelband sowie das Buch von Walter Klaiber.15 Die Herausgeber des erstgenannten Bandes bemerken, dass in der Diskussion vorwiegend veraltete Zerrbilder, vor allem der Satisfaktionslehre Anselm von Canterburys und der davon bestimmten Bilder von Opfer und einem grausamen, Genugtuung fordernden Gott, nachwirken, während „der Fortschritt der biblischen und systematischen Theologie in den anstehenden Fragen kaum oder gar nicht beachtet worden ist.“16 Dementsprechend versucht der Band mit Beiträgen von Bibelwissenschaftlern und Systematikern, durch eine differenziertere Reflexion der Rede von Opfer, Lebenshingabe und Kreuz auch in die öffentliche Diskussion klärend und versachlichend einzugreifen. Der Band von Klaiber stellt eine nüchterne, sachliche Bestandsaufnahme der historischen Umstände des Todes Jesu, seiner urchristlichen Deutungen und der dabei aufgenommenen alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen dar. Einen eigenen Weg, unter Berücksichtigung systematisch-theologischer und theologiegeschichtlicher Perspektiven, aber auch ausgewählter Stimmen aus Philosophie, Musik und Kultur, geht der Band von Martin Stieve und François Vouga. Das Profil ist dabei stärker systematisch als historisch-exegetisch ausgerichtet, und das Nebeneinander der Deutungen des Todes Jesu in den neutestamentlichen Überlieferungskomplexen wird als „Erfüllung der hermeneutischen Aufgabe, das Ereignis des Kreuzes zu verstehen“, aufgefasst.17 Diese Vielfalt sei nicht nur geschichtlich gegeben, sondern auch sachlich notwendig und zugleich Ausdruck der immer neuen

14 B. Janowski/M. Welker (Hg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt 2000; Weth, Kreuz (Anm. 13). 15 V. Hampel/R. Weth (Hg.), Für uns gestorben. Sühne – Opfer – Stellvertretung, Neukirchen-Vluyn 2010; W. Klaiber, Jesu Tod und unser Leben. Was das Kreuz bedeutet, Leipzig 2011. Vgl. auch die thematischen Hefte: Theologische Beiträge 41/5 (2010); Evangelische Theologie 72/1 (2012). 16 Hampel/Weth (s. Anm. 15), VI, mit Verweis u.a. auf den vorliegenden Band. 17 M. Stieve/F. Vouga, Bedeutung und Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament. Ein theologischer Essay (NET 19), Tübingen/Basel 2011, 267.

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Veränderungs- und Befreiungskraft des Evangeliums,18 wobei sich nach der Überzeugung der Autoren gerade in der vielfältig wahrgenommenen Bedeutung des Todes Jesu der Grund christlichen Glaubens bekundet.19 Schließlich ist auf die umfangreiche Berliner Dissertation von Christina Eschner hinzuweisen (betreut von Cilliers Breytenbach).20 Ihr Anliegen ist es, die Wendung „Sterben für“ in ihrer Herkunft und Bedeutung für die Interpretation des Todes Jesu bei Paulus zu erfassen. Die These der Arbeit lautet, dass Paulus mit dieser Wendung die griechische Konzeption des Unheil abwendenden („apotropäischen“) Sterbens aufgreife, die der griechischen Tragödie entstammt, in der Kaiserzeit sowohl griechisch wie lateinisch breit belegt ist und auch im griechischsprachigen Judentum aufgegriffen wurde. Paulus interpretiere diese Vorstellung im alttestamentlichjüdischen Horizont und deute den Tod Jesu vor diesem Hintergrund als eine Tat der Liebe Gottes. Die reich dokumentierte Arbeit (der gesamte zweite Band ist der Darstellung des Befundes in der griechischen Literatur von der klassischen bis in die Kaiserzeit gewidmet) führt eindrücklich vor Augen, dass die Diskussion über Deutungen des Todes Jesu nur auf der Basis gründlicher philologischer und historischer Untersuchungen der urchristlichen Texte sinnvoll geführt werden kann.

4. Das Anliegen des Bandes Vor diesem Hintergrund ist das Anliegen des vorliegenden Bandes ein mehrfaches: a) Zunächst steht er im engeren fachwissenschaftlichen Diskurs: Die Frage nach den Deutungen des Todes Jesu im frühen Christentum gehört zu den zentralen Aufgaben neutestamentlicher Wissenschaft, die nur im Gespräch mit Vertretern benachbarter Fächer sachgemäß zu bearbeiten ist. Dies sind vornehmlich die alttestamentliche und judaistische Forschung sowie die klassische Philologie, des Weiteren sind theologiegeschichtliche, systematisch-theologische sowie liturgiegeschichtliche und nicht zuletzt religionspädagogische und homiletische Perspektiven zu berücksichtigen. Der interdisziplinäre Diskurs der Berliner Tagung ist an vielen Stellen in die Beiträge eingeflossen. Der Band will deshalb nicht zuletzt zu einer Integration der theologischen Disziplinen unter gemeinsamen Fragestellungen und zu deren Vernetzung mit angrenzenden Gebieten beitragen. In 18

A.a.O., 268. A.a.O., 270f. 20 C. Eschner, Gestorben und hingegeben „für“ die Sünder. Die griechische Konzeption des Unheil abwendenden Sterbens und deren paulinische Aufnahme für die Deutung des Todes Jesu Christi (2 Bd.e; WMANT 122), Neukirchen-Vluyn 2010. 19

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diesem Blick auf das Ganze der Theologie und ihrer Stellung im akademischen Diskurs liegt ein wichtiges Proprium der europäischen Wissenschaftstradition, das angesichts der wachsenden Spezialisierung und im Gegenüber zur anders gearteten Stellung der Bibelwissenschaften im angelsächsischen Raum zu erhalten und zu pflegen ist.21 b) Im Rahmen der Fachdiskussion um Herkunft und Bedeutung der Interpretamente des Todes Jesu will der Band Vertreter unterschiedlicher Forschungsperspektiven (oder „Schulen“) wechselseitig ins Gespräch bringen, ohne eine spezifische Präferenz für die eine oder die andere Seite zu formulieren. Dabei geht es zunächst um die Frage der religionsgeschichtlichen Herleitung bzw. Kontextualisierung einzelner Deutemotive wie z.B. der Rede vom „Sterben für“ (jemanden) bzw. – in einer anderen Terminologie – vom „stellvertretenden“ oder „wirksamen“ Tod. Hier stellt sich das alte, seit der Religionsgeschichtlichen Schule diskutierte Problem, ob bzw. inwiefern diese Vorstellungen aus alttestamentlicher bzw. frühjüdischer Tradition zu verstehen sind oder ob sich in ihnen primär Denkhorizonte der paganen griechisch-römischen Antike niederschlagen haben. Die Religionsgeschichtliche Schule hatte wesentliche Vorstellungen der paulinischen wie auch der johanneischen Christologie und Soteriologie vom Denken des palästinischen Judentums und damit auch von der Sprachund Vorstellungswelt Jesu abgerückt und aus hellenistischem Denken, orientalischen Mysterien oder einem postulierten gnostischen Erlösermythos hergeleitet – nicht zuletzt, weil nach den damals verfügbaren Quellen viele dieser Motive als ‚unjüdisch‘ erscheinen mussten. Mittlerweile haben sich durch die beträchtliche Ausweitung des Quellenmaterials für das antike Judentum (z.B. durch die Qumran-Funde) sowie durch die differenziertere Einschätzung der Zeugnisse der antiken Gnosis die Grundlagen der Forschung tiefgreifend verändert, so dass etliche dieser Urteile einer Revision zu unterziehen sind. Des Weiteren ist die ‚klassische‘ Alternative von Judentum und Hellenismus in der religionsgeschichtlichen Interpretation des Neuen Testaments überwunden, seit Martin Hengel den Nachweis geführt hat, dass die Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kultur (in der Diaspora und in Palästina) seit der Alexanderzeit – spätestens jedoch seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. – das Judentum nachhaltig geprägt hat,22 so 21 Siehe dazu die entsprechenden Beiträge im Jahrbuch für Biblische Theologie: J. Frey, Einführung. Wie biblisch und theologisch ist die neutestamentliche Exegese?, in: Wie biblisch ist die Theologie? (JBTh 25, 2010), Neukirchen-Vluyn 2011, 81–83; J. Schröter, Wie theologisch ist die Bibelwissenschaft? Reflexionen über den Beitrag der Exegese zur Theologie, ebd., 85–104; M. Theobald, Exegese als theologische Basiswissenschaft. Erwägungen zum interdisziplinären Selbstverständnis neutestamentlicher Exegese, ebd., 105–139. 22 Grundlegend Martin Hengel, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr.

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dass sich die frühchristliche Sprach- und Vorstellungswelt bereits im Kontext eines hellenistisch beeinflussten Judentums entwickelt hat.23 Die alte religionsgeschichtliche Diskussion war dabei nicht selten von problematischen Werturteilen geleitet, insofern eine innerbiblische Herleitung dieser Vorstellungen (gemäß dem Selbstanspruch von Texten wie 1 Kor 15,3: țĮIJ੹ IJ੹Ȣ ȖȡĮij੺Ȣ) vielen Auslegern theologisch eher akzeptabel erschien als die von den Vertretern der Religionsgeschichtlichen Schule präferierte pagane, ‚synkretistische‘ Herleitung. Bis heute ist die Bemühung um eine ‚Biblische Theologie‘ häufig von der Frage geleitet, inwiefern sich die neutestamentlichen Vorstellungen und Sprachformen in erster Linie oder gar ausschließlich aus der alttestamentlich-frühjüdischen Sprachtradition verstehen lassen, während andere Interpreten den Horizont der griechisch-römischen Welt stärker zur Geltung zu bringen versuchen. Freilich hat sich in der Diskussion beider Tendenzen (die auch im vorliegenden Band vertreten sind) gezeigt, dass eine strikte Alternative meist nicht zu überzeugen vermag und beide Forschungsperspektiven für eine sachgemäße und abgewogene religionsgeschichtliche Einschätzung miteinander ins Gespräch treten müssen. Dieses Gespräch (etwa zwischen Bernd Janowski oder Thomas Knöppler auf der einen und Henk Versnel und Cilliers Breytenbach auf der anderen Seite) wurde auf der erwähnten Berliner Tagung geführt und hat sich auch in den Beiträgen des vorliegenden Bandes niedergeschlagen. c) In der Beschreibung dieser Termini zeigt sich eine weitere offene Problematik der Forschung, die dadurch gegeben ist, dass die exegetische und theologische Diskussion wesentlicher Deutemotive meist unter Verwendung von Kategorien erfolgt, die der theologischen Beschreibungssprache entstammen und, geprägt von der älteren theologischen Tradition, mit allerhand theologiegeschichtlichem ‚Ballast‘ befrachtet sind. Nicht (WUNT 10), Tübingen 1973 (3. Aufl. 1988); ders., Judaica et Hellenistica I. Kleine Schriften I (WUNT 90), Tübingen 1996; ders., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II (WUNT 109), Tübingen 1999. Im Blick auf die Christologie vgl. insbesondere ders., Der Sohn Gottes, Tübingen 1975 (2. Aufl. 1977), in erweiterter Fassung nachgedruckt in: ders., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (hg. v. C.-J. Thornton; WUNT 201), Tübingen 2006, 74–145. 23 Diese religionsgeschichtliche Fragestellung nimmt das Projekt eines „Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti“ auf, an dem einige der in diesem Band vertretenen Autoren beteiligt sind, s. dazu einführend K.-W. Niebuhr/R. Deines, The Corpus JudaeoHellenisticum Novi Testamenti-Project. From the Past to the Future, Early Christianity 1 (2010), 633–639. Zu den aus der Arbeit Hengels und anderer sich ergebenden neuen religionsgeschichtlichen Perspektiven s. auch J. Frey, Eine neue religionsgeschichtliche Perspektive. Larry W. Hurtados ‚Lord Jesus Christ‘ und die Herausbildung der frühen Christologie, in: C. Breytenbach/J. Frey (Hg.), Reflections on Early Christian History and Religion/Erwägungen zur frühchristlichen Religionsgeschichte (AJEC 81), Leiden/Boston 2012 (im Druck).

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selten fassen diese Termini (wie „Opfer“, „Sühne“, „Stellvertretung“, „Erlösung“, „Versöhnung“) eine Pluralität von Sprachformen in den Quellen zusammen, sofern sie überhaupt ein quellensprachliches Äquivalent besitzen.24 Was mit diesen Termini gemeint ist, hängt von der je zugrunde gelegten Definition ab, ist daher in der Forschungsdiskussion meist uneindeutig und jedenfalls vom Bedeutungsumfang spezifischer quellensprachlicher Termini zu unterscheiden. Die damit gegebene ‚Sprachverwirrung‘ wird bisweilen beklagt, aber selten ‚entwirrt‘. Denn zum einen sind die Termini aus der theologischen Beschreibungssprache oft unklar, zum anderen lässt sich eine wissenschaftliche Beschreibung kaum nur unter Verwendung der quellensprachlichen Termini erreichen, sondern benötigt übergreifende, ordnende Kategorien, die dann in möglichst sachgemäßer Weise definiert werden müssen. Erst recht kann die Vermittlung der exegetischen Einsichten an eine breitere kirchliche und öffentliche Diskussion kaum unter Verzicht auf jene Termini erfolgen, die sich im Laufe der Theologiegeschichte gebildet und ausgeprägt haben, auch wenn damit vielfältige Missverständnisse möglich werden. Der vorliegende Band will für die hier gegebene Problematik sensibilisieren und dadurch – explizit z.B. in den Beiträgen von Jens Schröter und Cilliers Breytenbach – für eine sorgsame Unterscheidung von Quellen- und Beschreibungssprache werben, die es ermöglicht, die biblischen Befunde differenziert und präzise zu erfassen. d) Der Titel des Bandes spricht bewusst im Plural von „Deutungen“ des Todes Jesu. Dies entspricht dem neutestamentlichen Befund: Eine Vielzahl von Termini, Sprachformen, Bildern und Motiven stehen – selbst bei einem einzelnen Autor wie Paulus – nebeneinander und werden offenbar ohne ein Bestreben nach ‚Vereinheitlichung‘ in unterschiedlichen argumentativen Kontexten gebraucht, um das Sterben Jesu zu deuten. Im Kontrast dazu besteht in der theologischen Deutung häufig das Bestreben, diese Pluralität zu reduzieren, eine Grund- oder Kernvorstellung zu definieren, das Ganze z.B. im Begriff der Sühne, der Rechtfertigung oder der Versöhnung zu fassen und die anderen Sprachformen dieser einen Grundvorstellung zuzuordnen.25 Andere Interpreten haben aus der Vielzahl der Interpretamente die Berechtigung abgeleitet, aus Gründen der ‚Akzeptabilität‘ oder ‚Glaubwürdigkeit‘ für den ‚modernen Menschen‘ einen Teil der überlieferten Sprachformen preiszugeben oder zu verwerfen und nur eine Auswahl aufzunehmen oder zu privilegieren. Hier zeigt sich, wie stark die Diskussion – auch die exegetische Diskussion – um Grundvorstellungen der Soteriologie von systematischen oder praktischen Interessen bzw. von 24

Dies ist z.B. für den Begriff „Stellvertretung“ nicht der Fall. So z.B. H. Gese, Die Sühne, in: ders., Zur Biblischen Theologie (BEvTh 78), München 1977, 104: „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu ist nur mit dem Sühnegedanken zu fassen.“ 25

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der Frage nach der Applikation dieser Vorstellungen, ihrer Verständlichkeit für gegenwärtige Hörerinnen und Hörer oder ihrer Brauchbarkeit für die christliche Verkündigung geleitet ist. So verständlich diese Anliegen aus einem praktischen Interesse heraus sind, so sehr ist doch mit ihnen auch die Gefahr der Verkürzungen und Missverständnisse gegeben, wie sich in den oben skizzierten Beiträgen von Jörns und Müller und weiteren ähnlichen Vorschlägen in der kirchlichen und öffentlichen Diskussion zeigt. Der vorliegende Band plädiert hingegen dafür, die Pluralität der Deutungen ernst zu nehmen als Hinweis auf die Zentralität des Todes Jesu für den Glauben an ihn, als Beleg für die Herausforderung, die sein Tod für seine ersten Nachfolger darstellte, zugleich für die Dynamik urchristlichen Nachdenkens hierüber und nicht zuletzt für den Reichtum der neutestamentlichen Gedanken- und Bilderwelt, der nicht eingegrenzt, sondern sorgfältig wahrgenommen und in seinen Facetten ausgelotet werden sollte. Es ist eine Sensibilität dafür zu entwickeln, dass die (gelegentlich notwendige) Reduktion der Pluralität auf ‚Grundvorstellungen‘ oder ‚Grundmotive‘ immer auch einen Verlust impliziert und dass das sorgfältige Hören auf die biblischen Texte einer voreiligen ‚Verabschiedung‘ bestimmter Sprachformen und Vorstellungen widerstreitet. e) In der Diskussion um die theologische Validität und Applikabilität bestimmter Deutemotive zeigt sich am stärksten die Abhängigkeit von übergreifenden philosophischen und theologischen Optionen und Axiomen bzw. die Interferenz zwischen übergreifenden theologischen, in der Theologiegeschichte entwickelten Vorstellungen und den biblischen Sprachformen und Motiven, deren Deutung – explizit oder implizit – immer wieder von übergreifenden Werturteilen und Intentionen beeinflusst wird. Wirkmächtige Vorstellungen wie die Anselm’sche Satisfaktionslehre oder mehr oder weniger plakative Zerrbilder derselben oder auch die neuzeitliche, häufig von Immanuel Kant her begründete Auffassung von der Unvertretbarkeit der Persönlichkeit im Blick auf persönliche Schuld beeinflussen oder verstellen nicht selten das Verständnis biblischer Aussagen. So ist deren exegetische Erhellung oft genötigt, ihre Einsichten korrigierend gegen lange kolportierte Missverständnisse zu stellen, etwa wenn herausgearbeitet wird, dass nach wesentlichen biblischen Zeugen der Tod Jesu als eine freie, ‚aus Liebe‘ motivierte Initiative Gottes zum Heil der Menschen zu verstehen ist und nicht als ein von Menschen oder von dem Menschen (oder Gottmenschen) Jesus zu bringendes Opfer an einen Genugtuung fordernden Gott. Zugleich ist die Exegese genötigt, Wege zu finden, bestimmten wirkmächtigen Infragestellungen aus der Philosophie- und Theologiegeschichte zu begegnen. So lässt sich die in der neueren Forschung stark betonte Unterscheidung zwischen exkludierender und inkludierender Stellvertretung primär auf dem Hintergrund der Kant’schen Negation der Mög-

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lichkeit einer Stellvertretung im ‚moralischen‘ Bereich verstehen, während eine solche Unterscheidung aufgrund der biblischen Texte selbst kaum erforderlich scheint – schon gar nicht mit der Implikation, dass dann nur eines der beiden Modelle (nämlich die inkludierende Stellvertretung) theologisch sachgemäß sei.26 Die Arbeit an Texten mit einer breiten Wirkung in Theologie- und Geistesgeschichte kann daher nur im Bewusstsein ihrer wirkungsgeschichtlichen und systematischen Dimensionen erfolgen und fordert von Exegeten auch ein systematisches Nachdenken oder – was im vorliegenden Band zumindest in Ansätzen versucht wird – einen Dialog mit der Theologiegeschichte und der systematischen Theologie. f) Angesichts der skizzierten fachwissenschaftlich-exegetischen und theologischen Fragestellungen und ihrer kirchlichen und öffentlichen Relevanz will der vorliegende Band die Deutungsräume der neutestamentlichen Soteriologie möglichst differenziert präsentieren, ohne dabei eine bestimmte theologische Position oder Schule zu präferieren. Es geht um eine differenzierte und sachgemäße Wahrnehmung der neutestamentlichen Aussagen, ihrer semantischen Hintergründe und zeitgenössischen Kontexte, die allein dazu beitragen kann, unsachgemäßen Engführungen der Diskussion zu begegnen.

5. Zu den einzelnen Beiträgen Die skizzierten Anliegen sollen im Blick auf einzelne Aufsätze noch etwas konkretisiert werden. Dabei kann im Folgenden nicht der Inhalt dieser Beiträge vorab referiert werden, auch können nicht alle in gleicher Breite oder gar Vollständigkeit aufgegriffen werden. Vielmehr geht es darum, ausgewählte Aspekte unter Rekurs auf die hier dokumentierte Diskussion hervorzuheben. a) Einige der hier formulierten Anliegen sind in den grundlegenden Beiträgen im einführenden ersten Teil des Bandes thematisiert. Vor den einleitenden Beiträgen der beiden Herausgeber ist dabei auf die Darstellung der Systematikerin Friederike Nüssel (jetzt Heidelberg) hinzuweisen, die in ihrem Beitrag „Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung“ (S. 73–94) den theologiegeschichtlichen 26

So z.B. bei O. Hofius, Das vierte Gottesknechtslied in den Briefen des Neuen Testaments, in: ders., Neutestamentliche Studien (WUNT 132), Tübingen 2000, 340–360 (347), oder auch in dem von H. Gese, Sühne (s. Anm. 25), begründeten Verständnis des Handaufstemmungsritus im Geschehen des Großen Versöhnungstags, mit dem ein (die Opfernden bzw. Israel) inkludierendes Verständnis des Sühneritus begründet werden soll, das verbreiteten Negativurteilen über eine vermeintlich ‚primitive Sündenbocktheologie‘ des Alten Testaments entgegenzutreten versuchte.

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Rahmen für die heutige theologische und exegetische Diskussion skizziert. Die Problematisierung und z.T. dezidierte Abwehr zentraler soteriologischer Grundaussagen des Neuen Testaments beruht nämlich weithin auf der aufklärerischen Infragestellung der ‚klassischen‘ Sühnopfertheologie in Form der ‚Satisfaktionslehre‘, wie sie theologiegeschichtlich wirkungsvoll in Anselm von Canterburys Traktat Cur Deus homo? begründet und dann auch von den Reformatoren und der lutherischen wie reformierten Bekenntnistradition übernommen wurde und somit die protestantische Theologie bis zur Kritik des Sozinianismus und der Aufklärungstheologen prägte. Das Verständnis des Kreuzestodes als einer Genugtuungsleistung und – vereinfacht verstanden – als eines von Gott geforderten menschlichen Opfers und das Bild eines auf ‚Ehre‘ bedachten, daher ‚Satisfaktion‘ fordernden Gottes, der solche menschlichen Opfer verlangt und ‚braucht‘, um ‚gnädig‘ zu sein, bildet bis heute einen der wesentlichen Anstöße für die Fundamentalkritik an der urchristlichen Soteriologie. Diese plakativen Vorstellungen verstellen nicht selten den Zugang zu einer sachgemäßeren Wahrnehmung der biblischen Aussagen. Das Bild eines ‚blutrünstigen‘, sadistischen und ‚patriarchalen‘ Gottes führt dann vielfach zur Pauschalkritik der christlichen Gottesvorstellung bzw. des Christentums aus humanistischer, psychologischer oder feministischer Perspektive.27 Die beiden einführenden Beiträge der Herausgeber thematisieren Grundfragen der Problemstellung: Jörg Frey (inzwischen in Zürich) geht in seinem Beitrag „Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen Wissenschaft“ (S. 3–50) zunächst der Frage nach, welche systematischen und gegenwartsbezogenen Faktoren oder ‚impliziten Axiome‘ in der exegetischen Diskussion um die Deutung des Todes Jesu z.T. unterschwellig wirksam sind. An diesem zentralen Inhalt christlichen Glaubens scheiden sich die Geister besonders deutlich, weil hier das Ganze des christlichen Glaubens und der Kern der Verkündigung auf dem Spiel stehen. Dabei geht es immer wieder darum, welche Deutemotive dem ‚modernen Menschen‘ noch verständlich oder ‚zumutbar‘ sind und welchen ggf. der Abschied gegeben werden sollte,28 oder ob es umgekehrt geboten und möglich ist, die biblischen Sprachformen für die Verkündigung zurückzugewinnen und in einem präziseren Verständnis auch die traditionellen Fehldeutungen zu überwinden. Frey skizziert die unterschiedlichen 27

Solche verbreiteten Vorurteile sowie Grundformen der Kritik aus exegetischer, psychologischer und feministischer Perspektive stellt B. Janowski, Ecce homo. Stellvertretung und Lebenshingabe als Themen Biblischer Theologie (BThS 84), Neukirchen-Vluyn 2007, 34–48, zusammen. 28 So programmatisch bei Jörns (s. Anm. 8), aber auch exegetisch-theologisch zuvor bei Ernst Käsemann oder bei Gerhard Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament (BThS 6), Neukirchen-Vluyn 1982 (2. Aufl. 1985).

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Fassungen der Konzepte von Sühne und Stellvertretung und spricht sich für eine präzise Differenzierung zwischen kultischen und nicht-kultischen Aussagen, Stellvertretung und Sühne aus.29 Gegen die Reduktion der Interpretamente auf das eine oder andere Grundmotiv wird dafür plädiert, die Pluralität von Deutungsansätzen wahrzunehmen, in der sich die breite Deuteaktivität des Urchristentums zeigt und die selbst darauf hinweist, wie sehr der Tod Jesu die Reflexion provoziert und – als Grund allen späteren Glaubens an ihn – inspiriert hat. Jens Schröter (inzwischen in Berlin) geht in seinem Beitrag „Sühne, Stellvertretung und Opfer“ (S. 51–71) detaillierter auf die Verwendung dieser drei Interpretamente ein und zeigt vor allem anhand der Rede von der „Sühne“ die Differenz zwischen diesem aus dem germanischen Rechtswesen stammenden Terminus und dem in biblischen Texten mit Hilfe der Wortgruppen (ਥȟ)ੂȜȐıțİıșĮȚ țIJȜ. bzw. hebr. kpr bezeichneten Sachverhalt, so dass an diesem Beispiel besonders deutlich wird, wie sorgfältig zwischen der Terminologie der Quellensprachen und der metasprachlichen Begrifflichkeit zu differenzieren ist. b) Die Beiträge im zweiten, religionsgeschichtlichen Teil des Bandes schreiten die unterschiedlichen Horizonte ab, die für die urchristliche Deutung des Todes Jesu relevant erscheinen. In seinem biblisch-theologisch auf drei neutestamentliche Passagen (Joh 10,11–18; Mk 14,32–42 und Röm 3,25) konzentrierten Beitrag „Das Leben für andere hingeben“ (S. 97–118) plädiert der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski, der die Entwicklung der Tübinger Biblischen Theologie zuletzt maßgeblich geprägt hat, dafür, die irreduzible Vielfalt der alten Deutungen des Todes Jesu ernst zu nehmen und nicht alle Aussagen z.B. auf das Sühnemotiv zurückzuführen (118). Damit ist im Unterschied zur Tübinger Biblischen Theologie der älteren Generation, insbesondere zu Hartmut Gese und Peter Stuhlmacher, eine deutliche Modifikation markiert, die man auch in den Diskussionen über die Ansätze Biblischer Theologie zur Kenntnis nehmen sollte. Janowski plädiert selbst dafür, den Begriff der ‚Lebenshingabe‘ in der theologischen Diskussion zu verwenden, weil er weniger auf die Aspekte von Tod, Opfer und Sühne fokussiert ist, sondern daneben auch die Aspekte von Liebe, Freundschaft und Zuwendung einbezieht und so in der Lage ist, dem verbreiteten Bild eines nekrophilen Gottes besser und biblisch-theologisch begründeter entgegenzutreten. In einem zweiten alttestamentlichen Beitrag „Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament“ (S. 119–137) bietet der jetzt in München lehrende Alttestamentler Friedhelm Hartenstein eine eingehende 29

Dazu inzwischen auch J. Frey, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung. Neutestamentliche Perspektiven, in: Janowski/Janowski/Lichtenberger, Stellvertretung (s. Anm. 12), 87–121.

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Analyse der alttestamentlichen Aussagen über das Blut, insbesondere von Lev 16 und dem darin belegten Blutritus. Dabei vertritt er im Blick auf dessen sühnetheologische Deutung und die Verbindung von Handaufstemmung (Lev 1,4), Stellvertretung und Sühne eine von Janowski abweichende Position. Den religionsgeschichtlichen Horizont des paganen Griechentums beschreibt der niederländische Althistoriker Henk Versnel in seinem ausführlichen Beitrag „Making Sense of Jesus’ Death: The Pagan Contribution“ (S. 213–294). Anknüpfend an ältere Publikationen werden die vielfältigen paganen Zeugnisse für einen ‚edlen‘ oder auch ‚wirksamen‘ Tod, in dem Menschen oder auch Heroen für eine Überzeugung, für das Vaterland oder die Vaterstadt bzw. für den Fürsten ihr Leben einsetzten, in einer differenzierten Kategorisierung vorgeführt. Einige diese Aussagen können als Parallelen für die Rede vom Tod Jesu „für“ (ਫ਼ʌȑȡ) jemanden bzw. etwas gelten und auch bereits als Verständnishintergrund für die Rede vom Sterben der jüdischen Märtyrer nach der Darstellung des 2. Makkabäerbuches sowie später nach dem 4. Makkabäerbuch. Versnel diskutiert ausführlich die Frage, ob ein solcher ‚stellvertretender Tod‘ bereits in 2 Makk vorliegt. Nach seinem Urteil kann die Vorstellung vom „Sterben für“ im Neuen Testament jedoch nicht allein von den frühjüdischen Texten geprägt sein, so dass auch für das Neue Testament ein Einfluss der zeitgenössischen paganen Vorstellungswelt anzunehmen ist (279). Abschließend – und hier dokumentiert sich die Wirkung der interdisziplinären Gespräche des Berliner Symposiums vielleicht am deutlichsten – vermeidet Versnel jedoch eine ‚einseitige‘ pagan-hellenistische Herleitung und formuliert die moderate These, dass die Vorstellung des ‚wirksamen Todes‘ im Neuen Testament wie ein Mischwein (d h. aus jüdischem Wein und griechischrömischem Wasser) erscheine (294). Einen anderen Akzent setzt der Amsterdamer Judaist und Neutestamentler Jan Willem van Henten in seinem Beitrag „Jewish Martyrdom and Jesus’ Death“ (S. 140–168), der – ohne den Wert der Beobachtungen Versnels zu schmälern – dem Einfluss der jüdischen Martyrologie stärkeres Gewicht beimisst und vermutet, dass die jüdischen Märtyrertraditionen in der Tat auch zur Formulierung der Rede von der Wirksamkeit des Todes Jesu beigetragen haben dürften (168). Die späteren rabbinischen Aussagen über das Martyrium, die Lebenshingabe und die Möglichkeit einer Heilswirkung des Todes (für den Sterbenden selbst oder für andere) stellt schließlich Friedrich Avemarie (Marburg) in seinem ausführlichen Beitrag (S. 169–211) zur weiteren jüdischen Überlieferung zusammen. Dieser Teil des Bandes zeigt demnach deutlich, wie breit und offen die religionsgeschichtliche Diskussion nach wie vor ist und wie sehr die jeweiligen Perspektiven nicht zuletzt von der spezifischen Fachkompetenz und

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Forschungsperspektive der an der Diskussion Beteiligten abhängen. Hier bestätigt sich einmal mehr, dass derartige Fragen nur im interdisziplinären Diskurs angemessen behandelt werden können und einseitige Herleitungen zumeist eine zu einfache Lösung der Probleme bieten. Dies zeigt dann auch die neutestamentliche Diskussion, in der die verschiedenen religionsgeschichtlichen Positionen erneut begegnen. c) Die Beiträge im dritten Teil des Bandes bieten wesentliche Einblicke in die Vielfalt der Deutungen, die im frühen Christentum nebeneinander stehen, ohne dass stets nach einer ‚Gewichtung‘ oder gar ‚Hierarchisierung‘ gefragt würde. Im urchristlichen Denken wurden die ‚Widersprüche‘ zwischen unterschiedlichen Interpretamenten offenbar nicht als Problem empfunden, ebensowenig wie das Nebeneinander unterschiedlicher christologischer Titel oder eschatologischer Gerichtsvorstellungen. Auch die Frage nach einer das Ganze der urchristlichen Todesdeutung erfassenden Zentralvorstellung erscheint angesichts der urchristlichen Texte eher anachronistisch. Schon die Tatsache, dass ein Autor wie Paulus eine Vielzahl von Deutemotiven kumulieren und auf das eine Geschehen des Todes Jesu applizieren konnte, relativiert die Tragweite der (exegetisch notwendigen) motivgeschichtlichen Differenzierungen. In seinem Beitrag „Der Heilstod Jesu als theologisches Argument“ (S. 297–313) führt Michael Wolter (Bonn) über die Frage der traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen und der Genese der soteriologischen Deutung des Todes Jesu hinaus und fragt danach, in welcher Weise Deutungen des Todes Jesu als Heilstod in den frühchristlichen Texten argumentativ verwendet werden. So lässt sich erkennen, dass diese Formulierungen meist nicht um ihrer selbst willen gebraucht werden, sondern z.B. zur Begründung paränetischer Aussagen, zur Begründung der Würde des anderen, „für“ den Christus gestorben ist, zur Begründung der neuen Identität der Briefadressaten oder zur Vergewisserung der eschatologischen Hoffnung. Immerhin zeigt sich in den vorpaulinischen Aussagen Röm 4,25 und 1 Kor 15,3–5, die nicht weiter funktionalisiert sind, wie der soteriologische Charakter des Todes Jesu die unverwechselbare Grundlage des christlichen Wirklichkeitsverständnisses bildet (313). Auch der Beitrag von Ruben Zimmermann (S. 315–373), der mittlerweile in Mainz lehrt, zielt darauf, die Verengung der Diskussion auf traditionsgeschichtliche Fragestellungen aufzubrechen, indem auf literarische Aspekte der frühchristlichen Aussagen, auf „Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer Sinnbildung zum Tod Jesu“ (so der Untertitel) hingewiesen wird. Dabei wird im Horizont neuerer Geschichtstheorien zunächst der konstruktive Charakter aller Deutungen betont, die als Resultat der Deuteaktivität frühchristlicher Tradenten und Autoren das Bemühen widerspiegeln, Sinn zu stiften und zu vermitteln. Auf diesem

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Hintergrund arbeitet Zimmermann heraus, dass solche Deutung primär durch narrative und metaphorische Sprachformen erfolgt: Das Erzählen und Wiedererzählen z.B. der Passion Jesu trägt dazu bei, diese Ereignisse zu ordnen und die Rezipienten selbst in den Prozess der Sinnbildung und in die Bildung einer „narrativen Identität“ (351) als Glaubende einzubeziehen. Am Beispiel der Rede von Jesu Tod als ‚Opfer‘30 wird schließlich verdeutlicht, wie die Übertragung von Sinnzusammenhängen (aus dem Alten Testament) auf das Geschehen des Todes Jesu zur Sinnbildung beiträgt. Ein Bewusstsein für diese Übertragungsprozesse bewahrt davor, das ‚Eigentliche‘ allzu sehr in diesen Deutemotiven zu sehen, vielmehr ist in all diesen Aussagen stets der metaphorische Charakter der Deutung zu beachten. Die folgenden Beiträge widmen sich ausgewählten frühchristlichen Textkomplexen und repräsentieren dabei durchaus divergierende theologische und religionsgeschichtliche Perspektiven. So bietet der inzwischen in Bochum lehrende römisch-katholische Neutestamentler Thomas Söding in seinem Beitrag zum Römerbrief („Sühne durch Stellvertretung“, S. 375– 396) eine theologische Interpretation der paulinischen Soteriologie im Römerbrief, die nach seinem Urteil gerade durch das Miteinander von Sühne-, Stellvertretungs- und Rechtfertigungsaussagen geprägt ist. Christfried Böttrich (Greifswald) bietet mit seinem Beitrag zur lukanischen Soteriologie („Proexistenz im Leben und Sterben“, S. 413–436) eine Rehabilitation des Gedankens der ‚Stellvertretung‘ im lukanischen Werk, unter Aufnahme des von Heinz Schürmann geprägten Begriffs der ‚Proexistenz‘, mit dem der Fokus von der Konzentration auf den Tod hin zu einer integralen Betrachtung von Tod und Leben verschoben wird. Eine etwas andere Ausrichtung repräsentieren die Beiträge von Cilliers Breytenbach und seiner Schülerin Christine Schlund: Breytenbach bietet in seinem Beitrag zum 1. Petrusbrief (S. 437–454) eine Kritik der Vermischung von Quellensprache und Beschreibungssprache mit der methodologischen Forderung, beschreibungssprachliche Konzepte wie „Versöhnung“ oder „Sühne“ strikt von quellensprachlichen Phänomenen zu unterscheiden. Im Folgenden führt er diese methodologische Maßgabe dann in einer detaillierten Analyse zweier Passagen aus 1 Petr, in denen Jes 53 LXX rezipiert ist, sowie einiger weiterer soteriologischer Aussagen des Briefs durch. Im Hintergrund steht dabei die These, dass die Rezeption der Sprache des vierten Gottesknechtsliedes, die hier nach dem LXX-Text erfolgt, auch in den frühen vorpaulinischen Bekenntnissen (wie Röm 4,25) bereits auf der Basis der LXX und damit nicht ohne Einfluss der griechischen 30

Vgl. dazu auch die Darstellung bei R. Zimmermann, Die neutestamentliche Deutung des Todes Jesu als Opfer. Zur christologischen Koinzidenz von Opfertheologie und Opferkritik, KuD 51 (2005), 72–99.

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Vorstellungswelt erfolgt ist.31 Christine Schlund bietet eine Interpretation der neutestamentlichen „Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition“ (S. 397–411)32 und hebt die Schutz-Wirkung des Pesach hervor, die von der Vergebung der Sünden zu unterscheiden sei. In ihrer von dieser traditionsgeschichtlichen Differenzierung bestimmten Interpretation des Pesach-Motivs im vierten Evangelium wird Joh 1,29 konsequent ausgeklammert.33 Andere Akzente setzt Thomas Knöppler (München) in seinem Beitrag „Das Blut des Lammes“ (S. 477–511), der die christologisch-soteriologische Rede vom Blut des Lammes in der Johannesapokalypse interpretiert und dabei die Vorstellung vom geschächteten Passalamm (483) als Interpretament des Opfertodes Jesu herausarbeitet, wobei die Apokalypse dieses Motiv in einen umfassenden kultmetaphorischen Zusammenhang stellt und somit sühnetheologisch verwendet. Die verschiedenen Formen der „Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief“ werden von Hermut Löhr, der inzwischen in Münster lehrt, detailliert ausgeleuchtet (S. 455–476). Über den Bereich des Neuen Testaments hinaus gehen die letzten beiden Beiträge des Abschnitts: Unter dem Titel „Die Umdeutung des Todes Jesu im koptischen Thomasevangelium“ (S. 513–543) widmet sich Enno Edzard Popkes, jetzt Neutestamentler in Kiel, einem Text, der in Teilen der heutigen exegetischen Diskussion als Zeuge der frühesten urchristlichen Traditionsentwicklung gewertet wird, so dass auch die spärliche und eigentümlich andere Thematisierung des Todes Jesu gelegentlich als Indiz dafür gewertet wird, dass diesem Tod in einzelnen Segmenten der urchristlichen Traditionsbildung auffällig wenig Beachtung geschenkt worden wäre. Nach der hier gebotenen Analyse der Aussagen über den Tod Jesu und der Kompositionsweise des EvThom liegt jedoch eine dezidierte Umdeutung älterer frühchristlicher Traditionen im Zeichen einer gnostisierenden Anth-

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Siehe dazu jetzt auch C. Breytenbach, The Septuagint Version of Is 53 and the early Christian formula „he was delivered for our trespasses“, NT 51 (2009), 339–351; ders., JesLXX 53,6.12 als Interpretatio Graeca und die urchristlichen Hingabeformeln, in: W. Kraus/M. Karrer (Hg., mit M. Meiser), Die Septuaginta. Texte – Theologien – Einflüsse (WUNT 252), Tübingen 2010, 655–670; anders akzentuiert J. Frey, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 29), 106f. 32 Siehe dazu auch die Dissertation der Verfasserin: C. Schlund, „Kein Knochen soll gebrochen werden.“ Studien zu Bedeutung und Funktion des Pesachfests in Texten des frühen Judentums und im Johannesevangelium (WMANT 107), Neukirchen-Vluyn 2005. 33 So auch in: Schlund, Kein Knochen (s. Anm. 32), 173–176; anders J. Frey, Die theologia crucifixi des Johannesevangeliums, in: Dettwiler/Zumstein, Kreuzestheologie (s. Anm. 11), 169–238 (bes. 200–212).

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ropologie und Soteriologie vor.34 Trifft dieses Urteil zu, dann ist die These einer frühen ‚Entwicklungslinie‘ der Jesusüberlieferung, in der der Tod Jesu und seine Auferstehung kaum Beachtung gefunden hätten, zumindest von diesem Text her nicht zu belegen. Noch weiter über den Rahmen des Neuen Testaments hinaus geht der Beitrag des inzwischen in Heidelberg lehrenden Patristikers Winrich A. Löhr zu den „Deutungen der Passion Christi bei Heiden und Christen im zweiten und dritten Jahrhundert“ (S. 545–574), der u.a. anhand der Kritik des Celsus sowie der Christologie des Basilides, der Valentinianer und der Johannesakten zeigt, welchen Herausforderungen die Deutung des Todes Jesu im geistigen Kontext der ersten Jahrhunderte ausgesetzt war und in welchem Gedankenreichtum das gnostische Christentum dieses Geschehen deutete. d) Der kurze, eher als ‚Anhang‘ fungierende Teil mit systematischen und religionspädagogischen Perspektiven kann natürlich in keiner Weise eine repräsentative Reflexion der neutestamentlichen Vorgaben im Horizont dieser beiden Disziplinen bieten. Immerhin werden systematische Fragen bereits in dem theologiegeschichtlichen Beitrag von Friederike Nüssel im Eingangsteil angesprochen. Der hermeneutisch akzentuierte Beitrag des jetzt in Rostock lehrenden Systematikers Philipp Stoellger führt in kunstvollen Sprachspielen die „Deutung der Passion als Passion der Deutung“ (S. 577–607) vor und lokalisiert die Deutungsaktivität des Menschen im Spannungsfeld zwischen dem Schweigen angesichts des Todes Jesu und der Auferweckung Jesu als seiner maßgeblichen Deutung, ja der Deutung Gottes, so dass der Rede von der Deutungsaktivität wieder ein Aspekt der Passivität, die den Glauben charakterisiert, zur Seite gestellt wird. Eine wesentlich elementarere Ebene betritt Mirjam Zimmermann, inzwischen Religionspädagogin in Siegen, in ihrer Studie über „Die (Be-)Deutung des Todes Jesu in der Religionspädagogik“ (609–647), die auf ihr Habilitationsprojekt zurückgeht35 und die Umsetzung der Thematik in Lehrplänen und Schulbüchern analysiert, um schließlich die Verständnishorizonte für die Rede von Opfer und Erlösung in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen (unter Einschluss moderner Fantasy-Literatur) zu erheben. Dieser Horizont deutet zumindest an, dass sich die Bedingungen zum Verständnis einzelner traditioneller Motive gegenüber der Situation des in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft beschworenen ‚modernen Men34

Siehe inzwischen auch die Habilitationsschrift des Verfassers zur Anthropologie des EvThom: E.E. Popkes, Das Menschenbild des Thomasevangeliums. Untersuchungen zu seiner religionsgeschichtlichen und chronologischen Einordnung (WUNT 206), Tübingen 2007. 35 Siehe inzwischen M. Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010.

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schen‘ mittlerweile noch einmal rapide gewandelt haben, so dass es sich auch angesichts dessen empfiehlt, die biblischen Sprachformen nicht vorschnell zu ‚verabschieden‘, sondern sie immer wieder neu zu sichten und nach Brücken zu einer möglichen Vermittlung zu suchen.

6. Schluss Der vorliegende Band entstand aus der Absicht, einen fachübergreifenden Diskurs zu einem zentralen Thema christlicher Theologie anzustoßen. Dabei war den Initiatoren und Herausgebern des Bandes bewusst, dass angesichts der Komplexität der religionshistorischen, exegetischen und systematisch-theologischen Aspekte keine einheitlichen Ergebnisse zu erwarten sein würden. Es konnte aber ein Weg beschritten werden, der Konturen dessen erkennen lässt, in welcher Weise ein solches Gespräch produktiv geführt werden kann. Die Diskussion ist jedoch fortzusetzen – in religionsgeschichtlicher Hinsicht, aber auch im Blick auf die systematischen und hermeneutischen Implikationen des Themas. Der Diskurs sollte dabei sowohl auf der fachwissenschaftlichen Ebene als auch in einem breiteren theologischen und kirchlichen Rahmen geführt werden. Das ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil mit der Frage, inwiefern dem Tod Jesu eine ‚heilvolle‘ Wirkung zugeschrieben werden kann und wie diese genau zu verstehen und zu kommunizieren ist, das Zentrum der christlichen Theologie und des christlichen Glaubens berührt ist. Diese Fragen sind deshalb im Theologiestudium biblisch-exegetisch und hermeneutisch zu reflektieren, sie sind darüber hinaus zentral für die akademische Theologie und die kirchliche Praxis. Dabei ist es auch geboten, populär daherkommenden Verkürzungen entgegenzutreten. An der Frage, wie und vor welchem Hintergrund die frühen Jesusnachfolger vom Kreuzestod Jesu als einem heilvollen Geschehen sprechen konnten und wie die eindrückliche Vielfalt der dabei entwickelten Deutungen in ihrem Zusammenhang zu verstehen und theologisch zu verantworten ist, zeigt sich exemplarisch die Komplexität und der Reichtum der frühchristlichen Traditionsentwicklung. Zugleich tritt dabei das Sinnpotential des Todes Jesu vor Augen, das sorgfältig ausgeleuchtet und interpretiert sein will und so immer wieder den Grund und die Mitte christlicher Existenzdeutung markiert. Zürich und Berlin, Ostern 2012

Jörg Frey und Jens Schröter

I. Zur Einführung

Probleme der Deutung des Todes Jesu in der neutestamentlichen Wissenschaft Streiflichter zur exegetischen Diskussion1 Jörg Frey Die Soteriologie, und in ihrem Zentrum die Interpretation des Todes Jesu von Nazareth, ist neben der Christologie einer der klassischen ‚Brennpunkte‘ der neutestamentlich-exegetischen Diskussion. Zumindest solange die neutestamentliche Exegese sich als eine theologische Disziplin versteht, zieht die Frage nach dem Tod Jesu zentrales Interesse auf sich. Die Bedeutung des Themas verdankt sich der zentralen Stellung der Soteriologie in der christlichen Tradition – von der Alten Kirche über Mittelalter und Reformationszeit bis hin zu heutigen Problemen der Reflexion und Vermittlung des christlichen Glaubens.2 Sie weist zugleich zurück auf die zentrale Bedeutung des Topos von dem in Christus – zentral in seinem Tod – gewirkten Heil bei fast allen neutestamentlichen Zeugen.3 1 Für die kritische Durchsicht und Diskussion der vorliegenden Thesen danke ich sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Ruben Zimmermann (Nußloch) sowie meinen Münchener Mitarbeitern Dr. Enno Edzard Popkes und Juliane Schlegel, die auch bei den abschließenden Korrekturen wertvolle Hilfe geleistet hat. 2 Die grundlegende Stellung der Soteriologie (die in unterschiedlichen Termini wie ‚Rechtfertigungs-‘, ‚Gnaden-‘, ‚Erlösungs-‘‚ oder ‚Versöhnungslehre‘ gefaßt wird) hält sich auch in der neuzeitlichen Theologie durch, da sie alle anderen theologischen Traktate berührt (so H. W AGNER, Art. Soteriologie, LThK3 9 [2000], 742–744, 742). In den theologischen Lexika findet sich der Topos entweder unter „Soteriologie“ (so LThK3) oder unter den Stichworten „Heil und Erlösung“ (so TRE), „Erlösung“ (so RGG3) bzw. „Erlösung/Soteriologie“ (RGG4). Vgl. dogmatisch neben den großen Entwürfen von A. R ITSCHL, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bonn 1870–74; K. B ARTH, Die kirchliche Dogmatik IV: Die Lehre von der Versöhnung, Teilbd. 1–4, Zürich 1953–1967, aus neuerer Zeit G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens II, Tübingen 1979; W. P ANNENBERG, Systematische Theologie II, Göttingen 1991, 441ff.; R. SCHWAGER, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre, Innsbruck 1990; J. WERBICK, Soteriologie, Düsseldorf 1990; H. HOPING, Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004, 20ff.; zur Geschichte R. SCHWAGER, Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre, München 1986; G. WENZ, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit I–II, MMHST 9, München 1984/86. S. auch den Beitrag von F. NÜSSEL in diesem Band. 3 Für Paulus und die Deuteropaulinen, Markus, Lukas und Matthäus, die johanneischen Schriften und den ersten Petrusbrief ist dies völlig unstrittig. Daß das Interesse an

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Die Infragestellung wesentlicher Modelle des traditionellen soteriologischen Denkens in der neuzeitlichen Theologie4 hat dazu geführt, daß sich auch in der exegetischen Diskussion soteriologischer Themen historischexegetische Analysen und systematisch-theologische Interessen besonders eng verbinden.5 Systematische und gegenwartsbezogene Deutungen rekurrieren auf biblisch-theologische Begründungsmuster, und umgekehrt ist auch die exegetische Rekonstruktion und Interpretation neutestamentlicher Sachverhalte – oft eher unterschwellig – von sachlich-theologischen Grundoptionen und vom Interesse an der Applikation oder Nicht-Applikation entsprechender Motive bestimmt. Gelegentlich wird in dieser Diskussion eine gewisse Sprachverwirrung beklagt. Diese gründet zu einem wesentlichen Teil in den Inkohärenzen der Deutung des Todes Jesu von Anfang an und in allen Strömungen des Urchristentums gleichermaßen vorlag, ist jedoch nicht unstrittig. So formuliert K. B ERGER, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen/Basel 1994, 64, plakativ, daß ein ganzer „Block judenchristlicher Theologien des frühen Christentums“ (wozu Berger Jud, 2 Petr, Jak und EvThom rechnet) „am Geschick des weisen Lehrers einfach uninteressiert“ gewesen sein könnte. Diese Vermutung wäre historisch zu überprüfen. Immerhin scheint sich in der Logienquelle (sofern man annehmen darf, daß uns diese in den vorliegenden Rekonstruktionen einigermaßen vollständig erhalten ist), eine Deutung des Geschicks Jesu im Rahmen des Prophetengeschicks (Q 11,49-51; 13,34f.) zu finden. Auch wenn dies keine eigentlich soteriologische Deutung ist, läßt sich daher „nicht behaupten ..., daß die Frage des Todes Jesu überhaupt nicht interessiert hat“ (G. FRIEDRICH, Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament, BThS 6, Neukirchen-Vluyn 21985, 15). Im koptischen Thomasevangelium ist in einzelnen Logien deutlich ein Wissen um den Tod Jesu vorausgesetzt, freilich in einer eigentümlichen, m.E. gnostisierenden Weise umgedeutet (vgl. dazu den Beitrag von E.E. P OPKES in diesem Band). Im übrigen ist das Werk in seiner Gesamtkomposition sicher kein Zeugnis der frühesten Phase der urchristlichen Literaturproduktion; vgl. dazu J. SCHRÖTER, Thomasevangelium, in: H.-M. Schenke u.a. (Hgg.), Nag Hammadi Deutsch, Bd. 1, GCS.NF 8, Berlin/New York 2001, 151–163, gegen die Frühdatierung durch H. KOESTER, The Gospel according to Thomas: Introduction, in: B. Layton (Hg.), Nag Hammadi Codex II,2–7, Vol. I, NHS 20/1, Leiden u.a. 1989, 38–49. Die Gründe, aus denen in Jak keine eigenständige Christologie entfaltet wird, sind hier nicht näher zu erörtern; Jud und 2 Petr sind (gegen BERGER, Theologiegeschichte, 64) sicher nicht einfach Zeugen einer judenchristlichen Tradition (s. J. FREY, Der Judasbrief zwischen Judentum und Hellenismus, in: W. Kraus/K.-W. Niebuhr [Hgg., unter Mitwirkung von L. Doering], Frühjudentum und Neues Testament. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 180–210), und sie gehören ebenso sicher zu den spätesten neutestamentlichen Schriften. 4 S. dazu grundlegend WENZ, Geschichte der Versöhnungslehre (s. Anm. 2), sowie den Beitrag von F. NÜSSEL in diesem Band. 5 Ein erhellendes Paradigma ist die Interpretation sowohl der paulinischen als auch der johanneischen Theologie in R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 91984, in der die Anordnung und begriffliche Erschließung der neutestamentlichen Stoffe bekanntlich sehr präzise von der hermeneutischen und systematisch-theologischen Gesamtauffassung des Autors bestimmt ist.

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zwischen der in den biblischen Texten gebrauchten ‚Quellensprache‘ und der historisch gewachsenen und von vielfältigen systematischen Implikationen überschatteten theologischen ‚Beschreibungssprache‘:6 Verbreitete Deutekategorien wie ‚Stellvertretung‘, ‚Sühne‘ und ‚Opfer‘ usw. sind semantisch von den hebräischen und griechischen Begriffen und Wendungen zu unterscheiden, die in den biblischen Texten gebraucht werden. Sofern es sich nicht überhaupt – wie im Falle von ‚Stellvertretung‘7 – um erst neuzeitlich geprägte Reflexionsbegriffe handelt, ist zumindest das gegenwärtige Verständnis dieser Termini vom Sachgehalt des bzw. der jeweiligen biblischen Termini oder von den mit ihnen verbundenen Vorstellungen zu unterscheiden und nicht selten durch eine lange Begriffs- und Interpretationsgeschichte geprägt oder auch belastet.8 Der Gebrauch der traditionellen Termini (zumal in ihren modernsprachlichen Übersetzungen)9 ist daher nicht nur in der kirchlichen Verkündigung, sondern auch in der exegetischen Diskussion vielfältigen Gefahren des Mißverständnisses ausgesetzt. Unterschiedliche Definitionen von „Sühne“ oder „Stellvertretung“ führen zu differenten Kategorisierungen und Gruppierungen des Textmate6

Vgl. den Beitrag von J. SCHRÖTER in diesem Band. S. exemplarisch anhand des Opferbegriffs auch den erhellenden Beitrag von I.U. DALFERTH, Die soteriologische Relevanz der Kategorie des Opfers. Dogmatische Erwägungen im Anschluß an die gegenwärtige exegetische Diskussion, JBTh 6 (1991), 173–194. 7 Vgl. dazu C. GESTRICH/T. H ÜTTENBERGER , Art. Stellvertretung V: Kirchengeschichtlich und systematisch-theologisch, TRE 32 (2001), 145–153, 146. Zum theologiegeschichtlichen Horizont des Terminus s. K.-H. MENKE, Stellvertretung. Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkategorie, Einsiedeln/Freiburg 1991. Zur umfangreichen lateinischen Vorgeschichte des Begriffs der ‚Stellvertretung‘ s. jetzt S. SCHAEDE, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie, BHTh 126, Tübingen 2004. 8 Vgl. zum Begriff des Opfers B. J ANOWSKI/M. WELKER , Einleitung: Theologische und kulturelle Kontexte des Opfers, in: Dies. (Hgg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, stw 1454, Frankfurt a.M. 2000, 9–20; W. STEGEMANN, Zur Metaphorik des Opfers, ebd., 191–216; I.U. DALFERTH, Art. Opfer VI: Dogmatik, TRE 25 (1995), 286– 293, 286–289; zum Begriff der Sühne siehe B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 1982, 1–5; M. GAUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus, fzb 82, Würzburg 1999, 41–44; C. GESTRICH, Art. Sühne V: Kirchengeschichtlich und dogmatisch, TRE 32 (2001), 348–355; zum Begriff der Stellvertretung s. die erhellenden Überlegungen bei B. JANOWSKI, Stellvertretung, SBS 165, Stuttgart 1997, 15–21 sowie die Textsammlung ebd., 97–130; weiter C. GESTRICH, Christentum und Stellvertretung, Tübingen 2001, 77ff. und 159ff.; G. RÖHSER, Stellvertretung im Neuen Testament, SBS 195, Stuttgart 2002, 9–57, sowie zuletzt SCHAEDE, Stellvertretung (s. Anm. 7). 9 Auf die (im Deutschen und im Englischen z.B. sehr unterschiedlichen) Schwierigkeiten, angemessene Äquivalente zu finden, weist M. WOLTER, „Dumm und skandalös“. Die paulinische Kreuzestheologie und das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, in: R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, NeukirchenVluyn 2001, 44–63, 48 Anm. 17, hin.

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rials, zum Aus- oder Einschluß einzelner Phänomene und Texte in eine bestimmte Beschreibungskategorie und zu unterschiedlichen Wahrnehmungen des Sinngehalts der bezeichneten Phänomene und Vorstellungen. Die Klarheit der Diskurse hängt daher von der möglichst präzisen (und zugleich dem zu erfassenden Material angemessenen) Bestimmung der exegetisch verwendeten Beschreibungskategorien ab. Daher ist es nicht unwichtig, die sachlichen Implikationen und den heuristischen Wert der jeweiligen Termini möglichst scharf zu erfassen. Angesichts dieser Problemlage plädiere ich dafür, die historischexegetischen Fragen und die systematisch-theologischen bzw. applikativen Interessen möglichst zu unterscheiden,10 bevor beide wieder aufeinander bezogen werden können. Gänzlich trennen lassen sich beide Aspekte kaum, zumal die meisten an der exegetischen Diskussion Beteiligten selbst von einer durch diese Motive bestimmten Form christlicher Verkündigung oder Frömmigkeit positiv oder negativ geprägt sein dürften und umgekehrt ihre exegetischen Erwägungen zumindest auch auf die Aufgabe einer gegenwärtigen Verantwortung christlicher Traditionen hin formulieren.11 Bei näherer Betrachtung der Diskussionen um die neutestamentliche Soteriologie zeigen sich in der Tat häufig solche – mehr oder weniger offen ausgesprochenen – ‚impliziten Axiome‘,12 die das argumentative Interesse leiten und die historisch-exegetischen Ergebnisse beeinflussen.13 10 Ähnlich auch D ALFERTH, Relevanz (s. Anm. 6), 177, der drei Problemkreise unterscheiden will, zunächst „das homiletische Problem der sachgemäßen Verkündigung des mit Jesu Tod erwirkten Heils einschließlich seiner pastoraltheologischen und diakonischen Dimensionen“, zweitens „das exegetisch-hermeneutische Problem des sachgemäßen Verstehens des neutestamentlichen Zeugnisses von der Heilsbedeutung des Todes Jesu“ und drittens „das dogmatische Problem der sachgemäßen Aufnahme und Darstellung dieses Zeugnisses in der dogmatischen Soteriologie“. 11 Vgl. etwa bei FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 143ff., das Kapitel „Die Schwierigkeit einer sachgemäßen Verkündigung des Todes Jesu“; auch die „Einleitung“ und die „Folgerungen“ bei G. BARTH, Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 22003, 1–5.157–163, sowie die Abhandlung von P. STUHLMACHER, Zur Predigt am Karfreitag, in: C. Breytenbach/H. Paulsen (Hgg.), Anfänge der Christologie (FS F. Hahn), Göttingen 1991, 447–472 (neu bearbeitet in: T. SORG/P. STUHLMACHER, Das Wort vom Kreuz. Zur Predigt am Karfreitag, Calwer Taschenbibliothek 52, Stuttgart 1996, 11–49.113–118). Ein Verzicht auf die Einbeziehung der Fragestellungen des gegenwärtigen Sprachgebrauchs (so programmatisch bei T H. KNÖPPLER, Sühne im Neuen Testament, WMANT 88, Neukirchen-Vluyn 2001, 4 Anm. 8) kann zwar der Konzentration einer Monographie auf die biblisch-exegetischen Sachverhalte dienlich sein, eine Ausklammerung dieser Fragestellungen könnte allerdings auch dazu führen, daß bestimmte Aspekte und Zwischentöne der exegetischen Diskussion übersehen werden. 12 Ich entlehne diesen Begriff aus D. RITSCHL, Zur Logik der Theologie, München 1984, ohne daß damit zugleich die Implikationen der theologischen Epistemologie dieses Autors übernommen werden. Vgl. zu seinem Konzept W. HUBER, Ökumenischer Realis-

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Der vor fast einhundert Jahren formulierte Hinweis des konservativen Tübinger Bibeltheologen Adolf Schlatter, daß jedes Denken ein Wollen in sich trage, so daß „in unserer Wissenschaft erscheint, was ‚wir wollen‘“, 14 dürfte heute eher zustimmungsfähig sein als in der Zeit der Hochblüte des Historismus. Das viel beschworene Ideal einer rein objektiven Wissenschaft hat mittlerweile Risse bekommen. Die heutige historische und exegetische Wissenschaft ist sich stärker dessen bewußt, daß jede historiographische Rekonstruktion ein Element des Konstruktiven in sich trägt15 und daß uns auch die stark verfeinerten historischen Methoden nur partiell vor subjektiver Beliebigkeit schützen können.

Diese ernüchternde Einsicht legt sich gerade dort nahe, wo bei fast allen Beteiligten an der Diskussion zentrale theologische Anliegen berührt sind. Auf diesem Hintergrund möchte ich im folgenden einige der an der exegetischen Diskussion um die Deutung des Todes Jesu erkennbaren Grundprobleme benennen und – mehr oder weniger skizzenhaft – erläutern. Dabei kann es hier natürlich nicht um die Lösung dieser Grundprobleme gehen, sondern nur um Perspektiven für die Weiterführung der Diskussion – im vorliegenden Band und darüber hinaus.

1. Das Verständnis des Todes Jesu als die Mitte des christlichen Glaubens Daß die Diskussion um diese Probleme so heftig, ja gelegentlich verbissen geführt wird, zeigt zunächst, daß in der Frage nach der Deutung des Todes Jesu theologisch stets das Ganze auf dem Spiel steht. Aus der Sichtweise einer traditionellen Theologie und Frömmigkeit geht es in der Diskussion über die sündentilgende bzw. sühnende Wirksamkeit des Todes Jesu um nicht weniger als um die Mitte des christlichen Glaubens. Sowohl für eine mus. Zur theologischen Bedeutung impliziter Axiome, in: W. Huber u.a. (Hgg.), Implizite Axiome. Tiefenstrukturen des Denkens und Handelns, München 1990, 19–29; M. W ELKER, Implizite Axiome. Zu einem Grundkonzept von Dietrich Ritschls „Logik der Theologie“, ebd., 30–38; D. R ITSCHL, Implizite Axiome. Weitere vorläufige Überlegungen, ebd., 338–355. 13 So auch DALFERTH, Relevanz (s. Anm. 6), 175: Die „Schärfe [der Kontroverse] ist Hinweis darauf, daß dabei nicht nur exegetische, sondern dogmatische Interessen im Spiel sind. Die Exegese ruft hier so nachdrücklich wie gegenwärtig kaum anderswo nach dem kritischen Dialog mit der Dogmatik.“ 14 A. SCHLATTER , Atheistische Methoden in der Theologie, in: Ders., Die Bibel verstehen, hg. v. W. Neuer, Gießen 2002, 131–148, 137; Erstveröffentlichung in BzFChTh 9 (1905), 229–250, 237. 15 Vgl. J. SCHRÖTER , Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums. Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive, in: Ders./A. Eddelbüttel (Hgg.), Konstruktion von Wirklichkeit, TBT 127, Berlin/ New York 2004, 201–220; J. RÜSEN, Faktizität und Fiktionalität der Geschichte – Was ist Wirklichkeit im historischen Denken?, ebd., 19–32.

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eucharistisch zentrierte römisch-katholische Frömmigkeit als auch für einen auf die Rechtfertigung des Gottlosen fokussierten evangelischen Glauben gilt, daß mit dem Heilsgeschehen im Tod Jesu „für uns“ der tragende Grund berührt ist.16 Wenn man die neutestamentlichen Interpretamente des Todes Jesu und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen – wie Rudolf Bultmann – als „primitive Mythologie“17 bezeichnete und damit theologisch entwertete, mußte ein solcher Glaube in seinen Grundfesten gefährdet erscheinen. Der apologetische Zungenschlag im Diskurs über diese Themen läßt sich von daher erklären – wobei Apologetik freilich nicht nur bei den Verteidigern der traditionellen Sprachformen im Spiel ist, sondern auch bei ihren Kritikern, denen es in dieser Kritik um die ‚Zumutbarkeit‘ des christlichen Glaubens heute geht.18 Sachlich-theologisch stellt sich – im Grunde seit der aufklärerischen Kritik – die Frage, ob die Heilsbedeutung Jesu Christi (oder auch präziser: die Rechtfertigung des Gottlosen) auch unter Verzicht auf einzelne dem ‚modernen Menschen‘ schwer nachvollziehbare Interpretamente für seinen Tod ausgesagt werden kann19 oder gar aus bestimmten Gründen unter Verzicht auf sie ausgesagt werden muß. Doch stehen im Hintergrund solcher Fragen zumeist gegenwartsbezogene Interessen: Wenn z.B. Ernst Käsemann im Blick auf die traditionelle Rede vom Tod Jesu als ‚Opfer‘ formuliert: „Theologische Verantwortung zwingt uns, hier kirchliche und biblische Überlieferung zu verlassen“,20 dann geschieht das im Interesse an der „Klarheit des Evangeliums und der Verständnismöglichkeit des heutigen Menschen“, für den „die unmittelbare

16 Das „Für uns“ hat K. LEHMANN, Er wurde für uns gekreuzigt. Eine Skizze zur Neubesinnung in der Soteriologie, ThQ 162 (1982), 298–317, 306 mit Recht als „die innere Achse aller soteriologischen Aussagen“ bezeichnet. 17 So programmatisch und provokativ R. B ULTMANN, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, in: H.W. Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos I, Hamburg 21951, 15–48, 20. 18 Wenn sich die biblische Exegese bei Rudolf Bultmann oder noch schärfer bei seinem Schüler Ernst Käsemann aus theologischen Gründen zur Vorreiterin der Kritik machte, um für die zeitgenössischen Hörer einen ‚falschen‘ Anstoß an der christlichen Botschaft (nämlich an ihrer für die Zeitgenossen nicht mehr nachvollziehbaren ‚Mythologie‘) aus dem Weg zu räumen, dann zeigt sich in dieser Intention letztlich ebenfalls eine spezifische Spielart theologischer Apologetik. 19 Vgl. in diesem Sinne z.B. auch R. SCHNACKENBURG u.a., Ist der Gedanke des Sühnetodes Jesu der einzige Zugang zum Verständnis unserer Erlösung durch Jesus Christus?, in: K. Kertelge (Hg.), Der Tod Jesu. Deutungen im Neuen Testament, QD 74, Freiburg 1976, 205–230, in dem festgehalten wird, daß neben dem Sühnegedanken noch andere Zugänge möglich sind, mit der naheliegenden Konsequenz, daß dieser Gedanke nicht notwendigerweise bemüht werden muß, um eine gegenwärtig vermittelbare Sinndeutung des Todes Jesu zu formulieren. Für einen solchen Ansatz in der neueren protestantischen Diskussion vgl. vor allem FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3). 20 E. K ÄSEMANN, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 31968, 152f.

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Anschaulichkeit der Opferpraxis“ nicht mehr gegeben ist.21 Der Verzicht auf traditionelle Formeln soll hier einen falschen Anstoß oder ein Hindernis für die christliche Verkündigung beseitigen – wobei sich dann die neue Frage stellt, ob dies ohne Verkürzungen in der Sache zu bewerkstelligen ist. Exegetisch steht das Begründungsmuster im Hintergrund, daß dem Opfergedanken für das neutestamentliche Kerygma von der Rechtfertigung des Gottlosen keine grundlegende Bedeutung zukommen kann, zumal Jesu Tod nach neutestamentlicher Überzeugung das Ende aller Opfer bedeutet.22 Hingegen hält Käsemanns einstiger Schüler Peter Stuhlmacher einigen neueren Versuchen, unter Verzicht auf den Sühnegedanken „einen neuen kirchlichen Erlösungsglauben zu begründen“, den Vorwurf entgegen, dies bedeute „im Endeffekt die Abkehr von dem protestantischen Artikel von der Rechtfertigung, mit dem die Kirche steht und fällt“.23 Ob dies zutrifft, wäre systematisch-theologisch zu erörtern, doch steht im Hintergrund des zitierten Urteils weniger eine systematisch-theologische Reflexion als vielmehr die historische und traditionsgeschichtliche Rekonstruktion Stuhlmachers, nach der alle anderen Interpretamente für den Tod Jesu dem Sühnegedanken so zugeordnet sind, daß diesem eine schlechthin grundlegende und zentrale Stellung zukommt. 24

In diesen Diskursen, in denen für die Beteiligten das Ganze des christlichen Glaubens auf dem Spiel steht, zeigt sich die Interdependenz von historischer Rekonstruktion und sachlich-theologischen Urteilen besonders deutlich. Im Interesse einer präziseren Klärung läge es hier, deutlicher zwischen der historisch-philologischen, religionsgeschichtlichen und traditionsgeschichtlichen Rekonstruktion und Interpretation einerseits und den mit dem Blick auf die gegenwärtige theologische Verantwortung formulierten systematischen Optionen andererseits zu differenzieren. Die Interferenz applikativer Interessen erfolgt aber keineswegs nur dort, wo im dezidierten ‚Einverständnis‘25 mit der biblischen und kirchlichen Tradition argumentiert wird, sondern auch dort, wo man dieser in einer mehr oder weniger dezidierten Kritik gegenübertritt. Auch dabei geht es um die Frage nach der Applikation bzw. Nicht-Applikation spezifischer Inhalte. Wie schon die ‚klassische‘ aufklärerische Kritik an den Vorstellungen von Opfer, Sühne und Stellvertretung lassen sich auch deren humanistisch, befreiungstheologisch, feministisch oder psychologisch motivierte Neuauflagen26 als Versuche verstehen, das überkommene Christentum von vermeintlich unverständlichen, ethisch bedenklichen oder psychisch schädlichen Relikten eines archaischen Denkens zu reini-

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KÄSEMANN, a.a.O., 152. KÄSEMANN, a.a.O., 135ff. STUHLMACHER, Zur Predigt am Karfreitag (s. Anm. 11), 30, gegen die Position von J.-D. REUSS, Jesus und der Sühnegedanke – Überlegungen zur heutigen Problematik der Kreuzestheologie, Forum freies Christentum, Arbeitstexte 23, Stuttgart 1991. 24 Vgl. REUSS, a.a.O., 44. 25 Vgl. P. STUHLMACHER, Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik, GNT 6, Göttingen 21986, 222ff. mit dem Programm einer „Hermeneutik des Einverständnisses mit den biblischen Texten“. 26 Vgl. die Sichtung der neueren Kritik an den genannten Motiven bei B. J ANOWSKI, „Hingabe“ oder „Opfer“?, in: R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 13–43.

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gen. Slogans wie ‚Gott braucht keine Opfer‘27 gründen wohl weniger in einer bestimmten Beurteilung des sachlichen Verhältnisses zwischen dem Vergebungszuspruch Jesu und den Aussagen über die in seinem Tod gründende Vergebung als vielmehr in einem Gottesverständnis, das dem Gedanken an einen Sühne- oder Opfertod Jesu grundsätzlich entgegensteht und sich von einer Preisgabe dieser Theologumena einen Freiheits- oder Humanitätsgewinn verspricht.28

Gerade weil es in all diesen Fragen für viele Beteiligte um entscheidende Grundfragen ihrer eigenen religiösen Existenz geht, muß die historischphilologische Analyse möglichst sorgfältig, umsichtig und selbstkritisch erfolgen, so daß eine vorschnelle Interferenz applikativer Interessen nach Möglichkeit ausgeschlossen wird.

2. Preisgabe oder Rückgewinnung der biblischen Sprachformen? Die damit berührten sachlichen und terminologischen Probleme sind allerdings äußerst komplex. Sie berühren zunächst sehr grundlegend die Frage der Übersetzbarkeit und Interpretationsbedürftigkeit einzelner biblischer Aussagen sowie traditioneller Interpretamente wie „Sühne“ oder „Opfer“ und der mit ihnen verbundenen Vorstellungen. Bekanntlich ist der Gebrauch gerade dieser beiden Termini durch theologiegeschichtlich wirkungsvolle Denkfiguren überschattet,29 und im gegenwärtigen kulturellen und kirchlichen Bewußtsein finden sich nur schwer Ansatzpunkte für ein angemessenes Verständnis der in den biblischen Texten beschriebenen Phänomene.30 Dies führt nicht selten dazu, daß Theologinnen und Theologen in der praktischen Aufgabe der Predigt oder des Unterrichts die Termini eher meiden, denn eine Aufarbeitung der Vor- und Mißverständnisse erschiene als ein allzu beschwerlicher Weg. Mit kult- und kulturgeschichtlichen Erklärungen zum alttestamentlichen Geschehen des Großen Versöhnungstags nach Lev 16 ist die Zeit einer Karfreitagspredigt schnell gefüllt, ohne daß ihre eigentliche Aufgabe wahrgenommen wäre.

27 Vgl. etwa den Artikel von A. H OLL, Ein liebender Gott will keine Opfer! Sühne, Schuld und Scheitern sind nicht das Zentrum des Christentums, und Gott ist kein Sadist: Warum Jesus mit einem Opferlamm rein gar nichts zu tun hat, Publik-Forum 8/2000, 24– 26. 28 Vgl. die bei D ALFERTH, Art. Opfer (s. Anm. 8), 288f. aufgeführten kritischen Argumente; weiter J ANOWSKI, „Hingabe“ oder „Opfer“? (s. Anm. 26), 13–26. 29 S. für den Sühnegedanken den Beitrag von FRIEDERIKE N ÜSSEL in diesem Band. 30 S. die Hinweise o. Anm. 7 sowie FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 143–155.

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Unter Verweis auf die Predigtaufgabe hat Gerhard Friedrich pointiert formuliert, es sei „unsachgemäß, von Opfer, Stellvertretung, Loskauf und dgl. zu reden“.31 Dem ‚heutigen Menschen‘ seien die kulturellen Voraussetzungen dieser biblischen Begriffe so sehr abhanden gekommen, 32 daß in ihrer bloßen Wiederholung „nicht mehr der Ruf der Befreiung und Erlösung erschallt, sondern historische Vorträge gehalten und die biblische Botschaft verdunkelt wird“.33 Die Empfehlung, man solle die biblischen Begriffe nicht wiederholen, sondern übersetzen und in ‚zeitgemäßer‘ Weise anders reden, gewinnt ihre Attraktivität und Dringlichkeit aus dem Interesse an der Applikation, der Predigt oder dem Unterricht bzw. aus der hermeneutischen Fokussierung auf den ‚modernen Menschen‘.

Ob dies praktisch-theologisch unumgänglich ist oder ob nicht auch den genannten Begriffen eine „Wirklichkeit erschließende Kraft“34 eignet, mag hier dahingestellt bleiben. Exegetisch entscheidend sind die philologischen und historischen Argumente, die zur Begründung solcher Vorschläge herangezogen werden. Sie sind exegetisch zu prüfen, ohne den steten Seitenblick auf applikative Interessen. Umgekehrt kann die Beobachtung, daß eine Deutungskategorie für Zeitgenossen unverständlich oder mißverständlich ist, nicht die Folgerung begründen, daß der betreffende Sinnzusammenhang biblisch-theologisch nicht mit Hilfe dieser Kategorien beschrieben werden kann. Dem Vorschlag, auf Interpretamente wie ,Opfer‘ und ,Sühne‘ zu verzichten und statt dessen eine in der Gegenwart verständlichere Sprache zu wählen, steht eine klare Gegenposition gegenüber, welche dezidiert die Rückgewinnung der biblischen Sprache und das sorgsame Hören auf deren Nuancen als exegetisch vordringliche Aufgabe ansieht. Diese verdankt sich zunächst dem Bemühen von Alttestamentlern wie Klaus Koch und Hartmut Gese, die alttestamentlichen Institutionen von Opfer und Sühne und die mit ihnen verbundenen Denkformen zunächst in ihrem eigenen Horizont präziser zu verstehen35 und

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FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 145. Vgl. a.a.O., 146: „Es ist keine schriftgemäße Predigt, wenn wegen genauer Wiederholung biblischer Wörter das Heilsangebot Gottes nicht verstanden und das Ärgernis des Kreuzes nicht empfunden wird.“ 32 Vgl. FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 148–155, zu den einzelnen Begriffen. 33 FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 146. 34 So G. K ITTEL, Die biblische Rede vom Sühnopfer Christi und ihre unsere Wirklichkeit erschließende Kraft. Eine didaktische Reflexion, JBTh 9 (1994), 285–313; auch W.H. RITTER, Abschied vom Opfermythos?, in: Ders. (Hg.), Erlösung ohne Opfer?, Biblisch-theologische Schwerpunkte 22, Göttingen 2003, 193–246. 35 K. K OCH, Die israelitische Sühneanschauung und ihre historischen Wandlungen, Hab.-Schrift Erlangen 1956; DERS., Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit, EvTh 26 (1966), 217–239; DERS., Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?, in: Ders. (Hg.), Um das Prinzip der Vergeltung in Religion und Recht des Alten Testaments, WdF 125, Darmstadt 1972, 130–180; DERS., Der Spruch ‚Sein Blut bleibe auf seinem Haupt‘ und die israelitische Auffassung vom vergossenen Blut, ebd., 432–456; H. GESE, Die Sühne, in: Ders., Zur Biblischen Theologie, BEvTh 78, München 1977, 85–106; vgl. umfassend die von Gese betreute Dissertation von J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen (s. Anm. 8).

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auf dieser Basis dann auch ihren Beitrag zur neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu sachgemäßer zu erfassen.36 Auf diesen Arbeiten basiert die von Peter Stuhlmacher vertretene These, nicht der Verzicht auf die Interpretamente von ,Sühne‘ und ,Opfer‘, sondern ihre Wiederaneignung in ihrem biblisch-theologischen Zusammenhang sei sachlich geboten, es gelte also, „die Sprache der Bibel neu zu lernen“37 und so „das Gedächtnis der großen Heilstaten Gottes zu pflegen“.38 Damit sind die homiletischen und didaktischen Probleme freilich noch nicht gelöst,39 sondern nur als solche aufgegeben.

Exegetisch und systematisch ist es m.E. der sachgemäßere Weg, die an die biblische Sprache angelehnten Kategorien nicht vorschnell preiszugeben, sondern sie nach Möglichkeit in ihrem Sachzusammenhang und im Sinnhorizont der biblischen Texte zu verstehen. Wenn sich dabei herausstellen sollte, daß die Kategorien von Opfer oder Sühne soteriologisch relevant sind – und dies hat sich nicht an der Grammatik unserer heutigen Begriffe, „sondern ... exegetisch an den biblischen Texten zu entscheiden“40 –, „dann kann die Frage nur lauten, wie sie sich unmißverständlich vermitteln“ lassen.41 Dies gilt zumal angesichts der Feststellung, daß die bislang vorgeschlagenen Versuche, die Kategorien von Opfer und Sühne in andere Begriffe zu übersetzen bzw. durch diese zu ersetzen, sachlich defizient bleiben. Der Verzicht auf diese Kategorien scheint kaum ohne Reduktion im Verständnis der Sache möglich zu sein. Eine solche Reduktion wurde häufig für Rudolf Bultmanns existentiale Interpretation diagnostiziert, in der gerade die Vorgängigkeit des Heilsgeschehens und damit das ‚extra nos‘ des Glaubens kaum mehr angemessen zur Sprache kommen konnte. Reduktionistisch ist aber auch der Vorschlag von Gerhard Friedrich, aus der Vielzahl der soteriologischen Metaphern die im Neuen Testament relativ randständige Rede von Christus als „Anführer des Heils“ (Hebr 2,10) zu privilegieren,42 womit zwar die Bedeutung Christi als Begleiter, Wegweiser, Helfer und Vorbild zur Sprache kommt, aber sein Tod und dessen Bedeutung deutlich unterbewertet zu sein scheint. Eine

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Pointiert formulierte etwa GESE, Sühne (s. Anm. 35), 104: „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu ist nur mit dem Sühnegedanken zu fassen.“ Vgl. jedoch die differenzierenden Bemerkungen von B. Janowski im Anhang zur 2. Auflage seiner (von H. Gese betreuten) Dissertation: B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 2 2000, 401f. und 449–454. 37 So STUHLMACHER, Die Predigt am Karfreitag (s. Anm. 11), 46, in Aufnahme einer Formulierung von G. KITTEL, Sühnopfer Christi (s. Anm. 34), 290. 38 P. STUHLMACHER , Jesus Christus – Für uns gekreuzigt und auferweckt, in: Ders., Biblische Theologie und Evangelium, WUNT 146, Tübingen 2002, 302–316, 316; vgl. DERS., Anamnese – eine unterschätzte hermeneutische Kategorie, ebd., 191–214, 213f. 39 Die Hinweise auf die Möglichkeit der Nacherzählung usw. (S TUHLMACHER , Die Predigt am Karfreitag [s. Anm. 11], 47) bieten lediglich eine Problemanzeige, die der homiletischen und didaktischen Weiterarbeit bedürfte. 40 D ALFERTH, Relevanz (s. Anm. 6), 178. 41 So D ALFERTH, Relevanz (s. Anm. 6), 177. 42 FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 156ff.

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ausgesprochen defiziente Lösung bietet schließlich auch Werner Zager an, wenn er im Zusammenhang der Forderung nach dem Verzicht auf die Sühnekategorie vorschlägt, das Kreuz als Jesu „Hingabe an den Liebeswillen Gottes“ zu interpretieren. Hier bleibt in der Tat kaum mehr etwas von einem heilvollen Tun Gottes übrig, und auch die von Jesus vollzogene Hingabe läßt sich allenfalls im Sinne einer vorbildlichen Handlung verstehen.43

Mit dem Plädoyer für die exegetische Rückgewinnung der quellensprachlichen Termini ist nicht gesagt, daß die weitergehende Reflexion über Sachgehalt und Tragweite dieser Kategorien überflüssig wäre. Ihre Definition muß dem Quellenmaterial angemessen sein. Und es ist die Frage, ob dies für Termini wie ‚Opfer‘, ‚Sühne‘ oder ‚Stellvertretung‘ gelingen kann, deren Bestimmung in der Fachliteratur alles andere als einhellig erfolgt.

3. Das Problem der exegetischen ‚Deutungskategorien‘: Zur Definition von Sühne und Stellvertretung Eine Durchsicht der verschiedenen Entwürfe einer terminologischen und sachlichen Näherbestimmung von ‚Sühne‘ oder ‚Stellvertretung‘ in der neutestamentlichen Wissenschaft legt die Folgerung nahe, daß viele der exegetischen Urteile wesentlich durch eine je korrespondierende Definition der jeweiligen Konzepte der theologischen Beschreibungssprache bestimmt sind: Wo man eine dieser ‚Deutungskategorien‘ weit faßt und ihr daher eine große Zahl von Textbelegen zuordnet, wird diese wahrscheinlich als sehr zentral und grundlegend erscheinen, während eine engere Definition, die die Zahl der davon erfaßten Textbelege reduziert, auch das sachliche Gewicht der betreffenden Kategorie mindert. Dies läßt sich an der Rede vom ‚Opfer‘ zeigen, die ich hier übergehen muß,44 und vielleicht noch mehr an den Diskussionen um die Rede von ‚Sühne‘ und ‚Stellvertretung‘ und um die gegenseitige Abgrenzung zwischen beiden Konzep43 W. ZAGER , Wie kam es im Urchristentum zur Deutung des Todes Jesu als Sühnegeschehen? Eine Auseinandersetzung mit Peter Stuhlmachers Entwurf einer ‚Biblischen Theologie des Neuen Testaments‘, ZNW 87 (1996), 165–186, 184–186. 44 Hier stellen sich v.a. aufgrund kontroverstheologischer Vorgaben spezifische Probleme, insofern die protestantische Tradition (und damit auch die ältere Exegese) von einer Ablehnung alles Kultischen bestimmt ist – ein Sachverhalt, der daneben auch die Diskussion um die Sühne geprägt hat. S. zur Kategorie des Opfers außer der Anm. 8 genannten Literatur besonders DALFERTH, Relevanz (s. Anm. 6), 173–194; S. BRANDT, Opfer als Gedächtnis. Auf dem Weg zu einer befreienden theologischen Rede vom Opfer, Altes Testament und Moderne 2, Münster 2001; R. ZIMMERMANN, Die neutestamentliche Deutung des Todes Jesu als Opfer. Zur christologischen Koinzidenz von Opfertheologie und Opferkritik (erscheint in KuD 51 [2005]), s. auch den Beitrag von R. ZIMMERMANN in diesem Band.

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ten.45 Strittig ist hier bereits, ob zwischen beiden traditionsgeschichtlich und sachlich zu unterscheiden ist46 oder ob schon eine solche Unterscheidung historisch und theologisch unangemessen ist.47 3.1. Zum Konzept der Sühne Die Diskussion um die Rede von der ‚Sühne‘ ist ein Beispiel der oben konstatierten Sprachverwirrung. Dieser Terminus „scheint in der neutestamentlich-exegetischen Literatur mit großer Freiheit, wenn nicht Beliebigkeit verwendet zu werden“.48 Eine präzise Definition kann sich hier kaum dem allgemeinsprachlichen oder auch dem weiten religionswissenschaftlichen Gebrauch49 anschließen, sondern muß sich auf die in neuerer Zeit präzise beschriebenen und eingehend diskutierten alttestamentlichen Vorstellungen konzentrieren, doch ist von hier aus eine sprachliche Erfassung der neutestamentlichen Belege, an denen der Sühnegedanke vorausgesetzt ist, nur schwer möglich. Dies zeigt sich gerade bei jenen Exegeten, die – in dezidierter Antithese zur theologischen Abwertung des Sühnegedankens z.B. bei Rudolf Bultmann50 – die Sühnekategorie im Horizont

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S. zur Übersicht den Forschungsüberblick bei M. GAUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus, fzb 82, Würzburg 1999, 24–44; zu den Problemen um den Stellvertretungsbegriff s. auch J. FREY, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung. Neutestamentliche Perspektiven, in: J.C. Janowski/B. Janowski/H.-P. Lichtenberger (Hgg.), Stellvertretung. Theologische, philosophische und kulturelle Kontexte I, NeukirchenVluyn 2005 (im Druck). Zur Problematik der Deutungskategorien s. auch den Beitrag von J. SCHRÖTER in diesem Band. 46 So z.B. F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments II, Tübingen 2002, 383ff., vgl. auch C. B REYTENBACH, Versöhnung, Stellvertretung und Sühne, NTS 39 (1993), 59–79, 66–73. 47 So P. STUHLMACHER, Biblische Theologie des Neuen Testaments I, Göttingen 1992, 193: Es sei „historisch und biblisch-theologisch gleich widersinnig, bei der Rede vom stellvertretenden Sühnetod Jesu Sühne, Sühnopfer, Stellvertretung, Todesgericht, Neuschöpfung und Sündenvergebung auseinanderzudividieren oder gar gegeneinander auszuspielen“. Der Vorwurf, daß die Vorstellungen gegeneinander ausgespielt werden könnten, hat z.B. Anhaltspunkte in der Position von Stuhlmachers Lehrer Ernst Käsemann, der bei Paulus dem Sühne- und dem Opfergedanken „keine wesentliche Bedeutung“ zuerkennen wollte, christologisches Gewicht habe allein der Stellvertretungsgedanke. Vgl. E. KÄSEMANN, Die Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Paulus, in: Ders., Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969, 61–107, 79. 48 BRANDT, Opfer als Gedächtnis (s. Anm. 44), 274. 49 S. dazu K. H OCK, Art. Sühne I: Religionswissenschaftlich, RGG 4 7 (2004), 1842f. 50 Vgl. R. B ULTMANN, Neues Testament und Mythologie (s. Anm. 17), 42: „Diese mythologische Interpretation ..., in der sich Opfervorstellungen und eine juristische Satisfaktionslehre mischen, ist für uns nicht nachvollziehbar.“ Daß Bultmann in einem Atemzug von einer „Satisfaktions- oder Opfertheorie“ (a.a.O., 43) sprechen kann, zeigt, wie stark der große Marburger den Sachverhalt im Rahmen der traditionell juridischen Satis-

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biblisch-theologischen Denkens neu zu bewerten und von der Überformung durch ein traditionell ‚satisfaktorisches‘ Verständnis des Todes Jesu abzulösen lehrten.51 Strittig ist, für welche Aussagen im Neuen Testament dieser Sühnegedanke vorauszusetzen ist, wo also von ‚Sühne‘ zu reden ist und wo nicht. a) Am umfassendsten erscheint die Kategorie der Sühne dann, wenn man ohne weitere Differenzierung vom ‚stellvertretenden Sühnetod‘ spricht52 und unter dieser Kategorie alle Belege, die von einer sündentilgenden oder stellvertretenden Wirksamkeit des Todes Jesu sprechen, verhandeln kann. Zwischen Sühne und Stellvertretung wird dann nicht weiter unterschieden. Die Formeln vom Sterben Jesu ‚für uns‘ o.ä. können ebenso wie die Sühnetradition Röm 3,25f. in dieser umfassenden Kategorie erfaßt werden, ebenso natürlich die Deuteworte Jesu in der Herrenmahlsüberlieferung und das Lösegeldwort Mk 10,45. Vertreter dieser Position sehen zumeist auch bei den im Hintergrund vermuteten alttestamentlichen Traditionen zumindest einen engen Zusammenhang zwischen dem kultischen Sühnegeschehen (Lev 16 u.ö.) und Aussagen nichtkultischer ‚Sühne‘ (bzw. stellvertretenden Todesübernahme), wie in Jes 53, so daß auch dort, wo ein Anschluß an die Thematik des Gottesknechts gesehen wird, von ‚Sühne‘ gesprochen wird. Eine noch stärkere Ausweitung dieser Kategorie erfolgt im Entwurf von Peter Stuhlmacher, wenn dieser – in einer zumindest im Deutschen naheliegenden Sprachfigur – die Kategorie der Sühne mit den Aussagen über die ‚Versöhnung‘ vereint und dann auch Röm 5,10f. und 2 Kor 5,18f. von Röm 3,25 und Lev 16 her interpretiert,53 so daß Jesus als „messianische[r] Versühner (Versöhner)“54 und „die Versöhnung (Versühnung) Gottes mit der Welt durch den Sühn(opfer)tod Jesu“ als „die soteriologische Mitte der Schrift“55 erscheint, da das Evangelium von der Versöhnung in Christus in praktisch allen neutestamentlichen Überlieferungsbereichen zugrundeliegt.

faktionstheorie verstand, die ihm den Blick für die inzwischen wesentlich präziser ausgeleuchteten alttestamentlichen Sachverhalte verstellen mußte. 51 S. dazu die o. Anm. 35 genannte Literatur. 52 Vgl. exemplarisch M. H ENGEL, Der stellvertretende Sühnetod Jesu. Ein Beitrag zur Entstehung des urchristlichen Kerygmas, IKZ 9 (1980), 1–25.135–147; DERS., The Atonement. The Origins of the Doctrine in the New Testament, Philadelphia 1981; G. B ARTH, Der Tod Jesu Christi (s. Anm. 11), 37–71; H. MERKLEIN, Der Tod Jesu als stellvertretender Sühnetod. Entwicklung und Gehalt einer zentralen neutestamentlichen Aussage, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 181–191. 53 P. STUHLMACHER, Das Evangelium von der Versöhnung in Christus, in: P. Stuhlmacher/H. Claß, Das Evangelium von der Versöhnung in Christus, Stuttgart 1979, 13–54, 25–29; DERS., Sühne oder Versöhnung? Randbemerkungen zu Gerhard Friedrichs Studie: ‚Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament‘, in: U. Luz u.a. (Hgg.), Die Mitte des Neuen Testaments (FS E. Schweizer), Göttingen 1983, 291–316. 54 STUHLMACHER, Biblische Theologie I (s. Anm. 47), 160 u.ö.; vgl. DERS., Jesus als Versöhner, in: Ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen 1981, 9–26; DERS., Das Evangelium von der Versöhnung in Christus (s. Anm. 53), 24ff.; DERS., Vom Verstehen des Neuen Testaments, GNT 6, Göttingen 11979, 229ff. 55 STUHLMACHER, Biblische Theologie I (s. Anm. 47), 33; D ERS., Vom Verstehen des Neuen Testaments1 (s. Anm. 54), 243f.

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Wirkungsvoll im Hintergrund dieser bemerkenswerten Aufwertung der Sühnekategorie steht die von Hartmut Gese vorgetragene Interpretation der alttestamentlichen Sühnopfervorstellung.56 Sühne ist demnach kein nur „negativer Vorgang einfacher Sündenbeseitigung“57 und keine „Wiedergutmachung durch Ersatzleistung“58, sondern „Lebensrettung, die der Mensch erstrebt und Gott ermöglicht“59. Damit wird der biblische Sühnegedanke von dem gemeinsprachlichen Begriff ebenso abgerückt wie vom Horizont der juridischen Satisfaktionslehre der klassischen Dogmatik. Der spezifische Charakter der kultischen Sühne zeigt sich nach Geses Interpretation in zwei rituellen Akten, dem Handaufstemmungsritus und dem Blutritus.60 Die Handaufstemmung (Lev 1,4 u.ö.) symbolisiert nach Gese gerade nicht eine quasi-materielle Übertragung von Sünde, sondern eine Subjektübertragung bzw. Identifikation des Opferherrn mit dem Opfertier, so daß Sühne nicht als „Sündenabladung mit darauffolgender Straftötung des Sündenträgers“, sondern als „stellvertretende Totalhingabe bzw. als eine den Opferherrn in der Lebenshingabe des Opfertiers einschließende Stellvertretung“61 zu verstehen ist. Der Blutritus symbolisiert schließlich die „Lebenshingabe an das Heilige“,62 und in ihr, nicht im bloßen Tod des Opfertiers, vollzieht sich die kultische Sühne. Mit dieser tiefgründigen Erklärung des levitischen Sühnekultes verband sich bereits bei Gese die These, daß „die Heilsbedeutung des Todes Jesu ... nur mit dem [so verstandenen] Sühnegedanken zu fassen“ sei.63 Wo diese Sicht in der neutestamentlichen Exegese übernommen wird, wird der Gedanke der kultischen Sühne zum zentralen Interpretament für das Verständnis des Todes Jesu, der nun frei von den durch die traditionelle Satisfaktionslehre veranlaßten Mißverständnissen als Heilsgeschehen interpretiert werden kann. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch bei dem Versuch, die neutestamentlichen Einzelmotive dem skizzierten Sühnegedanken zuzuordnen. Wenn sich dieser sachlich im Alten Testament methodisch allein aus einer Analyse des Sprachgebrauchs von rPeK und seinen Derivaten erfassen läßt,64 so müßten im Neuen Testament analog nur jene Aussagen im Horizont des Sühnegedankens zu verstehen sein, die das in der LXX übliche Äquivalent zu rPeK , nämlich das Lexem iJlavskesqai ktl. verwenden. Wenn es zutrifft, daß in spätalttestamentlicher Zeit alle Opfer mit dem Sühnegedanken verbunden waren, dann könnten weitere Hinweise auf Opfer, Tempel oder auch das ‚Blut‘ Jesu mit entsprechenden soteriologischen Konnotationen ebenfalls auf den Sühnegedanken verweisen. Freilich ist in vielen neutestamentlichen Texten „die traditionsgesch[ichtliche] Kontinuität zum atl. Sühnekult ... nur beschränkt erweisbar“, und vielfach ist Opfersprache bereits im hell[enistischen] Judentum ... über den Kult hinaus (metaphorisch) ausgeweitet worden“.65 Ob diese Sinnzusammenhänge somit ungebrochen übernommen werden können, bleibt strittig.

56 G ESE , Sühne (s. Anm. 35); vgl. weiter B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen (s. Anm. 8); DERS., Art. Sühne II.1: Altes Testament, RGG4 7 (2004), 1843f. 57 G ESE, Sühne (s. Anm. 35), 104. 58 G ESE, a.a.O., 86. 59 G ESE, a.a.O., 87. 60 G ESE, a.a.O., 95. 61 G ESE, a.a.O., 97. 62 Ebd. 63 G ESE, a.a.O., 105. 64 J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen (s. Anm. 8), 102. 65 So die Einwände von G. RÖHSER , Art. Sühne II.2: Neues Testament, RGG 4 7 (2004), 1846f.

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b) Die ‚minimalistische‘ These einer weitestmöglichen Einschränkung der Sühnekategorie auf ein sprachlich präzise beschreibbares Phänomen wird von Cilliers Breytenbach vertreten. Dieser hatte zunächst mit guten philologischen Gründen gegen die enge Verbindung des Versöhnungsgedankens mit dem Sühnegedanken argumentiert66 und dann auch programmatisch die traditionsgeschichtliche Unterscheidung zwischen den Motiven der (kultischen) Sühne und der ‚Stellvertretung‘ aufgenommen.67 Für das Verständnis der Aussagen über das Sterben Christi ‚für‘ jemanden ist der Sühnegedanke nach seiner Überzeugung ebenfalls nicht erforderlich.68 Aber selbst unter den (wenigen) Belegen, in denen im Neuen Testament iJlavskesqai, iJlasmov~, iJlasthvrion usw. verwendet werden, ist nach seinen Analysen noch zu unterscheiden zwischen solchen Aussagen, die im griechischen Verständnis von einem Gnädigstimmen Gottes seitens des Menschen handeln und jenen wenigen Belegen (Hebr 2,17; 9,5; 1 Joh 2,2; 4,10 und eventuell Röm 3,25), an denen tatsächlich Motive ‚opferkultischer‘ Sühne rezipiert sind.69 Aufgrund dieser starken Einschränkung der relevanten Belege kann bei Breytenbach von einer Zentralstellung des Motivs der kultischen Sühne in der neutestamentlichen Soteriologie keine Rede mehr sein. Diese rückt vielmehr in eine ganz marginale Rolle, und man kann natürlich fragen, inwiefern nicht auch hinter einer solchen definitorischen Einschränkung zumindest teilweise sachlich-theologische Anliegen stehen. c) Zwischen den beiden ‚extremen‘ Positionen bewegen sich Definitionsversuche, in denen zur Bestimmung des Umfangs der neutestamentlichen Sühnevorstellungen eine Abgrenzung vom Motiv der Stellvertretung vorgenommen wird, wobei diese Abgrenzung in unterschiedlicher und nicht immer klarer Weise erfolgt. In stark theologischer Wendung nimmt Otfried Hofius die von Hartmut Gese vorgetragene Erklärung der Sühne als „inkludierender, den Sünder als Person einschließender Stellvertretung“ auf.70 Doch ist nach seiner Überzeugung im Neuen Testament die „Übertragung aus dem kultischen in den christologisch-personalen Kontext“ vollzogen, was „eine fundamentale Umformung des Sühnegedankens“ bewirke. 71 Nun ist es nicht mehr der Opferherr, der sich mit dem Opfertier identifiziert, sondern in strenger Weise Gott selbst, der sich „in Seins- und Handlungseinheit mit Jesus Christus“72 mit dem sündigen Menschen identifiziert. Jedes satisfaktorische oder propitiatorische Verständnis des Heilsgeschehens ist damit für Hofius ausgeschlossen. Ungeachtet dieser Transformation kann die von Gese vorgetragene Beschreibung der Sühne als inkludierender Stellvertretung doch zur Definition des Sühnegedankens im Neuen Testament herangezogen werden. Wo inkludierende Stellvertretung vorliegt, kann von Sühne die Rede sein, während

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C. BREYTENBACH, Versöhnung, Stellvertretung und Sühne (s. Anm. 46), passim. C. BREYTENBACH, a.a.O., 66–72. Vgl. DERS., Art. Sühne, ThBLNT 2 II, Wuppertal 2000, 1685–1691, 1691: „Zumindest terminologisch stehen die iJlavskesqai-Terminologie des Hebr, der iJlasmov~-Begriff des 1Joh sowie die in Röm 3,25 aufgenommene iJlasthvrion-Aussage einerseits und die Tradition über Jesu Sterben oder Hingabe ‚für‘ in den Texten unverbunden nebeneinander.“ Zur Differenzierung zwischen Sühne und Stellvertretung s. auch F. HAHN, Theologie des NT II (s. Anm. 46), 383ff. 68 C. B REYTENBACH, ‚Christus starb für uns‘. Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogenannten ‚Sterbeformeln‘, NTS 49 (2003), 447–475, 475. 69 Vgl. C. BREYTENBACH, Gnädigstimmen und opferkultische Sühne, in: Janowski/ Welker (Hgg.), Opfer (s. Anm. 8), 217–243; DERS., Art. Sühne (s. Anm. 67). 70 O. H OFIUS, Art. Sühne IV: Neues Testament, TRE 32 (2001), 342–347, 343. 71 H OFIUS, a.a.O., 343f. 72 H OFIUS, a.a.O., 344.

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dort, wo lediglich „von stellvertretender Schuldübernahme bzw. stellvertretendem Erleiden der Sündenstrafe“, also von einer exkludierenden Form der Stellvertretung die Rede ist, der Sühnegedanke nicht vorliegt. Freilich seien auch diese traditionellen Formeln (Röm 4,25; 1 Kor 15,3b–5; Gal 1,4; 1 Petr 3,18) in ihrem jetzigen Kontext im Sinne des Sühnegedankens zu verstehen. Der Kreis der Sühnemotive im Neuen Testament wird daher sehr weit gefaßt: Er umfaßt die Wortgruppe iJlavskesqai ktl. und daneben andere Ausdrücke von der ‚Wegnahme‘ oder ‚Aufhebung‘ der Sünden bzw. der ‚Reinigung‘ und ‚Erlösung‘ von ihnen, weiter die Aussagen über das Blut Jesu, die personal gefaßten uJpevr-Formeln sowie – aufgrund der rabbinisch belegten sühnetheologischen Deutung der Passalämmer – auch die Rede von Jesus als dem eschatologischen Passalamm. Lediglich die Aussagen einer exkludierenden Stellvertretung bleiben – in ihrem ursprünglichen Verständnis – ausgeschlossen, und auch im Text von Jes 53 sieht Hofius den Gedanken der heiligenden Sühne nicht vorliegen.73 Für Hofius erhält der Sühnegedanke damit – aus theologischen Gründen – eine Zentralstellung: Alle anderen neutestamentlichen Deutungen des Todes Jesu sind Implikationen oder Aspekte desselben, oder gewinnen erst in seinem Licht Plausibilität.74 Diese eindrückliche Interpretation basiert weniger stark auf historisch-traditionsgeschichtlichen Konstruktionen als z.B. der Entwurf Stuhlmachers und auch nicht auf exakten philologischen Distinktionen. Leitend sind eher theologische Prämissen und die – aus der neuzeitlichen Theologie gewonnene – Unterscheidung zwischen einer (bloß) exkludierenden und einer personal inkludierenden Form der Stellvertretung, wobei nach der Überzeugung von Hofius letztere allein der Tiefe des neutestamentlichen Sündenverständnisses entspricht.75 Gleichfalls in Anlehnung an Gese hat Thomas Knöppler eine Definition vorgeschlagen, derzufolge Sühne „ein Heilshandeln Gottes [ist], das die aufgrund von Schuld verwirkte Existenz des Menschen dem verdienten Tod entreißt“.76 Damit hält er die Erkenntnis fest, daß nicht jede Stellvertretungsaussage zugleich den Gedanken der Sühne enthält, sondern daß exegetisch zwischen Sühne- und Stellvertretungsaussagen zu differenzieren ist. In seiner Münchener Habilitationsschrift hat Knöppler auf dem Hintergrund seiner Analysen der alttestamentlichen und frühjüdischen Sühneaussagen eine Präzisierung versucht und einen – ebenfalls relativ weit gefaßten – Rahmen für die Suche nach Sühneaussagen im Neuen Testament beschrieben. Demnach sind neben den mit rpk bzw. (ejx)ilavskesqai ktl. geformten expliziten Sühneaussagen jene Belege zu berücksichtigen, „die aufgrund einer bestimmten Terminologie oder theologischen Aussage zum Umfeld der Sühnethematik gehören“. Dazu zählen „unter gewissen Voraussetzungen soteriologische Aussagen im Opferkontext, der in einer bestimmten Konnotation befindliche ai|ma-Begriff, das Stellvertretungsmotiv und die Vorstellung von der Beseitigung

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Vgl. O. HOFIUS, Das vierte Gottesknechtslied in den Briefen des Neuen Testaments, in: Ders., Neutestamentliche Studien, WUNT 132, Tübingen 2000, 340–360, 355.360; s. dazu kritisch JANOWSKI, Stellvertretung (s. Anm. 8), 91 Anm. 95. 74 H OFIUS, Art. Sühne (s. Anm. 70), 346. 75 Vgl. die Kritik dieser am neuzeitlichen Personbegriff orientierten Unterscheidung bei RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 8), 13–19; dessen definitorische Einschränkung der Stellvertretung auf das Moment des Exkludierenden ist allerdings mindestens ebenso problematisch, s. dazu u. Abschnitt 3.2. und J. FREY, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 45) (im Druck). 76 T H. K NÖPPLER , Die theologia crucis des Johannesevangeliums, WMANT 69, Neukirchen-Vluyn 1994, 91.

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sündigen Seins bzw. von der Errettung der verwirkten Existenz des Menschen“.77 Die kontextuellen Bedingungen, unter denen diese Aussagen in die Sühnetheologie zu integrieren sind, bleiben allerdings relativ unklar. Die weite Definition des Sühnebegriffs führt auch hier letztlich zum Urteil, daß „der Einfluß des alttestamentlichen Sühnedenkens auf die Soteriologie des Neuen Testaments ... nicht hoch genug veranschlagt werden“ kann.78 Der Zirkel zwischen Definition und Ergebnis bzw. der Gewichtung des Sühnegedankens innerhalb des Neuen Testaments ist auch hier evident. In etwas anderer Weise hat Martin Gaukesbrink die Forderung Breytenbachs aufgenommen, daß sachlich und traditionsgeschichtlich zwischen den alttestamentlichen Zusammenhängen des kultischen Sühneinstituts (Lev 16) einerseits und der Stellvertretung durch den Gottesknecht (Jes 53) andererseits zu unterscheiden ist.79 Da jedoch in beiden Fällen der „Sünde-Unheil-Zusammenhang“ durchbrochen und die Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk wiederhergestellt wird – was „den Kern von ‚Sühne‘“ definiere,80 will Gaukesbrink in seinen Analysen paulinischer Texte auch dort nicht auf den Sühnebegriff verzichten, wo kein Bezug auf das kultische Sühneinstitut vorliegt. Statt dessen schlägt er für die neutestamentliche Exegese eine Unterscheidung zwischen kultischer Sühne und stellvertretender Sühne vor.81 So ist seine Definition von Sühne letztlich ebenfalls nicht am sprachlichen Befund, sondern am Sachgehalt der Durchbrechung eines Sünde-UnheilZusammenhangs orientiert. Letztlich erhebt sich angesichts dieses etwas inkonsequenten Vorgehens die Frage, ob man in den Fällen, wo nach Gaukesbrink ‚stellvertretende Sühne‘ vorliegt, überhaupt noch den Sühnebegriff verwenden kann oder ob man nicht doch eher von ‚stellvertretender Lebenshingabe‘ o.ä. sprechen und den Sühnebegriff beiseite lassen sollte. Eine von den drei zuletzt vorgeführten Ansätzen deutlicher abweichende Position vertritt etwa Ferdinand Hahn in seiner Theologie des Neuen Testaments. Er sieht zwar gleichermaßen die inhaltliche Bestimmtheit des neutestamentlichen Sühneverständnisses von der alttestamentlichen und frühjüdischen Tradition,82 definiert aber den Sühnebegriff anders als Gese nicht von den kultischen Phänomenen her, sondern sehr viel weiter: „Wo immer es um Vergebung der Sünde und um Aufhebung der Trennung von Gott geht, liegt deshalb der Sühnegedanke bzw. der Gedanke stellvertretender Sühne vor.“83 Ein solcher Sühnebegriff ist dann auch nicht von einer bestimmten Sühneterminologie abhängig, hier lassen sich kultische und nichtkultische Aussagen, ja selbst die Bitte um Gottes ‚Gnädigsein‘ (iJlavsqhtiv moi) im Gebet des Zöllners Lk 18,13 unter dem Begriff der Sühne fassen, ebenfalls natürlich die Aussagen vom Sterben ‚für uns‘. Die Auffassung von der „stellvertretenden Sühne“ – hier wohl in dem von Gaukesbrink geprägten Sinn – ist auch für Hahn „die fundamentale Deutungskategorie für Jesu Tod, die sich aus alttestamentlicher Tradition nahelegte“84 – freilich in klarer Abgrenzung von der kultischen Deutung,

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KNÖPPLER, Sühne (s. Anm. 11), 108. S. auch den Beitrag von K NÖPPLER zur Rede vom Blut Jesu in der Johannesapokalypse in diesem Band. 78 K NÖPPLER , a.a.O., 110. 79 M. G AUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus, fzb 82, Würzburg 2001, 43, in ausdrücklicher Zustimmung zu BREYTENBACH, Versöhnung, Stellvertretung und Sühne (s. Anm. 46), 65f.72f. 80 G AUKESBRINK, Sühnetradition (s. Anm. 79), 43. 81 G AUKESBRINK, a.a.O., 44. 82 H AHN, Theologie des NT II (s. Anm. 46), 385. 83 H AHN, a.a.O., 386. 84 H AHN, a.a.O., 387.

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die Hahn selbst für Röm 3,25 nicht für gesichert hält:85 „Die Vorstellung vom Sühnetod Jesu ist eine nichtkultische; erst relativ spät ist in einigen wenigen Fällen durch Verbindung mit dem Opfermotiv die Vorstellung von Jesu Tod als ‚Sühnopfer‘ entstanden.“86 Damit befindet sich Hahn in deutlicher Distanz zu der von Gese inspirierten Gruppe von Exegeten. Die Vielfalt und Differenziertheit der Interpretamente wird klar bejaht, freilich ist der von ihm gebrauchte Sühnebegriff in seiner Allgemeinheit ebenfalls kaum geeignet, die Phänomene wirklich präzise zu erfassen, und dort, wo er von der ‚stellvertretenden Sühne‘ spricht, könnte ebensogut lediglich von ‚Stellvertretung‘ die Rede sein.

Die hier referierte Diskussion ist noch längst nicht zu einem tragfähigen Ergebnis gelangt, v.a. wäre eine terminologische Präzisierung erforderlich, die nur aus sprachlichen und evtl. hinzutretenden kontextuellen Beobachtungen erfolgen kann. Weder die ‚maximalistische‘ Lösung eines umfassenden Begriffs ‚stellvertretender Sühne‘ noch die ‚minimalistische‘ Lösung, die nur bei Vorliegen von iJlavskesqai ktl. mit opferkultischer Konnotation von ,Sühne‘ reden will, können zu einem differenzierten und zugleich angemessenen Gebrauch des Terminus führen. Unbedingt aufzunehmen ist m.E. die in der alttestamentlichen Forschung weithin geteilte Unterscheidung zwischen der auf den Opferkult bezogenen Sühnevorstellung und einer stellvertretenden Lebenshingabe, die nicht im kultischen Kontext formuliert ist – am konzentriertesten in Jes 52,13 – 53,12.87 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch im Neuen Testament zwischen der mit kultischen Konnotationen verbundenen Sühne und einer (noch näher zu bestimmenden) Kategorie der ‚Stellvertretung‘ bzw. der stellvertretenden Lebenshingabe ohne den Sühnegedanken zu unterscheiden. Auch wenn der alttestamentliche Sühnegedanke nur im Rahmen einer gewissen Vorstellung von Stellvertretung verständlich ist, muß dort, wo eine stellvertretende Lebenshingabe ausgesagt ist, nicht notwendigerweise der Sühnegedanke impliziert sein.88 Andererseits scheint eine Einschränkung des Sühnemotivs auf die mit iJlavskesqai ktl. formulierten Belege zu eng. Vielmehr wird man von den in der Diskussion weiter genannten Motiven89 v.a. jene Aussagen mit 85 86 87

HAHN, a.a.O., 385f.; vgl. 394f. HAHN, a.a.O., 387; vgl. zur kultischen Deutung 392ff. S. dazu J ANOWSKI, Stellvertretung (s. Anm. 8), 89–92; DERS., „Hingabe“ oder „Opfer“? (s. Anm. 26), 32–36. Die Frage, inwiefern sich in dem Terminus µv;a; in Jes 53,10 ein metaphorischer Bezug auf das kultische Schuldopfer zeigt (s. dazu A. SCHENKER , Knecht und Lamm Gottes. Übernahme von Schuld im Horizont von Jesaja 53, SBS 190, Stuttgart 2001, 87–90), kann hier nicht weiter erörtert werden. Ein explizit kultischer Kontext liegt jedenfalls in der Lebenshingabe des Knechtes nicht vor. 88 So auch J ANOWSKI, „Hingabe“ oder „Opfer“? (s. Anm. 26), 40 Anm. 107: „Die Sühnetradition ist ohne das Stellvertretungsmotiv nicht verständlich zu machen, aber die Stellvertretungsvorstellung führt nicht eo ipso zur Sühnetradition.“ 89 S. dazu K NÖPPLER , Sühne (s. Anm. 11), 108; H OFIUS, Art. Sühne (s. Anm. 70), 344f.

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heranziehen können, in denen Opferterminologie vorliegt und von der Heilswirkung des Blutes die Rede ist. Außerdem kann die Rezeption von Tempelmotiven eine – möglicherweise auch kritische – Bezugnahme auf den Sühnekult signalisieren. Hingegen sind nicht alle Belege vom Sterben Jesu ‚für unsere Sünden‘ oder ‚für uns‘ (d h. uns zugut) im (kultisch-) sühnetheologischen Sinn zu fassen, ebensowenig generell alle Belege, an denen von der Aufhebung von Sünden oder der Erlösung von Sünden o.ä. die Rede ist. Die Differenzierung zwischen Sühne und Stellvertretung ist also traditionsgeschichtlich und auch sachlich m.E. unumgänglich, wenngleich es völlig unangemessen wäre, in der Linie der älteren Exegese den ‚personalen‘ Stellvertretungsgedanken gegen den ‚kultisch‘ verstandenen Sühnegedanken auszuspielen, weil auch dieser nach den biblischen Texten nicht in einem juridischen oder gar dinglichen Verständnis aufgeht. Hier ist durch die Arbeiten von Gese, Janowski und anderen eine entscheidende Korrektur der älteren, gegenüber kultischen und juridischen Dimensionen extrem kritischen (protestantisch-)exegetischen Tradition erfolgt. Gleichwohl wird man der These Geses entschieden widersprechen müssen, daß der Tod Jesu in seiner Heilsbedeutung nur durch den Sühnegedanken zu fassen ist. Neben einer Vielzahl anderer Interpretamente kommt der Kategorie der ‚Stellvertretung‘ eine eigenständige, nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.90 3.2. Zum Konzept der Stellvertretung Freilich verlangt auch diese Kategorie nach einer begrifflichen Klärung, zumal das Abstraktum ‚Stellvertretung‘ nicht auf ein spezifisches hebräisches oder griechisches Lexem zurückverweist. ,Stellvertretung‘ ist vielmehr eine erst in der Neuzeit eingeführte Kategorie, die sehr unterschiedliche terminologische Vorstufen in sich aufgenommen hat.91 Ihre Einführung – zunächst zur Ersetzung von Begriffen wie der satisfactio vicaria92 – und ihre weitere Verwendung weist auf das neuzeitlich-theologische Interesse an einem personalen Verständnis des Heilsgeschehens (und einer Abwehr dinglicher oder juridischer Konzepte) hin, und die Beobachtung trifft 90 91

S. dazu FREY, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 45). S. dazu SCHAEDE, Art. Stellvertretung IV: Dogmengeschichtlich und dogmatisch, RGG4 7 (2004), 1710–1712; ausführlich DERS., Stellvertretung (s. Anm. 7). 92 Vgl. G ESTRICH/H ÜTTENBERGER , Art. Stellvertretung (s. Anm. 7), 146; K.-H. M EN3 KE , Art. Stellvertretung, LThK 9 (2000), 953; DERS., Stellvertretung. Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkategorie, Einsiedeln/Freiburg 1991, 82ff.; E. J ÜNGEL, Das Geheimnis der Stellvertretung, in: Ders., Wertlose Wahrheit, BEvTh 107, München 1990, 243–260, 250f.; s. zuletzt ausführlich und differenzierend SCHAEDE, Stellvertretung (s. Anm. 7), 548ff.

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durchaus zu, daß diese Kategorie immer wieder zur Abwehr eines opferoder sühnetheologischen Verständnisses verwendet wurde.93 Ob und inwiefern sie abgesehen von einem solchen Interesse exegetisch dennoch verwendbar ist, hängt von einer angemessenen definitorischen Fassung ab. Aber auch im Blick auf die Stellvertretung herrscht eine gewisse ‚Begriffsverwirrung‘, zumal es hier nicht möglich ist, wie beim Sühneverständnis auf eine alttestamentlich vorgeprägte Vorstellung zu rekurrieren. Religionswissenschaftlich kann der Terminus eine große Bandbreite des Handelns einer Person für eine andere (oder eine Gruppe) erfassen, bei dem das betroffene Subjekt „gleichsam ersatzweise“ vertreten wird, „ohne daß diesem damit eine andere (mindere) Bedeutung zukommt“.94 Insofern dieses Subjekt einerseits ‚ersatzweise‘ vertreten wird, andererseits von der bezeichneten Handlung zugleich betroffen, ja in diese Handlung oder ihre Wirkung in gewisser Weise einbezogen ist, enthält der Begriff der Stellvertretung – auch in Anbetracht der verschiedenen zu seiner terminologischen ‚Vorgeschichte‘ gehörenden Termini – sowohl exkludierende als auch inkludierende Aspekte.95 Er erlaubt es zugleich, sehr unterschiedliche Akte – von der stellvertretenden Fürbitte oder der stellvertretenden Darbringung von Opfern oder gar der ‚Vikariatstaufe‘ (1 Kor 15,29) bis hin zur stellvertretenden Todesübernahme zu erfassen, und er erlaubt auch eine Ausweitung hin zum Gedanken der „Existenzstellvertretung“96 bzw. „Proexistenz“,97 d.h. zu einem Verständnis, das ‚Stellvertretung‘ auch in Jesu Leben und Wirken und nicht allein in seinem Sterben erblickt.98 93

Die bei STUHLMACHER, Biblische Theologie I (s. Anm. 47), 193, zu lesende erregte Abwehr aller Versuche, den Begriff der Stellvertretung von dem der Sühne zu unterscheiden, ist auf diesem Hintergrund verständlich. 94 F. W INTER , Art. Stellvertretung I: Religionswissenschaftlich, RGG4 7 (2004), 1708; vgl. auch H. SPIECKERMANN, Art. Stellvertretung II: Altes Testament, TRE 32 (2001), 135–137, 135: „in einem weiteren Sinne jedes Mittleramt rechtlicher und religiöser Art, in der jemand anstelle von (einem) anderen handelt“. 95 S. dazu SCHAEDE , Art. Stellvertretung (s. Anm. 91), 1710f. 96 P. STUHLMACHER, Existenzstellvertretung für die Vielen. Mk 10,45 (Mt 10,28), in: Ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen 1981, 27–42. Der Terminus wurde aufgenommen z.B. bei HOFIUS, Gottesknechtslied (s. Anm. 73), 360. 97 H. SCHÜRMANN, Jesu Todesverständnis im Verstehenshorizont seiner Umwelt, ThGl 70 (1980), 141–160; DERS., Gottes Reich – Jesu Geschick. Jesu ureigener Tod im Licht seiner Basileia-Verkündigung, Freiburg u.a. 1983, 185ff.; DERS., Jesus. Gestalt und Geheimnis, hg. v. K. Scholtissek, Paderborn 1994, 286ff. S. auch den Beitrag von B. J ANOWSKI in diesem Band (dort Anm. 14). 98 So programmatisch bei RÖHSER , Stellvertretung (s. Anm. 8), 123ff.132f. Da DERS., Art. Sühne (s. Anm. 65), 1844f., analog auch für den Begriff der Sühne eine Befreiung aus der „Engführung auf den (S.-)Tod Jesu zugunsten seiner gesamten vorösterlichen Existenz“ fordert (1845), zeigt sich darin allerdings eine vom Begriff der Stellvertretung unabhängige Denkfigur im Blick auf die Interpretation des Todes Jesu (s. etwa auch K. B ERGER, Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?, Stuttgart 1998, 155f., vgl. 228f.; s. dazu

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Damit werden einige der in der neutestamentlichen Diskussion virulenten Alternativen hinfällig, andererseits läßt sich aufgrund der relativen Offenheit und Weite des Stellvertretungsbegriffs wieder fragen, inwiefern dieser zu einer präzisen Beschreibung der textlichen Phänomene überhaupt herangezogen werden kann. Auf eine weitgehende Vermeidung dieser Kategorie in der exegetischen Diskussion läuft die Forderung von Cilliers Breytenbach hinaus, daß „wir mit der nötigen methodischen Strenge unsere deskriptive Sprache nach dem Muster und auf der Grundlage der griechischen Texte gestalten“.99 Folgt man diesem Rat, dann läßt sich nur noch von Motiven wie ‚Sterben für + Sündenbegriff‘, ‚Sterben für + personalem Objekt‘, iJlavskesqai mit opferkultischem Kontext, katallavssein usw. reden, was die Verständigung zumindest über den Kreis der Fachexegeten hinaus extrem erschweren würde. Die Konsequenz wäre möglicherweise der Verlust der Anschlußfähigkeit der exegetischen Diskurse im Blick auf die übergreifende theologische Diskussion. Jede interpretierende Wissenschaft, nicht nur die Theologie, arbeitet mit Ordnungsbegriffen, die nicht oder nicht im gleichen Sinne in den von ihr interpretierten Quellen vorliegen. Dies kann den Begriff der Stellvertretung nicht disqualifizieren. Andererseits ist natürlich zu bedenken, daß das deutsche Abstraktum ‚Stellvertretung‘ auch in anderen Wissenschaftssprachen nur schwer Äquivalente besitzt – ‚representation‘ ist nicht wirklich äquivalent und ‚place-taking‘ auch im Englischen einigermaßen unelegant!

Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich m.E. eine doppelte Vorgehensweise: Exegetisch sind die jeweils vorliegenden Vorstellungsgehalte möglichst präzise zu beschreiben, gleichwohl sollte man nicht auf übergreifende Kategorien und Sinnzusammenhänge verzichten, und hier bietet das Motiv der Stellvertretung beträchtliche Möglichkeiten – wenn diese Kategorie so bestimmt wird, daß Raum bleibt für die vielfältigen Aspekte der einzelnen hier zuzuordnenden Texte. Die begriffsgeschichtlichen Untersuchungen von Stefan Schaede führen m.E. auch zur Überwindung einer allzu schroffen Trennung von exkludierender und inkludierender Stellvertretung,100 die sich wohl eher den dog-

auch den Beitrag von B. J ANOWSKI in diesem Band), die ihrerseits noch einmal auf ihre systematisch-theologischen Implikationen und Interessen zu hinterfragen wäre. Wenn es nur darum ginge, von einer ‚karfreitäglichen‘ Frömmigkeit hin zu einer stärkeren Orientierung an Jesu Leben und Wirken Jesu zu kommen, wäre dies sicher problematisch. 99 C. BREYTENBACH, ‚Christus starb für uns‘ (s. Anm. 68), 454. 100 Vgl. SCHAEDE, Stellvertretung (s. Anm. 7), 627: „Das Problem dieser Unterscheidung von exklusiver und inklusiver Stellvertretung besteht nun darin, daß es trivialerweise in der Eigenschaft jeder Stellvertretung liegt, exklusive und inklusive Momente miteinander zu verknüpfen. Denn es geht immer darum, daß die Existenz, das Tun oder Lassen einer vertretenden Instanz auf die Existenz, das Tun oder Lassen der vertretenen Instanz bezogen wird. Insofern nun die vertretene Instanz nicht selbst anwesend ist, agiert oder etwas an sich geschehen läßt, ist jede Stellvertretung exklusiv. Und insofern die Vollzüge der Stellvertretung sich auf die vertretene Instanz beziehen, ist sie inklusiv. Die Stellvertretung lebt von dieser Dialektik zwischen Inklusion und Exklusion.“

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matischen Diskussionen des 19. (und 20.) Jahrhunderts und den darin leitenden Interessen verdankt101 als den biblischen Texten: So will etwa Otfried Hofius – im Horizont des oben skizzierten Verständnisses von Sühne – allein die inkludierende Stellvertretung als ‚eigentlich‘ christliche verstehen102 und davon nicht nur den in Jes 53 vorliegenden Stellvertretungsgedanken (als ‚bloß‘ exkludierende Stellvertretung) abrücken,103 sondern auch die urchristlichen Formeln vom Sterben Christi ‚für‘ (bzw. ‚wegen‘) unsere(r) Sünden (1 Kor 15,3; Röm 4,25), die er – wenn man von ihrem Sinn im Kontext der paulinischen Texte absieht – noch im Rahmen dieses alttestamentlichen Stellvertretungsverständnisses und damit im ‚Vorhof‘ der vertieft theologischen Sünden- und Heilserkenntnis stehen sieht,104 die Hofius dann – mit Recht – für Paulus voraussetzt. Schroff entgegengesetzt ist die Forderung von Günter Röhser, auf den in der theologischen Diskussion vorherrschenden idealistischen Personbegriff zu verzichten, da dieser dem Verständnis der Phänomene in ihrem antiken Kontext nicht zuträglich sei.105 Daraus folgert Röhser allerdings, daß dort, wo von einer ‚inkludierenden‘ Stellvertretung die Rede sei – also z.B. in Röm 6 oder 2 Kor 5 – die Kategorie der Stellvertretung überhaupt nicht mehr gebraucht werden solle, da diese eben durch einen ‚exkludierenden‘ oder ‚substitutiven‘ Charakter bestimmt sei.106 Freilich wird diese definitorische Vorgabe bei Röhser weder durch eine eigene Analyse der älteren Begriffsgeschichte107 noch durch

101 „Sie wurde wohl vor allem deshalb eingeführt, um die traditionelle Lehrbildung der vicaria satisfactio pointiert als exklusive Stellvertretung herauszustellen und zu kritisieren“ (SCHAEDE, Stellvertretung [s. Anm. 7], 627). Vgl. G. WENZ, Geschichte der Versöhnungslehre (s. Anm. 2), 317ff.; W. P ANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 2), 475ff. Vgl. auch die Kritik an dem hinter der Rede von der ‚inkludierenden‘ Stellvertretung stehenden Personbegriff bei RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 8), 11ff. 29ff., 15; auch der Hinweis auf A. R ITSCHL, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung III: Die positive Entwickelung der Lehre, Bonn 21883, 439: „Die Stellvertretung durch Priester und Opfer hat überhaupt keinen exclusiven, sondern inclusiven Sinn.“ 102 H OFIUS, Gottesknechtslied (s. Anm. 73), 347–350, versteht das Christusgeschehen „als ein Geschehen ‚inkludierender‘, d. h. den Sünder selbst als Person einschließender und ihn in seinem Sein betreffender ‚Stellvertretung‘“ (347), dessen Wahrheit darin gründe, daß hier Gott selbst als Subjekt auftrete, wohingegen die Stellvertretung durch den Gottesknecht – als einen Menschen – theologisch „nicht nachvollziehbar“ sei. 103 H OFIUS, Gottesknechtslied (s. Anm. 73), 345–348; s. zur exegetischen Kritik J ANOWSKI, Stellvertretung (s. Anm. 8), 91 Anm. 95. 104 S. dazu H OFIUS, Gottesknechtslied (s. Anm. 73), 347: Es bestehe zumindest die Möglichkeit, „daß bestimmte Aussagen des vierten Gottesknechtsliedes zunächst relativ unreflektiert auf Jesus Christus bezogen worden seien“ (Hervorhebung J.F.). 105 Dieser Kritik ist beizupflichten, s. auch J ANOWSKI, Stellvertretung (s. Anm. 8), 132–134. 106 RÖHSER , Stellvertretung (s. Anm. 8), 29 und ff.; s. DERS., „Inklusive Stellvertretung“? Überlegungen am Beispiel von Röm 6 und 2 Kor 5, in: A. von Dobbeler u.a. (Hgg.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS K. Berger), Tübingen/Basel 2000, 237–253. 107 Diese hat in großer Breite SCHAEDE , Stellvertretung (s. Anm. 7), vorgelegt. Vgl. weiter MENKE, Stellvertretung (s. Anm. 7); GESTRICH, Christentum und Stellvertretung

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eine Phänomenologie des gemeinsprachlichen (juristischen, soziologischen usw.) Verständnisses gestützt,108 und angesichts der terminologischen Analysen von Schaede muß dieser Definitionsversuch als ein bloßes Postulat gelten, der den im Stellvertretungsbegriff vereinten Aspekten gerade nicht gerecht wird. Auch die neutestamentlichen Texte bieten keine Handhabe, scharf zwischen einem Sterben Jesu ‚anstelle von‘ uns Sündern und seinem Sterben ‚zu unseren Gunsten‘ / ‚zu unserem Heil‘ zu trennen. Ein Beleg wie 2 Kor 5,21, in dem in sehr tiefgründiger Weise ein ‚Platzwechsel‘ und damit ‚Stellvertretung‘ zwischen Sündern und dem Gerechten zur Sprache kommt, vereint gerade beide Aspekte.109

Es scheint daher traditionsgeschichtlich und sachlich angebracht, die – hinreichend weit gefaßte – Kategorie der Stellvertretung von der (kultischen) Sühne zu unterscheiden und in ihrem Rahmen die Aussagen vom Sterben Jesu ‚für unsere Sünden‘ bzw. (in der von Paulus favorisierten Form) ‚für uns‘ (bzw. uns zugut), zu erfassen, daneben kann ein Aspekt der Stellvertretung auch durch entsprechende Nomina wie ajntavllagma (Mk 8,37 par. Mt 16,26), luvtron (Mk 10,45) oder ajntivlutron (1 Tim 2,6)110 zur Sprache gebracht werden, und nicht zuletzt lassen sich narrative Strukturen wie etwa die ‚Rollen-‘ oder ‚Platzwechsel‘ in den johanneischen Szenen der Verhaftung Jesu (Joh 18,8), der Barabbas-Episode (Joh 18,39f.) oder der Lazarus-Erzählung (Joh 11,1–45) als ‚Inszenierungen‘ von Stellvertretung lesen.111 Andererseits begegnen in einzelnen Texten Modelle, die den Rahmen der Stellvertretungsvorstellung entscheidend modifizieren oder gar sprengen, so z.B. im Sinne der Partizipation in der Rede vom Mitgestorbensein in Röm 6,3–11 oder im Sinne einer VorbildBeziehung in der Rede von der Leidensnachfolge in 1 Petr 2,21f. Im Rahmen eines sinnvollerweise eher weit zu fassenden Stellvertretungsbegriffs ist dann für die je zu behandelnden Einzeltexte zu beschreiben, inwiefern sich in den Aussagen über Jesu Tod Stellvertretung ereignet, als Übernahme von Schuld oder Straftod, als Hingabe seiner selbst im Sinne einer ‚Ersatzleistung‘, als heiligende Sühne auf dem Horizont von Kultmetaphorik oder kultischem Denken, als ein coram Deo vollzogener Rollentausch, als Repräsentation, die die Repräsentierten einbezieht und an dem bezeichneten Geschehen partizipieren läßt usw. In dieser Weite kann (s. Anm. 8) (bei dem freilich die Gefahr besteht, daß die Vorstellung allzu weit und generell gefaßt wird). 108 Dazu s. die Anthologie bei JANOWSKI, Stellvertretung (s. Anm. 8), 97ff. 109 S. dazu FREY, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 45). 110 S. dazu K NÖPPLER, Sühne (s. Anm. 11), 143. 111 Vgl. J. FREY, Die theologia crucifixi des Johannesevangeliums, in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 169–238, 215–217; DERS., Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 45); s. auch KNÖPPLER, Die theologia crucis (s. Anm. 76), 215ff.; K. SCHOLTISSEK, Ironie und Rollenwechsel im Johannesevangelium, ZNW 89 (1998), 235–255. S. zum Stellvertretungsmotiv bei Johannes auch unten Abschnitt 7.

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die Kategorie der ‚Stellvertretung‘ als eine zentrale (und auch systematisch-theologisch fruchtbare) Kategorie der Interpretation des Todes Jesu (und vielleicht – davon abgeleitet – auch seiner ganzen Existenz)112 gelten, sofern man sie für die bei jedem einzelnen Text erforderlichen Präzisierungen offenhält. Diese Präzisierungen sind dann allerdings unabdingbar, wenn der Facettenreichtum der neutestamentlichen Deutungen des Todes Jesu zur Darstellung kommen soll.

4. Der legitimatorische Rekurs auf den ‚historischen Jesus‘ und seine Probleme Es verwundert nicht, daß in der soteriologischen Diskussion die Frage nach dem ‚historischen Jesus‘ und seiner ‚ureigenen‘ Todesdeutung eine wesentliche Rolle spielt. Damit verbinden sich freilich auch die methodischen und hermeneutischen Probleme, die mit der historischen Frage nach Jesus unablösbar verbunden sind.113 Problematisch ist es insbesondere, wenn versucht wird, die theologische Validität oder gar Zentralität einer Deutung durch den Rekurs auf den historischen Jesus zu erweisen – oder umgekehrt ihre Legitimität durch einen solchen Rekurs zu bestreiten. Strittig ist auch hier insbesondere wieder die Kategorie der ,Sühne‘. Während eine konservative historische Rekonstruktion, wie sie z.B. durch Peter Stuhlmacher vertreten wird, mit einem großen argumentativen Scharfsinn die als sachlich zentral erkannte Deutung des Todes Jesu als eines stellvertretenden Sühnetodes auf den ‚historischen Jesus‘ und dessen ureigene Interpretation seines Todes, als „Existenzstellvertretung für die Vielen“, zurückzuführen versucht,114 findet sich umgekehrt bei Werner Zager, dessen Bochumer Habilitationsvortrag darauf abzielte, Stuhlmachers Thesen zu bestreiten, das umgekehrte, hermeneutisch allerdings wenig umsichtig vorgetragene Argument, daß die Deutung des Todes als Sühnegeschehen deshalb theologisch nicht valide

112 Gegen die bei RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 8), vertretene Rede von der Stellvertretung in der „Gesamtexistenz“ Jesu (a.a.O., 90), ist festzustellen, daß die urchristliche Reflexion über die in Jesus Christus geschehende Stellvertretung beim Nachdenken über seinen Tod, sein Sterben ‚für unsere Sünden‘ usw. beginnt und hier ihr bleibendes Zen-trum hat. Die inkarnatorische Ausweitung der Stellvertretung auf den ganzen Weg Jesu ist demgegenüber ein sekundäres Phänomen. S. dazu auch FREY, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 45). 113 S. zu diesen Problemen J. FREY, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: J. Schröter/R. Brucker (Hgg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, BZNW 114, Berlin/New York 2002, 273–336. 114 Vgl. grundlegend STUHLMACHER , Existenzstellvertretung (s. Anm. 96), 27–42; DERS., Biblische Theologie I (s. Anm. 47), 40–161; DERS., Der messianische Gottesknecht, in: Ders., Biblische Theologie und Evangelium (s. Anm. 38), 119–140.

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sein könne, weil sie sich nicht auf das Selbstverständnis des irdischen Jesus zurückführen lasse.115

Es kann heute – anders als noch im Schatten der Exegese Rudolf Bultmanns – kein Zweifel mehr daran bestehen, daß im Rahmen einer theologischen Exegese des Neuen Testaments auch historisch nach der Gestalt Jesu gefragt werden muß. Dabei scheint mir – bei aller Vorsicht – einem konservativeren Gesamtbild der Wirksamkeit und Verkündigung Jesu historisch höhere Plausibilität zuzukommen116 als etwa der von Bultmann formulierten und vielfach variierten skeptischen Auskunft, daß „wir nicht wissen könnten, ob und wie der irdische Jesus sein Ende, seinen Tod verstanden hat“.117 In unserem Zusammenhang ist die Frage nach den möglichen jesuanischen Hintergründen für die Herausbildung und den inneren Zusammenhang der unterschiedlichen frühnachösterlichen Todesdeutungen aus historischen Gründen völlig unverzichtbar. Dennoch ist festzuhalten, daß die Argumentationsfigur der systematischen Legitimierung bzw. Delegitimierung theologischer Deutungsaspekte durch den Rekurs auf den ‚historischen‘ Jesus im Ganzen wenig tragfähig ist. Denn erstens ist aus diesen Rekonstruktionsversuchen prinzipiell keine Sicherheit zu gewinnen, und zweitens könnte eine soteriologische Deutung des Todes Jesu auch dann theologisch sachgemäß und tragfähig sein, wenn sie nicht schon vom irdischen Jesus vor bzw. in seiner Passion ausgesprochen wurde. Das neutestamentliche Kerygma basiert in vielen Aspekten auf solchen ‚rückblickend‘ formulierten Aspekten. Diese prägen nicht erst das vierte Evangelium, sondern natürlich schon die ältere frühchristliche Überlieferung, aber bei Johannes ist das Faktum (und die Notwendigkeit) dieser nachösterlich-rückblickenden Erkenntnisprozesse eigens reflektiert. Die Jünger „erinnerten sich“ (Joh 2,21f.; 12,12) und verstanden erst nach Ostern den eigentlichen Sinn der Worte und Taten Jesu und seines Geschicks. Es wäre historisch und theologisch gleichermaßen unangemessen, wollte man das Recht dieser Erkenntnisprozesse bestreiten und in dem – nur noch bruchstückhaft rekonstruierbaren – ‚historischen Jesus‘ das entscheidende Kriterium für die Legitimität christologischer oder soteriologischer Aussagen finden.

Die Rückfrage nach dem irdischen Jesus ist m.E. für ein plausibles historisches Verständnis der frühesten urchristlichen Deutungen seines Todes unverzichtbar. Wo man sie aus methodologischen oder aus theologischprinzipiellen Gründen völlig ausklammern wollte, würde man willkürlich 115 116

ZAGER, Wie kam es (s. Anm. 43), 165–186. Vgl. meine diesbezügliche Arbeit: J. FREY, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien (s. Anm. 113); weiter etwa M. HENGEL, Jesus der Messias Israels, in: Ders./A.M. Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie, WUNT 138, Tübingen 2001, 1–80; DERS., Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie, ebd., 81–131. 117 R. BULTMANN, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus (1960), in: Ders., Exegetica, Tübingen 1967, 445–469, 453.

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einen wesentlichen (und für die frühesten Zeugen sicher prägenden) Verständnishintergrund ignorieren und so notwendig zu einem unangemessenen Verständnis gelangen. In der Tat bietet die Jesusüberlieferung bei aller Vorsicht doch Aspekte, die als mögliche Ausgangspunkte für eine ‚ureigene‘ Todesdeutung gelten können, so das Tempellogion (Mk 14,58 parr.) und überhaupt Jesu Gang nach Jerusalem,118 das Lösegeldwort (Mk 10,45) sowie insbesondere die Überlieferung vom letzten Mahl und den in diesem Rahmen verankerten Handlungen und Worten (Mk 14,23f. parr.). Aber so wesentlich diese Rückfrage für ein angemessenes historisches Verständnis der ersten nachösterlichen Deutungen des Todes Jesu ist, so läßt sich aus ihr doch nicht über die theologische Angemessenheit der später formulierten Deutekategorien entscheiden. Weder der Nachweis des Ursprungs oder des Gebrauchs einer Vorstellung beim irdischen Jesus selbst noch der mögliche Nachweis einer traditionsgeschichtlichen Kontinuität bestimmter Deutungskategorien kann letztlich über deren sachlichtheologische Angemessenheit entscheiden.119 Die Diskussion um die ‚Authentizität‘ einzelner Logien oder Motive in der Jesustradition – so berechtigt diese auch ist – führt dann in eine Sackgasse, wenn man sie zugleich mit dem legitimatorischen Interesse belastet, daß in ihr über das theologische Recht einzelner Deutekategorien entschieden werden soll.

5. Die Sprachgestalt der soteriologischen Formeln und das Problem des Sprachübergangs Ein weiteres Grundproblem zeigt sich bei der Analyse der urchristlichen Formeln und Bekenntnisse wie z.B. 1 Kor 15,3–5. Hier gibt es bekanntlich die Diskussion, ob sich hinter diesen Formeln eine semitische Urgestalt vermuten läßt oder ob man annehmen muß, daß diese Aussagen erst in griechischer Sprache komponiert wurden. Mit dieser Sprachdiskussion verbindet sich die Frage, wo und wann nach Ostern erstmals über den Tod Jesu reflektiert wurde, wo also nachösterlich die soteriologische Deutung des Todes beginnt,120 und die Antwort auf diese Frage hat zudem oft religionsgeschichtliche und sachliche Implikationen. 118 Dazu s. zuletzt U. LUZ, Warum zog Jesus nach Jerusalem?, in: Schröter/Brucker (Hgg.), Der historische Jesus (s. Anm. 113), 409–428. 119 Allenfalls kann die Breite der Bezeugung eines Motivs darauf hinweisen, daß dieses von vielen urchristlichen Zeugen oder Zeugenkreisen als angemessen oder erhellend angesehen wurde. 120 Die Antwort auf diese Frage ist natürlich wesentlich dadurch beeinflußt, ob man bereits mit einer relevanten vorösterlichen Deutung des bevorstehenden Todes durch den irdischen Jesus rechnet. Im Horizont des letzten Mahles ist eine solche m.E. kaum zu

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So hat Joachim Jeremias für die von Paulus übernommene121 Paradosis in 1 Kor 15,3–5 eine Reihe von Indizien für einen semitischen Urtext aufgeführt, so die Struktur im synthetischen Parallelismus membrorum, das monotone vierfache o{ti, das Fehlen aller Partikeln außer kaiv, die Umschreibung des Gottesnamens durch das Passiv ejghvgertai, die aramäische Namensform Khfa`~, die Nachstellung der Ordinalzahl mit Artikel in th`/ hJmevra/ th` / trivth/, das w[fqh (statt ejfavnh), die Einführung des logischen Subjekts im Dativ (Khfa`/) statt mit uJpov + Gen., und ggf. die von der LXX unabhängige Bezugnahme auf Jes 53 – wenn man eine solche annimmt.122 Die dagegen vorgetragenen Einwände von Hans Conzelmann123 konnte Jeremias weithin entschärfen,124 freilich weist sein Zugeständnis, daß kata; ta;~ grafav~ ein hellenistisch-judenchristlicher Zusatz zu einer älteren Formel sein könne,125 auf das Problem hin, daß der vorliegende griechische Text von 1 Kor 15,3–5 sich nicht als eine exakte Übersetzung eines aramäischen Bekenntnisses erweisen läßt – was andererseits nicht ausschließt, daß einzelne Teile der Formulierung sehr wohl auf aramäische Wendungen zurückweisen könnten. Immerhin weist die Rede von der Erscheinung Jesu vor „Kephas“ (sowie evtl. auch den Zwölfen) auch sachlich auf die Jerusalemer Urgemeinde zurück.126

Die kontroverse Diskussion127 zeigt, daß ebenso wie bei der Jesustradition auch bei den frühen vorpaulinischen Formeln das Problem des Sprachübergangs zu berücksichtigen ist. Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die ersten Bekenntnisse zum Auferstandenen und vielleicht auch die ersten Deutungen seines Sterbens nicht in griechischer Sprache, sondern – wenn sie auf die Jerusalemer Urgemeinde zurückgehen – aramäisch formuliert (und dann vermutlich bald ins Griechische gebracht) wurden. Daß die älteste urchristliche Tradition auf einem aramäischen Substrat basiert, übersehen, auch wenn die Rekonstruktion der Deuteworte nicht eindeutig gelingen dürfte. Dennoch führt von den vorösterlich gegebenen Deutekategorien zu den nachösterlichen Deutungen kein bruchloser Weg. Erst a posteriori konnten diese Kategorien von den Osterzeugen aufgenommen und verarbeitet werden. S. zum Problem unten Abschnitt 9. 121 Dafür spricht eindeutig die hier und in 1 Kor 11,23 gewählte paralambavneinparadidovnai-Terminologie, außerdem natürlich die sprachliche Formung und eine Reihe unpaulinischer Wendungen, s. unter den Analysen dieser Formel zuerst A. SEEBERG, Der Katechismus der Urchristenheit, Leipzig 1903, 45ff.; zuletzt W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther IV: 1 Kor 15,1 – 16,24, EKK VII/4, Düsseldorf 2001, 18. 122 J. JEREMIAS, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 96f. 123 H. CONZELMANN, Zur Analyse der Bekenntnisformel I. Kor 15,3–5, EvTh 25 (1925), 1–11. 124 J. J EREMIAS, Artikelloses Cristov ~. Zur Ursprache von 1 Cor 15,3b–5, ZNW 57 (1966), 211–215; vgl. DERS., Abendmahlsworte (s. Anm. 122), 98. 125 J. J EREMIAS, a.a.O., 98. Vgl. auch DERS., pai`~ im Neuen Testament, in: Ders., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 191–216, 199, wo Jeremias zugesteht, er sei sich „nicht mehr sicher“, ob die Formel Übersetzung eines semitischen Urtextes sei. 126 So auch F. HAHN, Christologische Hoheitstitel, Göttingen 1963 (= 51995), 200. 127 S. eine Liste von Befürwortern einer palästinischen Herkunft der Formel bzw. einer Entstehung im Kontext hellenistisch-jüdischer Gemeinden bei FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 22f. Anm. 47.

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ist durch die bei Paulus noch als ‚Fremdwörter‘ zitierten Worte wie ‚Maranatha‘ (1 Kor 16,22 = Did 10,6) oder ‚Abba‘ (Gal 4,6; Röm 8,15)128 belegt. Freilich ist ein sicherer Nachweis für einen semitischen ‚Urtext‘ einzelner griechisch überlieferter Formeln kaum zu erbringen, weil auch die sogenannten Semitismen im Neuen Testament in der Regel keine im Griechischen völlig unmöglichen Sprachverwendungen darstellen, sondern meist nur aufgrund einer auffälligen Häufung bestimmter Phänomene vermutet werden können.129 Außerdem ist nur schwer zu unterscheiden zwischen jenen Semitismen, die auf tatsächlichen Übersetzungsvorgängen beruhen, und solchen, die lediglich einen Einfluß der Septuaginta-Sprache widerspiegeln.130 Umgekehrt wäre es sicher unangemessen, aufgrund der Schwierigkeiten eines exakten Nachweises semitischer Grundlagen generell anzunehmen, daß die Formulierung z.B. der Deutung des Todes Jesu „für unsere Sünden nach der Schrift“ erst in der hellenistischen Gemeinde oder gar außerhalb von Jerusalem und damit in einem deutlicheren Abstand vom ‚Urgeschehen‘ erfolgt sei.131 Eine derartige Folgerung würde aus der quellenmäßig und methodologisch begründeten Unsicherheit in methodisch unzulässiger Weise ein negatives Faktum machen. Die Diskussion erscheint inzwischen zumindest partiell dadurch entschärft, daß die Grundthese der religionsgeschichtlichen Schule, die mit einer Aufeinanderfolge mehrerer Stadien der urchristlichen ‚Entwicklung‘ – von der palästinisch-judenchristlichen Urgemeinde über die hellenistisch-judenchristliche bis hin zur hellenistisch-heidenchristlichen Gemeinde – rechnen wollte, historisch in sich zusammengebrochen ist.

128 129

Vgl. dazu H.-P. RÜGER, Art. Aramäisch II, TRE 3 (1978), 602–610. S. zum Problem der neutestamentlichen Semitismen und ihrer Interpretation die luzide Studie von G.H.R. HORSLEY, The Fiction of Jewish Greek, in: Ders. (Hg.), New Documents Illustrating Early Christianity V, Macquarie Univ. 1989, 5–40. 130 Mit Recht hat FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 3), 22, formuliert: „Es ist durchaus möglich, daß ein hellenistischer Judenchrist ein semitisierendes Griechisch schreibt, weil er in der semitischen Welt zu Hause ist, so daß seine Semitismen kein Beweis für aramäischen Ursprung seiner Ausführungen sind. Ebenso ist denkbar, daß der Übersetzer einer aramäischen Formel sich nicht sklavisch an den Wortlaut des Urtextes hält, sondern als hellenistischer Judenchrist mit der Welt der Septuaginta vertraut ist und er den Text so überträgt, wie er es für sachgerecht hält.“ 131 So die alte Vermutung der religionsgeschichtlichen Schule bei W. HEITMÜLLER, Zum Problem Paulus und Jesus, ZNW 13 (1912), 320–337, der argumentierte, „das dürftige Schema Tod, Begräbnis, Auferstehung als Hauptinhalt des Evangeliums“ könne nur entstanden sein „in einem Kreise, der von der geschichtlichen Wirklichkeit des Lebens Jesu mit seinem Reichtum weiter entfernt war als die jerusalemische Gemeinde“ (331). Auch W. B OUSSET, Kyrios Christos, FRLANT 4, Göttingen 21921, 76, wollte die Paradosis 1 Kor 15,3b–5 als eine heidenchristliche Tradition verstehen.

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Insbesondere die Arbeiten von Martin Hengel haben gezeigt, daß der hellenistische Einfluß in Palästina schon spätestens seit der Makkabäerzeit beträchtlich war132 und daß auch Jerusalem zur Zeit Jesu und des Paulus eine jüdische und hellenistische Stadt133 war, so daß die Gruppe der ‚Hellenisten‘ um Stephanus als ein wesentlicher und missionarisch besonders wirksamer Teil der frühesten Jerusalemer Gemeinde anzusehen ist, der zugleich noch in durchaus engem Kontakt zur aramäischsprachigen Gemeinde stand.134

Das bedeutet aber, ‚hellenistisch‘-judenchristliche Überlieferungen gehören keineswegs zwingend einer späteren Entwicklungsstufe an, sie können gleichermaßen in den Kreis der frühen Jerusalemer Zeugen und der frühesten, noch ‚vorpaulinischen‘ Mission zurückgehen. Dies hat erhebliche Konsequenzen für die religionsgeschichtliche Rekonstruktion der Entstehung der urchristlichen Christologie135 und auch für die Frage, wo und wie die urchristlichen Deutungen des Todes Jesu entstanden sein können. Wenn z.B. die vorpaulinische Sühnetradition in Röm 3,24f. sachlich durch ihren tempelkritischen Akzent als eine Überlieferung des hellenistischen Judenchristentums erscheint,136 dann liegt darin eine in griechischer Sprache formulierte Aussage vor, die gleichwohl in die palästinischen Auseinandersetzungen um die mögliche weitere Bedeu132

M. HENGEL, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 31988; DERS., Juden, Griechen und Barbaren. Aspekte der Hellenisierung des Judentums in vorchristlicher Zeit, SBS 76, Stuttgart 1976; DERS./C. MARKSCHIES, Das Problem der Hellenisierung Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus, in: Ders., Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, WUNT 90, Tübingen 1996, 1–90. 133 M. HENGEL, Jerusalem als jüdische und hellenistische Stadt, in: Ders., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, WUNT 109, Tübingen 1999, 115–156; DERS., Der vorchristliche Paulus, in: Ders., Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002, 68–192, 147–156. 134 M. H ENGEL, Zwischen Jesus und Paulus. Die ‚Hellenisten‘, die ‚Sieben‘ und Stephanus (Apg 6,1–15; 7,54–8,3), ZThK 72 (1975), 151–206; D ERS., Die Ursprünge der christlichen Mission, NTS 18 (1971/72), 15–38, s. dort 27: es ist „damit zu rechnen, daß einzelne Männer, die ursprünglich zu den ‚Hebraioi‘ in Jerusalem gehört haben, später zu den griechischsprechenden Avantgardisten überwechselten, so etwa Barnabas und Johannes Markus.“ Daß zwischen beiden Teilen der Jerusalemer Gemeinde enge Kontakte bestanden haben dürften, findet jetzt auch seinen Niederschlag bei F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments I, Tübingen 2002, 153 u.ö., wenn dieser – anders als noch in seinem Frühwerk (DERS., Christologische Hoheitstitel [s. Anm. 126], s. aber das Nachwort in der 5. Aufl. 1995, 446) – nun zwar noch zwischen der Verkündigung der aramäischsprachigen Urgemeinde (141ff.) und der der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden (161ff.) unterscheidet, aber zwischen beiden mit fließenden Übergängen rechnet (162). 135 Diese hat Martin Hengel selbst in kritischer Auseinandersetzung mit den Thesen der Religionsgeschichtlichen Schule vorgeführt, s. M. HENGEL, Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte, Tübingen 21977. S. zuletzt die neue Rekonstruktion der Geschichte der urchristlichen Christologie von L. HURTADO, Lord Jesus Christ, Grand Rapids 2003, die in wesentlichen Punkten auf den von Hengel und anderen gelegten Grundlagen basiert. 136 So eine Vielzahl von Interpreten, s. ausführlich W. KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991, bes. 229–234.

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tung des Tempelkults verweist und somit historisch in den Kontext der frühen Jerusalemer Gemeinde, in die Diskussion zwischen ‚Hebräern‘ und ‚Hellenisten‘ gehören dürfte und jedenfalls nicht weit vom semitischen Sprachbereich der aramäischen Urgemeinde abgerückt werden kann.

Solche Beobachtungen haben auch Konsequenzen für die Fragen nach einer angemessenen Methode der philologischen Interpretation. Die Tatsache, daß uns die urchristliche Literatur nur griechisch überliefert ist, hat manche Interpreten dazu veranlaßt, sich in ihren Analysen allein auf den Bereich der Gräzität zu beschränken und Vermutungen über hebräische und aramäische Äquivalente und die mit ihnen verbundenen Sprachtraditionen beiseite zu lassen, weil sich eine lexikalische Semantik und die Erschließung semantischer Felder nur so auf eine sichere Grundlage stellen läßt. Die Probleme, die sich mit dem Ansatz des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament verbinden, konnten eine solche Konsequenz nahelegen. In diesem Sinne hat z.B. Cilliers Breytenbach in seinen Arbeiten zu den Begriffen von „Versöhnung“ (katallavssein ktl.) und „Sühne“ (iJlavskesqai ktl.) ausschließlich die Verwendung der genannten Lexeme und ihrer Derivate im Griechischen untersucht.137 Die von ihm begründete traditionsgeschichtliche Differenzierung zwischen katallavssein und (ejx-)iJlavskesqai erfolgt dabei m.E. völlig zu Recht.138 Freilich zeigt auch seine Analyse des Lexems iJlavskesqai in der LXX, daß man schwerlich auf die Berücksichtigung der hebräischen Sprachverwendung von rpk verzichten kann.139 Dann aber sind nicht allein die biblischen Belege, sondern auch z.B. die aus dem QumranSchrifttum zu entnehmenden Parallelen und die ganze, mit diesem Lexem verbundene Traditionsentwicklung einzubeziehen.140 Dies gilt um so mehr, wenn man sich die Lückenhaftigkeit der Überlieferung verdeutlicht, in der uns manche Texte, die sicher in griechischer Sprache existierten (Henochtraditionen, Jubiläenbuch) und die zum Gesamtbild einzelner Motive und Vorstellungen wesentliche Elemente beizutragen hätten, aufgrund der Zufälle des überlieferungsgeschichtlichen Prozesses nicht mehr oder nur noch sehr fragmentarisch griechisch vorliegen. Diese kann man nicht ohne Verlust ausklammern.

Insofern wäre eine Beschränkung auf griechische Textzeugnisse, wie sie gelegentlich gefordert wird, dem gegebenen Überlieferungskomplex unangemessen, da damit eine präjudizierende Einschränkung des Blickwinkels verbunden wäre. Historische Angemessenheit ist angesichts der lückenhaften Überlieferung nur durch Berücksichtigung aller erreichbaren Quellen zu erreichen. 137

C. BREYTENBACH, Versöhnung, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989; DERS., Gnädigstimmen (s. Anm. 69). S. die methodischen Hinweise bei BREYTENBACH, Versöhnung, 41 mit Anm. 2 (wo auf die Diskussion um die Probleme des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament verwiesen wird); DERS., Gnädigstimmen, 217f. 138 Diese Differenzierung wird auch zustimmend referiert bei S TUHLMACHER , Biblische Theologie I (s. Anm. 47), 318, dessen Kritik (a.a.O., 319) erst bei der soteriologischen Interpretation von 2 Kor 5,18ff. ansetzt. 139 BREYTENBACH, Versöhnung, Stellvertretung und Sühne (s. Anm. 46), 90f.; D ERS., Gnädigstimmen (s. Anm. 69), 220f. 140 Darin bliebe die Arbeit von K NÖPPLER, Sühne (s. Anm. 11) im Recht, auch wenn der in ihr entwickelte Begriff der ‚Sühne‘ differenziert werden müßte.

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6. Religionsgeschichtliche Alternativen? Mit dem zuvor erörterten Problem verbinden sich auch religionsgeschichtliche Konsequenzen,141 und es hat bisweilen den Anschein, als würden die alten Kontroversen zwischen der ‚religionsgeschichtlichen Schule‘ und ihren Gegnern in den Fragen um die Herleitung der soteriologischen Deutemodelle in anachronistischer Weise erneut geführt. Dies zeigt sich an der Diskussion um das soteriologische Zentralmotiv des ‚Sterbens für‘. Steht auf der einen Seite die These einer biblisch-frühjüdischen Herleitung des Motivs aus alttestamentlichen Texten wie Jes 53 oder aus der Herrenmahlsüberlieferung, so verweisen andere Autoren nachdrücklich auf die zahlreichen paganen Belege für die Rede vom Sterben eines Menschen für die Polis, die Gesetze usw., und vermuten den Einfluß dieser Vorstellungen auf die neutestamentlichen Deutungen des Todes Jesu,142 evtl. vermittelt durch die hellenistisch-jüdische Märtyrervorstellung. Zuletzt hat Cilliers Breytenbach eine Herleitung der (vor)paulinischen Formeln über Jesu Sterben „für uns“ aus der hellenistischen Vorstellung vom ajpoqnhv/skein uJpe;r tinov~ vorgeschlagen und einen Bezug auf Jes 53 ausgeschlossen. 143 Die materialreiche Debatte läßt sich hier nicht ausbreiten. Sie berührt nicht allein philologische Fragen im engeren Sinne, etwa das Problem, wann eine Anspielung auf einen alttestamentlichen Text oder eine Rezeption desselben vorliegt, konkreter: wo im Neuen Testament mit dem Einfluß des Gottesknechtsliedes Jes 53 gerechnet werden und ob für die neutestamentlichen uJpevr-Formeln eine Reminiszenz an diesen Text deshalb ausgeschlossen werden kann, weil im LXX-Text dieses Kapitels nicht die Präposition uJpevr, sondern diav verwendet wird.144 Zu bedenken sind darüber hinaus Probleme der Wirkungsgeschichte dieses oft als ein ‚erratischer Block‘ im Alten Testament verstandenen Kapitels.145 Entscheidend ist allerdings die Beurteilung der paulinischen bzw. vorpauli141 142

S.o. Anm. 131. Wesentliche Impulse in dieser Richtung stammen von Klaus Wengst, S.K. Williams und dann v.a. von Martin Hengel: Vgl. K. W ENGST, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, Gütersloh 1972, 62–71; S.K. WILLIAMS, Jesus’ Death as Saving Event. The Background and Origin of a Concept, HDR 2, Missoula 1975; M. HENGEL, Der stellvertretende Sühnetod Jesu (s. Anm. 52); vgl. die ausführlichere Übersetzung: DERS., Atonement (s. Anm. 52). S. zur Sache die ausführliche Studie von HENK VERSNEL in diesem Band. 143 B REYTENBACH, ‚Christus starb für uns‘ (s. Anm. 68). Zu unpräzise ist die Darstellung bei RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 8), 63ff., dessen Urteil (a.a.O., 84) im übrigen stark durch die von ihm gewählte Definition von ‚Stellvertretung‘ bestimmt ist. 144 Vgl. Jes 53,5 LXX. Dieses Argument ist angesichts der fließenden Übergänge in der Verwendung dieser Präpositionen schon in der LXX kaum zwingend (s. zur Entsprechung von uJpevr + Gen. und diav + Akk. HOFIUS, Gottesknechtslied (s. Anm. 73), 340–360, 352f. Anm. 63. 145 Zur Wirkungsgeschichte von Jesaja 53 s. die Hinweise bei O.H. STECK, Gottesvolk und Gottesknecht in Jes 40–66, JBTh 7 (1992), 51–75; DERS., Die Gottesknechts-Texte und ihre redaktionelle Rezeption im Zweiten Jesaja, in: Ders., Gottesknecht und Zion, FAT 4, Tübingen 1992, 149–172; sowie ausführlich M. HENGEL, Zur Wirkungsgeschichte von Jes 53 in vorchristlicher Zeit, in: B. Janowski/P. Stuhlmacher (Hgg.), Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, FAT 14, Tübingen 1996,

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nischen Aussagen. 146 Hier ist der Sachverhalt zu beachten, daß Paulus, wo er selbst formuliert, die personale Rede vom Sterben bzw. der Hingabe Christi „für“ jemanden bevorzugt, während in den von ihm übernommenen Formeln vom Dahingegebensein „wegen unserer Übertretungen“ (Röm 4,25) bzw. vom Sterben „für unsere Sünden“ (1 Kor 15,3) die Rede ist. Dabei ist zumindest in der Formel Röm 4,25a.b ein Bezug auf Jes 53 kaum zu übersehen,147 so daß sich ein Einfluß von Jes 53 auf die frühe soteriologische Tradition kaum leugnen läßt, ganz abgesehen von der Frage, inwiefern die auch von Paulus übernommene Herrenmahlsparadosis mit den Worten vom Leib Jesu „für euch“ (1 Kor 11,23)148 auf die paulinischen Formulierungen Einfluß hatte. Eine rein hellenistische Herleitung der Rede vom ‚stellvertretenden‘ bzw. anderen zugut erfolgenden Sterben Christi läßt sich daher m.E. kaum plausibel machen, es sei denn, man könnte einen jesuanischen Einfluß, etwa durch die Abendmahlsworte, kategorisch ausschließen und die Formel Röm 4,25 ausklammern.149

Im Blick auf die Fragen der religionsgeschichtlichen Herleitungen scheint die schlichte Alternative zwischen einer rein alttestamentlich-jüdischen und einer hellenistischen Erklärung der Vorstellung eines ‚stellvertretenden‘ Sterbens letztlich in eine Sackgasse zu führen, weil das palästinische 49–91. Von einem ‚erratischen Block‘ sprach zuvor K. KOCH, Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit, in: Ders., Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze I, Neukirchen-Vluyn 1991, 184–205, 203. 146 S. dazu J. FREY, Die Deutung des Todes Jesu als Stellvertretung (s. Anm. 45). 147 Die Formulierung in Röm 4,25a (paredovqh diav + Sündenterminus im Akkusativ) nimmt exakt Jes 53,12 LXX auf, allein daß dort nicht paraptwvmata, sondern aJmartivai steht; Jes 53,5 LXX liest ebenfalls dia; ta;~ aJmartiva~ hJmw`n, so daß sich der Stichos wie eine Zusammenfassung von Jes 53,5.12 LXX liest. Das paredovqh bzw. parevdwken V. 6 LXX weicht vom hebräischen Text deutlich ab, und auch die Formulierung des Sündenbegriffs im Plural hat im masoretischen Text von Jes 53,12 keine Stütze. Der zweite Stichos der Formel Röm 4,25b besitzt keine so enge Parallele in Jes 53, aber das Lexem dikaiou`n begegnet in 53,11 LXX, so daß sich doch die Folgerung nahelegt, daß beide Stichoi in zusammenfassender Aufnahme von Jes 53 formuliert wurden. Ein Einfluß von Jes 53 auf Röm 4,25 (nicht auf 1 Kor 15,3) wurde auch bei BREYTENBACH, Versöhnung (s. Anm. 137), 210, und bei J. SCHRÖTER, Sterben für die Freunde. Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: A. von Dobbeler u.a. (Hgg.), Religionsgeschichte des NT (s. Anm. 106), 263–287, 281, gesehen. In seiner jüngsten Studie (,Christus starb für uns‘ [s. Anm. 68], 469f.) klammert BREYTENBACH allerdings Röm 4,25 weithin aus, um so die Sprachform ajpoqnh/vskein uJpevr + Sündenbegriff von der Wendung ajpoqnh/vskein uJpe;r tinov~ her verstehen zu können. 148 In der markinischen Fassung der Deuteworte ist die uJpevr -Formel mit dem Becherwort verbunden (Mk 14,24) in der Form uJpe;r pollw`n. Die Rede von den ‚Vielen‘ (µyBr') begegnet fünfmal in Jes 52,13 – 53,12, s. insbesondere Jes 53,11f. 149 B REYTENBACH, ,Christus starb für uns‘ (s. Anm. 68), reflektiert die Frage jesuanischer Einflüsse nicht weiter und interpretiert die Rede vom Sterben Christi ‚wegen unserer Sünden‘ als eine ‚depersonalisierte‘ Form des ursprünglicheren hellenistischen Gedankens (a.a.O., 473). Dabei wird jedoch m.E. der Aspekt, daß es hier inhaltlich um ‚Sünden‘/‚Übertretungen‘ geht, nicht hinreichend beachtet. Dieser Aspekt verweist in der Tat auf eine andere Tradition als auf die des hellenistischen ‚Sterbens für‘ jemanden.

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Judentum um die Zeitenwende längst unter hellenistischem Einfluß stand,150 so daß den alttestamentlich-jüdischen Konzepten natürlich zeitgenössische hellenistische Konzepte zur Seite treten konnten, wie 2 Makk deutlich zeigt.151 Doch auch die vieldiskutierten Aussagen über den Märtyrertod der sieben Brüder in 2 Makk 7 lassen sich nicht allein von der hellenistischen Vorstellung des ‚noble death‘ her deuten: Wenn der Tod der Märtyrer und das Leiden des Volkes nach 2 Makk 7,32 ein Leiden „für unsere (eigenen) Sünden“ ist, dann steht hier die alttestamentliche Tradition deutlich im Hintergrund.152 Nicht ausgesagt ist hier freilich eine ‚stellvertretende‘ oder gar ‚sühnende‘ Wirkung des Todes der Märtyrer für andere, vielmehr scheint die Abwendung des Zornes Gottes nach 2 Makk 7,38 eher in ihrer Fürbitte zu gründen153 (die als Fürbitte der Märtyrer besonderes Gewicht hat). So sehr also 2 Makk als Paradigma der Verbindung jüdischer und hellenistischer Traditionen gelten kann, bietet es für die ‚Herleitung‘ der Rede vom Sterben Jesu ‚für ...‘ mit Sündenbegriff (Röm 4,25; 1 Kor 15,3; vgl. Gal 1,4) keine unmittelbare Analogie. Daß einer wegen der Sünden anderer dahingegeben wurde, scheint in der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition eben doch nur in Jes 53 ausgesprochen, so daß sich die Frage erneut stellt, ob und inwiefern im frühen Urchristentum ein Rückgriff auf diesen Textkomplex so denkbar ist, daß dieser Überlieferungszusammenhang a posteriori das unbegreifliche Geschehen, daß ‚Christus starb‘, in einem positiven Sinn zu deuten erlaubte, und ob dieser Vorgang nicht letztlich doch angestoßen sein mußte durch Jesu eigene Rede von seiner ‚Dahingabe‘ (Mk 9,31*) bzw. von seiner Lebenshingabe ‚für viele‘ (Mk 14,24). Die pagan-hellenistischen Parallelen, nach denen ein Mensch ‚für‘ die Gesetze, die Polis oder einfach andere (d.h. ihnen zugut) stirbt, werden damit jedoch keineswegs unbedeutend. Auch wenn man einen solchen Horizont für den irdischen Jesus nicht annehmen kann und für die Formulierung der ältesten Aussagen von seinem Sterben „wegen unserer Sünden/Übertretungen“ (Röm 4,25) eher mit einem Rekurs auf Jes 53 zu rechnen hat, tragen diese Parallelen nicht unwesentlich bei zu dem Plausibilitätsrahmen, in dem die urchristliche Verkündigung von Jesu Tod ‚für‘ ‚die Vielen‘/‚uns‘ usw. von hellenistisch geprägten Adressaten verstanden und rezipiert werden konnte. Daß Paulus mit solchen Ideen selbst vertraut ist, zeigt er in Röm 5,7, und auch im vierten Evangelium klingen z.B. in Joh 15,13 solche Horizonte an. 150 So auch H.S. VERSNEL, Quid Athenis et Hierosolymis? Bemerkungen über die Herkunft von Aspekten des „effective death“, in: J.W. van Henten (Hg.), Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, StPB 38, Leiden 1989, 162–196, 192, in Übereinstimmung mit U. KELLERMANN, Zum traditionsgeschichtlichen Problem des stellvertretenden Sühnetodes in 2 Makk. 7,37f., BN 13 (1980), 63–83, 77. 151 Vgl. V ERSNEL, Quid Athenis (s. Anm. 150), 193, der freilich von „Einflüssen“ redet. Die realistische Vorstellung der Auferweckung der Märtyrer (2 Makk 7,10f.14.23. 29.36; 14,46) zeigt, daß 2 Makk keineswegs allein von hellenistischen Vorgaben her verstanden werden kann. 152 Die Hoffnung von 2 Makk 7,37f. bezieht sich auf Dtn 32,36 zurück (s. J.A. G OLDSTEIN, II Maccabees, AncB 41A, New York 1983, 317). Eine stellvertretende Wirkung des Todes der Märtyrer für die Sünden anderer oder zur Abwendung des Zornes Gottes ist allerdings nicht ausgesprochen. Lediglich die Fürbitte der Märtyrer hat nach 2 Makk 7,38 solche Wirkung. 153 S. dazu die Beiträge von H.S. VERSNEL und J.W. VAN HENTEN in diesem Band.

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Im Blick auf die skizzierten Diskurse scheint die Einsicht wesentlich, die sich in neueren Arbeiten über den Sinn religionsgeschichtlicher Arbeit am Neuen Testament abzeichnet, daß Parallelen nicht immer eine ‚genealogische‘ Erklärung im Sinne von ‚Abhängigkeiten‘ ermöglichen, wie sie v.a. die ‚Religionsgeschichtliche Schule‘ aufzeigen wollte. Oft lassen sich nur Analogien zu urchristlichen Vorstellungen und Phänomenen feststellen, die den Kontext für ihr Verständnis ausleuchten, ohne daß sich eine Herleitung im strengen Sinne konstruieren läßt.154 Provokante Fragestellungen wie die, ob die Rede von Jesus als dem Retter auf dem griechischen Motiv der Alkestis basiere,155 erinnern hingegen allzusehr an den alten ‚BabelBibel-Streit‘, als daß sie die Diskussion wirklich weiterführen könnten.

7. Die semantische Interpretation von Einzelformulierungen und die Rekonstruktion übergreifender Sinnzusammenhänge In der Interpretation der Deutung des Todes Jesu in einer einzelnen Schrift oder bei einem einzelnen Autor stellt sich stets das Problem der Gewichtung der einzelnen Aussagen und der zu diesen je einzeln zu erhebenden traditionsgeschichtlichen und semantischen Befunde. Zugleich stellt sich die Aufgabe, die gegebenenfalls unterschiedlichen Aspekte in einen sachlichen Zusammenhang zu bringen. Dabei kommt ein systematischkonstruktives Moment ins Spiel. Gegen ein solches Vorgehen wird eingewandt, daß dabei die Differenzierung zwischen den je unterschiedlichen Nuancen verlorengehen könne und eine harmonistische Sichtweise Regie führe. Methodisch sind wohl beide Aspekte zu verknüpfen: eine möglichst präzise traditionsgeschichtliche und semantische Analyse der jeweiligen Einzelaussagen und die Rekonstruktion eines Sinnzusammenhangs hinsichtlich der Art und Weise, in der eine Schrift oder ein Autor den Tod Jesu (oder auch andere Theologumena) vor Augen stellt. Strittig ist jedoch im einzelnen, welches Maß an Systematisierung noch als angemessen gel154 S. zur Auseinandersetzung mit dem ‚genealogischen‘ Programm der Religionsgeschichtlichen Schule G. SEELIG, Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart. Studien zur Geschichte und Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs in der neutestamentlichen Wissenschaft, ABG 7, Leipzig 2001, bes. 325–331. Vgl. zum Problem (an Paradigmen des Johannesevangeliums) auch J. FREY, Auf der Suche nach dem Kontext des vierten Evangeliums. Eine forschungsgeschichtliche Einführung, in: J. Frey/U. Schnelle (Hgg., unter Mitarb. v. J. Schlegel), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, WUNT 175, Tübingen 2004, 3–46, 33–35. 155 So bei H.S. VERSNEL, Jezus Soter – Neos Alkestis? Over de niet-joodse achtergrond van een christelijke doctrine, Lampas 22 (1989), 219–242; s. die ausführliche und modifizierte Diskussion in dem Beitrag von H. Versnel in diesem Band.

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ten kann und in welcher Weise die Einzelaussagen einander zugeordnet werden können. Schließlich stellt sich nicht selten das Problem, wie das Verhältnis zwischen übernommenen Traditionen und ‚eigenen‘, ggf. innovativen Interpretamenten eines Autors zu bestimmen ist. Das Paradigma, an dem sich wieder die Abhängigkeit von definitorischen Vorgaben besonders deutlich zeigt, ist die Frage nach dem Stellenwert des Sühnegedankens bei Paulus. Definiert man die Kategorie der Sühne so, daß man nur dann von ihr redet, wenn das Lexem iJlavskesqai ktl. begegnet, dann ist Röm 3,24f. die einzige explizite Sühneaussage bei Paulus.156 Fraglich ist allerdings, ob man – wie z.B. Ernst Käsemann – dieses kultische Sühnemotiv im Rahmen des paulinischen Denkens als eine bloß traditionelle, von Paulus zudem korrigierte Aussage ansehen darf, der daher nur sehr eingeschränkte Bedeutung im paulinischen Denken zukommt,157 ob man es als ein Element neben anderen im Gefüge der paulinischen Deutung des Todes Jesu ansieht, das Paulus zustimmend aufnimmt und dann durch andere Motive ergänzt und weiterführt,158 oder ob man die Sühneanschauung gar als die sachliche Grundlage ansieht, die es erst ermöglicht, daß Paulus dann selbst in Kategorien der Rechtfertigung und Versöhnung von Jesu Tod redet.159 Entscheidend ist hier, wie man das Verhältnis zwischen dem in Röm 3,25 rezipierten Sühnemotiv und den in den vorpaulinischen Aussagen über Jesu Sterben ‚wegen unseren Übertretungen/für unsere Sünden‘ (Röm 4,25; 1 Kor 15,3–5; Gal 1,4) bestimmt und nach welchem Modell das Verhältnis zwischen der von Paulus übernommenen Tradition und seinen eigenen Aussagen gesehen wird. Erst wenn diese Fragen exegetisch geklärt sind, läßt sich der Sinnzusammenhang der paulinischen Deutung des Todes Jesu rekonstruieren. Daß ein solcher zu rekonstruieren ist, leidet keinen Zweifel. Die Interpretation ist noch nicht hinreichend, wenn man die unterschiedlichen Aussagen nur unverbunden nebeneinanderstehen sieht.160

Als zweites Beispiel nenne ich eine Diskussion zwischen Jens Schröter und mir, die letztlich den Anstoß zur Planung des Berliner Rundgesprächs bot, das dem vorliegenden Band zugrunde liegt:161 156 So z.B. C. B REYTENBACH, Art. Sühne (s. Anm. 67), 1691. Auf der Basis einer weiteren Definition müßten andere Aussagen etwa über das ‚Blut‘ Jesu hinzugenommen werden. 157 Vgl. E. KÄSEMANN, Zum Verständnis von Römer 3,24–26, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960, 96–100; DERS., An die Römer, HNT 8a, Tübingen 31974, 93f. 158 So z.B. E. LOHSE , Die Gerechtigkeit Gottes in der paulinischen Theologie, in: Ders., Die Einheit des Neuen Testaments, Göttingen 1973, 209–227, 222; W. KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991, 184. 159 So P. STUHLMACHER , Zur neueren Exegese von Röm 3,24–26, in: Ders., Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen 1981, 117–135, 134f.; HOFIUS, Gottesknechtslied (s. Anm. 73), 355, der mit Recht darauf hinweist, daß im Kontext des Römerbriefs die Formel Röm 4,25 von der zuvor ausgeführten Sühneaussage von Röm 3,21–31 aus interpretiert werden muß. 160 Vgl. C. BREYTENBACH, Art. Sühne (s. Anm. 67), 1691, der diese Unverbundenheit „zumindest terminologisch“ feststellt. 161 S. dazu auch den Beitrag von JENS SCHRÖTER in diesem Band.

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Jens Schröter hat in einem bemerkenswerten Vorstoß die johanneischen Aussagen vom „Hingeben des Lebens für“ (tiqevnai/dou`nai th;n yuch;n uJpevr) ganz im Rahmen der griechischen Tradition vom ‚effective death‘ als „Sterben für die Freunde“ interpretiert und dabei aufgrund entsprechender Aussagen in Joh 10,11ff., 11,50–52 und 15,13 im vierten Evangelium lediglich den Gedanken der Unheil abwendenden, „die Gemeinschaft schützende[n] ... Tat“, nicht aber den der Stellvertretung oder gar der Sündenbeseitigung anerkannt.162 Ich selbst habe dieser These aus verschiedenen Gründen widersprochen.163 Dabei ist natürlich zuzugestehen, daß nicht jede uJpevr-Formulierung notwendigerweise das Motiv des stellvertretenden Sterbens zum Ausdruck bringt. Doch wäre es erstaunlich, wenn der vierte Evangelist diese Wendungen aus der urchristlichen, paulinischen und synoptischen Überlieferung nicht kennen würde.164 Dies gilt um so mehr, wenn auch der Erste Johannesbrief klar vom „Hingeben des Lebens für ...“ im soteriologischen Sinn spricht (1 Joh 3,16) und zudem in kultischen Begriffen von Christus als ‚Sühne‘ (iJlasmov~) „für unsere Sünden“ (peri; tw`n aJmartiw`n hJmw`n) bzw. sogar die „der ganzen Welt“ spricht (1 Joh 2,2; vgl. 4,10). Auf dem Hintergrund dieser eindeutigen Rezeption der urchristlichen Formelsprache in der johanneischen Schule wäre es außerordentlich verwunderlich, wenn der Autor des Evangeliums derartige Aussagen nicht kennen sollte.165 Schröter hat zutreffend gesehen, daß die johanneische Rede vom ‚Geben des Lebens‘ besonders in Joh 15,13 (vgl. 1 Joh 3,16), aber auch in Joh 10,11ff. Elemente hellenistischer Freundschaftsethik aufnimmt: Jesu Lebenshingabe ‚für‘ die Seinen ist eine „vorbildliche Liebestat“166 (vgl. Joh 13,1.34f.). Fraglich ist jedoch, ob sie nur dies ist, denn auch wenn in Joh 15,13 „isoliert betrachtet und rein formaliter nur von einem Sterben für die Freunde die Rede ist ..., ist der Gesamtzusammenhang der johanneischen Deutung des Todes Jesu wahrzunehmen“ und auch für Einzelaussagen wie Joh 15,13 zu berücksichtigen.167 Die Aussagen von Joh 15,1–17 sind auf dem Hintergrund der zahlreichen proleptischen Todesdeutungen im vierten Evangelium168 sowie im Kontext der Abschiedsreden auf dem Hintergrund der Fußwaschungserzählung Joh 13,1–17 zu lesen, die den Tod Jesu vorweg als heilsvermittelndes Geschehen deutet (Joh 13,6–11).169

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J. SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (s. Anm. 147), 270; auch den Beitrag von J. SCHRÖTER in diesem Band. 163 J. FREY, Die theologia crucifixi (s. Anm. 111), 197 Anm. 135f. u. 203 Anm. 160; vgl. DERS., Zur johanneischen Deutung des Todes Jesu, ThBeitr 32 (2001), 346–362. 164 S. dazu J. FREY, Das Johannesevangelium auf dem Hintergrund der älteren Evangelientradition, in: T. Söding (Hg.), Johannesevangelium – Mitte oder Rand des Kanons? Neue Standortbestimmungen, QD 203, Freiburg/Basel/Wien 2003, 60–118. 165 So die These von K. BERGER, Im Anfang war Johannes, Stuttgart 1997, 238, die SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (s. Anm. 147), 263, nur zurückhaltend zitiert. In der Tat spricht nichts für diese These, die bei Berger im Dienste einer Frühdatierung des Johannesevangeliums steht, die in der Forschung mit Recht kaum Anklang gefunden hat. 166 SCHRÖTER, a.a.O., 277. Zum Hintergrund der Freundschaftsethik s. auch K. SCHOLTISSEK, „Eine größere Liebe als diese hat niemand, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15,13). Die hellenistische Freundschaftsethik und das Johannesevangelium, in: Frey/Schnelle (Hgg.), Kontexte des Johannesevangeliums (s. Anm. 154), 413–440. 167 So mit Recht SCHOLTISSEK, a.a.O., 436. 168 Vgl. T. KNÖPPLER, Die theologia crucis (s. Anm. 76), passim; FREY, Die theologia crucifixi (s. Anm. 111), 191–200; SCHOLTISSEK, Eine größere Liebe (s. Anm. 166), 435f. 169 Vgl. SCHOLTISSEK, Eine größere Liebe (s. Anm. 166), 437.

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Auch die unterschiedlichen Aussagen, daß Jesus sein Leben „für (uJpevr) die Schafe“ (Joh 10,11.15; vgl. 10,17f.) bzw. „für seine Freunde“ (Joh 15,13) hingibt, „sein Fleisch“ (savrx) „für das Leben der Welt gibt“ (Joh 6,51c), sich „heiligt“ „für“ die Seinen (17,19) und – nach der Prophetie des Kaiaphas – „für das Volk“ bzw. zur Zusammenführung der zerstreuten Gotteskinder stirbt (11,51f.), bilden ein semantisches Netzwerk, in dem die Einzelaussagen sich gegenseitig erläutern. Dabei zeigt Joh 6,51 explizit die „Leben“, d.h. Heil vermittelnde Wirkung dieses Geschehens an,170 Joh 17,19 bringt mit dem Lexem aJgiavzein sogar einen opfertheologischen Akzent ins Spiel, und auch die Kaiaphasprophetie Joh 11,51 wird man im johanneischen Sinne keineswegs in dem Sinne verstehen dürfen, daß Jesu Sterben ‚anstelle des Volkes‘ von diesem Unheil abwendet.171 Das Wort wird eigens als Prophetie, d.h. ‚eigentlich‘ wahre Rede charakterisiert und in Joh 18,14 noch einmal auffällig in Erinnerung gerufen. Nach der Erläuterung des Evangelisten dient Jesu Sterben gerade dazu, „die zerstreuten Gotteskinder zur Einheit zu führen, d.h. die heilvolle Gemeinschaft der Seinen zu begründen. Auch wenn in dem Ausspruch nicht von Sündenbeseitigung die Rede ist, so wird man nicht übersehen dürfen, daß er gerade dem Hohenpriester in den Mund gelegt wird, der ex officio über die Gültigkeit von Opfern zu entscheiden hat. Schließlich steht die Perikope vom Todesbeschluß, in dem das Wort begegnet, unmittelbar vor der Lazarus-Erzählung, in der Jesu Gang in den Tod (vgl. Joh 11,16) unübersehbar mit der Vermittlung eschatologischen Lebens (Joh 11,25f.; vgl. 11,44) verbunden ist. Erst in diesem Zusammenhang ist das Kaiaphas-Wort hinreichend verstanden. In ähnlicher Weise ist auch für die Worte von der Lebenshingabe Jesu ‚für die Schafe‘ in Joh 10,11.15 der umgreifende Horizont zu beachten: Zwar ist auch hier nicht explizit von Sündenvergebung die Rede, sondern im Bildgehalt zunächst vom Schutz der ‚Schafe‘ vor Gefahr und von der Konstitution der ‚einen‘ Herde (Joh 10,16; vgl. 11,52),172 doch sollte man einen ‚stellvertretenden‘ Charakter des Lebenseinsatzes des ‚guten Hirten‘ nicht in Abrede stellen.173 Zu beachten ist weiter der meta-

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Auch diese Stelle ist nicht nur auf die „Menschwerdung des Offenbarers“ (SCHRÖTER , Sterben für die Freunde [s. Anm. 147], 287), sondern auf Jesu Tod zu beziehen. In sprachlicher Variation zu tiqevnai th;n yuchvn steht hier das Verbum didovnai (wie in der Herrenmahlstradition). Beachtet man den Kontext der johanneischen Brotrede und ihrer Metaphorik, dann kann man in Joh 6,51c eine Variation des Brotworts erkennen (in dem savrx anstelle von sw`ma steht). Die anschließende Rede vom ‚Kauen des Fleisches‘ und ‚Trinken des Blutes‘ bestätigt diesen Hintergrund. Die Verwendung des Lexems savrx, das hier wohl einen antidoketischen Akzent einbringt, darf nicht dazu verleiten, die Aussage unter Verweis auf Joh 1,14 lediglich auf die Inkarnation und damit das ganze Leben und Wirken Jesu zu beziehen – abgesehen davon, daß gerade bei Johannes Jesu Tod der Kulminationspunkt seines Wirkens ist, die Stunde, auf die alles hinzielt und in der seine Sendung und sein Werk vollendet ist (Joh 19,30). Die Interpretation der uJpevrAussagen bei SCHRÖTER funktioniert jedoch nur, wenn man Joh 6,51c von den ‚freundschaftsethischen‘ Worten abrückt. 171 S. zum subtil-ironischen Charakter dieser Aussage J. FREY, Heiden – Griechen – Gotteskinder, in: R. Feldmeier/U. Heckel (Hgg.), Die Heiden, WUNT 70, Tübingen 1994, 228–268, 238–243. 172 S. zu diesem Aspekt FREY, a.a.O., 245–249. 173 So zutreffend J ANOWSKI, „Hingabe“ oder „Opfer“? (s. Anm. 26), 40 Anm. 107; in Auseinandersetzung mit SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (s. Anm. 147), 278.

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phorische Horizont der gesamten Rede:174 Die Szene wird vom Evangelisten im Rahmen des ‚Tempelweihfestes‘ und im Tempelbezirk angesetzt (Joh 10,23), die ‚Schafe‘ werden vom guten Hirten aus der aujlhv – ein Terminus für den Tempelvorhof, in dem die Opfertiere zusammengetrieben wurden – hinausgetrieben und zum Leben geführt (Joh 10,4f.), während der ‚Dieb‘ sie ‚schlachtet‘ (quvein Joh 10,10). Die hier verwendete Opfermetaphorik zeigt, daß die Deutung der tiqevnai th;n yuchvn-Aussagen in Joh 10,11.15 im Sinne einer bloßen Schutzfunktion dem Textbefund nicht gerecht wird: Hier wird eine Gemeinschaft nicht nur geschützt, sondern allererst konstituiert (Joh 10,16), wobei der Lebenseinsatz des ‚guten Hirten‘ stellvertretend für die in Lebensgefahr befindlichen Schafe erfolgt, diese ‚rettet‘ (Joh 10,9) und ihnen das Leben eröffnet, während sie sonst ‚geschlachtet‘ oder gar ‚geopfert‘ würden (Joh 10,10). Es ist zutreffend, daß in diesem Kontext nicht explizit von einer Sündenbeseitigung die Rede ist, aber auch dies wird durch den weiteren johanneischen Kontext aufgefüllt, in dem die Rettung zum ‚Leben‘ nicht nur dem ‚Verlorensein‘ bzw. Verderben (ajpovllumi; vgl. Joh 10,10.28) und dem ‚Sterben in Sünden‘ (Joh 8,21.24) gegenübersteht und die Freiheit des ‚Lebens‘ der Sklaverei in Sünden kontrastiert (Joh 8,34.36). Explizit kommt die Rede von der sündentilgenden Wirkung des Todes Jesu im programmatischen Täuferzeugnis Joh 1,29 zur Sprache, das sicher nicht nur auf Jesu Leben und Wirken, sondern zugespitzt auf dessen Zielpunkt, seinen Tod zu beziehen ist.175 Im Täuferwort erfolgt eine subtile Verschmelzung von Bezügen auf den Gottesknecht, der „wie ein Lamm“ (wJ~ ajmnov~ Jes 53,7 LXX) stirbt und die Sünden der Vielen trägt (Jes 53,11 LXX; vgl. 53,4f.) und der Passalamm-Typologie, die sich in der johanneischen Passionschronologie und dann v.a. in dem rückblickenden Schriftzitat Joh 19,36 zeigt.176 Aber nicht nur das Motiv des Lammes verweist auf Jesu Sterbensszene, sondern auch das Motiv des Tragens, das (mit Jesus als Subjekt, aber dem Verbum bastavzein) wieder aufgenommen wird, wenn Jesus ‚sein Kreuz trägt‘ (Joh 19,17). Daß die Beseitigung der Sünden der ‚ganzen Welt‘ mit Jesu Tod verbunden ist, bestätigt wieder der erste Johannesbrief (1 Joh 2,2), wo dieses Geschehen explizit sühneterminologisch interpretiert wird. Die zu Beginn des Evangeliums programmatisch vorgestellte Todesdeutung bietet ihrerseits dann auch einen nicht zu vernachlässigenden Horizont für das Verständnis der Aussagen von Jesu Hingabe seines Lebens ‚für‘ die Schafe, die Freunde oder die Seinen, in der er deren Heil konstitutiv erwirkt.177

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S. dazu ausführlich R. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004, 392–396. 175 Anders SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (s. Anm. 147), 286, der nur einen „indirekten Bezug auf den Tod Jesu“ anerkennen will. 176 S. dazu J. FREY, Die johanneische Eschatologie II: Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998, 181–186; DERS., Die theologia crucifixi (s. Anm. 111), 209f. 177 Einen weiteren Hinweis auf den konstitutiven und unverwechselbaren Charakter des Todes Jesu gibt die Szene am Anfang der Abschiedsreden (Joh 13,36–38), in der Petrus nach der Ankündigung des ‚Weggehens‘ Jesu fragt: „Herr, warum kann ich dir jetzt nicht nachfolgen? Ich will mein Leben für dich hingeben“, was von diesem mit der tief ironischen Gegenfrage beantwortet wird: „Du willst dein Leben für mich hingeben?“, worauf dann durch Jesus der Verrat angesagt wird. Die hier vorliegende, für das Johannesevangelium kennzeichnende ironische Doppelbödigkeit der Darstellung macht deutlich, daß hier – in der Stunde Jesu – jede irdische ‚Nachfolge‘ endet und die Lebens-

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Methodisch folgt aus dem dargestellten Sachverhalt, daß die traditionsgeschichtliche Analyse einer Aussage wie Joh 15,13 zwar Wesentliches im Blick auf ihren Verstehenskontext austrägt und eine differenzierte Wahrnehmung sonst eventuell übersehener Aspekte ermöglicht, aber im Blick auf das im vierten Evangelium vorliegende Gesamtverständnis nicht verabsolutiert werden darf, da die unterschiedlichen Aussagen zur Deutung des Todes Jesu durch sprachliche, narrative oder metaphorische Verknüpfungen zu einem übergreifenden Netzwerk verbunden sind, das erst in seiner Gesamtheit ein zureichendes Verständnis erlaubt. Es kann daher nicht angehen, einzelne Aussagen aus diesem Gesamtbild herauszulösen, um dadurch bestimmte ‚Eigenheiten‘ schärfer herauszuarbeiten, wenn nicht letztlich ein einseitiges und unangemessenes Gesamtbild entstehen soll. Das heißt konkret, daß man auch eine Formulierung wie Joh 15,13, die – rein für sich – ganz im Kontext des „Noble Death“ im Griechentum gelesen werden kann (und von manchen johanneischen Lesern vielleicht durchaus wurde), im semantischen Netzwerk des gesamten Werks zu deuten hat, von dem sie ihren Sinn bekommt. Damit stellt sich noch einmal die hermeneutische Frage nach dem Verhältnis von traditionsgeschichtlich differenzierbaren Einzelaussagen178 und deren Synthese in einem zusammenhängenden Sinnsystem, dem für uns nur bruchstückhaft rekonstruierbaren Denken eines Autors und seiner Theologie. Die unabdingbare semantische und traditionsgeschichtliche Differenzierung von je unterschiedlich konnotierten Einzelaussagen darf die Frage nach dem Sinnzusammenhang der verschiedenen Deutemotive nicht aus dem Blick geraten lassen. Es geht über die exegetisch erreichbare Differenzierung hinaus stets auch um den interpretatorischen Zusammenhang, um ein Gesamtverständnis, das nicht zuletzt auch die ‚ersten Leser‘ einer neutestamentlichen Schrift im Vollzug ihrer Lektüre gewinnen mußten.

hingabe des Petrus ‚für Jesus‘ gerade keine menschliche Möglichkeit ist, während umgekehrt der Akt, in dem Jesus sein Leben ‚für‘ seine Freunde usw. hingibt, alle Möglichkeiten menschlichen Freundeshandelns übersteigt und ihm für die Existenz der Jünger nach Ostern (um die es in den Abschiedsreden letztlich geht) schlechthin konstitutive Bedeutung zukommt. S. zu dieser Passage auch J. FREY, Die johanneische Eschatologie III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 117, Tübingen 2000, 127f. 178 Bei Paulus: kultische Sühne, nichtkultisches Sterben „für unsere Sünden“, Sterben „für uns“, Dahingabe, Versöhnung, Rechtfertigung, Loskauf usw.; bei Johannes: Gottes Lamm, Tragen der Sünden der Welt, Hingabe der savrx für das Leben der Welt, Sterben, damit nicht das Volk zugrunde geht, Hingabe des Lebens für die Schafe bzw. die Freunde; Heiligung für die Seinen, Sterben als Unschuldiger, als König, als ‚der Mensch‘, Erfüllung der Schrift, Vollenden des Werkes usw.

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8. Zum Problem von Vielfalt und Einheit Freilich sind gerade hier die systematischen und systematisierenden ‚Vorgaben‘ der Exegeten besonders spürbar, und mit den Aspekten der Pluralität von Deutungen bzw. ihrer möglichen Kohärenz oder Einheit verbinden sich wesentliche Optionen.179 Während manche Interpreten der Pluralität der Interpretamente die Legitimation dafür entnehmen, einzelne Modelle zu priorisieren und andere zurückzustellen oder auch diese Pluralität im Interesse einer für die Gegenwart erstrebenswerten theologischen Pluralisierung nutzbar zu machen,180 versuchen andere auf der Basis historischer und traditionsgeschichtlicher Argumente eine Zentralperspektive zu entwickeln, aus der das Ganze der neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu verständlich wird. In der Regel spielt dabei der Sühnegedanke eine zentrale Rolle,181 und das dadurch entstehende kohärente Gesamtbild erscheint dann nicht selten als für die theologische Interpretation und kirchliche Verkündigung maßgeblich.

Folgt man der eingangs aufgestellten Forderung, die applikativen Interessen von der exegetischen Deskription und Interpretation nach Möglichkeit zu unterscheiden, dann wird man weder der Vielfalt noch der möglichen Einheit oder Kohärenz der Interpretamente einen derartigen Status zuerkennen können, zumal erkennbar ist, daß Ergebnisse auf beiden Seiten häufig durch definitorische Vorgaben beeinflußt sind. Exegetisch gilt es hingegen, die Frage nach möglichen Konvergenzen und Kohärenzen aufzunehmen, ohne die Vielfalt der neutestamentlichen Aussagen zu nivellieren. Historisch dürfte die Komplexität der Prozesse und die Pluralität der 179

In ihrer Besonnenheit weiterführend sind an dieser Stelle die Erwägungen von HAHN, Theologie des NT II (s. Anm. 46), 1–36.799–806, der die Frage nach der Einheit in der Vielgestaltigkeit des Zeugnisses als fundamentaltheologische Aufgabe der neutestamentlichen Interpretation versteht. S. auch DERS., Das Zeugnis des Neuen Testaments in seiner Vielfalt und Einheit, KuD 48 (2002), 240–260. 180 So etwa G. RÖHSER, Rez. T. Knöppler, Sühne im Neuen Testament (http://www. znt-online.de/roehser.html), der abschließend für eine „größere Trennschärfe zwischen Sühneaussagen auf der einen Seite sowie Sterbensformel, Hingabe-Aussagen, Loskaufund Lösegeld-Metapher, dem Bild des Lammes (Gottes) und Versöhnungsaussagen auf der anderen Seite“ plädiert und dies mit der Hoffnung verbindet: „Nur so gewinnen wir auch Spielräume für Verkündigung und Unterricht, die uns nicht von vornherein auf eine bestimmte Deutung oder gar vorrangig auf eine ‚karfreitägliche‘ Frömmigkeit festlegen.“ 181 So prononciert bei STUHLMACHER , Biblische Theologie I (s. Anm. 47); zuletzt DERS., Jesus Christus – für uns gekreuzigt und auferweckt, in: Ders., Biblische Theologie und Evangelium (s. Anm. 38), 302–316; Mit anderer Begründung auch O. HOFIUS, Art. Sühne (s. Anm. 70); H. MERKLEIN, Der Tod Jesu als stellvertretender Sühnetod. Entwicklung und Gehalt einer zentralen neutestamentlichen Aussage, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 181–191; DERS., Der Sühnetod Jesu nach dem Zeugnis des Neuen Testaments, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus II, WUNT 105, Tübingen 1998, 31–59.

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Deutungen ohnehin eher noch größer sein, als sich dies aus den erhaltenen Texten erkennen läßt. Im Blick auf ein anderes Feld der Theologiegeschichte, das zweite Jahrhundert, spricht Christoph Markschies von einem „‚Laboratorium‘, in dem verschiedene Gestalten von Theologie ... ausprobiert werden“.182 Vielleicht ist dies auch ein fruchtbares Bild im Blick auf die urchristliche Theologiegeschichte und die frühen nachösterlichen Interpretationen des Todes Jesu: Unterschiedliche Versuche wurden unternommen, dem Unbegreiflichen einen Sinn abzugewinnen; manche davon wurden weitergeführt, weil sie tragfähig erschienen, andere wurden preisgegeben. Einige Deutungen konnten weite Sinnräume eröffnen, andere Aspekte blieben daneben mehr oder weniger selbständig stehen, bis dann am ‚Ende‘ – falls man im Blick auf den Abschluß des Neuen Testaments von einem Ende sprechen kann – ein vielfältiges, aber doch intensiv vernetztes Sinngefüge vorlag. Als Katalysator eines solchen Prozesses erzeigte sich immer wieder die Schrift, in der sich Interpretamente fanden, die auf Christus zu beziehen waren. Zugleich dürfte – zumindest in der Frühzeit – die Erinnerung an Jesus und seine Botschaft, eventuell auch seine Deuteworte beim letzten Mahl, die Herausbildung nachösterlicher Interpretationen beeinflußt haben, ohne daß sich daraus eine allzu enge Normierung der möglichen Interpretamente ergäbe. Von einem Kampf um die Deutungen des Todes Jesu wissen wir zumindest aus der frühesten Zeit des Urchristentums nichts. Im Rahmen eines solchen Modells ist die Pluralität von Deutungsansätzen durchaus positiv als Beleg für einen intensiven Sinndeutungsprozeß zu werten – andererseits bietet sie nicht einfach einen Steinbruch, aus dem sich die Interpreten beliebig das eine oder andere heraussuchen könnten, sondern einen sich herauskristallisierenden Sinnkosmos, im dem – spätestens vom Ende her – historische und sachliche Bezüge sichtbar werden und in dem zwischen Grundlegendem und Randständigem unterschieden werden kann. Ein zweiter, m.E. fruchtbarer Impuls für die Diskussion ergibt sich aus der Einsicht in den metaphorischen Charakter eines Großteils der soteriologischen Interpretamente. Die Rede von Christus als iJlasthvrion oder als ,Passalamm‘183 oder von seinem Tod als ‚Opfer‘184 oder ,Loskauf‘185 haben metaphorischen Charakter. Metaphorische Konzepte können miteinander 182 C. M ARKSCHIES, Zwischen den Welten wandern. Strukturen des antiken Christentums, Frankfurt 1997, 46. 183 Dazu J. SCHRÖTER, Metaphorische Christologie. Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zugangs zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus, in: J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann (Hgg.), Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin/New York 2003, 53–73, 63–67. 184 S. dazu den Beitrag von RUBEN ZIMMERMANN in diesem Band. 185 Dazu SCHRÖTER , Metaphorische Christologie (s. Anm. 183), 67f.

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verschmelzen – wie etwa in Joh 1,29 die Konzepte des Gottesknechts und des Passalamms –, und im Rahmen einer Schrift wie z.B. des vierten Evangeliums noch weit umfassendere ‚Netzwerke‘ und Sinnhorizonte bilden, in denen Spannungen zwischen einzelnen Aspekten keineswegs ausgeschlossen sind, sondern ihrerseits neue, produktive Deutungsanreize bieten.186 Sie halten den Prozeß der Interpretation im Fluß und sperren sich zugleich der vorstellungsmäßigen, terminologischen oder dogmatischen ‚Festlegung‘. In diesem Rahmen läßt sich die Pluralität der Interpretamente in besonderer Weise würdigen, zugleich wird deutlich, daß das Interesse letztlich nicht der einen oder anderen fixierten Formulierung zu gelten hat, sondern dem Christusgeschehen selbst, das zu vielfältigen Interpretationen veranlaßt hat, die letztlich in seiner ‚Zuwendung‘ dieses Geschehens zu ‚uns‘, in dem Verständnis desselben als eines Handelns Gottes ‚uns zugut‘ kulminieren.

9. Das Faktum des Todes Jesu als Herausforderung zur Sinndeutung Damit stehen wir abschließend vor der Wahrnehmung, daß diesem Geschehen, das sich bis heute in vielfältiger Weise deuten läßt, eine eminent provokative Kraft zu eignen scheint. Das Faktum des Todes Jesu von Nazareth, seiner Kreuzigung, bot offenbar schon für die frühe urchristliche Reflexion eine fundamentale Herausforderung, und es dürfte gerade für einen historischen Zugang fruchtbar sein, bei dieser Aporie, dieser ‚SinnLeerstelle‘ anzusetzen, aus der die Vielfalt urchristlicher Interpretamente erst verständlich wird. Mochte Jesu Kreuzestod vielen seiner Zeitgenossen als unbedeutend oder gar als eine gerechtfertigte Konsequenz seines Auftretens erscheinen – für seine unmittelbaren Anhänger, die mit seiner Person zweifellos andere Hoffnungen und Erwartungen verbunden hatten (vgl. Lk 24,21), war er ein zunächst unbegreifliches Geschehen, eine Katastrophe, auf die sie offenbar keineswegs so vorbereitet waren, daß sie in der Lage gewesen wären, den Ereignissen standzuhalten. Das historisch kaum bezweifelbare Faktum der Jüngerflucht (Mk 14,50; vgl. Joh 16,32) und die nach der Gefangennahme Jesu bzw. seiner Kreuzigung erfolgte Rückkehr von Gliedern

186 S. dazu grundlegend R. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder (s. Anm. 174); DERS., „Du wirst noch Größeres sehen ...“ (Joh 1,50). Zur Ästhetik der Christusbilder im Johannesevangelium – eine Skizze, in: Frey/ Rohls/Zimmermann (Hgg.), Metaphorik und Christologie (s. Anm. 183), 93–110.

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des Jüngerkreises nach Galiläa187 zeigen deutlich, daß sich ein hinreichendes Verständnis des Todes Jesu offenbar nicht aus dem Wirken Jesu, seiner Verkündigung oder seiner Jüngerlehre gewinnen ließ. Dies rät zur Vorsicht gegenüber allen Versuchen, die nachösterlichen Deutungen allzu linear aus den Überlieferungen über die Worte und Taten des Irdischen abzuleiten. Die Anhänger Jesu waren in die Flucht getrieben und offenbar zutiefst enttäuscht dadurch, daß der, dessen Botschaft sie gehört, dessen Taten sie gesehen und mit dessen Wirken sie die Aufrichtung der Gottesherrschaft erhofft hatten, verhaftet, zum Tode verurteilt und gekreuzigt worden war. Eine Deutung, die ihnen diese Ereignisse und ihren Sinn hätte verständlich machen können, gab es anscheinend zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Weder die Worte Jesu selbst noch die Schrift oder die religiösen Traditionen Israels konnten ihnen in dieser Situation eine Erklärung bieten, die sie von der Flucht aus Jerusalem, von der Rückkehr in ihre galiläische Heimat und ihren früheren Beruf abgehalten hätte. Wenn man dennoch damit rechnet, daß der irdische Jesus seinen Zug nach Jerusalem bewußt angetreten188 und die dort möglicherweise bevorstehenden Ereignisse in irgendeiner Weise gedeutet hat, dann bedarf diese Diskrepanz einer Erklärung. Die neutestamentliche Tradition bietet hier den – historisch keineswegs unplausiblen – Hinweis auf das Unverständnis der vorösterlichen Anhänger Jesu.189 Die Jesuslogien, die am ehesten Anspruch erheben können, eine vorösterliche Deutung seines bevorstehenden Todes wiederzugeben, bleiben in ihrem Sinn kryptisch, wie z.B. das Logion von der (Todes-) Taufe Lk 12,50 (par. Mk 10,38)190 oder auch die ‚Deuteworte‘ im Kontext des letzten Mahls.191 Aus solchen Worten ließ sich kein Verständnis gewinnen, das den Anhängern 187 Diese wird nicht nur durch Mk 16,7 (par Mt 28,7), sondern auch durch Mt 28,16– 20 und die – allerdings schwer historisch auswertbare – Szene in Joh 21,1–14 gestützt. Gegenüber der markinischen Notiz ist Lk 24,6f. deutlich als sekundäre Abwandlung erkennbar. Vielleicht blieb Petrus noch länger in Jerusalem (vgl. Mk 14,53–72), aber das bleibt unsicher. In Anbetracht dessen, daß die Jünger mit Jesus als Passapilger nach Jerusalem gezogen waren, wäre eine Rückkehr in die Heimat das Normale. Daher formuliert J. GNILKA, Petrus und Paulus, Freiburg 2002, 72, zu Recht: „Nicht die Rückkehr der Jünger und des Petrus nach Galiläa bedarf einer besonderen Erklärung. Vielmehr muß ihr erneuter Zug nach Jerusalem durch ein außerordentliches Geschehnis ausgelöst worden sein.“ 188 Dazu s. zuletzt die Argumente U. LUZ, Warum zog Jesus (s. Anm. 118), 412–421. 189 Das ‚Jüngerunverständnis‘ im Markusevangelium wird seit William Wrede im Zusammenhang der von ihm angenommenen apologetischen Konstruktion des ‚Messiasgeheimnisses‘ diskutiert. Doch kann dieses nach heutiger Diskussionslage kaum mehr als ein einheitlicher Motivkomplex verstanden werden (s. F. FENDLER, Studien zum Markusevangelium. Zur Gattung, Chronologie, Messiasgeheimnistheorie und Überlieferung des zweiten Evangeliums, GTA 49, Göttingen 1991), und die Aussagen über das Unverständnis der vorösterlichen Jünger könnten durchaus einen Anhaltspunkt an der Zeit des irdischen Jesus haben. 190 Vgl. zur schwierigen Frage der Authentizität U. LUZ, Warum zog Jesus (s. Anm. 118), 422–425. 191 Auf die Frage des ursprünglichen Wortlauts ist in diesem Kontext nicht einzugehen. Vgl. zur Interpretation zuletzt C. NIEMAND, Jesu Abendmahl. Versuch zur historischen Rekonstruktion und theologischen Deutung, in: Ders. (Hg.), Forschungen zum

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Jesu in seiner Todesstunde bereits die Zuversicht eines ‚heilvollen Ausgangs‘ hätte vermitteln können. Die synoptischen Auferstehungsweissagungen 192 sind hingegen – ebenso wie die vorliegende Form der Leidensweissagungen193 – erst ex eventu formuliert.

Vor dem Hintergrund der Situation der Jünger Jesu angesichts seines Kreuzestodes erklärt es sich, „wieso die Osterereignisse für den Glauben und die Entstehung der Urgemeinde die zentrale und grundlegende Bedeutung bekamen“.194 Aber auch im Licht dieser Ereignisse, die hier nicht näher zu erörtern sind, bot das Faktum seines Todes die entscheidende Denkaufgabe, ja ein Rätsel. Denn durch die Osterereignisse wurde das Faktum dieses Todes Jesu gerade nicht entschärft, sondern eher noch verschärft. Die nachösterlich formelhafte Rede Cristo;~ ajpevqanen (1 Kor 15,3b) stellt diesen Kontrast deutlich vor Augen: Der, der starb, war nicht irgendein Verbrecher, sondern derjenige, an den sich ‚messianische‘ Erwartungen hefteten und der als Messiasprätendent gekreuzigt wurde. Daß dieser, den Gott nicht im Tode gelassen, sondern auferweckt und zum ‚Herrn‘ eingesetzt hat, in den Tod ‚dahingegeben‘ worden war (Röm 4,25), bedurfte um so mehr einer Erklärung. Wäre keine österliche Kunde erschollen, wären die Anhänger Jesu zumindest nach einiger Zeit wieder endgültig zur Tagesordnung zurückgekehrt. Einige hätten ihn vielleicht noch weiter verehrt, wie dies ja auch im Blick auf Johannes den Täufer geschah. Sie hätten Jesu Beseitigung auf finstere Ränke seiner Jerusalemer Gegner und die gottlose Justiz der römischen Besatzer zurückgeführt, aber der Kreis seiner Getreuen hätte sich nach und nach ausgedünnt, jedenfalls kaum signifikant ausgebreitet.

Neuen Testament und seiner Umwelt (FS A. Fuchs), Linzer philosophisch-theologische Beiträge 7, Frankfurt a.M. 2002, 81–122. 192 Die These von H.F. B AYER, Jesus’ Predictions of Vindication and Resurrection, WUNT II/20, Tübingen 1986, 241f., daß die Rede von der Auferweckung eines Propheten in Jesu Umwelt möglich war und daher kein Anlaß bestünde, die Auferstehungsweissagungen in der synoptischen Tradition für sekundäre Bildungen zu halten, ist logisch nicht zwingend, spiegelt ein deutlich apologetisches Interesse und scheitert insbesondere am Faktum der Jüngerflucht. Auch wenn man nach Mk 14,25 und m.E. auch 12,18–27 für die Verkündigung und das Verständnis des irdischen Jesus sehr wahrscheinlich mit dem Glauben an die (eschatologische) Auferweckung der Toten rechnen muß (dazu s. O. SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18–27 parr), BBB 66, Frankfurt a.M. 1987), spricht doch die markinische Gethsemaneüberlieferung (Mk 14,32–42) deutlich dagegen, daß der irdische Jesus seinen eigenen Tod bereits im Lichte dessen gesehen hat, was nachösterlich zum Inhalt der Verkündigung wurde: daß in der Auferweckung des Gekreuzigten die eschatologische Auferstehung der Toten schon begonnen habe. 193 Vielleicht mit Ausnahme einer Vorstufe von Mk 9,31, wo sich auch sprachlich (Wortspiel) ein geformter Spruch vermuten läßt, freilich ohne die abschließende Auferstehungsaussage und vielleicht auch ohne die Aussage von der Tötung. S. zum vormarkinischen Bestand der Leidens- und Auferstehungsansagen zuletzt A. WEIHS, Die Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium, fzb 99, Würzburg 2003, bes. 257ff. 194 B ARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 11), 9.

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Doch angesichts österlicher Erscheinungen, in der neuen Sammlung des Jüngerkreises, und in den Anfängen der urchristlichen Mission war es unausweichlich, darüber zu reflektieren und zu erklären, wie der Kreuzestod des nun von Gott von den Toten Auferweckten, des ‚Herrn‘, zu verstehen sei. Wie sollte man an einen glauben, der als gemeiner Verbrecher, ja – in jüdischen Kategorien – als Gesetzesbrecher und Verführer hingerichtet worden war und der für torakundige Juden als von Gott Verfluchter gelten mußte (Dtn 21,23; vgl. Gal 3,13)? Die urchristliche Mission, gerade im palästinisch-jüdischen Kontext in Jerusalem und Umgebung, setzte eine Antwort oder zumindest Antwortversuche auf diese Frage voraus. Deshalb müssen die Ansätze, das Rätsel des Todes Jesu zu deuten, historisch in die früheste nachösterliche Gemeinde zurückgehen und damit in den Kreis derer, die Jesus zuvor nachgefolgt waren.195 Es wäre schwerlich denkbar, daß sich solche Reflexionen erst in einem größeren Abstand vom Urgeschehen ereignet hätten. Die missionarische Verkündigung, wie sie von der Urgemeinde und v.a. den ‚Hellenisten‘ ausging, wäre gerade unter judäischen Juden, die um den Vorgang der Beseitigung und Kreuzigung Jesu noch wissen mußten, kaum möglich gewesen. Mag es auch Gründe geben, daß die früheste Gemeinde zuerst die Auferstehung Jesu bekenntnishaft formulierte, so ergab sich doch daraus unmittelbar die Notwendigkeit, seinen Tod zu deuten und zu erklären, so daß man letztlich kaum eine chronologische Einordnung der Bekenntnisse vornehmen kann: In der vorpaulinischen Formeltradition liegt beides nebeneinander und bereits in enger Verknüpfung vor (1 Kor 15,3–5), und die Versuche, solche Formulierungen aus sprachlichen oder sachlichen Gründen einer späteren, von der Urgemeinde unterschiedenen hellenistischen Gemeinde zuzuschreiben, kann man aufgrund der Arbeiten Martin Hengels ad acta legen.196 Chronologisch und sachlich läßt sich hier kaum mehr weiter differenzieren.

Es ist daher auch sehr schwer zu sagen, welchen Modellen der Todesdeutung die Priorität zukommt. Nach dem Schweigen des Entsetzens, das sicher die erste Reaktion der Anhänger Jesu prägte, ließen sich verschiedene Modelle herausbilden. Immer wieder wird dem in der Apostelgeschichte verwendeten Kontrastschema „ihr habt ihn getötet – Gott aber hat ihn auferweckt“ (Act 2,23f.; 3,13ff.; 4,10; 5,30; 10,39f.; 13,27ff.) ein besonders hohes Alter zugeschrieben,197 insbesondere deshalb, weil es Jesu

195 Die weitergehende Frage nach Ansätzen der Deutung in der Verkündigung und im Wirken des irdischen Jesus ist historisch ebenfalls von hier aus zu stellen, doch läßt sie sich in Anbetracht der Jüngerflucht und des bis in die Osterereignisse hinein bezeugten Unverständnisses der Jünger nur noch gebrochen beantworten. 196 Vgl. die o. Anm. 132–135 genannten Arbeiten. 197 So wieder L. SCHENKE, Die Urgemeinde. Geschichtliche und theologische Entwicklung, Stuttgart u.a. 1990, 24f.; vgl. DERS., Die Kontrastformel Apg 4,10b, BZ 26 (1982), 1–20. Vgl. zum Ganzen M. RESE, Die Aussagen über Jesu Tod und Auferstehung

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Tod sehr einfach und ‚noch‘ ohne soteriologische Implikationen thematisiert. Es könnte auf einen ‚Sitz im Leben‘ in der missionarischen Verkündigung gegenüber Juden zurückweisen und damit in einer frühen Zeit wurzeln, aber es ist nicht auszuschließen, daß diese Formulierung zu einem wesentlichen Teil auf Lukas zurückgeht und daher nicht gemäß seinem ‚noch‘ wenig ausgebildeten soteriologischen Aussagegehalt in einer vermeintlich ‚linearen‘ theologiegeschichtlichen Entwicklung ganz am Anfang einzuordnen ist. Ein anderer ‚Kandidat‘ für eine sehr frühe Todesdeutung ist das ‚dei` , d.h. der Hinweis auf eine von Gott her gesetzte Notwendigkeit des Todes Jesu, das sich in der ersten markinischen Leidensankündigung in Mk 8,31 und dann v.a. bei Lukas (Lk 17,25; 24,7. 44.46; Act 3,21; 17,3) und im Johannesevangelium (Joh 3,14; 12,34) findet. Diese sicher vormarkinische Aussage198 setzt – im Lichte der Auferweckung – voraus, daß Jesu Leiden und Sterben ein von Gott gewolltes und im Rahmen seines Heilsratschlusses gesetztes Geschehen ist, es ‚deutet‘ also den Tod Jesu im Glauben an Gottes Handeln an und in Jesus von Nazareth und setzt dabei voraus, daß dieses Geschehen in Übereinstimmung mit dem in der Schrift niedergelegten Willen Gottes steht199 – auch wenn konkrete Schriftstellen (noch) nicht genannt werden. Man könnte noch weitere Interpretamente nennen, für die ein relativ hohes Alter zu postulieren ist, etwa die Deutung des Todes Jesu nach dem alttestamentlichen Modell des von den ‚Gottlosen‘ verursachten Leidens des Gerechten,200 das sich für alle diejenigen, die wußten, daß die Anklage gegen Jesus fadenscheinig gewesen und seine Verurteilung zu Unrecht erfolgt war, in der Form des Gedankens nahelegen konnte, daß hier ein Unschuldiger den Tod erlitten hatte und von Gott – gemäß alttestamentlicher Aussagen – nicht in der Grube belassen, sondern rehabilitiert und erhöht wurde. Manche Interpreten halten dieses Interpretament, das die markinische Passionsgeschichte prägt und sehr wahrscheinlich auf die vormarkinischen Passionstraditionen zurückgeht,201 für die älteste Todesdeutung überhaupt,202 zumal zumindest sachliche Parallelen zu vorpaulinischen Traditionen bestehen könnten.203 Die historisch-genetische Frage nach den ältesten nachösterlichen Deutungen des Todes Jesu läßt sich allerdings kaum in dem Sinne beantworten, daß sich dabei eine ‚Entwicklung‘ von weniger zu stärker soteriologisch geprägten oder von weniger zu stärker

in der Apostelgeschichte – ältestes Kerygma oder lukanische Theologumena?, NTS 30 (1984), 335–353; B ARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 11), 24f. 198 S. zuletzt W EIHS, Deutung (s. Anm. 193), 242–248. 199 S. dazu B ARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 11), 26–28. 200 S. grundlegend E. SCHWEIZER, Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern, AThANT 28, Zürich 21962; L. RUPPERT, Der leidende Gerechte, fzb 5, Würzburg/Stuttgart 1972; DERS., Jesus als der leidende Gerechte? Der Weg Jesu im Lichte eines alt- und zwischentestamentlichen Motivs, SBS 59, Stuttgart 1972; K.T. KLEINKNECHT, Der leidende Gerechtfertigte, Die alttestamentlich-jüdische Tradition vom ‚leidenden Gerechten‘ und ihre Rezeption bei Paulus, WUNT II/13, Tübingen 21988; B ARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 11), 28–32. 201 S. dazu RUPPERT, Jesus (s. Anm. 200), 52ff.; R. P ESCH, Das Markusevangelium II, HThK II/2, Freiburg 1977, 13ff.; J. GNILKA, Das Evangelium nach Markus II, EKK II/2, Zürich u.a. 1979, 311 und die bei BARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 11), 32 Anm. 25 genannte Literatur. 202 So RUPPERT, Jesus (s. Anm. 200), 59. 203 Dazu s. KLEINKNECHT, Der leidende Gerechtfertigte (s. Anm. 200), 177ff.

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auf die Schrift bezogenen Aussagen ergeben könnte. Dies würde nämlich voraussetzen, daß am Anfang – und d.h. letztlich in der Verkündigung bzw. Jüngerlehre Jesu selbst – kein Bezug auf die Schrift und keine soteriologische Sinndeutung stehen könne. Eine solche Voraussetzung wäre jedoch ein letztlich nicht begründbares Postulat – freilich mit gravierenden sachlichen Konsequenzen. Geht man umgekehrt von der Annahme aus, daß im Wirken Jesu (seiner Verkündigung der eschatologischen Gottesherrschaft, seiner Hinwendung zu Sündern und Leidenden usw.) und in seinen Worten zumindest im Horizont seines Todes wenigstens Ansätze zu einer Deutung seines Sterbens als Dahingegebensein in das Todesgeschick (Mk 9,31*), als Lebenshingabe ‚für die Vielen‘ (Mk 14,24; vgl. 1 Kor 11,23) usw. vorlagen, dann ist damit zu rechnen, daß die früheste Gemeinde aufgrund der als Wiederannahme erfahrenen Osterereignisse und in der Erinnerung an Jesu Worte und sein Geschick ebenso ursprünglich zu einer Deutung seines Todes als Dahingegebensein „wegen unserer Sünden“ oder als Sterben „wegen unserer Sünden gemäß den Schriften“ gelangen konnte.

Historisch läßt sich die Frage nach dem einen Ursprung der soteriologischen Deutung des Todes Jesu wohl kaum eindeutig lösen. Die Pluralität der formulierten und im Neuen Testament nebeneinander belegten Interpretamente weist jedoch darauf hin, daß das Verständnis des Todes Jesu für das Urchristentum die entscheidende Herausforderung bot. Bemerkenswerterweise ist innerhalb des Neuen Testaments wenig von einem ‚Streit‘ zwischen den einzelnen frühen Deutungen zu erkennen – diese werden vielmehr in unterschiedlicher Weise aufgenommen, weiterentwickelt, kombiniert und in größere Erzähl- oder Interpretationszusammenhänge gestellt. Natürlich gab es im frühen Christentum auch die Zurückweisung oder Verdrängung einzelner Interpretamente,204 aber es ist doch zu fragen, inwiefern viele der in der Forschung aufgestellten Alternativen (von Gott verfügt / unerklärliches Geschick; soteriologisch / nicht soteriologisch; sühnewirksam / ohne den Sühnegedanken usw.) ihre Kraft nicht eher aus der neuzeitlichen Diskussion und der Infragestellung ‚klassischer‘ Interpretationsmodelle gewinnen als aus den neutestamentlichen Texten.205 Die Verarbeitung unterschiedlicher Motive der Deutung des Todes Jesu bei Markus oder auch in den paulinischen und johanneischen Texten deutet darauf hin, daß diese Motive von den urchristlichen Tradenten und Autoren eher akkumulativ als alternativ gebraucht wurden. Dies entspräche der für das antike Denken immer wieder festgestellten ‚Aspekthaftigkeit‘ bzw.

204

So z.B. im Thomasevangelium, s. dazu den Beitrag von E NNO EDZARD P OPKES in diesem Band. 205 Ich habe in einer früheren Arbeit ähnliche Phänomene im Blick auf die Interpretation der neutestamentlichen Eschatologie beobachtet; s. J. FREY, Die johanneische Eschatologie I: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus, WUNT 96, Tübingen 1997, 407ff. (dort im Blick auf Kategorien wie präsentisch/futurisch; individuell/kollektiv u.a.).

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der „Vielfalt der Annäherungsweisen“,206 die wohl ebenso wie für die Christologie auch für das soteriologische Denken des Urchristentums in Rechnung zu stellen ist. Hier dürfte auch der Grund dafür liegen, daß eine einseitige Favorisierung einer bestimmten Kategorie der Deutung des Todes Jesu sowohl historisch als auch systematisch kaum begründbar ist. Der Sinnkosmos der unterschiedlichen Deutungen ist komplexer, er ermöglicht sachliche Bezüge und Verbindungen, die die aufgrund sprachlicher Merkmale möglichen traditionsgeschichtlichen und semantischen Distinktionen übersteigen, und gerade die Metaphorizität wesentlicher Interpretamente bietet das Potential für eine – in nachneutestamentlicher Zeit intensiv fortgesetzte207 – Geschichte der Sinndeutung, die ihrerseits wieder zurückweist auf das offenbar unerschöpfliche Potential des Geschehens des Todes Jesu, der bis in die Gegenwart zu deuten und zu denken gibt.

206 So M. HENGEL, Der Sohn Gottes, Tübingen 21977, 90; D ERS., Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch. Mit einem Beitrag zur Apokalypse von Jörg Frey, WUNT 67, Tübingen 1994, 194.266. Hengel bezieht sich dabei auf altorientalistische und ägyptologische Arbeiten zum mythischen Denken: H. & H.A. FRANKFORT, Einführung, in: H. Frankfort u.a., Alter Orient – Mythos und Wirklichkeit, UB 9, Stuttgart u.a. 21981, 17ff.; E. BRUNNER -TRAUT, Frühformen des Erkennens. Am Beispiel Altägyptens, Darmstadt 21992, 1ff.120ff.171ff. 207 S. den Beitrag von W INRICH A. LÖHR in diesem Band.

Sühne, Stellvertretung und Opfer Zur Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu Jens Schröter

I. Das Verständnis des Todes Jesu gehört zu denjenigen Themen christlicher Theologie, bei denen sich die Notwendigkeit eines die Einzeldisziplinen übergreifenden Diskurses geradezu aufdrängt. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Die Überzeugung, Gott habe sich in Jesus Christus offenbart, muß sich daran, wie dessen Tod theologisch bewältigt wird, in besonderer Weise bewähren. Die Herausforderung, die sich damit für den christlichen Glauben stellt, wird bereits daran deutlich, daß der gewaltsame Tod desjenigen, der als Messias, Sohn Gottes und zur Rechten Gottes sitzender Herr verehrt wurde, von Beginn an gegen jüdische und heidnische Einwendungen verteidigt werden mußte, für die die Verehrung eines Gekreuzigten eine Provokation oder schlicht eine Dummheit darstellte.1 Wollten die frühen Christen trotz der Hinrichtung Jesu an der Nachfolge und dem Bekenntnis zu ihm festhalten, mußte das Ereignis seines Todes in diejenige Wirklichkeitssicht integriert werden, die den Glauben an Jesus Christus zu ihrem Zentrum hat. Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens gründet deshalb – daran hat sich seither nichts geändert – zu einem wichtigen Teil auf den Sinngebungen, die sich mit diesem Tod verbinden: Den Tod Jesu als ein Ereignis verständlich zu machen, welches das Bekenntnis zu ihm nicht in Frage stellt, sondern vielmehr selbst einen wichtigen Teil dieses Bekenntnisses darstellt, ist unabdingbar für die Plausibilität der christlichen Deutung der Wirklichkeit. Die Möglichkeiten, diesen Tod zu verstehen, sind dabei stets gebunden an die jeweiligen Verstehensvoraussetzungen, die sich in der Sprache widerspiegeln. Sie sind deshalb zugleich einem Prozeß der mit dem Wechsel von Denk- und Ausdrucksformen einhergehenden Modifikation der

1 Der locus classicus hierfür ist 1 Kor 1,23, wo Paulus die Polemiken, die die Botschaft des gekreuzigten Christus auf sich zog, mit den Begriffen skavndalon und mwriva durchaus zutreffend charakterisieren dürfte.

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Zugänge zu diesem Ereignis unterworfen. Die Übersetzungen urchristlicher Deutungsmodelle in andere Sprachen und Vorstellungszusammenhänge verlangt daher nach neuen Beschreibungssprachen, mittels derer die urchristlichen Vorstellungen adaptiert werden können. Zur Verhältnisbestimmung von Sprache und Denken, die im folgenden vorausgesetzt wird, verweise ich auf ein frühes Fragment von Wilhelm von Humboldt, in dem eben diese Thematik verhandelt wird und das von seinem Herausgeber Albert Leitzmann mit dem Titel „Über Denken und Sprechen“ versehen wurde.2 Für unsere Frage von besonderer Bedeutung sind die Thesen 6 und 7 der 16 von Humboldt formulierten Thesen, die darum hier angeführt seien: „6. Die sinnliche Bezeichnung der Einheiten nun, zu welchen gewisse Portionen des Denkens vereinigt werden, um als Theile andern Theilen eines grösseren Ganzen, als Objecte dem Subjecte gegenübergestellt zu werden, heisst im weitesten Verstande des Wortes: Sprache. 7. Die Sprache beginnt daher unmittelbar und sogleich mit dem ersten Act der Reflexion, und so wie der Mensch aus der Dumpfheit der Begierde, in welcher das Subject das Object verschlingt, zum Selbstbewusstseyn erwacht, so ist auch das Wort da – gleichsam der erste Anstoss, den sich der Mensch selbst giebt, plötzlich still zu stehen, sich umzusehen und zu orientiren.“ Der Kern von Humboldts Auffassung, die er in einer späteren Untersuchung ausgebaut und präzisiert hat,3 ist, daß Sprache und Denken untrennbar miteinander verbunden sind, Denken also der Sprache als desjenigen Organs bedarf, durch das es erst zur Deutlichkeit gelangt. Sprache ist nicht ein dem Denken nachträgliches Instrument, das Erkannte darzustellen, sondern für den Erkenntnisprozeß selbst unverzichtbar. Nehmen wir Humboldts Sprachauffassung dahingehend auf, daß Wirklichkeit durch den unauflöslichen Zusammenhang von Denken und Sprache erkannt und geordnet wird, dann bedeutet dies im Blick auf die folgenden Überlegungen, daß mit den zur Deutung des Todes Jesu verwandten Kategorien jeweils eine bestimmte Interpretation des urchristlichen Befundes vorgenommen wird, der diesen unter veränderten Verstehensvoraussetzungen und in anderen Sprachen systematisiert.

Ist die Verwendung analytischer Begrifflichkeit unverzichtbar, um den Gehalt der zu interpretierenden Texte unter den jeweils geltenden Verstehensvoraussetzungen zu erheben, stellt sich für die exegetische Arbeit an den urchristlichen Texten die Frage, wie sich der quellensprachliche Befund so in deutende Kategorien überführen läßt, daß seine Substanz und seine Differenziertheit gewahrt bleiben. Dabei muß bewußt bleiben, daß es sich bei diesen Kategorien um Interpretationsmodelle handelt, die den

2

W. VON HUMBOLDT, Über Denken und Sprechen, in: Ders., Werke in fünf Bänden, A. Flitner/K. Giel (Hgg.), V, Stuttgart 1981, 97–99. Vgl. hierzu auch H. GIPPER, Sprache und Denken in der Sicht Wilhelm von Humboldts, in: R. Hoberg (Hg.), Sprache und Bildung. Beiträge zum 150. Todestag Wilhelm von Humboldts, Darmstadt 1987, 53–85. 3 W. VON H UMBOLDT, Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung, in: Ders., Werke in fünf Bänden, III, Stuttgart 1963, 1–25.

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quellensprachlichen Befund mit Termini und Vorstellungen deuten, die nicht den interpretierten Texten selbst entstammen und deshalb auch nicht den Autoren dieser Texte zugeschrieben werden dürfen. Mit der Verwendung derartiger Kategorien geht also unweigerlich eine semantische Verschiebung des quellensprachlichen Befundes einher, der diesen den jeweils geltenden Verstehensvoraussetzungen zugänglich macht. Dieses Phänomen wird an denjenigen Kategorien besonders augenfällig, die sowohl in exegetischen wie in systematischen Darstellungen als grundlegend für die Explikation des biblischen Befundes betrachtet werden, nämlich den Interpretamenten Sühne, Stellvertretung und Opfer.4 Diese Deutungskategorien spielen sowohl in exegetisch-historischen wie auch in systematisch-theologischen Untersuchungen eine wichtige Rolle, was dazu herausfordert, ihre Verwendung etwas näher in Augenschein zu nehmen. Auszugehen ist hierbei zunächst von einer allen urchristlichen Texten zugrunde liegenden Überzeugung, daß nämlich die Auferweckung bzw. Erhöhung Jesu die Voraussetzung dafür darstellt, seinem Tod positive Bedeutungen zuzuschreiben. Dies läßt sich anhand der urchristlichen Bekenntnisbildung unschwer demonstrieren. Eine der zentralen urchristlichen Gottesprädikationen lautet: Gott ist der, der Jesus von den Toten auferweckt hat.5 Die zentrale Bedeutung dieser Aussage für die Entstehung des urchristlichen Glaubens zeigt sich u.a. daran, daß die Auferweckung Jesu als Prolepse der Auferstehung der Glaubenden verstanden werden kann.6 Wie Röm 10,9 zeigt, gehört das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu zudem zu den konstitutiven Bestandteilen des urchristlichen Bekenntnisses und steht mit derjenigen von Jesus als erhöhtem kuvrio" in unmittelbarem Zusammenhang: Das Bekenntnis kuvrio" ÆIhsou'" sowie der Glaube, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat, werden als Voraussetzungen für die endzeitliche Rettung benannt. Christlicher Glaube bestimmt sich diesen Aussagen zufolge also von der Auferweckung Jesu her, durch die Gott seine Macht über Leben und Tod demonstriert und sich damit in besonderer Weise als Schöpfergott erwiesen hat.7

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Diese Interpretamente wurden ausgewählt, um das methodische Problem, um das es in diesen Ausführungen geht, anhand signifikanter Beispiele zu illustrieren. Für andere Deutungskategorien treffen die Überlegungen in analoger Weise zu. 5 So z.B. 1 Thess 1,10; Gal 1,1; Röm 4,24; Kol 2,12; Eph 1,20; 1 Petr 1,21. Eine eigene Ausprägung findet sich in den „Kontrastaussagen“ der Apostelgeschichte: Act 2,23f.; 3,15; 4,10; 5,30; 10,39f. Hier wird die Auferweckungsaussage jeweils der Tötung Jesu durch die Juden kontrastiert: Ihr habt ihn getötet – Gott hat ihn auferweckt. 6 Dies ist vor allem bei Paulus der Fall: 1 Kor 6,14; 2 Kor 4,14; Röm 8,11 sowie 1 Kor 15,20. 7 Vgl. Röm 4,17 in Verbindung mit V. 24: Die Macht Gottes über Leben und Tod wird in der Auferweckung Jesu in besonderer Weise manifest.

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Diese alttestamentliche und frühjüdische Aussagen über Gott als Schöpfer aufgreifende Überzeugung8 impliziert in christologischer Hinsicht zweierlei: Mit ihr wird zum einen der Anspruch Jesu, im Namen Gottes zu wirken und dessen Herrschaft aufzurichten, ins Recht gesetzt; des weiteren bildet sie die Grundlage dafür, den Tod Jesu als ein Ereignis mit positiven Wirkungen aufzufassen und ihn als Heilstod zugunsten anderer zu verstehen. Bei Deutungen des Todes Jesu handelt es sich also um Sinngebungen eines Geschehens, die das Handeln Gottes in Jesus Christus, einschließlich seiner Auferweckung, immer schon voraussetzen. Nur aus dieser Perspektive, nicht aus dem Ereignis des Todes Jesu an sich, ist es deshalb auch möglich, diesem Tod positive Bedeutungen zuzuschreiben und ihn als ein Heilsereignis zu verstehen.9 Hieraus folgt ein weiteres: Trifft die These zu, daß die dem christlichen Glauben eigene Wirklichkeitssicht mit den Sinngebungen des Todes Jesu konstitutiv verbunden ist, dann stellen diese zugleich ein zentrales Element derjenigen Perspektive dar, die christliche Theologie in den Diskurs über die Deutung der Wirklichkeit – gegenwärtig etwa in das Gespräch mit Philosophie und Geschichtswissenschaft – einzubringen hat. Auch dies läßt sich bereits in den antiken christlichen Zeugnissen wahrnehmen. Die Behauptung, Gott habe sich in einem Menschen offenbart, der am Kreuz gestorben ist, wurde bereits von Paulus dagegen verteidigt, es handle sich um ein skavndalon oder eine mwriva.10 Daß Paulus damit die Situation, innerhalb derer das entstehende Christentum seine Überzeugung im Gegenüber zu Judentum und Heidentum formulierte, zutreffend beschreibt, zeigen jüdischerseits die von Justin im Dialog mit Trypho sowie bei Tertullian erwähnten, auf Dtn 21,23 rekurrierenden jüdischen Einwendungen gegen einen gekreuzigten Messias;11 heidnischerseits die Äußerungen von Minucius Felix und Lukian über die Torheit der einen Gekreuzigten anbetenden Christen sowie das Spottcrucifix vom Palatin, auf dem Alexamenos einen gekreuzigten Esel anbetet.12 Derartige Polemiken sind insofern nicht erstaunlich, als die Verehrung eines Gekreuzigten in der Antike, nicht anders als in heutiger Zeit, außerhalb der Wirklichkeitsdeutung des christlichen Glaubens nicht zugänglich war bzw. ist. Ein Unterschied liegt aller-

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Vgl. Jes 48,13; Weish 11,25; Philo, SpecLeg IV 187 u.ö.; syrBar 21,4; 48,8; JosAs VIII 10. 9 Vgl. M. W OLTER, „Dumm und skandalös“. Die paulinische Kreuzestheologie und das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, in: R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen 2001, 44–63, 51. 10 So in dem Anm. 1 erwähnten Text 1 Kor 1,23. 11 Just., Dial 32,1; 90,1; Tert., Adv Jud X 1; Adv Marc III 18,1. 12 Abbildung z.B. in J. LEIPOLDT/W. GRUNDMANN, Umwelt des Urchristentums, III: Bilder zum neutestamentlichen Zeitalter, Berlin 61987, Abb. 213.

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dings darin, daß die Kreuzigung eine in der Antike bekannte und für ihre Grausamkeit und Schändlichkeit berüchtigte Todesstrafe war.13 Paulus begegnet derartigen Vorwürfen dadurch, daß er die Bewertungsmaßstäbe für das Handeln Gottes angesichts des Geschehens von Kreuz und Auferweckung Jesu neu ordnet. Die gängige Sicht, der zufolge der Kreuzestod schmachvoll und deshalb mit Gott oder einer positiv besetzten Kategorie wie Weisheit nicht zusammenzubringen sei, wird von ihm dahingehend korrigiert, daß sich Weisheit und Torheit angesichts der Kreuzigung Jesu in ihr Gegenteil verkehrt haben: Weisheit der Welt ist Torheit bei Gott und umgekehrt (1 Kor 1,25.27f.). Paulus nimmt also die Provokation des Kreuzestodes Jesu auf und macht sie zum Zentrum seiner Sicht auf dasjenige Geschehen, in dem sich Gott durch Jesus Christus offenbart hat. Wenn dieses im Gegensatz zur gängigen Bewertung von Weisheit und Torheit steht, der zufolge die Offenbarung Gottes in einem Gekreuzigten Torheit wäre, Gott aber nicht töricht, sondern weise handelt, dann steht für Paulus fest, daß nicht das Handeln Gottes durch Jesus Christus zur Disposition steht, sondern die Kriterien, mit denen dieses beurteilt wird, korrigiert werden müssen: Gott hat seine Macht über Leben und Tod gerade dadurch gezeigt, daß er den Gekreuzigten auferweckt und damit das nach menschlichen Maßstäben Schmachvolle erhöht hat. Die Rede vom Kreuz ist bei Paulus demnach ein Interpretament, mit Hilfe dessen er dem Tod Jesu ein bestimmtes Merkmal zuweist. Nur in einem solchen Fall ist es deshalb auch sinnvoll, von „Kreuzestheologie“ zu sprechen.14 Aus der Tatsache, daß Jesus am Kreuz gestorben ist, leitet Paulus nämlich die besondere Schändlichkeit her, die mit diesem Tod verbunden war. Zu Christus zu gehören, erweist sich für Paulus deshalb nicht zuletzt daran, daß Schmach und Niedrigkeit nicht um des Ansehens in der Welt oder um der Vermeidung von Verfolgung willen ausgewichen wird.15 13

Vgl. M. HENGEL, Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross, London/Philadelphia 1977; H.-W. KUHN, Die Kreuzesstrafe während der frühen Kaiserzeit. Ihre Wirklichkeit und Wertung in der Umwelt des Urchristentums, ANRW II,25.1, Berlin/New York 1982, 648–793, 751–767. 14 Bei Johannes ist dies dagegen gerade nicht der Fall. Der Terminus staurov" begegnet hier nur zur Bezeichnung des Pfahles, an den Jesus gehängt wird, nicht als Interpretament seines Todes. Daß es verfehlt wäre, von einer johanneischen „Kreuzestheologie“ zu sprechen, zeigt sich auch daran, daß Johannes den Tod Jesu dezidiert nicht als Erniedrigung, sondern als Erhöhung, Verherrlichung und Weggang versteht (Joh 3,14; 8,28; 12,32.34: uJyou'n; 6,54; 7,39; 12,16.23.31f.; 16,14; 17,1.5: doxavzesqai; 7,33; 8,14.21; 13,3.33.36; 14,4f.28; 16,5.10f.: uJpavgein; 3,13; 6,62; 20,17: ajnabaivnein). 15 Die zwei Stellen, an denen Paulus am deutlichsten kreuzestheologisch argumentiert, sind 1 Kor 1,10–4,21 sowie der Galaterbrief. In 1 Kor bearbeitet Paulus das Problem der gegenseitigen Überhebung von Gruppen in der korinthischen Gemeinde, in Gal die aus der Orientierung an dem Gekreuzigten resultierende neue Identität der galatischen Gemeinden. In beiden Briefen begegnet dabei der Ausdruck skavndalon tou' staurou'

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Mit dieser an Paulus gewonnenen Argumentationsfigur läßt sich zunächst ein für die christlichen Deutungen des Todes Jesu wichtiges Resultat formulieren: Der Maßstab für die Angemessenheit einer Interpretation dieses Todes kann nicht sein, daß sie den jeweils geltenden Normen, die Wirklichkeit zu ordnen, entspricht. Als Maßstab kann vielmehr ausschließlich gelten, ob sich eine solche Interpretation als sachgemäße Deutung der urchristlichen Texte bewährt. Ist dies der Fall – handelt es sich also um eine aufgrund des biblischen Befundes als unverzichtbar erkannte Deutung –, stellt sich die Frage, wie sie sich unter anderen Denk- und Verstehensvoraussetzungen angemessen zur Sprache bringen läßt, nicht aber, ob sie als fragwürdig oder neuzeitlichem Denken unerschwinglich betrachtet wird. So kann etwa die Frage, ob das Sterben eines Menschen zugunsten anderer mit der Autonomie und Würde des aufgeklärten Menschen unvereinbar sei16 – ganz unabhängig davon, ob man diese Ansicht teilt – nicht darüber entscheiden, ob es sich hierbei um einen dem christlichen Glauben adäquaten Gedanken handelt. Die Frage kann vielmehr nur lauten, auf welche Weise die in den biblischen Texten ausgedrückte Vorstellung einer Heilswirkung des Todes Jesu heute sachgerecht zum Ausdruck zu bringen wäre. Dagegen wäre es nicht angemessen, neuzeitliche Anthropologie zum Maßstab für die Bewertung urchristlicher Texte zu erheben.17

Die urchristlichen Autoren haben den Anstoß der Offenbarung Gottes in einem Gekreuzigten nicht beseitigt. Sie haben die darin liegende Spannung vielmehr dadurch verarbeitet, daß sie den Tod Jesu auf verschiedene Weise interpretiert und dazu auf zahlreiche Analogien aus dem kulturellen Bestand ihrer Zeit zurückgegriffen haben. Auf eines dieser Interpretationsmodelle, die Verwendung der staurov"/staurou'sqai-Terminologie, die dann auch in metaphorischer Weise verwandt und auf die zu Christus

(1 Kor 1,23; Gal 5,11), mit dem Paulus deutlich macht, daß das Kreuz im Kontrast zu anderen Wertorientierungen (1 Kor: sofiva tou' aijwvno" touvtou; Gal: novmo", peritomhv, kovsmo") steht (vgl. 1 Kor 1,17–2,16; 3,18–20; Gal 2,19; 5,11; 6,12.14). Ein kreuzestheologischer Anklang findet sich auch in Phil 3,18f.: Die Feinde des Kreuzes Christi trachten nach vordergründiger dovxa und richten ihren Sinn auf das Irdische. 16 So das bekannte Argument von I. K ANT, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, hg. v. K. Vorländer, Hamburg 61956, 77: Persönliche Schuld des Menschen sei „keine transmissibele Verbindlichkeit ... sondern die allerpersönlichste, nämlich eine Sündenschuld“, die kein Unschuldiger ihm abnehmen könne. 17 Vgl. B. J ANOWSKI, ‚Hingabe‘ oder ‚Opfer‘? Zur gegenwärtigen Kontroverse um die Deutung des Todes Jesu, in: Weth, Das Kreuz Jesu (s. Anm. 9), 13–43, 30: „Wenn man versucht, den Stellvertretungsbegriff auf seine Tauglichkeit für die Gegenwart zu prüfen, sollte man nicht einfach neuzeitliche Subjektivitäts- und Moralauffassungen zum Maßstab für das Verständnis biblischer Stellvertretungsaussagen machen.“

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Gehörenden angewandt werden kann,18 waren wir bereits gestoßen. Weitere Modelle sind z.B. dasjenige eines kultischen Vorgangs (Hebr 9,1–10,18; Röm 3,25; Eph 5,2; 1 Joh 1,7; 2,2; 4,10; 1 Petr 1,19), des Freikaufs aus Gefangenschaft (Mk 10,45; 1 Kor 6,20; 7,23; Gal 3,13; 4,5; 1 Tim 2,6), des Lebenseinsatzes für andere zur Abwendung von Unheil oder Gefahr (Joh 10,11–18; 11,50f.; Röm 5,6–10; 1 Thess 5,9f.) oder des vorbildlichen Sterbens bzw. Leidens (Joh 15,13; 1 Joh 3,16; 1 Petr 2,21). Aspekte, die als Wirkungen des Todes Jesu beschrieben werden, sind z.B.: die Partizipation aller Menschen bzw. der zu Christus Gehörenden an diesem Tod (2 Kor 5,14f.; Röm 6,4–6; Gal 2,19; Phil 3,10), die Beseitigung von Sünden (Mt 26,28; 1 Kor 15,3; Gal 1,4), Schutz oder Sammlung der Gemeinschaft (1 Kor 5,7; Joh 11,52), das Kommen des Parakleten (Joh 16,7) usw. Entscheidend ist, daß es sich durchgängig um Deutungen handelt, die dem Tod Jesu auf der Grundlage der oben beschriebenen Struktur christlicher Wirklichkeitsdeutung positive Wirkungen zuschreiben. Sie sind deshalb auch nur innerhalb dieser Weltsicht plausibel, unabhängig von dem christlichen Bekenntnis dagegen nicht zugänglich. So ist z.B. der Satz, Gott habe Jesus Christus als iJlasthvrion aufgerichtet (Röm 3,25), eine Aussage, die den Kreuzestod eines Menschen als Ermöglichung der Beseitigung von Sünden interpretiert und sich damit zum allgemeinen kulturellen Wissen – antikem wie neuzeitlichem – in Spannung setzt. Dies kann jedoch nicht dazu führen, diese Aussage als unzeitgemäß zu bezeichnen und deshalb aufzugeben. Vielmehr ist zur Geltung zu bringen, daß es sich hierbei um eine der zentralen urchristlichen Deutungen des Todes Jesu – den Zusammenhang dieses Todes mit der Beseitigung der Sünden anderer Menschen – handelt. Daß diese Sicht auf das Kreuz Jesu Christi jedoch nur dann zugänglich ist, wenn man die dem christlichen Glauben eigene Wirklichkeitsdeutung teilt, bringt Paulus zum Ausdruck, wenn er den Terminus iJlasthvrion durch die präpositionale Wendung dia; [th'"] pivstew" ergänzt. Die Aufgabe der Interpretation dieses Textes besteht dann darin, nach adäquaten Formen zu suchen, mit denen diese Überzeugung gegenwärtig zum Ausdruck gebracht werden kann.

Ist christliches Wirklichkeitsverständnis ohne eine Deutung des Todes Jesu nicht zu haben, verwundert es nicht, daß um die Angemessenheit der Kategorien, mit denen dieser Tod gegenwärtig zur Sprache zu bringen ist, intensiv gerungen wird. In den folgenden Bemerkungen soll vor dem soeben ausgeführten Hintergrund auf die bereits genannten Begriffe „Sühne“, „Opfer“ und „Stellvertretung“ etwas näher eingegangen werden. Im Zentrum steht dabei das Verhältnis dieser Interpretamente zum quellensprachlichen Befund, auf den sie sich beziehen.

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Vgl. Gal 2,19; Röm 6,6 (sustaurou'sqai) sowie Gal 6,14 (ejmoi; kovsmo" ejstauvrwtai kajgw; kovsmw/).

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II. Bei der Diskussion um die genannten Deutungskategorien stehen sich – etwas vereinfacht und schematisiert – zwei Positionen gegenüber. Die eine Position kritisiert eine undifferenzierte Verwendung der Termini „Sühne“, „Stellvertretung“ und „Opfer“, die nicht selten dazu diene, nachträglich exegetisch zu verifizieren, was dogmatisch bereits vorausgesetzt werde. Dabei würden jedoch dogmatische Inhalte in die biblischen Texte eingeschleust, die deren Selbstverständnis oftmals nicht gerecht würden. Eine Linie dieser Kritik sieht in den genannten Deutungskategorien verfehlte theologische Interpretamente, mit denen eine positive Bezugnahme auf Leben und Tod Jesu verhindert werde, da sie den Menschen auf sein Sündersein festlegten, ein patriarchales Gottesbild beförderten und den Tod Jesu einseitig auf Kosten anderer Aspekte in den Vordergrund stellten.19 Die Schwäche dieser Positionen ist, daß sie sich ein bestimmtes Verständnis des Todes Jesu, das sie mit diesen Kategorien verbindet, bereits vorgeben läßt, das dann abgelehnt und durch andere Verstehensweisen ersetzt werden soll. Dabei wird jedoch verkannt, daß mit diesen Interpretamenten der biblische Befund durchaus zutreffend erfaßt werden kann – wenngleich es notwendig ist, ihre Tragweite anhand des Textbefundes präzise zu bestimmen. Eine andere Linie sieht die Gefahr der Einebnung notwendiger Differenzierungen innerhalb der urchristlichen Texte durch die Verwendung systematisierender Kategorien und bemängelt, daß durch eine methodisch unzulässige Gleichsetzung dieser Kategorien mit dem Textbefund selbst irreführenden traditionsgeschichtlichen Thesen Vorschub geleistet werde. Diese Kritik ist, wie sich noch zeigen wird, durchaus berechtigt und führt zu der Frage nach einer methodisch angemessenen Verhältnisbestimmung von quellensprachlichem Befund und systematisierenden Deutungskategorien.

Auf der anderen Seite wird davor gewarnt, „Opfer“, „Stellvertretung“ und „Sühne“ nur deshalb zu verabschieden, weil sie modernem Denken suspekt seien und deshalb für die Explikation zentraler biblischer Inhalte als unbrauchbar betrachtet würden. Damit würden biblisch-theologische Inhalte voreilig aufs Spiel gesetzt, die auch für neuzeitliches Denken theologisch substantiell seien. Auf die mit den genannten Kategorien zur Sprache gebrachten Inhalte könne nicht verzichtet werden, wenn die Kontinuität zur biblischen Überlieferung gewahrt und das Verständnis des Todes Jesu nicht der Beliebigkeit anheimgegeben werden solle. Diese Diskussionslage führt zu der Frage, in welchem Verhältnis die genannten Kategorien zu dem quellensprachlichen Befund der urchristlichen Texte stehen bzw. inwiefern sich die mit ihnen vorgenommenen Deutungen als sachgemäße Interpretationen dieser Texte erweisen. Auszugehen ist hierzu von dem bereits genannten Befund, daß es sich bei

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Vgl. hierzu die in dem Beitrag von J ANOWSKI, ,Hingabe‘ (s. Anm. 17) beschriebenen und zu Recht als unzulänglich kritisierten Positionen.

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„Sühne“, „Stellvertretung“ und „Opfer“ um Kategorien handelt, die nicht mit dem biblischen Befund gleichzusetzen sind, sondern Interpretationen darstellen, durch die die Texte mit weiterführenden, neue Aspekte an sie herantragenden Deutungen versehen werden. Dies ist im Blick auf ihre Verwendung insofern von Bedeutung, als zu allen drei Begriffen griechische bzw. hebräische Entsprechungen genannt werden – zu „Sühne“ vor allem iJlavskesqai und seine Derivate, hebräisch rpk und Stammverwandte, zur Opferterminologie vornehmlich qusiva/quvein und prosforav, zu Stellvertretung Formulierungen mit ajpoqnh/vskein uJpevr – wodurch einer methodisch fragwürdigen Vermischung von quellensprachlichem Befund und Interpretamenten Vorschub geleistet wird. Eine Untersuchung der genannten griechischen bzw. hebräischen Termini und ihrer Verwendungen im Urchristentum oder in der atl.-jüdischen und paganen Literatur ist jedoch vom metasprachlichen Gebrauch der genannten Deutungskategorien unbedingt zu unterscheiden. Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung ergibt sich schon daraus, daß sich diese Begriffe keineswegs semantisch auf den biblischen Befund abbilden lassen, sondern aus Sprachsystemen und Traditionszusammenhängen stammen, die in den biblischen Texten keine unmittelbaren Entsprechungen besitzen. Dies sei anhand der Sühneterminologie etwas näher aufgezeigt, da diese in der theologischen Literatur mitunter die Funktion einer Leitbegrifflichkeit übernimmt, mit der die entscheidenden an den Tod Jesu geknüpften Deutungsaspekte verbunden werden. Bei der Verwendung der Sühnebegrifflichkeit lassen sich zwei gegenläufige Tendenzen konstatieren. Auf der einen Seite wird sie in einem weiter gefaßten Sinn verwandt, der nicht an spezielle griechische bzw. hebräische Terminologie gebunden ist, sondern das Heilshandeln Gottes durch den Tod Jesu generell bezeichnen soll. Sowohl in systematischen wie in exegetischen Publikationen wird der Inhalt des mit dem Terminus „Sühne“ Bezeichneten in diesem Sinn als ein Geschehen bestimmt, durch das die Menschen aus ihrer Verfallenheit an Sünde und Tod befreit und in eine Leben eröffnende Gemeinschaft mit Gott versetzt werden.20 Gegen eine solche, an einer religionsgeschichtlichen Bestimmung von Sühne als „religiöse[r] Entstörungs- oder Korrekturhandlung“ orientierten Definition, deren Ziele die „Überwindung des Bösen“, „Erlösung“ sowie die „Heilung schuldhaft zerstörter Verhältnisse und Beziehungen“ seien,21 ist so lange

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So etwa W. P ANNENBERG, Systematische Theologie II, Göttingen 1991, 456; O. HOFIUS, Art. Sühne IV: Neues Testament, TRE 32 (2001), 342–347, 342. 21 D. S ITZLER -O SING, Art. Sühne I: Religionsgeschichtlich, TRE 32 (2001), 332–335, 332f.; C. GESTRICH, Art. Sühne V: Kirchengeschichtlich und dogmatisch, a.a.O., 348– 355, 348.

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nichts einzuwenden, wie bewußt bleibt, daß es sich um eine Abstraktion handelt, die unter einer Kategorie subsumiert, was sich in den urchristlichen Texten in einer Vielzahl von Vorstellungen niedergeschlagen hat. Es besteht kein Zweifel, daß der Tod Jesu in zahlreichen urchristlichen Texten als ein heilvolles Geschehen gedeutet wird, das der Erlösung dient und ein neues Verhältnis zwischen Gott und den Menschen ermöglicht. Versteht man den Sühnebegriff also in einem derartigen übergreifenden Sinn, stellt er durchaus eine angemessene Deutungskategorie dar – freilich nicht nur für Jesu Tod, sondern für seine Sendung insgesamt!22 Mit einer solchen allgemeinen Definition ist allerdings noch nichts darüber gesagt, mit Hilfe welcher Metaphern die durch den Tod Jesu bewirkte „Entstörungs- oder Korrekturhandlung“ in den urchristlichen Texten beschrieben und auf welche Traditionen und welches kulturelle Wissen zu ihrer Plausibilisierung zurückgegriffen wird, ebensowenig wie die Beschreibungen der positiven Wirkungen dieses Todes schon genauer erfaßt wären. Gänzlich unvereinbar mit einer solchen Verwendung der Sühnebegrifflichkeit ist nun allerdings, daß sie auf der anderen Seite auch als semantisches Äquivalent zu (ejx)iJlavskesqai ktl. aufgefaßt wird und sogar als deren Übersetzung dient.23 Problematisch daran ist zunächst, daß auf diese Weise mittels eines deutschen Terminus eine traditionsgeschichtliche These aufgestellt wird, die impliziert, die in atl.-jüdischen Texten beschriebenen Vorgänge der Beseitigung von Sünden durch kultische Reinigungsvorgänge u.ä. stellten den maßgeblichen Hintergrund der urchristlichen Deutungen des Todes Jesu dar und ließen sich über die griechische bis in die hebräische Terminologie zurückverfolgen. Die religionsgeschichtlichanalytische Kategorie verwandelt sich auf diese Weise in ein traditionsgeschichtliches Erklärungsmodell, das dann auch auf solche Formulierungen bezogen wird, die den Tod Jesu in anderer Terminologie und unter Zuhilfenahme anderer Analogien versprachlichen, wie z.B. die ajpoqnhv/skein uJpevr-Wendungen.24 Auf diese Weise gerät völlig aus dem Blick, daß sich

22 Paulus kann in Gal 4,4 das Loskaufen derer unter dem Gesetz als Ziel der Sendung des Sohnes durch Gott bezeichnen und damit das in 3,13 über das Zum-Fluch-Werden des Gekreuzigten Gesagte in den weiteren Horizont der Sendung des Gottessohnes stellen. Auch in anderen urchristlichen Schriften (Synoptiker, Hebr, Past, JohEv) ist die durch Jesus Christus bewirkte Erlösung Ziel seines Erscheinens insgesamt, wobei die Bedeutung seines Todes im Verhältnis zu seinem irdischen Wirken unterschiedlich gewichtet wird (zu Joh vgl. auch die Bemerkungen unten in diesem Abschnitt). 23 Vgl. etwa H OFIUS, Sühne (s. Anm. 20), 342: „Termini der Wortgruppe ,Sühne‘ finden sich lediglich in Röm 3,25 ..., Hebr 2,17 ... und I Joh 2,2; 4,10“. Dieser Satz ist semantisch völlig unhaltbar, denn an den genannten Stellen finden sich natürlich keine Termini der Wortgruppe „Sühne“, sondern von iJlavskesqai ktl. 24 So z.B. HOFIUS, a.a.O., 343.

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die verschiedenen Deutungen des Todes Jesu unterschiedlicher traditionsgeschichtlicher Hintergründe bedienen, was sich etwa im Fall der ajpoqnhv/skein uJpevr-Formulierungen unschwer zeigen läßt, deren urchristliche Verwendung sich nicht auf die atl.-jüdische Überlieferung zurückführen läßt.25 Die Unmöglichkeit einer semantischen Näherbestimmung der Sühnebegrifflichkeit mit Hilfe der Wortgruppen (ejx)iJlavskesqai ktl. bzw. rpk zeigt sich auch bei einer näheren Betrachtung des Bedeutungsspektrums dieser Ausdrücke. Der deutsche Terminus „Sühne“ gehört seiner Herkunft nach in den Bereich des germanischen Rechtswesens, ist mit demjenigen der „Versöhnung“ etymologisch verwandt und bezeichnet die Beilegung von Streitigkeiten bzw. die Wiedergutmachung geschehenen Unrechts.26 Es handelt sich also um einen juristischen Terminus, der sich auf verschiedene Aspekte der Aussöhnung beziehen kann.27 Es ist unmittelbar evident, daß sich dies nicht auf die griechische Wortgruppe (ejx)iJlavskesqai ktl. übertragen läßt. Hierbei handelt es sich um eine Terminologie, die sich auf die Besänftigung des Zornes von Göttern oder Menschen, aber auch auf die Reinigung von Menschen oder sakralen Orten bzw. Gegenständen bezieht. Dies kann durch verschiedene kultische oder nichtkultische Akte geschehen, etwa durch Opfer, Gebete oder rituelle Waschungen. Die Verwendung der Terminologie durch die LXX zeigt weiter, daß eine sachliche Verwandtschaft der mit (ejx)iJlavskesqai bzw. i{lew" givnesqai beschriebenen Vorgänge zu kaqarismov"/(ejk/ajpo)kaqarivzein und Derivaten, auch zu aJgiavzein und ajpaleivfein besteht, jedoch keine semantische Beziehung zu katallavssein ktl. oder dikaiou'n ktl., erst recht nicht zu ajpoqnhv/skein uJpevr. Dies deutet bereits auf eine traditionsgeschichtliche Differenz zwischen (ejx)iJlavskesqai und ajpoqnh/vskein uJpevr bzw. dem jüdisch und urchristlich nicht belegten Kompositum uJperapoqnh/vskein hin.

25 Vgl. den Beitrag von H.S. V ERSNEL in diesem Band sowie C. BREYTENBACH, ,Christus starb für uns‘. Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogenannten ,Sterbeformeln‘, NTS 49 (2003), 447–475; J. SCHRÖTER, Sterben für die Freunde. Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: A. v. Dobbeler u.a. (Hgg.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS K. Berger), Tübingen 2000, 263– 287. 26 Vgl. z.B. W. P FEIFFER (Hg.), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin 2 1993, 1395; B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 22003, 3 mit Anm. 9. 27 Vgl. hierzu die entsprechenden Belege in: J. und W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, 10. Band, IV. Abteilung, bearbeitet von der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuches, Leipzig 1942, 1010–1037.

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Die Fragwürdigkeit der implizierten traditionsgeschichtlichen Hypothese wird sofort deutlich, wenn man sich die Verwendung von (ejx)iJlavskesqai ktl. in seinem Verhältnis zu anderen Redeweisen vom Tod Jesu vor Augen führt. Wenn die LXX (ejx)iJlavskesqai zur Wiedergabe von rpk verwendet,28 dann besteht ein Unterschied gegenüber dem sonstigen Gebrauch in paganen wie auch in außerbiblischen jüdischen Texten darin, daß es sich stets um einen von Gott, nie von den Menschen ausgehenden Akt handelt.29 Damit ist ein bestimmtes semantisches Merkmal derjenigen Verwendung von (ejx)iJlavskesqai und verwandter Termini erfaßt, die kultische Handlungen zur Beseitigung von Sünden bzw. zur Reinigung heiliger Orte und Gegenstände beschreiben. Dies hat sich auch in der urchristlichen Verwendung in Röm 3,25 sowie in Hebr und in 1 Joh niedergeschlagen: Auch bei Paulus ist Gott derjenige, der Jesus Christus als iJlasthvrion aufrichtet und damit die Möglichkeit der Sündenbeseitigung eröffnet, in Hebr ist Jesus der Hohepriester, der als Repräsentant Gottes die Sünden des Volkes tilgt, in 1 Joh 1,7.9 ist es das Blut Jesu, das uns von aJmartiva und ajdikiva reinigt. Anders verhält es sich dagegen in denjenigen jüdischen und christlichen Gebetstexten, in denen der Mensch Gott darum bittet, ihm gnädig zu sein. Das Urchristentum knüpft also bei der Deutung des Todes Jesu mit Hilfe der Metaphorik kultischer Reinigungsvorgänge an die atl.-jüdische Tradition an.30 Der terminologische Befund der urchristlichen Texte zeigt weiter, daß ein auf kultischen Vorstellungen beruhendes Verständnis nur gelegentlich zur Deutung des Todes Jesu herangezogen wird und der Bezug zu den Kultvorgängen dann zumeist nur sehr entfernt im Hintergrund steht. In 1 Petr 1,2 ist in einer vermutlich auf den Bundesschluß in Ex 24 anspielenden Metapher von der Besprengung mit dem Blut Jesu Christi die Rede; in 1 Joh 1,7.9; 2,2; 4,10 wird kultische Terminologie (kaqarivzein, iJlasmov") metaphorisch zur Beschreibung der Wirkung des Todes Jesu eingesetzt, ohne daß der metaphernspendende Bereich näher ausgeführt würde.31 Paulus verwendet die iJlavskesqai-Terminologie nur an der bereits genannten Stelle Röm 3,25, vermutlich innerhalb einer ihm bereits vorliegenden

28 ejx ilavskesqai kann auch µva, afj, hlh, [dy und llp, iJl avskesqai auch µjn und jls wiedergeben. Das Bedeutungsspektrum beider Termini ist also nicht deckungsgleich. 29 30

Dies ist ein wichtiges Ergebnis der Untersuchung von J ANOWSKI (s. Anm. 26). Vgl. hierzu auch C. BREYTENBACH, Gnädigstimmen und opferkultische Sühne im Urchristentum und seiner Umwelt, in: U. Mell/U.B. Müller (Hgg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte (FS J. Becker), BZNW 100, Berlin/New York 1999, 419– 442. 31 1 Joh 1,7: to; ai|ma ÆΙhsou' tou' uiJou' aujt ou' kaqarivzei hJm a'" ajpo; pavsh" aJmartiva"; V. 9: ajdikiva"; 2,2; 4,10: Jesus Christus als iJlasmo;" peri; tw'n aJmartiw'n hJmw'n (kai; peri; o{lou tou' kovsmou).

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Überlieferung. Ob diese vor tempelkultischem Hintergrund formuliert wurde und der Terminus iJlasthvrion demzufolge auf den Deckel der Bundeslade anspielt, ist exegetisch umstritten und kann hier auf sich beruhen.32 Deutlich ist indes, daß dasselbe Ereignis für Paulus im unmittelbaren Kontext auch als Erweis der Gerechtigkeit Gottes, also in juridischer Terminologie, ausgedrückt werden kann: Indem Gott auf diese Weise gehandelt hat, hat er seine Gerechtigkeit gezeigt und die Glaubenden gerecht gesprochen. Etwas später, in Röm 5,6–8, kommt Paulus wiederum auf den Tod Jesu zu sprechen und verwendet nunmehr das Deutungsmodell des freiwilligen Lebenseinsatzes zur Rettung anderer: Für einen Gerechten oder das Gute wäre kaum jemand bereit zu sterben, Christus ist aber sogar für Gottlose gestorben und hat uns damit vor dem Zorn Gottes bewahrt. Die Kultmetaphern stellen also nicht den maßgeblichen Hintergrund der Deutung des Todes Jesu dar. In etlichen Fällen werden sie zudem auf eine gegenüber ihrem Ursprungsbereich spiritualisierte Weise verwandt. Bei Paulus läßt sich dies deutlich erkennen: Die iJlasthvrion-Metapher steht bei ihm innerhalb eines breiteren Spektrums, das er aufbietet, um die Heilswirkung des Todes Jesu zu explizieren. Die in Röm 5,6–8 begegnenden uJpevr-Formulierungen sind dabei – in Analogie zu dem oben notierten Befund der LXX – traditionsgeschichtlich von Röm 3,25f. zu unterscheiden. In dem einen Fall zieht Paulus ein – wie auch immer näher zu bestimmendes – kultisches Modell heran, im anderen Fall bedient er sich des für das Sterben eines Menschen zweifellos näherliegenden Interpretamentes des stellvertretenden Lebenseinsatzes, das nicht aus dem atl.-jüdischen Bereich stammt und auch nicht über Jes 53 vermittelt wurde.33 Auch bei Paulus zeigt sich demzufolge, daß sich die uJpevr-Formulierungen nicht unter dieselbe traditionsgeschichtliche Kategorie wie die iJlavskesqaiTerminologie subsumieren lassen. Ihre konkrete Deutung ergibt sich vielmehr vom jeweiligen Kontext und kann Unterschiedliches ausdrücken:

32 Sicher ist dieser Bezug jedenfalls nicht. Der Terminus iJl asthvr ion wird schon in der LXX außerhalb des Pentateuchs auch für andere Orte als die Lade verwandt (Ez 43,14.17.20; Am 9,1; vgl. Gen 6,15 Sm.). Aus Röm 3,25 läßt sich zudem eine Anspielung auf den Deckel der Lade nicht eindeutig belegen. Ob man den metaphorischen Bezug von Röm 3,25 exklusiv auf den in Lev 16 beschriebenen Vorgang der kultischen Reinigung des Heiligtums begrenzt, hängt deshalb davon ab, welche Enzyklopädie aufgeboten wird, um die Bedeutung des Terminus iJlasthvrion zu definieren. Hierfür nur die Verwendung von Lev 16 LXX heranzuziehen, ist jedenfalls nicht zwingend. Vgl. auch C.E.B. CRANFIELD, The Epistle to the Romans I, ICC, Edinburgh 1954 (repr. 2001), 214– 218. 33 Vgl. S.K. W ILLIAMS, Jesus’ Death as Saving Event. The Background and Origin of a Concept, Missoula 1975, 111–120; U. KELLERMANN, Zum traditionsgeschichtlichen Problem des stellvertretenden Sühnetodes in 2 Makk 7,37f., BN 13 (1980), 63–83.

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allgemein den Tod zugunsten anderer Menschen, speziell den Tod zu ihrem Schutz oder auch an ihrer Stelle. Mit der Beseitigung von Sünden ist diese Tradition dagegen nur in denjenigen Formulierungen verbunden, die vom Sterben bzw. der Hingabe uJpe;r tw'n aJmartiw'n hJmw'n sprechen, also in 1 Kor 15,3 und Gal 1,4. Dieser Befund sei durch einen Blick auf das JohEv präzisiert.34 Hier fehlt die (ejx)iJlavskesqai-Terminologie völlig, und die Verarbeitung des Todes Jesu geschieht auf eine gegenüber Paulus und der vorpln Überlieferung eigenständige Weise. Innerhalb der joh Christologie, die durch eine katabatische und eine anabatische Linie gekennzeichnet ist, wird der Tod in die aufsteigende Bewegung eingeordnet – anders als etwa in Phil 2,6–11, wo er den tiefsten Punkt der Erniedrigung des gottgleichen Jesus Christus darstellt. Hierauf weisen bereits die Termini uJyou'n, uJpavgein und ajnabaivnein hin, mit deren Hilfe der Tod Jesu bei Johannes metaphorisch beschrieben wird.35 Dem entspricht, daß die Wortgruppe staurov"/staurou'n bei Johannes ausschließlich innerhalb der Passionsgeschichte zur Beschreibung des Kreuzigungsgeschehens verwandt wird, jedoch nie, wie bei Paulus und in Hebr 6,6; 11,26; 12,2, in metaphorischer Weise zur Deutung dieses Ereignisses. Das signifikante Merkmal der johanneischen Verarbeitung des Todes Jesu liegt deshalb darin, daß er diesen in die Darstellung seines Weges insgesamt einzeichnet und als freiwillige Lebenshingabe des Offenbarers zum Schutz der Seinen beschreibt.36 Aus dieser Linie christologischer Gedankenführung ergibt sich, daß auch die Aussage über das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt (Joh 1,29), nicht speziell auf den Tod Jesu, sondern auf seinen Weg insgesamt zu beziehen ist, durch den die Gemeinschaft der zu ihm Gehörenden vom kovsmo" geschieden wird. Das Loskommen von Sünden geschieht bei Johannes durch den Anschluß an Jesus, der den Überschritt aus dem Bereich der Sünde und des Todes in denjenigen des Lebens bedeutet.37 Sünde ist bei Johannes also die Gottferne, die durch das Auftreten Jesu überwunden wird. Es ist nur konsequent, daß innerhalb dieser christologischen Konzeption das Modell des bewahrenden Lebenseinsatzes aufgegriffen wird, das seine nächsten Analogien im paganen griechischen Bereich besitzt. Johannes bezieht dieses in der ihm eigenen Formulierung vom tiqevnai th;n yuch;n uJpevr auf die Vollendung des Weges Jesu durch seinen Tod: Er wird durch diesen Tod die Konstitution der Gemeinschaft der Seinen vollenden, er wird sie schützen und bewahren, er wird durch seinen Weggang das Kommen des

34 Die eigene Perspektive des JohEv auf den Tod Jesu ist in neuerer Zeit verstärkt in den Blick getreten. Vgl. den Beitrag von C. SCHLUND in diesem Band sowie ihre Dissertation: „Kein Knochen soll gebrochen werden.“ Studien zur Bedeutung des Pesachfests im frühen Judentum und im Johannesevangelium (Theologische Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin 2004, erscheint voraussichtlich 2005 in WMANT). Vgl. auch H.-U. W EIDEMANN, Der Tod Jesu im Johannesevangelium. Die erste Abschiedsrede als Schlüsseltext für den Passions- und Osterbericht, BZNW 122, Berlin/New York 2004. 35 Vgl. oben Anm. 14. 36 Vgl. hierzu auch den Beitrag von B. J ANOWSKI in diesem Band. 37 Vgl. Joh 8,21.24: Jesus warnt die Juden, daß sie ihn nach seinem Weggang vergeblich suchen und in ihren Sünden sterben werden. Nach 15,22 besteht die Sünde der Welt darin, daß sie sich trotz des Redens Jesu seinem Wort verweigert.

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Parakleten bewirken und so die erst in nachösterlicher Zeit mögliche Einsicht in die Bedeutung der Schriften und seiner Worte eröffnen.38 Will man den Begriff „Sühne“ auch auf die joh Konzeption anwenden, muß demnach deutlich bleiben, daß damit ein terminologisch und traditionsgeschichtlich eigenes Konzept bezeichnet wird. Auch Joh zufolge wird durch das Handeln Gottes in Jesus Christus eine „Entstörungs- oder Korrekturhandlung“ bewirkt, die bei ihm an den katabatischen und anabatischen Weg des Offenbarers gebunden wird. Der Tod als Erhöhung oder Weggang stellt dabei die Vollendung dieses Weges dar, ihm werden deshalb eigene, von der paulinischen Konzeption weitgehend unterschiedene Aspekte zugeschrieben. Die Verwendung des Interpretamentes „Sühne“ vereinheitlicht und systematisiert hier also einen quellensprachlich und z.T. auch sachlich divergierenden Befund.

Der Blick auf das Verhältnis von meta- und quellensprachlichem Gebrauch der Sühnebegrifflichkeit zeigt somit, daß dieses Interpretament dann seine Erklärungskraft entfaltet, wenn es auf die generelle Struktur urchristlicher Aussagen über das Heilswirken Gottes in und durch Jesus Christus bezogen wird. Es läßt sich dagegen weder in einem traditionsgeschichtlichen Sinn verstehen und auf die iJlavskeqai-Terminologie abbilden, noch besteht eine Notwendigkeit, es exklusiv auf den Tod Jesu zu beziehen. Hinsichtlich des atl.-jüdischen Kultus sowie hiervon abgelöster, mit iJlavskesqai oder kaqarivzein beschriebener Vorgänge gilt dagegen, daß sie in den urchristlichen Texten keine herausgehobene Stellung zur Deutung des Todes Jesu einnehmen, sondern neben solchen Modellen stehen, die sich anderer Analogien bedienen wie etwa der Lebenshingabe als Liebesdienst, des Loskaufs aus Versklavung oder des vorbildlichen Liebesdienstes. Dort, wo kultische Metaphern verwandt werden, geschieht dies z.T. auf eine spiritualisierte Weise, die nicht an den dahinterstehenden Vorgängen selbst interessiert ist (so in 1 Petr und 1 Joh), z.T. in einem das Kreuz Jesu dem Kultus kritisch gegenüberstellenden Sinn (so in Röm 3,25 und in Hebr). Dies ist bei der Beurteilung des urchristlichen Befundes ebenso zu beachten wie die Tatsache, daß das griechische Modell des rettenden Lebenseinsatzes bei Paulus und Joh als Analogie herangezogen wird, wogegen Jes 53, der vom AT her nächstliegende Text über ein stellvertretendes Strafleiden, erst in späteren urchristlichen Texten begegnet und dann zumindest auch auf das vorbildliche geduldige Leiden Christi und nicht auf sein sündenbeseitigendes Sterben bezogen wird.39 Dieser Befund erfordert es, den Sühnebegriff in einer diese Differenziertheit

38 Der Schutz und die Bewahrung der Seinen kommt vor allem in der Hirtenrede in Joh 10 zum Ausdruck, auf die am Beginn der Passionsereignisse in 18,28 wieder angespielt wird. Zum Weggang Jesu als Voraussetzung für das Kommen des Parakleten vgl. Joh 16,7, zur erst nach Jesu Verherrlichung möglichen Einsicht in die Schriften Joh 2,22; 7,38f.; 12,16; 20,8f. 39 Vgl. 1 Petr 2,22–25; Act 8,32f.

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bewahrenden Weise zu verwenden und nicht mit einer traditionsgeschichtlichen These zu verknüpfen. Nur wenn diese Differenz bewußt bleibt und nicht der Eindruck erweckt wird, mit „Sühne“ würde ein Befund der urchristlichen Texte wiedergegeben, ist die Verwendung dieses Begriffes methodisch haltbar. Im Blick auf die beiden anderen genannten Interpretamente, „Stellvertretung“ und „Opfer“, auf die hier nur noch kürzer eingegangen wird, gilt hinsichtlich des semantischen Befundes zunächst in analoger Weise, daß sie keine unmittelbare Entsprechung in den urchristlichen Texten besitzen, sondern zur Systematisierung des Textbefundes dienen. Hinsichtlich des Opferbegriffs zeigt dies beispielhaft die Diskussion um seine Anwendung auf das Herrenmahl, denn dieses wurde im Urchristentum nicht mit einer entsprechenden Begrifflichkeit gedeutet. Wenn der Terminus qusiva hierauf angewandt wird,40 wird damit – entsprechend der Bezeichnung eujcaristiva – das von der Gemeinde dargebrachte Dankopfer bezeichnet. Die spezifische Schwierigkeit der Verwendung des Begriffs zur Deutung des Todes Jesu besteht dagegen darin, daß er sich im deutschen Sprachgebrauch mit den Konnotationen von Gewalt und Unterdrückung verbinden und dann auf die gewaltsame Tötung Jesu bezogen werden kann (engl. „victim“). Ein solches Verständnis von Opfer würde jedoch der eingangs ausgeführten urchristlichen Denkstruktur zuwiderlaufen, der zufolge die positiven Deutungen des Todes Jesu das Handeln Gottes an ihm immer schon voraussetzen. Ein an der Heilsbedeutung des Todes Jesu ausgerichtetes Verständnis von Opfer (engl. „sacrifice“) kann sich dagegen vornehmlich an dem Aspekt der Dahingabe des Lebens zugunsten anderer orientieren: Jesus gibt sein Leben für andere bzw. Gott gibt seinen Sohn dahin. Ein solcher Gebrauch läßt sich mit einer entsprechenden Verwendung im Urchristentum vermitteln41 und versteht den Tod Jesu als einen Akt, durch den Gott bzw. Jesus selbst durch die Hingabe Jesu in den Tod ihre Liebe zu den Menschen erwiesen haben.42 Bei dem Stellvertretungsbegriff handelt es sich um einen vergleichsweise jungen Terminus, der erst seit dem 18. Jahrhundert belegt ist43 und in der neuzeitlichen theologischen Diskussion um eine angemessene Be-

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So zuerst in Did 14,1–3. Vgl. Eph 5,2; Hebr 9,14. Vgl. S. BRANDT, War Jesu Tod ein „Opfer“? Perspektivenwechsel im Blick auf eine klassische theologische Frage, in: Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu (s. Anm. 9), 64–76; C. GESTRICH, Opfer in systematisch-theologischer Perspektive. Gesichtspunkte einer evangelischen Lehre vom Opfer, in: B. Janowski/M. Welker (Hgg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt 2000, 282–303. 43 Vgl. K.-H. MENKE , Art. Stellvertretung, HWP 10 (1998), 126–129.

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schreibung des durch Jesus Christus bewirkten Erlösungsgeschehens eine Rolle spielt.44 In neuerer Zeit ist er wieder verstärkt in den Blickpunkt der exegetischen Diskussion gerückt.45 Dabei ist zunächst darauf zu verweisen, daß das kantische Diktum, das Vernunftrecht verbiete es, mit einer Übertragung der Sündenschuld auf einen anderen zu rechnen, kein an der Struktur biblischer Aussagen gewonnenes Argument darstellt, auch wenn es mitunter zur Kritik der Stellvertretungsvorstellung herangezogen wird. Ganz unabhängig davon, ob die Behauptung, der Gedanke des Vertretenwerdens sei der Freiheit und Würde des modernen Menschen nicht angemessen, zutreffend ist, ist der mit dem Stellvertretungsgedanken zur Sprache gebrachte Inhalt deshalb theologisch zu bewahren, weil er einen wesentlichen Aspekt der Sinngebung des Todes Jesu darstellt. Dieser läßt sich so formulieren, daß das Schicksal Jesu Christi nicht von ihm selbst, sondern durch die Schuld anderer Menschen verursacht,46 von ihm jedoch an ihrer Statt getragen wurde. Diese Aussage ist für etliche, wenn auch nicht alle, urchristliche Texte substantiell. In vergleichbarer Weise wie bei der Sühnebegrifflichkeit muß freilich auch hier zwischen quellensprachlichem Befund und deutender Kategorie unterschieden werden. Dafür ist es notwendig, mit einem präzis definierten Verständnis von Stellvertretung zu arbeiten, weil ansonsten wiederum die Gefahr besteht, unterschiedliche Vorstellungen der urchristlichen Texte durch einen neuzeitlichen Begriff unsachgemäß zu vereinheitlichen. G. Röhser möchte den Stellvertretungsbegriff als übergreifende Kategorie definieren, mit der sich die Deutung des Wirkens Jesu durch die neutestamentlichen Autoren im Sinne einer Pro-Existenz insgesamt erfassen lasse. Versteht man die Kategorie in einem solchen weiten Sinn, könnte sie in komplementärer Weise zum Sühnebegriff als einer ebenfalls übergreifenden Kategorie aufgefaßt werden. Sie würde das Augenmerk stärker auf die Intention Jesu selbst (in der Deutung durch die neutestamentlichen Autoren) lenken als auf das göttliche Handeln durch Jesus Christus. Kritisch zu fragen bleibt allerdings, ob der Stellvertretungsbegriff auf diese Weise nicht zu weit gefaßt und damit in seiner Erklärungskraft eher geschwächt als präzisiert wird.47

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Vgl. H. HOPING, Stellvertretung. Zum Gebrauch einer theologischen Kategorie, ZThK 118 (1996), 345–360. 45 Vgl. B. J ANOWSKI, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997, 13–21, 131–134 sowie die Präsentation ausgewählter Texte zur Diskussion um den Stellvertretungsbegriff a.a.O., 97–129. Ein Pendant zu Janowskis Studien stellt G. RÖHSERs Untersuchung dar: Stellvertretung im Neuen Testament, SBS 195, Stuttgart 2002. 46 Damit sind hier natürlich nicht die historischen Handlungen im Zusammenhang der Passionsereignisse gemeint, sondern die auf einer theologischen Ebene als aJmartiva, paravbasi" ktl. bezeichneten Einstellungen und Verhaltensweisen. 47 Vgl. meine Rezension in ThRev 100 (2004), 25–28.

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Problematisch ist es auch, unter dem Stellvertretungsbegriff generell das Sterben eines Menschen zugunsten anderer zu subsumieren. Wie etwa diejenigen Texte, die vom Sterben für eine Überzeugung oder eine Institution wie das Vaterland oder die väterlichen Gesetze sprechen, zeigen, kann das „Sterben für“ auch zugunsten von Personen oder Dingen geschehen, ohne daß dabei deren Stelle eingenommen wird.48 Der Lebenseinsatz erfolgt in diesen Fällen vielmehr zur Aufrechterhaltung der eigenen Überzeugung, die zu verleugnen man sich weigert, oder zum Schutz von Personen oder Institutionen, für die man das eigene Leben zu geben bereit ist.49

Als Interpretament des Todes Jesu muß die Stellvertretungsvorstellung also präzise gefaßt werden. Nicht jede Aussage über ein heilseffizientes Sterben und nicht jede uJpevr-Formulierung sind schon als Stellvertretung zu bezeichnen. Vielmehr greift diese Vorstellung nur dort, wo Jesus an die Stelle anderer tritt und damit das eigentlich ihnen zugedachte Geschick auf sich nimmt. Deutlich vorausgesetzt ist dieses Modell etwa in 2 Kor 5,21: Christus wurde für uns zur Sünde gemacht, nahm also die Stelle von uns Sündern ein, damit wir Gerechtigkeit (= zu Gerechten) würden. Christus vertritt uns Menschen hier an der Stelle der Sünder, die wir eigentlich selbst einzunehmen hätten. Ähnlich verhält es sich in Gal 3,13: Christus wurde uJpe;r hJmw'n zum Fluch, nahm also den Fluch auf sich, der eigentlich uns hätte treffen müssen und bewirkte damit unseren Freikauf von diesem Fluch. In der frühchristlichen Literatur begegnet die Vorstellung eines stellvertretenden Sterbens dann auch in 1 Clem 55,1 sowie bei Origenes, Contra Celsum 1,31, der diese Vorstellung explizit mit dem Tod Jesu in Zusammenhang bringt.50 Andere Stellen, die häufig ebenfalls unter dieser Kategorie subsumiert werden, können für eine exakt definierte Vorstellung von Stellvertretung dagegen nicht in Anspruch genommen werden. Als Beispiele seien 2 Kor 5,14f. und Joh 10,11 genannt. Wenn Paulus in 2 Kor 5,14f. den Tod Jesu durch ei|" uJpe;r pavntwn ajpevqanen beschreibt und als Folge dieses ajpoqnh/vskein uJpevr zum einen den Tod aller Menschen benennt (a[ra oiJ pavnte" ajpevqanon), zum anderen, daß die Lebenden nicht mehr sich selbst leben,

48 In dieser Tradition griechisch-römischer Deutungen eines „effektiven Sterbens“ (vgl. die römische devotio sowie die griechischen ejpitavfioi lovgoi) stehen die Märtyrerberichte in 2 und 4 Makk. Vgl. dazu J.W. VAN HENTEN, Das jüdische Selbstverständnis in den ältesten Martyrien, in: Ders. (Hg.), Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, StPB 38, Leiden u.a. 1989, 127–161; DERS., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People. A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJSup 57, Leiden u.a. 1997 sowie seinen Beitrag in diesem Band. 49 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen von H.S. VERSNEL, Quid Athenis et Hierosolymis? Bemerkungen über die Herkunft von Aspekten des „effective death“, in: Van Henten, Entstehung (s. Anm. 48), 162–196, 182–185. 50 Vgl. auch den Hinweis auf diese Stellen bei VERSNEL, Quid Athenis (s. Anm. 49), 185 sowie in dem Beitrag von M. WOLTER in diesem Band.

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sondern dem, der für sie (uJpe;r aujtw'n) gestorben und auferweckt worden sei, dann ist diese Aussage nicht vom Stellvertretungsgedanken her zu erfassen, sondern von der universalen Partizipation an diesem Tod, die die Möglichkeit einer neuen, von Tod und Auferweckung bestimmten Existenz eröffnet.51 In Joh 10,11 ist davon die Rede, daß Jesus als guter Hirte sein Leben für die Schafe gibt. Auch hier ist nicht von Stellvertretung die Rede, denn der Hirte tritt für die Schafe ein und schützt sie vor der Gefahr. Das Bild impliziert nicht, daß die Schafe durch ein mythisches Geschick oder ihr eigenes Verschulden dem Untergang geweiht wären, den der Hirte stellvertretend auf sich nimmt, sondern daß sie durch dessen Lebenseinsatz aus einer aktuellen Gefahr gerettet werden. Das tiqevnai th;n yuch;n uJpevr ist hier also kein stellvertretendes Sterben, sondern der Einsatz des Lebens des Hirten zum Schutz der Schafe.52

Auch bei dem Stellvertretungsbegriff ist es deshalb notwendig, auf eine präzise Definition der damit zur Sprache gebrachten Vorstellung zu achten. Nur so ist es möglich, diese neuzeitliche Kategorie auf die entsprechenden urchristlichen Texte zu beziehen und sie von anderen verwandten, jedoch nicht identischen Vorstellungen, wie etwa denjenigen der Repräsentation oder der Substitution, abzugrenzen. Ein undifferenzierter Gebrauch würde dagegen den urchristlichen Befund auch hier zu schnell nivellieren.

III. Der Ertrag der voranstehenden Ausführungen läßt sich in vier Punkten summieren. 1. „Sühne“, „Opfer“ und „Stellvertretung“ sind keine biblischen Begriffe, sondern Abstraktionen, die einen komplexen traditionsgeschichtlichen, semantischen und argumentativen Befund deuten. Das Verhältnis zu den Texten, auf die sie sich beziehen, weist deshalb notwendigerweise eine semantische Unschärfe auf, da sich ihr Bedeutungsspektrum nicht auf dasjenige der Texte, die sie interpretieren sollen, abbilden läßt. Am Rande sei vermerkt, daß dies auf den häufig als hermeneutische Kategorie gebrauchten, inhaltlich jedoch keineswegs deutlich umrissenen Begriff „Kreuzestheologie“ in analoger Weise zutrifft. Die Beachtung der Differenz von quellensprachlicher Beschreibungssprache und metasprachlicher Verwendung deutender Kategorien aus anderen Sprach- und Vorstellungszusammenhängen ist deshalb die Voraussetzung dafür, die genannten Interpretamente so zu verwenden, daß sie am Textbefund überprüfbar bleiben und nicht mit diesem gleichgesetzt werden.

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Vgl. RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 45), 91. An dieser Deutung von Joh 10 ist trotz des Einspruchs von J ANOWSKI, ‚Hingabe‘ (s. Anm. 17), 40 Anm. 107, unbedingt festzuhalten.

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2. Das Verhältnis der Deutungskategorien zum Textbefund stellt sich jeweils etwas anders dar. Der Sühnebegriff besitzt, ungeachtet seiner weiten Verbreitung, kein Äquivalent in den biblischen Texten, sondern systematisiert einen vielfältigen Befund. Die beachtliche Bedeutung, die diesem Begriff in der neueren Diskussion mitunter beigemessen wird, mutet dabei geradezu erstaunlich an und erinnert an die Rolle, die der Erlösermythos in der Religionsgeschichtlichen Schule spielte. Bei Beachtung der Differenz zu dem quellensprachlichen Befund kann er nur in einem an einer allgemeinen religionsgeschichtlichen Definition orientierten Sinn verwandt werden, die sich auf die Wiederherstellung des gestörten Gottesverhältnisses durch das Erscheinen Jesu bezieht. Methodisch illegitim ist es dagegen, den Terminus als Übersetzungsbegriff für eine bestimmte griechische oder hebräische Wortgruppe zu verwenden und damit den Eindruck zu erwecken, als habe ein bestimmtes Verständnis von „Sühne“ (nämlich ein kultisch qualifiziertes) für urchristliche Verstehensweisen des Todes Jesu die Rolle einer Leitfunktion besessen. Eine derartige These, einschließlich ihrer traditionsgeschichtlichen Implikationen, hat den Textbefund eindeutig gegen sich. Der Opferbegriff kann sich am ehesten auf ein Äquivalent in den biblischen Texten berufen, allerdings muß beachtet werden, daß der deutsche Terminus Konnotationen enthält, die der Verwendung der Termini qusiva und prosforav zur Deutung des Todes Jesu in den urchristlichen Texten nicht entsprechen. Beim Stellvertretungsbegriff schließlich ist das unter dem deutschen Begriff zuweilen Subsumierte in den urchristlichen Texten in verschiedenen Vorstellungen ausdifferenziert, weshalb auch hier eine präzise Definition vonnöten ist, die ihn gegenüber verwandten Kategorien profiliert und damit als interpretatorische Kategorie qualifiziert. 3. Die Vorstellungen, mit denen der Tod Jesu in den urchristlichen Texten gedeutet wird, stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind häufig miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig. Atl.-jüdische Modelle wie dasjenige des am Versöhnungstag opfernden Hohepriesters, das geschlachtete Passalamm oder der leidende Gottesknecht werden ebenso herangezogen wie Topoi der hellenistischen Freundschaftsethik oder dem allgemeinen Weltwissen zugehörige Aussagen über Opfer, rettende Lebenshingabe, Freikauf aus Gefangenschaft und vorbildliches Leiden. Entscheidend dabei ist nicht, ob sich eines dieser Modelle als grundlegend erweisen läßt. Entscheidend ist vielmehr, daß diesen Deutungen die gemeinsame Überzeugung zugrunde liegt, Gott habe in Jesus Christus auf exklusive und letztgültige Weise gehandelt und dieses Handeln erstrecke sich auch auf dessen Tod.

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4. Die Betrachtung der zur Interpretation des Todes Jesu verwandten Deutungskategorien hat gezeigt, daß deren Angemessenheit nur auf der Grundlage des Textbefundes, der noch nicht unter systematisierender Perspektive erhoben wird, beurteilt werden kann und auf diesen als sein Korrektiv stets verwiesen bleibt. Die Nachzeichnung des Textbefundes sollte sich deshalb sprachlich so eng wie möglich an diesem orientieren, wogegen Systematisierungen der Textphänomene erst einen zweiten, hierauf aufbauenden Schritt darstellen können. Nur so ist gewährleistet, daß die Deutungskategorien von dem biblischen Befund selbst unterschieden bleiben und an diesem kritisch geprüft werden. Auf der anderen Seite besteht kein Anlaß, auf diese Kategorien deshalb zu verzichten, weil sie modernem Denken nicht mehr zugänglich seien. Dagegen ist vielmehr mit Paulus das Ärgernis des Kreuzes geltend zu machen, das gängige Wertvorstellungen verkehren und deshalb auch dem modernen Bewußtsein unzumutbar erscheinende Interpretamente als textgemäß erscheinen lassen kann.

Die Sühnevorstellung in der klassischen Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung Friederike Nüssel

Was bedeutet es, daß Jesus Christus „für uns“ gestorben ist? War der Tod Jesu Christi zum Heil der Menschen notwendig? Diese Fragen sind von zentraler Bedeutung für das Verständnis des christlichen Glaubens und beschäftigen die Theologie sei ihren Anfängen auf immer neue Weise. Die neutestamentliche Exegese hat im 20. Jahrhundert die Vielgestaltigkeit des neutestamentlichen Zeugnisses in den Deutungen des Todes Jesu Christi1 herausgearbeitet und gleichzeitig eine Bandbreite exegetischer Interpretationsmöglichkeiten vorgestellt. Dazu gehört die Deutung des Kreuzestodes als Sühnegeschehen auf der Basis der alttestamentlichen Sühne2, die in den 1 Zur Frage, wie mit der Vielgestaltigkeit der Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament umzugehen ist, vgl. die einleuchtende These von R. STOLINA, Tod und Heil. Zur Heilsbedeutung des Todes Jesu, NZSTh 44 (2002), 89–106, hier 90: „Das Neue Testament bedient sich verschiedener Vorstellungen und Deutungsmodelle, um die inkommensurable Heilsbedeutung des Todes Jesu präzise auszusagen. Als hermeneutische Regel gilt: Die verschiedenen Interpretamente erhellen und präzisieren sich wechselseitig; sie sind nicht alternativ zu verstehen, sondern in ihrem Zusammenklang“ (im Original kursiv). W. P ANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. 2, Göttingen 1990, macht außerdem geltend, daß „die Wahl geeigneter Deutungsformen von der Besonderheit des zu deutenden Geschehens her begrenzt“ (a.a.O., 467) sei „und ihr Inhalt von ihm her neu geprägt wurde“ (ebd.), so daß „die Ergebnisse eines solchen Interpretationsprozesses nicht mehr beliebig durch andere Deutungen ersetzbar“ (ebd.) seien. „Sie wären nur insoweit ersetzbar, als die in der traditionellen Sprache bereits explizierten Bedeutungsmomente des Geschehens auch in einem neuen Interpretationsmodell aufgenommen wären, zusammen mit bisher nicht berücksichtigten Aspekten dieses Geschehens. Im Hinblick auf die mit den Vorstellungen von Sühne und Stellvertretung hervorgetretenen Bedeutungsmomente des Todes Jesu ist es kaum wahrscheinlich, daß sie durch andere, heutigem Verständnis vermeintlich zugänglichere Deutungen voll aufgenommen und jene Vorstellungen damit entbehrlich würden“ (a.a.O., 468). Von daher erscheint – wie DALFERTH betont – die „geläufige Redeweise von der ‚Deutung‘ bzw. den ‚Deutungen‘ des Todes Jesu [...] problematisch, wenn sie nur subjektivistisch die Resultate menschlicher Deuteaktivitäten meint“ (I.U. DALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994, 246). 2 Vgl. H. G ESE, Die Sühne, in: Ders., Zur biblischen Theologie, München 1977, 85– 106; B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie und ihrer Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn

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letzten Jahrzehnten von Tübinger Exegeten erarbeitet worden ist. Sie richtet sich mehr oder minder ausdrücklich gegen Rudolf Bultmanns Kritik an der Deutung des Todes Jesu durch die Kategorie des Opfers3, indem sie die Notwendigkeit dieser Kategorie zum Verständnis des Kreuzestodes betont. Dabei geht die biblisch-theologische Interpretation des Kreuzestodes als Sühne jedoch durchaus im Einklang mit dem Ansatz von Bultmann und anderen exegetischen Vertretern der dialektischen Theologie davon aus, daß die Heilsbedeutung Jesu Christi in seinem Tod kulminiert und dieser Tod nicht einfach nur als Folge des Berufsgehorsams Jesu verstanden werden kann. Die exegetische Diskussion über die Sühnevorstellung hat auch die dogmatische Frage nach der Deutung des Todes Jesu Christi neu belebt, wie wichtige neuere dogmatische Entwürfe4 zeigen. Die dogmatische Erörterung der Heilsbedeutung des Todes Jesu muß dabei allerdings den Zusammenhang mit der älteren Lehrtradition mitbedenken, um über die Veränderung in der Versöhnungslehre orientiert zu sein und über die Transformation der Lehrbestände unter neuzeitlichen Bedingungen Rechenschaft ablegen zu können. An den Ergebnissen dieser Selbstaufklärung kann die Exegese wirkungsgeschichtliches Interesse nehmen und zugleich Orientierung für ihre Forschungsfragen gewinnen. In diesem Sinne soll im folgenden untersucht werden, welche Rolle der Sühnevorstellung im Zusammenhang der Deutung des Todes Jesu Christi in der evangelischen Theologie von der Reformation bis zur Frühaufklärung zukam, wie das herkömmliche Verständnis des Kreuzestodes dann durch die Kritik der Aufklärung problematisiert wurde und welche daraus resultierenden Schwierigkeiten auch unter gegenwärtigen Bedingungen bei der Interpretation des Kreuzestodes als Sühne zu bedenken sind. In einem 1982; O. HOFIUS, Erwägungen zur Gestalt und Herkunft des paulinischen Versöhnungsgedankens, ZThK 77 (1980), 186–199; DERS., „Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2 Kor 5,19), ZNW 71 (1980), 3–20; DERS., Art. Sühne IV: Neues Testament, TRE 32 (2000), 342–347. Zur Deutung des Kreuzestodes Jesu Christi als Sühnetod vgl. auch U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer, EKK VI/1, NeukirchenVluyn 1978, 190–196, siehe bes. den Exkurs zur Sühne-Vorstellung, a.a.O., 233–243. – Einen anderen traditionsgeschichtlichen Zugang zur Interpretation des Todes Jesu Christi gewinnt C. BREYTENBACH, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989. 3 Vgl. dazu DALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 1), 241. 4 Vgl. dazu den Überblick von CHR. GESTRICH, Art. Sühne V: Kirchengeschichtlich und dogmatisch, TRE 32 (2000), 348–355, bes. 352f. Außerdem P ANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 447–461, bes. 456f.; DALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 1), 241–315. Zum Begriff der Stellvertretung vgl. inzwischen auch ST. SCHAEDE, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie, BHTh 126, Tübingen 2004. Dieses wichtige Buch erschien leider erst nach Abgabe der Druckfassung dieses Beitrages.

Die Sühnevorstellung in der Dogmatik und ihre neuzeitliche Problematisierung

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ersten Punkt soll darum die sogenannte klassische5 evangelische Dogmatik im Anschluß an die evangelisch-lutherische Bekenntnistradition auf ihre Deutung des Todes Jesu Christi befragt werden. In einem zweiten Schritt ist an einigen prägnanten Beispielen zu zeigen, wie das etablierte traditionelle Verständnis des Todes Jesu Christi unter neuzeitlichen Bedingungen kritisiert worden ist. Abschließend ist zu fragen, wie sich die klassische Deutung des Todes Jesu Christi und deren neuzeitliche Problematisierung zur neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu als Sühne verhält.

1. Die Deutung des Todes Christi in der klassischen Dogmatik Die Deutung des Kreuzestodes in der frühen lutherischen und reformierten Dogmatik basiert wie diese insgesamt auf der an der reformatorischen Auslegung der Schrift orientierten Bekenntnistradition. Sowohl in der lutherischen wie in der reformierten Bekenntnistradition wird dabei die von Anselm von Canterbury in Cur deus homo?6 entwickelte Deutung des Todes Christi durch die Satisfaktionstheorie vorausgesetzt, die sich gegenüber der Deutung des Kreuzestodes bei Abaelard durchsetzen konnte und in der mittelalterlichen Theologie bestimmend wurde. Anselm von Canterbury interpretiert den Tod Jesu Christi am Kreuz als ein von Jesus Christus als dem Sohn Gottes erbrachtes Verdienst vor Gott zur Genugtuung für die durch die Sünde der Menschen entstandene Verletzung der göttlichen Ehre.7 Als Verdienst gilt der Kreuzestod Jesu Christi nach Anselm deshalb, weil er von Jesus Christus freiwillig erlitten worden

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Unter klassischer Dogmatik verstehe ich hier die evangelische Dogmatik der sog. altprotestantischen Orthodoxie, die ihrem Selbstverständnis zufolge evangeliumsgemäß und insofern orthodox lehren möchte. Als Kriterien ihrer Orthodoxie bestimmt sie die Übereinstimmung mit der Schrift und mit der – die Schrift im Lichte der reformatorischen Erkenntnis auslegenden – Bekenntnistradition. Durch die Einführung der analytischen Methode innerhalb der lutherischen Dogmatik formiert sich diese wissenschaftlich als praktische Disziplin, indem sie sich zur Aufgabe macht, die Ursachen und Mittel zu bestimmen, mit denen der Mensch als das Subjekt der Theologie zu seinem Ziel, der Gemeinschaft mit Gott, geführt werden kann. Wenngleich die theologischen Systeme, die im konfessionellen Zeitalter entworfen worden sind, in der Adaption der aristotelisch geprägten Schulphilosophie als ‚altprotestantisch‘ gelten können, kommt ihnen in Bezug auf ihre Distinktionsleistung und die zur Geltung gebrachten theologischen Anliegen doch klassische Bedeutung zu: Sie dokumentieren und transportieren die in der Reformation wiedergewonnene Grundeinsicht in die Alleinwirksamkeit und Bedingungslosigkeit der Gnade Gottes und gehören so zum Erbe des Protestantismus. 6 Vgl. ANSELM VON CANTERBURY, Cur deus homo?, Lateinisch und Deutsch, Darmstadt 41956. 7 Zur Verletzung der Ehre Gottes durch die Sünde vgl. ANSELM , Cur deus homo I, 15.

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sei.8 Voraussetzung dafür sei wiederum die Sündlosigkeit Christi. Denn wäre Jesus ein Sünder gewesen, hätte er den Tod nicht freiwillig, sondern als Strafe für seine eigene Sünde erleiden müssen. Die Notwendigkeit eines genugtuenden Verdienstes erklärt Anselm damit, daß Gottes Ehre in seiner Schöpfergüte gründe und darum nur durch die Wahrung der mit der Schöpfung gesetzten Ordnung wieder hergestellt werden könne; außerdem muß nach Anselm auch die mit der Verletzung der Ehre Gottes entstandene Beleidigung kompensiert werden.9 Der Mensch müßte demnach nicht nur die Strafe für die Sünde erleiden, sondern seine Sünde auch durch ein adäquates Verdienst wieder gut machen. Dazu sei der sündige Mensch jedoch nicht in der Lage, da er Gott ohnehin pflichtmäßig alles schulde, was er sei und vermöge. Zudem müßte er wegen der Schwere der Sünde Gott zur Versöhnung etwas Größeres wiedererstatten als das, um dessentwillen die Sünde nicht hätte begangen werden dürfen.10 Es wäre mithin etwas Göttliches zu erbringen, wollte der Mensch sich vor Gott entsündigen.11 Ein adäquates Verdienst habe daher nur von einem Gottmenschen erbracht werden können. Zu diesem Zweck sei der Sohn Gottes Mensch geworden. Daß das Verdienst des menschgewordenen Gottessohnes allen Menschen habe zugute kommen können, sieht Anselm in dem unendlichen Wert dieses Verdienstes begründet, der wiederum daraus resultiere, daß der Gottmensch das verdienstvolle Leiden auf sich genommen habe. Da Gott dieses Verdienstes zwar zur Wiederherstellung der Schöpfungsordnung, nicht aber zu seiner eigenen Vollkommenheit als Gott bedürfe, könne er es auf Bitte des Sohnes hin den Menschen zurechnen. Entscheidend für das Verständnis des Todes Jesu Christi ist dabei, daß dieser von Anselm nach dem Grundsatz „aut satisfactio aut poena“12 als eine dem Schaden äquivalente Satisfaktionsleistung zur Wiedergutmachung des Schadens und nicht als Strafe für die Sünde angesehen wird. Der Tod des Gottessohnes erscheint Anselm notwendig, weil nur so ein unendlich großes Verdienst zur Wiederherstellung der göttlichen Ehre erbracht werden könne. Daß die den Menschen von Gott trennende Sünde nicht anders als durch den Tod überwunden werden könne, erklärt Anselm mithin nicht aus dem Phänomen der Sünde als solcher, sondern aus dem Satisfaktionsbedarf für die göttliche Ehre.

8 9

Vgl. ANSELM, Cur deus homo I, 8. Vgl. dazu G. WENZ, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, Bd. 1, München 1984, 43. 10 ANSELM , Cur deus homo I, 21. 11 Vgl. WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 44. 12 Vgl. ANSELM , Cur deus homo I, 13 u.ö. Zur Diskussion über die Herkunft dieser Formel siehe WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 44–47.

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Diese Deutung des Todes Jesu Christi als Satisfaktionsleistung für die Sünde der Menschen wird in der reformatorischen Theologie und der ihr entsprechenden Bekenntnistradition übernommen. Exemplarisch läßt sich das an der Erklärung der Rechtfertigung in CA IV (lateinische Fassung) zeigen: „Item docent, quod homines non possint iustificari coram Deo propriis viribus, meritis au operibus, sed gratis iustificentur propter Christum per fidem, cum credunt se in gratiam recipi et peccata remitti propter Christum, qui sua morte pro nostris peccatis satisfecit“13. Als Grund der Aufnahme in die Gnade und der Sündenvergebung gilt mithin Jesus Christus, der durch seinen Tod Genugtuung für die Sünden geleistet habe. Die Genugtuungsleistung wird dabei – terminologisch über Anselm hinausgehend – in aktiven und passiven Gehorsam differenziert. Der aktive Gehorsam bestehe darin, daß Christus in seinem Leben durchgängig das Gesetz Gottes erfüllt habe, der passive Gehorsam sei hingegen in seinem unschuldigen Leiden und Sterben gegeben.14 Aktiver und passiver Gehorsam konstituieren dieser Deutung zufolge gemeinsam die Satisfaktion, wobei der aktive als Voraussetzung für die Verdienstlichkeit des passiven Gehorsams bestimmt wird. Im Anschluß an Hebr 10,4.10 und Jes 53,10 beschreibt Philipp Melanchthon in der Apologie den Tod Jesu Christi zwar als Sühnopfer für die Sünde der Welt.15 Die Notwendigkeit und Wirkung des im Tod vollbrachten Sühnopfers wird jedoch anders als im Hebräerbrief durch die Satisfaktionstheorie interpretiert. So erscheint der Kreuzestod, den Jesus Christus als der menschgewordene Gottessohn erleidet, in der Auslegung Melanchthons als ein verdienstvolles Opfer, welches die verletzte Ehre des Vaters wieder herstellen und den Zorn Gottes gegen den Menschen aufheben soll. Die Anerkennung des Verdienstes und die Zurechnung als stell13 BSLK 56, 5–9. Vgl. auch die Apologie zur Confessio Augustana Art. IV, 178 (BSLK 195, 45–48) und die Konkordienformel Solida Declaratio Art. III, 57 (BSLK 934, 12–18). Auch in den von Luther verfaßten Texten des Konkordienbuchs erscheint der Satisfaktionsgedanke zur Erklärung des Kreuzestodes Jesu Christi, vgl. den Großen Katechismus, Auslegung des 2. Artikels, 31 (BSLK 652, 43ff.) sowie die Schmalkaldischen Artikel III, 3, Nr. 38 (BSLK 447, 33–35). 14 So kann D. H OLLAZ dogmatisch festhalten: „CHRISTUS satisfecit obedientia activa & passiva. Obedientia activa CHRISTUS legem divinam nostri vice exactissime implevit, ut hanc impletionem legis vicariam peccatores poenitentes vera sibi fide applicantes coram judice DEO justi reputentur. Obedientia passive CHRISTUS totius mundi peccata in se transtulit, & poenas iis debitas ultro luit, sanguinem suum pretiosissimum fundendo, & mortem ingnominiosissimum pro omnibus peccatoribus obeundeo, ut credentibus in Redemptorem CHRISTUM peccata ad aeternam poenam non imputentur“ (D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum universam theologiam thetico-polemicam complectens, Stargard 1707, Ndr. Darmstadt 1971, Teil III/1, Kapitel 3, q 78, 240). 15 So in AC XXIV (Von der Messe. Was Opfer sei), 22 und 55 (BSLK 355, 15ff.; 365f., 46ff.).

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vertretendes Verdienst für die Menschheit versteht sich dabei nicht von selbst, sondern gilt als Akt der göttlichen Gnade, um die Jesus Christus in seiner priesterlichen Fürbitte bittet. Der Begriff der Sühne wird in dieser Deutung zwar aus den biblischen Aussagen aufgenommen. Doch die Notwendigkeit des Sühnopfers und seine Wirkung werden nicht aus der biblischen Vorstellung heraus erklärt, sondern aus dem in der Satisfaktionstheorie implizierten Verständnis der Majestät Gottes. Konstitutiv für dieses Verständnis der Majestät Gottes bei Anselm und in der Folgezeit ist die Vorstellung von der in der Schöpfermacht Gottes gründenden Ehre, die sich in der Setzung und Bewahrung der Schöpfungsordnung manifestiert und bewährt. Sie ist zum einen gekoppelt mit dem Verständnis der göttlichen Gerechtigkeit, welche die Bestrafung der Schuldigen fordert, zum anderen mit der für patristisches und scholastisches Denken grundlegenden Bestimmung der Unveränderlichkeit Gottes. In seiner Unveränderlichkeit könne Gott die einmal gesetzte Ordnung nicht verändern und darum die Sünde nicht einfach als geschehen hinnehmen und vergeben. In seiner Gerechtigkeit müsse er vielmehr die Strafe für die Sünde oder eine entsprechende Ersatzleistung fordern. Die Satisfaktionstheorie hebt mithin darauf ab, die Heilsbedeutung des Todes Christi so zu erklären, daß das vorausgesetzte Verständnis der Gottheit Gottes gewahrt bleibt. Der Kreuzestod wird dabei als satisfaktorisches Verdienst interpretiert, welches nach dem Grundsatz „aut satisfactio aut poena“ als Ersatz für die Strafe fungiert. Christus erleidet dieser Vorstellung gemäß den Tod nicht als Strafe für die Sünde, sondern nimmt ihn als freiwillige Leistung auf sich, um ein größtmögliches Verdienst vor Gott zu erwerben. Mit dem Gedanken der Unveränderlichkeit Gottes verbindet Anselm wie die Patristik grundlegend die Vorstellung von der Leidensunfähigkeit Gottes. Um die Bestimmung der Leidensunfähigkeit in der Deutung des Kreuzestodes Jesu Christi aufrecht zu erhalten, betont er wie Augustin, daß Jesus Christus den Tod nur nach seiner menschlichen, nicht nach seiner göttlichen Natur erlitten habe und darum nur nach seiner menschlichen Natur Mittler zwischen Gott und Mensch sei.16 Dieser Gedanke wird von der reformatorischen Theologie im Anschluß an Martin Luther jedoch nicht übernommen, sondern kritisiert und korrigiert. Entsprechend heißt es in der Konkordienformel unter Berufung auf das Chalcedonense, „was anlanget die Vorrichtung des Ambts Christi, do handelt und wirket die Person nich in, mit, durch oder nach einer Natur allein, sondern in, nach, mit und durch beide Naturen“17. Darüber hinaus wird von Luther und der nachfolgenden lutherischen Theologie entschieden betont, daß im Tode Christi nicht nur ein Mensch gestorben sei. Luther mahnt in Von den Conciliis und 16 17

Vgl. dazu P ANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 449f. FC SD VIII, 46 (BSLK 1031, 32–36).

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Kirchen: „wo es nicht soll heißen, Gott ist für uns gestorben, sundern allein ein Mensch, so sind wir verloren. Aber wenn Gottes Tode und Gott gestorben in der Wagschüssel liegt, so sinkt er unter und wir fahren empor als eine leichte, ledige Schüssel“18. Daß es sich dabei nicht nur um eine praedicatio verbalis handele, wird in der Konkordienformel ausdrücklich betont19 und mit Hilfe der Lehre von der communicatio idiomatum, speziell dem ersten genus derselben, erklärt. Im Zuge dieser soteriologisch motivierten Einsicht versteht Luther Gott nicht primär als Empfänger der Satisfaktionsleistung, sondern als denjenigen, der im Sühnetod Jesu Christi selbst die Sünde der Welt überwindet. Die Notwendigkeit des Todes Jesu Christi resultiert für Luther dabei nicht in erster Linie aus der Ehrverletzung Gottes, sondern aus der Tatsache, daß die Sünde in ihrer Radikalität nicht anders als mit dem Tod bestraft werden kann. Entsprechend erscheint bei ihm der Kreuzestod Jesu Christi nicht als stellvertretende Ersatzleistung, sondern als stellvertretendes Strafleiden für die Sünde20: Um die Macht des Todes als einer von Gott trennenden Strafe für die Sünde zu brechen, ist Christus gestorben. Und indem Gott selbst im stellvertretenden Strafleiden Jesu Christi präsent ist und die Macht des Todes bricht21, erweist er sich als der liebende Vater und offenbart darin das wahre Wesen seiner Gerechtigkeit. Da Luther die Satisfaktionslehre nicht systematisch und ausdrücklich kritisiert, sondern die Terminologie selbst häufig unkritisch verwendet, kommt es in der reformatorischen Theologie nicht zu einem neuen, besser an der Schrift orientierten Deutungsansatz. Die Satisfaktionstheorie Anselms von Canterbury wird mit der erwähnten Korrektur hinsichtlich der Bestimmung der Mittlerschaft Christi in das christologische Lehrstück der lutherischen und reformierten Schuldogmatik übernommen. Dabei wird das satisfaktorische Versöhnungswerk Jesu Christi im Anschluß an die von Johannes Calvin eingeführte Differenzierung der Ämter Christi als Teil des priesterlichen Amtes ausgelegt und vom prophetischen und königlichen Amt Christi unterschieden.22 Zum priesterlichen Amt gehört neben der durch aktiven und passiven Gehorsam vollzogenen satisfactio auch die 18 19 20

Zitiert nach FC SD VIII, 44 (BSLK 1030, 47–1031, 5). FC SD VIII, 45 (BSLK 1031, 17–26). Vgl. dazu O. T IILILÄ, Das Strafleiden Christi, Helsinki 1941. Vgl. dazu P ANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 451 und WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 62–64. 21 Vgl. WENZ, a.a.O., 65. Siehe auch E. J ÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 51986, 126–128. 22 Vgl. zur Lehre vom dreifachen Amt Christi in der lutherischen Dogmatik PANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 487–496. Siehe auch F. N ÜSSEL, Bund und Versöhnung. Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus, FSÖTh 77, Göttingen 1996, 126–130.

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intercessio, also die Fürbitte Jesu Christi beim Vater, das erworbene Verdienst den Sündern zuzurechnen: Die Satisfaktion erscheint mithin als Bedingung der Möglichkeit für die Imputation der Gerechtigkeit im Akt der Rechtfertigung. Das priesterliche Versöhnungswerk wird in den schuldogmatischen Systemen dabei aber nicht nur unter der Voraussetzung der durch die Zwei-Naturen-Lehre bestimmten Person Jesu Christi entfaltet, sondern als Teil des ökonomisch-trinitarischen Wirkens Gottes ausgelegt. Die Ausübung des priesterlichen Amtes Christi geht demnach auf den universalen Heilswillen Gottes zurück, realisiert sich in der Geschichte durch Christi prophetisches und königliches Wirken im Medium von Wort und Sakrament in der Kirche und wird dem Einzelnen durch das Wirken des Heiligen Geistes zuteil. Wie sich dieses Wirken des Geistes im einzelnen vollzieht, expliziert die Lehre vom ordo salutis.

2. Die neuzeitliche Kritik an der herkömmlichen Deutung des Todes Jesu Christi Schon im 16. Jahrhundert richtet sich gegen die in der reformatorischen Theologie und den reformatorischen Bekenntnisschriften übernommene und in der Schuldogmatik ausdifferenzierte Satisfaktionstheorie die einschneidende Kritik des Faustus Socinus und seiner Anhänger. Die Kritik der Sozinianer ist motiviert durch strenge Ausrichtung an der Schrift, erwächst aber material aus einer eigenständigen, in neuer Weise vom Freiheitsgedanken bestimmten Sicht des Menschen und einem entsprechend geprägten Gottesgedanken23. Von daher bezieht sie sich primär auf das trinitarische und christologische Dogma und erst in zweiter Linie auf die traditionelle Erklärung des Todes Jesu Christi durch die Satisfaktionstheorie. Dabei wird erstens die Behauptung der Notwendigkeit der Satisfaktion bestritten, weil Gott in seinem unmittelbaren Willen die Sünde durchaus übergehen könne und in seiner Aseität nicht auf Satisfaktion bzw. Wiederherstellung der göttlichen Ordnung angewiesen sei.24 Zweitens wird der in der Satisfaktionslehre behauptete Zusammenhang von Genugtuung und Vergebung25 kritisiert, da Genugtuung Vergebung ausschließe und umgekehrt. Drittens wird von den Sozinianern die Möglichkeit stellvertretender Übernahme von persönlicher Strafe und die Zurechnung fremder Verdien23 Vgl. zur Lehre der Sozinianer die Darstellung von W ENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 100–127. 24 Vgl. F. SOCINUS, Praelectiones theologicae, Bibliotheca Fratrorum Polonorum, 1656, Bd. 1, Sp. 1. Siehe dazu W ENZ, Versöhnungslehre I, 121f. 25 So F. SOCINUS, De Jesu Christo Servatore, Bibliotheca Fratrorum Polonorum 1656, Bd. 2, 216. Vgl. dazu WENZ, Versöhnungslehre I, 122f.

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ste zur Gerechtigkeit bestritten.26 Diese Kritik trifft die herkömmliche Deutung des Todes besonders einschneidend. Da die Sozinianer selbst den Kreuzestod Jesu Christi jedoch nur als Exempel der Sittlichkeit Jesu interpretieren, ohne die biblische Vorstellung vom Tod Christi als Tod für die Sünde der Menschen zu erklären, ist trotz ihrer auf der Schrift basierenden Kritik verständlich, daß die orthodoxen Dogmatiker im 17. Jahrhundert die sozinianische Lehre unter Aufgebot ihres gesammelten Scharfsinns als Irrlehre bekämpfen27. Dennoch: Mit der Kritik der Sozinianer an den christlichen Dogmenbeständen insgesamt und an der satisfaktorischen Deutung des Todes Christi im besonderen kündigt sich die neuzeitliche Problematisierung der von Anselm übernommenen Deutung des Kreuzestodes an, die in der theologischen Diskussion im 18. Jahrhundert bestimmend wird. Sie ist wie schon bei den Sozinianern motiviert durch die Vorstellung von der Selbständigkeit und Unvertretbarkeit des Individuums, die das Erdulden fremder Strafe und die Zurechnung eines fremden Verdienstes zur Gerechtigkeit unmöglich erscheinen läßt. Das Interesse an der Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit des Menschen führt dabei zur Kritik nicht nur an der Satisfaktionstheorie, sondern zugleich an der mit ihr verbundenen Lehre von der Erbsünde. So erklärt Johann Conrad Dippel, der den Pietismus aufklärerisch radikalisiert: „Bestünde der Fall Adams, und das durch denselben fortgepflanzte natürliche Verderben und Reich der Sünde in einem blossen Reatu und Imputation, so könnte man sagen, daß solches durch Christi Gehorsam und Leiden könne gebüsset und redressiret werden, dennoch aber wäre dieses gaukelhafte Imputiren gegen Gottes Natur, und vernichtete in derselben alle Weisheit und Heiligkeit: weil kein Delictum, wo es nicht reellement von einem in den andern übergehet, es seye physice oder moraliter, dem Unschuldigen kan imputiret werden, und solchem zur Straffe gedeyen. Nun aber die Sache gantz anders sich verhält, das Übel nicht in Adam, sondern in uns selbst haftet, das uns und unsern Gott von einander scheidet, und uns der Seligkeit beraubet, so hat das närrische Imputiren, sowohl der Schuld des Adams, als der Unschuld Christi, keinen Platz mehr, als nur in dem Gehirn offenbarer Phantasten, die blos durch Einbildung können Gesunde und Krancke, Reiche und Arme, Glückseelige und Verdammte agiren, und sich dann eben einen solchen Gott vorstellen, der in seiner Heiligkeit mit nichts, als solchen Imputationen, occupiret wäre, und gar nichts reelles mehr würcken wolte oder könte“.28

Die Satisfaktionsvorstellung lehnt Dippel aber nicht nur deshalb ab, weil sie die Voraussetzung der von ihm kritisierten Imputationsvorstellung dar26 Vgl. zur sozinianischen Kritik des Stellvertretungsgedankens W ENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 124f. 27 Vgl. exemplarisch J.A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica, sive Systema theologicum (1685), Leipzig 1715. 28 J.C. D IPPEL, Etwas Neues, oder Retirade der Lutherischen Orthodoxie (1733) III, 296f.

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stellt, sondern auch deshalb, weil sie impliziert, daß Gottes Zorn versöhnt werden müsse. Das widerstreite der neutestamentlichen Rede von der Liebe Gottes. Es gehe im Erlösungswerk Jesu Christi nicht darum, Gott mit dem Menschen zu versöhnen; vielmehr müsse umgekehrt der Mensch, auf dessen Seite die Feindschaft bestehe, mit Gott versöhnt werden.29 Dippel bringt mithin gegenüber der reformatorischen und orthodoxen Deutung des Todes Jesu Christi zur Geltung, daß Gott nur als das Subjekt und nicht als Empfänger der Versöhnungstat Jesu Christi zu gelten habe. Wenngleich darin ein entscheidender Fortschritt in der Entwicklung der Versöhnungslehre zu erblicken ist, ist Dippels Deutung des Todes Jesu Christi im Verhältnis zu den neutestamentlichen Aussagen dennoch problematisch. Denn er versteht das Leiden und Sterben Jesu Christi als Vorbild der Selbstverleugnung, nach welchem in jedem Menschen das adamische tierische Leben auf unsichtbare Weise zu vernichten sei30. Das Vorbild Christi zeigt in der Interpretation Dippels mithin an, wie der Mensch sich selbst in einem eigenen Entwicklungsprozeß von seiner animalischen Struktur durch Selbstnegation befreien kann. Die Bandbreite neuer Deutungsversuche des Kreuzestodes im 18. Jahrhundert wird deutlich, wenn man Dippels Konzeption mit der des Neologen Johann Gottlieb Töllner vergleicht. Dieser hält anders als Dippel an der Satisfaktionstheorie in Grundzügen fest, und zwar gezielt auch an der Auffassung, daß die Satisfaktion von Jesus nach seiner menschlichen Natur erbracht worden sei31. Der Sinn der Satisfaktion liegt nach seinem Verständnis allerdings weniger in der Entsprechung zur göttlichen Gerechtigkeit als vielmehr darin, „den Nutzen der Strafe für den vom Pfad der Tugend abgekommenen Sünder zu erweisen“32 und die Erneuerung des Menschen zur Tugend zu vermitteln. Dabei soll nach Töllner die Zurechnung der Genugtuung nur denen gelten, die in sie mit Tugendübung auch einwilligen. Den „Hintergrund der Satisfaktionstheorie Töllners bildet [...] im Grunde gar nicht mehr eine begangene Sünden vergeltende Strafgerechtigkeit Gottes, vielmehr bleibt der Genugtuungsgedanke nur insoweit auf Untaten der Vergangenheit bezogen, als es nötig erscheint, sie als widriges Hemmnis gegenwärtiger und zukünftiger Rechtschaffenheit für nichtig zu erklären, und dann die Genugtuung in ihrer eigentlichen Funktion zur Geltung zu bringen: als ‚Triebfeder‘ der Tugend, deren bleibende ‚zuvorkommende‘ Bedeutung letztlich nur darin besteht, der moralischen Selbsttätig29 30

Vgl. J.C. DIPPEL, Vera Demonstratio Evangelica (1729) II, 676. Vgl. J.C. DIPPEL, Wein und Oel in die Wunden deß gestäupten Pabstthums der protestirenden (1699) I, 307. 31 Vgl. J.G. T ÖLLNER , Die Leiden des Erlösers in neun Abhandlungen, Frankfurt a.d. Oder 1757, 278f. 32 WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 176.

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keit der Menschen in ihrer Hinfälligkeit immer wieder auf die Beine zu helfen“33. Wie sehr Töllner auf die Konstitution selbsttätiger Tugend abhebt, wird an seiner Kritik der traditionellen Lehre vom aktiven Gehorsam Christi deutlich, die er in der Schrift Der thätige Gehorsam Jesu Christi von 1768 vorbringt. Töllner geht wie schon die Sozinianer davon aus, daß sich der aktive Gehorsam Christi bzw. das darin erworbene Verdienst nicht übertragen lasse.34 Außerdem hält er der traditionellen Lehre vom aktiven Gehorsam Christi und deren Begründung in der Lehre von der durch Anhypostasie35, Idiomenkommunikation36 und Sündlosigkeit37 bestimmten Person entgegen, daß Christus den aktiven Gehorsam vollkommener Gesetzeserfüllung für sich selbst zu leisten verpflichtet gewesen sei.38 Darum erwachse daraus kein zurechenbares Verdienst. Ein solches durch aktiven Gehorsam erworbenes Verdienst erscheint Töllner auch überflüssig, da die Satisfaktionsleistung des passiven Gehorsams für die Erlösung durch Gott hinreiche.39 Wenngleich Dippel und Töllner unterschiedlich mit dem Satisfaktionsgedanken operieren, ist ihnen doch das leitende Interesse an der Konstitution moralischer Selbsttätigkeit und die damit verbundene Kritik an der Zurechnungsvorstellung gemeinsam. Es entspricht diesem Interesse, daß zuerst die Zurechenbarkeit des aktiven Gehorsams Christi und nicht die Notwendigkeit des passiven Gehorsams im Sühnetodes Jesu Christi bestritten wird.40 Wo darüber hinaus wie bei Dippel erkannt wird, daß in den neutestamentlichen Aussagen die Versöhnung von Gott ausgeht, Gott selbst sich also mit dem Tod Jesu Christi die Möglichkeit schafft, die Sünde zu vergeben, verliert der Tod Jesu die in der Satisfaktionstheorie etablierte Bedeutung, Gott zu versöhnen. Das allerdings führt dazu, daß der Tod Jesu Christi nicht mehr als Begründung einer neuen Sachlage im Blick auf das Verhältnis Gottes zu den Menschen angesehen wird. Denn der Sache nach kommt dem Tod Jesu Christi in den genannten neologi33 34 35 36 37 38 39

WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 177f. J.G. TÖLLNER, Der thätige Gehorsam Jesu Christi, Breslau 1768, 570.620f. Vgl. dazu TÖLLNER, a.a.O., 359f. Vgl. dazu TÖLLNER, a.a.O., 390.395. Vgl. dazu TÖLLNER, a.a.O., 399ff. T ÖLLNER, a.a.O., 419f. Siehe T ÖLLNER, a.a.O., 470.475. Vgl. dazu WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9),

184. 40

Auf diesen bemerkenswerten Sachverhalt hat bereits K. ANER, Die Theologie der Lessingzeit, Halle 1929, 286f. in der Formulierung der Rückfrage hingewiesen: „... war nicht gerade die blutige Versöhnung der Neologie überaus anstößig? Läge nicht eine Anrechnung der moralischen Qualitäten Jesu dem aufklärerischen Verständnis viel näher als der Gottes Vergebung ermöglichende Sühnetod?“

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schen Konzeptionen nur noch eine Vorbildfunktion zu. War die sühnende Bedeutung des Todes schon im Rahmen der Satisfaktionstheorie unterbestimmt worden, indem der Tod Christi als eine Gottes Ehre wieder herstellende und die Zurechnung des Verdienstes ermöglichende Ersatzleistung verstanden wurde, so wird in der Neologie die Bedeutung des Todes Jesu Christi als Sühnetod für die Sünde weiter herabgemindert. Denn nun erscheint die Bedeutung des Kreuzestodes auf eine Vorbildfunktion reduziert. Der Tod begründet damit nur insofern eine neue Sachlage für den Menschen, als er zur selbsttätigen Nachahmung und darin zur Konstitution eigener Sittlichkeit ermutigt. Die sühnende Wirkung des Todes realisiert sich damit erst in der Heiligung der glaubenden Individuen. Diese Sicht dürfte den neutestamentlichen Aussagen über den Kreuzestod Jesu Christi kaum entsprechen. Die vorgestellte Kritik an Satisfaktionslehre und Imputationsvorstellung wird von anderen theologischen Denkern im Aufklärungszeitalter weiter vertieft. Johann August Eberhard betont in seiner Neue(n) Apologie des Sokrates von 1772/177841, daß Strafe für die Sünde von jedem selbst erlitten werden müsse und versteht sie als Mittel zur Besserung.42 Hatte sich schon bei Töllner die Aufhebung des Korrespondenzverhältnisses von Schuld und Strafe angebahnt, insofern nach Töllner die Entschuldigung für die Sünde faktisch durch die Besserung stattfindet und die Strafe diesen Vorgang nur befördern soll43, so baut Eberhard diesen Gedanken aus: Die von Hugo Grotius propagierte Vorstellung von Gott als Regenten impliziert für ihn, daß göttliche Strafakte in ihrer Vollkommenheit auf das Wohl der Welt und die diesem dienende Besserung des jeweils bestraften Subjekts zielen müßten44. Obwohl Eberhard eine „mittelbare Begnadigung und Beseligung des Menschen durch den Tod Christi“45 nicht in Abrede stellt, kommt dem Tod doch auch bei ihm nur erzieherische Vorbildfunktion zu, die allerdings für aufgeklärte Geister nicht mehr nötig sei. Sie können nach Eberhard das Unternehmen der Selbstentschuldigung durch sittliche Besserung von sich aus in Angriff nehmen. Mit anderen Worten: „Wir müssen [...] den Menschen seiner eigenen Thätigkeit überlassen. Sein Schicksal 41

J.A. EBERHARD, Neue Apologie des Sokrates, Bd. 1: Berlin 1772, 21776, Bd. 2: Berlin 1778. 42 Vgl. EBERHARD, a.a.O., I, 122. Eberhard schließt sich dabei der Deutung des Todes als Strafexempel bei Hugo Grotius an. Siehe dazu WENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 192f. 43 Vgl. WENZ, a.a.O., 194f. 44 Weil demnach Strafen aufhören müssen, wo die Besserung erreicht ist, lehnt Eberhard die Vorstellung ewiger Höllenstrafen ab und befürwortet die Lehre von der Apokatastasis panton, vgl. EBERHARD, Neue Apologie I (s. Anm. 41), 114.419; siehe dazu W ENZ, Versöhnungslehre I (s. Anm. 9), 196. 45 WENZ, a.a.O., 199.

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wird von nichts anders als von seiner eigenen Tugend abhangen, und zwar genau von dem Grade derselben, den er nach seinen Fähigkeiten und Umständen hat erreichen können“46. Die christliche Opfertheologie deutet Eberhard von daher nur als Speise für die Schwachen, die noch in jüdischem Denken aufgewachsenen seien. Ähnlich geschieht das auch bei Gotthilf Samuel Steinbart in seinem „System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums“ von 1778.47 Der Tod Jesu Christi hat nach seiner Deutung die Funktion, die Juden von dem falschen Bewußtsein zu befreien, in welchem sie „durch Mose und die Propheten [...] in ihrem Kindheitsalter oder in der Zeit ihrer rohen unkultivirten Sinnlichkeit gehofmeistert und in strenger Zucht durch eine Menge einzelner Gesetze und willkührlicher Strafen gehalten worden“48 waren. Damit ist die klassische Deutung des Todes Jesu Christi vollständig zersetzt, und zwar sowohl im Blick auf die Begründung der Notwendigkeit des Todes als auch im Blick auf die Betonung seiner universalen Bedeutung. Denn der Tod Jesu Christi erscheint nun weder zur Wiederherstellung der göttlichen Ehre durch eine unendliche Genugtuung, noch zur Überwindung der Sünde und Konstitution menschlicher Glückseligkeit notwendig, und seine Exempelfunktion reduziert sich auf diejenigen, die der jüdischen Gottesvorstellung und Gesetzesfrömmigkeit anhängen. Der Konzentration auf die sittliche Selbständigkeit des Menschen korrespondiert, daß die Sünde vornehmlich als Problem der Subjektivität in den Blick kommt. Den in der beschriebenen Entwicklung erkennbaren Versuch, eine aufgeklärte Deutung des Todes Jesu Christi zu gewinnen, bringt Immanuel Kant auf der Basis seiner Vernunftkritik in der Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 1793/94 an sein vorläufiges Ende. In der christlichen Religion geht es nach Kants vernünftiger Rekonstruktion wesentlich um die Überwindung der als das radikale Böse gedeuteten Sünde49 und um die Durchsetzung des guten Prinzips im Menschen50. Kant geht dabei davon aus, daß geschehenes Unrecht Strafe verlangt, auch wenn nachfolgend Besserung geschieht. Damit sieht er anders als die Neologen die Funktion der Strafe nicht in der Besserung, sondern darin, Gerechtigkeit herzustellen. Es steht für ihn somit fest, daß der Verstoß gegen das 46 47

EBERHARD, Neue Apologie I (s. Anm. 41), 195. Siehe G.S. STEINBART, System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums. Für die Bedürfnisse seiner aufgeklärten Landesleute und andrer die nach Weisheit fragen eingerichtet, Züllichau 1778, 21780. 48 STEINBART, a.a.O., 180. 49 Vgl. dazu I. K ANT, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793/94), in: Ders., Werke in zwölf Bänden, hg. von W. Weischedel, Bd. 8, Frankfurt 1968, 647ff., hier 665–705, B 3–64. 50 Vgl. KANT, a.a.O., B 67ff.

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Sittengesetz, in welchem sich das radikale Böse realisiert, bestraft werden muß. Da nun nach Kants Lehre vom radikalen Bösen alle Menschen vom Bösen anfangen, muß jeder Mensch unendliche Strafe und den Verlust des Gottesreiches gewärtigen.51 Zur Auflösung der daraus resultierenden Schwierigkeit für die Durchsetzung des guten Prinzips kommt der Gedanke einer stellvertretenden Übernahme der Schuld und Strafe nach Kant für die Vernunft jedoch nicht in Frage. Denn die Sündenschuld „ist keine transmissible Verbindlichkeit, die etwa, wie eine Geldschuld [...], auf einen andern übertragen werden kann, sondern die allerpersönlichste [...], die nur der Strafbare, nicht der Unschuldige [...] tragen kann“52. Eine Möglichkeit zur Auflösung der aus der Strafwürdigkeit des Sünders erwachsenden Schwierigkeit für die Durchsetzung des guten Prinzips sieht Kant vielmehr darin, mit einem solchen „Richterspruch eines Herzenskündigers“ zu rechnen, „der aus der allgemeinen Gesinnung des Angeklagten“ resultiere.53 Habe der Angeklagte nämlich seine Gesinnung geändert, dann könne die Strafe nicht als „dieser seiner neuen Qualität (eines Gott wohlgefälligen Menschen) angemessen angenommen werden“.54 Gleichwohl müsse aber „der höchsten Gerechtigkeit, vor der ein Strafbarer nie straflos sein kann, ein Genüge geschehen“.55 Diesem Grundsatz werde entsprochen, wenn im Vollzug der Sinnesänderung die Übel mitenthalten seien, die der neue gutgesinnte Mensch als Strafen für die von ihm zuvor begangenen Untaten ansehen könne.56 Entscheidend ist dabei für Kant, daß die Absage an das böse Prinzip und die Annahme der guten Gesinnung als ein Akt gedacht werden. Das gute Prinzip sei dann nämlich „in der Verlassung der bösen eben sowohl, als in der Annehmung der guten Gesinnung enthalten, und der Schmerz, der die erste rechtmäßig begleitet, entspringt gänzlich aus der zweiten“57, also aus der guten Gesinnung. „Der Ausgang aus der verderbten Gesinnung in die gute ist (als ‚das Absterben am alten Menschen, Kreuzigung des Fleisches‘), an sich schon Aufopferung und Antretung einer langen Reihe von Übeln des Lebens, die der neue Mensch in der Gesinnung des Sohnes Gottes, nämlich bloß um des Guten willen übernimmt; die aber doch eigentlich einem andern, nämlich dem alten (denn dieser ist moralisch ein anderer), als Strafe gebührten“.58 Die für die Durchsetzung des guten Prinzips erforderliche Sinnesänderung ist nach 51 52 53 54 55 56 57 58

KANT, a.a.O., B 94–96. KANT, a.a.O., B 95. KANT, a.a.O., B 95. KANT, a.a.O., B 96. KANT, a.a.O., B 97. Vgl. KANT, a.a.O., B 97. KANT, a.a.O., B 98. KANT, a.a.O., B 98.

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Kant also so zu denken, daß die Strafe für das vormals begangene Böse im Vollzug dieser Sinnesänderung mit enthalten ist. Welche Bedeutung kann Kant unter dieser Voraussetzung dem christlichen Glauben an den Kreuzestod Jesu Christi zumessen? Mit der Vorstellung vom stellvertretenden Sühnetod Christi werden nach Kant die Glaubenden, die sich das Ideal sittlicher Vollkommenheit in personifizierter Gestalt, also im Sohn Gottes vorstellen, in der Hoffnung bestärkt, „vor ihrem Richter als gerechtfertigt zu erscheinen“.59 Im stellvertretenden Sühnetod Christi werde nämlich „jenes Leiden, was der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im Leben fortwährend übernehmen muß, an dem Repräsentanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod vorgestellt“.60 Durch die damit verbundene Vorstellung, es handele sich bei diesem stellvertretenden Tod um ein überschüssiges und zurechenbares Verdienst, werde zudem deutlich, daß der in seinem Erdenleben noch im Werden begriffene neue Mensch keinen Rechtsanspruch hat, von Gott insgesamt als guter Mensch beurteilt zu werden, daß es vielmehr Gnade ist, wenn er hoffen darf, dereinst vor seinem Richter gerechtfertigt zu erscheinen. Kant geht in seiner Rekonstruktion der christlichen Religion somit von der Deutung des Kreuzestodes durch die Satisfaktionstheorie aus und interpretiert sie als eine Vorstellung, die den Glaubenden praktisch dazu verhilft, die von der Vernunft geforderte Sinnesänderung in der Hoffnung auf endgültige Anerkennung durch Gott als den Gesetzgeber zu vollziehen. Insofern ist die christliche Religion ein sinnvolles, wenngleich nicht unentbehrliches Vehikel der Moral bzw. der vernunftgemäßen Selbstbestimmung des Menschen. Das mit der satisfaktorischen Deutung des Todes vorgestellte Verhältnis von Genugtuung als stellvertretender Schuldbezahlung und daraus folgendem gutem Lebenswandel enthält nach Kant zwar „eine merkwürdige Antinomie der menschlichen Vernunft mit ihr selbst“61. Denn ein vernünftiger Mensch könne nicht im Ernst glauben, durch den Glauben an die stellvertretende Genugtuung sei sein bisheriges und künftiges Leben gerechtfertigt.62 Andererseits bedürfe er aber in seinem Bemühen um Besserung der Hoffnung auf künftige Versöhnung mit der göttlichen Gerechtigkeit trotz der bereits begangenen und nicht mehr ungeschehen zu machenden Vergehen.63 Diese Antinomie ist nach Kant nicht aufzulösen, weil dies das Spekulationsvermögen der Vernunft übersteige. Wenngleich für die moralische Praxis nach Kant stets das Prinzip der 59 60 61 62 63

KANT, KANT, KANT, KANT, KANT,

a.a.O., B 99. a.a.O., B 99f. a.a.O., B 169. a.a.O., B 170. a.a.O., B 171f.

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Selbsttätigkeit zu gelten hat, begreift er doch den Glauben an eine passiv zu empfangende fremde Gerechtigkeit als eine theoretische Konsequenz, die die Möglichkeit vollkommener Entsündigung vorstellt und darin das moralische Streben bestärkt. Es ist klar, daß es Kant auf den Realitätsgehalt der Vorstellung vom stellvertretenden Satisfaktionstod Jesu Christi schon aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht ankommen kann. Indem er die stellvertretende Bedeutung des Todes Jesu Christi als bloße Vorstellung behandelt, unterminiert er allerdings die Vehikelfunktion für die Realisierung der praktischen Vernunft, die er ihr gerne zuordnen möchte. So kritisiert Kant nicht nur wie Sozinianer und Neologen die in der Satisfaktionstheorie implizierte Zurechnung fremder Gerechtigkeit, sondern weist auf ihren Status als religiöse Vorstellung hin und interpretiert sie von daher rein funktional. Damit hat die neuzeitliche Problematisierung der herkömmlichen Deutung des Todes Jesu durch die Satisfaktionstheorie ihren Höhepunkt erreicht. Das können auch spätere Vertreter der alten kirchlichen Lehre – Supranaturalisten und Gegner der Hofmannschen Erweckungstheologie – nicht rückgängig machen. In den namhaften und wegweisenden Entwürfen evangelischer Dogmatik nach Kant wird die satisfaktionstheoretische Interpretation des Todes Jesu Christi nicht mehr entwickelt. Die Antwort auf die Frage nach der soteriologischen Bedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi wird in der Folgezeit entweder durch die Deutung des Todes als Ausdruck des vollkommenen Berufsgehorsams Jesu oder im Ausgang vom Inkarnationsgedanken gesucht. Die erste Linie, die im Ansatz bereits bei den genannten neologischen Konzeptionen anzutreffen ist, verfolgt Friedrich Schleiermacher in den beiden Auflagen der Glaubenslehre von 1821 und 1830/3164 im Rahmen seiner subjektivitätstheoretischen Rekonstruktion des christlichen Glaubens konsequent weiter. Schleiermacher versteht die versöhnende Tätigkeit des Erlösers als Aufnahme der Gläubigen „in die Gemeinschaft seiner ungetrübten Seligkeit“65, die durch seine prophetische, hohepriesterliche und königliche Tätigkeit begründet werde. Das Leiden Jesu deutet er in diesem Zusammenhang als Folge seiner Berufspflicht in seinem prophetischen Amt66, an der Jesus auch gegen den Widerstand festgehalten habe, der ihm aus dem sündigen Gesamtleben entgegengetreten sei67. Dabei interpretiert 64

F. SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830/31), hg. von M. Redeker, Berlin 1960, Nachdruck Berlin/New York 1999. 65 SCHLEIERMACHER, a.a.O., Bd. 2, § 101, 97. 66 Vgl. SCHLEIERMACHER, a.a.O., § 104, 132f. Zum prophetischen Amt Christi vgl. a.a.O., § 103, 108ff. 67 Vgl. SCHLEIERMACHER, a.a.O., § 104, 121.

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Schleiermacher die traditionelle Lehre von der stellvertretenden Genugtuung um in die Lehre vom genugtuenden Stellvertreter68. Christus habe „genug für uns getan, indem er durch seine Gesamttat nicht nur der zeitliche Anfang der Erlösung, sondern auch die ewig unerschöpfliche und für jede weitere Entwicklung hinreichende Quelle eines geistigen und seligen Lebens geworden“69 sei. Diese Genugtuung sei jedoch nicht stellvertretend. Stellvertretend, aber nicht genugtuend sei dagegen das Leiden Christi, und zwar sowohl im Blick auf sein Mitgefühl für alle zukünftigen Sünder als auch im Blick auf die Übel, „welche er litt“70. Diese Übel „waren stellvertretend in jenem allgemeinen Sinn, daß derjenige, in welchem das Böse nicht ist, auch nicht leiden sollte, wenn er also dennoch Übel empfindet, an der Stelle derer getroffen wird, in denen das Böse ist“.71 Aber weder im Blick auf das Mitgefühl Jesu für die zukünftigen Sünder noch im Blick auf die von ihm erlittenen Übel betrachtet Schleiermacher das stellvertretende Leiden als genugtuend. In seiner Deutung begründet der Tod Jesu Christi am Kreuz für sich genommen keine neue Sachlage im Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Die andere Interpretationslinie, die auf die Satisfaktionstheorie verzichtet, läßt sich im Ansatz schon in der Tübinger Inkarnationschristologie des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts finden, die in ihrer Auslegung des in der Inkarnation konstituierten Personseins Jesu Christi durch die Lehre von der communicatio idiomatum nicht nur die leibliche Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl aussagen wollte, sondern auch das Leiden am Kreuz als Leiden Gottes zu begreifen suchte72 und damit faktisch bereits die Vorstellung aufgab, als sei Gott passiver Empfänger einer durch das Leiden der menschlichen Natur Jesu Christi vollbrachten Genugtuungsleistung. Der Gedanke, daß Gott sich in Jesus Christus selbst erniedrigt und so die Versöhnung des Menschen mit sich stiftet, wird sodann in der Religionsphilosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel spekulativ entwickelt. Hegel begreift den Kreuzestod Jesu Christi als äußerste Spitze der Inkarnation Gottes.73 Indem auf diese Weise im Christentum der Gedanke Gottes als des wahrhaft Unendlichen zur Vorstellung gelange und darin zugleich die höchste Liebe74 offenbar werde, sei mit der christlichen Religion die 68 69 70 71 72

Vgl. SCHLEIERMACHER, a.a.O., § 104, 130f. SCHLEIERMACHER, a.a.O., § 104, 130. SCHLEIERMACHER, a.a.O., § 104, 131. Ebd. Vgl. dazu F. NÜSSEL, Allein aus Glauben. Zur Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Theologie, FSÖTh 95, Göttingen 2000, 207–223. 73 Vgl. G.W.F. HEGEL, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 3. Teil, hg. v. G. Lasson, PhB 63, Hamburg 1974, 155–174. 74 Vgl. HEGEL, a.a.O., 158.

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höchste Stufe religiöser Erhebung des Menschen zu Gott erreicht und der Begriff der wahren Religion realisiert. In Hegels Deutung des Kreuzestodes wird mit der Satisfaktionsvorstellung auch der Gedanke der stellvertretenden Bedeutung des Leidens Christi für die Sünde überwunden75, weil sich die Versöhnung des Menschen mit Gott nach Hegel für den einzelnen nicht im Tod Jesu Christi an sich76, sondern in der religiösen Erhebung zu dem im Kreuzesgeschehen offenbaren Gottesgedanken vollzieht. Wenngleich Hegels daran anschließende Forderung einer Aufhebung der Religion in den philosophischen Begriff in der Theologie verständlicherweise auf massive Kritik stieß, ist doch der Grundgedanke, daß Gott selbst in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi seine wahrhaft unendliche Gottheit offenbart habe, seither in verschiedenen versöhnungstheologischen Konzeptionen zum Zuge gebracht worden77.

3. Die Deutung des Todes Jesu Christi als Sühne im Verhältnis zur Satisfaktionstheorie Die aufgeklärte Kritik an der traditionellen Interpretation des Kreuzestodes Jesu Christi richtet sich, wie im letzten Abschnitt gezeigt worden ist, in entscheidenden Punkten gegen die dieser Interpretation zugrunde liegende Satisfaktionstheorie, die Anselm von Canterbury entwickelt hatte. In der neueren exegetischen Forschung zum Verständnis des Kreuzestodes Jesu Christi im Neuen Testament und insbesondere zur biblischen Sühnevorstellung und ihrer Bedeutung für die Sicht des Todes Jesu Christi sind inzwischen erhebliche Differenzen zwischen der satisfaktionstheoretischen Deutung einerseits und den biblischen Aussagen über den Kreuzestod Jesu Christi, die ihn als Sühne verstehen, aufgewiesen worden. So hat Hartmut 75 Vgl. H EGEL, a.a.O., 159: „Dieser Tod ist also genugtuend für uns, indem er die absolute Geschichte der göttlichen Idee darstellt, das, was an sich geschehen ist und ewig geschieht“. 76 Vgl. HEGEL, a.a.O., 160: „nicht ein fremdes Opfer ist gebracht, ein Anderer gestraft [worden], damit Strafe gewesen sei, Leben negiert, Anderssein aufgehoben [worden], (natürlicher Tod). Ohnehin stirbt jeder für sich selbst, und jeder muß für sich selbst aus seiner eignen Subjektivität und Schuld das sein, was er sein soll. Er ergreift das Verdienst Christi; das heißt, wenn er dies in sich vollbringt, diese Umkehrung und Aufgeben des natürlichen Willens, Interesses, und in der unendlichen Liebe ist, so ist dies die Sache an und für sich“. 77 So bei K. B ARTH in seiner Versöhnungslehre (vgl. Kirchliche Dogmatik IV/1–3, Zürich 1953–1959), bei J. MOLTMANN, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 21972, und bei J ÜNGEL, Geheimnis (s. Anm. 21).

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Gese bereits 1977 darauf hingewiesen, daß „eine dogmatische Satisfaktionslehre mit dem biblischen Gedanken der Sühne nicht einfach verwechselt werden“78 dürfe. Ebenso grenzt Ulrich Wilckens die Deutung des Kreuzestodes Jesu Christi als Sühne bei Paulus von dem bei Anselm von Canterbury grundgelegten „juristischen Sühneverständnis“79 ab. Exegetisch ist inzwischen klar herausgearbeitet worden, daß in der Sicht des Neuen Testaments die Versöhnung von Gott ausgeht, daß also Gott das Subjekt der Versöhnung ist und daß die Sühne, die neuen Zugang zu Gott und damit Versöhnung für den Menschen eröffnet, nach biblischem Verständnis von Gott zur Lebensrettung des Menschen ermöglicht wird.80 Entsprechend betont Ulrich Wilckens in seiner sühnetheologischen Interpretation von Röm 3,25, es sei „Gott selbst, der durch diesen Tod Sühne schafft“81. Darüber hinausgehend hält Otfried Hofius für das Verständnis des Todes Jesu im Neuen Testament insgesamt fest, dieser Tod sei „wesenhaft göttliches Heilshandeln an dem Menschen, nicht dagegen ein Handeln vor Gott und für Gott“82. Dabei setzt er voraus, daß das „Verständnis des Christusgeschehens als eines Geschehens heiligender Sühne [...] wesentlich der alttestamentlichen Sühnetheologie verpflichtet“83 sei. In der neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu als Sühnetod erfährt die mit dem alttestamentlichen Sühneverständnis verbundene Kategorie des Opfers allerdings eine grundlegende Transformation, eben weil Gott nicht als Empfänger der Lebenshingabe Jesu, sondern vielmehr als der begriffen wird, der sich „bis in den Tod und über den Tod hinaus mit Jesus Christus eins und darin mit uns gemein macht“84. Von daher kommt es im Neuen Testament zu einer Kritik des Opferkultes und zur Spiritualisierung der Opferkategorie85. Mit der aus der traditionsgeschichtlichen Klärung der Sühnevorstellung gestützten Einsicht in Gott als Subjekt seines Heilshandelns verbindet sich des weiteren eine von der Satisfaktionstheorie abweichende Interpretation der Heilsbedeutung des Todes Jesu Christi. Galt der Kreuzestod Jesu Christi im Zusammenhang der Satisfaktionstheorie als eine dem durch die Sünde entstandenen Schaden äquivalente Ersatzleistung zur Wiederherstellung 78 79

GESE, Sühne (s. Anm. 2), 85. Vgl. W ILCKENS, Römer (s. Anm. 2), 195. Siehe ähnlich auch HOFIUS, Sühne (s. Anm. 2), 344,22–31. 80 Vgl. GESE, Sühne (s. Anm. 2), 87. 81 W ILCKENS, Römer (s. Anm. 2), 193. 82 H OFIUS, Sühne (s. Anm. 2), 344,21f. 83 H OFIUS, a.a.O., 343,26f. 84 D ALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 1), 252. Er gelangt zu dieser Aussage durch die Interpretation der Rede vom neuen Bund in der Abendmahlstradition (vgl. 1 Kor 11,25). 85 Vgl. dazu DALFERTH, a.a.O., 249–257.

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der durch die Sünde verletzten göttlichen Ordnung und Schöpferehre und darin als Voraussetzung für die durch die Interzessio des Sohnes erbetene Sündenvergebung, so folgt demgegenüber aus der sühnetheologischen Interpretation, daß sich im Kreuzestod Jesu Christi als solchem die Aufhebung der Sündenmacht vollzieht. Die Erkenntnis der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi wird zwar auch nach der sühnetheologischen Deutung erst durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten und die darin manifeste Bestätigung seiner Gottessohnschaft möglich. Aber im Unterschied zur Satisfaktionstheorie eröffnet die Deutung des Todes Jesu Christi als Sühne ein Verständnis des Kreuzestodes, wonach sich in diesem selbst die Erlösung von der Macht der Sünde vollzieht. Gleichzeitig wird mit der Deutung des Todes Jesu als Sühne die Einsicht in die Radikalität menschlicher Sünde erschlossen. Denn sie impliziert, daß die Sünde, die Jesus in seinem Tod sühnt, den Menschen ganz und gar von Gott als der Quelle seines Lebens trennt und ihm neues Leben darum nur von Gott geschenkt werden kann. Weil in sühnetheologischer Perspektive Gott selbst als Urheber der im Kreuzestod Jesu Christi vollzogenen Erlösung von der Sünde zu gelten hat, läßt sich im Lichte der Auferweckung des Gekreuzigten das Kreuzesgeschehen dann auch als Offenbarung der Liebe Gottes begreifen.86 Das Verständnis des Kreuzestodes als Sühne birgt schließlich eine andere Sicht der stellvertretenden Bedeutung des Leidens in sich als die Satisfaktionstheorie. Während in der reformatorischen und nachreformatorischen Deutung der Satisfaktion Christi die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi als Zurechnung seines stellvertretenden aktiven und passiven Gehorsams verstanden wurde, setzt die sühnetheologische Deutung des Kreuzesgeschehens die seit der Aufklärung so problematische Vorstellung einer Zurechnung des aktiven Gehorsams Christi, also einer fremden Sittlichkeit, nicht voraus. Jesu vollkommene Entsprechung zum göttlichen Willen und damit „die Geschichte seiner Selbsthingabe an Gott und für seine Nächsten“87 wird zwar durch die „Charakterisierung als Selbstopfer in ihrer exemplarischen Bedeutung für unser aller Leben zur Sprache gebracht“88, so daß in Jesus als dem auferweckten Gekreuzigten „der Mensch, wie er coram deo sein soll, in Person“89 zu erkennen ist. Doch im Zusammenhang der Deutung seines Todes als Sühne sind sein exemplarischer Lebensvoll-

86 87

Vgl. ähnlich HOFIUS, Sühne (s. Anm. 2), 344,28–31. DALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 1), 253. Vgl. ähnlich PANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 482. 88 Ebd. 89 Ebd.

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zug und sein konsequentes Festhalten an seiner Sendung90 nur die Voraussetzung, unter der es zu seinem Kreuzestod kommt. Die Sühne, durch die die von Gott trennende Macht der Sünde und Schuld für alle Menschen überwunden und neues Leben geschenkt wird, vollzieht sich den zentralen neutestamentlichen Aussagen zufolge im Tod Jesu Christi am Kreuz. Die Stellvertretungsvorstellung im Sinne eines An-die-Stelle-Tretens kommt hier nicht in bezug auf den vollkommenen Lebensvollzug, sondern in bezug auf das Leiden bzw. den traditionell so genannten passiven Gehorsam zur Sprache, in welchem sich Jesus selbst opfert und „unsere Erlösung als Versöhnung durch sein Blut“91 erwirkt. So erscheint in der Deutung des Kreuzestodes als Sühne dem Menschen zwar seine Sünde abgenommen, nicht jedoch die Bestimmung zu einem Leben im Einklang mit Gott, wie sie in Jesu Leben auf vollkommene Weise zu erkennen ist. Das Verständnis des Todes Jesu am Kreuz im Sinne der neutestamentlichen Sühneaussagen ist damit in zweierlei Hinsicht der neuzeitlichen Problematisierung, die sich auf die Deutung dieses Geschehen als eine dem Menschen zuzurechnende Satisfaktionsleistung richtete, entzogen. Denn es wird darin weder Gott als Empfänger des Selbstopfers Jesu gedacht, noch wird von einer Zurechnung fremder Sittlichkeit ausgegangen. Zu bedenken bleibt jedoch, ob und in welchem Sinne sich die im Neuen Testament proklamierte stellvertretende Bedeutung des Sühnetodes Jesu Christi unter neuzeitlichen Bedingungen verstehen läßt. Problematisch erscheint dabei die Vorstellung einer stellvertretenden Übernahme von Schuld und Strafe, weil unter neuzeitlichen Bedingungen persönliche Schuld und Strafe als nicht übertragbar gelten. Dieser Schwierigkeit begegnet die exegetische Deutung der Sühne als „Existenzstellvertretung“92, weil dabei davon ausgegangen wird, daß der der Sünde schuldige und zu bestrafende Mensch in den Vollzug des Sühnegeschehens mit seiner gesamten Existenz eingeschlossen ist. Nach den Aussagen des Paulus wird diese im Sühnetod Jesu Christi begründete Existenzstellvertretung dem Einzelnen in der Taufe erschlossen, so daß der getaufte Christ von sich sagen kann, er sei mit Christus gestorben (Röm 6,8). Für eine solche Deutung des Todes Jesu Christi als Geschehen inklusiver Stellvertretung spricht dogmatisch gesehen nicht nur, daß die Vorstellung einer Übertragung von Schuld und Strafe auf ein anderes Subjekt unnötig wird, sondern auch, daß sich auf diese 90 Vgl. zur Interpretation des Geschicks Jesu als Folge seiner Sendung P ANNENBERG, a.a.O., 484–487. 91 Vgl. dazu D ALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 1), 246, zum neutestamentlichen Befund insgesamt 246–249. Vgl. auch HOFIUS, Sühne (s. Anm. 2), 344–346 sowie P ANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 461–475, bes. 464.471. 92 So G ESE , Sühne (s. Anm. 2), 87. Vgl. auch H OFIUS, Sühne (s. Anm. 2), 344,36–49 und 346,23.

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Weise sowohl der personale Charakter der Sünde als auch die durch die Sühne vermittelte Neukonstitution des Menschen besser verdeutlichen läßt. Es stellt sich dann allerdings die Frage, wie sich der Gedanke inklusiver Stellvertretung näherhin auslegen und plausibel machen läßt angesichts der Tatsache, daß der unter irdischen Bedingungen existierende Mensch den Tod noch vor sich hat und empirisch kein Einssein mit Christus für sich feststellen kann. Um diese Frage zu klären, wäre jedoch eine dogmatische Erörterung des Verhältnisses von Heilsgrund und Heilsaneignung93 und damit verbunden eine Besinnung auf das Wesen des Glaubens nötig, die den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde. Abschließend läßt sich festhalten, daß die neuzeitliche Problematisierung der traditionellen Deutung des Todes Jesu Christi durch die Satisfaktionstheorie den Anstoß gegeben hat, im Rekurs auf das Neue Testament ein tieferes Verständnis des Kreuzestodes Jesu Christi in seiner Bedeutung für den Menschen zu gewinnen. Dabei hat sich gezeigt, daß die Deutung des Todes Jesu Christi als von Gott gestifteter Sühne zur Versöhnung des Menschen mit Gott im Neuen Testament in entscheidenden Punkten von der problematisch gewordenen satisfaktionstheoretischen Sicht abweicht. Sie erlaubt es, den Tod Jesu Christi im Lichte der Auferweckung des Gekreuzigten als von Gott selbst in seinem Sohn vollzogene Aufdeckung und Überwindung der Sünde des Menschen zu verstehen. Gleichzeitig eröffnet die Aussage, daß der Tod Jesu Christi zur endgültigen und universalen Sühne der Sünde aller Menschen geschehen ist, die Einsicht in Gottes bedingungslose Menschenliebe. Folgt man dieser exegetischen Interpretation des Kreuzestodes Jesu Christi, so läßt sich auch Gottes jenseitige Majestät in neuer Weise verstehen: Indem Gott „seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16), manifestiert er sich als der, der in seiner Erhabenheit ganz und gar durch seine Menschenliebe bestimmt ist.

93 Hilfreich ist in diesem Kontext die Klärung des Zusammenhangs von objektiver und subjektiver Versöhnung bei P ANNENBERG, Systematische Theologie II (s. Anm. 1), 447ff.487–496.

II. Alttestamentliche, judaistische und religionsgeschichtliche Horizonte

Das Leben für andere hingeben Alttestamentliche Voraussetzungen für die Deutung des Todes Jesu Bernd Janowski „Warum hat Gott es nötig, seinen eigenen Sohn hinzuschlachten?“ – so fragen kirchentreue Eltern, die ihren Kindern die Botschaft vom gewaltsamen Tod Jesu ersparen wollen. So fragen aber auch kirchenferne Mitmenschen, in deren Augen dieser Tod nichts als Unheil, Sünde und Strafe ist. „Schaffen wir den Begriff der Sünde aus der Welt – und schicken wir ihm den Begriff der Strafe hinterdrein!“1 rief F. Nietzsche in seiner Schrift „Morgenröte“ (1881/87) zur Beendigung des „Aufwiegenwollen(s) der Schuld durch die Strafe“, d h. zur Abschaffung zweier Begriffe auf, auf denen das Christentum in den Augen vieler Zeitgenossen herumreitet und für entsprechende Neurosen sorgt. Ist die Rede vom Tod Jesu also noch zeitgemäß, da sie offenbar der Vorstellung des grenzenlos liebenden Gottes widerspricht? Oder ist auch weiterhin und wenn ja: in welcher Weise von der Heilsbedeutung dieses Todes auszugehen?

1. „Lebenshingabe“ als Leitbegriff Daß der Tod Jesu Unheil suggeriert, ist nicht von der Hand zu weisen, im Gegenteil: Er macht dieses Unheil unübersehbar deutlich. Es ist aber die Frage, wer der Verursacher dieses Unheils ist, und was durch dessen Verdeutlichung zur Sprache kommt: eine, wie man gesagt hat, nekrophile Gottesidee2 oder ein Geschehen, in dem es um die rettende Lebenshingabe 1 F. N IETZSCHE, Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurtheile, KSA 3, München 1988, 177, s. dazu R. STOLINA, Tod und Heil. Zur Heilsbedeutung des Todes Jesu, NZSTh 44 (2002), 89–106, 89f. 2 Der Nekrophilie-Vorwurf wurde vor allem von D. SÖLLE , Christologie auf der Anklagebank, JK 57 (1996), 130–140 erhoben, s. dazu B. J ANOWSKI, „Hingabe“ oder „Opfer“? Zur gegenwärtigen Kontroverse um die Deutung des Todes Jesu, in: R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 13–43, 23ff. und H. HOPING, Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004, 20ff. Zur Opferkritik s. auch den Überblick bei I.U. DALFERTH, Art. Opfer VI: Dogmatik, TRE 25 (1995), 286– 293, 287ff.

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des Gottessohns geht? Im zweiten Fall wäre das ein Tod, der zum Leben führt,3 weil er den Zugang zu Gott eröffnet, und nicht ein Leben, das „geopfert“ wird, weil der „zornige Gott“ dieses Opfer braucht. Diesen Gedanken soll der im Titel anvisierte Begriff der „Lebenshingabe“ zum Ausdruck bringen. Dieser Begriff hat den Vorzug, möglichst weit zu sein, da er nicht nur die Aspekte „Opfer“, „Sühne“ und „Tod“, sondern je nach Kontext auch die Aspekte „Liebe“, „Freundschaft“ und „Zuwendung“ umfaßt und folglich eine aktive (sich selber hingeben) und eine passive Dimension (hingegeben werden) besitzt. Dementsprechend ist die Wendung „Das Leben für andere hingeben“ nicht von vornherein und ausschließlich auf den stellvertretenden Tod Jesu gemünzt, sie kann auch die bedingungslose Solidarität mit den Menschen meinen. Der Begriff der „Lebenshingabe“ meint die Gesamtexistenz Jesu, d h. das Leben, das Jesus in liebender Hingabe an die anderen gelebt hat, und den Tod, der die Konsequenz dieses Lebens war.4 Die folgenden Überlegungen suchen nach Verknüpfungen zwischen diesen beiden Aspekten5, weil eine ganze Reihe von neutestamentlichen Texten, die traditionell auf den Tod Jesu bezogen werden, nicht allein den Tod, sondern das gesamte Wirken Jesu einschließlich seines Leidens und Sterbens im Blick haben. „Wo wir uns“, so K. Berger, „gewöhnlich nahezu exklusiv auf den Karfreitag und auf Jesu Blut konzentrieren, zeigt das Neue Testament eine stärkere Streckung: Das ganze Leben Jesu ist Gehorsam und Bestehen in der Versuchung, ist Sühne für unsere Sünden und Ausgleich für unsere Schuld. Jesu Tod ist nur die Spitze, an der das sichtbar wird.“6

3

Zu dieser Formulierung s. auch J. SCHRÖTER, Metaphorische Christologie. Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zugangs zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus, in: J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann (Hgg.), Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin/New York 2003, 53–73, 67. 4 In der neueren Diskussion geht es verstärkt um den „Zusammenhang zwischen Wirken und Geschick Jesu auf der einen und den urchristlichen Glaubensaussagen auf der anderen Seite“, wodurch „Aspekte der frühen Christologie, die bereits bei Jesus selbst angelegt waren, in ihrer Entstehung plausibel (werden)“, so SCHRÖTER, Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 54f. Dazu zählt u.a. die „Integration seines bevorstehenden Todes in sein Wirken“ (ebd.), s. zu dieser Perspektive auch J ANOWSKI, „Hingabe“ oder „Opfer“? (s. Anm. 2), 36ff.; G. RÖHSER, Stellvertretung im Neuen Testament, SBS 195, Stuttgart 2002 und F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments, Bd. II: Die Einheit des Neuen Testaments, Tübingen 2002, 410ff. 5 Der Gefahr einer Entkoppelung beider Aspekte ist RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 98ff.107f. u.ö. nicht immer entgangen, s. etwa seine Deutung der Hingabe-Sätze im Corpus Iohanneum (a.a.O., 107f.) oder des Lösegeldworts Mk 10,45 (a.a.O., 98ff.) und dazu die Kritik von J. SCHRÖTER, Rez. G. Röhser, ThRev 100 (2004), 25–28 und unten Anm. 13 und 58. 6 K. BERGER, Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?, Stuttgart 1998, 155f., vgl. 228f. und RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 123ff.

Das Leben für andere hingeben

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Viele dieser Texte sind dabei offen für eine Deutung im Sinn der stellvertretenden, den Tod Jesu einschließenden Lebenshingabe, sie sind aber nicht opfer- und sühnetheologisch engzuführen.7 Wir wollen uns diesen Sachverhalt zunächst anhand der Hirtenrede Joh 10,11–18 und ihrem alttestamentlichen Motivhintergrund deutlich machen.

2. Ausgewählte Textbeispiele 2.1. „Der gute Hirte setzt sein Leben ein für die Schafe“ (Joh 10,11) Jesu Wirken wird im Johannesevangelium „buchstäblich ins Bild gesetzt“8. Eine dieser Ins-Bild-Setzungen ist die eindrückliche Hirtenrede Joh 10, in der sich der johanneische Jesus mit einem Hirten identifiziert, der sein Leben für seine Schafe einsetzt. Die nur im Corpus Ioanneum belegte Wendung „das Leben einsetzen (für) (tiqevnai th;n yuch;n [uJpevr])“ bedeutet nach Joh 10,11b.15b9 und Joh 10,17b–1810 nicht, so schnell wie 7

Zur opfer- und sühnetheologischen Interpretation des Todes Jesu s. G. BARTH, Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 1992; S. VOLLENWEIDER, Diesseits von Golgatha. Zum Verständnis des Kreuzestodes Jesu als Sühnopfer, in: Ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie, WUNT 144, Tübingen 2002, 89–103, 94ff.; B ERGER, Jesus (s. Anm. 6), 70ff.55ff.; W. K RAUS, Der Tod Jesu als Sühnetod bei Paulus. Überlegungen zur neueren Diskussion, ZNT 3 (1999), 20–30, 23ff.; M. GAUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus. Rezeption und theologischer Stellenwert, fzb 82, Würzburg 1999; M. T HEOBALD, Der Römerbrief, EdF 294, Darmstadt 2000, 175ff.; O. HOFIUS, Art. Sühne IV: Neues Testament, TRE 32 (2001), 342–347, 342ff.; K. B ACKHAUS, Art. Opfer II: Neues Testament, NBL 3 (2001), 40–43, 41f.; TH. KNÖPPLER, Sühne im Neuen Testament. Studien zum urchristlichen Verständnis der Heilsbedeutung des Todes Jesu, WMANT 88, Neukirchen-Vluyn 2001; F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I: Die Vielfalt des Neuen Testaments, Tübingen 2002, 121ff.; Bd. II (s. Anm. 4), 381ff.; J. FREY, Die „theologia crucifixi“ des Johannesevangeliums, in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 169–238, 200ff.; W.H. RITTER (Hg.), Erlösung ohne Opfer?, Göttingen 2003; HOPING, Christologie (s. Anm. 2), 60ff.124ff.132ff.156ff. und R. ZIMMERMANN, Die neutestamentliche Deutung des Todes Jesu als Opfer. Zur christologischen Koinzidenz von Opfertheologie und Opferkritik (erscheint in KuD 51 [2005]; ich danke dem Vf. herzlich dafür, daß er mir seinen Aufsatz vor der Drucklegung zur Einsicht zur Verfügung gestellt hat). 8 R. Z IMMERMANN, „Du wirst noch Größeres sehen ...“ (Joh 1,50). Zur Ästhetik der Christusbilder im Johannesevangelium – Eine Skizze, in: J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann (Hgg.), Metaphorik und Christologie (s. Anm. 3), 93–110, 93. 9 „Der gute Hirte setzt sein Leben ein für die Schafe“, vgl. V.15b, ferner Joh 13,37f.; 15,13 und 1 Joh 3,16. 10 „Das Leben einsetzen/(hin)geben“, s. dazu A. SAND, Art. hJ yuchv, EWNT 3 (1983), 1197–1203, 1202; T H. KNÖPPLER, Die theologia crucis des Johannesevangeliums. Das Verständnis des Todes Jesu im Rahmen der johanneischen Inkarnations- und Erhöhungs-

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möglich dem Tod entgegenzueilen, sondern „so intensiv wie möglich dienen, für andere dasein und damit der Würde des Menschensohns entsprechen“11. Nicht im Geschick des Todes als solchem liegt der Sinn, sondern im geschenkten Leben, d.h. in dem Leben, das der Gottessohn als „guter Hirte“ den Seinen gibt, indem er es, wie Joh 10,11–18 formuliert, für sie einsetzt: (11) Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte setzt sein Leben ein für (uJpevr) die Schafe. (12) Der Lohnarbeiter, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht als seine eigenen gehören, sieht den Wolf kommen und läßt die Schafe im Stich und flieht, und der Wolf reißt sie und treibt sie auseinander. (13) Er ist eben ein Lohnarbeiter, und die Schafe liegen ihm nicht am Herzen. (14) Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich; (15) wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater, und mein Leben setze ich ein für (uJpevr) meine Schafe. (16) Auch noch andere Schafe habe ich, die nicht aus diesem Stall sind: Auch die muß ich führen, und sie werden meine Stimme hören und eine Herde werden unter einem Hirten. (17) Deswegen liebt mein Vater mich, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu empfangen. (18) Niemand nimmt es mir weg, sondern von mir selbst gebe ich es hin. Vollmacht habe ich, es hinzugeben, und Vollmacht, es wieder zu empfangen. Dies Gebot habe ich erhalten von meinem Vater.12

Der gute Hirte, so sagt dieser Text, setzt sein Leben zur Verteidigung und zum Schutz seiner Schafe ein, weil sie ihm am Herzen liegen (vgl. als Kontrast V. 13). Dieser Lebenseinsatz impliziert aber, bis zum Äußersten zu gehen, d.h. sein Leben zu riskieren „bis zum Tod“13. Von einem solchen

christologie, WMANT 69, Neukirchen-Vluyn 1994, 203ff.; FREY, „theologia crucifixi“ (s. Anm. 7), 213ff. und zum semitischen Hintergrund R. HUNZIKER-RODEWALD, Hirt und Herde. Ein Beitrag zum alttestamentlichen Gottesverständnis, BWANT 155, Stuttgart/ Berlin/Köln 2001, 216 Anm. 140. 11 BERGER , Wozu ist Jesus (s. Anm. 6), 157. 12 Übersetzung U. W ILCKENS, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 1999, 163. Zur Interpretation s. auch J. SCHRÖTER, Sterben für die Freunde. Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: A. von Dobbeler u.a. (Hgg.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS K. Berger), Tübingen/Basel 2000, 263–287, 268ff. 13 Vgl. W ILCKENS, Johannes (s. Anm. 12), 167 („... die Ganzheitlichkeit seiner Liebe zu den Seinen findet am Kreuz ihre Erfüllung. Da wird sein Lebenseinsatz für sie zur Lebenshingabe ...“) und SCHRÖTER, Sterben (s. Anm. 12), 270, der deshalb (!) allerdings annimmt, daß „der Gedanke der Stellvertretung – und erst recht derjenige der Sündenbeseitigung – hier nicht vorliegt“, vgl. SCHRÖTER, a.a.O., 278.284f.285f.; DERS., Rez. Röhser (s. Anm. 5), 28; RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 107. Der These, daß Joh 10,11–18 nicht von Sündenbeseitigung oder gar von Sühne spricht, ist zuzustimmen, nicht aber der Behauptung, daß hier kein Stellvertretungsgedanke vorliegt. Das uJpevr in der Wendung ,,das Leben geben/einsetzen für“ ist dabei m.E. unterbestimmt. Denn der gute Hirte ist bereit, sein Leben ,,für“ seine Schafe, d.h. für ihre Verteidigung und für ihren Schutz einzusetzen (vgl. SCHRÖTER, Sterben [s. Anm. 12], 270.277 u.ö.) und zwar in lebensbedrohlicher Situation (,,Wolf“). Wie will man diese aus Liebe erwachsene Lebenshingabe des guten Hirten anders denn als ,,stellvertretend“ verstehen? Vgl. auch

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Lebenseinsatz, der bis zum Äußersten geht, sprechen auch die Hingabeformeln, also die Stellen mit didovnaiÉ paradidovnai th;n yuchvn, an denen Jesus Subjekt ist (Gal 1,4; Eph 5,2.25; 1 Tim 2,6; Tit 2,14, vgl. Gal 2,20; Mk 10,45). Auch hier ist zu beachten, daß der Tod nicht ausgenommen, sondern impliziert ist. „Impliziert“ aber heißt: nicht isoliert vom Leben Jesu, das als dienende und liebende Hingabe, als Proexistenz14 beschrieben wird. Das ist nicht anders an den Stellen, an denen Gott das Subjekt des Handelns ist wie in Röm 8,32: „Er (sc. Gott), der doch seinen eigenen Sohn nicht geschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat, wie sollte er uns zusammen mit ihm nicht alles schenken?“15

Diese ,Hingabe‘ ist nicht eine schreckliche Verfügung Gottes zur Auslieferung seines Sohnes, sondern eine Aktivität, die den Gottessohn ohne Schutz vor der Gewalt der Menschen (vgl. Mk 9,31; 14,41 u.ö.) in die Welt sendet – mit allen Konsequenzen: „Gott überläßt Jesus den Menschen – er unternimmt auch nichts dagegen, wenn sie ihn mißhandeln. Nur so weit reicht seine Aktivität. Auch bei Jesus geht es nicht um ein wie auch immer gedachtes aktives priesterliches Sühnehandeln, sondern um den Verzicht auf Gegenwehr und den Einsatz des ganzen Lebens.“16

Als alttestamentlicher Hintergrundtext von Joh 10,11–18 ist u.a. Ez 34,11– 1617 anzusprechen, wo zentrale Elemente des Topos vom ,Guten Hirten‘ – JHWH sammelt die Herde, er nimmt sie an sich, er bringt sie auf ihre B ARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 7), 41.47.100.144; KNÖPPLER, theologia crucis (s. Anm. 10), 203ff. und FREY, ,,theologia crucifixi“ (s. Anm. 7), 197 Anm. 136. 14 Der Ausdruck ,,Proexistenz“ geht auf H. Schürmann zurück, s. dazu die Nachweise bei B. J ANOWSKI, Auslösung des verwirkten Lebens. Zur Geschichte und Struktur der biblischen Lösegeldvorstellung, in: Ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993, 22004, 5–39, 36 Anm. 135; SCHRÖTER, Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 55 Anm. 9 und zuletzt L. OBERLINNER , Der Weg Jesu zum Leiden, in: L. Schenke u.a. (Hgg.), Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen, Stuttgart 2004, 275–318, 283f. 15 Vgl. Röm 4,25a. Zur Frage opfertheologischer Anklänge in Röm 8,32 s. BERGER, Wozu ist Jesus (s. Anm. 6), 164ff. 16 BERGER, a.a.O., 161, vgl. auch H AHN, Theologie des Neuen Testaments II (s. Anm. 4), 410 und A. W EIHS, Die Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium. Eine exegetische Studie zu den Leidens- und Auferstehungsansagen, fzb 99, Würzburg 2003, 577ff. 17 S. dazu zuletzt HUNZIKER -RODEWALD, Hirt und Herde (s. Anm. 10), 158ff. Zum alttestamentlichen Hintergrund von Joh 10 s. neuerdings auch R. Z IMMERMANN, Jesus im Bild Gottes. Anspielungen auf das Alte Testament im Johannesevangelium am Beispiel der Hirtenbildfelder in Joh 10, in: J. Frey/U. Schnelle (Hgg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, WUNT 175, Tübingen 2004, 81–116. Im Sinn der von Zimmermann eingeführten Unterscheidung zwischen impliziten und expliziten Bezugnahmen neutestamentlicher auf alttestamentliche Texte liegt in Joh 10,11–18 eine implizite Bezugnahme (,Anspielung‘) auf Ez 34; Ps 94,7 u.a. vor, s. ZIMMERMANN, a.a.O., 100ff.

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Weide, er sorgt persönlich für sie, kurz: er weidet sie ,in Gerechtigkeit‘ (V. 16) – zu einem Gesamtbild zusammengefügt sind: (11) Denn so spricht der Herr JHWH: Siehe, ich kümmere mich um meine Herde und sorge für sie. (12) Wie die Fürsorge eines Hirten für seine Herde am Tag, da es von seiner Herde , so werde ich für meine Herde sorgen; und ich errette sie aus all den Orten, wohin sie zerstreut worden sind am Tag der Wolken und der Dunkelheit. (13) Und ich führe sie aus den Völkern heraus und sammle sie aus den Ländern und bringe sie in ihr Land, und ich weide sie auf den Bergen Israels, in den Bachbetten und in allen Wohnsitzen des Landes. (14) Auf guter Weide weide ich sie, und auf den hohen Bergen Israels ist ihr Weideplatz, und fette Weide weiden sie ab auf den Bergen Israels. (15) Ich selbst weide meine Herde, und ich selbst lasse sie lagern, Spruch des Herrn JHWH. (16) Das Umherirrende suche ich, und das Versprengte bringe ich zurück, und das Verletzte verbinde ich, und das Kranke stärke ich. Und das Fette und das Starke behüte ich; ich will es weiden in Gerechtigkeit.18

Die ganze Aufmerksamkeit dieses Textes gilt der umfassenden Fürsorge JHWHs, der hier „wie an keiner anderen Stelle im Alten Testament [...] als ein sich unermüdlich um seine Herde Mühender vorgestellt (wird), der selbst dann über sie wacht, wenn sie sich niederlegt“19. In Analogie dazu ist auch in Joh 10,11–18, wonach Jesus als der einzig wahre Hirte von seinem Vater dazu beauftragt ist, seine Herde zu weiden, Gottes Verhältnis zu seinem Eigentum das übergreifende Thema20. Dieser Erwartung entsprechend „wird Gottes Herde in Joh 10 (vgl. 29a) als eine geduldig ihres rechtmäßigen Hirten harrende Gemeinschaft verstanden, die sich von keinem anderen täuschen lässt (V. 5.8)“21. Diese Perspektive wird in Joh 10 durch die Hirt/Herde-Metaphorik eröffnet, die durch das Alte Testament vielfach präfiguriert ist. Bei allen Unterschieden, die die ezechielische von der johanneischen Hirtenrede trennen, knüpft der vierte Evangelist mit seiner „symbolischen Christusbildlichkeit“22 an die Sprach- und Motivtradition von Ez 34; Ps 23 und anderen Hirt/Herde-Texten des Alten Testaments an, die zum Deuteschlüssel für die Person und das Wirken Jesu werden. Intendiert ist dabei, die hinter dem Bildfeld „Hirt und Herde“ stehenden Lebenssituationen ins Bewußtsein zu rufen, die aus alltäglicher Anschauung bekannt, im kollektiven Gedächtnis Israels verankert23 und in ihrer elementaren Alltäglichkeit 18 Übersetzung K.-F. P OHLMANN, Der Prophet Ezechiel Kapitel 20–48, ATD 22/2, Göttingen 2001, 459f. 19 H UNZIKER -RODEWALD, Hirt und Herde (s. Anm. 10), 167 (Hervorhebung im Original). 20 Vgl. DIES., a.a.O., 214. 21 D IES., a.a.O., 214f. 22 Z IMMERMANN, Ästhetik der Christusbilder (s. Anm. 8), 95. 23 In Frage kommt hier besonders die Metapher von JHWH als dem ,Hirten Israels (Ps 80,2, vgl. Jes 40,11; Jer 23,3; 31,10 u.ö.) und von Israel als der ,Herde Gottes (Ps 74,1; 79,13; 95,7; 100,3 u.ö.), s. dazu T H. HIEKE, Psalm 80 – Praxis eines Methoden-

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und geschichtlichen Konkretion auf das Gottesverhältnis hin durchsichtig sind. Darüberhinaus stellt sich der johanneische Jesus „durch seine Ich-Rede und die possessive Zueignung der Schafe selbst in den Bereich Gottes hinein. (...) Indem er konsequent von ,seinen Schafen‘ spricht, stellt er sich auf eine Stufe mit dem Herdeneigentümer. Da der Herdeneigentümer in der gesamten Bildfeldtradition immer Gott war, müssen die Adressaten die Rede von Jesus als dem Hirten als Übertragung eines atl. Gottesprädikats auf seine Person verstehen“24.

Im Unterschied zu Joh 10,11–18 ist in Ez 34,11–16 und den anderen Hirt/Herde-Texten des Alten Testaments aber nicht vom stellvertretenden Lebenseinsatz des göttlichen Hirten, sondern von seiner umfassenden ,Sorge‘ (hr:Q B' Ez 34,12) für seine kostbare Herde Israel, also ihrer Führung, ihrer Ernährung, ihrem Schutz und ihrer Verteidigung die Rede. Das sind „Eigenschaften bzw. Merkmale des ,guten Hirten‘, der sich für seine Herde einsetzt und sein Leben mit dem Leben seiner Herde voll teilt, so daß das Schicksal seiner Herde ihn selbst im Innersten tangiert“25. Der Lebenseinsatz des ,guten Hirten‘ Jesus, der alle Erwartungen an einen normalen Hirten übersteigt,26 schließt demgegenüber den Tod als die Konsequenz seines Lebenseinsatzes ein: „Jesus gibt den Schafen das Leben, indem er paradoxerweise sein eigenes Leben einsetzt (Joh 10,11–18). Im Horizont des gesamten (Joh-)Evangeliums wird der Leser bzw. die Leserin hierbei an die Lamm-Metaphorik erinnert, die insbesondere als Deuteschlüssel des Todes Jesu herangezogen wurde. Während Jesus die Opfertiere aus dem (Tempel-) Hof hinaustreibt (Joh 2,15; 10,4), wird er selbst wie ein Opferlamm in den Hof hineingeführt (vgl. Joh 18,15: eij~ th;n aujlhvn) und schließlich wie ein (Passa-)Lamm geschlachtet (Joh 19,14.36)“.27

Der Tod Jesu ist aber nicht der Finalsinn seines Lebens. Weil Jesus das Hirtenamt seines Vaters ausübt, ist sein Wirken auch mit dem Wirken des Vaters identisch (Joh 10,30) – der „seinen einzigen Sohn hingab (didovnai), damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16, vgl. Röm 5,8). So entspricht der Lebenseinsatz des guten Hirten „für die Schafe“ (Joh 10,11.15, vgl. V.17f.) – gemäß der johanneiprogramms. Eine literaturwissenschaftliche Untersuchung mit einem gattungskritischen Beitrag zum Klagelied des Volkes, ATSAT 55, St. Ottilien 1997, 334ff.; HUNZIKERRODEWALD, Hirt und Herde (s. Anm. 10), passim und ZIMMERMANN, Jesus (s. Anm. 17), 14ff. 24 Z IMMERMANN, Jesus (s. Anm. 17), 22. 25 F.-L. H OSSFELD/E. ZENGER , Psalmen 51–100, HThK.AT, Freiburg/Basel/Wien 2000, 459. 26 S. dazu die alttestamentlichen Beispiele bei HUNZIKER -RODEWALD, Hirt und Herde (s. Anm. 10), 215 Anm. 138. 27 R. Z IMMERMANN, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, masch. Habilitationsschrift München 2002/03, 322.

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schen Konzeption von Inkarnation und Kreuz – der überströmenden Liebe zur Welt, mit der der Vater seinen Sohn hingegeben hat.28 Mit anderen Worten: Wenn Jesu ganzes irdisches Wirken unter dem Vorzeichen der Proexistenz29 stand, dann „ist auch der Kreuzestod Ausdruck seiner Hingabe für andere. (...) Was Jesu ganzes Leben auszeichnet, gilt gerade auch für seinen Tod“30. 2.2. „Betrübt ist meine Seele/mein Leben bis zum Tod“ (Mk 14,34) Das zweite Beispiel für unsere Frage nach den alttestamentlichen Voraussetzungen für die Deutung des Todes Jesu kommt aus der markinischen Passionsgeschichte (Mk 14,1–16,8) und ihrer expliziten Psalmen-Rezeption.31 Bei dieser Bezugnahme auf den Psalter geht es, wie die neuere Forschung deutlich gemacht hat, um mehr als bloß um biblisches Sprachkolorit. Denn da mit der Sprache der Psalmen ein bestimmtes Gottes-, Welt- und Menschenverständnis zum Ausdruck kommt, liegt der Rezeption der Klage- und Danklieder bei Mk, aber auch bei Mt und Lk die Absicht zugrunde, dem Leiden Jesu das Zufällige zu nehmen und es – mit signifikanten, auf die Singularität Jesu und seines Geschicks bezogenen Akzentsetzungen – in den Gebetstraditionen Israels zu verankern. Die Psalmen gehören zu den am meisten zitierten und sprachlich/ motivlich herangezogenen Texten des Alten Testaments im Neuen Testament. Mit insgesamt 110 wörtlichen Zitaten und Anspielungen (vor allem aus Ps 2; 22; 110 und Ps 118) stellt der Psalter etwa ein Drittel aller Schriftzitate im Neuen Testament.32 Psalmen sind vor allem für die markinische Passionsgeschichte (Mk 14,1–16,8) charakteristisch, in der an neun

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Vgl. O. HOFIUS, Das Wunder der Wiedergeburt. Jesu Gespräch mit Nikodemus Joh 3,1–21, in: Ders./H.-Chr. Kammler, Johannesstudien. Untersuchungen zur Theologie des Vierten Evangeliums, WUNT 88, Tübingen 1996, 33–80, 64ff.; W ILCKENS, Evangelium nach Johannes (s. Anm. 12), 71; KNÖPPLER, Sühne (s. Anm. 7), 244f.; HAHN, Theologie des Neuen Testaments I (s. Anm. 7), 612f.; II (s. Anm. 4), 382.401.411f.; FREY, ,,theologia crucifixi“ (s. Anm. 7), 197ff.200ff. u.a. Der knappe Hinweis bei RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 105 auf die ,,Hingabe des Sohnes in seine irdische Existenz ... (vgl. auch – ohne Stellvertretungsaspekt – Joh 3,16“) führt m.E. nicht weiter, weil er auseinanderreißt, was nach der johanneischen Gesamtkonzeption zusammengehört. 29 Zu diesem Begriff s. oben S. 101 mit Anm. 14. 30 H AHN, Theologie des Neuen Testaments II (s. Anm. 4), 411. 31 Zum Folgenden s. bereits B. J ANOWSKI, „Verstehst du auch, was du liest?“ Reflexionen auf die Leserichtung der christlichen Bibel, in: Ders., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn 2003, 351–389, 361ff. 32 Vgl. K. LÖNING, Die Funktion des Psalters im Neuen Testament, in: E. Zenger (Hg.), Der Psalter in Judentum und Christentum, HBS 18, Freiburg/Basel/Wien 1998, 269–295, 269 Anm. 1, s. zur Sache bereits H.-J. KRAUS, Theologie der Psalmen, BK XV/3, Neukirchen-Vluyn 21989, 223ff.

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Stellen aus dem Psalter (ohne einführende Zitationsformel) zitiert bzw. auf ihn angespielt wird: Markuspassion 14,18 „Der mit mir ißt“ 14,34 „Betrübt ist meine Seele zu Tode“ 14,38 „Der Geist ist willig ...“ 14,62 Sitzen zur Rechten der Kraft 15,24 Teilung der Kleider 15,29 Kopfschütteln der Vorbeigehenden 15,30f. Verspottung des Gerechten 15,34 „Mein Gott, mein Gott ...“ 15,36 Tränken mit Essig

Psalmen 41,10 42,6.12; 43,5; 55,2–6 51,14 110,133 22,19 22,8 22,9; 55,23 22,2 69,22

Dazu kommen die sprachlichen und motivlichen Anspielungen34 in Mk 14,1 auf die „List“ der Hohepriester und Schriftgelehrten35, in Mk 14,41 auf das „Ausgeliefertwerden“ des Menschensohns in die Hände der Sünder36, in Mk 14,55 auf das Suchen nach einem Zeugnis gegen Jesus37, in Mk 14,57 auf das Ablegen eines Falschzeugnisses gegen Jesus38, in Mk 14,61; 15,4f. auf das „Schweigen“ Jesu angesichts der Anklage39 sowie außerhalb der Passionsgeschichte in Mk 11,9f. auf Ps 118,25f.40 Die zitierten oder sprachlich/motivlich herangezogenen Psalmen 22 (4 Belege), 41 (1 Beleg), 42/43 (3 Belege), 51 (1 Beleg), 55 (1 Beleg), 69 (1 Beleg) und 110 (1 Beleg) verteilen sich auf drei Szenen der markinischen Passionsgeschichte:41 auf den Bericht vom letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern Mk 14,12–25 (V. 18: Ps 41,1042, vgl. 1QH 13 [bisher: 5], 33 In Kombination mit Dan 7,13, vgl. Lk 22,69, wo nur Ps 110,1 zitiert wird, s. dazu E. FLESSEMANN-VAN LEER, Die Interpretation der Passionsgeschichte vom Alten Testament aus, in: F. Viering (Hg.), Zur Bedeutung des Todes Jesu. Exegetische Beiträge, Gütersloh 1967, 79–96, 90f.; KRAUS, Theologie der Psalmen (s. Anm. 32), 233ff. u.a. 34 S. dazu auch J. M ARCUS, The Way of the Lord. Christological Exegesis of the Old Testament in the Gospel of Mark, Louisville/KE 1992, 172f., vgl. L. RUPPERT, Der leidende Gerechte und seine Feinde. Eine Wortfelduntersuchung, Würzburg 1973, 55 Anm. 43. 35 Vgl. Ps 10,7f., ferner Ps 35,20; 36,3; 52,2 und 55,11. 36 Vgl. Ps 140,8. 37 Vgl. Ps 37,32 und 54,3. 38 Vgl. Ps 27,12 und 35,11. 39 Vgl. Ps 38,13–15. 40 S. dazu K RAUS, Theologie der Psalmen (s. Anm. 32), 243f., ferner LÖNING, Funktion des Psalters (s. Anm. 32), 274 Anm. 15f. 41 Zu beachten ist ferner, daß die herangezogenen Psalmentexte in der Nachbarschaft von Zitaten und Anspielungen aus Deuterojesaja (Jes 53) und Tritojesaja stehen, s. dazu MARCUS, Way of the Lord (s. Anm. 34), 186ff. und LÖNING, Funktion des Psalters (s. Anm. 32), 274 Anm. 15. 42 S. dazu FLESSEMANN-VAN LEER , Passionsgeschichte (s. Anm. 33), 83f.; RUPPERT, Der leidende Gerechte (s. Anm. 34), 50; J. GNILKA, Das Evangelium nach Markus, EKK

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23f.), auf das Gebet Jesu in Gethsemane Mk 14,32–42 (V. 34: Ps 42,6.12; 43,5; V. 38: Ps 51,14), mit Vorverweis auf das Bekenntnis Jesu Mk 14,53– 65 (V. 62: Ps 110,1 [und Dan 7,13]) und auf den Bericht von der Kreuzigung Jesu Mk 15,20b–41 (V. 23.24.29.30f.34.36: Ps 22,19.8.9.2; 69,22). Schon diese Verteilung zeigt, daß die genannten Psalmen an dramatischen Höhepunkten der Passionsgeschichte eingeflochten werden. Zugleich unterstreichen sie als Klage- und Danklieder des einzelnen, daß es sich im Geschick Jesu um „die Erfahrung des Bedrängtseins durch die Macht des Todes als Schicksal der Gerechten und Frommen, erlitten als Gewalt durch Menschenhände und als Hohn der Frevler“43 handelt. Das in den Klage- und Dankpsalmen beheimatete Leidensmotiv findet sich in expliziter Form im Bericht über das Gebet Jesu in Gethsemane Mk 14,32–4244 mit seinen in V. 34 auf Ps 42/43 und Ps 55 zurückgreifenden Anspielungen: 32 Und sie kommen zu einem Grundstück mit Namen Gethsemane, und er sagt zu seinen Jüngern: „Setzt euch hier hin, bis ich gebetet habe.“ 33 Und er nimmt Petrus und Jakobus und Johannes mit sich und fing an, zu zittern und zu zagen, 34 und er sagt zu ihnen: „Betrübt ist meine Seele/mein Leben bis zum Tod. Bleibt hier und wacht!“45

Bereits in V. 33b, der als einleitender Bericht über die heftige Gemütsbewegung Jesu mit dem auf Ps 42/43 anspielenden Wort Jesu an die Jünger V. 34 verbunden ist, werden mit „sich entsetzen“ (ejkqambei'sqai) und „in Angst geraten“ (ajdhmonei'n) zwei Verben verwendet, die zum Wortfeld der emotionalen Erschütterung gehören46. Deren Ursache wird in V. 34 mögli-

II/1–2, Neukirchen-Vluyn 1978/79, 236f.238 und MARCUS, Way of the Lord (s. Anm. 34), 172f.183. Diese zitathafte Anspielung ist besonders aufschlußreich, weil Ps 41 ein Danklied ist, in das die für ein Klagelied charakteristische Notschilderung eingeflochten ist (V. 5–11), s. dazu B. JANOWSKI, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2003, 180ff. 43 LÖNING, Funktion des Psalters (s. Anm. 32), 271. 44 Zur Funktion der Gethsemane-Szene im Kontext der Passionsgeschichte s. R. FELDMEIER, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion, WUNT II/21, Tübingen 1987, 128ff.237ff. und J. HERZER, Freund und Feind. Beobachtungen zum alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrund und zum impliziten Handlungsmodell der Gethsemane-Perikope Mk 14,32–42, Leqach 1 (2001), 107– 136, 118ff. 45 Vgl. auch die Übersetzung D. LÜHRMANN, Das Markusevangelium, HNT 3, Tübingen 1987, 241. 46 Zu diesen beiden Verben s. FELDMEIER , Krisis des Gottessohnes (s. Anm. 44), 146ff.

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cherweise unter Anspielung auf den Kehrvers von Ps 42/4347 geschildert, in dem der Beter seine vpn („Leben, Vitalität“)48 nach dem Grund ihrer Angst fragt, um darauf seiner Rettungsgewißheit Ausdruck zu verleihen: Was zerfließt du ‹über mir›, mein Leben (vpn ), und was begehrst du (noch einmal) auf gegen mich? Warte auf Gott, denn noch werde ich ihm danken, der Rettung meines Gesichts ‹und meinem Gott›. (Ps 42,6, vgl. V. 12; 43,5)49

Eine erstaunliche strukturelle und thematische Nähe zur GethsemaneErzählung enthält auch Ps 5550, ohne daß dabei von einem regelrechten Zitat oder einer direkten Anspielung gesprochen werden könnte. Der Todesschrecken des Beters wird hier (Ps 55,13–15) wie in der GethsemaneSzene durch einen Vertrauten – nämlich den „Auslieferer“ Judas (Mk 14,42, vgl. 14,18.20f.44)51 – ausgelöst, der sich in die Menge der Feinde und Gottlosen einreiht, die den Beter bedrängen: 2 Vernimm, o Gott, mein (Bitt-)Gebet, und verbirg dich nicht vor meinem Flehen. 3 Achte auf mich und erhöre mich. Ich irre umher in meiner Verzweiflung, und ich bin außer mir 4 wegen des Geschreis des Feindes, wegen der Bedrängnis seitens des Frevlers. Ja, sie wälzen auf mich Unheil, und im Wutschnauben beschuldigen sie mich. 5 Mein Herz bebt in meiner Mitte, und Schrecken des Todes sind auf mich gefallen. 6 Furcht und Zittern kommen zu mir, und es hat mich Schrecken bedeckt. (Ps 55,2–6)52 47 Der Kehrvers Ps 42,6.12; 43,5 gliedert Ps 42/43 in drei Strophen, die den Psalm als Klagelied des einzelnen mit den Elementen: Klage (42,2–6), Anklage (42,7–12) und Bitte mit Lobgelübde (43,1–5) kennzeichnen, s. dazu F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, Die Psalmen I: Psalm 1–50, NEB 29, Würzburg 1993, 265ff.; T H. DOCKNER, „Sicut cerva“. Text, Struktur und Bedeutung von Psalm 42 und 43, ATSAT 67, St. Ottilien 2001, 98ff.181f. 221 und J. SCHAPER, „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“. Studien zu Ps 42/43 in Religionsgeschichte, Theologie und kirchlicher Praxis, BThSt 63, Neukirchen-Vluyn 2004, 18ff.92ff.; HERZER, Freund und Feind (s. Anm. 44), 120ff. vertritt die These, daß Mk 14,32–42 nicht nur auf Ps 42/43, sondern auch auf andere Klagepsalmen wie Ps 55 rekurriert. Beachtenswert ist auch sein Hinweis (a.a.O., 122f.) auf vergleichbare Klagegebete aus Qumran wie 1QH 16 (bisher 8),27–35 (bes. Z. 32), vgl. auch FELDMEIER, Krisis des Gottessohnes (s. Anm. 44), 161 und SCHAPER, a.a.O., 94. 48 Zum Begriff vpn („Leben, Vitalität“) s. JANOWSKI, Konfliktgespräche (s. Anm. 42), 204ff. 49 Vgl. auch die Übersetzung von D OCKNER , „Sicut cerva“ (s. Anm. 47), 261. 50 S. dazu HERZER , Freund und Feind (s. Anm. 44), 126ff. 51 S. dazu HERZER , a.a.O., 127ff. In Mk 14,18 wird dabei auf Ps 41,10 angespielt, s. dazu J ANOWSKI, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 42), 195f. 52 Übers.: F.-L. H OSSFELD/E. ZENGER , Psalmen 51–100 (s. Anm. 25), 93f. (Hossfeld).

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Damit wird über die Rezeption des Kehrverses von Ps 42/43 in Mk 14,32– 42 und – in Kombination damit (?) – den intertextuellen Bezug der Gethsemane-Erzählung zu Ps 55 eine Entsprechung zwischen der Situation des Psalmbeters und derjenigen des betenden Gottessohns hergestellt, die ein ähnliches Handlungsmodell – ,Der Freund, der zum Feind wird‘ – aufweist53. So wird die Erzählung vom letzten Gebet Jesu vor seinem Tod zu einem aufschlußreichen Hinweis auf „... die Tragfähigkeit der Psalmentraditionen Israels: Sie haben das Gebet des Gottessohnes Jesus in Zeiten höchster Bedrängnis und Not getragen“54. Das Beispiel von Mk 14,32–42 macht deutlich, daß die markinische Passionsgeschichte weithin Psalmen-Christologie ist.55 Mit der Sprache des Alten Testaments wird dabei aber mehr als nur eine äußere Form, nämlich die in dieser Sprache mitgeteilte Sache – im Fall von Ps 42/43; 55 und Mk 14,32–42: die Not und Hoffnung des Beters – rezipiert56. Wenn man in alttestamentlicher Sprache aber die Sache des Evangeliums zum Ausdruck bringen kann, „muß dann“, so fragt G. Theißen zu Recht, „diese Sache nicht schon im AT präsent sein?“57. Welche „Sache“ das ist, kann nicht strittig sein: Es ist die Hoffnung auf den vom Tod errettenden Gott. Diese Hoffnung trägt sowohl die Klagepsalmen Israels58 als auch Jesu Gebet in Gethsemane. Der Menschensohn, der nach Mk 10,45 nicht gekommen war, sich bedienen zu lassen (diakonhqh'nai), sondern zu dienen (diakonei'n) und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele (luvtron ajnti; pollw'n)59, gerät in 53

Zum Topos ,,Der Freund, der zum Feind wird“, d.h. zur sog. Freundklage, s. J ANOWSKI, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 42), 187ff.; DERS., Das Buch der unverfälschten Spiritualität. Zum neuen Psalmenkommentar von F.-L. Hossfeld, E. Zenger, BZ 47 (2003), 43–65, 59ff. und M. BAUKS, Die Feinde des Psalmisten und die Freunde Ijobs. Untersuchungen zur Freund-Klage im Alten Testament am Beispiel von Ps 22, SBS 203, Stuttgart 2004. Zum Ausdruck ,,Handlungsmodell“ s. HERZER, Freund und Feind (s. Anm. 44), 126.133f. 54 H ERZER, a.a.O., 134, vgl. 135f. 55 Vgl. E. ZENGER, Das Buch der Psalmen, in: Ders. u.a., Einleitung in das Alte Testament, KStTh 1,1, Stuttgart/Berlin/Köln 52004, 348–370, 369f. Zur Kreuzestheologie im Mk-Evangelium s. M. EBNER, Kreuzestheologie im Markusevangelium, in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 151–168. 56 Vgl. G. T HEISSEN, Neutestamentliche Überlegungen zu einer jüdisch-christlichen Lektüre des Alten Testaments, KuI 10 (1995), 115–136, 132ff. 57 T HEISSEN, a.a.O., 127, vgl. F LESSEMANN-VAN LEER , Passionsgeschichte (s. Anm. 33), 82f. u.a. 58 S. dazu J ANOWSKI, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 42), passim. 59 Vgl. Mk 14,24 (uJpe;r pollw'n) und als nächste Parallele 1 Tim 2,6. Zu den kreuzestheologischen Implikationen von Mk 10,45 s. A. WEIHS, Jesus und das Schicksal der Propheten. Das Winzergleichnis (Mk 12,1–12) im Horizont des Markusevangeliums, BThSt 61, Neukirchen-Vluyn 2003, 140f.175ff.; DERS., Deutung des Todes Jesu (s. Anm.

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Gethsemane in die tiefste Krise seines Lebens. Jetzt beginnt strictu sensu der Weg in die Passion, der mit dem Verlassenheitsschrei „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen“ (Mk 15,34)60 und dem Tod am Kreuz endet. In dieser entscheidenden Phase seiner Darstellung greift Markus auf die Psalmen Israels (Ps 22; 41; 42/43; 51; 55; 69 und 110)61 zurück, die dadurch zu Zeugen des „Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“ (Mk 1,1) werden. Die Evangelien, so kann man verallgemeinern, sehen in Jesus nicht nur den paradigmatischen Psalmenbeter, der, wie D. Bonhoeffer prägnant formulierte, „allein das volle Maß der Erfahrungen dieser Gebete“62 hatte, sondern sie sind selber eine Form biblischer Psalmenexegese, weil es in ihnen um ein Verstehen des Christusereignisses von der Schrift her geht. Die Schrift, also die Bibel Israels, war der maßgebliche Sprach- und Auslegungshorizont für die Deutung des Wirkens und Geschicks Jesu: „Es legt sich nahe, daß die erste Deutearbeit am Schicksal Jesu von seiten der zurückgebliebenen Jünger/innen im Rückgriff auf entsprechende jüd. Spiritualität erfolgte. Unter Verwendung ,alttestamentlicher‘ Motive und Traditionen konnte die Urgemeinde sprachlich ,fassen‘, was an Jesu Leben und Tod unfaßbar war. Im MkEv ist dieses Stadium gut greifbar.“63

16), 499f., vgl. 160ff.195ff.439ff.524ff.560ff.570ff. u.ö.; EBNER, Kreuzestheologie (s. Anm. 55), 158ff. und den Hinweis von Ebner auf den rechtlichen Vorstellungshintergrund: ,,Die traditionelle Deutung des Todes Jesu als ,Lösepreis für viele‘ (Mk 10,45b) wird im Kontext wohl so zu verstehen sein, dass Jesus in seiner Lebenshingabe nicht nur – wie bei der sakralen Sklavenfreilassung üblich – den ,Lösepreis‘ für sich selbst, sondern für ,viele‘ erwirtschaftet hat. Das heißt aber: Gerade diejenigen, die sich nicht zu schade sind, in der Gemeinde ,aller Sklave‘ zu sein, sind von Jesus ,frei gekauft‘, also wirklich Freigelassene“ (a.a.O., 162). Anders RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 98ff., der Mk 10,45 und auch Mk 14,24 nicht auf den Tod, sondern auf ,,die Gesamtexistenz Jesu, sein gesamtes Leben und sein gesamtes Dasein für die Menschen“ (a.a.O., 100) beziehen will. Was bei dieser Sicht der Dinge, wonach für Mk 10,45 ,,das traditionelle Verständnis des Todes Jesu im Sinne eines stellvertretenden (Sühne-)Todes“ (a.a.O., 101) ausgeschlossen ist, noch mit den Ausdrücken ,,Gesamtexistenz“, ,,gesamtes Leben“, ,,gesamtes Dasein“ gemeint sein soll, ist mir nicht einsichtig; zum sachgemäßen Gebrauch dieser Ausdrücke s. demgegenüber oben S. 97ff. Zum alttestamentlichen Hintergrund des luvtron-Begriffs s. JANOWSKI, Auslösung (s. Anm. 14), 34ff. und zuletzt KNÖPPLER, Sühne (s. Anm. 7), 284ff. (Lit.). 60 Zum Verständnis des Kreuzigungsberichts Mk 15,20b–41 und seiner Rezeption von Ps 22 s. J ANOWSKI, ,,Verstehst du auch?“ (s. Anm. 31), 365ff. 61 S. dazu die Übersicht oben S. 105. Das erste Psalmenzitat findet sich innerhalb der Abendmahlsüberlieferung (Mk 14,12–25) in Mk 14,18 (,,... einer, der mit mir ißt“ < Ps 41,10: ,,... der mein Brot aß“)! 62 D. B ONHOEFFER , Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel, DBW 5, München 1987, 40. 63 O. FUCHS, Art. Klage, NBL 2 (1995), 489–493, 492.

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Die ersten Deutereaktionen auf das Todesgeschick Jesu wurden, wie das Beispiel der markinischen Passionsgeschichte zeigt, im wesentlichen von der Spiritualität der Klage- und Dankpsalmen Israels evoziert, die der sterbende Gottessohn wie auch die zurückgebliebenen Jünger und Jüngerinnen von ihrer jüdischen Tradition her nicht nur kannten, sondern auch lebten. 2.3. „Gott hat ihn hingestellt als iJlasthvrion“ (Röm 3,25) Im Unterschied zur narrativen Christologie des Markusevangeliums werden in der paulinischen Christologie, unserem dritten Beispiel, die zentralen Inhalte des Christusgeschehens mit Hilfe metaphorischer Sprache expliziert, die ebenfalls zum Teil durch das Alte Testament präfiguriert ist. Im Blick auf diese ,metaphorische Christologie‘64 des Paulus spricht die neuere Forschung von ,umwertenden Metaphern‘65 und meint damit Metaphern, die Paulus zwar aus der Tradition übernimmt, die er aber ,umwertet‘, um herkömmliche Wertorientierungen in Frage zu stellen und seinen eigenen christologischen Anschauungen Ausdruck zu verleihen. Das Feld, auf dem diese Umwertung stattfindet, ist der Kult, aber nicht der Kult in seiner vorfindlichen Gegenständlichkeit, sondern in seiner durch Metaphorisierung veränderten Gestalt. Unter Kultmetaphorik, wie diese Veränderung genannt werden kann, ist die Verwendung spezifischer Kultvorstellungen in nichtkultischen Zusammenhängen zu verstehen. D.h.: Aus einem zentralen Bereich antiker Religiosität werden „Bedeutungen aufgerufen und entlehnt, um sie auf Gegenstände, Handlungen und Sachverhalte eines nichtkultischen Bereichs zu übertragen“66. Diese Übertragung ist semantisch bedeutungsvoll und pragmatisch folgenreich. Entscheidend ist im Unterschied zur „Spiritualisierung“ dabei der Sachverhalt, daß eine Metapher „die Spannung zwischen einem Wort in seiner Lexembedeutung und seinem konterdeterminierendem Kontext (bewahrt). Die ,Metaphorisierung‘ bezeichnet dann das Ineinanderschieben mehrerer Bedeutungsebenen und Konnotationen bei einem bestimmten Begriff. Absicht ist die Offenheit für verschiedene Formen der Bedeutungserweiterung ohne Negation des Konkreten wie beim Begriff der ,Spiritualisierung‘. Die ,Metaphorisierung‘ muß nicht darauf festgelegt werden, daß sekundär ein Begriff von außen ausgeweitet wird, sondern kann dem Begriff von Haus aus mitschwingende Bedeutungen offenlegen bzw. explizieren“67. 64 65 66

S. dazu SCHRÖTER, Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 61ff. S. dazu SCHRÖTER, a.a.O., 63ff. K. LÖNING, Kultmetaphorik im Neuen Testament, in: R. Albertz (Hg.), Kult, Konflikt und Versöhnung. Beiträge zur kultischen Sühne in religiösen, sozialen und politischen Auseinandersetzungen des antiken Mittelmeerraumes, AOAT 285, Münster 2001, 229–267, 230. 67 F.-L. H OSSFELD, Die Metaphorisierung der Beziehung Israels zum Land im Frühjudentum und im Christentum, in: F. Hahn u.a. (Hgg.), Zion. Ort der Begegnung (FS L.

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Der wohl gewichtigste Verwendungszusammenhang von Kultmetaphern im Neuen Testament ist die Deutung des Todes Jesu als Opfer- und Sühnegeschehen68. Daß es sich hierbei um Kultmetaphorik handelt, sei exemplarisch am Beispiel von Röm 3,25f. verdeutlicht: 25 ihn (sc. Jesus Christus) hat Gott hingestellt (proevqeto) als iJlasthvrion durch (den) Glauben durch sein Blut (ejn tw'/ aujtou' ai{mati) zum Aufweis seiner Gerechtigkeit wegen des Zulassens der zuvor geschehenen Sünden 26 in der (Zeit der) Zurückhaltung Gottes, für den Aufweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, auf daß er sei gerecht und gerecht machend den aus Glauben an Jesus.

Der Abschnitt Röm 3,19–26 kann als Zentraltext der paulinischen Christologie gelten, in deren Rahmen der sühnetheologischen Aussage von V. 25f. eine begründende Funktion zukommt.69 Sieht man dabei von der Frage der Aufteilung in vorpaulinische Tradition und paulinische Interpretation einmal ab,70 so ist deutlich, daß die kultische Kategorie der Sühne von Paulus personal zugespitzt und – im Sinn der oben skizzierten Umwertungshypothese – modifiziert wird. Wie aber ist bei diesem Interpretationsansatz das artikellose iJlasthvrion zu verstehen: als Wiedergabe des alttestamentlichen Terminus trPoK' „Sühneort, Sühnmal“ (Ex 25,17–22; Lev 16,2.13–15 u.ö., vgl. Hebr 9,5), als „Sühnopfer“ (vgl. 4 Makk 17,21f. u.ö.)71 oder unspezifisch als „Sühne(mittel)“72? Die Literatur zu dieser Frage ist bekannt-

Klein), BBB 90, Bodenheim 1993, 19–33, 23 (Hervorhebung von mir), s. zur Sache auch J ANOWSKI, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 42), 21ff.30ff. u.ö. mit zahlreichen Beispielen aus dem Psalter. 68 Vgl. LÖNING, Kultmetaphorik (s. Anm. 66), 230. 69 Zur ,,christologischen Zentralperspektive“ der paulinischen Theologie s. S. VOLLENWEIDER, Paulus, RGG4 6 (2003), 1035–1065, 1046ff. 70 Vorpaulinisch wahrscheinlich V.25(ohne ,,durch [den] Glauben”).26a, paulinisch wohl V.25*(nur ,,durch [den] Glauben“).26b, s. dazu P. STUHLMACHER, Biblische Theologie des Neuen Testaments I, Göttingen 1992, 193ff.297f.; W. KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Röm 3,25– 26a, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991, 92ff.168ff.; M. KARRER, Jesus Christus im Neuen Testament, NTD.E 11, Göttingen 1998, 74f.; GAUKESBRINK, Sühnetradition (s. Anm. 7), 229f.; KNÖPPLER, Sühne (s. Anm. 7), 113ff. und Z IMMERMANN, Deutung des Todes Jesu (s. Anm. 7), 6ff. Für einen engeren Zusammenhang von Tradition und Interpretation plädiert jetzt SCHRÖTER, Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 61f. m.E. zu Recht. 71 Zu dieser, jetzt wieder von E. LOHSE , Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 135 verteidigten Deutung auf das Selbstopfer der Märtyrer s. die kritischen Einwände bei KNÖPPLER, Sühne (s. Anm. 7), 113f.; RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 72ff.117ff. und auch bei U. SCHNELLE, Paulus. Leben und Denken, Berlin u.a. 2003, 509. 72 So jetzt wieder SCHNELLE, ebd.

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lich Legion.73 Gegen die Rezeption des alttestamentlichen Traditionshintergrunds, also die Deutung auf die trPoK', wird vor allem der vermeintliche Widerspruch ins Feld geführt, daß „Christus zugleich der ,Sühnedeckel‘ ist, an den das Blut gespritzt wird – und das Opfer, dessen Blut dabei verwandt wird“74. Der logische Widerspruch besteht nach dieser Auffassung darin, daß Jesus Christus der Gegenstand (Objekt) und zugleich das Mittel (Instrument) ist, mit dem von Gott die Sühne vollzogen wird. Dieses Argument begegnet bereits in den frühen Arbeiten E. Lohses75 und jüngst wieder in seinem Römerbrief-Kommentar.76 Die Inkongruenz des Vergleichs Jesus Christus/trPoK' besteht nach Lohse darin, „daß ja eben das Blut Christi an die Kapporet, die er selbst wäre, gesprengt werden müßte. Wenn überhaupt an die Kapporet gedacht sein sollte, so hätte man weit eher erwarten sollen, daß das Kreuz, nicht aber Christus selbst so bezeichnet sein sollte“77.

Ist das stichhaltig? Da Paulus den Begriff iJlasthvrion an theologisch zentraler Stelle einführt78 und die Einwände gegen 4 Makk 17,21f. als Prätext

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S. dazu GAUKESBRINK, Sühnetradition (s. Anm. 7), 229ff. und KNÖPPLER, Sühne (s. Anm. 7), 113ff. jeweils mit der älteren Lit., s. zur Sache neuerdings auch R.H. BELL, Sacrifice and Christology in Paul, JThSt 53 (2002), 1–27, 16ff.; HAHN, Theologie des Neuen Testaments II (s. Anm. 4), 385f.394f. und SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 71), 507ff. 74 P. VON G EMÜNDEN/G. T HEISSEN, Metaphorische Logik im Römerbrief. Beobachtungen zu dessen Bildsemantik und Aufbau, in: R. Bernhardt/U. Link-Wieczorek (Hgg.), Metapher und Wirklichkeit. Die Logik der Bildhaftigkeit im Reden von Gott, Mensch und Natur (FS D. Ritschl), Göttingen 1999, 108–131, 117 Anm. 13, vgl. B ARTH, Tod Jesu Christi (s. Anm. 7), 39f. u.a. 75 E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, FRLANT 64, Göttingen 21963, 149ff., s. dazu auch die Nachweise bei B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur priesterschriftlichen Sühnetheologie, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 22000, 351 Anm. 460. 76 LOHSE, Brief an die Römer (s. Anm. 71), 134ff. 77 LOHSE , Märtyrer (s. Anm. 75), 152; vgl. DERS., Brief an die Römer (s. Anm. 71), 135, K. HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 22002, 91 und SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 71), 508. 78 Das wird bei allen sonstigen Bedenken auch von SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 71), 507, 511 eingeräumt. M.E. hat das dann aber auch Folgen für die theologische Interpretation. Schnelles Auskunft: ,,Der Grund für diese Rezeption ist nicht das Interesse des Apostels an dieser Denkform, sondern textpragmatisch zielt er bewusst auf die Akzeptanz seiner exklusiven Rechtfertigungslehre in der römischen Gemeinde“ (a.a.O., 511) genügt m.E. nicht, weil es jenseits von Textpragmatik, deren Bedeutung gar nicht zu relativieren ist, um einen Epochenwechsel von der verborgenen zur offenbar gewordenen Gerechtigkeit Gottes geht, den Paulus unter Rückgriff auf die alttestamentliche trPoK'Tradition offenbar kultmetaphorisch begründet, s. dazu im folgenden.

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von Röm 3,25 erheblich sind,79 ist noch einmal über die diesbezügliche Relevanz der alttestamentlichen trPoK'-Tradition nachzudenken. Wichtig scheinen mir dabei zwei Aspekte zu sein: 1. Das Subjekt des Sühnegeschehens ist in den alttestamentlichen trPoK'-Texten wie auch in Röm 3,25f. immer Gott.80 So ist nach Ex 25,17–22 die im Zentrum des Begegnungszelts auf der Lade angebrachte trPoK' der Ort, an dem JHWH den Israeliten im Kult „begegnet, sich offenbart“ (d[y nif.): „21 Du (sc. Mose) sollst die trPoK' oben auf die Lade setzen, 22 Ich will dir dort begegnen und mit dir von der trPoK' aus (von dem Raum) zwischen den beiden Keruben, die über der Lade der (Gesetzes-) Bestimmung ist, reden .“81 Ebenso hat Gott nach Röm 3,25f. Jesus Christus als „Sühneort“ (iJlasthvrion)82 hingestellt durch sein Blut83 „zum Aufweis seiner (sc. Gottes) Gerechtigkeit“. Ausgangspunkt des Heils ist also „das Handeln Gottes. Hier zeigt sich eine Kontinuität zu den Grundanschauungen der alttestamentlichen Sühnevorstellung“84 und zugleich eine wichtige Differenz zu 4 Makk 17,21f.85 2. Eine noch so „neue“, alttestamentliche Gegebenheiten überbietende Kulthandlung ist mit dem Tod Jesu gerade nicht intendiert und eine Sprengung des „Blut(es) Christi an die Kapporet, die er selbst wäre“ – so das Argument E. Lohses –, von vornherein nicht im Blick. Es geht nicht um den Kult, sondern um das Kreuzesgeschehen, das durch umwertende Metaphorik86 christologisch reflektiert wird. Wie Jesus nach Joh 10,7 keine hölzerne „Tür“ ist, sondern der „gute Hirte“, der seinen „Schafen“ den Weg zum Leben vorbei an den Mächten des Todes „eröffnet“,87 so ist auch der Gekreuzigte nach Röm 3,25 kein goldener „Sühnedeckel“88, an den sein eigenes Blut – und dann auch noch von ihm selbst – gesprengt wird. Im übrigen ist die trPoK' schon im Alten Testament mehr als 79

S. dazu neuerdings besonders die oben Anm. 71 genannten Ausführungen von Knöppler, Röhser und auch Schnelle. 80 Das wird auch von SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 71), 509f. hervorgehoben. Zu den alttestamentlichen trPoK'-Texten s. J ANOWSKI, Sühne (s. Anm. 75), 295ff.444ff. 81 S. dazu J ANOWSKI, a.a.O., 328ff. und zu Ex 25,17ff. bes. 339ff. 82 Zur Wortbildung s. K NÖPPLER, Sühne (s. Anm. 7), 115 Anm. 22. 83 Die Frage, ob die Wendung ,,durch sein Blut“ metonymisch auf den gewaltsamen Tod Jesu zu beziehen ist, wie neuerdings wieder von RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 4), 118 vorgeschlagen wird (so auch JANOWSKI, Sühne [s. Anm. 75], 353 Anm. 472), wird von C. BREYTENBACH, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989, 168 und SCHRÖTER, Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 65 Anm. 38, die ejn tw'/ aujtou' ai{mati mit ,,durch das Vergießen seines Blutes“ umschreiben, verneint, s. zur Sache auch BREYTENBACH, ,Christus starb für uns‘. Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogenannten ,Sterbeformeln‘, NTS 49 (2003), 447–475, 453 Anm. 30. 84 SCHNELLE , Paulus (s. Anm. 71), 509. 85 Vgl. K NÖPPLER , Sühne (s. Anm. 7), 114. 86 S. dazu oben S. 110. 87 S. dazu ZIMMERMANN, Ästhetik der Christusbilder (s. Anm. 8), 94.103ff. und oben S. 99ff. 88 Diese Wiedergabe wird beispielsweise von P. von Gemünden/G. Theißen gewählt, s. dazu oben S. 112 mit Anm. 74.

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bloß ein Inventarstück des Begegnungszeltes, nämlich der Ort, an dem der heilige Gott inmitten seines unreinen Volkes gegenwärtig ist.

Entscheidend für das Verständnis der Sühneaussage von Röm 3,25 ist demnach der Aspekt der Kultmetaphorik. Mit Kultmetaphorik ist, wie wir sahen, die Verwendung von Kultvorstellungen in nichtkultischen Zusammenhängen gemeint89, mit denen bestimmte Wirklichkeitsdeutungen einhergehen. Wenn Paulus den Begriff trPoK' in seine christologische Argumentation übernimmt, geht es nicht einfach um die Übertragung eines alttestamentlichen Kultbegriffs in einen neutestamentlichen Kontext, sondern grundsätzlicher darum, das Wirken und Geschick Jesu mit einer bestimmten Bedeutungszuschreibung zu versehen und damit die Wirklichkeit des Menschen neu zu deuten.90 Das Verfahren, durch das dies geschieht, ist die Metaphorisierung. Wenn deren Funktion in der „Offenheit für verschiedene Formen der Bedeutungserweiterung ohne Negation des Konkreten“91 besteht, dann wird auch verständlich, warum Paulus auf einen Zentralbegriff des altisraelitischen Kults zurückgegriffen hat. Denn mit ihm ist die im kollektiven Gedächtnis des Gottesvolks aufbewahrte Anschauung verbunden, daß die im Inneren des Begegnungszeltes befindliche trPoK' der Ort der Gottesnähe ist, wie die Riten am Großen Versöhnungstag (Lev 16,11–17)92 exemplarisch zeigen. Diese Ebene der kultischen Konkretion wird von Paulus nicht negiert – sonst hätte er auf den Begriff iJlasthvrion verzichten können! –, sondern transformiert, ja in ihrer Sinnrichtung geradezu umgekehrt: Der von Gott im Tod am Kreuz öffentlich hingestellte Jesus Christus „tritt an die Stelle, die zuvor der Aufsatz der Lade innehatte und wird zu dem Ort, an dem sich nunmehr die Reinigung von Sünden ereignet“93. Der Tempelkult wird damit zwar abgelöst, aber die in ihm verwurzelten Anschauungen von der Annäherung an die Sphäre Gottes94 bleiben erhalten, weil sie 89 90 91 92

S. dazu oben S. 110. S. dazu auch SCHRÖTER , Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 57.61ff. Vgl. oben S. 110f. mit Anm. 67. S. dazu B. J ANOWSKI/E. ZENGER, Jenseits des Alltags. Fest und Opfer als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt im alten Israel, JBTh 18 (2003), 63–102. Die Kategorie der ,,Gottesnähe“ ist leitend für das Verständnis der Priesterschrift, s. dazu B. JANOWSKI, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in: Ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993/22004, 214–246, 240ff.; E. BLUM, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York 1990, 287ff. und E. ZENGER, Das priester(schrift)liche Werk, in: Ders. u.a., Einleitung (s. Anm. 55), 156–175, 175. 93 SCHRÖTER , Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 64. 94 Paradigmatisch dafür ist das religiöse Symbolsystem der Jerusalemer Tempeltheologie, s. dazu B. J ANOWSKI, Die heilige Wohnung des Höchsten. Kosmologische Implikationen der Jerusalemer Tempeltheologie, in: Ders., Der Gott des Lebens (s. Anm. 31), 27–71.

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wie nichts anderes geeignet sind, die „urchristlichen Vorstellungen von der eschatologischen Aufhebung der Distanz zwischen Gott und der Menschenwelt“95 modifiziert zur Sprache zu bringen.96 Ist der Kult also der unverzichtbare metaphernspendende Lebensbereich, so geht es bei der Verwendung von Kultmetaphern im Neuen Testament nicht darum, einen neuen Kult zu etablieren. Denn: „Das Denotat von Kultmetaphern ist nicht der Kult. Sonst wären die Metaphern keine Metaphern“.97 Entscheidend für die kultmetaphorische Deutung des Todes Jesu in Röm 3,25 ist vielmehr der doppelte Sachverhalt, daß „sowohl die Sünden beseitigende Wirkung des Blutes als auch der Ort, an dem sich dieser Vorgang vollzieht, auf Jesus übertragen wurde“.98 Damit entfällt auch die Notwendigkeit, den ,Gegenstand‘ (Jesus Christus) und das ,Mittel‘ (sein Blut) des von Gott inaugurierten Sühnegeschehens gegeneinander auszuspielen, weil beide von Paulus im Tod des Gekreuzigten ineins gesetzt werden. Wie Mk 15,38 par. vom Zerreißen des Tempelvorhangs in zwei Stücke „von oben nach unten“ spricht und damit in Entsprechung zur Spaltung des Himmels und zum Herabsteigen des Geistes bei der Taufe Jesu (Mk 1,10) den Zugang zu Gott meint99 – „Gott selbst legt den Zugang zum Ort seiner Anwesenheit frei“100 –, so ist nach Röm 3,25 der Ort der aus der Sünde rettenden Gottesgegenwart nicht mehr die im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels befindliche trPoK', sondern der Gekreuzigte, den Gott selbst als „Sühneort“ öffentlich hingestellt hat. Radikaler kann man den Tempelkult nicht durchbrechen, und tiefgreifender läßt sich der Epochenwechsel von der verborgenen zur offenbar gewordenen Gerechtigkeit Gottes nicht markieren.101 95 LÖNING, Kultmetaphorik (s. 96 Z IMMERMANN, Deutung des

Anm. 66), 259. Todes Jesu (s. Anm. 7), 3ff.12ff. differenziert im Blick auf diesen Sachverhalt zu Recht zwischen Opfertheologie und Opferkritik und sieht in der spannungsvollen Koinzidenz beider Aspekte das „Konstitutivum der ntl. Opferchristologie“ (3). 97 LÖNING, Kultmetaphorik (s. Anm. 66), 232. 98 SCHRÖTER , Metaphorische Christologie (s. Anm. 3), 65 (Hervorhebung von mir). 99 S. dazu auch H.-J. KLAUCK, Vorspiel im Himmel? Erzähltechnik und Theologie im Markusprolog, BThSt 32, Neukirchen-Vluyn 1997, 91f. 100 P.-G. K LUMBIES, Das Sterben Jesu als Schauspiel nach Lk 23,44–49, BZ 47 (2003), 186–205, 193; vgl. R. FELDMEIER, Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, in: Ritter (Hg.), Erlösung ohne Opfer? (s. Anm. 7), 17–55, 38f. 101 Vgl. H. MERKLEIN, Die Bedeutung des Kreuzestodes Christi für die paulinische Gerechtigkeits- und Gesetzesthematik, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 1–106, 33f.; BREYTENBACH, Versöhnung (s. Anm. 83), 167f.169f.; DERS., Versöhnung, Stellvertretung und Sühne. Semantische und traditionsgeschichtliche Bemerkungen am Beispiel der paulinischen Briefe, NTS 39 (1993), 59–79; GAUKESBRINK, Sühnetradition (s. Anm. 7), 232; LÖNING, Kultmetaphorik (s. Anm. 66), 236ff. 258ff. u.a. Durch den Tod Jesu wird deshalb nicht der ,eschatologische Versöhnungstag‘

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3. Fazit: Stellvertretende Lebenshingabe Das Leben für andere hingeben – so lautet der Titel der hier vorgetragenen Überlegungen. Ich habe diese Formulierung gewählt, weil sie den Vorzug hat, möglichst weit, d h. nicht auf die Aspekte „Opfer“, „Sühne“ und „Tod“ festgelegt zu sein, sondern auch die Aspekte „Liebe“, „Freundschaft“ und „Zuwendung“ zu umfassen. Dementsprechend ist sie nicht auf den stellvertretenden Tod Jesu begrenzt, sondern kann auch seine bedingungslose Solidarität mit den Menschen meinen. Der Begriff der „Lebenshingabe“ meint die Gesamtexistenz Jesu, d.h. das Leben, das Jesus in liebender Hingabe an die anderen gelebt hat, und den Tod, der die Konsequenz – und nicht das Ziel (Finalsinn) – dieses Lebens war. Der von H. Schürmann in die Diskussion eingeführte Ausdruck „Proexistenz“102 trifft diesen Sinn m.E. am genauesten. Anhand der Textbeispiele Joh 10,11–18; Mk 14,32–34 und Röm 3,25f. und ihren alttestamentlichen Voraussetzungen habe ich nach Verknüpfungen zwischen diesen beiden Aspekten des Wirkens und Geschicks Jesu gesucht. Dabei konnte zwischen mehreren Akzentuierungen unterschieden werden: – Nach der metaphorischen Christologie des Johannesevangeliums wird das hingebungsvolle Wirken Jesu unter Rückgriff auf die alttestamentliche Hirtenmetaphorik und ihre elementaren Lebenskontexte buchstäblich ins Bild gesetzt: Der „gute Hirte“ setzt sein Leben zur Verteidigung und zum Schutz seiner „Schafe“ ein (Joh 10,11–18). Dieser Lebenseinsatz bedeutet nicht, so schnell wie möglich dem Tod entgegenzueilen, sondern notfalls bis zum Äußersten zu gehen, d.h. sein Leben zu riskieren. Da der gute Hirte Jesus bereit ist, in lebensbedrohlicher Situation sein Leben „für“ die Schafe einzusetzen, liegt hier zwar keine Sühne-, wohl aber eine Stellvertretungsvorstellung vor. – Nach der narrativen Christologie der markinischen Passionsgeschichte wird das Geschick Jesu unter Rückgriff auf die Klagepsalmen Israels als Erfahrung des Bedrängtseins durch die Macht des Todes (Feinde und Frevler) dargestellt (Mk 14,32–42). Bei dieser Bezugnahme auf den Psalter geht es darum, dem Leiden das Zufällige zu nehmen und es mit signifikanten, auf die Singularität Jesu und seines Geschicks bezogenen Akzentsetzungen zu versehen. Das psalmistische Handlungsmodell ,Der Freund, der zum Feind wird‘ wird dabei zu einem aufschlußreichen Hinweis auf die Tragfähigkeit der Klagefrömmigkeit Israels, die das Gebet Jesu in der Situation höchster Bedrängnis getragen hat.

in Überbietung des Großen Versöhnungstages von Lev 16; 23,27f.; Num 25,9 heraufgeführt, so aber U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer (Röm 1–5), EKK VI/1, NeukirchenVluyn 1978, 239; J. ROLOFF, Art. iJlasthvrion, EWNT 2 (1981), 455–457, 456f. u.a. Auch die von KRAUS, Tod Jesu (s. Anm. 7), 57ff.161ff. u.ö.; DERS., Der Tod Jesu als Sühnetod bei Paulus, ZNT 3 (1999), 20–30 vorgeschlagene Deutung des Todes Jesu als eschatologisches ,,Heiligtum“, das am Kreuz kraft seines eigenen Blutes ,,eingeweiht“ (= von Gott eingesetzt) worden sei, ist m.E. wenig hilfreich. 102 S. dazu oben S. 101 mit Anm. 14, vgl. H AHN, Theologie des Neuen Testaments II (s. Anm. 4), 411.

Das Leben für andere hingeben

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– Nach der kultmetaphorischen Deutung des Todes Jesu bei Paulus wird dieser Tod im Horizont der rettenden Gottesgegenwart expliziert und der Gekreuzigte als iJlasthvrion zum „Ort“ des entscheidenden Epochenwechsels von der verborgenen zur offenbar gewordenen Gerechtigkeit Gottes (Röm 3,25f.). Der christologisch motivierte Rückgriff auf den Jerusalemer Tempelkult, der diesen zugleich ablöst, zitiert denjenigen Lebensbereich des alten Israel, dessen Grundaxiom der kultischen Annäherung an die Sphäre Gottes wie nichts anderes geeignet war, die urchristliche Vorstellung von der Aufhebung der Distanz zwischen Gott und Mensch antithetisch ,zur Anschauung‘ zu bringen.

Im Unterschied zu Joh 10,11–18 – der gute Hirte setzt sein Leben ein für die Schafe – wird Jesus Christus nach Röm 3,25f. von Gott öffentlich als „Sühneort“ hingestellt. Diese Differenz, die nicht eine der Sache, sondern der Perspektive ist, zeigt, daß der christologische Leitbegriff der „Lebenshingabe“ sowohl eine aktive (Jesus als Subjekt) als auch eine passive Bedeutungsseite (Jesus als Objekt) haben kann. So hat sich Jesus in seinem Tod „... als der letzten Konsequenz seines Lebens ... in Solidarität mit den Sündern radikal der von der Macht der Sünde verwundeten Wirklichkeit ausgesetzt und sie durchlitten. Solidarität mit den Sündern war das deswegen, weil er damit als Sohn Gottes an den Ort getreten ist, welcher eigentlich der ihrige war und ist: ,den Ort auswegloser Gottesferne und Todesverfallenheit‘.“103

Dieser „Ort“, so formuliert Paulus in Aufnahme kultmetaphorischer Sprache, ist aber kein anderer als der Gekreuzigte selbst, den Gott öffentlich als iJlasthvrion hingestellt hat, um die Macht der Sünde und des Todes zu brechen (Röm 3,25f.). Beide Handlungsperspektiven – diejenige Jesu, der sein Leben in liebender Hingabe einsetzt, und diejenige Gottes, der seinen Sohn zum Erweis seiner rettenden Gegenwart als „Sühneort“ hinstellt – sind in der Gesamtexistenz Jesu aufeinander bezogen und im doppeldeutigen Begriff der „Lebenshingabe“ zusammengefaßt. Dieser Begriff, der vom Gedanken der Stellvertretung als Leben für andere nicht abzulösen sein dürfte, bildet daher so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner für die Deutung des Todes Jesu im Urchristentum. Mit Joh 10,11–18; Mk 14,32–42 und Röm 3,25f. haben wir aber nur einen kleinen Ausschnitt aus der großen Zahl neutestamentlicher Texte zur Deutung des Todes Jesu im Urchristentum zu Gesicht bekommen. Jeder dieser Texte enthält ein bestimmtes, die Singularität des Wirkens und Geschicks Jesu kennzeichnendes Moment. Das ist bei den übrigen, auf den Tod Jesu bezogenen Texten des Neuen Testaments nicht anders. Die Vielfalt ihrer Deutungen, die „miteinander in Wechselwirkung stehen und gerade in ihrer Pluralität die grundsätzliche Offenheit christologischen Denkens

103

T HEOBALD, Römerbrief (s. Anm. 7), 182.

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bezeugen“104, weckt die Frage nach der Einheit dieser Vielfalt. Diese Frage zu beantworten, ist nicht mehr meine Aufgabe.105 Mir scheint aber, daß die Sühnevorstellung, so zentral sie gesamtbiblisch ist, weder der einzig legitime Verständniszugang zum Tod Jesu106 noch sein einigendes Band oder gar seine beherrschende „Mitte“ ist. Anders gesagt: Die Sühnetradition ist ohne das Stellvertretungsmotiv nicht verständlich zu machen, aber die Stellvertretungsvorstellung führt nicht eo ipso zur Sühnetradition; sie kann terminologisch und motivlich auch andere Wege gehen. Darum sollte man den Sachverhalt, daß wir von einer irreduziblen Vielfalt alter Auslegungen des Todes Jesu auszugehen haben, konsequent beachten. Daß diese Vielfalt durch die Rückfrage nach ihren alttestamentlichen Voraussetzungen an historischer und theologischer Tiefenschärfe gewinnt, dürfte dabei eine nicht unberechtigte Hoffnung sein.

104 V OLLENWEIDER , Golgatha (s. Anm. 7), 92. Zur Vielfalt der Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament s. DERS., a.a.O., 92ff.94ff. mit der dort angegebenen Lit., ferner zuletzt G. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000, 202ff.; HAHN, Theologie des Neuen Testaments II (s. Anm. 4), 381ff.; FELDMEIER, Deutungen des Todes Jesu (s. Anm. 100), 20ff.; W.H. R ITTER, Abschied vom Opfermythos?, in: Ders. (Hg.), Erlösung ohne Opfer? (s. Anm. 7), 193–246, 231ff. u.a. 105 S. dazu jetzt HAHN, a.a.O., 409ff. Die Aufgabe, die sich hier stellt, dürfte durch die Erkenntnisse der neueren Forschung nicht leichter werden. So gibt es allein im MkEv eine Vielzahl unterschiedlicher, miteinander vernetzter Deutungsmodelle des Todes Jesu, die ,,je nach ihrer spezifischen Gestalt und inhaltlichen Prägung stärker die christologische, theologische oder soteriologische Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu ausleuchten ...“ (WEIHS, Jesus [s. Anm. 59], 177f.). Dieses Problem wiederholt sich bei den anderen Synoptikern, im JohEv, im Corpus Paulinum und im Hebräerbrief. 106 Vgl. VOLLENWEIDER , Golgatha (s. Anm. 7), 92.

Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament Friedhelm Hartenstein

I. Die Verwendung von Tierblut als wichtiger Bestandteil ritueller Vollzüge hat in der Forschung zu „Opfer“ und „Kult“ des alten Israel stets besondere Aufmerksamkeit erfahren – nicht zuletzt aufgrund weitreichender anthropologischer und theologischer Implikationen des Themas, das unmittelbar in das Zentrum des christlichen Glaubens hineinreicht. Hatte vor allem die protestantische Exegese lange Zeit im Gefolge der dialektischen Theologie dem Kult und der priesterlichen Ritualgesetzgebung wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so änderte sich dies im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts gründlich.1 Zwei Tendenzen waren dabei maßgebend. Zum einen die Rezeption kulturanthropologischer und -philosophischer Theorien, die dem „Opfer“ einen fundamentalen Stellenwert für das Verständnis des Humanum zuweisen. Hierfür sind aus jüngerer Zeit vor allem der Althistoriker W. Burkert und der Religionsphilosoph R. Girard zu nennen. Beide haben mit im einzelnen verschiedenen Begründungen im Akt der Tötung von tierischem und menschlichem Leben eine kulturelle Grunderfahrung ausgemacht, zu deren Kompensation und Eindämmung die Rituale des blutigen Opfers wesentlich beitragen.2 Die zweite Tendenz einer verstärkten Würdigung der Rolle des Kultes im Alten Testament steht im Zusammenhang der Bemühung um eine Biblische Theologie. Speziell die 1 Vgl. als Orientierung z.B. A. MARX, Art. Opfer II/1: Alter Orient und Altes Testament, RGG4 6 (2003), 572–576; B. J ANOWSKI/K. B ACKHAUS, Art. Opfer, NBL 3 (2001), 36–43; B. J ANOWSKI/M. W ELKER (Hgg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, stw 1454, Frankfurt a.M. 2000. 2 Vgl. W. B URKERT, Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen, Berlin/New York 21997 (1971); DERS., Wilder Ursprung. Opferritual und Mythos bei den Griechen, Berlin 1990; DERS., Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998; R. GIRARD, Das Heilige und die Gewalt, Zürich 1987 (frz. 1972); DERS., Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses, Freiburg/ Basel/Wien 1983 (frz. 1978); DERS., Ausstoßung und Verfolgung. Eine historische Theorie des Sündenbocks, Frankfurt a.M. 1992 (frz. 1982; dt. zuerst 1988 unter dem Titel „Der Sündenbock“).

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kultische „Sühne“ (hebr. rpk) im Zentrum der Religion des Zweiten Tempels wurde als Bezugspunkt wichtiger Aussagenzusammenhänge neutestamentlicher Christologie herausgestellt (Paulus und Hebräerbrief).3 Hierbei wurden tiefgreifende Fragen aufgeworfen: Wie ist das altisraelitische Sühneritual zu rekonstruieren? Welche Bedeutungen haben dabei der Tötungsakt und das rituell verwendete Blut?4 Inwiefern sind neutestamentliche Aussagen über das Blut Christi und seine Heilsbedeutung vor dem Hintergrund der lange vernachlässigten Kategorien „Opfer“, „Sühne“ und „Stellvertretung“ zu lesen?5 Was trägt die neuere kulturwissenschaftliche Diskussion zur Beantwortung dieser Frage bei? Handelt es sich um einen unhintergehbaren Traditionsbestand des Christentums, den man in systematisch-theologischer Reflexion neu aufzunehmen und zu „bearbeiten“ hat?6 Die Schwierigkeiten sind vielfältig. Sie beginnen schon bei der Wahrnehmung der Quellen, der biblischen Texte. Im Alten Testament findet sich die Ritualmaterie „Blut“ nicht nur im Rahmen der priesterlichen Kultverordnungen der Sinaiperikope (im Buch Levitikus), sondern auch bei zwei Ereignissen von hoher Bedeutung für die Identität des alten Israel, dem Päsach Ex 12 und dem Bundesschluß am Gottesberg in Ex 24,3–8. Auf beides kann im Rahmen dieses Aufsatzes nur kurz hingewiesen werden.7 Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen soll vielmehr der Versuch stehen, exemplarisch nach der „Eigenbegrifflichkeit“8 der kultisch zu verortenden Texte zu fragen. Ein Hauptproblem scheint mir hier nämlich in der oft unklaren Reichweite der in der Forschung gebrauchten 3

Vgl. dazu v.a. den programmatischen einflußreichen Aufsatz von H. GESE, Die Sühne, in: Ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, BEvTh 78, München 1977, 85–106. Zur daran anschließenden Kontroverse, ob bzw. in welcher Weise die neutestamentliche Kategorie der „Versöhnung“ vor dem Hintergrund der alttestamentlichen „Sühne“ zu verstehen ist, siehe exemplarisch O. HOFIUS, Sühne und Versöhnung. Zum paulinischen Verständnis des Kreuzestodes Jesu, in: Ders., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 33–49; C. BREYTENBACH, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989. 4 Vgl. ebenfalls im Anschluß an Gese die umfassende Untersuchung von B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, NeukirchenVluyn 1982 (22000). 5 Zur Kategorie der „Stellvertretung“ vgl. B. J ANOWSKI, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997 (Lit.); H. SPIECKERMANN, Art. Stellvertretung II: Altes Testament, TRE 32 (2001), 135–137. 6 Vgl. dazu I.U. D ALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994, 237–315 („Sühnopfer: Die Heilsbedeutung des Todes Jesu“). 7 Vgl. unter IV. 8 Vgl. dazu die berühmte Antrittsvorlesung des Assyriologen B. LANDSBERGER, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt, Islamica 2 (1926), 355–372 (wieder abgedruckt in: Ders./W. von Soden, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt – Leistung und Grenze sumerischer und babylonischer Wissenschaft, Darmstadt 1965, 1–18).

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Deutekategorien zu liegen. Ich möchte das kurz am Beispiel eines für die hier verfolgte Fragestellung fundamentalen interpretationsleitenden Begriffes erläutern: dem „des Heiligen“. C. Colpe hat der wissenschaftlichen Verwendung dieses Begriffes eine prinzipielle Uneindeutigkeit attestiert.9 Wenn Religionswissenschaftler, Theologen und Philosophen vom „Heiligen“ sprechen, geschieht das nicht selten im Sinne einer letzten Größe. „Das Heilige“ erscheint dann als Totalbegriff, der als solcher notwendig ein Postulat darstellt.10 Dies gilt unbeschadet dessen, ob er als Ausdruck gesellschaftlicher Symbolisierung funktional aufgefaßt wird, wie in der Durkheim-Schule, ob er im Sinne eines „religiösen Apriori“ unhintergehbar erscheint, wie bei R. Otto, oder ob ihm ontologisch ein Verweischarakter auf eine „andere Wirklichkeit“ zugeschrieben wird, wie in der Religionsphilosophie M. Eliades. Sobald sich der Begriff von den konkreten Kontexten überwiegend sprachlicher Natur ablöst, an denen er zuerst gewonnen wurde, besteht die Gefahr unzutreffender Verallgemeinerung: Die Wahrnehmung quellensprachlicher Gegebenheiten mit Hilfe wissenschaftssprachlicher Kategorien verliert ihre heuristische Funktion und verselbständigt sich. Insofern ist es wichtig, sich den unabweisbaren Zirkel des Verstehens dadurch bewußt zu halten, daß man den Quellen, im vorliegenden Fall den biblischen Texten, das Recht einräumt, anderes und vielleicht weniger zu sagen, als man erwartet.11 Erhebt man das semantische Feld der hebräischen Wortfamilie vdq und versucht eine Annäherung an dahinterstehende kulturelle und religiöse Konzepte, so sind die Ergebnisse differenzierter, als es eine kategoriale Auffassung vom „Heiligen“ nahelegt.12 9 C. COLPE , Über das Heilige. Versuch, seiner Verkennung kritisch vorzubeugen, Frankfurt a.M. 1990; DERS., Art. heilig (sprachlich), HRWG 3 (1993), 74–80; DERS., Art. Das Heilige, HRWG 3 (1993), 80–99. 10 „Theologie und Religionswissenschaft vermischen sich vordergründig am einleuchtendsten dann, wenn sie von ‚dem Heiligen‘ reden. Der Doppelsinn, den der Begriff dadurch erhält, kann zwar durch Definition zu einem Teil überwunden werden [...], aber weil eine solche immer erst nachgeliefert werden kann, bleibt die suggestive Selbstverständlichkeit [...] und scheinbare Absolutheit [...] des Begriffs partiell unüberwindlich“ (COLPE, Das Heilige [s. Anm. 9], 85). 11 Vgl. COLPE , heilig (s. Anm. 9), 79: „Man darf die erkenntnistheoretisch-kritische Voraussetzung, daß es möglich ist, das Heilige zu erkennen [...], nicht mit der Voraussetzung verbinden, es sei das dasselbe Heilige, das sich in den Sprachen verschieden ausdrücke.“ Nur dann „kann die unabdingbare Forderung erfüllt werden, individuell den Sinn zu erfassen, den ein Volk, eine Tradition oder eine begriffsgeschichtliche Entwicklungsstufe einem Wort jeweils mitgibt.“ 12 Vgl. dazu z.B. den Überblick von T. POLA, Heiligkeit im Alten Testament. Ethische Relevanz und Wendepunkte der Traditionsgeschichte, in: D. Sänger (Hg.), Heiligkeit und Herrschaft. Intertextuelle Studien zu Heiligkeitsvorstellungen und zu Psalm 110, BThSt 55, Neukirchen-Vluyn 2003, 27–43 (Lit.); I. W ILLI-P LEIN, Opfer und Kult im

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Ich denke daher, daß es in dem von umfassenden Theorien geprägten Forschungsgebiet des altisraelitischen Kultes gut ist, eigene Deutekategorien transparent zu machen und sich dem Gegenstand zunächst aus der Distanz einer historischen Hermeneutik zu nähern. Nur so scheint mir im Widerstreit der Positionen ein fruchtbares Gespräch möglich. Selbstverständlich sind die folgenden Überlegungen dazu sehr skizzenhaft. Ich werde zuerst noch einige methodische und sachliche Präzisierungen zu meiner Themenformulierung benennen (II.). Anschließend möchte ich an einem zentralen Text, Lev 16, den Versuch einer Skizze zur Bedeutung des Blutes im Kult des alten Israel unternehmen (III.–IV.). Und schließlich soll das entstandene Bild kurz anhand von Lev 17,10–16 zu zwei wichtigen Forschungspositionen in Beziehung gesetzt werden (V.).

II. Nach der Bedeutung des „Blutes“ im altisraelitischen Kult zu fragen, heißt, sich dem Ausschnitt eines viel größeren Zusammenhangs zu nähern. Der französische Kulturanthropologe J.-P. Vernant hat sich in seinen Untersuchungen immer wieder auf dieses, dem Strukturalismus entlehnte methodische Prinzip berufen. Um ein einzelnes kulturelles Element zu verstehen, muß es in Abgrenzung und Verknüpfung mit anderen herausgearbeitet werden.13 Jeder Rekonstruktion kultureller Bedeutungen sollten daher begründete Vorannahmen über das größere Ganze zugrunde liegen, in dem allein es seinen Sinn hat und dem Verstehen vorgegeben ist. Die Kontexte, in denen im Alten Testament von der rituellen Verwendung von Tierblut die Rede ist, sind Elemente übergreifender religiöskultureller Bedeutungszusammenhänge. Mit C. Geertz (und C.S. Peirce) soll deren umfassender Horizont als die jeder kulturellen Erscheinung immanente Zeichenfunktion angesehen werden.14 Kulturen sind symbolialttestamentlichen Israel. Textbefragungen und Zwischenergebnisse, SBS 153, Stuttgart 1993, 45–51 („Heiligkeit“). 13 Vgl. als Überblick über seine Forschungen zur griechischen Religion und zur antiken Anthropologie J.-P. VERNANT, Zwischen Mythos und Politik. Eine intellektuelle Autobiographie, Berlin 1997 (frz. 1996); siehe auch die wichtigsten gesammelten Aufsätze in: DERS., Mortals and Immortals. Collected Essays, hg. v. F.I. Zeitlin, Princeton 1992 (bes. „A General Theory of Sacrifice and the Slaying of the Victim in the Greek Thusia“, a.a.O., 290–302). Zu Vernants streng kontextbezogenen Analysen im Blick auf die Funktion(en) des griechischen „Opfers“ vgl. auch R. SCHLESIER, Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800, Frankfurt a.M. 1994, 296–306. 14 Vgl. C. G EERTZ, Religion als kulturelles System, in: Ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, stw 696, Frankfurt a.M. 21991 (1983), 44– 95, aber auch die methodenkritischen Reflexionen in DERS., Spurenlesen. Der Ethnologe

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sche Systeme, Sphären einer vorgegebenen impliziten Sinnhaftigkeit für diejenigen, die ihnen zugehören. Die im Alten Orient und der Antike eigenständig faßbare religiöse Sphäre einer durch Spezialisten durchgeführten Kommunikation mit den Gottheiten stellt dabei ein wichtiges Teilsystem dar. Es war fest in den übergeordneten Rahmen der Gesamtkultur integriert und für diese zentral. Die Symbolik der religiösen Institutionen war durch eine spezifische Mehrdeutigkeit geprägt. Mit P. Ricœur (und M. Eliade) bilden komplexe religiöse Rituale eine Region des „Doppelsinns“. Sie oszillieren zwischen sichtbarer Handlung und vorrangig sprachlich artikulierter Bedeutung. In diesem Zugleich mehrerer Bedeutungsschichten liegt die Schwierigkeit für die Interpretation.15 Um es an einem für die folgenden Überlegungen wesentlichen Beispiel zu sagen: Die Symbolik der „Befleckung“ und der „Reinigung“, wie sie für priesterliche Texte des Alten Testaments zentral ist, ist nie nur physisch oder nur ethisch. Sie tritt uns vielmehr in der eigenartigen Überlagerung von Bedeutungen vor Augen, die das religiöse Symbol auszeichnet.16 In dieser Hinsicht gehört das Alte Testament in den altorientalischen Kulturzusammenhang, der durch eine Entsprechungslogik zwischen kosmischer und sozialer Welt charakterisiert ist. Das zeigt beispielhaft etwa die Habilitationsschrift des Assyriologen S.M. Maul über babylonische und und das Entgleiten der Fakten, München 1997 (engl. 1995). Siehe in Bezug auf die Kategorie der vorsprachlichen Symbole als „kulturimmanente Interpretanten“ (Peirce) auch den wichtigen Aufsatz von P. RICŒUR, Poetik und Symbolik, in: H.P. Duerr (Hg.), Die Mitte der Welt. Aufsätze zu Mircea Eliade, stw 981, Frankfurt a.M. 1984, 11–34 (bes. 13–15). 15 Siehe v.a. P. RICŒUR, Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld II, Freiburg/München 21988 (frz. 1960), bes. 17–26; DERS., Poetik (s. Anm. 14), 15–19. Zum Symbolverständnis Ricœurs vgl. u.a. O.F. BOLLNOW, Religionswissenschaft als hermeneutische Disziplin, in: Ders., Studien zur Hermeneutik I. Zur Philosophie der Geisteswissenschaften, Freiburg/München 1982, 295–335 (bes. 314ff.); B. WALDENFELS, Phänomenologie in Frankreich, stw 644, Frankfurt a.M. 1987, 296–300; H. INEICHEN, Philosophische Hermeneutik, Freiburg/München 1991, 228–232; J. MATTERN, Paul Ricœur zur Einführung, Hamburg 1996, 55–59. 16 Ricœur hat seine Untersuchungen zum Symbol nicht zufällig an der zwischen Konkretem und Abstraktem oszillierenden Sprache der „Befleckung“ durchgeführt (siehe die unter Anm. 15 genannte Lit.). Vgl. aus kulturanthropologischer Perspektive R.S. KHARE, Art. Pollution and Purity, Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology (1996), 437–439 (Lit.) sowie die berühmte Studie von M. DOUGLAS, Purity and Danger. An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo, London 1966 (dt. 1985), auf die sich im Blick auf das AT etwa W ILLI-P LEIN, Opfer (s. Anm. 12) bezieht (a.a.O., 39–45). Das konkret Substanzhafte altisraelitischer Vorstellungen von Schuld und Vergehen betont in vielen Studien auch K. KOCH, vgl. z.B. DERS., Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit, in: Ders., Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze 1, Neukirchen-Vluyn 1991, 184–205.

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assyrische „Löserituale“.17 Für diese liegen Verunreinigung und Sünde unlöslich ineinander, genauer: sie beleuchten sich wechselseitig, wobei der metaphorische Prozeß, den wir analysieren, in den Texten selbst nicht als solcher erkannt und artikuliert wird. Denn die Basis der „objektiven“ Wirksamkeit ritueller Maßnahmen zur Beseitigung negativer Kräfte besteht in einem konkret-anschaulichen Wirklichkeitskonzept.18 Das scheint auch für die nur indirekt erschließbare rituelle Symbolik des altisraelitischen Kults zu gelten. Die (theologisch) reflektierte Darstellung von Ritualen unterscheidet jedoch die alttestamentliche Literatur an vielen Stellen von altorientalischen Quellen, ohne daß dies als Qualitätsunterschied gemeint ist. Man muß sich einfach der Tatsache bewußt sein, daß die biblischen Texte, denen ich mich nun zuwende, oft schon in einem Abstand zu den rituellen Vollzügen stehen. Das meint nicht die völlige Ablösung von der konkret-anschaulichen Bedeutungsschicht zugunsten einer „höheren“ Geistigkeit, sondern die Ausdeutung von Ritualinhalten durch kompetente Spezialisten.19 So auch in Lev 16, dem Ritual des großen Versöhnungstages, und in Lev 17 (V. 11.14), wo am deutlichsten die Sicht priesterlicher Theologie im Blick auf die Bedeutung des Blutes artikuliert wird.

III. Lev 16 gehört zu den am häufigsten behandelten Texten des Alten Testaments.20 Seine inhaltliche und literarische Komplexität verleiht ihm den 17

S.M. MAUL, Zukunftsbewältigung. Eine Untersuchung altorientalischen Denkens anhand der babylonisch-assyrischen Löserituale (Namburbi), BagF 18, Mainz 1994. 18 Vgl. M AUL, a.a.O., 6: „Entsprechend konkret-anschaulich sind die Methoden, mit denen der Mensch von dem ihm anhaftenden Unheil befreit werden sollte. Auch das ‚Böse‘ wurde als (fein)stoffliche Materie gesehen“ (Hervorhebung im Original). Daß dieses Unheil seinerseits als „Strafe“ der Götter für menschliche Vergehen (bewußte oder unbewußte) verstanden wurde, gehört zu den Voraussetzungen der „objektiven“ Wirksamkeit der befreienden Löserituale, deren szenisches „setting“ denn auch ein Gerichtsprozeß vor dem Sonnengott flama’ bildete (vgl. a.a.O., 8–10). 19 Vgl. dazu für Mesopotamien (v.a. im 1. Jt. v. Chr.) die von A. L IVINGSTONE, Mystical and Mythological Explanatory Works of Assyrian and Babylonian Scholars, Oxford 1986, behandelten Ritualkommentare. In diesem Licht erscheint der besonders seit G. VON RAD, „Gerechtigkeit“ und „Leben“ in der Kultsprache der Psalmen, in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 41971, 225–247, in der alttestamentlichen Exegese gebräuchliche Begriff einer „Spiritualisierung“ von Kultbegriffen als irreführend. 20 Vgl. aus der umfangreichen Literatur zuletzt C. KÖRTING, Der Schall des Schofar. Israels Feste im Herbst, BZAW 285, Berlin/New York 1999, 119–131; T. SEIDL, Levitikus 16 – „Schlußstein“ des priesterlichen Systems der Sündenvergebung, in: H.-J. Fabry/ H.-W. Jüngling (Hgg.), Levitikus als Buch, BBB 119, Berlin/Bodenheim 1999, 219–248;

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Charakter einer theologischen Summe des Sühnekultes in der Zeit des Zweiten Tempels. In keinem anderen Text wird die Befreiung Israels von allen Übertretungen geschildert, die nach V. 34 im Gegensatz zu den kultischen Maßnahmen zur Sündenbeseitigung für einzelne nur einmal im Jahr vollzogen werden soll. Die folgende Skizze stellt sich weder der Frage, ob das komplexe Ritual jemals in der geschilderten Weise durchgeführt werden konnte, noch versucht sie eine redaktionsgeschichtliche Einordnung des Textes. Sie nimmt ihn vielmehr als ein kompositorisches Ganzes, das Inhalte des Symbolsystems der Jerusalemer Tempelüberlieferungen und der Tempelrituale widerspiegelt.21 Narrativ ist Lev 16 zurückgebunden an Lev 8–10, wo nach der Einsetzung der Priester, der Erscheinung der JHWH-Herrlichkeit und der Annahme des ersten rite vollzogenen Opfers (Lev 9,23f.) von der Bestrafung des Nadab und des Abihu berichtet wird (Lev 10,1–3).22 Aus eigenem Antrieb hatten die beiden Priester auf ihren Räucherpfannen ein von JHWH nicht gebotenes „fremdes Feuer“ dargebracht und wurden daraufhin sofort von einem von Gott ausgehenden Feuer verzehrt. Gerade die, die Gott „nahen“ dürfen (brq Lev 10,3), sind angesichts dessen in einer prekären Situation. So jedenfalls sieht es die Einleitung zum Ritual des µyrpkh µwy in Lev 16,1: „Und es redete JHWH zu Mose nach dem Tod der beiden Söhne Aarons – als sie vor JHWH nahten, waren sie gestorben!“. Für diese Exposition steht das Folgende unter dem doppelten Vorzeichen des Schutzes Aarons vor der Gottespräsenz und des Heiligtums vor der Verunreinigung.23 Nur unter den restriktiven zeitlichen und räumlichen ZugangsC. EBERHART, Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament. Die Signifikanz von Blut- und Verbrennungsriten im kultischen Rahmen, WMANT 94, NeukirchenVluyn 2002, 140–159, sowie die umfangreiche Arbeit von B. J ÜRGENS, Heiligkeit und Versöhnung. Levitikus 16 in seinem literarischen Kontext, Herders biblische Studien 28, Freiburg u.a. 2001 (Lit.). 21 Vgl. zu diesem synchronen Zugang auch die in Anm. 20 genannte Arbeit von J ÜRGENS (rituelle und kontextuelle Analyse) sowie jüngst R. RENDTORFF, Erwägungen zu kipper in Leviticus 16, in: F.-L. Hossfeld/L. Schwienhorst-Schönberger (Hgg.), Das Manna fällt auch heute noch (FS E. Zenger), Herders biblische Studien 44, Freiburg u.a. 2004, 499–510. 22 Siehe zu den Kontextbezügen zwischen dem narrativen Rahmen von Lev 16 und Lev 8–10 jetzt ausführlich JÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 187ff. (bes. 263–302, zu Lev 10; 299–302, zu Lev 16,1f. und Lev 10). 23 Für J ÜRGENS, a.a.O., 299ff., besteht die entscheidende narrative Verknüpfung der beiden Texte Lev 16 (V. 1f.) und Lev 10 in der bei der ersten Ausführung des Rituals des Versöhnungstages beseitigten „Bedrohung der Heiligkeit“ (durch die Verunreinigung des fremden Feuers und der Leichen der beiden Aaronsöhne aus Lev 10). Ähnlich auch EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 157. Vermutlich ist aber für Lev 16 die oben benannte reziproke Bedrohung Aarons noch bedeutsamer, der angesichts einer durch die Sündensphäre Israels gefährdeten Heiligkeitsordnung Zutritt zum Präsenzort JHWHs erlangen

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beschränkungen des einmal im Jahr (V. 34) und durch den Hohepriester allein erfolgenden „Nahens“ kann die latent gegebene Todesgefahr regelhaft bewältigt werden: „Rede zu Aaron, deinem Bruder, daß er nicht hineingehe jederzeit in das Heiligtum, innen hinter den Vorhang, zur Vorderseite der Kapporet, die auf der Lade (ist), damit er nicht sterbe!“ (V. 2). Dem Schutz des Hinzutretenden gilt entsprechend auch das in Lev 16,12f. geschilderte Hineinbringen des von JHWH gebotenen Räucherwerks (vgl. dagegen Lev 10,1) auf das Feuer des Altars im Heiligtumsinneren. Die Wolke des Räucherwerks (V. 13) bildet eine durch Aaron im Rahmen des Rituals herzustellende Abschrankung, die die Kapporet „bedeckt“ und so ein Hinzutreten ohne Todesgefahr ermöglicht („so wird er nicht sterben“, V. 13).24 Mit dieser erzählerischen Einbettung des Rituals vom großen Versöhnungstag in den priesterschriftlichen Kontext wird sowohl die Fokussierung auf priesterliche Belange als auch die spezifische symbolische Topographie des Textes deutlich. Letztere muß man sich vor Augen führen, um den Ort der Blutriten zu erfassen.25 Lev 16 und verwandte priesterliche Texte sind von der räumlichen Zuordnung zwischen „innen“ und „außen“ geprägt, wobei das – am Tempel orientierte – Innere des Wüstenheiligtums Ursprung und Ziel aller Handlungen bildet.26 Ein systematisches Tableau der in Lev 16 gebrauchten Raumbestimmungen muß daher „innen“ anfangen. Die Kapporet bildet den Ort der unmittelbarsten Gottespräsenz.27 Sie ist abgeschrankt mit dem „Vorhang“, der Parochet (V. 2), der den Eingang zum „Allerheiligsten“ (in Lev 16 durchgehend vdqh28) markiert. Dem Heiligtum ist mit dem Brandopferaltar (jbzmh) ein zweites Zentrum rituellen Handelns vorgelagert. Hinsichtlich der Orientierung dieses Altars gilt auch hier die Dominanz der muß, der, wie es das ambivalente „verzehrende“ Feuer in Lev 10,2 zeigt, auch zum Ort einer Gerichtspräsenz werden kann. 24 Den „Räucherritus“ in Lev 16,12a deutet auch Jürgens zutreffend als Schutzvorkehrung für Aaron und seine Söhne, vgl. DERS., Heiligkeit (s. Anm. 20), 105–107. 25 Vgl. zur symbolischen Topographie des Textes die immer noch instruktive Analyse von E. LEACH, Kultur und Kommunikation. Zur Logik symbolischer Zusammenhänge, stw 212, Frankfurt a.M. 1978 (engl. 1976), 101–118 (bes. das Schema S. 108) sowie jetzt J ÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 75–81. 26 Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß bei „P“ die kultische Kommunikation mit JHWH mit dem Bewegungsverb brq „nahen“/„herzutreten“ bzw. im Hif‘il „nahebringen“, bezeichnet wird (vgl. auch die Allgemeinbezeichnung für „Opfer“ bzw. „Kult“ ÷brq „Nahung“). Vgl. dazu die Überlegungen bei WILLI-P LEIN, Opfer (s. Anm. 12), 25, wonach „der einzige übergreifende Begriff für mehrere Opferarten im Hebräischen Qorbān“ ist, „die ‚Annäherung an das Heilige, ein Wort, das auch für Riten gebraucht werden kann, die nicht in unserem Sinne Opfer sind [...]“ (Hervorhebung von mir). 27 Zur Kapporet vgl. immer noch umfassend J ANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 277–354, sowie zur neueren Diskussion JÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 75–77. 28 Nur im (sekundären) Schlußabschnitt V. 29–34 findet sich in V. 33 vdqh vdqm.

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Symbolik des Allerheiligsten. Alle Handlungen erfolgen „vor JHWH“, also in Richtung auf die Vorderseite der Kapporet. Indem das Wüstenheiligtum, der Ohel Moed, mit (Tempel-)Gebäude und Hof die Zweiteilung mediterraner und westsemitischer Heiligtümer (Wohnung der Gottheit einerseits und Altar unter freiem Himmel andererseits) abbildet, ist damit auch ein „doppeltes Opfersystem“ gegeben.29 Auf dem Altar findet im Gegensatz zum zugangsbeschränkten „inneren Kult“ die öffentlich zugängliche, sichtbare Kommunikation mit der Gottheit statt. Sie macht die Verbindung in die unsichtbare Sphäre sinnenfällig, indem Opfermaterie durch Verbrennung zur Gottheit gelangt.30 Eine wichtige räumliche Markierung bildet schließlich der Eingang des Wüstenheiligtums (d[wm lha jtp V. 7) mit seiner Schwellenfunktion.31 Um das Heiligtum legen sich die beiden konzentrischen Bereiche des Lagers und der Wüste, die mit Konnotationen des „Bewohnten, Humanen“ und des „Unbewohnten, Wilden“ einander entgegengesetzt sind. Diese letzte Polarität zwischen „innen“ und „außen“, Zentrum und Rändern, spielt eine entscheidende Rolle für die doppelte Bewegungsrichtung des Ritualgeschehens des µyrpkh µwy, das in V. 3–28 geschildert wird. Zunächst werden Voraussetzungen im Blick auf die Opfermaterie benannt (V. 3: ein Stier als Sündopfer, ein Widder als Brandopfer für Aaron; V. 5: zwei Ziegenböcke für das Sündopfer und ein Widder als Brandopfer für das Volk). Außerdem werden die Bekleidung mit den „heiligen Leinengewändern“ (vdqAydgb V. 4) und eine vorausgehende Waschung des Leibes als vorbereitende Handlungen Aarons angeordnet, die ihn in den Status desjenigen bringen, der das Heiligtumsinnere betreten darf. Nicht in einli29 Vgl. dazu B. GLADIGOW, Opfer und komplexe Kulturen, in: Janowski/Welker, Opfer (s. Anm. 1), 86–107 (bes. 95–98). Vgl. a.a.O., 95: „Es findet sich [...] in der altisraelitischen und in der griechisch-hellenistisch-römischen Opferpraxis [...] eine Überlagerung zweier Opfersysteme und Opferpraxen: Einen Opfervollzug vor dem Tempel, unter freiem Himmel, zu dem die Tötung eines Tieres und seine partielle Verbrennung gehörten, und einen anderen im Tempel, mit einer Darbringung zubereiteter Speisegaben, zu denen dann nicht nur Fleisch gehörte, auf einem Tisch“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. weiter a.a.O., 96: „Den unterschiedlichen Orten und Modi des Opferns entsprechen unterschiedliche Vorstellungen über den Transfer der Gabe.“ 30 Vgl. hierfür Lev 9,23f., wo sich die epiphane Tempel-Herrlichkeit aus dem Heiligtumsinneren heraus auf dem Altar als ein das Opfer verzehrendes Feuer manifestiert. 31 Zu ihm als dem Ort für den Ritus des lebenden Bockes vgl. J ÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 78f. Gemeint ist damit wohl der äußere Eingang des Zeltheiligtums, nicht der innere Eingang zum Allerheiligsten (vgl. dazu die Schemazeichnungen in BHH 3 [1966], 1874f., Abb. 2–3; JANOWSKI, Sühne [s. Anm. 4], 223). Auch die nicht explizit lokalisierte Übertragung „aller Schuld Israels“ auf den Bock in Lev 16,20 hat man sich an dieser Grenzmarkierung vorzustellen, während die Entsendung des Bockes in die „Wüste“ (ebenfalls V. 20) kaum anders als vom „Eingang des Vorhofes“ (Ex 27,16; 38,18) aus denkbar ist.

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niger Abfolge, sondern ineinander gefügt werden dann die beiden großen Ritualsequenzen geschildert, aus denen der µyrpkh µwy besteht: a) Die primär nach „innen“ zur Kapporet gerichteten Handlungen des Sündopfers im engeren Sinn. b) Die primär nach „außen“ in die Wüste gerichteten Handlungen des Sündenbockritus. 32

Das Sündopferritual (tafj) bildet dabei die erste Handlungsgruppe. Ein Sündopfer für den Priester selbst (der Stier) geht dem Sündopfer für das Volk (der eine Bock) voraus. Zugleich wird die besondere Bereitstellung dieses letzteren Sündopfertieres angeordnet. Aaron muß durch das Los die beiden Böcke aufteilen: Einer, „für JHWH“, dient der nach „innen“ gerichteten tafj; der andere, „für Azazel“, soll nach „außen“ in die Wüste geschickt werden. V. 11 und V. 14–18 beschreiben dann ausführlich das auch aus Lev 4 bekannte Sündopfer mit dem Stier und dem einen Bock. In diesen Zusammenhang gehören die Blutriten (vgl. Lev 4,5–7.15–18). Dabei ist es wichtig, die räumlichen Zuordnungen im Sinn der genannten symbolischen Topographie wahrzunehmen. Auf die nicht näher umschriebene Schlachtung des Tieres folgt die siebenmalige Blutbesprengung im Heiligtumsinneren mit dem Finger (Lev 16,14: an die Vorderseite/vor die Kapporet).33 Diese Blutapplikation in der „Wohnung“ JHWHs wird in V. 16 zusammenfassend umschrieben: „Und er soll Sühne schaffen dem Heiligtum von den Unreinheiten der Israeliten und von ihren Übertretungen.“ Die Zweckbestimmung ist eindeutig. Das Handlungselement der Blutapplikation durch siebenmaliges Sprengen wird kathartisch bestimmt. Daß es vorrangig um „Reinigung“ geht, zeigt auch das privative ÷m, mit dem rpk Pi‘el zusammensteht.34 Im Licht der oben angestellten Überlegungen zur 32

Vgl. für die oft vermerkten ebenso konträren wie komplementären Handlungsrichtungen des Rituals von Lev 16 (zwischen Allerheiligstem und Wüste) wieder J ÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 75: „Alle zwischen diesen beiden extremen Punkten liegenden Orte werden im Laufe des Rituals berührt.“ 33 Vgl. Lev 4,6: an die Vorderseite des Vorhangs, der Parochet. Zu dieser Blutbesprengung siehe v.a. J ANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 221–242, und mit ausführlicher Diskussion der neueren Forschung EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 229–289 (zur These beider Arbeiten, wie die Blutriten zu interpretieren sind, siehe unten V.). 34 „Das Verb rpK pi. hat hier die Bedeutung ‚sühnen von‘, da auf das erste indirekte Objekt zwei weitere mit ÷m eingeleitetete Objekte folgen: Die ‚Unreinheiten der Söhne Israels‘ [...] und ‚ihre Frevel hinsichtlich aller ihrer Sünden‘.“ (JÜRGENS, Heiligkeit [s. Anm. 20], 108). Vgl. W ILLI-P LEIN, Opfer (s. Anm. 12), 98: „Durch den Chattat-Ritus wird bewirkt, daß Gott ‚Sühne‘ (kpr) ‚weg von (min) der Versündigung geschehen läßt (Lev 4,26) und ‚verzeiht‘ (slú).“ (Hervorhebung von mir). Hierbei wird die „privative“ Bedeutung zunächst durch die Präposition ÷m nahegelegt (zu privativem Min vgl. B.K. W ALTKE/M. O’CONNOR, An Introduction to Biblical Hebrew Syntax, Winona Lake 1990, 214). Zur Diskussion um ein „privatives“ Pi‘el (v.a. von rpk) siehe E. J ENNI, Das hebräische Pi‘el. Syntaktisch-semasiologische Untersuchung einer Verbalform im Alten Testa-

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Symbolik von „rein“ und „unrein“ ist festzuhalten, daß auch in Lev 16 die beiden Momente des „Physischen“ und des „Ethischen“ zusammengesehen werden. Die Wirksamkeit des rituellen Vollzugs wurzelt im konkret Substanzhaften. Warum es gerade das Blut ist, das das Heiligtum „sühnt“, wird hier nicht explizit gesagt. Auch wird keinerlei explizite Verbindung zu dem dafür notwendigen Akt der Tötung gezogen. Auf die Blutapplikation im Inneren des „Allerheiligsten“ folgt die Anweisung zur Fortsetzung derselben im „(übrigen) Ohel Moed“ (V.16b): „(Eben)so soll er verfahren im Blick auf den Ohel Moed, der ,wohnt‘ bei ihnen, inmitten ihrer Unreinheiten“ (µtamf ûwtb). Wiederum liegt der Skopos auf der Sphäre des „Unreinen“, deren Auswirkungen auf das Heiligtum durch die Sühnehandlung beseitigt werden. Auch diese „Unreinheiten“ sind transparent für die Verfehlungen der Israeliten („ihre Unreinheiten“). Nach dem Abschnitt über das Zelt und die Wohnung soll dann, wieder der Logik von „innen“ nach „außen“ folgend, dem Altar im Hof „Sühne geschaffen“ werden. Dies geschieht durch eine Applikation von Blut an die Altarhörner und durch siebenmalige Blutbesprengung und wird wieder als kathartischer Vorgang beschrieben (V. 19b): „Und er soll auf ihn sprengen von dem Blut mit seinem Finger siebenmal, und ihn reinigen und ihn heiligen von den Unreinheiten der Israeliten.“ Hier ist die Parallelverwendung der beiden Pi‘el-Verben rhf „reinigen, rein machen“ und vdq „heiligen, heilig machen“ bemerkenswert. Offenbar handelt es sich um semantische Äquivalente für das übergreifende rpk Pi‘el (wie dieses in V. 16 jeweils mit privativem ÷m).35 Auf die erste große Ritualsequenz, die auf die symbolische Reinigung des Heiligtums, also nach „innen“ gerichtet war, folgt in Lev 16,20–22 die zweite große, nach „außen“ gerichtete Sequenz, das Sündenbockritual (für Lev 16 „eingebettet“ in die Sequenz der tafj). Zu ihm nur wenige Bemerkungen: An dem für Azazel ausgesonderten Bock soll Aaron die „Handaufstemmung“36 mit gleichzeitiger Deklaration aller Schuld und ment, Zürich 1968, 274; W ILLI-P LEIN, a.a.O., 98f., Anm. 8. Eindeutiges Beispiel ist Ps 51,9: „Entsündige (ynafjt) mich mit Ysop, so daß ich rein werde!“. Bereits auf der Ebene der syntaktischen Konstruktionen läßt sich somit das Ineinander von kosmischer und sozialer Bedeutung, von „Reinigung“ und „Sündenbeseitigung“ (und daran anknüpfend „Vergebung“) aufzeigen. 35 Diese für die Deutung der Blutriten im Kontext von Lev 16 m.E. besonders wichtige Gleichsinnigkeit der Verben „sühnen“ (V. 16 im Blick auf das „Heiligtum“), „reinigen“ und „heiligen“ (V. 19 im Blick auf den „Altar“, vgl. Lev 8,15) erwähnen auch EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 257; J ÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 110f.; RENDTORFF, Erwägungen (s. Anm. 21), 501ff. 36 Vgl. dazu z.B. B. J ANOWSKI, Art. Handauflegung II: Altes Testament, RGG 4 3 (2000), 1408f.; C. KÖRTING, Schall (s. Anm. 20), 179–185.

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Verfehlungen vollziehen, was ausdrücklich als Übertragungsritus gedeutet wird („und er soll sie [sc. die Verfehlungen] legen auf den Kopf des lebenden Bockes“ [V. 20]). Danach wird der Bock durch einen bereitstehenden Mann (in V. 26 als „Wegschicker“ bezeichnet) in die Peripherie der Ödnis/ Wildnis geschickt. Die ganze Ritualsequenz ist eliminatorisch, sie dient der Beseitigung der quasi „substanzhaft“ gedachten Verschuldungen Israels. Von einer Tötung des Bockes ist dabei keine Rede. Ausdrücklich wird er zweimal als „lebend“ bezeichnet (V. 10.20), im Gegensatz zu dem im Sündopferritual getöteten Bock (nur hier wird implizit der Gegensatz von Tod und Leben angedeutet). Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der beiden großen Ritualsequenzen, der kathartischen Sühne am Heiligtum und der eliminatorischen Beseitigung der Verschuldung Israels ist viel geforscht worden. Für den sogenannten „Sündenbock“ erscheint nach B. Janowski und G. Wilhelm ein nordsyrisch-kleinasiatischer Hintergrund am wahrscheinlichsten.37 Für den Zusammenhang von Heiligtumssühne und eliminatorischem Ritus ist neben dem alttestamentlichen Traditionshintergrund nach wie vor auch ein lange bekannter Einzelzug des Rituals des 5. Nisan des babylonischen ak∞tu-Festes erwähnenswert. Danach wird bei der Reinigung des Marduktempels Esagil die Cella des Nabû mit einem getöteten Schaf „gereinigt“ (ú-kap-par), wobei unter Weihrauchanwendung Unheil bannende Beschwörungen rezitiert werden.38 Im Anschluß werfen die beteiligten Ritualspezialisten den Kadaver in den Fluß, den symbolischen Ort zur Beseitigung unreiner und schadhafter „Substanzen“. Sie selbst müssen aufgrund der Kontamination mit Unreinem bis zum 12. Nisan in der Steppe, also „außen“, verbleiben. Für die Reinigung der Tempelcella mit dem Tierkadaver wird das akkadische Verb kapāru gebraucht (vom Wortstamm her Äquivalent zu hebr. rpk). Auf diese Parallele ist häufig hingewiesen worden. Im Licht der in Lev 16 selbst mitgeteilten Deuteperspektive der Blutbesprengungen als kathartische Sühne des Heiligtums scheint sie eventuell doch aussagekräftiger, als man gemeinhin zugesteht.39 Wobei festzuhalten ist, daß es sich um ein einziges, nicht zentrales Element des großen Neujahrsfestes in Babylon handelt, während in Lev 16 die Blutapplikation im Heiligtumsinneren im Rahmen des zweiteiligen Rituals zur völligen Schuldbeseitigung Israels eine wesentliche Rolle spielt. 37 Vgl. B. J ANOWSKI, Azazel und der Sündenbock. Zur Religionsgeschichte von Leviticus 16,10.21f., in: Ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993, 285–302; B. JANOWSKI/G. W ILHELM, Der Bock, der die Sünden hinausträgt. Zur Religionsgeschichte des Azazel-Ritus Lev 16,10.21f., in: B. Janowski/K. Koch/G. Wilhelm (Hgg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament, OBO 129, Freiburg(CH)/Göttingen 1993, 109–169. Für die Forschung zu „Azazel“ vgl. auch JÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 81–91. 38 Siehe dazu J ANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 54–57, dort 55 die Übersetzung des Ritualabschnitts RAcc 140,354–356: „Mit dem Kadaver des Schafes soll der Beschwörungspriester den Tempel reinigen. Beschwörungen, um das Haus (gegen Böses) zu bannen, soll er rezitieren. Die Cella in ihrer gesamten Ausdehnung soll er läutern, (dann soll er) das Räucherbecken wegräumen“ (vgl. F. T HUREAU-D ANGIN, Rituels Accadiens [= RAcc], Paris 1921, 127–154). 39 Vgl. zur Diskussion und zu Literatur JANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 54–56.

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Das zweigipflige Ritual des Versöhnungstages endet mit dem Kleiderwechsel und einer erneuten Waschung Aarons, der dadurch wieder in seinen „normalen“ kultischen Status zurückkehrt, in dem er schließlich das Brandopfer (hl[) darbringt, das ebenfalls als für ihn und das Volk Sühne schaffend bezeichnet wird (V. 24).40 Gemeinsam mit diesem Brandopfer wird auch die restliche Opfermaterie der tafj „verräuchert“ (rtq Hif., V. 25). Es handelt sich hierbei um das konstitutive zweite Element der „Sündopfer“-Ordnung nach Lev 4, das dort stets die Handlungssequenz abschließt.41 Wegen der Aufspaltung der beiden Teilelemente Blutritus und Verräucherung – eine Besonderheit der nicht linearen Struktur von Lev 16 – könnte man die Sühne schaffende Blutmanipulation für das entscheidende Element in Lev 16 halten. Doch der Schein trügt. Die in Lev 4 geschilderten unterschiedlichen Anlässe für den Vollzug eines Sündopferritus, bei dem es v.a. um unbewußte Verfehlungen geht, zeigen durchweg die festliegende und gleichgewichtige Handlungsfolge: Schlachtung unter Handaufstemmung – Blutritus – Bereitung der Opfermaterie (Abhebung des Fettes) – Verräucherung des Opfers auf dem Brandopferaltar – Beseitigung der Reste (außerhalb des Lagers).

Der ganze Vorgang, nicht der Blutritus allein wird dabei als Sühne schaffend bezeichnet, und diese Deklaration schließt stets unmittelbar an den Opfervollzug am Altar an (vgl. z.B. Lev 4,20.26.35). Auch die in Lev 5,1ff. folgenden Ausnahmebestimmungen, wonach von weniger Bemittelten anstelle von Großvieh oder Kleinvieh auch Tauben, ja sogar Feinmehl (tls V. 12) als vollgültig Sühne schaffende Ersatzleistung für das Sündopfer gebracht werden können, machen deutlich, daß Blut als solches kein exklusives Mittel der kultischen Sühne darstellte.

IV. Nur beim Sünd- (tafj) bzw. Schuldopfer (µva) wird der sogenannte „große Blutritus“ für die Gemeinschaft angeordnet, die siebenmalige Besprengung der Parochet bzw. in Lev 16 der Kapporet mit dem Blut. Davon 40

Daß Lev 16 in V. 24 mit der Darbringung der hl[ endet (vgl. dazu in Verbindung mit rpk noch Lev 1,1–9), zeigt, daß nun der normale Kultbetrieb wieder möglich ist – das „Sündopfer“ restituiert offensichtlich die dafür notwendigen Bedingungen (s. Anm. 41). 41 Dazu jetzt ausführlich E BERHART, Studien (s. Anm. 20), 113–173 („Das sog. Sündopfer“) und die Diskussion der bisherigen Deutungsansätze zur tafj a.a.O., 230–250. Zu Eberharts einleuchtender Interpretation derselben als „Ermöglichungsgrund der anderen Opferarten, die eine geweihte bzw. gereinigte Kulteinrichtung im Heiligtum erfordern“ (256), vgl. a.a.O., 250ff.

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hat man den sogenannten „kleinen Blutritus“ unterschieden, der auch in Lev 16,18 vorkommt.42 Er ist auf den Brandopferaltar (bzw. in Lev 4,7 auf den Räucheraltar im Ohel Moed) bezogen. Es handelt sich um ein Spezifikum der Blutapplikation an Altären, mit ihren aus der Archäologie Palästinas (vgl. Beer-Sheba) bekannten Hörnern, an die Blut „gegeben“ werden soll, worauf der Rest an den Sockel/Fuß (dwsy) des Altars „ausgeschüttet“ werden muß. Nur dieses letztere Element der „Ausgießung“ des Blutes am Brandopferaltar findet sich bei allen Arten des Tieropfers, hat also eine offenbar allgemeinere Bedeutung als die spezielleren Blutriten des „Sündopfers“. An dieser Stelle empfiehlt es sich, die im Alten Testament vorkommenden Blutmanipulationen in einem Überblick zusammenzufassen.43 Im Kult dominiert die reinigende/sühnende Wirkung im Sinne der symbolischen Verbindung von „Unreinheit/Verfehlung“. Außerhalb des Kultes finden sich noch die eingangs genannten Blutriten in Ex 24,3–8 (Herstellung und Bekräftigung einer Beziehung) und Ex 12 (apotropäische Wirkung; vgl. auch Ex 4,24–26). Man kann also unterscheiden: a) Reinigende/sühnende Wirkung des Blutes (bzw. Heiligung) – Das Blut des „Sündopfers“ reinigt/schafft Sühne am Heiligtum: Ex 29,36f. (Altar); Lev 4; Lev 16,14–20. Einen Sonderfall stellt hier Lev 6,17–23 dar (kontaminierend heiligende Wirkung von Blut, das gewissermaßen „unrein“ macht). – Vogelblut reinigt und sühnt Aussatz an Menschen und Gebäuden (Lev 14,7.51: darin parallel zu Lev 16: Entsühnung eines Hauses mittels eines getöteten Vogels und Entsendung eines lebendigen Vogels). – Das Blut des Schuldopfers (eines Lammes) reinigt bei Aussatz an Personen (Lev 14,14.25: es wird dem zu Reinigenden an das rechte Ohrläppchen, den rechten Daumen und den rechten großen Zeh appliziert, zum Blut tritt hier noch Öl als reinigende Substanz). – Ein Sonderfall dieser Weise der Blutapplikation ist die Einsetzung Aarons und seiner Söhne in Lev 8–9 // Ex 29. Hier wird durch Bestreichen derselben extremen Körperpunkte mit Blut (rechtes Ohrläppchen, rechter Daumen und rechter große Zeh) und anschließender Besprengung des zuvor mit Blut „entsündigten“ Brandopferaltars – neben der Erzeugung eines Habitus der Reinheit – zwischen Altar und Priestern offenbar eine Beziehung hergestellt (vgl. Lev 8,22–34 mit Lev 14,14). Dies läßt Lev 8–9 auch der folgenden, zweiten Funktion zugeordnet erscheinen. 42 Zu dieser Unterscheidung vgl. u.a. GESE , Sühne (s. Anm. 3), 94–102; J ANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 222–242. 43 Teils im Anschluß an die Zusammenstellung bei EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 286–289 (bes. 286).

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b) Herstellung und Bekräftigung einer engen Beziehung – Neben Lev 8–9 kann hierzu auch Ex 24,3–8 gerechnet werden, wo am Sinai im Rahmen des Bundesschlußrituals durch die Blutbesprengung des Altars und anschließend des Volkes eine enge Beziehung zwischen den beiden Vertragspartnern hergestellt wird. Durch die Bezeichnung „Blut der Berit“ (V. 8) wird dies auch ausdrücklich so gedeutet (vgl. V. 7: „Buch der Berit“). c) Apotropäische Wirkung – Das an die Türpfosten und die Türschwelle gestrichene Blut des PäsachLammes hält JHWH bzw. den „Verderber“ davon ab, bei der Tötung der Erstgeburt in die Häuser der Israeliten einzudringen (Ex 12,7.22). In Ex 12,13 wird das Blut explizit als „euer Zeichen“ gedeutet („P“). – Die in vielem dunkle Perikope vom „Blutbräutigam“ in Ex 4,24–26 könnte ebenfalls eine apotropäische Wirkung von Beschneidungsblut bezeugen.44

V. Sucht man nach expliziten übergreifenden Aussagen zur Erhellung der symbolischen Bedeutung der Blutriten (Applikationen und Ausgießung), so muß man abschließend natürlich die priester(schrift)lichen Aussagen in Lev 17,10–16 berücksichtigen. Für die hier gegebene singuläre Begründung des Blutgenußverbots ist die phänomenologisch sofort naheliegende enge Verbindung des Blutes mit dem „Leben“ bzw. dem Vitalprinzip, der vpn, entscheidend. Lev 17,11 (und V. 14, vgl. Gen 9,4) bezieht „Blut“ und „Leben“ in Nominalsätzen mit der Präposition b aufeinander. Häufig übersetzt man diese in Lev 17,11 einmal lokal und einmal instrumental: „Die näpä’ des Fleisches ist im Blut“ und: „denn das Blut ist es, das durch die näpä’ Sühne erwirkt“.45 Mir erscheint dagegen nach wie vor die von E. 44

Zu Deutungsmöglichkeiten der rätselhaften Bezeichnung µymd ÷tj siehe etwa W.H.C. PROPP, Exodus 1–18, AncB 2, New York u.a. 1999, 233–238, der erwägt, daß es sich um eine durch den Kontakt mit dem Beschneidungsblut vollzogene Bannung einer Sphäre der „Blutschuld“ (dies ist der präzise Sinn des Plurals von µd in vielen Texten des Alten Testaments) handelt (a.a.O., 238). Dann wäre auch diese Stelle unter die „reinigende“ Funktion (a.) zu stellen (vgl. auch a.a.O., 236, zu einer „expiatory or purificatory function“ der Beschneidung). 45 Vgl. stellvertretend J ÜRGENS, Heiligkeit (s. Anm. 20), 168, der m.E. aber im Blick auf die Schwierigkeit des syntaktischen Sachverhalts zu apodiktisch formuliert und daraus theologische Konsequenzen zieht: „Die Präposition b bezeichnet im Zusammenhang mit rpK pi. immer den Gegenstand durch oder mit dem die Sühne erwirkt wird

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Jenni erneuerte Annahme, es handle sich in beiden Fällen um ein identifizierendes Beth essentiae, erwägenswert.46 Dann wäre Lev 17,11 etwa folgendermaßen zu übersetzen: „Denn das Leben des Fleisches/Lebewesens ist das Blut. Ich aber habe es euch gegeben auf den Altar, um euren Leben/Personen Sühne zu schaffen, denn das Blut – als Leben erwirkt es Sühne.“

An den unterschiedlichen Auslegungen, die diese einzige explizite Stelle zur Deutung des Blutes für das Sühneritual gefunden hat, soll nun abschließend der Problemhorizont des Vortrags noch einmal abgesteckt werden. Ich möchte dazu zwei profilierte Positionen herausgreifen, diejenige von B. Janowski mit seinen Vorgängern K. Koch und H. Gese und diejenige von C. Eberhart, der seinerseits an R. Rendtorff anknüpft. B. Janowski hat in seiner umfassenden Dissertation zur „Sühne“ Lev 17,11 einleuchtend als „Summe der kultischen Sühnetheologie“ im Alten Testament verstanden.47 Der Vers ist ein zentraler Bezugstext für seine These, die er zusammenfassend so formuliert: „Rituelle Freisetzung des Blutes ist Freisetzung des (individuellen) Lebens, der näpä’, und das Blut ist im kultischen Sinne die freigelegte Lebenssubstanz.“48 Dies hat exegetisch und theologisch weitreichende Konsequenzen. Denn vor diesem Hintergrund werde „das im Blut enthaltene Leben die Basis des kultischen Sühnegeschehens. Weil der Opferherr durch das Aufstemmen seiner Hand auf das Opfertier in dessen Tod hineingenommen wird, an diesem Tod teilhat, indem er sich durch die Handaufstemmung mit dem Tier identifiziert, geht es in der Lebenshingabe des Sündopfertieres nicht um ein (b instrumenti). Das Blut kann als Lösegeld für Leben dienen, weil es der Sitz des Lebens ist – es ist Leben, das für anderes Leben ‚bezahlt‘ wird.“ Zur Diskussion um die Deutung des zweifachen b in Lev 17,11 siehe zuvor v.a. JANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 244–246, der sich, wenn auch vorsichtiger und differenzierter, ebenfalls der Deutung als Beth lokale (V.11aα: substanz-ontologischer Gebrauch) und instrumenti (V.11aβγ: kultisch-technischer Gebrauch) anschließt. 46 Vgl. E. J ENNI, Die hebräischen Präpositionen, Bd. 1: Die Präposition Beth, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, 84f., der sich m.E. mit guten Gründen (die Gleichsetzung von „Leben“ und „Blut“ kann ansonsten im AT auch in identifizierenden Nominalsätzen ohne b ausgesagt werden, vgl. Lev 17,14b; Dtn 12,23) für die Deutung als Beth essentiae ausspricht: „[...] in Lev 17,11 wird üblicherweise µd;B' lokal (‚die Seele des Fleisches ist im Blut‘) und vpNB' instrumental (‚denn das Blut ist es, das durch die Seele Sühne erwirkt‘) verstanden, obwohl sich Identifikation von Lebenskraft mit Blut einerseits und Einwohnung einer (als Hilfsagens instrumental wirkenden) selbständigen Seele im Blut andererseits als zwei verschiedene Vorstellungen eigentlich ausschließen. Wir können aber b an allen vier in Frage kommenden Stellen (Gen 9,4; Lev 17,11a.b. 14a) als Beth essentiae erklären.“ 47 J ANOWSKI, Sühne (s. Anm. 4), 242. 48 J ANOWSKI, a.a.O., 246f.

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fremdes Todesgeschick, sondern um den eigenen, vom Opfertier stellvertretend übernommenen Tod des Opferherrn. Und indem der den Blutritus ausführende Priester das Blut und damit die in ihm enthaltene vpn dieses mit dem Opferherrn durch die Handaufstemmung identifizierten Tieres in einem zeichenhaften Ritus (Blutsprengung, Blutstreichung) an das Heiligtum (Brandopferaltar, Vorhang vor dem Allerheiligsten, Räucheraltar) sprengt, wird damit eine zeichenhaft-reale Hingabe der vpn dieses Menschen an das Heilige vollzogen.“49

Die eindrucksvolle Synthese geht von vielen Voraussetzungen aus, die hier nicht weiter dargelegt werden können. Sie nimmt Lev 17,11 als theologisch-hermeneutischen Schlüssel für den Sühnekult und betont von daher die Sonderstellung des Blutritus. Daß die Tötung des Tieres und die Blutbesprengung am Heiligtum nach Lev 4 und 16 aber ihren entscheidenden Skopos in der stellvertretenden Hingabe des Lebens an das Heilige hat, läßt sich an dem oben skizzenhaft dargelegten Textbefund gerade nicht ausdrücklich erheben. Hier bleiben Anfragen im Blick auf die Erfassung der „Eigenbegrifflichkeit“ der alttestamentlichen Texte bestehen. Jedoch muß man die singuläre Aussage des priesterlichen Verfassers von Lev 17,11 deutlich hören, daß das Tierblut um der Menschen willen von JHWH auf den Altar gegeben wurde. Die jüngst von C. Eberhart vorgelegte Dissertationsschrift bietet ebenfalls ein eindrucksvoll geschlossenes Bild der alttestamentlichen Opfer im ganzen. Im Hintergrund steht dabei das Grundverständnis des Opfers als „Gabe“ für Gott (Mauss und Hubert).50 Die Stärke der Arbeit liegt dabei in der Einzeichnung der einzelnen Opferbestimmungen in den Rahmen einer kultischen Kommunikation mit JHWH, die nach dem Modell eines 49 J ANOWSKI,

Sühne (s. Anm. 4), 247 (Hervorhebung in Z. 1 im Original). Die Argumentation im Blick auf die mit der Handaufstemmung verbundene „Stellvertretung“ des Opferherrn durch das Opfertier beruht u.a. auf einer Verallgemeinerung der in Lev 1,4b als „Sühne schaffend“ bezeichneten Semikha. Freilich findet sich nur an dieser einen Stelle die „Handaufstemmung“ im Zusammenhang mit rpk, und das nicht im Kontext des „Sündopfers“ (tafh), sondern eines Brandopfers (hl[). Im Rahmen der Regelungen der Chattat erscheint der Ausdruck rpk dagegen am Ende des Rituals, um dieses wohl im ganzen in seiner Funktion zu kennzeichnen (s.o. III.) – ein Sachverhalt, auf den in Auseinandersetzung mit der These Janowskis auch R. RENDTORFF, Leviticus 1,1–10,20, BK III/1, Neukirchen-Vluyn 2004 (1985ff.), 37, aufmerksam gemacht hat. Insofern tut man gut daran, zwischen dem nach Lev 4 als „Sühne schaffend“ gekennzeichneten Blutritus einerseits und der Handaufstemmung andererseits keinen (jedenfalls keinen wesentlichen) Zusammenhang herzustellen. Der Blutritus sollte in seinem Verhältnis zur „Sühne“ für sich genommen und in seinem unmittelbaren Kontext (der Chattat) und nicht im Blick auf die (einzig aus Lev 1,4b abzuleitende) „Stellvertretung“ interpretiert werden. Vgl. in diesem Sinn kritisch gegenüber der These Geses bzw. Janowskis auch EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 218–220 („Zur vermeintlichen Stellvertretung im Opferkult“). 50 Vgl. EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 334–360.

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Friedhelm Hartenstein

Audienzgeschehens konzipiert ist.51 Hierbei erweisen sich u.a. die Metaphorik der „Speise“ und des (königlichen) Gastmahls als wichtige bisher vernachlässigte Aspekte alttestamentlicher Opferkonzepte.52 Jedoch muß man fragen, ob die Kategorie der „Gabe“ (hebr. hjnm), die in manchen Texten tatsächlich deutlich mehr umfaßt als die Speisopfer, der „Signifikanz von Blut- und Verbrennungsriten im kultischen Rahmen“53 im ganzen gerecht wird. Für die spezielle Bedeutung der Blutriten stimme ich weitgehend mit der Analyse Eberharts überein, so auch im Blick auf die Problematisierung von „Tötung und Blutritus“ als einem „Schlüssel des gesamten nachexilischen Opferkultes“.54 Seine Rekonstruktion stützt sich denn auch zu den Blutapplikationen in den Riten der tafj weniger auf Lev 17,11 als vielmehr auf die in Lev 16 (besonders in Parallele mit Lev 14) ausdrücklich benannte reinigende Wirkung des Blutes (aufgrund seiner „Heiligkeit“):55 „Die Funktion der Blutapplikationsriten besteht demnach in der Reinigung von Menschen und Kultgegenständen. Sie wird als kultische Sühne bezeichnet.“56

Denkt man diese Deutung weiter, die m.E. im Blick auf die Symbolik der gleichzeitigen Beseitigung physischer „Unreinheit“ und ethischer „Verfehlung“ noch stärker präzisiert werden könnte, so wäre der singuläre priesterliche Text Lev 17,11 eventuell anders zu paraphrasieren. Wenn das Blut Sitz des Lebens ist bzw. mit der Lebenskraft identifiziert wird, könnte mit seiner Ausschüttung an den Fuß des Altars und mit der Applikation an Altar und Heiligtum die Rückgabe des Lebens an seinen Geber verbunden sein. Über dieses Leben in seinem primären Bezug auf den Schöpfergott hat der Mensch an sich keinerlei Verfügungsgewalt. Daher das Verbot des Blutgenusses und das Gebot des Ausgießens von Blut auf die Erde 51 Dieser Ansatz konvergiert mit Untersuchungen zu den Psalmen, die ich angeregt durch die einst schon durch F. NÖTSCHER, „Das Angesicht Gottes schauen“ nach biblischer und babylonischer Auffassung, Würzburg 1924, deutlich herausgestellte Gleichsinnigkeit von kultischem Geschehen und königlichem Hofzeremoniell im Jahr 2000 als Habilitationsschrift an der Universität Marburg vorgelegt habe (F. HARTENSTEIN, Das „Angesicht JHWHs“. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32–34 [erscheint 2005 in den FAT]). 52 Siehe dazu v.a. A. M ARX, Opferlogik im alten Israel, in: Janowski/Welker (Hgg.), Opfer (s. Anm. 1), 129–149, auf den sich EBERHART, Studien (s. Anm. 20), 348–354, zustimmend bezieht sowie F. HARTENSTEIN, „Brote“ und „Tisch des Angesichts“ – Zur Logik symbolischer Kommunikation im Tempelritual, in: J.F. Diehl/R. Heitzenröder/M. Witte (Hgg.), „Einen Altar von Erde mache mir...“ (FS D. Conrad), Kleine Arbeiten zum Alten und Neuen Testament 4/5, Waltrop 2003, 107–127. 53 So der Untertitel der Arbeit von EBERHART, Studien (s. Anm. 20). 54 EBERHART, a.a.O., 217. 55 Vgl. die Zusammenfassung a.a.O., 288–293. 56 EBERHART, a.a.O., 287.

Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament

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(Lev 17,13). Die Verwendung von Tierblut für die kultische Sühne ist demgegenüber eine zusätzliche Gabe des Schöpfergottes. Dabei gibt dieser die Lebenskraft, näpä’, für die Reinigung/Beseitigung von Verfehlung/ Schuld kurzzeitig um des Menschen willen in die Hand des Menschen, um sie aus dieser wieder zu empfangen.57

57 Vgl. hierzu ähnlich schon KOCH, Sühne (vgl. Anm. 16), 197: „Nach dem Zusammenhang ist das tierische Blut und damit das tierische Leben der Verfügung des Menschen entzogen. Nur bei Sühneriten am Altar räumt Jahwä ein gewisses Verfügungsrecht über das tierische Leben dem Menschen ein, damit der Mensch von seiner Sünde loskommt.“ Allerdings rechnet Koch – darin Gese und Janowski vergleichbar – mit einem durch Gott bewirkten „Tausch von menschlichem und tierischem Leben“ (ebd.), wobei er den hier anklingenden Stellvertretungsgedanken anders, aber in der Sache analog durch die Zugehörigkeit des Haustieres zur Personsphäre des Menschen einerseits und durch die „körperliche Übertragung der Sünde-Unheils-Sfäre durch das Aufstemmen der Hand“ andererseits deutet (a.a.O., 196 [Hervorhebung im Original]).

Jewish Martyrdom and Jesus’ Death Jan Willem van Henten

1. Introduction Eleven years ago, on the Saturday before Easter, a shock awaited me and many other readers of the Dutch newspaper Trouw (“Faithfulness”), originating in Protestant circles involved in the resistance movement during the Second World War. On that day Henk Versnel, professor of ancient history at Leiden University, published a long article under the title “Salvation Comes From the Pagans” (“Heil uit de heidenen”). The shock became worse because of the illustration that accompanied the article, a photograph of a crucifixion with a rude big cross in black tape put over it by Trouw’s lay out editors. The article triggered a long and intense debate in the newspaper about the origin of the early Christian belief in Christ’s beneficiary death.1 For most readers the debate ended undecided. One of the debaters, Jan Willem Schulte Nordholt, another historian from Leiden and one of the poets who contributed to the new Dutch-Reformed Church Book of Hymns, no doubt set the trend for the main conclusion: Jesus Christ’s atoning death is an event that historians cannot adequately analyze; only poets and suffering people can do that adequately. Trouw’s chief editor came to a similar conclusion: Jesus’ death of atonement is a mystery that remains unfathomable. Declaring Jesus’ beneficiary death a mystery may be the comforting prerogative of laypersons. However, this cannot satisfy scholars focusing upon the interpretation of Jesus’ death, no matter whether they consider themselves historians or theologians or both. We have to study the tradition-history of New Testament passages about Jesus’ death and the religious-cultural milieu in which they originated and circulated afterwards, because this has to be part of scholarly discussions of Jesus’ death, although exploring the origins of interpretations of Jesus’ death should not, of course, account for the meaning of Jesus’ death only. My own contribution to this debate, from the mid eighties of the last century onwards, has 1 H.S. VERSNEL, Trouw 4.4.92. The most important contributions to the discussion were published together with Versnel’s article in: L. HOOGERWERF (ed.), Het hek is van de dam, Amsterdam 1992.

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focused upon ancient Jewish martyrdom and its possible links to early Christianity. I am fully aware of the fact that the concept of martyrdom has changed considerably in the meantime, as I realized during my year in Israel in 2000–2001 and we all realized in the shockwave after 9/11. Martyrs have become highly ambiguous figures in contemporary culture. The nexus of martyrs and violence is changing rapidly: Martyrs have become simultaneously victims and perpetrators, and this is a trend that is not restricted to the so-called Muslim martyrs.2 Presenting somebody or oneself as a “martyr” automatically legitimates this person’s actions and promotes him or her to a level that cannot easily be criticized. Nevertheless, it seems justified to use this emotionally charged phrase for several heroes of ancient Jewish and Christian accounts of noble death, in which the “martyr” is the victim of a foreign government’s edict and rather dies than giving in to this edict, offering only peaceful resistance, if any at all.3 This contribution will begin with a brief overview of research into ancient Jewish martyrdom. Then I shall present a survey of three avenues into early interpretations of Jesus’ death in which Jewish martyrdom may be an important factor: 1) Jesus’ own view of his future death as a martyr’s death. 2) Jewish martyrdom as a model for the earliest response to Jesus’ death and resurrection. 3) Jewish martyrdoms and the genre of the passion narratives. The results of these three approaches will be assessed and their relevance for research into the earliest interpretations of Jesus’ death indicated.

2. Early Jewish Martyrdom William Frend and Theofried Baumeister, among others, argue that there is a substantial and rather coherent literary reflection of martyrdom experiences in ancient Judaism that was taken up in the New Testament and early Christian accounts of martyrdom.4 Baumeister, for example, discusses not only 2 and 4 Maccabees in this connection, but also Philo and Josephus, 2 3

See my Internet Martyrs and Violence: Victims and/or Perpetrators? (forthcoming). For a definition of martyrdom and a discussion of its connections to other kinds of noble death in antiquity, see J.W. VAN HENTEN/F. AVEMARIE, Martyrdom and Noble Death: Selected Texts from Graeco-Roman, Jewish, and Christian Antiquity, The Context of Early Christianity, London 2002, 3f. 4 W.H.C. FREND, Martyrdom and Persecution in the Early Church: A Study of a Conflict from the Maccabees to Donatus, Oxford 1965 (= Grand Rapids 1981); T. B AUMEISTER, Die Anfänge der Theologie des Martyriums, MBT 45, Münster 1980.

Jewish Martyrdom and Jesus’ Death

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Qumran passages, the Martyrdom of Isaiah and the Assumption of Moses.5 The use of the term “martyrdom” as a header for all these texts is problematic, not only because the technical vocabulary of martyrdom, which only comes later in Christian and rabbinic literature, is missing in all these sources, but also because the texts involved belong to various genres. Even noble death passages whose contents correspond to one another closely – at least on the surface level of the texts – may strongly differ in style and atmosphere.6 For example, the bloody suicide report about the Jerusalem elder Razis in 2 Macc 14,37–46 is very different from the presupposed suicide in Ass Mos 9. New Testament scholars sometimes refer to the latter in connection to Jesus’ death that inaugurates God’s Kingdom.7 However, they are rather hesitant in seeing Razis’ suicide as a model for early Christian interpretations of Jesus’ death, and that even when it can be argued that Razis’ death has a beneficial effect for others.8 His death is simply too gruesome for modern readers’ taste (cf. his final act according to 2 Macc 14,46: “Having lost all his blood, he exposed his bowels, took them with both hands and hurled them into the mob, while he called upon the One who has the mastery over the breath of life to give them back again to him.”). The relevant passages from Qumran, Josephus and Philo hardly fit the qualification “martyr texts”. It is, therefore, safer to use the more general phrase “noble death” for all these Jewish passages that commemorate a violent and yet noble death but have rather different contents (martyrdom, suicide, murder of a prophet, suffering righteous) and may belong to very different genres. One should approach these Jewish passages as a kaleidoscope of multiple interpretations of violent deaths, of which some are relevant for the study of Jesus’ death and some not. Nevertheless, several of these early Jewish sources (Dan 3 and 6, 2 Macc 6,18–7,42, 4 Maccabees) may deserve the qualification “martyr texts”, because they correspond to a functional definition of martyrdom and are consistently considered martyr texts in their reception history.9 Before discussing the relevance of Jewish martyrdom passages for early Christian interpretations of Jesus’ death I would like to point at a new 5 6 7

B AUMEISTER, Anfänge (n. 4), 6–65. Survey in VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom and Noble Death (n. 3). E.g. J. J EREMIAS, Neutestamentliche Theologie, Vol. I: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 1971; 31979, 173. M. DE J ONGE, God’s Final Envoy: Early Christology and Jesus’ Own View of His Mission, Grand Rapids/Cambridge 1998, 49–53. 8 J.W. VAN HENTEN, The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJSup 57, Leiden 1997, 144–150. 9 Definition of a martyr: “A martyr is a certain person who in an extreme hostile situation prefers a violent death to compliance with a demand of the (usually pagan) authorities”. Discussion of this definition and the corpus of martyr texts that matches it in VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 6–13.

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approach to the relationship between early Christian and Jewish traditions of martyrdom. Not only has the existence of pre-Christian martyrdoms been doubted again by Glen W. Bowersock, following the footsteps of Hans von Campenhausen,10 but Daniel Boyarin also severely criticizes the kinship paradigm that Frend (and Baumeister) use to survey the reception of Dan 3 and 6 as well as the Maccabean martyrdoms in early Christian literature.11 Boyarin argues for intense and complex interconnections between Christian and non-Christian Jews with regard to martyrdom traditions. He challenges two views that seem to underlie Frend’s and Baumeister’s discussions: 1) that the parting of the ways between Judaism and Christianity already occurred in the late first or early second century and 2) that there were no connections between the two groups afterwards.12 Instead, he argues that Rabbinic Judaism and orthodox Christianity were invented only in the fourth century, proposing the “wave theory” as alternative model for explaining the interconnections between Jews and Christians, also in as much as martyrdom is concerned: …the languages in a given group might very well have similarities that are the product of convergence, of new developments in one that have passed to others, because the languages are still in contact with each other. This is called wave theory, on the assumption that an innovation takes place at a certain location and then spreads like a wave from that site to others, almost in the fashion of a stone thrown into a pond. In this model, convergence is as possible as divergence.13

Boyarin’s plea for multiple interactions between Jewish and Christian traditions about martyrdom is attractive and stimulating.14 It changed my own 10 G.W. B OWERSOCK, Martyrdom and Rome, Cambridge 11 D. B OYARIN, Dying for God: Martyrdom and the

1995. Making of Christianity and Judaism, Figurae: Reading Medieval Culture, Stanford 1999, building on BOWERSOCK, Martyrdom and Rome (n. 10). Cf. J. LIEU, Image and Reality: The Jews in the World of the Christians in the Second Century, Edinburgh 1996, 57–94, 277–286. ID., The Race of the God-fearers, JTS NS 46 (1995), 483–501. G. HASAN-ROKEM, Web of Life: Folklore and Midrash in Rabbinic Literature, Contraversions, Stanford 2000, 114–125. 12 B OYARIN’s criticism of Frend is a thread in his entire Dying for God (n. 11), but see esp. pp. 92–130. 13 B OYARIN, Dying for God (n. 11), 9. In his book, Boyarin also argues that Rabbinic passages about martyrdom engage themselves with Christianity, which was still seen as a Jewish heresy (with the story about R. Eliezer in tHul 2.24 as a key text) and that Christians and rabbis tried to escape martyrdom acting as tricksters, but nevertheless became martyrs (pp. 26–66). 14 Following his line of thought, one could, for example, interpret the compilation of the stories of the so-called Ten Martyrs (“The Ten Killed by the Government”) that culminated in a midrashic work of this name (see G. REEG, Die Geschichte von den Zehn Märtyrern, TSAJ 10, Tübingen 1985) as a Jewish response to the process of canonization of Christian martyrs that becomes apparent from lists of martyrs in calendars of martyrs and martyrologia.

Jewish Martyrdom and Jesus’ Death

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view about 4 Maccabees, a Jewish document frequently referred to in discussions of the traditions incorporated in the early Christian response to Jesus’ death. Several scholars still date 4 Maccabees in the first half of the first century C.E., following Elias Bickerman’s assumption that it was written during the short period that the provinces of Syria and Cilicia formed a union (supposedly ending in 54 C.E.).15 Bickerman’s argument is a fallacy: even if the reference in 4 Macc 4,2 should be understood as a reflection of a temporary union between Syria and Cilicia, the implication for 4 Maccabees’ date can only be that the work dates from this or a later period.16 Other proposals for a date of 4 Maccabees are based on another assumption, namely that a writing about martyrdom necessarily originates in a situation of persecution.17 This is not only a clear case of petitio principii, but also particularly problematic in the case of 4 Maccabees, because the settings proposed, i.e. Caligula’s decision to put a statue of himself in the Jerusalem temple, or the Jewish Diaspora revolt in no way match the description of the persecution in 4 Maccabees. As a matter of fact, the closest parallels to the enforced eating in front of the king and his entourage of swine’s flesh and food dedicated to idols described in 4 Macc 4–5 come from early Christian martyrdoms. 4 Macc 4,26 and 5,1–4 refer to the forced participation in a sacrificial meal, as a confirmation of the

15 E.J. B ICKERMAN( N), The Date of Fourth Maccabees, in: S. Lieberman (ed.), Louis Ginzberg Jubilee Volume, English Section, New York 1945, 105–122. Slightly revised in ID., Studies in Jewish and Christian History I, AGJU 9,1, Leiden 1976, 275–281. M. GOODMAN, Jewish Literature Composed in Greek, in: E. Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C.–A.D. 135): A New English Version, revised and edited by G. Vermes/F. Millar/M. Goodman, Edinburgh 1986, III,1, 470– 704, esp. p. 591, M. HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paul between Damascus and Antioch: The Unknown Years, Louisville/Westminster 1997, 435f., and D.A. DESILVA, 4 Maccabees, Sheffield 1997, 14–18, consider Bickerman’s proposal still the most convincing date. 16 J.W. VAN HENTEN, Datierung und Herkunft des vierten Makkabäerbuches, in: J.W. van Henten/H. J. de Jonge a.o. (eds.), Tradition and Re-Interpretation in Jewish and Early Christian Literature (FS J.C.H. Lebram), SPB 36, Leiden 1986, 136–149. J.J. COLLINS, Between Athens and Jerusalem: Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora, New York 1983; Grand Rapids 22000, changed his opinion, acknowledging that the union of the provinces Syria and Cilicia ended in 72 CE and not in 54 (as Bickerman states) and can only be considered a terminus post quem (pp. 203f.). B. SCHALLER, Zur Methodologie der Datierung und Lokalisierung pseud- und anonymer Schriften dargestellt an Beispielen vornehmlich aus dem Bereich der JSHRZ, in: H. Lichtenberger/G.S. Oegema (eds.), Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext, SJSHRZ 1, Gütersloh 2002, 59–74, esp. pp. 66–69. 17 The following paragraphs summarize J.W. VAN H ENTEN, Martyrdom and Persecution Revisited: The Case of 4 Maccabees, in: W. Ameling (ed.), Märtyrer und Märtyrerakten, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 6, Wiesbaden/Stuttgart 2002, 59–75.

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renouncement of Jewish practices.18 Two details in 4 Macc 4,26–5,3 are different from what we have in 2 Maccabees, 4 Maccabees’ source. First, the martyrs are not only forced to eat pig meat but also “food sacrificed to idols” (eijdwlovquta, 5,2) probably an alternative phrase for iJerovquta “sacrifices”, “meats offered to gods” (cf. 1 Cor 10,28).19 No Roman attempts to force Jews to eat meat used for sacrifices, which would run contrary to the Roman practice of tolerating Jewish religion, are attested in the first two centuries of the imperial age. We do know, however, of cases of Christian martyrs forced to eat meat used for sacrifices (Mart Pion 18,3– 6.13), especially after Decius’ decree from the spring of 250 CE, with its command for all free inhabitants of the empire to sacrifice to the gods, pour a libation and eat some sacrificial meat.20 Second, the depiction of Antiochus at the moment old Eleazar is brought before him closely corresponds to the description of how a trial scene in Christian passages about martyrdom begins. Antiochus is sitting in public (prokaqivsa") like a Roman magistrate on a platform (5,1), with his counselors and soldiers, and commands the guards to bring in the Jews one by one and force them “to taste of pig meat and sacrificial meat”. In Christian passages too the martyrs are brought to the magistrate, who is sitting on a platform at the forum or another public place (Acta Carpi 1; Mart Pion 19,2; Acta Agap 3,1: “The prefect Dulcitius was sitting on the tribunal (prokaqivsanto" Doulkhtivou hJgemovno" ejpi; tou` bhvmato~) and the court clerk Artemisius spoke ...” ). Such correspondences may support the new approach presented by Daniel Boyarin and invite us, therefore, to interpret these similarities as a reflection of multiple interactions between Jews and Christians in Asia Minor or Syria, depending on the geographic origin one prefers for 4 Maccabees.21 This contextualization implies that 4 Maccabees originated in interaction with and response to Christian traditions of martyrdom in Asia Minor or Syria. The references to the Maccabean martyrs in early Christian literature, which probably occur already in the New Testament (below), form no obstacle to this approach, because such references derive at least until 150 C.E., and with no exception, from 2 Maccabees.22 Of course, it is possible that the Martyrdom of Polycarp or the Martyrdom of Pionius, which share significant vocabulary with 4 Maccabees, incorporated these phrases from 4 Maccabees. But it seems more probable that 18 4 Macc 4,26: aj p ogeuvo mai miarw` n trofw`n “taste of polluted food” (cf. 10,1); 5,2: krew`n uJeivwn kai; eijdwloquvtwn ajpogeuvomai. 19 As is well known, eij dwlov quta “meats offered to idols” is a hapax legomenon in the Septuagint and probably a Jewish(-Christian) neologism from the first century C.E. Cf. Mart Agap 3,1–5 (iJerovquton ejsqivw); 5,2 (iJerovquton ejsqivw kai; quvw). 20 Eusebius, Hist. eccl. 6,41. FREND, Martyrdom and Persecution (n. 4), 406–410. 21 SCHALLER , Zur Methodologie (n. 16), 67–69, discusses various proposals. 22 F. AVEMARIE /J.W. VAN H ENTEN, Jewish and Christian Martyrs (forthcoming).

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4 Maccabees originated in response to early Christian glorifications of martyrdom, because otherwise the work would have praised other and more recent Jewish martyrs, who died considerably closer to the era in which the work was presumably composed.

3. Early Jewish Martyrdom and Interpretations of Jesus’ Death 3.1. The Historical Jesus as The Martyr It is conceivable that, at a certain moment during his mission, Jesus realized that he would die a violent death as a consequence of his teaching of God’s Kingdom and that he accepted this fate. One of the traditions he may have thought of to make sense of such a death is martyrdom, which would imply a beneficiary effect of his death for others.23 In fact, several scholars have suggested that such a reconstruction is plausible,24 sometimes emphasizing that the beneficiary significance of Jesus’ death in the pre-Easter traditions cannot derive from Isaiah 53, since evidence that this Servant Song is taken up in the earliest strata of the New Testament is absent.25 At prima facie, however, such a proposal is not better or worse than José Saramago’s fictitious suggestion that Jesus opted for a violent death because he never overcame his father’s Sepphoris crucifixion as part of a

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N.A. DAHL, Jesus the Christ: The Historical Origins of Christological Doctrine, Minneapolis 1991, 100. H. SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis: Gesammelte Beiträge, ed. by K. Scholtissek, Paderborn 1994, 168–201. DE J ONGE, God’s Final Envoy (n. 7), 26–30. 24 See, e.g. J. D OWNING, Jesus and Martyrdom, JTS NS 14 (1963), 279–293. J. GNILKA, Jesu ipsissima mors. Der Tod Jesu im Licht seiner Martyriumsparänese, Eichstätter Hochschulreden 38, München 1983. E.P. SANDERS, Jesus and Judaism, London 1985, 332. M.N.A. B OCKMUEHL, This Jesus: Martyr, Lord, Messiah, Edinburgh 1994, 86f. and 134, argues that it is probable that Jesus’ acceptance of Peter’s confession (Mark 8,29.31 par.) implies that he reckoned with his martyrdom as well as with his subsequent vindication. G. T HEISSEN/A. MERZ, The Historical Jesus: A Comprehensive Guide, Minneapolis 1998, 440–73, link the passion narratives to Jesus’ martyrdom and specify this by arguing that the narratives interpret Jesus’ death as the martyrdom of a suffering righteous because he deliberately accepted his violent death while knowing it in advance (p. 452). J.D.G. DUNN, Jesus Remembered, Christianity in the Making 1, Grand Rapids/ Cambridge 2003, 796–824, esp. 806; 816f., considers Jesus’ perception of himself as a suffering righteous/martyr whose death marked the final end of Israel’s sufferings a serious possibility. 25 SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis (n. 23), 196, 200, 235f.; D.-A. K OCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums: Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHT 69, Tübingen 1986, 232–239. DE J ONGE, God’s Final Envoy (n. 7), 30–33.

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collective punishment for a Galilean rebellion against Rome.26 The hypothesis that Jesus considered himself a martyr has to remain sheer speculation if it is not based on an argument of probability, for which statements of Jesus that are likely authentic are the most concrete proof. It is doubtful whether such statements can be found. Several statements by Jesus about his approaching death are probably authentic, such as Son of Man sayings that announce his death (Mark 8,31 par.; 9,31 par.; 10,33 par. and related passages), but a beneficiary significance of Jesus’ death is only indicated in Mark 10,45 par. and 14,24 par. with the words about bread and cup, as linked to the new covenant. The second passage is part of the institution of the Lord’s Supper, which in its present versions definitely derives from a post-Easter event community. 27 Mark 10,45 may well be dependent on Mark 14,22–25, but even if Mark 10,45 is authentic,28 it should be noted that the emphasis on Jesus’ service and the surrender formula – his life as ransom for many – concern Jesus’ actions as Son of Man. Attempts to reconstruct Jesus’ own view of his death solely or mainly through the lens of martyrdom are, therefore, simply overstating the case. It cannot be excluded that Jesus interpreted his own death by building on other Jewish traditions, like those about the suffering righteous, murdered prophets or the Son of Man, or a combination of these traditions. Evidence deriving from authentic sayings about the beneficiary effect of his coming death is not substantial enough to support a historian’s claim of the historical Jesus as a or the martyr.29 However, if one tentatively assumes that Jesus did conceive his violent death as the consequence of his proclamation of God’s Kingdom and salutary for others, and also reckoned with his exaltation as God’s response to the fulfillment of his mission, martyrdom traditions may help to explain how he came to such views.30

26

J. SARAMAGO, O Evangelho Segundo Jesus Cristo, Lisbon 1991; English translation by Giovanni Pontiero: The Gospel according to Jesus Christ, London 1993. 27 E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, FRLANT 64, Göttingen 21963, 117, concludes that it impossible to prove that Mark 10,45; 14,24 derives from Jesus himself. 28 References in SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis (n. 23), 216f. with footnotes 59 and 61a. W.J. HEARD, Maccabean Martyr Theology: Its Genesis, Antecedents, and Significance for the Earliest Soteriological Interpretation of the Death of Jesus, Diss. Aberdeen 1987, 394–465, considers Mark 10,45 and 14,24 authentic and assumes that Jesus’ statements take up traditions deriving from Isaiah 43 and 53, Jer 31,31–34, Exod 24,7f., Dan 7 and Maccabean martyrdom passages. 29 With SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis (n. 23), 215f. DE J ONGE , God’s Final Envoy (n. 7), 30. 30 Cf. SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis (n. 23), 202–240, who builds an argument of probability because of convergence with Luke 22,19f. par., 1 Kor 11,23–25 and Mark 10,45 as key passages.

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3.2. Formulae Concerning the Martyrs’ Beneficiary Death and Exaltation Marinus and Henk Jan de Jonge, as well as several of their students, elaborated the tradition-history of Jesus’ death and resurrection in the prePauline and Pauline soteriologies by arguing that traditions similar to those about the Maccabean martyrs’ atoning death and resurrection form the main strand of articulation in these earliest responses to Jesus’ beneficiary death and vindication.31 I can offer only a brief discussion of the relevant early Jewish passages here32 and just point to some conclusions concerning their relevance for the earliest interpretations of Jesus’ death. I will survey the formulae concerning beneficiary death and resurrection in these Jewish passages and afterwards compare them with the most important (pre-) Pauline passages.33

31 M. DE J ONGE, Jesus’ Death for Others and the Death of the Maccabean Martyrs, in: T. Baarda/A. Hilhorst a.o. (eds.), Text and Testimony (FS A.F.J. Klijn), Kampen 1988, 142–151; reprinted in ID., Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs: Collected Essays, Leiden 1991, 125–134. ID., Christology in Context: the Earliest Response to Jesus, Philadelphia 1988, 173–188. ID., God’s Final Envoy (n. 7), 23–30. H.J. DE J ONGE, De opstanding van Jezus: De Joodse traditie achter een christelijke belijdenis, in: T. Baarda/H.J. de Jonge/M.J.J. Menken (eds.), Jodendom en vroeg-christendom: Continuïteit en discontinuïteit, Kampen 1991, 47–61. ID., The Original Setting of the CRISTOS APEQANEN UPER Formula, in: R.F. Collins (ed.), The Thessalonian Correspondence, BEThL 87, Leuven 1990, 229–235. ID., De plaats van de verzoening in de vroeg-christelijke theologie, in: A.A. van Houwelingen a.o. (eds.), Verzoening of koninkrijk, Baarn 1998, 63–88. J. H OLLEMAN, Resurrection and Parousia: A Traditio-Historical Study of Paul’s Eschatology in 1 Corinthians 15, NTSup 84, Leiden 1996. D.G. POWERS, Salvation through Participation: An Examination of the Notion of the Believers’ Corporate Unity with Christ in Early Christian Soteriology, Diss. Leiden 2001 [published under the same title in CBET 29, Leuven 2001]. D. SEELEY, The Noble Death. Graeco-Roman Martyrology and Paul’s Concept of Salvation, JSNTSup 28, Sheffield 1990. HEARD, Maccabean Martyr Theology (n. 28), and S.A. CUMMINS, Paul and the Crucified Christ in Antioch: Maccabean Martyrdom and Galatians 1 and 2, SNTSMS 114, Cambridge 2001, discuss Paul’s use of martyrdom traditions (or patterns) in a more general way. 32 More elaborate discussions in DE J ONGE , Jesus’ Death (n. 31). V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 135–186. POWERS, Salvation through Participation (n. 31), 193–211. 33 Important discussions: LOHSE , Märtyrer und Gottesknecht (n. 27). S.K. W ILLIAMS, Jesus’ Death as Saving Event. The Background and Origin of a Concept, HDR 2, Missoula, Mont. 1975. K. WENGST, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, Gütersloh 1972. M.-L. GUBLER, Die frühesten Deutungen des Todes Jesu. Eine motivgeschichtliche Darstellung aufgrund der neueren exegetischen Forschung, OBO 15, Freiburg/Göttingen 1977, 206–335. M. HENGEL, The Atonement: A Study of the Origins of the Doctrine in the New Testament, London 1981. C. BREYTENBACH, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989. ID., ‘Christus starb für uns’. Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogenannten

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It is worth noting that a Deuteronomistic concept of history underlies the reports about Antiochus’ persecution and its aftermath in 2 Macc 4,7– 10,9 as well as 4 Macc 4–18.34 In line with this interpretation of the events, which is determined by covenantal nomism, godless leaders cause a sinful situation for the people by disobeying God’s laws, and invoke, therefore, God’s wrath and the people’s temporary punishment. In this theocratic view the turn in the Jews’ history occurs with the martyrs’ performance (2 Macc 6,18–7,42). Their deaths function, as begged from God in their intercessory prayer, as the turn for the better. As the reversal in the people’s situation with the transition from chapter 7 to chapter 8 indicates, these deaths coincide with the restoration of the covenant relationship between God and his chosen people. In 2 Maccabees this line of argument is not highly articulate, although God’s reconciliation with his people is clearly indicated by the katallavssesqai vocabulary (7,33, below). Nevertheless, several details in 2 Macc 7–8 indicate that the martyrs’ death is beneficiary, because it coincides with the change of God’s wrath to mercy again. Together with the katallavssesqai vocabulary, “surrender” and “dying for” formulae, prominent in Christological passages, occur in 2 Maccabees too, although without indication of the persons who profited from such self-sacrifice (below). Atonement is only hinted at in the appeal to God’s mercy in 7,37f. and the notion of vicarious suffering or death by substitution is absent. The martyrs share in the sinfulness of the Jewish people because of the godlessness of certain leaders and they suffer in solidarity with the rest of the people (2 Macc 7,18: hJmei`~ ga;r di’ eJautou;~ tau`ta pavscomen aJmartovnte~ eij~ to;n eJautw`n qeovn; 7,32: hJmei`~ ga;r dia; ta;~ eJautw`n aJmartiva~ pavscomen).35 Thus, the martyrs’ death is beneficiary in a general sense. By analogy to the martyrs’ participation in the people’s suffering, the rest of the people shares in the restored covenant relationship with God after the martyrs’ death and enjoys God’s deliverance, as the continuation of the narrative in 2 Macc 8 indicates. First Judas Maccabaeus calls upon the Lord to remember the people’s oppression by the Seleucids as well as the martyrs’ death (ai{mata, 8,3), and to become merciful again (ejleh`sai, 8,3). Directly ‘Sterbeformeln’, NTS 49 (2003), 447–475, with further references to relevant German studies. 34 V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 137–141, 162, 185. A similar view underlies the Prayer of Azariah. 35 Cf. aJmartiva in 5,17; 6,14f.; aJmartavnw in 10,4; see also 7,37f. VAN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 136f. P OWERS, Salvation through Participation (n. 31), 201–203. 4 Maccabees is more explicit about the martyrs’ beneficiary death, including, among other things, cultic vocabulary, VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 150–153. Cf. the criticism in D.P. B AILEY, Jesus as the Mercy Seat: The Semantics and Theology of Paul’s Use of Hilasterion in Romans 3:25 (forthcoming).

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afterwards the epitomist notes that Judas and his fighters were already irresistible “because the Lord’s wrath had turned to mercy” (th'" ojrgh'" tou' kurivou eij" e[leon trapeivsh~, 8,5).36 Judas’ subsequent victory over Nicanor is interpreted as the beginning of mercy (ajrch;n ejlevou~, 8,27) and 8,29 refers to a definite reconciliation between God and the people, who are depicted as God’s servants. The posthumous vindication of the small martyrs’ group is emphasized by the ajnavstasi~/ajnivsthmi vocabulary (2 Macc 7,9.14; cf. 7,11.23.29.36; below), but the how and whereabouts of this vindication are not indicated explicitly. Cumulative evidence, however, points to an immediate resurrection in heaven through the martyrs’ recreation as the most probable interpretation.37 If so, a double concept of deliverance becomes apparent in 2 Maccabees: the individual posthumous resurrection for the martyrs goes hand in hand with deliverance on earth for the other Jews. There is no reference to the eschaton, nor a clear notion of a collective eschatological resurrection in 2 Maccabees.38 There is no reference to a resurrection of Daniel’s companions in the Prayer of Azariah either, which runs counter to their deliverance from the furnace, but the Septuagint version of Dan 3 hints at a beneficiary death along the lines of 2 Macc 7.39 The incorporation of traditions about Jewish martyrs’ beneficiary death in (pre-)Pauline soteriological passages about Jesus’ death should be apparent from the taking over of traditional vocabulary about such a death. Correspondent vocabulary would be a clear indication of interdependence. The relevant vocabulary concerning the martyrs’ beneficiary death in

36 D.R. SCHWARTZ, Divine Punishment in Second Maccabees: Vengeance, Abandonment or Loving Discipline?, in: F. Avemarie/U. Mittmann-Richert/G. Oegema (eds.), Der Mensch vor Gott: Forschungen zum Menschenbild in Bibel, antikem Judentum und Koran (FS H. Lichtenberger), Neukirchen 2003, 109–116. 37 U. K ELLERMANN, Auferstanden in den Himmel: 2 Makkabäer 7 und die Auferstehung der Märtyrer, SBS 95, Stuttgart 1979, 61–94. DE J ONGE, Opstanding (n. 31), 50–55. VAN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 172–182. 4 Maccabees combines several concepts in connection with the martyrs’ vindication, VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 182–184. 38 2 Macc 12,42–45, if original, may hint at a collective eschatological resurrection. VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 181f. with references. DE J ONGE, Opstanding (n. 31), 50f. and 59, argues that 2 Macc 15,12–16 about Jeremiah and Onias’ dream appearance supports the hypothesis of an immediate resurrection for martyrs. 39 J.W. VAN HENTEN, The Tradition-Historical Background of Romans 3.25: A Search for Pagan and Jewish Parallels, in: M.C. de Boer (ed.), From Jesus to John: Essays on Jesus and New Testament Christology in Honour of Marinus de Jonge, JSNTSup 84, Sheffield 1993, 101–128, esp. 110–115.

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2 Maccabees (and related phrases in Azariah’s Prayer) and resurrection can be summarized as follows:40 a) 2 Macc 7,9 combines a “dying for” formula (ajpoqnhv/skw uJpevr with the martyrs as subject) with a resurrection formula (ajnivsthmi, below), with God as subject and the martyrs as object: oJ de; tou` kovsmou basileu;~ ajpoqanovnta~ hJma`~ uJpe;r tw`n aujtou` novmwn eij~ aijwvnion ajnabivwsin zwh`~ hJma`~ ajnasthvsei (“the King of the world will raise us, who die for His laws, up from the dead for an everlasting renewal of life”). b) 2 Macc 7,37 offers a surrender formula (yuch;n divdwmi uJpevr etc.): kai; sw'ma kai; yuch;n prodivdwmi peri; tw'n patrivwn novmwn (“I […] surrender my body and my life for the laws of our ancestors”);41 Eleazar’s intercessory prayer in 4 Maccabees includes a variant formula with lambavnw: ajntivyucon aujtw`n labe; th;n ejmh;n yuchvn (“take my life in exchange for theirs”, 4 Macc 6,29).42 c) 2 Macc 7,33 indicates a future reconciliation between God and His servants, using katallavssesqai with God as subject and a dative construction referring to the servants.43 d) 2 Macc 7,37 (as well as 4 Macc 6,28; 9,24; 12,17) indicates a propitiatory function of the martyrs’ death in their intercessory prayer to God to become merciful again (i{lew" genevsqai ...). This function is at least hinted at in other phrases belonging to the same semantic group as iJlavskomai.44 The interpretation of ejxilavskomai in Dan 3,40LXX is notoriously difficult. The passage kai; ejxivlasai o[pisqevn sou, o{ti oujk e[stin aijscuvnh toi'" pepoiqovsin ejpi; soiv, which can be translated as “And let Yourself be atoned (from) behind You, because there is no disgrace to those who put their trust in You”,45 probably hints at the three companions’ alternative sacrifice of themselves, invoking propitiation. The ejxivlasai in v. 40 has to be taken as a second person singular middle aorist imperative, but God as subject of this verb is without any parallel in the literature of the Second Temple period. More plausible readings presup40 Related vocabulary from 4 Maccabees is only noted in the margin, because my argument for a late date and interconnections with Christian martyrdom passages implies that the work should not be used in a tradition-historical discussion of the earliest New Testament passages about Jesus’ death and vindication. 41 Cf. yuchv for “life” in 2 Macc 14,38. 42 V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 151. 43 Cf. 2 Macc 1,5; 5,20; 8,29. 44 Like the “dying for” and “surrender” formulae, this vocabulary too originates in non-Jewish Greek passages. C. BREYTENBACH, Gnädigstimmen und opferkultische Sühne im Urchristentum und seiner Umwelt, in: B. Janowski/M. Welker (eds.), Opfer: Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt 2000, 217–243. 45 V AN H ENTEN, Tradition-Historical Background (n. 39), 115, taking o[ p isqevn sou as a reference to God’s backside.

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pose adaptations of the Greek text.46 The phrase oJ iJlasthvrio" qavnato~ (with Mss. A and V) in 4 Macc 17,22 indicates the martyrs’ propitiatory death as well. The martyrs’ effective death is also apparent in 2 Maccabees from phrases referring to God’s wrath, which is followed by his mercy (ojrghv, 2 Macc 7,38; ejpwvrgistai, 7,33;47 e[leo~, 8,5, above).48 e) 2 Macc 7,40 refers to the martyrs’ faithfulness to God and His laws, which is implied by their death, in a phrase with pevpoiqa (pantelw'" ejpi; tw'/ kurivw/ pepoiqwv~). Related vocabulary occurs in Dan 3,40LXX (above, and 3,95Theod); pistevuw: Dan 6,24Theod, reporting that Daniel came out of the lions’ den alive and without any injury “because he trusted in his God” (o{ti ejpivsteusen ejn tw/' qew'/ aujtou`); cf. 1 Macc 2,59; pistov~: Dan 6,5Theod: o{ti pisto;" h\n (MT: awh ÷myhm yd); pivsti~: 4 Macc 16,21f. (kai; uJmei'" ou\n th;n aujth;n pivstin pro;" to;n qeo;n e[conte" mh; calepaivnete “Therefore, you [the Maccabean brothers], having the same trust in God [i.e. the same as Daniel and his three companions], must not be dismayed”); cf. 4 Macc 17,2.49 f) The martyrs’ resurrection is indicated by phrases with ajnivsthmi: 2 Macc 7,9: hJma`~ ... ajnasthvsei (with God as subject and the martyrs as object, above); a passive form with God as subject in 7,14: pavlin ajnasthvsesqai uJp’ aujtou`; cf. 12,44 (intransitive). The noun occurs in a negative statement concerning Antiochus IV, for whom there will be no resurrection (ajnavstasi~ eij~ zwhvn); cf. 12,43. In what way do the formulae of 2 Maccabees and Dan 3 and 6 re-occur in early New Testament passages about Jesus’ death (and resurrection)? The following brief survey notes correspondences and differences, in line with the list given:50 Ad a) In (pre-) Pauline soteriological passages is the “dying for” formula rather prominent, with various prepositions (besides uJpevr also periv and diav), followed by a noun indicating either persons or sins.51 The com46 H ENGEL, Atonement (n. 33), 61. P OWERS, Salvation through Participation (n. 31), 223, argues that the text was not transmitted correctly by the few Septuagint MSS that still exist, but the early witness P967 also has the reading exilasai. 47 Cf. 5,17 (ajpwvrgistai); 5,20 and 8,5. SCHWARTZ, Divine Punishment (n. 36). 48 Cf. 2 Macc 6,16; 7,23.29; 8,3.27.29. 49 V AN H ENTEN, Tradition-Historical Background (n. 39), 124–126. 50 Cf. M. WOLTER ’s fresh survey of all New Testament passages about Jesus’ death in this volume, pp. 297–313. 51 Rom 5,6.8 (aj. uJ p e;r ajs ebw`n ... uJ p e; r dikaiv ou ... uJ p e; r tou` ajg aqou`); 14,15 (uJpe;r ou| Cristo;~ ajpevqanen); 2 Cor 5,14f. (ei|~ uJpe;r pavntwn ajpevqanen ... uJpe;r pavntwn ajpevqanen ... tw`/ uJpe;r aujtw`n ajpoqanovnti kai; ejgerqevnti); aj. periv, with a.o. Mss. a*, B and 33, DE J ONGE, Original Setting (n. 31), 230. POWERS, Salvation through Participation (n. 31), 31f.; 46; 1 Thes 5,10 (tou` ajpoqanovnto~ peri; hJmw`n); 1 Cor 1,13 (mh; Pau`lo~

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bination of a “dying for” and a resurrection formula occurs in 1 Cor 15,3–5 (Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r tw`n aJmartiw`n hJmw`n ... kai; o{ti ejghvgertai th/` hJmevra/ th/` trivth/),52 but instead of ajnivsthmi, ejgeivrw is used (below). An important difference in the use of the “dying for” formula is that 2 Maccabees has this formula never with a specification of the people’s benefit followed upon the preposition. The “dying for” formula indicates in 2 Maccabees self-sacrifice for God’s laws and its variants also for other important items of the Jewish state,53 it never refers to a death beneficiary to humans. Ad b) The surrender formula is also prominent in the earliest passages about Jesus’ death, and occurs in variations with God as subject and Jesus as object, and in a reflexive version with Jesus as subject as well.54 As with the “dying for” formula, a noteworthy difference between 2 Maccabees and the New Testament passages is that the surrender formula in 2 Macc 7,37 concerns self-sacrifice for the ancestral laws and not for people. Ad c) Several Pauline passages refer to reconciliation with God as subject, as in 2 Maccabees. This reconciliation is based on Jesus Christ’s death (2 Cor 5,18).55

ejstaurwvqh periv uJmw`n ...;); aj. diav (oJ ajdelfo;~ di’ o{n Cristo;~ ajpevqanen, 1 Cor 8,11; cf. Gal 2,21). Discussions of the various interpretations of uJpevr: R. B IERINGER, Traditionsgeschichtlicher Ursprung und theologische Bedeutung der uJpevr-Aussagen im Neuen Testament, in: F. Van Segbroeck a.o. (eds.), The Four Gospels 1992 (FS F. Neirynck I), BETL 100A, Leuven 1992, 219–248, who documents in detail that the majority of scholars presuppose that the uJpevr formulae imply atonement (“Sühne”) as well as substitution or representation (“Stellvertretung”). P OWERS, Salvation through Participation (n. 31), 54–79; 102–104; 113–115; 132–136. BREYTENBACH, ‘Christus starb für uns’ (n. 33). 52 WENGST, Christologische Formeln (n. 33), 78–95. D E JONGE , Original Setting (n. 31). 53 Cf. variant formulae in 6,28: ... uJpe;r tw`n semnw`n kai; aJg ivwn novmwn ajpeuqanativzein; 8,21: eJtoivmou" uJpe;r tw'n novmwn kai; th'" patrivdo" ajpoqnhv/skein; 13,14: gennaivw" ajgwnivsasqai mevcri qanavtou peri; novmwn, iJerou', povlew", patrivdo", politeiva". Cf. 4 Macc 1,8.10 ajpoqnhv/skw uJpevr ajreth`~ /th`~ kalokajgaqiva~; 6,27 ajpoqnhv/skw dia; to;n novmon; 16,25 ajpoqnhv/skw dia; to;n qeovn. 54 Gal 1,4 (tou` dovnto~ eJauto;n uJpe;r tw`n aJmartiw`n hJmw`n); 2,20 (tou` ... paradov nto~ eJauto;n uJpe;r ejmou`); Rom 8,32 (active, God subject, Jesus object: oJ qeov~ ... uJpe;r pavntwn parevdwken aujtovn). Combination of surrender and resurrection formulae: Rom 4,25 (o}~ paredovqh dia; ta; paraptwvmata hJmw`n kai; hjgevrqh dia; th;n dikaivwsin hJmw`n ). Later passages: Mark 10,45 (dou`nai th;n yuch;n aujtou` luvtron ajnti; pollw`n); Matt 20,28; Eph 5,2.25; 1 Tim 2,6; Tit 2,14; John 3,16; 1 John 3,16; 1 Clem 16,7; 21,6; 49,6. W. P OPKES, Christus Traditus: Eine Untersuchung zum Begriff der Dahingabe im Neuen Testament, AThANT 49, Zürich/Stuttgart 1967. WENGST, Christologische Formeln (n. 33), 55–70. 55 Rom 5,10f.; 2 Cor 5,18–20. BREYTENBACH, Versöhnung (n. 33), 167–169, argues that Rom 3,25f. should be connected with Rom 5,9–11. R. B IERINGER, 2 Korinther 5,19a und die Versöhnung der Welt, in: Id./J. Lambrecht (eds.), Studies on 2 Corinthians,

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Ad d) While the propitiatory function of the Maccabean martyrs’ death is indicated by various phrases belonging to iJlavskomai etc., this vocabulary seems to be absent in the earliest references to Jesus’ beneficiary death, apart from Rom 3,25. 4 Macc 17,22 is of little importance for the tradition-history of Rom 3,25, not only because of 4 Maccabees’ late date (above), but also because iJlasthvrio" “propitiatory” is the preferable reading.56 However, as with the martyrs’ death in 2 Maccabees, Jesus’ death has a beneficiary effect for his believers’ sins (Gal 1,4; 1 Cor 15,3–5; 2 Cor 5,19.21; Rom 4,25) and also implies, together with his resurrection, deliverance from God’s wrath (1 Thes 1,9f.; Rom 5,9).57 Ad e) Whether pivsti~ in some of the earliest Christological passages refers to Jesus’ total faithfulness in God (Rom 3,25; Gal 2,16) remains hotly debated.58 In any case, related vocabulary does refer to such faithfulness, sometimes combined with a reference to Jesus’ vindication (uJpakohv, Rom 5,18f.; uJphvkoo~ mevcri qanavtou, Phil 2,8f.).59 Ad f) All early New Testament resurrection passages except one have a formula with ejgeivrw, which does not occur in 2 Maccabees. God is subject of the verb and Jesus its object in Rom 4,24; 8,11 (twice); 10,9; 1 Cor 6,14; 15,15; 2 Cor 4,14; 1 Thes 1,10; Gal 1,1.60 The verb ajnivstamai occurs just once in the Pauline letters in a pre-Pauline credal formula combining Jesus’ death and resurrection (pisteuvomen o{ti Ihsou`~ ajpevqanen kai; ajnevsth, 1 Thes 4,14).61 What is the net result if we compare the lists of Jewish martyrdom with early New Testament soteriological passages? There is some continuity in the vocabulary about beneficiary death, but it is telling that both the two frequent formulae in the Pauline corpus, the “dying for” and “surrender” formulae, occur only once in 2 Maccabees, without indication of the peoBEThL 112, Leuven 1994, 429–459. P OWERS, Salvation through Participation (n. 31), 66–71. 56 As argued by B AILEY, Jesus as the Mercy Seat (n. 35). Cf. already LOHSE , Märtyrer und Gottesknecht (n. 27), 71 footnote 2. See about Rom 3,25 also B. JANOWSKI’s contribution in this volume (pp. 97–118), HEARD, Maccabean Martyr Theology (n. 28), 461– 516, and CUMMINS, Paul and the Crucified Christ (n. 31), 86–90, who summarizes my earlier argument in VAN HENTEN, Tradition-Historical Background (n. 39). 57 D E J ONGE , Original Setting (n. 31). POWERS, Salvation through Participation (n. 31), 35–38; 42–45. 58 References: V AN H ENTEN, Tradition-Historical Background (n. 39). P OWERS, Salvation through Participation (n. 31), 223, rejects this reading. 59 Cf. pistov~ in Heb 2,17; 2 Tim 2,13. Also Heb 11,33–39; 12,2. 60 Later passages use either ejgeiv r w or ajnivsthmi: Col 2,12; Eph 1,20; 1 Pet 1,21; Acts 2,24.32; 3,15.26; 4,10; 5.30; 10,40; 13,30.33.34.37; 17,31. WENGST, Christologische Formeln (n. 33), 27–48. 61 POWERS, Salvation through Participation (n. 31), 142.

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ple who benefit from this death; on the other hand, these formulae do occur in contemporary Graeco-Roman passages, with prepositions followed by persons who do benefit from the death concerned.62 The vocabulary concerning reconciliation subsequent to the Jewish martyrs’ or Jesus’ death corresponds more closely than the “dying for” and “surrender” vocabulary, with God as actor in both clusters of passages.63 The deaths of Jesus as well as the Maccabean martyrs have a propitiatory function, but the iJlavskomai-vocabulary is marginal in the earliest New Testament passages. All in all this seems not enough to claim that the beneficiary meaning of Jesus’ death derives only from the application of Jewish martyrdom traditions in his death’s interpretation. The popularity of ideas about beneficiary death in Graeco-Roman culture may have been another important influence on this interpretation, which is supported by the continuity in the “dying for” and “surrender” formulae, frequently followed in GraecoRoman passages by a preposition indicating people benefiting from the self-sacrifice concerned. Yet, 2 Maccabees already shows how such traditions could be integrated with Jewish views about God’s covenant with the chosen people. The description of noble death in 2 Maccabees helps us to explain why Jesus’ death has effects for the people’s sins as well as for God’s wrath turning into mercy,64 and perhaps also why his death is articulated as unrestricted faithfulness to God.65 Such notions are absent in contemporaneous Graeco-Roman sources. In any case, if Jesus’ followers indeed applied martyrdom traditions to the interpretation of his death, they surely adapted them considerably. One clear indication of such adaptations 62

Rightly emphasized by BREYTENBACH, ‘Christus starb für uns’ (n. 33), 467. Cf. W ENGST, Christologische Formeln (n. 33), 38–41. Euripides, for example, frequently uses dying for formulae with indication of persons who benefit from the death concerned. VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 157–159. J.N. BREMMER, The Atonement in the Interaction of Jews, Greeks, and Christians, in: Id./F. Garcia Martinez (eds.), Sacred History and Sacred Texts in Early Judaism: A Symposium in Honour of A. S. van der Woude, CBET 5, Kampen 1992, 75–93. VERSNEL’s contribution in this volume, pp. 213– 294. BREYTENBACH, ‘Christus starb für uns’ (n. 33), 456–459. 63 B IERINGER , 2 Korinther 5,19a (n. 55), refers to 2 Macc 7,33 but concludes that there is no evidence for pre-Pauline traditional elements in Paul’s use of katallavssw in 2 Cor 5,18–20. 64 Cf. J. SCHRÖTER , Sterben für die Freunde: Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: A. van Dobbeler a.o. (eds.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS K. Berger), Tübingen 2000, 263–287, esp. 283. J.D.G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, 223. Cf. above with footnote 35. BREYTENBACH, ‘Christus starb für uns’ (n. 33), 467, rejects a connection between Jesus’ death and the ceasing of God’s wrath: “Paulus hat das Sterben Christi nie als Besänftigung des Gotteszorn verstanden. Für ihn ist – wie in Röm 5.8 eindeutig formuliert – das ‘Sterben Christi für’ die Sünder ein Erweis der Liebe Gottes”. 65 CUMMINS, Paul and the Crucified Christ (n. 31), 200.

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is the fact that several (pre-)Pauline passages imply that not only Jesus’ death but also his resurrection has beneficial significance (H.J. de Jonge, J. Holleman and D.G. Powers). Such a view is absent in 2 Maccabees, where the martyrs’ resurrection is presented as individual vindication. 3.3. The Passion Narratives as Martyrdoms The literary form of the passion narratives has been analyzed repeatedly and with the help of various approaches, including historical-critical perspectives and comparative literary readings. Since Martin Dibelius connected the Lukan passion narrative to Jewish martyrdoms in his Formgeschichte des Evangeliums, many scholars foregrounded corresponding motifs in the passion narratives and Jewish martyr stories, arguing for various kinds of influence from these martyrdoms on the Gospels.66 Not many scholars, however, focused on the entire passion narratives in their present form. Klaus Berger’s attempt to determine the literary form of the passion narratives in his Formgeschichte of 1984 is exceptional—not only because he challenges majority opinion that the model of the suffering righteous, as presented for example in Pss 22 and 69, forms the framework (“Gerüst”) of the passion narratives,67 but also because he explains the passion narratives’ literary form as the gospel narrators’ creative combination of two existing literary forms deriving from very different contexts: the Roman trial protocols on the one hand, and Jewish martyrdoms on the other hand:68 “Bei unserem Versuch, die Gattung der Passionserzählung zu 66 M. D IBELIUS, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 21933; 61971, 196; 202–204; 299. See my Jewish Martyrs and the Lukan Passion Narrative Revisited (forthcoming). 67 See, e.g., L. RUPPERT, Jesus als der leidende Gerechte? Der Weg Jesu im Lichte eines alt- und zwischentestamentlichen Motivs, SBS 59, Stuttgart 1972. G.W.E. NICKELSBURG, The Genre and Function of the Markan Passion Narrative, HTR 73 (1980), 153– 184. GUBLER, Die frühesten Deutungen (n. 33), 95–205; J.B. GREEN, The Death of Jesus. Tradition and Interpretation in the Passion Narrative, WUNT II/33, Tübingen 1988. 68 K. B ERGER , Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 338–340. Berger emphasizes that the ‘generic’ origin of the passion narratives cannot be explained on the sole basis of a process of clustering of Old Testament allusions to the passio iusti. Cf. already K. HOLL, Die Vorstellung vom Märtyrer und die Märtyrerakte in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 33 (1914), 521– 556, = ID., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte II, Tübingen 1928, 68–112, esp. p. 81. D. DORMEYER, Die Passion Jesu als Verhaltensmodell. Literarische und theologische Analyse der Traditions- und Redaktionsgeschichte der Markuspassion, NTA NS 11, Münster 1974, 238–258, argues that there were two earlier versions of Mark’s passion narrative and considers the oldest form a Christian text about martyrdom with a fictive protocol form analogous to the Acta Isidori belonging to the so-called Acts of the Alexandrian Martyrs. Also ID., Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung, Darmstadt 1993, 178: “Die älteste Gestalt der markinischen

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bestimmen, spielt die wichtigste Rolle die Beobachtung, daß in den hellenistischen paganen Akten nur der Prozeß, in den jüdischen Märtyrerberichten nur Leiden und Sterben (wie auch die Versuchung zum Abfall) dargestellt sind.” (ital. Berger).69 At first glance Berger’s hypothesis seems attractive, but it turns out to be problematic in several ways. First, what we know about the trial protocols,70 the commentarii, does not match the framework of the passion narratives closely. The trial scenes, which are so characteristic of the passion narratives, are not at all prominent in the protocols themselves, and occur only in the so-called Alexandrian Martyr Acts, which are a later development of the protocol form.71 Gary Bisbee’s comparison of both forms results in the following conclusion: “None of the forms given to Jesus’ trial in the Gospel accounts can be said to resemble either the form outlined above or any of the commentarius-forms of later periods. We need not tarry very long here, for nearly every element of the Gospel accounts can be rejected in a formal analysis.”72 Detlev Dormeyer’s hypothesis that the literary form of an earlier stratum of Mark’s passion narrative derives from a blend of Jewish martyrdoms and Alexandrian Acts forms,73 is difficult to uphold as well. The earliest specimen of the Alexandrian Acts, the Acta Isidori, probably dates from the mid-first century

Passion ist eine christliche Märtyrerakte, in der Elemente der frühjüdischen Martyrien und der hellenistischen Akte miteinander verschmolzen sind.” Dormeyer changed his opinion and no longer presupposes two pre-Markan strata of the passion narrative: ID., Joh. 18.1–14 Par Mk 14.43–53: Methodologische Überlegungen zur Rekonstruktion einer vorsynoptischen Passionsgeschichte, NTS 41 (1995), 218–239, esp. p. 234 n. 67: “Ich behalte nicht länger die Differenzierung aufrecht zwischen einer frühen, kargen Märtyrerakte, die nahe an Bultmanns Rekonstruktion liegt, und einer später durch einen hypothetischen Redaktor ausgearbeiteten Märtyrerakte ...”. 69 B ERGER , Formgeschichte (n. 68), 338. Also ID., Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, ANRW II,25,2, esp. 1255f. Cf. DORMEYER, Die Passion Jesu (n. 68), 47 and 179: “Die hellenistische Akte beschränkt die Darstellung des Märtyrers auf seinen Prozess, das frühjüdische Martyrium dagegen stellt das Sterben des Märtyrers dar.” I D., Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener, Stuttgart 2 2002, 286–299. 70 R.A. COLES, Reports of Proceedings in Papyri, Papyrologica Bruxellensia 4, Brussels 1966. G.A. B ISBEE, Pre-Decian Acts of Martyrs and Commentarii, Harvard Dissertations in Religion 22, Philadelphia 1988. 71 V AN H ENTEN/AVEMARIE , Martyrdom and Noble Death (n. 3), 21–23; 38–41 with references. B ISBEE, Pre-Decian Acts (n. 70), 65–79, argues that the commentarii-form was imitated in the Alexandrian Acts, but he does not exclude the possibility that they ultimately derive from an edited form of a trial protocol. 72 B ISBEE , Pre-Decian Acts (n. 70), 91f. 73 Footnote 68.

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C.E., implying that these acts and the passion narratives originated in roughly the same period.74 Second, Berger does not do justice to the Jewish martyrdoms by suggesting that they lack the element of a trial scene. Technically, this is true, because the context of the martyrs’ arrest and execution remains rather vague in 2 Macc 6,18–7,42. Nevertheless, several dialogues take place between martyrs and king, or his representatives, just before or during the martyrs’ execution. These dialogues emphasize the voluntary nature of the martyrs’ death, because the martyrs do have the option to submit to the king and save their life in this way. 4 Maccabees adds extensive dialogues between martyrs and king before the execution of tortures and death penalty (4 Macc 5,1–38 and 8,1–9,9). These dialogues take place in a forensic context that is close to a trial scene. Antiochus IV is sitting like a judge on a platform and the martyrs are led before him one by one (4 Macc 5,1–4; 8,2f., above). The famous episode of the youngsters who stole the golden eagle from the Jerusalem temple (War 1,648–655; Ant 17,156–164) also results in a trial scene, where Herod the Great interrogates these young men who refuse to give in to him75 and confess about their deeds and conviction like Jewish and Christian martyrs do in front of their opponents.76 While the connection to the Graeco-Roman trial protocols is not supported by close correlations, Berger and Dormeyer seem to be on more solid ground with their suggestion that the passion narratives’ literary form partly corresponds to Jewish martyrdoms. The narrative pattern of the early elaborate Jewish passages about noble death can be compared to the basic pattern of the passion narratives. 2 Macc 6,18–31, 2 Macc 7, and 4 Maccabees 4–12 – and apart from the last narrative element Dan 3 and 6 as well –77 share a cluster of five coherent narrative elements: (1) An edict issued by the (pagan) authorities is the point of departure for the narrative. Transgression of this edict results in the death penalty.

74 H. M USURILLO, The Acts of the Pagan Martyrs: Acta Alexandrinorum, Oxford 1954, 118–124, argues for April 30–May 1, 53 C.E. if the events described in the Acta Isidori are historical. 75 War 1,652f.; cf. Ant 17,158–160. Cf. 2 Macc 6,23–28; 7; 4 Macc 5; 8,1–9,9. 76 G. B USCHMANN, Martyrium Polycarpi – Eine formkritische Studie: Ein Beitrag zur Frage nach der Entstehung der Gattung Märtyrerakte, BZNW 70, Berlin 1994, 113f., 117–119, 193–195, 205, 229–232, 251–253; VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 89–90; 237f. 77 Cf. rabbinic passages about martyrdoms of famous Rabbis: R. Aqiba (bBer 61b) and R. Hanina ben Teradyon (bAZ 17b–18a; Midrash Sifre Deut 32,4 § 307). V AN HENTEN/AVEMARIE , Martyrdom and Noble Death (n. 3), pp. 151–166. A definition of ancient martyrdom: Ibid. pp. 2–5.

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(2) The enforcement of the law brings Jews into a loyalty conflict, since they cannot stay faithful to their God, the Law and their Jewish way of life. (3) When Jews are forced – after their arrest – to decide between complying with the government’s edict or remaining faithful to their religion and practices, they choose to die rather than to obey the authorities. (4) This decision comes to the fore in the dialogue with the ruler or other officials, which is sometimes accompanied by tortures. (5) The execution is described, or at least indicated.78 The Synoptic passion narratives vary, of course, in narrative sequence and articulations. But, all in all, it can be argued that in their present form a basic pattern of eight successive narrative elements underlies all three narratives:79 78

Discussion of this pattern and the way Daniel 3 and 6 relate to it in VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 7–13. 79 Selective bibliography about the passion narratives: P. W INTER , On the Trial of Jesus, Studia Judaica 1, Berlin 1961. A.N. SHERWIN -W HITE, “The Trial of Christ in the Synoptic Gospels”, in: ID., Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford 1963, 24–47. G. SCHNEIDER, Verleugnung, Verspottung und Verhör Jesu nach Lukas 22,54–71. Studien zur lukanischen Darstellung der Passion, STANT 22, München 1969. E. LINNEMANN, Studien zur Passionsgeschichte, FRLANT 102, Göttingen 1970. D.R. CATCHPOLE, The Trial of Jesus. A Study in the Gospels and Jewish Historiography from 1770 to the Present Day, SPB 12, Leiden 1971. G. SCHNEIDER, Die Passion Jesu nach den drei älteren Evangelien, München 1973. W. SCHENK, Der Passionsbericht nach Markus. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Passionstraditionen, Gütersloh 1974. DORMEYER, Passion Jesu (n. 68). D.P. SENIOR, The Passion Narrative According to Matthew. A Redactional Study, BEThL 29, Leuven 1975. F.G. UNTERGASSMAIR, Kreuzweg und Kreuzigung Jesu. Ein Beitrag zur lukanischen Redaktionsgeschichte und zur Frage nach der lukanischen ‘Kreuzestheologie’, Paderborner Theologische Studien 10, Paderborn 1980. NICKELSBURG, Genre (n. 67). M. LIMBECK (ed.), Redaktion und Theologie des Passionsberichtes nach den Synoptikern, WdF 481, Darmstadt 1981. D.P. SENIOR, The Passion of Jesus in the Gospel of Mark, Wilmington 1984. I D., The Passion of Jesus in the Gospel of Matthew, Wilmington 1985. J.H. NEYREY, The Passion According to Luke: A Redaction Study of Luke’s Soteriology, New York 1985. F.J. MATERA, Passion Narratives and Gospel Theologies. Interpreting the Synoptics Through their Passion Stories, New York/Mahwah 1986. J. SCHREIBER , Der Kreuzigungsbericht des Markusevangeliums Mk 15,20b–41. Eine traditionsgeschichtliche und methodenkritische Untersuchung nach William Wrede (1859–1906), BZNW 48, Berlin 1986. R. FELDMEIER , Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion, WUNT II/21, Tübingen 1987. M.L. SOARDS, The Passion according to Luke. The Special Material of Luke 22, JSNTSS 14, Sheffield 1987. GREEN, Death of Jesus (n. 67). K. KERTELGE (ed.), Der Prozeß gegen Jesus. Historische Rückfrage und Theologische Deutung, QD 112, Freiburg 21989. R.E. BROWN, The Death of the Messiah. From

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(1) A decision by Jewish leaders that Jesus has to be killed (Mark 14,1f. par.; cf. John 11,47–53). (2) Betrayal by Judas (Mark 14,10f.18–21 par.; cf. John 6,70f.; 13,2.21– 30). (3) Passover meal/Last Supper (Mark 14,12–25 par.; cf. John 6,51–59). (4) Jesus’ arrest in Gethsemane or on the Mount of Olives (Mark 14,26. 32–52; Matt 26,30.36–56; Luke 22,39–54a; cf. John 18,1–12). (5) Peter’s Denial (Mark 14,27–31.54.66–72; Matt 26,31–35.58.69–75; Luke 22,31–34.54b–62; cf. John 13,36–38; 18,15–18.25–27). (6) Trial scenes: Jesus before the Sanhedrin, later before Pilate and in Luke also before Herod Antipas (Mark 14,53.55–65; 15,1–15; Matt 26,57. 59–68; 27,1f.11–26; Luke 22,54.63–71; 23,1–25; cf. John 18,13f.19– 24.28–40; 19,1–16a). (7) Jesus’ mocking, torture and execution (Mark 15,16–41 par.; cf. John 19,2f.16b–37). (8) Jesus’ burial (Mark 15,42–47 par.; cf. John 19,38–42). A comparison of the Synoptic passion narratives’ framework and the pattern of early Jewish martyrdoms shows that, indeed, there are significant similarities between them, but also important differences.80 (1) Decision that Jesus has to die. A decree from the pagan government forms the point of departure for the martyrdom narratives (2 Macc 6,6f. 18.21; 7,1.42; 4 Macc 4,26–5,3; 8,6–10; Dan 3,1–7; 6,6–9). In all four canonical Gospels the Roman government is the authority that convicts and executes Jesus, but the evangelists suggest that the chief priests, scribes and elders, i.e. groups belonging to the Jewish establishment, are responsible for manipulating Pilate. They take the initiative, decide that Jesus has to be put to death, and hand him over to the Roman procurator (Mark 11,18; Luke 19,47f.; Mark 14,1f. par.; cf. Mark 14,55.64; Matt

Gethsemane to the Grave, A Commentary on the Passion Narratives in the Four Gospels I–II, London 1994. W. REINBOLD, Der älteste Bericht über den Tod Jesu: Literarische Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien, BZNW 69, Berlin 1994. J.T. CARROLL/J.B. GREEN, The Death of Jesus in Early Christianity, Peabody, Mass. 1995. P.J. SCAER, The Lukan Passion and the Praiseworthy Death, Diss. Notre Dame, 2002. 80 See VAN H ENTEN, Jewish Martyrs (n. 66), for a detailed comparison of Jewish martyrdoms and Luke’s passion narrative.

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26,59.66; Mark 15,1f.; Matt 27,1f.; cf. John 11,47–53; 18,14).81 This deviation from the martyrdoms pattern may be explained by the assumption that another tradition, that of the murdered prophet, which clearly has been incorporated into the Gospels,82 merged with the martyrdom tradition in the passion narratives. Yet, Dan 3 and 6 also describe a joint venture of ruler and malicious others who promote getting rid of the heroes in both court tales. Daniel’s companions are accused by their colleagues, who are identified as Chaldeans (Dan 3,8). The Book of Daniel presents the Chaldeans as a professional class of sages (Dan 1,4; 2,2.4.10; 4,4) as well as an ethnic entity (5,30; 9,1). Likewise, the king in Dan 6 lets himself be manipulated by “those men” (Dan 6,6), apparently the other satraps, who know that only Daniel’s religion could serve as ground for accusing him (6,5).83 John elaborates the motif of the Jewish involvement in Jesus’ execution (11,47–53),84 where Caiaphas advises the chief priests and Pharisees that Jesus should die, asserting that it is better that one person dies for the people (ajpoqavnh/ uJpe;r tou` laou`) than to have the entire state destroyed (11,50).85 Caiaphas’ advice, which emphasizes at the same time the beneficiary significance of Jesus’ death (11,51f.), materializes in John’s passion narrative, which reverts to Caiaphas’ statement in 18,14. John 11,50–52 and 18,14 may be interpreted in the light of traditions concerning the beneficiary death of Jewish martyrs,86 it should be noted, however, that a “one for all” death concept was well known in GraecoRoman contemporaneous culture, as Henk Versnel has pointed out in several studies.87 81

A decree from the pagan government can be absent in Christian martyrdoms, but the situation of an arrested Christian would be nevertheless analogous to that of Jewish martyrs. Because Christianity was not an accepted religion, Christians who were arrested automatically were in great danger. An act could be demanded from them that would imply their renouncement of their conviction, see, e.g., Mart Pol 4; 8,2; 9,2–10,1; 12,2. J. SPEIGL, Der römische Staat und die Christen: Staat und Kirche von Domitian bis Commodus, Amsterdam 1970, 147f. 82 E.g. Luke 11,47–51 and Matt 23,29–32.34–36. References and discussion in O.H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten: Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum, WMANT 23, Neukirchen-Vluyn 1967. GUBLER, Die frühesten Deutungen (n. 33), 10–94. 83 J.W. V AN H ENTEN, Daniel 3 and 6 in Early Christian Literature, in: J.J. Collins/ P.W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception I, VTSup 83, Leiden 2001, 149–169, esp. 152f. 84 Cf. John 5,18; 7,1.19.25.32.45; 8,40.59; 10,31; 11,8.16. 85 H ENGEL, Atonement (n. 33), 14f. SCHRÖTER , Sterben für die Freunde (n. 64). 86 H.-W. SURKAU, Martyrien in jüdischer und frühchristlicher Zeit, FRLANT NS 36, Göttingen 1938, 100f. See section 3.2 for the ‘dying for’ formula in Jewish passages. 87 See V ERSNEL’s contribution in this volume.

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(2) Betrayal. References to the Jewish martyrs’ betrayal by fellow-Jews are absent in early Jewish martyrdoms.88 Betrayal is, however, a prominent motif in passages about the downfall and vindication of wise courtiers like Ahiqar.89 The accusations of Daniel and his companions by their colleagues in Dan 3 and 6 (Dan 3,8–12; 6,5–10.12–14, above) show that Jewish writings from the Second Temple period elaborate this motif. Although the accusations in Daniel parallel Jesus’ betrayal by Judas to a certain extent only, the sequence of the narrative in Daniel 3 and 6 is similar to the passion narratives, and the accusation by the colleagues leads up to the ruler’s interrogation. In Luke, Judas’ betrayal is linked to Satan’s role as Jesus’ opponent (22,3.31.53).90 (3) Passover meal/Last Supper. There are no parallels whatsoever in Jewish martyrdoms to this section of the passion narratives, but perhaps the formulae in Jesus’ words over cup and bread build on traditions about the martyrs’ beneficiary death (section 3.2.). (4) Arrest. Jesus goes to his death voluntarily, as do Daniel and his companions and the Maccabean martyrs.91 The martyrs’ preference of a violent death to obeying the ruler’s command becomes apparent in their dialogues with the ruler (Dan 3,13–18; 2 Macc 6,21–28; 7; 4 Macc 5; 6,12–23; 8,1–9,9), which take place after their arrest.92 In the Synoptic Gospels Jesus’ decision to accept his violent death and obey his Father’s will precedes his arrest in the Gethsemane or Mount of Olives pericope, but in John it is part of the arrest episode (Mark 14,36 par.; John 18,5.11).93 Matthew follows Mark’s emphasis on Jesus’ great distress before this decision (Mark 14,33f.; Matt 26,37f.), but Luke depicts Jesus as being in full control over his emotions and the events. In Luke Jesus goes to his death self-confidently and voluntarily like Daniel, Daniel’s companions and the Maccabean martyrs.94 The Lukan vocabulary (Luke 22,42 88

A. YARBRO COLLINS, The Genre of the Passion Narrative, Studia Theologica 47 (1993), 3–28, esp. 14. 89 VAN H ENTEN/AVEMARIE , Martyrdom and Noble Death (n. 3), 10; 24f. Cf. Dan 6,5–7.12.16. The passion narratives no doubt inspired authors or redactors of Christian martyrdoms to create analogies between the betrayal of martyrs and Jesus’ betrayal, see, e.g., Mart Pol 1,2; 6,2. 90 V AN H ENTEN, Jewish Martyrs (n. 66). 91 Cf. SENIOR , The Passion of Jesus in the Gospel of Mark (n. 79), 80: “The focus of the passion tradition on the arrest, as much as on the trial or the death itself, is validated by other martyrdom accounts, including those of our own day”. 92 V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 10f.; 98–108. 93 SCHNEIDER , Verleugnung (n. 79), 185. SENIOR , The Passion according to Matthew (n. 79), 305f. A. FEUILLET, L’Agonie de Gethsémani, Paris 1977. FELDMEIER, Krisis des Gottessohnes (n. 79). BERGER, Formgeschichte (n. 68), 336. UNTERGASSMAIR, Kreuzweg und Kreuzigung Jesu (n. 79). BROWN, Death of the Messiah (n. 79), 107–310. 94 References: VAN H ENTEN, Jewish Martyrs (n. 66).

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par.) foregrounds with bouvlei and qevlhma God’s determination in the passion scenario,95 but indicates that Jesus realized that he had to remain obedient to God’s plan and drink the cup of suffering.96 In fact, in Luke Jesus seems to have made up his mind about accepting a violent fate already before his arrest, because he knew that Judas would find him at the Mount of Olives.97 Jesus’ prayer in Mark 14,35f. par.,98 with the additional material in Luke 22,43f., is often associated with prayers of martyrs. Both 2 and 4 Maccabees include intercessory prayers by the Maccabean martyrs just before their death (2 Macc 7,37f.; 4 Macc 6,28f.; 9,24; 12,17). The Prayer of Azariah in the Greek additions to Daniel can be interpreted as an intercessory prayer as well.99 The function of Jesus’ prayer is very different from the martyrs’ intercession. Jesus’ emotional appeal to his Father – in Mark 14,35f., and in lesser extent in Matthew – to change the divine plan for him has no intercessory function, but anticipates his trial and execution, leading up to the inauguration of God’s Kingdom.100 (5) Peter’s denial is not matched by Dan 3 and 6 or by the Maccabean martyrdoms, where hesitation or denial would run counter to the selfcontrolled attitude of the Jewish heroes. On the other hand, the passages about Peter’s denial in all four gospels would support the narrative thread of the martyrdom pattern and enhance the narrative tension by leading up to a climax in the trial scenes. Mark and Matthew intertwine Jesus’ prediction of the denial with the Gethsemane and arrest pericope (Mark 14,27–31; Matt 26,31–35). They inform the reader that all disciples fled at Jesus’ arrest but also that Peter followed the arrested Jesus at a distance (Mark 14,50.54; Matt 26,56.58). They intertwine Peter’s open denial with Jesus’ first interrogation (Mark 14,66–72; Matt 26,69–75). In this way Peter’s performance clearly contrasts Jesus’ attitude and responses in the trial scenes, which is enhanced by the vocabulary pointing at a simultaneous 95 96

SOARDS, Passion (n. 79), pp. 92f.; 98. J.W. HOLLERAN, The Synoptic Gethsemane: A Critical Study, Rome 1973, 88f. The cup can be related to the Socrates tradition, but it is also a motif in early-Christian martyrdoms (Asc Is 5,13; Mart Pol 14,2; Apocalypse of Peter, Fragm. Rainer; Letter of the Apostles 15 [26]). Discussion of several interpretations in F ELDMEIER, Krisis des Gottessohnes (n. 79), 176–185. 97 SCHNEIDER , Verleugnung (n. 79), 185. Cf. H. CONZELMANN, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHT 17, Tübingen 31960, 76. B ERGER, Formgeschichte (n. 68), 336. 98 Cf. John 12,27f.; 18,11. 99 Dan 3,25–45LXX/Theod, VAN H ENTEN, Tradition-Historical Background (n. 39), 110–115; 122f. 100 B ROWN, Death of the Messiah (n. 79), 163–172. For Luke 22,43f. see V AN HENTEN, Jewish Martyrs (n. 66).

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death with Jesus (Mark 14,31; Matt 26,35; cf. John 13,37f.) and repetitive denials (ajrnevomai, Mark 14,68.70; Matt 26,70.72; cf. Luke 22,57; John 13,38; 18,25.27; ajparnevomai Mark 14,30f.72; Matt 26,34f.75; Luke 22,34.61).101 In the Lukan redaction Peter’s denial sandwiches Jesus’ arrest and precedes Jesus’ first interrogation (22,31–34.54–62), which constructs Jesus and Peter as each other’s opposites in the context of trial in a different way, anticipating Jesus’ response to his opponents in the trial scenes.102 (6) Trial scenes. The dialogues between Daniel’s companions or the martyrs and their opponents (Dan 3,13–18; 2 Macc 6,21–28; 7; 4 Macc 5; 6,12–23; 8,1–9,9) elaborate the motives for preferring noble death, thus are an important narrative tool for the presentation of these heroes as exemplary members of the exiled Judean community in Babylonia or the Jewish people in Judea itself.103 Likewise, the various descriptions of Jesus’ trial scenes (Mark 14,53.55–65; 15,1–15; Matt 26,57.59–68; 27,1f.11–26; Luke 22,54.63–71; 23,1–25; John 18,13f.19–24.28–40; 19,1–16a), together with their dialogical settings, bring Jesus’ identity to the foreground (Messiah, Son of God, Son of Man, King of the Jews) and indicate the reasons for his death from his opponents’ perspective.104 The high priest or the Sanhedrin and Pilate reveal the unique significance of the person Jesus with their questions, which are closely similar: – second question of high priest: “Are you the Messiah, the Son of the Blessed One?” or “… (tell us) if you are the Messiah, the Son of God?”; (eij) su; ei\ oJ cristo;" oJ uiJo;" tou' eujloghtou' / oJ uiJo;" tou' qeou' (É) (Mark 14,61; Matt 26,63); questions of the Sanhedrin: eij su; ei\ oJ cristov" (Luke 22,67); su; ou\n ei\ oJ uiJo;" tou' qeou'É (Luke 22,70). – Pilate’s question: “Are you the King of the Jews?”; su; ei\ oJ basileu;" tw'n IoudaivwnÉ (Mark 15,2; Matt 27,11; Luke 23,3; John 18,33).105 101 J.R. E DWARDS, Markan Sandwiches: The Significance of Interpolations in Markan Narratives, NT 31 (1989), 193–216 [= D.E. Orton (ed.), The Composition of Mark’s Gospel: Selected Studies from Novum Testamentum, Leiden 1999, 192–215], esp. pp. 209–211. M.A. T OLBERT, Sowing the Gospel: Mark’s World in Literary Historical Perspective, Minneapolis 1989, 217f. 102 SOARDS, Passion according to Luke (n. 79), 83–88; 107f. B ROWN, Death of the Messiah (n. 79), 625f. 103 V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 125–269. 104 B ERGER , Formgeschichte (n. 68), 335. Cf. SENIOR , The Passion Narrative According to Matthew (n. 79), 337: “The identity of Jesus as the Son of God and the vindication of this claim by the very manner of the Messiah’s death are the dominant themes of the final chapter of the Passion story”. 105 Cf. Mark 15,12.18.26.32.39 par.; Luke 23,37f.; John 19,3.7–15.19–22. Herod Antipas’ question in Luke 23,8f. is not given.

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The variations in Jesus’ responses to these questions in the four passion narratives are considerable, and have been frequently compared to the martyrs’ statements to their opponents. Jesus’ confirmation to the high priest (or Sanhedrin)’s question in Mark 14,61f., “I am” (ejgwv eijmi), followed by his puzzling statement “‘you will see the Son of Man seated at the right hand of the Power’, and ‘coming with the clouds of heaven’”, has been adapted by Matthew and Luke, where Jesus responds in a more evasive way (Matt 26,63f.; Luke 22,67–69). Adela Yarbro Collins argues that Jesus’ confirming response in Mark 14,62 corresponds to the speeches of the martyrs in 2 and 4 Maccabees to their opponents: “This element makes the Markan form of the passion narratives more similar to the Maccabean accounts in which the speeches of the dying heroes have a didactic function. It also makes the teleuthv of Jesus more similar to the Hellenistic and Roman types in which the speech of the protagonist is the major focus”.106 What about Jesus’ evasive responses: “You have said so…” (Matt 26,64), “If I tell you, you will not believe; and if I question you, you will not answer…” (Luke 22,67f.), “You say that I am” (Luke 22,70), or “You say so” (Luke 23,3; cf. 23,9 no response)?107 These responses don’t contradict the questions’ import, and the narrative sequence implies, of course, that for the reader the answer is “yes”. Nevertheless, Jesus’ answers in Matthew and Luke differ considerably from the abusive statements hurled at their opponents by Jewish martyrs and protagonists in Hellenistic and Roman noble death stories.108 It should be noted, however, that the response of the Jewish martyrs to their opponents varies. They sometimes remain silent in a self-assured way (2 Macc 7,25; cf. 4 Macc 6,5.9–11; bBer 61b) and may speak only at the very end, just before their death, as a sign of their superiority over their earthly opponents.109 This may, in fact, in spite of the different contexts, come close to Jesus’ response in Luke 22,68–70, where Jesus first ridicules his interrogators and then identifies himself as Son of Man, announcing with sovereign authority that this Son of Man will be seated at the right hand of the power of God “from now on”.110 John highlights the antithesis of the earthly powers and Jesus’ authority by presenting a self-confident Jesus, who degrades his opponent in the debate like the Maccabean martyrs do (John 18,19–23; cf. 18,33–38; 106 107

YARBRO COLLINS, Genre of the Passion Narrative (n. 88), 19. Cf. 22,63f. during the mockery before Jesus’ interrogation: no response to the question. Cf. also John 19,9f. 108 G.N. STANTON, Jesus of Nazareth in New Testament Preaching, SNTSMS 27, Cambridge 1974, 34–36. GREEN, Death of Jesus (n. 67), 316–320. B ROWN, Death of the Messiah (n. 79), 772. VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 163–172. 109 Differently: STANTON, Jesus of Nazareth (n. 108), 34. 110 SOARDS, Passion (n. 79), 81; 95. Another reversal of authority in Luke 22,25–30.

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19,9–11). Jesus’ brief dialogues with Pilate about his kingdom, being not from this world (18,34–37), and about Pilate’s power (ejxousiva, 19,10f.), echo at least the antithesis of secular rule and God’s power. These motifs also underlie the court tales of Daniel 3 and 6, the Maccabean martyrdoms and Josephus’ story of the youngsters who destroyed Herod’s eagle.111 (7) Mocking and crucifixion. The combination of physical punishment or even torture and ridicule occurs in Jewish martyrdoms several times. The second and third of the seven Maccabean brothers are tortured before they can respond whether they would participate in the sacrificial meal ordered by the king (2 Macc 7,7–10). The epitomist uses ejmpaigmov" “mockery” (2 Macc 7,7) and ejmpaivzw “mock, make a sport of” (7,10) to introduce the horrible tortures of these brothers.112 The description of Eleazar’s tortures in 4 Maccabees begins, perhaps, with a mockery of the old scribe (6,2–4). Jesus’ execution is preceded by his mockery by Pilate’s soldiers (Mark 15,16–20; Matt 27,27–31; John 19,1–5), which is anticipated by physical punishment and mockery during the trial scenes (Mark 14,65; Matt 26,67; Luke 22,63–65;113 cf. John 18,22; Luke 23,11). There is another mockery scene when Jesus is hanging on the cross (Mark 15,29– 32; Matt 27,39–43; Luke 23,35–39. The Synoptic Gospels do use 2 Maccabees’ rare idiom for making a fool of somebody by physical punishment or torture (ejmpaivzw, Mark 15,20.31; Matt 27,29.31.41; Luke 22,63; 23,11.36).114 Jesus’ execution matches the Jewish martyrdom pattern, but the execution itself is indeed different. Luke presents Jesus’ crucifixion, in line with Jewish and Christian martyrdoms, much more as a public spectacle than Mark and Matthew do. Luke notes that a crowd of people followed Jesus to his place of execution, including women who were beating their breasts and wailing for him (23,27). He also emphasizes that the people were standing by as spectators (kai; eiJsthvkei oJ lao;~ qewrw`n, 23,35), and refers to mourning crowds of onlookers after Jesus’ death in 23,48: “And when all the crowds who had gathered there for this spectacle saw what had taken place, they returned home, beating their breasts”.115 On the other 111 112

Josephus, War 1,648–655; Ant 17,148–164. G. BERTRAM, “paivzw ktl.”, TWNT V, 632. J. LUST/E. EYNIKEL/K. HAUSPIE, A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Stuttgart 1992, 146. VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 8), 107f. Cf. 1 Macc 9,26; 2 Macc 8,17; Jud 18; Wis 12,25; Sir 27,28; 3 Macc 5,22 and Heb 11,36. 113 See about Luke’s transfer of this first mockery V AN H ENTEN, Jewish Martyrs (n. 66). 114 Cf. Matt 2,16; 20,19 par.; Luke 14,29. 115 A. STÖGER , Eigenart und Botschaft der lukanischen Passionsgeschichte, BK 24 (1969), 4–8, esp. 8. B.E. B ECK, ‘Imitatio Christi’ and the Lukan Passion Narrative, in: W. Horbury/B. McNeil (eds.), Suffering and Martyrdom in the New Testament: Studies pre-

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hand Luke’s information about Jesus’ sufferings on the cross is as sober as Mark, Matthew and John’s, which is quite different from the graphic description of the martyrs’ tortures in 2 Macc 7 and 4 Maccabees.116 (8) Burial. A parallel to Jesus’ burial after his crucifixion, a prominent part of all passion narratives, is missing in the early Jewish martyrdoms. This burial element matches, however, the vitae prophetarum reports, which offer information about the special and unnatural deaths of Israel’s prophets in line with conventions of Greek biographies. The brevity and dryness of these deaths of the prophets’ reports are very different from martyrs’ death scenes. Such reports mostly focus upon the place of death and burial, and the persons who brought about the prophet’s execution.117 To summarize thus far: there are definitely significant correspondences between the narrative patterns of the passion narratives and the early Jewish martyrdoms.118 It is possible that Mark was familiar with traditions about such martyrdoms and has taken over a narrative pattern of Jewish martyrdoms. Yet, my comparison shows clearly that the description of Jesus in the various sections of the passion narratives—arrest, trial scenes, mockery, execution and burial—also differs from what Jewish martyrdoms depict. It would be misleading, therefore, to categorize the passion narratives as martyrdoms.119 Elements from Jewish martyrdoms may have been integrated into the passion narratives, sometimes acquiring a different place within the narrative as well as a new meaning. The presentation of Jesus as the narratives’ key figure clearly differs from the often rather aggressive Jewish martyrs and sometimes corresponds more closely to the tradition of the suffering righteous, which means that we should not ignore the passion narratives’ allusions to Hebrew Bible passages stemming from that tradition. As Adela Yarbro Collins, among other scholars, has argued some years ago, the passion narratives should also be read as the fulfillment of a cluster of Hebrew Bible/Old Testament passages in a narrative context that elaborates the unique character of Jesus as Son of God and Messiah, and shows how he remained faithful to the will of God until his sented to G.M. Styler by the Cambridge New Testament Seminar, Cambridge 1981, 28– 47, esp. 31f.; SCAER, Passion (n. 79), 170. Cf. 4 Macc 17,11–16 with qewrei`n in 17,14. 116 SCAER , Passion (n. 79), 174. See about Luke 23,34.39–43 VAN H ENTEN, Jewish Martyrs (n. 66). 117 D. SATRAN, Biblical Prophets in Byzantine Palestine: Reassessing the Lives of the Prophets, SVTP 11, Leiden 1995. A.M. SCHWEMER, Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden Vitae Prophetarum I–II, TSAJ 49–50, Tübingen, 1995–1996. Also my Martyr Deaths of Prophets? (forthcoming). 118 Cf. U NTERGASSMAIR , Kreuzweg (n. 79), 167, referring to Luke: “Die formale Ähnlichkeit mit ‘Märtyrerdarstellungen’ soll nicht geleugnet werden.” 119 M ATERA, Passion Narratives (n. 79), 151.

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death.120 The passion narratives’ deviations from the Jewish martyrdoms can be explained, to a considerable extent, by the assumption that Jewish traditions about the suffering righteous and murdered prophets, together with topoi from Graeco-Roman reports about the deaths of famous persons, were incorporated as well.121 Ultimately, whether one wants to see the Jewish martyrdoms, the suffering righteous pattern or the GraecoRoman teleuthv reports as the basic skeleton of the passion narratives, remains a matter of taste, because the passion narratives are obviously not the elaboration of a single literary genre. The passion narratives derive from a mixture of several literary forms; in this Klaus Berger is, in any case, right.

4. Conclusion After a brief discussion of some recent approaches to ancient Jewish martyrdoms this contribution focuses on three avenues of scholarly interpretations that variously associate Jesus’ death with early Jewish martyrdom. Their interpretations’ probability as historical claims varies. The hypothesis that Jesus interpreted his own future death as martyrdom has a certain plausibility, but the evidence of Jesus’ authentic sayings about the beneficiary effect of his coming death is not substantial enough for making the claim that he considered himself a Jewish martyr, or the ultimate Jewish martyr.122 Yet, if one tentatively assumes that Jesus conceived his future violent death, brought about by his proclamation of God’s Kingdom, as beneficiary for others and also reckoned with his vindication by God, martyrdom traditions can help to explain how he came to such a view.123 Jewish martyrdom as a model for the earliest response to Jesus’ death and resurrection by the Jesus’ movement is difficult to prove as well. The 120 A. Y ARBRO COLLINS, From Noble Death to Crucified Messiah, NTS 40 (1994), 481–503. 121 K ELLERMANN, Auferstanden in den Himmel (n. 37), 46–53. YARBRO COLLINS, Genre of the Passion Narrative (n. 88), 20, argues that the literary form of the earliest version of Mark’s passion narrative already is closest to Graeco-Roman accounts about the death of famous persons: “The account of the death of Jesus in the pre-Markan passion narrative belongs to the genre teleuthv; it is an interpretation of the execution of Jesus as the death of the messiah. The account as modified and expanded by the author of Mark belongs to the same genre”. Also DORMEYER, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte (n. 68), 177–181. 122 With SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis (n. 23), 215f. DE J ONGE, God’s Final Envoy (n. 7), 30. 123 Cf. SCHÜRMANN, Jesus – Gestalt und Geheimnis (n. 23), 202–240. D UNN, Jesus Remembered, see footnote 24.

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“dying for” and “surrender” formulae that articulate Jesus’ beneficiary death have closer parallels in Graeco-Roman passages than in Jewish martyrdom texts. Early vocabulary that interprets Jesus’ death as propitiation is restricted to Rom 3,25; but for this passage continuity with Jewish martyrdom vocabulary is highly uncertain. On the other hand, vocabulary that focuses upon the reconciliation between God and His people subsequent to a martyr’s death seems to be shared by Paul and 2 Maccabees. Martyrdom traditions may have helped to formulate this aspect of Jesus’ beneficiary death,124 also because Jesus’ death has a beneficiary effect for his followers’ sins (Gal 1,4; 1 Cor 15,3–5; 2 Cor 5,19.21; Rom 4,25) and implies, together with his resurrection, deliverance from God’s wrath (1 Thes 1,9f.; Rom 5,9).125 These notions hardly derive from GraecoRoman noble death traditions. Thus, Jewish martyrdom traditions may have contributed some aspects to early interpretations of Jesus’ beneficiary death. The genre of the passion narratives has been connected with Jewish martyrdom also. Although several things can be said against the hypotheses by Dibelius, Dormeyer and Berger, their association of the passion narratives with martyrdom passages calls for a closer comparison of the two clusters of texts from a literary perspective; and helps to highlight particulars of the passion narratives. Significant correspondences (voluntary death, dialogues in the trial scenes, mockery) may imply that elements from Jewish martyrdom reports have been integrated into the passion narratives. On the other hand, significant differences imply that it would be disproportionate to categorize the passion narratives as martyrdoms. My comparison shows that several narrative elements stem from other traditions and the literary forms connected with them, implying that the passion narratives’ genre is a mixture of several literary forms.

124 Distinctions like vicariousness and substitution are still absent in HellenisticJewish passages about a beneficiary death. 125 D E J ONGE , Original Setting (n. 31). P OWERS, Salvation through Participation (n. 31), 35–38; 42–45.

Lebenshingabe und heilschaffender Tod in der rabbinischen Literatur1 Friedrich Avemarie

1. Frömmigkeit und die Verheißung von Tod Religion zielt auf die „Verheißung von Lebensgewinn“ – so hat, als Neutestamentler, vor nicht allzu langer Zeit G. Theißen die „Funktion“ von Religion bestimmt,2 um auf dieser Grundlage das älteste Christentum religionswissenschaftlich in den Blick zu nehmen. Religion verspricht „Lebensgewinn“ – eine Funktionsbeschreibung, wie es scheint, von umfassender Allgemeinheit.3 Im großen und ganzen ist sie dem frühen Christentum und seiner Mutter- und Schwesterreligion, dem antiken Judentum, sicherlich auch angemessen.4 Aber es gibt einen Bereich von religiöser Erfahrung, den sie nicht erfaßt, sowohl im Christentum als auch im Judentum: Beide versprechen nicht nur den Gewinn von Leben, 1

Für eine kritische Lektüre danke ich Herrn Prof. Dr. J.W. van Henten, für geduldige Hilfe bei den Recherchen Herrn stud. theol. G. Brand, für wichtige Hinweise den Herren Dr. K.-P. Adam, PD Dr. K.-H. Ostmeyer und Prof. Dr. R. Zimmermann. 2 G. T HEISSEN, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 22001, 28–36, mit der Überschrift „Religion als Verheißung von Lebensgewinn“ auf S. 28. 3 Allerdings nicht die einzige, die sich sinnvoll behaupten läßt; vgl. N. LUHMANN, Funktion der Religion, stw 407, Frankfurt a.M. 1982, 9–20. 4 Für die rabbinische Literatur vgl. A. GOLDBERG, Der einmalige Mensch. Der absolute Wert des Lebens und der Würde des Menschen im rabbinischen Judentum, in: Ders., Mystik und Theologie des rabbinischen Judentums, GSt I, TSAJ 61, Tübingen 1997, 289–303; F. AVEMARIE, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur, TSAJ 55, Tübingen 1996, 2. Der hohe Wert des Lebens spiegelt sich besonders in zwei klassischen Typen der Auslegung von Lev 18,5, „Und haltet meine Satzungen und meine Rechte, die der Mensch tue, daß er durch sie lebe.“ Der eine Typ begründet damit das Recht, Toragebote zu übertreten, wenn es der Lebensrettung dient (tShab 15[16],17 [Lieberman II, 74f.]; bYom 85b); der andere Typ gewinnt daraus angesichts der Unvermeidlichkeit des natürlichen Lebensendes einen Beweis für das Leben in der kommenden Welt (Sifra Aúare, Parasha 9,10 [Weiss 85d]; TO und TPsJ Lev 18,5). Vgl. AVEMARIE, a.a.O., 104–117 u. 390f.; D.R. SCHWARTZ, Leben durch Jesus versus Leben durch die Tora. Zur Religionspolemik der ersten Jahrhunderte, FDV 1991, Münster 1993.

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sondern propagieren auch das Gegenteil, den Verlust des Lebens, den Tod. Der Tod ist für sie ebenfalls ein religiöser Wert. Es geht dabei nicht um das natürliche Lebensende, das ohnehin allen Menschen bevorsteht; auch nicht um das, was Christentum und Judentum den unbußfertigen Frevlern androhen, Straftod und die ewige Lebensferne der Hölle. Es geht um den gewaltsamen und schmerzhaften Tod, der über die Frommen kommt, der die Verheißung von Leben durchkreuzt und den sie trotzdem bejahen sollen, so sehr bejahen, daß es scheint, als sehnten sie ihn herbei. „Das Leben nämlich ist mir Christus, und das Sterben Gewinn“, schreibt Paulus aus der Todesangst seiner Gefangenschaft, Phil 1,21. Und Jesus ruft zur Nachfolge mit den Worten: „Wer nämlich sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinet- und des Evangeliums willen verliert, wird es retten“, Mk 8,35. Gewiß ist das paradox formuliert, aber so viel ist doch deutlich: Neben dem verheißenen Leben beansprucht mit Nachdruck auch die Preisgabe des Lebens ihren religiösen Wert und Rang. Zugleich zeigt die paradoxe Formulierung, daß der Verzicht auf Leben, der willig, ja freudig angenommene Tod, nicht per se ein religiöser Wert ist. Er ist es vielmehr nur in spannungsvollem Bezug auf den Wert des Lebens selbst; dieser geht ihm vor und bleibt ihm übergeordnet. Das Normale ist, sein Leben retten zu wollen, das setzt auch Mk 8,35 voraus. Die dennoch freudig ihr Kreuz auf sich nehmen und um Christi willen ihr Leben dahingeben, freuen sich in Wirklichkeit nicht über ihren Tod, sondern über das neue und bessere Leben, das sie durch ihren Tod hindurch erwerben. Der Tod führt zum Heil, und allein das ist es, was ihm im Rahmen des frühen christlichen Wertesystems zu religiöser Dignität verhilft.5 Auch die rabbinische Tradition kennt den Tod als religiösen Wert. Auch sie aber vermag ihn nur so als Wert anzuerkennen, indem sie gleichzeitig daran erinnert, daß sein relatives Recht aus einem anderen, höheren Wert abgeleitet ist und von diesem abhängt. Erst das Wissen, daß durch den Tod jenes Höhere erreicht wird – ein besseres und eigentlicheres Leben, das keineswegs, wie noch zu zeigen sein wird, nur in der Sicherung des eigenen Daseins bestehen muß –, erst diese Gewißheit macht das Sterben annehmbar und erträglich. Auf welche Weisen die rabbinische Tradition den Tod annehmbar und erträglich zu machen versucht, sei im folgenden an einigen verschiedenen Punkten aufgezeigt.

5 Historisch dürfte diese religiöse Denkfigur in Erfahrungen von Kontingenzbewältigung ihren Ursprung haben: Der unverdiente Tod Gerechter wird von den Zurückbleibenden als Ermöglichungsgrund ihres eigenen Weiterlebens empfunden oder durch die Hoffnung auf postmortale Vergeltung entschärft; vgl. Jes 53; 2 Makk 7; Weish 2–3 usw.

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2. Der Tod als Sühne für die eigenen Sünden Seit dem frühen 2. Jahrhundert läßt sich in der rabbinischen Tradition die Überzeugung nachweisen, daß der Mensch durch seinen Tod – besonders einen gewaltsamen Tod – Sühne für seine Sünden erlangt, so daß seiner anschließenden Teilhabe am Leben der kommenden Welt nichts mehr im Wege steht. Bereits im ältesten rabbinischen Textcorpus, der Mischna, findet diese Überzeugung Ausdruck, und zwar in einem halachischen Zusammenhang, der eine solche Assoziation auch nahelegt, nämlich im Kontext von Vorschriften über den Vollzug der Todesstrafe. Hier heißt es in Sanhedrin 6,2: Wenn er (sc. der zum Tode Verurteilte) zehn Ellen vom Ort der Steinigung entfernt ist, spricht man zu ihm: „Lege ein (Sünden-)Bekenntnis ab!“ Denn so ist es Usus bei allen zum Tode Verurteilten, daß sie ein (Sünden-)Bekenntnis ablegen. Denn jeder, der ein (Sünden-)Bekenntnis ablegt, hat Anteil an der kommenden Welt.6

Hierauf folgt ein kurzer Schriftbeweis7 und dann eine Alternativbestimmung, die ausdrücklich auch von Sühne spricht: Und wenn er kein (Sünden-)Bekenntnis abzulegen weiß, sagt man zu ihm: „Sprich: Es sei mein Tod eine Sühne (hrpk) für alle meine Sünden!“8

Von der Teilhabe an der kommenden Welt ist jetzt nicht mehr die Rede; doch nach dem, was voranging, ist sie selbstverständlich impliziert. Im Anschluß referiert die Mischna das Sondervotum eines Rabbis, der für bestimmte Fälle einen modifizierten Text für diese letzten Worte des Verurteilten vorschlägt. Es handelt sich um R. Jehuda, einen Tannaiten der 3. Generation. Demnach muß die Überzeugung von der Sühnewirksamkeit des Hinrichtungstodes um die Mitte des 2. Jahrhunderts rabbinisches Allgemeingut gewesen sein. In das frühe zweite, vielleicht auch noch späte erste Jahrhundert9 reicht eine haggadische Überlieferung zurück, die nicht in der Mischna, aber 6 Text bei S. KRAUSS (Hg.), Sanhedrin (Hoher Rat), Makkot (Prügelstrafe), Die Mischna IV/4.5, Gießen 1933, 186; zu Textvarianten vgl. a.a.O., 391. 7 Er gründet sich auf die Geschichte von der Steinigung Achans in Jos 7: Auch Achan wurde hingerichtet, nachdem er seine Sünde bekannt hatte, aber aus dem Wortlaut „... so verderbe der Herr dich heute“ (Jos 7,25) folgt, daß dieses Verderben nur eine zeitliche, keine ewige Strafe war. 8 Text bei KRAUSS, Sanhedrin (s. Anm. 6), 188. 9 Talmud Yerushalmi und Talmud Bavli (s. Anm. 10) rahmen das Traditionsstück mit einer Anfrage des R. Matja ben Charasch an R. Elazar ben Azarja nach einer Lehre des R. Jischmael. G. STEMBERGER, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 81992, 79– 83, rechnet R. Matja ben Charasch und R. Jischmael zur jüngeren und R. Elazar ben Azarja zur älteren Gruppe der 2. Tannaitengeneration, deren Wirken in die Zeit ab 90 fällt. Statt R. Elazar ben Azarja nennen Mekhilta und ARN R. Elazar ha-Qappar, einen

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mehrfach in anderen frühen rabbinischen Werken bezeugt ist und dem Tannaiten R. Jischmael zugeschrieben wird. Sie besagt, daß es unterschiedliche Sühnemittel gibt, die je nach Schwere der Versündigung miteinander zusammenwirken müssen, damit dem sündigen Menschen Vergebung geschieht:10 Die leichtesten Übertretungen werden augenblicklich vergeben, sobald der Täter sie bereut. Die nächstschwereren Vergehen sühnt die Umkehr (hbwot) in Verbindung mit dem Versöhnungstag (µwy µyrwpkh). Auf der dritten Stufe kommt zu diesen beiden noch das züchtigende Leiden hinzu (÷yrwsy). Sünden der gravierendsten Art schließlich – das sind solche, durch die „der Name des Himmels entweiht“ wurde – werden durch Reue und den Versöhnungstag nur zu einem Drittel und durch Züchtigungsleiden zu einem weiteren Drittel gesühnt; das letzte Drittel Sühne bewirkt der „Tag des Todes“ (htymh µwy). „Vergehen, auf die die gerichtliche Todesstrafe steht“ (÷yd tyb twtym) werden in diesem Schema ausdrücklich erwähnt. Bemerkenswerterweise werden sie aber nicht der vierten, sondern bereits der dritten Sühnestufe zugewiesen. Vielleicht ist näherhin an Verbrechen gedacht, die unentdeckt blieben oder aus sonstigen Gründen nicht gerichtlich geahndet wurden. Jedenfalls folgt daraus, daß es dann auf der vierten Stufe nicht mehr um Kapitaldelikte geht und sich der „Tag des Todes“ daher auch nicht – oder nicht primär – auf die vollzogene Todesstrafe bezieht. Das Schema gilt vielmehr ganz allgemein. Was „den Namen des Himmels entweiht“, ist nach rabbinischem Sprachgebrauch ein Handeln, das die Tora und ihren göttlichen Urheber coram publico verächtlich macht.11 Ohnehin ist die Halacha über die Todesstrafe vermutlich nicht der Ort, an dem der Gedanke der Sühnewirkung des eigenen Todes seinen Ursprung hat. Seine Wurzeln, die bis in die Zeit des Zweiten Tempels zurückreichen, sind zweifellos vielfältiger. Zwar scheint der gewaltsame Tod Tannaiten der 4. Generation, was historisch kaum zutreffen kann und daher zu einer gewissen Vorsicht auch gegenüber den talmudischen Zuschreibungen mahnt. 10 tYom 4(5),6–8 (Lieberman II, 251f.); yYom 8,8/1–3 (Schäfer/Becker II/1–4, 217); ySan 10,1/6–8 (Schäfer/Becker IV, 199); yShevu 1,9/6–8 (Schäfer/Becker IV, 230); bYom 86a; MekhY Baúodesh 7 zu Ex 20,7 (Horovitz/Rabin 228); ARN A 29 (Schechter 88); als Lehrautorität wird stets R. Jischmael genannt, ein Tannait der 2. Generation. Vgl. E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, FRLANT 64, Göttingen 21963, 33–37; S. SAFRAI, Der Versöhnungstag in Tempel und Synagoge, in: H. Heinz u.a. (Hgg.), Versöhnung in der jüdischen und christlichen Liturgie, QD 124, Freiburg u.a. 1990, 32–55, bes. 41–48; A. ADERET, From Destruction to Restoration. The Mode of Yavneh in Re-Establishment of the Jewish People, Jerusalem 21997, 158–170. 11 Wobei es sich nicht notwendig um Übertretungen konkreter Gebote handeln muß; vgl. z.B. yBQ 4,3/3 (Schäfer/Becker IV, 24); RutR 7,1 (11c). Vgl. H.G. FRIEDMAN, Kiddush Hashem and Hillul Hashem, HUCA 1 (1904), 193–214, 200: „acts which ... bring discredit upon Judaism“.

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die Hoffnung auf postmortales Heil in besonderer Weise an sich gezogen zu haben; schon Tacitus berichtet, die Juden hielten „die Seelen der durch Kampf oder Hinrichtung Getöteten für unsterblich.“12 Sachlich berührt sich der Gedanke aber auch mit der besonders in den Psalmen Salomos entwickelten Vorstellung, daß die Gerechten für ihre Übertretungen im diesseitigen Leben gezüchtigt werden (vgl. PsSal 13),13 mit der in den Makkabäerbüchern formulierten Überzeugung, daß der Tod der Märtyrer zur Rettung des unterdrückten Volkes führt (vgl. 2 Makk 7,32–38; 4 Makk 6,28f.; 17,20–22),14 und mit der an ganz verschiedenen Stellen ausgesprochenen Erwartung, daß am Heil der kommenden Welt alle Glieder des Volkes Israel Anteil haben.15 Denn das Ziel der Sühne durch den eigenen Tod kann nichts anderes sein als das eigene jenseitige Heil, und Vollzähligkeit wird erreicht, indem jedem und jeder einzelnen aus Israel dieses Sühnemittel gewährt wird.16 Teilaspekte aus dem erwähnten Schema R. Jischmaels finden sich wieder in einem Lehrsatz, den die Tosefta dem um eine Generation jüngeren Tannaiten R. Jehuda zuschreibt: „Der Tod und der Versöhnungstag sühnen in Verbindung mit Umkehr, Umkehr sühnt in Verbindung mit dem Tod, und der Tag des Todes (wirkt) wie Umkehr.“17 Ferner begegnet die Über12 Historiae V 5,3; s. dazu M. STERN, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, Bd. 2, Jerusalem 1980, 41f. 13 Weitere frühe Belege bei LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 29f. 14 Zum Motiv des Umschlagens des Zornes Gottes in erneute Zuwendung zu Israel vgl. D.R. SCHWARTZ, Divine Punishment in Second Maccabees: Vengeance, Abandonment or Loving Discipline?, in: U. Mittmann-Richert u.a. (Hgg.), Der Mensch vor Gott. Forschungen zum Menschenbild in Bibel, antikem Judentum und Koran (FS H. Lichtenberger), Neukirchen-Vluyn 2003, 109–116; J.W. VAN HENTEN, in diesem Band, S. 139– 168 [3.2.]; vgl. auch allgemein DERS., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People. A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ.S 57, Leiden u.a. 1997, 243–269. – LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 43, folgert aus 2 Makk 7,37f. und 4 Makk 6,28f., daß das „Sühnevotum ... mit Sicherheit bereits in vorchristlicher Zeit ein Bestandteil der jüdischen Hinrichtungsvorschrift gewesen“ sei. Das allerdings geht zu weit. Nicht nur fehlt an den beiden Makkabäer-Stellen jegliches Indiz, das auf einen halachischen Status des Bekenntnisses schließen lassen könnte; auch die Heilswirkung der Hinrichtung wird völlig anders bestimmt als in mSan 6,2: Erwirkt sie dort den Hingerichteten selbst Heil in der kommenden Welt, so erwirkt sie hier dem ganzen Volk Heil in der Gegenwart. 15 Vgl. TestSeb 9,8; TestBenj 10,11; Röm 11,26; Apk 7,4–8; mSan 10,1; s. dazu J.D.G. DUNN, Romans 9–16, WBC 38B, Dallas 1988, 681f.; K. HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 22002, 238, Anm. 11. 16 Wobei nur wenige besonders Unbußfertige ausgenommen bleiben; vgl. mSan 10,1 usw. 17 tYom 4(5),9 (Lieberman II, 25f.). Die erste der drei Aussagen erscheint auch in mYom 8,8, und zwar in anonymer Form. Die dritte Aussage ist problematisch, da sich ihr entnehmen läßt, daß der Todestag die Umkehr ersetzen, also auch ohne Umkehr Sühne bewirken kann, was den ersten beiden Aussagen widerspricht. Das Problem wird erörtert

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zeugung von der individuellen Sühnewirksamkeit des Todes in einigen anonymen Baraitot, die sich nur ungefähr in das 2. oder vielleicht frühe 3. Jahrhundert einordnen lassen: „Allen Toten wird durch den Tod Sühne gewirkt“, so heißt es lapidar in Sifre zu Num 15,31, worauf allerdings die Einschränkung folgt, daß dies nur für diejenigen gelte, die Umkehr getan haben.18 Die Mekhilta erweitert die letzte Stufe von R. Jischmaels Sühneschema um zwei zusätzliche Schriftbeweise: „... und es heißt: Die Sünde des Hauses Eli wird weder durch Schlachtopfer noch durch Speiseopfer gesühnt werden (1 Sam 3,14) – durch Schlachtopfer und durch Speiseopfer wird sie nicht gesühnt, gesühnt wird sie aber durch den Tod. Rabbi19 sagt: Ich könnte meinen, daß der Tag des Todes keine Sühne wirkt. Wenn es (aber) heißt: Wenn ich eure Gräber öffne (Ez 37,13), siehe, so hast du gelernt, daß der Tag des Todes Sühne wirkt.“20 Und schließlich findet sich in der Tosefta das folgende Gebet für den Eintritt in ein Badehaus: „Es sei Wille vor dir, Herr, mein Gott, daß du mich in Frieden eintreten und in Frieden herauskommen lassest und mir kein Unglück zustoße. Und wenn mir, Gott bewahre, ein Unglück zustoßen sollte, sei mein Tod eine Sühne für alle meine Sünden. Und rette mich aus diesem und derartigem in künftiger Zeit!“21 Worte, wie sie nach mSan 6,2 ein zum Tode Verurteilter sprechen soll, erscheinen hier als Ausdruck einer ganz alltäglichen Frömmigkeit.

3. Heil durch Suizid Verwandt mit der Vorstellung von der Sühnewirkung des eigenen Todes ist das Motiv der göttlichen Heilszusage für Menschen, die aus Scham, Zerknirschung oder anderen edlen Beweggründen den Freitod suchen. In der folgenden kleinen Erzählung über die Trauerfeierlichkeiten für Rabbi in yYom 8,6/6 (Schäfer/Becker II/1–4, 217) und yShevu 1,9/5 (Schäfer/Becker VI, 230); die These von der Unabhängigkeit der Sühnewirkung des Todes bzw. auch des Versöhnungstages wird dabei als Sondermeinung Rabbis zitiert. 18 SifBam 112 (Horovitz 121). 19 Der kurze Ehrentitel des Patriarchen R. Jehuda ha-Nasi. 20 MekhY Baúodesh 7 zu Ex 20,7 (Horovitz/Rabin 228). 21 tBer 6(7),17 (Lieberman I, 38). Die Befürchtung, im Badehaus zu Tode zu kommen, ist durch Brand- und Einsturzgefahr bedingt; vgl. E. LOHSE, in: Die Tosefta, Seder I: Zeraim, 1.1: Berakot – Pea, übers. u. erkl. v. E. Lohse/G. Mayer, Stuttgart u.a. 1999, 98, Anm. 131, z.St., sowie die Parallelüberlieferung in yBer 9,6/6 (Schäfer/Becker I/1–2, 249): „Es sei Wille vor dir, Herr, mein Gott und Gott meiner Väter, daß du mich errettest vor Feuersbrunst und Schaden durch heißes Wasser und Einsturz und meiner Seele kein Unglück zustoße. Und wenn es (mir) zustoßen sollte, sei mein Tod eine Sühne für alle meine Sünden ...“

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Jehuda ha-Nasi kommt der Grundgedanke dieses Motivs besonders klar zum Ausdruck:22 Ein Wunder geschah an jenem Tag: Es war am Rüsttag des Sabbats, und alle Ortschaften kamen zu seiner Trauerfeier zusammen, und man unterbrach (seinen Trauerzug) zu achtzehn Versammlungen und brachte ihn (dann) hinab nach Bet Sharje.23 Der Tag aber hielt für sie inne, bis ein jeder nach Hause gekehrt war und ein Faß Wasser gefüllt und sich die (Sabbat-)Kerze angezündet hatte. Als die Sonne unterging, schrie der Hahn. Sie begannen sich zu sorgen und sprachen: „Haben wir vielleicht den Sabbat entweiht?“ (Da) ging eine Echostimme 24 aus und sprach zu ihnen: „Jeder, der sich nicht von der Trauerfeier für Rabbi25 ferngehalten hat, empfange frohe Botschaft zum26 Leben der kommenden Welt; nur nicht der Wäscher!“ Als (dieser) das hörte, stieg er aufs Dach und stürzte sich hinab und starb. (Da) ging eine Echostimme aus und sprach: „Ja, selbst der Wäscher!“

Der Wäscher,27 so muß man zwischen den Zeilen lesen, hat an dem Leichenzug nicht teilgenommen,28 sondern den wundersam verlängerten Freitag zur Arbeit genutzt, und als er nun hört, daß er deshalb vom Heil ausgeschlossen werden soll, packt ihn Verzweiflung. Aber der Himmel läßt sich umstimmen; der Sturz vom Dach29 erwirkt, daß ihm das Leben der kommenden Welt gesichert bleibt. Ob Reue im Spiel ist – was die oben besprochene Sühnetheorie des R. Jischmael erwarten ließe –, bleibt offen. Die Motivationslage des Mannes ist eine Leerstelle, die der Text seinem Lesepublikum zu füllen überläßt, sei es mit Zerknirschung, sei es mit der Wut der Enttäuschung. Man könnte sich sogar vorstellen, daß der Wäscher an seinen Sturz bereits die Hoffnung auf Begnadigung knüpft.

22 yKil 9,4/8 (Schäfer/Becker I/3–5, 190f.); fast identisch yKet 12,3/8 (Schäfer/ Becker III, 229); ähnlich bKet 103b; QohR 7 zu Eccl 7,11 (20b); QohR 9 zu Eccl 9,10 (24c–d). 23 Zur Übersetzung vgl. M. JASTROW, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature, London/New York 1903, Ndr. o.O. u. J., 649 s.v. av;ynK und 1631 s.v. yyEr v'. 24 lwq tb, wörtlich „Tochter einer Stimme“, ein göttliches Offenbarungsmedium; vgl. P. KUHN, Offenbarungsstimmen im Antiken Judentum. Untersuchungen zur Bat Qol und verwandten Phänomenen, TSAJ 20, Tübingen 1989, passim. 25 Siehe Anm. 19. 26 yyjl, so in Hss. Paris und London; Hss. Leiden und Vatikan: yyjm, „vom Leben“. 27 arxq, vielleicht auch ein Eigenname, so J ASTROW, Dictionary (s. Anm. 23), 1408, s.v. 28 So explizit in bKet 103b, wo allerdings von einem verzögerten Sabbatbeginn keine Rede ist, so daß die Zusage der Teilhabe an der kommenden Welt lediglich (und sachlich nicht ganz überzeugend) durch die Teilnahme an den Begräbnisfeiern motiviert erscheint. 29 Eine in der rabbinischen Literatur und auch sonst in der Antike häufig erwähnte Form der Selbsttötung; vgl. unten Anm. 34 und 35; ferner EkhaR 1 zu Thr 1,16 (Buber 43a: Suizid der Mutter der sieben Brüder); 2 Makk 14,43; Josephus, Bell I 593; Ant XVII 71; Seneca, Ep 4,4 (Rosenbach III, 16f., neben Selbstmord durch Strang und Dolch); auch Mt 4,6.

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Ausdrücklich als Sühnetat wird in den Pirqe de-Rabbi Eliezer, einem frühmittelalterlichen Haggadawerk,30 der Selbstmord Sauls erklärt. Bei der Totenbeschwörerin von Endor habe ihm der aus der Unterwelt aufgestiegene Samuel empfohlen: „Wenn du auf meinen Rat hörst, dich ins Schwert zu stürzen, wird dein Tod eine Sühne für dich sein und dein Los bei mir an dem Ort, an dem ich weile.“31 Die exegetische Grundlage dieser haggadischen Ausgestaltung der biblischen Erzählung findet sich in 1 Sam 28,19, wo Samuel dem todgeweihten König ankündigt, er werde morgen mit seinen Söhnen bei ihm sein. Was aber der Bibeltext als Botschaft des Unheils erscheinen läßt, wandelt der Midrasch in einen Ausblick auf Heil: Saul empfängt seinen „Anteil mit Samuel“ für die kommende Welt. Von einem Massensuizid mit dem erklärten Ziel postmortalen Heils handelt eine Erzählung in Ekha Rabbati, die im jüdisch-römischen Kriege spielt. Vespasian, so heißt es, habe drei Schiffe mit vornehmen jüdischen Männern und Frauen beladen lassen, um sie nach Rom in die Prostitution zu verkaufen. Unerträgliche Schande vor Augen, überlegen die Gefangenen gemeinsam, wie sie diesem Schicksal entgehen können: Sagt, wenn wir uns selbst ins Meer stürzen, haben wir dann Teil an der kommenden Welt? – Der Heilige, gepriesen sei er, erleuchtete ihre Augen mit diesem Vers: Der Herr sprach Von Basan werde ich sie zurückholen, ich werde sie zurückholen aus den Tiefen des Meeres (Ps 68,23). Das erste Schiff sprach: Wenn wir den Namen unseres Gottes vergäßen und unsere Hände zu einem fremden Gott ausbreiteten ... (Ps 44,21), und stürzte sich ins Meer. Das zweite sprach: ... würde Gott dies nicht erforschen? Denn er kennt die Geheimnisse des Herzens ... (Ps 44,22), und stürzte sich ins Meer. Das dritte sprach: ... denn um deinetwillen wurden wir erschlagen den ganzen Tag, wurden wir gerechnet wie Schlachtschafe (Ps 44,23), und stürzte sich ins Meer. Der heilige Geist aber schreit auf und spricht: Darüber weine ich (Thr 1,16).32

Anders als nach der Trauerfeier für Rabbi sorgt hier keine Himmelsstimme für abschließende Gewißheit über die Teilhabe am ewigen Leben. Es gibt weitere rabbinische Traditionsstücke, die den Selbstmord aus Verzweiflung überhaupt nicht durch einen Ausblick auf postmortales Heil kompensieren:33 Nachdem der Tempel von den feindlichen Eroberern in Brand 30 STEMBERGER , Einleitung (s. Anm. 9), 322, rechnet mit einer Entstehung dieses Werks im 8. oder 9. Jahrhundert. 31 PRE 33 (ed. Jerusalem 1973, S. 116). 32 EkhaR 1,45 zu Thr 1,16 (Buber 41b); ähnlich in bGit 57b. 33 Die seit dem Mittelalter dominierende jüdische Auffassung, wonach Suizid definitiv zum Ausschluß vom Leben in der kommenden Welt führt, ist allerdings in der antiken rabbinischen Literatur noch nicht belegt; vgl. M.B. SHAPIRO, Suicide and the World-tocome, Association for Jewish Studies Review 18 (1993), 245–263, bes. 245. BerR 34,13 zu Gen 9,5 (Theodor/Albeck 324) rechnet zu den Blutvergießern, denen Gott Rache androht, ausdrücklich auch „den, der sich selbst stranguliert“, nimmt aber Suizidfälle „wie Saul“ anschließend aus und spezifiziert auch nicht, worin die Strafe besteht. Zur Sühnewirkung von Sauls Selbstmord s. oben Anm. 31.

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gesteckt wurde, stürzen sich die Priester in die Flammen und verbrennen, ohne daß der Himmel tröstend reagiert.34 Als sich ein jüdisches Mädchen vom Dach in den Tod stürzt, weil sein Vater es einem Heiden zur Frau geben will, beschränkt sich die Himmelsstimme darauf, klagend Num 23,10 zu zitieren: „(Wer zählt den Staub Jakobs und) wer zählt das Lager Israels?“35 Das Stück über die Gefangenen auf den Schiffen Vespasians verzichtet allerdings nicht auf die Perspektive jenseitigen Heils. Es läßt den Opfern und seinem Lesepublikum gottgewirkte Erleuchtung durch einen Bibeltext zuteil werden, dessen Bedeutung in diesem Kontext eindeutig und der an Beweiskraft einer Himmelsstimme sicherlich nicht unterlegen ist. Nur ist dies nicht die Pointe, auf die das Stück hinausläuft; der Schlußton liegt vielmehr auf einem Ruf der Klage. Das entspricht einer auch sonst in Ekha Rabbati spürbaren Tendenz, Erfahrungen von Unheil, Schmerz und Verlassenheit bestehen zu lassen, statt sie durch begütigende Ausblicke zu nivellieren.36 Eigenartig ambivalent ist der Zuspruch des ewigen Lebens an den Selbstmörder auch in der folgenden Erzählung kontextualisiert, die ebenfalls ein Stück Erinnerung37 an die Kriege gegen Rom aufleben läßt:38 Als der Frevler Tyrannus Rufus den Tempel zerstörte, wurde über Rabban Gamliel der Beschluß zur Hinrichtung gefaßt. Da kam jener Statthalter39 und stellte sich ins Lehrhaus 34

Bezogen auf die Zerstörung durch die Babylonier: bTaan 29a; Targum Est 1,3 (Sperber IVa, 179 unten; ebenso Targum Sheni Est 1,2); PesR 26 (Friedmann 131a: Priester, Leviten und die Weberinnen der Tempelvorhänge); bezogen auf die Zerstörung durch die Römer: ARN B 7 (Schechter 21f.). Jünglinge bzw. vornehme Judäer stürzen sich nach der Unterwerfung durch Nebukadnezar von ihren eigenen Dächern: WaR 19,6 (Margulies 437); ySheq 6,3/6 (Schäfer/Becker II/5–12, 128f.). Zum überlieferungsgeschichtlichen Hintergrund vgl. D. GOODBLATT, Suicide in the Sanctuary, JJS 46 (1995), 10–29. 35 SER 19 (Friedmann 116); Yalq I § 766 zu Num 23,10 (fol. 226a); zum rabbinischen Verständnis von Num 23,10b vgl. J. LEVY, Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim, Ndr. Darmstadt 1963, Bd. IV, 418, s.v. h[;ybr 3. – Vgl. auch SifZ zu Num 19,2 (Horovitz 301): Ein Nichtjude, der eine rote Kuh besitzt, legt ihr ein Joch auf und macht sie dadurch rituell untauglich, so daß ihm ein Geschäft von 1000 Golddenaren entgeht; daraufhin stürzt er sich vom Dach und stirbt, was nicht weiter kommentiert wird. 36 Vgl. D.M. STERN, Parables in Midrash. Narrative and Exegesis in Rabbinic Literature, Cambridge, Mass. 1991, passim; Beispiele auch in AVEMARIE, Tora (s. Anm. 4), 565–570. 37 Allerdings eine anachronistische Erinnerung; die Zerstörung Jerusalems wird hier mit Tineius Rufus in Verbindung gebracht, der zur Zeit des Bar-Kochba-Aufstands Statthalter in Judäa war. 38 bTaan 29a. 39 ÷wmgh wtwa ab, mit Hss. München 95 und 140 („b“) und weiteren Textzeugen; hJgemwvn ist gleichbedeutend mit legatus (Augusti pro praetore), dem Titel der Statthalter der provincia Iudaea seit 70 n. Chr.; im mittelalterlichen Hebräisch geht die Bedeutung von ÷wmgh jedoch auf „Bischof“ über, weshalb in der Baseler Ausgabe 1578–80, der hier

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und sagte: „Herr Nase wird gesucht,40 Herr Nase wird gesucht!“ (Das) hörte Rabban Gamliel, ging weg und verbarg sich vor ihm. Er kam heimlich zu ihm (und) sagte zu ihm: „Wenn ich dich rette, bringst du mich in die kommende Welt?“41 Er antwortete: „Ja.“ Er sagte: „Schwöre mir!“ Er schwor ihm. (Da) stieg er aufs Dach, stürzte hinab und starb. Es ist aber eine Tradition, daß sie, wenn sie einen Beschluß fassen und einer von ihnen stirbt, dessen Beschlüsse aufheben. Eine Echostimme ging aus und sprach: „Dieser Statthalter ist bestimmt 42 zum Leben der kommenden Welt!“

Auch hier verbindet sich der Freitod mit dem Kalkül des Heilsgewinns, und zwar, wie die abschließende Himmelsstimme bekundet, mit vollem Erfolg. Zugleich wird durch dieses Selbstopfer der Tod eines anderen Menschen verhindert, der Tod führt also gleich zweifach zum Leben. Allerdings geraten dadurch sowohl die soteriologische Wertehierarchie als auch das narrative Ziel dieses Textes in eine merkwürdige Schwebe.43 Denn wenn das Verhalten des römischen Überläufers beweist, daß das Leben der kommenden Welt begehrenswerter als das gegenwärtige ist, warum weicht Rabban Gamliel dann aus, statt das Todesurteil auf sich zu nehmen? Läßt, so besehen, der Edelmut des Römers nicht die Haltung des jüdischen Patriarchen als Feigheit und Mangel an Gottvertrauen erscheinen? Auch wenn der Text das nicht ausspricht, so scheint es doch nicht ausgeschlossen, daß er unterschwellig auf derartiges abzielt. Als Nebenmotiv begegnet der edle, mit ewigem Leben vergoltene Suizid ferner in einzelnen rabbinischen Märtyrerlegenden, so in denen über Jose ben Joezer und über R. Chanina ben Teradion. Auf sie kommen wir im nächsten Abschnitt zu sprechen.44

die Wilnaer Ausgabe folgt, für ÷wmgh wtwa durch Zensur dja ÷wda („ein Herr“) eingesetzt wurde; so R. RABBINOVICZ, Variae lectiones in Mischnam et in Talmud Babylonicum (Sefer Diqduqe Soferim), pars III, tract. Sukah et Taanith, München 1870, 178, Anm. d. 40 oqbtm µfwjh l[b, „der Herr der Nase wird gesucht“; lateinisch müßte das etwa quaeritur dominus nasi lauten und ergäbe damit eine Anspielung auf den Titel ayon; vgl. die gängigen Talmudübersetzungen sowie A. MARMORSTEIN, La participation à la vie éternelle dans la théologie rabbinique et dans la légende, REJ 89 (1930), 305–320, hier 316, Anm. 1. 41 Vgl. den Vorschlag des Henkers in bAZ 18a (s. unten Anm. 56). 42 ÷qwtm ÷wmgh wtwa, so in Hss. München 95 und 140 („b“) und weiteren Textzeugen; ed. Wilna liest ÷mwzm hz ÷wda („dieser Herr ist bestellt“); vgl. RABBINOVICZ, Diqduqe Soferim, pars III (s. Anm. 39), 179, Anm. j. 43 Eine ähnliche Ambivalenz herrscht in der Erzählung von R. Chanina ben Teradion (der den Märtyrertod erleidet) und R. Elazar ben Perata (der durch eigene Schläue und göttliche Wunderhilfe dem Märtyrertod entgeht) in bAZ 17b (Hinweis von J.W. van Henten). 44 Siehe unten Anm. 57 und 63.

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4. Heilsperspektiven in frühen Märtyrerlegenden Die Märtyrer45 der Makkabäerbücher bewirken durch ihren Tod, daß Gottes Zorn gegen Israel erlischt und Gott sich seinem Volk wieder heilvoll zuwendet; die Heilswirkung ihres Todes ist also kollektiv (2 Makk 7,37f.; 4 Makk 6,28f.; 17,20–22). In den Märtyrerlegenden der tannaitischen und frühen amoräischen Überlieferung tritt dieser Gedanke zurück.46 Die meisten dieser kleinen, quer durch die rabbinischen Literaturwerke verstreuten Erzählstücke setzen dem bestürzenden Faktum des Todes zwar ebenfalls den tröstlichen Ausblick auf nachfolgendes Heil entgegen; gewöhnlich geht es dabei aber um den unschuldig Gemordeten selbst, um seinen Anteil am Leben der kommenden Welt, allenfalls noch um unmittelbar am Geschehen beteiligte Personen. Um das Heil des ganzen Volkes geht es nicht. Als R. Aqiva unter den „eisernen Kämmen“47 der Folterknechte seine Seele aushaucht, protestieren die Dienstengel vor Gott: „Das ist die Tora, und das ist ihr Lohn?!“ Worauf Gott durch eine Echostimme verkünden läßt: „Wohl dir, Rabbi Aqiva, denn du bist bestimmt zum Leben der kommenden Welt!“48 Als man nach der Hinrichtung der sieben Brüder, die sich

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Wie eng oder weit der Begriff „Märtyrer“ wissenschaftlich definiert werden sollte, ist umstritten; vgl. D. BOYARIN, Dying for God. Martyrdom and the Making of Judaism and Christianity, Stanford 1999, 93–96; A.M. SCHWEMER, Zeuge und Märtyrer. Zur Entstehung des Märtyrerbegriffs im frühesten Christentum, ZThK 96 (1999), 320–350; W. W ISCHMEYER, Art. Märtyrer II: Alte Kirche, RGG4, Bd. 5 (2002), 862–865; J.W. VAN HENTEN/F. AVEMARIE, Martyrdom and Noble Death. Selected Texts from GraecoRoman, Jewish and Christian Antiquity, London 2002, 2–5. Im folgenden sei von dieser Diskussion abgesehen und der Einfachheit halber unter einem jüdischen Märtyrer ein Mensch jüdischen Bekenntnisses verstanden, der von nichtjüdischen Menschen aus Feindschaft gegen das Judentum hingerichtet wird (und zwar unabhängig davon, ob ihm angeboten wird oder nicht, durch Apostasie sein Leben zu retten, denn in den meisten rabbinischen Märtyrerlegenden wird ein solches Angebot nicht erwähnt.) 46 Vgl. schon H.-W. SURKAU, Martyrien in jüdischer und frühchristlicher Zeit, FRLANT 54, Göttingen 1938, 69: „In keinem Martyrium [sc. der frühen rabbinischen Literatur] findet sich mehr der Gedanke, daß der Märtyrertod Sühnetod für das Volk ist.“ Für die diversen Einzeltraditionen über nachbiblische Märtyrer trifft das jedenfalls zu. In allgemeinerer Form ist der Gedanke einer heilswirksamen Stellvertretung durch den Märtyrertod in talmudischer Zeit allerdings belegt; s. unten Anm. 66 und passim. 47 Diese Folterinstrumente dienten dazu, das Fleisch zu zerreißen; vgl. J. V ERGOTE , Art. Folterwerkzeuge, RAC 8 (1972), 112–141, bes. 122 (das Aufreißen der Haut mit eisernen Haken gehörte in Rom zur Folter auf dem eculeus, der Folterbank; mit Hinweis auf Seneca, Ep 14,5 u.a.) und 128 (zu 4 Makk 9,26). Vgl. auch unten Anm. 66. 48 bBer 61b. Die Theodizeefrage in Form des Protestschreis „Das ist die Tora, und das ist ihr Lohn?!“ begegnet auch in bMen 29b und yHag 2,1/25 (Schäfer/Becker II/5–12, 322); vgl. A. GOLDBERG, Das Martyrium des Rabbi Aqiva. Zur Komposition einer

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geweigert hatten, Götzendienst zu treiben, endlich auch ihre Mutter, Miriam bat Tanchum, erschlägt, spricht „der Heilige, gepriesen sei er: In der Zeit, die kommt, bereite ich ihr Freude mit ihren Söhnen, (wie es heißt): eine fröhliche Mutter von Söhnen (Ps 113,9).“49 Als man R. Chanina ben Teradion in seine Torarolle gewickelt auf den Scheiterhaufen führt, bricht seine Tochter in die gleiche Klage aus wie die Dienstengel beim Tod R. Aqivas. Die Antwort legt diese Erzählung dem Märtyrer selbst in den Mund: „Meine Tochter, falls du meinetwegen weinst und dich meinetwegen zu Boden wirfst, (so wisse,) es verzehrt mich besser ein Feuer, das angefacht wurde, als ein Feuer, das nicht angefacht wurde (sc. das Höllenfeuer)...“50 Die himmlische oder auch menschliche Stimme, die diese Legenden mit der Gewißheit der Teilhabe am ewigen Leben ausklingen läßt,51 ist ein Topos.52 Er nimmt die sachlich ja naheliegende Theodizeefrage auf und beantwortet sie, indem er das unschuldige Leiden der Märtyrer in einen größeren Zusammenhang einordnet, wo Gut und Böse, Recht und Unrecht, Lohn und Strafe wieder in ihr gewohntes Gleichgewicht einpendeln, so daß das Lesepublikum beruhigt aus dem Erzählgeschehen entlassen werden kann. Topos ist dieser Ausblick auf das Heil der kommenden Welt so sehr, daß er selbst in einer Geschichte erscheinen kann, der er genaugenommen die theologische Pointe raubt, nämlich in dem erwähnten Martyrium des R. Aqiva nach der Fassung des Talmud Bavli. Die Pointe liegt darin, daß R. Aqiva seinen Tod als Hingabe seines Lebens an Gott und damit als die von ihm seit langem ersehnte Erfüllung des Gebotes der Gottesliebe begreift.53 Dem entspricht das Gleichnis von den Fischen, mit dem er zuvor seinen Boykott des Tora-Verbots der Unterdrücker begründet hatte: Wie Fische nicht vor den Netzen der Menschen aufs Trockene flüchten, weil sie nur im Wasser leben können, so kann auch Märtyrererzählung (bBer 61b), in: Ders., Mystik und Theologie des rabbinischen Judentums, GSt I, TSAJ 61, Tübingen 1997, 351–412, 397f. 49 PesR 43 (Friedmann 180b). 50 Semaúot 8,12 (Higger 158f.); den Schriftbeweis liefert Hiob 20,26. – Eine weitere, gewissermaßen negative Variante des Heilszuspruchs an den Märtyrer findet sich in MekhY MishpaÃim 18 (Horovitz/Rabin 313): Aus dem zuvor berichteten Martyrium R. Jischmaels und R. Schimons schließt R. Aqiva, großes Unheil stehe Israel bevor, denn der unverdiente Tod jener beiden vorbildlichen Gerechten lasse sich nur damit erklären, daß Gott sie vor noch größerem Unheil bewahren wollte. 51 Vergleichbar ist auch Sifra Aúare, Pereq 13,14, zu Lev 18,5 (Weiss 86b): Im Anschluß an eine kurze Rekapitulation der Erzählung von Dan 3 wird hier der Ausblick auf das postmortale Heil („...heute mache ich bei ihnen die Toten lebendig...“) in Form einer allegorischen Auslegung von Cant 7,8f. geboten. 52 So auch GOLDBERG, Martyrium (s. Anm. 48), 396f.; P. LENHARDT/P. VON DER OSTEN-SACKEN, Rabbi Akiva. Text und Interpretationen zum rabbinischen Judentum und Neuen Testament, ANTZ 1, Berlin 1987, 52f. 53 Die exegetische Grundlage liefert der Ausdruck ûopn lkb in Dtn 6,5; vgl. unten Abs. 5.

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Israel von der Tora nicht lassen, weil sie nach Dtn 30,20 „dein Leben und die Länge deiner Tage“ ist. Weil nur das Leben mit der Tora es verdient, Leben genannt zu werden, ist R. Aqivas Foltertod mit den Worten des Höre-Israel auf den Lippen der bis zum Ende konsequente Vollzug dieses Lebens, die ultimative Erfahrung von Heil. – Warum aber protestieren dann die Engel, daß dies nicht der Lohn der Tora sein könne? Die Parallelversion der Erzählung im Talmud Yerushalmi 54 verzichtet auf den Epilog im Himmel und die heilverkündende Echostimme. Sie scheint damit literarisch und theologisch im Recht zu sein.55

In einigen der frühen Märtyrererzählungen erfährt der abschließende Ausblick auf das postmortale Heil charakteristische szenische Erweiterungen. Eine der Versionen vom Ende des R. Chanina ben Teradion erzählt, wie der Henker dem Todgeweihten auf dem Scheiterhaufen anbietet, das Feuer zu schüren, die schützenden Wollpolster von seinem Körper zu entfernen und damit sein Leiden zu verkürzen, um den Preis, daß ihm der Rabbi Eingang in die kommende Welt verschaffe.56 Dieser willigt ein, und als er stirbt, stürzt sich der Henker auch selbst in die Flammen. Da „ging eine Himmels-stimme aus und sprach: R. Chanina ben Teradion und der Henker sind bestimmt zum Leben der kommenden Welt!“57 Eindrucksvoller läßt sich die Gewißheit des künftigen Heils im Angesicht des Todes kaum in Szene setzen. Sie ist so überwältigend, daß sie selbst den Henker überzeugt, der hier das feindliche Reich verkörpert. Die Erzählung endet nicht, ohne aus diesem Geschehen noch eine Lehre zu ziehen: „Manch einer erwirbt seine Welt in einer einzigen Stunde, manch einer aber erwirbt seine Welt in wie vielen Jahren!“58 Eine weitere Variante des Martyriums des R. Chanina ben Teradion endet damit, daß ein als „Philosoph“ eingeführter nichtjüdischer Sympathisant, vielleicht ein Christ, den römischen Statthalter belehrt, er solle sich nicht einbilden, mit der Verbrennung der Torarolle des Verurteilten mehr erreicht zu haben, als daß sie zu ihrem himmlischen Vater zurückkehre. Der Statthalter verurteilt ihn daraufhin zum gleichen Tod, er aber entgegnet siegessicher: „Du hast mir frohe Botschaft (hbwf hrwob) verkündet,

54 yBer 9,7/8 (Schäfer/Becker I/1–2, 250f.); ySot 5,7/6 (Schäfer/Becker III, 113f.); s. unten Abs. 5. 55 Die sachliche Überschüssigkeit des Theodizeemotivs wurde überzeugend aufgewiesen von B OYARIN, Dying for God (s. Anm. 45), 106. 56 Vgl. das Angebot des römischen Überläufers an Rabban Gamliel in bTaan 29a (s. oben Anm. 41). 57 bAZ 18a; ähnlich in Handschriften zu Kalla 23 (Higger 161–163). 58 bAZ 18a. Der gleiche Satz beschließt die Geschichte von Ende des Qetia ben Schalom, der auf dem Wege zu seiner Hinrichtung noch zum Judentum übertrat, indem er sich die Vorhaut abschnitt, bAZ 10b.

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denn morgen werde ich mit ihnen59 Anteil haben an der kommenden Welt.“60 Jose ben Joezer, eine der legendären Gestalten der rabbinischen Frühzeit,61 wird, als man ihn ans Kreuz schlägt, von seinem Neffen Jaqim wegen seines Gottvertrauens verhöhnt. Als ihm Jose aber klarmacht, um wieviel entsetzlicher das Schicksal sein werde, das ihn, Jaqim, erwarte, wird der Spötter derart von Reue gepackt, daß er alle vier Arten der Todesstrafe, die das rabbinische Recht kennt,62 gleichzeitig an sich selbst vollstreckt. Der Onkel, dem am Kreuz schon die Sinne schwinden, schaut daraufhin in einer Vision eine Bahre, auf der Jaqim in die Luft entschwebt, und stellt verwundert fest: „Um eine knappe Stunde ist mir dieser in den Garten Eden vorausgeeilt!“63 In solchen Erzählsequenzen wird der Märtyrertod in gewisser Weise zum Heilstod auch für andere – freilich nicht, indem er wie in den Makkabäerbüchern Gottes Zorn beschwichtigt, sondern indem er sein Publikum überwältigt und zur Buße treibt, vor allem diejenigen unter den Zuschauenden, denen nicht ohnehin als Israeliten der Weg in die kommende Welt offensteht: dem nichtjüdischen „Philosophen“, dem Spötter und dem Henker. Semen est sanguis, das Blut ein Same – das berühmte Wort Tertullians64 gilt im Grunde auch hier. E. Lohse hat in seiner Untersuchung „Märtyrer und Gottesknecht“ auf einige Texte hingewiesen, die seiner Ansicht nach zeigen, daß die Rabbinen vereinzelt „dem Tod der Märtyrer“ auch eine überindividuelle, „stellvertretende Sühnkraft“ zuschrieben.65 Aufschlußreich ist vor allem ein Stück aus Bereshit Rabba.66 Es assoziiert den wohlgefälligen Duft, den 59 Gemeint sind der Rabbi und seine Ehefrau, die nach dieser Version mit ihm zum Tod verurteilt wurde. 60 SifDev 307 (Finkelstein 346). 61 Vgl. mAv 1,4. 62 Tod durch Strang (an dem sich Jaqim herabstürzt), Feuer (in das er hineinstürzt), Schwert (das er vor sich aufgepflanzt hat) und Steinigung (durch eine über ihm zusammenbrechende Mauer). 63 BerR 65,22 (Theodor/Albeck 742–744). Daß durch den Vollzug der Todesstrafe die Teilhabe am Leben der kommenden Welt gesichert wird, entspricht der Lehre von mSan 6,2 (s. oben Anm. 6). 64 Apologeticum 50,13 (Becker 222). 65 LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 75. 66 BerR 34,9, zu Gen 8,21 (Theodor/Albeck 319). Die übrigen von Lohse angeführten Belege sind entweder sachlich nicht relevant oder mittelalterlichen Ursprungs oder beides: Nach ShirR 7,9 (38a–c) fiel der Tag, an dem Chananja, Mischael und Asarja in den Feuerofen geworfen wurden, auf einen Sabbat, der gleichzeitig ein Versöhnungstag war. Die Gemeinsamkeit von Sabbat und Versöhnungstag liegt in dem strikten Arbeitsverbot; die Datierung verweist also nicht auf den Sühnegedanken, sondern auf menschliche Passivität, die dem Handeln Gottes Raum gibt, und tatsächlich wird im Kontext weniger die

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nach Gen 8,21 das Opfer Noahs verströmte, synchronisierend mit dem „Duft unseres Vaters Abraham, der aus dem feurigen Ofen emporstieg“,67 dem „Duft Chananjas, Mischaels und Asarjas, die aus dem feurigen Ofen emporstiegen“,68 und dem „Duft des Geschlechts der Religionsverfolgung“ und erläutert abschließend Gottes Reaktion anhand von Ps 24,2.6: „Denn er hat ihn (sc. den Erdkreis) auf Wasser gegründet usw. (V. 2), weswegen? Deswegen: Das ist das Geschlecht derer, die nach ihm fragen, die dein Angesicht suchen, Jakob, sela (V. 6).“ Daß Israels Glaubenszeugen für ihr Bekenntnis zu Gott mit ihrem Leben eintreten, erklärt der Midrasch damit zur Ursache für den Bestand der Welt. Mit der „Religionsverfolgung“ (dmo) ist vermutlich die hadrianische gemeint,69 in der R. Chanina ben Leidensbereitschaft der drei Märtyrer als vielmehr Gottes wunderhaftes Rettungshandeln herausgestellt. – In AgBer 56 (Buber 115) werden die roten, braunen und weißen Pferde von Sach 1,8 auf die römischen Kaiser gedeutet, die (1.) das Gold lieben und (2.) „die Leiber der Israeliten kämmen (÷yqrsm, zu µyqwro in Sach 1,8) und ihren Besitz nehmen“, und zwar (3.), „um (ydk) Israels Sünden weiß zu machen.“ Letzteres ist ein geläufiger Ausdruck für die Tilgung von Schuld, vgl. Jes 1,18; SifDev 6 (Finkelstein 15) u.ö., und das Kämmen der Leiber erinnert an das Martyrium R. Aqivas (s. Anm. 47). Doch wird die sündentilgende Wirkung nicht nur der physischen Gewalt, sondern auch der materiellen Ausbeutung und nicht nur dem Schicksal einzelner, sondern der Unterdrückung Israels im ganzen zugeschrieben. – In BamR 12,12 (49a; s. unten bei Anm. 116) heißt es, Metatron opfere auf einem himmlischen Altar „die Seelen der Gerechten, um für Israel in den Tagen ihres Exils Sühne zu wirken“; die Opferung von Seelen auf einem himmlischen Altar ist freilich kein Märtyrertod; vgl. unten S. 197f. – Am ehesten legt den Gedanken an einen stellvertretenden Sühnetod MMish 9,2 (Buber 31b) mit der Datierung des Martyriums R. Aqivas auf einen Versöhnungstag nahe, wenngleich subtilere Bedeutungen nicht ausgeschlossen scheinen (vgl. die Deutung des Martyriums R. Aqivas als unmittelbare Heilserfahrung in yBer 9,7/8, unten bei Anm. 91); allerdings findet sich diese Datierung erst in der Venediger Ausgabe von 1546; ältere Textzeugen lesen „am Vorabend eines Festtages“ oder „am Vorabend eines Versöhnungstages“, vgl. ed. Buber, Apparat z.St. – MMish stammt aus dem 7./8. oder 9./10., AgBer aus dem 10., ShirR aus dem 6. Jahrhundert, und die Entstehung von BamR erstreckt sich vom 9. bis zum 12. Jahrhundert; vgl. STEMBERGER, Einleitung (s. Anm. 9), 305f., 309, 317. 67 Vorausgesetzt ist die haggadische Deutung von „Ur Chasdim“ Gen 11,28.31 und 15,7 auf einen feurigen Ofen, in den Abraham von Terach geworfen worden sei, nachdem er sich von dessen Götzen zu dem einen und wahren Gott bekehrt hatte; vgl. BerR 38,13 (Theodor/Albeck, 361–364); auch LAB 6. 68 Sachlich richtiger wäre statt ÷ylw[ wohl mit Hss. Paris und Stuttgart sowie dem Yalqut hlw[ zu lesen: „der aus dem feurigen Ofen emporstieg“; vgl. a.a.O., Apparat z.St. 69 An einen umfassenderen Begriff von Religionsverfolgung denkt P. EGGER , Verdienste vor Gott? Der Begriff zekhut im rabbinischen Genesiskommentar Bereshit Rabba, NTOA 43, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 2000, 218 (Lit.). Doch wenn sich etwa in ShirR 2,7 (16b) R. Chijja bar Abba eindeutig als nicht dem „Geschlecht der Religionsverfolgung“ zugehörig betrachtet, so impliziert dies zumindest, daß dmo nach rabbinischem Verständnis keinen Dauerzustand bezeichnet. Wie bSan 14a zeigt, beruht dmo auf einem kontingenten Beschluß der feindlichen Besatzungsmacht.

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Teradion, R. Aqiva und andere den Tod fanden. Abraham und die drei Jünglinge aus Dan 3 kamen in ihren Feueröfen freilich nicht ums Leben, sondern wurden gerettet; Heilswirksamkeit wird also nicht erst dem vollzogenen Märtyrertod zugeschrieben, sondern auch schon der Bereitschaft dazu. Lohse verstand dieses Heilswirken näherhin als Sühne;70 damit aber wird der Midrasch überfrachtet, denn er spricht nicht von Sühne, noch erinnert er an die Sündenschuld, die die Sintflut veranlaßt hatte. Der Erhalt der Welt ist hier doch mehr und anderes als eine Sündentilgung. Angemessener scheint der Begriff der Stellvertretung, zumindest in dem sehr allgemeinen Sinne, daß das Eintreten einiger, das eigentlich von allen gefordert wäre, gleichwohl diesen allen zugute kommt. Auffällig ist allerdings, daß von den Stellvertretenden der größere Teil namenlos bleibt. Mit Namen werden nur die biblischen Glaubenszeugen angeführt; anstelle der aus tannaitischer Tradition bekannten Märtyrergestalten wird deren ganze Generation genannt, und das, obwohl doch etwa die Geschichte vom Feuertod R. Chaninas ben Teradion für das Motiv des wohlgefälligen Opferdufts gewiß einen geschickten Anknüpfungspunkt geboten hätte. Es scheint, daß Individuen einer recht hoch bemessenen Dignität bedürfen, um stellvertretend für das Ganze eintreten zu können. Während Abraham und die drei Jünglinge aus Dan 3 als Figuren der biblischen Geschichte diese Dignität besitzen, geht sie R. Chanina ben Teradion, R. Aqiva und deren Leidensgenossen ab, zumindest, soweit sie Individuen sind. Die Generation, der sie angehören, ist nur in ihrer anonymen Gesamtheit zu heilswirksamer Stellvertretung fähig. Auch das folgende Anhängsel zur Erzählung vom Tode R. Aqivas, das sich in dem nachamoräischen71 Midrasch Tanúuma findet,72 spricht von der überindividuellen Heilsbedeutung des Martyriums nur in abstraktallgemeiner Form: Über sie (sc. R. Aqiva und seinesgleichen) spricht David: Von Toten,73 deine Hand, Herr (Ps 17,14). R. Chanina bar Pappa sagte: Lies nicht: Von Toten (µytmm, mi-metim), sondern lies: ,Tötende‘ (µytymm, memitim), denn sie töten sich für die Tora, die dazu gegeben ist. Denn Menschen, die sie sehen, sprechen zueinander: Sie haben Sünden an ihren Händen, deshalb werden sie hingerichtet! Doch wissen sie nicht, daß sie Anteil am Leben (vgl. ebd.) der kommenden Welt haben und ihnen alles Gute aufbewahrt ist, wie es heißt:

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LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10); ebenso EGGER, Verdienste (s. Anm. 69), 223. Zu den Problemen der Datierung vgl. STEMBERGER, Einleitung (s. Anm. 9), 300f. Die Zuschreibung des Stücks an R. Chanina bar Pappa, einen Amoräer der 3. Generation, deutet allerdings bereits auf das späte 3. oder frühe 4. Jahrhundert hin. 72 TanB Ki-Tavo 4 (24a). 73 Übersetzt in Anlehnung an Aquila: ajpo; teqnhkovtwn (Field II, 108). Die Zitation von Ps 17,14 im Kontext des Martyriums R. Aqivas könnte durch bBer 61b angeregt sein; ausgelegt wird der Vers aber hier völlig anders als dort.

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Und mit deinem Aufbewahrten74 füllst du ihren Bauch (ebd.). Und nicht allein das, sondern sie erlangen auch Verdienst (÷ykwz) für ihre Kinder nach ihnen, [wie es heißt:75 Kinder werden satt werden, und ihren Überfluß werden sie ihren Säuglingen lassen (ebd.).]

Der Text gewinnt seine Struktur aus der des zugrunde gelegten Psalmverses: Der eigenartige Ausdruck µytmm ermöglicht den Bezug auf das Martyrium, und den folgenden Heilsmotiven des Schrifttextes entlang wird zunächst das Problem der angemessenen individuellen Vergeltung erörtert und dann der Blick auf die überindividuellen Heilsfolgen des Martyriums gelenkt. Dem individuellen Märtyrertod wird solche kollektive Heilsbedeutung erst in deutlich größerem zeitlichem Abstand von der hadrianischen Verfolgung zuerkannt. Wir kommen darauf noch zurück.76

5. Martyrium als Sterben für Gott Der Trost der postmortalen Kompensation war nicht das einzige, was die frühe rabbinische Theologie der Grausamkeit des Märtyrerschicksals entgegensetzte. Es gab eine andere Antwort, die dem Märtyrertod selbst einen Sinn verlieh und ihm damit noch mehr von seiner Grausamkeit zu nehmen vermochte: Die Gemarterten starben um Gottes willen, starben aus Liebe zu Gott.77 Gott also, nicht mehr ihr Leben war für sie der höchste Wert; ihr irdisches Leben schon gar nicht, aber auch nach dem Leben der kommenden Welt brauchte im Grunde nicht gefragt zu werden. Will man den Zweck von Religion per definitionem in der Vermittlung von „Lebensgewinn“ sehen,78 so kann man dieses durch den Tod erreichte Höhere, dieses Sein für Gott, gewiß auch als ein wahreres, eigentlicheres „Leben“ bezeichnen. Die rabbinische Tradition hat das aber nicht getan. Der Adressat des Sterbens für Gott war und blieb für sie Gott allein, und nur hier und da am Rande scheint durch, daß ein solches Sterben mit Gewinn auch für den sterbenden Menschen verbunden war.79 Das nachtalmudische Judentum hat diese Ausrichtung auf Gott zum Wesensmerkmal des Märtyrertodes erhoben, indem es den Ausdruck µVeh' vWDqi, „Heiligung des Gottesnamens“, zur Bezeichnung schlechthin für das Martyrium machte. 74 75

Der Midrasch folgt hier nicht dem Ketiv ûnypxw, sondern dem Qere ûnwpxw. Dieser letzte Schriftbeweis fehlt in Bubers Textausgabe (versehentlich?); der Duktus des Midraschs erfordert ihn aber zweifellos; vgl. die Emendation bei H. BIETENHARD, Midrasch Tanúuma B, Bd. 2, JudChr 6, Bern u.a. 1982, 499. 76 Siehe unten Abs. 7. 77 Vgl. B OYARIN, Dying for God (s. Anm. 45), passim. 78 Siehe oben Abs. 1. 79 So etwa im Lachen des gemarterten R. Aqiva, s. unten (Anm. 91).

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Die Literatur der talmudischen Zeit spricht ebenfalls bereits von der „Heiligung des Namens“,80 verbindet damit aber noch eine wesentlich breitere Bedeutung: Gottes Name wird hier im Grunde durch jegliches menschliche Verhalten geheiligt, das ein öffentliches Bekenntnis zu Gott, seiner Tora und seinem auserwählten Volk impliziert.81 Aber unter Umständen erfordert die Heiligung des Gottesnamens den Einsatz des Lebens;82 so kommt es, daß auch frühe rabbinische Werke den Ausdruck bereits in martyrologischem Zusammenhang verwenden. Zu Lev 22,32, „Und entweiht nicht meinen heiligen Namen, daß ich geheiligt werde unter den Kindern Israels“, gibt der Sifra die Paraphrase: „Gib dich selbst dahin, um meinen Namen zu heiligen“,83 und führt dann eine Belehrung an, die zur strikten Selbstlosigkeit der Lebenshingabe mahnt: „Jeder, der sich selbst in der Erwartung dahingibt, daß ihm ein Wunder getan wird, dem tut (Gott) kein Wunder. Doch (wer sich in der Erwartung dahingibt), daß ihm kein Wunder getan wird, dem tut (Gott) ein Wunder.“84 Als Beispiele für solche Wunder nennt der Midrasch anschließend die Rettung von Chananja, Mischael und Asarja aus dem Feuerofen Nebukadnezars und den Straftod des römischen Machthabers, der im syrischen Laodicea die Brüder Pappus und Lulianus hatte hinrichten lassen.85 Die Alternative zwischen Selbstlosigkeit und Eigennutz wird damit als Paradox festgehalten: Wer verzichtet, gewinnt, doch wer gewinnen will, verliert.86 Daß ein Gewinnen möglich ist, wird ausdrücklich eingeräumt, es wird aber zugleich an die Voraussetzung des Verzichts gebunden. Die folgenden Beispiele lassen keinen Zweifel daran, daß die implizite Verhaltensdirektive in diesem zweiten Teil des Lehrsatzes liegt: An den Wundern, die Gott für die drei Männer im Feuerofen und für das Brüderpaar aus Laodicea wirkte, sieht man ja, daß ihre Hingabe uneigennützig war. 80 Dabei finden sich neben µoh owdyq auch µoh towdq und Kombinationen von Verb und Akkusativobjekt. 81 Vgl. FRIEDMAN, Kiddush Hashem (s. Anm. 11), passim; S. SAFRAI, Martyrdom in the Teachings of the Tannaim, in: T.C. de Kruijf/H. van der Sandt (Hgg.), Sjaloom. Ter nagedachtenis van Mgr. Dr. A. C. Ramselaar, Arnhem 1993, 145–164, 146–149. 82 Vgl. auch die Belege unten in Anm. 180, 192, 194 und 195. 83 Sifra Emor, Pereq 9,4 (Hs. Assemani, Finkelstein 442: ûmx[ ta rwsm; vgl. Weiss 99d). 84 Sifra Emor, Pereq 9,5 (Hs. Assemani, Finkelstein 442: wmx[ ta rswmh lk; vgl. Weiss 99d). 85 Ebd.; zu Pappus und Lulianus vgl. auch bTaan 18b; Sem 8,15 (Higger 164f.); QohZ (Buber 62a); W. HORBURY, Pappus and Lulianus in Jewish Resistance to Rome, in: J. Targarona Borras/A. Sáenz-Badillos (Hgg.), Jewish Studies at the Turn of the Twentieth Century, Bd. 1, Leiden u.a. 1999, 289–295. 86 Die gleiche paradoxe Struktur liegt nicht nur Mk 8,35 zugrunde; sie kehrt auch wieder in rabbinischen Ermahnungen zur Einhaltung und zum Studium der Tora; vgl. bes. SifDev 57 und 306 (Finkelstein 113f.; 338); dazu AVEMARIE, Tora (s. Anm. 4), 354f.

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In der Exegese verbindet sich der Gedanke des Sterbens für Gott vornehmlich mit Dtn 6,5 und Ps 44,23. Eine entsprechende Auslegung von Dtn 6,5 begegnet bereits in der Mischna: „Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzem Herzen und mit deinem ganzen Leben und mit deiner ganzen Kraft. Mit deinem ganzen Herzen – mit deinen beiden Trieben, mit dem guten Trieb und mit dem bösen Trieb; und mit deinem ganzen Leben – selbst wenn er dir dein Leben nimmt; und mit deiner ganzen Kraft – mit deinem ganzen Vermögen.“87 Die Tosefta zitiert die ersten beiden Glieder dieser Auslegung im Namen R. Meirs, eines Tannaiten des mittleren 2. Jahrhunderts, statt aber auch das dritte Glied anzuführen, erweitert sie das zweite mit thematisch verwandtem Material, darunter einem Zitat aus Ps 44,23: „Denn um deinetwillen wurden wir erschlagen den ganzen Tag.“88 Sifre Devarim kommentiert Dtn 6,5 noch wesentlich ausführlicher, legt dabei aber den Schwerpunkt ebenfalls auf das Thema der Gottesliebe im Leiden.89 Am eindrucksvollsten kommt die leidenstheologische Auslegung von Dtn 6,5 in der Erzählung vom Tode R. Aqivas zur Geltung, mit der die beiden Talmude den Mischnatext illustrieren. Nach der Fassung des Talmud Yerushalmi geschieht die Todesfolter des Rabbis um die Zeit, zu der man das mit Dtn 6,4f. beginnende Höre-Israel spricht. So entgegnet R. Aqiva dem Tyrannen auf die Frage, wie er denn in dieser Lage lachen könne: Ich habe ihn mit meinem ganzen Herzen geliebt, und ich habe ihn mit meinem ganzen Vermögen geliebt, aber die Prüfung, (ihn) mit meinem ganzen Leben (zu lieben), ist mir nicht widerfahren. Und nun, da sich (Gelegenheit) bietet, (ihn) mit meinem ganzen Leben (zu lieben), da ist die Zeit für die Rezitation des Höre-Israel gekommen, und mein Geist ist ungeteilt (darauf gerichtet).90 Deshalb rezitiere ich (das Höre-Israel) und lache! – Er hatte (noch) nicht zu reden geendet, als seine Seele entfloh.91

Schmerz und Tod werden bedeutungslos angesichts des einzigen Lebenszwecks, der wirklich zählt, nämlich der Liebe zu Gott. Daß diese Liebe nur um den Preis der eigenen Existenz zu erreichen ist, zeigt das rabbinisch verstandene Schriftwort „und mit deinem ganzen Leben“. Ps 44,23 eignet sich, Israels Leidensschicksal und seine Gottesbeziehung in ihrer kollektiven Dimension miteinander zu korrelieren. Die 87 88

mBer 9,5. tBer 6(7),7 (Lieberman I, 35). Im folgenden heißt es noch: „Ben Azzai sagt: Mit deinem ganzen Leben – gib dein Leben für die Gebote!“ 89 SifDev 32 (Finkelstein 54–59). 90 Die ungeteilte Intention wird noch stärker betont in der Übersetzung von GOLDBERG, Martyrium (s. Anm. 48), 358: „Und nun, da (die Zeit) kommt, ,mit meiner ganzen Seele‘, und es ist die Zeit der Rezitation des Shema’, wurde mein Sinn nicht davon abgelenkt.“ 91 yBer 9,7/8 (Schäfer/Becker I/1–2, 250f.); vgl. ySot 5,7/6 (Schäfer/Becker III, 113f.).

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ältesten Belege für eine ausführliche haggadische Ausgestaltung finden sich in Midraschim des 3. und 4. Jahrhunderts. Den nötigen Kontrast zu der Leidensaussage des Psalmverses schaffen hier vor allem Zitate aus dem Hohenlied. Einen Anknüpfungspunkt bieten die Worte „Das ist mein Gott, ich will ihn schön machen“ im Schilfmeerlied des Mose, Ex 15,2:92 R. Aqiva sagte: (Mose) redete (sc. in Ex 15,2) von der Schönheit und den Vorzügen dessen, der sprach und es ward die Welt, vor den Weltvölkern. Denn siehe, die Weltvölker fragen die Israeliten und sprechen zu ihnen: Was hat dein Geliebter einem andern Geliebten voraus? (Cant 5,9). Denn so werdet ihr seinetwegen getötet, und so werdet ihr seinetwegen erschlagen, demgemäß, wie es heißt: Deshalb lieben sie dich über den Tod hinaus93 (Cant 1,3), und heißt: Um deinetwillen wurden wir erschlagen den ganzen Tag usw. (Ps 44,23). – Wir wollen zu euch ein wenig von seinen Vorzügen sprechen, kennt ihr ihn denn? Mein Geliebter ist weiß und rot usw. (Cant 5,10), sein Haupt ist Gold vom feinsten usw. (Cant 5,11), bis: Das ist mein Geliebter, das ist mein Freund, ihr Töchter Jerusalems (Cant 5,17). Als die Weltvölker von der Schönheit und den Vorzügen dessen hörten, der sprach und es ward die Welt, sprachen sie zu den Israeliten: Wir wollen zu euch kommen, wie es heißt: Wohin ist dein Geliebter gegangen? usw. (Cant 6,1). Die Israeliten aber sagen zu ihnen: Ihr habt keinen Anteil an ihm! Vielmehr: Ich gehöre meinem Geliebten, und mein Geliebter gehört mir, usw. (Cant 6,3).

Das Martyrium ist nur ein Randmotiv dieses Midraschs, im Mittelpunkt steht die exklusive Liebesbeziehung zwischen Israel und Gott, an der die Weltvölker nicht nur keinen Anteil, sondern für die sie auch kein Verständnis haben. Ihr Hinweis auf Israels Leiden und Sterben ist gleichwohl nicht fehl am Platz. Er impliziert ein argumentum a fortiori, das die Radikalität dieser Liebesbeziehung erst voll zum Ausdruck bringt. Diese Liebe ist, so paradox es klingt, noch wichtiger als die Existenz der Liebenden. „Leben“ ist, wohlgemerkt, auch hier ein hoher Wert, aber der Midrasch läßt dies die Weltvölker nur deshalb in Erinnerung rufen, um zu zeigen, daß der Wert des Lebens neben dem anderen, noch höheren der Liebe zu Gott verblaßt. Hier braucht dem Tod kein Heil zu folgen, weil der Tod das Heil von vornherein nicht in Frage stellen kann.

92 Das folgende Beispiel stammt aus MekhSh zu Ex 15,2 (Epstein/Melamed 79); weitgehend gleichlautend MekhY Shirta 3 (Horovitz/Rabin 127) und SifDev 343 (Finkelstein 399); ähnlich aufgebaut auch ShirR 7,1,2 (35c–d). Ps 44,23 wird auffallend häufig auch an anderen Stellen in ShirR zitiert: 1,3 (7a); 1,15 (13a); 7,2 (16b); 4,1,2 (23a); 8,6,4 (40a). An allen diesen Stellen geht es um die Leidens- und Todesbereitschaft Israels. 93 Hier wird wohl twml[ („Mädchen“) als twm l[ („über den Tod“) gedeutet, auch wenn dies nicht in Form eines Al-Tiqre-Midraschs expliziert wird.

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6. Die Sühnewirkung des Todes der Gerechten Die Parascha über den Versöhnungstag in Wayyiqra Rabba schließt mit dem folgendem kleinen Midrasch, der aus Kontextualisierungen einschlägiger biblischer Erzählstoffe Hinweise auf die Heilswirkung des „Todes der Gerechten“ gewinnt:94 [A] R. Abba sagte: Weshalb wurde der Tod Miriams (Num 20,1) der Asche der (roten) Kuh (Num 19) angefügt? Allein, es lehrt, daß so, wie die Asche der (roten) Kuh Sühne wirkt,95 auch der Tod Miriams Sühne wirkt. [B] R. Judan sagte: Weshalb wurde der Tod Aarons (Dtn 10,6) dem Zerbrechen der Tafeln (Dtn 10,2) angefügt? Allein, es lehrt, daß der Tod Aarons vor dem Heiligen, gepriesen sei er, so bitter wie das Zerbrechen der Tafeln war. [C] R. Chijja bar Abba sagte: Die beiden Söhne Aarons starben am ersten Nisan (Lev 10,1f.), und warum erwähnt sie (sc. die Schrift) ihren Tod am Versöhnungstag (Lev 16,1)? Allein, es lehrt, daß so, wie der Versöhnungstag Sühne wirkt, auch der Tod der Gerechten Sühne wirkt. [D] Und woraus (läßt sich entnehmen), daß der Versöhnungstag Sühne wirkt? Denn an diesem Tag wird er euch Sühne schaffen (Lev 16,30). [E] Und woraus (läßt sich entnehmen), daß der Tod der Gerechten Sühne wirkt? Und sie begruben die Gebeine Sauls usw. (2Sam 21,14), und danach ließ der Herr sich für das Land gnädig stimmen (ebd.).

In Textvarianten und Parallelüberlieferungen wird von den erwähnten biblischen Todesfällen noch stärker auf den „Tod der Gerechten“ abstrahiert: „... daß so, wie die Asche der (roten) Kuh Sühne wirkt, auch der Tod der Gerechten Sühne wirkt.“96 Und: „... daß der Tod der Gerechten vor dem Heiligen, gepriesen sei er, so bitter wie das Zerbrechen der Tafeln ist.“97 Die Fassung des Talmud Bavli bezieht auch die Sühnewirksamkeit der Priestergewänder ein, die dabei anscheinend pars pro toto den priesterlichen Opferdienst repräsentieren: „Warum wurde der Tod Aarons den

94 WaR 20,12 (Margulies 471f.); weitgehend gleichlautend PesK 26,11 (Mandelbaum 399f.) und TanB Aúare 10 (33b); in anderer Anordnung yYom 1,1/8–9 (Schäfer/Becker II/1–4, 180); kürzer bMQ 28a (s. unten). Vgl. LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 80f. 95 Die Bibel schreibt dem aus der Asche der roten Kuh bereiteten Reinigungswasser keine Sühnewirkung im engeren Sinne zu; in der amoräischen Haggada ist diese Assoziation jedoch geläufig; vgl. PesK 4,8 (Mandelbaum 74); TPsJ Num 19,9 (das Wasser dient zur „Vergebung der Sünde des Kalbes“); ferner auch schon Barn 8,1ff. 96 So in Hss. München, Oxford Neubauer 147, Jerusalem und den ältesten Drucken (WaR), Hss. Carmoly und Oxford Neubauer 152 (beide PesK), yYom und TanB; sinngleich auch bMQ 28a. Margulies’ Textlesart entspricht Hss. London, Oxford Neubauer 2335, Vatikan, Paris (alle WaR) sowie Hss. Oxford Neubauer 151(1) und Safed (beide PesK). 97 So in yYom und TanB.

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priesterlichen Gewändern angefügt (Num 20,28)? Wie die priesterlichen Gewänder Sühne wirken, so wirkt auch der Tod der Gerechten Sühne.“98 An dem Grundgedanken, der alle diese Texte verbindet, ändern solche Variationen nichts: Der Tod der Gerechten hat eine sühnende Kraft, die der des Tempelkultes gleichkommt. Da die Sühnefunktion des Kultes als bekannt vorausgesetzt werden kann, läßt sich die des Todes der Gerechten mit ihr per analogiam demonstrieren (A, C). Daß auch der Tod der Gerechten sühnt, ist also das Aussageziel des Midraschs. Wem die Sühnewirkung zugute kommt, impliziert bereits der Vergleich mit dem Tempelkult, und im Talmud Yerushalmi wird es ausdrücklich gesagt: „... daß so, wie die Asche der (roten) Kuh für Israel Sühne wirkt, auch der Tod der Gerechten für Israel Sühne wirkt.“99 Unwahrscheinlich ist aber, daß dieser Gedanke auf dem Wege seiner exegetischen Begründung überhaupt erst entdeckt wurde. Die unvermittelte Abstraktion vom Tode Miriams, Nadabs, Abihus und des Hauses Sauls auf den Tod der Gerechten allgemein läßt vermuten, daß die Vorstellung bereits bekannt ist und der Midrasch den exegetischen Beweis nur nachliefert.100 Zur Entdeckung können auch andere Überlegungen geführt haben. Naheliegend scheint vor allem, daß sich die Vorstellung als komplementäres Gegenstück aus der Überzeugung von der Sühnefunktion des Straftodes entwickelt hat: Bei Sündern sühnt der Tod – im äußersten Falle die Hinrichtung – für die eigenen Sünden; bei Gerechten dagegen, die eines solch scharfen Sühnemittels nicht bedürfen, kann der Tod anderen zugute kommen.101 So erscheint die Vorstellung von der stellvertretenden Sühnewirkung ihres Todes als einer unter anderen rabbinischen Versuchen, dem Tode Unschuldiger gleichwohl einen Sinn zu geben.102

98 bMQ 28a. Zur Sühnewirkung der Priestergewänder s. auch Anm. 125. 99 yYom 1,1/9 (Schäfer/Becker II/1–4, 180). 100 So auch LOHSE , Märtyrer (s. Anm. 10), 80. 101 Vgl. die Kontrastierung bei R. M ACH, Der Zaddik in Talmud und Midrasch,

Leiden 1957, 133: „Die stellvertretende Wirkung besitzt [...] nur dasjenige Leiden, das nicht als Strafe für die eigenen Vergehen des Gerechten angesehen werden kann.“ 102 Vgl. etwa BerR 9,5 (Theodor/Albeck 70f.): Der Tod wurde auch über Gerechte verhängt, „damit die Frevler keine heuchlerische Umkehr tun, damit sie nicht sagen: Warum leben wohl die Gerechten? Nicht etwa, weil sie Gebotserfüllungen und gute Werken anhäufen? Also wollen auch wir Gebotserfüllungen und gute Werke anhäufen! Und ihr Tun würde erfunden als eines, das nicht um seiner selbst willen geschieht.“ Vgl. AVEMARIE, Tora (s. Anm. 4), 275–277; weiteres Material bei E.E. URBACH, The Sages. Their Concepts and Beliefs, Cambridge, Mass./London 21979, Paperback 1987, 425–431. Daß das Leiden Unschuldiger als unerklärlich empfunden wurde, zeigt besonders mAv 4,15: „Wir begreifen nichts, weder von dem Glück der Frevler noch von den Züchtigungen der Gerechten“; vgl. auch bBer 7a. – Aus dem gleichen Interesse, unschuldigem Sterben einen Sinn zu geben, erklärt sich wohl auch die Vorstellung, daß unmündige

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Der Gedanke wird in prinzipieller Allgemeinheit formuliert; zur Demonstration werden ausschließlich Beispiele aus der biblischen Geschichte angeführt. Die Gerechten der rabbinischen Gegenwart103 sind zweifellos mitbedacht, doch ausgesprochen wird es nicht. Das hat der Text mit dem oben angeführten Stück aus Bereshit Rabba104 über den welterhaltenden Opferduft der Märtyrer gemeinsam. Es gilt auch für eine weitere Haggada aus Bereshit Rabba,105 in der Gott für Abraham Vorkehrungen trifft, daß seine Nachkommen an ihren vorhersehbaren Verschuldungen nicht zugrunde gehen: „... wenn deine Kinder in Übertretungen und böse Werke geraten, sehe ich einen Gerechten unter ihnen, der zum Maß der Gerechtigkeit106 sagen kann: ,Genug!‘ Ihn nehme ich und schaffe Sühne107 für sie.“ Daß Gott den Gerechten „nimmt“, dürfte eine euphemistische Umschreibung für den Tod dieses Menschen sein. Mit Auskünften darüber, um wen es sich dabei je und je handeln könnte, hält sich der Text zurück. Erst eine jüngere Bearbeitung, die das zentrale Motiv des Stoffes mit der „Cypertraube“ (rpKoh' lKov a) von Cant 1,14 assoziiert,108 wird deutlicher: „Was bedeutet lkoa? Ein Mann (oya), in dem alles (lkh) ist: Bibel, Mischna, Talmud, Toseftas und Aggadot. (Weshalb heißt er) rpkh? Weil er die Sünden Israels sühnt.“ Es ist der umfassend studierte rabbinische Gelehrte, der mit seinem Tode Israels Schuld zu tilgen vermag. In amoräischer Tradition gibt es Belege dafür, daß auch dem Tod oder Leiden einzelner Rabbinen kollektive Heilswirkung zugeschrieben wurde; sie sind allerdings spärlich. Der Talmud Bavli beschließt das Protokoll einer Diskussion über die Wollstreifen, die wie bei diversen anderen Opferriten so auch bei der Austreibung des Sündenbocks am Versöhnungstag Verwendung finden, mit der Notiz: „An diesem Tag entschlief die Seele von Ravia bar Qisi, und sie legten dazu ein Mnemonikon109 fest: Ravia Kinder um der Sünden ihrer Eltern willen sterben, z.B. QohR 4,1 (12d); vgl. LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 92–94. 103 Zu denen auch die Märtyrer gehören: R. Chanina ben Teradion, seine Frau und seine Tochter werden in SifDev 307 (Finkelstein 346) als µyqydx bezeichnet. 104 Siehe Anm. 66. 105 BerR 44,5 (Theodor/Albeck 429); s. dazu M ACH, Zaddik (s. Anm. 101), 133; Variationen des Themas in jüngeren Haggadawerken bei LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 82–85: ShirR 1,14,2 (12c); ShemR 35,4 (63c). 106 ÷ydh tdm, „Maß der Gerechtigkeit“, dasjenige göttliche Prinzip, nach dem Gott gute Taten belohnt, böse aber bestraft; der Gegenbegriff ist µymjrh tdm, „Maß der Barmherzigkeit“; vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 102), 448–461. 107 rpkmw, so in Hss. Vatikan, Oxford Neubauer 2335, Adler und in der Venediger Druckausgabe. Hss. Stuttgart und Oxford Neubauer 147 lesen [yrkmw, „und werfe (ihn) in die Waagschale“. 108 ShirR 1,14,2 (12c). 109 Zu diesem Terminus technicus vgl. W. B ACHER , Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur, Ndr. Darmstadt 1965, Teil II, 140, s.v. ÷m;ys . Vgl. auch die

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[bar] Qisi wirkt Sühne wie der Bock, der fortgeschickt wird.“110 Das Mnemonikon spiegelt die allgemeine Überzeugung, daß der Tod eines Gelehrten die gleiche Sühnefunktion wie der Versöhnungstag hat.111 Nach einer mehrfach überlieferten palästinischen Haggada wurde der Patriarch Rabbi Jehuda für eine hartherzige Äußerung mit 13 Jahre währendem Zahnweh gestraft, doch „in all diesen 13 Jahren hatte keine Frau in Israel eine Fehlgeburt, noch litt eine Gebärende Schmerzen.“112 Die Fassung des Talmud Bavli stellt seinen Leiden die seines Rivalen R. Elazar be-R. Schimon zur Seite: „Während all der Leidensjahre R. Elazars entschlief kein Mensch vor seiner Zeit. Während all der Leidensjahre Rabbis113 hatte die Welt keinen Regen nötig.“114 In ihrer phantastischen Übertriebenheit mögen solche Behauptungen zwar eher kurios als ernsthaft wirken, doch hätten sie nicht formuliert werden können, wenn nicht ein prinzipielles Bewußtsein von den kollektiven Heilsfolgen des Leidensschicksals der Gerechten lebendig gewesen wäre. In Bamidbar Rabba, einem mittelalterlichen Werk,115 findet sich schließlich die Vorstellung von einer im himmlischen Heiligtum vollzogenen Opferung der Gerechten:116 R. Simon sagte: In der Stunde, als der Heilige, gepriesen sei er, den Israeliten befahl, die Wohnstatt zu errichten, erteilte er den Dienstengeln Anweisung, daß auch sie eine Wohnstatt machen sollten. Und um die Zeit, als die drunten errichtet wurde, wurde (auch) die droben errichtet. Und das ist die Wohnstatt des Jünglings, welcher Metatron heißt und welcher darin die Seelen der Gerechten opfert, um für Israel in den Tagen ihres Exils Sühne zu schaffen. Und deshalb steht geschrieben: die Wohnstatt (÷komh ta, Num 7,1), denn mit ihr zusammen wurde eine andere Wohnstatt errichtet.

Daß es neben dem irdischen ein zweites, himmlisches Heiligtum gibt, schließt der Midrasch aus der Nota accusativi ta vor ÷komh, die er nach der Erläuterung z.St. bei A. STEINSALTZ, Talmud Bavli Masekhet Yoma menuqqad u-mevo’ar, Jerusalem 1982, 178. In welcher Weise der folgende Satz das Memorieren der vorangehenden Debatte erleichtern soll, wird nicht deutlich. 110 bYom 42a. – Die von LOHSE , Märtyrer (s. Anm. 10), 81f., in diesem Zusammenhang ebenfalls angeführte Stelle bBer 62b gehört nicht hierher, denn Abischai ben Zeruja ist – auch wenn es heißt, er wiege soviel wie „die Mehrheit des Sanhedrin“ – kein rabbinischer Gelehrter, sondern der Bruder Joabs, des Feldherrn Davids. 111 Vgl. Raschi z.St. 112 BerR 33,3 (Theodor/Albeck 305); ähnlich yKil 9,4/9 (Schäfer/Becker I/3–5, 190– 193): „Während all dieser 13 Jahre starb im Lande Israel keine Wöchnerin, noch hatte eine Schwangere im Lande Israel eine Fehlgeburt“; dasselbe in yKet 12,3/9 (Schäfer/ Becker III, 229). 113 „Rabbi“ ist der kurze Ehrentitel des Patriarchen R. Jehuda ha-Nasi. 114 bBM 85a. Das Siechtum R. Elazars wird sehr drastisch in bBM 84b ausgemalt. 115 Nach STEMBERGER, Einleitung (s. Anm. 9), 305f., entstand BamR in verschiedenen Bearbeitungsphasen vom 9. bis zum 12. Jahrhundert. 116 BamR 12,12 (49a).

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Auslegungsregel des Ribbui als Indiz für eine intendierte Einschließung interpretiert.117 Diese Exegese von Num 7,1 findet sich bereits in älteren nachamoräischen Midraschwerken,118 doch das Motiv von der Opferung der Seelen der Gerechten durch den Engelfürsten Metatron kommt erst in Bamidbar Rabba hinzu.119 Unsicher ist, ob mit dem himmlischen Seelenopfer nur der Tod der Gerechten oder aber ihre gesamte Existenz in den Blick genommen ist.120 Doch ob so oder so, hinsichtlich der Sühnefunktion bietet das Motiv der himmlischen Opferung gegenüber den einschlägigen amoräischen Aussagen über den Tod der Gerechten121 nichts wesentlich Neues, nur daß präzisiert wird, daß das Seelenopfer in der Exilszeit als Ersatz für den infolge der Tempelzerstörung ausgesetzten irdischen Opferdienst eintritt. Alles in allem finden sich weder in amoräischen noch in späteren Texten Ansätze, den Gedanken der stellvertretenden Sühne durch den Tod der Gerechten in eine systematische Lehre zu integrieren, wie das in tannaitischer Tradition ja noch mit der Vorstellung vom Tod als einer Sühne für die eigenen Sünden geschehen war. Es wird weder geklärt, für welche Sünden der Tod eines Gerechten sühnt und für welche nicht, noch, inwieweit seine Sühnewirkung zeitlich begrenzt ist, noch, wie sie sich zu den Wirkungen anderer Sühnemittel wie der Umkehr oder des Versöhnungstages verhält. Offensichtlich kommt es der rabbinischen Tradition lediglich darauf an, daß der Tod der Gerechten eine Heilswirkung hat. Der Gedanke hat nicht darin seine raison d’être, daß es etwa nicht genügend andere wirksame Sühnemittel gäbe und deshalb noch ein weiteres vonnöten wäre, sondern darin, daß er dem Tod der Gerechten entscheidende Bedeutung für den Fortbestand Israels verleiht. 117

Vgl. B. EGO, Im Himmel wie auf Erden. Studien zum Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt im rabbinischen Judentum, WUNT II/34, Tübingen 1989, 126. 118 PesR 5 (Friedmann, 22b) und Tan Naso 18 (255b, non vidi); beide Texte in Übersetzung bei EGO, Himmel (s. Anm. 117), 125f. PesR und Tan entstanden vermutlich in früher nachamoräischer Zeit, wobei jeweils mit einigem Abstand zwischen der Kompilation eines Grundstocks und der spätesten Bearbeitungsschicht zu rechnen ist; vgl. STEMBERGER, Einleitung (s. Anm. 9), 295–297 bzw. 300f. 119 Weitere mittelalterliche Belege für dieses Motiv nennt B. EGO, Der Diener im Palast des himmlischen Königs. Zur Interpretation einer priesterlichen Tradition im rabbinischen Judentum, in: M. Hengel/A.M. Schwemer (Hgg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt, WUNT 55, Tübingen 1991, 361–384, hier 379–383: Seder Gan Eden (Jellinek, BHM III, 137); Midrash H’ be-úokhma yasad are§ (Jellinek, BHM V, 63). Vgl. auch Ma>ase >Asara Haruge Malkhut, Rez. III, 20,4–5 (s.u. Anm. 141). 120 Vgl. E GO, Diener (s. Anm. 119), 381. Im Kontext des Ma>ase >Asara Haruge Malkhut (s. Anm. 141) ist allerdings ein Bezug näherhin auf den Tod der Gerechten wohl das Nächstliegende. 121 Vgl. bes. die in Anm. 94 genannten Texte.

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Am Rande sei notiert, daß in einem speziellen Fall auch dem Tod des Hohenpriesters Sühnewirkung zugeschrieben wurde, nämlich Sühnewirkung für denjenigen, der einen versehentlichen Totschlag verübt hatte, daraufhin in eine der hierfür vorgesehenen Asylstädte geflohen war und nach dem Tod des amtierenden Hohenpriesters wieder als freier Mensch in seine Heimat zurückkehren durfte (vgl. Num 35; mMak 2,6f.). Die Bibel und die Mischna sprechen in diesem Zusammenhang noch nicht von Sühne,122 ein frühamoräisches Überlieferungsstück im Talmud Yerushalmi tut es dann aber: „Für den, der versehentlich einen Menschen erschlägt, gab es keine Sühne, aber die Tora hat ihm eine Sühne festgesetzt. Das ist der Tod des Hohenpriesters, wie es heißt: Und er (sc. der Totschläger) soll dort bis zum Tode des Hohenpriesters bleiben (Num 35,25).“123 Unmittelbar vorher heißt es in völlig analoger Formulierung, daß für die Sünde der Verleumdung die Schellen des hohepriesterlichen Ornats als Sühnemittel eingesetzt seien.124 Dies zeigt, daß das verbindende Interesse hier weniger dem Tod des Hohenpriesters als vielmehr dem Sühnebegriff selbst gilt, den die rabbinische Haggada ohnehin auf vieles ausdehnt, was in der Bibel noch keine Sühnewirkung trägt.125 Allerdings bietet der Tod des Hohenpriesters für diese Ausweitung der Sühnevorstellung offenbar einen vorzüglichen Anknüpfungspunkt.

7. Der stellvertretende Tod der >Asara Haruge Malkhut Die tannaitischen und amoräischen Traditionen über R. Aqiva, R. Chanina ben Teradion und weitere Märtyrer der hadrianischen Verfolgung wurde im Mittelalter126 kompiliert, ihre Zahl wurde auf zehn gerundet127 – daher 122 123

Vgl. LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 65. yYom 7,5/4 (Schäfer/Becker II/1–4, 212, übersetzt nach dem Exzerpt in >En Ya>aqov, das hier einen sachlich korrekteren Text bietet als Hs. Leiden); fast wortgleich ShirR 4,4,5 (24d); strukturgleich WaR 10,6 (Margulies 211f.); die Zuschreibungen schwanken. Vgl. auch bMak 11b: „... der Tod des Hohenpriesters ist es, durch den er Sühne erlangt.“ 124 yYom 7,5/3 (Schäfer/Becker II/1–4, 212); ebenso WaR 10,6 und ShirR 4,4,5 (s. Anm. 123). 125 Dies geschieht auch im Kontext der erwähnten Stelle: Der Reihe nach wird hier sämtlichen Teilen des Hohenpriesterornats je eine spezielle Sühnefunktion zugeordnet; yYom 7,5/1–8 (Schäfer/Becker II/1–4, 212); WaR 10,6 (Margulies 210–212); ShirR 4,4,5 (24d); auch bZev 88b und bAr 16a, wo allerdings der Tod des Hohenpriesters nicht erwähnt wird. 126 Daß die Synthese der antiken Überlieferungen zu diesem neuen Erzählstoff erst im fortgeschrittenen Mittelalter geschah, steht außer Zweifel, auch wenn eine genauere zeitliche Eingrenzung kaum möglich scheint; vgl. Anm. 127 sowie bereits L. ZUNZ, Die synagogale Poesie des Mittelalters, Frankfurt 21920, 139f., und die Einleitung der maßgeblichen neueren Textausgabe: G. REEG, Die Geschichte von den Zehn Märtyrern. Synoptische Edition mit Übersetzung und Einleitung, TSAJ 10, Tübingen 1985, 1. 127 Diese Zehnzahl ist allerdings älteren Ursprungs; zehn Märtyrer zählt bereits der amoräische Midrasch EkhaR 2,2 (Buber 50b), und zwar explizit unter Aufnahme älterer Tradition: „R. Jischmael und R. Schimon und R. Jeschevav und R. Chutzpit und R. Chanina ben Teradion und R. Jehuda der Bäcker und R. Jehuda ben Bava und R.

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der Titelbegriff twklm ygwrh hro[128 in den meisten kleinen Schriften, in denen der Stoff seinen literarischen Niederschlag fand129 –, und das Ganze erhielt eine völlig neue, fiktive Rahmenhandlung. An die historischen Gegebenheiten des 2. Jahrhunderts erinnert in dieser Rahmenhandlung nichts mehr; der römische Kaiser studiert jetzt die Bibel, das Reich ist also längst christlich geworden, und auffälligerweise liegt der Grund, aus dem die zehn jüdischen Frommen hingerichtet werden, in einer Kollektivschuld des Volkes an einem seiner Glieder – wenngleich der naheliegende Gedanke, es könnte hier eine Introjektion des christlichen Vorwurfs des Messiasmordes vorliegen, sich wohl kaum als hinreichend wahrscheinlich erweisen lassen dürfte. Der Kaiser liest also in der Tora und gelangt bis zu der Strafbestimmung für das Delikt des Menschenraubs in Ex 21,16:130 „Wer einen Menschen raubt, sei es, daß er ihn verkauft, sei es, daß man ihn bei ihm findet, der soll des Todes sterben.“ Sofort bestellt er Rabban Schimon ben Gamliel und neun seiner Kollegen herbei, läßt sich von ihnen die Gültigkeit des Strafmaßes bestätigen, fragt dann ganz unvermutet weiter, ob sie

Schimon ben Azzai und R. Aqiva und R. Tarfon. Und manche nehmen R. Tarfon aus und fügen R. Elazar ben Charsom hinzu“ (so der Wortlaut ohne die von Buber ergänzten Patronyme und Beinamen). Der Schluß zeigt, daß die Überlieferung der einzelnen Namen variierte, die Zehnzahl aber bereits feststand; vgl. auch ZUNZ, Poesie (s. Anm. 126), 141. 128 Die frühesten Belege für diesen Ausdruck finden sich in MTeh 9,13 (Buber 44b) und in Hss. zu MMish 1,13 (s. unten Anm. 132), wenngleich die Datierung beider Werke (gaonäisch?) umstritten ist; vgl. STEMBERGER, Einleitung (s. Anm. 9), 316f. Im Talmud Bavli werden die Märtyrer bezeichnet mit „R. Aqiva und seine Genossen“ (bPes 50a; bRHSh 23a; bBB 10b; auch WaR 13,5 [Margulies 294]; ShirR 8,7 [40a]), twklm ygwrh = „die vom (römischen) Reich Hingerichteten“ (bBB 10b; bAZ 10b; auch QohR 4,1 [12d]) und dwl ygwrh = „die Hingerichteten von Lydda“ (bBB 10b; bAZ 10b; auch QohR 9,10,1 [24b]); vgl. ZUNZ, Poesie (s. Anm. 126), 139f.; G. REEG, Art. Märtyrer VI. Judentum 1. Antike, RGG4, Bd. 5 (2002), 868f. Die Wendung „R. Aqiva und seine Genossen“ ist allerdings nicht martyrologisch festgelegt (vgl. bAZ 10b; PesK 4,7 [Mandelbaum 72]; TanB îuqqat 24 [59a] u.ö.), und twklm ygwrh dient zugleich auch als halachischer Terminus, der primär die unter jüdischer Herrschaft Hingerichteten bezeichnet, so in den Lehrsätzen „Der Besitz der durch das Königreich Hingerichteten fällt an das Königreich“ (yMak 2,7/6 [Becker/Schäfer IV, 223]; vgl. bSan 48b; tSan 4,6 [Zuckermandel 421]) und „Man hält für die durch das Königreich Hingerichteten keine Trauerfeier“ (bSot 48b; bSan 11a; ShirR 8,9,3 [40d]). 129 Neun der zehn Rezensionen, die Reeg in seiner Gesamtausgabe unterscheidet, tragen im Titel den Ausdruck twklm ygwrh hro[; die am weitesten verbreitete Rezension (Nr. I nach der Zählung von Reeg) ist jedoch unter Aufnahme von Ps 42,5 betitelt mit hrkza hla ordm; vgl. REEG, Geschichte (s. Anm. 126), 2. 130 So in Kap. 10,1 nach Rez. I, IV, V, VII, IX; nach Rez. III schnappt er den Vers bei einem Spaziergang von toralesenden Kindern auf, nach Rez. VI läßt er sich von jüdischen Gelehrten unterweisen (Reeg 10*–11*).

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bereit seien, das „Urteil des Himmels“131 anzunehmen, um schließlich den Verblüfften zu erläutern, daß der Verkauf des Stammvaters Josef durch seine zehn Brüder noch der Bestrafung harre.132 Sie entgegneten ihm: Unser Herr, wenn unsere Väter sündigten, was ist an uns, daß wir ihre Sünden tragen (µtafj lwbsl) müssen? Er antwortete ihnen: Wenn sie noch am Leben wären, würde ich von ihnen (die Schuld) einfordern. Jetzt aber, da sie nicht in der Welt sind, fordere ich (sie) von euch ein; denn ihr seid ihre Söhne und müßt den Schuldschein (bwj rfo) eurer Väter133 einlösen.134

Die Überrumpelten erklären sich bereit, sich dem Urteil zu unterwerfen, falls es „vom Himmel“ sei.135 So unternimmt einer von ihnen – R. Jischmael, der hier ganz der Mystiker wird, als den man ihn aus der Hekhalot-Literatur kennt136 – eine Reise zum Himmel und vernimmt dort die erstaunliche Nachricht, daß Gott dasselbe Urteil gefällt habe, das ihnen der Kaiser verkündigt hatte.137 Darauf folgen der Reihe nach die Berichte von den einzelnen Hinrichtungen, teils in Anlehnung an ihre Vorbilder in Talmud und Midrasch, teils auch von ihnen unabhängig. 131

Der Ausdruck erscheint in Kap. 10,8 in Rez. IV, V und VI (Reeg 12*–13*), in Kap. 10,21 in Rez. IV, V und VII (Reeg 14*–15*). 132 Die Assoziation zwischen dem Tod der zehn Märtyrer und dem Verkauf Josefs findet sich in knappster Form erstmals in einigen Hss. von MMish 1,13 (Buber 23a) belegt (zur Datierung von MMish zwischen dem 7. und 10. Jh. s. oben Anm. 66): „R. Jehoschua ben Levi sagte: Die zehn durch das Reich Hingerichteten wurden nur wegen der Sünde des Verkaufes Josefs (zur Hinrichtung) geschleppt.“ Zur Bezeugung vgl. Buber, Apparat z.St.; es scheint, daß der Ausspruch im Laufe der handschriftlichen Überlieferung nachträglich dem folgenden Diktum in MMish 1,13 vorangesetzt wurde: „R. Abbin pflegte zu sagen: Aus jedem Geschlecht wurden zehn gestraft, und noch immer besteht die Sünde (sc. des Verkaufs Josefs) fort.“ Der vergleichsweise rudimentäre Charakter beider Aussprüche läßt darauf schließen, daß ihre Autoren (sie sind unbekannt; die Zuschreibungen sind vermutlich fiktiv) die fertig ausgeformte Legende noch nicht kannten. Doch dürfte in derartigen Haggadot eine ihrer überlieferungsgeschichtlichen Wurzeln liegen. Noch wesentlich älter ist die durch das Motiv des geschlachteten Böckchens vermittelte Assoziation des Verkaufs Josefs mit dem Versöhnungstag in Jub 34,18f.; schon mit ihr wird behauptet, daß jene Sünde der Stammväter in nachfolgenden Generationen immer wieder neu der Sühne bedürfe; vgl. S. ZEITLIN, The Legend of the Ten Martyrs and its Apocalyptical Origins, JQR 36 (1945/46), 1–16; URBACH, Sages (s. Anm. 102), 521f. 133 Im Text steht µkyba, „eures Vaters“, doch der Inhalt legt nahe, dies zu µkytwba, „eurer Väter“, zu emendieren. 134 Kap. 10,22–23 nach Rez. III (Reeg 14*), Übersetzung angelehnt an REEG, Geschichte (s. Anm. 126), 62. In den übrigen Rezensionen fehlt hier das Motiv der Einlösung des „Schuldscheins“. 135 Kap. 10,27 in Rez. IV, V, VII, IX (Reeg 14*–17*); Kap. 11,5 in Rez. VII–X (Reeg 19*); Kap 15,6 in allen Rezensionen (Reeg 28*–29*). 136 Vgl. auch ZUNZ, Poesie (s. Anm. 126), 140. 137 Kap. 15,28 in Rez. I–V, VII, VII (Reeg 32*–33*).

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Die zehn Haruge Malkhut sterben wegen eines Verbrechens, das nicht sie begangen haben, dessen Schuld sich vielmehr von Israels Stammvätern bis auf sie hinab vererbt hat, wegen einer Kollektivschuld also, die jenseits von individueller Zurechnungsfähigkeit ihr ganzes Volk betrifft. Sie sterben anstelle der zehn Brüder Josefs, die das in Ex 21,16 genannte Verbrechen begangen haben. Ihr Tod hat damit die Funktion der Stellvertretung.138 Ihre Fähigkeit, dieses Stellvertretungsamt zu übernehmen, wird ausdrücklich festgestellt. Denn als R. Jischmael im Himmel nachfragt, ob denn Gott diese Strafe nicht an anderen zehn hätte vollstrecken lassen können, bescheidet ihm Metatron: „Nein, Jischmael, der Heilige, gepriesen sei er, hat keine zehn gefunden, die den Söhnen Jakobs an Frömmigkeit gleichkämen, als nur euch.“139 Die Märtyrer der hadrianischen Verfolgung sind damit Israels Stammeltern ebenbürtig geworden; sie haben gewissermaßen die Kanonizität erlangt, die ihnen in talmudischer Zeit noch fehlte. Nun kann auch ihr Tod eine so umfassende Heilsbedeutung annehmen, wie sie die Amoräer nur den Ahnen der biblischen Geschichte zugestanden hatten.140 Stellvertretung ist die erste und wichtigste Kategorie, unter die sich das Martyrium der Haruge Malkhut einordnen läßt. Eine zweite ist die des Opfers: R. Jischmael erblickt auf seiner Himmelsreise einen Altar, und als er fragt, ob man denn im Himmel auch die Opfertiere dafür habe, erläutert ihm der Deuteengel: „Bei uns gibt es keine Farren und Widder und Schafe ... Wir opfern auf ihm vor dem Heiligen, gepriesen sei er, die Seelen der Gerechten.“141 Der Begriff der Sühne fällt in diesem Zusammenhang nicht;142 es wird auch kein unmittelbarer Bezug zu dem Schicksal der zehn Märtyrer hingestellt;143 das himmlische Seelenopfer erscheint vielmehr als 138 Sowohl für die zehn Brüder Josefs als auch für das ganze Volk, und zwar in jenem strengen Sinne von Stellvertretung, wonach die Stellvertretenden etwas tun oder erleiden, was diejenigen, deren Stelle vertreten wird, infolgedessen nicht mehr tun oder erleiden müssen. 139 Kap. 18,2f. in Rez. IV, ähnlich in allen anderen Rezensionen (Reeg 38*–39*); vgl. auch Kap. 10,23 in Rez. IV, V, VI, VII (Reeg 14*–15*); Kap. 21,9 in Rez. I, II, III, IV, V (Reeg 42*+44*). Mit der älteren Auffassung, wie sie sich in dem R. Abbin zugeschriebenen Diktum in MMish 1,13 spiegelt (s. Anm. 132), ist dies nicht mehr vereinbar. 140 Vgl. oben Abs. 6 und unten Abs. 8 und 9. 141 Kap. 20,4–5 in Rez. III, ähnlich in Rez. I, II und IV–IX (Reeg 40*–43*). 142 Er erscheint allerdings in der Motivparallele in BamR 12,12; s. oben Abs. 6 (Anm. 116). 143 Allerdings spricht später in anderem Zusammenhang der „Fürst“ Rabban Schimon ben Gamliel zu seinen Kollegen: „Weil der Heilige, gepriesen sei er, unser Leben (wnytwopn) als Opfer (÷brq) annehmen wird, um damit Rache an Rom zu üben, laßt uns jubeln und fröhlich sein mit Harfe und Flötenspiel“, Kap. 21,10 in Rez. VII, ähnlich Rez. V, VI, VIII (Reeg 44*–45*).

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Institution, die schon lange besteht und nach dem Tod der zehn Märtyrer weiterbestehen wird. Aber mit der Einbindung dieses Motivs in die Märtyrerlegende wird doch zweifellos suggeriert, daß die Seelen der Haruge Malkhut ebenfalls zu denen gehören, die als Opfer auf den himmlischen Altar gelangen. Eine dritte Kategorie ist die der twkz, ein Ausdruck, der gewöhnlich mit „Verdienst“ übersetzt wird, den man aber, wenn man den Verdienstbegriff zu negativ besetzt findet, auch mit „Wirksamkeit“, „Machtrealität“, „Kraft“, „Bedeutung“ oder „Anspruch“ wiedergeben kann.144 Als man R. Jischmael bei lebendigem Leib und unter entsetzlichem Schreien die Kopfhaut abzieht, antwortet Gott den protestierenden Dienstengeln: „Erlaubt mir, daß ich seine twkz für die (kommenden) Geschlechter hinstelle!“145 Nach einer Sonderüberlieferung ruft Gott angesichts des Martyriums von Rabban Schimon ben Gamliel und R. Jischmael: „Um ihrer twkz willen werde ich Israel erretten!“146 Ein andere Fassung hat statt dessen: „Um eurer twkz willen werde ich das Opfer an seinen Ort bringen“,147 anscheinend eine Anspielung auf R. Jischmaels Vision vom Altar im Himmel. Dieselbe Rezension wiederholt, als schließlich alle Märtyrer den Tod gefunden haben, Gottes Wunsch, man möge ihm gestatten, ihre twkz für alle künftigen Geschlechter gelten zu lassen.148 Das Sterben dieser Märtyrer erhält damit eine Bedeutung, die über die rein retrospektive Funktion des Ausgleichs einer Sündenschuld hinausgeht. Es schafft für Israel einen Wert von bleibender Gültigkeit.

8. Die Bindung Isaaks Die Geschichte von Abrahams Prüfung durch den Befehl, seinen Sohn Isaak als Brandopfer darzubringen, läßt sich sicherlich nicht als Märtyrererzählung abhandeln, schon gar nicht, wenn man von ihrer biblischen Ur144 145

Vgl. EGGER, Verdienste (s. Anm. 69), 291. Kap. 22,50 nach Rez. IV und V; ähnlich Rez. I und III (Reeg 54*); ebenfalls zu R. Jischmael: Kap. 28,14 in Rez. VII, IX, X (Reeg 65*) und Kap. 37,10 in Rez. VI (Reeg 83*). 146 Kap. 36,4 in Rez. VI (Reeg 81*). 147 Kap. 27,4 in Rez. VII (Reeg 63*). Statt ÷b twkzb ist wohl ÷ktwkzb zu lesen. 148 Kap. 52,2 in Rez. VII (Reeg 105*). Vgl. auch die materialisierende Ausschmükkung in Kap. 52,6–8 nach Rez. VII: „R. Abbahu sagte im Namen von R. Elazar: Ein jeglicher Gerechter, den die Völker der Welt erschlagen – es ist, als schriebe ihn der Heilige, gepriesen sei er, auf seinen Purpur ... Der Heilige, gepriesen sei er, spricht zu den Völkern der Welt: Warum erschlugt ihr Rabban Schimon ben Gamliel mit allen diesen Gerechten? Sie aber streiten (es) ab und sagen: Wir haben (sie) nicht erschlagen! Was tut der Heilige, gepriesen sei er? Er zeigt seinen Purpur vor und verurteilt sie.“

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fassung in Gen 22 ausgeht. Dennoch, mit den haggadischen Erweiterungen und Ausschmückungen, die der Stoff in nachbiblisch-jüdischer und vor allem in rabbinischer Überlieferung erfährt,149 kommt er den erwähnten Märtyrerlegenden erstaunlich nahe.150 Das zeigt sich nicht nur an Randmotiven wie der Vision Isaaks im Angesicht des nahen Todes151 oder seiner willigen Bereitschaft, das Opfer auf sich zu nehmen;152 es erweist sich auch der eine oder andere Unterschied, der auf den ersten Blick wesentlich scheinen mag, bei genauerem Hinsehen als wenig bedeutsam. Zum einen werden die Märtyrer von fremden Statthaltern oder Königen zu Tode gebracht, während gegen Isaak der eigene Vater die Hand erhebt. Jene Despoten spielen freilich nur Nebenrollen; ihre Verhöre dienen in der Regel dem Zweck, den Märtyrern trotzige Treuebekenntnisse zu dem Gott Israels und seiner Tora zu entlocken;153 als Verursacher des Todes sind sie uninteressant. Als R. Schimon und R. Jischmael nach dem Grund für ihre Hinrichtung fragen, forschen sie nach Torageboten, die sie übertreten haben könnten,154 und R. Chanina ben Teradion, seine Frau und beider Tochter erkennen in ihrer Verurteilung, ohne erst nach Gründen zu fragen, Gottes gerechtes Gericht.155 Ein römischer Statthalter kommt in keiner der beiden Erzählungen vor; der wahre Herr der Geschichte dieser Märtyrer ist derselbe, der Abraham am Berg Moria auf die Probe stellte.

149 Die Literatur hierzu ist reich; vgl. P.D. DAVIES/B.D. CHILTON, The Aqedah. A Revised Tradition History, CBQ 40 (1978), 514–546; R.T. HAYWARD, The Present State of Research into the Targumic Account of the Sacrifice of Isaac, JJS 32 (1981), 127–150; A. AGUS, The Binding of Isaac and Messiah. Law, Martyrdom and Deliverance in Early Rabbinic Religiosity, New York 1988; M. ROSE, Die Wolke der Zeugen. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Hebräer 10,32–12,3, WUNT II/60, Tübingen 1993, 239–243; L. KUNDERT, Die Opferung/Bindung Isaaks, Bd. 2: Gen 22,1–19 in frühen rabbinischen Texten, WMANT 79, Neukirchen-Vluyn 1998. 150 Wenn AGUS, Binding (s. Anm. 149), 61, lapidar befindet, „martyrdom is Akedah“, so ist das zwar übertrieben, aber nicht ganz ohne sachliche Berechtigung. 151 Vgl. TPsJ Gen 22,10: „die Augen Abrahams schauten auf die Augen Isaaks, die Augen Isaaks schauten auf die Engel in der Höhe“, ähnlich CN und die Hss. des Fragmententargums (BPM IV/1, 142f.). 152 Vgl. 4 Makk 16,20; Josephus, Ant. 1,232; LAB 32,2–3 und 40,2; CN Gen 22,10; vergleichbar sind v.a. die Erzählungen über die Martyrien des R. Aqiva (s. oben Anm. 48 und 54) und des R. Chanina ben Teradion und seiner Familie (s. oben Anm. 57 und 60). 153 So in Erzählungen über Chananja, Mischael und Asarja (BamR 14,6), über die Mutter und ihre sieben Söhne (s. oben Anm. 49; dazu bGit 57b; EkhaR 1,16, Buber 42b–43a), über R. Aqiva (s. oben Anm. 48 und 54) und über Pappus und Lulianus (Sifra Emor, Pereq 9,5, Weiss 99d). 154 MekhY MishpaÃim 18 (Horovitz/Rabin 313); zu Struktur und Intention dieses Textes vgl. F. AVEMARIE, Aporien der Theodizee. Zu einem Schlüsselthema früher rabbinischer Märtyrererzählungen, JSJ 34 (2003), 199–215, bes. 204–210. 155 SifDev 307 (Finkelstein 346).

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Zum anderen stirbt Isaak ja nicht wirklich. Die rabbinische Überlieferung nimmt das durchaus zur Kenntnis; so bittet Miriam bat Tanchum den jüngsten ihrer sieben Söhne, er möge Abraham, in dessen Schoß er bald aufgenommen werde, ausrichten, daß in seinem Fall das Opfer nur „Prüfung“ war, in ihrem dagegen „Tatsache“.156 Daneben gewinnt aber die Vorstellung Gestalt, daß die Aqeda in Wirklichkeit nicht so unblutig verlief, wie es nach Gen 22 den Anschein hat. Den Pirqe de-Rabbi Eliezer zufolge verließ Isaaks Seele – wenn auch nur für einen Augenblick – seinen Leib, als das Messer seinen Hals berührte.157 Sie stammen zwar aus dem frühen Mittelalter;158 aber schon die frühamoräisch159 redigierte Mekhilta de-Rabbi Schimon ben Jochai überliefert im Namen R. Jehoschuas, eines Tannaiten des späten ersten Jahrhunderts, es sei ein Viertellog von Isaaks Blut auf den Altar geflossen.160 Häufig ist in der frühen amoräischen Haggada von „Isaaks Blut“ und von „Isaaks Asche“ die Rede, wenn auch zuweilen nur im Irrealis.161 In einem weiteren wesentlichen Punkt geht allerdings die Ausgestaltung des Aqeda-Stoffs über die rabbinischen Märtyrertraditionen hinaus. Denn anders als der Tod eines R. Chanina ben Teradion oder R. Aqiva hat die beinahe vollzogene Opferung des Erzvaters Isaak Heilsbedeutung für ganz Israel.

156 EkhaR 1,16 (Buber 43a). Hier kann man mit A GUS, Binding (s. Anm. 149), 39, sagen: „martyrdom is real Akedah, actual holocaust“. 157 PRE 31 (ed. Jerusalem 1973, S. 106): „R. Jehuda sagt: Als die Klinge auf seinen Hals traf, entfloh Isaaks Seele und trat aus. Als (Gott) seine Stimme von (der Stätte) zwischen den beiden Cheruben vernehmen ließ und sprach: Strecke deine Hand nicht gegen den Jungen aus (Gen 22,12), kehrte die Seele in seinen Leib zurück. Und (Abraham) band ihn los, und er stellte sich auf seine Füße. Und Isaak ersah (den Beweis für) die Auferstehung der Toten aus der Tora, denn alle Toten werden einst lebendig gemacht werden. In dieser Stunde hob er an und sprach: Gepriesen seist du, Herr, der du die Toten lebendig machst.“ Der letzte Satz stammt aus der 2. Berakha des Shemone->Esre, deren Abschluss er bildet. 158 Siehe oben Anm. 30. 159 STEMBERGER , Einleitung (s. Anm. 9), 257, gibt als mutmaßlichen Abfassungszeitraum das 4. Jahrhundert an. 160 MekhSh zu Ex 6,2 (Epstein/Melamed, 4). 161 „Man betrachtet Isaaks Asche, als läge sie aufgehäuft auf dem Altar“, so in yTaan 2,1/4 (Schäfer/Becker II,5–12, 235); BerR 94,5 (Theodor/Albeck 1177); WaR 36,5 (Margulies 849). Abraham bittet Gott: „Betrachte es, als wäre Isaaks Blut vor dir gesprengt [...] Betrachte es, als läge Isaaks Asche aufgehäuft auf dem Altar“, so in BamR 17,2 (72a), ersteres auch in BerR 56,9 (Theodor/Albeck 606). An anderen Stellen heißt es jedoch im Indikativ, daß Gott das „Blut der Bindung Isaaks sah“, MekhY Pisúa 7 und 11 (Horovitz/Rabin 24f. bzw. 39), ähnlich bBer 62b. Auch in bTaan 16a und bZev 62a ist an real existierende Asche gedacht. Zur Diskussion dieser Stellen vgl. KUNDERT, Opferung/ Bindung (s. Anm. 149), passim.

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Literarisch findet die Überzeugung von dieser Heilsbedeutung auf sehr verschiedene Weise Ausdruck. Beliebt sind zum einen Stichwortassoziationen, mit deren Hilfe sich Verbindungen quer durch Israels Heilsgeschichte ziehen lassen. Wenn etwa die Schrift in Ex 12,13.23 davon spricht, wie Gott das Blut der Passalämmer an den Türpfosten „sieht“, so setzt der Midrasch hinzu, Gott habe zugleich das Blut der Bindung Isaaks „gesehen“, denn nach Gen 22,14 hatte Abraham der Stätte jenes Altars den Namen „Der Herr sieht“ gegeben.162 Die gleiche Assoziation macht der Wortlaut von 1 Chr 21,15 möglich, wo erzählt wird, wie Gott nach Davids frevelhafter Volkszählung Jerusalem von einem Pestengel verheeren ließ, denn auch hier heißt es, Gott habe Einhalt geboten, als er „sah“.163 Das Schilfmeer „spaltete“ sich für Israel (Ex 14,21: W[qBYIw"), weil Abraham auf dem Berg Moria das Opferholz „gespalten“ hatte (Gen 22,3: [Q'b'y w").164 Daß Esther „am dritten Tag“ ihren königlichen Gemahl aufsuchte, um für das bedrohte jüdische Volk zu intervenieren (Est 5,1), geschah in Erinnerung an Abraham, der „am dritten Tag“ seiner Reise nach Moria von ferne das Ziel des Wegs erblickte (Gen 22,4).165 Das Opfermesser, das er auf seinen Sohn richtete, heißt hebräisch tlka}m' (Gen 22,6), was sich mit dem geläufigen Verb für „essen“ in Verbindung bringen läßt; so empfängt Israel in dieser Welt alle seine Speisen, t/lykia}, um dieses Messers willen.166 Wie Abraham drunten auf dem Berg seinen Sohn fesselt, so fesselt Gott droben im Himmel die Engelfürsten der feindlichen Völker.167 Wenn am Neujahrstag, an dem Gott alljährlich über die Welt zu Gericht sitzt, der Schofar, das Horn eines Widders, geblasen wird, so deshalb, weil Gott damit der Bindung Isaaks gedenken und es den Israelitinnen und Israeliten anrechnen will, als hätten sie sich selbst vor ihm zum Brandopfer gebunden.168 Und wenn man an Fastentagen sowohl den Toraschrein als auch das eigene Haupt mit Asche bestreut (mTaan 2,1), so dient auch das der Erinnerung an die „Asche Isaaks“.169 162 MekhY Pisúa 7 und 11 (Horovitz/Rabin 24f. bzw. 39); s. dazu KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 15–17. 163 MekhY Pisúa 7 und 11 (a.a.O.); bBer 62b; s. dazu KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 48f. 164 BerR 55,8 (Theodor/Albeck 594); s. dazu KUNDERT, Opferung/Bindung, 126f. 165 BerR 56,1 (Theodor/Albeck 595); zur Argumentationsstruktur des Midraschs vgl. die scharfsinnige Analyse bei EGGER, Verdienste (s. Anm. 69), 174–176; ferner KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 131f. 166 BerR 56,3 (Theodor/Albeck 598); s. dazu E GGER, Verdienste (s. Anm. 69), 247f.; KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 146f. 167 BerR 56,5 (Theodor/Albeck 600); s. dazu KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 159. 168 bBer 16a; s. dazu KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 63f. 169 bTaan 16a: „damit er für uns der Asche Isaaks gedenke“; yTaan 2,1/4 (Schäfer/ Becker II,5–12, 235): „um an das Verdienst Isaaks zu erinnern“; ähnlich BerR 49,11

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Zum anderen wird das Motiv des Heils für ganz Israel unmittelbar in Nacherzählungen der Geschichte von Gen 22 einbezogen. Das geschieht am einfachsten durch zusätzliche Dialoge nach dem Vorbild der Heilsverheißung, in der bereits die biblische Erzählung gipfelt (Gen 22,15–18). Schon im Liber Antiquitatum Biblicarum vergleicht Isaak seine Opferung mit der Darbringung von Schafen für menschliche Sünden und preist sich glücklich, daß Gott ihn als einen Menschen eines solchen Opfers für würdig befunden habe.170 Die palästinischen Pentateuch-Targume lassen Abraham nach der Opferung des Widders zu Gott sprechen: Beim Erbarmen vor dir, Herr, es ist ganz offenbar und bekannt vor dir, daß in meinem Herzen damals kein Zwiespalt herrschte, als du mir befahlst, meinen Sohn Isaak zu opfern, um ihn vor dir zu Staub und Asche zu machen. Vielmehr machte ich mich sogleich früh am Morgen auf und beeilte mich und führte dein Wort mit Freude aus und erfüllte deinen Beschluß. Und nun, wenn seine Kinder in eine Zeit der Not geraten, dann gedenke der Bindung ihres Vaters Isaak und höre auf die Stimme ihres Flehens und antworte ihnen und rette sie aus aller ihrer Not!“171

Durch die Ausschmückung von Details der Erzählhandlung läßt sich überdies eine Basis für heilsgeschichtliche Allegoresen gewinnen: Und Abraham hob seinen Blick und schaute, und siehe, da hinten war ein Widder (Gen 22,13). Was bedeutet (hier) hinten? R. Juda be-Rabbi Simon sagte: Nach172 allen Generationen werden deine Kinder in Sünden gefangen und in Nöte verstrickt werden, aber zum Schluß werden sie durch die Hörner dieses Widders erlöst werden, denn es heißt: Und Gott der Herr wird den Schofar blasen und mit den Stürmen des Südens einherziehen (Sach 9,14). – R. Chuna (sagte) im Namen von R. Chanina bar Jitzchaq: Den ganzen Tag lang sah Abraham, wie der Widder sich in diesem Baum hier verfing und freikam und weglief, sich in diesem Dickicht dort verfing und freikam und weglief, sich in jenem Gestrüpp verfing und freikam und weglief. Der Heilige, gepriesen sei er, sprach zu Abraham: So werden deine Kinder nach allen Generationen in Sünden gefangen und in (fremde) Königreiche verstrickt werden, von Babylon nach Medien, von Medien nach Griechenland und von Griechenland nach Edom.173 Er sprach vor ihm: Herrscher der Welten, wird es ewig so sein? Er sagte zu ihm: Aber zum Schluß werden sie durch die Hörner dieses Widders erlöst werden! Und Gott der Herr wird den Schofar blasen und mit den Stürmen des Südens einherziehen.174

(Theodor/Albeck 513); s. dazu EGGER, Verdienste (s. Anm. 69), 367f.; KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 33f. und 52. – Weitere derartige Deutungen der Aqeda auch bei LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 90. 170 LAB 32,3 (Harrington 244–247). 171 So CN Gen 22,14; ähnlich TPsJ und die Hss. des Fragmententargums zu Gen 22,14 (BPM IV/1, 144f.). 172 Die Exegese beruht auf dem ähnlichen Klang von rj'a' „hinten“ und rjea' „nach“. 173 „Edom“ ist eine gängige rabbinische Umschreibung für Rom. 174 yTaan 2,4/2–3 (Schäfer/Becker 240); ähnlich BerR 56,9 (Theodor/Albeck 605f.); s. dazu KUNDERT, Opferung/Bindung (s. Anm. 149), 39f. und 172f.

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Was die tannaitischen und amoräischen Märtyrerlegenden vermissen lassen, haben wir hier in breitester Fächerung: Isaaks Bindung bewirkt für Israel in umfassender Weise Heil. Wenn die Haggadisten seinem Opfergang zutrauten, was ihnen bei jenen Märtyrern nicht in den Sinn kam, so dürfte das seinen einfachen Grund darin haben, daß Isaak zu den Erzeltern Israels gehört. Seine Geschichte hat als Text der Bibel kanonische Dignität; von den Erinnerungen an R. Aqiva und seine Leidensgenossen kann man dies nicht sagen. Noch ein weiteres macht der Vergleich zwischen diesen beiden Traditionskomplexen transparent: Das tatsächliche Eintreten des Todes wird nicht als notwendige Voraussetzung für soteriologische Relevanz begriffen. Es gibt zwar, wie gesagt, eine deutliche Tendenz, den Vorgang, den der Engel Gottes unterbrochen hatte, wenigstens virtuell zu Ende zu bringen,175 aber letztlich störte man sich nicht daran, daß die Geschichte in Wirklichkeit einen anderen Ausgang genommen hatte. Worauf es ankam, war nicht die vollzogene Opferung für Gott, sondern die Bereitschaft dazu. Daß es darauf ankommt, zur Hingabe des eigenen Lebens bereit zu sein, ist ein Gedanke, der auch in vielen anderen haggadischen Zusammenhängen eine Rolle spielt. Hierzu im folgenden.

9. Das Motiv der Hingabe des Lebens Die Verben rsm und ÷tn und die Substantive opn und µx[ lassen sich miteinander zu vier verschiedenen Wendungen verbinden – wopn rsm, hopn hntn, ÷mx[ wntn, wnymx[ wnrsm –, die alle dasselbe bedeuten: die Dahingabe des eigenen Lebens für einen höheren Zweck.176 Da diese Wendungen nicht eo ipso implizieren, daß der Einsatz des Lebens zu dessen Verlust führt,177 sind die Gestalten aus Israels biblischer Geschichte, denen eine solche Selbsthingabe nachgesagt wird, recht zahlreich:

175 Dabei könnte man unter dem Einfluß des zeitgenössischen Christentums gestanden haben; vgl. LOHSE, Märtyrer (s. Anm. 10), 91, mit Hinweis auf die einschlägigen bildlichen Darstellungen in den Synagogen von Bet Alpha und Dura Europos. 176 Dem hebräischen wopn ÷tn entspricht aramäisch hyopn bhy . Für die atl. Wendung vpn µyc habe ich in der rabbinischen Literatur nur fünf Belege gefunden, außer den in Anm. 188 und 196 (TanB Wayyaqhel 11) genannten noch Yalq II § 68 (355d): Jeftah setzte sein Leben ein, um Israel vor den Ammonitern und Moabitern zu retten. Zu vergleichbaren ntl. und paganen Wendungen s. G. RÖHSER, Stellvertretung im Neuen Testament, SBS 195, Stuttgart 2002, 68–76. 177 So schon W. P OPKES, Christus traditus. Eine Untersuchung zum Begriff der Hingabe im Neuen Testament, AThANT 49, Zürich, Stuttgart 1967, 61–64. Zum ntl. Sprachgebrauch s. RÖHSER, Stellvertretung (s. Anm. 176), 76f.

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Mose gab sein Leben für Israel, für die Tora und für die Richter;178 Juda gab sein Leben für Benjamin;179 der Stamm Levi gab, als Israel sich das goldene Kalb machte, sein Leben zur Heiligung des Gottesnamens;180 auch Hur, der Großvater des Kunsthandwerkers Bezalel, gab sein Leben für Gott, als Israel in der Wüste Abgötterei trieb.181 Pinchas und Kaleb setzten ihr Leben als Kundschafter im Auftrag Josuas aufs Spiel.182 Saul gab sein Leben für den Bau eines Altars, weshalb die Schrift in 1 Sam 14,35 den Eindruck erweckt, er sei überhaupt der erste Altarbauer gewesen.183 Jonathan wagte sein Leben für David,184 und David gab sein Leben für den Tempel, so ist in Ps 30,1 der Tempel nach ihm benannt.185 Elia setzte sein Leben für seine Gastgeberin ein, indem er ihren verstorbenen Sohn auferweckte;186 Esther gab ihr Leben für Israel,187 namentlich durch ihre Intervention bei König Ahasveros.188 Für Israel gaben schon „die Väter und die Propheten“ ihr Leben.189 Israel gibt sein Leben hin für Gott190 und die

178 MekhY Shirta 1 (Horovitz/Rabin 117: wopn ÷tn, auch wopn rsm); TanB ShofeÃim 4 (15a: wopn ... rsm). ShemR 30,4 (53a: wopn ... ÷tn) und BamR 12,9 (48c: wopn ÷tn) nennen ebenfalls Israel und die Tora, statt der Richter (÷ynyyd) aber die Rechtssatzungen ( ÷ynyd); I. Rabin (Fußnote zu MekhY a.a.O., Z. 17) beurteilte diese Lesart als sekundär. Lediglich die Hingabe für Israel erwähnen bSot 14a; ShemR 47,9 (77d); TanB Berakha 2 (27b); nur die Hingabe für die Tora SifDev 306 (Finkelstein 337: hyl[ yttn yopn). Für die Errichtung der heiligen Wohnstatt setzte nicht allein Mose sein Leben ein, sondern alle, die daran beteiligt waren, TanB Naso 20 (18b: µopn ta wntn, Mose wopn ... ÷tn). 179 BerR 93,7 (Theodor/Albeck 1162: wmx[ rsm); BamR 14,8 (60d: wopn ... rsm); anders TanB Wayyiggash 10 (105b: ÷mynb l[ wt[d ÷tn). 180 BamR 1,12 (4a: ymo towdq l[ µopn wntn); BamR 3,7 (9c: h" bqh l[ µopn wntn); TanB Bemidbar 19 (8b: yl[ µopn ta wntn und h" bqh l[ µopn wntn). 181 ShemR 48,3 (78c: h" bqh l[ wopn ÷tn); TanB Wayyaqhel 4 (61a: l[ wopn ÷tn h" bqh, 61b: yl[ ttn ûopn). 182 BamR 16,1 (68c: µopn wntn, 68d: µopn ... wntn); TanB Shelaú 1 (31b: µopn wntn, 32a: ÷mx[ wntn). 183 WaR 25,8 (Margulies 586: wopn ÷tn); ShirR 5,15 (32b: wopn ÷tn); variiert in BamR 10,1 (34c: jbzm ûrwx ayho hfyjo lo rbdh l[ wopn ÷tn). 184 bAr 16b (hyopn rsm). 185 MekhY Shirta 1 (Horovitz/Rabin 117: wopn ... ÷tn); TanB Naso 20 (18a: wopn ... ÷tn); BamR 12,9 (48c: wopn ... ÷tn). 186 ShemR 4,2 (13d: wopn rsm). 187 ShemR 30,4 (53a: hopn hntn). 188 „Der König sprach zu ihr: Ich sehe, deine Bitte ist groß, denn du hast dein Leben eingesetzt, um (für sie) zu sterben“, Yalq II § 1056 zu Est 5,2 (530b: ûopn tmo); ähnlich Midrash Panim aúerim, Nosaú 2, Pereq 2 (Buber). 189 Mekhilta Bo 1 (Horovitz/Rabin 4: µopn wntn). 190 TanB Te§awwe 1 (48b: wopn ÷twn), der Schriftbeleg ist Ps 44,23; PesR 35 (Friedmann 160a: µmx[ µyrswm); MTeh 4,10 (Buber 24a: wnmx[ wnrsm).

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Tora;191 in der Verfolgung zu nachbiblischer Zeit gab es sein Leben für verschiedene besonders wichtige Gebote, wenn auch für andere nicht.192 Isaak gab sein Leben für die Aqeda;193 Abraham gab sein Leben für die Heiligung des Gottesnamens, als ihn Nimrod,194 und Chananja, Mischael und Asarja gaben ihr Leben, als Nebukadnezar sie in den feurigen Ofen werfen ließ.195 Die Aufzählung läßt sich verlängern.196 Soweit es sich der haggadischen Tradition entnehmen läßt, mußte keine der erwähnten biblischen Gestalten ihren Einsatz für die gute Sache tatsächlich mit dem Leben bezahlen.197 Selbst die Behauptung, sie hätten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, läßt sich nur im geringeren Teil der Fälle über191

TanB Ki-Tavo 4 (24b: µopn ÷yrswm, für die Tora und die Heiligung des Gottesnamens). Vgl. auch Tan HaEn Ya>aqov).

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und so dann doch aus freien Stücken ging. Denn starben Miriam und Aaron eines natürlichen Todes und wurden die Haruge Malkhut von einem feindlichen Tyrannen gemordet, so trug für die Auslieferung eines Ulla bar Qoscher das rabbinische Recht die Verantwortung, woran es sich von Elia tadelnd gemahnen lassen mußte; und dieser Unterschied ist wesentlich. Daß man sich später noch lange zurückhielt, ehe man den Stellvertretungsgedanken auch auf die Martyrien des R. Aqiva und seiner Leidensgenossen übertrug, könnte durch die Sensibilität für diesen prekären halachischen Aspekt mitbedingt gewesen sein.

11. Heilvoller Tod, rabbinisch und neutestamentlich Der gebotene Überblick ist nicht erschöpfend,217 aber er vermittelt von dem, was die rabbinische Tradition zum Zusammenhang von Tod und Heil zu sagen wußte, ein repräsentatives Bild.218 Dieses Bild ist ausgesprochen vielfältig, und es weist eine Reihe von Motiven und Begriffen auf, die auch in der neutestamentlichen Diskussion eine Rolle spielen: die Kompensation des Todes durch postmortales Heil, das Motiv des unschuldigen Leidens, das Motiv der Opferung, die Beseitigung von Sündenschuld, die Termini rpyk und hrpk, die kollektiven Heilsfolgen der Hingabe eines einzelnen, Geschehenszusammenhänge, die sich auf den Begriff der Stellvertretung bringen lassen. Unter den vielfältigen Kombinationen, zu denen sich diese Motive, Begriffe und Vorstellungen in rabbinischen Textstücken zusammenfügen, heben sich allerdings nicht wenige von vergleichbaren neutestamentlichen

217 Es wäre müßig, etwa für die Wendungen wopn ÷tn und wmx[ rsm noch weitere Belege aufzuhäufen, wie sie sich mit Hilfe elektronischer Textsammlungen leicht beibringen ließen (z.B. aus Yalqut Shimoni). Andererseits können auch elektronische Textsammlungen keine Vollständigkeit garantieren, da ihre Leistungsfähigkeit nicht nur von der Zuverlässigkeit der Texteingabe, sondern auch von einer gerade bei rabbinischen Werken unvermeidlich selektiven Textbasis abhängt. 218 Mehr zu sagen gäbe es vor allem zur rabbinischen Rezeption von Jes 53. Freilich, der merkwürdige Befund, daß die rabbinische Tradition Jes 53 messianisch verstand und zugleich in anderen Zusammenhängen seit amoräischer Zeit zunehmend dem Stellvertretungsgedanken Raum gab (s. Abs. 6, 8 und 9), aber auf dieser Basis dennoch nicht die Vorstellung von einem stellvertretenden Leiden des Messias ausbildete, bedürfte einer eigenen Untersuchung. Die Abgrenzung gegenüber dem Christentum kann jedenfalls für diese Zurückhaltung nicht ausschlaggebend gewesen sein, denn sonst hätte man Jes 53 überhaupt nicht messianisch lesen dürfen und den Stellvertretungsgedanken generell zurückweisen müssen. Zur Diskussion s. J. JEREMIAS, Art. pai'~ qeou`, C. pai'~ qeou` im Spätjudentum in der Zeit nach der Entstehung der LXX, ThWNT V (1954), 676–698, bes. 696f.; weitere Literatur bei ÅDNA, Gottesknecht (s. Anm. 202), passim.

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– namentlich christologischen – Diskursen auffällig ab. Die Unterschiede lassen sich in drei Grundtypen zusammenfassen: 1.) Nach rabbinischer Auffassung hat der Tod eine Heilswirkung für die postmortale Existenz des Sterbenden selbst. Begangene Sünden werden durch den Tod gesühnt, und dem Toten wird die Teilhabe am Leben der kommenden Welt zugesprochen. Im Prinzip gilt dies für den Tod jedes Israeliten und jeder Israelitin, aber betont zum Ausdruck gebracht wird es vor allem in Fällen von Hinrichtung, von Martyrium und von Selbstmord aus Scham, Reue oder Verzweiflung. Dieser Gedanke einer individuellen Sühnewirkung des Todes begegnet bereits in den ältesten Schichten der rabbinischen Traditionsliteratur.219 Im Neuen Testament wäre er deplaziert, denn er würde die universale Stellvertretung durch den Tod Christi überflüssig machen. 2.) Postmortales, „ewiges“ Leben ist nicht die einzige Heilsfunktion, die die rabbinische Tradition der Preisgabe des irdischen Lebens zuschreibt. Wenn der Tod aus Liebe zu Gott und zur Heiligung seines Namens geschieht oder das Leben um der Tora und um der Gebote willen dahingegeben wird, liegt das Heilsziel jenseits der eigenen Existenz des sich Hingebenden. Vorstellungen und Motive dieser Art begegnen zunächst in tannaitischen Märtyrerüberlieferungen, später auch in Auslegungen biblischer Stoffe, besonders solcher von martyrologischer Affinität.220 Die These, daß Religion „Lebensgewinn“ verheißt,221 läßt sich ihnen gegenüber nur in sehr weitem Sinne aufrechterhalten. 3.) Menschen, von deren Selbsthingabe eine kollektive Heilswirkung ausgeht, kennt die rabbinische Tradition in großer Zahl, zunächst in der biblischen, später auch in der eigenen, rabbinischen Geschichte. Von Gerechten, deren Sterben für Israel „Sühne wirkt“, spricht sie in der Abstraktheit eines Prinzips, das sich in beliebig vielen empirischen Todesfällen konkretisieren zu können scheint.222 Die für das christliche Bekenntnis charakteristische Konzentration auf eine einzige Person und einen einzigen Heilstod von universaler Bedeutung ist dem rabbinischen Denken fremd. Umgekehrt erscheinen die neutestamentlichen Aussagen über die Heilsbedeutung des Todes Christi, wenn man sie am rabbinischen Maßstab mißt, wesentlich homogener, als 219 220 221 222

Vgl. Abs. 2, 3 und 4. Vgl. Abs. 5 und 9. Siehe Abs. 1. Vgl. Abs. 6, 7, 8, 9.

Lebenshingabe und heilschaffender Tod in der rabbinischen Literatur

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sie sich aus der Binnenperspektive der neutestamentlichen Wissenschaft ausnehmen. Die Suche nach einer christologischen „Mitte“ oder, bescheidener, nach einem gemeinsamen Nenner neutestamentlicher Kreuzestheologie scheint von dieser Warte aus gar nicht so aussichtslos. Jedenfalls bedeutet die christologische Konzentration des Neuen Testaments, gemessen an den rabbinischen Aussagen über Tod und Heil, eine erhebliche Reduktion von Komplexität und einen entsprechenden Gewinn von Eindeutigkeit. Konnten die frühen Tannaiten noch die Sühnefunktionen der Umkehr, des Versöhnungstages, des Leidens und des Todes mit dem vielzitierten Schema des R. Jischmael223 zur Synthese bringen, wäre eine solche Systematisierung in amoräischer Zeit angesichts der fortschreitenden Ausweitung der Sühnefunktion auf nahezu beliebige Vollzüge und Gegenstände des religiösen Lebens224 nicht mehr möglich gewesen. Andererseits hat diese zunehmende sühnetheologische Diversifikation den amoräischen Haggadisten keinerlei Probleme bereitet. Die Sühnewirkung des Strafleidens und die des Versöhnungstages, die der Gewänder des Hohenpriesters und die seines Todes machten einander keine Konkurrenz. Im Gegenteil, das Fehlen eines Sühne- und Stellvertretungsmonopols, wie es im Neuen Testament die Christologie innehatte, ermöglichte es, daß Deutungspotentiale erhalten blieben, deren sinnstiftende Wirkung sich auch in anderen Bereichen des religiösen Erlebens entfalten konnte: Der Tod der Gerechten ließ sich als Sühne für Israel erklären, der Tod der unmündigen Kinder als Sühne für ihre Eltern,225 und wenn das Martyrium der Haruge Malkhut auch erst im Mittelalter als stellvertretendes Heilsgeschehen gedeutet wurde, so lagen doch die Begrifflichkeit und die Denkfiguren, deren sich diese Deutung bediente, schon seit talmudischer Zeit bereit. Für die Martyrien des Christentums kamen Sinngebungen dieser Art nicht mehr in Frage; man mag es als Einengung oder auch im Gegenteil als Chance und Gewinn betrachten. Schon Paulus hat für sein Leiden und seine Todesnähe in 2 Kor 11f. und Phil 1 eine ganz andere Sprache gefunden.

223 224 225

Siehe Abs. 2 mit Anm. 10. Vgl. die Beispiele in Anm. 95 und 125. Siehe Anm. 102.

Making Sense of Jesus’ Death The Pagan Contribution* Henk S. Versnel Wat bewoog mensen in godsnaam om de korte tijd dat ze op aarde waren op deze wijze door te brengen? J.J. Voskuil1

1. Questions “How did it come about that the disciples of Jesus could proclaim the cruel, disastrous execution of their master as the saving event par excellence? In other words, how did the crucifixion of Jesus come to take its place at the centre of early Christian preaching?”2

With these “words” Hengel presented his version of the vexing question concerning the origin of the idea as expressed in Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r hJmw'n,3 or in Hengel’s words: “the death (...) that became the foundation of *

I am most grateful to the two editors of this volume Jörg Frey and Jens Schröter for their stimulation, patience and support, and to Jan Willem van Henten for reading and commenting on parts of the first draft. My greatest debt, however, I owe to Professor Alexander Wedderburn, who generously accepted the onerous task of correcting the English text and whose meticulous care went far beyond the limits of what I could possibly have expected. 1 J.J. V OSKUIL, En ook weemoedigheid, Het Bureau 5, Amsterdam 1999, 913. 2 M. H ENGEL, The Atonement: The Origins of the Doctrine in the New Testament, Philadelphia 1981, 1. In the original German version (Der stellvertretende Sühnetod Jesu: Ein Beitrag zur Entstehung des urchristlichen Kerygmas, IKZ 9 [1980], 1–25.135–147, 1): “Wie kam es dazu, daß jene grausame unheilvolle Hinrichtung von den Jüngern Jesu als unüberbietbar heilvolles Ereignis verkündet werde konnte? Mit anderen Worten: Wie erhielt die Kreuzigung Jesu ihren Platz in der Mitte der frühchristlichen Predigt?” 3 This is the common denominator of a range of variant expressions in the Pauline corpus such as: 1 Thess 5,10 peri; uJmw'n, Gal 2,21 Cristo;~ dwrea;n ajpevqanen, 2 Cor 5,14f. ei|~ uJpe;r pavntwn, 1 Cor 8,11 di’ o}n Cristo;~ ajpevqanen, Rom 14,15 uJpe;r ou| Cristo;~ ajpevqanen. For a full list of NT expressions with ajpevqanen (or other verbal forms) combined with uJpevr see: H.J. DE J ONGE, The Original Setting of the CRISTOS APEQANEN UPER Formula, in: R.F. Collins (ed.), The Thessalonian Correspondence, BETL 87, Leuven 1990, 229–235, 235. More exhaustive discussion: R. B IERINGER, Traditionsgeschichtlicher Ursprung und theologische Bedeutung der hyper-Aussagen im Neuen Testament, in: F. van Segbroek a.o. (eds.), The Four Gospels (FS F. Neirynck),

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Christian faith.” The question was not new, but some answers, proposed in the seventies of the last century, were. For the first time two radically different options presented themselves. The first option, practically unanimously adhered to till that time and still, though less predominantly, prevailing in modern NT scholarship, holds that the notion of soteriological death was the product of an internal Israelite-Jewish tradition untainted by foreign interference. This by no means implies a consensus with respect to preferences for specific OT or early Jewish models. Among the different possibilities Deutero-Isaiah 53,3–54 of course boasts pride of place, presenting the suffering servant: “the man of sorrows (...) who has borne our griefs (...) was wounded for our transgressions (...) with whose stripes we are healed”, and who finally “was brought as a lamb to the slaughter”.5 But there was an abundance of other models as well.6 For instance the priestly cult ordinances in Lev 4–5 and 16, and in Ezekiel, which open the door to the interpretation of a cultic atonement. Next, there is the ‘binding of Isaac’ (Gen 22).7 Furthermore there is the tradition of suffering prophets, or more pertinent: the ‘suffering

vol. 1, BETL 100, Leuven 1992, 219–248. Cf. also M. WOLTER, Rechtfertigung und zukünftiges Heil: Untersuchungen zu Röm 5,1–11, BZNW 43, Berlin 1978, 171f., and see ID. in this volume. On the various terms with which Jesus’ offer of his own life is expressed see: W. POPKES, Christus traditus: Eine Untersuchung zum Begriff der Dahingabe im Neuen Testament, AThANT 49, Zürich/Stuttgart 1967, esp. 86–88. 4 B. J ANOWSKI/P. STUHLMACHER (eds.), Der leidende Gottesknecht: Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, FAT 14, Tübingen 1996; E. HAAG, Stellvertretung und Sühne nach Jesaja 53, TThZ 105 (1996), 1–20; B. JANOWSKI, Stellvertretung: Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997, 67–96, and cf. infra n. 8. 5 The correspondences with NT sacrificial interpretations of Jesus’ death are more conspicuous in the deviating LXX translation: ta;~ aJmartiva~ hJmw'n fevrei (...) memalavkistai dia; ta;~ aJmartiva~ hJmw'n (...) kai; kuvrio~ parevdwken aujto;n tai'~ aJmartivai~ hJmw'n. 6 E. LOHSE , Märtyrer und Gottesknecht: Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, Göttingen 21963, 1–112. More recent surveys of the variety of interpretations of Jesus’ death in: M.-L. G UBLER, Die frühesten Deutungen des Todes Jesu: Eine motivgeschichtliche Darstellung aufgrund der neueren exegetischen Forschung, OBO 15, Freiburg/Göttingen 1977; G. FRIEDRICH, Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament, Biblisch-theologische Studien 6, Neukirchen-Vluyn 1982; G. B ARTH, Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 1992. Cf. the introduction to the discussion on possible prefigurations of Jewish martyrology, in: J.W. VAN HENTEN (ed.), Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, Leiden 1989, 1–19. 7 See e.g.: R.J. D ALY, The Soteriological Significance of the Sacrifice of Isaac, CBQ 39 (1977), 45–75; D. SEELEY, The Noble Death: Graeco-Roman Martyrology and Paul’s Concept of Salvation, JSNT.SS 28, Sheffield 1990, chs. 1 and 3, for literature and discussion of Pauline use of these themes.

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righteous ones’.8 An older theory that was revived in the late eighties of the last century, regards the figure of the Jewish martyr as e.g. in 2 Maccabees as the model according to which the vicarious soteriological death of Jesus has been moulded. The different options were generally9 presented as monolithic, mutually exclusive ones and, consequently, were fiercely challenged by adherents of rival theories. Even the non-initiate like the present author has learned to interject an occasional ‘erratic block’, when he wishes to discredit Isa 53 as model for Jesus’ death.10 However the seventies witnessed the publica8

L. RUPPERT, Der leidende Gerechte: Eine motivgeschichtliche Untersuchung zum Alten Testament und zwischentestamentlichen Judentum, fzb 5, Würzburg 1972; ID., Der leidende Gerechte, in: Van Henten (ed.), Entstehung (n. 6), 76–87; K.T H. KLEINKNECHT, Der leidende Gerechtfertigte: Die alttestamentlich-jüdische Tradition vom leidenden Gerechten und ihre Rezeption bei Paulus, WUNT II/13, Tübingen 1984. Jesus as a suffering righteous man: L. RUPPERT, Jesus als der leidende Gerechte? Der Weg Jesu im Licht eines alt- und zwischentestamentlichen Motivs, SBS 59, Stuttgart 1972. 9 Not always: P. Stuhlmacher in numerous works has pleaded for a biblical theology of the NT, in which many OT elements are suggested as contributors to the idea of Jesus’ atoning death. 10 Coined by K. KOCH, Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit, EvTh 26 (1966), 217–239 (= ID., Spuren des hebräischen Denkens: Beiträge zur alttestamentlichen Theologie, Vol. 1: Gesammelte Aufsätze, ed. by B. Janowski/M. Krause, Neukirchen-Vluyn 1991, 184–205), esp. 237, on the argument that its tenor stands in stark contradiction to other OT texts such as “a person may die only for his own sins” (Deut 24,16; 2 Kings 14,6; 2 Chr 25,4), and “I blot out from my book only those who have sinned against me” (Ex 32,30–33), being the Lord’s answer to Moses when he offered to die for the sins of the people. Moreover, evidence that this Song of God’s Servant is taken up in the earliest strata of the New Testament is conspicuously absent. D.-A. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums: Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986, 232–238, amply and forcefully contests any influence of Deutero-Isaiah 53 on Paul’s interpretation of Jesus’ death: neither on the surrender formula, nor on the dying formula, nor on the various uJpevr-expressions. Of course, these arguments were not completely new. M.D. HOOKER, Jesus and the Servant: The Influence of the Servant Concept of Deutero-Isaiah in the New Testament, London 1959, esp. 56f., preceded them, concluding that “there is no evidence for a pre-Christian doctrine of a suffering Messiah based upon Deutero-Isaiah.” Neither was there, so she amply argues, in NT scriptures. The same view was defended e.g. by M. DE J ONGE, Jesus’ Death for Others and the Maccabean Martyrs, in: T. Baarda a.o. (eds.), Text and Testimony (FS A.F.J. Klijn), Kampen 1988 (= Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs: Collected Essays of Marinus de Jonge, NT.S 63, Leiden 1991, 125–134, esp. 129); ID., God’s Final Envoy: Early Christology and Jesus’ Own View of his Mission, Grand Rapids 1998, 30–33. Cf. recently J. SCHRÖTER, Sterben für die Freunde: Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: A. von Dobbeler a.o. (eds.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS K. Berger), Tübingen 2000, 263–287, 279: “Die ältere Auffassung, es lasse sich eine Brücke zwischen der urchristlichen Deutung des Todes Jesu und einer aus dem Alten Testament

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tion of two studies that launched a radical and comprehensive critique, levelled not at one or a number of interpretations, but at the very concept of the OT as source of the notion of vicarious death. Independently, Wengst and Williams examined and rejected the evolutionary constructions just mentioned.11 Wengst concludes: “So fehlt im AT (...) jede Art von ‘sterben für’, sei es für andere oder für eine ‘Idee’.”12 Williams: “In the Old Testament and other Jewish literature Isaiah 53 is the only text which might be interpreted as expressing a concept of vicarious expiatory suffering or death. But, as has been shown, evidence is lacking that Isaiah 53 was so understood in the intervening centuries between Second Isaiah and IV Maccabees.”13 These two statements and the arguments on which they were grounded inaugurated a new line of research. And with this we have arrived at the second option announced supra. If the notion of vicarious death cannot be traced back to the OT, where did it originate? The answer to this question proposed by these two authors was revolutionary: the models of soteriological ‘death of one for all’ should be looked for in classical Greek culture, myth and literature. Once more this does not mean that ranks were closed. When Gnilka observed against Wengst that the Greek testimonia adduced by him referred only to salvation from physical perils and that in his source material there was nowhere any indication of a theologically based ‘dying for another’,14 he was, at least in this respect, right. Wengst had argued that the idea expressed by the concise formula Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r hJmw'n ultimately was of Greek origin, but that with the more detailed, longer phrase Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r tw'n aJmartiw'n hJmw'n (1 Cor 15,3)15 a radically new concept had been created. I quote the relevant passage in Wengst since it is of fundamental importance to the issues I am raising here:

herkommenden jüdischen Tradition eines stellvertretenden, sühnenden Sterbens herstellen (Lohse, Gnilka) dürfte inzwischen als widerlegt angesehen werden (Williams, Hengel, Versnel, Wengst)”, where he includes Isa 53. See also infra n. 28. 11 K. W ENGST, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, Gütersloh 1972; S.K. W ILLIAMS, Jesus’ Death as Saving Event: The Background and Origin of a Concept, HDR 2, Missoula 1975. 12 WENGST, Christologische Formeln (n. 11), 59. 13 W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 185. 14 J. G NILKA, Martyriumsparänese und Sühnetod in synoptischen und jüdischen Traditionen, in: R. Schnackenburg a.o. (eds.), Die Kirche des Anfangs (FS H. Schürmann), EThSt 38, Leipzig 1977, 223–246, 238. 15 Including its variations and allusions in Rom 5,6 Cristo;~ (...) o[n twn hJmw'n ajsqenw'n e[ti kata; kairo;n uJpe;r ajsebw'n ajpevqanen, and Rom 5,8 e[ti aJmartwlw'n o[ntwn hJmw'n Cristo;~ uJpe;r hJmw'n ajpevqanen.

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“Sie (i.e. the brief expression ajpevqanen uJpe;r hJmw'n) wurde weiter ‘ausgebaut’ durch ihre Verbindung mit dem alttestamentlich-jüdischen Sühnegedanken, daß der vor Gott sündige Mensch einer Sühne bedarf; aber dieser ‘Ausbau’, diese Verbindung, brachte etwas Neues hervor, das weder der alttestamentlichen Tradition geläufig noch in der griechischen Tradition da war: die Vorstellung vom stellvertretenden Sühnetod einzelner für andere.”16

Thus, the notion ‘to die for’ is a Greek legacy, accredited by the Hellenistic-Jewish culture of the diaspora. The idea of atoning (Sühne) for one’s sins (Sünde) against God is the OT contribution and was inherited by Palestinian-Jewish culture. The earliest combination of dying as atonement for the sins of others or of all can be found, according to Wengst, in 2 Macc 7,37f. with 32. Prior to this, never the twain had met. The new idea was later expanded and elaborated on in 4 Macc 6,27–29. Although I do feel that Wengst was right in a revolutionary way with his appeal to non-Jewish, in casu Greek sources, the ingrained Christian connotations and overtones of the terms Sünde and Sühne17 prevented structurally similar Greek notions of vicarious death of the ‘one for all’ type, including those intended as atonement of the wrath of god(s), from dawning upon him. In other words, Wengst restricted his material to a deficient, if not biased, selection of evidence concerning a certain type of ‘noble and effective death’, belonging to the categories that we shall encounter as ‘philosophical’ and ‘patriotic death’ in the next section and which is not necessarily vicarious. In so doing he overlooked the far more relevant evidence of genuinely vicarious death in Greek myth and ritual. Williams, having no knowledge of Wengst’s book, did validate the Greek evidence concerning the (preferably voluntary) death of one person for the salvation of one, many or all others, which, as he showed, was an established topic in classic Greek myth and literature.18 He derives the relevant part of his material especially from the tragedies of Euripides. Although in his material (with one or two exceptions) similar vicarious human sacrifices are not explicitly intended as an act of appeasing (iJlavskesqai) a wrathful god, this did not make him close his eyes to the simi16 17

WENGST, Christologische Formeln (n. 11), 63. The fatal effects of an indiscriminate and uncritical application of term and concept ‘Sühne’ in the discussion on the origin and meaning of Jesus’ death has been expounded and censured in a series of studies by C. BREYTENBACH, Versöhnung: Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989; ID., Versöhnung, Stellvertretung und Sühne: Semantische und traditionsgeschichtliche Bemerkungen am Beispiel der paulinischen Briefe, NTS 39 (1993), 59–79; ID., Gnädigstimmen und opferkultische Sühne im Urchristentum und seiner Umwelt, in: B. Janowski/M. Welker (eds.), Opfer: Theologische und kulturelle Kontexte, stw 1454, Frankfurt a.M. 2000, 217–243; ID., Sühne, in: Theologisches Begriffslexikon II, Neukirchen-Vluyn 2000, 1685–1693. 18 W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 155.

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larities in form, vocabulary and meaning between his Greek evidence and that of 4 Maccabees and NT writings. His conclusion is that the idea of vicarious death for many in these scriptures was directly inspired by classical Greek models. It should be noted here that Williams adopts Bickerman’s early chronology of 4 Maccabees, between 18 and 55 AD.19 Although such an early date for a scripture that indisputably deploys Greek idiom for sacrifice, atonement and ransom, as contemporary with or even prior to the constitution of the corpus Paulinum, would perfectly suit my argument, I must yield to the counter-arguments put forward in recent research. Van Henten, who made a solid case for a date around or soon after 100 AD in his earlier work,20 now even suggests that 4 Maccabees originated in response to early Christian glorifications of martyrdom in the late second or third century,21 in accordance with Boyarin’s innovating plea for multiple interactions between Jewish and Christian traditions about martyrdom. Whatever the import of these other arguments, Williams’ differing chronology does not affect the value of his main argument. I have called these new theories ‘revolutionary’ and in the period of their introduction they no doubt were. Yet comparison of Jesus’ soteriological death with pagan instances of ‘vicarious death’ are less new than is generally realized. The numerous stories about vicarious noble death in Greek literature were of course not unknown to authors of the Early Imperial period. And they were referred to by these authors, including Christians, as convenient tools for their own arguments. 1 Clem 55,1, for instance, exhorting his Christian readers to an attitude of self-denial, writes: “Let us also bring forward examples from the heathen. When a period of pestilence announces itself, many kings and rulers have surrendered themselves to death (parevdwkan

19 E.J. B ICKERMAN, The Date of Fourth Maccabees, in: S. Lieberman (ed.), Louis Ginzberg Jubilee Volume, English Section, New York 1945, 105–122. Slightly revised in ID., Studies in Jewish and Christian History I, AGJU 9, Leiden 1976, 275–281. And he is not alone in this. See for recent scholarship arguing for an early date (including now also Hengel) VAN HENTEN in this volume, p. 143. 20 J.W. VAN H ENTEN, Datierung und Herkunft des vierten Makkabäerbuches, in: Id./H.J. de Jonge a.o. (eds.), Tradition and Re-Interpretation in Jewish and Early Christian Literature (FS J.C.H. Lebram), Studia Post-Biblica 36, Leiden 1986, 136–149; H.-J. KLAUCK, 4 Makkabäerbuch, in: H. Lichtenberger (ed.), Unterweisung in lehrhafter Form, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989, 645–763, 668f. 21 J.W. VAN HENTEN, Martyrdom and Persecution Revisited: The Case of 4 Maccabees, in: W. Ameling (ed.), Märtyrer und Märtyrerakten, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 6, Wiesbaden/Stuttgart 2002, 59–75; summarized by VAN HENTEN in this volume, pp. 143–145.

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eJautou;~ eij~ qavnaton), at the instruction of an oracle, in order to rescue their subjects through their own blood.”22

Origen, c. Celsum I 31 juxtaposes pagan acts of self-sacrifice and Jesus’ death: “Jesus voluntarily accepted death for the sake of the race of men, just like (ajnavlogon) those who died for their fatherland to save it from prevailing epidemics, or failure of the crop or storms that endanger navigation. For it appears that it is in the nature of things that there is a kind of natural law according to certain mysterious and hidden reasons (...) that one righteous (divkaion) man, who voluntarily dies for the community, averts evil demons who cause epidemics and famine (...).”

Both texts betray Christian influence in their vocabulary but the references are to pagan exempla. It is interesting that Philo of Byblus, FGrHist 790 F 3b, circa 100 AD and not a Christian, refers in similar terms to vicarious child-sacrifice as practiced in his own, Phoenician, culture:23 “Among the ancients it was a common custom that the rulers of a city or a nation in periods of great catastrophes or threats offered (eij~ sfagh;n ejpididovnai) their most beloved child in exchange for the doom of all (ajnti; th'~ pavntwn fqora'~) as ransom for the vindictive demons (luvtron toi'~ timw'roi~ daivmosi).”

These and many other testimonia had been collected and discussed with incredible learning by E. von Lasaulx as early as 184124, more than a century before the studies under discussion. Some five years after Williams, but without having cognizance of his work, Martin Hengel published “The Atonement”, which in its successive versions received a wider readership than its two predecessors. Hengel presents an even more extensive and variegated collection of pagan Greek and Roman testimonia of effective death, and explicitly contests Wengst’s above cited position, which in his view “seems to be inconsistent with his own views”25. One of his counter-arguments is that the traditional differentiation between the cultures of the Hellenistic-Greek diaspora and that of Palestinian Judaism can no longer be maintained.26 In the first section of his book, Hengel analyses the Greek component, demonstrating its impact on NT ideology. In the second part, the sote22

On this passage and the theme of heroic examples of self-sacrifice, see A.W. ZIEGLER, Neue Studien zum ersten Klemensbrief, München 1958, 66–69. 23 On the author and his work: H.W. ATTRIDGE /R.A. O DEN, Philo of Byblos, The Phoenician History, CBQ.MS 9, Washington, DC 1981; A.I. B AUMGARTEN, The Phoenician History of Philo of Byblos: A Commentary, EPRO 89, Leiden 1981. 24 E. VON LASAULX, Sühnopfer der Griechen und Römer und ihr Verhältnis zu dem einen auf Golgotha, in: Id., Studien des classischen Alterthums: Akademische Abhandlungen, Regensburg 1854 (= Würzburg 1841), 233–282. 25 H ENGEL, Atonement (n. 2), 19. 26 Hengel is easily the most influential scholar on this issue. See literature below n. 274.

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riological interpretation of Jesus is attributed to a credo of the earliest Christian community or even to Jesus himself. This time, however, its archetypes are sought in OT or early Jewish motifs. Isa 53 in particular and the sacrifice of Isaac receive a rehabilitation. His conclusion: “As a result (...) we must agree that the vicarious atoning effect of the death or even the suffering of a righteous man was not unknown in the Palestinian Judaism of the first century AD. Objections against deriving the soteriological interpretation of the death of Jesus from the earliest Aramaic speaking community are therefore at any rate unconvincing.”

As to the Greeks he concludes: “The Gentile who heard the gospel was quite familiar in his own way not only with the hero’s self-chosen death as a way to apotheosis per aspera ad astra and the theme of vicarious dying for others out of love, but also with the notion of a voluntary death as an atoning sacrifice, and he could also understand it in his own way.”

Thus in the end he radically detaches the two traditions of effective vicarious death, granting the Greeks the consolation prize of an ability to recognize and appreciate soteriological elements in the early Christian kerygma,27 which according to the author himself had Jewish roots, some of which, however, according to many other NT scholars, including Hengel, initially had been borrowed from Greek literature.28 The new “Hellenist approach or school”, as I will henceforth refer to the advocates of a Greek contribution to the background of NT vicarious death, while solving some problems, generated others. Once you accept (the possibility of) some sort of Greek influence on the creation of Jewish and/or NT soteriological death, the question arises in which historical period – id est in which of our sources – can its first signs be detected? With

27 As is very clearly summarized by P. P OKORNÝ, Antigone und Jesus (Opfer und Hoffnung), in: H. Cancik a.o. (eds.), Geschichte – Tradition – Reflexion (FS M. Hengel) III, Tübingen 1996, 49–62, esp. 51: “Hengel ist sich dessen bewußt, daß der Tod Jesu als Sühne eine neue Wirklichkeit ist, aber die Existenz des von ihm untersuchten Sprachfeldes von ‘Lebensopfer’ bzw. ‘Sühne’ hat ermöglicht, daß die ältesten christlichen Glaubensformeln (Sühne- bzw. Dahingabe-Formeln), welche von dem stellvertretenden Tod Jesu sprechen, auch im hellenistisch-römischen Milieu als Ausdruck der Tragweite der Geschichte Jesu verständlich waren.” 28 One perceives a wavering in his argument. At p. 8 he endorses the general objections (see above n. 10) against Isa 53 as the model for Jesus’ vicarious death. At p. 57ff., however, he recants and points out that Isa 53 no doubt had an influence on the origin and shaping of the earliest kerygma and that Isa 52,13–53,12 (but not the most pertinent verses 53,3–5 [HSV]) belongs to the most quoted or alluded to verses in the NT. Cf. also M. HENGEL, Zur Wirkungsgeschichte von Jes 53 in vorchristlicher Zeit, in: B. Janowski/P. Stuhlmacher (eds.), Der leidende Gottesknecht (n. 4), 49–91.

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respect to this question the opinions of the earliest protagonists of the Hellenist school differed. Wengst, as we just saw, held the view that the first signs of Greek influence could be detected in 2 Maccabees. In this he was followed by specialists on Jewish martyrology as chiefly represented by Leiden NT scholars, M. de Jonge and H.J. de Jonge,29 and especially J.W. van Henten, who provided fundamental contributions30 though gradually following a slightly different path. Like Wengst they argued that the earliest Jewish testimonies of vicarious atoning death can be found in 2 Maccabees (ca. 124 BC) and that central aspects of it were inspired by classical Greek models.31 From its first Jewish beginnings in the second century the idea must have landed 29 I mention the most representative of their publications and refer for more details to van Henten’s discussion in the present volume. M. DE JONGE, Jesus’ Death (n. 10). Cf. ID., Christology in Context: The Earliest Christian Response to Jesus, Philadelphia 1988, ch. 11. H.J. DE J ONGE, Original Setting (n. 3) and ID., De opstanding van Jezus: De Joodse traditie achter een christelijke belijdenis, in: T. Baarda/id./M.J.J. Menken (eds.), Jodendom en vroeg-christendom: Continuïteit en discontinuïteit, Kampen 1991, 47–61. ID., De plaats van de verzoening in de vroeg-christelijke theologie, in: A.A. van Houwelingen a.o. (eds.), Verzoening of koninkrijk, Baarn 1998, 63–88. I owe to Jan Willem van Henten the reference to, and to Henk Jan de Jonge the possession of a recent study in this Leiden school: viz the dissertation of D.G. POWERS, Salvation through Participation: An Examination of the Notion of the Believers’ Corporate Unity with Christ in Early Christian Soteriology, Diss. Leiden 2001 – whose pagination I follow in my citations (= CBET 29, Leuven 2001). 30 Especially concerning Greek influence on the Books of the Maccabees: J.W. VAN HENTEN, De joodse martelaars als grondleggers van een nieuwe orde: Een studie uitgaande van 2 en 4 Makkabeeën, Diss. Leiden 1986; ID., Das jüdische Selbstverständnis in den ältesten Martyrien, in: Id. a.o. (eds.), Datierung (n. 20), 127–161; ID., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ.S 57, Leiden 1997. Van Henten’s Doktorvater, J.C.H. Lebram, contributed important studies on the Greek character of 4 Macc whose model he discovered in the Greek epitaphios logos (J.C.H. LEBRAM, Die literarische Form des vierten Makkabäerbuches, VigChr 29 [1974], 81–96), and on the relationship of early Jewish (2 Macc, Dan 3 and 6, Ass Mos) martyrology with the genre of earlier wisdom literature (ID., Jüdische Martyrologie und Weisheitsüberlieferung, in: Van Henten [ed.], Entstehung [n. 6], 88–126). Greek influence, for that matter, is not restricted to 2 and 4 Maccabees. See for instance an interesting new suggestion on literary Greek heritage in 3 Maccabees: J.R.C. COUSLAND, Dionysus theomachos? Echoes of the Bacchae in 3 Maccabees, Biblica 82 (2001), 539–548, where one can find further literature on Greek elements in the book. 31 All agree that the idea of ‘dying for’ one’s creed or one’s city or country (in casu the Law or God’s Covenant or the Jewish fatherland) must have been borrowed from classical Greek models. VAN HENTEN, joodse martelaars (n. 30), 129–133, also tries to explain the vicarious death, which he thinks can be detected in the martyrium of the youngest son in 2 Macc 7,37f., as a legacy from Greek tragic and other mythical instances. It is not always clear in how far M. and J.H. de Jonge follow him at this point since they do not make a strict distinction between these two types of ‘effective death’.

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not only in 4 Macc but also in NT scriptures, especially the Corpus Paulinum. The conception of Jesus’ soteriological death and resurrection must be understood as an elaboration of the vicarious suffering of the Maccabean martyrs which served as an atonement of God’s anger, induced God’s mercy and thus saved the Jewish people.32 Death and resurrection, indeed, for, like Jesus, the martyrs of 2 Maccabees as well as others in different scriptures were believed to have been resurrected to heaven after their glorious death.33 Yet the central focus was, and remained, on the soteriological type of vicarious death which was believed to prevail, as well as in the much later book of 4 Maccabees,34 in 2 Macc 7, the story of the martyrdom of the seven brothers, and two other texts,35 which henceforth remained the kernel of the discussion. Altogether, with respect to the question of origins, scholars of this branch of the Hellenist school claim that it was only or chiefly under Greek influence that the notion of vicarious death could have emerged in 2nd century BC Judaism. Its development into NT times, however, they 32

This does not necessarily imply that this was also Jesus’ own belief. For a bibliography of works in which Jesus, sometimes even in his own view, is interpreted as a martyr, see VAN HENTEN in this volume pp. 145f., whose personal verdict is: “Attempts to reconstruct Jesus’ own view of his death solely or mainly through the lens of martyrdom are, therefore, simply overstating the case.” See ibid. for criticism of K. Berger’s proposal to understand the passion narratives’ literary form as the gospel narrators’ creative combination of two existing literary forms deriving from very different contexts, the Roman trial protocols on the one hand, and Jewish martyrdoms on the other (K. B ERGER, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 338–340). 33 On the Jewish prehistory (2 Macc, Daniel) of Jesus’ resurrection: U. KELLERMANN, Auferstanden in den Himmel: 2 Makkabäer 7 und die Auferstehung der Märtyrer, SBS 95, Stuttgart 1979; ID., Das Danielbuch und die Märtyrertheologie der Auferstehung, in: Van Henten (ed.), Entstehung (n. 6), 51–75; M. DE J ONGE, Jesus’ Death (n. 10); H.J. DE J ONGE, Opstanding (n. 29). And cf. van Henten in the present volume nn. 32f. Here, too, since early OT analogies are lacking, scholars tend to search for Greek models such as, for instance, the apotheosis of heroes in myth, and the increasing heroization of deceased human beings in the Hellenistic period. I shall not discuss this issue here. I have given some preliminary considerations on the issue in H.S. VERSNEL, Quid Athenis et Hierosolymis? Bemerkungen über die Herkunft von Aspekten des „effective death“, in: Van Henten (ed.), Entstehung (n. 6), 162–196, 168–174, with the conclusion: “probable but requiring further corroboration.” 34 Where it is beyond doubt. 4 Maccabees, albeit showing clear Jewish characteristics, has the form of a typically Greek philosophical/theological epideictic treatise, thoroughly impregnated with unmistakably Greek vocabulary and imagery, as practically everybody is ready to admit. On account of its late date, circa 100 AD or even later, I will not involve 4 Maccabees in the tradition-historical discussion of Jewish and NT vicarious death. 35 Dan 3,24–90 LXX (late 2nd century BC), and the so-called Assumption of Moses (early 1st century AD). We shall analyse these sources for their relevance to our issue.

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regard as an exclusively intrinsic Jewish matter neither initiated nor stimulated by further foreign contributions. In H.J. de Jonge’s words:36 “In the pre-Christian period, pagan ideals have contributed to the Hellenistic-Jewish concept that one individual could vicariously die for many. But the genesis of the interpretation of Jesus’ death as an atoning death for others, as it came into being in the thirties and fourties of the first century, can be explained without making an appeal to a nonJewish tradition.”

As this touches on the core of my own argument, I shall return to the relevant theories and evidence in the last part of my paper. Wengst and the Leiden scholars who followed in his track were not the first to connect the death of the Maccabean martyrs with the vicarious death of Jesus. Surkau and Lohse,37 to mention only two well-known specialists, preceded them. Their central thesis, though otherwise roughly comparable with the one just described, differed in one significant respect: These scholars of an earlier generation did not assume Greek influence on the emergence of what they regarded as vicarious suffering in the second century BC. Instead, they rather argued, according to the convention of their time, for OT models such as Isa 53 or the suffering righteous one. It was in reaction to this earlier strand of martyrological research that the other initiator of the ‘Hellenist school’, S.K. Williams, took his stand. Williams besides arguing for Greek influence, as we have seen, also forcefully refuted the view that the few testimonia in 2 Macc and elsewhere actually bear witness to the notion of vicarious death at all.38 With the aid of a rich array of textual parallels he showed that the true cause of God’s wrath turning into mercy is not the martyrs’ death but their intercessory prayer: their “dying plea”. In Williams’ words: “There is no suggestion in this prayer that God’s wrath has been averted through the death of Eleazar and the seven brothers. To suggest that the author of II Maccabees intended for the reader to infer that, is to pass beyond the evidence of the text into the happy realm of conjecture where all things are possible”;39 “II Mac. does not suggest a direct cause-effect relationship between the death of the martyrs and the deliverance and purification of Israel”.40

After an exhaustive and detailed discussion of other relevant texts in OT and other Jewish writings he finally concludes:

36 37

Hervormd Nederland 48 no. 20 (1992), 17 (my translation HSV). H.-W. SURKAU, Martyrien in jüdischer und frühchristlicher Zeit, Göttingen 1938; LOHSE, Märtyrer (n. 6) (11953). 38 W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 76–90. 39 W ILLIAMS, ibid., 88. 40 W ILLIAMS, ibid., 89.

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“The concept of vicarious expiatory suffering apparently was not a familiar one among first century Jews. In fact it can be documented with certainty in only one pre-70 Jewish writing, and that is IV Maccabees.”41

In this respect Hengel hesitantly concurs: “(...) references to the vicarious atoning effect of the death of a martyr are only hinted at (my italics HSV) in 2 Macc. 7.32f., 37f.; the idea of representation is expressed more clearly in IV Maccabees, (...).”42

An inevitable corollary of assuming Greek influence while rejecting Early Jewish influence on NT ideas of vicarious death is that in the Pauline corpus (and in 4 Macc as well as in the later Gospel tradition) the idea of ‘vicarious’ death must have been inspired directly by classical Greek models. This, however, means that one has to make a leap of at least four centuries. Williams was one of the few to realize this implication. He disertis verbis suggests that the theme has without any further intermediary been derived from classical Greek literature – especially the epitaphioi logoi and Euripidean tragedy – which naturally belonged to the intellectual baggage of e.g. the cultivated author of 4 Macc, writing in Greek, whom Williams erroneously regarded as Paul’s source of inspiration. This idea merits serious consideration: Euripides was very popular in this period,43 witness for instance the papyri and the Greek-Jewish author Philo. Even the heavenly apparition that warned Paul not to kick against the pricks seems well versed in Euripidean idiom.44 Nonetheless, the question remains: how to explain that two Jewish authors precisely in this late Hellenistic cultural ambience of the first century AD revived a theme that had blossomed some four centuries earlier in Greek culture and had, as far as our sources allow us to observe, been slumbering during the subsequent Hellenistic period? The question forced itself on me for the first time some twenty years ago.

41 42 43

W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 135. HENGEL, Atonement (n. 2), 60. Especially in Egypt: H. KUCH, Zum Euripides-Rezeption im Hellenismus, Klio 60 (1978), 191–202; W. LUPPE, Literarische Texte: Drama, APF 37 (1991), 77–91, esp. 78–86. See: J.N. BREMMER, The Atonement in the Interaction of Greeks, Jews, and Christians, in: Id./F. García Martínez (eds.), Sacred History and Sacred Texts in Early Judaism: A Symposium in Honour of A.S. van der Woude, CBET 5, Kampen 1992, 75– 93, 81f. 44 The expression is proverbial but in view of the similar context here and in the Bacchae cannot but be derived from Euripides’ Bacchae. Cf. O. WEINREICH, Gebet und Wunder: Zwei Abhandlungen zur Religions- und Literaturgeschichte, Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft 5, Stuttgart 1929, 336 = ID., Religionsgeschichtliche Studien, Darmstadt 1968, 174: “Und diese einzige Stelle im urchristlichen Schrifttum, wo das Sprichwort erscheint, sollte da unabhängig von Euripides sein? Bei dieser Situationsähnlichkeit?”

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The fresh interest in the origins, nature, meaning and transmission of the idea(l) of martyrdom in Jewish scriptures arose in the eighties and one of its results was the collection of papers of a Leiden symposium in 1984 on Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, which was published in 1989 under the same title.45 As a result of that symposium, where I contributed a survey of the Graeco-Roman ideology of ‘effective death’ in myth, ritual, and history,46 my interest in the problems concerning the prehistory of Jesus’ vicarious death, though not a central issue at that occasion, was aroused. In my paper I ventured some cautious preliminary notes concerning the question phrased above. It was soon followed by a more comprehensive paper on that subject published in the Dutch language in the journal Lampas47 and in an abbreviated, hence more provocative, form in the Dutch newspaper Trouw.48 My point of departure was that, as Williams had argued, there existed no explicit reference to a consciously intended vicarious soteriological death in pre-NT Jewish scriptures. Contrary – or in addition – to Williams’ views on the transmission of classical Greek ideas, however, I proposed that we should consider the possibility of contemporaneous Graeco-Roman influences on the emergence of the notion of vicarious death in the NT. I welcome the present occasion to reconsider my earlier views, especially in light of resistant (Dutch) reactions at that time and more favourable (international) ones in more recent years, and also to formulate my present position in a language accessible to a wider readership. I will first present a, naturally selective, survey of the evidence, as collected in the aforementioned studies, including my own.49 My reasons for 45 46

VAN HENTEN (ed.), Entstehung (n. 6). VERSNEL, Quid Athenis (n. 33). I owed my invitation to my long-time interest in phenomena of devotio and self-sacrifice in the Graeco-Roman world, as manifest in my studies: H.S. VERSNEL, Two Types of Roman Devotio, Mnemosyne 29 (1976), 365–410; ID., Polycrates and his Ring: Two Neglected Aspects, SSR 1 (1977), 17–46; ID., Destruction, Devotio and Despair in a Situation of Anomy: The Mourning for Germanicus in Triple Perspective, in: G. Piccaluga (ed.), Perennitas: Studi in onore di Angelo Brelich, Rome 1980, 541–618; ID., Self-Sacrifice, Compensation and the Anonymous Gods, in: J. Rudhardt/O. Reverdin (eds.), Le sacrifice dans l’antiquité, Entretiens sur l’antiquité classique 27, Vandœuvres/Genève 1981, 135–185. 47 H.S. V ERSNEL, Jezus Soter – Neos Alkestis? Over de niet-joodse achtergrond van een christelijke doctrine, Lampas 22 (1989), 219–242. 48 Trouw 4.4.92. My article together with reactions and my response was published in: L. HOOGERWERF (ed.), Het hek is van de dam, Amsterdam 1992. Other reactions, published elsewhere, will be mentioned and discussed below. 49 Shorter surveys, mostly selected according to the specific objectives of their authors, can be found in various subsequent studies. E.g. SEELEY, Noble Death (n. 7), 113– 141; SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (n. 10), 272–278; G. RÖHSER, Stellvertretung im Neuen Testament, Stuttgart 2002, 68–77; VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30),

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this are threefold. First, it is necessary to give the reader at least an impression of the material on which the several theories are based and to analyse its variety. Secondly, through my presentation of the material I hope to lay bare a remarkable historical/chronological phenomenon which, to my mind, is of essential import to the central issue, but which has never been sufficiently taken into account. Thirdly and finally, it gives me the opportunity to contribute a more detailed discussion of a topic that I have studied in earlier publications, but which, in the present context, has not received the attention it deserves: viz. the devotio pro principe. The central issue in the scholarly debate so far was ‘atoning vicarious death’, as for instance implied in Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r tw'n aJmartiw'n hJmw'n. As argued above, the element ‘atoning’, though unavoidable in the overall discussion, runs the risk of dragging along modern Christian connotations. Since my own interest is in the Graeco-Roman contribution I shall focus my attention on the element of vicarious death as in: Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r hJmw'n. As I have observed considerable confusion on the question of what exactly may be understood by the term ‘vicarious death’ I here present my working definition:50 By vicarious or soteriological death I mean any deliberately sought or accepted death that is – or is a posteriori interpreted as – both unconditionally required and explicitly in-

ch. 5 ‘Dying for God and His Law’, and ch. 6 ‘Dying for the Jewish People’, being heavily revised versions of ID., joodse martelaars (n. 30), ch. 5; J.W. VAN HENTEN/F. AVEMARIE , Martyrdom and Noble Death: Selected Texts from Graeco-Roman, Jewish and Christian Antiquity, The Context of Early Christianity, London 2002, 9–41; C. BREYTENBACH, “Christus starb für uns.” Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogenannten “Sterbeformeln”, NTS 49 (2003), 447–475, 456–464. CHR. ESCHNER is completing a dissertation on: “ ‘Für’ die Sünder gestorben” (Diss. Humboldt-Universität zu Berlin). 50 That I am well aware that definitions may run the risk (or have the advantage) of being “etic” modern scholarly constructs, I have made clear in: H.S. VERSNEL, Some Reflections on the Relationship Magic-Religion, Numen 38 (1991), 177–197, whose first line reads: “Magic does not exist, nor does religion. What do exist are our definitions of these concepts.” Hence, I agree with the important notes by Wolter in this volume that we must prudently distinguish between ‘metasprachliche Abstraktionen’ (our terms and concepts: ‘etic’) and “quellensprachliche Vorstellungen und Deutungen” (their expressions and notions: ‘emic’). Etic and emic, however, though to be distinguished in scholarly discourse, are generally not unrelated. The above definition, for instance, is not an abstract prescriptive theoretical construct, but a descriptive summary of what GraecoRoman sources present in one specific type of texts concerning ‘dying for’ (next section 2.2.2.). If, in that category of texts, terms such as ajntiv and uJpevr are contextually determined as denoting ‘instead of’ or ‘as a substitute for’, there is no reason to avoid modern summarizing terms like ‘substitute’, ‘stellvertretend’, or ‘vicarious’, whose Latin precursor vicarius, for that matter, is sometimes used in the relevant contexts in exactly the sense of our definition.

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tended to guarantee the salvation of another or others from present or impending doom or death.

One of our tasks will be to show that not every type of voluntary death, and not even every type of voluntary effective or beneficiary death, in our Graeco-Roman sources fits this definition. This does not mean that these types are irrelevant to our discussion. It does mean that they should not be subsumed under the category ‘vicarious death’.

2. Evidence 2.1. Exempla virtutis: Dying for a Creed 51 Eleazar and the seven brothers in 2 Maccabees died for their faith or conviction, more especially for their determination not to renounce their loyalty to the law and the covenant of God. Models and precursors of this specific type of death have been sought in Hellas and especially in the category of “martyr philosophers”.52 Among them three philosophers boasted pride of place: Zenon, Anaxarchos and of course pre-eminently Socrates. Zenon (5th century BC) and Anaxarchos (4th) were both tortured to death. Zenon, having been involved in an assault on a tyrant, was put to torture in order to force him to reveal the names of his fellow conspirators, which he refused to do (Cic. Tusc. 2.52: perpessus est omnia potius quam conscios delendae tyrannidis indicaret). He is also reported to have bitten off his tongue “in order that his body might not be forced by torture to let slip something that should not be spoken.”53 Anaxarchos owed his cruel death to the fact that he had slandered a tyrant.54

51 This term covers notions such as philosophy of life, religious belief, and conceptions of decent behaviour. 52 V AN H ENTEN, joodse martelaars (n. 30), 192–195, 219–224; I D. (ed.), Entstehung (n. 6), 143–149; I D., Maccabean Martyrs (n. 30). T. RAJAK, Dying for the Law: The Martyr’s Portrait in Jewish-Greek Literature, in: M.J. Edwards/S. Swain (eds.), Portraits: Biographical Representation in the Greek and Latin Literature of the Roman Empire, Oxford 1997, 39–67. More literature in: VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 14 n. 13. For his chapter 6: ‘The Greco-Roman Context of Paul’s Doctrine of Salvation’, SEELEY, Noble Death (n. 7), 113–141, relies entirely on the evidence of exempla virtutis stored in the – exclusively first and second century – philosophical and other treatises. 53 Plutarch De garr. 505D. Cf. the words of Hermias, a friend of Aristotle, who was crucified by the Great King of Persia and did the same to prevent him from saying “anything unworthy of philosophy or shameful” (Diog. Laert. 5.7f. = Athen. 15. 696 B–D). 54 Both stories in Diog. Laert 9.26f.; 58f. Translations of the relevant texts in: V AN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 25–28.

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These tortures were not intended to force the philosophers to renounce their conviction or faith, nor was there a possibility to escape death. These two cases, then, both lacking the element of voluntary acceptance of the martyrium, but displaying a dignified acceptance of an inescapable and cruel death, have thus often been ranged as exempla virtutis with other examples of ‘noble death’.55 When I say “often”, this can and should be specified, for it is necessary to draw attention to the fact, relevant to my present issue, that there are no references to these philosophical exempla prior to Cicero. After Cicero, however, emphatic elaborations of the motif emerge in Philo, Plutarch and particularly Epictetus. This remarkable revival and functional exploitation of an originally classical Greek theme in the Late Republican and Early Imperial periods of Roman history is precisely what they have in common with the one truly martyrological philosophical death: the ‘exemplum Socratis’. Of Socrates it can indeed be argued that he accepted and even voluntarily sought his death. This is not only apparent from his refusal to fly from prison when the opportunity presented itself since he preferred to die rather than violate the law. More emphatically even, this is evident from his attitude during the court session: “I will obey God rather than you, and as long as I live I will not cease filosofw'n and exhorting you (...).”56 With this, Socrates may indeed be considered the first real martyr in the accepted sense of the word,57 even if the tyrant, an obligatory character in martyr stories, of course is hard to find in the classical Athenian situation. The tyrant does turn up, however, for the first time in Cicero, who conjures up the “thirty tyrants” in the role of opponents of the philosopher (ad Att. 8.2.4), followed by Seneca and the Stoic-Epicurean literature of the first and second centuries, especially Epictetus. Numerous are the fictitious 55 Philo Prob. 106 (L. COHN/S. REITER [eds.], Philonis Alexandrini opera, Vol. 6, Berlin 1962, 1–45) presents a list of similar cases. Cf. F.J. DÖLGER, Der Feuertod ohne die Liebe: Antike Selbstverbrennung und christlicher Martyrium-Enthusiasmus, in: Id., Antike und Christentum: Kultur- und religionsgeschichtliche Studien, Vol. 1, Münster 1929, 254–270; A. ALFÖLDI, Der Philosoph als Zeuge der Wahrheit und sein Gegenspieler der Tyrann, in: Scientiis Artibusque, Collectanea Academiae Catholicae Hungaricae 1, Rome 1958, 7–19; TH. BAUMEISTER, “Anytos und Meletos können mich zwar töten, schaden können sie mir jedoch nicht.” Platon, Apologie des Sokrates 30 c/d bei Plutarch, Epiktet, Justin Martyr und Clemens Alexandrinus, in: H.-D. Blume/F. Mann (eds.), Platonismus und Christentum (FS H. Dörrie), JAC.E 10, Münster 1983, 58–63, 59; W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 141–144; HENGEL, Atonement (n. 2), 15–18. 56 Plato Apol. 29D. For other, equally provocative, enunciations see: W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 143. 57 I here adopt the definition proposed by VAN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30), 6–13; ID./AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 3f.; ID. in his contribution to this volume, p. 141 n. 9: “A martyr is a certain person who in an extreme hostile situation prefers a violent death to compliance with a demand of the (usually pagan) authorities.”

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adornments in later glorifications. As the exemplary innocent victim Socrates is depicted in a letter of the Jewish Mara bar Sarapion (second or third c. AD) side by side with the “wise king of the Jews”. His death, compared with the death of Jesus in the Acta Apollonii,58 becomes a topos in later Christian literature; it is even mentioned as an example in the Acta martyrum (Mart. Pionii 17; Acta Apollonii 41), though its positive appreciation is rather restricted to its earlier – Greek – phase.59 Again we notice that the overwhelming interest in the exemplum Socratis begins with Cicero, and begins to flourish in the works of such first century authors as Seneca, Musonius Rufus, Maximus of Tyrus and authors active into the second century such as Epictetus and Plutarch. In the words of Döring: “Diese in der Popularphilosophie der gesamten Antike verbreitete Form der Sokratesnachwirkung gewann im kynisch-stoischen Schrifttum der beiden ersten Jahrhunderte sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht eine über das sonst zu Beobachtende weit hinausgehende Bedeutung.”60

The status of the exemplum Socratis as an exemplary noble death was not restricted to purely literary edification. It was also a model, imitated in real life, especially in circles versed in Stoic and Epicurean philosophy. Tacitus described the suicides of both Seneca and Thrasea Paetus as imitations of Socrates, just as Cicero had done with respect to Cato’s death.61 Seneca himself had compared Socrates as the one Greek example to Roman examples such as Cato, Drusus, Rutilius, Regulus and others.62 Although we have no proof that these persons regarded their own deaths as an imitation of Socrates, this is at least very likely in the case of Seneca himself. In first-century Rome then, and far beyond, the noble death of philosophers was a favourite example for admiration and imitation.63

58 E. FASCHER , Sokrates und Christus, in: Id. (ed.), Sokrates und Christus: Beiträge zur Religionsgeschichte, Leipzig 1959, 36–94; G. HANFMANN, Socrates and Christ, HSCP 60 (1951), 205-233; K. DÖRING, Exemplum Socratis: Studien zur Sokratesnachwirkung in der kynisch-stoischen Popularphilosophie der frühen Kaiserzeit und im frühen Christentum, Hermes-Einzelschriften 42, Wiesbaden 1979, 144ff. 59 J. G EFFCKEN, Sokrates und das alte Christentum, Heidelberg 1908; E. BENZ, Christus und Sokrates in der alten Kirche, ZNW 43 (1950/51), 195–224; FASCHER, Sokrates und Christus (n. 58); I. OPELT, Das Bild des Sokrates in der christlichen lateinischen Literatur, in: Blume/Mann (eds.), Platonismus und Christentum (n. 55), 192–207. 60 D ÖRING, Exemplum Socratis (n. 58), 13. 61 Tac. Ann. 15.62–64 and 16.34f., respectively; Cicero Tusc. 1.74. 62 See: DÖRING, Exemplum Socratis (n. 58), 26; SEELEY, Noble Death (n. 7), 113– 141. 63 See for other examples: A.D. NOCK, Conversion: The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1933, 21961, 193–204.

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Although this type of ‘dying for’ is directly relevant to the death of the martyrs in 2 Maccabees, this is not an effective, vicarious or even beneficiary death in any proper meaning of these words.64 2.2. Effective Death: Dying for or instead Besides dying for a conviction there is the notion, more directly relevant to our topic, of dying for or instead of another or others – family, friends, the total community of city or fatherland –, a category whose various different sub-classes are best summarized under the label ‘effective death’. Scholars agree that in biblical and early Jewish scriptures the earliest traces of the first of these two types – ‘to die for’ – emerge in 2 Maccabees. The second type – the (vicarious) self-sacrifice instead of others, id est to save the life of another or others by giving one’s own – becomes a central motif in the Pauline corpus – Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r hJmw'n –, and 4 Maccabees. I will present here a representative selection of the most important testimonia from Greek and Latin sources and arrange this part of my essay, as I did in my earlier work, in accordance with the notions expressed in two Latin quotations: Hor. Od. 3.2.13: dulce et decorum est pro patria mori65 and Verg. Aen. 5.815: unum pro multis dabitur caput, a semantic distinction that, as far as I have seen, has been adopted in practically all subsequent research. The notion shared by these expressions is what Greeks would refer to with the expression (ajpo)qnhv/skein uJpevr, a notion so popular from the classical period onwards that a special verb was created: uJper(apo)qnh/vskein.66 It is essential, however, not to gloss over the various different denotations of the term uJpevr, as previous studies too often have done. ÆApoqnh/vskein uJpevr may mean either “to die (give one’s life) for”, as for instance in defence of the fatherland, or “to die (give one’s life) as a substitute for another, or the community”, viz. “to die instead of”.67 Though in 64 When SEELEY, Noble Death (n. 7), ch. 6, pp. 113–141, argues that the philosophical death is vicarious in the sense that it works as an example to be imitated or emulated, this is a peculiar and actually inaccurate application of that term. 65 The precise implications of dulce here are not relevant to our issue. See for this: H. HOMMEL, ‘Dulce et decorum ...’, RhM 111 (1968), 219–252. 66 Eur. Alc. 155; 682; Andr. 498; Hel. 750; Phoen. 998; 1090; Plato Symp. 179B; 180A; 207B; 208D; Xen. Cyn. 1.14; Arist. E.N. 9.8 (1169A.20); Anax. Rhet ad Al. Proem 15; Epict. Diss. 4.1.154; Cass. Dio 17 (Zonaras 9.13.37). In Christian texts not before Clem. Al. Strom. 4.7.43 and Origen. c. Cels. 1.46; 2.45. 67 Naturally in addition to other uses of the term, as apparent from Wolter’s current research, from which I may borrow the following examples. In Lysias 12.78: oujc uJpe;r uJmw'n ajpoqanovnto~ Qhramevnou~ ajll’ uJpe;r th'~ auJtou' ponhriva~, it is obvious that the first uJpevr should be understood as “to the benefit of” but the second as “due to”. The

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both types of death the general sense of uJpevr may be summarized as “to the benefit of”, the two differ and need to be distinguished. It is the context – and only the context – that may decide which of the two denotations is intended. It should be noted, though, that the two meanings do share a family resemblance and, hence, may overlap, not only in our but also in the author’s perception. 2.2.1. Dulce et decorum est pro patria mori: Patriotic Death The military meaning of uJpevr “in defence of”, originating in the basic meaning of uJpevr as “protectively standing over/above”68 is practically synonymous with periv which in the sense of “standing protectively around”69 is used by Homer and Tyrtaios in passages that praise those who give their lives in defence of their fatherland: peri; pavtrh~ teqnavmen (Hom. Il. 15.496f.); peri; paivdwn qnhvskwmen yucevwn mhkevti feidovmenoi (Tyrt. 10.13f. West).70 This use of uJpevr abounds throughout Greek literature, especially in contexts where people are lauded for their readiness to die for the salvation of country, family or friend(s).71 The theme is particularly popular in authors of the 1st and 2nd centuries AD. City and friend(s) may be united, as in Philostratos Vita Apollon. 7.12, filosofiva/ dev, oi\mai, proshvkei h] povlin ejleuqerou'nta ajpoqanei'n (...) h] uJpe;r fivlwn ajgwnizovmenon.72 Or, depending on the context, the focus may be on one theme, as occurs in Epictetus Diss. 2.7.3, a]n ou\n deh/' kinduneu'sai uJpe;r tou' fivlou, a]n de; kai; ajpoqanei'n uJpe;r aujtou' kaqhvkh/.73 Note that dying for friends or community in these and related instances is made dependent on the uncontrollable course of precarious events (ajgwnizovmenon, kinduneu'sai). The offer to give one’s life may, but need not always, be implemented.74 In contrast, the following section will same in 3 Kings 16,18 LXX, where a king dies uJpe;r tw'n aJmartiw'n aujtou' (because of his sins). 68 LSJ s.v.; E. SCHWYZER, Griechische Grammatik, vol. 2, Munich 1950, 518–222. 69 LSJ s.v.; E. SCHWYZER, Grammatik (n. 68), 441f., 499–503. 70 Exemplarily this interchangeability appears in Thuc. 2.41.5, where the two different prepositions are both used with this common meaning. For NT passages where periv, ajntiv and uJpevr have identical or similar functions, see: SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (n. 10), 266 n. 16. 71 Some testimonia: Isocrates is fond of it: Paneg. 75,83; Archid. 93,94; Philip. 135; Panathen. 185; Loch. 20; Demosthenes, De cor. 205,208. Testimonia for dying for the fatherland see: SCHRÖTER , Sterben für die Freunde (n. 10), 273. 72 Cf. Philostr. Vit. Ap. 7.12–14. The same already in Aristoteles E.N. 1169a 18ff., where the noble person is defined as being ready to die for (uJperapoqnh/vskein) fatherland and friends. 73 Cf. Epict. Diss. 3.20.5; 4.1.154: dying for the fatherland. 74 RÖHSER, Stellvertretung (n. 49), 75, following P OPKES, Christus traditus (n. 3), “beim Motiv der Selbsthingabe ist die Todesfolge nicht notwendigerweise impliziert oder

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confront us with divine or supernatural principles of compensation in that a life is unconditionally required in order to save that of another or others. It is necessary to stress this point, since some scholars of an earlier generation, including Hengel, did not sufficiently distinguish testimonia of praises of death in battle from the other type: that of vicarious selfsacrifice.75 A literary topos is one thing, practice is another. The Thebans moulded the readiness to sacrifice one’s life for a friend into a military stratagem: they formed a iJero;~ lovco~ consisting of couples of ejrastw'n and ejrwmevnwn, each of whom was prepared to give his life in defence of his partner.76 All this results in definitions of friendship77 such as: ut habeam pro quo mori possim (Seneca ep. 9.10). Although uJpevr in these contexts is not necessarily more than “for the benefit/salvation of”, this does not mean that free associations with sacrificial ideology or terminology of intentional self-sacrifice do not occur. An expression like didovnai eJautovn or didovnai ta; swvmata (Thuc. 2.43) may easily gain a metaphorical overtone as in Pindar fr. 78 (Maehler) where the death of men who die for their cities is praised as a “sacred sacrificial death”: qu vetai a[ndre~ uJpe;r povlio~ to;n iJerovquton qavnaton. The same is found in Plut. Moralia 192c, where Epaminondas is recorded to have said that “death in war is a sacrifice for the gods”, using the same word iJerovquton. It also occurs that the patriotic death is referred to with terms that implicitly evoke the notion of vicariousness. So for instance Plato Menex. 23a, th;n teleuth;n ajnti; th'~ tw'n zwvntwn swthriva~ hjllavxanto, which comes close to the idea of a vicarious self-sacrificing. Yet an overview of the evidence shows that these types of metaphors are exceptional and do not seem to have been very productive. On the contrary, what strikes one most is precisely the fact that the patriotic death for auch nur intendiert. Entscheidend ist vielmehr das Moment der äußersten Einsatzbereitschaft für etwas oder jemanden.” 75 Cf. H ENGEL, Atonement (n. 2), 10–13, esp. 10: “From the classical period onwards there are virtually innumerable statements which praise vicarious death in battle for the city” (my italics HSV). RÖHSER, Stellvertretung (n. 49), after acknowledging (p. 70 n. 218) the distinction as stipulated in VERSNEL, Quid Athenis (n. 33), 182–184, presents a clear description of the differences (p. 175). SCHRÖTER, Sterben für die Freunde (n. 10), makes an exemplarily productive use of this distinction in the sphere of friendshipideology. In the Gospel of John uJpevr is almost always to be understood as “for the protection of”, not as “instead of”: “Der Gedanke eines stellvertretenden Todes wird bei Johannes nicht aktualisiert” (285). 76 Plut. Pelop. 15; Athen. 13.561f.; Polyaen. 2.5.1. 77 Often summarized as “hellenistische Freundschaftsethik”, as e.g. by Schröter. There is nothing against this, provided one keeps in mind that all the testimonia after the classical Greek period date from the first and second century AD. Other examples: ThWNT, Vol. 9, 151, s.v. fivlo~.

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family, city, fatherland (dulce et decorum pro patria mori) is so rarely described in terms of cultic sacrifice or vicarious self-sacrifice in the sense of unum pro multis dabitur caput. Whenever it is applied in this sense, the author seems to be aware that he is using a metaphor: Plut. Pelop. 21.2 refers to Leonidas who, on the instruction of an oracle, “in a sense sacrificed himself for Greece” (trovpon tina; proqusavmenon eJauto;n uJpe;r th'~ ïEllavdo~). All this should serve as an incentive to differentiate between these two categories more neatly than has been customary in earlier scholarship. The distinction can be clarified as follows. The patriotic death in battle is a form of giving one’s life for the benefit of the community. However, although soldiers may be expected to die, their death is not an inevitable, necessary and unnegotiable condition. Quite the contrary: soldiers may (and generally do) hope to survive. A victory without any casualty may even be counted as supreme luck. How absurd it would be indiscriminately to define the death of the soldier at the battlefield as a vicarious or substitute death is most obvious in the case of a defeat, such as the one at Chaeronea, whose victims Demosthenes lauds in his epitaphios. They have given their lives, but their death does not result in the salvation of their countrymen. Conversely, the essential characteristic of the sacrificial or vicarious death of one for others is, as we will see, that one person volunteers to die as a guarantee that the community will be saved by his death. In this case the death is unconditionally required.78 All this of course does not mean that vicarious death might not or did not occur in battle situations, as we will see in the examples of Leonidas and Kodros. As said before, the patriotic death uJpevr/pro is omnipresent in the literature of Greece and Rome of all periods. It is not so in the Old Testament. In Jewish scriptures the idea prevails only in later, non-canonical works, most especially in the books of the Maccabees, where indeed it may be called typical. In 2 Macc 8,21, a pre-battle situation, the army of Judas Maccabaeus declares itself ready uJpe;r tw'n novmwn kai; th'~ patrivdo~ ajpoqnh/vskein. In this passage, the only one where the expression uJpe;r th'~ patrivdo~ occurs,79 the patriotic military connotation is undeniable. In the same sphere, and one step closer to the notion of unus pro omnibus, be78

With the qualification, of course, that the execution may be miraculously cancelled or interrupted by divine intervention, for instance through a substitute sacrifice, as in the case of Iphigenia. 79 The combination does occur in different expressions: 2 Macc 5,1: “Menelaos who had turned a traitor both to his religious laws and his country” (kai; tw'n novmwn kai; th'~ patrivdo~); 2 Macc 13,14: “fight bravely peri; novmwn, iJerou' povlew~, patrivdo~, politeiva~”. Cf. 13,11.

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longs 1 Macc 6,44, where Eleazar attacks the elephant on which he presumes that the enemy general is seated, and lets himself be crushed by the beast. “He gave himself in order to save his people” (e[dwken eJauto;n tou' sw'sai to;n lao;n aujtou').80 Comparably in 1 Macc 2,50ff. Mattathias exhorts his sons: dovte tav~ yuca;~ uJmw'n uJpe;r diaqhvkh~ patevrwn hJmw'n. We find ourselves here at the border of the notion ‘dying for one’s creed (belief, conviction, tradition)’. The fact that in the books of the Maccabees the borderlines between ‘patriotic’ and ‘philosophical’ deaths are so conspicuously fluid is inextricably connected with the ambiguities inherent in the notions of novmo~, diaqhvkh and eujsevbeia in these books. As van Henten81 has amply demonstrated, these terms refer to religious notions such as Torah, covenant, and the commandments of God, on the one hand, but consequently are just as well expressions of Jewish self-identification on the other. This stamps their act as an expression of patriotism as well. A craving for dying for the law, creed and fatherland is rife in later JewishHellenistic writing.82 All this has not, so far, brought us in touch with ‘vicarious death’ as defined above, which, in Jewish writings outside the NT, only appears beyond dispute in the much later book of 4 Maccabees. Röhser’s statement:83 “Nicht schon bei jeder ‘Hingabe’ für andere Menschen im Neuen Testament liegt auch ‘Stellvertretung’ vor,” is equally true for both Greek and Jewish notions of ‘dying for’. So it is time to turn to the more specific type of sacrificial death that we are looking for. 2.2.2. Unum pro multis dabitur caput: Vicarious Death a) Classical Greece and Early Republican Rome The idea that the – preferably voluntary – death of one person may save the community from impending or actual disaster can be found in a wealth of Greek and Roman myths and legends. Among the Greek tragic authors it is especially Euripides who betrays a keen interest in this theme as is apparent from his tragedies Iphigenia at Aulis, Phoenissae, Heraclides,

80 Not a vicarious death, as inter alios RÖHSER , Stellvertretung (n. 49), 71, rightly argues, but “ein militärisches ‘Selbstmordkommando’ mit dem (einstweilen nicht erreichten) Ziel, das Volk von seinen Feinden zu befreien und ‘sich einen ewigen Namen zu machen’.” 81 V AN H ENTEN, joodse martelaars (n. 30); ID. (ed.), Entstehung (n. 6); ID., Maccabean Martyrs (n. 30). See also H.G. KIPPENBERG, Die jüdischen Überlieferungen als pavtrioi novmoi, in: R. Faber/R. Schlesier (eds.), Die Restauration der Götter: Antike Religion und Neo-Paganismus, Würzburg 1986, 45–60. 82 Testimonia and literature in HENGEL, Atonement (n. 2), 78 n. 21. 83 RÖHSER, Stellvertretung (n. 49), 76.

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and most eminently Alcestis.84 Iphigenia says that it is destined that she dies: katqanei'n mevn moi devdoktai (Iph. A. 1375). Polyxena dies voluntarily: eJkou'sa qnh/vskw (Heraclid. 548). King Creon is ready to die as ‘ransom’ for his country: qnh/vskein e{toimo~ patrivdo~ ejkluthvrion (Phoen. 969). His son Menoiceus secretly goes in his stead to give his life for his land: ei\mi kai; swvsw povlin yuchvn te dwvsw th'sd’ uJperqanw;n cqonov~ (997) and indeed dies for his country: oJ gh'~ uJperqanwvn (1090), thus saving his country: qanw;n patrw/van gai'an ejkswvseien a[n (947f.). Macaria wishes to die for “herself and her siblings”: qnh/vskein ajdelfw'n tw'nde kajmauth'~ uJpevr (Heraclid. 531f.); ajnti; tw'nde katqanoumevnhn (580). What is made explicit by the preposition ajntiv in the last text is clarified by the context everywhere else throughout these tragedies: it is not a ‘normal’ patriotic death in battle or similar perilous situation, but always a vicarious death of one instead of others. If, naturally, similar situations occur wherein one combatant receives in battle the blow intended for another, the essential difference is that in the present category the death of the victim is from the outset announced as an unconditional and inevitable necessity. Through the deliberate intervention of one person, willing – and bound – to die, others are saved. Generally, the reason why, or the authority on whose account the person must give his life to save the community, remains veiled, both in Euripides and in other sources. The grievous ordinance is often attributed to an oracle or a seer, or it may quite generally be ascribed to the gods, demons, fate, the nature of things, necessity. Of course atonement for ancient or recent violations of religious codes or offences against or neglect of the dead, heroes, do sometimes occur. However, specific gods who must be appeased or to whom human victims are sacrificed are rarely mentioned.85 This tallies with the fact that the sacrificial ritual to which Euripides refers 84

Still valuable: J. SCHMITT, Freiwilliger Opfertod bei Euripides: Ein Beitrag zu seiner dramatischen Technik, RVV 17,2, Gießen 1921; not really improved by O’CONNORV ISSER, Aspects of Human Sacrifice in the Tragedies of Euripides (Diss. Amsterdam 1987). 85 See the survey of the stories of this type, their testimonia and a discussion, in: D.D. HUGHES, Human Sacrifice in Ancient Greece, London/New York 1991, ch. 4: ‘Human sacrifice in Greek myth, cult and history’, especially 73–81. Significantly, while oracle answers to questions such as “to whom must I pray or sacrifice? – or: which god must I appease – in order to ...?”, generally give precise information on names of gods, not one of the some fifteen Delphic oracle responses that concern human (self)sacrifice mentions the name of the god who must be propitiated or reconciled (see: VERSNEL, Self-Sacrifice [n. 46], 172). BREYTENBACH, Christus starb (n. 49), 459, correctly notes that Williams, despite all his efforts, has not succeeded in showing that Euripides at any place connects the notion ‘to die for’ with the purpose of appeasing angry gods: “Bei Euripides geht es höchstens implizit um ein Gnädigstimmen der anonymen Götter, denn die gesamte iJlavskesqai-Terminologie fehlt bei Euripides.”

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in the context of voluntary vicarious death is always that of the sphagion, the killing of a victim in honour of the mostly anonymous powers of the netherworld.86 The sacrifice of Iphigeneia as due to the wrath of Artemis is an Aeschylean motif (Ag. 214–217) but is lacking in Euripides. All in all, one gets the impression that in the evidence under discussion the whole mechanism is basically understood as a principle of compensation embedded in a law of nature. In order to satisfy the human need for justice this (super)natural law may be ‘translated’ into ‘divine wrath’.87 When it comes to causes of mishap, human guilt is easier to live with than divine capriciousness.88 All this will be confirmed by the evidence that will follow. It is perhaps nowhere as explicit as in the Alcestis. The protagonist is ready to die voluntarily in order to save her husband from death: qevlous’ uJperqanei'n (Alc. 155); qnh/vskw, parovn moi mh; qanei'n, uJpe;r sevqen (284). She must give her life because death, being a natural inevitability, is entitled to either the intended victim or a substitute. The vicarious nature of Alcestis’ death is made explicit in numerous expressions: su; d’ajntidou'sa th'~ ejmh'~ ta; fivltata yuch'~ e[swsa~ (340); oi\d’ ajnti; sou' ge katqanei'n uJfeimevnhn (524). Tragedy is rife with the theme of vicarious death, but certainly the theme is not restricted to this genre. Similar myths and legends prevail elsewhere in Greek literature. Heracles can free Prometheus from his bonds only after the centaur Cheiron has offered to take his place and die in his stead.89 When Cleostratos of Thebes was allotted as a sacrifice to a terrible dragon his lover Menestratos parevdwken tw/' dravkonti eJkousivw~ auJtovn,90 very much reminding us of the ideology behind the Theban hieros lochos. The Athenian king Codros disguised himself as a beggar and enticed the besieging enemy forces to kill him, since an oracle had predicted that they would capture the city only if the king remained unharmed. Our 86 87

J. SCHMITT, Freiwilliger Opfertod (n. 84), 78. Polyb. 36.17.2 keeps both options open: when man feels incapable of finding the cause of events peri; touvtwn i[sw~ a]n ajporw'n ejpi; to;n qeo;n th;n ajnafora;n poioi'to kai; th;n tuvchn. 88 “Such a barbaric and unlawful sacrifice could not possibly please any of the gods” – thus the protest against human sacrifice in Plut. Pelop. 21. I have extensively discussed this whole complex of problems in VERSNEL, Self-Sacrifice (n. 46), esp. 163–185, to which I must refer for both evidence and arguments. The whole issue merits a more systematic and comprehensive investigation. 89 Aesch. Prom. 1026–1029; Hes. Th. 526ff.; Apollod. Bibl. 2.5.11,10, with Frazer ad loc. 90 Paus. 9.26.7f. Cf. S. GERO, The Legend of Constantine V as Dragon-Slayer, GRBS 19 (1978), 155–159, where in a comparable story semet ipsum pro omnibus Constantinus periculo dedit. Cf. also Anton. Lib. 8 = H.W. P ARKE/D.E.W. W ORMELL, The Delphic Oracle, Vol. 2, Oxford 1956, no. 397.

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oldest source, Lycurgus in Leocr. 84–89, adds (86) that the kings of that period preferred ajpoqnh/vskein uJpe;r th'~ tw'n ajrcomevnwn swthriva~ rather than saving their own lives by leaving their country. Elsewhere (88) he uses the expression ajpoqnh/vskein uJpe;r aujth'~ [th'~ patrivdo~] kai; th;n ijdivan yuch;n ajnti; th'~ koinh'~ swthriva~ ajntikatallavttesqai. Roman culture, not particularly teeming with myths, cannot compete with Greece in the field of myths on vicarious death either. However, here is one. In legendary Roman tradition the founding father of the gens Valeria offers to give his own life in order to save his children by taking over their lethal illness: genibus nixus Lares familares ut puerorum periculum in ipsius caput transferrent oravit.91 Apart from these mythical, legendary or otherwise fictional instances, there are also, though less numerous, narratives that refer to (pseudo-) historical exempla. Herodotus 7.220 reveals the actual motive of the Spartan king Leonidas for remaining behind with 300 Spartans in defence of Thermopylae. An oracle had predicted that the Persians would destroy Sparta unless one of the kings would die. Another instance, also in Herodotus 7.134–136, is the heroic self-sacrifice of two young Spartans, who “undertook of their own free will that they would make atonement to Xerxes”, to pay for the killing of a Persian herald by the Spartans, after which no good omen could be won from the sacrifices. The youngsters were ready pro; th'~ Spavrth~ ajpoqnh/vskein. But Xerxes declined the offer, refusing “by killing them to free the Spartans from the burden of their crime” (ajntapokteivna~ ejkeivnou~ ajpoluvsein Lakedaimonivou~ th'~ aijtivh~). A remarkable Greek ritual of the ‘one for all’ type has survived down to historical times. It concerns the expulsion of the pharmakos, a human scapegoat, especially known from Ionia. In times of epidemic or – more usually – as an annual rite to prevent disaster, one man (occasionally a couple) was driven out of town, thus carrying away the stains of disaster from the city and its inhabitants. Some reports mention that he was thrown from the rocks into the sea, but generally mere expulsion, not death, is required.92 This scapegoat imagery may also glimmer through in mythical tales.93 91 92

Val. Max. 2.4.5. VERSNEL, Polycrates (n. 46); W. B URKERT, Structure and History in Greek Mythology and Ritual, Berkeley 1979, 59–77; J.N. B REMMER, Scapegoat Rituals in Ancient Greece, HSCP 87 (1983), 299–320; D.D. HUGHES, Human Sacrifice in Ancient Greece, London/New York 1991, 139–165. E. K NIBBELER is putting the final touch to a comprehensive monograph on this type of crisis management in her Leiden dissertation: ‘Saving the City: Ambiguities in Ancient Greek Crisis Management’. B.H. MCLEAN, The Cursed

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Belonging in the military sphere and of genuinely Italo-Roman heritage is the so-called devotio of the Roman general in situations of extreme military crisis.94 This ritual type of vicarious death is only known in connection with the Decii, father, son and grandson, who are all reported to have performed the same rite in the late third and early second centuries BC. The fullest description can be found in Liv. 8.9ff.95 At the moment of imminent defeat the consul/general pronounced a formula by which he devoted his own life and, with it, that of the enemies to the gods of the netherworld. (...) me pro legionibus devoveam (...) (8.9.4); (...) legiones auxiliaque hostium mecum Deis Manibus Tellurique devoveo (8.9.8); (...) se consul devoveret pro populo Romano Quiritibusque (8.6.12). The earliest testimony on devotio (probably that of the third Decius), Ennius Ann. 208–210 (Vahlen) (some hundred years after the event), has: ut pro Romano populo prognariter armis certando prudens animam de corpore mitto.96 The latest, Tzetses ad Lyc. Alex. 1378, describes it as ajpevdwken eJauto;n eij~ sfaghvn. The devotus mounted his horse and charged into the midst of the enemy army as though sent from heaven “as a means of appeasing all anger of the gods” (sicut caelo missus piaculum omnis deum irae) there to meet a deliberate death and thus ‘magically’ entail the destruction of the enemy army and save his own army and people. Liv. 8.10.11ff. adds that the general might, instead of himself, also ‘devote’ a legionarius. If this soldier does not get killed a statue of superhuman size had to be buried, apparently as a vicarious dead in effigie. It has been argued that the only – if at all – historical example is the one of the first Decius in 340 BC. A curious deChrist: Mediterranean Expulsion Rituals and Pauline Soteriology, JSNT.S 126, Sheffield 1996, views Pauline expressions such as “Christ became a curse” (Gal 3,13), “made to be sin” (2 Cor 5,21) and “sent in the likeness of sinful flesh” (Rom 8,3) in the light of this Greek pharmakos tradition and related myth and ritual concerning expulsion. 93 As for instance Herod. 7.197, where, in accordance with an oracle, king Athamas is selected to be expelled and sacrificed by way of kaqarmo;~ th`~ cwvrh~. Also Oedipus in Soph. OT as elucidated by J.-P. VERNANT, Ambiguïté et renversement: Sur la structure énigmatique d’ “Oedipe-Roi”, in: Id./P. Vidal-Naquet (eds.), Mythe et tragédie en Grèce ancienne, Paris 1973, 99–131. 94 For evidence and discussion see: VERSNEL, Two Types (n. 46); on the characteristics of the ritual: VERSNEL, Self-Sacrifice (n. 46); on its mythical and ritual connections with Greek and Hittite scapegoat ideology: B URKERT, Structure and History (n. 92), 59– 77: ch. III. ‘Transformations of the Scapegoat’, esp. 59–63. 95 Commentary: S.P. O AKLEY, A Commentary on Livy Books VI–X, Vol. 2, Oxford 1998, 477–505. Translation and discussion: VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 36–38. 96 O. SKUTSCH, Studia Enniana, London 1968, 54–61, suggests that the elements prognariter (sciens) prudens or an archaic variant must have figured in the official formula of the devotio.

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tail, however, may support the historicity of the third devotio: in a battle against Pyrrhos of Epiros, the enemy general expressly instructed his soldiers not to kill the Roman general.97 A legendary variant is the heroic death of M. Curtius, whose equally famous devotio is reported by Varro, Livy and others.98 The legend has it that in the Forum the earth yawned and belched out pernicious vapours threatening the Roman population. The haruspices declared that the gods of the dead demanded the fulfilment of a forgotten vow, namely that the most valuable possession of the state should be sent down. M. Curtius in full armour and on horseback plunged into the chasm, thus saving the citizens of Rome from the plague. All these examples, and especially the ones taken from a military context, elucidate the difference from the patriotic death discussed in the preceding section. In the texts just presented death appears to be an unconditional requirement, accepted or even consciously pursued by the victim. It is his/her death alone that involves the salvation of another or all others unus pro omnibus, this time pro in the sense of ‘instead of, in exchange for’. These are only a selection of examples out of many, a hoard of testimonies of vicarious deaths that could be expanded ad infinitum,99 especially if one would include related phenomena, such as expulsion rites in general,100 the Near-Eastern phenomenon of the “substitute-king”,101 the Phoenician/ Punic child-sacrifice of the first-born,102 and animal sacrifice explicitly intended as a substitute sacrifice for a human being.103 97 98

SKUTSCH, Studia Enniana (n. 96), argues that this text pertains to the third Decius. Varro LL 5.32.148f.; Liv. 7.6.1–6; Dio Cass. 7 fr. 30.1; Dion. Hal. 14.11.20f. Discussion in VERSNEL, Self-Sacrifice (n. 46). 99 I have not discussed all those lesser myths such as those concerning the Leocorids, Coronids, etc. which one can find in the literature mentioned earlier. 100 As for instance is done by M C LEAN, Cursed Christ (n. 92). 101 H.M. KÜMMEL, Ersatzrituale für den hethitischen König, Wiesbaden 1967; O.R. GURNEY, Some Aspects of Hittite Religion, Oxford 1977, 47–52. For further literature see: VERSNEL, Two Types (n. 46). 102 “Survivances par substitution des sacrifices d’enfants”, as J. CARCOPINO qualified them in RHR 106 (1932), 592–599. See: O. KAISER, “Den Erstgeborenen deiner Söhne sollst du mir geben”, in: Id. (ed.), Denkender Glaube (FS C.H. Ratschow), Berlin 1976, 24–48; S. BROWN, Late Carthaginian Child Sacrifice, Sheffield 1991. Children could also be replaced by other children or animals. Exceptionally, adult self-sacrifice also occurred, as in 310 BC when three hundred people sacrificed themselves (Diod. Sic. 20.14). 103 Most explicitly in the Carthaginian molchomor sacrifices where a child may be replaced by a lamb with the stereotyped words: [ex voto agnum] pro vicario, anima pro anima, vita pro vita, sanguine pro sanguine libens animo reddit. M. LEGLAY, Saturne africain: Histoire, Paris 1966, 332ff.; ID., Chiron 4 (1974), 644; BROWN, Child Sacrifice (n. 102), 29–31. Also in connection with the battle at Leuctra, where the sacrifice of

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b) The Period of the Roman Late Republic and Early Principate In the first part of the present section it has been demonstrated how the idea of sacrificing one’s life for an ideal, belief or conviction, though going back to the classical Greek period, as exemplified by the exemplum Socratis, became a real topos only in the Roman culture of the first centuries BC and AD, in both literature and practice. The second type, that of the patriotic death, including the ‘protective’ death for friends and family, is ubiquitous as a literary theme throughout antiquity, equally popular in Greek and in Roman culture of all periods. It now remains to be examined how this is with respect to the vicarious saving death, concerning which we have so far presented a selection of the evidence from the Classical period of Greece and Republican Rome until the first century BC. Do we find this idea(l) also in periods closer to NT times? Stories about mythical and historical heroes who voluntarily sacrificed their own lives were compulsory subject-matter in Roman schools, if we may believe Seneca Ep. 24.6, where his discussion-partner, interrupting Seneca’s long-winded discourse on similar heroic feats, exclaims: “Oh, those stories have been droned to death in all the schools (decantatae in omnibus scholis istae fabulae); pretty soon when you reach the topic ‘On Despising Death’, you will be telling me about Cato.” Established lists of heroes must have been typical of the Stoic-Cynic diatribe. Cic. Tusc. 1.116f. mentions among the Greek protagonists of noble death (clarae mortes pro patria oppetitae) the Erechthides (mortem expetiverunt pro vita civium), Codros, Menoiceus, Iphigenia, Harmodios and Aristogiton, Leonidas, Epaminondas, and as Roman examples (Tusc. 1.89) L. Brutus, the Decii, the Scipiones Paulus and Geminus, Marcellus, Albinus, Gracchus. Petronius Sat. 1.3 even attributes the stupidity of adolescents educated at rhetorical schools to the fact that they are swamped with stories about responsa in pestilentiam data ut virgines tres aut plures immolentur. As a vicarious death in the private sphere, Alcestis has pride of place in this period too. Indeed, there is a boom in references to Alcestis, both in literature and in real life from the first century BC onwards. Still in the classical Greek period Plato Symp. 179B extols Alcestis as the exemplary proof of lovers’ readiness to die for each other (uJperapoqnh/vskein): Alcestis was ejqelhvsasa movnh uJpe;r tou' auJth'~ ajndro;~ ajpoqanei'n. It is, however, in authors of the first centuries BC and AD that we detect a notable revival of her praises: Dion. Hal. Rhet. 2.5; Muson. Ruf. 14; Ps. Apollod. Bibliotheca 1.106; Plut. Am. 761E. More significant, however, is that the theme also becomes a topos in real life (and death) in funerary epigrams of virgin maidens was required who, however, were replaced by foals (Plut. Pelop. 21–22). Further examples: VERSNEL, Polycrates (n. 46); ID., Self-Sacrifice (n. 46).

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this period.104 Anthologia Palatina 7.691 praises a woman who had died for (= instead of) her husband: [Alkhsti~ nevh eijmiv· qavnon d’ uJpe;r ajnevro~ ejsqlou'. We have no further information about date and circumstances of this curious case. Nor do we concerning an epigram from Odessa, IGBR I2 222.6f., nu'n d’ ajnt’ ejmou' qnh/vskei kai; e[cei fhvmhn kai; e[painon wJ~ [Alkhsti~.105 A special case, more extensively documented, hence more informative as to terminology albeit not with respect to what really happened, is the case of Atilia L.f Pomptilla, who had followed her husband to Sardinia – probably into exile – and offered her own life in order to save her sick husband from death. Sixteen Greek and Latin inscriptions in a grotto in Sardinia immortalize the devotion of this woman “greater than Alcestis”. While Peek dates the inscriptions to the first to second century AD, Kaibel ad IG XIV 607, presents strong prosodic arguments for a date early 1st century AD.106 Because of their central importance to the issue of vicarious death I have cited these inscriptions in earlier publications107 and will now give a complete list of the directly relevant phrases taken from the different inscriptions: pro cuius vita vitam pensare precanti indulsere dei (7565); proque viro fama est me voluisse mori (7566); uJpe;r gamevtou Pwvmptilla th;n keivnou zwh;n ajntevlaben qanavtou (7567); w{ste qanei'n me;n Pwvmptillan glukerou' luvtron uJpe;r gamevtou (7568); “tempore tu” dixit, “vive Philippe meo” (7569)108; vovit pro vita coniugis ipsa mori (7570); h{ti~ uJpe;r gamevtou p[neu'm’ ajp]evlu[se] movnh (7571); nam se devovit iam [defi]ciente marito rapta viro (7574); sigavsq[w d’] [Alkh[st]i~ (...) nika/' ÆAtiliva (7577). The terminology is telling and is strikingly reminiscent of expressions in the New Testament and 4 Maccabees. 104

For the popularity of the Alcestis theme in plastic art, especially sarcophagi, see: S. W OOD, Alkestis on Roman Sarcophagi, AJA 82 (1978), 499–510. 105 W.M. CALDER III, The Alkestis Inscription from Odessos: IGBR I2 222, AJA 79 (1975), 80–83, in a learned commentary, dates this inscription to the 2nd century AD. As to the circumstances of these two curious cases of vicarious death he notes: “Both apparently record the decease of pious women who pledged their deaths in return for their husbands’ lives and did in fact by coincidence, suicide, disease or autosuggestion, perish after their recovery.” 106 “Aetas titulorum non longe videtur abesse ab Christi natalibus, si quidem in Graecis versibus hiatu diligenter abstinetur semelque tantum idque in prima versus sede trochaicus qui dici potest hiatus admissus est.” 107 Most extensively in V ERSNEL, Self-Sacrifice (n. 46), 165. They can be found in: CIL X 7563–7578; the Greek ones also in: IG XIV 607; W. PEEK (ed.), Griechische Versinschriften, Vol. 1: Grab-Epigramme, Berlin 1955, no. 2005; G. KAIBEL (ed.), Epigrammata Graeca, Hildesheim 1965, no. 547. Latin ones in: F. BÜCHELER, Anthologia Latina, Pars II: Carmina Epigraphica, Fasc. II, Leipzig 1897, no. 1551. 108 This is very close to the acclamation de nostris annis tibi Iupiter augeat annos, to be discussed below.

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Nor is this all. The first and second centuries, in which tokens of familial affection can be traced through a wide variety of our sources,109 are also the period in which the self-sacrifice for the beloved one(s) is a popular theme. The phenomenon can be found in the Greek novel, whose oldest samples stem from the 2nd century AD, but whose central theme is certainly older. In Achilles Tatius 6.20f., for instance, the heroine Leucippe, now a slave, resisting her master’s attempts to rape her, invites him to apply all sorts of torture upon her: “Watch a new contest: a single woman competes with all the engines of torture and wins every round.” And in 5.18.4 she writes to her beloved Clitophon: “For your sake I left my mother, and undertook a life of wandering. For your sake I went through shipwreck and captivity at the hands of pirates. For your sake I have been a sacrificial victim, an expiatory offering, and twice have died (...)” (dia; se; iJerei'on gevgona kai; kaqarmo;~ kai; tevqnhka deuvteron). These two testimonies unite suffering/dying for one’s conviction and suffering/dying for one’s beloved. Not only in the literary genre of fiction. Cass. Dio (Zonaras 9.13.5f.) tells us how Massinissa has married a captive woman without Scipio’s consent. The Roman general demands that the woman be handed over to the Romans. Massinissa then hands her poison with the words: “If I could save you and keep you free and unviolated by my own death, I would gladly have died for you” (eij me;n oi|ov~ t’ h\n tw'/ eJautou'110 qanavtw/ ejleuqevran fulavxai se kai; ajnuvbriston, proquvmw~ a[n sou uJperapevqanon). Then his wife takes the poison and thus prevents Scipio from capturing her soul and her body. In true life we meet the notorious malade imaginaire Aelius Aristides, who boasts that his life was saved three times through the vicarious death of another. Or 48. (= Sacred Tales II) 44: “the fever did not completely leave me until the most valued of my foster children died. (...) Thus I had my life up to this time as a bounty from the gods and, after this, I was given a new life through the gods, and as it were, this kind of exchange occurred” (kai; ti~ oi|on ajntivdosi~ au{th sunevbh). Or. 51 (= Sacred Tales V) 24: Aristides is saved from impending illness through the vicarious death of Philoumene, the daughter of his foster sister: “Philoumene had given a soul for a soul and a body for a body, hers for mine.” (hJ Filoumevnh yuch;n ajnti; yuch'~ kai; sw'ma ajnti; sw'mato~ ajntevdwken, ta; aujth'~ ajnti; tw'n ejmw'n), and in 25, in the same context, it is Philoumene’s brother who dies on the same day on which Aristides was freed from fever: 109 P. VEYNE, La famille et l’amour sous le Haut-Empire romain, Annales ESC 33 (1978), 35–63. 110 There is a contamination here between “if it would be possible that one would save you by one’s own death” and “that I would be able to save you by my own death”.

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“He, too, died, nearly, one might say, instead of me” (ajpevqanen kai; aujto;~ scedo;n wJ~ eijpei'n ajnt’ ejmou').111 All this very much resembles Christian martyr acts, where Christians are just as prone to sacrifice their lives under cruel tortures as the heroines in these stories for their beloved ones. Perhaps there is a literary relationship between the two.112 The idea that one person can take over the illness (and death) of another emerges time and again in the literature of the early imperial period. Artemidorus Onirocr. 4.30 describes how one woman dies instead of her sister, who has the same name. A papyrus of the third century AD describes how the god Serapis heals a person by substituting for him another one who was born under the same constellation.113 In Vita Apollonii 4.10, Philostratos decribes how, during a plague, the first century pagan saint Apollonios of Tyana gathered all the citizens of Ephesos in the theatre, suddenly pointed at a miserable beggar and told them that this was the plague demon. The man was immediately lapidated and disappeared under the heap of stones. This seems to be a historical enactment of the typically Ionian pharmakos-ritual and with the same message: the death of one will save the lives of all others.114 Most of these texts are in Greek and seem to stand in a GreekHellenistic tradition, which in the centuries around the beginning of our era witnessed a remarkable renaissance and spread far and wide. However, the Roman tradition also remained involved. Of the Roman general Q. Fabius Maximus it is told that he recovered from a quartan fever only after 130 enemies had been killed.115 The ideology of the genuinely ItalicRoman devotio and the courage and patriotism that made the Decii devote their life for their fatherland were exuberantly praised throughout Latin literature but especially in the first centuries AD and BC in the literature of the Augustan period and later, with expressions such as: consecrationem in victoriae pretium peregit (Flor. Epit. 1.17.7); pro salute populi Romani victoriaque devovisset (Cic. Sest 21.48); ut is patriae fata capite suo lueret (Val. Max. 1.7.3); pro totis legionibus hi (sc. Decii) tamen et pro omnibus 111

For NT terminological analogies in Aelius Aristides see: P.W. VAN DER HORST, Aelius Aristides and the New Testament, Leiden 1980. 112 On the possibly interdependency of certain themes in these martyr narratives and the Greco-Roman literary scenes of self-denial and affectionate devotion, see: G.W. B OWERSOCK, Martyrdom and Rome, Cambridge 1995. 113 D.L. P AGE , Select Papyri III, LCL 360, London 1950, 424ff.; V. LONGO, Aretalogie nel mondo greco, Genova 1969, no. 66, pp. 118ff. Change of names: SHA Heliog. 7.8–10. Cf. O. W EINREICH, Antike Heilungswunder: Untersuchungen zum Wunderglauben der Griechen und Römer, Gießen 1909, 88. 114 Even if the blame is put on the beggar whom they kill for being to;n qeoi' ~ ejc qrov n. 115 Strabo 4.1.11.p.18.

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auxiliis atque omni pube latina sufficiunt dis infernis Terraeque parenti (Iuven. 8.255–258). Cicero Or. p. red. ad Quir. 1.1 probably refers to the devotio when he says: odium (...) in me uno potius quam in optimo quoque et universa civitate deficeret.116 Ps.-Seneca Epist. Paul 12 (ed. Haase) clearly does so: ut optimus quisque unum pro multis datum est caput, and then wishes that just so the arsonist Nero ita et hic devotus pro omnibus igni cremabitur. The ritual of the devotio of the general itself did not, of course, smoothly fit the imperial period where the emperor himself was the commander-in-chief. We know of only one emperor who himself claimed to have given his life for the salvation of his people. According to Plutarch Otho 15.4–6, Otho wishes to commit suicide after his ambitions have been frustrated. He is happy with the high esteem in which his followers hold him by wishing to have him as emperor but now asks them to allow him an even higher praise: ajpoqanei'n uJpe;r tosouvtwn kai; toiouvtwn politw'n. More than as a victor he may be useful as ejpidou;~ ejmauto;n uJpe;r eijrhvnh~ kai; oJmonoiva~, which of course is devotional only in a rhetorical sense of that word, since he has no other option besides dying.117 His soldiers on the other hand answer “we will all die for you” and indeed many commit suicide after his death. This, too, is an act of devotio, but of a different kind, to which we will now turn our attention. c) Devotio pro principe In the period of the transition from Republic to Principate we observe the transfer of popular affection from state to princeps, which is closely bound up with the personalization of sovereignty. In short: pater takes the place of patria. This evolution is particularly made manifest in the development of the vota (publica).118 The Republic knew two types of vota119: incidental vows in cases of sudden oppressive situations like war, epidemics, famine etc., and the regular vota proclaimed, for example, by the consuls on New Year’s Day and paid after one year. In accordance with their nature, the first category shows varying forms and formulas, whereas the latter, the vota annua pro rei publicae salute and the related lustrum, must have been more stereotyped. Since the exact formula has not been handed down to us, 116 117

Thus the codd.; defigeretur: W. W IMMEL in WS 7 (1973), 105ff. M. Wolter refers me to Plut. Otho 17.10, where the death of Otho is referred to with the words: ajpoqanei'n uJpe;r aujtw'n. Cassius Dio Epitome 63.13f. tells the same story: o{sti~ oujc uJma'~ uJpe;r eJautou' ajll’ eJauto;n uJpe;r uJmw'n devdwke. 118 The supplicatio underwent a similar evolution: VERSNEL, Destruction (n. 46), 562f. 119 Surveys in W. SPEYER , Gelübde, RAC IX (1976), esp. 1074ff.; W. E ISENHUTH, votum, RE Supp. XIV (1974), 964ff.; E. LUDOVICO, II voto nella religione di Roma antica, Ann. Pont. Mus. M.E. 34–36 (1970–72), 9–64.

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we must rely on such data as given by Valerius Max. 14.1.10, who reports that the censor Scipio Aemilianus changed the usual formula quo di immortales ut populi Romani res meliores amplioresque facerent, into: ut eas perpetuo incolumes servent. Both these types received a considerable reshaping or extension in Imperial times120. Ever more frequently the sovereign became the object of the vows of which many incidental formulations have come down to us: pro reditu, pro incolumitate, pro partu et incolumitate Poppaeae121 etc. Tiberius had to show his reserve when the magistrates threatened to extend the vota publica pro incolumitate principis with vows for the health of Drusus and Nero.122 The regular vota pro salute rei publicae were not replaced, but vota pro incolumitate principis were indeed added since Caesar.123 They were decided upon for Augustus in 30 BC124 and in the year 38 AD we find the two vota separated: the ones for the emperor being pronounced on the 3rd of January.125 The formulae126 are reflected in the Acta Fratrum Arvalium (AFA) and some letters of Pliny: Iuppiter O.M., si imperator Titus (...) et Caesar (...) Domitianus (...) vivent domusque eorum incolumis erit a(nte) d(iem) III Nonas Ianuarias quae proximae (...) erunt, fuerint et eum diem eosque salvos servaveris ex periculis, si qua sunt eruntve ante eum diem, eventum-que bonum (...) dederis, eosque in eo statu quo nunc sunt aut eo meliore servaveris, ast tu ea ita faxsis, tunc (...).127

Apparently these official vota for the emperor and his family ‘crystallized’ from earlier spontaneous and personal vows for popular leaders. When M. 120 See for this transition besides literature in the preceding note also: ST. W EINSTOCK, Divus Julius, Oxford 1971, 217ff.; L.W. D ALY, TAPA 8 (1950), 164–168. 121 The former formulas generally, the latter in Tac. Ann. 15.23; Acta Fratrum Arva-

lium (AFA) Jan. 21, 63 AD (W. HENZEN [ed.], Acta fratrum arvalium quae supersunt, Berlin 1874, LXXVIII). 122 Tac. Ann. 4.17; Suet. Tib. 54. 123 Cass. Dio 44.6.1 and 44.50.1. Institution of vota quinquennalia pro salute Caesaris: Appian. BC 2.106,442. 124 Cass. Dio 51.19.7. Cf. Res Gestae Divi Aug. 9. 125 On this matter a good survey is found in P. HERRMANN, Der römische Kaisereid: Untersuchungen zu seiner Herkunft und Entwicklung, Hypomnemata 20, Göttingen 1968, 72ff. On the date: A. ALFÖLDI, Die alexandrinischen Götter und die vota publica am Jahresbeginn, JAC 8/9 (1965/66), 53–87. 126 H.H. M ATTINGLY, The Imperial Vota, PBA 36 (1950), 155–195, offers a collection of numismatic legends from Augustus to Diocletian. 127 AFA (ed. HENZEN) CVII. J.M. REYNOLDS, PBSR 30 (1962), 33–36 and 33 (1965), 53f., shows that this type of formula was also used in the provinces. Cf. Plin. Ep. 10.100: precati deos ut te remque publicam florentem et incolumem ea benignitate servarent quam (...) meruisti; Vell. Pat. 2.131: Voto finiendum volumen est (...) custodite, servate, protegite hunc statum, hanc pacem, [hunc principem], eique functo longissima statione mortali destinate successores quam serissimos (...)

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Livius Drusus, the champion of the Italians, was taken ill in 91 BC public vows were made for his recovery128 and when Pompey fell ill in 50 BC, universa Italia vota pro salute eius primi omnium civium suscepit.129 After his recovery volgo ex oppidis publice gratulabantur.130 The Imperial period, too, was rife with private vows on behalf of the well-being of the princeps131 and it is not always possible to make sharp distinctions between private and public vows, as is beautifully illustrated by an exemplary inscription published in 1967132 in which P. Cornelius Scipio, quaestor pro praetore of Achaia, professes his warm devotion to Caius Caesar after the tidings of his recovery from a wound (ca. 3 AD): uJpercarh;~ w]n ejpi; tai'~ ajrivstai~ ajngelivai~ stefanhforei'n te pavnta~ dievtaxe kai; quvein, ajpravgmona~ o[nta~ kai; ajtaravcou~, aujtov~ te bouqutw'n peri; ta;~ Gaivou swthrivaw kai; qeivaiw ejpedayileuvsato poikivlai~ (...).133

This series of examples, selected out of so many, sufficiently illustrates the shifting of the object of devotion from patria134 to pater patriae, so to speak, and they will serve as a background and introduction to the issue that is now at hand, most significantly two ideas – 1) that the salus of the princeps is identical with the salus of the state, and 2) that, consequently, the well-being of the people, collectively and individually, depends upon that of the emperor. Both have found expression in numerous straightforward pronouncements. These utterances occur not only in poetry or panegyric, which would diminish their impact,135 but also were frequently ut-

128 Vir. Ill. 66.12. WEINSTOCK, Divus Julius (n. 120), 219. The custom was widespread in Greece: Soteria. See: W EINSTOCK, ibid. and cf. H. ENGELMANN, Die Inschriften von Kyme, in: J.W. van Henten a.o. (eds.), Tradition and Re-Interpretation (n. 20), 42. 129 Vell. Pat. 2.48.2; Cic. ad Att. 8.16.1; 9.5.3. 130 Cic. Tusc. 1.86. Cf. Juven. Sat. 10.283ff. and J.E.B. MAYOR , Thirteen Satires of Iuvenal II, London 1900, 151f. ad loc., where it appears that it has become a topos in the rhetorical exercises. 131 Examples in K. LATTE , Römische Religionsgeschichte, Munich 1960, 315. A splendid sample in Anthol. Pal. 6.240, by Philippos of Thessalonike for the stricken Caligula, is discussed by O. WEINREICH, Religionsgeschichtliche Studien, Darmstadt 1968, 22f. 132 K. ORLANDOS, Arch. Eph. 1965 (1967), 110–113; AE 1967 no. 458. 133 A very interesting series of private vows (ex voto suscepto) pro incolumitate Ti. Caesaris, dating from 31 AD, is discussed by T H. PEKÁRY, Tiberius und der Tempel der Concordia in Rom, RM 73/74 (1966/67), 105–133, where one can see how much revenue the voventes wished to spend on the well-being of the emperor. 134 That Romans could nurse affectionate feelings for their patria is extensively illustrated by M. B ONJOUR, Terre natale. Études sur une composante affective du patriotisme romain, Coll. d’Études anciennes, Paris 1975. 135 “Diminish”, not: “annihilate”, for K. HOPKINS, Conquerors and Slaves, Cambridge 1978, 213, is certainly right in saying: “As a consequence, several modern historians of

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tered by the people, the soldiers or the senate in public. I here quote a few examples. The emperor is bono rei publicae natus, as inscriptions tell us136 and what is more: he himself is the salus rei publicae.137 Since Domitian, no distinction was made between the salus publica (= the salus Augusta) and the salus Augusti,138 with the result that Pliny Paneg. 23.5 can say: ut in unius salutem collata omnium vota, cum sibi se ac liberis suis intellegerent praecari, quae pro te praecarentur, endlessly variated by later panegyrists: cum tua conservatio salus nostra sit.139 Pliny, as so often, gives the most elaborate formulas: sollemnia vota pro incolumitate tua, qua publica salus continetur (...) suscepimus (Ep. 10.35) and: Iuppiter (...) non te distringimus votis. Non enim pacem, non concordiam, non securitatem, non opes oramus, non honores: simplex cunctaque ista complexum omnium votum est: salus principis.140 The idea that the fortunes of state, people and princeps are actually one and the same was already connected with Augustus: Suetonius Aug. 10.3, veteranos simul in suum ac rei publicae auxilium (...) contraxit, but it is more remarkable that already in Cicero pro Marc. 32, this notion receives a formulation which will resound throughout the ages in the great acclamations: nisi te, C. Caesar, salvo (...) salvi esse non possumus.141 Cicero, of course, gives arguments for this point of view, so that it retains a certain rational transparency. As soon as these words are isolated, however, they assume a mystical and cosmic overtone. And they were often so used.142

Rome have dismissed the evidence of our sources as glib flattery or as insincere exageration. Perhaps much was, but that does not explain it away.” 136 CIL V 8011 = ILS 697, and elsewhere. See: J. B ERANGER , Recherches sur l’aspect idéologique du principat, Basel 1953, 173. 137 Paneg. Lat. 9.9.3. 138 F. B URDEAU, L’empereur d’après les panégyriques latins, in: F. Burdeau a.o. (eds.), Aspects de l’empire romain, Paris 1964, 1–66, esp. 45. 139 Paneg. Lat. 9.3.1; cf. 11.1.5. 140 Paneg. 94. Cf. Ep. 10.52: precati deos ut te generi humano, cuius tutela et securitas saluti tuae innisa est, incolumem florentemque praestarent. On securitas and the identification of emperor and people: H.U. INSTINSKI, Sicherheit als politisches Problem des römischen Kaisertums, Baden-Baden 1952. 141 Cf. ibid. 22: Nam quis est (...) qui non intellegat tua salute contineri suam et ex unius tua vita pendere omnium? 142 A collection of acclamations in B. BRISSON( IUS), De formulis et sollemnibus populi Romani verbis libri VII, Frankfurt 1592, 187ff. (cheers by the senate), 349 (soldiers), 719 (the crowd); F.B. FERRARIUS, De veterum acclamationibus et plausu libri 7, in: J.G. Graevius, Thesaurus antiquitatum Romanarum 6, Venice 1732, 214–230; A. ALFÖLDI, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreich, Darmstadt 1970, 86f., esp. n. 4.; T H. KLAUSER, Akklamation, RAC 1 (1950), 216–233, 233.

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In Cassius Dio 64.14.1 the soldiers say to Otho: ejn soiv (...) kai; hJmei'~ sw/zovmeqa. Phaedrus 5.7.25f. tells us that the crowds in the circus directed the following acclamations to Tiberius: laetare, incolumis Roma salvo principe. The Acta Fratrum Arvalium (ed. Henzen) CXIV on Domitian: ex cuius incolumitate omnium salus constat, and an inscription from Pompei (CIL IV, 1074): vobis salvis felices sumus perpetuo. Some cheers appear to have been generally used: te salvo salvi et securi sumus is found both in the AFA143 and in the Historia Aug. Commod. 18.14, while variations are found in acclamations for Alexander Severus: salva Roma, salva res publica, quia salvus est Alexander,144 whereas Constantine was acclaimed with vestra salus nostra salus, according to Cod. Theod. 7.20.2. All these instances and many others confirm the impression that the Senate, the army and the people were convinced, at least in their public declarations, that the salvation of the state and its people depended upon the well-being of the emperor. They made a rather outward and adulatory display of this conviction but, as we shall see, many were willing to accept the consequences of their sentiment. And here we have arrived at the heart of the matter, which necessitated this discussion: the devotio pro principe. The most important consequence of the mentality sketched above is the desire to give a concrete form to the personal attachment to the salus principis. There are various different expressions of this desire. They are exemplarily combined in types of acclamation of later antiquity which among other places can be found in the AFA. Tertullian reports that the people in the theatre used to hail the emperor: de nostris annis tibi Iuppiter augeat annos.145 Cheers containing the term au[xei, augeat, are very common,146 for example in the expression augeat imperium nostri ducis, augeat annos.147 The new element which the first quoted Imperial acclamation intro-

143 AFA (ed. HENZEN) CXCVII (213 AD) and his discussion on p. 46. Cf. Epitom. de Caes. 18.6; CIL III 6256; 7713; 12553. Cf. salva Roma, salva Patria, salvus est Germanicus, in this emphatic form attested for the first time in his case (Suet. Cal. 6). See: A. SCHEITHAUER, Epigraphische Studien zur Herrscherideologie I: Salvis Augustis felix ... Entstehung und Geschichte eines Formulars, ZPE 114 (1996), 213–226. 144 SHA Severus Alex. 57. The well-known doubtful historicity of the acclamations registered in the SHA is irrelevant to our issue. 145 Tertull. Apol. 35; AFA (ed. HENZEN) CXCVII (213 AD) and CCVII (218 AD) and p. 46. Ambrosius, De Obitu Valentiniani 43: nec ego abnuo immatura obisse aetate, quem nostrae vitae temporibus fulcire cuperemus ut de nostris annis viveret, qui fungi non potuit suis. 146 K LAUSER, Akklamation (n. 142), 228. 147 Ovid. Fast. 1.613; F. B ÖMER (ed.), Die Fasten, 2 vol., Heidelberg 1957/58, ad loc.: “Ovid verwendet hier erstmals eine Terminologie, wie sie später in den Arvalproto-

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duces into our discussion is the traît d’union created between the life of the speaker(s) and that of the emperor, a tie which can be “translated” in two directions: 1) the hope that the emperor may outlive the speaking subject (or, negatively, that the latter may die before the emperor) and 2) the readiness of the subject to offer (part of) his own life in exchange for the continued existence of the ruler. Out of the various manifestations of both attitudes (undoubtedly interdependent and interchanging), I have selected a few examples of each type. The first attitude concerns the wish that the beloved will outlive the speaker, which is ubiquitous in Latin literature.148 This is especially emphasized in the relationship between parents and children, in accord with the belief that it is unnatural for children to die before their parents: Cic. de nat. deor. 2.71, qui totos dies precabantur et immolabant ut sibi sui liberi superstites essent (...); Quintil. Declam. 335, Filium habeo: mori volo, dum salvus est, dum illum relinquere superstitem possum. Testimonies accumulate in the early Principate in which it is apparent that parents accept the consequences and prefer death to outliving their deceased children.149 Similar wishes are heard between brother and sister and more frequently between husband and wife: Laud. Tur. 2.51–53: Utinam patiente utriusque aetate procedere coniugium potuisset donec elato me maiore, quod iustius erat, suprema mihi praestares, antea vero superstite te excederem orbitate filia mihi supstituta.150 Often the testimony formulates a desire to die together if fate does not permit that the beloved is superstes. We have seen how these prima facie poetic or rhetorical wishes may find a drastic implementation in real life inter alia in the epigrams regarding Pomptilia/Alkestis in the grotto in Sardinia, a transposition of the Philemon and Baucis- in the direction of the Alcestis-motif, one might say. It is not amazing, then, that the same attitude is found towards state, fatherland and leader: manifold are the texts expressing the desire not to outlive the (libera) res publica, a desire which found practical consequence in Cato’s suicide: mori maluit quam superstes esse rei (publicae) servienti.151 kollen begegnet (...). Man darf annehmen, dass diese Formel halbamtlich oder amtlich bereits zur Zeit Ovids im Gebrauch war.” 148 L.F. J ANSSEN, Die Bedeutungsentwicklung von superstitio/superstes, Mnemosyne IV 28 (1975), 135–188, esp. 161ff., has collected the relevant material. 149 Lucan. Phars. 3.746; Tac. Ann. 16.11.4. 150 Similar texts: Ovid. Her. 9.145–148; 13.163f.; Trist. 1.2.41–44; Lucan. Phars. 5.773–775; 9.72. This theme is, not surprisingly, a topos in grave-inscriptions. See e.g. M. HUMBERT, Le remariage à Rome. Étude d’histoire juridique et sociale, Pubb. Ist. Dir. Rom. XLIV, Milan 1972, 67ff. 151 Ampelius 19.9. Other examples: J ANSSEN, Bedeutungsentwicklung (n. 148), 176ff. With regard to my following argument it is of some importance that Lucan. Phars. 2.304–319, pictures Cato’s death as a piaculum and compares it with a devotio.

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This phenomenon, too, we have encountered earlier in our discussions of the philosophical and the patriotic death. Since the state was represented by the highest magistrate, or in war-time by the leading general, soldiers were expected in some cases not to outlive him. This amounts to the soldiers sacrificing their lives for the protection of their leader. In the following passage (already quoted in part above), Cicero, pro Marc. 32, says to Caesar: Quare omnes te, qui haec salva esse volumus et hortamur et obsecramus ut vitae tuae et saluti consulas, omnesque tibi (...) non modo excubias et custodias sed etiam laterum nostrorum oppositus et corporum pollicemur. Again, many parallels of this type of attachment between superior and subordinate exist in literature (e.g. Horace Od. 2.17.2–8, towards Maecenas) and in real life.152 Declining to preserve one’s own life at the expense of the life of general or emperor is unequivocally formulated in several oaths of allegiance handed down to us. In the oath sworn by the Italians to Livius Drusus153 they promise mhvte bivou mhvte tevknwn kai; gonevwn mhdemia'~ feivsasqai yuch'~ eja;n mh; sumfevrh/ Drouvsw/ and this version returns with small variations in the oaths to the emperor from Phazimon-Neapolis (Paphlagonia) of the year 3 BC: mhvte swvmato~ feivsesqai mhvte yuch'~ mhvte bivou mhvte tevknwn and in the Latin version of Aritium (37 AD): neque me neque liberos meos eius salute cariores habebo,154 which results in a sacramentum reshaped by Caligula as follows: neque me liberosque meos cariores habebo quam Gaium habeo et sorores eius (Suet. Cal. 15.3). What the oath quo se cuncti pro salute unius astrinxerant (Suet. Caesar 84.2) in the case of Caesar implied is explained by Appian. BC 2.520: fuvlake~ aujtw/' tou' swvmato~ h] timwroi; paqovnti ti e[sesqai.155 Naturally there are many examples of the wish that the emperor may outlive his subjects, from the first century – Seneca Cons. ad Polyb. 9.7 comforts his friend at the death of his brother: tandem liber, tandem tutus, 152 A typical case in point is the Italic-Samnite legio linteata, which is connected with the Roman sacramentum by S. T ONDO, Il “sacramentum militiae” nell’ambiente culturale romano-italico, Studia et documenta hist. et iuris 29 (1963), 1–123. For this and similar coniurationes, sodalitates, the Iberian Soldurii, the Gallic ambacti, all of whom pledged not to survive, i.e. to die for or together with their leader, see my discussion with evidence and literature, in: C.M. STIBBE a.o., Lapis Satricanus: Archaeological, Epigraphical, Linguistic and Historical Aspects of the New Inscription from Satricum, The Hague 1980, 115–118. 153 Diod. 37.11. 154 All these oaths are discussed by HERRMANN, Kaisereid (n. 125). 155 Cf. BC 2.604, and on the whole subject the foundational study of H ERRMANN, ibid., 66ff. Much in the same vein recently: J. STÄCKER, Princeps und miles: Studien zum Bindungs- und Nahverhältnis von Kaiser und Soldat im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr., Spudasmata 91, Hildesheim 2003, ch. VII.

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tandem aeternus est. Superstitem Caesarem omnemque eius prolem, superstitem te cum communibus habet fratribus –, into the fourth century: Paneg. Lat. 5.8.1–2 (312 AD) on Constantine: omnes enim ex agris omnium aetatum homines convolaverunt ut viderent quem superstitem sibi libenter optarent. And the ideology was also put into practice. When Otho had committed suicide, soldiers carried his body cum laudibus et lacrimis vulnus manusque eius exosculantes. Quidam militum iuxta rogum interfecere se, non noxa neque ob metum, sed aemulatione decoris et caritate principis. Ac postea promisce Bedriaci, Placentiae aliisque in castris celebratum id genus mortis (Tac. Hist. 2.49).156

A peculiar case shows the concrete shape these vows could assume and will automatically lead us to the second type of devotio announced above. Suetonius Aug. 59, reports that “some householders provided in their wills that their heirs should drive victims to the Capitol and pay a thank-offering on their behalf, because Augustus had survived them and that a placard to this effect should be carried before them.”157 Here we are on the very borderline between the wish not to outlive the emperor and the readiness to actualize this wish by concrete acts of self-sacrifice. In some of the instances cited above we have, in fact, already crossed this border and we shall now turn to this second type. On the 16th of January 27 BC a tribunus plebis S. Pacuvius or more probably Ampudius158 pronounced a vow at the occasion of the conferment of the title Augustus on Octavian. During the session of the Senate he “devoted” (kaqwsivwse) himself to the princeps “in the Iberian manner” and he invited the others to join his action.159 As we know from several descriptions this devotio Iberica is a coniuratio-like oath of warriors to their general to sacrifice their own life for his salvation and, in case of his death, to oblige themselves to follow his example and fight to their death. The devotio of Ampudius, it is explicitly stated, stands in this Iberian tradition but that is not the whole truth, as R. Étienne seems to suggest in an otherwise satisfactory discussion, where the reader can find the basic information.160 There was a Roman contribution as well, both in the gen156 157

Plut. Otho 17, has the same story. Nonnulli patrum familiarum testamento caverunt, ut ab heredibus suis praelato titulo victumae in Capitolium ducerentur votumque pro se solveretur, quod superstitem Augustum reliquissent. 158 So: F. O LIVIER , Un acte de dévotion à Auguste l’an 27 av. J.-C., in: Mélanges d’histoire et de littérature (FS Ch. Gilliard), Lausanne 1944, 24–37. 159 Cass. Dio 53.20. 160 R. É TIENNE , Le culte impérial dans la Péninsule Ibérique d’Auguste à Dioc1étien, Paris 1958, 357–362. In general he seems to have been under the strong influence of the Ibero-centric views of J.M. RAMOS Y LOSCERTALES, La ‘devotio’ ibérica. Los soldurios,

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eral preoccupation with the idea of vota and sacrifices for the well-being of the emperor, as we just saw, and in concrete actions. Suetonius, Cal. 14.2, tells us that during a sickness of Caligula non defuerunt qui depugnaturos se armis (as gladiators that is) pro salute aegri quique capita sua titulo proposito voverent. The similarity with the tituli bearing the personal vota for Augustus is obvious, but there is a marked distinction too: dying before the emperor versus dying in his stead. Cassius Dio 59.8.3, who tells the same story mentioning the names Atanius Secundus, an eques, and P. Afranius Potitus, one of the plebs, interprets their actions as having been done in the hope of receiving money from the princeps. In any event, it must have been rather a disappointment that the consistency of Caligula’s madness induced him to demand the fulfillment of the vows after his recovery: one of the ‘devoted’ had to fight in the arena and saved his life by the skin of his teeth, and that is more than the other could boast: he was thrown ex aggere and killed (Sueton. Cal. 27). Nero did not even take the time to await voluntary self-sacrifices when a bad omen threatened his life: ut ex Balbillo astrologo didicit solere reges talia ostenta caede aliqua illustri expiare atque a semet in capita procerum depellere, nobilissimo cuique exitium destinavit (Suet. Nero 36).161 All this points out that the idea of self-sacrifice for the fellow-creature (or at least dying together as in the famous instance of Arria) and the princeps was widespread in the first period of the Principate. Otherwise the belief would not have risen that the death of Antinous was intended as a devotio pro salute principis.162 Legions bore the honorary title devoti numini maiestatique Augusti, a ritual expression of their readiness to give their lives for the emperor.163 The sunapoqanouvmenoi, however pathologi-

Annuario de hist. del derecho español 1 (1924), 7–26 and F.-R. ADRADOS, La ‘fides ibérica’, Emerita 14 (1946), 128–209, esp. 187ff., who, however, qualifies this appropriately on p. 200. 161 This does not imply that Nero also executed his plan. The idea of W ÜNSCH in: J. Hastings (ed.), Encyclop. of Rel. and Ethics, s.v. ‘Human Sacrifice’, that the whole idea has its origin in the Near East is attractive: it resembles the rites of substitution for the well-being of the king in the Babylonian and Hittite civilizations: KÜMMEL, Ersatzrituale (n. 101); J. B OTTÉRO, Le substitut royal et son sort en Mésopotamie ancienne, Akkadica 9 (1978), 2–24. It is interesting that in Babylon there also existed an acclamation in which people offered to give their lives as a substitute for the king: R. LABAT, Le caractère religieux de la royauté assyro-babylonienne, Paris 1939, 354. 162 SHA Hadrian. 14: aliis eum devotum pro Hadriano adserentibus. 163 H.G. G UNDEL, Devotus numini maiestatique. Zur Devotionsformel, in: Weihinschriften der römischen Kaiserzeit, Epigraphica 15 (1953), 128–150. Discussion and more literature in: H.S. VERSNEL, Transition and Reversal in Myth and Ritual. Inconsistencies in Greek and Roman Religion II, Leiden 1993, 221 n. 291.

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cally conditioned this sodality of Antony and Cleopatra may have been, are yet indicative of a general tendency of this period.164

3. Suggestions and Discussions The survey of Graeco-Roman evidence of various types of ‘dying for’, as presented in the preceding section, is distinguished in several respects from earlier collections, such as the ones by Wengst, Williams and Hengel. Apart from presenting supplementary evidence here and there (though by no means aiming at completeness), I have tried, more than has been done before, to draw distinctions between various different types of ‘dying for’. This was especially imperative in the case of what I have labelled ‘patriotic death’ (including the protective death for family and friends) as opposed to ‘vicarious death’, even if one must allow for an occasional overlap between the two. Furthermore, I have introduced a rough chronology in the presentation of the evidence. Thirdly (and related to this) I have paid more attention to the phenomenon of personal devotio in the late Republic and early Principate.165 In the present stage of scholarly discussion it is no longer necessary to point out once more the striking analogies between Graeco-Roman conceptualization and terminology of the idea of ‘dying for’ on the one hand, and the vocabulary of 2 (and 4) Maccabees and the NT, especially the corpus Paulinum, concerning the death of the Jewish martyrs and of Jesus, on the other. Analogies in terminology (e.g. [ajpo]qnh/vskein uJpevr, luvtron, ajntivyucon, iJlavskesqai) spring to the eye and most of them had been spotted already by the founding fathers of the Hellenist approach. More recently, other scholars, supported by modern digital aids such as the complete Greek literature on disk, have taken over. Indeed, recent research has attained a level of stunning sophistication in the field of terminological research. And the results are proportionate. I mention especially Jan Willem van Henten for his ongoing research in Jewish martyrology166 and Cilliers Breytenbach for his studies on terminology and semantics of the complex of atoning and other types of vicarious death in the New

164

Plut. Ant. 71; J. T ONDRIAU, Les thiases dionysiaques royaux de la cour Ptolemaïque, Chron. Eg. 21 (1946), 149–171, esp. 160ff. 165 In these respects it also differs from my own earlier survey: VERSNEL, Quid Athenis (n. 33). 166 Particularly his research on Greek influence, in his works cited in the bibliographical list, have been fundamental for my understanding. Cf. his most recent contribution in this volume. I am indebted to him for his permission to read it before publication.

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Testament,167 as guides that have been of invaluable help to my own (re-) considerations. More generally the questions concerning origin and different uses and meanings of the notion of vicarious death in the NT, including the question whether ‘vicarious’, ‘atonement’, ‘expiatory’, etc. are the most appropriate terms for defining the soteriological nature of Jesus’ death, are at the centre of attention. Seeley presented a study on the possible contributions of earlier ideas (both OT, Jewish and pagan) on Paul’s conception of salvation.168 Röhser presents another survey of the discussion and earlier literature on this problem,169 including the question of Greek influences in Maccabees and NT. In quite different new directions Bowersock170 and Boyarin171 have made important contributions towards a broadening of the discussion in cultural and chronological respects. M. Wolter’s comprehensive study of forms of the verb (ajpo)qnh/vskein in combination with uJpevr throughout Greek and Christian literature is eagerly awaited.172 My own position, as set out in the two papers of 1989, can be summarized in four points: 1) I followed both branches of the ‘Hellenist school’, as differentiated in the first section of this paper, in acknowledging Greek influence on various terminological and conceptual elements of the notion of ‘dying for’ in 2 and 4 Maccabees as well as in the Corpus Paulinum (and other NT writings).

167

See supra n. 17. Especially his clear and well-argued differentiation of iJlavskesqai and katallavttesqai, and his warnings concerning an inconsiderate use of terms such as ‘Sühnen’ etc. have been of crucial importance. His recent article: BREYTENBACH, Christus starb (n. 49), offers both the initiate and the outsider an exemplary introduction to the theme. 168 SEELEY, Noble Death (n. 7). For Dutch readers J.S. Vos presented a concise but useful survey of the main problems in the discussion of the vicarious atoning death of Jesus in the NT: J.S. VOS, Vragen rondom de plaatsvervangende zoendood van Jezus in het Nieuwe Testament, Gereformeerd theologisch tijdschrift 93 (1993), 210–232, with a brief and balanced exposition of both the advantages of, and the objections against, all the major current theories – including my own (but not including a personal preference of the author). 169 RÖHSER, Stellvertretung (n. 49), inter alia referring to W OLTER , Rechtfertigung (n. 3), 171f.; BARTH, Tod Jesu Christi (n. 6), 62f. 170 B OWERSOCK, Martyrdom (n. 112). 171 D. B OYARIN, Dying for God: Martyrdom and the Making of Christianity and Judaism, Stanford 1999. 172 See for the moment: R. BIERINGER , Traditionsgeschichtlicher Ursprung (n. 3), 219–248. I have not seen CHRISTINA ESCHNER’s dissertation ‘Für’ die Sünder gestorben (Diss. Humboldt-Universität zu Berlin), to which she is giving the finishing touch.

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2) I agreed with, among others, Williams and Hengel173 where they contend that in so far as 2 Maccabees betrays Greek influences in the sphere of ‘dying for’, these are restricted to notions of ‘noble death’ belonging to the categories of philosophical and patriotic death. Vicarious death stricto sensu as defined in the first section and clarified by the evidence in the second section of the present paper cannot be demonstrated in 2 Maccabees and only becomes explicit in 4 Macc. 3) A corollary of this position is that the notion of vicariousness in interpretations of Jesus’ death cannot have been construed directly, and certainly not exclusively, on the basis of the models provided by these Jewish scriptures. If the idea is not to be found in any explicit form in OT and pre-Christian non-canonical scriptures, such interpretations are likely to have been modelled after non-Jewish, in casu Graeco-Roman examples. Here we are back at the position of Williams, whom I followed in this respect as well. 4) However, as mentioned in the introductory section, this leaves us with a historical problem that has been largely ignored even by those scholars who do allow for Greek influence. How are we to explain that these ideas of vicarious dying for the sake of others, so well known from classical Greek culture, were suddenly adopted in the first century AD in both Christian and independently, or so it seems, Jewish writings, starting in the fifties (Paul) and subsequently in later writings such as the Gospels – especially John –, Hebrews, 1 Clement and 4 Maccabees? My answer was and is that, in the ongoing discussion on tradition, transmission and borrowing of ideas and terminology of vicarious (atoning) death, we should pay much more attention to comparable ideas and practices current in the contemporaneous pagan Umwelt of the NT. While, naturally, some Jewish influence on the early interpretation of Jesus’ death is to be expected, there are strong arguments for the suggestion that the idea of vicariousness stricto sensu must have been derived from contemporary non-Jewish culture. While it is no longer necessary to discuss the first of the four items listed above, the same is not true for the other three. My ideas met with criticism, though, as far as I have seen, exclusively voiced by Dutch scholars and in the Dutch language, in contradistinction to the largely favorable reactions to my paper174 on the international scene. I welcome the present opportunity to re-consider the two central issues involved: (items 2 and 3) the pros and contras of the attribution of vicarious death to 2 Maccabees and a few other early Jewish texts, and (item 4) the likelihood of contem173 As mentioned earlier, the first of these two is far more explicit and provides a more exhaustive treatment of the matter. 174 V ERSNEL, Quid Athenis (n. 33).

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poraneous influences from the pagan world on the belief in Jesus’ death as saving event. Incorporating both my earlier suggestions and my responses to the criticism, I hope to serve the readers by thus providing an insight into the arguments and counterarguments as well as a glance into more recent relevant literature in order to get an impression of the current Stand der Forschung. 3.1. Vicarious Death in Early Jewish Scriptures? 3.1.1. The Evidence In my paper of 1989175 and the abbreviated version in the Dutch newspaper Trouw, I did not spend long on 2 Maccabees and the two other Jewish texts that had so far been adduced as possible prefigurations of Jesus’ vicarious death. The arguments to the contrary as put forward by Williams impressed me as perfectly convincing. His views and my approval, however, were not shared by some of my colleagues, especially J.W. van Henten and H.J. de Jonge, as I soon found out in their reactions to my papers. As a matter of fact, this issue acquired pride of place in the ensuing debate. This makes it necessary to present the arguments once more, – and more extensively – even if they do not essentially differ from those put forward in earlier (Williams) and other, less detailed, recent studies, which I will summarize below. a) 2 Maccabees 2 Maccabees relates the events in Jewish history during the oppressive regime of the Seleucids with a focus on the revolt under Judas Maccabaeus, 175–161 BC. Its date may be fixed at 124 BC at the earliest, or, more generally, between 124 and 63 BC.176 The stories of the martyrdom of Eleazar and the seven brothers, 6,18–7,42, together with their theological introduction 6,12–17, a typically redactional passage, constitute within 2 Maccabees a conspicuously aberrant digression, a kind of confessional intermezzo in the ongoing, more historically oriented narration. In these two martyr stories we can distinguish two clusters of testimonia which

175 176

VERSNEL, Jezus Soter – Neos Alkestis? (n. 47). Van Henten argues for 124 BC. Further literature on the question of dating for instance in D.G. P OWERS, Salvation (n. 29), 196 n. 6. On the historical setting of 2 Maccabees see, besides the works of J.W. van Henten: A. MOMIGLIANO, The Second Book of Maccabees, CPh 70 (1975), 81–88; CHR. HABICHT, 2. Makkabäerbuch, JSHRZ I/3, ed. by W.G. Kümmel, Gütersloh 1976.

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together form the backbone of the argumentation for the idea of (atoning) vicariousness.177 One group of texts concerns the so-called ‘surrender formula’. In 2 Macc 6,28, Eleazar wishes to die bravely: “I leave the young a fine example, to teach the young how to die a good death, gladly and nobly, for our revered and holy laws (uJper tw'n [...] novmwn).”178 With regard to Eleazar’s death this is all there is. Similar formulae prevail in the pericope on the seven brothers. In 7,3 one brother says: “We are ready to die rather than break the laws of our fathers.” In 7,9 the second brother says ajpoqanovnta~ hJma'~ uJpe;r tw'n aujtou' [i.e. the Lord’s] novmwn. In 7,37, the youngest and last brother says: “I surrender my body and my life for the laws of our ancestors” (kai; sw'ma kai; yuch;n prodivdwmi peri;179 tw'n patrivwn novmwn). The other cluster is restricted to the passages that record the final words of the youngest and last of the brothers, 7,30–38. First he says (7,32f.): “We are suffering for our own sins, and though to correct and discipline us our living Lord is angry for a short time, yet he will again be reconciled to his servants” (kai; pavlin katallaghvsetai toi'~ eJautou' douvloi~).

The crucial passage is 7,37f.: “I, like my brothers, surrender my body and my life for the laws of our fathers. I appeal to God to show mercy speedily to his people and by whips and scourges to bring you to admit that he alone is God. In me and my brothers may the Almighty’s anger, which has justly fallen on all our race, be ended.” jEgw; dev, kaqavper oiJ ajdelfoiv, kai; sw'ma kai; yuch;n prodivdwmi peri; tw'n patrivwn novmwn ejpikalouvmeno~ to;n qeo;n i{lew~ tacu; tw/' e[qnei genevsqai kai; se; meta; ejtasmw'n kai; mastivgwn ejxomologhvsasqai diovti movno~ aujto;~ qeov~ ejstin, ejn ejmoi; de; kai; toi'~ ajdelfoi'~ mou sth'sai th;n tou' pantokravtoro~ ojrgh;n th;n ejpi; to; suvmpan hJmw'n gevno~ dikaivw~ ejphgmevnhn.

So much for 2 Maccabees. Neither of the two sets of testimonia says, explicitly,180 or even implicitly, that the martyr dies for, in the sense of instead of or to save others. The first group of texts, including the brothers’ words in 7,3; 7,9; 7,37, typifies the death of the martyrs as for the ‘law’, 177 I have generally used the translation of J.R. B ARTLETT, The First and Second Books of the Maccabees, Cambridge 1973. Recent translations with brief commentary and introduction can be found in VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 64–70. 178 Similar expressions occur also in 1 Macc 1,63 “in order not to profane the holy covenant”. Cf. also 1 Macc. 2,42 and 2,50. 179 As we have seen the prepositions periv and uJpevr are interchangeable in these contexts throughout Greek literature. 180 Note that the word uJpevr does occur in the first group of testimonia, as is natural where it is a matter of dying for law or faith, but does not in the second, where it might be equally fitting if the notion ‘to die for others’ had been intended.

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or the Commandments of the Lord. These texts should never have been used as an argument for vicarious death, as they belong typically to the genre of the ‘philosopher’s death’ for his conviction/creed, and, on the single occasion on which it is combined with patrivdo~ (2 Macc 8,21), also to the ideology of patriotic death.181 As such these expressions have justly been attributed to Greek influence. As for the second cluster of testimonia, the first text, 7,32f., is a general statement. It contains the mere recognition that the suffering of the martyrs (and the entire people) is due to God’s just anger and the hope that God may be reconciled, without a hint by what human action that is expected to happen. In the second text, the prayer that God may show mercy is, as has often been argued, a typical intercessory prayer (Fürbitte).182 This “dying plea” (Williams) is most opportune and particularly powerful because it is pronounced by a suffering righteous one, who has ultimately and convincingly shown his loyalty to God’s law.183 The cause (referring to the past)

181 As illustrated in our second section above, and already demonstrated by V AN HENTEN, joodse martelaars (n. 30), in two sections of his ch. 5 (pp. 145–169), on the meaning of the martyrium in 2 Maccabees: 1) the martyrs as exemplum of the Jewish way of life, 2) the martyrs as national heroes, revised as ch. 5 and 6, in: ID., Maccabean Martyrs (n. 30). Van Henten rightly keeps this type of self-devotion strictly separated from the vicarious type that he, too, in that phase of his research, tried to establish for 2 Macc 7,37f. Not so H.J. DE J ONGE, Original (n. 3), 234: “In this (Palestinian) Hellenistic Jewish Greek, the expression ‘to die for’ occurred as martyrdom terminology. Early Greekspeaking, Jewish Christians applied this expression to Jesus and so created the ‘dying formula’ (i.e. Cristo;~ ajpevqanen uJpevr). Needless to say that this association of the phrase ‘to die for’ with the death of Jesus presupposes the interpretation of Jesus’ death as atoning and vicarious” (my italics HSV). The same in even more explicit terms in H.J. DE J ONGE, Hervormd Nederland 48 no. 20 (1992), 23 (in my translation): “It is important, that in 2 Macc. for the vicarious (my italics HSV) death of martyrs two expressions are explicitly being used: ‘to die for’ (8.21) and ‘surrender themselves for’ (7.37).” However, as argued above, both these passages concern dying for the laws, not for others, even less in the vicarious sense of ‘to save all others’. The expression ‘to die for’ does not occur at all in the passages of 2 Macc. 7 that de Jonge wishes to read as specifically atoning and vicarious (nor in the other texts adduced for that reason in Daniel and Assumption of Moses!) but only in contexts of ‘dying for creed or fatherland’, where no notion of atoning vicariousness can be vindicated. 182 One for all: U. KELLERMANN, Zum traditionsgeschichtlichen Problem des stellvertretenden Sühnetodes in 2 Makk 7,37f., BN 13 (1980), 63–83. 183 He does receive a personal recompense in his resurrection after death, as is repeatedly anounced by the martyrs themselves and also by the mother (7,23.29). I do not wish to underestimate the element of resurrection, which is definitely an important issue in 2 Maccabees as is also apparent in 2 Macc 12,43–45, but I must leave it out of the discussion here.

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of the martyr’s death lies in his words: “We184 are suffering for our own sins” (7,32). The reason or purpose (referring to the present and immediate future) for giving his life – the last brother repeats it after his brothers in an explicit formulation – is to preserve his loyalty to the law. Nothing else. As such and so far, there is no hint whatever regarding the salvation of others. Any attempt to read this as a ‘conscious vicarious sacrifice for others’ is, as Williams said, “to pass beyond the evidence of the text into the happy realm of conjecture where all things are possible.” It is these two motifs – paying for sins and unremitting compliance with God’s law, resulting in gruesome death – that together determine the persuasive power of the prayer for the instantaneous end of God’s anger. All the statements of the martyrs, being “clusters of motivations for their behaviour”,185 do not make the martyrs’ death a vicarious death. The martyr’s death is not substitutionary but exemplary and hence makes him the best conceivable advocate before God.186 All this finds corroboration in the final words of the last brother. The prayer does not ask that God’s anger be ended “through or by me and my brothers” (= due to our self-sacrifice), an unusual if at all possible meaning of ejn that is often upheld by supporters of the vicariousness theory, but “in me and my brothers”, which, however fiercely disputed, can only mean something like “together with me who dies for the law” (= at this moment that I die for the law).187 184

Where “we” may cover the collectivity of martyrs and the whole Jewish people, but in any case includes the speaker, who is thus one of the sinners. 185 V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30), 124, itemizing them as 1) absolute loyalty to the God of the Jews, 2) strict observance of the Jewish law, and 3) aspiration to serve as a model for other Jews by standing firm under the most gruesome forms of persecution. 186 Cf. P OWERS, Salvation (n. 29), 199–211, esp. 210, where he discusses the relevant passages and concludes that here we have not a substitute offering but a representative sacrifice, which is roughly similar to ‘exemplary’ as I call it. Likewise, SEELEY, Noble Death (n. 7), recognizes Eleazar’s death as ‘exemplary’, but he rebaptizes the notion ‘exemplary’ as ‘vicarious’. See below. 187 So already W ILLIAMS, Jesus’ Death (n. 11), 88. Cf. SEELEY, Noble Death (n. 7), 88: “More likely is a locative sense which asks God simply to stop his wrath at the point of the brothers’ death.” VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30), 143, wavers: “The preposition ejn may indicate the personal involvement of the brothers. Their bodies may also present the location where God’s wrath will end.” This wavering induces an inconsistency in VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), where the translation reads: “and that you (??) because of me and my brothers will make an end to Almighty’s anger”, while in the footnote 98 ad loc. one of the elements of the prayer is described as “that the divine anger will stop with the martyrs”, with the explanation that “Apparently, the intercessory prayer and the sacrifical death together brought about God’s atonement.” But see now Van Henten’s contribution to this volume.

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In this connection it is important that, from the outset and throughout 2 Maccabees, it is not doubted that God’s anger is temporary and will soon come to an end. Cf. 1,18: “we have confidence that he (the Lord) will soon be merciful”; 5,17: “He (Antiochos) did not understand that the sins of the people of Jerusalem had angered the Lord for a short time, and that this was why he (the Lord) left the temple to its fate.” And in the words of the youngest brother (7,32f.): “though to correct and discipline us our living Lord is angry for a short time, yet he will again be reconciled to his servants” (kai; pavlin katallaghvsetai toi'~ eJautou' douvloi~).188 In other words, the fact that God’s mercy will return is never questioned, nor that it will return soon. When, finally, the last brother surrenders his body, appealing to God “to show his mercy speedily and that in him and his brothers the Almighty’s anger may be ended”, this can only mean that he prays for the instantaneous realization of a common and firm expectation. The words “in me”, rather than referring to the wish that it will happen at all, emphasizes the immediate actualization of an event that has been expected all the time. It has become clear, then, that the text under discussion focuses on the martyr’s intercessory prayer, which derives its persuasive force from the speaker’s ultimate loyalty to the law and from his belief in God’s omnipotence, as the central incentive to provoke God’s mercy. Thus Williams’ question: “Does 7.37–38 contain any features which cannot be sufficiently explained by appealing to belief in the efficacy of the righteous man’s intercessory prayer?” must be answered with an unconditional “no, it does not.” We can now summarize our findings in three points: 1) There is no hint whatever that the martyrs have consciously and deliberately chosen to give their lives with the goal of saving others, the faithful Jews, or the Jewish people in general. 2) Nowhere – not even in the ejn ejmoiv phrase – do we find a trace of an explicitly intended causal connection between the martyr’s death and the return of God’s mercy. 3) Nor is there any explicit indication of an effective causal relationship in that God’s mercy indeed has returned as a result of the death of the martyr. 188 More implicit in the theological redactional passage in 6,12–17: “Now I beg my readers not to be disheartened by these calamities, but to reflect that such penalties were inflicted for the discipline of our race ([mh; pro;~ o[leqron ajlla;] pro;~ paideivan tou' gevnou~ hJmw'n). It is a sign of great kindness that acts of impiety should not be let alone for long but meet their due recompense at once. So he never withdraws his mercy from us; though he disciplines his people by calamity, he never deserts them.” Cf. also 7,16f., where the fifth brother says to Antiochos: “Do not imagine that God has abandoned our race. Wait and see how his great power will torment you and your descendants.”

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It may well be that the author left it to his readers to speculate on theological implications, an invitation that some modern theologians have readily accepted. They can, however, do so only on their own responsibility and at their own risk, relying on belief, assumptions of implicit meaning, or – as too often occurs – vagueness in expression or sloppiness in conceptualization and definition. To illustrate what I mean I present a small selection of statements whose italicized parts to my mind are not warranted by the texts, and, hence, must be regarded as products of a petitio principii. M. de Jonge on 7,33: “Through the suffering of these exemplary servants of God, resulting in their death, God’s wrath will come to an end.” On the phrase in 7,37f. (translated as “through me and my brothers”): “The result of their death is that God is indeed reconciled with Israel and shows his mercy.”189 H.J. de Jonge: “The author believes that (...) God with the seven brothers, that is to say with their death, has stopped his wrath against the whole people” (7,38). “For this change in God’s attitude the suffering and death of the martyrs play a decisive rôle.” After adducing 8,3f. (to which we shall return) he concludes: “Such a death I call a vicarious atoning death.”190 Van Henten: “If atonement is defined as the reconciliation between the Lord and his people by means of the sacrifice of a human life, then this notion is already central to 2 Maccabees.”191

189 190

M. DE J ONGE, Jesus’ Death (n. 10), 131. H.J. DE JONGE, Hervormd Nederland 48 no. 20 (1992), 16 (in my translation

HSV). 191 V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30), 156. I would not contest ibid., 157: “The narrative function of the stories of martyrdom (...) imply that the author of 2 Maccabees has incorporated into his text the idea of effective death,” since I have shown that effective death need not imply either purpose or vicariousness. That, however, (185) “The deaths of the martyrs and Razis are ‘effective’; they result in a reconciliation of the Lord and his chosen people” is a ‘short-circuit’ of which the author himself seems to be aware, as he immediately adds: “In 2 Maccabees this view is not yet articulated. The intercessory prayer and the death of the martyrs seem to result in the return of God’s mercy” (my italics indicate consent this time, HSV). From the outset (VAN HENTEN, joodse martelaars [n. 30]), Van Henten’s phrasing has been more cautious and became even more ambivalent in: ID., Maccabean Martyrs (n. 30), (141): “The interpretation of 7.33, 37-8 (...) seems to imply that the idea of a vicarious death is conveyed in 2 Macc. 7.” (142): “Because of the faithfulness of the martyrs, reconciliation between the Lord and his people is brought about.” (ibid.) “Either way, both the intercessory prayer and the death of the martyrs are involved in the reconciliation.” (141f.): “A surrender formula with prodivdwmi is part of the intercessory prayer, which implies that the prayer cannot be dissociated fom the death of the martyrs. The reconciliation and ending of God’s anger are only realized after the death of all martyrs.” (Post quod, also propter quod? Compare the nearly identical but at the crucial point divergent last quotation of M. de Jonge in the text above). VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 70 n. 98: “Apparently, the intercessory prayer and the sacrificial death together brought about God’s atonement.”

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Powers:192 the most recent (Leiden) plea for a “one for all” death in 2 Macc 6,18–7,42. Although his idea of ‘representative’ instead of ‘vicarious’ death is attractive, he continuously speaks of “dying for the (Jewish) people”: “the writer also understands their deaths as being for the Jewish people” (200); “The author reveals his expectation that the young men’s willingness to give up their lives should result in God’s mercy to the nation” (201); “The author’s notion that the brothers died for the Jewish people (...)” (201); “The author expresses the belief that the wrath of God will come to an end through (!) the deaths of the seven brothers” (202); “The author repeatedly emphasizes the idea that Eleazar and the seven brothers are willing to die (not my italics HSV) for the ancestral laws to the benefit of the nation” (my italics HSV) (202); “For the author, the instrumental means by which God’s wrath is stilled and by which reconciliation is achieved between God and the people is through the deaths of the martyrs” (203).

Especially this last cluster of expressions is illustrative. Not once are words such as “reveal”, “express”, “expressly” or “emphatically” confirmed by the actual texts to which they refer. Everything the author of the narrative is alleged to “understand”, “expect”, “believe”, have as a “notion”, is in fact the commentator’s own interpretation based on assumed implicit connections of parts of the statements in question. This, I should hasten to say, is not forbidden, but in scholarly discourse we should maintain clear barriers between philological and critical analysis of texts, on the one hand, and theological exegesis on the other. In the meantime, it will not have escaped the specialists that I have so far ignored one standard argument, just as I did in 1989, as none of my critics at that time failed to remind me. In the chapters immediately following the martyrium and death of the brothers, especially 2 Macc 8, the historical events prove, it is alleged, that God’s anger indeed has turned into mercy. From that moment on the revolt of Judas Maccabaeus gains impetus, his troops are victorious, recapture Jerusalem, restore and purify the temple, whereas the enemy suffers defeat after defeat and king Antiochus himself dies a death no less gruesome than the ones of his former victims. And what is more, the vicarious effectiveness of the martyrdom is even spelled out in explicit expressions, it is alleged. The passages adduced to prove this are the following (with my italics): 8,5: “Once his band of partisans was organized, Maccabaeus proved invincible to the Gentiles, for the Lord’s anger had changed into mercy.” 8,27: “They offered thanks and praises loud and long to the Lord who had saved them to that day and had appointed it as the beginning of mercy for them” (diaswvsanti eij~ th;n hJmevran tauvthn, ajrch;n ejlevou~ tavxanto~ aujtoi'~).193

All these statements seem to betray a certain tendency to compromise and vaguely announce his present position as elucidated in his contribution to the present volume. 192 POWERS, Salvation (n. 29), 199–211. 193 I prefer this translation over “kept the first drops of his mercy to shed on them that day.”

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8,29: “This done, all together made supplication to the merciful (ejlehvmona) Lord, praying him to be fully reconciled (eij~ tevlo~ katallagh'nai) with his servants.”

Quod erat demonstrandum, it is alleged. Far from it, for the first question should be: quid erat demonstrandum? Even if, for the sake of argument, we assume that these texts indeed refer back to the martyr stories, they are still irrelevant to the question we are discussing. For our question is not whether it can be demonstrated that God finally turned his anger into mercy again, but, if he did, why he did so according to the evidence at our disposal. Was this thanks to the voluntary death of the martyrs, which then, in the view of some scholars, would qualify their death as vicarious, or was it because God gave heed to their intercessory prayer and answered it, as I would suggest. Unfortunately, on this precise question none of the three passages just quoted provides a decisive answer. They acknowledge that God’s anger has turned into mercy, but do not give the reason. There is a complicating consideration which, albeit now more or less redundant, deserves a brief discussion. Do the three passages incontestably prove that God’s decision to again show his mercy is related to the actions of the martyrs at all? Here we touch on the question of the coherence of 2 Macc 8 and the preceding chapters on the martyrdom of Eleazar and the seven brothers, an issue that should in my view be approached with more caution than I have noticed in most relevant studies.194 We find ourselves confronted with the problem of the status of 2 Macc 6,18–7,42 (including the introductory passage 6,12–17) in the whole book of 2 Maccabees, in other words, the problem of the composition and coherence of 2 Maccabees as a whole. Not surprisingly the supporters of the vicarious death theory either ignore this, unreflectingly taking 2 Maccabees as one coherent whole, or explicitly defend its coherence, whereas less involved scholars may keep an open eye for the possibility of fragmentation.195 On the ground of thematic, stylistic or linguistic peculiarities, a majority of scholars agree that the stories of the martyrs, and especially the pericope of the seven brothers, are an interpolation – preceded as they are by a conspicuous rupture in the form of the brief theological digression, explaining to the readers how to understand all that suffering. Just as in other parts of 2 Maccabees, inconsistencies as compared to the main text prove that the martyrium of the seven cannot have belonged to the original text of Iason, 194 Including studies by authors not involved in the discussion on the specific vicarious nature of the martyrs’ death, and even by scholars who explicitly reject such interpretations. 195 See the discussion in J.A. G OLDSTEIN, II Maccabees: A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 41A, Garden City 1983, 291–304. I here follow mainly H ABICHT, 2. Makkabäerbuch (n. 176), 167–177.

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to say the least, but is either from the hand of the epitomator or of another, perhaps even later, writer. “The author of II Maccabees is a historian (...) he includes the martyrdoms only, as it were, as an appropriate foot-note”196 is perhaps the mildest way of voicing the inconsistencies. Especially the narrative of the seven brothers is clearly intrusive, for various other reasons and especially since Hebraisms betray it as a translation or adaptation of a work originally written in Hebrew, which the rest of 2 Maccabees arguably was not.197 About the date of this insertion opinions differ. Bowersock even argues for mid-first century AD.198 One argument for the intrusive nature of the martyrdom stories is the fact that the last chapter preceding the digression (picturing the persecution by Antiochus and Judas’ withdrawal into the desert) and the first chapter ensuing it (8,1ff., describing the first successes of the Maccabaean troops) fit smoothly together, so smoothly indeed that, if we did not have the intermezzo of the martyrs, nobody would sense a gap in the narrative. While there is no anticipation of the martyr stories in preceding chapters, it is even more surprising that there is no explicit reference whatsoever to the martyrdoms in the chapters that immediately follow. Contrary to the first book of Maccabees, the second displays strong confessional elements wrapped in a historical narrative, and is essentially ‘theocentric’. The central theme is that the miserable situation of the Jewish people is due to God’s anger, provoked by the sins of his people, more especially of the lapsed and renegades, as most conspicuously manifest in the Hellenistic lifestyle of, for example, “the impious Iason, no true high priest” (4,13). However, as we saw earlier, God’s anger is repeatedly and emphatically depicted as temporary, not a final and decisive penalty (as it is when it will strike the Gentiles) but intended to “teach and discipline” his people. The time will come when God’s anger will turn into mercy and from that moment on his anger will strike the oppressors who then will be punished. The return of God’s mercy theologically involves and historically entails the punishment of the enemy. Hence, in human eyes, the re196 197

M. HADAS, The Third and Fourth Books of Maccabees, New York 1953, 93. HABICHT, 2. Makkabäerbuch (n. 176), 170f. For a survey of the contrasting positions in scholarship, see the literature in VAN HENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30), 17f. n. 1, who himself emphasizes the coherence of the stories of the martyrs (while qualifying their essentially Hebrew origin) and the surrounding more historical parts: “Whether or not 2 Macc. 6:18–31 and 7 originate from one or two sources or were parts of the books of Iason of Cyrene from the beginning, both stories are coherent parts of the larger narrative.” So, more extensively in ID., joodse martelaars (n. 30), 10–20. 198 B OWERSOCK, Martyrdom (n. 112), 10–13, but he usually goes far in assigning a later date to Jewish martyr stories in accordance with his thesis that ‘genuine’ martyrdom (as he defines it) could only flourish on the soil of pagan Roman culture, fertile as it was with suicidal and devotional self-sacrifice.

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versal of military luck, manifest in victories of the Jews, in casu Judas Maccabaeus, and defeat of the oppressors, as in Ch. 8ff., is the visible demonstration of God’s mercy. This is also explicitly formulated in the preface to the abridged version that we have in 2 Maccabees, where the epitomator outlines what Iason set out to describe in his original five books (2,19–22): battles against the Seleucids, apparitions from heaven, restoration of the temple, liberation of Jerusalem: “All this they achieved because the Lord was merciful and gracious to them.” No word about the contribution of martyrs. Likewise, when later (8,34–36) the “double-eyed villain” Nicanor had to fly, this showed “that the Jews had a champion and were invulnerable, because they kept the laws he had given them.” Silence, again, about the martyrdom of the seven as the decisive factor. If we now return to the resumed recording of the course of history in 8,1–4, this is exactly what we see happening. Judas Maccabaeus after gathering an army implores God “to have mercy (ejleh'sai) with Jerusalem. They prayed him also to give ear to the blood that cried to him for vengeance, to remember the infamous massacre of innocent children. (...)” Then follows the phrase already quoted (8,5): “Once his band of partisans was organised, Maccabaeus proved invincible to the Gentiles, for the Lord’s anger had changed into mercy (eij~ e[leon).” Quod erat demonstrandum, it is alleged, for this is generally considered decisive proof that the seventh brother’s prayer (7,37f.) had been answered. If that indeed had been intended it is surprising, to put it mildly, that neither prior to nor after nor in the phrases just quoted any explicit reference to the martyria can be found. The prayer itself does not refer to the martyrdoms nor to God’s mercy as having been provoked by them.199 Scholars have tried to read this into “the blood that cries out to him” and “the massacre of the innocent babes”.200 A desperate and inadmissible move. As has often been noted, nhvpio~ (literally, “not yet being able to 199 SEELEY, Noble Death (n. 7), 87, rightly reverses the onus probandi: “As for the martyrs’ peculiar ability to invoke God’s mercy, this thesis is called in question by 2 Macc. 8.2–4. There Judas Maccabeus and his guerillas call on God in terms very similar to those of 7.37. Just as the youngest brother asks God ‘to show mercy soon to our nation’, so Judas asks him ‘to have mercy on the city’. If, indeed, martyrs can call on God’s mercy in 2 Maccabees, then it seems equally true that those in no immediate danger can do likewise.” And particularly to the point ibid., 88 n. 3: “It is revealing that after the prayer at 2 Macc. 7.37–38, Judas must still ask essentially the same thing.” 200 Not only those who see a vicarious aspect in the martyrdom of the seven. E.g. E.J. B ICKERMAN, The God of the Maccabees: Studies on the Meaning and Origin of the Maccabaean Revolt, SJLA 32, Leiden 1979, 22: “The turn in the events is brought about by the blood of the martyrs.” Likewise many others, of course including the Leiden scholars. H.J. DE J ONGE, Hervormd Nederland 48 no. 20 (1992), 16, without reserve adduces 8,3f. as referring directly to the martyrs. Exemplarily so: POWERS, Salvation (n. 29), 207–211.

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speak”) is used of babes or infants, as it is for the innocent babes in 5,13, and hence, for linguistic-semantic reasons, cannot refer to the seven brothers, who are youngsters and are called so: neaniva~ and meiravkion.201 This being so,202 it is methodically inadmissible to take ‘the blood that cries out’ as a specific reference to the martyrs Eleazar and the seven. The two expressions fit perfectly the babes that are killed with their mother in 6,10 and the pious Jews who wished to keep the sabbath in secret and were burnt alive “since they scrupled to defend themselves out of regard for the holiness of the day” in 6,11, the passages that immediately preceded 8,1 before the martyr stories were interpolated. If there is no hint of martyrdom in the prayer203 and its context, there is no exegetical justification for explaining God’s mercy, which is apparent in Judas’ invincibility, as intended by the author to be proof of the effectiveness of the death of the martyrs. Why does he not say so at least once in an explicit fashion? My answer is: because these references to God’s mercy formed part of the narrative already before the insertion of the martyr motif. And if they did, the recognition of God’s mercy is an inference from the success in battle. With a variant of A.D. Nock’s famous dictum “miracle proves deity”, we may say here (and passim in the OT) that victory proves God’s mercy. As such it is the first sign of God’s renewed mercy after a period of anger. The other two testimonia – 8,27: “God appointed that day as the beginning of mercy for them” (ajrch;n ejlevou~ tavxanto~ aujtoi'~), and 8,29: “praying him to be fully reconciled” (eij~ tevlo~ katallagh'nai) – as quoted above, cannot provide independent additional proof for either of the 201 Among many others, J.T H. N ELIS, II Makkabeeën, Bussum 1975 recognizes this in his commentary. VOS, Vragen (n. 168), 227, too, is explicit on this point. 202 Desperation is a precarious guide as is for instance illustrated by P OWERS, Salvation (n. 29), 210 n. 54: “It may well be that the appellation ‘innocent children’ of 8.4 does not refer to the seven brothers of chapter 7, but to the ‘slaughtered infants’ of 5.13. However, this does not detract from the fact that the author depicts God as vindicating the righteous ones who were murdered as his faithful children. If nhvpioi in 8.4 refers to the nhvpioi of 5.13, the latter are conceived of by the author as martyrs comparable to those of chapter 7.” I must admit that I do not fully understand the line of reasoning here. Essential is that if the nhvpioi of 5,13 are martyrs and so are, even more, the babes of 6,10 and – in a more legitimate sense of the word ‘martyr’ – the pious Jews of 6,11 (the two groups to which the prayer obviously refers), they do not need the support of the martyrs in 6,18–7,42 for this qualification. 203 Nor is there in the prayer of the Jews to the Lord to liberate them from Nicanor (8,15): “they did so on the grounds of the covenants God had made with their ancestors and of his holy majestic name which he bore.” What would have been more obvious (and persuasive) than to add: “for the sake of the martyrs who just died for your Holy Name?” Likewise, in Judas’ exhortation of his troops in 8,18–21, references are restricted to historical victories that had occurred thanks to God’s help.

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two interpretations. They are further elaborations on the motif that mercy has now returned, and can serve both points of view. All this does not, of course, alter the fact that the interpolator knew where to insert his pious intermezzo. It has been argued that it was his aim to extol the martyrs’ attitude of faithful devotion as the quintessential factor in the historical change, in contrast to the glorification of the military action by Judas Maccabaeus. This may well be true. But it still leaves the question why neither in the passages on martyrdom nor in the following Ch. 8, he construed (or adapted) the text in such a way that a direct explanatory relationship between the two became visible.204 What I object to is the rash and unreflecting manner in which some readers, in their attempt to find confirmation of their argument, gloss over the complexity of the text as it is at present constituted. The core of the problem remains that 2 Macc 8, in whatever way one interprets it, can never provide a decisive determination of the nature, purpose or effects of the death of the martyrs. Our reading of 2 Macc 8 gives no cause for modifying the three conclusions formulated above, which can now be summarized as follows: 2 Maccabees does not offer any explicit trace of, nor any implicit allusion to, (atoning) vicarious death in the common sense of that word, as defined supra in section 1. b) The Assumption of Moses I must – and can – be brief about the two other texts which call for special attention.205 I shall first discuss the historically latest, since it betrays some correspondences with the martyrdoms of 2 Maccabees and may be distantly related to it. It is a passage in the so-called Assumption of Moses 9,1–10,10,206 also called Testament of Moses, but which is rather a prophecy spoken by Moses, foretelling the defection of the Jewish people from the laws and covenant of God and their ensuing punishment by the hands of foreign Gentile kings who will oppress the people. Originally this work must have been written in Greek, but the only version we have is in Latin.

204

This problem remains, even if, with van Henten, one acknowledges the otherwise smooth compositional setting of these passages within the whole book of 2 Maccabees and the similarities in vocabulary. Did the interpolator shrink from making explicit what he may have wished to imply in the martyr stories? If so, for what reason? 205 I do not discuss the suicide of Razis 2 Macc 14,37–46. Despite VAN H ENTEN’s (Maccabean Martyrs [n. 30], 145–150) interesting and ingenious analysis of the analogies with Greek and Roman self-sacrifice (Menoiceus, devotio), I am unable to recognize any clear reference to a vicarious ‘one for all’ sacrifice in the story. 206 Recent edition: J. T ROMP, The Assumption of Moses: A Critical Edition with Commentary, Leiden 1993. Brief treatments in: Powers, Salvation (n. 29), 211–219; with translation: VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 79–83.

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There are strong, for several sections of the work irrefutable, arguments for a date sometime in the first half of the first century AD.207 In ch. 9, Moses predicts how a man from the tribe of Levi, named Taxo, sensing the “punishment without mercy” sent by the Lord, addresses his seven (!) sons, argues that none of their ancestors has tempted God by transgressing his commandments, and proposes to fast for three days.208 On the fourth he suggests withdrawing “into a cave which is in the field, and let us die rather than transgress the commandments of the Lord of lords, the God of our fathers. For as we shall do this and die our blood will be avenged by the Lord.” The situation is quite similar to the one of Eleazar and the seven brothers.209 Taxo and his sons prefer to die instead of betraying their loyalty to the laws of God. Instead of a prayer for mercy, hope is expressed that God will avenge their blood. With this, as Tromp210 says, they are marked as the ‘remnant of Israel’ (Zeph 3,12f.) or also as suffering righteous men. The vindication of the blood of the Lord’s servants is not an uncommon motif in other texts (e.g. Deut 32,43 LXX; 2 Kings 9,7; Ps 79,10; Rev 6,10; 19,2). As J. Licht211 says: “In this situation martyrdom must be effective: truly innocent blood spilled in addition to the observed atrocities will surely fill the measure of undeserved suffering and in the event compel God to exercise His vengeance.” In 10,1–10 there follows an evocation of eschatological events initiated by God’s definitive intervention: “And then his kingdom will appear in his entire creation. The devil will come to an end, and sadness will be carried away together with him. Then the hands of the messenger, when he will be in heaven, will be filled, and he will avenge them against their enemies.”

Tromp presents the interesting suggestion212 that the nuntius is Taxo himself, resurrected in heaven, there re-consecrated as highpriest, returning as a mediator and avenger of Israel against its enemies. All this, however, 207 T ROMP, Assumption of Mosis (n. 206), 116f., whose translation I will adopt. Van Henten informs me that his colleague Dov Gera is preparing an article in which he argues that the text must be dated to the period of Bar Kochba (132–135 AD). 208 An act of penitence and purification. 209 Of course, the number of seven sons may very well be a reminiscence of a common tradition transmitted in 2 Macc 7, as there are more similarities with the books of the Maccabees: TROMP, Assumption of Mosis (n. 206), 224ff. VAN HENTEN, joodse martelaars (n. 30), 157: “een tekst, die vermoedelijk 2 Mak. 7 als inspiratiebron heeft.” 210 T ROMP, Assumption of Mosis (n. 206), 223. 211 J. LICHT, Taxo, or the Apocalyptic Doctrine of Vengeance, JJS 12 (1961), 95–103, esp. 98. 212 J. T ROMP, Taxo, the Messenger of the Lord, JSJ 21 (1990), 200–209. But see now: J.W. VAN HENTEN, Moses as Heavenly Messenger in Assumptio Mosis 10:2 and Qumran Passages, JJS 54 (2003), 216–228.

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does not make Taxo into a vicarious atoning victim.213 What we have here is a clear instance of “blood crying out” and thus provoking God’s avenging response, as many scholars have noticed.214 The most one might say is that here the beneficiary effect, which is at most implied in the death of the youngest son in 2 Maccabees, has acquired a more pronounced expression. What these two groups of martyrs have in common is that they explicitly seek their death in order not to transgress the law of God. The difference is, that while the seventh brother prays for mercy (implying a restoration of the Jewish people), Taxo expects that his blood and that of his sons will be avenged by God. Nonetheless, even such a cautious suggestion as that of Priest,215 that the author “perhaps has hinted at the idea of vicarious propitiation, although this is not clear,” is more than the text can bear. It should be noted that this Jewish text is most probably contemporaneous with, or slightly prior to,216 the earliest NT scriptures in which the vicarious atoning death of Jesus is recorded, and thus may provide a clue concerning the furthests limits to which contemporaneous non-Christian Jewish reflection on ‘meaningful death’ had advanced. c) The Prayer of Azariah The third text sometimes adduced as a parallel example of vicarious atonement is the Prayer of Azariah in Dan 3,24–45 LXX. It is a variant Greek version217 of the deliverance of the three companions of Daniel in the fiery furnace, added later to the ‘canonical’ LXX text of Daniel.218 It 213 In any case, P OWERS, Salvation (n. 29), 212: “the Assumption of Moses reflects the notion of the efficacious, atoning death of a few persons for the benefit of the group to which they belong,” is not supported by the text. 214 See: VOS, Vragen (n. 168), 227. 215 J. PRIEST, Testament of Moses, in: J.H. Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha I, London 1983, 919–934, esp. 923, as quoted with approval by BREMMER , Atonement (n. 43), 78. 216 But cf. n. 207 supra. 217 On the textual history see: P.-M. BOGAERT, Daniel 3 LXX et son supplément grèc, in: A.S. van der Woude (ed.), The Book of Daniel in the Light of New Findings, BETL 106, Louvain 1993, 13–37. 218 Important editions and commentaries: K. KOCH, Deuterokanonische Zusätze zum Danielbuch: Entstehung und Textgeschichte, 2 vol., AOAT 38, Neukirchen-Vluyn 1987; J.J. COLLINS, Daniel: A Commentary on the Book of Daniel, Minneapolis 1993, 195– 207; I. KOTTSIEPER, Zusätze zu Daniel, in: O.H. Steck/R.G. Kratz/I. Kottsieper, Das Buch Baruch; Der Brief des Jeremia; Zusätze zu Ester und Daniel, ATDA 5, Göttingen 1998, 211–247. Recent brief discussions in: P OWERS, Salvation (n. 29), 220–225; VAN HENTEN/AVEMARIE, Martyrdom (n. 49), 59–64 (with translation). J.J. COLLINS/P.W. FLINT (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception I–II, Leiden 2001 presents a wealth of important contributions to the study of Daniel, but has nothing to say on the passage under discussion.

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can be dated to the last half of the second century BC, after the persecution of Antiochus IV Epiphanes (170–165). The original was probably written in the Hebrew language. Azariah’s prayer219 begins with a praise of God and his deeds and continues with the recognition of sins committed against God, due to which the Jewish people is now in such a state of deprivation that (38–40) “we do not even have a burnt offering, nor a sacrifice, nor an offering of food or incense. We have no place to offer fruit to You and to find mercy. May we be accepted with our broken heart and humbled spirit, as though we came with burnt offerings of rams and bullocks and with thousands of fat lambs. Let our sacrifice be as such before You this day. And let Yourself be atoned (...)” (ajll’ ejn yuch/ ' suntetrimmevnh/ kai; pneuvmati tetapeinwmevnw/ prosdecqeivhmen wJ~ ejn oJlokautwvmasi [...] ou{tw genevsqw hJmw'n hJ qusiva [...]) (Translation Van Henten/Avemarie).

Hengel220 introduces and translates the same crucial passage as follows: “the suppliant prays that they may be accepted ‘with a lowly spirit’, (...) like holocausts of rams and bulls like ten thousand fat sheep, so may our sacrifice be before you today, to bring about atonement with you (...)”

Collins:221 “But may we be accepted with contrite soul and a spirit of humility, just as with burnt offerings of rams and bulls (...) Thus may our sacrifice be before you today and find favor before you (...)”

As appears from the disparities in the translations, the text is enigmatic and its interpretation a subject of fierce debate. What precisely was it that Azariah referred to with the term ‘sacrifice’? Some scholars, as for instance K. Koch, followed by the supporters of vicarious death ideology in Early Jewish texts, regard it as self-evident that it is (the life of) the martyrs themselves: “es ist zweifellos mit einer Auffassung vom sühnenden Märtyrertod (...) zu rechnen.”222 Others, however, no less confidently, but in my view far more convincingly, argue that it is the martyrs’ attitude of humility and obedience as apparent from their “broken heart and humbled spirit” that is presented as the modest offering instead of the rich hecatombs of the past. “Dementsprechend gehören die Aussagen in V. 40f., daß die Demütigung als ein versühnendes Opfer anerkannt werden möge und daß die Beter Gott vollkommen folgen, d.h.: seine Gebote erfüllen, sachge219 220 221 222

The relevant parts are identical in the LXX version and that of Theodotion. HENGEL, Atonement (n. 2), 61. COLLINS, Daniel (n. 218), 195. KOCH, Deuterokanonische Zusätze (n. 218), 82.

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recht zusammen.”223 J.J. Collins224 speaks here of “the ‘spiritualization’ of the cult, which is necessitated by the fact that there is no available place for sacrifice.”225 There are strong arguments for the latter of the two interpretations. First, Psalm 51,17 offers a nearly literal parallel: “The sacrifice acceptable to God is a broken spirit; a broken contrite heart”,226 which is echoed in Azariah’s prayer. This is all the more telling as the composition of that psalm is strikingly similar to that of the prayer of Azariah: confession of sin, prayer to God not to forsake the praying sufferer, the hope that transgressors will be punished and be converted, the negation of normal cult sacrifice,227 as opposed to the offering of a broken spirit. Anyway, it appears to be perfectly possible to offer one’s contrite heart and humility instead of burnt offerings. This seems also inevitable from a syntactical point of view, as a (not even too close) reading of the Greek text reveals. The preposition ejn, used twice, once in the combination ejn yuch/' suntetrimmevnh/, once in wJ~ ejn oJlokautwvmasi, cannot but refer to the equivalence in position and function of the two predications in relation to the one central subject “we”. Translations should not smooth over this syntactical, hence semantically significant, equivalence. The translations by Collins and Van Henten/ Avemarie are clear on this point, the one suggested by Hengel is not.228 The syntax identifies the “broken heart and humbled spirit”, not the mar223 K OTTSIEPER , Zusätze (n. 218), 234. Thus also VOS, Vragen (n. 168), 228. Others may disagree but not on the ground that “the writer explicitly states within the prayer itself that it is the young men’s self-sacrifice even to death which is expected to bring God’s mercy (vv. 40–41)” (P OWERS, Salvation [n. 29], 224), since it is exactly Kottsieper’s (and others’) intention to refute that this is explicitly stated, thus turning the status of the sacrifice into a point of discussion instead of a (dogmatical) axiom. 224 J.J. COLLINS, Daniel (n. 218), 201. 225 Although, somewhat inconsistently, he follows Koch, when he writes: “the youths are not only offering their contrition but also their lives in interpreting the death of the martyrs. Martyrdom here becomes the substitute of sacrifice.” 226 Cf. also Ps 141,2: “Let my prayer be counted as incense before thee, and the lifting up of my hands as an evening sacrifice.” 227 In the psalm because God does not desire this sort of sacrifice (at least up to v. 19), in Azariah’s prayer because there are no such sacrifices available. 228 Nor is the one of KOCH, Deuterokanonische Zusätze II (n. 218), 55 and 59, who claims to have reconstructed the “älteste Textstufe”: “Doch mit zerschlagenem Leben und zerbrochenem Geist mögen wir angenommen werden! Wie Brandopfer von Widdern und Stieren (...) So möge das Hinschlachten von uns heute zum Wohlgefallen vor dir (werden).” Both these translations serve the authors’ preferences for a vicarious selfsacrifice in this text. I am well aware that the Greek text is a translation from Hebrew, which can be translated back and thus suggest an older textual basis for translation into English. Even so, it still is not correct to render similar constructions with widely divergent translations.

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tyrs, as the intended analogon with the rich animal sacrifices of olden times. Though the martyrs would have preferred to come to the temple with abundant victims, in the given situation they have only their humble and devoted attitude to offer.229 Hengel saw the problem and tried to solve it by saying: “In the original version of the penitential prayer, the atoning sacrifice may have referred to the prayer itself, but in the mouths of the three men in the burning fiery furnace, i.e. according to the LXX version, the martyrdom of the three men becomes an atoning sacrifice to God.” Apart from the arguments mentioned so far, this transparent attempt to save the element of vicarious atonement is even less plausible if one bears the forthcoming points in mind. First, just as in the other two martyr stories that we have discussed, the actual and explicit reason for the martyrdom of the three faithful Jews is that they refuse to obey the king’s order to pay homage to his god and thus forsake their loyalty to the God of Israel. This is explicitly indicated as their (sole) motive in canonical Dan 3,28, which in its LXX 95 version reads: parevdwkan ta; swvmata aujtw'n eij~ ejmpurismovn, i{na mh; latreuvswsi mhde; proskunhvswsi qew/' eJtevrw/ ajll’ h] tw/' qew/' aujtw'n. Secondly, once more the prayer does not record in any explicit form the wish to surrender their lives in order to save others.230 Thirdly, there is no sacrifice of human lives since the three are saved from the fire. If this were only to be deducted from the canonical context it would not be a decisive argument, but the plea for their own salvation is also, and emphatically so, present in the prayer itself: (43) “Deliver us in accordance with Your wonderful deeds and bring glory to Your name, Lord.” The preceding lines, and the expression ejxelou' hJma'~ rule out the option that this plea refers to the Jewish people. It can only refer to the three young men and is a clear reference to their personal salvation as anticipated in Dan 3,17 and actualized in Dan 3,24ff. For all these reasons the prayer of Azariah can in no way be interpreted as containing the notion of (atoning) vicarious death.

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They are in an emergency situation where no temple and no sacrificial animals are available anymore (KOCH, Deuterokanonische Zusätze [n. 218], 59). If the substitute sacrifice is not the martyrs but the attitude they have to offer, prosdecqeivhmen refers to the acceptance of the ones who offer the sacrifice, not of the sacrifice itself. 230 To say that the three boys “are willing to accept death for the sins of the people” and “From the author’s perspective, the young men’s willingness to accept death for the sins of the nation can be viewed as a sacrifice to induce God to show mercy or to grant forgiveness to the nation for its sins” (POWERS, Salvation [n. 29], 222 and 223, referring to KOCH, Deuterokanonische Zusätze [n. 218], 54) is a risky kind of telepathy, since nothing of the kind can be found in the hymn, as long as the interpretation of vv. 40–41 is as uncertain as it is.

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Our conclusion after discussing the three clusters of texts sometimes adduced as testimonies of vicarious death in Jewish scriptures is that the absence of vicarious death belongs to their most noticeable points of similarity. All three depict protagonists whose deaths are the (intended) result of their refusal to betray their loyalty to God, his laws and covenant. In all three the sin of the Jewish people is a background motif. The hope that the misery of the Jewish people may come to an end prevails in all three as well: twice in the plea that God’s anger may turn to mercy again, once as the expectation that God will avenge the blood of the martyrs crying out to him. Similarly, the two interpolated passages, in 2 Maccabees and Daniel respectively, are inserted at points where there is a historical caesura: the turning point from oppression to triumph. The passage in AssMos pictures the expectation of the reversal as an eschatological vision. As for the connection of death and salvation, there is no doubt that the martyrs’ death plays a role as a dramatic element that conveys additional power to the prayer as an instrument to exert pressure on God. Nowhere, however, is there any hint of the idea that the martyr dies, consciously or unconsciously, as a substitute for the salvation of others, in casu the Jewish people. In these circumstances231 it is not surprising that there are practically no terminological reminiscences of either of the three textual complexes in NT vocabulary and only vague analogies in the conceptualization of Jesus’ death.232 3.1.2. Recent Scholarship Before casting a glance on the recent discussion especially concerning the martyrdom in 2 Maccabees, I must point out that after Williams, in the eighties of the last century, there were also other scholars who doubted or denied that vicarious death could be attested in the Early Jewish texts discussed above.233 In a stimulating and influential study, Kellermann argued that it is the intercessory prayer, not (primarily) the voluntary death, that effectuates God’s mercy: “Gott gewährt auf die Fürbitte hin Sühne.”234 If it 231

I pass over in silence H.J. de Jonge’s argument that these three passages are only the scattered chance remnants of what must have been a vast discussion of the theme of atoning death of one for many. 232 See van Henten in this volume. 233 See for more studies representing the two opposed views: V AN H ENTEN, Maccabean Martyrs (n. 30), 141 n. 62. 234 K ELLERMANN, Zum traditionsgeschichtlichen Problem (n. 182), 72. Cf. ibid., 71: “Die Zuwendung der Gnade (katallavssein) ist nach 2Makk 1,5; 8,29 Folge des Gebets.” Particularly important is his demonstration that in the OT the appeasing of God’s anger and the ensuing reconciliation are rarely if ever the result of any kind of sacrifice but usually of prayer for mercy.

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is true that “Das Sterben der Märtyrer koinzidiert mit der Fürbitte”, this is because it thus becomes a “himmlische Fürbitte”.235 “Gegenüber seinem Volk hat der auferstandene Märtyrer besonderen Zugang zu Gott.”236 Consequently, there is no evidence for vicarious death in 2 Maccabees: “In 2Makk 7 fehlt vor allem der Stellvertretungsgedanke. Die Märtyrer sterben nicht stellvertretend als Unschuldige für das Volk, sondern als Schuldige solidarisch mit dem Volk (2Makk 7,37f.).”237 Also in this period, J.A. Goldstein wrote: “The mother and her sons do not substitute for the rest of suffering Israel. They are part of suffering Israel and hope that their deaths will mark the turning point prophesied by Moses, which is in any case sure to come. There is therefore nothing in our passage of the doctrine of vicarious atonement.”238 More recent publications, since circa 1990, touching on the question of vicarious atoning death in 2 Maccabees generally seem to endorse these more reticent assessments, or at least display a more cautious judgement. Moreover, it seems that the issue of the martyr and his meaningful death as a possible model for Jesus’ soteriological death is losing the central position it occupied in the eighties. I present here a brief chronological selection of relevant statements. It is the fruit of random239 and not of systematic reading and, needless to say, is not intended to be exhaustive. H.-J. Klauck on the prayer of the seventh son: “Hier schon von einem stellvertretenden Sühnetod der Märtyrer zu sprechen, dürfte aber noch etwas verfrüht sein. Die Gebetsbitte der Sterbenden steht im Vordergrund, und es fehlt noch der übertragene Gebrauch von kultischen Termini. Ausserdem betont 2 Makk 7,18.32 die persönliche Schuld der Märtyrer. Sie sterben für ihre eigenen Sünden. Das verträgt sich schlecht mit Sühnopfertheologie. 4 Makk zieht die in 2 Makk 7,37ff. angelegten Linien aus und gelangt dabei zu einer qualitativ neuen Sicht.”240 Seeley follows Williams. In 2 Macc 7,32 “there is no hint of a special representative function played by the martyrs. Rather 7,32 seems to point

235 236 237

KELLERMANN, ibid., 74. KELLERMANN, ibid., 73. KELLERMANN, ibid., 69. When KELLERMANN, ibid., 79 speaks of “Stellvertretende Sühne durch Fürbitte”, he does not use this term in the sense of vicarious death of one for all, but in that one suffering righteous person prays for mercy on behalf of the whole people. 238 J.A. G OLDSTEIN, II Macabees (n. 195), 316. 239 Not arbitrary, though, for they have all been selected from studies concerned with martyrdom and dying for one’s creed, which by their nature could not avoid the issue under discussion. 240 K LAUCK, 4 Makkabäerbuch (n. 20), 670.

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to a form of group solidarity.”241 After a discussion of the implications of 7,37f., with which I fully agree, he concludes: “The brothers’ deaths are not, therefore, vicarious, expiatory ones.” (...) “They ask only that with their deaths, the suffering end. No one will benefit because of their deaths per se, but simply because God will have ceased his wrath with the latter. He will consider that the overall punishment and discipline have reached a point of sufficiency. The martyr’s deaths, in this sense, simply happened to be at the end of a series of sufferings.”242 Surprisingly, however, Seeley states that “Unlike the brothers’ deaths, Eleazar’s death is vicarious.”243 He only manages to do so by allotting to the word ‘vicarious’ a very special meaning: “It benefits others through providing them with models,” and “It is a model or a paradigm.” This makes it possible for him to conclude “that 2 Maccabees does not contain examples of vicarious, expiatory death (as is sometimes maintained). That is to say, there are no deaths which benefit other people through working out or somehow cancelling their sins. But there is one death (Eleazar’s) which benefits others mimetically.”244 People can become inspired by his example. The term “vicarious” in his view expresses the idea that believers “re-enact” the death or suffering of the martyrs and of Jesus. Bremmer admits a qualified agreement with my reservations concerning the arguments of my Leiden critics, especially H.J. de Jonge: “Versnel is right in stressing that the idea of a vicarious sacrifice is more hinted at than fully elaborated in these passages.”245 He nonetheless thinks “that the idea of a vicarious, atoning death is at least in nuce present in the accounts of the deaths of Eleazar and the mother with her seven sons.”246 Barth: “Im 2. und 4. Makkabäerbuch wird dem Sterben der jüdischen Märtyrer sühnende Kraft zugeschrieben.”247 On 7,37f.: “Der Märtyrer stirbt also für die väterlichen Gesetze und hofft, daß Gott dadurch dem Volk gnädig wird und Gottes Zorngericht zum Stillstand kommt. Noch deutlicher ist die Aussage im 4. Makkabäerbuch.” Vos, on 2 Macc 7,37f., holds the view that it is not the death of the martyrs that appeases God’s anger, but the blood – and not even their blood – crying for revenge. “Wanneer er sprake is van het bloed dat tot God roept, dan gaat het daarbij om de roep om wraak. Bloed dat dient ter verzoening 241 242 243 244 245 246

SEELEY, Noble Death (n. 7), 87. SEELEY, ibid., 88f. SEELEY, ibid., 89. SEELEY, ibid., 145. BREMMER, Atonement (n. 43), 79. BREMMER, ibid., 78. Instead he has various different objections to de Jonge’s defence. 247 B ARTH, Tod Jesu Christi (n. 6), 59.

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roept nooit bij God om wraak.”248 The same for AssMos. The Prayer of Azariah, Dan 3,38–40 LXX, is rather a spiritualizing transformation of cultic imagery as in Psalm 51. Schröter: “In 2 Makk 7,37f. wird eine Beziehung zwischen dem Tod der Märtyrer für die väterlichen Gesetze und der Bitte um die Barmherzigkeit Gottes hergestellt.”249 However: “Die Märtyrer sterben nicht als Unschuldige für das Volk, vielmehr treten sie zugunsten des Volkes vor Gott ein, um damit seinen Zorn zu besänftigen.”250 Likewise in the context of the theme of dying for city, country, and law, being a Greek legacy: “In 2 und 4 Makk wurde dabei eine Verbindung zwischen dem Tod der Märtyrer und dem Gnädigstimmen Gottes hergestellt, in 4 Makk unter Aufnahme der Vorstellung vom stellvertretenden Sühnopfer.”251 Powers: “The suffering and deaths of the mother and her sons are not a substitute for the suffering and deaths of the people. Rather the martyrs represent the people in their plight.”252 And again: “The notion of atonement which is depicted in 2 Maccabees is not vicarious in a substitutionary sense. Instead, it is a kind of representional atonement: a few individuals represent the entire nation in their deaths and, as a result, the entire nation benefits from their deaths by participating in the vindication of the few individuals by virtue of the people’s corporate identity or unity with the individuals.”253 Röhser first admits that vicarious death is not in clear evidence in the directly relevant passages: “Man muss sich also fragen, ob in 2 Makk 7,37f. der Gedanke des stellvertretenden Todes überhaupt schon vorliegt – geschweige denn derjenige der stellvertretenden Sühne.”254 If one restricts the interpretation to a comparison with 7,32: “we are suffering for our own sins”, “so bleibt kein Raum für den Gedanken des Stellvertretungstodes, da die Brüder dann nur für ihre eigenen Sünden und nicht die des Volkes büßen.” Subsequently, however, he tries to save the notion of vicarious death by involving the wider context: “Betrachtet man 7,18.32 aber nur als einen Teilaspekt des Leidens der Märtyrer, so gewinnt man Raum für den Ge248 249 250 251 252 253

VOS, Vragen (n. 168), 227. SCHRÖTER , Sterben für die Freunde (n. 10), 283. SCHRÖTER , ibid., n. 87. SCHRÖTER , ibid., 284. POWERS, Salvation (n. 29), 210. P OWERS, ibid., 211. Powers presents this notion of ‘corporate representation’ as the kernel of his book and explains Jesus’ death in the same fashion. Although I accept the phrasing as quoted in the text above, and also deem the concept of corporal representation worth considering, I do not follow him all the way in this interpretation. Nor do I agree with the cursory interpretation of 6,18–7,42, which forms the basis for his ‘representative’ typology. 254 RÖHSER, Stellvertretung (n. 49), 71.

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danken, daß der Zorn Gottes sich wegen ihrer zumindest ‘relativen’ Gerechtigkeit – die sich in der Hingabe für das Gesetz zeigt – stellvertretend ‘an’ (V 38a) den sieben Brüdern austoben kann und soll und dann an sein Ende kommt.” Breytenbach: “Mit Versnel und Van Henten müssen die Unterschiede zwischen dem patriotischen Tod ‘für’, pro, wie er im 2. und 4. Makkabäerbuch verwendet wird, und einem Ersatztod, wie im 4. Makkabäerbuch und in den Briefen des Paulus zum Ausdruck gebracht, ernst genommen werden.”255 On 2 Macc 7,37f.: “Es ist jedoch kein direkter Zusammenhang zwischen dem ‘Sterben für’ und dem Ende des Gotteszornes nachzuweisen. Der Tod wird zwar als ein Tod zur Bewahrung des Gesetzes – dia; to;n novmon (2 Makk 7,11.23); peri; tou' novmou (2 Makk 6,28; 7,9); uJpe;r tou' novmou (2 Makk 7,36f.) ausgedrückt. Es ist aber dem großen Erzählzusammenhang ab 8,1 zu entnehmen, dass Gott aufgrund des Flehens der Märtyrer von seinem Zorn abkehrt.”256 Wolter on vicarious death: “Dies gilt noch nicht für die Deutung ihres Geschicks im 2. Makkabäerbuch, denn hier sterben die sieben Brüder noch nicht ‘für’ andere; vielmehr ist ihr Tod der Endpunkt des Zorneswirkens Gottes über Israel.”257 Van Henten258 is easily the most important and gratifying of my witnesses. Important since, as an expert in Jewish martyrology, he was one of the critics who argued against my interpretation exactly on the argument that 2 Maccabees and other Jewish texts did provide clear examples of vicarious death and thus sufficed as models for the NT interpretation of Jesus’ death as vicarious: ‘one for all’. Gratifying because a gradual shift in his thinking has brought us to near complete agreement. For this reason I give a brief summary of his argument. After a fresh analysis of the evidence presented in the relevant passages of 2 Maccabees, with which I fully agree and to which I gladly refer, he argues that several details in 2 Macc 7–8 indicate that the martyrs’ death is beneficiary in a general sense, because it coincides (my italics HSV) with the turn of God’s wrath to mercy. However, this does not alter the fact that the ‘dying for’ formula in 2 Maccabees uniquely refers to self-sacrifice for God’s laws (and its variants), but never to a death beneficiary to humans. 255 256

BREYTENBACH, Christus starb (n. 49), 464. B REYTENBACH, ibid., 466. All this in contradistinction to 4 Macc 6,27–29, where Eleazar dies likewise for the law. But he prays that his blood may be a kaqavrsion and that God may take his life as ajntivyucon of the people and that God may be merciful towards the people. “Wiederum geht es um das Gnädigstimmen Gottes, diesmal aber durch den Ersatztod des Märtyrers.” 257 W OLTER, p. 298 n. 4 (present volume). 258 V AN H ENTEN (present volume).

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“Distinctions like vicariousness and substitution are still absent in Hellenistic-Jewish passages about a beneficiary death.” After comparing lists of terms in Jewish martyrdom narratives and early New Testament soteriological passages, he concludes that, although there is some continuity in the vocabulary about beneficiary death, altogether this seems not enough to claim that the beneficiary meaning of Jesus’ death derives uniquely from the application of Jewish martyrdom traditions in the interpretation of his death. The popularity of ideas about beneficiary death in Graeco-Roman culture may have been an important second influence on this interpretation, a contribution that is supported by the continuity in the ‘dying for’ and ‘surrender’ formulae, which are frequently followed in Graeco-Roman passages by a preposition indicating people benefiting from the self-sacrifice concerned. Yet, the description of noble death in 2 Maccabees may help us to explain why Jesus’ death has effects as well for the people’s sins and God’s wrath turning into mercy, and perhaps also why his death is articulated as unrestricted faithfulness to God. Such notions are absent in the contemporary Graeco-Roman milieu. Hence, in this respect Jewish martyrdom traditions may have contributed to early interpretations of Jesus’ beneficiary death. The above list betrays a near-consensus on the issue of vicarious (atoning) self-sacrifice in 2 Maccabees in eleven random assessments published since 1989.259 Eight out of eleven unequivocally deny the presence of a notion of vicarious death in 2 Maccabees.260 Two (Bremmer, Röhser), though acknowledging the legitimacy of the objections, preserve a qualified notion of vicarious death “in nuce” or with an appeal to the wider context. Even the one (Barth) who tends to attribute an intended beneficiary force to the martyr’s death does so in a somewhat veiled phrasing: “sühnende Kraft”, “hope that God’s anger comes to an end”. The general conclusion of this section is that, on the grounds of our own analysis of the evidence which is in pleasing agreement with a consensus among a large majority of verdicts in recent scholarship, we should henceforth refrain from speaking of vicarious (atoning) death in the relevant early Jewish testimonia, at least in the sense of that word as we defined it and in which it is generally applied to Jesus’ death as a saving event. Con259

Not including the works of my Leiden colleagues H.J. de Jonge, M. de Jonge, J.W. van Henten (in his earlier publications) and my own, since they have been amply discussed supra. 260 I include Seeley because he rejects the notion as far as the martyrdom of the seven brothers is concerned, which, elsewhere, is always the privileged witness. His manoeuvre to preserve the term ‘vicarious’ for Eleasar is based on a very idiosyncratic – and for our present discussion irrelevant – use of that term.

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sequently, in this respect there cannot have been a transmission from early Jewish martyr texts to NT ideas. This does not mean that there is no influence at all from martyr narratives on NT notions, as Van Henten argues correctly in the present volume. But, in itself, 2 Maccabees, Assumptio Moses, and the prayer of Azariah cannot have been the models of the explicit (ajpo)qnh/vskein uJpevr ideology that crystallizes around Jesus’ death. Hence we are left with the question: where then did that notion originate? 3.2. Influences of the Contemporaneous Pagan World? If neither OT nor the non-canonical Jewish scriptures can be the source from which the notion of vicarious death entered the NT writings, there is only one option left: the pagan Graeco-Roman world. As we have seen, this option is now endorsed by quite a number of scholars. However, this leaves us with the problems of time, place and channels of transmission. Williams conceived the tradition in terms of a direct import of concept and terminology from classical Greek culture, especially Greek tragedy (and, for 4 Maccabees, the epitaphios logos) leaning heavily on material as presented in our second section above, in part 2.2.2. a), entitled: ‘Vicarious Death in Classical Greece and Early Republican Rome’. The examples derived from this type of evidence are assumed to have reached the NT writers or their anonymous predecessors in the earliest Christian communities through the channels of Greek education in Hellenistic schools and through the general impact of Greek literature. Though Greek influence seems to me beyond doubt, I was and still am hesitant to accept this onetrack image, since it seems to me too small and shallow a basis for supporting the introduction of such an influential notion. The purely literary nature of these models, lacking direct contact with the reality of life and death, further increased my scepticism. When I began to realize that a far more comprehensive and variegated amount of material presented itself in the last century BC and the first and second centuries AD, I shifted my attention to this material (above section 2.2.2. b), under the heading: ‘Vicarious Death in the Period of the Roman Late Republic and Early Principate’) as more promising and so far underestimated material for comparison and and a possible source of inspiration. In the period concerned we observe the emergence of a vivid fascination with the notion of dying for a creed. In fact, practically all the eulogistic literature concerning this type of noble death stems from this period. Patriotic death, including dying in defence of friends, enjoyed an ongoing and even increasing popularity. Most relevant, however, is a striking revival of old ideas of vicarious death for another or others, side by side with the creation of new ones, for which traditional Greek and Latin formulae of

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“to die for” in a range of variations were used. It is indeed a topos in literature and daily life and in widely divergent contexts. At first sight one might characterize this ideology and its practical consequences as a ‘democratization’ of what Greek myth long before had described as self-sacrifice. But that Euripides, the classical Greek funerary oration, or classical Greek literature in general should have been the direct stimulus, can, in view of the universality and pervasiveness of the phenomenon in the first centuries AD and their practical Sitz im Leben, not be the whole truth. Side by side with analogies, there are of course also differences between the various contemporaneous forms of pagan vicarious death and NT concepts. The most obvious one is the disparity between purely physical salvation through the vicarious death of another in the pagan evidence, and the more theological perspective of Jesus’ self-sacrifice for many, as transparent in the occasional specification that it is for their/our sins and thus – implicitly and consequently – intended as a salvation from the wrath of God. The element ‘sin’ is in my view a definitely non-pagan conception and must have been a Jewish contribution, as inter alia exemplified in the testimonia of 2 Maccabees that we discussed. Nor does it escape me that many contemporaneous pagan examples concerned the voluntary death for the salvation of one, exceptionally beloved or esteemed, person, as most apparent in the bottom-top devotio pro principe. That is true even if the well-being of the emperor undoubtedly stands for the well-being of the empire: salvo Augusto felix Roma. Consequently, in my earlier publications, I spoke of a mentality, of a topos, and of fascination.261 I would not think of comparing, let alone identifying, in any specifically phenomenological fashion, the devotio pro principe with Jesus’ atoning death ‘one for all’. In order to prevent misunderstanding, I spoke of a general consciousness, widely prevalent262 in the period in which the NT authors were reflecting on the meaning and its verbal expression of Jesus’ death, that it is possible – and potentially effec261 The latter two terms clarify what is intended with the notion of ‘mentality’, viz. the usual sense as given in the dictionaries: “way of thinking and feeling”, or “what is in or of the mind”. I did not imply, as BREMMER, Atonement (n. 43), 86, seems to think, that everybody was raring to implement that feeling, but I emphasized that writers and readers of philosophical treatises or fiction and people confronted with the (impending) death of a relative or a friend and subjects wishing the emperor health and a long life, were aware of this option, and from that perspective could interpret the death of a beloved one in this fashion. As Paul (and his predecessors) did with Jesus’ death. 262 I am unable to understand how the fact that “they all occur in rather different groups in society, and for rather different motives” (BREMMER, ibid., 86) can be advanced against my thesis. This is precisely the kernel of my argument: the general fascination for the principle of ‘dying for another’ in divergent layers of society.

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tive – for one person to take over the suffering, death or doom from another and, through his own death, save the other. In other words: the ubiquitous conviction that the sacrifice of one’s life may in the most general terms have a saving function and therefore may be the last and final solution in a desperate situation. This idea, thriving in the pagan GraecoRoman world of the first centuries BC and AD, so far consistently ignored or rejected in Jewish tradition, was now embraced in NT scriptures, inter alia but not uniquely, as an answer to the ever repeated question of how the sins and the resulting misery of the Jewish people vis à vis God could be expiated. Furthermore, a deeply traumatic historical experience raised the urgent question as to how the herold of the kingdom of God, who was by (some of) his followers regarded as a prophet or as the Messiah, could have died before he was able to fulfil his promises in any recognizable or acceptable Jewish way. Some critical reactions to my ideas merit a brief discussion, thus offering an occasion to further clarify my position. One common objection is that my testimonies from Graeco-Roman culture are generally too late (first and second centuries AD) to have influenced the interpretation of Jesus’ death. Bremmer in this context adds the comment that “his examples from the first century all concern the Roman emperor and his Roman subjects. No evidence has as yet been brought forward that this Roman ideology also influenced those in the subjected areas.”263 Like other criticisms of his these remarks result from a misunderstanding of my central thesis. I did not substitute the purely Roman phenomena such as devotio pro principe for, but added them to, the totality of all other different exponents of the ideology of vicarious death which, as I showed, however divergent, all enjoyed a renaissance from the time of Cicero onwards into the Early Imperial period. In other words: my emphasis was and is not on ‘Roman’, but on ‘contemporaneous’. Apart from this, the chronological criticism concerning the devotio pro principe is unfounded. The Roman ideology as expressed in the willingness to give one’s life for a superior/general has its roots in the old sacramentum militiae. The ideology concerned became a topos under Augustus, in the ‘harmless’ way of ‘dying before’, and in the more risky variant of ‘dying instead’, as in the self-devotio of the tribuni plebis in 27 BC. My second explicit testimony of such a devotio pro principe, the one concern-

263 B REMMER , Atonement (n. 43), 86. As he is the only one who took the trouble to scrutinize my suggestions concerning pagan influence and to criticize them in detail, my response will mainly focus on his remarks.

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ing Caligula (37–41 AD), discloses a clear line of transmission of this ritual prior to the time of the earliest letters of Paul.264 Nor is it true that varieties of vicarious death cannot be attested outside Rome. On the contrary, I argued that this mentality prevailed far and wide in the Greek and Latin speaking areas of the cultural koine in the Early Imperial period. The Alcestis ideology can be found all over the Greek speaking parts of the Mediterranean, no less than the more general idea of dying instead of another, as for instance in the – indeed later attested – case of Aelius Aristides. And it is exactly in the discussion of the Alcestis ideology that misapprehension of my argument surfaces in its most revealing form as I will demonstrate now. Sometimes a fresh defence of an existing theory, rather than corrobating it, may reveal its weak points. This is the case with Bremmer’s own theory. After briefly criticizing especially H.J. de Jonge’s focus on 2 Maccabees, Assumption of Moses and Daniel, and my focus on contemporaneous pagan influence, Bremmer himself takes side with Williams, but, different from him, advocates one sole model: Greek drama, more specifically Euripidean tragedy, and more precisely the Alcestis. The popularity of Euripides’ work in the Hellenistic and Roman periods in the whole Roman empire, especially Egypt, where we have the testimony of the papyri, is common knowledge since the early twentieth century, 265 and has been acknowledged by Williams and everybody else including the present writer. Nobody, however, has ever attempted to monopolize his tragedies as the one and only source of inspiration for the NT writers or the early Jerusalem community in creating their notion of vicarious death. Bremmer266 grounds this thesis on the arguments, as summarized by himself, that Greek was widely spoken in Palestine (probably even by Jesus himself!), that theatres were present even in Jerusalem, that Jews such as Philo attended Euripides’ tragedies, that the Bacchae was used by Luke. 264 I am forced to repeat these facts, already recorded in the second section above, since B REMMER, Atonement (n. 43), 83 n. 24, tries to suppress them. First he argues that since the devotio of the tribuni plebis is announced as an Iberian custom, it “cannot be adduced as an example of a Roman mentality.” The provenance of the rite (that I of course accounted for) is irrelevant to our issue, because the tribuni plebis were Roman citizens and not the least distinguished ones, and in that capacity introduced this specific act of loyalty, engrafting it onto an existent ideology under Augustus. Their explicit invitation to others to follow their example was accepted, as appears from the devotio for Caligula. To say “but that event took place half a century later” (ibid.), is a transparent attempt to veil the fact that it did take place in a period before Paul’s letters were written, a condition that Bremmer himself rightly stipulated. 265 An extensive survey already in: W. SCHMID/O. STÄHLIN, Geschichte der griechischen Literatur, Vol. 3, Munich 1940, 823–833. See also supra n. 43. 266 BREMMER, Atonement (n. 43), 92f.

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Again, all this is well-known267, but it is a reductio ad absurdum to single out familiarity with a drama of Euripides, still less attendance at a performance of it, as the most obvious, and indeed exclusive, channel for inspiration of NT writers. In support of his thesis, Bremmer attempts to reduce as many as possible pagan testimonia of vicarious dying as well to the influence of drama, especially Euripides and his Alcestis. So, naturally, the women who claimed the title ‘new Alcestis’ by dying for/instead of their husbands; so, too, the examples from the Greek novel that I mentioned.268 All this is less than convincing. One does not need to have attended a performance of the Alcestis (nor even to have read the play) in order to have knowledge of the famous myth. A variety of sources, including oral tradition, were available. Would all the authors (historians, moralists and novelists), artisans and women who used the Alcestis theme of necessity have attended a performance of the Euripidean drama? So far, however, this is only an aside. My basic point is that here we have arrived at the major misunderstanding concerning the issue in hand. My theory does not concern the question whether or not (Euripidean) tragedy may have been one of the sources of inspiration, a possibility that I did not and would not exclude at all, but the question why, side by side with others, such tragic themes of vicarious death became a model for inspiration and imitation in daily life and a source for interpretation of deaths that asked for an explanation and a meaning, in the period in which we meet other types of ‘dying for’ as well. Why had the idea of vicarious death, long known from these tragedies, not been adopted before as a model for personal emulation and imitation, as it was in the period of the genesis of the NT in different parts of the Roman world? There can be only one answer: because, as the evidence collected in section 2.2., especially in 2.2.2. b) and c), above unequivocally demonstrates, in this period the no267 268

With the exception, that is, of Jesus’ command of the Greek language. The apothanoumenoi round Antony and Cleopatra, according to BREMMER, Atonement (n. 43), 84, had borrowed their title from comedies of the same name (Alexis fr. 213–215 and Diphilus fr. 12; R. KASSEL/C. AUSTIN [eds.], Poetae Comici Graeci, Berlin 1983–1995). Why should they have? The verb is common enough, and one glance into the context reveals the genesis of its use. Earlier Antony and Cleopatra had formed a suvnodo~ ajmimhtobivwn to celebrate their licentious revelries (Plut. Ant. 28), but after the fatal defeat at Actium in 31 BC they dissolved that club and founded another one with the name suvnodo~ sunapoqanoumevnwn (thus deliberately substituting the element ‘death’ for ‘life’), as immediately explained by Plutarch Ant. 71: “For the friends registered themselves as planning to die together” (ajpegravfonto ga;r oiJ fivloi sunapoqanoumevnou~ eJautouv~), followed by the illustration that from that moment on Cleopatra carried with her all sorts of poison. No need for a dramatic play for all this, even less for comic plays with related, but different, titles. Not, for that matter, that such a borrowing would affect my argument.

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tion of ‘dying for’ became an attractive option to be admired, reflected on, and considered for application. In the earlier debate with the advocates of 2 Maccabees as source of the notion of vicarious death, I have asked the question whether, even if for the sake of argument we would accept that the three Early Jewish membra disiecta indeed should be taken as vague prefigurations of the fully developed theologoumenon in Paul, it would even then be methodically correct to single out these elements as the sole incentives to its formation? Compare for instance Darwin’s The Origin of Species. We know of earlier 19th century explorations in the direction of evolutionism. Do these suffice as an explanation for the genesis of Darwin’s work and for the enormous impact it had in the rest of the 19th century? Of course not: for an explanation we need to take into account the ideology of progress thriving in contemporaneous culture and society, which offered the fertile soil for creative intellectual experiments. Mutatis mutandis the same can be said about the prefigurations as offered by Euripidean tragedy, which could only develop into models for practical imitation when a general ideology about vicarious death began to develop. Bremmer269 refers to J.Z. Smith’s provocative idea270 that the Zeitgeist can often have a similar impact on different religions and his suggestion that the increasing focus on ‘the dying and rising’ aspects of the central cult figure in Christianity and in the cults of Attis and Adonis in late antiquity present a case of cultural ‘analogy’. However, he blames Smith for overlooking the fact that there was a lively interchange between pagans and Christians in late antiquity, a fact that, in his view, would rather tell in favour of cross-fertilization through contact. I do not believe that one of these mechanisms excludes the other nor that the two can or should be radically distinguished or separated.271 And I suggest that in our case the two co-operated in fostering the interpretation of Jesus’ death as a vicarious saving event in its wider cultural context of a Mediterranean koine. In the case of the devotio pro principe one may vacillate. The simultaneity of the emergence of this ritual and substitutionary interpretations of Jesus’ 269

BREMMER, Atonement (n. 43), 88f., in a different context, namely on the question whether the common idea of vicarious death in Paul and 4 Maccabees was due to ‘analogy’ or to ‘genealogy’. 270 J.Z. SMITH, Drudgery Divine: On the Comparison of Early Christianities and the Religions of Late Antiquity, Chicago/London 1990, esp. 113f. 271 I discussed the problems concerning the differentiation between spontaneous analogy and derivation of comparable formulae or concepts in: H.S. VERSNEL, “May he not be able to sacrifice ...”: Concerning a Curious Formula in Greek and Latin Curses, ZPE 58 (1985), 247–270, esp. 265–269. One rule is that the more specific and idiosyncratic the corresponding terminology or phenomenology, the more likely a genealogical relationship becomes.

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death may be an expression of the spirit of the age and thus have been an instance of spontaneous analogy. On the other hand, the devotio may just as well have served as a model of vicariousness through channels of cultural contact. After all, the imperial ideology as a thematic source of inspiration in the gospels, including the earliest one, Mark, receives much serious attention in recent research.272 Concerning other phenomena, such as dying for creed, friends, family, we need not doubt anymore that they have exercised a direct influence. This is no less true if the first steps towards this interpretation were taken in the Greek-speaking earliest Christian community of Jerusalem. Palestine, as we now know above all thanks to the innovative work of M. Hengel,273 participated in Graeco-Roman culture 272

P.B. DUFF, The March of the Divine Warrior and the Advent of the Greco-Roman King: Mark’s Account of Jesus’ Entry into Jerusalem, JBL 111 (1992), 55–71; C. B LACK, Was Mark a Roman Gospel?, ET 105 (1993), 36–41; T.E. SCHMIDT, Mark 15:16–32: The Crucifixion Narrative and the Roman Triumphal Procession, NTS 41 (1995), 1–18; W. CARTER, Toward an Imperial Critical Reading of Matthew’s Gospel, SBL.SP 37 (1998), I, 296–324; E.S. JOHNSON Jr., Mark 5:1–20: The Other Side, IBSt 20 (1998), 50–74; B. K INMAN, Parousia, Jesus’ “A-Triumphal Entry”, and the Fate of Jerusalem (Luke 19:28– 44), JBL 118 (1999), 279–294. Cf. also the literature on the ‘Son of God’ discussion below n. 302. 273 M. H ENGEL, Judentum und Hellenismus: Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh. v. Chr., Tübingen 21973 (a revised reprint of his Habilitationsschrift of 1966, translated as Judaism and Hellenism. Studies in their Encounter in Palestine in the Early Hellenistic Period, London/Philadelphia 1974); ID., Juden, Griechen und Barbaren: Aspekte der Hellenisierung des Judentums in vorchristlicher Zeit, Stuttgart 1976 = Jews, Greeks, and Barbarians, Philadelphia 1980; ID., The ‘Hellenization’ of Judaea in the First Century after Christ, London 1989, in a German version as ch. 1 in his Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, Tübingen 1996. Cf. also the chapters 4 and 9 in the same volume, and ID., Jerusalem als jüdische und hellenistische Stadt, in: Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, Tübingen 1999, 115–156. His, to my knowledge, latest contribution on this topic, ID., Judaism and Hellenism Revisited, in: J.J. Collins/G.E. Sterling (eds.), Hellenism in the Land of Israel, Notre Dame, Indiana 2001, 6–37, is in his own words “revisited – yes, but not revised”. This collection gives an excellent impression of the different layers in the Hellenism-Judaism debate. On the absence of any demonstrable distinction between Hellenistic Greek and Jewish (Palestinian/Aramaic) Greek: G.H.R. HORSLEY, The Fiction of Jewish Greek, in: Id. (ed.), New Documents Illustrating Early Christianity, vol. 5, Macquarie 1989, 5–41. Calls for caution in this debate, in: L.H. FELDMAN, How Much Hellenism in Jewish Palestine?, HUCA 57 (1986), 83–111; F. M ILLAR, The Background to the Maccabean Revolution: Reflections on Martin Hengel’s “Judaism and Hellenism”, JJS 29 (1978), 1–21; ID., The Roman Near East 31 BC–AD 337, Cambridge, Mass. 1993, 351–366. Emphasis on Jews’ struggle for their identity in the Hellenistic diaspora: E. GRUEN, Heritage and Hellenism: The Reinvention of Jewish Tradition, Berkeley 1998. Cf. J.J. COLLINS, Between Athens and Jerusalem: Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora, Cambridge 22000, 261: “Hellenistic culture was not optional for Diaspora Jewish authors. It was the sea in which they swam and was an integral part of their identity. But it was not unproblematic. Consequently this literature shows a complex attitude toward

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and society to a far greater degree than generations of scholars up till the sixties of the last century realized or dared realize. The idea that contemporary pagan culture has exercised a deep influence on the imagery of vicarious death in NT writings has become more and more accepted in recent research. For his chapter 6: “The GrecoRoman Context of Paul’s Doctrine of Salvation”, Seeley274 relies entirely on the evidence of exempla virtutis stored in – exclusively first and second century – philosophical and other pagan treatises. He concludes that “the Noble Death (in the sense of ‘dying for a creed’ as described in the second section of the present paper HSV) has been exhibited as known and utilized by a broad spectrum of Greco-Roman writers around the time of the New Testament. Its integrity and familiarity during this period are well attested”.275

Although (as he says in his summarizing conclusion) OT models may occur in Paul, Paul did not develop them for his own soteriological purposes. Instead, “The Noble Death of the philosopher-martyr was closer to Jesus’ death in Paul than were the deaths of the Maccabeean martyrs”.276 And the final paragraph of his book: “What this study has shown is that Paul was very much a man of his time. When he interpreted Jesus’ death, he did not use the Temple cultus (...) Neither did he use Hebrew Bible passages with no history of suitable interpretation (...) Instead, he uses a notion available to anyone who breathed the intellectual atmosphere of the Hellenistic Kingdoms and the early Roman Empire. This was the Noble Death.”277

Schröter forcefully argues that the Gospel of John throughout interprets Jesus’ death as a voluntary act of surrendering his life for his people in the (pagan) tradition of ‘dying for friends’. He concludes that the idea that one person dies for another, especially for a beloved person, was not a new idea: “Vielmehr ist diese griechische Vorstellung sowohl jüdisch-hellenistisch als auch im paganen Hellenismus für das 1. Jahrhundert belegt. Sie konnte von daher auch zur Interpretation des Todes Jesu herangezogen werden.”278

the Gentile world and the dominant culture.” Emphasis on social and political integration in Asia Minor cities: J.H.M. STRUBBE, Joden en Grieken: onverzoenlijke vijdanden?, Lampas 22 (1989), 188–204; P. T REBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge 1991. 274 SEELEY, Noble Death (n. 7), 113–141. His book appeared nearly simultaneously with my work and is independent from it. My reference to his use of contemporary pagan material does not imply that I fully agree with his interpretation. 275 SEELEY, ibid., 141. 276 SEELEY, ibid., 149. 277 SEELEY, ibid., 150. 278 SCHRÖTER , Sterben für die Freunde (n. 10), 284.

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Several scholars mentioned in the preceding pages have, in more general terms, expressed their agreement with these new views.

4. Conclusion In 1989 I concluded my articles in Lampas and the newspaper Trouw as follows: “If there were elements in the Jewish tradition that have contributed to the construction of notions of effective death in NT writings, and I do not doubt there were, I would compare them with the rudiments around which an oyster as a living organism and with the nurturing ingredients from its wider environment constructs the pearl, in this case the pearl of vicarious soteriology. And it is the pearl that determines the value.”279

As my main focus was, as it is now, on the pagan contribution, I could only briefly touch on such Jewish notions as (collective) sin and atonement. There is more, of course, also in the martyr passages that we have amply discussed. Hence, it is a fortunate coincidence that in the present volume Van Henten offers an in-depth analysis of possible connections between what he now calls the ‘beneficiary’ aspects of the death of the martyrs in 2 Maccabees and the NT notion of Jesus’ vicarious death. Earlier in this paper I gave a brief survey of the elements that I gladly accepted. In my view, the most important themes in 2 Maccabees that may have influenced NT interpretations of Jesus’ death are the ones collected above in the conclusion of ch. 3.1.1.: 1) the background is a general awareness of (collective) sin and guilt; 2) the (voluntary) death of a person, 3) due to his refusal to betray his loyalty to God’s will, 4) the intercessory prayer for reconciliation at the moment of dying, 5) which plea is deemed exceptionally powerful and, hence, is expected to induce the beginning of a new era of salvation.280 The essential difference remains that 2 Maccabees (as well as Ass Mos and Dan 3, which Van Henten does not include in his present discussion) is not yet acquainted with the notion and vocabulary of vicarious ‘dying for others’, or, if it is, refrains from applying them to the death of the martyrs. Van Henten acknowledges this and suggests that here pagan GraecoRoman influences have played their part. 279 280

VERSNEL, Jezus Soter – Neos Alkestis? (n. 47), and Trouw 4.4.92. This is grosso modo the view of KELLERMANN, Zum traditionsgeschichtlichen Problem (n. 182). In a brief review of JANOWSKI, Stellvertretung (n. 4), in BZ 42 (1998), 296f., A. SCHENKER proposes to interpret the fourth song of the servant of God in Isa 53, by analogy with the other Gottesknechtlieder, as an expression of the very same martyrological scheme of suffering and intercessory prayer, and not as vicarious death, referring to M. B UBER, Der Glaube der Propheten, Heidelberg 21984.

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There is another, more general and no less fortunate development in current research. Although, as we have seen, collections of possible OT models have been proposed in earlier scholarship, the plurality and variety of models and interpretations used by Paul and in the Gospels has become a central, challenging and rewarding theme in recent studies. In 1996 E. Lohse pointed out that, with respect to the interpretation of Jesus’ soteriological death, different letters of Paul have each their own accent – in his own words that “der Apostel sich ganz unterschiedlicher Vorstellungen bedienen kann, um die Heilsbedeutung des Kreuzes auszusagen.”281 Breytenbach, who quotes this phrase, first makes the lapidary statement: “Es bleibt festzuhalten, daß es nicht im Geringsten klar ist, was mit der Wendung ‘Christus starb für uns’ oder ‘für unsere Sünden’ gemeint ist”282. Later he specifies that “die Rechtfertigungsmetaphorik in 2 Kor 5,21 und Röm 5,8–10, die Versöhnungsmetaphorik in 2 Kor 5,18–20 und Röm 5,10– 11, die Loskaufmetaphorik in Gal 3,13, die ‘Dahingabe-für’- und die ‘Sterben-für’-Metaphern nicht alle auf der gleichen Ebene liegen.”283 B. Janowski, in this volume, speaks of a “Vielfalt der Deutungen”, which, in the words of Vollenweider “miteinander in Wechselwirkung stehen und gerade in ihrer Pluralität die grundsätzliche Offenheit christologischen Denkens bezeugen.”284 Likewise, M. Wolter,285 in this volume, refers to a “Vielfalt von Deutungskategorien” and a “diffuses Konglomerat von Vorstellungen”. He successfully tries to create order in this divergence by distinguishing the different functional contexts in which the expression “to die for” is applied. The first and predominant function is the paraenetic one in which the expression refers to Jesus’ death as an (ethical) example. It is especially in this category that the prepositions ajntiv and uJpevr are followed by references to human beings for whom Jesus died: ajnti;/uJpe;r hJmw'n, uJmw'n, pollw'n, pavntwn, etc. while lacking references to sin and atonement.286 In this context, as well as in passages where the death of Jesus is connected 281 282 283 284

E. LOHSE, Paulus: Eine Biographie, Munich 1996, 166. BREYTENBACH, Christus starb (n. 49), 453. BREYTENBACH, ibid., 471. S. VOLLENWEIDER, Diesseits von Golgatha: Zum Verständnis des Kreuzestodes Jesu als Sühnopfer, in: Id., Horizonte neutestamentlicher Christologie, WUNT 144, Tübingen 2002, 89–103, esp. 92, who gives the literature on this notion of plurality. For more titles see Janowski in this volume, p. 118 n. 104. 285 I am indebted to Janowski and Wolter for sending me drafts of their papers and allowing me to utilize them. 286 Cf. B REYTENBACH, Christus starb (n. 49), 475: “Weder das Bild der Versöhnung noch das der Rechtfertigung haben denselben fundamentalen Status bei der Beschreibung der paulinischen Soteriologie wie die Wendung Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r hJmw'n, für deren Interpretation man keinen Sühnegedanken benötigt.”

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with ‘love’, Wolter is inclined to consider this soteriological type of death as going back to Hellenistic friendship ideology. Wolter is reluctant to use the term “Stellvertretung”.287 It should be noted, however, that beyond – and prior to – its paraenetic function as an example for Christian behaviour, this type of death is soteriological in that it involves the ‘one for all’ (or ‘many’) idea.288 Moreover, Jesus’ death is interpreted as a predetermined, unavoidable, and necessary instrument for the salvation of his followers, the Jews or humankind. In other words, his ‘readiness to surrender his life for ...’, however essential as a paraenetic model,289 is soteriological through its final implementation as in the formula “he died (or gave his life) for ...”. In this interpretation it meets all the requirements of the definition above, which – as I may remind the reader – was based on the characteristics of Graeco-Roman instances of vicarious death. The idea that Jesus gave his life vicariously to save those who are ready to accept his message and to act accordingly, as expressed by the Greek expression Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r hJmw'n, remains a central element of Paul’s christology and can in this form not be traced back to pre-NT Jewish ideas. Concordingly, other scholars have no objection to the use of the term “Stellvertretung” for Paul’s interpretation of Jesus’ death, on condition that 287

Arguing that we must maintain “eine saubere Trennung zwischen quellensprachlichen und wissenschaftssprachlichen Begriffen”, adding another never-ending problem: “Wenn es denn so ist, daß man zum Denken Begriffe braucht, konnte Paulus ‘Sühne’ und ‘Stellvertretung’ nicht einmal denken.” I have given my own view on this matter supra n. 271. 288 Also in explicit expressions: 2 Cor 5,14 ei|~ uJpe;r pavntwn ajpevqanen. John 11,50 (cf. 18,14), the ‘prophecy’ of the high priest Caiaphas oujde; logivzesqe o{ti sumfevrei uJmi'n i{na ei|~ a[nqrwpo~ ajpoqavnh/ uJpe;r tou' laou' kai; mh; o{lon to; e[qno~ ajpovlhtai, is particularly interesting because here a typical and common Hellenistic saying receives “a christological turn” (HENGEL, Atonement [n. 2], 14). See the collection of parallel expressions in: U. SCHNELLE (ed.), Neuer Wettstein: Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, vol. I/2: Texte zum Johannesevangelium, Berlin 2001, 587–597, no. 1–27. Jewish parallels in H.L. STRACK/P. B ILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, vol. 2, Munich 1924, 545f. Cf. B REYTENBACH, Gnädigstimmen (n. 17), 240; SCHRÖTER , Sterben für die Freunde (n. 10), 271, argues that the expression implies dying for the benefit of the people, since Jesus’ death may prevent the threatening destruction of temple and nation. “Dabei geht es zunächst um einen Selbstschutz, zu dem der Schuldige ausgeliefert werden soll.” It is the author of the Gospel who gives it a christological turn. 1 Clem 55,1, as quoted above p. 218f., and also mentioned by Wolter, while explicitly paraenetic with respect to Christian codes of self-denial, in the same phrase no less explicitly underlines the ‘one for all’ vicariousness of Jesus death. 289 The fact that “surrender”-terminology and imagery need not necessarily imply vicarious death, is often emphasized in recent research e.g. in Schröter’s interpretation of the Gospel of John.

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one also allows for different types of application. The recent emphasis on the metaphorical nature of the various soteriological expressions290 is particularly helpful in this connection. These new insights relieve the discussion from its earlier dogmatic and monolithic interpretive compulsiveness. Scholars are now free to accept a considerable variety in imagery and vocabulary in the early process of giving sense to Jesus’ death. Both the pre-Pauline community and Paul, each against their own cultural backgrounds, had to account for the death of a prophet or a righteous man or a Messiah. That his death should be interpreted as meaningful was a minimum requirement, but one with a multitude of different perspectives. The best thing, of course, was to qualify it as an, in the broadest sense of the word, ‘effective’ death. The OT and other Jewish scriptures offered vague clues for the construction of such a reading and they may all have been tried out in the earliest community of Jewish Christians. Not only did interpretations vary among the different believers involved, but also in the imagination of each believer there may have been a hoard of shifting ideas, as well as an evolution in their choice of theories. In addition, there was a growing demand for particular interpretations in accordance with different social contexts of preaching or reflection. All this to my mind is in evidence in Paul’s writings. Returning, for the last time, to the issue of Jewish and/or pagan contributions, let us consider the expression Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r tw'n aJmartiw'n hJmw'n (1 Cor 15,3). It is unique in that Paul says that it is in accordance with the scriptures (kata; ta;~ grafav~)291 and that he “received” (parevlabon) it (from tradition). In this light, we might consider the possibility that in the early community the expression was understood as “due to” or “as a result of” (= diav) our sins.292 It might thus be an elaboration of the idea expressed by the martyr in 2 Macc 7,32: “We are suffering for our own sins” (hJmei'~ ga;r dia; ta;~ eJautw'n aJmartiva~ pavscomen), which included the sins of the Jewish people, with the Christian turn that Jesus died not also because of his own but solely as a result of our sins. Perhaps, then, it was not an “Ausbau” (Wengst) of an earlier brief formula Cristo;~ 290

E.g. J. FREY/J. ROHLS/R. ZIMMERMANN (eds.), Metaphorik und Christologie, Berlin/New York 2003, with, especially important for our issue: J. SCHRÖTER, Metaphorische Christologie. Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zugangs zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus, ibid., 53–73, who speaks of “umwertenden Metaphern” which Paul adopts from the OT tradition but revalues with adapted meanings. 291 Traditionally understood as relating to Isa 53,3, esp. in its LXX version: ta;~ aJmartiva~ hJmw'n fevrei (...) memalavkistai dia; ta; aJmartiva~ hJmw'n (...) kai; kuvrio~ parevdwken aujto;n tai'~ aJmartivai~ hJmw'n. 292 As for instance argued by O. HOFIUS, Das vierte Gottesknechtslied in den Briefen des Neuen Testaments, NTS 39 (1993), 414–437, esp. 427f.

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ajpevqanen uJpe;r hJmw'n, but may have preceded the brief formula and only gradually have acquired the ‘effective’ meaning “Christ died in order to carry away [the results of] our sins” (which, anyway, represents a singular and unnatural meaning of the preposition uJpevr). However this may be, the expression cannot have been a particularly opportune instrument in the preaching to Gentiles, such as the Areopagites, for whom Paul talked “about God’s final judgement and Christ’s resurrection”, or the Gentiles among “all that came unto him” to which Paul spoke in Rome for two years “preaching the kingdom of God and teaching those things which concern the Lord Jesus Christ”. The most obvious but least desired reaction of both pagan intellectuals such as Stoics and Epicureans and the average Gentile to the message that “Christ died for our sins” might amount to: “for our WHAT?” If, thus, we cannot expect Paul readily to have used this formula for a Gentile audience, we may expect him to have said (as indeed he did in a majority of cases) “Christ died for us, or instead of us, or to save us”. This was a very common notion and indeed a topos in the contemporaneous Graeco-Roman world and one which Paul himself must have borrowed from that world. After all, Hengel was right when he pointed out that “this particular interpretation emerges so strongly in the ‘missionary literature’ of the NT which is addressed to Gentile Christians, for example the Pauline corpus, Hebrews and I Peter, whereas in the Palestinian tradition about Jesus to be found in the synoptic gospels it appears only in a very few places.”293

For those, however, who find all this unpalatable, there is a final escape. As quoted above (p. 220), Hengel granted the Gentile reader of the NT the foreknowledge of the principle of vicarious (atoning) death from his own myths and cultural environment and thus the capacity to recognize and acknowledge the idea of Jesus’ atoning vicarious death for many: “he could also understand it in his own way.” This was and remains to date a privileged compromise in precarious or undecided controversies. The question of the origin of the expression in Mk 10,45: “give his life as a ransom for many” (dou`nai th;n yuch;n aujtou` luvtron ajnti; pollw`n ) is a case in point.294 Long ago A. Deissmann295 demonstrated that here the customary 293 294

HENGEL, Atonement (n. 2), 3. The eucharist words are in this form at least post-Easter, may very well be dependent on Mk 14,22–25, and cannot with certainty be attributed to any period prior to the creation of the Markan gospel. The expression is ascribed to Jesus himself by M. W ILCOX, On the Ransom-Saying in Mark. 10.45c, Matt. 20.28c, in: H. Cancik a.o. (eds.), Geschichte – Tradition – Reflexion (FS M. Hengel), vol. III, Tübingen 1996, 173–186. On a possible pre-Markan history of either of the two elements see: W. KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe: Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Römer 3,25–26a, Neukirchen-Vluyn 1991, 194–197, and earlier literature there. Authenticity indemonstrable: E. LOHSE, Märtyrer (n. 6), 117. Against authenticity: BREYTEN-

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terminology of the sacral manumission of slaves in the pagan Greek world had been exalted into a metaphor. Luvtron, lutrovw are terms which occur abundantly also in different contexts in the pagan world. On the other hand, redeeming or ransoming a person out of slavery or captivity is an Old Testament conception and its translation in the Septuaginta is luvtron, lutrovw. Hence, J. Jeremias argued for an OT origin and was followed by many later scholars.296 Recently NT scholars297 are discovering the socalled Maeonian confession texts298 as an important source of religious information. In these pagan Greek inscriptions from Lydia and Phrygia, which all, with the exception of three first century ones, date from the second and third centuries AD, forms of luvtron, lutrovw occur in the sense of “to redeem a person from his debt or guilt and hence from divine wrath by giving a ransom”. The similarities with NT language are now in the centre of interest. E.J. Schnabel proposes to explain the characteristic element of public confession of sins and the redemption through offerings (luvtra) as a reaction and counter-move prompted by the increasing success of the Christian missionaries with their message of remission of sins.299 A. Yarbro Collins focuses on the element of recognition and re-interpretation of Mk 10,45 by the Maeonian cult groups round these confession inscriptions and concludes: “At least from the point of view of their reception among Gentiles familiar with Hellenistic cults, both sayings (namely Mk. 10.45 and 14.24) interpret the death of Jesus by describing it in a metaphorical way as a ritual expiation of the offenses of many.”300

Explaining the ransom formula in Mk 10,45 as originating in a Hellenistic Greek ritual of ransoming slaves or as the product of a purely Israelite tradition, or shifting the attention from the question of origin to that of the pagan reception and interpretation of a NT expression, these are the three BACH, Versöhnung (n. 17), 208; H. K OESTER, Ancient Christian Gospels. Their History and Development, London 1989, 292. Cf. infra A. YARBRO COLLINS (n. 297), 372. 295 A. D EISSMANN, Licht vom Osten, Tübingen 41923, 270–287. 296 See now Janowski in this volume, with literature in n. 59 (p. 109). 297 An early note: G.H.R. H ORSLEY, New Documents Illustrating Early Christianity, vol. 3, Macquarie 1978, 72–75. More recently: H.-J. KLAUCK, Die kleinasiatischen Beichtinschriften und das Neue Testament, in: H. Cancik a.o. (eds.), Geschichte (n. 294), 63–87, an analysis of the fixed elements of the inscriptions and comparison with NT expressions; A. YARBRO COLLINS, The Signification of Mark 10:45 among Gentile Christians, HTR 90 (1997), 371–382; E.J. SCHNABEL, Divine Tyranny and Public Humiliation: A Suggestion for the Interpretation of the Lydian and Phrygian Confession Inscriptions, NT 45 (2003), 160–188. 298 As collected with commentary by G. P ETZL (ed.), Die Beichtinschriften Westkleinasiens, EpigrAnat 44, Bonn 1994. 299 SCHNABEL, Divine Tyranny (n. 297). 300 Y ARBRO COLLINS, Signification (n. 297), 382.

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main options. As they are also in the notorious debate on the ‘Son of God’ (uiJo;~ qeou`), where the controversy between the supporters of a Greek heritage as e.g. represented by the “religionsgeschichtliche” school, especially W. Bousset,301 and champions of an internal Jewish tradition, as for instance M. Hengel,302 is now more or less evolving or dissolving into a more sophisticated discussion303 on how Gentiles would understand the notion of ‘son of God’, especially against the background of Emperor cult. Of course, the problem is more complicated here, since it is a Roman centurion who is recorded as using the expression in Mark 15,39. The question and its different approaches seem to be endemic in NT studies, not surprisingly considering its multi-cultural Sitz im Leben. And so it is with respect to vicarious soteriological death. Here, too, there is, of course, nothing against exploring the reception of this notion among the Gentiles. But that does not mean that therewith the question of origin has lost legitimacy. I have argued that this question cannot be solved without assuming decisive contemporary pagan influence, not least because OT and other Jewish models (especially in 2 Maccabees) are not in evidence. In the debate concerning the influence of 2 Maccabees on the interpretation of Jesus’ death I expressed my conviction that over a glass of good wine (some of) my critics and I would, sooner or later, reach a large degree of agreement. That this indeed happened in the present volume, at least between two of the contributors, is cause for happiness. By way of celebration I will end this paper with a variation on the simile with which I opened this conclusion. I borrow it from the final passage of 2 Maccabees (15,37–39) where the author writes: 301 W. B OUSSET, Kyrios Christos: Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, Göttingen 41935, 54ff. 302 M. H ENGEL, Der Sohn Gottes: Die Entstehung der Christologie und die jüdischhellenistische Religionsgeschichte, Tübingen 1975, translated as: The Son of God, London 1976, reprinted in: The Cross of the Son of God, London 1986, calls it “ein innerer Duktus des christologischen Denkens”. See A. YARBRO COLLINS (next note) who detects the same inconsistency in Hengel’s ideas as I noted concerning the origins of vicarious death (above n. 28). These idiosyncrasies call to mind the words of MILLAR, Background (n. 273), 1 (expressed with all due respect): “It is the essential characteristic of Hengel’s approach that, in spite of the immense historical learning and real-historical understanding employed in it, his thesis is that of a Christian theologian,” even if our arguments for this assessment differ. 303 T.H. K IM , The Anarthrous uiJo;~ qeou` in Mark 15,39 and the Roman Imperial Cult, Biblica 79 (1998), 220–241; A. Y ARBRO COLLINS, Mark and His Readers: The Son of God among Jews, HTR 92 (1999), 393–408; E ADEM, Mark and His Readers: The Son of God among Greeks and Romans, HTR 93 (2000), 85–100; E.S. JOHNSON Jr., Mark 15,39 and the So-Called Confession of the Roman Centurion, Biblica 81 (2000), 406–413; R.L. MOWERY, Son of God in Roman Imperial Titles and Matthew, Biblica 83 (2002), 100– 110.

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“At this point I will bring my work to an end. If it is found well written and aptly composed, that is what I myself hoped for; if cheap and mediocre, I could only do my best. For, just as it is disagreeable to drink wine alone or water alone, whereas mixing of the two gives a pleasant and delightful taste, so too variety of style in a literary work charms the ear of the reader. Let this then be my final word.”

Here, then, is my final word (and it is about time too):304 If there were elements in the Jewish tradition that have contributed to the construction of notions of effective death in NT writings, and I do not doubt there were, I would compare them with the wine from Jewish soil that needs to be mixed with water305 from a Graeco-Roman source in order to make it drinkable. It is the mixture that makes it delightful, even if this is not exactly what every modern reader may understand by a ‘glass of good wine’.

304 This is also a variation on my final words in VERSNEL, Quid Athenis (n. 33), 193 (in the translation of M. HENGEL, Hellenization [n. 273], 51, who quoted it with approval): “Could the question ‘Greek’ or ‘Jewish’ possibly be answered here less simplistically but more satisfyingly with ‘Hellenistic’?” 305 Lots of it, too, for, as I may remind the reader, the proportion of wine to water in Graeco-Roman antiquity was one to three or four.

III. Deutungen im Neuen Testament und im frühen Christentum

Der Heilstod Jesu als theologisches Argument Michael Wolter

Mein Beitrag zum Thema besteht aus zwei Teilen: Zunächst möchte ich eine knappe Bestandsaufnahme der bisherigen Diskussion liefern, und im zweiten Teil sollen die neutestamentlichen Texte aus einer Perspektive in den Blick genommen werden, die in der Debatte um die Deutung des Todes Jesu im frühen Christentum bisher keine große Rolle gespielt hat: in welcher Weise die Autoren der neutestamentlichen Schriften den Tod Jesu in theologische Begründungszusammenhänge integriert haben. Es soll dabei ausschließlich um solche Deutungen gehen, die den Tod Jesu als Heilstod verstehen. Andere Deutungen, wie z.B. das Verständnis des Todes Jesu im Horizont der deuteronomistischen Prophetenmordtradition in Q1, bleiben dabei unberücksichtigt.

I. 1. Die bisherige Diskussion zum Thema war und ist im Wesentlichen traditionsgeschichtlich ausgerichtet: Gefragt wurde vor allem nach den aus nichtchristlichen Texten bekannten „Voraussetzungen“2, den Modellen, den Vorstellungen und den Kategorien, die den frühen Christen aufgrund ihrer kulturellen Kompetenz zur Verfügung standen und mit deren Hilfe sie den Tod Jesu als Heilstod deuten konnten. Die diesbezügliche Spurensuche hat bekanntlich zu ausgesprochen divergenten Ergebnissen geführt.3 1 2

Vgl. dazu zuletzt D. SEELEY, Jesus’ Death in Q, NTS 38 (1992), 222–234. In diesem Sinne z.B. auch der Beitrag von B. JANOWSKI in diesem Band (s.o. S. 97– 118). 3 Aus der Fülle der Literatur seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt: G. B ARTH, Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 1992; J. B ECKER, Die neutestamentliche Rede vom Sühnetod Jesu, in: Die Heilsbedeutung des Kreuzes für Glaube und Hoffnung des Christen, ZThK.B 8, Tübingen 1990, 29– 49; R. B IERINGER, Traditionsgeschichtlicher Ursprung und theologische Bedeutung der UPER-Aussagen im Neuen Testament, in: F. Van Segbroeck/C.M. Tuckett/G. Van Belle/J. Verheyden, The Four Gospels 1992 (FS F. Neirynck) I, BEThL 100, Leuven 1992, 219–248; J.N. B REMMER, The Atonement in the Interaction of Jews, Greeks, and Christians, in: Ders./F.G. Martinez (Hgg.), Sacred History and Sacred Texts in Early Judaism,

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Als maßgebliche Anknüpfungspunkte der soteriologischen Deutung des Todes Jesu werden vor allem diskutiert: – die priesterschriftlichen Aussagen über den Opferkult in Lev 4–5 und über den Jom Kippur in Lev 16 oder in den entsprechenden Texten des Ezechiel-Buches, – opferkultische Kategorien, die in nichtjüdischen antiken Texten belegt sind, – das Geschick des leidenden Gottesknechts nach Jes 53, – die Tradition vom gewaltsamen Tod der makkabäischen Märtyrer, dem im 4. Makkabäerbuch heilstiftende Bedeutung zugeschrieben wird4, und – die Vorstellungen vom „noble death“5 bzw. vom ‚Sterben für‘ die Stadt, die Familie oder die Freunde, wie sie vor allem in der nichtjüdischen Umwelt des frühen Christentums belegt ist.6 Charakteristisch für die Diskussion ist dabei, daß die Fragestellung der meisten Beiträge von dem Bemühen geleitet ist, traditionsgeschichtliche Trennschärfe zwischen diesen Modellen herzustellen und sie voneinander Kampen 1992, 75–93; C. BREYTENBACH, Versöhnung, Stellvertretung und Sühne, NTS 39 (1993), 59–79; DERS., Gnädigstimmen und opferkultische Sühne im Urchristentum und seiner Umwelt, in: U. Mell/U.B. Müller (Hgg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte (FS J. Becker), BZNW 100, Berlin/New York 1999, 419–442; M. GAUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus, fzb 82, Würzburg 1999; M. HENGEL, The Atonement, London 1981; O. HOFIUS, Erwägungen zur Gestalt und Herkunft des paulinischen Versöhnungsgedankens, in: Ders., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 1–14; M. DE JONGE, Jesus’ Death for Others and the Death of the Makkabean Martyrs, in: Ders., Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs, Leiden 1991, 125–134; T. KNÖPPLER, Sühne im Neuen Testament. Studien zum urchristlichen Verständnis der Heilsbedeutung des Todes Jesu, WMANT 88, Neukirchen-Vluyn 2001; W. KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991; E. LOHSE, Märtyrer und Gottesknecht, FRLANT 64, Göttingen 2 1963; H. MERKLEIN, Der Tod Jesu als stellvertretender Sühnetod, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 181–191; D. SEELEY, The Noble Death. Graeco-Roman Martyrology and Paul’s Concept of Salvation, JSNT.S 28, Sheffield 1990; H.S. VERSNEL, Quid Athenis et Hierosolymis? Anmerkungen über die Herkunft von Aspekten des „Effective Death“, in: J.W. van Henten (Hg.), Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, StPB 38, Leiden 1989, 162–196; S.K. W ILLIAMS, Jesus’ Death As Saving Event. The Background and Origin of a Concept, HDR 2, Missoula 1975. 4 Dies gilt noch nicht für die Deutung ihres Geschicks im 2. Makkabäerbuch, denn hier sterben die sieben Brüder noch nicht „für“ andere; vielmehr ist ihr Tod der Endpunkt des Zorneswirkens Gottes über Israel; vgl. in diesem Sinne 7,18 („di’ eJautou;~ tau`ta pavscomen aJmartavnonte~ eij~ to;n eJautw`n qeovn“; s. auch V.32) und 7,38 („ejn ejmoi; kai; toi`~ ajdelfoi`~ mou möge der Zorn des Allherrschers zum Stillstand kommen, der mit Recht über unser ganzes Volk geworfen ist“). 5 Vgl. D. SEELEY, Noble Death (s. Anm. 3). 6 Vgl. hierzu vor allem jetzt erneut C. BREYTENBACH, „Christus starb für uns“. Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogenannten „Sterbeformeln“, NTS 49 (2003), 447–475.

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abzugrenzen. Dieses Interesse hat seinen Grund wiederum darin, daß die traditionsgeschichtliche Rückfrage in aller Regel als Frage nach dem „Ursprung“, der „Herkunft“ oder nach der „Quelle“ der soteriologischen Deutung des Todes Jesu im frühen Christentum gestellt wird7. Für diese Perspektive exemplarisch ist die Formulierung der Leitfrage, die Martin Hengel seiner Untersuchung voranstellt: „Unsere wichtigste Frage wird im folgenden sein: Wie kam es dazu, daß jene grausame unheilvolle Hinrichtung von den Jüngern Jesu als unüberbietbar heilvolles Ereignis verkündigt werden konnte?“8 Diese Ausrichtung der Fragestellung hat weitreichende Folgen, denn sie fragt nicht nur chronologisch, sondern vor allen Dingen auch methodisch hinter die neutestamentlichen Texte zurück und versucht so etwas wie einen soteriologischen ‚Urknall‘ zu ermitteln („Wie kam es dazu ...?“). Da es sich dabei aber immer nur um einen singulären und punktuellen Vorgang handeln kann, verlangt eine solche Fragestellung – und damit schließt sich der Kreis – auch die Annahme eines bestimmten, d.h. von anderen abgrenzbaren, d.h. individuellen traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunktes. Im Unterschied zu diesem Ansatz will ich im folgenden ausschließlich die Ausdrucksebene der Texte in den Blick nehmen und nicht hinter sie zurückfragen. Darüber hinaus halte ich es auch für überaus fraglich, daß es sich bei der von M. Hengel formulierten Frage um die „wichtigste Frage“ handelt, die sich in bezug auf die soteriologische Deutung des Todes Jesu im frühen Christentum stellt. Für sehr viel wichtiger halte ich vielmehr die Frage, welcher theologische Gebrauch von dieser Deutung im Neuen Testament gemacht wird. Die Bedeutung dieser Frage muß vor allen Dingen auch aus hermeneutischen Gründen im Vordergrund stehen, denn in ihr ist dieselbe Frage präfiguriert, vor die mit ständig zunehmender Dringlichkeit wissenschaftliche Theologie und kirchliche Verkündigung gestellt sind. Die Frage nach der traditionsgeschichtlichen Herkunft der soteriologischen Deutung des Todes Jesu ist demgegenüber von nachgeordneter Relevanz. 9 2. Wenn wir uns die Texte zunächst im Überblick anschauen, können wir ziemlich schnell erkennen, daß das Spektrum der Modelle und Kategorien,

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Vgl. hierzu z.B. die Titel der in Anm. 3 genannten Arbeiten von BIERINGER, HOFIUS und W ILLIAMS; s. auch M. HENGEL, Der stellvertretende Sühnetod Jesu. Ein Beitrag zur Entstehung des urchristlichen Kerygmas, IKaZ 9 (1980), 1–25.135–147, 9. 8 H ENGEL, Sühnetod (s. Anm. 7), 1. 9 Vgl. dazu M. W OLTER , „Dumm und skandalös“. Die paulinische Kreuzestheologie und das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, in: R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 44–63, 60ff.

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auf die zurückgegriffen wird, um den Tod Jesu als Heilstod zu deuten, ausgesprochen breit und vielfältig ist. a) Einsetzen möchte ich bei den Texten, die ihre Deutung des Todes Jesu einem bestimmten Modell explizit und eindeutig zuordnen: Als erstes Beispiel genannt sei Origenes, C. Cels. 1,31: „... daß Jesus „als Gekreuzigter aus freien Stücken diesen Tod für das Geschlecht der Menschen auf sich genommen hat (o{ti oJ cqe;~ kai; prwvhn staurwqei;~ eJkw;n tou`ton to;n qavnaton uJpe;r tou` tw`n ajnqrwvpwn gevnou~ ajnedevxato), (ist) ein ajnavlogon für die, die für ihre Heimatländer gestorben sind, um schwere Seuchen auszulöschen oder Mißernten oder Meeresstürme (toi`~ ajpoqanou`sin uJpe;r tw`n patrivdwn ejpi; tw/` sbevsai loimika; krathvsanta katasthvmata h] ajforiva~ h] dusploi?a~). Offensichtlich liegt in der Natur der Dinge aufgrund bestimmter mysteriöser, für die Masse unbegreiflicher Gründe eine Art Naturgesetz (fuvsin toiauvthn), daß ein Gerechter, der freiwillig für die Gemeinschaft stirbt (wJ~ e{na divkaion uJpe;r tou` koinou` ajpoqanovnta eJkousivw~), böse Dämonen abwehrt (ajpotropiasmou;~ ejmpoiei`n fauvlwn daimonivwn), die Seuchen, Mißernten, Meeresstürme oder mehr Dinge dieser Art verursachen. Diejenigen, die nicht glauben wollen, daß Jesus in der Weise des Kreuzes für die Menschen gestorben ist (ÆIhsou`n uJpe;r ajnqrwvpwn ajpoteqnhkevnai trovpw/ staurou`), sollen sagen, ob sie auch die vielen, unter Griechen und Barbaren kursierenden Erzählungen nicht akzeptieren.“

Dieser Text ist bemerkenswert, weil Origenes den Tod Jesu ausdrücklich als ajnavlogon zur rettenden Lebenshingabe einzelner mit dem Ziel und der Folge bezeichnet, daß Unheil von menschlichen Gemeinschaften abgewendet oder beseitigt wird. Er verweist dafür auch ausdrücklich auf „die vielen, unter Griechen und Barbaren kursierenden Erzählungen“. Daß diese Vorstellung auch in anderen frühchristlichen Texten präsent ist, läßt auch 1 Clem 55,1 erkennen, wo es ohne Bezug auf den Tod Jesu, sondern in paränetischer Absicht heißt: „Doch um sogar Beispiele von Heiden zu bringen: Viele Könige und Fürsten haben sich in einer Zeit des Unheils auf Befehl eines Orakels dem Tod übergeben, damit sie durch ihr Blut die Bürger retten (parevdwkan eJautou;~ eij~ qavnaton, i{na rJuvswntai dia; tou` eJautw`n ai{mato~ tou;~ polivta~).“

Daneben haben wir Deutungen, die expressis verbis auf Jes 53 zurückgreifen, wie Lk 22,37; Act 8,32f. und 1 Petr 2,22–24. Hierbei akzentuiert jedoch nur der letztgenannte Text den Tod Jesu expressis verbis als Heilstod. Ebenfalls über jeden Zweifel erhaben ist der Rückgriff auf opferkultische Kategorien natürlich im Hebräerbrief, aber auch in Eph 5,210 und in 1 Petr 1,18f.11, denn hier taucht die entsprechende Terminologie auf.

10 Jesu Tod wird hier gedeutet als Selbsthingabe Jesu „für uns als prosfora; kai; qusiva tw/` qew/` eij~ ojsmh;n eujwdiva~“. 11 Hier wird die heilvolle Wirkung des Todes Jesu auf das tivmion ai|ma wJ~ ajmnou` ajmwvmou kai; ajspivlou Cristou` (V.19) zurückgeführt.

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b) Das Problem bei den meisten anderen Texten ist nun, daß sie sich aufgrund ihrer Kürze im Wege einer traditionsgeschichtlichen Fragestellung nur schwer bzw. nicht widerspruchsfrei einem bestimmten Modell zuweisen lassen. Letzteres läßt ein Blick in die Literatur mühelos erkennen, denn es gibt keinen Text, dessen traditionsgeschichtliche Herleitung nicht kontrovers diskutiert würde. Man könnte sich diesem Dilemma natürlich dadurch entziehen, daß man einfach ein bestimmtes Modell oder eine bestimmte Kategorie als leitend dekretiert. Damit würde man jedoch der unübersehbaren Offenheit und Unbestimmtheit der meisten Texte nicht gerecht werden. Es ist darum auch angeraten, mit Generalisierungen überaus zurückhaltend umzugehen, die Texten eine Eindeutigkeit unterstellen, die ihnen auf der Ausdrucksebene fehlt. Das gilt vor allem für die beiden sehr verbreiteten Behauptungen, daß – überall dort, wo vom Sterben Jesu „für uns“ etc. die Rede ist, die Vorstellung vom Sterben Jesu „für unsere Sünden“ etc. mitgedacht sei12 und daß – überall dort, wo von „Blut“ die Rede ist, der Opferkult im Hintergrund stehe.13 Daß diese Annahme unhaltbar ist, zeigt schon der gerade zitierte Text 1 Clem 55,1. Im Blick auf den neutestamentlichen Gesamtbefund empfiehlt es sich darum, das Bemühen um individuelle traditionsgeschichtliche Zuordnungen und die damit verbundenen Abgrenzungen erst einmal zurückzustellen und mit einer Vielfalt von Deutungskategorien zu rechnen, ohne daß eine von ihnen im frühen Christentum oder auch nur bei einem einzelnen Autor – den Hebräerbrief vielleicht ausgenommen – so etwas wie eine Leitfunktion übernommen hätte.14 Wir haben dementsprechend davon auszugehen, daß es eine Vielzahl von Kategorien und Vorstellungen war, die die Deutung des Todes Jesu als Heilstod möglich und plausibel machte und ihr auf der Ausdrucksebene der Texte diejenige Sprachgestalt verlieh, die wir in den neutestamentlichen Texten vorfinden. Diese Kategorien und Vorstellungen gehörten zum überindividuellen kulturellen Wissen der Menschen jener Zeit. Sie waren Bestandteil ihrer sprachlichen Kompetenz und machten es möglich, nicht nur das Leben, sondern auch den Tod Jesu als Bestandteil der Epiphanie des universalen Heilswillens Gottes zu deuten. Andersherum formuliert: Wenn die Christlichkeit des christlichen Glau12

So z.B. HENGEL, Sühnetod (s. Anm. 7), 11: „Die Kurzform wird ... durch die Langform erst voll verständlich: uJpe;r hJmw`n bedeutet: zur Vergebung unserer Sünden“; P. STUHLMACHER, Biblische Theologie des Neuen Testaments I, Göttingen 1992, 191; vgl. dazu gleich im folgenden. 13 So z.B. O. H OFIUS, Art. Sühne IV: Neues Testament, TRE 32 (2001), 342–347, 342,48f. 14 S. auch B ECKER , Rede (s. Anm. 3), 42f.

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bens (Paulus würde sagen: die pivsti~ Cristou`) darin besteht, daß er in Jesus von Nazareth die den Menschen zugewandte Seite Gottes erkennt oder als authentische Offenbarung von Gottes universalem Heilswillen, und zwar in der Gesamtheit seines Auftretens und Geschicks, gehört dazu auch eine entsprechende Deutung des Todes Jesu. Das war für die Menschen der neutestamentlichen Zeit nicht weiter problematisch, denn sie konnten auf eine Vielzahl von Modellen zurückgreifen, die es möglich machten, sich die Heilswirkung eines Todes vorzustellen und sprachlich zu realisieren. Die verschiedenen Ausformulierungen der Deutung des Todes Jesu als Heilstod sind insofern ein integraler Bestandteil der Inkulturationsgeschichte des frühen Christentums. c) Wenn wir nun aber die Texte im Einzelnen in den Blick nehmen, zeigt sich, daß die unterschiedlichen Deutungskategorien nicht nur nebeneinanderstehen, sondern auch miteinander verschmolzen werden können, und zwar bereits außerhalb des Neuen Testaments. Für die Mehrzahl der neutestamentlichen Texte empfiehlt es sich von daher ebenfalls, traditionsgeschichtlich eher mit einem diffusen Konglomerat, d.h. mit einem Neben- und Ineinander ganz unterschiedlicher Vorstellungen zu rechnen. Der traditionsgeschichtliche Nachweis einer bestimmten Vorstellung in einem bestimmten Text verlangt insofern durchaus nicht zwingend, daß der Rückgriff auf andere Kategorien auszuschließen ist. Wenn wir unter dieser Voraussetzung versuchen, auch in den neutestamentlichen Texten punktuelle traditionsgeschichtliche Verknüpfungen vorzunehmen, in denen sie anders als in den oben genannten Texten nicht explizit hergestellt werden, lassen sich mit aller Vorsicht die folgenden Spuren identifizieren: – Überall dort, wo in Verbindung mit dem Heilstod Jesu von „Liebe“ die Rede ist (Joh 15,12f.; Röm 5,8; 2 Kor 5,14; Gal 2,20; Eph 5,2.25; 1 Joh 3,14–16), dürfte die hellenistische Freundschaftsethik im Hintergrund stehen, denn in diesem Kontext wird das Sterben für andere immer wieder als Tat der Liebe gedeutet. Exemplarisch nennen möchte ich zwei Texte: Platon, Symp 179b „... füreinander sterben können nur Liebende, und nicht nur Männer, sondern sogar Frauen (kai; mh;n uJperapoqnh/vskein ge movnoi ejqevlousin oiJ ejrw`nte~, ouj movnon o{ti a[ndre~, ajlla; kai; aiJ gunai`ke~). Davon gibt uns schon Alkestis, ..., hinlänglich Beweis für diese Wahrheit vor allen Griechen, da sie allein für ihren Gatten sterben wollte (ejqelhvsasa movnh uJpe;r tou` auJth`~ ajndro;~ ajpoqanei`n), der doch noch Vater und Mutter hatte, die sie aber an Freundschaft so weit übertraf aufgrund der Liebe (uJperebavleto th/` filiva/ dia; to;n e[rwta), daß mit ihr verglichen sie ihrem Sohn fremd zu sein schienen.“ Vita Philonidis 22 „Für den am meisten Geliebten der Angehörigen oder der Freunde ist man am ehesten bereit den Hals hinzulegen (uJpe;r tou` mavlist j ajgapwmevnou tw`n ajnagkaivwn h] tw`n fivlwn parabavloi a]n eJtoivmw~ to;n travchlon).“

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– Die präpositionalen Formulierungen „uJpevr oder periv oder diav der Sünden von anderen sterben“ o.ä. (Röm 4,25; 8,3; 1 Kor 15,3; Gal 1,4; 1 Petr 3,18; 1 Joh 2,2; 4,10) habe ich nur in alttestamentlichen und in außerkanonischen jüdischen Texten gefunden. Eine Recherche mit dem TLG ergab, daß solche Formulierungen in keinem einzigen nichtjüdischen Text belegt sind. Wenn man diesen Sachverhalt als traditionsgeschichtlich signifikant akzeptiert, kann man sagen, daß überall dort, wo sich diese Redeweise findet, ein spezifisch jüdisches Orientierungswissen im Hintergrund steht. – Überall, wo Jesus als „tadel- und makelloses Lamm“ (1 Petr 1,19) bezeichnet wird, oder wo vom „Blut des Lammes“ (Apk 7,14; 12,11) die Rede ist, dürften jüdisch vermittelte opferkultische Vorstellungen im Hintergrund stehen. 3. In der vorstehenden Bestandsaufnahme fehlen zwei Kategorien, die innerhalb der Diskussion über die Heilsbedeutung des Todes Jesu nicht nur eine zentrale Rolle spielen, sondern vielfach auch als Leitbegriffe fungieren: die Begriffe „Stellvertretung“ und „Sühne“.15 Demgegenüber habe ich auf diese beiden Kategorien mit Bedacht verzichtet, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Weder „Sühne“ noch „Stellvertretung“ sind biblische Begriffe, und es gibt in der gesamten antiken Literatur auch kein quellensprachliches Äquivalent für sie. Es ist vielmehr so – und das ist auch allgemein bekannt –, daß der Begriff „Sühne“ aus dem germanischen Rechtswesen stammt16 und der Begriff „Stellvertretung“ sogar erst seit dem 18. Jahrhundert in Gebrauch ist17. In beiden Fällen handelt es sich also um metasprachliche Abstraktionen, die wir immer nur als rein wissenschaftssprachliche Kategorien gebrauchen können. Mit ihrer Hilfe stellen wir typologische Zusammenhänge her und nehmen systematisierende Abgrenzungen vor, indem wir bestimmten Phänomenen bestimmte Eigenschaften zuschreiben bzw. diese aus jenen abstrahieren. – Obwohl wir natürlich ebensowenig wie alle anderen Wissenschaftsgebiete ohne die Verwendung von solchen Kategorien auskommen, transferieren 15 Vgl. exemplarisch die unlängst erschienenen Untersuchungen von KNÖPPLER , Sühne (s. Anm. 3), B. J ANOWSKI, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997 und G. RÖHSER, Stellvertretung im Neuen Testament, SBS 195, Stuttgart 2002. 16 Vgl. dazu K.F. FREUDENTHAL, Arnulfingisch-karolingische Rechtswörter, Tübingen 1949, 77ff.; I. REIFFENSTEIN, Das Althochdeutsche und die irische Mission im oberdeutschen Raum, Innsbruck 1958, 28ff.; B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 22000, 3 und die ebd. Anm. 9 genannte Literatur. 17 Vgl. dazu vor allem die Untersuchungen von K.-H. MENKE , Stellvertretung. Schlüsselbegriff christlichen Lebens und theologische Grundkategorie, Einsiedeln 1991; S. SCHAEDE, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie, Tübingen 2004.

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wir damit die quellensprachlichen Vorstellungen und Deutungen in ein ganz anderes Zeichensystem und damit auch in ein ihnen fremdes Wirklichkeitsverständnis. Damit soll nun keineswegs der Gebrauch der Begriffe „Stellvertretung“ und „Sühne“ tabuisiert werden. Wenn wir diese Begriffe gebrauchen, sollten wir uns jedoch darüber im klaren sein, daß wir sie nicht als quellenweltliche, sondern immer nur als wissenschaftliche Begriffe gebrauchen können, die wir von außen und mit einer selbstgemachten Semantik den Texten überstülpen. Wir dürfen sie darum auf keinen Fall unter der Hand zu quasi quellensprachlichen Kategorien machen und so tun, als wären sie bereits von den Autoren der antiken Texte als Deutungskategorien gebraucht worden. An dieser Stelle habe ich dann auch die kritischsten Anfragen an einen großen Teil der Literatur. Denn man kann gerade nicht sagen, daß Paulus für die Beschreibung der Heilsbedeutung des Todes Jesu die „Vorstellung der Sühne (verwendet)“18 oder daß bei Paulus hierfür als „das dominierende Grundmodell [...] der Gedanke der Stellvertretung“ in Anschlag zu bringen ist19. Formulierungen wie diese mißachten eine elementare Grundbedingung wissenschaftlichen Arbeitens, nämlich die saubere Trennung zwischen quellensprachlichen und wissenschaftssprachlichen Begriffen. Und wenn es denn so ist, daß man zum Denken Begriffe braucht, konnte Paulus „Sühne“ und „Stellvertretung“ nicht einmal denken.

II. Im zweiten Teil soll nun die Rede vom Heilstod Jesu im Neuen Testament aus einer Perspektive in den Blick genommen werden, die in der bisherigen Diskussion nur eine ganz geringe Rolle gespielt hat: Im Mittelpunkt steht nicht die diachronische Frage nach den Entdeckungszusammenhängen, d.h. nach den Voraussetzungen und der Herkunft der Deutung des Todes Jesu als Heilstod, sondern die synchronische Frage nach den Verwendungszusammenhängen, d.h. nach dem sachlichen und rhetorischen Ort, der dieser Deutung in den neutestamentlichen Texten zugewiesen wird. Meine Fragen sind also: Welchen Gebrauch machen die neutestamentlichen Autoren von der Deutung des Todes Jesu als Heilstod? Und: Läßt sich ein bestimmtes Profil dieses Gebrauchs identifizieren? Das Schwergewicht liegt dabei auf der letztgenannten Frage, denn sie richtet sich darauf, ob sich so etwas wie eine Typologie von Rezeptionszusammenhängen erstellen läßt (d.h. Sachzusammenhänge, Textsorten oder Gat18 19

H. HÜBNER, Paulusforschung seit 1945, ANRW II,25/4 (1987), 2649–2840, 2717. U. SCHNELLE, Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003, 502.

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tungen), in denen die Deutung des Todes Jesu als Heilstod zur Sprache gebracht wird. – Daß eine solche Fragestellung sinnvoll ist, läßt bereits eine einfache sprachliche Beobachtung erkennen: die große Zahl der Texte, in denen auf eine Aussage über den Tod Jesu ein Finalsatz folgt: Joh 11,52: i{na kai; ta; tevkna tou` qeou` ta; dieskorpismevna sunagavgh/ eij~ e{n. Röm 8,4: i{na to; dikaivwma tou` novmou plhrwqh/` ejn hJmi`n ... 2 Kor 5,15: i{na oiJ zw`nte~ mhkevti eJautoi`~ zw`sin ajlla; tw/` uJpe;r aujtw`n ajpoqanovnti kai; ejgerqevnti. 2 Kor 5,21: i{na hJmei`~ genwvmeqa dikaiosuvnh qeou` ejn aujtw/`. 2 Kor 8,9: i{na uJmei`~ th/` ejkeivnou ptwceiva/ plouthvshte. Gal 1,4: o{pw~ ejxevlhtai hJma`~ aus diesem gegenwärtigen bösen Äon ... Gal 3,14: i{na eij~ ta; e[qnh hJ eujlogiva tou` jAbraa;m gevnhtai ..., i{na th;n ejpaggelivan tou` pneuvmato~ lavbwmen dia; th`~ pivstew~. Gal 4,5: i{na tou;~ uJpo; novmon ejxagoravsh/, i{na th;n uiJoqesivan ajpolavbwmen. Eph 5,26: i{na aujth;n (die Ekklesia) aJgiavsh/. Kol 1,22: parasth`sai uJma`~ aJgivou~ kai; ajmwvmou~ kai; ajnegklhvtou~ katenwvpion aujtou`. 1 Thess 5,10: i{na ... a{ma su;n aujtw/` zhvswmen. Tit 2,14: i{na lutrwvshtai hJma`~ ajpo; pavsh~ ajnomiva~ kai; kaqarivsh/ eJautw/` lao;n periouvsion. 1 Petr 2,24: i{na tai`~ aJmartivai~ ajpogenovmenoi th/` dikaiosuvnh/ zhvswmen, 1 Petr 3,18: i{na uJma`~ prosagavgh/ tw/` qew/` ...

Diese Aussagen machen deutlich, daß die Deutung des Todes Jesu als Heilstod eingebunden ist in theologische Begründungszusammenhänge, innerhalb derer ihr ein bestimmter argumentativer Stellenwert zugeschrieben wird. Ich bin mir darüber im klaren, daß die Erstellung einer Typologie von Verwendungszusammenhängen in einem erheblichen Umfang von weitreichenden Vorentscheidungen abhängig ist, denn sie ist natürlich davon abhängig, welche sprachlichen Merkmale im einzelnen dominant gesetzt werden, um die Texte zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen. In dem Augenblick, in dem sich die Auswahl der Textmerkmale ändert, entsteht eine ganz andere Textlandschaft, in der dann natürlich auch die Heilstodaussagen neu zu vermessen wären. Das Folgende kann darum nicht mehr als ein erster Anstoß zur Diskussion sein. Als größte Überraschung, die die nachstehende Übersicht bereitet, darf sicherlich gelten, daß ein erheblicher Teil der Verwendungszusammenhänge von paränetischen Interessen bestimmt ist. Es lassen sich drei verschiedene paränetische Gebrauchsweisen der Rede vom Heilstod Jesu unterscheiden: 1. Als ein deutlich identifizierbarer paränetischer Verwendungstyp kann die Funktionalisierung des Heilstodes Jesu als Vorbild gelten.

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Diese Funktion wird in 1 Petr 2,21 explizit gemacht (Christi Leiden als uJpovgrammon, „damit ihr seinen Fußspuren [toi`~ i[cnesin aujtou`] folgt“). In Joh 15,12–13; 1 Joh 3,14–16; Eph 5,2.25 wird mit dem Heilstod Jesu die Forderung der Liebe begründet. Bemerkenswert ist, daß in Joh 15,12f. und in Eph 5,2.25 die Liebesforderung durch ein begründendes „wie“ (kaqwv~) mit dem Heilstod Jesu verknüpft wird, das auch an anderen Stellen immer wieder benutzt wird, um die ethische Forderung vom Christusgeschehen her zu begründen (vgl. z.B. Lk 6,36; Joh 13,15.34; 15,12; Röm 15,7; 1 Kor 5,7; Eph 4,32). – 1 Tim 2,1–6 beginnt mit der Forderung, „für alle Menschen“ (uJpe;r pavntwn ajnqrwvpwn) zu beten (V.1). Sie wird dann damit begründet, daß Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden“ (o}~ pavnta~ ajnqrwvpou~ qevlei swqh`nai; V.4) und sich dementsprechend „der Mensch Jesus Christus“ (V.5c) als ajntivlutron „für alle“ (uJpe;r pavntwn) dahingegeben hat (V.6). Wie weit die sprachliche Anverwandlung der christologischen Heilstodaussage an das paränetische Interesse gehen kann, zeigt 2 Kor 8,9: Paulus will die Gemeinde in Korinth zu einer üppigen Gabe (cavri~; vgl. V.1.4.6) zugunsten der Gemeinde in Jerusalem bewegen und verweist dafür auf die cavri~ Jesu Christi, „der sich – obwohl er reich war – um euretwillen arm gemacht hat, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (di’ uJma`~ ejptwvceusen plouvsio~ w[n, i{na uJmei`~ th/` ejkeivnou ptwceiva/ plouthvshte). Normalerweise wird diese Aussage als eine Deutung der Inkarnation verstanden, die dem in Phil 2,6–8 Gesagten entspricht20: Mit plouvsio~ w[n sieht man dabei den Zustand der Präexistenz bezeichnet, während ejptwvceusen als Äquivalent zu eJauto;n ejkevnwsen von Phil 2,7 interpretiert wird. Dem widerspricht jedoch nicht nur der Verweis auf die cavri~, die fest mit dem Tod Jesu verbunden ist (vgl. nur Röm 3,24; 5,15.21; Gal 2,20f.)21, sondern auch die Präpositionalphrase di’ uJma`~, für die dasselbe gilt (vgl. Röm 4,25 und vor allem 1 Kor 8,11: „der Bruder, di’ o{n Christus gestorben ist“ entspricht Röm 14,15: „ejkei`no~ ..., uJpe;r ou| Christus gestorben ist“). Paulus benutzt hier also die Kollektensprache als Metaphern, um den Heilstod Jesu als Argument für die Aufforderung zur Gabe der Kollekte einsetzen zu können.

Wenn wir uns nun diejenigen Texte, in denen der Heilstod Jesu als paränetisches Vorbild verwendet wird, im Zusammenhang anschauen, eröffnet sich auch eine neue Perspektive auf die traditionsgeschichtliche Fragestellung: Allen Texten ist nämlich gemeinsam, daß die Präposition, mit deren Hilfe der Tod Jesu als Tod „für“ oder „wegen“ gedeutet wird, in keinem einzigen Fall auf einen Begriff für Sünde bezogen wird, sondern immer

20 Vgl. zuletzt M.E. T HRALL, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians II, ICC, London/New York 2000, 533f. 21 S. auch J.D.G. D UNN, Christology in the Making. A New Testament Inquiry into the Origins of the Doctrine of the Incarnation, London 1980, 121.

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nur auf Personen.22 Wenn wir diesen Befund auf die oben formulierte traditionsgeschichtliche Beobachtung beziehen, derzufolge eine solche Redeweise für die Heilstodvorstellungen in der nichtjüdischen Umwelt des frühen Christentums charakteristisch ist, können wir nicht ohne Grund vermuten, daß wir hier den Hintergrund für den Gebrauch der Vorstellung vom Heilstod Jesu als ethisches Vorbild zu suchen haben. Für diese Annahme spricht ebenfalls, daß sich möglicherweise auch Mk 10,45 in diesen Zusammenhang einordnen läßt: Im Kontext geht es um die Ausübung von Herrschaft. „Wer unter euch groß sein will“, heißt es in V.43, „soll euer diavkono~ sein.“ Hierfür wird dann in V.45 der Menschensohn als Vorbild aufgeboten, dessen diakonei`n konkretisiert wird als dou`nai th;n yuch;n aujtou` luvtron ajnti; pollw`n. Die Hingabe des eigenen Lebens zugunsten der Gemeinschaft wird hier als eine „Herrschertugend“ qualifiziert und zur Nachahmung empfohlen. Dieselbe Argumentationsstruktur konnten wir auch in 1 Clem 55,1 nachweisen23: Auch hier ist der Kontext paränetisch, und auch hier ging es darum, daß das Wohl der Gemeinschaft immer über das eigene Wohlergehen gesetzt werden soll. Als nachzuahmendes Vorbild wird dann an erster Stelle die schon erwähnte Lebenshingabe von „vielen Königen und Herrschern“ zur Rettung der von ihnen regierten „Bürger“ angeführt. Diese Kontextualisierung der Lebenshingabe des Herrschers resp. Anführers findet ihre Entsprechung auch in einer ganzen Reihe anderer Texte aus der Umwelt des frühen Christentums. Exemplarisch genannt seien: Josephus, Ant 13,5f. (Nach dem Tod des Judas Makkabäus) gingen sie zu seinem Bruder Jonathan und baten ihn, es seinem Bruder gleich zu tun und dessen Fürsorge peri; tw`n oJmofuvlwn zu übernehmen, der uJpe;r th`~ ejkeivnwn ejleuqeriva~ gestorben war, und das Volk nicht führerlos zu lassen ... Jonathan aber sagte, daß er bereit sei, ajpoqnhvskein uJpe;r aujtw`n kai; ... strathgo;~ ajpodeivknutai tw`n jIoudaivwn. Josephus, Ant 13,199 Da ihr nicht ohne einen Führer seid, der das Maximale für euch zu leiden (pavscein uJpe;r uJmw`n ta; mevgista) ... bereit ist, folgt mir bereitwillig, wohin ich euch führen werde. Plutarch, Otho 15,4–6 Otho will sich das Leben nehmen, nachdem seine Ambitionen gescheitert sind, und begründet seinen Entschluß so: Diesen Tag sehe ich als einen glücklicheren Tag an als jenen, an dem ihr mich erstmals zum Kaiser machtet, da ich euch so gesinnt sehe und ihr mich so hoher Ehren für würdig haltet. Aber beraubt mich nicht des noch höheren Preises: ajpoqanei`n uJpe;r tosouvtwn kai; toiouvtwn politw`n. Wenn ich der Herrschaft über die Römer würdig gewesen bin, dei` me th`~ ejmh`~ yuch`~ uJpe;r th`~ patrivdo~ ajfeidei`n. ... Glaubt mir, daß ich mit größerem Ruhm sterben als herrschen kann. Denn ich sehe nicht, wie ich als Sieger von so großem Nutzen für die Römer sein könnte, 22 Mk 10,45: ajnti; pollw`n . – 2 Kor 8,9: di’ uJm a`~ . – Eph 5,2 und 1 Joh 3,16: uJpe;r hJmw`n. – Eph 5,5: uJpe;r aujth`~ th`~ ejkklhsiva~. – 1 Petr 2,21: uJpe;r uJmw`n. – 1 Tim 2,6: uJpe;r pavntwn. 23 S.o. S. 300.

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wie wenn ich mich für Frieden und Eintracht hingebe (ejpidou;~ ejmauto;n uJpe;r eijrhvnh~ kai; oJmonoiva~).

2. Ein weiterer paränetischer Verwendungstyp läßt sich in Röm 14,15 und 1 Kor 8,11–13 identifizieren; ein Seitenstück dazu finden wir auch in Act 20,28: In den beiden paulinischen Texten geht es jeweils um innergemeindliche Ethoskonflikte zwischen „Schwachen“ und „Starken“24, und Paulus fordert hier wie dort die Starken auf, sich in ihrem Handeln daran zu orientieren, daß ihr Gegenüber keinen Schaden an seiner christlichen Identität nimmt. Begründet wird diese Aufforderung jeweils damit, daß der Bruder seine Würde daraus bezieht, daß Christus „für ihn (uJpe;r ou|)“ (Röm 14,15) bzw. „um seinetwillen (di’ o{n)“ (1 Kor 8,11) gestorben ist. 1 Kor 8,11f. erinnert deutlich an Texte wie Prov 14,31 („Wer den Schwachen bedrückt, lästert den, der ihn geschaffen hat“) und 17,5 („Wer über den Armen spottet, entehrt seinen Schöpfer“).25 In allen Texten wird die Würde des Schwachen zum Maßstab der ethischen Forderung gemacht; anders als in den beiden alttestamentlichen Texten wird diese Würde in den beiden paulinischen Texten aber nicht schöpfungstheologisch begründet, sondern vom Heilstod Jesu her. Damit wird aber Jesu Heilstod zum Fundament einer christologisch begründeten Anthropologie: Innerhalb des christlichen Wirklichkeitsverständnisses, das Jesu Tod als integralen Bestandteil der Offenbarung von Gottes universalem Heilswillen deutet, wird jeder Mensch gewissermaßen zu einem „Für-den-Christus-gestorben-ist“. Innerhalb dieses Wirklichkeitsverständnisses wird ihm damit eine Identität zugeschrieben, die ihren konkret wahrnehmbaren Ausdruck in einem Handeln für ihn findet, und zwar durch diejenigen, die ihm diese Identität zuschreiben. 3. Ein ebenfalls deutlich zu identifizierender Typ ist die Verwendung innerhalb von Texten, die sich formgeschichtlich der Gattung der postconversionalen Mahnrede zuordnen lassen. Herausgreifen möchte ich Tit 2,11–14, wo der Verweis auf den Heilstod Jesu (V.14) in einen paränetischen Argumentationszusammenhang eingearbeitet ist, der das Bekehrungsgeschehen als einen Vorgang darstellt, der in der alltäglichen Lebensführung zur Anschauung gebracht wird (i{na ajrnhsavmenoi th;n ajsevbeian 24 Vgl. dazu M. W OLTER, Der Kompromiß bei Paulus, in: G. Bader/U. Eibach/H. Kreß (Hgg.), Im Labyrinth der Ethik (FS A. Honecker), Rheinbach 2004, 66–78. 25 Eine schöne Parallele gibt es darüber hinaus auch in der Lehre des Amen-em-ope: „Verlache nicht einen Blinden und verhöhne nicht einen Zwerg. Erschwere nicht das Geschick eines Lahmen. Verspotte nicht einen Mann, der in der Hand Gottes ist, und sei nicht aufgebracht gegen ihn, wenn er einen Fehler gemacht hat. Der Mensch ist Lehm und Stroh, und Gott ist sein Töpfer“ (Zl. 479–484, zit. nach der Übers. von H. BRUNNER, Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, Zürich/München 1988, 254).

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kai; ta;~ kosmika;~ ejpiqumiva~ swfrovnw~ kai; dikaivw~ kai; eujsebw`~ zhvswmen). Der Heilstod Jesu hat hier die Funktion, den Identitätswechsel in der Existenz der Adressaten zu markieren, der in einem entsprechenden Verhalten zu objektivieren ist. Der Verweis auf ihn steht hier an derselben Stelle, wo in anderen Texten der Bezug auf die Taufe steht.26 Deutlich wird dies auch darin, daß dieser Text der Zusammenfassung der paulinischen Missionspredigt in 1 Thess 1,9–10 strukturell in frappierender Weise ähnelt: Tit 2,11–14 (Die Gnade Gottes ist erschienen,) … paideuvousa hJma`~,

1 Thess 1,9–10

(a) ajrnhsavmenoi th;n ajsevbeian kai; ta;~ kosmika;~ ejpiqumiva~

(a) ejpestrevyate ... ajpo; tw`n eijdwvlwn

(b) swfrovnw~ kai; dikaivw~ kai; eujsebw`~ zhvswmen …

(b) douleuvein qew/` zw`nti kai; ajlhqinw/`

(c) prosdecovmenoi th;n makarivan ejlpivda kai; ejpifavneian th`~ dovxh~ tou` megavlou qeou` kai; swth`ro~ hJmw`n jIhsou` Cristou`,

(c) kai; ajnamevnein to;n uiJo;n aujtou` ejk tw`n oujranw`n, o{n h[geiren ejk [tw`n] nekrw`n,

(d) o}~ e[dwken eJauto;n uJpe;r hJmw`n, i{na lutrwvshtai hJma`~ ajpo; pavsh~ ajnomiva~ kai; kaqarivsh/ eJautw/` lao;n periouvsion

Tit 2,12–14 liest sich fast wie die ethische Fassung von 1 Thess 1,9–10. Der Überschuß gegenüber dem missionssprachlichen Text in Abschnitt (d) ist der Bezug auf den Heilstod Jesu als Element der christlichen Binnensprache. 4. Dieser Gebrauch ist aber lediglich die paränetische Instrumentalisierung einer breiteren Verwendung der Rede vom Heilstod Jesu innerhalb von Texten, die – so möchte ich es einmal versuchsweise formulieren – christliche Identität in Abgrenzung beschreiben. Diese Abgrenzung kann sowohl in diachronischer Perspektive vorgenommen werden (d.h. in Gestalt von Einst-Jetzt-Formulierungen oder von vergleichbaren Aussagen, die die Gegenwart der christlichen Existenz in Diskontinuität zu ihrer Vergangenheit beschreiben) als auch in synchronischer Perspektive (d.h. als Beschreibung der besonderen Identität der Adressaten in Abgrenzung von ihrer Umwelt). Die diachronische Perspektive wird entweder durch das explizite Gegenüber von „einst“ und „jetzt“ zum Ausdruck gebracht (Eph 2,11–19; Kol 1,21–23), durch oujkevti/mhkevti – ajllav (2 Kor 5,15; Gal 2,20) oder durch die Imagination der Abfolge von zwei unterschiedlichen Zuständen: 26

Vgl. z.B. 1 Kor 6,9–11; Kol 3,8–10; Tit 3,1–7.

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– sündig/gerecht: Röm 3,21–25; 8,3f.; 2 Kor 5,21 – als Loskauf bzw. Freikauf (Röm 3,24; 1 Kor 7,23; Gal 3,13; Eph 1,7; Apk 5,9) – als Abfolge von Tod und neuem Leben (Röm 7,4; 2 Kor 5,14f.) – als „Herausreißen“ aus diesem Äon (Gal 1,4). Die synchronische Perspektive wird akzentuiert durch explizite Erwählungsbegriffe: ejklektov~ (Eph 1,4; 1 Petr 1,1); lao;~ periouvsio~ (Tit 2,14); uiJoqesiva (Gal 4,5; Eph 1,5), tevkna qeou` (Joh 11,52), durch Begriffe wie a{gio~, a[mwmo~, ajnevgklhto~ (Eph 1,4; Kol 1,22; 1 Petr 1,2) oder durch die Bezeichnung der Christen als „Könige und Priester“ (Apk 1,6; 5,10) oder durch die Einzeichnung der christlichen Existenz in das Gegenüber von Licht und Finsternis (1 Joh 1,5–9). Mitunter wird die Heilstodaussage auch expressis verbis auf die Aufhebung des Unterschieds zwischen Juden und Heiden bezogen (Röm 3,22–25). Die Akzentuierung der beiden Perspektiven läßt sich häufig nicht klar voneinander trennen. Beide Aspekte gehen ineinander über, und das gibt allen genannten Texten einen recht klar erkennbaren gemeinsamen Nenner: Unverkennbar ist zunächst, daß die Texte in der Regel einen ekklesiologischen Bezug haben: Auf Jesu Heilstod wird überwiegend im Kontext von Aussagen über die christliche Gemeinde und ihre Angehörigen Bezug genommen: Die Gemeinde ist Thema, die Heilswirkung des Todes Jesu Rhema. In diesem Zusammenhang sind die Texte dadurch miteinander verbunden, daß sie den Heilstod Jesu auf einen Identitätswechsel beziehen, der die Glaubenden und Getauften nicht nur in Diskontinuität zu ihrer lebensgeschichtlichen Vergangenheit stellt, sondern auch von denen abgrenzt, die nicht glauben und die nicht getauft sind. Der Bezug auf den Heilstod Jesu dient also dazu, den Unterschied zwischen dem Einst und dem Jetzt der Adressaten sowie zwischen innerhalb und außerhalb der christlichen Gemeinde zu markieren. Diesem theologischen Verwendungszusammenhang sind auch die intensiven Bezugnahmen auf den Tod Jesu im Hebräerbrief zuzuordnen (vor allem 2,14–18; 7,27; 9,11–15.23–28; 10,1–18.19f.). Der Autor erläutert die Heilswirkung des Todes Jesu unter Rückgriff auf die Kategorien des alttestamentlichen Opferkults und als dessen kategoriale Überbietung: Weil Jesus sich als himmlischer Hohepriester selbst geopfert hat, hat er „ein für allemal“ (ejfavpax; 7,27; 9,12.26.28; 10,10) die zu ihm Gehörenden (3,14 nennt sie mevtocoi tou` Cristou`) von der Sünde befreit und ihnen eine Heiligkeit vermittelt (vgl. 2,11; 10,10.14; 13,12), die sie zum Betreten des himmlischen Heiligtums berechtigt (10,19f.). Die Aussagen über den Heilstod Jesu wollen insofern eigentlich ekklesiologische Aussagen sein, denn ihr Thema ist die Identität der christlichen Gemeinde. Sie wollen ihr die Gewissheit vermitteln, daß sie „in der Situation abschließender Erfül-

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lung (lebt)“27 – jedenfalls sofern sie am Christusbekenntnis festhält und sich nicht vom Glauben abwendet (vgl. 6,1–6; 10,26–31). Der Verf. des Hebr entfaltet seine Deutung des Todes Jesu als Bestandteil einer protreptischen Mahnrede, die angesichts offenkundiger Auflösungserscheinungen (vgl. 5,12; 6,6.11; 10,25f.29; 12,4ff.16) zur Beibehaltung der christlichen Existenzorientierung auffordert (vgl. 2,3; 3,6.12.14; 4,14; 6,18; 10,23.39; 12,25), und in diesem Verwendungszusammenhang kommt den Aussagen über den Heilstod Jesu die Funktion zu, die Adressaten ihrer Identität als „Teilhaber einer himmlischen Berufung“ (3,1) zu vergewissern und gegen den Bazillus des Zweifels zu immunisieren. Aufs Ganze gesehen läßt sich als Plausibilitätsbasis dieses Verwendungszusammenhangs der Rede vom Heilstod Jesu der Charakter des frühen Christentums als Bekehrungsreligion sowie seine Minderheitenund Randgruppenexistenz veranschlagen. Es handelt sich hierbei um eine Situation, die ihre kognitive Entsprechung darin hat, daß das Verständnis des Todes Jesu als Heilstod immer nur Bestandteil eines spezifisch christlichen Wirklichkeitsverständnisses sein kann bzw. einer nur für Christen erschwinglichen Daseinsgewißheit. Denn nur der, der glaubt, daß Jesus Gottes Sohn ist, kann seinem Tod auch eine Heilswirkung zuschreiben.28 Vor diesem Hintergrund verdankt sich die sprachliche Aktualisierung dieser Deutung in den zuletzt besprochenen Texten der Absicht, ihren Adressaten Vergewisserung und Stabilisierung zu vermitteln: Der Deutung des Todes Jesu als Heilstod kommt in diesem Zusammenhang die Funktion zu, eine bestimmte Wirklichkeitserfahrung soteriologisch zu kodieren, indem sie die Vorfindlichkeit der Leser als Überführung aus einer Situation des Unheils in eine Situation des Heils (diachronische Perspektive), in der sich die anderen noch befinden (synchronische Perspektive), plausibel machen. 5. Als weitere Gebrauchsweise läßt sich die Funktionalisierung der Heilstodaussage im Zusammenhang von eschatologischen Vergewisserungsstrategien identifizieren. Wir begegnen ihr in drei paulinischen Texten, und zwar in Röm 5,9f.; 8,31f.; 1 Thess 5,9f. In allen drei Texten geht es darum, daß vom Heilstod Jesu aus auf das noch ausstehende eschatische Geschehen geblickt wird. Dies erfolgt in allen drei Texten so, daß aus der Tatsache des bereits erfolgten Heilstodes die Gewißheit der Teilhabe am noch ausstehenden eschatischen Heil abgeleitet wird. In Röm 5,9–10 erfolgt dies mit Hilfe einer klassischen a fortiori-Argumentation (pollw/` ma`llon) mit der Logik: Daß einer für Gottlose und Sünder stirbt, ist viel schwerer zu 27 28

J. ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, NTD.E 10, Göttingen 1993, 283. Vgl. hierzu M.L. FRETTLÖH, Wider die Halbierung des Wortes vom Kreuz. Feministisch-theologische Kritik und Revision der Kreuzestheologie, GlLern 11 (1996), 107– 112, 111; WOLTER, „Dumm und skandalös“ (s. Anm. 9), 50f.

312

Michael Wolter

glauben, als daß er Gerechtfertigte und Versöhnte aus dem kommenden Zorn rettet.29 Da Christus aber ersteres getan hat, wird er erst recht auch letzteres tun. Ähnlich funktioniert auch Röm 8,31–32, wo Paulus mit Hilfe einer rhetorischen Frage argumentiert, um die Leser der Liebe Gottes zu versichern (s. V.35 und dann auch V.39), und in 1 Thess 5,9–10 schließlich soll der Hinweis auf den Heilstod Jesu eine mittelbar durch die Parusieverzögerung herbeigeführte Heilsunsicherheit, mit der Paulus sich in 4,13–18 auseinandersetzt, überwinden helfen. 6. Zu einem eigenen Verwendungstyp zusammenfassen lassen sich schließlich noch zwei paulinische Texte, deren gemeinsames Profil unverkennbar ist. Es handelt sich um die Heilstodaussagen in Röm 4,23–25 und 1 Kor 15,1–5:30 Röm 4,23–25 (Gen 15,6) 23oujk ejgravfh de; di’ aujto;n (sc. Abraam) movnon o{ti ejlogivsqh aujtw/`, 24ajlla; kai; di’ hJma`~ oi|~ mevllei logivzesqai, toi`~ pisteuvousin an den, der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten, 25o}~ paredovqh dia; ta; paraptwvmata hJmw`n kai; hjgevrqh dia; th;n dikaivwsin hJmw`n. 1 Kor 15,1–5 1 ... das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, 2durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr’s festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe ... 3...: o{ti Cristo;~ ajpevqanen uJpe;r tw`n aJmartiw`n hJmw`n kata; ta;~ grafa;~, 4und daß er begraben worden ist; kai; o{ti ejghvgertai am dritten Tage nach der Schrift; 5und daß er erschienen ist dem Kephas, danach den Zwölfen.

Für beide Texte ist charakteristisch, daß sie die Aussage über den Heilscharakter des Todes Jesu mit einer sprachlich parallelen Auferwekkungsaussage kombinieren: o}~ paredovqh ... kai; hjgevrqh (Röm 4,25); o{ti Cristo;~ ajpevqanen ... kai; o{ti ejghvgertai (1 Kor 15,3f.). In beiden Fällen wird seit längerem mit guten Gründen davon ausgegangen, daß Paulus vorliterarisches Traditionsgut zitiert31, wofür natürlich vor allem auf 1 Kor 15,1 verwiesen werden kann, wo Paulus den Text expressis verbis als eujaggevlion o} eujhggelisavmhn uJmi`n, o} kai; parelavbete identifiziert. Dem entspricht, daß hier wie dort die Heilstodaussage im übergreifenden Argumentationszusammenhang keinerlei Rolle spielt.32 Darüber hinaus ist beiden Texten schließlich noch gemeinsam, daß im Kontext der Heilstod- und 29

Vgl. dazu M. WOLTER, Rechtfertigung und zukünftiges Heil. Untersuchungen zu Röm 5,1–11, BZNW 43, Berlin/New York 1978, 176ff. 30 An die Seite stellen ließe sich diesen beiden Texten auch noch die partizipiale Christusprädikation in 2 Kor 5,15b (tw/` uJpe;r aujtw`n ajpoqanovnti kai; ejgerqevnti). 31 Vgl. u.a. K. WENGST, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, Gütersloh 1972, 92ff.97ff. 32 Besonders deutlich ist dies in 1 Kor 15, wo es im Kontext einzig und allein um die Gewißheit der Auferstehung Jesu geht: Nur sie ist Paulus in seiner ab V.12 folgenden Auseinandersetzung mit den Auferstehungsleugnern wichtig.

Der Heilstod Jesu als theologisches Argument

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Auferstehungsaussage jeweils vom christlichen pisteuvein die Rede ist (Röm 4,24; 1 Kor 15,2).33 Dieser Bezug gibt der Doppelaussage vom Heilstod und von der Auferstehung Jesu jeweils die Funktion einer inhaltlichen Näherbestimmung dessen, was die Identität eines christlichen Glaubens ausmacht: die Deutung des Todes Jesu als Heilstod und die Gewißheit, daß er von den Toten auferstanden ist. In beiden Fällen ist die Heilstodaussage Bestandteil einer komprehensiven Näherbestimmung dessen, was Paulus anderenorts pivsti~ Cristou` nennt (Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9), d.h. der kognitiven Identität von Christenmenschen. Der Glaube an den soteriologischen Charakter des Todes Jesu und an dessen Auferweckung von den Toten wird damit als diejenige Größe identifiziert, die der christlichen Wirklichkeitsgewißheit ihre Unverwechselbarkeit verleiht bzw. – andersherum formuliert – auf die sie um ihrer selbst willen nicht verzichten kann. 7. Die vorstehenden Überlegungen wollen nicht mehr sein als ein erster Versuch einer Lektüre der neutestamentlichen Aussagen über den Heilstod Jesu, in der die einschlägigen Texte auf ihren theologischen Verwendungszusammenhang hin analysiert werden. Sie erheben darum auch nicht den Anspruch, konsensfähige Ergebnisse zu formulieren, sondern wollen lediglich einen Anstoß zur weiteren Diskussion liefern. Hierbei muß es in erster Linie um zweierlei gehen: Zum einen ist es erforderlich, die Auswahl der Textmerkmale, die in diesem Beitrag dominant gesetzt wurden und die die typologische Zuordnung der Texte gesteuert haben, auf ihre Kohärenz und Plausibilität hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Zum anderen wird es darauf ankommen, eine detaillierte Einzelinterpretation der Texte vorzunehmen, um Typisches und Individuelles voneinander abzugrenzen, denn nur auf diesem Wege gewinnen wir diejenige Trennschärfe, die für ein wirklich theologisches Verständnis der Heilstodaussagen im Neuen Testament erforderlich ist.

33

In 2 Kor 5,16 entspricht dem, was Paulus in Röm 4,24 und 1 Kor 15,2 pisteuvein nennt, die semantisch isotope Formulierung „nicht mehr kata; savrka kennen“.

‚Deuten‘ heißt erzählen und übertragen Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer Sinnbildung zum Tod Jesu Ruben Zimmermann Vergangenes ist nur über Sprache zugänglich, nur über Sprache erhält es für uns Sinn und Zusammenhang. H.-J. Goertz

Die Diskussion um die neutestamentlichen (ntl.) Deutungen des Todes Jesu wird überwiegend durch zwei Fragestellungen bestimmt: Einerseits steht die Validität wirkungsgeschichtlich etablierter Theologumena, d.h. begrifflich verdichteter Konzepte wie z.B. ‚(Sühn-)Opfer‘, ‚Stellvertretung‘, ‚Hingabe‘ etc. als Deuteschlüssel der ntl. Aussagen zur Disposition. Andererseits werden traditionsgeschichtliche Fragestellungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, etwa ob bestimmte Denkweisen und Motive bereits vor- oder außerchristlich belegt sind und wie diese dann auf die ntl. Deutung des Todes Jesu Einfluß genommen haben. Ohne die Berechtigung und den Wert beider Zugangsweisen in Frage stellen zu wollen, möchte dieser Beitrag den Blick darauf lenken, daß sie dem Problemkreis der ntl. Deutungen des Todes Jesu doch nicht vollständig gerecht werden. Während die inhaltsorientierte Annäherung in der Gefahr einer dogmatischen Überformung ntl. Aussagen steht,1 scheint sich bei der diachronen Fragestellung der theologische Wert einer Aussage stark auf ihre traditionelle Verankerung zu reduzieren.2 In beiden Zugangswei-

1

Vgl. beispielhaft das Problem einer ‚theologia crucis‘ im JohEv, dazu etwa J. FREY, Die „theologia crucifixi“ des Johannesevangeliums, in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 169–238, besonders 177–180. 2 Vgl. hier etwa die umfangreiche Diskussion um Röm 3,25 und die damit verbundene Frage, ob der „Sühne-Begriff“ traditionell untrennbar mit dem Kult verknüpft war oder ob eine „außerkultische Sühne“ bereits vorchristlich belegt ist, vgl. dazu etwa F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments, Bd. 2: Die Einheit des Neuen Testaments. Thematische Darstellung, Tübingen 2002, 385f.; ausführlich T H. KNÖPPLER, Sühne im Neuen

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Ruben Zimmermann

sen werden jedoch das hermeneutische Problem, das sich mit einer solchen Deutung stellt, sowie die sprachliche Gestalt, in der sie begegnet, nicht eigens reflektiert. Dabei handelt es sich bei der deutenden Verarbeitung und Reflexion des Todes Jesu um ein komplexes hermeneutisches Geschehen, das durch Sprache, ja sogar als sprachliche Äußerung vollzogen wird. Die im Neuen Testament überlieferten Verstehensweisen des Todes Jesu benutzen bestimmte Sprachformen und stehen in bestimmten Kommunikationszusammenhängen, die hinsichtlich ihrer Bildungsmechanismen bzw. ihrer Pragmatik und Funktion analysiert werden können.3 Um zu verstehen, wie urchristliche Autoren den Tod Jesu gedeutet haben, ist es unerläßlich, auch die sprachlich-stilistische Gestalt der theologischen Sinnstiftung in den Blick zu nehmen, was im folgenden Beitrag geschehen soll. Innerhalb einer Fülle sprachlicher Verarbeitungsmuster zum Tod Jesu können – so die These – in narrativen und metaphorischen Ausdrucksweisen die beiden wichtigsten Sprachformen bei der Deutung des Todes Jesu im Neuen Testament wahrgenommen werden. Nach einer literarisch-hermeneutischen Reflexion der Ausgangsfrage (1.) werden Grundzüge zur narrativen (2.) und metaphorischen Deutung des Todes Jesu (3.) entfaltet. Dabei werden jeweils Aspekte der erzählenden und übertragenden Sinnkonstruktion benannt, auf die ntl. Deutung des Todes Jesu appliziert und an je einem Beispiel (joh Erzählung zum Pilatusgespräch, Joh 18,28–19,16, bzw. die Deutung des Todes Jesu als Opfer, Hebr 9f.; Eph 5,2; 1 Kor 5,7) konkretisiert.

1. Die Deutung des Todes Jesu im Neuen Testament aus literarisch-hermeneutischer Perspektive Wenn wir von der „Deutung des Todes Jesu im Neuen Testament“ sprechen, ist damit ein hermeneutischer Vorgang bezeichnet, der drei Dimensionen impliziert: 1. „Deutung“ bezeichnet eine aktive Sinnstiftung, d.h. einem bestimmten Sachverhalt wird in einem gegenwärtigen Kommunikationszusammenhang Bedeutung zugeschrieben (Konstruktivität). 2. Die Deutung bezieht sich auf den „Tod Jesu“, d.h. auf das geschichtliche, zum Zeitpunkt der Deutung vergangene Ereignis des Sterbens Jesu am Kreuz (Historizität).

Testament, WMANT 88, Neukirchen-Vluyn 2001, ferner den Beitrag von TH. SÖDING in diesem Band. 3 Vgl. zur funktionalen Pragmatik der Äußerungen zum Tod Jesu etwa den Ansatz von M. WOLTER in diesem Band.

,Deuten heißt erzählen und übertragen

317

3. Bei der Deutung „im Neuen Testament“ geht es schließlich um eine Sinnstiftung in sprachlicher, konkret sogar in schriftlich-literarischer Form, die durch die Texte des Neuen Testaments überkommen ist (Literalität).

Alle drei Dimensionen sind untrennbar miteinander verwoben, sollen aber zunächst in heuristischer Absicht je für sich näher betrachtet werden. 1.1. Die ‚Konstruktivität‘ der Deutung Eine ‚Deutung‘ kann als ein Verstehenshandeln beschrieben werden, bei dem ein Interpret einem bestimmten Gegenstand ‚Be-deutung‘ zuschreibt und ihn dadurch (besser) zu verstehen versucht. Deutehandlungen stehen in der Regel in Kommunikationszusammenhängen, in denen die Sinnstiftung eine pragmatische Funktion erfüllt. Obgleich das gegenwärtige Nachdenken über die „Deutung des Todes Jesu im Neuen Testament“ seinerseits ein hermeneutischer Vorgang ist, der sich nicht aus dem hermeneutischen Zirkel davonstehlen kann, möchte ich zunächst den geschichtlichen Interpretationsvorgang des Todes Jesu durch die neutestamentlichen Autoren in den Blick nehmen:4 Indem ntl. Autoren den Tod Jesu deuteten, versuchten sie das grausame Ende Jesu mit Sinn zu füllen, um es (besser) verstehen und ihr Verständnis den jeweiligen Kommunikationspartnern vermitteln zu können. Die frühere traditionsgeschichtlich orientierte Forschung konzentrierte sich bei der Untersuchung dieses Deutevorgangs auf die Frage, ob hinter den ntl. Texten bestimmte Deutungen aus vorausliegenden Quellen, aus mündlichen Traditionen oder etwa vom ‚historischen Jesus‘ her rekonstruiert werden könnten. Die ntl. Deutung des Todes Jesu darf aber nicht als ein Vorgang bloßer Traditionsweitergabe oder passiver Dekodierung verstanden werden. Selbst bei Anknüpfung an bestehende Deutemuster der Tradition geben die im Neuen Testament überlieferten Texte Artefakte aktiver Sinnproduktion in je eigenen Kommunikationssituationen wieder. „Deutung“ ist deshalb Sinnstiftung im wahrsten Sinne des Wortes: Im Prozeß der Deutung wird der Sinn nicht nur reproduziert, sondern „gestiftet“,5 d.h. allererst produziert. Deutung muß folglich als ein hermeneutisches Geschehen betrachtet werden, bei dem die produktive Kraft des Verstehenden eine konstitutive Rolle im Verstehensprozeß spielt. Besonders die neuere Hermeneutik-Diskussion hat diese konstruktive Seite des Verstehensvorgangs ins Licht gerückt. Hatten bereits Schleiermacher und Dilthey den 4 Dabei spielt m.E. keine Rolle, ob die ntl. Autoren „sich selbst als Hermeneuten und Deuter eines an sich blinden historischen Geschehens“ verstanden haben oder nicht, vgl. den Einwand im Beitrag von H. LÖHR in diesem Band. 5 Das nur im Deutschen und Altfriesischen bezeugte mittelhochdeutsche Verb „stiften“ bedeutet „gründen, ins Werk setzen, bauen, erdichten, erfinden, ersinnen“, vgl. M. LEXERS, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 371986, 211.

318

Ruben Zimmermann

Interpreten und seine Lebenserfahrung als eigenständiges Element im Verstehensvorgang gewürdigt,6 so war es vor allem die phänomenologische Hermeneutik des 20. Jh., der wir die Einsicht verdanken, daß Verstehen nicht ein ‚objektbezogener Entschlüsselungsvorgang‘ ist, sondern als ein Prozeß beschrieben werden muß, der Rezeption und Produktion gleichermaßen umfaßt. So konstatierte etwa H.-G. Gadamer: „Eine philosophische Hermeneutik (wird) zu dem Ergebnis kommen, daß Verstehen nur so möglich ist, daß der Verstehende seine eigenen Voraussetzungen ins Spiel bringt. Der produktive Beitrag des Interpreten gehört auf eine unaufhebbare Weise zum Sinn des Verstehens selber. Das legitimiert nicht das Private und Arbiträre subjektiver Voreingenommenheiten, da die Sache, um die es jeweils geht, – der Text, den man verstehen möchte – der alleinige Maßstab ist, den man gelten läßt. Wohl aber ist der unaufhebbare, notwendige Abstand der Zeiten, der Kulturen, der Klassen, der Rassen – oder selbst der Personen – ein übersubjektives Moment, das jedem Verstehen Spannung und Leben verleiht. Man kann diesen Sachverhalt auch so beschreiben, daß Interpret und Text je ihren eigenen ‚Horizont‘ besitzen und daß jegliches Verstehen eine Verschmelzung der Horizonte darstellt.“7

Die bei Gadamer primär auf das gegenwärtige Verstehen von Vergangenem (z.B. antiker Texte) bezogenen Einsichten gelten für jedes hermeneutische Geschehen, wie nicht zuletzt neuere „pragmatische“ HermeneutikTheorien8 herausgearbeitet haben. Verstehen ist immer ein konstruktiver lebensweltbezogener Prozeß des Deutens. Angewandt auf den Tod Jesu besagt dies, daß bereits die ntl. Autoren das Sterben Jesu nur in Verschmelzung der je eigenen Verstehenshorizonte mit dem ihnen überlieferten historischen Ereignis verstehen konnten. Wenn urchristliche Autoren vom Tod Jesu sprachen, dann vollzogen sie damit eine Deutung, die nicht nur eine etwa von Jesus oder seinen Jüngern vollzogene Sinnstiftung reproduzierte. Vielmehr wollten sie ihr Verständnis des Todes Jesu in aktuelle Kommunikationszusammenhänge hinein vermitteln und verknüpften 6 Vgl. F.D.E. SCHLEIERMACHER , Hermeneutik und Kritik, hg. u. eingeleitet v. M. Frank, Frankfurt a.M. 71999; W. DILTHEY, Einleitung in die Geisteswissenschaft, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Stuttgart/Göttingen 1959. 7 H.-G. G ADAMER , Klassische und Philosophische Hermeneutik, in: Ders., Wahrheit und Methode. Ergänzungen und Register, GW 2, Tübingen 21993, 92–117, 109, sowie ausführlich DERS., Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, GW 1, Tübingen 61990. 8 Die Hinwendung zur Pragmatik wurde aus ganz unterschiedlichen Perspektiven vollzogen: Während etwa K.-O. Apel und J. Habermas dafür plädieren, daß Verstehen nur als konkrete Verständigung z.B. über soziale Verhältnisse oder Sachverhalte möglich sei, weist R. Rorty auf den geschichtlich kontingenten Weltbezug des Verstehenden hin (vgl. Spiegel der Natur), während Ricœur in Auseinandersetzung mit dem frz. Strukturalismus durch seine „Hermeneutik des Selbst“ das Subjekt des Verstehens rehabilitiert. Vgl. dazu etwa den Überblick bei M. J UNG, Hermeneutik zur Einführung, Hamburg 2 2002, 133–146.

,Deuten heißt erzählen und übertragen

319

somit ihre eigene Einsicht mit den Verstehenshorizonten ihrer Adressaten. Deutung darf deshalb auch nicht mit einer willkürlichen und subjektivistischen Sinnzuschreibung gleichgesetzt werden. Um Verstehen zu ermöglichen, versuchten die ntl. Autoren vorhandene und von allen Kommunikationsteilnehmern akzeptierte Sinnsysteme aufzunehmen. So sehr die jeweilige Deutung des Todes Jesu Neues zur Sprache bringt und Sinn dabei in aktuellen Zusammenhängen konstruiert, bleibt sie doch auf vorgängige Verstehenshorizonte verwiesen, um zu wechselseitigem Verstehen vorzudringen. So griffen urchristliche Autoren auf bekannte theologische Verstehensmuster ihrer Zeit (z.B. Opfertheologie) zurück und verknüpften sie mit dem geschichtlichen Ereignis des Todes Jesu. Die Deutung des Todes Jesu zeichnet sich somit durch ein spezifisches Wechselspiel zwischen Traditio und Innovatio aus. Sie ist in hohem Maße Konstruktion der jeweiligen Autoren. Sie ist zugleich aber auch ein rezeptives Geschehen, denn Sinn kann in Kommunikationszusammenhängen nur unter Rückgriff auf bestehende Sinnstrukturen vermittelt werden. 1.2. Die ‚Historizität‘ der Deutung Gegenstand des Deutegeschehens ist der Tod Jesu, d.h. ein zunächst kontingentes geschichtliches Ereignis, das an sich noch nicht sinnträchtig ist, wohl aber Sinnpotentiale in sich birgt, die erschlossen werden können. Doch wie kann ein historisches Faktum gedeutet, wie kann Geschichte geschrieben und verstanden werden? Die konstruktive Dimension eines jeden Verstehensvorgangs wurde in der neueren Geschichtstheorie nun auch für das Interpretieren geschichtlicher Ereignisse anerkannt.9 Dabei wurde der Idealismus des Historismus entlarvt, der Geschichte als objektive Rekonstruktion bloßer Fakten ver-

9 Bahnbrechend waren hier vor allem die Arbeiten von H. W HITE (z.B. Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt a.M. 1994, orig. 1987) und F. ANKERSMIT (z.B. Narrative Logic. A Semantic Analysis of Historian’s Language, Groningen 1981). Ferner etwa J. RÜSEN, Rekonstruktion der Vergangenheit. Grundzüge einer Historik II: Die Prinzipien der historischen Forschung, Göttingen 1986; C. CONRAD/M. KESEL, Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994; H.-J. GOERTZ, Umgang mit Geschichte. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Reinbek 1995; DERS., Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität, Stuttgart 2001. Mit eigener, wieder mehr kognitiver Ausrichtung auch C. LORENZ, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Beiträge zur Geschichtskultur 13, Köln 1997. Einen interdisziplinären Einblick in konstruktivistische (Geschichts-)Theorien bietet der instruktive Sammelband von J. SCHRÖTER/A. EDDELBÜTTEL (Hgg.), Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, TBT 127, Berlin/ New York 2004.

320

Ruben Zimmermann

stehen wollte. Einzelne historische Fakten10 sind per se unverständlich. Sie liegen in einem ungeordneten, amorphen, ja sogar „chaotischen“11 Zustand vor. Um sie verstehen zu können, müssen sie aufeinander bezogen, miteinander vernetzt und in bestehende Sinnsysteme eingebaut werden. Erst durch die Deutungsaktivität eines Subjektes können sie mit Sinn gefüllt und verstanden werden. Diese Interpretationsleistung kann mit dem kreativen Zusammenfügen einzelner Mosaiksteine zu einem übergeordneten Kunstwerk verglichen werden. Ungeregelte Kontingenz muß in eine „geregelte, bedeutsame, intelligible Kontingenz“12 überführt werden, um verstanden werden zu können. Geschichtsschreibung ist deshalb weniger Rekonstruktion historischer Vorkommnisse als vielmehr Konstruktion, d.h. ein produktiver und kreativer Vorgang, bei dem der Eigenanteil des verstehenden Subjekts beim Aufbau geschichtlicher Sinnsysteme beträchtlich ist.13 Geschichtsschreibung ist dann aber weder die objektive Bereitstellung historischer Fakten noch die reine Deskription historischer Abläufe, sondern – wie Hayden White formuliert – die „Fiktion der Darstellung des Faktischen“.14 „Geschichte ist also nicht der Ausdruck, den das historische Material sich selber gibt. Sie ist ein Artefakt post factum. Sowohl der Anfang als auch die Mitte und das Ende eines Geschehens sind ‚unvermeidlich poetische Konstruktionen‘, nicht Abbilder, sondern ein ‚Neuschreiben‘ des Geschehensablaufs. Dem Geschehen wird vom Ende her eine Struktur eingezogen, die es realiter nicht aufweisen konnte.“15

Diese allgemeinen Einsichten der Geschichtstheorie werden nun mehr und mehr auch für die Analyse der ntl. Texte fruchtbar gemacht, und zwar weniger als Entlarvung der Fiktionalität der exegetischen Forschung als 10 E.H. Carr hatte noch zusätzlich zwischen einer „bloßen Tatsache der Vergangenheit“ und einer „historischen Tatsache“ unterschieden, wobei nur letztere die Aufmerksamkeit historischer Interpretation auf sich ziehen sollte, vgl. E.H. CARR, Was ist Geschichte?, Stuttgart 31963, 12. 11 Vgl. zu dieser auch bei H. White gebräuchlichen Begrifflichkeit etwa ANKERSMIT, Narrative Logic (s. Anm. 9), 83: „The past as such cannot be understood by us: in itself, the past is a meaningless myriad of facts, states and events, an amorphous chaos of data that successfully resists a ‚conscious apprehension‘ by the historian.“ 12 P. RICŒUR , Zufall und Vernunft in der Geschichte, Tübingen 1985, 14; vgl. neuerdings DERS., Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, Übergänge 50, München 2004. 13 Vgl. G OERTZ, Unsichere Geschichte (s. Anm. 9), 36: „Die vergangene Wirklichkeit wird nicht rekonstruiert, sondern konstruiert.“ Ähnlich auch J. SCHRÖTER, Jesus und die Anfänge der Christologie, BThSt 47, Neukirchen-Vluyn 2001, 28: „Geschichte wird somit herausgelöst aus der Vorstellung purer Faktizität. Sie erscheint statt dessen als auf Erinnerung basierende Konstruktionsarbeit.“ 14 Vgl. H.V. W HITE , Die Fiktionen der Darstellung des Faktischen, in: Ders., Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Sprache und Geschichte 10, Stuttgart 1991, 145–160. 15 Vgl. GOERTZ, Unsichere Geschichte (s. Anm. 9), 20 (mit Bezug auf H. White).

§  Das Markusevangelium



ich mich darauf, die entscheidenden Stellen nach der Harnackschen Übersetzung zu zitieren. Er5 übersetzt die Kernstellen dieser Inschrift folgendermaßen: „Dieser Tag hat der ganzen Welt ein andres Aussehen gegeben; sie wäre dem Untergang verfallen, wenn nicht in dem nun Gebornen für alle Menschen ein gemeinsames Glück aufgestrahlt wäre. Richtig urteilt, wer in diesem Geburtstag den Anfang des Lebens und aller Lebenskräfte für sich erkennt; nun endlich ist die Zeit vorbei, da man es bereuen mußte, geboren zu sein. Von keinem andern Tage empfängt der einzelne und die Gesamtheit soviel Gutes als von diesem allen gleich glücklichen Geburtstage. Die Vorsehung, die über allem im Leben waltet, hat diesen Mann zum Heile der Menschen mit solchen Gaben erfüllt, daß sie ihn uns und den kommenden Geschlechtern als Heiland gesandt hat; aller Fehde wird er ein Ende machen und alles herrlich ausgestalten. In seiner Erscheinung sind die Hoffnungen der Vorfahren erfüllt; er hat nicht nur die frühern Wohltäter der Menschheit sämtlich übertroffen, sondern es ist auch unmöglich, daß je ein Größerer käme. Der Geburtstag des Gottes hat für die Welt die an ihn sich knüpfenden Freudenbotschaften [Evangelien] heraufgeführt. Von seiner Geburt muß eine neue Zeitrechnung beginnen.“ Texte dieser Art muß man sich vor Augen halten, wenn man verstehen will, wie ein antiker Leser die Überschrift des Markusevangeliums verstanden hat. Der von ihm benutzte Begriff »Evangelium« war insbesondere durch seine Verwendung im Kaiserkult geprägt. Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage nach der Gattung »Evangelium«. Rudolf Bultmann hat bestritten, daß wir es hier in der Tat mit einer Gattung zu tun haben könnten. Zwar ist das Evangelium Bultmann zufolge „eine original christliche Schöpfung.“ Aber die Frage, ob „man es als eigentlich literarische Gattung bezeichnen“ könne, verneint Bultmann: „Von dem Evangelium als einer literarischen Gattung zu sprechen, ist also kaum möglich; das Evangelium ist eine Größe der Dogmen- und Kultusgeschichte.“6 Vgl. dazu auch den Text zu Augustus auf S. –. Die Inschrift wird im allgemeinen auf das Jahr  v.Chr. datiert – sie ist also in der Tat vorchristlich! Da das wichtigste Exemplar dieser Inschrift in Priene gefunden wurde und es sich um Kalenderfragen handelt, hat man sie kurz als »Kalenderinschrift von Priene« bezeichnet. Eine umfassende Literaturliste bietet Claudio Ettl: Der „Anfang der . . . Evangelien“. Die Kalenderinschrift von Priene und ihre Relevanz für die Geschichte des Begriffs εὐαγγέλιον, a.a.O., S. –. Die Inschrift ist heute im Pergamonmuesum in Berlin zu bewundern. 5 Adolf Harnack: Als die Zeit erfüllet war, in: ders.: Reden und Aufsätze. Erster Band, Gießen  , S. –. 6 Rudolf Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT , Göttingen  , S. f.



Kapitel VIII: Die Anfänge der Jesusüberlieferung

Diese Einschätzung Bultmanns wird heute in der Regel nicht mehr geteilt, wie etwa der Beitrag von Hubert Cancik zu unserer Frage zeigt.7 Er geht zwar von der Bultmannschen These aus8 , kommt aber zu dem gegenteiligen Ergebnis: „Die antike Jesusliteratur [= die Gattung Evangelium] bildet eine Familie verwandter Texte, die einander zitieren, imitieren, kompilieren, interpretieren. Diese Familie läßt sich mit genügender Genauigkeit von der Apostelliteratur und der übrigen frühchristlichen und kirchlichen Literatur sondern.“9 Es ergibt sich also: Das Evangelium ist eine genuin christliche Gattung. Der erste Erfinder des Evangeliums ist Markus. Mit seinem Werk nimmt diese Gattung ihren Anfang. Schon aus diesem Grund ist das Markusevangelium von besonderer Bedeutung.

. Der Aufbau Den Aufbau10 des Evangeliums kann man sich leicht einprägen. Man sollte sich dazu zunächst eine Einteilung in zwei Abschnitte11 mit einer vorangestellten Einleitung vor Augen stellen: Einleitung

Der Anfang

,–

Teil A

Jesu Wirken in Galiläa

,–,

Teil B

Jesus in Jerusalem12

,– ,

Im folgenden geht es dann um eine Untergliederung der beiden Teile. Diese kann man folgendermaßen vornehmen (zunächst für Teil A): I II III

Die ἐξουσία (exousi.a) Jesu in Wunder und Lehre

,–,

Unverständnis/Unglaube angesichts Jesu Wunder und Lehre

,–,a

Weitere Taten und Worte Jesu

,b–,

7 Hubert Cancik: Die Gattung Evangelium. Das Evangelium des Markus im Rahmen der antiken Historiographie, in: Hubert Cancik [Hg.]: Markus-Philologie, S. –. 8 Cancik, a.a.O., S. f. 9 Cancik, a.a.O., S. . 10 Ich stütze mich im folgenden auf den Vorschlag von Dietrich-Alex Koch: Inhaltliche Gliederung und geographischer Aufriß im Markusevangelium, NTS  (), S. –. 11 In dieser Gliederung wird Mk , als letzter Vers des Evangeliums betrachtet, d.h. der sogenannte sekundäre Markusschluß in ,– wird hier nicht berücksichtigt. Dieser später hinzugefügte Zusatz stellt ein Potpourri aus Ostergeschichten anderer Evangelien dar und wurde später hinzugefügt, weil man mit dem ursprünglichen Schluß in , nicht zufrieden war. 12 Genauer müßte man formulieren: „Jesus auf dem Weg nach und in Jerusalem“ – das würde aber die Tabelle sprengen. Denn in Jerusalem hält sich Jesus ja erst ab , auf (s.u.).



§  Das Markusevangelium

Für Teil B ergibt sich die folgende Feingliederung: I

Der Weg Jesu nach Jerusalem

,–,

Auseinandersetzungen in Jerusalem

,–,

III

Die eschatologische Schlußrede »gegenüber dem Tempel«

,–

IV

Passionsgeschichte

,–,

Ostern

,–

II

V

Wenn man darauf verzichtet, die Abschnitte des ersten Teils noch einmal zu untergliedern, ergibt sich insgesamt der folgende Aufbau für das Markusevangelium: Der Anfang Teil A

Jesus in Galiläa I

Teil B

,– ,–, Jesu ἐξουσία in Wunder und Lehre

,–,

II

Unverständnis und Unglaube

,–,a

III

Weitere Taten und Worte Jesu

,b–,

Jesus in Jerusalem I

,– , Der Weg Jesu nach Jerusalem

,–,

Auseinandersetzungen in Jerusalem

,–,

III

Die eschatologische Schlußrede

,–

IV

Passionsgeschichte

,–,

Ostern

,–

II

V

. Die kirchliche Tradition Da das Evangelium selbst uns über seinen Verfasser keine Auskunft gibt13 , war man seit jeher an die kirchliche Tradition gewiesen. Deren ältester Repräsentant ist Papias, der Bischof von Hierapolis, dessen Werk uns in Fragmenten in der Kirchengeschichte des Euseb erhalten ist. Über Markus findet sich bei Papias (Euseb: Kirchengeschichte III ,) die folgende Notiz: 13 Vgl. dazu den folgenden . Abschnitt über Verfasser, Zeit und Ort der Abfassung.



Kapitel VIII: Die Anfänge der Jesusüberlieferung

Μάρκος µὲν ἑρµηνευτὴς Πέτρου γενό- Als Markus Dolmetscher des Petrus geµενος, worden war, ὅσα ἐµνηµόνευσεν, ἀκριβῶς ἔγραψεν, schrieb er alle Dinge, an die er sich erin-

nerte, genau auf, allerdings nicht in der [richtigen] Reihenfolge, τὰ ὑπὸ τοῦ κυρίου ἢ λεχθέντα ἢ πραχ- die der Herr gesagt oder getan hatte. οὐ µέντοι τάξει,

θέντα· οὔτε γὰρ ἤκουσεν τοῦ κυρίου οὔτε παρηκολούθησεν αὐτῷ, ὕστερον δέ, ὡς ἔφην, Πέτρῳ,

Denn er hatte den Herrn [selbst] nicht gehört und war ihm auch nicht gefolgt, sondern später erst, wie gesagt, dem Petrus. ὃς πρὸς τὰς χρείας ἐποιεῖτο τὰς διδα- Dieser hatte seine Lehrvorträge nach den σκαλίας, [jeweiligen] Gegebenheiten eingerichtet, ἀλλ’ οὐχ ὥσπερ σύνταξιν τῶν κυριακῶν und nicht als ob er eine Darstellung der ποιούµενος λογίων, Herrenworte geben wollte. Deshalb hat Markus keinerlei Fehler geὥστε οὐδὲν ἥµαρτεν Μάρκος, macht, οὕτως ἔνια γράψας ὡς ἀπεµνηµόνευ- als er auf diese Weise die einzelnen Punkσεν· te niederschrieb, wie er sich erinnerte. ἑνὸς γὰρ ἐποιήσατο πρόνοιαν, Eines nämlich lag ihm am Herzen, τοῦ µηδὲν ὧν ἤκουσεν παραλιπεῖν nichts auszulassen von dem, was er [bei Petrus] gehört hatte, und nichts davon falsch darzustellen. ἢ ψεύσασθαί τι ἐν αὐτοῖς.14

*** In der modernen Version – die freilich schon recht romanhafte Züge trägt – liest sich das dann folgendermaßen: „Als die Glieder der römischen Gemeinde, die der Hölle der Christenverfolgung im Herbst  entronnen waren, sich wieder zusammenfanden, da vermißten sie neben so vielen anderen vor allem den Apostel Petrus, der in den Vatikanischen Gärten ans Kreuz geschlagen worden war. Sie gedachten der unvergeßlichen Stunden, in denen Petrus ihnen aus eigenem Erleben von den Erdentagen Jesu erzählt hatte: von seiner Berufung in die Nachfolge, von der Stunde des Bekenntnisses bei Cäsarea Philippi, von Gethsemane, von der Verleugnung in der Karfreitagsnacht. Da kamen sie auf den Gedanken, den Mitarbeiter des Petrus, Jochanan aus Jerusalem mit dem Beinamen Markus, der die Verfolgung überlebt hatte, zu bitten, daß er ihnen all das aufschreiben möchte, wessen er sich von den Lehrvorträgen des Apostels entsänne. Markus erfüllte die Bitte. Seine schlichten Auf-

14 Papias bei Euseb: Kichengeschichte III ,.

§  Das Markusevangelium



zeichnungen sind die ersten schriftlichen Überlieferungen über das Leben Jesu, von denen wir sicher wissen.“15 Das ist moderne Belletristik und geht noch weit über die karge Notiz bei Papias hinaus. Im einzelnen: Daß Petrus im Zusammenhang mit dem Brand Roms16 zum Märtyrer wurde, ist durchaus möglich. Alles weitere aber entspringt der Jeremiasschen Phantasie, die lediglich an Papias einen gewissen quellenmäßigen Anhalt hat. Daß Petrus den Gliedern der römischen Gemeinde(n) Einzelheiten aus seinem Leben erzählt hat, ist gewiß möglich – die Details aber verdanken wir ausschließlich der Phantasie des Autors Jeremias. Daß die Abfassung des Markusevangeliums auf einen Wunsch der römischen Gemeinde zurückgehe, läßt sich nicht einmal aus Papias in irgendeiner nachvollziehbaren Weise herleiten. Es ist gewiß denkbar, daß das Evangelium aus Rom stammt, aber mehr als eine Möglichkeit ist dies nicht. Von der Gattung her ist das keine wissenschaftliche Darstellung, sondern ein Roman mit gelegentlichen Bezügen auf historisch nachweisbare Ereignisse. Daß der in Apg , genannte Johannes mit dem Beinamen Markus nach Rom gekommen und mit Petrus eine persönliche Beziehung aufgenommen haben soll, gar sein Mitarbeiter geworden wäre, ist reine Spekulation. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, daß weder die kirchliche Tradition über das Markusevangelium noch deren moderne Ausmalung uns eine verläßliche Basis in bezug auf die Einleitungsfragen bieten kann.

. Der Verfasser; Zeit und Ort der Abfassung Wie das Matthäusevangelium gehört auch das Markusevangelium zu denjenigen Schriften, die uns über ihren Verfasser nichts verraten. Das ist beim Lukasevangelium anders, welches mit einem regelrechten Proömium beginnt, das sogar eine Widmung an Theophilos enthält, aber auch beim Johannesevangelium, welches an mehreren Stellen für sich beansprucht, von einem Augenzeugen geschrieben zu sein (,; ,; ,).17 Dergleichen finden wir im Markusevangelium nicht; es sagt nichts über seinen Verfasser und ist mithin eine anonyme Schrift. Darüber kann auch die Überschrift am Anfang unsres Werkes nicht hinwegtäuschen: Κατὰ Μᾶρκον (Kata. Ma.rkon) bzw. (vgl. den textkritischen Apparat z.St.) Εὐαγγέλιον κατὰ Μᾶρκον (Euange.lion kata. Ma.rkon) bzw. Τὸ κατὰ Μᾶρκον ἅγιον εὐαγγέλιον (To. kata. Ma.rkon ha.gion euange.lion). Dies ist – wie schon die gleichförmige Parallele bei Matthäus, Lukas und Johannes zeigt – nicht Bestandteil des Textes unseres Evangelims, sondern erst hinzugekommen, als unser Evangelium neben an15 Joachim Jeremias: Unbekannte Jesusworte, Gütersloh   (als Taschenbuch nachgedruckt ), S. . 16 Vgl. dazu oben in Kapitel IV den Paragraphen  zu Nero, S. –; speziell zum Brand Roms hier S. –. 17 Vgl. dazu Martin Rese: Das Selbstzeugnis des Johannesevangeliums über seinen Verfasser, EThL  (), S. –.



Kapitel VIII: Die Anfänge der Jesusüberlieferung

dere gestellt wurde. Daran ändert auch die Möglichkeit nichts, daß dies vielleicht schon in sehr alter Zeit geschehen sein könnte, wie Martin Hengel zeigen möchte.18 Die einzige Überschrift, die unser Buch sonst bietet: ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ θεοῦ (arch¯.e tou. euangeli.ou I¯esou. Christou. hyiou. theou.), verrät uns wiederum nichts über ihren Verfasser (Mk ,).19 Nun hat vor einiger Zeit Martin Hengel den Versuch gemacht, „Entstehungszeit und Situation des Markusevangeliums“ zu erhellen.20 Weiß man über den Verfasser überhaupt nichts Sicheres zu sagen, so ist insbesondere die Abfassungszeit strittig; aber auch hinsichtlich des Abfassungsortes kommt man über Spekulationen kaum hinaus. Ich illustriere die Vielfalt der Möglichkeiten an dem Punkt Abfassungszeit: In den Einleitungen zum Neuen Testament – die freilich einem berühmten Diktum Ernst Käsemanns zufolge „auf weite Strecken in die Gattung der Märchenbücher einzureihen [sind], mag ihr trockener Ton und Inhalt noch so sehr Tatsachenreportagen vortäuschen“21 – lesen Sie häufig „nach “. In dem schon erwähnten Sammelband versucht dagegen Günther Zuntz eine Datierung in das Jahr  zu begründen, also  Jahre vor dem genannten Ansatz „nach “.22 Damit wäre unser Evangelium nicht nur älter als alle uns erhaltenen Paulusbriefe, sondern die älteste Schrift im Neuen Testament überhaupt, woraus sich weitreichende Folgen ergäben. Ich will Ihnen daher die These von Günther Zuntz kurz referieren: „Diese Datierung ist basiert [so wörtlich] auf die Deutung von Mk , als ein verhüllter, aber unzweifelhafter Hinweis auf Caligulas Absicht, sein Standbild im Tempel zu Jerusalem aufstellen zu lassen – für gläubige Juden ein Sakrileg von unüberbietbarer Abscheulichkeit. Der Tod Caligulas im Januar  bedeutete das Ende dieser Drohung und ist mithin terminus ante quem für Mk ,.“23 Wir sind über dieses Vorhaben des Caligula aus zeitgenössischen Quellen unterrichtet, insbesondere durch Josephus und durch die Schrift des Philon mit dem Titel Legatio ad Caium.24 Demnach hatte Caius-Caligula den Plan gefaßt, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufstellen zu lassen. Petronius, der Statthalter von Syrien, erhält den Auftrag, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. In diesem Zusammenhang schreibt der König Agrippa I. einen Brief an den Kaiser, den Philon in voller Länge in seine Schrift aufnimmt (§ – ). Dies, so meint Zuntz, sei der Hintergrund der Aussage Mk , ὅταν δὲ ἴδητε 18 Martin Hengel: Die Evangelienüberschriften, SHAW.PH , . 19 Zur Frage, wofür dieser Vers die Überschrift ist, vgl. oben S.  mit Anm. . 20 Martin Hengel: Entstehungszeit und Situation des Markusevangeliums, in: Hubert Cancik [Hg.]: Markus-Philologie, S. –. 21 Ernst Käsemann: Jesu letzter Wille nach Johannes , Tübingen  , S. . 22 Günther Zuntz: Wann wurde das Evangelium Marci geschrieben? In: Markus-Philologie, S. – . Die These hatte schon zuvor C.C. Torrey vertreten, vgl. S.  mit Anm. . 23 Günther Zuntz, a.a.O., S. . 24 Mit dieser Schrift des Philon und dem Plan des Caligula, seine Statue im Tempel in Jerusalem aufstellen zu lassen, haben wir uns schon in einem ganz anderen Zusammenhang beschäftigt, als wir das Diaspora-Judentum diskutierten, vgl. dazu oben im dritten Kapitel, Paragraph , S. –.

§  Das Markusevangelium



τὸ βδέλυγµα τῆς ἐρηµώσεως ἑστηκότα ὅπου οὐ δεῖ (ho.tan de. .id¯ete to. bde.lygma t¯.es er¯em¯o.se¯os hest¯eko.ta ho.pou ou dei.). Man muß – damit diese These überhaupt eine Chance hat – dazu freilich eine weitreichende Voraussetzung machen. Zuntz formuliert sie wie folgt: „Wem . . . dies Evangelium – trotz einiger Interpolationen – als ein grandios-einheitliches Werk gilt, und das . Kapitel – unmittelbar vor der Leidensgeschichte – als Kern und Gipfel seiner Lehre; wie kann er die Folgerung vermeiden, daß dieser Vers das ganze Werk auf das Jahr  datiert?“25 Obwohl ich diese Voraussetzung nicht teile, wollen wir noch kurz einen Blick auf die Begründung von Zuntz werfen. Er sagt: In Mk , „wird ein konkretes und ganz spezifisches Ereignis angekündigt; den Wissenden unzweideutig, den Nichteingeweihten unverständlich und unverdächtig.“26 Seines Erachtens haben wir es hier mit einer „verschwörerhafte[n] Geheimsprache“ zu tun: „nur wer in der prophetischnationalen Tradition lebte, konnte – und mußte – in dem abstrusen Kennwort τὸ βδέλυγµα τῆς ἐρηµώσεως (to. bde.lygma t¯.es er¯em¯o.se¯os) das Zitat aus Daniel (und .Macc ,) erkennen; mithin die Bedrohung des Allerheiligsten durch Caligula, wie einst durch Antiochus IV. Der Hinweis wird, für Gesinnungsgenossen, vollends gesichert durch den grammatischen Fehler, gleich danach, in dem Partizip ἑστηκότα [hest¯eko.ta]: das Maskulinum statt des grammatisch erforderten Neutrums indiziert τ ὸ ν ἀνδριάντα τ ο ῦ β α σ ι λ έ ω ς [to.n andria.nta tou. basile.o¯ s] 27 . Mit gutem Grund wird also der Leser eben hier zu besonderer Aufmerksamkeit aufgefordert: ὁ ἀναγιγνώσκων νοείτο [ho anagign¯o.sk¯on noei.to]: was einem römischen Zensor oder Spion als sinnloses Fanatiker-Gefasel erscheinen mußte (»das Scheusal der Wüstung, der steht wo er nicht soll«), eben darin erkennt der Gläubige das Signal für die Wiederkehr seines Heilands.“28 Zuntz ist daher der Ansicht, daß diese Formulierung unbedingt zur Zeit des Kaisers Caligula niedergeschrieben worden sein müsse. Später – nach Januar  – hatte dieser Vers keinerlei Aktualität mehr. Dies zeigen auch die synoptischen Parallelen. Was Markus „verschleiert und durch einen Geheimcode andeutet, wird [bei Matthäus bzw. bei Lukas] entweder derb beim Namen genannt oder gestrichen. Mt , liefert die eindeutige Quellenangabe für ›das Greuel der Wüstenei‹ (»wie statuiert durch den Propheten Daniel«) und eindeutige Ortsangabe statt verhüllender Andeu25 Günther Zuntz, a.a.O., S. f. Die Alternative dazu sieht Zuntz zufolge so aus: „Wer nun das Mk-Evangelium als ein zufälliges Sammelsurium verschiedenster Überlieferungen ansieht, für den involviert diese Deutung keine erheblichen Konsequenzen. Ihm gilt das . Kapitel – die fälschlich sogenannte »Kleine oder Synoptische Apokalypse« – als ein loses Blatt, vielleicht ein Flugblatt aus dem Jahre , welches irgendwie, viel später, in diesen Sammelkasten, genannt »Evangelium«, hineingeraten ist.“ 26 Günther Zuntz, a.a.O., S. . 27 In der von mir hinzugefügten Transkription des griechischen Einsprengsels ahme ich die Zuntzschen Sperrungen nicht nach. 28 Günther Zuntz, ebd.



Kapitel VIII: Die Anfänge der Jesusüberlieferung

tung (»am heiligen Ort«, d.h. ›Tempel‹ statt »wo er nicht soll«). Den Appell an den Leser läßt Matthäus stehn; aber welcher verborgene Hintersinn bleibt ihm jetzt noch zu ergründen? Lukas andrerseits läßt eben alles Spezifische fort und ersetzt es durch die Erfahrungen des Jahres .“29 So kommt Zuntz zu dem Ergebnis: „Der Vergleich mit den Synoptikern, scheint mir, verdeutlicht und verstärkt den Eindruck realistischer Zeitbezogenheit in Mk ,; Bezogenheit auf das Jahr .“30

*** Exkurs: Die These von Tomasz Jasi´nski Unabhängig von Zuntz ist der polnische Mediävist Tomasz Jasi´nski zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gekommen: Auch er will das Markusevangelium mit Hinweis auf die von Zuntz genannte Stelle , auf das Jahr  datieren.31 Im Unterschied zu Zuntz beschränkt er sich jedoch nicht auf die Argumentation mit ,, sondern bettet seine Hypothese in eine originelle Rekonstruktion der frühchristlichen Geschichte v.a. der dreißiger Jahre ein. Daher will ich seine These an dieser Stelle kurz referieren. Der Ausgangspunkt der Überlegungen Jasi´nskis ist der Weg des Petrus nach der Kreuzigung. Petrus habe Jerusalem zusammen mit den Zebedaiden Johannes und Jakobus verlassen und sei in seine Heimat Galiläa zurückgekehrt. Dort wurde ihnen eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil (vgl. Mk , und ,), woraufhin Petrus und seine Genossen dort ihre Mission ausübten.32 Dies war aber nach Jasi´nski nicht eine vorübergehende Phase von einigen Wochen oder Monaten – wie auch sonst in der Forschung angenommen wird –, sondern diese Phase dauerte bis Ende der dreißiger Jahre, genauer bis ins Jahr /. Wir haben gesehen, daß der Kaiser Caligula im Jahr  den Herodes Antipas absetzte und nach Lugdunum verbannte.33 Galiläa ging in die Herrschaft des Agrippa I. über, der sogleich Maßnahmen gegen die christliche Mission dort einleitete: Er beachtete „demonstrativ das jüdische Gesetz . . . , um die gesellschaftlichen Eliten des jüdischen Volkes für sich zu gewinnen. Im Rahmen dieser Politik setzte sich Agrippa I. mit der Wanderpredigt in Galiläa auseinander. Jakobus, der möglicherweise an der Spitze dieser Bewegung stand (Mk ,–), wurde vermutlich noch in Galiläa enthauptet, während sich Petrus und Johannes durch Flucht nach Jerusalem retten konnten. Diese Stadt lag außerhalb des Machtbereiches von Agrippa, denn das ganze Gebiet von Judäa und Samaria stand seit  n.Chr. unter der direkten Herrschaft der römischen Prokuratoren.“34 Die Übersiedlung des Petrus und des verbliebenen Zebedaiden Johannes nach Jerusalem ist demnach in das Jahr / zu datieren, d.h. vor der Reise des Agrippa I. nach Rom im Herbst des Jahres .35 Im Jahr  wurde Agrippa I. „von Kaiser Claudius auch die Macht über Judäa 29 Günther Zuntz, a.a.O., S. f. 30 Günther Zuntz, ebd. 31 Tomasz Jasi´nski: Βδέλυγµα τῆς ἐρηµώσεως. Über die Anfänge des Neuen Testaments, Instytut Historii UAM Wykłady III, Pozna´n . Herr Kollege Jasi´nski war so freundlich, mir seine Schrift über das Markusevangelium zuzusenden; dafür danke ich ihm auch an dieser Stelle. 32 Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. –. 33 Vgl. dazu oben in Paragraph  die Seite  mit Anm.  sowie in demselben Paragraphen die Seite . 34 Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. –. 35 Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. .

§  Das Markusevangelium



und Samaria übertragen. Von diesem Moment an mußte Petrus mit dem Schlimmsten rechen; schließlich in den Tagen der Ungesäuerten Brote im Jahre  wurde er gefangengenommen. Nach seiner Befreiung verließ er Jerusalem. Hier bricht die Jerusalemer Quelle ab.“36 Die Wirksamkeit des Petrus in Jerusalem im Zeitraum von / bis  ist Thema der Jerusalemer Quelle, die dem Lukas als Vorlage für den ersten Teil der Apostelgeschichte (nach der Abgrenzung Jasi´nskis ist das Apg –) diente. Dies paßt sehr gut zu der zeitlichen Einordnung, da die Wirksamkeit des Petrus nach dieser Quelle strikt in den Grenzen des römischen Statthalters verläuft, finden wir ihn doch in Jerusalem selbst, in Judäa und Samarien und schließlich in den Küstenstädten – alles Gebiete, die dem römischen Präfekten unterstanden, bis auch dieses Gebiet dem Reich des Agrippa I. zugeschlagen wurde. Wie die genannte Jerusalemer Quelle ist nun auch das Markus-Evangelium in der Umgebung des Petrus entstanden.37 „Dieses Evangelium ist eigentlich das Petrusevangelium.“38 Petrus steht an vielen Stellen im Mittelpunkt (Jasi´nski nennt S. –: ,–; ,–; ,–; ,; ,; ,; ,b; ,–; ,; ,; ,). Was die Zeit seiner Entstehung angeht, so verweist Jasi´nski wie auch Zuntz auf ,. Wie dieser ist auch er der Meinung, daß wir damit auf das Jahr  verwiesen sind: „Der Rückgriff auf Daniels Prophezeiung spiegelte die Ängste der Juden im Jahr  wider. In diesem Jahr lagen vor den Grenzen von Palästina über ein Jahr lang zwei römische Legionen, die auf Befehl Caligulas seine Statue im Tempel von Jerusalem aufstellen sollten. Alles deutete daraufhin, daß weder die verzweifelten Proteste der Juden noch die Vernunft des Petronius, des Befehlshaber dieser Legionen, das Unglück vermeiden konnten. Caligula war unversöhnlich. Ist es da nicht verständlich, daß die Jünger des Herrn sich die Frage stellten, was wohl weiter geschehen werde?“39 Unser Vers verweist auf Daniel ,–. Er wurde „noch während der Krisenzeit / geschrieben, denn er [der Evangelist] wußte nicht wie die Ereignisse ausgingen. Sonst hätte er nicht geschrieben: Betet darum, daß dies alles nicht im Winter eintritt. Wie man weiß, war die Phase der Verhandlungen zwischen Petronius und den Juden in Tiberias im Spätherbst, also fast am Anfang des Winters, die schwierigste in dieser Krise. Hätte Markus die kleine Apokalypse nach dieser Krise geschrieben, also nach  oder , dann hätte er genau wie Lukas die Bemerkung über den Winter . . . streichen müssen, denn aus einer späteren Perspektive waren diese Sätze sinnlos.“40 Deshalb müsse man annehmen, daß das Evangelium gleich nach der Flucht des Petrus von Galiläa nach Jerusalem im Jahr / geschrieben worden sei. Wie soll man die These nun beurteilen? Die Annahme Jasi´nskis, wonach Petrus und die Zebedaiden nach der Kreuzigung Jesu Jerusalem verlassen haben, um nach Galiläa zu ziehen, erscheint mir durchaus wahrscheinlich. Auch daß ihnen dort eine Erscheinung des Auferstandenen zuteil wurde, ist aus der Überlieferung zu belegen: Sowohl Markus (, in Verbindung mit ,) als auch Matthäus (Mt ,– ist auf einem Berg in Galiläa lokalisiert) rechnen – im Gegensatz zu Lukas – mit Erscheinungen in Galiläa. Auch die dritte Annahme schließlich, wonach Petrus und die Zebedaiden im Anschluß an diese Erscheinungen zunächst in Galiläa missionierten, halte ich für erwägenswert.

36 37 38 39 40

Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. . Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. . Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. . Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. . Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. .



Kapitel VIII: Die Anfänge der Jesusüberlieferung

Schwierig wird es allerdings, wenn Jasi´nski diese Phase bis ins Jahr  ausdehnt. Ihm zufolge hat Agrippa I. ja zuerst in Galiläa Maßnahmen gegen die neue Bewegung ergriffen und den Jakobus hingerichtet (vgl. Apg ,–, wo allerdings von Galiläa gar keine Rede ist!), woraufhin Petrus aus dem Hoheitsgebiet Agrippas I. nach Jerusalem geflohen sei, das damals im Jahr / noch den römischen Statthaltern unterstand, was dem Petrus Schutz vor Nachstellungen Agrippas I. gewährte. Dies ist deswegen eine problematische Hypothese, weil Jasi´nski gleichzeitig annimmt, die Informationen über Petrus in Apg – entstammten einer Jerusalemer Quelle, die Lukas für den ersten Teil seines Buches als Grundlage benutzte. Hier ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem von Jasi´nski rekonstruierten Wirken des Petrus in Galiläa in den dreißiger Jahren bis ins Jahr  und den Angaben der Jerusalemer Quelle, die den Petrus doch von Anfang an in Jerusalem wirksam sein läßt, angefangen bei der Himmelfahrt und der Nachwahl des Matthias in Kapitel  über die Predigt an Pfingsten in Kapitel , den Konflikten mit den jüdischen Behörden in Jerusalem in Kapitel  und  usw. Dieses Material führt Jasi´nski selbst in noch viel größerem Umfang an!41 Es ist jedoch schlechterdings unmöglich, all diese Ereignisse erst in den Zeitraum von /– zu datieren; zuvor aber war Petrus nach Jasi´nski doch ausschließlich in Galiläa tätig und nicht in Jerusalem. Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß die von Jasi´nski angenommene Wirksamkeit des Petrus in Galiläa bis ins Jahr  mit der Annahme einer Jerusalemer Quelle für Apg – unvereinbar ist.

*** Das widerlegt freilich noch nicht die Hypothese, wonach das Evangelium des Markus ins Jahr  zu datieren ist; in diesem Punkt stimmt Jasi´nski ja mit Zuntz überein. Daher behandle ich ihn hier abschließend für beide Autoren gemeinsam. Dies erscheint umso notwendiger, als in der ursprünglichen Fassung meines Textes hier mehrfach eine Inkonzinnität bemängelt worden ist, zuletzt in einer Diskussion im Internet, wo in einem Forum beklagt wurde, daß ich zwar in meinem Text die These von Zuntz darstelle, sodann aber mit einer Entstehungszeit des Evangeliums um  rechne, ohne die Gründe zu nennen, die gegen die These von Zuntz sprechen. Diesem Mangel möchte ich daher in der hier vorliegenden Fassung abhelfen. Welches also sind die Gründe, die gegen eine Frühdatierung des Evangeliums sprechen, wie sie von Zuntz und Jasi´nski vorgeschlagen wird? Das Problem der Datierung aufgrund von , liegt darin, daß sie schon in diesem dreizehnten Kapitel in seiner vorliegenden Form nicht funktioniert. Wie Jasi´nski ausdrücklich einräumt, muß man spätere Hinzufügungen in diesem Kapitel annehmen, damit man mit der Argumentation durchkommt. Es ist unbestritten, daß wir in diesem Kapitel mehrere Schichten zu unterscheiden haben. Wenn das erwartete Ereignis nicht so eingetreten ist, wie man es erwartet hatte, muß man eine Modifikation anfügen. Klassisch ist dieses Verfahren bei Wellhausen charakterisiert: „Dergleichen Prolongationen des Wechsels sind charakteristisch für die Apokalyptik.“42 41 Tomasz Jasi´nski, a.a.O., S. –. 42 Julius Wellhausen: Das Evangelium Marci, übersetzt und erklärt von J.W., Berlin  , wieder abgedruckt in: ders.: Evangelienkommentare. Mit einer Einleitung von Martin Hengel, Berlin/New York , S.  = S. .

§  Das Markusevangelium



In bezug auf die Datierung bedeutet das: Nicht das ganze Kapitel  – geschweige denn das ganze Markus-Evangelium – kann man sinnvollerweise mit Hilfe des Hinweises in , datieren, sondern lediglich eine postulierte Vorstufe des heute vorliegenden Kapitels. Da liegt es nach meinem Urteil näher, den umgekehrten Weg zu wählen: Markus hat hier einen Text aufgegriffen und bearbeitet, der möglicherweise in der Krise des Jahres  entstanden ist. So sagt beispielsweise Lohmeyer in bezug auf ,: „Der erste Spruch ist ein apokalyptisches Geheimwort, nur den Wissenden verständlich: Wer liest, merke auf. Hat Mk es schon übernommen, so zeigt es, daß er einer literarischen Vorlage folgt; und dafür spricht, daß es den in  bezeichneten Rahmen einer Rede Jesu auf dem Ölberg sprengt. Was er hier bringt, ist also eine Art apokalyptischen Flugblattes, von dem man freilich nicht weiß, wie weit es reicht.“43 Aufgrund von , kann man möglicherweise die Entstehungszeit der markinischen Vorlage, nicht aber die des ganzen Evangeliums datieren. Aus den genannten Gründen scheint es mir näher zu liegen, bei der herkömmlichen Datierung „um “ zu bleiben.

*** Wir kommen daher zu dem folgenden Ergebnis: • Über die Identität des Verfassers des Markusevangeliums wissen wir nichts. • Die Abfassungszeit ist mit »um « anzugeben. • Über den Abfassungsort sind nur Spekulationen möglich.

. Literatur Einführungen zum Markusevangelium44 Adela Yarbro Collins: Markusevangelium, RGG  (), Sp. –. Peter Pilhofer: Markusevangelium, http://www.neutestamentliches-repetitorium.de.

Kommentare in chronologischer Folge Julius Wellhausen: Das Evangelium Marci, übersetzt und erklärt von J.W., Berlin  , wieder abgedruckt in: ders.: Evangelienkommentare. Mit einer Einleitung von Martin Hengel, Berlin/New York . Ernst Lohmeyer: Das Evangelium des Markus, KEK I , Göttingen . C.F.D. Moule: The Gospel according to Mark, CNEB o. Nr., Cambridge u.a.  (korrigierter Nachdr. ). 43 Ernst Lohmeyer: Das Evangelium des Markus, KEK I , Göttingen , S. . 44 Besonders zu beachten ist der Artikel Markusevangelium, TRE  (), S. , Z. .



Kapitel VIII: Die Anfänge der Jesusüberlieferung

Eduard Schweizer: Das Evangelium nach Markus, NTD , Göttingen  . Joachim Gnilka: Das Evangelium nach Markus. . Teilband: Mk –,, EKK II/, Zürich/ Einsiedeln/Köln/Neukirchen-Vluyn . Joachim Gnilka: Das Evangelium nach Markus. . Teilband: Mk ,–,, EKK II/, Zürich/ Einsiedeln/Köln/Neukirchen-Vluyn . Walter Schmithals: Das Evangelium nach Markus. Kapitel –,, ÖTK /, Gütersloh und Würzburg . Walter Schmithals: Das Evangelium nach Markus. Kapitel ,–, ÖTK /, Gütersloh und Würzburg . Dieter Lührmann: Das Markusevangelium, HNT , Tübingen . Bas van Iersel: Markus: Kommentar, Übersetzung aus dem Niederländischen von Alfred Suhl, Düsseldorf . Craig A. Evans: Mark :–:, WBC B, Nashville . Adela Yarbro Collins: Mark. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis .45 Joel Marcus: Mark –. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB , New York/London u.a. . Joel Marcus: Mark –. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB A, New York/London u.a. .

Sonstige Literatur Rudolf Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT , Göttingen  . Hubert Cancik [Hg.]: Markus-Philologie. Historische, literargeschichtliche und stilistische Untersuchungen zum zweiten Evangelium, WUNT , Tübingen . Hubert Cancik: Die Gattung Evangelium. Das Evangelium des Markus im Rahmen der antiken Historiographie, in: Hubert Cancik [Hg.]: Markus-Philologie, S. –. Martin Dibelius: Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen  . David S. du Toit: Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen, WMANT , Neukirchen-Vluyn . Hans Jürgen Ebeling: Das Messiasgeheimnis und die Botschaft des Marcus-Evangelisten, BZNW , Berlin . Claudio Ettl: Der „Anfang der . . . Evangelien“. Die Kalenderinschrift von Priene und ihre Relevanz für die Geschichte des Begriffs εὐαγγέλιον. Mit einer Anmerkung zur Frage nach der Gattung der Logienquelle, in: Wenn drei das gleiche sagen – Studien zu den ersten drei Evangelien. Mit einer Werkstattübersetzung des Q-Textes, Münster , S. –. Martin Hengel: Die Evangelienüberschriften, SHAW.PH , . Tomasz Jasi´nski: Βδέλυγµα τῆς ἐρηµώσεως. Über die Anfänge des Neuen Testaments, Instytut Historii UAM Wykłady III, Pozna´n . Karl Kertelge: Die Wunder Jesu im Markusevangelium. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, München . 45 Die erste Hälfte dieses Markuskommentars über Mk ,–, wurde von Robert A. Guelich bearbeitet und ist  erschienen.

§  Das Markusevangelium



Dietrich-Alex Koch: Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums, BZNW , Berlin/New York . Dietrich-Alex Koch: Inhaltliche Gliederung und geographischer Aufriß im Markusevangelium, NTS  (), S. –. Willi Marxsen: Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, FRLANT , Göttingen  . Angelika Reichert: Zwischen Exegese und Didaktik. Die markinische Erzählung von der Sturmstillung (Mk ,–), ZThK  (), S. –. Karl Ludwig Schmidt: Der Rahmen der Geschichte Jesu. Literarkritische Untersuchungen zur ältesten Jesusüberlieferung, Berlin  (Nachdr. Darmstadt ). Alfred Suhl: Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium, Gütersloh . William Wrede: Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen  .

Kapitel IX: Das Werk des Lukas Im letzten Kapitel haben wir uns einleitend mit dem Übergang von der apostolischen zur nachapostolischen Zeit befaßt.1 Wir haben gesehen, daß sich in den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts das Bedürfnis fühlbar machte, schriftliche Aufzeichnungen über Jesus zu besitzen. Die ersten beiden Versuche dieser Art, die Spruchquelle Q und das Evangelium des Markus, haben wir bereits kennengelernt. Der Mann, dem dieses neunte Kapitel gewidmet ist, war mit diesen beiden Versuchen ganz und gar nicht einverstanden. Daher hat er sich an die Arbeit gemacht und selbst zur Feder gegriffen – mit dem Ziel, die seines Erachtens mangelhaften Versuche der Spruchquelle und des Markus zu überbieten und dadurch überflüssig zu machen. Zusätzlich zu seinem Evangelium hat er auch noch ein zweites Buch verfaßt, die Apostelgeschichte, die ohne Vorbild war und ein novum in der christlichen Literatur darstellt. Dieses Werk des Lukas ist unser Thema in diesem Kapitel. Wir werden es in den Paragraphen  und  im einzelnen studieren. Zuvor aber müssen wir uns mit zwei neuen Figuren auf dem Kaiserthron vertraut machen, dem Titus (Paragraph ) und seinem Bruder Domitian (Paragraph ).

§  Titus ( n.Chr. –  n.Chr.) Titus2 ist aus jüdischer wie christlicher Sicht schon deswegen von herausragender Bedeutung, weil sein Name mit der Zerstörung Jerusalems im Jahr  n.Chr. verbunden ist. Dieses Jahr ist für die jüdische Geschichte von epochaler Bedeutung, weil das Erliegen des Tempelkults eine völlige Neuorientierung nach sich zieht.3 Diese »Leistung« des Titus ist für uns daher wesentlich wichtiger als alles, was er während seiner kurzen Regierung getan hat. 1 Vgl. oben S. –. 2 Ausführlichere Informationen bietet Werner Eck: Art. Imperator Caesar T.[itus] Vespasianus Augustus, DNP / (), Sp. –. Eine Biographie des Titus: Brian W. Jones: The Emperor Titus, ; vgl. auch ders.: Titus in Judaea, A.D. , Latomus  (), S. –. Epigraphische und numismatische Quellen zu Titus bieten M. McCrum & A.G. Woodhead: Select Documents of the Principates of the Flavian Emperors including the Year of Revolution, Cambridge . Der Abschnitt über Titus ist meinem Erlanger Repetitorium aus dem Sommersemester  entnommen (vgl. www.neutestamentliches-repetitorium.de). 3 Vgl. dazu im einzelnen den von mir gemeinsam mit Beate Ego und Armin Lange herausgegebenen Band: Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT , Tübingen .



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

Abbildung IX.: Münzbild des Kaisers Titus. (Die Aufschrift lautet: T(itus) Caes(ar) Vesp(asianus), imp(erator), pon(tifex), tr(ibunicia) pot(estate), co(n)s(ul) II, cens(or). Der Sesterz wurde im Jahr  in Rom geprägt.)

Die entscheidende Wende im Leben des Titus beginnt im Jahr , in dem sein Vater Vespasian von Nero zur Niederschlagung des jüdischen Aufstands nach Palästina geschickt wird. Titus begleitet seinen Vater dorthin und tritt dann in seine Fußstapfen, als Vespasian im Jahr  Kaiser wird. Sein „Kommando über die legio XV Apollinaris ist wegen seines nur quaestorischen Ranges [Titus war im Jahr  Quaestor gewesen] und zudem unter dem Befehl seines Vater[s] überraschend – vielleicht war dies nur ein informeller Auftrag seines Vaters. Von seinen mil.[itärischen] Erfolgen berichtet Iosephus (Ios. bell. Iud. B.  und ), der als Kriegsgefangener in T.’ Hände fiel. Die Reise zu Galba . . . , dem er die Loyalitätserklärung der in Iudaea kämpfenden Truppen überbringen sollte, brach er ab, als er von dessen Ermordung erfuhr; er kehrte zurück . . . “4 Am . Juli  wird sein Vater Vespasian zum Imperator proklamiert; Titus erhält den Namen Titus Caesar Vespasianus; nach seiner eigenen Akklamation zum Imperator heißt Titus dann Imperator Titus Caesar Vespasianus. Titus erhält selbst den Oberbefehl über die Tuppen in Iudaea5 und erobert im September  Jerusalem, 4 Werner Eck, a.a.O., Sp. . Die legio XV Apollinaris war vor ihrem Einsatz in Palästina in Carnuntum stationiert, wurde  in den Osten verlegt und kehrte  nach Carnuntum zurück. 5 Vgl. Tacitus: Hist V ,: Caesar Titus, perdomandae Iudaeae delectus a patre et privatis utriusque rebus militia clarus, maiore tum vi famaque agebat . . .

§  Titus ( n.Chr. –  n.Chr.)



Abbildung IX.: Der Titusbogen in Rom

„wobei er angeblich die Zerstörung des Tempels . . . zu verhindern suchte (Ios. bell. Iud. ,), was histor.[isch] ganz unwahrscheinlich ist.“6 Bereits im Juni  wurde der Triumph über die Juden in Rom gefeiert. Münzen zeigen das Motiv Iudaea capta.7 Das Kolosseum „wurde wohl aus der jüd.[ischen] Beute als Siegesmonument erbaut (CIL VI a mit Komm.[entar]).“8 Der sogenannte Titusbogen mit dem berühmten Relief stammt erst aus der Zeit des Domitian, wie die Inschrift zeigt.9 6 Werner Eck, ebd. Zum Jüdischen Krieg und speziell der Eroberung Jerusalems durch Titus vgl. die Ausführungen im Kapitel VIII auf den Seiten –. 7 Vgl. dazu die Quellensammlung zu den Flaviern von M. McCrum und A.G. Woodhead, die oben in Anm.  zitiert wurde; hier die Nr. . Abgebildet ist eine Jüdin „seated among arms at foot of palmtree, in attitdue of dejection“ (ebd.). Eine dieser Münzen ist abgebildet in Kapitel VIII auf Seite . 8 Werner Eck, ebd. 9 Die Inschrift auf dem Bogen lautet: Senatus populusque Romanus divo Tito divi Vespasiani f(ilio) Verspasiano Augusto.



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

Abbildung IX.: Der Triumph über Iudaea. Es handelt sich um das berühmte Relief des Titusbogens (vgl. die Abb. IX. auf S. ), das die älteste Darstellung des siebenarmigen Leuchters aus dem Tempel von Jerusalem bietet. Abgebildet ist die Szene, in der römische Soldaten die Menorah aus dem Tempel von Jerusalem bei dem Triumph der Flavier im Jahr  zur Schau stellen.

Trotz des überwältigenden Sieges in Iudaea erhielt Titus bemerkenswerter Weise nicht den Beinamen Iudaicus. „Für römische Eroberer war es ehrenvoll, Beinamen zu haben wie »Africanus« oder »Germanicus«, oder auch »Dacicus« oder sogar »Balearicus« oder »Adiabenicus«. Doch Titus wurde nie zum »Iudaicus«, und die Frage ist, weshalb. Worin unterschieden sich die Juden von den übrigen Barbaren?“10 Schuld daran war wohl eine Dame namens Berenike, die uns auch aus dem Neuen Testament bekannt ist (vgl. den Prozeß des Paulus, Apg ,. und ,). Diese Dame war eine Tochter des jüdischen Königs Agrippa I. und Schwester des aus demselben Prozeß uns bekannten Agrippa II. Mit ihr war Titus liiert. Dieses Verhältnis hat dem Titus „enorme öffentliche Kritik eingetragen“, und so sah er sich gezwun(Übersetzung: Der Senat und das römische Volk dem Gott Titus Vespasianus Augustus, dem Sohn des Gottes Vespasian.) Was die Datierung der Inschrift und damit auch des Monuments selbst angeht, so ist das divo Tito in Zeile  zu beachten, das den Tod des Vergöttlichten voraussetzt; der Bogen wurde daher erst nach dem Tod des Titus, vermutlich von seinem Bruder und Nachfolger Domitian, errichtet. 10 Zvi Yavetz: Judenfeindschaft in der Antike. Mit einer Einleitung von Christian Meier, Beck’sche [sic] Reihe , München , S. .

§  Titus ( n.Chr. –  n.Chr.)



gen, „sie »invito, invitam« (gegen seinen und gegen ihren Willen) zu verlassen, um dem Titel »Iudaicus« zu entgehen; denn dies hätte als Annahme jüdischer Bräuche und Religion aufgefaßt werden können.“11 Mit der Nachfolge seines Vaters im Sommer  erhielt Titus den Namen Titus Caesar Vespasianus Augustus. „Einen eigenwilligen Aspekt der Göttlichkeit des Kaisers spricht Martial in einem Gedicht an. Ein Elephant adoriert Titus; er gehorcht zwar seinem Dompteur nicht, aber dem Kaiser, weil das Tier den Gott spürt. Vielleicht lag dem Gedicht Martials die reale »Proskynese« eines Elephanten im Circus zugrunde. Die Anerkennung der Göttlichkeit durch die gleichsam unverdorbene Natur war eines von vielen Themen der Dichtung, welche die Göttlichkeit des Herrschers behandelte . . . “12

Einige Jahreszahlen Tod des Caius Iulius Caesar

 v.Chr.

Regierungszeit des Kaisers Augustus

 v.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Kaisers Tiberius

 n.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Caius/Caligula

 n.Chr. –  n.Chr.

Geburt des Titus

 n.Chr.

Regierungszeit des Claudius

 n.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Nero

 n.Chr. –  n.Chr.

Vierkaiserjahr

/ n.Chr.

Regierungszeit des Vespasian

 n.Chr. –  n.Chr.

Zerstörung Jerusalems durch Titus

 n.Chr.

Triumph über Iudaea

 n.Chr.

Eroberung von Masada

 n.Chr.

Regierungszeit des Titus

 n.Chr. –  n.Chr.

11 Zvi Yavetz, a.a.O., S. . Das lateinische invito, invitam findet sich bei Sueton: Titus ,. Berenike kommt außerhalb der Apostelgeschichte noch in folgenden Quellen vor: Sueton: Titus ; Tacitus: Hist II ,; Juvenal: Sat VI –; daneben natürlich häufig bei Josephus. Interesse verdient schließlich noch die Inschrift OGIS , in der Berenike als Königin bezeichnet wird: ᾽Ιουλίαν Βερε νείκην βασίλισσαν µεγάλην.

Zu Berenike ist heranzuziehen die Studie von Eva Ebel: Lydia und Berenike. Zwei selbständige Frauen bei Lukas, Biblische Gestalten , Leipzig . 12 Manfred Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, Stuttgart  (Nachdr. der Erstauflage Leipzig ), S. . Der Text des Martial: De spec , (nostrum sentit et ille deum).



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

Abbildung IX.: Münzbild des Kaisers Domitian. (Die Aufschrift lautet: Domitianus Augustus. Der Aureus wurde im Jahr / in Rom geprägt.)

§  Domitian ( n.Chr. –  n.Chr.) Domitian1 war der um  Jahre jüngere Bruder des Titus und damit der dritte Kaiser der flavischen Dynastie. „Nichts ist für den Absolutismus des D.[omitian] so bezeichnend, wie der von ihm geforderte Kaiserkult. Wohl hatten schon Caligula u.[nd] Nero die Möglichkeiten, die dafür im Prinzipat u.[nd] in der religiösen Lage der beginnenden Kaiserzeit gegeben waren, mehr als die anderen Herrscher verwirklicht; keiner aber hat die kultische Verehrung mit einer zwei Jahrhunderte vorwegnehmenden Kühnheit so gefordert wie D.[omitian] . . . “2 1 Umfassendere Informationen finden sich bei Karl Gross: Art. Domitianus, RAC  (), Sp. – ; Werner Eck: Art. Domitianus, DNP  (), Sp. –. Eine Biographie: Brian W. Jones: The Emperor Domitian, London . Sammlung numismatischer und epigraphischer Quellen: Select Documents of the Principates of the Flavian Emperors including the year of the revolution A.D. –, collected by M. McCrum and A.G. Woodhead, Cambridge . Speziellere Literatur: Alain Martin: La titutlature épigraphique de Domitien, BKP , Frankfurt am Main . Peter Pilhofer: Vom Sinn der neutestamentlichen Wissenschaft, in: Bekenntnis und Erinnerung. Festschrift zum . Geburtstag von Hans-Friedrich Weiß, hg. v. Klaus-Michael Bull und Eckart Reinmuth, Rostocker Theologische Studien , Münster , S. –; hier S. – zur Bedeutung des Domitian für die Auslegung von Joh ,. Die Ausführungen zu Domitian sind aus meinen Texten zum Repetitorium aus dem Sommersemester  herübergenommen (vgl. www.neutestamentliches-repetitorium.de). 2 Karl Gross, a.a.O., Sp. –.

§  Domitian ( n.Chr. –  n.Chr.)



„Die göttliche Kraft (numen) vermochte auch dann zu wirken, wenn die Gottheit selbst nicht »persönlich« anwesend war, da man sich Gottheiten ja omnipräsent vorstellte.“3 Clauss führt in diesem Zusammenhang zunächst ein Beispiel aus den Kindheitsevangelien an: „Als Spielkameraden den kleinen Jesus beim gemeinsamen Spiel ärgern, tötet er sie, indem er seine Hand gegen sie ausstreckt und damit seine Macht wirken läßt; die Eltern der Toten, die sich über ihn beklagen, läßt er, ohne mit ihnen in Berührung zu kommen, erblinden.“4 „Domitian, als Kaiser und Gottheit, konnte seine Fischbestände in Baiae daher auch schützen, wenn er in Rom weilte. Einst wagte ein »gottloser Libyer« in den kaiserlichen Weihern zu fischen. Als er die Beute hochzog, erblindete er und konnte den Fisch nicht mehr sehen. Heute sitzt der Blinde in Baiae und bettelt, schreibt Martial. Domitian ist Gottheit, seine Fische sind heilig, der Diebstahl folglich ein Sakrileg.“5 „Der Frevel des Menschen wird umso größer, vergleicht man sein Tun mit demjenigen der Fische. Diese »kennen ihren Herrn und liebkosen ihm die Hand«, und zwar »jene, welche die größte in der Welt ist«. Domitians Fische verehren die göttli3 Manfred Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, Stuttgart  (Nachdr. der Erstauflage Leipzig ), S. . 4 Manfred Clauss, a.a.O., S. ; die Geschichte von Jesus stammt aus der sogenannten Kindheitserzählung des Thomas, – (vgl. Hennecke/Schneemelcher I –). 5 Ebd. Der Text steht bei Martial: Epigrammata IV :







Baiano procul a lacu, monemus, Piscator, fuge, ne nocens recedas. Sacris piscibus hae natantur undae, Qui norunt dominum manumque lambunt Illam, qua nihil est in orbe maius. Quid, quod nomen habent et ad magistri Vocem quisque sui venit citatus? Hoc quondam Libys impius profundo, Dum praedam calamo tremente ducit, Raptis luminibus repente caecus Captum non potuit videre piscem, Et nunc sacrilegos perosus hamos Baianos sedet ad lacus rogator. At tu, dum potes, innocens recede Iactis simplicibus cibis in undas, Et pisces venerare delicatos.

Eine Prosaübersetzung bietet die Martial-Ausgabe der LCL: „From Baiae’s lake, fisherman, I warn thee, fly afar, lest with guilt thou depart! These waters swim with hallowed fish, that know their lord, and fondle that hand greater than anything on earth. Aye, do they not bear his name, and at its master’s voice does not each when summoned come? While aforetime an impious Libyan was drawing up out of this deep his prey with tremulous line, his eyes were snatched from him, and in sudden blindness he could not see the taken fish, and now, loathing his sacrilegious hooks, he sits by Baiae’s lake a beggar. But do thou, while thou canst, depart yet innocent when thou hast cast into the water guileless bait, and revere these dainty fish“ (Walter C.A. Ker: Martial: Epigrams. In two Volumes, LCL  & , Cambridge/London  und , Nachdr.  und ; hier I  die zitierte Übersetzung).



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

Abbildung IX.: Die Ruinen des Domitian-Tempels in Ephesos

che Hand ihres Herrn. Welch ein Kontrast zur Tat des Menschen! Wir dürfen uns gewiß ausmalen, wie kaiserliche Fischteiche oder Jagdgründe, Domänen und anderes auf diese Weise als Besitzungen einer Gottheit für viele einfache Leute mit einem heiligen Bann belegt wirkten.“6 Die größte Hand der Welt ist in Ephesos bei den Ausgrabungen zutage gefördert worden.7 Diese Ausgrabungen fanden im und unter dem unten abgebildeten Tempel des Domitian statt. In den Gewölben unter dem Tempel gelang Josef Keil vom Österreichischen Archäologischen Institut im Jahr  ein sensationeller Fund, der für unseren Zusammenhang von größtem Interesse ist: Reste einer Statue, weit überlebensgroß,  bis  Meter hoch in ihrer ursprünglichen Form. Erhalten sind der Kopf und der linke Unterarm von staunenswerter Größe. Dieser Tempel und seine Kultstatue illustrieren auf ihre Weise die Geschichte aus Martial. In bezug auf das Neue Testament ist der Kaiserkult in Ephesos wichtig für die Interpretation des Bekenntnisses des Thomas in Joh ,. Man sagt nicht zuviel, wenn man zusammenfassend feststellt, daß der Kaiserkult zur Zeit des Domitian einen Höhepunkt erreichte. Von den Hofdichtern wird Do6 Manfred Clauss, a.a.O., S. . Abbildungen dieser größten Hand der Welt finden sich in meinem in Anm.  zitierten Aufsatz auf S.  (Abb.  und ). 7 Ich übernehme im folgenden Passagen aus meinem in Anm.  zitierten Aufsatz, ohne dies im einzelnen zu kennzeichnen.

§  Domitian ( n.Chr. –  n.Chr.)



mitian mit Iuppiter verglichen, Martial zufolge übertrifft er Iuppiter sogar. Als „erster römischer Kaiser“ wird Domitian „mit dem Blitzbündel Iupiters in der Hand“ auf Münzen dargestellt; dieser Kaiser beherrscht die Welt wie Iuppiter selbst.8 Statius bezeichnet ihn als „Führer der Menschen und Vater der Götter“9 ; an anderer Stelle sagt derselbe Dichter: „Hell glänzt der Morgenstern, doch heller glänzt der Caesar“10 . Kein Kaiser vor ihm hatte die Anrede mit dominus et deus gefordert und durchgesetzt. Berücksichtigt man dazu nun die ganz besondere Beziehung der Stadt Ephesos und ihrer Menschen zu Domitian, so kann man sich nicht vorstellen, daß die Christinnen und Christen in Ephesos bei der Lektüre des Thomasbekenntnisses „Mein Herr und mein Gott“ nicht sogleich eine Assoziation zum Gott-Kaiser Domitian hergestellt hätten. Ist diese Interpretation zutreffend – und vieles spricht dafür –, dann erging es den johanneischen Christinnen und Christen mit dem Bekenntnis des Thomas „Mein Herr und mein Gott“ in Joh , völlig anders als uns heutigen Leserinnen und Lesern des Johannesevangeliums. Was uns als ein überaus steiles, vielleicht sogar allzu steiles christologisches Bekenntnis erscheint, war der johanneischen Gemeinde fast eine Selbstverständlichkeit. Die Menschen waren in ihrem täglichen Leben mit solchen »Bekenntnissen« vertraut, war doch der Kaisertempel für Ephesos ganz besonders wichtig und in den Tagen des Domitian der Kaiserkult so ausgeprägt wie nie zuvor. Diese Selbstverständlichkeit war für sie allerdings nicht banal, weil sie sie als eine Kampfansage an den regierenden Kaiser verstehen konnten, vielleicht sogar verstehen mußten. Dadurch erhielt dieses Bekenntnis am Schluß des Johannesevangeliums für sie eine politische Brisanz, die heutigen Leserinnen und Lesern ganz fern liegt.

*** Domitian ist für das Neue Testament darüber hinaus noch wichtig, weil eine angebliche Christenverfolgung zu seiner Regierungszeit als Argument bei der Datierung verschiedener neutestamentlicher Schriften als Argument herangezogen wird, so besonders im Zusammenhang mit der Apokalypse. Tertullian schreibt: temptaverat et Domitianus, portio Neronis de crudelitate; sed, qua et homo, facile coeptum repressit, restitutis etiam quos relegaveat.

Versucht hatte es auch Domitian seiner Grausamkeit nach ein halber Nero; aber da er doch noch ein Mensch war, unterdrückte er bald das Beginnen und setzte sogar wieder in seine Würde ein, wen er verbannt hatte.

8 Manfred Clauss, a.a.O., S. . 9 Statius: Silvae IV ,: dux hominum et parens deorum (Aldus Marastoni [Hg.]: P. Papini Stati Silvae, BiTeu, Leipzig  , S. ). 10 Statius: Silvae IV ,f.: cum grandibus astris | clarius ipse nitens et primo maior Eoo (a.a.O., S. ).



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

Auf diesem Zeugnis des Tertullian11 beruht im wesentlichen die These von der Christenverfolgung des Domitian; Tertullian führt hier – wie zuvor schon Meliton von Sardes – Nero und Domitian als die ersten beiden Christenverfolger an. Diese These läßt sich nicht halten, wie wir bei der Besprechung der Apokalypse im einzelnen sehen werden: Es fehlt so gut wie völlig an außerchristlichen Belegen für eine solche Verfolgung, daher ist sie in der neueren Forschung immer wieder mit guten Gründen in Frage gestellt worden.12

Einige Jahreszahlen Tod des Caius Iulius Caesar

 v.Chr.

Regierungszeit des Kaisers Augustus

 v.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Kaisers Tiberius

 n.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Caius/Caligula

 n.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Claudius

 n.Chr. –  n.Chr.

Geburt des Domitian Regierungszeit des Nero Brand Roms

 n.Chr.  n.Chr. –  n.Chr.  n.Chr.

Vierkaiserjahr

/ n.Chr.

Regierungszeit des Vespasian

 n.Chr. –  n.Chr.

Zerstörung Jerusalems durch Titus

 n.Chr.

Triumph über Iudaea

 n.Chr.

Eroberung von Masada

 n.Chr.

Regierungszeit des Titus

 n.Chr. –  n.Chr.

Regierungszeit des Domitian

 n.Chr. –  n.Chr.

11 Tertullian: Apologeticum ,. (Sowohl der oben gedruckte Text als auch die Übersetzung gebe ich nach der Ausgabe von Carl Becker: Tertullian: Apologeticum. Verteidigung des Christentums, Lateinisch und deutsch, München  , S. f.) 12 Einzelheiten dazu sowie weiterführende Sekundärliteratur findet man im Zusammenhang der Diskussion der Datierung der Apokalypse in § , S. –.

§  Das Evangelium des Lukas



§  Das Evangelium des Lukas Wir haben in der Einleitung zu diesem Kapitel schon gesehen, daß Lukas mit den Werken seiner Vorgänger nicht zufrieden war, sondern sie als unzureichende Versuche betrachtet hat. Seinen eigenen Entwurf hielt er für wesentlich besser als den seiner Vorgänger. Ein Hauptgrund für diese Selbsteinschätzung liegt darin, daß sein Ansatz ein wesentlich umfassenderer war als der seiner Vorgänger: Lukas hat nicht – wie manch ein moderner Autor – seinem ersten Bestseller einen zweiten hinterhergeschickt, sondern ein einheitliches Werk konzipiert, das von Luk , bis Apg , (von ἐπειδήπερ [epeid¯.eper] bis ἀκωλύτως [ak¯olyt¯os]) reicht. Im Neuen Testament sind die . beiden zusammengehörigen Bücher auseinandergerissen, nachdem das völlig andersartige Johannesevangelium dazwischen geschoben wurde. Diese bedauerliche Trennung hat sich nicht nur bis zum heutigen Tag gehalten – die Kluft wird durch die isolierte Auslegung jeweils eines der beiden Bücher in allen Kommentarreihen noch weiter vertieft.1 Im Unterschied zu allen andern neutestamentlichen Schriften (doch vgl. immerhin Apk ,–) hat das lukanische Doppelwerk ein Proömium in Luk ,– und eine Erinnerung an dieses Proömium zu Beginn der Apostelgeschichte. In diesem Proömium legt Lukas darüber Rechenschaft ab, wieso er überhaupt zur Feder gegriffen hat und was er mit seinem Werk bezweckt.2

. Das Proömium des Lukas in Luk ,– Das Proömium des Lukasevangliums ist auch außerhalb der Kommentare oft und breit (neuerdings sogar in einer Monographie) diskutiert worden.3 Der Text lautet: ἐπειδήπερ πολλοὶ ἐπεχείρησαν  Nachdem schon viele den Versuch unternommen haben, ἀνατάξασθαι διήγησιν eine Erzählung zusammenzustellen 1 Das gilt in ähnlicher Weise auch für die einschlägigen Lehrveranstaltungen: Man findet Vorlesungen beispielsweise zum Lukasevangelium oder zur Apostelgeschichte – daß in ein und derselben Vorlesung beide Bücher des Lukas behandelt werden, ist dagegen relativ selten. Ich habe in einer Greifswalder Vorlesung im Wintersemester / den Versuch gemacht, das lukanische Doppelwerk als Ganzes zu behandeln. Teile aus dieser Vorlesung sind in die folgenden Ausführungen eingeflossen. 2 Es handelt sich bei Luk ,– um das Proömium des gesamten Werkes des Lukas, wie schon Schleiermacher in seiner Einleitung hervorhebt (Friedrich Schleiermacher: Einleitung ins Neue Testament. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, mit einer Vorrede von Dr. Friedrich Lücke, herausgegeben von G. Wolde, Friedrich Schleiermacher’s sämmtliche Werke I , Berlin , S. ). 3 Neben den Kommentaren ist zur Interpretation des Proömiums des Evangeliums vor allem heranzuziehen: Eduard Meyer: Ursprung und Anfänge des Christentums. Bd. I: Die Evangelien, Stuttgart und Berlin , Kapitel I („Das Geschichtswerk des Lukas“) und hier insbesondere S. – („Die Vorrede“). Henry J. Cadbury: Commentary on the Preface of Luke = Appendix C in: The Beginnings of Christianity, Part I: The Acts of the Apostles, hg. v. F.J. Foakes Jackson und Kirsopp Lake, vol. II: Prolegomena II: Criticism, London , S. –.



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

περὶ τῶν πεπληροφορηµένων ἐν ἡµῖν πραγµάτων, καθὼς παρέδοσαν ἡµῖν οἱ ἀπ’ ἀρχῆς αὐτόπται καὶ ὑπηρέται γενόµενοι τοῦ λόγου, ἔδοξε κἀµοὶ παρηκολουθηκότι ἄνωθεν πᾶσιν ἀκριβῶς καθεξῆς σοι γράψαι, κράτιστε Θεόφιλε, ἵνα ἐπιγνῷς περὶ ὧν κατηχήθης λόγων τὴν ἀσφάλειαν.

über die Dinge, die sich in unsrer Mitte erfüllt haben,  wie uns überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen (waren) und Diener des Wortes geworden sind,  schien es auch mir angebracht – nachdem ich allem von Anfang an genau nachgegangen war –, es dir Stück für Stück aufzuschreiben, bester Theophilos,  damit du die Zuverlässigkeit der Lehren erkennst, in denen du unterrichtet bist.

Das Proömium des Lukasevangeliums besteht aus einem einzigen Satz, der von v.  bis v.  reicht. Dabei handelt es sich um den sprachlich besten Satz, der Lukas in den vielen Kapiteln seines Werkes überhaupt gelungen ist.4 Dieses Proömium unterscheidet das Werk schon rein äußerlich von den andern kanonischen Evangelien: „Der Prolog erweist, daß der Verfasser die übliche literarische Bildung der hellenistischrömischen Zeit besitzt und für sein Werk einen Platz in der Literatur beansprucht.“5 Wir gehen dem nun in aller Kürze nach. „Nachdem schon viele den Versuch unternommen haben, eine Erzählung zusammenzustellen über die Dinge, die sich in unsrer Mitte erfüllt haben . . . “ (v. ). Viele Vorgänger nennt Lukas, wir aber kennen nur zwei oder drei (das Markusevangeliusm; die Spruchquelle; das lukanische Sondergut, das allerdings seinerseits vielleicht wieder in mehrere Quellen zerfällt). Wer trotz vieler Vorgänger dasselbe noch einmal »versucht«, kann die Werke der Vorgänger nicht für perfekt halten. Das bedeutet: Schon gleich zu Anfang kündigt sich eine vorsichtige Kritik des Lukas an seinen Vorgängern an. Nach dem πολλοί (polloi.) folgt das Prädikat ἐπεχείρησαν (epechei.r¯esan), „sie haben den Versuch unternommen“. Was will Lukas damit sagen? Cadbury möchte die Brisanz herunterspielen, indem er behauptet, daß in der Verwendung dieses Wortes keinerlei negative Qualifikation mitschwingt: „The other writers are mentioned as precedents rather than as failures.“6 Daß Cadbury hier auf dem Holzweg ist, zeigt das Sprachgefühl keines geringeren als des Origenes, der z.St. schreibt, es handle sich um apokryphe Schriften: Günter Klein: Lukas ,– als theologisches Programm, in: Zeit und Geschichte. Dankesgabe an Rudolf Bultmann zum . Geburtstag, Tübingen , S. –. Loveday Alexander: The preface to Luke’s Gospel. Literary convention and social context in Luke .– and Acts ., MSSNTS , Cambridge . 4 Cadbury (s. die vorige Anmerkung), S. , diskutiert das καθώς aus v. , das nicht streng attisch sei: „But Luke, even in his best sentence, was not sensitive to this objection . . . “. 5 Eduard Meyer, a.(Anm. )a.O., S. . Vgl. auch Cadbury, a.a.O., S. : „It is the only place in the synoptic gospels where the consciousness of authorship is expressed . . . “ 6 Cadbury, a.a.O., S. .

§  Das Evangelium des Lukas Ματθαῖος γὰρ οὐκ »ἐπεχείρησεν«, ἀλλ’ ἔγραψεν ἀπὸ ἁγίου πνεύµατος, ὁµοίως καὶ Μᾶρκος καὶ ᾽Ιωάννης, παραπλησίως δὲ καὶ Λουκᾶς.7



Matthäus nämlich „hat nicht einen Versuch unternommen“, sondern geschrieben, was der Heilige Geist ihm eingab, in gleicher Weise auch Markus und Johannes und ähnlich auch Lukas.

Dagegen träfe die Formulierung des Lukas etwa auf das Ägypterevangelium und ähnliche Machwerke zu (Z. ff.). Ganz eindeutig versteht Origenes also das Prädikat ἐπεχείρησαν (epechei.r¯esan) in malam partem! Dem Origenes zum Trotz behauptet Theodor Zahn, sein – des Origenes – Verständnis lasse „sich aus dem Sprachgebrauch nicht rechtfertigen“ – er kann eben besser Griechisch als selbst Origenes!7 Was freilich den lukanischen Sprachgebrauch speziell angeht, so täuscht sich Zahn. Lukas verwendet dieses Verbum immer nur für gescheiterte Versuche, was nun doch ein starkes Argument für das Verständnis des Origenes ist. Ich führe die Stellen in aller Kürze vor. Es gibt im lukanischen Doppelwerk zwei weitere Vorkommen von ἐπιχειρεῖν (epicheirei.n): () Apg ,. Hier ist davon die Rede, daß die Hellenisten den Paulus umbringen wollen. Dieser Versuch scheitert jedoch. Also ist unser Verbum hier von einem Versuch gebraucht, der nicht zum Ziel führt. () Apg ,. Hier heißt es: „Es versuchten auch einige der herumziehenden jüdischen Exorzisten, über die, welche die bösen Geister hatten, den Namen des Herrn Jesus zu nennen, indem sie sprachen: »Ich beschwöre euch bei Jesus, den Paulus verkündigt.«“ Doch wie reagiert der auszutreibende Geist? Er sagt: „Den Jesus zwar kenne ich, und mit Paulus bin ich bekannt – aber was seid ihr denn für welche?“ Und so endet ihr Versuch in , mit einer tüchtigen Tracht Prügel und einem etwas ungeordneten Rückzug der Herren. Auch hier handelt es sich mithin um einen klar gescheiterten Versuch. Damit ergibt sich ohne weiteres: Sowohl in Apg , als auch in Apg , bezeichnet ἐπι χειρεῖν (epicheirei.n) einen fehlgeschlagenen Versuch. So kann Klein im Hinblick auf Luk , folgern, „daß [sich] für unsere Stelle die Möglichkeit eines negativen Einschlages . . . zumindest nahelegen dürfte.“8 „Lukas scheint also mit diesem Wort andeuten zu wollen, daß er die schriftstellerischen Versuche der πολλοί [polloi.] für unzureichend hält.“9

Wenn diese Auslegung zutrifft, hält Lukas die Versuche seiner Vorgänger also für unzureichend. Das wirft natürlich sogleich die Frage auf, was er denn besser machen will, inwiefern er über ihre Versuche hinauszukommen hofft. Auf diese Frage gibt Lukas in v.  eine Antwort: „. . . schien es auch mir angebracht – nachdem ich allem von Anfang an genau nachgegangen war –, es dir Stück für Stück aufzuschreiben, bester Theophilos“. Ich weise Sie zunächst darauf hin, daß dies die einzige Stelle in den kanonischen Evangelien ist, an der der Verfasser in der . Person Singular von sich 7 ῎Οριγένους εἰς τὸ κατὰ Λουκᾶν Εὐαγγέλιον, (Οµιλία Α´, ΕλλΠατ , Athen  [die Ausgabe folgt dem Text von M. Rauer: Die Homilien zu Lukas in der Übersetzung des Hieronymus und die griechischen Reste der Homilien und des Lukas-Kommentars, GCS, Origenes Werke , Leipzig ], S. , Z. –). 7 Theodor Zahn: Das Evangelium des Lucas. Erste Hälfte, Leipzig , S. . 8 Günter Klein, a.(Anm. )a.O., S. . 9 Günter Klein, a.a.O., S. f.

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Kapitel IX: Das Werk des Lukas

Abbildung IX.: Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung . . .

spricht (jedenfalls in der deutschen Übersetzung erscheint diese; im griechischen Text immerhin ἔδοξε κἀµοί [e.doxe kamoi.]). Nirgendwo sonst in den Evangelien spricht der Verfasser in dieser Weise über sich selbst. Manchen Textzeugen erschien dies so unglaublich oder doch ungewöhnlich, daß sie sich zu der Ergänzung et spiritui sancto veranlaßt sahen.10 Dieser Schriftsteller, der sich da zu Wort meldet, will sich von seinen Vorgängern unterscheiden, indem er sie schon rein stofflich übertrifft. Er ist »allem« genau nachgegangen und schreibt es auf. Wenn Sie das Lukasevangelium mit Markus vergleichen, sehen Sie, daß dies zutrifft: Über die von uns so genannte Vorgeschichte erfahren wir bei Markus nichts. Er erzählt weder die Vorgeschichte der Geburt Je10 Vgl. den Apparat zur Stelle (die Zeugen sind b q vgmss ) sowie Apg ,: ἔδοξεν γὰρ τῷ πνεύµατι τῷ ἁγίῳ καὶ ἡµῖν. Das wird der Selbsteinschätzung des Lukas jedoch nicht gerecht. Treffend wird diese in der oben abgebildeten Karikatur gekennzeichnet: Lukas versteht sich als Autor – dem der Lektor in der Karikatur freilich keine große Zukunft prophezeit. Es handelt sich dabei um eine Karikatur aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Nr.  vom . März . Auf S.  findet sich der Artikel „Die Schattenmänner. Keiner kennt ihre Namen, aber ohne sie entsteht kein gutes Buch: Lektorinnen und Lektoren sind die Helden der Leipziger Buchmesse“, dem diese Karikatur als »Aufmacher« dient. Das Exemplar der Zeitung wurde am . März  am Flughafen von ˙Izmir erstanden, bei strömendem Regen nach Aphrodisias transportiert und dort in dem unvergeßlichen Ambiente des Aphrodisias Hotel bei klirrender Kälte und in feuchter Atmosphäre von mir studiert. Trotz sintflutartiger Regenfälle über Wochen ist es mir gelungen, die Karikatur trocken bis nach Hause zu befördern.

§  Das Evangelium des Lukas



su, noch die Weihnachtsgeschichte, noch die vom Zwölfjährigen usw. Das bedeutet: Lukas führt schon am Anfang seines Evangeliums weit über Markus hinaus.11 Das „von Anfang an“ in unserm Vers erhält so ein besonderes Gewicht. In bezug auf den Anfang ist Lukas überzeugt, seine Vorgänger weit zu übertreffen. Man könnte nun diesen stofflichen Aspekt durch das ganze Evangelium hindurch verfolgen: Der Vergleich mit Markus erweist den Anspruch des Lukas auch im folgenden als berechtigt. Doch mag das auf sich beruhen. Denn das spektakulärste Plus, das den Lukas nicht nur von allen seinen Vorgängern, sondern auch von allen seinen Nachfolgern unterscheidet, ist ja sein zweites Buch, das in der christlichen Literatur ohne Parallele ist: Nie hat der Verfasser eines Evangeliums diesem ein zweites Buch hinterhergeschickt. Dies tat nur Lukas. Die Formulierung im Proömium hinsichtlich der Dinge, die sich unter uns erfüllt haben, bezieht sich dem entsprechend nicht nur auf das Leben Jesu, sondern auch auf die Zeit der Kirche, die im zweiten Buch geschildert wird.12 Verbleibt noch das κράτιστε Θεόφιλε (kra.tiste Theo.phile) zu erklären. Das lukanische Doppelwerk ist, „dem ständigen Brauch der hellenistischen Literatur entsprechend, einem befreundeten Gönner gewidmet.“13 Die antiken Ausleger haben häufig die Person des Theophilos in eine Fiktion auflösen wollen. Jeder Freund (φίλος [phi.los]) Gottes (θεοῦ [theou.]), also Gott-Freund (Θεόφιλος [Theo.philos]) sei hier durch den Verfasser angesprochen. Dies halte ich für eine verfehlte Interpretation.14 Vielmehr bin ich mit Eduard Meyer der Auffassung: „Der anderweitig nicht bekannte Adressat Theophilos ist ein Mann von angesehener sozialer Stellung, und erhält daher das ehrende Beiwort κράτιστος [kra.tistos].“15 Eduard Meyer weist in diesem Zusammenhang auf eine Parallele hin, die dem lukanischen Doppelwerk sowohl in 11 Vgl. dazu Günter Klein: „Schaltet Lukas seinem Evangelium den großen Komplex der Kindheitsgeschichten vor, so greift er damit auf Material zurück, das nach seiner eigenen Bestimmung des Apostolischen dem Augenzeugnis der Apostel gar nicht offenstand“ (a.a.O., S. ). Die lukanische »Definition« für »Apostel« findet sich in Apg ,–: Deren Augenzeugenschaft erstreckt sich zurück bis zur Taufe des Johannes; was davor liegt, ist für Lukas spezifisch. 12 Die Formulierung περὶ τῶν πεπληροφορηµένων πραγµάτων „geht keineswegs allein auf die Geschichte Christi, sondern auch auf den nach der Himmelfahrt im Kreise der Jünger Geschehene“, wie schon Schleiermacher hervorhebt (Friedrich Schleiermacher, a.[Anm. ]a.O., S. ). 13 Eduard Meyer, a.(Anm. )a.O., S. . 14 Vgl. schon Cadbury: „In view of the prevalence of the name Theophilus there seems little reason to accept the suggestion that Theophilus here is the typical lover of God. The custom of dedicating books to individuals, real persons more or less intimately known by the author, is also against this explanation. The early Christian Fathers, who were used to the wordplay on personal names from the Old Testament, with their own delight in allegory, found in this name an irresistable temptation to draw a moral instead of acknowledging their ignorance about the identity of Theophilus. But their example is not one for modern students to follow“ (Cadbury, a.[Anm. ]a.O., S. ). 15 Eduard Meyer, a.a.O., S. . „Diese Anrede ist bekanntlich bei der fortschreitenden Ausbildung der Beamtenhierarchie und des Titelwesens etwa seit Kaiser Marcus das officielle Attribut der ritterlichen Procuratoren geworden, als Übersetzung von vir egregius; in älterer Zeit, wo die Abstufung noch nicht durchgeführt war, wird es in weit umfassenderer Weise gebraucht, so auch für Senatoren« (ebd.).



Kapitel IX: Das Werk des Lukas

zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht nahesteht. Dabei handelt es sich um ein Werk des jüdischen Historikers Flavius Josephus, der ein Zeitgenosse des Lukas gewesen ist. Dieses Werk trägt den Titel Contra Apionem und ist einem Epaphroditos gewidmet, den Josephus in seinem Proömium zum ersten Buch (Contra Apionem besteht – auch dies eine Parallele zum lukanischen Werk – aus zwei Büchern) ebenfalls mit κράτιστε ἀνδρῶν ᾽Επαφρόδιτε (kra.tiste andr¯o.n Epaphro.dite) anredet; „zu Anfang des zweiten Buches sagt er vertraulicher τιµιώτατέ µοι ᾽Επαφρόδιτε [timi¯o.tate. moi Epaphro.dite], und am Schluß einfach σοὶ δέ, ᾽Επαφρόδιτε [soi. de., Epaphro.dite]. Ebenso hat Lukas zu Anfang des zweiten Buchs den Titel weggelassen und sich mit ὦ Θεόφιλε [¯o. Theo.phile] begnügt.“16 Die Absicht, die er mit seinem Werk verfolgt, bringt Lukas in dem vierten und letzten Vers des Proömiums zum Ausdruck: „. . . damit du die Zuverlässigkeit der Lehren erkennst, in denen du unterrichtet bist.“ Der entscheidende Punkt für die Interpretation dieses Verses liegt darin, daß Lukas nicht nur den πολλοί (polloi.) gegenüber kritisch ist, sondern er ist „ebenso kritisch gegen das vorauszusetzende Wissen seines Lesers, das noch der ἀσφάλεια [aspha.leia] entbehrt.“17 Wir kommen hier noch einmal auf den in v.  erwähnten Theophilos zurück, da in v.  über ihn gesagt wird, er sei „in den Lehren unterrichtet“ (κατηχήθης [kat¯ech¯.eth¯es]). Meist versteht man das in dem Sinne, daß Theophilos Christ sei.18 Theodor Zahn in seinem Lukaskommentar bestreitet dies jedoch. Die Anwendung des Titels κράτιστε (kra.tiste) in v.  erlaube vielmehr „mit Sicherheit“ den Schluß, „daß Theophilus zur Zeit noch kein Glied einer christlichen Gemeinde war. Es fehlt in der christlichen Literatur bis in den Anfang des . Jahrhunderts jedes Beispiel dafür, daß Christen untereinander einen auch nur irgend vergleichbaren Titel gebraucht hätten.“19 Diese Debatte ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern sie ist von Bedeutung für die gattungsgeschichtliche Einordnung des lukanischen Doppelwerkes. 16 Eduard Meyer, ebd. Die Belegstellen bei Josephus sind: Contra Apionem I ; II  und II . Günter Klein, der sonst so akribische, meint dieses Problem mit einigen schwammigen Bemerkungen (S. –) erledigen zu können. Diese gipfeln in dem Ergebnis: „Unter diesem Gesichtspunkt ist es gleichgültig, ob es sich bei Theophilus um eine historische Figur handelt oder nicht. Die auf Origenes zurückgehende symbolische Deutung scheint jeder historisierenden jedenfalls darin überlegen, daß sie die Dedikation aus kompositorischer Absicht des Lukas zu verstehen sucht“ (Klein, S. ). Ich habe bei der ersten Lektüre des Kleinschen Aufsatzes an dieser Stelle »absurd« an den Rand geschrieben und kann diese Marginalie nun allenfalls mit einem Ausrufezeichen ergänzen! 17 Günter Klein, a.a.O., S. . 18 So beispielsweise Eduard Meyer: „Natürlich ist er Christ, »in den Lehren unterrichtet«“ (a.a.O., S. ). 19 Theodor Zahn: Das Evangelium des Lucas. Erste Hälfte, Leipzig , S. . Ähnlich auch Cadbury, der am Schluß seiner Interpretation des Proömiums meint: „If so, Theophilus was not a catechumen but an influential non-Christian (cf. above on κράτιστος), to whom this work is nominally dedicated or addressed with the intention of meeting incriminating reports or impressions by the presentation of exonerating facts“ (a.a.O., S. ) – so ein Blödsinn (sit venia verbo!).

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Fazit: Die Perikope über den Pilatusprozeß kann als „historische Erzählung“ betrachtet werden, die historische Fakten in narrativer Ausgestaltung verarbeitet und damit deutet. Viele Informationen des Textes, wie etwa die Tötung Jesu beim/vor dem Passafest, die Beteiligung von Juden und Römern, eine Verhandlung vor Pontius Pilatus, die Institution der Passaamnestie oder auch die Datierung der Hinrichtung Jesu auf den 14. Nisan werden als historisch sehr plausibel eingeschätzt.116 Selbst der Prozeßverlauf kann historisch vor dem Hintergrund römischer Rechtsgeschichte betrachtet werden.117 Doch diese Erinnerungen werden nie einfach nur genannt. Die feinsinnige literarische Gestaltung des Textes (s.o.) sowie die theologische Mehrdimensionalität machen deutlich, daß die Perikope nicht an der Wiedergabe reiner Fakten interessiert ist, sondern die jeweiligen Sachverhalte in eine narrative Konstruktion einbettet und gerade auf diese Weise deutet. So wird z.B. der bei Mk nur kurz erwähnte Titel „König der Juden“, der nach einhelliger Bezeugung aller Evangelien als titulus crucis auch die offizielle Urteilsbegründung darstellt (Mk 15,26; Mt 27,37; Lk 23,38; Joh 19,19–22),118 nicht hinsichtlich seiner historischen (z.B. als römisches Verbrechen der laesa maiestas), sondern seiner theologischen Dimension breit diskutiert. Durch die strukturierte Erzählweise, durch kunstvolle literarische Gestaltungsmittel (wie Ironie, Rollentausch, Leerstellen) sowie die Vernetzung der Perikope mit theologischen Leitbegriffen der gesamten Evangelienerzählung wird eine mehrschichtige Deutung des Todes Jesu gegeben, die vor allem den Leser/die Leserin selbst „in den Prozeß“ verwickelt. Im Akt der Refiguration werden die Rezipienten herausgefordert, im geschichtlichen Prozeß den übergeordneten, immer noch und immer wieder neu ablaufenden Prozeß um „Gott und die Welt“ wahrzunehmen, der schließlich in den persönlichen Entscheidungsprozeß mündet. Die Leser sollen letztlich selbst ein Urteil über Jesus fällen und somit eine „narrative Identität“ als Glaubende entwickeln.

116 117

Vgl. THEISSEN/MERZ, Jesus (s. Anm. 16), 152.388ff. Vgl. etwa P. EGGER, Crucifixus sub Pontio Pilato. Das Crimen Jesu von Nazareth im Spannungsfeld römischer und jüdischer Verwaltungs- und Rechtsstrukturen, Münster 1997; MIGLIETTA, Römisches Strafrecht (s. Anm. 102), 242–246. 118 Vgl. dazu J. GEIGER , Titulus Crucis, SCI 15 (1996), 202–207; P.L. M AIER , The Inscription on the Cross of Jesus of Nazareth, Hermes 124 (1996), 58–75.

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3. Die metaphorische Verarbeitung des Todes Jesu: Den Sinn des Todes übertragend verstehen am Beispiel der Opfer-Deutung 3.1. Deuten heißt übertragen, oder: Sinnbildung als metaphorische Konstruktion Als zweite grundlegende Sprachform historischer Sinnbildung soll die metaphorische Übertragung eigens benannt werden, obgleich sich die Funktionsweisen von narrativen und metaphorischen Deuteprozessen berühren und vielfach überlagern. Entsprechend haben White, Ankersmit oder auch Ricœur auf je eigene Weise die enge Beziehung zwischen erzählender und bildlicher Sinnstiftung hervorgehoben. So hat z.B. nach White die historische Erzählung eine metaphorische Struktur und kann als „fortgesetzte Metapher“ bezeichnet werden: „Der ‚Gesamtzusammenhang‘ irgendeiner gegebenen ‚Serie‘ von historischen Fakten ist die Kohärenz einer Geschichte (story), doch die Kohärenz wird nur dadurch erreicht, daß die ‚Fakten‘ auf die Erfordernisse der Geschichtenform (story form) zugeschnitten werden. (...) Es ist diese vermittelnde Funktion, die es uns erlaubt, von einer historischen Erzählung als fortgesetzter Metapher zu sprechen.“119

Folgerichtig werden die Entwürfe von White und Ankersmit mit Recht auch als „metaphorischer Narrativismus“ bezeichnet.120 Auch eine logische oder genealogische Hierarchisierung zwischen narrativer und metaphorischer Sinnstiftung ist kaum möglich. Vielfach wird zwar die Erzählung als die Grundform der geschichtlichen Deutung betrachtet, während bestimmte bildhafte Verdichtungen dann wiederum eine Abstraktion und Elementarisierung dieses Erzählten darstellen.121 Hans-Jürgen Goertz hat jedoch m.E. zu Recht darauf hingewiesen, daß sich die Geschichtsverarbeitung schon vor der verknüpfenden Erzählung sprachlicher Tropen bedient:

119 120

W HITE, Kunstwerk (s. Anm. 38), 112. So C. LORENZ, Kann Geschichte wahr sein? Zu den narrativen Geschichtsphilosophien von Hayden White und Frank Ankersmit, in: Schröter/Eddelbüttel (Hgg.), Konstruktion (s. Anm. 9), 33–63, 33. 121 So etwa auch REINMUTH, Hermeneutik (s. Anm. 16), 55 (zum Kreuz als Sinnbild): „Aus der Geschichte Jesu hat sich also ein Begriff (= das Kreuz, R.Z.) gelöst, wurde zur Metapher für sein Leiden und Sterben, seine Passion, für die Bedeutung seines Todes, die dann sogar losgelöst von den ursprünglichen Erzählungen erörtert werden konnte.“ Allerdings anerkennt Reinmuth insgesamt auch die Analogie beider Sinnkonstruktionen: „Jeder Benennungsprozeß geschieht als Metaphernwahl. Mit ihr ereignet sich in narrativen Kontexten der diskursive Zugriff auf den Erzählinhalt, der auf diese Weise in seiner Bedeutung erfaßt wird. (...) Dem Parabolischen der Geschichten entspricht das Metaphorische ihrer Begriffe“ (REINMUTH, a.a.O., 249f.).

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„Die Sprache ist Erzeugnis kultureller Tradition und stellt eine gewisse Anzahl von erworbenen Redeweisen (Tropen) zur Verfügung, die über den Sinn dessen, worüber gesprochen werden soll, entscheiden. Das geschieht, bevor aus der Ansammlung von Tatsachen bzw. tatsächlichen Ereignissen eine Erzählung wird. Diese Tropen sind Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie.“122

Auch die Überlieferungssituation der ntl. Schriften scheint diese Einschätzung zu bestätigen: Bevor die Passion Jesu in Gestalt der großen Evangelienerzählungen verarbeitet wurde, wurde sie durch theologische Metaphern im Rahmen der Briefliteratur gedeutet. Gleichwohl setzte die narrative Verarbeitung zweifellos in Gestalt mündlicher Erzählungen weitaus früher ein, als es uns aufgrund der Quellenlage zugänglich ist.123 Betrachtet man metaphorische und narrative Redeweise ferner als Stilformen jenseits ausgearbeiteter Gattungen wie etwa einer Evangelienerzählung, wird eine chronologische Abfolge ohnehin obsolet. Denn innerhalb von Briefen finden sich ‚narrative‘ Elemente, wie auch metaphorische Redeweise für die Evangelien konstitutiv bleibt. Beide Zugangsweisen müssen deshalb nicht gegeneinander ausgespielt werden. So können Metaphern zu Erzählungen ausgestaltet werden, andererseits können Erzählungen auf einzelne Bilder und Metaphern hin verdichtet und konzentriert werden. Im JohEv kann man m.E. sogar regelrecht von narrativen Bildern oder bildhaften Erzählungen sprechen.124 Besonders P. Ricœur hat darauf hingewiesen, daß Metapher und Narration letztlich nur unterschiedliche sprachliche Ausdrucksformen desselben hermeneutischen Prozesses darstellen: „In beiden Fällen kommt Neues – noch Ungesagtes, Unerhörtes – zur Sprache: hier die lebendige Metapher, also eine neue Pertinenz in der Prädikation, dort die fingierte Fabel, also eine neue Kongruenz in der Anordnung der Vorfälle.“125

Entsprechend gelten viele der im Zusammenhang mit der narrativen Sinnbildung bereits genannten literarisch-hermeneutischen Aspekte auch für die metaphorischen Deuteprozesse. Im folgenden kann ich mich deshalb auf die Darstellung einiger Dimensionen beschränken, die bei der metaphorischen Sinnkonstruktion besonders zutage treten. Obgleich auch die historische Erzählung ein kreativer Akt der Sinnkonstruktion ist, birgt die metaphorische Sinnstiftung noch stärker innovative Potentiale. Das hängt mit ihrer spezifischen Bildungsweise zusammen, die 122 123

GOERTZ, Umgang (s. Anm. 9), 151. Vgl. zur oral tradition S. B YRSKOG, Story as History – History as Story. The Gospel Tradition in the Context of Ancient Oral History, WUNT 123, Tübingen 2000. 124 Vgl. dazu ZIMMERMANN, Christologie (s. Anm. 31), 8. Kapitel, 197–217. 125 R ICŒUR, Zeit und Erzählung I (s. Anm. 61), 7. Die Analogie wird auch biographisch durch die gleichzeitige Arbeit Ricœurs an „Die lebendige Metapher“ und „Zeit und Erzählung“ dokumentiert.

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man in der Metaphernforschung als „kalkulierte Absurdität“ bzw. „impertinente Prädikation“ bezeichnet hat.126 In einem metaphorischen Text werden zwei Sinnbezirke syntaktisch zusammengezwungen, die ‚eigentlich‘ nicht zusammengehören. Durch die auf diese Weise erzeugte semantische Spannung wird ein Leser/eine Leserin genötigt, den Sinn der Aussage auf einer höheren Bedeutungsebene zu suchen. Wie es auch in der Etymologie des Metaphernbegriffs zum Ausdruck kommt (meta-fevrein),127 wird im Prozeß der Sinnfindung eine Bedeutungsübertragung von dem einen Sinnbereich (Bildspender) auf den anderen (Bildempfänger) vollzogen. Allerdings läßt sich dieser Sinntransfer nicht auf einzelne inhaltliche Aspekte (z.B. ein tertium comparationis) beschränken, als ob die Metapher nur eine begriffliche Aussage ersetzen würde (Achill ist ein Löwe = Achill ist stark). In Abgrenzung von dieser sogenannten „Substitutionstheorie“ der Metapher wurde von Vertretern der „Interaktionstheorie“128 herausgearbeitet, daß der Bedeutungstransfer multidimensional und auch reziprok verläuft. Bei der metaphorischen Sinnkonstruktion werden auch Bedeutungsaspekte vom Bildempfänger auf den Bildspender zurückübertragen, besonders dann, wenn es sich um die Verschränkung komplexer Sinnbezirke handelt, wie am Beispiel der Opfertheologie (s.u.) deutlich wird. Die Übertragung von einem Sinnbereich auf einen anderen ist eine der grundlegenden Voraussetzungen menschlicher Kognition, wie nicht zuletzt G. Lakoff und M. Johnson anhand ihrer holistischen Metapherntheorie herausgearbeitet haben.129 Diese Verstehensstrategie wird besonders dann eingesetzt, wenn es darum geht, schwer zugängliche Wirklichkeitsbereiche zu erschließen. Phänomene, die sich der unmittelbaren Zugänglichkeit entziehen, werden mit einfachen oder zumindest anerkannten Sinnbereichen metaphorisiert, um sie sprachlich fassen zu können. Es verwundert dann nicht, daß sowohl vergangene Ereignisse, die per se aufgrund der zeitlichen Distanz nur mittelbar zugänglich sind oder auch religiöse Phänomene häufig durch Bildersprache artikuliert werden. 126 Vgl. ausführlicher dazu R. Z IMMERMANN, Metapherntheorie und biblische Bildersprache. Ein methodologischer Versuch, ThZ 56 (2000), 108–133; ferner DERS., Paradigmen einer metaphorischen Christologie, in: J. Frey/J. Rohls/Ders. (Hgg.), Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin/New York 2003, 1–34. Ferner die einschlägigen Aufsätze in A. HAVERKAMP (Hg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 21996. 127 Vgl. Aristoteles, Poetik 1457b: „Eine Metapher ist die Übertragung eines Wortes, und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung (...)“ (M. FUHRMANN [Hg.], Stuttgart 1994, 66f.). 128 Dieser Begriff wurde von I. Richards und M. Black geprägt, zur Sache dann ausführlich P. RICŒUR, Die lebendige Metapher, Übergänge 12, München 32004. 129 Vgl. G. LAKOFF/M. J OHNSON, Metaphors we live by, Chicago 1980, z.B. die grundlegende Definition: „The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another.“

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Bei dem Prozeß der metaphorischen Kohärenzbildung werden fremde und kontingente Phänomene in der Weise mit etablierten Sinnsystemen verknüpft, daß sie selbst verstanden werden können. Dabei kommen zugleich neue, bislang unsagbar gebliebene Aspekte der Wirklichkeit in den Blick. Die metaphorische Aussage erfüllt deshalb in besonderem Maße eine Deute- bzw. hinsichtlich des verstehenden Subjekts eine Erkenntnisfunktion. Sinn, der sich bisherigen sprachlichen Deutemöglichkeiten entzog, wird durch die kreative metaphorische Sinnstiftung erkennbar, aussagbar und dabei zugleich kommunizierbar. Durch bildhafte und besonders auch metaphorische Rede wird also Neuland betreten. Allerdings können selbst sogenannte „kühne Metaphern“ nur dann verstanden werden, wenn sie innerhalb einer konventionalisierten Sprach- bzw. Denkweise verankert bleiben. Willkürliche Verknüpfungen (z.B. der Tod Jesu ist ein Bleistift) können nicht wirklich sinnstiftend wirken. Die metaphorische Übertragung kann nur gelingen, wenn die kreative Sinnbildung der impertinenten Prädikation auf dem Boden einer bekannten Zuordnung von Bildbereichen (Bildfeldtradition130) steht und nicht vollkommen neuartig vollzogen wird. Auf diese Weise gelingt es der metaphorischen Sinnstiftung in besonderem Maße, Tradition und Innovation zu verbinden. Im metaphorischen Konstrukt werden traditionelle Sinnbereiche bewahrt, indem sie in aktuelle Rezeptions- und Kommunikationssituationen hinein transformiert werden. Anders gesagt: Metaphern „erinnern, um Neues zu sagen“.131 3.2. Metaphorische Sinnstiftungen zum Tod Jesu im Neuen Testament Kommen wir zum Gegenstand des Todes Jesu zurück: Die Jünger und Urchristen mußten das Sterben Jesu als ein für sie zunächst unverständliches, d.h. sinnloses Ereignis, wahrnehmen (s.o.). Andererseits drängten die Auferstehungserfahrungen und der Fortbestand der Jüngergemeinschaft dazu, diesen dunklen Bereich des Lebens Jesu zu verstehen und als wesentlichen Aspekt in die Gesamtheit der Botschaft Jesu sowie der Geschichte Gottes mit seinem Volk zu integrieren.

130

H. Weinrich versteht unter diesem Begriff die konventionalisierte Kopplung von Sinnbezirken, vgl. H. WEINRICH, Sprache in Texten, Stuttgart 1976, 276–290 sowie die Applikation in R. ZIMMERMANN, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT II/122, Tübingen 2001, 41–44. 131 So der treffliche Titel des Sammelbandes von J.-P. NOPPEN (Hg.), Erinnern, um Neues zu sagen. Die Bedeutung der Metapher für die religiöse Sprache, Frankfurt a.M. 1988; ferner M. B UNTFUSS, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache, TBT 84, Berlin/New York 1997.

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Entsprechend der Verfaßtheit menschlicher Kognition und Erkenntnisfähigkeit wurden bekannte und anerkannte Deutemuster herangezogen und in metaphorischer Weise mit dem Ereignis des Todes Jesu verknüpft. So kam es zu einer Bedeutungsübertragung, d.h. zu einer metaphorischen Interaktion, zwischen dem Tod Jesu und dem jeweiligen Sinnbereich, aufgrund derer dann auch der Tod Jesu mit Sinn gefüllt werden konnte. Simplifizierend läßt sich dieser Vorgang der metaphorischen Sinnstiftung zum Tod Jesu wie folgt im Schema darstellen (s. Abb. 3): Bedeutungsübertragung/ Interaktion

Bildspendender Bereich z.B. jüdische Opfertheologie; hellen. Freundschaftsethik

Bildempfangender Bereich = Tod Jesu

Neue, metaphorische Kohärenz, z.B. der Tod Jesu als Opfer oder als Hingabe für die Freunde

Abb. 3: Metaphorische Interaktion

Betrachten wir die metaphorischen Sinnstiftungen zum Tod Jesu im Neuen Testament, erhalten wir einen vielfältigen Befund. Die Variationsbreite der herangezogenen Sinnbereiche sowie die Komplexität der Zuordnungen erlauben hier nur die skizzenhafte Nennung einiger allgemeiner Beobachtungen, bevor am Beispiel der Opfermetaphorik ein Bereich näher untersucht werden soll. Versucht man das Bildfeld nach einzelnen Motiv- bzw. Themenbereichen zu strukturieren, zeigt sich, daß mit auffallender Häufigkeit Denk- und Sprechweisen des Kultes herangezogen werden, um Jesu Sterben zu interpretieren. Dabei können einzelne Elemente des Opferkultes wie z.B. Blut (z.B. Mk 14,24; Röm 5,9), Lamm (Joh 1,29; Apk 5,6) oder die Kapporät (Sühnplatte im Allerheiligsten, vgl. Hebr 9,5; Röm 3,25f.)132 132 Ob der Terminus technicus iJl asthvrion (so Ex 25,17.22.37ff. u.a.) auch in Röm 3,25f. eine Anspielung auf die Deckplatte auf der Bundeslade im Allerheiligsten der Stiftshütte darstellt, wird kontrovers beurteilt. Positiv votieren z.B. M. GAUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus, fzb 82, Würzburg 1999, 229–245, 231f.; W. KRAUS, Der

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herangezogen werden, ferner können auch einzelne Funktionen des Opferkultes wie z.B. Sühne sinnstiftend wirken (s.u.) oder es werden Jahresfeste (z.B. Passa 1 Kor 5,7; Joh 19,36) und sogar das Tempelgebäude als Bildspender verwendet (Mk 14,58; Joh 2,19–21). Daneben werden Deutungsmuster aus dem Bereich des sozialen Lebens entnommen: Hinter den in der dogmatischen Tradition als „Stellvertretungsaussagen“133 zusammengefaßten Texten kann man letztlich einen Übertragungsvorgang aus einem zwischenmenschlichen Grundverhalten erkennen: ‚Prosoziales‘ Handeln, bei dem einer etwas „für“ einen anderen tut, wird zum Verstehensrahmen des Todes Jesu, sei es, daß von der „Selbsthingabe Jesu“ gesprochen wird (z.B. Gal 2,20; Tit 2,14), sei es, daß das bekannte Schema ‚handeln für ...‘ dann als ‚sterben für ...‘ (ajpoqnh/vskein uJpevr) konkretisiert wird (z.B. 1 Thess 5,10; 1 Kor 15,3; 2 Kor 5,14.21; Joh 11,49f.). Das schließt nicht aus, daß hierbei bereits etablierte Sprachtraditionen, d.h. konventionalisierte Sinnkopplungen, wie z.B. das aus der hellenistischen Ethik bekannte Konzept des „Sterbens für die Freunde“ aufgenommen werden (Joh 15,13f.).134 Zum Teil werden auch Sprechweisen aus institutionalisierten Formen des menschlichen Zusammenlebens aufgegriffen: So können die rechtlichen Termini der Lösung (ajpoluvtrwsi~, Röm 3,24f.; Eph 1,7; Hebr 9,15) bzw. des Lösegelds (luvtron, Mk 10,45; Mt 20,28135) auf das Sterben Jesu appliziert werden, oder es wird das aus dem Bereich des Sklavenhandels oder gar Brautkaufs bekannte Konzept des „Loskaufens“ ([ejx-]ajgoravzein, 1 Kor 6,20; 7,23; Apk 5,9; 14,3f.)136 als Bildspender benutzt. Schließlich kann auch die Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Römer 3,25–26a, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1990; kritisch hingegen etwa C.E.B. CRANFIELD, The Epistle to the Romans I, ICC, Edinburgh 1954 (repr. 2001), 214–218; C. BREYTENBACH, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989, 166ff.; K. HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 90f. 133 Der Begriff „Stellvertretung“ kennt kein griechisches Äquivalent und ist deshalb kein quellensprachlicher Begriff, vgl. dazu J. FREY, Art. Stellvertretung III: Neues Testament, RGG4 VII (2004), 1709f.; ausführlich S. SCHAEDE, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie, BHTh 126, Tübingen 2004. 134 Vgl. dazu J. SCHRÖTER, Sterben für die Freunde. Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: A. von Dobbeler (Hg.), Religionsgeschichte des Neuen Testaments (FS K. Berger), Tübingen/Basel 2000, 263–287; ferner mit Bezug auf Joh 10 J.H. NEYREY, The ‚Noble Shepherd‘ in John 10. Cultural and Rhetorical Background, JBL 120 (2002), 267–291. 135 Zum Teil wird ausgehend von der griech. Übersetzung des hebr. Begriffs µv;a; mit ajntivlutron auch der kultische Bezug als „Lösemittel“ = Sühnemittel hervorgehoben, vgl. z.B. HAHN, Theologie II (s. Anm. 2), 389f. 136 Vgl. zum bildspendenden Bereich (ejx -)ajgoravzein R. Z IMMERMANN, Die Virginitäts-Metapher in Apk 14:4–5 im Horizont von Befleckung, Loskauf und Erstlingsfrucht,

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Aussöhnung zwischen Familienmitgliedern, Stämmen oder Völkern zum Vorstellungshorizont der Todesdeutung werden, indem der terminus technicus „versöhnen“ (katallavssein) in metaphorischen Konstruktionen eingespielt wird (2 Kor 5,14–21; Röm 5,10f.).137 Ein weiterer übergeordneter Bereich, der bei der metaphorischen Sinnstiftung eine Rolle spielt, ist der des landwirtschaftlichen Lebens. So wird z.B. das Werden und Vergehen des Weizenkorns zum Bildspender für Jesu Sterben (Joh 12,24; 1 Kor 15,35–49), ferner dienen das Verhalten von Weinbergpächtern (Mk 12,1–12) oder der Lebenseinsatz eines Hirten als Deutehorizonte des Todes Jesu (Joh 10,11–18).138 Neben diesen bildspendenden Bereichen aus dem täglichen und kulturellen Leben werden auch Sinnaspekte der theologischen Sprachtradition auf Aussagen zum Tod Jesu übertragen. So kann man hinter ntl. Texten die geprägten Motive vom „gewaltsamen Geschick der Propheten“ (1 Thess 2,15; Mk 12,1–12) oder vom „leidenden Gerechten“ (Mk 14,55–62; Act 8,30–33) oder die apokalyptische Vorstellung vom „Sieg über Todesmächte“ (1 Petr 3,19) erkennen. Gleichwohl liegen auch hier nicht nur Rezeptionsvorgänge vor, denn die Verknüpfung mit dem Tod Jesu stellt immer eine kreative Sprechweise dar, die Neues hervorbringt. Schließlich kann sogar das Ereignis des Kreuzes etwa in 1 Kor 1,17f. als „Sinnbild“ verstanden werden, das im Rahmen der paulinischen Kreuzestheologie nicht mehr nur als historisches Faktum, sondern als sinntragendes Zeichen, d.h. als Metapher im weiteren Sinn, aufgenommen wird.139 Auch wenn mit dieser skizzenhaften Auflistung gewiß nicht das ganze Metaphernfeld erfaßt ist, zeichnen sich doch einige Leitlinien ab, die als grundlegend für die metaphorische Sinnkonstruktion zum Tod Jesu gelten können: Die Metaphern zum Tod Jesu finden sich vermehrt in der Briefliteratur, kommen aber auch in den Evangelien vor. Sowohl Erfahrungen des täglichen (z.B. Weizenkorn) und kulturgeprägten Lebens (z.B. Hirtenmilieu) als auch komplexe theologische (z.B. Sieg über Todesmächte) oder VT 45 (2003), 45–70, 60–65; ferner W. HAUBECK, Loskauf durch Christus. Herkunft, Gestalt und Bedeutung des paulinischen Loskaufmotivs, Gießen 1985. 137 Vgl. dazu BREYTENBACH, Versöhnung (s. Anm. 132). 138 Vgl. dazu ZIMMERMANN, Christologie (s. Anm. 31), 388–396. 139 Vgl. dazu die Überlegungen von E. REINMUTH, Das Kreuz als Sinnbild, in: Ders., Hermeneutik (s. Anm. 16), 53–57, 55: „Aus der Geschichte Jesu hat sich also ein Begriff gelöst, wurde zur Metapher für sein Leiden und Sterben, seine Passion, für die Bedeutung seines Todes, die dann sogar losgelöst von den ursprünglichen Erzählungen erörtert werden konnte.“ Ferner die sprachliche Differenzierung bei K. HALDIMANN, Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie, in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 1–25.

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philosophisch-ethische (z.B. Freundschaftsethik) Vorstellungsbereiche können dabei zum Bildspender der christologischen Aussagen werden. Im Blick auf die traditions- bzw. religionsgeschichtliche Herkunft der bildspendenden Bereiche wird erkennbar, daß entsprechend der multiplen religionsgeschichtlichen Verankerung des ntl. Schrifttums vorrangig alttestamentlich-jüdische140 (z.B. Tempelkult), aber ebenso auch hellenistische Denkmuster (z.B. Freundschaftsethik) herangezogen wurden, um den Tod Jesu zu deuten. Die Vielfalt der verwendeten Bilder birgt zwei für ihre Interpretation entscheidende Implikationen: Bildersprache ist ‚uneigentliche‘ Rede und entbehrt als solche der Trennschärfe, wie sie bei begrifflichen Aussagen gefordert wird. Stets bedarf es eines Interpreten, der die Sinnangebote der „impertinenten Prädikation“ in neue Kohärenz überführt. Im Text selbst wird diese Zuordnung und Sinnstiftung nicht bereits vorgegeben. Dies sollte auch bei der Exegese dieser Stellen zur Vorsicht mahnen, kann aber positiv betrachtet auch aus Aporien bisheriger Forschung führen. Bei der Analyse von Metaphern über den Tod Jesu verwehrt die bildliche Sprachform eindeutige Festlegungen. So läßt sich z.B. der Deutehorizont des Kultes in den vieldiskutierten Texten Röm 3,25f. oder Mk 14,24 zwar vermuten, aber letztlich nicht beweisen. Exegeten sollten sich deshalb vor begrifflichen Ein- und damit zugleich Ausgrenzungen hüten, wenn ein urchristlicher Autor eine Aussage bewußt der konzisen Unschärfe metaphorischer Redeweise vorbehalten hat. Eine Weise, diese Offenheit metaphorischer Redeweise vor der Gefahr von willkürlichen Fehl- und Mißdeutungen zu bewahren, besteht zweifellos darin, daß metaphorische Aussagen vielfach mit anderen metaphorischen Aussagen verknüpft werden. Die Kumulation und Vernetzung unterschiedlicher Sprachbilder scheint gerade ein Grundprinzip metaphorischer Redeweise zu sein.141 Die metaphorischen Konstrukte sind in erster Linie Sinnangebote, die Teilaspekte zur Sprache bringen und durch weitere Aspekte ergänzt werden wollen und sollen. So finden sich bereits in ntl. Texten vielfach Metaphern-Kombinationen, die aus unterschiedlicher Perspektive zur Sinnstiftung des Todes Jesu beitragen. Obgleich es im heu-

140 Ein grundlegender Verstehensrahmen war zweifellos „das Zeugnis des alttestamentlichen Gotteswortes, in dessen Zusammenhang dieses Ereignis gestellt und aus dem es gedeutet wird“ (FELDMEIER, Gottes Torheit? [s. Anm. 29], 20). Für Feldmeier ist die Rückbindung an das atl. Gotteszeugnis neben der Gegenwartserfahrung des Gekreuzigten die grundlegende Voraussetzung der Deutungen des Todes Jesu. 141 Vgl. etwa im Blick auf das JohEv ZIMMERMANN, Christologie (s. Anm. 31), 412–423; ferner J. FREY, Die Bildersprache der Johannesapokalypse, ZThK 98 (2001), 161–185.

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ristischen Sinn hilfreich und zur Vermeidung von Fehldeutungen142 sogar notwendig ist, die einzelnen bildspendenden Bereiche zu unterscheiden, dürfen sie doch nicht kategorial geschieden werden. So werden, um nur einige Beispiele zu nennen, etwa in 2 Kor 5,14–21 Versöhnungs- und Stellvertretungsaussagen kombiniert, in Eph 5,2f. sind Opfer- und Hingabeformulierungen verschränkt, während in 1 Petr 1,18 im Zusammenhang mit dem Tod Jesu von Loskauf/Lösung, Blut und Lamm die Rede ist.143 Die metaphorische Sinnkonstruktion ist dabei ein interaktionelles Geschehen, bei dem Bedeutungsaspekte aus unterschiedlichen Traditionen auf den Tod Jesu übertragen werden. Doch gerade so erweisen sich die Metaphern auch in besonderer Weise als rezipientenorientiert. Metaphorische Deutungen des Todes Jesu sind nicht in den Texten bereits vollständig kodiert, sondern fordern einen Leser/eine Hörerin heraus, den Sinn selbst zu entdecken. Auf diese Weise jedoch bleibt wie die Metapher selbst auch die Deutung des Todes Jesu ‚lebendig‘. 3.3. Zum Beispiel: Die Deutung des Todes Jesu als „Opfer“144 3.3.1. Der Opfer-Tod Jesu als Metapher Der „Opfertod Jesu“ ist eine in der christlichen Tradition ebenso grundlegende wie gerade in jüngerer Zeit umstrittene Formulierung.145 Doch 142 So etwa bei der durch den mittelhochdeutschen Begriff „versuhnen“ evozierten Vermischung der in der Antike sachfremden Bereiche von kultischer „Sühne“ und politischer „Versöhnung“, vgl. dazu C. BREYTENBACH, Versöhnung, Stellvertretung und Sühne. Semantische und traditionsgeschichtliche Bemerkungen am Beispiel der paulinischen Briefe, NTS 39 (1993), 59–79. 143 1 Petr 1,18f.: „Denn ihr wißt, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold gelöst seid (ejlutrwvqhte) von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ 144 Vgl. zum folgenden meinen Beitrag R. ZIMMERMANN, Die neutestamentliche Deutung des Todes Jesu als Opfer. Zur christologischen Koinzidenz von Opfertheologie und Opferkritik, KuD 2005 (im Erscheinen). Ferner den immer noch instruktiven Beitrag F. HAHN, Das Verständnis des Opfers im Neuen Testament, in: Ders., Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch. Gesammelte Aufsätze I, Göttingen 1986, 262–302. 145 Vgl. die allein in den letzten Jahren publizierten Sammelbände zum Thema: R. R IESS (Hg.), Abschied von der Schuld? Zur Anthropologie und Theologie von Schuldbekenntnis, Opfer und Versöhnung, Stuttgart u.a. 1996; A. W AGNER (Hg.), Sühne – Opfer – Abendmahl. Vier Zugänge zum Verständnis des Abendmahls, Neukirchen-Vluyn 1999; B. J ANOWSKI/M. W ELKER (Hgg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, StW 1454, Frankfurt a.M. 2000; G. FISCHER/K. B ACKHAUS, Sühne und Versöhnung. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments, NEB.Themen 7, Würzburg 2000; A. GERHARDS/ K. RICHTER (Hgg.), Das Opfer. Biblischer Anspruch und liturgische Gestalt, QD 186, Freiburg i.Br. u.a. 2000; B. D IECKMANN (Hg.), Das Opfer – aktuelle Kontroversen. Religions-politischer Diskurs im Kontext der mimetischen Theorie, Münster u.a. 2001; R. W ETH (Hg.), Das Kreuz Christi. Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001; W.H.

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besonders in der vielfältigen Kritik an diesem Konzept146 wurde viel zu selten beachtet, daß Jesus ‚eigentlich‘ gar nicht geopfert wurde. Wenn ein Faktum durch alle Phasen der historischen Jesusforschung unbezweifelt anerkannt wurde, dann war es Jesu Tod am Kreuz von Golgatha. Entsprechend bieten die Passionsberichte der Evangelien nicht den geringsten Anhalt, daß die Tötung Jesu nach den Regeln eines Opferritus z.B. im Tempel oder auf einem Altar ablief. Das Sterben des irdischen Jesus war also gar kein Opfer im Realsinn, sondern eine Hinrichtung am Kreuz durch die römische Besatzungsmacht. Aber – und das ist wichtig: Das Geschick Jesu wurde in den Kategorien des Opfers gedeutet. Wenn das Neue Testament also vom Opfer Jesu spricht, dann liegt dabei uneigentliche bzw. metaphorische Rede vor, die helfen soll, die Wirklichkeit seines grausamen Todes besser zu verstehen, mit anderen Worten: diesem Tod einen Sinn abzugewinnen bzw. ihn zu deuten. Die ntl. Rede vom Tod Jesu als „Opfer“ ist deshalb stets metaphorische Rede. So sehr diese Feststellung allgemeine Zustimmung findet, so wenig wird sie jedoch theologisch reflektiert oder sprachphilosophisch präzisiert.147 Entsprechend der oben explizierten Funktionsweise der Metapher werden bei der metaphorischen Rede zwei ursprünglich nicht zusammengehörige Sinnbereiche miteinander verschränkt. Konkret wurde in unserem Fall die verbreitete und intensiv reflektierte jüdische Opferpraxis und -theologie herangezogen, um damit dem zunächst unverständliche Kreuzestod Jesu einen Sinn abzugewinnen. Wenn sich die urchristlichen Autoren in der Opfermetaphorik nun genau diese erschließende Funktion metaphorischer Rede zunutze machten, gilt es die Übertragungsrichtung dieses Bedeutungstransfers zu beachten: Nicht der blutige Opferkult mußte seine Berechtigung angesichts des Kreuzesgeschehens beweisen, vielmehr brauchte die Behauptung, daß im schändlichen Kreuz Heil zu finden sei, die Absicherung durch altbewährte theologische Argumentationsmuster, wie sie in der Kulttheologie gegeben waren. Die Heilsdeutung des Todes

R ITTER (Hg.), Erlösung ohne Opfer?, Göttingen 2003; vgl. ferner die Monografien von S. BRANDT, Opfer als Gedächtnis. Auf dem Weg zu einer befreienden Rede von Opfer, ATM 2, Münster u.a. 2001; J. NEGEL, Ambivalentes Opfer. Studien zu Symbolik, Dialektik und Aporetik eines theologischen Fundamentalbegriffs, Paderborn u.a. 2003. 146 Einen systematischen Überblick zur Opferkritik bietet etwa I.U. DALFERTH, Art. Opfer VI: Dogmatik, TRE 25 (1995), 286–293, 287f. 147 Erste Ansätze finden sich bei W. STEGEMANN, Die Metaphorik des Opfers, in: Janowski/Welker (Hgg.), Opfer (s. Anm. 145), 191–216; wieder DERS., Sacrifice as Metaphor, in: J.J. Pilch (Hg.), Social Scientific Models for Interpreting the Bible (FS B.J. Malina), BIS 53, Leiden u.a. 2001, 310–327.

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Jesu bedurfte also der Legitimation durch den allgemein anerkannten Opferkult.148 3.3.2. Alttestamentliche Opfertheologie als Bildspender Um den Bedeutungstransfer der metaphorischen Konstruktion zu verstehen, muß man zunächst den Bedeutungsgehalt des Bildspenders erfassen. Erst dann kann man die Selektion, Übertragung und Zuspitzung des Sinns präziser beschreiben. Um die Deutung des Todes Jesu als Opfer zu verstehen, ist es folglich unerläßlich, zunächst die an das Opfer gebundenen theologischen Konzepte zu kennen, wie sie den Autoren ntl. Texte und ihren Adressaten wahrscheinlich vor Augen waren. So möchte ich im folgenden zunächst in der gebotenen Kürze Voraussetzungen des atl.jüdischen Opferkultes benennen, um dann den Bedeutungstransfer bei drei ntl. Texten mit Opferaussagen zu untersuchen. Innerhalb der keineswegs einheitlichen Opfertheologien des Alten Testaments kann man doch drei Grunddimensionen erkennen, die mit unterschiedlicher Akzentuierung immer wiederkehren und mit Beobachtungen der religionswissenschaftlichen Opfertheorien konvergieren: Man unterscheidet demnach zwischen Gewalt-, Kommunions- und Gabetheorien.149 Sieht man nach den Gewalttheorien150 im Opfer primär die kollektive Aggressionsabfuhr zur Sicherung des Lebens,151 könnte man im Sünd-

148 Vgl. so auch U.H.J. K ÖRTNER, Gott und das Opfer, in: W. Beinert (Hg.), Gott – ratlos vor dem Bösen?, QD 177, Freiburg i.Br. u.a. 1999, 131–152, 145: „Die Rede vom Sühnopfer bezeichnet im Hinblick auf den Tod Jesu nicht die zu interpretierende Sache, sondern das Interpretament, mit dessen Hilfe der Sinn des Todes Jesu in seiner Heilsbedeutung für uns ausgesagt werden soll.“ 149 Vgl. zum atl. Opfer etwa I. W ILLI-P LEIN, Opfer und Kult im alttestamentlichen Israel. Textbefragungen und Zwischenergebnisse, SBS 153, Stuttgart 1993; C. EBERHART, Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament. Die Signifikanz von Blut- und Verbrennungsriten im kultischen Rahmen, WMANT 94, Neukirchen-Vluyn 2002; U. DAHM, Opfertum und Priestertum in Alt-Israel, BZAW 327, Berlin/New York 2003; ferner den Überblick bei A. MARX, Opferlogik im alten Testament, in: Janowski/ Welker (Hgg.), Opfer (s. Anm. 145), 129–149; zur Systematik auch den Überblick bei H. SEIWERT, Art. Opfer, Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 4 (1998), 268–284. 150 R. G IRARD, Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a.M. 31999 (orig. La violence et le sacré); DERS., Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses, Freiburg u.a. 1983; vgl. dazu M. HERZOG, Religionstheorie und Theologie René Girards, KuD 38 (1992), 105–137; W. SCHWEIKER, Heilige Gewalt und der Wert der Macht. René Girards Opfertheorie und die Theologie der Kultur, in: Janowski/Welker (Hgg.), Opfer (s. Anm. 145), 108–125. Ferner W. BURKERT, Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen, Berlin 21997 (11972).

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opfer- bzw. Sühneritual Israels eine modifizierte Form dieser stellvertretenden Gewalt- und Schuldverarbeitung sehen. Während Schuld gegenwärtig meist individualistisch und handlungsbezogen betrachtet wird, wurde im antiken Judentum und frühen Christentum kollektiv gedacht. Wo Unrecht verübt wurde, ging ein Riß durch die ganze Gemeinschaft.152 Eine „böse Tat“ wandte sich in ihrer „schicksalswirkenden Tatsphäre“ (K. Koch) nicht nur auf das Haupt des Täters zurück, sondern durchsetzte das ganze Volk und verstellte schließlich auch den Weg zu Gott. Um die Verletzung der Gemeinschaft und der Gottesbeziehung zu überwinden, bedurfte es – so die Denkweise in biblischer Zeit – eines Rituals, mit dem stellvertretend für das ganze Volk die Macht des Bösen gebrochen wurde. Ein derartiges Sühneritual bzw. Sühnopfer fand am sogenannten Yom Kippur, dem „großen Versöhnungstag“ statt, der im Wortsinn eigentlich „Sühnetag“ (von hebr. rpk) heißen müßte.153 In Lev 16 werden zwei Teilrituale beschrieben: Erstens wurde einem Ziegenbock die Hand aufgestemmt, um ihm dadurch symbolisch die Sünde des Volkes zu übertragen, bevor das Tier buchstäblich ,in die Wüste geschickt wurde‘, um dadurch die Schuld aus der Gemeinschaft zu vertreiben. Zweitens betrat der Hohepriester das Allerheiligste der Stiftshütte (später dann des Jerusalemer Tempels), was nur an diesem Tag erlaubt war, und besprengte dort die Platte der Bundeslade (Kapporät) mit Blut eines (geschächteten) Opfertieres (Stier). Doch nicht der sprichwörtlich gewordene „Sündenbock-Ritus“ sondern der letztgenannte Blutapplikationsritus war es, der Sühne erwirkte und die theologische Tiefendimension des Sühnegedankens offenlegt. Denn da in der Sühne das Leben aus Tod und Gewalt gerettet werden sollte, mußte auch das Mittel der Sühne ein Lebensäquivalent sein. So wurde das Ritual mit Blut154 durchgeführt, das zugleich Ausdruck von Gewalt 151 Das Opfer ist – diesen Theorien zufolge – eine Verarbeitung der Gewaltanwendung, indem menschliche Aggressionen von einer sozialschädlichen zur sozialverträglichen Macht umfunktioniert werden. Dieser Wandel vollzieht sich – z.B. nach Girards Theorie – mittels eines ‚Sündenbockmechanismus‘, bei dem alle destruktive Gewalt einer Gruppe als kollektive Gewalt gegen ein Opfer gerichtet wird. In der stellvertretenden Tötung dieses Opfers befreit sich die Gruppe von lebensfeindlichen Kräften und stabilisiert somit den eigenen Lebenserhalt. Das ritualisierte Töten dient also paradoxerweise der Sicherung des Lebens, weshalb man vielleicht trefflicher von Tod-und-LebenTheorien sprechen sollte. 152 Vgl. G. K ITTEL, „Wenn du Sünden bewahrst, Herr, wer wird bestehen?“ (Ps 130,3). Die Realität der Sünde und die Frage der Erlösung im Alten Testament, in: Ritter (Hg.), Opfer (s. Anm. 145), 56–82. 153 Vgl. Lev 16,30: „Denn an diesem Tag vollzieht man das Sühnopfer (rpk pi.) für euch, um euch von allen euren Sünden zu reinigen, so daß ihr vor JHWH rein werdet.“ Vgl. B. J ÜRGENS, Heiligkeit und Versöhnung. Levitikus 16 in seinem literarischen Kontext, HBS 28, Freiburg i.Br. 2001, 107–111. 154 Vgl. dazu den Beitrag von F. HARTENSTEIN in diesem Band.

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(Gen 4,11) und Sitz des Lebens (Gen 9,4) ist. Das im Blut enthaltene Leben ist es, so lesen wir in Lev 17,11, was Sühne erwirkt. Durch das Sühne-Ritual im Allerheiligsten sollte schließlich ein neuer Zugang zur Gegenwart Gottes eröffnet werden, um somit die Gottesbeziehung der Menschen zu erneuern und Heiligung zu erwirken. Einmal im Jahr sollte sich das ganze Volk in einem sichtbaren Ritus daran erinnern: Gott wohnt in Eurer Mitte und schenkt Leben und Heil – trotz allem Bösen, das die menschliche Gemeinschaft durchsetzt! Sühne ist insofern – wie B. Janowski herausgearbeitet hat – ein „Heilsgeschehen“. Bei der Blutapplikation ebenso wie bei der Verbrennung des Gottesanteils kommt eine weitere Funktion des Opfers zum Ausdruck. Wie auch an den hebr. Sammelbegriffen für das Opfer wie „Mincha“ (= Gabe) oder „Korban“ (= Nahung)155 sichtbar wird, wurde das Opfer im jüdischen Kult auch als Gabe156 verstanden. Beim Opfer ging es, dieser Theorie zufolge, um die (Rück-)Gabe des Lebens an den Lebensspender und dabei letztlich um die Beziehung bzw. Vermittlung157 zwischen Menschen und Gott. Man denke hier z.B. an die Primizialopfer (Erstlingsgaben; Erstgeburt), die diesen Aspekt besonders zum Ausdruck bringen (vgl. Ex 13,1f.11f.; 22,28f.; Lev 27,26; Dtn 15,19). Im weiteren Sinn sollte die Kluft zwischen Himmel und Erde überbrückt werden, wie es auch die Symbolik der Verbrennung der Opfergabe signifikant vor Augen führt. Für C. Eberhart stellt die kultische Verbrennung deshalb den konstitutiven und wichtigsten Ritualschritt beim atl. Opfer dar. „Der eigentliche Höhepunkt im Ritual (...) sämtlicher Opferarten ist die Transformation und Übergabe der Opfermaterie ‚für JHWH‘, die mittels der kultischen Verbrennung auf dem Brandopferaltar geschieht.“158 Da bei den Tieropfern die Verteilung des Fleisches als knapper Lebensressource gemeinschaftlich geregelt werden sollte, wirkte das Opfer schließlich auch gemeinschaftsstärkend, wie die Gemeinschaftstheorien159 155 Das Opfergesetz Lev 1–7 wird durch die Formulierung „Gabe/Nahung für JHWH“ (hwhyl' ÷B;r q;) gerahmt, vgl. Lev 1,2 und 7,38, vgl. auch Ez 20,28; 40,43. 156 Den Gabecharakter rückte religionswissenschaftlich etwa die Opfertheorie Edward Burnett Tylors (1832–1917) in den Mittelpunkt, vgl. E.B. T YLOR, Primitive Culture. Researches into the Development of Mythology, Philosophy, Religion, Art, and Custom, Bd. 2, London 1871, 71929; ND: Religion in Primitive Culture, New York 1958, 461– 496; vgl. dazu SEIWERT, Opfer (s. Anm. 149), 271f. 157 Weshalb man mit Recht auch von ‚Vermittlungstheorien‘ sprechen kann, so etwa die Theorie von Henri Hubert (1872–1927) und Marcel Mauss (1872–1950), vgl. dazu den Überblick bei SEIWERT, Opfer (s. Anm. 149), 272f. 158 E BERHART, Studien (s. Anm. 149), 396. Einzelheiten zur Funktion der kultischen Verbrennung bei EBERHART, a.a.O., 366–381. 159 So die Theorie von William Robertson Smith (1845–1898), vgl. dazu SEIWERT, Opfer (s. Anm. 149), 272.

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herausgearbeitet haben. Um die Verteilung des Fleisches gerecht zu gewährleisten, wurden Tiere rituell geschlachtet, das Fleisch nach bestimmten Regeln verteilt und gemeinsam oft in festlicher Runde verzehrt. Im gemeinsamen Mahl wirkte das Opfer gemeinschaftsstärkend und -stabilisierend. Innerhalb der jüdischen Tradition läßt sich dieser Gemeinschaftsoder Kommunionsaspekt des Opfers etwa beim sogenannten Schlachtopfer (µymil v jb'z ) nachweisen,160 aber ebenso ist an das Opfer bei der Stiftung des Sinaibundes (Ex 24) oder an das Passaopfer zu denken. 3.3.3. Der Tod Jesu als Opfer in ntl. Texten (Hebr; Eph 5,2; 1 Kor 5,7) Vor allem der Hebräerbrief hat die Opferdeutung des Todes Jesu ganz ins Zentrum gerückt und dabei den Aspekt der Sündenvergebung und Sühne hervorgehoben. So lesen wir in Hebr 9,28: „Christus wurde einmal geopfert (oJ Cristo;~ a{pax prosenecqeiv~), um die Sünden der vielen zu tragen.“ In Kapitel 9 und 10 beschreibt der Verfasser des Hebr das Opfer Christi als regelrechtes Ritual, bei dem er auf den Opferritus des Yom Kippur Bezug nimmt. Ganz analog zum Blutapplikationsritus am ,Großen Sühnetag‘ lesen wir auch hier vom Gang des Hohepriesters ins Allerheiligste und von Sühne durch Opferblut (Hebr 9,22) an der Sühnplatte, dem iJlasthvrion (Hebr 9,5). Die Pointe liegt hier allerdings darin, daß Leben und Sterben Jesu metaphorisch auf das kultische Opferritual vom Sühnetag bezogen werden. Jesus wird als Hohepriester vorgestellt, der mit seinem eigenen Blut das himmlische Heiligtum und alles Volk reinigt. So entsteht folgende typologische Gegenüberstellung und Überbietung: Elemente des Rituals

Sühnopfer am Versöhnungstag (Lev 16)

Sühnopfer von Jesus (Hebr)

Opfernder

Hohepriester

Jesus (als Hohepriester; Hebr 2,17; 9,11)

Opferort

Stiftshütte / Jerusalemer Tempel

Himmlisches Heiligtum (Hebr 9,11.24)

Opfermaterie

Böcke (und Stiere)

Jesus selbst (Hebr 9,14.26)

Sühnemittel

Schächtblut der Opfertiere

Blut von Jesus (Hebr 9,14; 13,12)

Frequenz

Einmal pro Jahr

Ein für allemal (Hebr 10,2.10.12)

Abb. 4: Typologische Opfermetaphorik im Hebr

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Vgl. dazu auch 1 Kor 10,15–20, z.B. V. 18: „Seht auf das Israel nach dem Fleisch! Sind nicht die, welche die Schlachtopfer essen, in Gemeinschaft mit dem Altar?“

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In der metaphorischen Interaktion zwischen Jesu Geschick und dem Sühneritual des Yom Kippur kommt es zu einer doppelten Wechselwirkung: Einerseits wird Jesu Tod durch das Sühneritual des Yom Kippur interpretiert und verständlich gemacht. Andererseits wird die theologische Funktion dieses Rituals durch Jesus in zeitlicher und qualitativer Funktion überboten: Mit Christus wird der Mensch nicht nur einmal im Jahr aus Unheilszusammenhängen befreit, sondern ein für allemal (ejfavpax, vgl. Hebr 7,27; 10,2.10). Wo aber die Sünden durch Christus vergeben sind, da bedarf es keiner weiteren Opfer mehr (vgl. Hebr. 10,18). Mein zweites Textbeispiel stammt aus dem deuteropaulinischen Epheserbrief. In Eph 5,2 wird innerhalb des paränetischen Teils des Briefes die Selbsthingabe Christi161 als Gabe und Opfer bezeichnet. Neben den Begriffen prosforav und qusiva weist hier die Wendung „Gott zum Wohlgeruch“ (tw/` qew/` eij~ ojsmh;n eujwdiva~)162 in den Bereich des Opferkultes. Dabei handelt es sich um einen terminus technicus alttestamentlicher Opfersprache (hebr. hw:hyl' j®joynI j®yrel ), mit dem in der alttestamentlichen Tradition allerdings nicht eine spezifische Opferart, z.B. die hl[o als Brandim Sinne von „Ganzopfer“,163 sondern ein übergreifender Aspekt des Opferns, nämlich die Verbrennung des Gottesanteils angesprochen ist.164 Der vom Brandopferaltar aufsteigende Rauch wurde dabei in späterer Opfertheologie nicht als Mittel der Besänftigung Gottes, sondern als Symbol der Huldigung Gottes und zugleich der Vermittlung zwischen Himmel und Erde, d.h. letztlich als Sinnbild für die Beziehung des Menschen mit Gott betrachtet.

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In Gal 2,20 spricht Paulus ebenfalls von einer Hingabe aus Liebe (tou` uiJou` tou` qeou` tou` ajgaphvsantov~ me kai; paradovnto~ eJauto;n uJpe;r ejmou`), ohne hier jedoch auf Opfersprache zu rekurrieren. 162 Während vielfach angenommen wird, der konkrete Anschauungshintergrund der Begriffe „Gabe“ und „Opfer“ (prosforav und qusiva) sei die hl;[o, das Brand- im Sinne von Ganzopfer, hat Chr. Eberhart zu Recht darauf hingewiesen, daß „der in Eph 5,2 verwendete Opferbegriff qusiva in LXX äußerst selten und prosforav nie als Wiedergabe von hl;[o erscheint“ (EBERHART, Studien [s. Anm. 149], 395). Die Kombination der Begriffe hingegen in Ps 39,7(LXX); Dtn 3,38; Sir 34,19. Vgl. zum Verbrennungsgeruch bei verschiedenen Opferarten Gen 8,21; Ex 29,18.25.41; Lev 2,9.12; 3,5.16; vgl. auch Phil 4,18; Barn 2,10. 163 So z.B. FRIEDRICH, Verkündigung (s. Anm. 29), 78: „Christus hat sich in seiner großen Liebe für uns als Ganzopfer hingegeben, und Gott hatte sein Wohlgefallen an diesem Opfer.“ 164 Eine Ausnahme bildet nur der µv;a;. Klaus Koch sieht in der Wendung eine „alte Opferformel“, die auf vorexilische Kultrituale zurückgeht, vgl. KOCH, Art. j®joyn, ThWAT 5 (1986), 442–445, 443; vgl. zu den Übersetzungsvarianten „Wohlgeruch“ oder „Beruhigungsgeruch“ EBERHART, Studien (s. Anm. 149), 48–50.

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Auch in Eph 5,2 wird durch die Geruchsformel der Gabecharakter des Opfers in den Vordergrund gerückt.165 Die Opferformel korreliert dabei mit der Aussage des einleitenden Satzteils, in dem von der (Selbst)Hingabe Christi die Rede ist – allerdings mit anderem Objekt. Wird der Verbrennungsduft als Huldigungsgabe für Gott verstanden, erfolgt die Selbsthingabe ausdrücklich „für uns“ (uJpe;r hJmw`n). So unterstreicht der Vers die doppelte Ausrichtung der Hingabe Christi: Sie erfolgt für uns und ist zugleich Gabe für Gott. Dieser doppelte Gabecharakter führt alttestamentliches Opferdenken fort, denn auch das alttestamentliche Opfer ist sowohl auf den Opferempfänger (= Gott) als auch auf den Opfernutznießer (= Mensch) ausgerichtet. So verwundert nicht, daß der Verfasser des Eph Jesu Lebenseinsatz mit einem Opfer vergleicht. Wird in Eph 5,2 vom Opfer Christi geredet, ist nicht das Sühnopfer im Blick, denn von Sündenvergebung und Blutritus ist hier keine Rede. Entscheidend ist vielmehr die Gabe, der volle Lebenseinsatz für uns, der von Gott wie eine wohlgefällige Opfergabe bestätigt wird.166 Die christologische Pointe von Eph 5,2 liegt folglich in der Hervorhebung dieses doppelten Gabecharakters. Jesus gibt sich hin, setzt sein Leben ganz für uns ein, um uns somit den Zugang zu Gott zu ermöglichen (vgl. Eph 2,18). Durch Christus können dann auch die Christen ihr Leben für andere einsetzen (vgl. Eph 5,25).167 Im dritten Beispieltext wird Christus mit dem Passa identifiziert (1 Kor 5,7: to; pavsca hJmw`n ejtuvqh Cristov~, Christus, unser Passa ist geopfert), wobei aufgrund des Verbs quvein konkret auf das Opfern des Passalammes angespielt wird.168 Aufschlußreich für die theologische Dimension dieser Sprechweise ist zweifellos die Einordnung der Stelle in ihren näheren Kontext: Paulus fordert in 1 Kor 5, daß ein Gemeindeglied aufgrund von sexuellen Vergehen (porneiva169) aus der Gemeinschaft auszuschließen sei, um 165 In Phil 4,18 wird die Formulierung des gottgefälligen, wohlriechenden Opfers z.B. auf die (Geld-)Gabe bezogen, die Paulus von den Philippern empfangen hat. Vgl. ferner den metaphorischen Gebrauch in TestLev 3,6; 2 Kor 2,14–16. 166 So auch E BERHART, Studien (s. Anm. 149), 397: „Christi gesamte Existenz – sein Wirken, seine Lehre und sein Leiden und Tod – (ist) eine Gabe (...), die wohlgefällig und von Gott akzeptiert worden ist.“ 167 Vgl. dazu ZIMMERMANN, Geschlechtermetaphorik (s. Anm. 129), 366–369. 168 Es wurde immer wieder auch bestritten, daß die Schlachtung des Passalammes als Opfer betrachtet wurde, so z.B. I. W ILLI-P LEIN, Opfer im Alten Testament, in: Gerhards/ Richter (Hgg.), Opfer (s. Anm. 145), 48–58, 51f. Zur Diskussion vgl. ZIMMERMANN, Opfer (s. Anm. 144), Manuskr. 8f. 169 Vermutlich handelt es sich um einen Mann, der mit der Frau seines Vaters (1 Kor 5,1) in ehelicher Gemeinschaft lebt, was nach jüdischem Moralkodex als Inzest zu beur-

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nicht die ganze Gemeinde zu gefährden. Daß Paulus in der Begründung dieser Maßnahme auf das Passafest als bildspendenden Bereich zurückgreift, ist nicht verwunderlich, denn das Passa ist seit dem Exodus ein Ritus zur Abwehr des Bösen und Bewahrung vor Vernichtung.170 In dieser Intention ist auch ein Brauch zu verstehen, den der Apostel hier anspricht: Seit der Verknüpfung des Passafestes mit dem Mazzotfest, d h. mit dem Fest der ungesäuerten Brote, mußte nach dem jüdischen Festablauf der alte Sauerteig einen Tag vor dem Sederabend beseitigt werden, damit während der ganzen Festwoche ungesäuerte Brote gegessen werden konnten (vgl. Ex 12,15.19; 13,3.7). In 1 Kor 5,6–8 wird nun die Gemeindesituation mit dem ungesäuerten Teig des Passafestes verglichen. Da die Festzeit mit der Opferung des Passalammes, d h. mit Jesu Kreuzestod, bereits begonnen hat,171 muß auch der alte Sauerteig fortgeschafft werden, damit die Gemeinde ein neuer ungesäuerter Teig sein kann, was sie eigentlich schon ist (V.7: i{na h\te nevon fuvrama, kaqwv~ ejste a[zumoi). Für Paulus wird deshalb nicht nur einmal im Jahr Passa gefeiert. „Das ganze Christenleben wird hier (...) als Festzeit angesehen.“172 Die Freude des Passafestes soll zur Grundsituation der Christen werden (vgl. die Festfreude in V. 8: w{ste eJortavzwmen). Bezüglich der hier interessierenden Opferthematik gilt es festzuhalten, daß Paulus den Tod Jesu durch den Hinweis auf das Passaopfer erhellt. Die Opferung des Passalammes markiert in der Zeit des zweiten Tempels den Festbeginn und konstituiert zugleich die Gemeinschaft der um den Tisch versammelten Feiernden. Wenn von Jesus als Passa bzw. von seinem Tod als Passaopfer geredet wird, dann steht die Gemeinschaftsfunktion des Opfers im Vordergrund. Das Passaopfer ist nicht Ausdruck einer Gewalttat, sondern notwendige Voraussetzung des Festmahls, einer Freudenzeit, die zum Bild für das Leben in der Gemeinde Christi werden kann. teilen ist, vgl. Lev 18,8; Dtn 23,1. Vgl. zum sexualethischen Hintergrund von 1 Kor 5 H. T IEDEMANN, Die Erfahrung des Fleisches. Paulus und die Last der Lust, Stuttgart 1998, 222–233. 170 So dient das Blut des Passalammes nach Ex 12,13 als ‚Zeichen‘ für einen apotropäischen Ritus; den Bewahrungsaspekt akzentuiert auch die Wirkungsgeschichte in Jub 49,3, bei Melito v. Sardes sowie in der rabbinischen Tradition, vgl. dazu auch K.-H. OSTMEYER, Satan und Passa in 1 Kor 5, ZNT 9 (2002), 38–45, 39f. In dem im 2. Jh. v. Chr. entstandenen Jubiläenbuch wird ferner die Bindung Isaaks („Akeda“) mit der Passatradition verbunden. So erfolgt der Auftrag Gottes an Abraham am 12. Tag des ersten Monats (Nisan), d.h. drei Tage vor der Schlachtung der Passalämmer. Die Bindung Isaaks nach der dreitägigen Wanderung (antike Zählung) fällt dann mit der Schlachtung der Passalämmer zusammen (14. Nisan). Allerdings wird das nachexilische Passa auch mit Sühne verbunden, vgl. z.B. Ez 45,21–25. 171 Der Aorist ejt uvqh zeigt den bereits erfolgten Vollzug der Handlung an. 172 So auch die Deutung bei W. S CHRAGE , Der erste Brief an die Korinther (1 Kor 1,1–6,11), EKK 7/1, Neukirchen-Vluyn 1990, 383f.

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3.3.4. Christologische Opfermetaphorik als innovative Opfertheologie Die ntl. Rede vom Opfer Jesu setzt stets eine jüdische, im Alten Testament beschriebene Opferpraxis und -theologie voraus, an unseren Beispielen das Sühneritual am Yom Kippur, die Verbrennung des Opfers und die Schlachtung des Passalammes. Dabei werden jeweils unterschiedliche Funktionen des Opfers in den Vordergrund gerückt, sei es die Sühne als Heilsgeschehen, die Gabe, die zwischen Gott und den Opfernden vermittelt, oder die Gemeinschaft der Opfernden. Eine Reduktion des Opfers auf den Sühneaspekt173 scheint mir hierbei ebenso verfehlt wie die Elimination des Gewaltaspekts.174 Die Opferchristologie bezieht sich konsequent auf den Tod Jesu, aber bleibt nicht beim Tod und seiner Gewaltdimension stehen. Opferchristologie ist stattdessen gerade eine produktive Verarbeitung dieses Todes. Produktiv deshalb, weil wie im bildspendenden Bereich der Tod der Opfermaterie zwar notwendig vorausgesetzt, aber dabei nicht zum Selbstzweck erhoben wird, sondern auf ganz unterschiedliche theologische Funktionen hinzielt, sei es die Sühne, Gabe bzw. Heiligung oder Gemeinschaft. Produktiv aber auch deshalb, weil metaphorische Konstruktion nicht nur ein rezeptiver, sondern immer zugleich ein innovativer Vorgang ist, in dem sich die Brechung und Überbietung vorgeprägter Sprachnormen ereignet (s.o.).175 Indem ntl. Opfermetaphorik die traditionellen Sprach- und Denkmuster der Opfertheologie konsequent auf Jesus übertrug, vollzog sich eine kreative Erweiterung und z.T. sogar bewußte Überbietung dieser Traditionen. Denn im Sinne der Interaktionstheorie der Metapher erfolgt der Bedeutungstransfer nicht nur in eine Richtung. D.h. nicht nur die allgemein bekannte Opfertheologie erhellte den Tod Jesu, sondern umgekehrt konnte aufgrund der metaphorischen Wechselwirkung jetzt auch die jüdische Opferpraxis und -theologie vom Kreuz aus in einem neuen Licht gesehen werden. Im Blick auf die genannten Textbeispiele läßt sich diese Sinnerweiterung etwa darin 173 So H. G ESE, Die Sühne, in: Ders., Zur Biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, BEvTh 78, München 1977, 85–106; P. STUHLMACHER, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1, Göttingen 1992, 33; H. MERKLEIN, Der Sühnegedanken in der Jesustradition und bei Paulus, in: Gerhards/Richter (Hgg.), Opfer (s. Anm. 145), 59–91. 174 So etwa B RANDT, Opfer (s. Anm. 145), z.B. 204: „Die Vollendung des Opfers Jesu Christi, die eschatologische Entsühnung, geschah dem Hebräerbrief zufolge also nicht am Kreuz, sondern im himmlischen Heiligtum, in welches der Sohn-Hohepriester ein für allemal eingetreten ist, um eine ewige Erlösung zu erlangen.“ 175 Vgl. zu dieser Spannung R. ZIMMERMANN, Bildersprache verstehen oder: Die offene Sinndynamik der Sprachbilder, in: Ders. (Hg.), Bildersprache (s. Anm. 50), 11– 54, 29f. Die innovative Kraft der Opfermetapher wird dann besonders evident, wenn der vorausgesetzte Vorstellungshorizont bewußt durchbrochen wird, indem Jesus z.B. im Hebr zugleich als opfernder Hohepriester und als dargebrachte Opfermaterie metaphorisiert wird, oder indem von einem „Selbst-Opfer“ die Rede ist.

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konzedieren, daß die befreiende Sühne nun ein für allemal gilt, daß die Gabe als Selbsthingabe konkretisiert wird und daß die christliche Gemeinde sich als fortwährende Feiergemeinschaft versteht. Weil die frühen Christen in Jesu Leben und Sterben funktionale Äquivalente zur atl. Opfertheologie gesehen und erfahren haben, konnten sie einerseits diese Konzepte aufnehmen, um das Jesusgeschehen zu deuten, andererseits machten sie deutlich, daß in Christus die eigentliche Intention des Opferkultes sogar besser erfüllt ist, als es in der konkreten Opferpraxis vielfach der Fall war. In der überbietenden Applikation von Opferdenken innerhalb christologischer Reflexionen koinzidieren deshalb Opferkritik und Opfertheologie.176

Schluß: Die Deutung des Todes Jesu – ‚nur‘ ein Sprachspiel? Daß die Deutung des Todes Jesu innerhalb der ntl. Texte durch sprachliche Mittel vollzogen wird, kann kaum bezweifelt werden. Dabei handelt es sich gerade bei narrativen und metaphorischen Sinnkonstruktionen um ursprüngliche und unersetzliche Redeweisen, die in ihrem Eigenwert wahrzunehmen sind und nicht theologischen Oberbegriffen subsumiert werden dürfen. Die tieferliegende abschließende Frage ist jedoch, ob die Interpretation der Passion auch als sprachliche Sinnstrategie erfolgt, ob also der Sinn des Todes Jesu nicht anders als durch die sprachliche Vermittlung der ntl. Autoren zu erschließen ist? Haben die urchristlichen Autoren in ihrer fiktionalen literarischen Leistung erst eine Todestheologie bzw. -soteriologie, d.h. die Heilsdeutung des Todes Jesu entworfen? Die auf uns überkommenen deutenden Texte tragen zweifellos die Handschrift ihrer jeweiligen Verfasser. Die ntl. Autoren haben ihr Verständnis vom Tod Jesu in den Text eingetragen und ihren Adressaten zu vermitteln versucht. Die Texte sind als Erzählungen und Metaphern poetische Artefakte, Fiktionen also, die der Dichtkunst ihrer Urheber entspringen. Die narrativen und metaphorischen Formen sind in der vorliegenden Weise nicht den Ereignissen selbst immanent. Literarische Strukturen werden erst post factum in die Fakten hineingewebt. Doch existieren diese Deutungen deshalb „nur im Kopf des Historikers, der über sie nachdenkt“,177 wie H. White folgert? Sind sie folglich nur Sprachspiele, oder 176 177

Vgl. zu diesem Aspekt meine Zuspitzung in ZIMMERMANN, Opfer (s. Anm. 144). Vgl. W HITE, Kunstwerk (s. Anm. 38), 115f. Vgl. zum Problem der Referentialität auch die Aufsatzsammlung DERS., Figural Realism. Studies in the Mimesis Effect, Baltimore/London 1999; ferner die kritische Auseinandersetzung mit White und Ankersmit bei LORENZ, Geschichte (s. Anm. 120), 33–63.

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wie man zugespitzt formuliert hat, „Erfindungen“ (inventions)178 einzelner Autoren? Entstammen die Deutemuster des Todes Jesu letztlich ‚nur‘ der ‚historischen Einbildungskraft‘ und sprachlichen Kongenialität der ntl. Autoren? Der Fragenkreis, der hier angesprochen ist, betrifft die Referentialität der sprachlichen Deutungen, d.h. den Wirklichkeitsbezug, ja letztlich auch die Wahrheit des ntl. Zeugnisses.179 Reduziert sich der Wahrheitsgehalt der ntl. Deutung des Todes Jesu folglich auf eine „narrative Wahrheit“180 oder etwa „erfundene Wahrheit“?181 C. Lorenz hat m.E. zu Recht gegen die These Whites von einer völlig freien und autonomen Konstruktion der Plotstruktur eingewandt, daß der Deutung durch narrative und metaphorische Strukturierung „faktische Beschränkungen“182 auferlegt sind. Die narrative Anordnung der Fakten oder die metaphorische Übertragungsleistung sind nicht beliebig, zumindest dann nicht, wenn sie verstanden und wirksam werden wollen. Wenn es gar nichts gibt, was gedeutet, was erzählt oder metaphorisiert werden kann, 178 Vgl. J. RÜSEN, Fiktionalität und Faktizität der Geschichte, in: Schröter/Eddelbüttel (Hgg.), Konstruktion (s. Anm. 9), 19–32, 23: „Nach der sogenannten linguistischen und ihr folgend auch nach der kulturalistischen Wende hat sich der Wirklichkeitsbezug des historischen Denkens in die Fiktionalität historischer Sinnbildung verflüchtigt. (...) Um deren meta-faktischen, fiktionalen (oder, wie man auch sagt: rhetorischen oder poetischen) Charakter zu unterstreichen, findet sich auch die Rede von der ‚Erfindung‘ (invention).“ 179 Die Komplexität dieser Fragestellung würde freilich eine eigene Auseinandersetzung erfordern, die hier nicht mehr geleistet werden kann. Weiterführend etwa die Beiträge in SCHRÖTER/EDDELBÜTTEL (Hgg.), Konstruktion (s. Anm. 9), die auf je eigene Weise um diese Kernfrage kreisen; ferner die Aufsatzsammlung von W HITE, Figural Realism (s. Anm. 177) sowie GOERTZ, Unsichere Geschichte (s. Anm. 9), 11–31. 180 Der Begriff wird allerdings nicht präzise bestimmt, so etwa in H. W HITE , Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie, in: Ders., Die Bedeutung der Form (s. Anm. 35), 65; DERS., Figuring the Nature of the Times Deceased. Literary Theory and Historical Writing, in: R. Cohen (Hg.), The Future of Literary Theory, New York/London 1989, 135f.: „All stories are fictions. Which means, of course, that they can be true only in a metaphorical sense and in the sense in which a figure of speech can be true. Is this true enough?“ 181 Vgl. zu diesem Begriff M. REICH-RANICKI, Nachwort, in: Ders. (Hg.), Erfundene Wahrheit. Deutsche Geschichten seit 1945, München 1965, 507–513, 508: „Nicht mit Ausgedachtem begegnet der Erzähler dem Leben, sondern mit Erfindungen, die er der Wirklichkeit abgetrotzt hat und die geeignet sind, die Wahrheit ahnen zu lassen. Kurzum: mit erfundener Wahrheit.“ U. Körtner hat den Begriff erstmals auf ntl. Texte angewandt, vgl. U.H.J. KÖRTNER, Theologie des Wortes Gottes. Positionen – Probleme – Perspektiven, Göttingen 2001, 370–373. 182 Vgl. LORENZ, Geschichte (s. Anm. 120), 60. Gegen die etwas verengende Deutung Whites durch Lorenz ist aber darauf hinzuweisen, daß für White ein Historiker „an den spezifischen Prozessen der Sinnstiftung (sense-making) teilhat, die ihn als Mitglied einer bestimmten Kulturgemeinschaft ausweisen“ (WHITE, Kunstwerk [s. Anm. 38], 106).

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dann kommt es auch nicht zu sprachlichen Prozessen der Verarbeitung. Ferner korrelieren die Fakten in bestimmter Weise mit den sprachlichen Deutemustern. Allerdings greift der Hinweis auf die Referentialität der historischen Fakten bei Lorenz zu kurz. Neben die faktische Beschränkung tritt m.E. auch eine sprachliche Beschränkung, wie dies besonders an Sprachbildern deutlich wird. Metaphern können nur verstanden werden, wenn sie auf einer Bildfeldtradition beruhen. Völlig freie, obgleich dabei natürlich sehr kühne Verschränkungen von Sinnbezirken sind unverständlich. Entsprechend konnte die metaphorische Sinnkonstruktion nur vor dem Hintergrund vorgeprägter Sprachmuster vollzogen werden, wie dies in der jeweils engen Einbindung der Deutungen des Todes in jüdische Denk- und Sprachtraditionen sichtbar wurde. Schließlich können sprachliche Konstrukte nur dann sinnstiftend wirksam werden, wenn sie sich in konkreten Lebenssituationen bewähren. Ich möchte hierbei von einer hermeneutischen Beschränkung der freien Sinnproduktion sprechen. Referentialität darf sich m.E. nicht auf historische Fakten beschränken, sondern bezieht sich gleichermaßen auf Vergangenes wie Gegenwärtiges, d.h. muß auch die Kommunikationssituation, in der der Akt des Erzählens bzw. Lesens und Hörens abläuft, einschließen. Es bedarf eines Erfahrungsgrundes,183 eines gelebten Äquivalents, das Worte wirksam werden läßt. Rüsen spricht analog von der „narrativen Triftigkeit“ als der „Synthese von Erfahrung und Bedeutung der menschlichen Vergangenheit, die durch das Erzählen als Form der historischen Erinnerung realisiert wird.“184 Wenn die Sinnpotentiale nicht erfahren werden, wenn Deutungen nicht gegenwärtig Lebenssinn stiften, verlieren sie ihre Relevanz in einer Sprach- und Glaubensgemeinschaft.185 Dazu ein Beispiel aus dem Bereich der Opfermetaphorik: Die Übertragung der gemeinschaftsstiftenden Funktion des Opfers konnte nur wirksam werden, weil auch eine wirkliche Gemeinschaft unter Christen erfahrbar war. In dem durch Statusverzicht und Nächstenliebe geprägten Sozialverbund, in dem die sozialen und religiösen Unterschiede zwischen Sklaven und Freien, Juden und 183

Vgl. zur Erfahrungsdimension von Metaphern den Beitrag J. LAUSTER, Biblische Bilder, christologische Metaphern und ihr historischer Erfahrungsgrund, in: J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann (Hgg.), Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin/New York 2003, 281–298, 290f.: „Die biblischen Bilder verkörpern (...) ein Ausdrucksuniversum religiöser Erfahrung, d.h. sie repräsentieren die Vielfalt religiöser Ausdrucksmöglichkeiten, die sich aus der Erlebnisverarbeitung ergibt. (...) Die biblische Bildersprache und Metaphorik korrespondiert (...) mit der Transzendenzerfahrung, die sie ausdrückt, und steht doch zugleich in Differenz zu ihr.“ 184 RÜSEN, Christologie (s. Anm. 59), 92. 185 Hier liegt sicherlich einer der Gründe, warum Opferdenken gegenwärtig so stark in die Kritik geraten ist.

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Griechen oder Mann und Frau aufgehoben wurden (Gal 3,28), realisierte sich eine für die damalige Zeit nahezu revolutionäre Form der Menschengemeinschaft. Die sich z.B. in der gefeierten Eucharistie an den Tod Jesu erinnernde Gemeinde (vgl. 1 Kor 11,26) überbot damit die Gemeinschaftsstiftung des jüdischen Opfermahls. Entsprechend wird nicht nur eine Woche im Jahr das Festmahl des Passa gefeiert, sondern das ganze Leben der Christen ist – wie Paulus in 1 Kor 5 vertritt – wie ein Fest, die christliche Gemeinde ist eine Gemeinschaft aus Feiernden. Der Erfahrungsgrund, die historische oder sogar inkarnatorische Seite der Deutung bleiben Bedingung ihrer Gültigkeit. Dies gilt für die urchristlichen Deuteprozesse des Todes Jesu, die durch die ntl. Texte überkommen sind. Dies gilt aber ebenso für die gegenwärtige Deutung, die in theologischer Wissenschaft und kirchlicher Predigt vollzogen wird. Bleibt die Heilsdeutung des Todes reines Gedanken- und Sprachspiel, dann vermag auch alle Erzählkunst die Sinnpotentiale des Todes Jesu nicht zur Geltung zu bringen. Andererseits ermutigen gerade die sprachlichen Konstrukte der ntl. Deutung des Todes Jesu dazu, auch heute innovativ und kreativ vom Tod Jesu zu erzählen186 und anerkannte Sinnbereiche metaphorisch mit diesem Ereignis zu verschränken, um neuen Sinn zu stiften. Nur so kann die Deutung des Todes Jesu ein dynamischer Prozeß des Verstehens bleiben.

186 Ein Beispiel für dieses vergegenwärtigende Erzählen ist etwa die narrative Passionschristologie in Lateinamerika, wie ich sie persönlich erleben durfte: An Stationen der Gewalt in einem Armenviertel in Santiago de Chile wurde die Passionsgeschichte nacherzählt. Die Passionsgeschichte Jesu wurde in diesem neuen Kontext zum Deutehorizont eigener Gewalt- und schließlich auch Heilserfahrungen. Vgl. die Reflexionen des später selbst ermordeten Jesuiten I. ELLACURÍA, Das gekreuzigte Volk, in: Ders./J. Sobrino (Hgg.), Mysterium Liberationis. Grundbegriffe der Theologie der Befreiung, Bd. 2, Luzern 1996, 823–850; allgemeiner zur narrativen Befreiungs-Christologie C. BRAVO, Jesus von Nazaret, der befreiende Christus, in: Ellacuría/Sobrino (Hgg.), a.a.O., 543– 565.

Sühne durch Stellvertretung Zur zentralen Deutung des Todes Jesu im Römerbrief Thomas Söding

1. Fragestellung Tod und Auferstehung Jesu stehen im Zentrum paulinischer Theologie. Weil der Apostel seit Damaskus aus dem Glauben an die Auferstehung Jesu lebt, hat er die Kraft, den Tod Jesu in aller Schärfe zu sehen. Er leugnet den Anstoß und Irrsinn des Kreuzes nicht (1 Kor 1,23ff.). Er weiß aus eigener Erfahrung genau, weshalb man als Jude dazu kommt, wegen Golgatha den Glauben an die Messianität Jesu absurd zu finden: „Verflucht ist, wer am Holze hängt.“ (Gal 3,13: Dtn 21,23). Er weiß aus seiner Erfahrung als Missionar auch, wieviel Widerspruch bei Griechen und Römern die Vorstellung auslöst, ein Gekreuzigter solle der Erlöser sein. Nach Damaskus ist er aber davon überzeugt, daß im Kreuz das Leben zu finden ist. Der Tod ist nicht nur der Preis, den Jesus um der Treue zu seiner Sendung willen bezahlt hat; mit der Auferstehung verbunden, ist er das seine gesamte Sendung zusammenfassende Mittel, mit dem Gott tiefstes Unheil in höchstes Heil verwandelt. Um dies auszudrücken, hat Paulus die reiche Bekenntnissprache des ältesten Christentums benutzt und selbst bereichert. Er verfügt über einen großen Schatz soteriologischer Hauptbegriffe und Leitmotive. Alle haben ihre unverwechselbare und unersetzbare Bedeutung. Im Zentrum steht die Rede vom stellvertretenden Sühnetod Jesu. Das zeigt sich weniger an der Zahl als am Gewicht der Belege. Die alttestamentliche Sühnetheologie, sowohl in ihrer kultischen Ausprägung durch die Opferriten als auch in ihrer ethischen Entwicklung durch die Märtyrertheologie, die von Jes 53, dem Lied vom stellvertretend leidenden Gottesknecht, beeinflußt ist, markiert ein Niveau theologischer Vergewisserung über die Möglichkeit und den Vollzug von Sündenvergebung und neuem Leben, das Paulus an keiner Stelle unterschreitet, über das er aber hinausschreiten muß, um seinem eigentlichen Thema gerecht zu werden: dem Kreuzestod und der Auferweckung Jesu, des Sohnes Gottes, der die Verheißung Abrahams erfüllt und das ewige Heil in der Teilhabe am Reich Gottes vermittelt. Ohne den Rückgang auf die Stellvertretungs- und Sühnetheologie Israels hätte Paulus

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keine Sprache für die zentrale Dimension des christologische Heilsgeschehens; aber das, was Jesus erlitten und getan hat, füllt nicht ein vorgegebenes Muster aus, sondern prägt neu, was Stellvertretung und Sühne heißt. Beides wird in vorher nie gekannter Weise zur Einheit verbunden, weil Paulus zu der Erkenntnis gelangt ist, daß „Gott in Christus war, der die Welt mit sich versöhnt hat“ (2 Kor 5,20), und dies pneumatologisch zur Sprache bringt.1 Was durch die Rede vom Sühnetod und von der Stellvertretung Jesu zum Ausdruck kommt, worin der Zusammenhang besteht und in welche Sprache diese Theologie übersetzt wird, soll im folgenden untersucht werden. Der Römerbrief des Apostels Paulus, der, bedingt durch biographische Umstände, zur „Summe“ seiner Theologie (E. Lohse), zum „Testament“ seines apostolischen Dienstes (G. Bornkamm) geworden ist, deckt nicht das ganze Spektrum paulinischer Soteriologie des Todes Jesu ab, eignet sich aber, deren spezifische Probleme und Chancen zu erkennen. Eine kontextuelle Lektüre des Römerbriefes, in der die Traditionsgeschichte zu ihrem Recht kommt, aber die Abfolge zentraler Stellen den Interpretationsschlüssel bildet, zeigt die hermeneutische und theologische Leistung des Apostels: die Sühnetheologie in ihrem theologischen Gewicht die basale Deutekategorie des Todes Jesu sein zu lassen, die sie von der alttestamentlichen Vorgabe der neutestamentlichen Soteriologie aus ist und sein muß, weil es um die Fortschaffung des Unheils und die Aufrichtung des Heils in einer unheilen Welt geht, diese Sühnetheologie aber zu transzendieren, damit sie überhaupt in die Lage kommt, Jesus Christus gerecht zu werden. Dies geschieht durch eine Interpretation mit Hilfe des – seinerseits christologisch neu justierten – Stellvertretungsmotivs, das seine Mitte im „Für“ des Todes Jesu findet, wie es ältester urchristlicher Bekenntnisbildung entspricht.2 Vom stellvertretenden Sühnetod Jesu zu sprechen, ist eine theologische Abstraktion, die auf paulinischer Theologie basiert, aber nicht einfach die Sprache des Apostels wiedergibt. Daß diese Abstraktion möglich, hilfreich und notwendig ist, soll sich zeigen. Daß sie als Abstraktion einer permanenten Rekontextualisierung und kritischen Überprüfung 1

Vgl. K. KERTELGE, Grundthemen paulinischer Theologie, Freiburg/Basel/Wien 1991, 67: „Letztlich geht es in der urchristlichen Verkündigung nicht um ein soteriologisches ‚System‘, sondern um die Selbstmitteilung Gottes im Gekreuzigten, durch die allein Vergebung der Sünden als eschatologisches Heil gewährleistet ist.“ 2 J. BECKER ist in seiner Warnung vor einer staurologischen Engführung der paulinischen Christologie ebenso beizupflichten wie in der Markierung der Differenz zwischen der alttestamentlichen Sühnetheologie und der paulinischen Christus-Soteriologie (Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 423–437). Aber die Auferstehung relativiert den Tod Jesu nicht, sondern bringt die gesamte Heilssendung Jesu, die in seinem Kreuzestod kulminiert, eschatologisch zur Geltung; und die Sühnevorstellung bleibt auch in ihrer christologischen Transformation erhalten und gewichtig.

Sühne durch Stellvertretung

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durch die metaphernreiche und begrifflich vielfältige Theologiesprache des Apostels selbst bedarf, versteht sich von selbst.

2. Die Sühnetheologie von Röm 3,25 Paulus beginnt, um sich der Hauptstadtgemeinde mit dem ihm anvertrauten Evangelium Gottes (Röm 1,1) vorzustellen, mit einer judenchristlichen Formel, deren Spannweite die Geburt und die Auferstehung Jesu als Davidssohn und Gottessohn umfaßt (Röm 1,3f.). Beides ist Gott, dem Vater verdankt. Später wird der Apostel, gleichfalls mit Hilfe traditioneller Theologie, von der Sendung des Sohnes sprechen (Röm 8,3f.), aber auch von seiner Auferweckung „durch die Herrlichkeit des Vaters“ (Röm 6,4; vgl. 4,24f.; 8,11; 10,9) und seiner Erhöhung zur „Rechten Gottes“ (Röm 8,34). a) Die Hinführung zum Thema Die Patrozentrik der Christologie prägt den Kernsatz zum Schluß des Proömiums, daß im Evangelium die Gerechtigkeit Gottes als Kraft zur Rettung für alle Glaubenden verkündet wird (Röm 1,16f.). Im ersten Begründungsschritt (Röm 1,18 – 3,20) zeigt Paulus mit der Schrift, der Erfahrung und der Vernunft, daß Gott mit seinem Zorn über Juden und Heiden im Recht ist, weil die einen gegen das Gebot des Gesetzes (2,17–29), die anderen gegen die Stimme ihres Gewissens (1,19ff.) handeln. Er schaut nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern immer auch in die jeweilige Gegenwart. Die Christologie bleibt implizit. Das ändert sich zu Beginn des zweiten Begründungsschritts. In Röm 3,21 – 4,25 zeigt Paulus, daß Gottes Gerechtigkeit in der Rechtfertigung der Glaubenden besteht. Er rekapituliert kurz das Ergebnis des vorangegangenen Passus: Die Gerechtigkeit, von der das Evangelium handelt, ist „ohne Gesetz“ offenbart, und die Offenbarung geschieht denen zugute, die, Juden wie Heiden, wegen der Sünde der Herrlichkeit Gottes ermangeln (Röm 3,21f.). Daß „ohne Gesetz“ nicht „gesetzlos“ heißt, ergibt sich aus dem Folgenden (Röm 3,31): Das Gesetz, „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), kommt, durch Christus aus der tödlichen Umklammerung durch die Sünde gelöst, in seiner Funktion als Zeuge der Messiashoffnung (Röm 3,22) und Richtschnur gerechten Lebens (Röm 13,8ff.) zur Geltung. Daß der Glaube rechtfertigt, zeigt Paulus am Beispiel Abrahams (Röm 4). Wiederum argumentiert er theozentrisch: „Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet“ (Röm 4,3: Gen 15,6). Aber wenn Paulus, das Wunder der Geburt Isaaks vor Augen, den Glauben Abrahams als „Hoffnung wider alle Hoffnung“ auf den „Gott“ deutet, „der

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die Toten lebendig macht“ (Röm 4,17f.), scheint sein Glaube an die Auferstehung Jesu durch (Röm 4,24f.), mit dem er den Brief eingeleitet hat. Um jedoch zu sagen, wie die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes erfolgt, so daß alle Glaubenden gerechtfertigt werden, muß Paulus auch auf den Tod Jesu zu sprechen kommen. Die Auferstehung Jesu ist notwendig um der Vollendung des Reiches Gottes willen (Röm 14,17), die ohne die Auferstehung der Toten, die Anteilgabe an der Auferstehung Jesu, nicht möglich wäre (Röm 8,29; vgl. 1 Kor 15,20–28). Der Tod Jesu aber ist nicht nur notwendig, weil es ohne ihn keine Auferstehung gäbe, sondern weil sonst die Erlösung nicht aus der Mitte der menschlichen Sünden- und Leidensgeschichte käme; sie wäre fremdbestimmt; sie bliebe ein Vorgang im Himmel, nicht aber auf der Erde; ohne das Kreuz wäre die Rechtfertigung nicht das Ereignis der Liebe, die in radikaler Bejahung und Anteilnahme am Leben und Sterben derer besteht, die nach Gottes Heilsratschluß gerettet werden sollen (Röm 8,28ff.). Der Glaube, er allein, kann das Geheimnis der Auferweckung verstehen und annehmen; er allein kann auch das Geheimnis des Todes Jesu erkennen. Ohne den Glauben bliebe den Menschen der Tod so absurd wie die Auferstehung. b) Der Gedankengang von Röm 3,21–26 Um den Römern gegenüber den Tod Jesu zur Sprache zu bringen, geht Paulus – ähnlich wie in 1,3f. – auf eine alte judenchristliche Tradition zurück. Sie deutet Christi Sühnetod als Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes (Röm 3,25)3. Paulus gestaltet die Vorlage so um, daß sie genau in seinen Gedankengang paßt: Ihn hat Gott hingestellt als Sühne durch den Glauben in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit.

Die Metapher ist kühn4, die Grammatik zum Zerreißen gespannt. „Durch den Glauben“ und „in seinem Blut“ ergänzen komplementär das Hauptwort „Sühne“. „Durch den Glauben“ nennt den anthropologisch-soteriologischen Aspekt: Es ist der rechtfertigende Glaube, durch den die Sühnewirkung vermittelt wird; „in seinem Blut“ nennt den christologisch-soteriologischen Aspekt: Es ist der Gekreuzigte in der Hingabe seines Lebens, 3

Einzelheiten der Traditionsanalyse sind umstritten. Die paulinische Handschrift ist am stärksten bei der Wendung „durch den Glauben“ sichtbar. Daß die Tradition auch Vers 26a umfasse, wird häufig gesagt. 4 Zu Problem der Metaphorik vgl. J. SCHRÖTER, Metaphorische Christologie. Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zuganges zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus, in: J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann (Hgg.), Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin 2003, 53–73, 63–66. Entscheidend ist (vor allen weiteren Differenzierungen), die Metapher als „eigentliche“ Sprache zu deuten, die etwas ins Bild setzt, weil es sonst nicht kenntlich wäre.

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durch den Gott Sühne schafft. „Zum Erweis seiner Gerechtigkeit“ nennt das Ziel des Geschehens und lenkt zum Subjekt des Satzes zurück. Der seine Gerechtigkeit durch Jesu Kreuzestod erwiesen hat, offenbart dies im Evangelium. Wie im Kontext herrscht die Theozentrik. Daß Gott „Sühne“ nicht empfängt, sondern schafft, ist die Basisaussage alttestamentlicher Soteriologie.5 Paulus denkt durchweg genau so. Gott allein kann Sünden vergeben, weil sie nicht nur das Recht des Nächsten, sondern damit immer zugleich sein eigenes Recht verletzen, der er den Nächsten leben läßt und retten will. Die apokalyptische Radikalisierung der Hamartiologie spitzt die Theozentrik der Vergebung zu: Wenn Sünde, wie Paulus betont, nicht nur persönliche Schuld ist, sondern Unheil von Adams Sünde an (Röm 5,12–21), kann Vergebung nur ein Akt der Neuschöpfung sein. Sie ist Antizipation der Vollendung und mithin Gottes ureigenes Werk. Die Schlußwendung, die von Vers 26 ausgebaut wird, zeigt, daß die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes durch Jesus Christus Selbstoffenbarung ist und daß im Evangelium genau diese Selbstoffenbarung so zur Sprache kommt, daß sie, das Wort Gottes verkündend und Glauben schaffend, Wirkung hat6: Paulus rezipiert die alttestamentliche Einsicht, daß die Gerechtigkeit nicht nur eine „Wesenheit in der Gottesnähe“ ist, sondern „zum Wesen von Gott selbst“ gehört.7 Er interpretiert diese Einsicht christologisch: Jesus verkündet nicht nur diese Gerechtigkeit Gottes, um sie neu auszulegen; er ist Gottes Gerechtigkeit in Person (2 Kor 5,21). Die Patrozentrik bestimmt die Christologie. Subjekt der Sühne ist Gott, der Vater. Er ist der Handelnde, Jesus der Leidende. Erst später wird Paulus diesen scheinbaren Gegensatz auflösen und die soteriologische Grundspannung aufbauen: Der Tod Jesu „für uns“ ist der heilsentscheidende Akt der Liebe Gottes (Röm 5,6ff.). Der Gabe des Sohnes durch den Vater an die sündigen Menschen (Röm 8,32) entsprechen der Gehorsam Jesu gegenüber dem Vater (Röm 5,19) und sein Eintreten „für uns“ (Röm 8,34). c) iJlasthvrion Gott offenbart sich dadurch als er selbst in seiner Gerechtigkeit, daß er „ihn“, seinen Sohn Jesus Christus, als „Sühne hingestellt hat“. Der Aorist weist auf ein einmaliges geschichtliches Ereignis: das Faktum des Kreu5

Vgl. B. J ANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Studien zur priesterschriftlichen Sühnetheologie, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 2 2000. 6 Präzise zur Verhältnisbestimmung: O. HOFIUS, Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 150. 7 Vgl. H. SPIECKERMANN, Schöpfung, Gerechtigkeit und Heil als Horizont alttestamentlicher Theologie, ZThK 100 (2003), 399–419, 408.

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zestodes Jesu. Das Verb ist aus der alttestamentlichen Opfersprache bekannt.8 Es betont die Öffentlichkeit, paßt also zum Offenbarungsgeschehen.9 Man darf an das aufgerichtete Kreuz denken, ohne daß es deshalb schon, wie nach Johannes, als Erhöhung gedeutet würde. Das Kreuz Jesu ist die Manifestation der Gerechtigkeit Gottes. Dies ist es, weil Jesus selbst iJlasthvrion ist. Die Septuaginta übersetzt mit diesem Wort das hebräische kapporaet, den terminus technicus für den Deckel der Bundeslade im Heiligtum der Wüste (Ex 25,17–22) und im salomonischen Tempel. Nach dem babylonischen Exil ist hier, im Allerheiligsten, ein mystischer Raum liturgischer Leere, der doch bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. die alles bestimmende Mitte des Ritus bildet. Die kapporaet ist der kultische Ort dichtester Gegenwart Gottes; hier offenbart Gott sich Mose und Israel (Ex 25,22; 30,6; Num 7,89); hierhin soll der Hohepriester nach Lev 16 am Großen Versöhnungstag das Blut des geschlachteten Jungstieres sprengen, um das Heiligtum von den Sünden der Israeliten zu reinigen10. Dies ist der zentrale Ritus des Iom kippur, der im Ganzen dazu dient, den Priester und sein Haus, das Heiligtum und das ganze Volk Gottes von der Last der im vergangenen Jahr unabsichtlich begangenen Sünden zu befreien. Steht Röm 3,25 diese kapporaet vor Augen? Wer positiv urteilt11, sieht eine Parallele zu Hebr 9 und eine starke kultkritische Pointe: Der Ort der Gegenwart Gottes ist der Gekreuzigte (2 Kor 5,17); ihn ihm, nicht (mehr) im Tempel, schafft Gott – „jetzt“, wie Paulus erläutert – Sühne. Jesus, und zwar der Gekreuzigte, ist der Ort äußerster Präsenz Gottes und innerster Anteilgabe der Menschen an Gottes Heil. Jesus Christus ist „gleichzeitig der den Glaubenden vom Kreuz herab begegnende Gott und der sich im Namen Gottes gehorsam aufopfernde Sohn Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich“12. 8

Ex 29; 40,23; Lev 24,8 sprechen vom Auslegen der Schaubrote, sehr nahe liegt Ex 25,17: iJlasthvrion ejpivqema. 9 K. H AACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 91 deutet mit Verweis auf Eph 1,9 (sowie Röm 1,13) als „Vorherbestimmung“. C.E.B. CRANFIELD zieht für diese Deutung auch Origenes und Chrysostomus heran (The Epistle of the Romans I–II, ICC, Edinburgh 1975, I 208f.). Aber Röm 3,21–26 handelt betont von dem, was „jetzt“ geschieht. 10 W. KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Römer 3,25–26a, WMANT 66, Neukirchen 1991, 45–70 hat zu Recht das direkte Ziel des Blutritus betont. Er ist aber Teil der gesamten Liturgie. 11 So u.a. U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer I, EKK 6/1, Neukirchen-Vluyn 1978, 190ff.; H. MERKLEIN, Die Bedeutung des Kreuzestodes Christi für die paulinische Gerechtigkeits- und Gesetzesthematik, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 1–106, 33f.; M. T HEOBALD, Römerbrief I, SKK.NT 6/1, Stuttgart 1992, 97–105. 12 P. STUHLMACHER , Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen 1989, 57f.

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Allerdings gibt es an dieser Deutung Zweifel.13 Man wendet ein, das Bild passe nicht: Im alttestamentlichen Kult wurde das Blut an die kapporaet gesprengt; folglich müßte man denken, Jesus sprenge sein eigenes Blut an sich selbst; überdies sei die kapporaet gerade nicht öffentlich aufgestellt, sondern im Allerheiligsten verborgen worden. Aber die metaphorische Kühnheit teilte Röm 3,25 mit Hebr 9, und das, was im Kult vor aller Augen verborgen war, wird im Text der Schrift doch bekannt gemacht; entscheidend ist der Aspekt der Setzung durch Gott zum Kult des Volkes. Freilich: Auch wer gegenüber der Identifikation skeptisch bleibt, interpretiert sühnetheologisch. Nur werden dann andere Traditionen als die kultischen dominant. Das hellenistische Judenchristentum kennt Märtyrerüberlieferungen, in denen dem Tod „für“ das Gesetz oder das Volk Sinn zugesprochen wird.14 Ein Spitzentext ist 4 Makk 17,21f., wonach „durch das Blut jener Frommen und ihren sühnenden Tod (tou` iJlasthrivou tou` qanavtou aujtw`n) die göttliche Vorsehung das schwer bedrängte Israel gerettet“ hat.15 Die Sühne gilt nicht mehr, wie in den früheren Makkabäerbüchern, eigener, sondern fremder Schuld: Die Märtyrer sind gerecht; sie nehmen durch ihren Tod die Sünden Israels weg. Insofern ist er stellvertretender Sühnetod. Wiewohl die Datierung des Vierten Makkabäerbuches fraglich bleibt und iJlasthvrio~ adjektivisch gebraucht ist, wird die Vorstellung, die der Satz zum Ausdruck bringt, für die Interpretation von Röm 3,25 wichtig.16 Auch die Märtyrergeschichte denkt theozentrisch; auch sie hat, wenngleich in einem anderen Horizont, die Rettung des Volkes vor Augen; auch sie spricht vom unschuldig vergossenen Blut. Die kapporaet von Lev 16 ist ein kultischer Ort, Jesus aber ein Mensch, der wie die Makkabäer als Märtyrer gestorben ist. Der entscheidende Unterschied zu Röm 3,25 besteht darin, daß die Märtyrer sich selbst opfern, worauf Gott reagiert, während Jesus, der sein Leiden gehorsam angenommen hat, von Gott selbst als Sühne hingestellt wird.17

13 So von H. SCHLIER , Der Römerbrief, HThK 6, Freiburg/Basel/Wien 1979, 110f.; E. LOHSE, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 126f. 14 Vgl. M. H ENGEL, The Atonement. A Study of the Origins of the Doctrine in the New Testament, London 1981. 15 Vgl. J.W. VAN H ENTEN, The Tradition-Historical Background of Romans 3,25, in: M. de Boer (Hg.), From Jesus to John (FS M. de Jonge), JSNT.S 8, Sheffield 1993, 101– 128. 16 Anders urteilt jedoch W ILCKENS, Römer I (s. Anm. 11), 190ff.; CRANFIELD, Romans I (s. Anm. 9), 217f. schlägt, Röm 3 im Blick, eine Brücke zu Jes 53. 17 Darauf macht T H. K NÖPPLER , Sühne im Neuen Testament. Studien zum urchristlichen Verständnis der Heilsbedeutung des Todes Jesu, WMANT 88, Neukirchen-Vluyn 2001, 114 aufmerksam – der allerdings deshalb schon 4 Makk 17 aus der Betrachtung ausschließen will.

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d) Paulinische Sühnetheologie in Röm 3,21–26 Die Traditionsgeschichte liefert kein Passepartout für Röm 3,25.18 Die urchristliche Überlieferung arrangiert die Topoi neu, erst recht Paulus selbst. Das entscheidende Movens ist die Christologie.19 Lev 16 kann schon deshalb nicht außer Betracht bleiben, weil die Begriffsbildung jüdischhellenistischer Theologie schwer ohne das Gewicht des Sühnekultes zu erklären ist. Zwar kennen auch die Griechen ein „Sühnen“, aber in dem Sinne, daß die Götter durch Opfer gnädig gestimmt werden.20 Im Alten Testament verlangt der Monotheismus aber eine entschiedene Theozentrik, der das Frühjudentum wie das Frühchristentum vorbehaltlos zustimmen; das Opfer ist deshalb nicht Teil des do ut des, sondern dankbarer Ausdruck verheißener Vergebung. Die frühjüdisch-hellenistischen Märtyrerideale in den Makkabäerbüchern nehmen einen Grundgedanken von Jes 53 auf: Daß nach Gottes Willen stellvertretendes Leiden Heilung bewirkt.21 Die Verbindung mit dem Sühnegedanken ist nicht kultkritisch gemeint, sondern soll das Gewicht des Martyriums stärken: Es ist nicht nur ein Schauspiel oder moralisches Vorbild, sondern Teil des Heilshandelns Gottes an seinem in Sünde verstrickten Volk. Den Schlüssel zum Verständnis von Röm 3,25 liefert aber nicht schon die alttestamentlich-frühjüdische Sühnetheologie, sondern erst die Abendmahlsparadosis (die gleichfalls nicht ohne das Alte Testament und das Judentum zu erklären ist). Denn die christologisch entscheidende Wendung ejn tw`/ aujtou` ai{mati erklärt sich aus keiner der fraglichen Parallelstellen. Sie ist aber eine deutliche Reminiszenz der paulinisch-lukanischen Überlieferungsvariante, nach der Jesus mit seinen verba testamenti von der Stiftung des Neuen Bundes „in meinem Blut“ spricht (1 Kor 11,23f.). Das Blut Jesu ist das Mittel der Sühne, die Gott vollzieht, indem er den neuen Bund stiftet. Erst diese Christologie macht eine Rezeption möglich, aber auch notwendig, in der die kultische Sühnetheologie mit der Stellvertretungssoteriologie verbunden wird. Röm 3,25 ist das signifikante Ergebnis einer Transformation verschiedener traditioneller Vorstellungen, die eine neue Qualität der Aussage erreicht, weil ein neues Thema verstanden und ausgedrückt werden will: das Kreuz des Gottessohnes Jesus. Welche Heilsbe18 So auch (mit anderer Akzentuierung und Auswertung) M. W OLTER , Rechtfertigung und zukünftiges Heil. Untersuchungen zu Röm 5,1–11, BZNW 43, Berlin 1978, 20ff. 19 Vgl. U. SCHNELLE, Paulus. Leben und Denken, Berlin 2003, 507–511. 20 Vgl. C. BREYTENBACH, Gnädigstimmen und opferkultische Sühne im Urchristentum und seiner Umwelt, in: B. Janowski/M. Welker (Hgg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt/Main 2000, 217–243. 21 Vgl. B. J ANOWSKI/P. STUHLMACHER (Hgg.), Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, FAT 14, Tübingen 1996.

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deutung kann dem Martyrium, welche dem stellvertretenden Leiden eines Gerechten zuwachsen, wenn er der Sohn Gottes ist? Welche Dimensionen kann die Versöhnung haben, wenn das unschuldig vergossene Blut das des Sohnes Gottes ist, der sein Leben freiwillig für die Vielen hingibt? Röm 3,25 weitet im Verein mit vielen anderen neutestamentlichen Texten den Radius der Sündenvergebung aus, so wie es der Einsicht entspricht, daß der Kreuzestod Jesu die Selbstoffenbarung Gottes in seiner Gerechtigkeit ist. Nicht nur die unwissentlichen, auch die absichtlichen, selbst die blasphemischen und nicht nur die Jahr für Jahr neu begangenen, sondern aller Menschen Sünden werden gesühnt; nicht immer wieder neu, sondern „ein für allemal“ (Röm 6,10) wird Heil geschaffen und nicht eine Atempause wird dem kämpfenden Gottesvolk verschafft, sondern das Glück der Vollendung (Röm 14,17) und der Friede erfüllter Heilsgegenwart (Röm 5,1). Der Ort, an dem Gott Sühne leistet, d.h. die Menschen in Anbetracht ihrer Sünde durch die Vergebung der Sünden doch in ein rechtes Verhältnis zu ihm versetzt, ist Jesus Christus selbst. Der Kult wird zur Metapher der Christologie. Die Bildsprache besagt, daß die Schuld von Gott in einer Weise vergeben wird, die er selbst definiert, damit diejenigen, die durch ihre Sünde des Todes wären, in Kontakt mit ihm, dem Heiligen, kommen, ohne sterben zu müssen, sondern um leben zu können. Gleichzeitig impliziert das Kultische die Möglichkeit und Notwendigkeit einer sakramentalen Vergegenwärtigung des Todes Jesu in seiner Heilsbedeutung.22 Die Sühnetheologie von Röm 3,21–26 nimmt das Gewicht der Theologie des Zornes Gottes auf, der untrennbar mit der Theologie einer Gerechtigkeit Gottes verbunden ist. Deshalb ist es im Duktus des Briefes stimmig, daß Paulus nach Röm 1,18 – 3,20 die Christologie der Rechtfertigung sühnetheologisch entwickelt. So klärt sich christologisch, daß der Zorn und die Gerechtigkeit Gottes nicht in einem äußeren, sondern einem inneren, wesentlichen Verhältnis zueinander stehen und auf Heilsvermittlung aus sind. Der Zorn Gottes deckt die tödliche Kraft der Sünde auf; die Gerechtigkeit, die zur Rechtfertigung der Sünder aus dem Glauben führt, offenbart aber noch viel mehr den Heilswillen Gottes in seinem Zorn und über ihn hinaus. Der Tod des Gekreuzigten entspricht dem Zorn Gottes über die Sünde; als Sühne aber verwindet er den Tod der Sünde; der auferstandene Gekreuzigte ist die rettende Gerechtigkeit Gottes in Person.

22 Das will C. B REYTENBACH, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989, 167f. aus der Betrachtung ausschließen – konsequent, wenn ein kulttheologischer Hintergrund von Röm 3,25 abgelehnt wird.

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3. Die Ausstrahlung der Sühnetheologie in die Rechtfertigungslehre und die Interpretation durch die Christologie der Stellvertretung Röm 3,25 strahlt auf den gesamten Römerbrief aus. Eine vergleichbare Explikation der Sühnetheologie findet sich an keiner anderen Stelle. Aber unter dem Vorzeichen von Röm 3,25 gelesen, werden theologische Implikationen einer Theologie des Todes Jesu sichtbar, die auf den paulinischen Leitgedanken, Sühne erfolge durch Stellvertretung und der stellvertretende Tod Jesu sei die eschatologische Sühne Gottes, verweisen und so die Sühnetheologie paulinisch neu justieren. a) Röm 4,25: Hingabe Nach Röm 3,25 wird der Tod Jesu akzentuiert wieder in Röm 4,25 thematisch, erneut im rechtfertigungstheologischen Kontext, aber nun programmatisch mit der Auferstehung verbunden. … hingegeben wegen unserer Übertretungen, auferweckt zu unserer Rechtfertigung.

Röm 3,21 – 4,25, der zweite Schritt zur Erläuterung der Grundaussage von Röm 1,16f., hat eine christologische Klammer. Während Röm 3,25f. den Tod Jesu thematisiert, handelt Röm 4,25 von Tod und Auferstehung Jesu. Dadurch wird die Auferstehungstheologie eingeholt, die Röm 1,1–17 dominierte, aber mit dem Tod Jesu verknüpft, der die Sühnetheologie von Röm 3,25 prägt. Vermutlich geht Paulus wie in Röm 1,3f. und Röm 3,25 gezielt auf judenchristliche Traditionen zurück: abgestimmt auf seine Rechtfertigungslehre und geeignet, die paulinische Mission der gesamtkirchlichen einzuordnen.23 Im alttestamentlichen Hintergrund der Aussage, daß Jesus „wegen unserer Übertretungen hingegeben und zu unserer Rechtfertigung auferweckt worden“ ist, leuchtet Jes 53.24 Das vierte Lied vom Gottesknecht stößt an die äußerste Grenze alttestamentlicher Soteriologie vor: daß der Personalität der Sünde ein personales Leiden in Stellvertretung der Schuldigen entspricht und daß die Theozentrik der Vergebung die vorbehaltlose Identifikation Gottes mit einem leidenden Menschen, seinem gesandten, getöteten und erhöhten Knecht, voraussetzt.25 Im alttestamentlichen Kontext bleibt aber die Frage offen, in welchem Verhältnis das Handeln Gottes und das Leiden des Gottesknechtes zueinander stehen. Wenn jedoch vom 23 24

Betont von STUHLMACHER, Römer (s. Anm. 12), 71. Klärend zur Diskussion: M. GAUKESBRINK, Die Sühnetradition bei Paulus. Rezeption und theologischer Stellenwert, fzb 82, Würzburg 1999, 181–185. 25 Vgl. H. SPIECKERMANN, Gottes Liebe zu Israel, FAT 33, Tübingen 2001, 141–153.

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menschgewordenen Gottessohn die Rede ist (Röm 1,3f.; 8,3), kann es keinen Zweifel geben, daß sein stellvertretendes Leiden die Weise radikaler Anteilnahme Gottes selbst am Leiden der sündigen Menschen ist, daß Jesu Leiden die Weise des rettenden Handeln Gottes ist und daß die „Erhöhung“ des Gottesknechtes nicht allein die Bestätigung seines guten Willens und die Inkraftsetzung seiner Heilsintention ist, sondern sein ureigenes Wirken in der Kraft des lebendigen Gottes. Das ist bereits die Grundlinie der Leidensankündigungen Jesu nach Mk 9,31 und 10,33f. Paulus expliziert die darin angelegte Soteriologie rechtfertigungstheologisch: Wenn der Sohn Gottes „wegen unserer Sünden hingegeben und zu unserer Rechtfertigung auferweckt worden“ ist, besteht das Heil, das sein Tod und seine Auferweckung wirkt, in der Teilhabe am Leben Gottes selbst und mithin an der eschatologischen Vollendung sowie deren gegenwärtiger Antizipation. Freilich versteht Jes 53 die Heilswirkung des Todes Jesu nicht als kultische Sühne, sondern als Schuldtilgung.26 Dies hat im alttestamentlichen Sinn zur Konsequenz, daß die Beziehung zwischen dem Leiden, das der Gottesknecht stellvertretend für die Täter auf sich nimmt, und seiner Heilswirkung, die in der Strafverschonung und Rettung der Sünder besteht, offen bleibt.27 Röm 4,25 hingegen muß im Kontext von Röm 3,25 gelesen werden. Für Paulus sind die Übertretungen der Grund des Todes Jesu, während die Rechtfertigung durch die Auferstehung den Tod Jesu so voraussetzt und eschatologisch zur Geltung bringt, daß durch das Sterben die Schuld der Welt gebüßt und in Segen verwandelt wird.28 Die frühjüdische Märtyrertheologie ist eine Parallele, die aber – konsequent – im Horizont des Ethos bleibt, da der Märtyrer nicht der Messias ist und Gott auf das Opfer des Lebens mit der Sühne antwortet. Röm 4,25 aber bringt die Theozentrik der Rechtfertigung so zur Sprache, daß im Gestorbenen und Auferweckten der Kyrios (Röm 4,24) gesehen wird. Nur deshalb wird durch ihn die Verheißung Abrahams erfüllt. Röm 3,25 gibt zu verstehen, daß die Sühne durch Stellvertretung geschieht; ohne den Begriff zu gebrauchen, zeigt Röm 4,25 im Kontext des gesamten Römerbriefes an, daß Jesu stellvertretender Tod Sühne schafft. 26 Vgl. B. J ANOWSKI, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997, 89–92. 27 Das gilt auch dann, wenn man