Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler. Band 2 Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler Band 2: Eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen 9783899496581, 9783899494570

German civil law political theory is not in high demand these days. However, political theory is important for establish

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German Pages 539 Year 2010

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Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler. Band 2 Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler Band 2: Eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen
 9783899496581, 9783899494570

Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsübersicht
Autorenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Gerhard Kegel (1912–2006)
Franz Bydlinski – Im Dienste der Gerechtigkeit
Peter Schlechtriem (1933–2007)
Ernst-Joachim Mestmäcker (1926)
Wolfgang Zöllner
Marcus Lutter
Peter Ulmer
Harm Peter Westermann
Karsten Schmidt – Landschaftsbildner des Rechts –
Peter Doralt
Klaus J. Hopt
Karl Larenz
Ernst von Caemmerer (1908–1985)
Der Jahrhundertjurist: Werner Flume
Dieter Medicus (1929)
Ulrich Huber
Claus-Wilhelm Canaris – der „Entdecker“
Manfred Wolf
Statt eines Diskussionsberichts
Bemerkungen zu einem vielschichtigen Unterfangen
Skizzenartige Impressionen zu einem verdienstvollen Werk
Dogmatik – Internationales – Wirtschaft
Vorsprung durch Technik: Die „deutschsprachigen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ in rechtsvergleichender Perspektive
Backmatter

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Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler Band 2

Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler Eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen

Band 2

herausgegeben von

Stefan Grundmann Karl Riesenhuber

De Gruyter

Der zweibändigen Edition liegt die Ringvorlesung „Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler“ zugrunde, die die Herausgeber an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), und der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt haben. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung.

ISBN 978-3-89949-457-0 e-ISBN 978-3-89949-658-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die Ringvorlesung, die dem Gesamtwerk zugrundliegt, klang im Sommersemester 2010 nach zehn Semestern aus. Mit diesem Band legen die Herausgeber die Einzelvorträge der zweiten Halbzeit vor. Die Gesamtkonzeption ist im Vorwort und der Einleitung des ersten Bandes dargelegt. Bei der Anordnung der Beiträge haben wir uns an Chronologie und sachlichen Schwerpunkten orientiert, in Einzelheiten ist sie allerdings auch durch organisatorisch bedingte Zufälligkeiten mitbestimmt. Der vorliegende Band wird durch eine Reihe von Querschnittsbeiträgen bereichert, in denen „Glanzlichter“ der Entwicklung aus der Warte unterschiedlicher zivilrechtlicher Teildisziplinen aufscheinen. Sie ergänzen die Einführung von Band 1, in der die Herausgeber aus ihrer Sicht Entwicklungslinien hervorgehoben haben. Der Abschluss des Gesamtvorhabens ist für die Herausgeber Anlass, noch einmal Dank abzustatten. Er gebührt vor allen Dingen den Autoren. Welch große und oft schwierige Aufgabe sie mit ihrer Zusage übernommen haben, ist uns bei jedem Vortrag deutlich geworden und dokumentiert dieser Band. Dank gebührt auch an dieser Stelle der Fritz Thyssen-Stiftung für die großzügige finanzielle Förderung. Und nicht zuletzt danken wir unseren Mitarbeitern. Hervorzuheben ist zuerst Herr Assessor Alexander Jüchers, jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn. Er hat sich unser Anliegen in besonderer Weise zu eigen gemacht und die Redaktion des zweiten Bandes organisiert und geleitet und einen Großteil der Arbeit selbst in die Hand genommen, deutlich über seine Verpflichtungen hinausgehend. Die redaktionelle Durchsicht haben unter seiner Federführung die Bochumer Mitarbeiter Frau cand.iur. Sina Krefft, Frau cand.iur. Sandra Rösler und Frau cand.iur. Ulrike Koch übernommen. Berlin und Bochum, im Juni 2010

Stefan Grundmann Karl Riesenhuber

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V IX XI

6. Teil: Methoden – Internationales, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie Gerhard Kegel (1912–2006) – Klaus Schurig . . . . . . . . . . . . . Franz Bydlinski (1931) – Peter Rummel . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Schlechtriem (1933–2007) – Martin Schmidt-Kessel . . . . .

3 19 31

7. Teil: Wirtschaftsrecht und Grenzüberschreitung Ernst-Joachim Mestmäcker (1926) – Christoph Engel Wolfgang Zöllner (1928) – Ulrich Noack . . . . . . . . Marcus Lutter (1930) – Peter Hommelhoff . . . . . . Peter Ulmer (1933) – Mathias Habersack . . . . . . . . Harm Peter Westermann (1938) – Walter G. Paefgen . Karsten Schmidt (1939) – Georg Bitter . . . . . . . . . Peter Doralt (1939) – Susanne Kalss . . . . . . . . . . . Klaus J. Hopt (1940) – Stefan Grundmann . . . . . . .

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53 71 97 127 147 161 185 221

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263 309 323 339 355 365 387

Statt eines Diskussionsberichts – Jan Thiessen . . . . . . . . . . . . .

407

8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System Karl Larenz (1903–1993) – Claus-Wilhelm Canaris Ernst von Caemmerer (1908–1985) – Günter Hager Werner Flume (1908–2009) – Thomas Lobinger . . Dieter Medicus (1929) – Herbert Roth . . . . . . . Ulrich Huber (1936) – Johannes Wertenbruch . . Claus-Wilhelm Canaris (1937) – Reinhard Singer . Manfred Wolf (1939–2007) – Thomas Pfeiffer . . .

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9. Teil: Aus der Diskussion

VIII

Inhalt

10. Teil: Schlaglichter der Entwicklung Bemerkungen zu einem vielschichtigen Unterfangen – Christine Windbichler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Skizzenartige Impressionen zu einem verdienstvollen Werk – Martin Henssler / Clemens Höpfner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dogmatik – Internationales – Wirtschaft – Rüdiger Krause . . . . . Vorsprung durch Technik: Die „deutschsprachigen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ in rechtsvergleichender Perspektive – Stefan Vogenauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

433 437 451

473

509 521

Autorenverzeichnis Georg Bitter, Dr. iur., o. Professor an der Universität Mannheim Claus-Wilhelm Canaris, Dr. iur., Dr. iur. h.c. mult., em. o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Christoph Engel, Dr. iur., Direktor des Max-Plank-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn, o. Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Honorarprof. an der Universität Osnabrück Stefan Grundmann, Dr. iur., Dr. phil., o. Professor an der HumboldtUniversität zu Berlin, LL.M. (Berkeley) Mathias Habersack, Dr. iur., o. Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Günter Hager, Dr. iur., o. Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Martin Henssler, Dr. iur., o. Professor an der Universität zu Köln Peter Hommelhoff, Dr. iur., Dr. h.c. mult., em. o. Professor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und ihr Altrektor Clemens Höpfner, Dr. iur., Akademischer Rat an der Universität zu Köln Susanne Kalss, Dr. iur., Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, LL.M. (Florenz) Rüdiger Krause, Dr. iur., o. Professor an der Georg-August-Universität Göttingen Thomas Lobinger, Dr. iur., o. Professor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Ulrich Noack, Dr. iur., o. Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Walter Paefgen, Dr. iur., apl. Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Thomas Pfeiffer, Dr. iur., o. Professor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Karl Riesenhuber, Dr. iur., o. Professor an der Ruhr-Universität Bochum, M.C.J. (Austin) Herbert Roth, Dr. iur., o. Professor an der Universität Regensburg Peter Rummel, Dr. iur., em. o. Professor an der Johannes Kepler Universität Linz Martin Schmidt-Kessel, Dr. iur., o. Professor an der Universität Osnabrück Klaus Schurig, Dr. iur., em. o. Professor an der Universität Passau

X

Autorenverzeichnis

Reinhard Singer, Dr. iur., o. Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Jan Thiessen, Dr. iur., o. Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Stefan Vogenauer, M. Jur. (Oxon), o. Professor an der Universität Oxford Johannes Wertenbruch, Dr. iur., o. Professor an der Philipps-Universität Marburg Christine Windbichler, Dr. iur., o. Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin, LL.M. (Berkeley)

Abkürzungsverzeichnis aaO. ABGB ABl. Abs. AbzG AcP a.D. a.E. AEUV

Az.

am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt Absatz Abzahlungsgesetz Archiv für die civilistische Praxis (Jahrgang [Jahr], Seite) außer Dienst am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 13.12.2007 (Lissabon-Fassung) (siehe auch EG, EWG) alte Fassung (siehe auch n.F.) 1. Aktiengesellschaft; 2. Die Aktiengesellschaft (Jahr, Seite) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz allgemein American Journal of Comparative Law (Jahrgang [Jahr], Seite) Anhang außerplanmäßig Aufsichtsrat Der Arbeitgeber (Jahr, Seite) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Jahrgang [Jahr], Seite) Artikel Auflage Arbeit und Recht (Jahr, Seite) Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen (Erster Teil des Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile, über die Besteuerung ihrer Erträge sowie zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften) Aktenzeichen (siehe auch GZ)

BAG BAGE BB Bd./Bde BDA Begr. Beil. bes.

Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Band, Seite) Betriebsberater (Jahr, Seite) Band/Bände Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände Begründung Beilage (siehe auch Sonderbeil.) besonders

a.F. AG AGB AGBG AGG AktG allg. Am.J.Comp.L. Anh. apl. AR ArbGeb ARSP Art. Aufl. AuR AuslInvestmG

XII BFuP BGB BGB-KE BGBl. BGH BGHZ BJIL BörsG BR-Drucks. BRJ BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw. Cato J. CEE Chap. CHE c.i.c. CISG CMLR Colum.L.Rev. CSFR

dAktG DB DCFR DCGK DDR Del. J. Corp. L. ders. DFB DFG dgl. d.h. dies. Diss. DJ DJT DM DÖV DR Dr./Drs. DRiG DRW dt.

Abkürzungsverzeichnis

Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Jahr, Seite) Bürgerliches Gesetzbuch Kommissionsentwurf zum BGB Bundesgesetzblatt (Band Jahr, Seite) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band, Seite) Berkeley Journal of International Law (Jahrgang [Jahr], Seite) Börsengesetz Drucksachen des Deutschen Bundesrates Bonner Rechtsjournal (Jahr, Seite) Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) beziehungsweise The Cato Journal (Jahrgang [Jahr], Seite) Central and Eastern Europe Chapter Centrum für Hochschulentwicklung culpa in contrahendo United Nations Convention on Contracts for the International Sales of Goods (UN-Kaufrecht) Common Market Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Columbia Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Cˇeská a Slovenská Federativní Republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) siehe AktG Der Betrieb (Jahr, Seite) Draft Common Frame of Reference Deutscher Corporate Governance Kodex Deutsche Demokratische Republik Delaware Journal of Corporate Law (Jahrgang [Jahr], Seite) derselbe Deutscher Fußball-Bund Deutsche Forschungsgemeinschaft dergleichen das heißt dieselbe/dieselben Dissertation Deutsche Justiz (Jahr, Seite) Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die Öffentliche Verwaltung (Jahr, Seite) Deutsches Recht (Jahr, Seite) Doktor (singular/plural) deutsches Richtergesetz Deutsche Rechtswissenschaft (Jahr, Seite) deutsch

Abkürzungsverzeichnis

XIII

DV DZWiR

Datenverarbeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (Jahr, Seite)

EAG

Übereinkommen zur Einführung eines Einheitlichen Gesetzes über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (1964) ebenda European Business Organization Law Review (Jahr, Seite) Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage (Österreich) European Company and Financial Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Ehe- und Familienrecht (Jahr, Seite) 1. Europäische Gemeinschaft (siehe auch EU, EWG); 2. Nach Bezeichnung eines Artikels: EG-Vertrag, Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Konsolidierte Fassung mit den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997 (siehe auch AEUV, EWG) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz, betreffend die Einführung der Zivilprozeßordnung Einleitung Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen endgültig englisch European Review of Contract Law (Jahr [Jahrgang], Seite) European Review of Private Law (Jahr, Seite) Europäische Union (siehe auch EG, EWG) österr. EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz

ebd. EBOR EBRV ECFR EF-Z EG

EGBGB EGGVG EGZPO Einl. EKG endg. engl. ERCL ERPL EU EU-GesRÄG 1996 EuGH EuGVÜ

e.V. evtl. EVÜ EWG EWS f./ff. Fak. FAZ FIW Fn. FOWI Frh.

Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen eingetragener Verein eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (siehe auch EU, EG) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Jahr, Seite) folgende (singular/plural) Fakultät Frankfurter Allgemeine Zeitung Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb Fußnote/-n Forschungsinstitut für mittel- und osteuropäisches Wirtschaftsrecht Freiherr

XIV

Abkürzungsverzeichnis

FRUG FS FU

Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Freie Universität

GbR GeS GesbR GesRÄG 1993 GesRZ GewO GG ggf. GmbH GmbHG GmbHR GPR grdl. GRUR GVG GWB GZ

Gesellschaft bürgerlichen Rechts Zeitschrift für Gesellschafts- und Steuerrecht (Jahr, Seite) Gesellschaft Bürgerlichen Rechts (Österreich) österr. Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz Der Gesellschafter, Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht (Jahr, Seite) Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Jahr, Seite) Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (Jahr, Seite) grundlegend Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Jahr, Seite) Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geschäftszahl (siehe auch Az.)

Harv. L. Rev. h.c. HGB h.L. h.M. Hrsg. hrsgg. HV

Harvard Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) honoris causa Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber herausgegeben Hauptversammlung

IAS ICCLJ

International Accounting Standards International and Comparative Corporate Law Journal (Jahrgang [Jahr], Seite) Report of the International Court of Justice (Jahr, Seite) in diesem Zusammenhang im Ergebnis im engeren Sinne Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (Jahr, Seite) International Financial Reporting Standards Industriegewerkschaft Metall Internationaler Gerichtshof Internationales Handelsrecht (Jahr, Seite) insbesondere Insolvenzordnung Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Jahr, Seite) Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (Schweiz) Informationstechnik

I.C.J.Rep. idZ i.E. i.e.S. iFamZ IFRS IG Metall IGH IHR insb. InsO IPR IPRax IPRG IT

Abkürzungsverzeichnis

JA JBl jew. J. Law & Econ. JoJZG J.Pol.Econ. JurA JURA JuS JW JZ

XV

Juristische Arbeitsblätter (Jahr, Seite) Juristische Blätter (Jahr, Seite) jeweils European Journal of Law and Economics (Jahrgang [Jahr], Seite) Journal der Juristischen Zeitgeschichte (Jahr, Seite) Journal of Political Economy (Jahrgang [Jahr], Seite) Juristische Analysen (Jahr, Seite) Juristische Ausbildung (Jahr, Seite) Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite)

KAGG Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kap. Kapitel KapCo-Richtlinie Richtlinie der EG zur Rechnungslegung und Offenlegung für die GmbH & Co. KG KEK Kommission zur Ermittlung der Konzentration KG Kommanditgesellschaft KO Konkursordnung (siehe auch InsO) KonTraG Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich KonzernR Konzernrecht krit. kritisch KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Jahr, Seite) KZ Konzentrationslager lat. LL.P. LM

lateinisch Limited Liability Partnership Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung

m.E. MiFID

mwN

meines Erachtens Markets in Financial Instruments Directive (EU-Finanzmarktrichtlinie) Mitbestimmungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen mit weiteren Nachweisen

Nachw. n.F. NJW Nr. NSDAP NSRB NZA NZG NZV

Nachweis/e neue Fassung (siehe auch a.F.) Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Nummer/n Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (Jahr, Seite)

o.ä. öAktG

oder ähnlichem Österreichisches Aktiengesetz

MitbestG MoMiG

XVI ÖBA

Abkürzungsverzeichnis

ÖTV ÖVP

Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen (Jahr, Seite) Oberster Gerichtshof (Österreich) Österreichisches Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Offene Handelsgesellschaft Österreichische Industrieaktiengesellschaft Österreichisches Internationales Privatrechtsgesetz Österreichische Juristentag Österreichische Juristenzeitung (Jahr, Seite) Oktober Oberlandesgericht opere citato (lat.: im zitierten Werk) Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (Jahrgang [Jahr], Seite) Gewerkschaft Öffentliche Dienst Österreichische Volkspartei

PD Prof. PSG

Privatdozent Professor Österr. Privatstiftungsgesetz

RabelsZ

Rspr. RWZ Rz.

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Jahrgang [Jahr], Seite) Recht der Arbeit (Jahr, Seite) Recht der Datenverarbeitung (Jahr, Seite) Recht der Wirtschaft (Jahr, Seite) Regierungsentwurf Reichsgericht Reichsgesetzblatt (Band, Jahr, Seite) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Band, Seite) Recht der Internationalen Wirtschaft (Jahr, Seite) Rechtshistorischer Journal (Jahrgang [Jahr], Seite) Reichsjustizministerium Richtlinie Randnummer EG-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rechtsprechung Zeitschrift für Recht und Rechnungswesen (Jahr, Seite) Randziffer

S. s. s.a. SA SE SEE sic!

Seite (singular/plural) siehe siehe auch Sturmabteilung (NS-Organisation) Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft) südosteuropäische Staaten lat.: so, wirklich so

OGH öGmbhG OHG ÖIAG öIPRG ÖJT ÖJZ Okt. OLG op.cit. ORDO

RdA RDV RdW RegE RG RGBl. RGZ RIW RJ RJM RL Rn. Rom-I-VO

Abkürzungsverzeichnis

sog. Sonderbeil. SPE-VO

XVII

SS st. Rspr. StudZR SWK SZA

sogenannte/r Sonderbeilage (siehe auch Beil.) EG-Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Sommersemester ständige Rechtsprechung Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft (Jahr, Seite) Steuer- und WirtschaftsKartei (Jahr, Seite) Sollzinsabkommen

TVG

Tarifvertragsgesetz

u.a. ÜbK UGB UMAG

und andere Übernahmekommission (Österreich) Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Vereinte Nationen Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UmwG UN U.S./USA usw. u.U. UWG VerbrKrG VersR VfGH vgl. VGR VIZ VO vs. VW wbl. WiPolBl WM

Verbraucherkreditgesetz Versicherungsrecht (Jahr, Seite) Verfassungsgerichtshof (Österreich) vergleiche Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrechts Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (Jahr, Seite) Verordnung versus Volkswagen

WPg WP Gesellschaft WpHG WpÜG WRP WS WU WuW WZ

Wirtschaftsrechtliche Blätter (Jahr, Seite) Wirtschaftspolitische Blätter (Jahr, Seite) Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (Jahr, Seite) Die Wirtschaftsprüfung (Jahr, Seite) Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis (Jahr, Seite) Wintersemester Wirtschaftsuniversität Wien Wirtschaft und Wettbewerb (Jahr, Seite) Wolfgang Zöllner

Yale L.J.

Yale Law Journal (Jahrgang [Jahr], Seite)

XVIII Zak z.B. ZEuP ZfA ZfgG ZGR ZHR ZIF Ziff. ZInsO ZIP ZJS ZNR ZOV ZPO ZRP ZSR z.T. ZvglRWiss ZZP

Abkürzungsverzeichnis

Zivilrecht aktuell (Jahr, Seite) zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen (Jahr, Seite) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (Jahrgang [Jahr], Seite) Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das Juristische Studium (Jahr, Seite) Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte (Jahr, Seite) Zeitschrift für offene Vermögensfragen (Jahr, Seite) Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahr, Seite) Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Jahrgang [Jahr], Seite) zum Teil Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Zivilprozeßrecht (Jahrgang [Jahr], Seite)

6. Teil Methoden – Internationales, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie

Gerhard Kegel (1912–2006)* Klaus Schurig I. Im November 2005 schrieb Gerhard Kegel mir: „Am 2. Dezember soll ich in Berlin über Rabel sprechen und fühle mich schon als Rabulist. Sie dagegen beklage ich, weil Sie sich mit mir abgeben wollen oder müssen.“ Wie beeindruckend dieser letzte Vortrag Kegels über Ernst Rabel 1 war, ist inzwischen bekannt. Und ich fühlte mich keineswegs beklagenswert bei dem Unternehmen, Ähnliches in Bezug auf ihn zu versuchen. Beklagenswert ist allerdings, dass diese Würdigung unversehens zu einem Nachruf geworden ist. Am 16. Februar 2006 hat das Leben dieses Ausnahmegelehrten und ganz besonderen Menschen sein Ende gefunden. Er wurde 93 Jahre alt. Aktiv und kreativ war er buchstäblich bis zum letzten Augenblick, ein homme infatigable, wie Batiffol ihn einmal genannt hat. Nur von seinem Körper hatte das Alter Tribut gefordert, nicht von seinem Geist. Sein Scharfsinn, seine Treffsicherheit, sein Witz waren noch immer ungebrochen. Die Zuhörer seines letzten Vortrags können davon Zeugnis ablegen. Wie soll man die Bilanz eines so langen der Wissenschaft gewidmeten Lebens in kurzer Zeit ziehen, der eindrucksvollen Persönlichkeit in einer knappen Skizze gerecht werden? Gewiss, man könnte sich daran begeben, seine zahllosen Veröffentlichungen, seine großen Verdienste, seine vielen Ehrungen der Reihe nach aufzuzählen. Indessen würde ihm das nicht wirklich gerecht, ist ja auch alles mehrfach nachzulesen.2 Er hätte es auch selbst wahrscheinlich eher als langweilig empfunden. Dennoch seien hier kurz erwähnt: die Berkeley Citation,

* Vortrag am 8. Februar 2008 – Ruhr-Universität Bochum. 1 Kegel, Ernst Rabel, IPRax 2007, 1–4, und Kegel, Ernst Rabel, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Bd. 1 (2007), S. 15–28. 2 Z.B. Musielak/Schurig (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Kegel zum 75. Geburtstag 26. Juni 1987 (1987), S. 9–13, Veröffentlichungen S. 15–24; Krüger/Mansel (Hrsg.), Liber Amicorum Gerhard Kegel (2002), S. VII f., Veröffentlichungen S. 261–272, Würdigungen S. 273 f. Hinzugekommen ist zuletzt noch der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.

4

6. Teil: Methoden – Internationales, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie

die Ehrenprofessur in Bogotá, die Ehrendoktorwürde aus Mannheim, das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik, zuletzt noch der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen, dazu drei Festschriften.3 Meine erste Begegnung mit Gerhard Kegel hatte ich Anfang der 60er Jahre in Köln als Student des Rechts. Ich erlebte ihn im Hörsaal. Seine Vorlesungen waren damals ein Geheimtipp. Dass sie äußerst unterhaltsam und witzig waren, wusste zwar jeder. Sie galten aber auch als sehr anspruchsvoll, und das waren sie auch. Ausgetretenen Pfaden misstraute Kegel. Etliche Studenten schreckte das ab. Das war, wie er es schilderte, schon bei seinem Lehrer Ernst Rabel so,4 und das ist heute nicht anders. Wer sich aber auf ihn einließ, wurde reich belohnt, sah die Jurisprudenz bald mit anderen Augen. „Das steht noch nicht im Palandt und auch im Erman nicht, das tritt aus meiner Feder zum ersten Mal ans Licht“, das war einer seiner Sprüche, die sich mir über die Jahrzehnte eingeprägt haben. Wer erst einmal auf den Geschmack gekommen war, merkte, dass es Kreativität auch in der Jurisprudenz gab, wollte mehr von ihm hören. Das galt insbesondere auch für seine Vorlesungen zum ausländischen Recht und zum internationalen Privatrecht. Was sich die jüngere Generation heute kaum vorstellen kann: Ausländisches Recht wurde damals im Allgemeinen noch kaum zur Kenntnis genommen; man „schwamm“ – um Kegel noch einmal zu zitieren – weitgehend im „eigenen Saft“. In Kegels Vorlesungen hatte man das Gefühl, als würden Fenster aufgestoßen: Es gab auch eine Welt da draußen, voller Farbe und neuer Gedanken, und auf einmal verflog die zuvor empfundene Enge der damaligen Jurisprudenz: Recht war mehr als eine Sammlung nationaler Vorschriften. Das war beruhigend für einen Studenten, der zunächst zwischen Recht und Physik geschwankt hatte.

II. Damit ist bereits deutlich geworden, dass sein Lehren und wissenschaftliches Wirken auf drei Hauptsäulen gegründet war. Ihnen möchte ich mich jetzt näher zuwenden. Den Vordergrund beherrschte natürlich – besonders auch in der Wahrnehmung seiner Fach- und Zeitgenossen – das internationale Privatrecht. Zweifellos hat Kegel hier die meisten und augenfälligsten Verdienste aufgehäuft, den nachhaltigsten Einfluss ausgeübt, auch außerhalb Deutschlands. 3 Lüderitz/Schröder (Hrsg.), Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung im Ausgang des 20. Jahrhunderts – Bewahrung oder Wende? – Festschrift für Gerhard Kegel (1977); Musielak/Schurig (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Kegel zum 75. Geburtstag 26. Juni 1987 (1987); Krüger/Mansel (Hrsg.), Liber Amicorum Gerhard Kegel (2002). 4 Siehe die Nachweise in Fn. 1 (auf S. 4 bzw. 24 a.E.).

Gerhard Kegel

5

Auf gleicher Höhe stand aber – für ihn nicht minder wichtig – die Rechtsvergleichung, mit einer speziellen Vorliebe für den angelsächsischen Raum. Sie wurde auch in persönlicher Hinsicht gepflegt. Es bestanden zahlreiche Kontakte in alle Welt. Besonders intensiv waren sie mit der juristischen Fakultät in Berkeley, Kalifornien. Sie führten zu einem Austauschprogramm und zur Geburt der Köln-Berkeley-Buchreihe, die einige bedeutende Titel aufzuweisen hat. Persönlich befreundet war Kegel auch mit Dean Prosser, dem Verfasser des wohl am höchsten anerkannten amerikanischen Lehrbuchs zum Deliktsrecht. Prosser bot Kegel übrigens einmal an, den weltberühmten Bestsellerautor von Kriminalromanen Earl Stanley Gardner in seiner Hütte in den kalifornischen Bergen zu besuchen. Gardner war selbst ein scharfsinniger Jurist, von Kegel, der seine Bücher sammelte, hoch geschätzt und geistiger Vater des hoffentlich noch heute bekannten Perry Mason. Kegel lehnte aus Bescheidenheit ab, obwohl von ihm kolportiert wird, dass er sich selbst an Kriminalromanen versuchte, allerdings nie deren Veröffentlichung betrieb. – Ich hätte, glaube ich, die Einladung angenommen. Die Rechtsvergleichung betrieb Kegel bis ins hohe Alter in innovativer und unkonventioneller Weise und instrumentalisierte sie für Forschung und Lehre. Nicht nur bot sie immer neuen Stoff für die Fälle des internationalen Privatrechts, deren Lebensader sie ist. Sie gab nicht zuletzt auch entscheidende Anregungen und Anstöße für Kegels Entdeckungen und Erkenntnisse im deutschen Bürgerlichen Recht – der dritten Säule seiner Wissenschaft. Die rechtsvergleichend erweiterte Perspektive auf altbekannte wie auf neue Probleme des deutschen Rechts öffnete auch insoweit den Blick auf andere, auf innovative Lösungswege. Betrachten wir diese drei Hauptfelder seines Wirkens im Einzelnen. 1. Kegels überragende Bedeutung für das internationale Privatrecht wird wohl heute von niemandem mehr verkannt, wurde schon oft gewürdigt, und es ist viel darüber geschrieben worden. Bereits im Jahr 1982 bezeichnete man ihn in Kolumbien als „la máxima autoridad alemana en derecho internacional privado“5 – und übersetzte sein Lehrbuch ins Spanische. Das 1950 von ihm gegründete Kölner Institut für internationales und ausländisches Privatrecht wurde zu einem der bedeutendsten seiner Art in Deutschland und zur Anlaufstelle für viele ausländische Gelehrte. In unzähligen Gutachten half Kegel – und hilft das Institut bis heute – den Gerichten, die Strukturen und Regeln des internationalen Privatrechts in die Praxis umzusetzen – eine Kärrnerarbeit, die oft „mehr Last als Lust“ ist, aber zugleich auch für die nötige Bodenhaftung des Wissenschaftlers sorgt.

5 Betancourt Rey in der Einleitung zur spanischen Übersetzung von Kegels Lehrbuch des internationalen Privatrechts (4. Aufl. 1982), S. V.

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6. Teil: Methoden – Internationales, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie

Es gab aber auch heikle Momente. Ich erinnere mich an einen wichtigen Algerier, der persönlich im Institut erschien, wo ein Gutachten über eine ihn betreffende Kindschaftssache erstellt wurde, und übelste Konsequenzen für den Fall androhte, dass dieses nicht zu seinen Gunsten ausging. Es ging nicht zu seinen Gunsten aus. In der folgenden Zeit bestand Kegel eine Weile darauf, dass wir gemeinsam die eingehende Post auf eine mögliche Bombe untersuchten. Zum Glück geschah nichts weiter. Ohne jeden Zweifel sind Beginn und Aufstieg des internationalen Privatrechts nach dem Weltkrieg in Deutschland untrennbar mit dem Namen Kegel verbunden. Die Zeit war gewiss schwer, aber sie war reif und günstig für einen solchen Neuanfang. Aus Kegels Feder stammt die erste vollständige Aufarbeitung des deutschen internationalen Privatrechts, ein Werk aus einem Guss im Kommentar von Soergel. Hier wird das IPR zuerst einmal auf eine neue (nämlich interessen-)theoretische Grundlage gestellt, gleichzeitig aber an der vollständig eingearbeiteten und analysierten Rechtsprechung praktisch gemessen. Diese praxisbezogene Theorie und theoriebezogene Praxis sind das Erfolgsgeheimnis Kegelscher Rechtswissenschaft. Schon 1977 erkannte sein Schüler Wiethölter (dessen wissenschaftlicher Weg in einer so ganz anderen Richtung verlaufen ist und der doch die Prägung durch seinen Lehrer nie verleugnet hat) Kegels Theorie als „eine praktische Theorie des Rechts, die zugleich lernbar, erfahrbar und praktizierbar sein will“6. Oder, wie Lüderitz es ausgedrückt hat: „Seine Begründungen führen in möglichst kurzer Strecke zurück zum Evidenzurteil“7. Sein nahezu unfehlbares Judiz half auch bei schwierigen Fragestellungen des ausländischen Rechts. Ich hatte zu Anfang meiner Assistentenzeit einmal ein Gutachten unter chinesischem Recht zu bearbeiten. Der chinesische Erblasser hatte im Testament seine russische Geliebte als Alleinerbin seiner Restaurantkette eingesetzt und vergessen, das zu ändern, als sie ihn verließ. Ich hielt die Erbeinsetzung noch für wirksam. Kegels Stellungnahme: „Das kann doch nicht sein: eine weggelaufene Freundin!“ Das Kommentarwerk, in dem das alles verkörpert war, führte Kegel bis zur 10. Auflage allein fort, danach, als der Umfang immer mehr wuchs, weiterhin zu einem erheblichen Teil. Das zwischenzeitlich maßlos angeschwollene Material wurde weiterhin von ihm in geradezu beängstigender Weise akribisch und vollständig aufgearbeitet – und zwar höchstpersönlich. Z. B. erstreckt sich die Fußnote mit Entscheidungen und anderem Material zum

6 Wiethölter, Begriffs- und Interessenjurisprudenz – falsche Fronten im IPR und Wirtschaftsverfassungsrecht – Bemerkungen zur selbstgerechten Kollisionsnorm, FS Kegel (1977), S. 213, 263. 7 Lüderitz, Gerhard Kegel, in: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Hrsg.), Juristen im Portrait, Verlag und Autoren in vier Jahrzehnten, Festschrift zum 225jährigen Jubiläum des Verlags C. H. Beck (1988), S. 454, 457.

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Auslandssachverhalt über 18 eng bedruckte Seiten!8 Erst die anstehende 13. Auflage wird ganz ohne ihn auskommen müssen. Gleichwohl ist die ursprüngliche Bearbeitung noch immer der Kondensationskern geblieben, für den mittlerweile auf etwa das Zehnfache angewachsenen Umfang. Eine ähnliche Entwicklung genommen hat sein berühmtes „Kurzlehrbuch“ (1982, wie erwähnt, ins Spanische übersetzt und nach meiner Einschätzung in jener Sprache trotz des Alters noch immer das Beste auf seinem Gebiet; eine chinesische Übersetzung ist übrigens auch gerade erschienen). Ich besitze mit Stolz die erste (von mir ausgiebig unterstrichene) Auflage, mit der ich seinerzeit studiert habe: 367 Textseiten, die schon damals (in Kegels Worten) „mehr Lehr- als Kurzbuch“9 waren. Bis zur 7. Auflage hat er das Buch insgesamt, danach in seinem Besonderen Teil stets auf dem Laufenden gehalten. Auch der Umfang diese „Kurzlehrbuchs“ hat sich inzwischen auf über 1000 Seiten verdreifacht. „Weltall und Recht expandieren“10, bemerkte Kegel einmal zu solchen Erscheinungen. Nur vermehrt sich die Masse des Weltalls bei dieser Expansion nicht, die des Rechts aber leider doch. Die Menge der Entscheidungen, die er alle analysiert und verwertet hat und von denen viele, wie er sagt, „mitgeteilt sein wollen“, wächst im Quadrat, ebenso die Zahl der zur Kenntnis zu nehmenden Veröffentlichungen, deren Informationstiefe sich leider regelmäßig erst nach der Lektüre erschließt. Staatsverträge „schießen wie Pilze aus der Erde“11. Und in neuester Zeit hat vor allem der Einfluss des Europarechts auf vielen Ebenen die Probleme multipliziert, statt sie zu vereinfachen. Kegel war zweifellos stets ein großer Freund der Rechtsvereinheitlichung, gerade auch im Kollisionsrecht. Er hat selbst viel dazu beigetragen. Aber Rechtssicherheit und Rechtsklarheit rangierten für ihn unter den höchsten Werten. So gehörte er zu denjenigen, die lange davon ausgingen, das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes habe die damals im Gesetz enthaltenen Kollisionsnormen (die überwiegend an das Heimatrecht des Mannes und Vaters anknüpften) in ihrer Geltung unberührt gelassen. De lege ferenda trat er allerdings schon früh und dringend für Gleichberechtigung auch im IPR ein, eine konsequente Folgerung aus seiner Anerkennung kollisionsrechtlicher Parteiinteressen. Als dann das BVerfG Anfang der 80er Jahre anders entschied,12 die Kollisionsnormen unmittelbar an der Verfassung maß, sah er darin einen „embarras de richesse“, befürchtete er Unsicherheit durch die

8 Soergel-Kegel, BGB (12. Aufl. 1996), Bd. 10 EGBGB, vor Art. 13 Rn. 164, Fn. 1 (S. 77–94). 9 Kegel, Internationales Privatrecht (1960), Vorwort, S. V. 10 Kegel, Internationales Privatrecht (4. Aufl. 1977), Vorwort, S. V. 11 Kegel, Internationales Privatrecht (2. Aufl. 1964), Vorwort, S. V. 12 BVerfGE 31, 58.

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Überlagerung kollisionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Normen.13 Die in der Folge dann auch gehäuft auftretenden praktischen Schwierigkeiten bestätigten ihn: Welche Kollisionsnormen galten noch, welche nicht? War die fragliche Norm vor- oder nachkonstitutionell, musste sie also dem BVerfG vorgelegt werden oder nicht? War die Beurteilung der ehelichen Abstammung – die den Vater stärker als die Mutter berührte – nach Mannesrecht ebenfalls gleichberechtigungswidrig? Was sollte an Stelle der weggefallenen Anknüpfungen gelten? Die Unsicherheiten hielten an bis zu der – stark von Kegel geprägten – Neuregelung im Gesetz von 1986. Das war indessen alles noch nichts im Vergleich zu der neuen Verwirrung, die heute Folge der zahlreichen divergierenden Versuche ist, die Überlagerung von europäischen Grundfreiheiten und Kollisionsrecht in den Griff zu bekommen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der alten Grundrechtsproblematik ist durchaus erkennbar. Doch anders als beim Gleichberechtigungsgebot ist hier schon ganz ungewiss, ob, wann, inwieweit und mit welchen Auswirkungen es überhaupt zu einer Interaktion der beiden Rechtsbereiche kommt. Regeln über die Erbringung wirtschaftlicher Sach- und Dienstleistungen in Europa sollen etlichen Autoren zufolge angeblich „analog“ auf die Berufung von Rechtsnormen anzuwenden sein – mit teils widersprüchlichen Ergebnissen. Die oft dunklen Begründungssätze des EuGH werden ausgelegt und ausgedehnt wie objektiv gesetztes Recht. Etwas anderes als abzuwarten und zu hoffen, dass über die kommenden Jahre auf diese Weise irgendetwas mit Konturen zusammentröpfelt, bleibt insoweit indessen kaum übrig, denn die Rechtsdogmatik und -systematik stoßen hier rasch an ihre Grenzen. Sollte es wirklich europarechtswidrig sein, wenn ein Hersteller fehlerhafter Produkte auch nach dem Recht des Herstellungslandes haftet, und das angesichts des hohen Wertes, der neuerdings dem sog. „Herkunftslandprinzip“ im Übrigen zugemessen wird? Soll der alte Satz, dass das Recht des Lageorts die sachenrechtlichen Verhältnisse bestimmt, sich an den Grundfreiheiten brechen? Dankenswerterweise scheinen sich die neuen Europäischen IPRVerordnungen eher weiterhin unbeirrt systematisch in vertrautem Fahrwasser zu halten. Indessen sind, wie die Erfahrung lehrt, auch EG-Rechtsnormen nicht dagegen gefeit, ihrerseits als EG-rechtswidrig angesehen zu werden. Kegel war die Verwässerung und Vernebelung kollisionsrechtlicher Denkstrukturen, die zunehmend unter europäischem Banner heranziehen, zutiefst ein Gräuel. „Es ist etwas faul im Staate Dänemark“ war sein Verdikt zur Centros-Entscheidung des EuGH (einen dreisten Umgehungsfall aus Dänemark betreffend, bei dem der EuGH zu Unrecht eine Frage der Niederlassungs-

13 Vgl. Lüderitz, FS C. H. Beck (1988), S. 454, 456; ders., Gerhard Kegel und das deutsche internationale Privatrecht, RabelsZ 46 (1982), 475, 478 f.

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freiheit einer englischen Gesellschaft sah, wo es primär um die Geschäftstätigkeit in Dänemark zweier sich dort aufhaltender Dänen, also um einen dänischen Inlandsfall, ging 14). Und wie – der Ingmar-Entscheidung zufolge – eine in der Handelsvertreter-Richtlinie angeblich enthaltene unsichtbare Sonderkollisionsnorm ebenfalls unsichtbar und unbewusst in staatliches Recht umgesetzt sein soll,15 bleibt wohl Geheimwissen des EuGH. Kegel habe die „Idee eines eigenen Binnenmarkt-Kollisionsrechts … wohl nicht wirklich geschätzt“16, heißt es in einem der Nachrufe auf ihn. Das ist in hohem Grad euphemistisch ausgedrückt. Zu Unrecht wird dann noch vermutet, Kegel habe es insoweit anscheinend vor allem gestört, dass der „Sachnorm … zu großes Gewicht“ zukomme. Dass die kollisionsrechtlichen Interessen nicht unabhängig sein können von den Sachinteressen, mit denen sie zu tun haben, war ihm indessen ohne weiteres geläufig. Aber Kegel mochte nicht mit ansehen, wie das, wie sein Schiff des Kollisionsrechts von den „Eurotikern“ – wie er sie nannte – immer weiter in ein Gebiet gesteuert wurde, in dem es hauptsächlich Untiefen und Nebelbänke und kaum Orientierung gibt. Die vielfältige Schichtung von Rechtsnormen in der Form, dass ein Fall in bestimmter Hinsicht sowohl europäischem wie auch autonomem oder staatsvertraglichem Recht unterstehen könnte, die alle denselben Sachverhalt regeln, das Warten auf die Orakelsprüche des EuGH, das alles hat so gar nicht seinen Vorstellungen von Rechtsvereinheitlichung entsprochen. „Verfall macht sich weithin breit und muss getadelt werden“, schrieb er mir einmal. Zu den Leistungen Kegels, die das IPR am nachhaltigsten beeinflusst haben – und die hoffentlich auch die „Europäisierung“ überdauern werden –, gehört seine Entdeckung der Interessenjurisprudenz für und ihre Übertragung auf das internationale Privatrecht.17 Dafür musste allerdings von ihm erst das Instrumentarium geschaffen, mussten die typischen kollisionsrechtlichen Interessen herauspräpariert werden. Auf dieser neuen Basis kehrten dann viele Spezialprobleme in den Schoß der allgemeinjuristischen Methodenlehre zurück, Probleme, die dazu beigetragen hatten, dass das IPR von Fernerstehenden als esoterisch, als „Glasperlenspiel“ denunziert worden war. Zum Beispiel wurde die Qualifikation bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts

14 Näher Schurig, Unilateralistische Tendenzen im europäischen Gesellschaftskollisionsrecht, oder: Umgehung als Regelungsprinzip, Liber Amicorum Kegel (2002), S. 199–221. 15 Näher Schurig, „Ingmar“ und die „international zwingende“ Handelsvertreter-Richtlinie, oder: die Urzeugung einer Kollisionsnorm, in: Mansel u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erik Jayme (2004), S. 837–847. 16 Grundmann, Nachruf für Gerhard Kegel, ZvglRWiss 105 (2006), 117, 118. 17 Grundlegend Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, in: Gerwig u. a. (Hrsg.), Festschrift Hans Lewald (1953), S. 259–288.

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als das Zentralproblem des IPR überhaupt betrachtet; Kegel selbst berichtet in seinem letzten Vortrag über den diesbezüglichen Meinungsstreit zwischen Martin Wolff und Ernst Rabel. Es ging um die Frage, ob Systembegriffe in Kollisionsnormen einzuordnen sind entsprechend dem eigenen Recht (so die damals h. M.) oder gemäß dem möglicherweise berufenen Recht (so angeblich Wolff, woran ich übrigens zweifle) oder nach rechtsvergleichenden Kriterien (Rabel). Unter der Kegelschen Interessenlehre reduziert sich das Problem auf eine Form der Auslegung kollisionsrechtlicher Anknüpfungsnormen nach kollisionsrechtlichen Interessen.18 Selbst hausgemachte Qualifikationsprobleme, von der früheren Diskussion übergangen, werden auf diese Weise lösbar, wie etwa die Frage, wo die neue Haftung für Gewinnzusagen nach § 661a BGB internationalprivatrechtlich einzuordnen ist. Mittlerweile kann man konstatieren, dass die interessenjuristische Anwendung des internationalen Privatrechts zum Allgemeingut geworden ist. Sie wird von jedermann praktiziert – selbst von den wenigen, die sich ihr noch verbal widersetzen. Interessen sind die rechtspolitischen Vektoren der Rechtsfindung und der Rechtsetzung. Es gibt sie auf der Ebene der Einzelnen (Parteiinteressen), der potentiell Beteiligten (Verkehrsinteressen) und der Rechtsgemeinschaft als solchen (Ordnungsinteressen). Politische Staatsinteressen können im Einzelfall hinzutreten und werfen Probleme eigener Art auf (Stichwort unter anderem: „Eingriffsnormen“). Hat man die Interessen erkannt, erscheint das, was geschehen muss, in einem klareren Licht. Es zeigt sich auch, dass die in der aktuellen Spielart der zivilrechtlichen Interessenjurisprudenz, der sog. Wertungsjurisprudenz, ausgegliederten „Werte“ des Rechtsverkehrs und der Rechtsgemeinschaft in die Gruppe der Interessen zurückgeführt werden müssen. Sie bilden die „Verkehrs-‚“ und „Ordnungsinteressen“ oberhalb der Parteiinteressen. Denn auch sie sind einer Gruppe von Menschen zuzuordnen. Dass das deutsche Rechtssystem widerspruchsfrei und sicher ist, daran haben eben die deutschen Rechtsgenossen ein größeres Interesse als etwa die chinesischen oder auch französischen. Auf dieser Grundlage war es nur folgerichtig, dass Gerhard Kegel auch zur treibenden Kraft der IPR-Reform von 1986 wurde. Es war sein Vorschlag, zur Verwirklichung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Gesetz an der Anknüpfung, die man als die beste erkannt hat, solange festzuhalten, wie diese für beide Parteien verwirklicht ist, dann aber, wenn dies nicht der Fall ist, zur gemeinsam verwirklichten zweitbesten, hilfsweise zur drittbesten überzugehen. Dieser Gedanke war schlicht genial. Er ist bekannt geworden als die „Kegelsche Anknüpfungsleiter“ und in den damals neu-

18 Vgl. näher zum Ganzen Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht (9. Aufl. 2004), S. 186 f., 336–356.

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gefassten Art. 14 EGBGB eingeflossen (wenn auch nicht ohne kleinere Deformationen). Dies ist wahrscheinlich seine populärste, aber beileibe nicht seine einzige Idee, die sich in dem Gesetz wiederfindet, an dessen Vorarbeiten er viele Jahre als einflussreicher Präsident des Deutschen Rates für internationales Privatrecht wesentlich beteiligt war. Die späteren Ergänzungen des EGBGB seit 1998 sind allerdings weniger unter seinem Einfluss entstanden – und das merkt man ihnen dann leider auch an. Der verkorksten neueren Regelung des deutschen internationalen Deliktsrecht etwa wird wohl niemand eine Träne nachweinen, wenn sie im Jahr 2009 der – auch keineswegs perfekten – entsprechenden europäischen Verordnung wird zum größten Teil weichen müssen (mit dem Ergebnis einer weiteren Normenschichtung). Ein weiteres großes Verdienst Kegels für die Theorie des internationalen Privatrechts liegt in der Abwehr der sog. „conflicts revolution“ aus Amerika. Sie war dort im Wesentlichen von Currie, aber auch von Cavers und von Kegels Freund Ehrenzweig ausgelöst worden, angestoßen durch eine merkwürdig starre und untypische Haltung amerikanischer Gerichte im Kollisionsrecht. Ihre Welle drohte in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts über den Atlantik zu uns zu schwappen, und die Ideen traten hier zum Teil in der – damaliger Mode entsprechenden – Verkleidung einer „politischen Schule im IPR“ auf. Manche wollten das internationale Privatrecht überhaupt ersetzen durch einen materiellrechtlichen Mix der „beteiligten“ Rechte (Juenger, Steindorff). In seiner Haager Vorlesung von 1964, „The Crisis of Conflict of Laws“19, ist Kegel dem allen schlagend entgegengetreten; später ist Weiteres dazugekommen, zum Beispiel der Aufsatz „Vaterhaus und Traumhaus“ in der Festschrift Beitzke20. Der chaotische Zustand, in dem sich das amerikanische IPR als Folge dieser „Revolution“ jedenfalls in Teilen leider noch immer befindet, hat ihn vollauf bestätigt. Kaum nachvollziehbar ist darum, dass dennoch öfter erklärt werden muss, dass und warum Kegels Interessen und Curries „Governmental Interests“ etwas total Verschiedenes sind: Die ersteren sind Werkzeuge, sozusagen die „Vektoren“ der kollisionsrechtlichen Rechtsfindung. Die letzteren sind die Ergebnisse einer Analyse des möglichen oder angeblichen „unilateralistischen“ „Anwendungswillens“ verschiedener Staaten bezogen auf konkrete eigene Rechtsnormen. Freilich ist es äußerst mühsam und sehr aufwändig, herauszufinden oder zu erfinden, welcher Staat aus welchem Grund ein sol19

Kegel, The Crisis of Conflict of Law, Recueil des Cours 112 (1964 II), 91–268. Kegel, Vaterhaus und Traumhaus. Herkömmliches internationales Privatrecht und Hauptthesen der amerikanischen Reform, in: Sandrock (Hrsg.), Festschrift für Günther Beitzke zum 70. Geburtstag (1979), S. 551–573, englische Fassung: Am.J.Comp.L. 27 (1979), 615–633. 20

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ches „Interesse“ an der Anwendung bestimmter Normen im Einzelfall haben sollte und wie bei fehlendem oder mehrfachem Staatsinteresse zu verfahren ist. Die Entscheidungen amerikanischer Gerichte, die sich darauf eingelassen haben, gehören in ihren Begründungen zu den umfangreichsten überhaupt. Alle Turbulenzen im IPR hat Kegel nicht verhindern können, etwa in Bezug auf das sog. „international zwingende Recht“, auch als „Eingriffsnormen“ oder „lois d’application immédiate“ bekannt geworden. Manches zunächst Abgewehrte hat nur gewartet, um im europäischen Gewand erneut anzutreten. So ist das angebliche kollisionsrechtliche „Anerkennungsprinzip“ nichts als eine Neuauflage der schon erwähnten, von Kegel stets abgelehnten unilateralistischen Denkweise: Die Rechtsordnung, die sich selbst für anwendbar hält, wird auch angewandt.21 Dieser Zusammenhang wird allerdings nur selten erkannt oder ausgesprochen – wie überhaupt das Interesse an Strukturellem anscheinend allmählich zu erlahmen droht. 2. Doch wenden wir uns nunmehr dem Bürgerlichen Recht zu. Kegel hat es allerdings nie als etwas von der Rechtsvergleichung Isoliertes gesehen. Von Anfang an hat er seine Ideen, Anregungen, Fälle von dieser bezogen. Das entsprach seiner Prägung am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut und war seinerzeit durchaus etwas Außergewöhnliches. Schon das große Frühwerk mit Rupp und Zweigert über die Einwirkung des Krieges auf Verträge22 war vergleichend angelegt und setzte den Keim zu Kegels Vorstellungen über die Geschäftsgrundlage. Diese wollte er in krassem Gegensatz zu Larenz, aber in Übereinstimmung mit anderen großen Geistern (z.B. Flume), objektiv verstanden wissen. Nur bei „Sozialkatastrophen“ und Ähnlichem sollte sie eine Rolle spielen; für die „kleine“ subjektive Geschäftsgrundlage genügten die Möglichkeiten des allgemeinen Zivilrechts. „Larenz, bleib bei deinem Hegel, lass die Geschäftsgrundlage Kegel“, war einer seiner damaligen Sprüche. Höhepunkt der Diskussion war sein großes Gutachten zum 40. Deutschen Juristentag 1953.23 Bekanntlich hat er sich hier einmal mit seinem Konzept am Ende nicht durchgesetzt, wie gerade der neue § 313 BGB zeigt. Was besser gewesen wäre, darüber wird man indessen noch lange rätseln können. Wie Kegel in seinen Vorlesungen zum deutschen Recht – so wie in seinen Schriften – Fälle aus dem angelsächsischen Rechtskreis verwertete – die oft absurd klangen, aber wirklich geschehen waren –, und wie er damit neue

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Vgl. Schurig, Liber Amoricum Kegel (2002), S. 199–221. Kegel/Rupp/Zweigert, Die Einwirkung des Krieges auf Verträge (1941), 453 Seiten. 23 Kegel, Empfiehlt es sich, den Einfluss grundlegender Veränderungen des Wirtschaftslebens auf Verträge gesetzlich zu regeln? Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 40. DJT (1953), Bd. I, Bürgerlich-rechtliche Abteilung, S. 139–236. 22

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gedankliche Wege eröffnete, hat Lüer in seiner schönen Würdigung geschildert.24 Z.B. hatte in einem englischen Fall ein Gast, als der Gastgeber kurz das Wohnzimmer verließ, sich auf dessen Wohnzimmerteppich erschossen; der Gastgeber forderte Schadensersatz für Sach- und Schockschäden von dem Nachlass. Bei einer Betriebsbesichtigung wurde in einem anderen Fall ein Besucher Zeuge eines schweren Arbeitsunfalls und dadurch schizophren. Bei Lüer kann man auch lesen, dass oft „nach inländischem Recht ganz anders zu entscheiden gewesen wäre, als was die angelsächsischen Gerichte erkannten“ – eine treffende Beobachtung, die die Protagonisten eines „gemeineuropäischen“ Deliktsrechts allerdings nicht restlos erfreuen wird. Die Begeisterung für Philosophie und Naturwissenschaften führte in andere anregende Querverbindungen. Ein großes Interesse galt der Wahrscheinlichkeit im Recht: Sie hätte Kegel gern nach skandinavischen und teils amerikanischen Vorbildern zu einer Art „dialektischem“ System der Entscheidungsfindung im Zivilprozess ausgebaut: Die Beweislast pendelt immer zu der Partei, für die die geringere Wahrscheinlichkeit spricht. Das war an sich ein bestechender und schlüssiger Gedanke, doch hat er bei uns keine beeindruckende Gefolgschaft gefunden (und ein Assistentenkollege, der diesem Modell bei der Hausarbeit des zweiten Staatsexamens folgte, ist damit bei seinen Prüfern auf wenig Verständnis gestoßen). Dafür hat Kegels Aufsatz über die Bedeutung der Wahrscheinlichkeit für Besitz und Eigentum große Aufmerksamkeit erregt; dies wohl nicht zuletzt auch wegen des schönen Titels: „Von wilden Tieren, zerstreuten Leuten und versunkenen Schiffen“25. Nahezu sprichwörtlich geworden sind die „lachenden Doppelerben“, Titel eines anderen Aufsatzes 26: Infolge eines Notarfehlers erben die Falschen. Bekommen die eigentlich Vorgesehenen ihr Erbe auch noch via Schadensersatz, oder sollte man sich besser über Formalitäten des Erbrechts hinwegsetzen und nur sie erben lassen? Bei diesen wenigen, jedoch typischen Beispielen seiner kreativen Ideenvielfalt im Zivilrecht mag es bewenden. Kegel war gewiss in Vielem konservativ, wenn auch nicht so sehr, wie er sich selbst gern sah. Jedenfalls war er es als Jurist nicht aus Prinzip, sondern weil für das Recht regelmäßig ein gewisses Trägheitsmoment in der Entwicklung lebenswichtig ist. Dass seine Kritik, wo er es für nötig hielt, auch vor 24 Lüer, Gerhard Kegel und Alexander Lüderitz – Die Frucht ihres Lehrens, in: Mansel (Hrsg.), Vergemeinschaftung des Europäischen Kollisionsrechts (2001), S. 23, 24. 25 Kegel, Von wilden Tieren, zerstreuten Leuten und versunkenen Schiffen. Zum Verhältnis von Besitz und Eigentum beweglicher Sachen, in: Ficker u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer (1978), S. 149–178. 26 Kegel, Die lachenden Doppelerben: Erbfolge beim Versagen von Urkundspersonen, in: Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag (1978), Bd. 1, S. 545–558.

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den Grundfesten der deutschen Dogmatik nicht halt machte, zeigt seine Abrechnung aus dem Jahre 1977 mit dem den Deutschen heiligen Abstraktionsprinzip.27 Wiethölter nannte ihn sogar einen „revolutionären Wissenschaftler“28. 3. Alles das zeigt zugleich die enge Verbindung mit der Rechtsvergleichung, und es wundert nicht, dass Gerhard Kegel auch in dieser eine klaffende Lücke hinterlässt. Mit völlig unabhängigem, klischeefreiem Denken hat er sich den Rechtsfragen von den verschiedensten Seiten her genähert. Sein Buch „Vertrag und Delikt“ – erschienen 200229, als Gerhard Kegel schon 90 Jahre alt wurde – setzt sich über dogmatische Fesseln hinweg, ohne jedoch die Dogmatik zu missachten. Es zeigt Vertrags- und Deliktsrecht in einem neuen Licht mit neuen Verknüpfungen, erstaunlichen Erkenntnissen alle paar Seiten. Diese sind zum Teil angestoßen durch die Einsicht, wie im englischen Recht das Vertragsrecht aus dem Deliktsrecht geboren wurde. Seine früheren Schüler erinnern sich daran, wie oft er in den Vorlesungen ihnen hat „ein Licht aufgehen lassen“. Was hier als Frucht lebenslangen Nachdenkens vorgeführt wird, ist Rechtsvergleichung par excellence, die heute ihresgleichen sucht, eine vorbildliche Universaljurisprudenz, die Unterschiede beachtet, wo sie bestehen, und Verbindungen knüpft, wo sie erkannt werden. Eine weitere thematische Fortschreibung dieses Werkes war fertiggestellt und ist postum erschienen.30 Gewiss, anders als früher ist heute die Rechtsvergleichung überall en vogue. Die Jalousie um das nationale Recht wurde gleichsam hochgezogen, und das wird ihn gefreut haben. Aber zugleich wurden um das politische(!) Europa Jalousien herabgelassen, und wo früher das nationale Recht den Mittelpunkt dominierte, ist es jetzt oft das angeblich gemeineuropäische. Viele „gemeineuropäische“ Rechtsgrundsätze bekommen freilich ihre Weihe nur dadurch, dass man andere Rechtsordnungen aus dem Vergleich einfach ausblendet, Übereinstimmungen mit außereuropäischen Rechten nicht zur Kenntnis nimmt. Teilweise will man sogar die Rechtsentwicklungen der letzten 200 Jahre als „Geröll“ beiseite räumen. Indessen wird man so ziemlich bei jedem Vergleich irgendwelcher Rechtsordnungen Gemeinsamkeiten finden, 27 Kegel, Obligation and Disposition. Should Dispositions be „Abstract“ or „Kausal“?, in: Gesellschaft zur Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit der Universität Tel-Aviv e.V. (Hrsg.), Beiträge zum deutschen und israelischen Privatrecht (1977), S. 103–130; deutsche Fassung: Verpflichtung und Verfügung. Sollen Verfügungen abstrakt oder kausal sein?, in: Flume u. a. (Hrsg.), Internationales Recht und Wirtschaftsordnung. International Law and Economic Order, Festschrift F. A. Mann zum 70. Geburtstag (1977), S. 57–86. 28 Wiethölter, FS Kegel (1977), S. 263. 29 Kegel, Vertrag und Delikt (2002), XII + 148 Seiten. 30 Kegel, Vermögensbestand, Vermögensherrschaft, Vermögensschutz, in: Luig/Mansel (Hrsg.), Abhandlungen der nordrhein-westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 119 (2008).

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wenn man nur genügend verallgemeinert. Das kann durchaus Erkenntnisse grundsätzlicher Art vermitteln. Um diese geht es heute aber nur den Wenigsten, sondern eher um den Nachweis einer Art fortbestehenden „gemeinen europäischen Rechts“. Dabei wird man z.B. die „Principles of European Contract Law“ auch in nahezu jeder beliebigen außereuropäischen Rechtsordnung wiederfinden, wenn man diese nur einmal zum Vergleich heranzieht. European Principles all over the world? Wo man dann einmal mehr ins Detail geht, kommt gleich ein umfangreiches Werk heraus, wie beim „gemeineuropäischen Deliktsrecht“, das in Wahrheit – durchaus verdienstlich – Deliktsrechte in Europa vergleichend darstellt.31 Gäbe es wirklich ein „europäisches Deliktsrecht“, wäre der Umfang vermutlich deutlich schmaler geworden. Eine solche politisch motivierte „Europäisierung“ der Rechtsvergleichung hätte und hat Gerhard Kegel nicht mitgemacht. Jede Einengung seines Denkens war ihm zuwider, die überwundene nationale ebenso wie die neue „europäische“. Der Ruf nach Universaljurisprudenz scheint derzeit freilich nicht mehr so populär zu sein. Gerade deshalb wird uns die Erleuchtung fehlen, die Kegel in seinen Schriften noch immer verbreitet.

III. Gestatten Sie mir noch einige Erinnerungen an den Menschen Kegel, vom Wissenschaftler nicht zu trennen. Seinen persönlichen Werdegang von seinem Elternhaus in Magdeburg über die Studien- und Referendarzeit in Berlin, die Assistententätigkeit am dortigen Kaiser-Wilhelm-Institut, die Begegnung mit Ernst Rabel, Kriegserlebnisse, Anfang und Blüte der wissenschaftlichen Karriere in Köln, niemand hat das besser beschrieben als er selbst, vor allem in den launigen und geistreichen Lebenserinnerungen „Humor und Rumor“, erschienen 1997 bei Beck32 – und leider aus unbekannten Gründen viel zu schnell wieder vom Markt verschwunden. Nach Köln kam er 1945; 1950 wurde er Ordinarius und gründete sein Institut für internationales und ausländisches Privatrecht, das mit Hilfe vor allem der Thyssen-Stiftung immer weiter ausgebaut wurde und schließlich mit anderen internationalrechtlichen Instituten ein neues repräsentatives Gebäude beziehen konnte. Seine wissenschaftlichen Weggenossen besonders der neueren Zeit werden übrigens in seinen Memoiren im Allgemeinen mit einer Milde behandelt, die manchen, der ihn näher kannte, überrascht haben mag. Im Ganzen lassen diese Lebenserinnerungen vor uns das Bild eines humorvollen, geistreichen, 31 32

Vgl. von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. 1 (1996), Bd. 2 (1999). Kegel, Humor und Rumor (1997), 211 Seiten.

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universal gebildeten Gelehrten und gänzlich aufrechten Menschen entstehen. Kegel hatte es nicht nötig, irgendeine Phase seines Lebens zu kaschieren oder zu beschönigen (etwas, das bekanntlich nicht jeder seiner Altersgenossen für sich in Anspruch nehmen konnte). Er war stets pflichtbewusst und diszipliniert. Den Fakultätsaufgaben entzog er sich nie. Zur wissenschaftlichen Arbeit zog er sich in die Eifel zurück. Ur-Soergel und Ur-Lehrbuch sind dort in einer Art Baracke entstanden. Später wurde dann ein Häuschen daraus, in dem er im Alter auch noch bis zu 16 zugelaufene Katzen beherbergte. Von Kegel konnte auch niemand sagen (wie von seinem Lehrer Ernst Rabel – dessen schwierige Persönlichkeit Kegel nicht verschwiegen hat 33) „ich möchte ihn einmal wirsch sehen“. Er war seinen Mitmenschen gegenüber stets höflich, liebenswürdig, zuvorkommend, wenn auch auf Distanz bedacht, bekannt dafür, dass er sich für jede Zusendung von Veröffentlichungen bedankte – und das zur Freude des jeweiligen Autors immer nur lobend. Er war im Allgemeinen von außergewöhnlicher Toleranz (wie auch die bunte Reihe seiner Schüler illustriert), konnte allerdings auch durchaus kritisch sein bis zu einer gewissen sarkastischen Schärfe, besonders wenn es ihm um die Sache ging oder wenn er Unfähigkeit witterte. Oftmals merkte man das allerdings erst beim zweiten Nachdenken über seine Äußerungen. Was er sagte, klang häufig ironisch oder selbstironisch, war es oft auch, aber nicht immer. Manches war durchaus ernster gemeint als es klang. Doch machte ihn diese Art irgendwie unangreifbar. Der Kritisierte reagierte meist heiter statt ärgerlich. Von seinen Mitarbeitern verlangte er Einiges, ließ ihnen aber viel Freiheit. Habilitanden mussten „Selbstläufer sein“. Die aufmüpfigen Studenten der 60er Jahre – die ihm alles andere als sympathisch waren – standen als Einzigem in Köln Kegel zu, ein „Gentleman“ zu sein. In seinem Buch kommt diese Zeit noch verhältnismäßig glimpflich weg (auf etwa zwei Seiten).34 Kegel befürchtete allerdings den Niedergang der Wissenschaft an den Universitäten.35 Dieser wurde damals noch abgewendet. Die heutige Zeit lehrt allerdings leider, dass auch gestandene Politiker so etwas fertig bringen, diesmal ganz ohne Studentenrevolte und unter dem Tarnmantel einer „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen“. Im Übrigen heißt es in dem Buch von einem seiner Assistenten36: „Um Haaresbreite wäre er Präsident der Universität geworden“. Um wen es geht, sage ich nicht; ich war jedenfalls nicht gemeint. 33 34 35 36

Oben, Fn. 1. Kegel (Fn. 32), S. 155–157. Kegel (Fn. 32), S. 156. Kegel (Fn. 32), S. 156.

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Seine Formulierungskunst – schriftlich oder in Bemerkungen – war legendär. Er liebte knappe, klare Sätze, in seinen Schriften, im Recht und im Leben. Als junger Assistent durfte ich ihn als Protokollführer zu den Sitzungen des Deutschen Rates für IPR begleiten. Zu der illustren Mittagsrunde kam ich einmal etwas später. Einer der älteren Teilnehmer – mit dem ich immerhin den ganzen Vormittag in einem Raum verbracht hatte – verwechselte mich mit dem Kellner und fragte, wie der Fisch zubereitet sei. Dazu Kegel trocken: „Woher soll denn der Mann das wissen?“ – Später tröstete er mich damit, dass Raape auf seiner eigenen Hochzeit mit einem Kellner verwechselt worden sein soll. Von extremer Kürze waren oft auch die Sachverhalte, die er den Studenten zur Bearbeitung gab, und gefürchtet: Angelerntes Wissen garantierte noch keinen Erfolg. „Lasst alle Hoffnung fahren – ein echter Kegel“ soll einmal auf einem Zettel gestanden haben, der in einer Klausur lag. Die substantivüberladene „Juristensprache“ war ihm verhasst. § 1 BGB formulierte er so um: „Der Mensch wird rechtsfähig, wenn er fertig geboren ist“. Verbale Schaumgebilde ritzte er mit seinem geistigen Florett an, und sie fielen in sich zusammen. In seiner legendären Besprechung von Wenglers IPR-Darstellung im Reichsgerichtsräte-Kommentar zitierte er einen besonders komplizierten Satz des Autors (der dafür bekannt war) und schloss dann an: „Auf Deutsch könnte das heißen: …“ Hinter Kegels Worten funkelte sein Geist wie hinter seiner Brille seine Augen. Wer ihn gekannt hat, wird ihn nicht vergessen.

IV. Am Ende möchte ich auf eine andere seiner – halbironischen? – Bemerkungen aus der Vorlesungszeit zurückkommen. Kegel brachte uns Studenten die Gedanken seines Lehrers Rabel nahe und bezeichnete ihn als „den größten Juristen dieses Jahrhunderts“ – mit dem augenzwinkernden Zusatz: „das heißt, es ist noch nicht ganz um; ich habe da noch eine Chance“. Ob und wie weit er dieses Ziel erreicht hat, darüber sollte sich jeder sein eigenes Bild machen. Eingedenk seiner (einmal einem anderen gegebenen) Mahnung, „dicht vor seinem Helden stehend“ könnte „man ihn etwas zu groß sehen“37, will ich mich zurückhalten. Dem Ziel nahe gekommen ist er aber auf jeden Fall.

37 Kegel, Buchbesprechung, Jayme, Pasquale Stanislao Mancini, Internationales Privatrecht zwischen Risorgimento und praktischer Jurisprudenz, RabelsZ 46 (1982), 465, 466.

Franz Bydlinski – Im Dienste der Gerechtigkeit * Peter Rummel I. II.

Lebensdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das wissenschaftliche Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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„Austriaca non leguntur“, lautete einmal die etwas weinerliche Bemerkung eines Wiener Kollegen, die das geringe Interesse deutscher (Zivil-)Rechtswissenschaftler an den Hervorbringungen ihrer österreichischen Kollegen beschreiben, besser, beklagen sollte: „Österreichisches liest man nicht“ (ich spreche jetzt natürlich nur von Arbeiten zum österreichischen Recht, nicht von solchen österreichischer Autoren zum deutschen BGB). Und in der Tat scheint insbesondere in rechtsvergleichenden Werken viel eher französisches oder spanisches oder – vor allem – angloamerikanisches Material zu finden zu sein als österreichisches (und, wie mir vorkommt, auch schweizerisches); und es vergeht kaum eine Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung (in der doch Kollegen aller drei Länder versammelt sind), bei der nicht jemand die (deutschen) Referenten ermahnt, sich mehr mit den beiden Nachbarrechtsordnungen zu befassen. Nun steht nach meinem Eindruck auch das dänische oder das polnische Recht nicht eben im Zentrum deutscher Aufmerksamkeit, aber da kann man wenigstens noch das Sprachproblem entschuldigend anführen. Für Österreich hingegen scheint es doch daran zu liegen, dass in der praktisch-dogmatischen Alltagsarbeit Rechtsvergleichung nur eine geringe Rolle spielt, wenn man im eigenen, großen Land vermeintlich oder wirklich genügend Material vorfindet, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Dann braucht man sich die Mühe, die allein die Beschaffung der fremden Literatur bereitet, nicht zu machen, geschweige denn der viel schwierigeren Frage nachzugehen, ob denn die objektive Rechtslage die gleiche ist. Dass in umgekehrter Richtung jeder ernstzunehmende österreichische Autor nicht ohne Rücksicht auf die deutsche Rechtslage bzw. Literatur auskommt, dass auch der österreichische Oberste Gerichtshof laufend die Rechtsprechung des BGH reflektiert, zeigt, dass ein verstärkter Austausch der Argumente vielleicht doch auch in der

* Vortrag am 30. Januar 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin.

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6. Teil: Methoden – Internationales, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie

anderen Richtung nützlich sein könnte. Man muss freilich zugeben, dass auch in Österreich schon das Schweizer Recht wesentlich weniger Beachtung findet als das deutsche. Wenn ich hier über meinen Lehrer Franz Bydlinski sprechen darf, so haben wir es vor dem Hintergrund des Vorigen mit einem der rühmlichen Ausnahmefälle zu tun: Bydlinski ist einer der wenigen österreichischen Autoren, die in Deutschland auf breiter Front wahrgenommen werden. Das hängt selbstverständlich mit dem Gegenstand seiner Arbeiten zusammen, aber doch auch, und wie mir scheint, vor allem, mit deren Rang.

I. Lebensdaten Zunächst einiges zum Lebenslauf: Franz Bydlinski wurde 1931 in Rybnik, also im polnischen Oberschlesien, geboren. Sein Vater, Betriebsleiter in einem Emailwerk, stammte aus polnischer, seine Mutter aus deutscher Familie. Als Kind wuchs er demgemäß zunächst zweisprachig auf. Der Vater verlor nach dem deutschen Einmarsch seine Arbeit und fand, nachdem er nur, wie Franz Bydlinski kürzlich geschrieben hat, durch ein kleines Wunder dem KZ entgangen war, eine neue in Knittelfeld in der Steiermark. Dort besuchte Bydlinski in der Folge die Volks- und Mittelschule. Die kriegs- und nachkriegsbedingten Wirren und deren Auswirkungen auf seine „gemischte“ Familie hat Franz Bydlinski selbst in einem von Jabloner und Mayer herausgegebenen Sammelband „Österreichische Rechtswissenschaft in Selbstdarstellungen“ ebenso anschaulich wie berührend dargestellt.1 Ebendort bedauert er auch, dass seine Polnisch-Kenntnisse der Zeit fast völlig zum Opfer gefallen sind, und schildert seine Sportbegeisterung, die ich bezüglich des Tennis (und des Fußballs) noch selbst einige Jahrzehnte später beobachten konnte. Nach der Matura studierte er ab 1950 in Graz Rechtswissenschaften; wurde bald wissenschaftliche Hilfskraft und dann Assistent. Sein Lehrer Walter Wilburg sollte sein wissenschaftliches Denken von da an entscheidend prägen, worauf wir zurückkommen werden. Das damals wirklich ein Jahr dauernde „Gerichtsjahr“, das in Österreich Voraussetzung für die weitere, speziellere Ausbildung für die meisten juristischen Berufe ist, brachte erste Kontakte mit der Praxis. Eine Dissertation war damals in Österreich noch nicht Voraussetzung für das Doktorat, und deshalb konnte Bydlinski nach dem Studienabschluss mit Promotion im Dezember 1954 alsbald die Habilitation in Angriff nehmen. Schon 1957 verlieh ihm die Universität Graz die

1 Bydlinski, Franz Bydlinski, in: Jabloner/Mayer (Hrsg.), Österreichische Rechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2003), S. 12–41.

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venia legendi für Österreichisches Privatrecht. Dem lagen zwei Arbeiten über „Vertragsrecht und Arbeitskampf“2 und „Schadensrecht und Arbeitskampf“3 zugrunde. Ein irgendwie ausgebildetes, eigenständiges Arbeitskampfrecht gab und gibt es in Österreich nicht (mangels einer relevanten Zahl von Fällen nicht einmal als Richterrecht), und bis heute sind Bydlinskis Ansätze beim allgemeinen Vertragsrecht daher aktuell.4 Das Thema „Arbeitsrecht und allgemeines Zivilrecht“ sollte ihn, soviel kann über das wissenschaftliche Werk hier vorweggenommen werden, auch später immer wieder beschäftigen.5 Anfragen um Lehrstuhlvertretung in Göttingen und wegen eines Extraordinariats in Innsbruck lehnte er zugunsten eines Extraordinariates in Graz ab, auch zwei Berufungen nach Wien blieben zunächst wegen der Unlösbarkeit der Wohnungsfrage erfolglos. Unter den wenig später angebotenen Ordinariaten Graz, Kiel, Bonn und Hochschule für Welthandel in Wien entschied er sich 1963 für Bonn, wo er bis 1967 lehrte. In der schon zitierten autobiographischen Skizze betont er, wie angenehm ihm die dortige Zeit gewesen sei, nur getrübt durch die Funktion eines geschäftsführenden Direktors des juristischen Seminars, da er organisatorische Aufgaben nie geschätzt habe. Das kann ich aus eigener Anschauung nur bestätigen; es erklärt zugleich, dass Bydlinski akademische Funktionen wie das Dekanat zu übernehmen stets erfolgreich abgewehrt hat. Im Jahr 1966 konnte er von Bonn aus neuerlich zwischen zwei österreichischen Berufungen wählen, wobei er nunmehr der Universität Wien gegenüber der Neugründung in Salzburg den Vorzug gab. Eine schon beschlossene Berufung nach Freiburg wurde dadurch hinfällig. Der Tatsache, dass es damals noch üblich war, Assistenten an den neuen Arbeitsort mitzunehmen, ist mein heutiger Auftritt (als ehemaliger Bonner) vor Ihnen zuzuschreiben. Helmut Koziol war übrigens ein weiterer Rückwanderer, den Bydlinski schon als Assistenten aus Graz nach Bonn mitgenommen hatte. In Wien ist er dann trotz eines neuerlichen Rufes auf den Lehrstuhl seines Grazer Lehrers Wilburg geblieben. Aus seinem persönlichen Umfeld will ich noch berichten, dass von seinen fünf Söhnen der eine Ordinarius für Zivilrecht in Graz ist, nachdem er vorher schon einen Lehrstuhl in Rostock innehatte, und auch dessen Zwillingsbruder sich mit der Habilitation für Zivilverfahrensrecht akademische Sporen verdient hat, jetzt aber als Hofrat des Obersten Gerichtshofes tätig ist.

2 Bydlinski, Vertragsrecht und Arbeitskampf, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Bd. VI/I (1957/1958), 300–372. 3 Bydlinski, Schadensrecht und Arbeitskampf, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Bd. IX (1958/1959), 518–568. 4 Vgl. etwa bei Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht, Bd. I (4. Aufl. 2001), S. 178 ff. 5 Insbesondere in der aus einem Gutachten für die österreichische Arbeitsrechtskodifikationskommission entstandenen Monographie: Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht (1969).

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Franz Bydlinski war (und ist, soweit es die Gesundheit zulässt) ein vielbeschäftigter Gutachter; er hat in zahlreichen Gruppen die österreichische Gesetzgebung führend beraten (Arbeitsrechtskodifikation; Fortpflanzungsmedizin; Familienrechtsreform als Beispiele). Zusätzlich zu bedeutenden Ehrungen durch Staat und Kirche durften sein ältester Schüler Koziol und ich ihm nach bis dahin erfolgreicher Abwehr zum 70. Geburtstag dann doch eine Festschrift widmen, die den gleichen Titel trägt wie dieser Vortrag: „Im Dienste der Gerechtigkeit“6. Mir scheint weiterhin, dass das Bydlinskis Lebensmotto sein könnte. Die Universitäten Salzburg, München, Kattowitz und Trnava haben ihm Ehrendoktorate verliehen; er ist ordentliches Mitglied der Österreichischen und korrespondierendes Mitglied der Göttinger, der polnischen und der bayerischen Akademie der Wissenschaften. Das hat natürlich seine Gründe, daher:

II. Das wissenschaftliche Werk Bydlinskis Schriftenverzeichnis 7 weist neben einem runden Dutzend Monographien mehr als 150 Aufsätze auf; daneben sind in diesem ersten Überblick noch seine Kommentierung großer Teile des Kaufrechts in der zweiten Auflage des Klangschen Kommentars zum ABGB8 und die der Bestimmungen über Methodenfragen in dem von mir herausgegebenen Kommentar9 zu nennen. In den Bonner Jahren sind die beiden Monographien „Probleme der Schadensverursachung“10 sowie „Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes“11 erschienen, welche die beiden schon angesprochenen Leitmotive Rechtsgeschäftslehre und Schadenersatzrecht fortführten. Beide Arbeiten haben auch im deutschen Rechtsbereich die Diskussion maßgeblich beeinflusst. Das Gleiche gilt für die themenverwandten Aufsätze über Mittäterschaft im Schadensrecht12 im AcP und zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwangs in ebenderselben Zeit-

6 Koziol/Rummel (Hrsg.), Im Dienste der Gerechtigkeit, Festschrift für Franz Bydlinski (2002). 7 Auf dem Stand von 2002 in der zitierten FS Bydlinski (2002), S. 533–540. 8 Klang/Gschnitzer-Bydlinski, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (2. Aufl. 1978), Bd. IV/2, §§ 1045–1089, §§ 1053, 1061–1064, 1072–1079. 9 Rummel-Bydlinski, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (3. Aufl. 2000), Bd. I, §§ 1–14. 10 Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung (1964, Neudruck 1977). 11 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967). 12 Bydlinski, Mittäterschaft im Schadensrecht, AcP 158 (1959/1960), 410–430.

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schrift13. Was die schadenersatzrechtliche Problematik angeht, so hat ein Vortrag zu den in Bydlinskis Monographie behandelten Themen bei der letzten Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung14 meinen Eindruck bestätigt, dass Bydlinskis Analyse der Haftung wegen bloß möglicher Verursachung in den Fällen kumulativer und alternativer Kausalität und die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse für die Fälle hypothetischer Kausalität und sonst ungeklärter Verursachung bis heute auch in Deutschland nichts an Aktualität verloren haben. Die Monographie zur Privatautonomie ist nach meinem seinerzeit unmittelbar als Beobachter gewonnenen Eindruck auch ein Produkt einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit dem Fakultätskollegen Werner Flume, dessen „Rechtsgeschäft“ damals frisch erschienen war. In einem Maße, das man sich in Deutschland kaum vorstellen kann, hat freilich Bydlinskis dogmatische Detailarbeit die österreichische Debatte, insbesondere die Judikatur, geprägt. Diese Chance, die eigene Disziplin, um nicht zu sagen, die Rechtskultur, des eigenen Landes nachhaltig zu beeinflussen, war wohl auch der entscheidende Grund für ihn, nach Österreich zurückzukehren. Aus Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, war die österreichische Zivilrechtsdogmatik der Nachkriegszeit bis weit in die sechziger Jahre nicht wirklich auf der Höhe der Zeit. Die schon zitierte Kaufrechtskommentierung im Klangschen Großkommentar unternahm es, weite Teile des allgemeinen Schuldrechts, zum Teil in immer noch legendären, langen Fußnoten, erstmals grundlegend zu erörtern. Dazu kam z. B. eine gründliche und bis heute maßgebliche Klärung der Probleme des finanzierten Kaufs, die sozusagen en passant den Eigentumsvorbehalt nahezu monographisch behandelte; eine eingehende Behandlung der Fragen des Vorkaufsrechts und vieles mehr im Umfeld des Kaufvertrages. Zahlreiche Aufsätze, vor allem in den von Bydlinski mehr als 20 Jahre geleiteten „Juristischen Blättern“, aber auch in vielen, vor allem deutschen Kollegen gewidmeten Festschriften, klärten zweifelhafte Fragen auf eine Weise, dass man sie seither jedenfalls aus der Sicht des österreichischen Höchstgerichts und damit der Praxis überhaupt, als entschieden ansehen kann: die Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, zentrale Fragen der Gehilfenhaftung, die Dogmatik des kaufmännischen Bestätigungsschreibens, die Probleme des finanzierten Kaufs, die alternative Kausalität, die Fragen der Superädifikate (Bauten auf fremdem Grund), die Figur der Wissenserklärung, exemplifiziert an Beispielen aus dem Arbeitsrecht, die Geltung und Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Ersatzansprüche wegen rechtswidriger Verfahrenshandlungen, der Kontrahierungszwang, die

13 Bydlinski, Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980), 1–46. 14 Spindler, Kausalität im Zivil- und Wirtschaftsrecht, AcP 208 (2008), 283–344.

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Ansprüche aus zweckverfehlender Enteignung, der Ersatz immaterieller Schäden, die Verjährung von Schadenersatzansprüchen: Lauter Themen, bei denen seine Untersuchungen die Rechtsprechung der österreichischen Gerichte, insbesondere des OGH, geprägt, ja manchmal geradezu monopolisiert haben (nicht immer zur Freude mancher Kollegen). Wem daran etwas nicht passte, der hatte (und hat weiterhin) wenigstens einen dankbaren Reibebaum. Der Einfluss auf die Praxis verdankt sich in einem kleinen Land im Übrigen auch den persönlichen Kontakten der Beteiligten. Insofern haben Bydlinskis in Wien über Jahrzehnte abgehaltenes Seminar für Praktiker und das seit 1970 alljährlich in Altmünster bzw. Traunkirchen am Traunsee veranstaltete Seminar für absolvierte Juristen viel dazu beigetragen, die bis zu Bydlinskis Eintreffen in Wien nach meinem damaligen Eindruck durchaus vorhandenen Berührungsängste zwischen Wissenschaft und Praxis abzubauen. Seine Schüler bemühen sich nach Kräften, diese Tradition fortzusetzen. Die unermüdliche und engagierte dogmatische Alltagsarbeit – auch, wie schon angedeutet, in Form einer umfangreichen Gutachtertätigkeit – erklärt auch einen Grundansatz seiner nunmehr zu behandelnden, Ihnen wohl am meisten geläufigen methodischen und rechtstheoretischen Werke: nämlich den Versuch, solche grundsätzlicheren Fragen immer vor dem Hintergrund dessen zu erörtern, „was Juristen seit Jahrtausenden bei ihrer täglichen Arbeit tun“. „Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff“ (1982, zweite, ergänzte Auflage 1991) machte den Anfang; „Fundamentale Rechtsgrundsätze – zur rechtsethischen Verfassung der Sozietät“ folgte 1988, und „System und Prinzipien des Privatrechts“ beschloss 1996 die Trilogie großer Untersuchungen, die der juristischen Alltagsarbeit das theoretische Fundament liefern sollten. Manches darin, insbesondere in der Methodenlehre, ist von außen oder im Nachhinein gesehen recht verständlich nur vor dem Hintergrund der in Österreich, insbesondere bei den Vertretern des öffentlichen Rechts, seinerzeit und etwas abgeschwächt immer noch sehr wirkmächtigen, positivistischen, insbesondere durch Kelsen geprägten „Reinen Rechtslehre“15. Die, wie Adomeit formuliert hat, „nihilistische Methodenlehre“ der Reinen Rechtslehre, wonach Auslegungsfragen stets unlösbar und Gesetzeslücken nicht denkbar seien, reizt den praktisch tätigen Zivilrechtler Bydlinski zu engagiertem bis polemischem Widerspruch. Auch in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts vieldiskutierte gegenläufige Ansätze, die man nur sehr ungenau als freirechtsnahe, jedenfalls aber methodenskeptisch bezeichnen kann (manche Arbeiten von Esser, Hans Albert, um nur einige besonders prominente zu nennen), werden heftig kritisiert. Gerade dieser Polemik ver-

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Hauptwerk: Kelsen, Reine Rechtslehre (2. Aufl. 1960).

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danken sich aber wohl auch die z. T. ihrerseits etwas gereizt klingenden Reaktionen des einen oder anderen seinerzeitigen Rezensenten. Generell hat mir die Vorbereitung dieses Vortrages im Übrigen die Zeitbedingtheit mancher scheinbar sehr grundsätzlichen Diskussionen einerseits und die Zeitlosigkeit anderer Fragen wieder deutlich vor Augen geführt. Wenn man beides doch nur auch aktuell jeweils unterscheiden könnte! „Bydlinski sucht nicht das Besondere und Aparte, nur durch funkelnde Paradoxien Darstellbare, sondern die Mitte, mag sie auch intellektuell nicht sehr reizvoll sein, gegen Angriffe und Verdächtigungen in Schutz zu nehmen“16 (Adomeit). Als Titel seines ad personam vergebenen und daher thematisch nicht von den Veranstaltern festgelegten Vortrags bei der Zivilrechtslehrervereinigung im Jahr 2004 hat Bydlinski denn auch – ohne Bezug auf den genannten Rezensenten, wohl aber auf Aristoteles – „Die Suche nach der Mitte als Daueraufgabe der Privatrechtswissenschaft“17 gewählt. Engisch18 hat Bydlinskis Methoden-Buch als „Dokumentation eines fest bestimmten konservativen dogmatischen Standpunktes, von dem aus die Rechtswissenschaft unter Abwehr gegenläufiger, zuweilen revolutionärer rechtstheoretischer Tendenzen als eine rationale geisteswissenschaftliche Disziplin verteidigt wird“, beschrieben. Wundert es Sie, dass Dieter Simon in seinem Rückblick in Heft 1/2 der KritV 200719 gern ein Zitat von Ogorek aufgreift, wonach es sich um die „binnenjuristische und damit unterkomplexe Verarbeitung eines Unbehagens an der Rolle“ handle, „die dem Recht und seinen professionellen Verwaltern im heutigen Staat zugewiesen“ sei? Das ist übrigens noch eine der milderen Formulierungen in Simons durchgehend kritischem, freilich seinerseits nicht eben ideologie- wie polemikfreien Artikel. Adomeit, den so ausgiebig zu zitieren gerade in Berlin erlaubt sein mag, hat Bydlinski bescheinigt, den Bestand des bürgerlich-republikanischen Rechtssystems und Rechtsbewusstseins verteidigen zu wollen und von der Besorgnis über dessen Erosion getrieben zu sein;20 Rettung von Recht, Rechtsidee und von diesen geleiteter Methodik sei das angestrebte Ziel. Das scheint im Nachhinein geradezu prophetisch: Seiner 1988, als etwa fünf Jahre später erschienenen Arbeit „Fundamentale Rechtsgrundsätze – Zur rechtsethischen Verfassung der Sozietät“ stellt Bydlinski programmatisch voran, dass es 16 Adomeit, Bydlinski, Franz: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, JZ 1983, 513–515. 17 Bydlinski, Die Suche nach der Mitte als Daueraufgabe der Privatrechtswissenschaft, AcP 204 (2004), 309–395. 18 Engisch, Subsumtion und Rechtsfortbildung, in: Hochschullehrer der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung, Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen, Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), S. 3–9. 19 Lahusen/Simon, Bücherstand I, KritV 2007, 7, 51. 20 Adomeit, JZ 1983, 513, 515.

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zwar wohlfeil sei, eine Wiedereinbeziehung des ethischen Rechtsdenkens in die alltägliche dogmatische Arbeit zu fordern, aber schwierig darzutun, welche fundamentalen ethischen Prinzipien dazu dienen könnten und wie sie zu finden seien. Seinen diesbezüglichen Versuch nennt er selbst „Wiederbelebung gemäßigten Naturrechtsdenkens mit praktischen Konsequenzen“21. Wenn er selbst im Vorwort auch vor einer „Überschätzung der Rolle der Vernunft“ warnt, so scheint mir das als „teilnehmendem Beobachter“ ein wenig mit dem Lebensprogramm Bydlinskis zu konfligieren: Ich hatte über lange Jahre den Eindruck, dass er ein unermüdlicher Kämpfer für die Rationalität der Diskussion (nicht nur der juristischen im engsten Sinne) sei und dass seine ungebrochenen Hoffnungen auf die Kraft des Arguments nicht nur einem Zyniker, sondern auch einem bloß gemäßigten Skeptiker wie mir manchmal als zu optimistisch, wenn nicht naiv vorkommen konnten. Die von Bydlinski abgeleiteten „fundamentalen Rechtsgrundsätze“ können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden; wenn deren erster lautet: „Jeder Mensch hat im Verhältnis zu jedem anderen Menschen Anspruch auf Respektierung a) seines Lebens und seiner Gesundheit und körperlichen Integrität b) seiner Personenwürde“ so wird man dem auch für eine Rechtsordnung nicht widersprechen wollen, die nicht ausdrücklich eine Regel wie den Art. 1 GG kennt, also etwa die österreichische. Das Buch steht im Übrigen als erste Durchführung des in der Methodenlehre begonnenen Programms, nämlich als Nachweis dafür, dass das Recht nicht nur aus den durch einfache Lektüre erschließbaren Norminhalten besteht, sondern dass der Prozess der Rechtsgewinnung auch andere Ebenen der Argumentation erfordere, die nicht das Verdikt bloßer, womöglich willkürlicher Dezision des Rechtsanwenders verdienen. Mag das manchem von Ihnen vielleicht als selbstverständlich erscheinen: vor dem Hintergrund der damals, insbesondere in Österreich geführten Diskussion bedurfte es wohl wieder einmal einer gründlichen Überprüfung und Vertiefung der Argumentation, und in Wahrheit handelt es sich ja um ewige Fragen, wenn man mehr liefern will als bloße Gemeinplätze. Das genannte Programm findet seinen Höhepunkt in der in den beiden früheren Werken mehrfach angekündigten Untersuchung über „System und Prinzipien des Privatrechts“ (1996). „Die drei Bücher zusammen wollen an der vielfach im Gange befindlichen gegenwartsadäquaten Rekonstruktion

21 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze – Zur rechtsethischen Verfassung der Sozietät (1988), Vorwort S. VIII.

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bewährter alter Vorstellungen von ‚Recht‘ teilnehmen und die Möglichkeiten ihrer fruchtbaren Verwendung in der praktischen juristischen Arbeit verdeutlichen.“22 Das Werk beginnt mit einem ersten Hauptteil über die „Systemprobleme der Jurisprudenz“, selbstverständlich in ständigem, durchaus fruchtbarem Dialog mit Canaris (und Larenz, aber auch beispielsweise mit Arbeiten von Alexy oder Koch/Rüssmann). Demzufolge wird das innere System der Rechtsordnung als „axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien“ (Canaris) verstanden. Nach einer Wiederaufnahme der Funktion des Systems und damit systematischer Argumente in der dogmatischen Arbeit widmet sich der zweite Hauptteil des Buches nach seiner Überschrift dem „äußeren“ System des allgemeinen Zivilrechts, in der Folge freilich entgegen dieser Überschrift stets auch den die einzelnen Teile des von Bydlinski gelobten Pandektensystems beherrschenden materiellen Prinzipien, also dem „inneren System“: Eine Aktualisierung der Debatte um die Berechtigung eines „Allgemeinen Teils“ leitet über zur Darstellung der diesen beherrschenden Wertungen (insbesondere Vereinigungsfreiheit und Rechtsfähigkeit der Juristischen Person; Privatautonomie). Im Schuldrechtskapitel werden vor allem die Prinzipien des Schadenersatz- und des Bereicherungsrechts analysiert, während die Leistungsstörung, wenn diese Kritik gestattet ist, ein wenig blass bleibt, obwohl Bydlinski doch schon im Klang-Kommentar und seither in vielen anderen Arbeiten gezeigt hat, wie sehr ihn diese Materie beschäftigt hat. Auf ähnliche, nämlich wieder ausführliche Weise werden Sachenrecht, Familien- und Erbrecht auf die sie prägenden Prinzipien hin „abgearbeitet“. Ein spannender dritter Teil widmet sich den Sonderprivatrechten. Es wird niemanden wundern, dass Bydlinski sein Leben lang ein entschiedener Kämpfer gegen Tendenzen zur Verselbständigung, also der Abnabelung irgendwelcher neuentdeckten Teilgebiete vom allgemeinen Zivilrecht war und ist. Ein vierter Teil wendet sich demgemäß gegen solche Aufspaltungstendenzen, insbesondere zu einem besonderen „Wirtschaftsrecht“ und modischen Übertreibungen des Verbraucherschutzrechtes (ein Thema, das Bydlinski dann auch in seinem schon zitierten Vortrag auf der Zivilrechtslehrertagung23 wieder aufgegriffen hat). Alles in allem ist das Buch eine echte Fundgrube für den Zivilrechtler, der sich über die materielle, von den maßgeblichen Wertungen bestimmte Struktur, eben das innere System, die „Prinzipien“ seines Rechtsgebietes Rechenschaft ablegen will, um auf diese Weise der „richtigen“ Entscheidung seines konkreten Rechtsproblems näher zu kommen. Ich darf aus der Rezension

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Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996), Vorwort S. VII. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309–395.

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von Medicus 24 das Resümee zitieren: „… man erhält einen Eindruck davon, was ein systematisch betriebenes Privatrecht jenseits alles Modischen bedeutet und was der überkommene Fundus von Prinzipien auch heute zu leisten vermag. Zudem macht die lebhafte Sprache mit ihren vielen einprägsamen Formulierungen die Lektüre über weite Partien zum Genuss. Nach meinem Urteil ist dies eines der ganz großen Werke der deutschsprachigen Rechtswissenschaft.“ Was sollte ich dem hinzufügen? Ich will nur, sozusagen statt eines Schlusswortes, noch ein Beispiel dafür anführen, wie Bydlinski selbst seine dogmatische Detailarbeit mit diesen seinen grundsätzlichen Überlegungen verknüpft, und wie sehr das auf die österreichische Praxis ausstrahlt, indem ich aus einer neuen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 25 zum Schadenersatzanspruch der Eltern gegen einen Arzt wegen Geburt eines „gesunden, aber unerwünschten Kindes“ zitiere: „Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung 6 Ob 101/06f unter Bedachtnahme auf eine Lehrmeinung von F. Bydlinski (Das Kind als Schadensursache im österreichischen Recht, in: Magnus/Spier, European Tort Law. Liber amicorum for Helmut Koziol [2000], 29) die Frage aufgeworfen, ob nicht starke Gründe für das Durchschlagen des Schadenersatzprinzips gegenüber dem Persönlichkeitsprinzip dann bestehen könnten, wenn die Unterhaltspflicht der Eltern für das gesunde, jedoch ungewollte Kind diese wegen besonders geringer Mittel besonders stark treffen würde.“ Gerade solche, in jeder Hinsicht schwierigen Fragen zeigen die Leistungsfähigkeit des von Bydlinski gepflogenen methodischen Denkens. In der genannten Entscheidung konnte die von ihm aufgeworfene Frage freilich offen bleiben. Eine Würdigung wie die hier vorgeführte wird den Vorgestellten selbst zweifellos zu mancherlei Kritik reizen. Am meisten berechtigt wäre solche Kritik nach meinem Eindruck freilich, wenn ich nicht abschließend noch auf die maßgebliche Rolle zu sprechen kommen würde, die sein Lehrer, Walter Wilburg, für sein Leben und insbesondere für sein methodisches Denken gespielt hat. Wilburg, seinerseits Schüler von Ernst Rabel 26, hat nicht nur durch seine Persönlichkeit und seine Arbeiten zum Schadenersatz- und Bereicherungsrecht, sondern vor allem durch das von ihm entwickelte Denken im „beweglichen System“27 die Denkweise und weitere Arbeit Bydlinskis 24 Medicus, Franz Bydlinski: System und Prinzipien des Privatrechts, AcP 197 (1997), 316, 322. 25 OGH, JBl 2009, 108–109. 26 Kurzer Bericht über die Tätigkeit Wilburgs am Berliner Max-Planck-Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, in: Der wissenschaftliche Weg Wilburgs, in: Die Autoren der Festschrift u.a. (Hrsg.), Festschrift für Walter Wilburg (1965), S. 7. 27 Methodisch zusammenfassend in der Rektoratsrede Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950).

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bleibend geprägt. Zahlreiche seiner Schriften dienen (auch) der Vertiefung und Fortentwicklung dieser Denkweise.28 Ihre Fruchtbarmachung für die dogmatische wie auch rechtspolitische Arbeit kann man sicher als ein weiteres Leitmotiv in Bydlinskis Werk bezeichnen. Dass die österreichische Gesetzgebung29 und vor allem die Praxis des Höchstgerichts30 diese Art des Denkens inzwischen vielfach geradezu selbstverständlich übernommen haben, wird ihm zweifellos besondere Befriedigung verschaffen.

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Zum „beweglichen System“ allgemein neben den Darstellungen in Bydlinskis Methodenlehre (2. Aufl. 1991), die er auch Walter Wilburg gewidmet hat, und bei Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991) S. 469 f., insbesondere die Sammelbände Bydlinski/Krejci/Schilcher/Steininger (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und im künftigen Recht (1986) und Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000). 29 Etwa § 25d des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes in der Bestimmung über das richterliche Mäßigungsrecht bei der Angehörigenbürgschaft. 30 Zuletzt z.B. OGH, JBl 2008, 182–184 für die Schmerzengeldbemessung; OGH, VersR 2009, 662 für die AGB-Kontrolle; OGH, EF-Z 2009, 24 = iFamZ 2008, 249 für die Unterhaltsbemessung.

Peter Schlechtriem (1933–2007) * Martin Schmidt-Kessel I. II. III. IV. V. VI. VII.

Die Vita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wissenschaftler Peter Schlechtriem . . . . . . . . . . . . . . Rechtsvergleichung als schier unerschöpfliche Quelle . . . . . . The UN-Convention on the international Sale of Goods – CISG Study Group und Common Frame of Reference . . . . . . . . . Das deutsche Schuldrecht und seine Reform . . . . . . . . . . . Das Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Peter Schlechtriem aus der Sicht des Schülers zu würdigen, ist eine heikle Aufgabe. Sie ist heikel nicht so sehr ob der sehr persönlichen Züge, durch welche die Beziehung des Schülers zu seinem Doktor- und Habilitationsvater immer geprägt ist. Vielmehr besteht Grund zur Sorge, diesem großen Vertreter der deutschen, der europäischen und der internationalen Privatrechtswissenschaft nicht gerecht werden zu können. Wenn ich es gleichwohl wage, Peter Schlechtriem aus meiner eigenen Perspektive vorzustellen dann aus zwei Gründen: Zum einen ist da die große Dankbarkeit für die erfahrene fachliche Prägung und persönliche Bereicherung, für eine zwar nicht immer sorgenfreie aber doch schöne Lehrzeit am Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Freiburg. Zum anderen hat mich die besondere Ehrung, welche Peter Schlechtriem verdientermaßen durch seine Aufnahme in die von den Veranstaltern kreierte hall of fame erfährt, zur Zusage bewogen: Es gibt nur wenige deutsche Rechtswissenschaftler seiner Generation mit einer derart internationalen Anerkennung bis hin zum Einfluss auf die Ausbildung junger Juristen in aller Welt – eine Bedeutung, die in der organisierten deutschen Zivilrechtswissenschaft vielleicht nicht immer hinreichend deutlich gesehen worden ist.1 * Erweiterte und um Nachweise ergänzte Fassung meines am 23. Januar 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehaltenen Vortrags. Den Veranstaltern, Stefan Grundmann und Karl Riesenhuber, danke ich für die Einladung und die gelungene Diskussion. Von den Teilnehmern der Diskussion habe ich besonders dem Altfreiburger Gerhard Dannemann zu danken, der mir einige Lücken der Darstellung hat schließen helfen. 1 Für frühere Würdigungen siehe Schwenzer, in: dies. (Hrsg.), Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Schlechtriem (1999), S. IX–XI; Hager,

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I. Die Vita Geboren wurde Peter H. Schlechtriem am 2. März 1933 in Jena. In der DDR, wegen der Tätigkeit seines Vaters als Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft am Studieren gehindert, zog es ihn nach Westen, wo er zunächst in Hamburg eine Ausbildung zum Schiffsbauer absolvierte. Die Tätigkeit als Schiffsbauer, mit der er später auch sein Studium teilweise finanzierte, hat Peter Schlechtriem geprägt – die starken Hände zeugten von der Erfahrung schwerer körperlicher Arbeit. Aber die Prägung war nicht nur eine körperliche: Wenn in späteren Zeiten die eine oder andere Katastrophe über den Lehrstuhl und die Assistenten hereinbrach, berichtete er bisweilen eine Begebenheit aus dieser Zeit, mit der er sich wohl auch selbst zur Geduld ermahnte: Als Truppführer war ihm tatsächlich einmal das Malheur unterlaufen, durch eine falsche Betrachtung des Bauplans nicht nur das Deck des zu bauenden Schiffs mittels Schweißbrenner mit den Öffnungen für die Luken zu versehen, sondern gleich einen ganzen darunterliegenden Querträger zu durchtrennen. Das Studium in Hamburg war zunächst den politischen Wissenschaften und der Soziologie gewidmet, jedoch folgte schon bald der Wechsel ins juristische Fach, was wohl auf den Zivilprozessualisten Gotthard Paulus zurück zu führen ist.2 Nur wenig später folgte der Wechsel nach Freiburg im Breisgau. Nach Abschluss des Studiums 1959 und Ablegung der Großen Juristischen Staatsprüfung 1963 wurde er im Jahr 1964 mit einer von Horst Müller betreuten Arbeit zum Thema „Ausländisches Erbrecht im deutschen Verfahren“ in Freiburg zum doctor iuris utriusque promoviert.3 Gleichzeitig wurde er Assistent bei Ernst von Caemmerer, ein Schritt, der sein weiteres privates wie wissenschaftliches Leben prägen sollte.4 Wie eng die Bindung an seinen Rechtsvergleichung als Berufung Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag, JZ 2003, 199–200; Schwenzer, Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag, NJW 2003, 734; von Bar, Peter Schlechtriem (1933–2007), GPR 2007, 105; Faculty of Law of the University of Tartu, Peter Schlechtriem (2.3.1933–23.4.2007), Juridica International 2007, 190; Herber, Peter Schlechtriem zum Gedächtnis, IHR 2007, 89–90; Schmidt-Kessel, Nachruf Peter Schlechtriem †, JZ 2007, 730–731; Schwenzer, Peter H. Schlechtriem †, NJW 2007, 1796–1797; ders., Peter Schlechtriem – Leben und Werk, IHR 2008, 260–264; ders., The Life and Legacy of Peter Schlechtriem, Vindabona Journal 13 (2009), 3–10. Eine Liste der Publikationen von Peter Schlechtriem findet sich in Schwenzer/Hager (Hrsg.), Festschrift für Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag (2003), S. 941–951 (auf dem Stand von Ende 2002). Nur zu gut erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an die warnenden Worte meines Freiburger Assistentenkollegen Werner Bachmann: „Martin, es gibt nicht viele von uns!“ 2 So berichtet Schwenzer, IHR 2008, 260. 3 Schlechtriem, Ausländisches Erbrecht im deutschen Verfahren: dargestellt am Falle der Maßgeblichkeit französischen Erbrechts (1966). 4 Zu Ernst von Caemmerer s. Hager, in diesem Band, S. 309–321 sowie Schmidt-Kessel, Ernst von Caemmerer, in: Rafael Domingo (Hrsg.), Juristas universales, De Roma a nuestros días, Marcial Pons (2004), Band 4, S. 527–530.

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Lehrer war, belegt etwa der Umstand, dass sich stets ein Photo von Caemmerers – abgebildet in privater Umgebung, lesend auf der Terrasse seines Freiburger Hauses – auf seinem Schreibtisch befand. Die Schreibtischlampe Ernst von Caemmerers wurde erst infolge eines Lampengeschenks der Assistentenschaft ausrangiert; ihr kam später unter den Assistenten eine gewisse Insignienfunktion zu. Wie persönlich wichtig ihm das persönliche wie wissenschaftliche Andenken Ernst von Caemmerers war, zeigt die von ihm ins Leben gerufene und nachhaltig geförderte Ernst von Caemmerer-Stiftung, deren Kuratoriumsvorsitz er bis zu seinem Tode inne hatte.5 Die Lehrerschaft Ernst von Caemmerers und die weitere in der Zeit seiner Aufenthalte an der University of Chicago Law School entstandene LehrerSchüler-Beziehung zu Max Rheinstein hat Peter Schlechtriem später als ein „glückliches Schicksal“ bezeichnet. Beide haben seinen wissenschaftlichen Werdegang entscheidend geprägt und dabei insbesondere die Begeisterung für die Rechtsvergleichung und seine Liebe zum US-amerikanischen Recht begründet. Die rechtsvergleichende Tradition Ernst Rabels, dessen Schüler sowohl Ernst von Caemmerer als auch Max Rheinstein waren, ist ihm gleich doppelt mit auf den Weg gegeben gewesen. Die inhaltliche Präsenz Ernst Rabels gerade auch für die Tätigkeit am Lehrstuhl von Peter Schlechtriem ist kaum zu überschätzen. Die – durch jugendlich begeisterte Assistenten betriebene – Benennung des ersten Institutsservers nach ihm wurde nur aus Rücksicht auf das Hamburger Max-Planck-Institut wieder rückgängig gemacht; vor allem aber war das Recht des Warenkaufs6 immer das Vorbild rechtsvergleichender Forschung schlechthin, und diesem Vorbild eiferten wir alle nach.7 In Chicago hatte Peter Schlechtriem zunächst im akademischen Jahr 1964/65 den Grad eines Master of Comparative Law erworben. Bereits 1968/69 zog

5 Siehe insbesondere die beiden von Peter Schlechtriem organisierten Tagungen der Stiftung und die daraus hervorgegangenen Bände: Schlechtriem (Hrsg.), Privatrecht und Wirtschaftsverfassung: Wiederherstellung und Entwicklung des Privatrechts als Voraussetzung einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung in den ehemals sozialistischen Ländern; Referate des Symposiums vom 29./30. Oktober 1993 in Dresden (1994) und Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts (2002). 6 Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Band 1 (1936; unveränderte Nachdrucke 1957 und 1964), Band 2 (1958; unveränderter Nachdruck 1967). 7 Charakteristisch ist insofern eine Begebenheit aus dem Freiburger Doktorandenseminar von Rolf Stürner, an dem teilzunehmen mir lange Zeit vergönnt war: Die Rede war eines Abends auf Ernst Rabel gekommen und Rolf Stürner fragte nun nach dem wichtigsten Werk Rabels. Meine für mich völlig selbstverständliche Antwort „Das Recht des Warenkaufs“ wurde von Rolf Stürner nur mit Kopfschütteln und dem Verweis auf The Conflicts of Laws (vier Bände, 1945–1958) quittiert und es entspann sich ein längerer Disput. Zu beiden Werken vgl. die Bemerkungen von Kegel, Ernst Rabel, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 17, 20 f., 23.

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es ihn als assistant professor dorthin zurück. Diesen Aufenthalt nutzte er vor allem dazu, sein erstes opus magnum voranzutreiben, die Schrift über „Vertragsordnung und außervertragliche Haftung“,8 mit der er sich 1971 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg habilitierte. Das Werk, das bis heute den Standard für die Behandlung der Konkurrenzen von deliktischen und vertraglichen Ansprüchen setzt, machte ihn mit einem Schlag bekannt. Das Thema hat ihn zeit Lebens sehr beschäftigt. Ich erinnere mich an unzählige Aktennotizen mit der Aufschrift „Nachtrag Habilitation“, welche am Institut gesammelt wurden. Bald danach konnte er zwischen Rufen an die Universitäten Erlangen und Heidelberg wählen und entschied sich für letztere. Die 1977 erfolgte Rückkehr nach Freiburg auf den Lehrstuhl seines verehrten Lehrers Ernst von Caemmerer hat ihn immer mit großem Stolz und großer Dankbarkeit erfüllt. Dessen Erbe – das am Lehrstuhl immer präsent war – hat er getreulich fortgeführt und ausgebaut. Den 1984 erhaltenen, ehrenvollen Ruf an die Universität Wien lehnte er ab und wirkte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2000 als Direktor des Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Freiburg. Peter Schlechtriem war Direktor des Instituts, also Vorgesetzter und wissenschaftlicher Betreuer und scheute sich auch nicht, dies in den unangenehmen Situationen in klare Worte zu fassen. Mehr noch aber war er ein Charmeur, der die Schüler und Studenten mit sanfter Ironie – vor allem auch Selbstironie – für sich einnahm. Er war Genießer, was sich nicht nur in wiederkehrenden Bordeaux-Bestellungen niederschlug, sondern wovon wir Mitarbeiter alljährlich zu Weihnachten profitierten: In die südbadische Küche in ihrer Vollendung, die sie in Freiburg selbst sowie am Kaiserstuhl und im Markgräfler Land erfährt, hat er viele von uns erst eingeführt. Und ich erinnere mich noch gut seines – anlässlich meiner Rufannahme nach Osnabrück ausgesprochenen – gutmütig mitleidigen Spotts über den Glandorfer Spargel und seine Osnabrücker Advokaten.

II. Der Wissenschaftler Peter Schlechtriem Vielleicht ist es in Zeiten des Generationenwechsels einfach der gewöhnliche Lauf der Dinge, nach dem Verbleib der Charakterköpfe zu fragen. Vielleicht hat auch einfach der Konformismus an deutschen Universitäten Einzug gehalten. Vor allem aber wird man unter der neuen Generation von

8 Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung: eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Konkurrenz von Ansprüchen aus Vertrag und Delikt im französischen, amerikanischen und deutschen Recht (1972).

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Hochschullehrern wenige finden, die einen ähnlichen Lebenslauf aufweisen wie Peter Schlechtriem. Sein persönlicher Weg hat ihn auch als Wissenschaftler besonders werden lassen: In dem Kontinuum juristischer Wissenschaft zwischen Rechtstheorie und Kurzanmerkungen in Praktikerblättern ist er auf fast jeder Stufe vertreten. Ein besonderes Methodenbewusstsein zeichnete ihn in seinen rechtsvergleichenden Arbeiten aus. Am funktionalistischen Ansatz schied er die seinen von denjenigen, die er nicht als „wirkliche Rechtsvergleicher“ ansah. Auch das Internationale Privatrecht wurde von ihm vor allem funktionalistisch betrieben. Sein Bestehen auf dem remedy approach zur Gliederung des vertragsrechtlichen Stoffs in Pflichten und Rechtsbehelfe schon unter dem alten Schuldrecht9 geschah in der besonderen Wertschätzung für das analytische Potential dieses Ansatzes. Die Abstraktionshöhe seiner Vorlesungen, die sich auch in seinen Schuldrechtslehrbüchern niederschlug, hat uns Schülern den Zugang zunächst erschwert und uns dann die Augen geöffnet. Zugleich war Peter Schlechtriem in stetem Gespräch mit der Praxis – nicht nur publizistisch und in gelegentlichen Gutachten und später zunehmend in Schiedsverfahren, sondern auch im Gespräch im wörtlichen Sinne. Ich erinnere mich gut daran, wie er regelmäßig zu einem Gesprächskreis „Wirtschaft und Wissenschaft“ nach Stuttgart fuhr, und die – wegen Zeitmangels leider zumeist recht spärlichen – Berichte von diesen Veranstaltungen zeigten, wie sehr ihn diese Gespräche beschäftigten. An dem von ihm mit großer Regelmäßigkeit besuchten „Karlsruher Forum“ reizte ihn – neben den Themen – vor allem auch der Austausch mit den Richtern des Bundesgerichtshofs; in einigen Fällen dürfte sich sein direkter Einfluss auf die Findung und Formulierung von Entscheidungen sogar nachweisen lassen. Er war auch der erste, der im Jahre 1998 vor den Verbandsvertretern der Brüsseler Lobby zum Thema „Auf dem Weg zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch“ vortrug und dabei vor allem die Leistungsfähigkeit der Rechtsvergleichung für die Schaffung eines einheitlichen Rahmens demonstrierte.10

9 Siehe das Vorwort zur ersten Auflage des Lehrbuchs zum Besonderen Schulrecht, wiedergegeben unten S. 46 f. 10 Der vom seinerzeitigen Leiter der Landesvertretung Baden-Württembergs in Brüssel, Wolfgang Dietz, organisierte Vortrag ist unter dem Titel „Toward a European Law – The Contribution of Law Faculties to Reform and Unification of Private Law“ im European Journal of Law Reform (Bd. 1 1998/99, S. 31–57) erschienen. Wie weit die dortigen Vertreter seinerzeit von den in der Rechtswissenschaft diskutierten Fragen entfernt waren, zeigt der erste Wortbeitrag zur damaligen Diskussion: Der Vertreter eines Industrieverbandes meldete sich zu Wort und betonte, das Wichtigste sei zunächst das Erbrecht(!). Die für viele Akteure der Brüsseler Szene überraschende fehlende Erbenstellung der Ehefrau nach dem – zumindest für die in Belgien belegenen Grundstücke anwendbaren – belgischen Erbrecht sei nämlich ein besonders großes praktisches Problem, welches evidentermaßen den Binnenmarkt beeinträchtige.

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Seine große Bekanntheit machte Peter Schlechtriem bereits sehr früh nach 1989 zu einem gefragten Berater der Umbruchstaaten Osteuropas, von denen er zahlreiche bei der Wiederherstellung des bürgerlichen Rechts beriet. Vor allem das Estnische Obligationenrecht geht in vielen Teilen bis in die Einzelheiten auf seine Ideen zurück.11 Die Juristische Fakultät der Universität Tartu, in der er vielen Mitgliedern persönlich eng verbunden war, hat es ihm später mit der Ehrendoktorwürde gedankt. Sein ganzes Arbeiten war geprägt von Erkenntnisdurst, von Ungeduld und von einer schier unglaublichen Selbstdisziplin. Der eigene Erkenntnisdurst schlug sich bei Peter Schlechtriem etwa in einem besonderen Kriterium für die Notenvergabe bei Seminararbeiten nieder: Das „sehr gut“ gab es für diejenigen Arbeiten, aus denen er selbst etwas lernte. Die regelmäßig sehr anspruchsvollen Themen stellten dabei zugleich sicher, dass es eine faire Chance gab, dem Meister etwas beizubringen. Das eigene Lernen war wesentliches Ziel seiner Seminare. In seiner Ungeduld lag die stete Forderung, das eigene Argument auf den Punkt zu bringen. Lange historische oder methodische Hinführungen waren ihm zuwider – nicht hingegen das historische Argument sowie die der Rechtsvergleichung ohnehin nahestehende Rechtssoziologie. Seine Aufenthalte in Chicago hatten ihn zudem bereits früh mit der ökonomischen Analyse Freundschaft schließen lassen. Seine Ungeduld war auch gespeist von einer faszinierenden Auffassungsgabe und Arbeitsgeschwindigkeit. Die Vorstellung, dass wir, seine Assistenten, nicht immer in gleicher Weise zu springen vermochten, war ihm durchaus fremd. Die Sorge, seine Zuhörer durch Erklärungen zu Selbstverständlichkeiten zu langweilen, wirkte auch bis in seine anspruchsvollen Vorlesungen. Noten waren auch für Peter Schlechtriem nicht bedeutungslos; der Satz „Die juristische Begabung beginnt bei 6,5 Punkten!“ zeugt freilich von einem Blick auch für die Zufälligkeiten des Systems Staatsexamen. Mit großer Selbstdisziplin folgten die Arbeitstage in der Universität einem sehr festen Ablauf: Gegen 11:00 Uhr betrat er sein Dienstzimmer durch eine separate, vom Zugang zu den übrigen Räumen der Institutsabteilung getrennte Tür. Wir bemerkten dies in der Regel dadurch, dass die außerdem vorhandene Verbindungstür zu den Räumen der Mitarbeiter krachend ins Schloss flog, nur um gleich wieder aufzugehen zum Zweck der Verteilung von Post, Diktaten und kleinen Zetteln mit Aufgaben für die Assistenten und Hilfskräfte. Kaum war gegen 11:30 Uhr die Post von der zentralen Poststelle geholt, verließ er – kaum eine halbe Stunde später – das Institut schon wieder. 11 Vgl. Schlechtriem, The New Law of Obligations in Estonia and the Developments Towards Unification and Harmonisation of Law in Europe, Juridica International 2001, 16–22. Dazu Steinke, Die Zivilrechtsordnungen des Baltikums unter dem Einfluss ausländischer, insbesondere deutscher Rechtsquellen (2009), S. 212.

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Dieser Rhythmus änderte sich nur in wenigen Fällen, etwa wenn er sich in größter Eile die Post in die Tiefgarage unter dem Dienstgebäude, dem Kollegiengebäude II, bringen ließ, sowie dann wenn er von 8:15 Uhr bis 9:00 Uhr morgens Schuldrecht las, eine Uhrzeit übrigens, die er lange noch mit der Notwendigkeit begründete, seine beiden Kinder zur Schule zu bringen, bis wir herausfanden, dass auch seine (jüngere) Tochter das Abitur bereits absolviert hatte. Diese sehr begrenzte zeitliche Anwesenheit im Institut erhöhte die Konzentriertheit des Austauschs noch einmal. Peter Schlechtriem war als Wissenschaftler Idealist – und man kann in Zeiten, da den Universitäten der Idealismus ausgetrieben und durch Betriebswirtschaft und Wettbewerb ersetzt wird, kaum deutlich genug betonen, wie unverzichtbar sein Idealismus für seine wissenschaftliche Leistung war. Er nahm durchaus wahr, dass manche seiner Studienkollegen trotz schwächerer Examina ein Vielfaches verdienten. Er nahm aber auch wahr, wie beschränkt deren Freiheit für Tätigkeiten sein konnte, die sich nicht in billable hours niederschlugen. Das Engagement in der akademischen Selbstverwaltung als mehrfacher Dekan, als geschäftsführender Direktor des Juristischen Seminars mit der Verantwortung für die Fakultätsbibliothek und vor allem als langjähriges Mitglied im Verwaltungsrat der Universität Freiburg war ihm selbstverständlich. Viele Ehrenämter kamen hinzu. Der deutschen Rechtsvergleichung hat er vor allem als Vorsitzender des Vorstands der Gesellschaft für Rechtsvergleichung von 1990 bis 1997 große Dienste geleistet. Sein Verdienst war es, die Gesellschaft zu ihrer ersten Tagung in den – damals noch – neuen Bundesländern in seine Geburtsstadt Jena zu führen. Mit seinem eindrucksvollen Festvortrag zum Schadensrecht anlässlich der Eröffnung der Jenenser Tagung12 setzte er Maßstäbe. Zahllose Ehrungen, Gastprofessuren, Vortragsreisen belegen Peter Schlechtriems internationale Reputation. Gekrönt werden sie von den ihm von den Universitäten Basel, Schweiz, und Tartu, Estland, verliehenen Ehrendoktorwürden sowie der Fellowship am St. Catherine’s College in Oxford. Dass er als einziger Ausländer zum Advisor des American Law Institute für das Restatement of Law, Third, Restitution, berufen wurde, hat ihn mit ganz besonderem Stolz erfüllt und belegt seine besondere auch wissenschaftliche Verwurzelung in der neuen Welt. Der Tod von Peter Schlechtriem am 23. April 2007 nach schwerer Krankheit hat eine schmerzliche Lücke in der deutschen, europäischen und internationalen Rechtswissenschaft hinterlassen und nimmt seinen Schülern, Freunden und Kollegen den so unverzichtbaren Ratgeber und Gesprächspartner.

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S. Schlechtriem, Schadensersatz und Schadensbegriff, ZEuP 1997, 232–254.

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III. Rechtsvergleichung als schier unerschöpfliche Quelle Die wissenschaftliche Tätigkeit von Peter Schlechtriem hatte immer mindestens vier Schwerpunkte, die Rechtsvergleichung, das internationale Privatrecht,13 die Rechtsvereinheitlichung und das deutsche Schuldrecht. Die Rechtsvergleichung – vor allem im Bereich des Haftungsrechts – hat sein rechtswissenschaftliches Denken bestimmt. Die Leithypothese des Faches, dass die verschiedenen Rechtsordnungen gleiche Fälle grundsätzlich gleich entscheiden, dass diese Rechtsordnungen also funktionsäquivalent sind, hat ihn viele „historische Zufälligkeiten“ der Wege zu diesen Ergebnissen identifizieren lassen und ihn in eine immer hilfreich kritische Distanz zu den – von ihm virtuos beherrschten – nationalen Privatrechtsdogmatiken gebracht. Die häufig berechtigte Frage, ob sich die Diskussion „fein ausziselierter“ Theoriegebäude wirklich lohne, hat seine Diskussionspartner regelmäßig zum Kern der rechtspolitischen Entscheidung, zur Sachfrage, zurückfinden lassen. Deren Bezeichnung als die „praktische Spitze“ eines Problems ist geradezu sein Markenzeichen geworden.14 Der Funktionalismus ist der Kern der modernen Rechtsvergleichung. Nur wenige halten ihn so hoch, wie die auf Ernst Rabel zurückgehende Schule, zu deren Häuptern sich Peter Schlechtriem rechnen durfte. Die Arbeitshypothese von der Funktionsäquivalenz der Lösungen der verglichenen Rechtsordnungen ist häufig angezweifelt und missverstanden worden. Sie ist und war für Peter Schlechtriem selbstverständlich kein Postulat gleicher Ergebnisse. Sie beruht vielmehr auf der Erwartung, dass es – jedenfalls in Rechtsordnungen mit vergleichbarer Sozialstruktur und Wirtschaftsverfasstheit – zu im Wesentlichen gleichen Sachentscheidungen kommt. Damit ist aber keine Ergebnisidentität behauptet, sondern allein klargestellt, dass divergierende Ergebnisse zur gleichen Sachfrage der Erklärung bedürfen und dass diese Erklärung noch wichtiger ist als die detaillierte Deskription der miteinander verglichenen Rechtsordnungen. Die zur Beschreibung von Funktion und Sachfragen verwandte Sprache war bei Peter Schlechtriem dementsprechend keine dogmatisch aufgeladene. Umgekehrt bedurfte für ihn die Suche nach dem so beschriebenen tertium 13 Die besondere Verbundenheit von Peter Schlechtriem mit dem internationalen Privatrecht findet ihren Ausdruck nicht nur in seiner umfänglichen Lehr- und Betreuungstätigkeit auf diesem Gebiet. Schon früh Mitglied im Deutschen Rat für IPR war er an zahlreichen Vorarbeiten zur Gesetzgebung in diesem Bereich beteiligt. Vor allem Art. 38 EGBGB und die weiteren Vorschriften des internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse gehen nicht zuletzt auf seinen Einfluss zurück. Siehe vor allem seinen Aufsatz „Internationales Bereichungsrecht; Ein Beitrag zur Anknüpfung von Bereicherungsansprüchen im deutschen internationalen Privatrecht“, IPRax 1995, 65–71. 14 Auch dies geht offenbar auf Ernst von Caemmerer zurück, vgl. Hager, in diesem Band, S. 309, 310 (der freilich eine etwas andere Verwendung berichtet).

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comparationis keiner soziologischen Überhöhung.15 Erst das Auffinden einer geeigneten Beschreibungsebene – das Auffinden der Sachfrage, mit dem Wort Peter Schlechtriems der „praktischen Spitze“ – erlaubt es etwa, die klassischen kontinentalen Rechtsordnungen mit dem Common Law oder den nordischen Rechtsordnungen sinnvoll zu vergleichen. Erst das Verlassen der Sprache der eigenen nationalen Dogmatik bietet dem Rechtsvergleicher die Chance zur rechtsordnungsunabhängigen Erkenntnis. Der ohnehin allenfalls für die Rechtsordnungen gemeinsamer – etwa romanistischer – Grundprägung geeignete Institutionenvergleich leistet dies nicht, da war sich Peter Schlechtriem immer gewiss. Das Denken in Funktionen und Sachfragen war für ihn sicher durch seine soziologische Grundausbildung mit geprägt, die ihn – noch vor aller Rechtsvergleichung – die nötige Distanz zur Dogmatik hat halten lassen. Sein Denken beruhte dementsprechend nicht auf einem abstrakten System, sondern auf dem Sachverhalt des einzelnen Falles. Seminararbeiten und Qualifikationsschriften, bei denen ohne Bericht entschiedener Fälle und deren Sachverhalte argumentiert wurde, genügten daher Peter Schlechtriems Standards nicht. Dem an System und Dogmatik geschulten kontinentalen Juristen wird der destruktive Zug, der diesem Denken innewohnt, sofort deutlich: Das dogmatische Argument ist für die Sachentscheidung wertlos; es dient allein der technischen Erklärung, wie die betreffende Rechtsordnung ihre Sachentscheidung „verschlüsselt“ (ein anderes Schlüsselwort des Schlechtriemschen Zugangs). Die fehlende Bereitschaft – kaum einmal die fehlende Fähigkeit –, sich in dieser Weise von der eigenen Rechtsordnung und deren Rechtsdenken zu lösen, ist der tiefere Grund dafür, dass die Vertreter mancher Rechtsordnungen in den Arbeitsgruppen der europäischen oder internationalen Rechtsvereinheitlichung nicht oder nur wenig gehört werden. Niedergeschlagen hat sich diese Grundhaltung in einer großen Zahl rechtsvergleichender Arbeiten. Die Reihe beginnt bereits mit der Dissertation und wird in der Habilitationsschrift zu einem ersten Höhepunkt geführt. Die technisch aufgrund unterschiedlicher Grenzen des Vertragsrechts sehr unterschiedliche Ausgestaltung des Integritätsschutzes und dessen Abgrenzung zum Erfüllungsinteresse in den dort untersuchten Rechtsordnungen erforderte für eine angemessene Bewältigung gerade den funktionalen Zugriff. Die Ergebnisse der Arbeit haben nicht nur die deutsche Rechtspre-

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Vgl. etwa Rothöft, System der Irrtumslehre als Methodenfrage der Rechtsvergleichung: dargestellt am deutschen und englischen Vertragsrecht (1968), S. 1 ff. Die Arbeiten Josef Essers (s. Köndgen, Josef Esser – Grenzgänger zwischen Dogmatik und Methodologie, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.) Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 103–127) schätzte Peter Schlechtriem hingegen sehr. Vermutlich, weil sie seinem Denken besonders entgegenkamen.

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chung bis hin zur berühmten Kartoffelpülpe-Entscheidung des Bundesgerichtshofs16 beeinflusst, sondern ihm auch wenig später die Mitwirkung an den Vorarbeiten zur Schuldrechtsreform eingetragen.17 Des weiteren sind insbesondere das wegweisende Spätwerk „Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa“18 und vor allem das gemeinsam mit Gareth Jones verfasste Vertragsbruchskapitel der International Encyclopedia of Comparative Law19 als Leitsterne der Rechtsvergleichung am Ende des 20. Jahrhunderts zu nennen.

IV. The UN-Convention on the international Sale of Goods – CISG Zum maßgebenden Akteur der internationalen Privatrechtswissenschaft ist Peter Schlechtriem aber vor allem als einer der Exponenten internationaler Rechtsvereinheitlichung geworden. Sein in mehreren Sprachen vorliegendes Lehrbuch zum UN-Kaufrecht 20 und vor allem der von ihm über drei Auflagen allein und zuletzt gemeinsam mit seiner Schülerin Ingeborg Schwenzer herausgegebene Kommentar zu dieser Konvention21 zählen unangefochten zu den führenden Werken dieses Rechtsgebiets. Peter Schlechtriem war – auch auf Vorschlag von Caemmerers – zum Mitglied der bundesdeutschen Delegation bei den Verhandlungen der Wiener

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BGHZ 93, 23–29 dazu die Anmerkung von Schlechtriem, BB 1985, 1356–1358. Siehe Schlechtriem, Vertragliche und außervertragliche Haftung. Empfiehlt es sich, das Verhältnis von vertraglicher und außervertraglicher Haftung durch den Gesetzgeber neu zu ordnen, die Bereiche beider Haftungsarten neu abzugrenzen und ihre Ausgestaltung aneinander anzugleichen?, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (1981), Bd. II, S. 1591–1679. Ferner unten S. 45 ff. 18 Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa: eine rechtsvergleichende Darstellung, Band 1 (2000), Band 2 (2001). 19 Schlechtriem/Jones, Breach of contract (deficiencies in a party’s performance), in: von Mehren (Hrsg.), International encyclopedia of comparative law, Band VII/2: Contracts in general (2008), Chap. 15. 20 Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht: ein Studien- und Erläuterungsbuch zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) (1. Aufl. 1996; 2. Aufl. 2003; 3. Aufl. 2005; 4. Aufl. 2007) (englische Ausgabe: Schlechtriem/Butler, UN Law on International Sales: The UN Convention on the International Sale of Goods [2009]; französische Ausgabe: Schlechtriem/Witz, Convention de Vienne sur les contrats de vente internationale de marchandises [2008]; slowenische Ausgabe: Schlechtriem/Možina, Pravo mednarodne prodaje: Konvencija Združenih narodov o mednarodni prodaji blaga [2006]). Vorläufer dieses – inzwischen von Ulrich Schroeter übernommenen – Werkes ist Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht: das Übereinkommen der Vereinten Nationen über internationale Warenkaufverträge; Darstellung und Texte (1981) (englische Ausgabe: Schlechtriem, Uniform sales law: the UN convention on contracts for the international sale of goods [1986]; japanische Ausgabe: Kokusai-tōitsu-baibaihō: seiritsu-katei-kara-mita-wīn-baibai-jōyaku [1997] [Übersetzung von Takashi Uchida]). 17

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Konferenz bestellt worden. Die hochrangige Einbindung von Wissenschaftlern in die Beratung der Konventionen war seinerzeit weitverbreitet und verhalf der Konferenz zu einem – ausweislich der zahlreichen in den veröffentlichten Materialien aufgeführten Beiträge – hohen, gerade auch von Peter Schlechtriem getragenen Niveau.22 In der Diskussion um die Konvention war er mit vielen Vorträgen und Äußerungen vertreten23 und trug mit dazu bei, dass sich der bundesdeutsche Gesetzgeber – sowie inzwischen über 70 andere Staaten24 – zur Ratifikation bereitfand. Nicht nur durch Kommentar und Lehrbuch blieb Peter Schlechtriem von nun an dem UN-Kaufrecht auf das engste verbunden und hatte Anteil an seinem Erfolg. Bereits 1995 wurde – vor allem getragen durch den Idealismus und den technischen Sachverstand seines Assistenten Werner Bachmann – die Internetdatenbank CISG online freigeschaltet, die seither die Rechtsprechung der Gerichte zahlreicher Staaten zum UN-Kaufrecht öffentlich und unentgeltlich vorhält. Nach der Emeritierung wurde die Datenbank an die Universität Basel migriert, wo sie seither von Ingeborg Schwenzer betreut wird.25 Besonders wichtig war Peter Schlechtriem auch die Fortentwicklung des UN-Kaufrechts. Der bei allen völkerrechtlichen Konventionen bestehenden Versteinerungsgefahr suchte er entgegenzuwirken. Dem zu diesem Zwecke im Jahre 2001 auf private Initiative hin gegründeten CISG Advisory Council 26 saß er bis zu seinem Tode vor. An den meisten der zwischen August 2003 und Mai 2009 publizierten „opinons“ war er selbst noch beteiligt. Durch den Kommentar – lange Zeit der einzige aktuelle in englischer Sprache – war Peter Schlechtriem zudem ständige Autorität beim jährlich in Wien 21 Deutsche Fassung: von Caemmerer/Schlechtriem (Hrsg.), Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht: das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf – CISG (1. Aufl. 1990; 2. Aufl. 1995; 3. Aufl. 2000; 4. Aufl. 2004; 5. Aufl. 2008 [seit der 4. Aufl. hrsgg. von Schlechtriem/Schwenzer]). Englische Fassung: Schlechtriem (Hrsg.), Commentary on the UN Convention on the International Sale of Goods (CISG), (1. Aufl. 1998 [Übersetzung der 2. dt. Aufl.]; 2. Aufl. 2005 [weitgehende Übersetzung der 4. dt. Aufl.]; 3. Aufl. 2010 [hrsgg. von Schlechtriem/Schwenzer]). 22 Zur Verbesserung der Qualität der Arbeiten in den Ratsarbeitsgruppen der Europäischen Union würde Peter Schlechtriem heute vermutlich ein ähnliches Model vorschweben. 23 Etwa Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, wissenschaftliches Modell oder praxisnahe Regelung? (1978); Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht: Referate und Diskussionen der Fachtagung Einheitliches Kaufrecht am 16./17.2.1987 (1987). 24 S. http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/sale_goods/1980CISG_status. html (zuletzt abgerufen am 9.6.2010). 25 S. http://www.globalsaleslaw.org/index.cfm?pageID=28 (zuletzt abgerufen am 9.6.2010). 26 Zur Geschichte dieses Gremiums sowie zur Einordnung seiner Äußerungen zuletzt Karton/de Germiny, Has the CISG Advisory Council Come of Age?, BJIL 27 (2009), 448– 495 (http://www.boalt.org/bjil/docs/BJIL27.2_Karton.pdf, zuletzt abgerufen am 9.6.2010).

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ausgetragenen Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot. Die Berufung auf the Schlechtriem (sic!) commentary war in den Verhandlungen dort nicht selten angesehener als die Benennung einer nationalen Gerichtsentscheidung. Dass sich Peter Schlechtriem bereits früh von der in Wien präsenten Teilnahme zurückgezogen hat, hat der besonderen Popularität, die er dort gerade bei den Teilnehmern, den Studierenden, genoss, keinen Abbruch getan, im Gegenteil: Welchen Kultstatus er bei diesen, auch in jüngster Zeit, in Wien genoss, hat er jedoch leider nie selbst erfahren. Vor allem die ihm und dem Kommentar im Jahre 2006 gewidmete Diashow ist ein ganz eigenes Zeugnis seines Einflusses. Mit dem UN-Kaufrecht stellte sich Peter Schlechtriem der Herausforderung einer Rückführung der mit den Mitteln funktionaler Rechtsvergleichung gewonnenen Erkenntnis auf neue – und das heißt sowohl neu zu prägende als auch neu ins Verhältnis zueinander zu setzende – Begriffe. Die dabei entwickelte neue Fachsprache des internationalen Einheitsrechts hat es zusammen mit den in Wien gefundenen Sachlösungen gestattet, auch das allgemeine Vertragsrecht als Feld der Formulierung einheitlicher Normtexte anzusehen. Fachsprache und Sachlösungen haben es möglich werden lassen, aus dem UN-Kaufrecht heraus zu den neuen Publikationsformen zu gelangen, welche zur Grundlage der Principles of International Commercial Contracts sowie der Principles of European Contract Law wurden. Peter Schlechtriem – seit 1998 Mitglied der Working Group for the preparation of Principles of International Commercial Contracts – stand so selbstverständlich für diese Entwicklung, dass er als einziger Deutscher neben den verbleibenden27 Mitgliedern der Commission on European Contract Law (Ulrich Drobnig und Christian von Bar) alsbald auch Gründungsmitglied der Study Group on a European Civil Code wurde.28 Peter Schlechtriem hat das UN-Kaufrecht immer auch als sein Kind empfunden und dementsprechend verteidigt. Zu den großen Bedrohungen dieses Kindes zählte er seit der Mitte der neunziger Jahre auch das Europarecht. War es mittels Art. 5 CISG noch gelungen, die Konvention von wesentlichen Fragen der Produkthaftung weitgehend frei zu halten und damit dem Konflikt mit der Produkthaftungsrichtlinie die praktische Relevanz zu nehmen,

27 Die genauen Gründe für das Ausscheiden Reinhard Zimmermanns, der ebenfalls Mitglied der Commission on European Contract Law war, aus dem Prozess sind bis heute nicht öffentlich bekannt geworden. Versuche aus der Mitte der Study Group, ihn bei der Erarbeitung der Endfassung des Draft Common Frame of Reference durch das Compilation and Redaction Team (zu diesem Schmidt-Kessel, Study Group on a European Civil Code, in: Basedow/Hopt/Zimmermann [Hrsg.], Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. II Kauf-Zwingendes Recht [2009], S. 1453–1457) einzubinden, scheiterten aus gleichfalls unbekannten Gründen. 28 Dazu sogleich S. 43 ff.

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änderte sich die Situation mit den Richtlinien zum Verbrauchsgüterkauf und zum Zahlungsverzug.29 Überlegungen zum Rangverhältnis setzte er dann mit aller Deutlichkeit das Bekenntnis zur qualitativen Überlegenheit des UNKaufrechts entgegen.30 Umgekehrt erfüllte es ihn sichtlich mit Stolz, auf dem Schreibtisch des für die Kaufrechtsrichtlinie zuständigen Kommissionsbeamten seinen Kommentar stehen zu sehen. Dass Art. 2 dieser Richtlinie gezielt die implied terms des Art. 35 CISG für das Gemeinschaftsrecht rezipiert, nahm er – trotz aller Kritik im Einzelnen31 – als Zeichen dafür, dass es möglich sein würde, die hohen Standards rechtsvergleichender Forschung auch zur Basis europäischer Rechtsvereinheitlichung zu machen.32

V. Study Group und Common Frame of Reference Seit 1999 trat neben das UN-Kaufrecht mehr und mehr die Beschäftigung mit der Europäischen Rechtsvereinheitlichung im Rahmen der Study Group on a European Civil Code. An diesen auch von der Fachöffentlichkeit lange Zeit kaum wahrgenommenen Arbeiten nahm Peter Schlechtriem von Anfang an mit größtem Engagement teil. Er fungierte als Advisor mehrerer Arbeitsgruppen sowie vor allem als Mitglied des Coordinating Committee der Study Group.33 Die Kernstücke des besonderen Vertragsrechts, nämlich die Kaufrechtsprinzipien und die Dienstleistungsvertragsprinzipien der Gruppe, sind von ihm entscheidend mitgeprägt worden und ebenso das Bereicherungsrecht.

29 Grundlegend zu diesen Konfliktlagen nunmehr Schroeter, UN-Kaufrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht. Verhältnis und Wechselwirkungen (2005). 30 Siehe Schlechtriem/Schwenzer-Schlechtriem (2. engl. Aufl. 2005), Art. 90 Rn. 12 ff. (kaum weniger deutlich Schlechtriem/Schwenzer-Schlechtriem/Schwenzer/Hachem [3. engl. Aufl. 2010] Art. 90 Rn. 4 ff.). 31 S. insbesondere Schlechtriem, Kaufrechtsangleichung in Europa: Licht und Schatten in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, in: Schack (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz (2000), S. 675–697; Schlechtriem, Das geplante Gewährleistungsrecht im Licht der europäischen Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform: zum Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministeriums der Justiz (2001), S. 205–224. 32 Die aktuelle Entwicklung der Diskussion um den Vorschlag der sog. Horizontalrichtlinie (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM[2008] 614 endg., 2008/0196 [COD]) zeigt, dass dies möglicherweise zu optimistisch war. Die dort angestrebte Vollharmonisierung führt ganz offensichtlich dazu, dass die Mitgliedstaaten mit aller Macht versuchen, ihre dogmatischen Eigenheiten (right to reject, vices cachés) zu bewahren, vgl. zuletzt Ratsdokument 17397/09 vom 10. 12. 2009, online verfügbar unter http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/09/st17/st17397. en09.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2010). 33 Zu Arbeitsweise und Struktur der Study Group s. Schmidt-Kessel (Fn. 27).

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Bei der Ausarbeitung der Kaufrechtsprinzipien ging es Peter Schlechtriem nicht zuletzt darum, das Rabelsche Erbe in der Form, wie es im UN-Kaufrecht seinen Niederschlag und auch seinen praktischen Erfolg gefunden hat, zu bewahren. Wichtige Punkte wahren ihm dabei insbesondere die Erhaltung der in Art. 3 CISG gefundenen Lösungen für bestimmte gemischte Verträge und die Regelung der Mangelhaftigkeit der Ware; die spätere Entwicklung der Diskussion zur sog. Horizontalrichtlinie 34 hat gezeigt, wie wichtig sein wachsames Auge hier war. Im Bereicherungsrecht ging es ihm um die Bewahrung des Erbes Wilburgs, von Caemmerers und Königs.35 Deren besonderer Erfolg der Überwindung bereicherungsrechtlicher Einheitstheorien zugunsten verschiedener einzelner Kondiktionen mit zwar zusammenfassend geregelten aber doch auf die Kondiktionen differenzierend abgestimmten Ausschlussgründen und Rechtsfolgen hat die Diskussion sowohl im Working Team als auch in den Sitzungen des Coordinating Committee bestimmt. Am Ende hat Peter Schlechtriem zwar die Differenzierung gegen den übermächtigen englischen Einfluss nicht durchsetzen können. Der Preis, den die Gruppe dafür bezahlt hat, ist freilich ein Grad an Abstraktion, der die bereicherungsrechtlichen Regeln vielfach nur schwer verständlich sein lässt. Vor allem aber haben sein Wirken im Coordinating Committee sowie im später zur Erarbeitung des Draft Common Frame of Reference gemeinsam mit der Acquis Group begründeten Compilation and Redaction Team des von der EG-Kommission beauftragten Konsortiums Peter Schlechtriem bereits vor der endgültigen Fertigstellung der Entwürfe zu einem der Väter des Gemeinsamen Referenzrahmens und damit der Grundlage der künftigen Europäischen Privatrechtsdogmatik werden lassen. Die Publikation des Werkes36 hat er nicht mehr erlebt. Wie persönlich eng er den übrigen führenden Mitgliedern der Gruppe verbunden war, hat Christian von Bar in seinem bewegenden Nachruf für die Nachwelt festgehalten.37 Kaum eines der Mitglieder der Gruppe hat jemals die Autorität von Peter Schlechtriem erreicht – auch wenn er diese noch so häufig hinter der Einlei34

S. oben Fn. 31. S. Hager, in diesem Band, S. 309, 311 ff. sowie die posthum durch Ernst von Caemmerer veröffentlichte Freiburger Habilitationsschrift von dessen viel zu früh verstorbenen Schüler Detlef König: Ungerechtfertigte Bereicherung: Tatbestände u. Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht (1985). Ferner den von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg herausgegebenen Band mit den Beiträgen des Gedächtnissymposions: Ungerechtfertigte Bereicherung: Grundlagen, Tendenzen, Perspektiven: Symposium der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg zum Gedenken an Professor Dr. iur. Detlef König, 15. und 16. April 1983 (1984). 36 Bei der im Frühjahr 2008 erschienenen Interim Outline Edition stand er noch auf dem Titelblatt. Warum er bei der nur ein Jahr später erschienenen Outline Edition dort nicht mehr genannt wird, hat sich nicht aufklären lassen. 37 von Bar, GPR 2007, 105. 35

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tung seiner Beiträge zu verbergen suchte, es sei zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von allen. Mit einem besonderen Anliegen hat er sich freilich auch im Coordinating Committee nicht durchsetzen können: Der Draft Common Frame of Reference enthält keine Regelung der Kündigung aus wichtigem Grund. Die – erst nach seinem Tod eingefügte – Regelung zur ordentlichen Kündigung (III.-1:109 DCFR) füllt diese Lücke ebensowenig wie die auf Äquivalenzstörungen beschränkte Bestimmung zur schwerwiegenden Umstandsänderung (III.-1:110 DCFR). Der frühe Verzicht auf einen Entwurf zur Regelung der Problematik hat es der Gruppe erheblich erschwert, bei den verschiedenen Aufhebungsrechten zu einer kohärenten Lösung zu gelangen. Dazu hat mit Sicherheit auch manches Missverständnis bei den Regelungen der Aufhebungsfolgen beigetragen, die zwischen den Funktionsäquivalenten zu Rücktritt und Kündigung erst auf der Rechtsfolgenseite unterscheiden.

VI. Das deutsche Schuldrecht und seine Reform Die (Mit-)Vaterschaft einer anderen Entwicklung mochte sich Peter Schlechtriem hingegen schließlich nicht mehr in jeder Hinsicht zuschreiben lassen. Bereits durch sein Gutachten für das Bundesjustizministerium 198138 war er maßgebend an den seit Mitte der 70er Jahre voranschreitenden Vorüberlegungen für eine Schuldrechtsreform beteiligt gewesen.39 In der Folge berief ihn der Bundesminister der Justiz im Jahre 1984 in die Kommission für die Überarbeitung des Schuldrechts.40 Der prägende Einfluss, den Peter Schlechtriem in dieser Kommission ausübte, lässt sich gut an einem technischen Detail ablesen: Zahlreiche Entwürfe zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht wurden im Sekretariat des Lehrstuhls getippt.41 Inhaltlich setzte Peter Schlechtriem – den Vorschlägen Ulrich Hubers 42 folgend – die enge Orientierung der Arbeiten an den Grundstruk38

Siehe oben Fn. 17. Zur Vorgeschichte des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes s. Schlechtriem/ Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil (6. Aufl. 2005), Rn. 9 ff. die im Wesentlichen den Texten der früheren Auflagen entsprechen. 40 Einzelheiten, auch zu ihrer Zusammensetzung, s. den Abschlussbericht, hrsgg. vom Bundesminister der Justiz (1992), S. 14 f. 41 So auch der schöne Fehler bei § 324 II BGB-KE („nicht“ statt „auch“), der im Vorfeld des Juristentages 1994 erst durch erstaunte Nachfragen japanischer Kollegen ans Licht kam. 42 Siehe die Gutachten U. Huber, Leistungsstörungen. Empfiehlt sich die Einführung eines Leistungsstörungsrechts nach dem Vorbild des Einheitlichen Kaufgesetzes? Welche Änderungen im Gesetzestext und welche praktischen Auswirkungen im Schuldrecht würden sich dabei ergeben?, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. I (1981), S. 647–909, und U. Huber, Kaufvertrag. Welche Ergänzungen und Fortentwicklungen sind im Kaufrecht im Hinblick auf die tech39

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turen des zwischenzeitlich verabschiedeten UN-Kaufrechts durch.43 Das galt insbesondere für die Einführung des einheitlichen Oberbegriffs für alle Fälle von Leistungsstörungen, der im Abschlussbericht der Kommission auch noch für das Rücktrittsrecht vorgesehen war, § 323 BGB-KE; in § 314 BGB ist der einheitliche Tatbestand auch für die Vertragsaufhebung Gesetz geworden. Nach dem noch sehr erfolgreich verlaufenen 60. Deutschen Juristentag 1994 in Münster, der mit großen Mehrheiten für eine Umsetzung der Vorschläge votiert hatte,44 verschwanden die Entwürfe zunächst jedoch in der Schublade. Zwischenzeitlich war Peter Schlechtriem auch zu einem der führenden Lehrbuchautoren im Schuldrecht aufgestiegen. Die ihm Anfang der 70er Jahre angetragene Übernahme der Lehrbücher von Erich Molitor hatte der frischgebackene Privatdozent noch abgelehnt. In der Folge seiner Monographie zum UN-Kaufrecht 45 baute er in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die Manuskripte seiner sehr anspruchsvollen und auch bei Examenskandidaten beliebten Vorlesungen zum Schuldrecht zu Lehrbüchern aus. Zunächst erschien 1987 der Band zum Besonderen Teil,46 dem 1992 der Band zum allgemeinen Teil nachfolgte.47 Das Programm dieser Lehrbücher machte er bereits im Vorwort zum Besonderen Teil 1987 deutlich. Auf die notwendigen Verkürzungen auf das Wesentliche verweisend betonte er dort: „Die Verdeutlichung der Grundstrukturen des deutschen Obligationenrechts und die Aufarbeitung der Problembereiche, in denen prinzipielle Neuorientierungen für die Weiterentwicklung in der Zukunft geschehen oder anstehen, mußten deshalb von den Überzeugungen des Verfassers auch dort bestimmt bleiben, wo sie nicht der herrschenden Ansicht entsprechen. Zwar sollte man als Verfasser eines Kurzlehrbuchs zu Detailfragen seine – vielleicht singuläre – Ansicht zurückstellen. Soweit es jedoch um Orientierung – gegebenenfalls Neuorientierung – in Grundfragen geht, sollte sie weder im Unterricht noch in einem Kurzlehrbuch verschwiegen werden. Studenten sind insoweit vielleicht die wichtigsten Ansprechpartner, da sie morgen in Rechtsprechung und Wissenschaft festschreiben werden, was heute vielleicht nur individuelle Lehrmeinung ist und zu tradierten Ansichten noch quer liegt.“

nischen, wirtschaftlichen und juristischen Weiterentwicklungen der Rechtswirklichkeit geboten? Sollten Sonderentwicklungen außerhalb des BGB (Abzahlungsgesetz, Handelskauf, kaufrechtliche Bestimmungen des AGBG) in die Kodifikation eingearbeitet werden?, in: aaO. S. 911–949. Zu Hubers Verdiensten um die Reform siehe in diesem Band auch Wertenbruch, S. 355, 359 f., 361. 43 S. Abschlussbericht (oben Fn. 40), S. 26 et passim. 44 Abstimmungsergebnisse i.e.S. NJW 1994, 305 ff. 45 S. oben Fn. 19. 46 Schlechtriem, Schuldrecht, besonderer Teil (1. Aufl. 1987; 2. Aufl. 1991; 3. Aufl. 1993; 4. Aufl. 1995; 5. Aufl. 1998; 6. Aufl. 2003). 47 Schlechtriem, Schuldrecht, allgemeiner Teil (1. Aufl. 1992; 2. Aufl. 1994; 3. Aufl. 1997; 4. Aufl. 2000; 5. Aufl. 2003; 6. Aufl. 2005 [bearbeitet von Schmidt-Kessel]).

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Ebenfalls bereits im Vorwort wurde die betriebene Umwälzung aber sogleich auch inhaltlich skizziert. Es ist die Abkehr von einer herkömmlichen, begrifflich fixierten Dogmatik, die dort propagiert wird, und – der Ertrag der Rechtsvergleichung ist unübersehbar – die Rückbesinnung auf die zu entscheidende Sachfrage: „Die Aufgabe der Vorstellung, ein geschlossenes Rechtssystem mit scharf definierten, subsumtionsfähigen Begriffen ohne Wertungsspielräume für die Rechtsanwendung schaffen zu können, muß vor allem Wissenschaft und Lehre immer wieder zur Besinnung auf das ihnen Mögliche veranlassen. Die gebotene Zurückhaltung sollte freilich nicht zum Verzicht auf das Ziel führen, die ständig wachsende Fülle des Rechtsstoffes zu ordnen, systematisch zu erfassen und so zugänglich wie auch lehrbar zu halten. Schlüsselbegriffe haben dabei freilich nicht mehr die Funktion, eine Lösung für eine Vielzahl komplexer Sachfragen aufzunehmen, sondern im Gesamtsystem den Ort zu bezeichnen, an dem ein bestimmtes Problem geregelt oder zu entscheiden ist. Oft kann ein solcher Schlüsselbegriff nur den Rahmen für die wertende Entscheidung des Einzelfalles durch die Gerichte bieten; Beispiele sind etwa die „verkehrserforderliche Sorgfalt“, der „wichtige Grund“ für die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses, aber auch die „Leistung“ beim Bereicherungsvorgang oder die „Unmöglichkeit“ – physische, rechtliche, wirtschaftliche, sittliche usw. – als zentraler Begriff im Recht der Leistungsstörungen. Der Verlust an Sicherheit und Gewißheit, den mancher Leser bei der Verwendung solcher Schlüsselbegriffe in diesem Kurzlehrbuch empfinden mag, ist durchaus beabsichtigt, auch wenn er Anlaß sein sollte, den Bemühungen des Autors mit Skepsis zu begegnen.“

Hatte Peter Schlechtriem in der Kommission für die Überarbeitung des Schuldrechts noch maßgebenden Einfluss auf die Kernelemente des vorgeschlagenen Leistungsstörungsrechts, war er nach seiner Emeritierung an den Diskussionen um das spätere Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht mehr in gleicher Weise federführend beteiligt. Zu sehr überschnitten sich nun die hastig vorangetriebene Überarbeitung des Kommissionsentwurfs und die vielfältigen anderen Engagements des Emeritus, insbesondere im Rahmen der Study Group on a European Civil Code, ohne die Entlastung durch einen funktionierenden Lehrstuhl. So konnte er – obwohl nominell auch Mitglied der nunmehr eingesetzten Kommission Leistungsstörungsrecht – nicht verhindern, dass aus den Entwürfen der Schuldrechtsreformkommission die viel zu komplizierten und mit dogmatischem Ballast beschwerten Tatbestände des Rücktrittsrechts und des vertraglichen Schadensersatzes gemacht wurden und so völlig unnötigerweise das Hineintragen vieler überlebter Streit- und Abgrenzungsfragen in das neue System gefördert wurde. Die große Klarheit seines Festvortrags zur Eröffnung der Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler im September 2001 in Freiburg48 ist denn auch von 48 Schlechtriem, Entwicklung des deutschen Schuldrechts und europäische Rechtsangleichung, in: Helms/Neumann/Caspers/Sailer/Schmidt-Kessel (Hrsg.), Das neue Schuldrecht, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler (2001), S. 9–28.

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kaum einem Exegeten wieder erreicht worden. Die bald erschienenen Neuauflagen seiner Schuldrechtslehrbücher sind dementsprechend in besonderer Weise der Einfachheit und Klarheit der Grundstrukturen des neuen Rechts verpflichtet. Die Rolle von Claus-Willhelm Canaris49 bei der Vorbereitung des Gesetzes zur Schuldrechtsmodernisierung sah Peter Schlechtriem übrigens durchaus kritisch. Er sei sich nicht sicher, ob dieser „die richtige Speerspitze“ sei, äußerte er einmal. Vor allem die Ausdifferenzierungen der Tatbestände des § 283 BGB-KE sowie des § 323 BGB-KE in jeweils drei – den bisherigen Kategorien angenäherten – einzelne Tatbestände bereiteten ihm Grund zur Sorge. Die Unmöglichkeit erschien ihm gar als Wiedergänger.50 Es war Manfred Löwisch, der ihn schließlich davon überzeugte, die Beibehaltung der Regelung der §§ 275 I, 326 I BGB sei insbesondere für Dauerschuldverhältnisse wie den Arbeitsvertrag vonnöten. Ganz anders war und blieb das Verhältnis zu Ulrich Huber, mit dem ihn ein stabiles freundschaftliches Band aus alten Freiburger Tagen auch dann noch verbunden hielt, als Ulrich Huber sich wegen der Wahl der Pflichtverletzung als Zentralbegriff von der Reform abwandte.51 Einen Apostaten hat Peter Schlechtriem in ihm jedenfalls nicht gesehen. Die Erklärung des Dissenses zwischen beiden ist wohl zum Teil in Peter Schlechtriems Habilitationsschrift zu suchen, in welcher der vertragliche Schutz von Integritätsinteressen und die mit diesem verbundene, begrenzte dogmatische Abgrenzbarkeit von Leistung und Schutz auf der Pflichtenebene bereits früh zu seiner Überzeugung wurde. In den beiden Wissenschaftlern gewidmeten Festschriften haben sich beide gegenseitig gewürdigt, wobei Peter Schlechtriem schließlich doch ein Thema zu dem auch für Ulrich Huber sehr wichtigen UN-Kaufrecht vorzog.52

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Zu diesem Singer, in diesem Band, S. 375–385. Schlechtriem, Die Unmöglichkeit – ein Wiedergänger, in: Coester (Hrsg.), Privatrecht in Europa: Vielfalt, Kollision, Kooperation; Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger zum 70. Geburtstag (2004), S. 125–133. 51 Siehe insbesondere seinen Beitrag „Das geplante Recht der Leistungsstörungen“, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform: zum Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministeriums der Justiz (2001), S. 31–183. 52 Schlechtriem, Aufhebung von CISG-Kaufverträgen wegen vertragswidriger Beschaffenheit der Ware, in: Baums u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag (2006), S. 563–574. 50

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VII. Das Vermächtnis Welches ist also das wissenschaftliche Vermächtnis Peter Schlechtriems? Ich möchte es auf seine zwei Kernpunkte zu reduzieren versuchen: 1. Für die Rechtswissenschaft maßgebend ist die zu entscheidende Sachfrage, nicht deren dogmatische Verschlüsselung. 2. Die Sachfrage muss sich in einen regelförmig formulierten Satz zurück transformieren lassen. Mit diesen beiden Punkten steht Peter Schlechtriem für mich, seinen jüngsten Schüler, für die vorbildliche Verbindung der produktiv-destruktiven Funktion der Rechtsvergleichung mit der konstruktiven Nutzung ihrer Ergebnisse zur Formulierung neuer, von historischen Zufälligkeiten entlasteter, Regeln. Bei dieser konstruktiven Nutzung seiner Kunst, vor allem bei der Verfeinerung der im Draft Common Frame of Reference angelegten gemeineuropäischen Vertragsrechtsdogmatik, wird uns Peter Schlechtriem fehlen.

7. Teil Wirtschaftsrecht und Grenzüberschreitung

Ernst-Joachim Mestmäcker (1926) * Christoph Engel I. Impossibilium nulla est obligatio. Wenn es ernst wird, flüchten wir Juristen uns ins Lateinische. Und diese Aufgabe ist bitterernst. Das ganze Lebenswerk von Herrn Mestmäcker soll ich würdigen. Als ob ich das könnte! Als ob das irgendjemand könnte! Ich plädiere also auf objektive und auf subjektive Unmöglichkeit. Nach § 275 I BGB trage ich die Beweislast. Also lassen Sie mich begründen, warum ich den konkludenten Vertrag mit Herrn Grundmann und Herrn Riesenhuber nicht erfüllen kann. Die schiere Zahl der Quellen, aus denen ich schöpfen könnte, ist unübersehbar. 12 große und 9 kleinere Monographien, 21 edited volumes, darunter so gewichtige wie die Kommentare zum GWB und zum europäischen Wettbewerbsrecht, 9 gegebene und 4 erhaltene Festschriften, 198 Aufsätze, von Schriften unter so illustren Pseudonymen wie Monopolkommission oder Wissenschaftlicher Beirat beim Wirtschaftsminister ganz zu schweigen. Und allein mit der fleißigen Lektüre seines Œuvre wird man Herrn Mestmäcker natürlich nicht gerecht. Er war nie nur Gelehrter, sondern hat Einfluss genommen. Kaum war er in jugendlichem Alter zum Professor ernannt, wurde er auch schon in den Beirat des Wirtschaftsministers gewählt. Es war die goldene Zeit des Gremiums. Man beriet Ludwig Erhard, dann Karl Schiller, und all deren mehr oder weniger große Nachfolger. 46 Jahre lang hat Ernst-Joachim Mestmäcker hier der deutschen Wirtschaftspolitik seinen Stempel aufgedrückt. Noch größer war der Einfluss des jungen Professors auf das entstehende europäische Kartellrecht. 10 Jahre lang war er Sonderberater der EG-Kommission. Jede Kartellrechtsentscheidung der EG brauchte seinen Segen. Er war der Gründungsvorsitzende der Monopolkommission. Seinem Geschick, vor allem aber seiner Überzeugungskraft ist es zu verdanken, dass ein machtvoller Fürsprecher des Wettbewerbs daraus geworden ist; eigentlich wollten die Politiker so viel Zwietracht säen, dass die Kommission scheitern müsste. Obgleich schon emeritiert, hat er sich schließlich 1997 für

* Vortrag am 1. Februar 2008 – Humboldt-Universität zu Berlin. Martin Hellwig danke ich für seine Kommentare zu einer früheren Fassung.

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die KEK, die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, gewinnen lassen und war zum Schluss drei Jahre lang ihr Vorsitzender. Auch die Landschaft der Wissenschaft hat Ernst-Joachim Mestmäcker kraftvoll gestaltet. Er war der Gründungsrektor der Universität Bielefeld. Es war die Zeit für visionäre Lösungen. Eine ganze Fakultät für Soziologie erhielt die Universität, mit ihrem schüchternen Star Niklas Luhmann. Nach dem Vorbild von Princeton wurde ein Institute of Advanced Studies gegründet, das bis heute quicklebendige ZIF. Sechs Jahre lang war Herr Mestmäcker Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft. Ihm ist zum Beispiel zu verdanken, dass es nun auch in der Max-Planck-Gesellschaft Ökonomen gibt. Wie sehr Herr Mestmäcker herausragt, ist natürlich nicht verborgen geblieben. 1980 hat er den Ludwig-Erhard Preis erhalten, 1984 den Hellmut Vits Preis, 1997 den Hanns Martin Schleyer Preis. 1983 hat ihn die Universität Bielefeld zu ihrem Ehrensenator gemacht, 1992 die Max-Planck-Gesellschaft. Das Bundesverdienstkreuz hat er gleich zwei Mal erhalten, im Jahre 1981 und im Jahre 1997. All das wird überstrahlt von der Wahl in den Orden Pour le Mérite.

II. Wer wollte, wer könnte solch einem reichen Leben gerecht werden? Ich bin sicher, Herr Grundmann und Herr Riesenhuber haben sich diese bange Frage auch gestellt. Aber sie waren in einer komfortableren Lage als ich. Sie hatten die Wahl. Kaum ein akademischer Lehrer hat so viele und so vielfältige Schüler wie Herr Mestmäcker. Am sichtbarsten ist die Phalanx der Kartellrechtler: Volker Emmerich, Ulrich Immenga, Wernhard Möschel, Winfried Veelken, Heike Schweitzer. Volker Emmerich verdanken wir das Lehrbuch, das fast jede Kartellrechtsvorlesung als Pflichtlektüre verwendet.1 Ulrich Immenga hat Herrn Mestmäcker zu den beiden Kommentierungen angestiftet.2 Wernhard Möschels Buch3 ist in den Einzelheiten zwar hoffnungslos veraltet, aber immer noch die klügste Verbindung von Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, die man auf dem deutschen Markt findet. Winfried Veelken bohrt lieber bei Streitfragen der Kartellrechtsdogmatik in die Tiefe. Heike Schweitzer ist schließlich die erste, die Herr Mestmäcker zur Koautorin eines Buchs gemacht hat. Gemeinsam haben sie das majestätische Europäische Wettbewerbsrecht in neuem Glanz erstrahlen lassen.4 1 2 3 4

Emmerich, Kartellrecht (2006). Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht (4. Aufl. 2007). Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983). Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2. Aufl. 2004).

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Andere Schüler setzen die gesellschaftsrechtliche Tradition fort. Dieter Reuter ist nicht nur Arbeits-, sondern auch Stiftungsrechtler. Michael Becker knüpft an Herrn Mestmäckers Habilitationsschrift an und entwickelt juristische Instrumente zum Schutz der Gesellschafter vor Management und Gesellschaftermehrheit.5 Rainer Kulms kartiert das juristische Niemandsland zwischen Vertrag und Organisation.6 Beide sind auch methodisch sofort als Herrn Mestmäckers Schüler erkennbar, weil sie rechtsvergleichend arbeiten. Im allgemeinen Zivilrecht war Herr Mestmäcker mehr Anstifter als Täter. Ein Aufsatz aus dem Jahre 1958 wurde zum Nucleus für die bereicherungsrechtliche Habilitationsschrift von Reinhard Ellger.7 Eckart Koch wandelt auf der Grenzlinie zwischen Privatrecht und Kartellrecht. Schließlich hat Herr Mestmäcker in Peter Behrens einen Nachfolger für seine rechtstheoretische Neugier gefunden. Warum und zu welchem Ende treiben wir Juristen ökonomische Analyse, fragt er in seiner Habilitationsschrift.8 Wenn man zu den Schülern nur Wissenschaftler rechnet, die Herr Mestmäcker habilitiert hat, dann ist die Liste damit vollständig. Doch drei Namen müssen noch erwähnt werden. Jürgen Basedow ist zwar im strengen Sinne ein Schüler von Ulrich Drobnig. Doch erst die Nähe zu Ernst-Joachim Mestmäcker hat ihn zum Kartellrecht gebracht, wo er nun als Vorsitzender der Monopolkommission wohltuend wirkt. Brigitte Haar ist nach der Promotion zu Klaus Hopt gewechselt; Herr Mestmäcker war zu dieser Zeit schon emeritiert. Ihre ausgeprägt wirtschaftsrechtliche, intensiv rechtsvergleichende Sicht auf das Gesellschaftsrecht ist aber stark von Herrn Mestmäcker beeinflusst. Schließlich hatte Herr Mestmäcker zu Recht die schönsten Hoffnungen in Marek Schmidt gesetzt. Eine schreckliche Krankheit hat verhindert, dass er seiner blitzgescheiten Dissertation zu Standesrecht und Standesmoral9 die begonnene Habilitationsschrift hinzufügen konnte. Vor dieser Folie sollte mir der Beweis der subjektiven Unmöglichkeit gelingen. Der Apfel vom mestmäckerschen Baum der Erkenntnis, der vor Ihnen steht, ist am weitesten vom Stamm gefallen. Dass ich Öffentlichrechtler geworden bin, mag noch angehen. Denn im Wirtschaftsrecht der Telekommunikation, dem Herr Mestmäcker die meiste Energie als Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts gewidmet hat, verschwimmt die Grenze 5 M. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte: eine vergleichende Studie nach deutschem Verbandsrecht und dem amerikanischen Recht der corporation (1997). 6 Kulms, Schuldrechtliche Organisationsverträge in der Unternehmenskooperation (2000). 7 Ellger, Bereicherung durch Eingriff. Das Konzept des Zuweisungsgehalts im Spannungsfeld von Ausschließlichkeitsrecht und Wettbewerbsfreiheit (2002). 8 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts. Politische Ökonomie als rationale Jurisprudenz (1986). 9 M. Schmidt, Standesrecht und Standesmoral. Ein Beitrag zu den rechtlichen Grenzen der Wettbewerbsregulierung durch Standesorganisationen (1993).

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zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Doch für Herrn Mestmäckers Geschmack traue ich den Sozialwissenschaften zu viel zu. Er beobachtet mit wohlwollender Skepsis, dass sich in meine Texte immer mehr Formeln einschleichen, und dass wir neuerdings sogar ins Labor gehen.

III. Auch wenn Sie mir den Beweis der Unmöglichkeit abnehmen, werden Sie mich auf § 311a BGB verweisen. Sie werden mir kaum abnehmen, dass ich das Leistungshindernis nicht schon gekannt habe, als ich die Einladung zu diesem Vortrag angenommen habe. Ich fürchte deshalb, ich schulde Schadensersatz. Geldleistungen wären der Situation wenig angemessen. Mit echter Naturalrestitution wird es allerdings auch nichts; das folgt aus der Unmöglichkeit. Ich kann nur das Angebot einer Ersatzleistung machen und darauf hoffen, dass sich die Veranstalter darauf im Wege der Novation einlassen. Statt das wissenschaftliche Werk von Herrn Mestmäcker in seiner Gänze zu würdigen, will ich versuchen, nur einen Schnitt durch das Œuvre zu legen. Ich will Herrn Mestmäckers Aussagen zum Verhältnis von Recht und Ökonomie nachgehen. Gottlob ist das keine Nebensächlichkeit. Fast alle Texte von Herrn Mestmäcker haben Fragen zum Gegenstand, die auch die Ökonomen interessieren. Viele Texte verwenden ganz offen ökonomische Konzepte. Andere reiben sich an Implikationen des ökonomischen Paradigmas oder der ökonomischen Methode, die der Jurist Mestmäcker schwer verdaulich findet. Die Berührungen zur Ökonomie sind auch nicht auf einzelne der Rechtsgebiete beschränkt, zu denen Herr Mestmäcker publiziert hat. Wenigstens unter diesem einen Blickwinkel kann ich deshalb einen großen Teil des Werks von Herrn Mestmäcker aufscheinen lassen.

IV. Ich beginne mit einem Buch, das vor mehr als 50 Jahren erschienen ist. Auf den ersten Seiten seiner Dissertation aus dem Jahre 1952 zitiert Herr Mestmäcker Adam Smith: „dass sich Angehörige desselben Gewerbes selten treffen, und sei es zum Vergnügen oder zum Zeitvertreib, ohne dass die Unterhaltung mit einer Verschwörung gegen das Publikum oder einer Verabredung endet, die Preise zu erhöhen“10

10 A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), I:X:II.

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um sogleich fortzufahren: „Die Aufgabe dieser Arbeit besteht darin, den Wegen nachzugehen, auf denen Wettbewerber die Statistiken in den Dienst solcher Verschwörungen gestellt haben. Hinzu kommt die Frage, inwieweit die unter den Voraussetzungen der vollständigen Konkurrenz […] systemgerechte Wirkung der Marktübersicht unter anderen tatsächlichen Voraussetzungen modifiziert wird“11.

Dieses normative Programm wird in der Arbeit entfaltet. In einer Marktwirtschaft streitet eine Vermutung dafür, dass Transparenz wünschenswert ist. Die Nachfrager können nur dann rational entscheiden, wenn ihnen die konkurrierenden Angebote bekannt sind. Die Anbieter finden nur dann zum Gleichgewicht, wenn sie die Marktverhältnisse richtig einschätzen. „Obwohl die Marktform der vollständigen Konkurrenz ein gedankliches Modell ist, das in reiner Form in der Wirklichkeit nicht vorkommt, kann durch die Annäherung der tatsächlichen Bedingungen an die theoretischen Voraussetzungen des Modells ein Ergebnis erreicht werden, das sich dem der Theorie nähert“12.

Steht die Information aber allein den Verkäufern zur Verfügung, wandelt sie sich zu einem Instrument, mit dem die wenigen Verkäufer die weit verstreuten Käufer ausbeuten.13 Preismeldungen können benutzt werden, um ein Preiskartell durchzusetzen,14 oder um das Kartellverbot durch Preisführerschaft zu umgehen.15 Mestmäcker beruft sich an dieser Stelle ausdrücklich auf die Theorie des Randwettbewerbs von George Stigler 16. Auch die Theorie des monopolistischen Wettbewerbs von Edward Chamberlin17 nutzt Mestmäcker: Die natürliche Neigung einzelner Unternehmen, sich durch Preisunterbietung einen separaten Vorteil zu verschaffen, endet, wenn solche Vorteile sofort öffentlich werden. Im unvollkommenen Markt kann Transparenz deshalb das sozial unerwünschte monopolistische Ergebnis stabilisieren.18

11 Mestmäcker, Verbandsstatistiken als Mittel zur Beschränkung und Förderung des Wettbewerbs in den Vereinigten Staaten und Deutschland (1952), S. 4. 12 Mestmäcker (Fn. 11), S. 53. 13 Mestmäcker (Fn. 11), S. 56. 14 Mestmäcker (Fn. 11), S. 72. 15 Mestmäcker (Fn. 11), S. 74. 16 Stigler, The Kinky Oligopoly Demand Curve and Rigid Prices, Journal of Political Economy 55 (1947), 432–449. 17 Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition (1933), S. 46–53. 18 Mestmäcker (Fn. 11), S. 78 f.

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V. Auch in der Habilitationsschrift wird man bei der Suche nach ökonomischen Spuren fündig. Das Buch beginnt19 mit einem Zitat von Adam Smith: „Direktoren von Aktiengesellschaften verwalten das Geld anderer Leute, nicht ihr eigenes; von ihnen kann man nicht die gleiche peinliche Sorgfalt erwarten, mit der Gesellschafter einer Personengesellschaft die eigenen Geschäfte führen“20.

Später wird das Grundproblem des Konzernrechts als die Trennung von Herrschaft und Haftung rekonstruiert.21 Mestmäcker beruft sich dafür auf den Klassiker von Berle und Means22. „Beherrschen dieselben Personen mehrere Aktiengesellschaften, so können sie ihren Gewinn dadurch steigern, dass sie die Gesellschaft, an der sie im höheren Maße beteiligt sind, auf Kosten einer anderen Gesellschaft bevorzugen. Das hat Steinitzer schon früh mathematisch belegt. Für die Aktionäre ist es lohnend, sich in der Gesellschaft selbst zu schädigen, an der sie geringer beteiligt sind“23.

Mestmäcker besteht auf einer angemessenen empirischen Fundierung. Die Interessen der Aktionäre sind im Konzern gerade nicht gleichgerichtet.24 Zum Beleg der Konzentration des unternehmerischen Eigentums in der Hand weniger Unternehmen nutzt Mestmäcker amerikanische Statistiken, und bedauert deren Fehlen für Deutschland.25 Als eine der wichtigsten Konzentrationsursachen diagnostiziert er das steuerrechtliche Schachtelprivileg, und kritisiert dessen „Anreiz“effekte.26 Vor allem stellt er seine Frage aber in den Kontext der Suche nach einer angemessenen Wirtschaftsverfassung: „Den Ausgangspunkt bildet nicht die kapitalistische oder spätkapitalistische Rechts- oder Wirtschaftsordnung, verstanden als Produkt einer vermeintlich zwangsläufigen historischen Entwicklung. Unter Verkehrswirtschaft ist eine der reinen Formen der Wirtschaftsordnung zu verstehen; als solche ist sie, wie Eucken nachgewiesen hat, neben Zentralverwaltungswirtschaft und Eigenwirtschaft eine der elementaren Formen jeder Volkswirtschaft. Diese Erkenntnis ist für die Rechtswissenschaft unmittelbar wichtig; sie gestattet es, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Sachverhalte differenzierend zu erkennen, die Wirkungen rechtlicher

19 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre: eine rechtsvergleichende Untersuchung nach deutschem Aktienrecht und dem Recht der Corporations in den Vereinigten Staaten (1958), S. 3. 20 Smith (Fn. 10), V.I.iii.i.a.18. 21 Mestmäcker (Fn. 19), S. 24. 22 Berle/Means, Modern Corporation and Private Property (1932). 23 Mestmäcker (Fn. 19), S. 28 f. unter Verweis auf Steinitzer, Ökonomische Theorie der Aktiengesellschaften (1908). 24 Mestmäcker (Fn. 19), S. 10. 25 Mestmäcker (Fn. 19), S. 20. 26 Mestmäcker (Fn. 19), S. 12.

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Entscheidungen auf eine Wirtschaftsordnung zu berechnen und an die Stelle von Alltags-Betrachtungen zur Wirtschaftspolitik wissenschaftlich begründete, durchsichtige und nachprüfbare Aussagen zu setzen“27.

VI. Über Herrn Mestmäckers dritten großen Gegenstand, das Wirtschaftsrecht von Medien und Kommunikation, kann ich selbst als Zeitzeuge Auskunft geben. Zu meinen Kollegen in dem Forschungsprojekt Wirtschaftsrecht der grenzüberschreitenden Telekommunikation gehörten die Ökonomen Reinhard Wieck, Henning Knorr 28 und Stefan Weyhenmeyer 29 und der Politikwissenschaftler Andreas Tegge30. Das erste Symposium hatte den programmatischen Titel: The Law and Economics of Transborder Telecommunications. Daran waren die Ökonomen Jürgen Müller, Lee McKnight, Karl-Heinz Neumann und Carl Christian von Weizsäcker beteiligt.31 Nicht weniger klangvoll sind die Namen der Ökonomen, die zu dem rundfunkpolitischen Symposium mit dem Titel „Offene Rundfunkordnung“ beigetragen haben: Erich Hoppmann, Gabriele Braun, Eberhard Witte, Horst Greiffenberg, Jörn Kruse und Helmut Gröner.32 An dem Abschlusssymposium haben die Ökonomen Günter Knieps, Werner Neu und Jörn Kruse mitgewirkt.33 In unseren Diskussionen war der Austausch über die Fächergrenzen hinweg ganz selbstverständlich. Herr Mestmäcker hätte keinem Juristen durchgehen lassen, dass ihn die Theorie der natürlichen Monopole nichts angehe. Er sollte bitte auch erklären können, wie price cap regulation funktioniert. Und wie soll man etwas Vernünftiges zum Recht der Standardisierung beitragen, wenn man nicht weiß, was Netzexternalitäten sind? Ein schönes Beispiel für gelungene Interdisziplinarität ist die Dissertation von Brigitte Haar. Ihr Thema ist die Schnittstelle zwischen Regulierung und Kartellrecht in der

27 Mestmäcker (Fn. 19), S. 23 unter Berufung auf Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie (1965), natürlich in einer damals schon erschienenen Auflage. 28 Knorr, Ökonomische Probleme von Kompatibilitätsstandards. Eine Effizienzanalyse unter besonderer Berücksichtigung des Telekommunikationsbereichs (1993). 29 Weyhenmeyer, Integrierte Unternehmensstrukturen in der Telekommunikation und staatliche Industriepolitik (1994). 30 Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union. Organisation und Funktion einer Weltorganisation im Wandel (1994). 31 Mestmäcker (Hrsg.), The Law and Economics of Transborder Telecommunications (1987). 32 Mestmäcker (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung. Prinzipien für den Wettbewerb im grenzüberschreitenden Rundfunk (1988). 33 Mestmäcker (Hrsg.), Kommunikation ohne Monopole II. Ein Symposium über Ordnungsprinzipien im Wirtschaftsrecht der Telekommunikation und der elektronischen Medien (1995).

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Telekommunikation. Um die für Deutschland und Europa neue Frage zu verstehen, wertet sie nicht nur die reiche juristische Literatur aus den Vereinigten Staaten aus. Sie setzt sich auch mit der Theorie der Marktzutrittsschranken und von Kampfpreisstrategien auseinander.34

VII. Ein Beispiel für die ganz unbefangene Argumentation in ökonomischen Kategorien findet sich schließlich in dem kleinsten von Herrn Mestmäckers Arbeitsgebieten, im Urheberrecht. In ökonomischen Kategorien begründet er, warum Verwertungsgesellschaften die überlegene Lösung sind. Wenn jeder Urheber die Durchsetzung des Ausschließlichkeitsrechts in die eigenen Hände nähme, würden die Transaktionskosten explodieren. Verwertungsgesellschaften fällt es auch leichter, für die verschiedenen Gruppen von Nutzern maßgeschneiderte Verträge zu schreiben und dadurch auf die unterschiedlich ausgeprägte Preiselastizität der Nachfrage zu reagieren. Dadurch kommt es zwar zur Preisdiskriminierung. Zugleich verbessert sich aber die allokative Effizienz. Daraus entsteht allerdings ein Machtproblem, weshalb die Verwertungsgesellschaften unter der Aufsicht des Kartellrechts stehen. Verwertungsgesellschaften fällt es außerdem leichter, das anticommons-Problem unter Kontrolle zu halten, das aus dem Zusammenwirken vieler Rechteinhaber erwächst. Es ist etwa für die Filmindustrie typisch. Schließlich sind Verwertungsgesellschaften ein Instrument der Gegengewichtsbildung gegenüber machtvollen Musiknutzern, wie etwa den Rundfunkveranstaltern.35

VIII. Scheinbar also Entwarnung. Liest man seine Texte nur sorgfältig genug, hat Herr Mestmäcker gegen ökonomische Theorie gar nichts einzuwenden. Es ist nicht mehr als ein Stilunterschied, wenn davon in meinen Texten etwas mehr vorkommt. Die interdisziplinäre Umgebung meines Instituts steckt eben an. Kein Grund, mich besorgt zu fragen, ob mein akademischer Lehrer den wissenschaftlichen Weg billigt, den ich eingeschlagen habe.

34 Haar, Marktöffnung in der Telekommunikation. Zum Verhältnis von Wirtschaftsaufsicht und Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen im US-amerikanischen Recht, im europäischen Recht und im deutschen Recht (1995). 35 Mestmäcker, Collecting Societies in Law and Economics, in: ders. (Hrsg.), Wirtschaft und Verfassung in der Europäischen Union. Beiträge zu Recht, Theorie und Politik der europäischen Integration (2006), S. 709, 713–716.

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Nun ist Herr Mestmäcker natürlich viel zu weise, viel zu großmütig, wahrscheinlich auch viel zu neugierig, um die Wissenschaft seiner Schüler offen zu missbilligen. Aber in der ihm eigenen, vornehmen Art hat er doch zum Ausdruck gebracht, dass er es so nicht machen würde, und dass er dafür seine Gründe hat. Dass er der eng verstandenen ökonomischen Analyse des Rechts nicht viel abgewinnen kann, hatte er in unseren gemeinsamen Hamburger Jahren schon gelegentlich bemerkt. Und eine viel weniger lang zurückliegende Äußerung ist so schön, dass sie es verdient, hier wiederholt zu werden: „In letzter Zeit haben Sie ja die Spieltheorie entdeckt. Ich glaube Ihnen, dass es Spaß macht. Aber können wir damit etwas zum Recht beitragen?“ Den Gründen für Herrn Mestmäckers Zurückhaltung will ich im Folgenden nachgehen.

IX. Herr Mestmäcker besteht auf der Autonomie des Rechts.36 In der ökonomischen Analyse hat das Recht zu Gunsten der Ökonomie abgedankt.37 Es gibt nur noch den Blick von außen auf das Recht als einen Untersuchungsgegenstand einer Sozialwissenschaft.38 Rechtsgelehrsamkeit hat keinen disziplinären Ort mehr. Das Recht kann seinen größten Schatz nicht mehr nutzen: die in Jahrhunderten gesammelten Erfahrungen.39 Oder spezifischer für das Kartellrecht: „Die verschiedenen Funktionen des Wettbewerbs sind Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften. Es mag deshalb naheliegen, in der Ermittlung der von den Wettbewerbsregeln geschützten Wettbewerbsfunktionen ein primär ökonomisches Problem zu sehen. Damit würde man indessen die normierende Wirkung des Wettbewerbsrechts und die Eigenart der Rechtsanwendung verkennen. […] Die Erkenntnisse [der Wirtschaftswissenschaften] lassen sich im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen nur unter Berücksichtigung der Eigengesetzlichkeit der Rechtsanwendung nutzbar machen“40. „Die Natur der Sache begrenzt die möglichen Lösungen, ohne sie aber inhaltlich eindeutig zu bestimmen. Unerlässlich bleibt die Ableitung von Wertmaßstäben und ihre Anwendung im Rahmen von Werturteilen. […] So unerlässlich die Berücksich-

36 Mestmäcker, Die Interdependenz von Recht und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik, in: Monopolkommission (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Wettbewerbspolitik (2004), S. 19, 21. 37 Mestmäcker, A Legal Theory without Law. Posner v. Hayek on Economic Analysis of Law (2007), S. 21, s.a. S. 44. 38 Mestmäcker (Fn. 37), S. 14. 39 Mestmäcker (Fn. 37), S. 44. 40 Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 76.

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tigung der Wirtschaftswissenschaft für die Analyse der Interessenlage und die Beurteilung der von einer bestimmten Entscheidung von Interessenkonflikten ausgehenden Wirkungen ist, so notwendig ist es, die sich aus der Eigenart des Privatrechtsystems ergebenden Besonderheiten und Grenzen zu beachten. Auch sie sind – jetzt im Verhältnis zu den Wirtschaftswissenschaften – Teil der Natur der Sache“41.

Hinzu tritt die Eigengesetzlichkeit der Rechtsanwendung. „Der Richter muss jeden ihm unterbreiteten Fall entscheiden, ohne unter Berufung auf den Erkenntnisstand der für ihn erheblichen Wissenschaften sein Urteil aussetzen zu können. Die Mittel zur Erforschung des Sachverhalts sind durch die Regeln des Zivilprozesses vorgegeben. In den Werturteilen ist der Jurist an das Gesetz gebunden. Man muss diese tief greifenden Unterschiede zwischen den Wissenschaften sorgfältig berücksichtigen, wenn über die Voraussetzungen des Zusammenwirkens Klarheit bestehen soll“42.

Dazu gehört insbesondere das notwendig prekäre Verhältnis des Juristen zum Gesetzgeber: „Theories of law and of democracy are not independent from each other. In a democracy, the most important source of law is, of course, legislation adopted by elected representatives of the people. […] There are, however, constitutional rules applied by independent courts that may take precedence over legislation. It is this tension between the democratic legitimacy of ordinary legislation and constitutional rules as interpreted by ‘wise old men’ that is the major theme“43.

X. Vor allem glaubt Herr Mestmäcker nicht an den Nutzen der exakten, beinahe naturwissenschaftlichen Methode der modernen Ökonomie für das Recht. Er betont, dass Recht nicht vom jeweiligen historischen Kontext abstrahieren darf.44 Er warnt vor der verführerischen Einfachheit und Stringenz ökonomischer Modelle,45 vor der „Hypostasierung modelltheoretischer Annahmen als Beurteilungsmaßstab“46:

41 Mestmäcker, Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft im Aktienrecht, in: Raiser/Sauermann/Schneider (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik (1964), S. 103, 114 f. 42 Mestmäcker (Fn. 41), S. 103, 115. 43 Mestmäcker (Fn. 37), S. 19 f. 44 Mestmäcker (Fn. 37), S. 57. 45 Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 91. 46 Mestmäcker, Das Prinzip der rule of reason und ähnliche Ausnahmemechanismen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, in: ders. (Hrsg.), Recht und ökonomisches Gesetz (1984), S. 674, 696.

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„Keine Wettbewerbstheorie erlaubt außerhalb mathematischer Modelle apodiktische Aussagen über die Reichweite eines Verbotes wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen“47.

Besonders eindringlich ist eine Passage aus dem Vortrag zum 30jährigen Jubiläum der Monopolkommission: „Erich Schneider […] rief in seinem Einleitungsvortrag aus: Das Meer der Tatsachen ist stumm, erst unsere Theorie bringt sie zum Reden. Aber die Tatsachen, die erst durch Theorie erkennbar werden, sind begrenzt durch die der Theorie beziehungsweise dem Modell zu Grunde liegenden Annahmen. […] Ökonomen müssten den Schock von Männern der Praxis, von Politikern und Unternehmern ertragen, wenn diese die tiefe Kluft wahrnähmen zwischen theoretisch möglichen und praktisch geforderten Aussagen über die ökonomische Wirklichkeit. In der rechtswissenschaftlichen Literatur […] wird dieser Befund in der Regel nicht als Schock empfunden, sondern eher mit Erleichterung wahrgenommen, scheint er doch die Autonomie des Rechtes zu bestätigen“48.

Oder noch farbiger zur Rezeption von Adam Smith: „Die im Zuge der Spezialisierung fortschreitende Trennung der Disziplinen hat es mit sich gebracht, dass jeweils verschiedene Teile des Werkes als rechtswissenschaftlich oder wirtschaftswissenschaftlich relevant erscheinen. Innerhalb der Nationalökonomie glaubt man dem ‚größten Ökonomen aller Zeiten‘ höchstes Lob zu spenden, indem man dartut, dass seine Werke nicht zur Geschichte geworden sind und dass sie ohne Geschichte verständlich sind: Sie können gelesen werden ‚wie die neueste Ausgabe einer Fachzeitschrift‘. Hierin kommt nicht zuletzt das Selbstverständnis der Nationalökonomie als einer exakten Wissenschaft zum Ausdruck. ‚Man konstruiert und organisiert eine Börse für wissenschaftliche Reputationen, deren Kurse davon bestimmt werden, was ein Problem ist und wie seine zutreffende Lösung lautet‘. An dieser Börse hat der Kurs von Adam Smith besonders bei den beamteten akademischen Kursmaklern geschwankt wie der eines Spekulationspapiers.“49

XI. Herr Mestmäcker ist kein Freund der Wohlfahrtstheorie, also des normativen Zweigs der neoklassischen Ökonomie. Die Wohlfahrtstheoretiker würden ihm sicher zustimmen, dass man positive und normative Analyse auseinander halten soll.50 Viele würden auch seine Skepsis gegenüber der An47

Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 97. Mestmäcker (Fn. 36), S. 19, 21. 49 Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts. Über das Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschaftssystem bei Adam Smith, in: ders. (Hrsg.), Recht und ökonomisches Gesetz (1984), S. 104, 105. 50 Mestmäcker (Fn. 37), S. 46 f. 48

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reicherung von Nutzenfunktionen mit Argumenten teilen, die das ökonomische Modell gegenüber positiven oder normativen Einwänden immunisieren sollen; die Aussagen werden dann gar zu leicht beliebig.51 Fast alle Ökonomen werden gern einräumen, dass der Gesetzgeber natürlich auch Verteilungsziele verfolgen darf.52 Mit etwas mehr Mühe mag man ihnen auch den Nutzen unveräußerlicher Rechte nahe bringen und sie davon überzeugen, dass manche werthaltigen Positionen zum Schutz der Würde des Menschen besser nicht handelbar sind.53 Bei den folgenden Aussagen würde ich dagegen mit dem beharrlichen Widerstand meiner ökonomischen Kollegen rechnen:54 „Cost-benefit analysis is end-neutral. It can be applied to any given purpose. Constitutions, statutes and precedents, however, are as a rule not end-neutral. The question then is how to accommodate the normative implications of economic analysis with diverse non-economic legal purposes. In law, the relation of ends to means is more than a pragmatic methodological operation.“55 „Legal rules in a free order are not end-related and must abstract from the multitude of individual plans they are to coordinate. In the economic analysis of law the key concepts – rational choice and efficiency – are end-related.“56 „If economic analysis does more than making products of law amenable to the application of price theory, the ‘more’ requires legal analysis of economic systems“57.

Sie werden es nicht als besonders fair empfinden, wenn ihnen erst Blindheit gegenüber den verfolgten Zwecken vorgeworfen wird, dann aber die Zweckhaftigkeit ihrer normativen Analyse. Sie werden einräumen, dass die Lösung multidimensionaler normativer Probleme schwer ist. Aber sie werden den Juristen kein Monopol für die Lösung der schwersten Probleme zugestehen wollen – und hinter vorgehaltener Hand vielleicht sogar bezweifeln, dass die Juristen können sollen, wofür den Ökonomen einstweilen die konzeptionellen Instrumente fehlen.

51

Mestmäcker (Fn. 37), S. 21 f. Mestmäcker (Fn. 37), S. 48. 53 Mestmäcker (Fn. 37), S. 47. 54 Zur Behandlung des Werturteilsproblems bei den Ökonomen s. Little, A Critique of Welfare Economics. (1950); E. J. Mishan, Welfare Economics. Ten Introductory Essays (1969). 55 Mestmäcker (Fn. 37), S. 13. 56 Mestmäcker (Fn. 37), S. 37. 57 Mestmäcker (Fn. 37), S. 14. 52

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XII. Herr Mestmäcker kreidet der normativen Ökonomik vor allem eine Unterlassung an: sie spricht nicht von Freiheit.58 Im Gefolge Immanuel Kants fordert er eine Rechtsordnung, in der „everybody may pursue his happiness in anyway to his liking as long as he respects the liberty of others, in turn compatible with the same liberty of everybody under a general rule. A government based upon the principle of benevolence towards the people represents the greatest possible despotism, that is, a regime which would abolish all liberties and leave citizens without rights. In a constitution based upon the principle of justice, the people have inalienable rights against their sovereign“59.

Deshalb besteht die Funktion des Rechts darin, „freies und zweckgerichtetes Handeln aufeinander abzustimmen, ohne aber die Vielfalt der zu Grunde liegenden und häufig widersprüchlichen Zwecke als solche in Bezug zu nehmen. Mit einer freien Ordnung sind Regeln deshalb im Grundsatz nur vereinbar, wenn sie in diesem Sinne abstrakt und verbietend sind, ohne ein bestimmtes Handlungsergebnis vorzuschreiben“60.

Aus der Freiheitsperspektive geraten zusätzliche Aufgaben des Rechts in den Blick. Wettbewerb bedarf auch als „Entmachtungsverfahren“ des Schutzes.61 Mit den Hirschman’schen Kategorien von Abwanderung und Widerspruch62 ist es nicht getan. Das Gesellschaftsrecht, aber auch das Staatsrecht müssen sich auch um „erzwungene Abwanderung“ und „erzwungenen Beitritt“ kümmern.63

XIII. Sieht man genauer hin, richtet sich Herrn Mestmäckers Kritik nicht gegen jedwede Integration von Recht und Ökonomie, sondern vor allem gegen die ökonomische Neoklassik. Mestmäcker ist ganz offen auf der Seite eines heterodoxen ökonomischen Ansatzes. Ökonomen würden ihn als „Österreicher“ bezeichnen. Das ist natürlich kein Versuch, den Westfalen zu expatri58 S. aber Hellwig, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? Zur normativen Grundlegung der Wettbewerbspolitik, in: Engel/Möschel (Hrsg.), Recht und spontane Ordnung. Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker zum achtzigsten Geburtstag (2006), S. 231–268. 59 Mestmäcker (Fn. 37), S. 18. 60 Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2, Rn. 93. 61 Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2, Rn. 99. 62 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations, and States (1970). 63 Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, in: ders. (Hrsg.), Recht in der offenen Gesellschaft (1993), S. 74, 82 f., 88.

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ieren, sondern eine Aussage zum wissenschaftlichen Glaubensbekenntnis. Seinem programmatischen Text über die ökonomische Analyse des Rechts hat Herr Mestmäcker einen Satz von Friedrich-August von Hayek als Motto vorausgeschickt: „The economist’s retrospective interpretation of how the market system operates does not, however, mean that we are now able to replace it by some deliberate arrangements“64.

Am kürzesten sagt es die folgende Kapitelüberschrift: „Efficiency: the purpose of legal rules or the product of competition (Posner versus Hayek)“65.

Das Wissensproblem ist kategorial. „If we knew in advance the most efficient allocation of resources there would be no need to rely on at times wasteful and erratic markets and competition“66.

Das sagt jemand, der sein ganzes wissenschaftliches Leben für den Wettbewerb gestritten hat! „Die Ungewissheit über das Ergebnis der unternehmerischen Entscheidungen kennzeichnet den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. […] Wettbewerbstheorie und Wettbewerbsrecht haben […] nicht die Aufgabe, wirtschaftlich richtiges Verhalten vorzuschreiben […]. Sie haben vielmehr die Frage zum Gegenstand, welches Verhalten mit der Wettbewerbsfreiheit Dritter und dem Wettbewerb als Prozess unvereinbar ist“67. „Die wichtigsten Funktionen des Wettbewerbs kommen deshalb nicht in den Blick, wenn man von vollständiger Transparenz und Allwissenheit der Marktteilnehmer ausgeht. Das Problem besteht vielmehr gerade darin, zu erklären, warum es für den einzelnen möglich ist, unter Bedingungen der Ungewissheit über zukünftige Entwicklungen rational zu handeln“68. „Die grundsätzliche Offenheit des Wettbewerbs als eines Entdeckungsverfahrens macht es ferner unmöglich, den konkreten Ablauf gewünschter Marktprozesse durch ein Modell zu beschreiben. Die Freiheitsbereiche, in die andere Marktteilnehmer nicht eingreifen dürfen, müssen deshalb negativ abgegrenzt werden. Die Aufgabe des Kartellrechts beschränkt sich darauf, Wettbewerb in regelgeleitetes Verhalten zu verwandeln. Man nennt diese Regeln Spielregeln, deren Eigenart darin besteht, dass sie konfliktregelnde Normen im Rahmen einer Kampfordnung sind“69.

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Mestmäcker (Fn. 37), S. 9. Mestmäcker (Fn. 37), S. 26. Mestmäcker (Fn. 37), S. 34. Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 81. Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 92. Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 94.

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Das hat weit reichende Folgen für die Ausgestaltung und Anwendung des Kartellrechts. Herr Mestmäcker hält nichts von efficiency tests. „Wie immer die verschiedenen Arten der efficiencies gegeneinander abgewogen werden, der wichtigste Einwand ist die Unkenntnis der Unternehmen selbst sowie der Behörden und Gerichte über die relevanten Wirkungszusammenhänge“70. „Der Prozess, in dem bisher getrennt genutzte unternehmerische Ressourcen zu einer neuen Einheit zusammengeführt werden, zeichnet sich durch hohe Komplexität aus. Dieser Prozess ist zu der Zeit, zu der die Wettbewerbsbehörde ihn nach Effizienzkriterien beurteilen soll, noch nicht beendet. Über den Erfolg entscheidet der Wettbewerb. […] Die Effizienzprüfung nimmt aber jene methodischen und praktischen Probleme in die vorausschauende Beurteilung von Zusammenschlüssen auf, die der Strukturbezug der Fusionskontrolle verhindern soll“71. „Was aber die angebotene Lösung – die Konsumentenwohlfahrt – angeht, so bleibt von Weizsäcker, und nicht nur er, den Hinweis schuldig, wie man anhand von Konsumentenwohlfahrt auf den richtigen Grad von Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktmacht oder relativer Marktmacht zurückschließen kann“72.

All das gilt nicht nur für das Kartellrecht, sondern für das Recht überhaupt. „A different [and preferable] approach to law and economics views the economic system as a system of liberty based on a legal order that provides for and guarantees the constituent economic liberties as individual rights. Abstract legal rules for otherwise unregulated individual planning are an integral part of the economic system, providing information that makes a rational division of labour and allocation of resources possible“73. „Private law rules (contract, property, torts) are, however, not merely the instruments of self interest. They simultaneously make individual liberty compatible with the liberty of others under a general rule“74.

XIV. Schließen möchte ich mit versöhnlicheren Tönen. Ökonomie und Juristerei sind „zwei Wissenschaften, die eigene Erkenntnisinteressen und Methoden haben und gleichwohl nicht voneinander lassen können, selbst wenn sie es möchten“75, 70

Mestmäcker/Schweitzer (Fn. 4), § 2 Rn. 90. Mestmäcker (Fn. 36), S. 19, 30 f. 72 Mestmäcker, 50 Jahre GWB. Die Erfolgsgeschichte eines unvollkommenen Gesetzes, WuW 2008, 6, 15 f. 73 Mestmäcker (Fn. 37), S. 22. 74 Mestmäcker (Fn. 37), S. 23. 75 Mestmäcker (Fn. 36), S. 19. 71

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hat Herr Mestmäcker der interdisziplinären Monopolkommission zu ihrem Jubiläum entgegen gerufen. Und in der Rede vor dem Orden Pour le Mérite sagt er: „Es war die beiderseitige Öffnung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften füreinander, die erst ihre gemeinsame Bedeutung für marktwirtschaftliche Ordnungen erklärt. […] Trotz bis heute nicht überwundener methodischer Schwierigkeiten sind Ökonomie und Recht fest aneinander gebunden. Die Klammer bildet die strenge Zucht der Knappheit ökonomischer Ressourcen und die politische Symbiose des Wohlstands der Menschen mit dem öffentlichen Interesse der Staaten“76.

In einem Vortrag vor dem Verein für Socialpolitik liest es sich so: „Das Verständnis der Aktiengesellschaft als Institution, die Erkenntnis der den aktienrechtlichen Normen zu Grunde liegenden Interessenkonflikte sowie die Ableitung der für die Entscheidung dieser Konflikte notwendigen Wertmaßstäbe erfordert den Rückgriff auf die Wirtschaftswissenschaft. Die Eigengesetzlichkeit der zu regelnden wirtschaftlichen Sachverhalte (Natur der Sache) kann die möglichen rechtlichen Lösungen begrenzen, ohne sie jedoch zu determinieren. Die Interdependenz von Rechts- und Wirtschaftsordnung bewirkt darüber hinaus, dass Funktion und Wirkung aktienrechtlicher Normen ohne die Heranziehung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnismethoden nicht zureichend erfasst werden können. Das gleiche gilt für die Explikation der in juristische Entscheidungen eingehenden Werturteile über wirtschaftliche Sachverhalte. Der unterschiedliche Gegenstand und die unterschiedlichen Methoden der beiden Wissenschaften stehen diesem Zusammenwirken nicht entgegen, wenn es gelingt, Fragestellungen und Aussagen dem jeweiligen Erkenntnisgegenstand anzupassen. Darin liegt ein selbstständiges wissenschaftliches Problem. Eine autonome oder bewusst autonomisierte einzelwissenschaftliche Betrachtung der Aktiengesellschaft vermag nicht einmal den eigenen Erkenntnisgegenstand zureichend zu formulieren. Die Verselbstständigung verzerrt das Bild der zu erkennenden oder zu gestaltenden Wirklichkeit, schafft Scheinprobleme und führt zu Werturteilen, die auf unzureichender Abwägung der in Betracht zu ziehenden Wertmaßstäbe beruhen“77.

Oder schließlich aus dem Text zum 50jährigen Jubiläum des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in diesem Jahr: „Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Wettbewerbsfreiheit einen ,economic approach‘ verlangt. Es gibt aber Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der ,more economic approach‘ der EG-Kommission […] der einzig richtige economic approach ist“78.

76 Mestmäcker, Europäische Prüfsteine der Herrschaft und des Rechts, Orden Pour le Mérite 34 (2006), 197, 202. 77 Mestmäcker (Fn. 41), S. 103. 78 Mestmäcker, WuW 2008, 6, 14.

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In meinem unverbesserlichen Optimismus glaube ich deshalb fest daran, dass die einzige Differenz zwischen mir und meinem akademischen Lehrer in der richtigen Justierung der Nähe zur Ökonomie besteht – wenn es eine solche Differenz denn überhaupt geben sollte.

Wolfgang Zöllner * Ulrich Noack I. Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Privatrechtsgesellschaft – die politische Rolle des Privatrechts b) Aufgabe der Privatrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Informationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wertpapierrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Zöllner steht für zwei große Rechtsgebiete (alphabetisch geordnet): das Arbeitsrecht und das Gesellschaftsrecht. Hier ist er Generalist und Spezialist gleichermaßen. Das mag als ein Widerspruch erscheinen, Zöllner hat ihn mit Person und Werk aufgelöst. Und er wirkt über diese großen Fachgebiete hinaus als ein knorriger Streiter für die freiheitlichen Grundlagen unseres Zivilrechts. Leitmotiv ist die „Herstellung von Gerechtigkeit unter und zwischen den Menschen“1. In seinen späten Schriften taucht der Beweggrund immer wieder auf. Ich nenne Abhandlungen zu „Gerechtigkeit bei der Kapitalerhöhung“2, „Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis“3 und „Vertragskontrolle und Gerechtigkeit“4. Da hat man es im Arbeitsrecht und im Gesellschaftsrecht gleich mit den Richtigen zu tun. Auf dem einen Feld die mächtigen Interessengruppen der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften nebst dem immer mehr sozialintervenierenden Staat; auf dem anderen Gebiet trifft man Großaktionäre und Konzernarchitekten, die ihre Vermögensinteressen energisch durchzusetzen wissen. Der Rechtswissenschaftler, der hier nicht zum Anwalt (!) einer Partei werden will, braucht * Vortrag am 24. April 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin. 1 Zöllner, Schlusswort des Jubilars, AG 2009, 259, 260. 2 Zöllner, Gerechtigkeit bei der Kapitalerhöhung, AG 2002, 585–592. 3 Zöllner, Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis, in: Köbler/Heinze/Hromadka (Hrsg.), Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag (2000), S. 1297–1322. 4 Zöllner, Vertragskontrolle und Gerechtigkeit, NZA Beilage 3/2006, 99–107.

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einen klaren Standpunkt. Es ist dies für Zöllner die Herstellung von Gerechtigkeit.5 Dazu gehören konsistente und sparsame Regelsetzung, Rechtsprechung statt Rechtserfindung, die Begrenzung und Kontrolle von Macht, das Vermeiden von Extremen und vor allem: Raum für Handeln und Verantwortung freier Bürger. Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist ihm der Gesetzgeber unliebsam in die Quere gekommen, der sich seiner Einschätzung nach privatrechtsfremder Strukturen bedient oder gleich durch offene (AGG!) und subtile Einschränkungen der Privatautonomie den Garaus macht. Das hat Zöllner, wie er im Februar 2009 auf dem Tübinger Fakultätssymposion zu seinem 80. Geburtstag bekannte, schließlich zum „Rechtspessimisten“ werden lassen. Hören wir ihn selbst: „Spätestens in der zweiten Hälfte der 60er Jahre zeichnete sich ab, dass Gesellschaft, Wirtschaft und vor allem auch Recht in ihrem Verlauf immer weniger beherrschbar wurden. Die sich ausbreitende Zügellosigkeit und Maßlosigkeit signalisierten, dass Religion und Moral ihre steuernde Kraft endgültig verloren hatten mit der Folge, dass die Aufrechterhaltung guter Ordnung dem Recht seither allein aufgebürdet ist, das unter dieser Last allzu schwer zu tragen hat. … Zur Schwäche der steuernden Kraft des Rechts trägt bei, dass fortschreitende Europäisierung und Globalisierung den Abstand der Normerzeugung zum Bürger vergrößern und dadurch ein Gefühl der Rechtsferne erzeugen oder verstärken. Es wird paradoxerweise begleitet von zunehmender Rechtsdichte. … In hohem Maß bedroht und auch bereits gestört ist die Konsistenz der Rechtsordnung auch durch eine umgreifende Veränderung der Rechtspolitik, die darin liegt, dass der Zweck im Recht, genauer: die ratio gesetzlicher und richterrechtlicher Regeln mehr und mehr auf gesellschaftliche und ökonomische Steuerung ausgerichtet wird statt auf die Herstellung von Gerechtigkeit unter und zwischen den Menschen. … Die Implementierung von bloßen Steuerungszielen, die, wenn sie nicht gerechtigkeitsgeleitet sind, schnell wechseln können, führt zur Maßgeblichkeit oft kurzfristiger Zwecke, die sinnvoller Dogmatik diametral entgegensteht und damit Stabilität der Ordnung und Rechtssicherheit verhindert.“6

I. Werdegang Wolfgang Zöllner (WZ) wurde am 31. Dezember 1928 in Marktredwitz (Franken) geboren. Er ist durchaus großbürgerlich aufgewachsen; heute würde man sagen: in einem Topmanager-Elternhaus. Sein Vater war im Vor-

5 Eine bemerkenswert andere Wortwahl als die „Suche nach der Gerechtigkeit“ (Engisch). 6 Zöllner, AG 2009, 259, 260.

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stand der Rosenthal-AG, eines großen Porzellanwarenherstellers. Er selbst spricht davon, das Umfeld seiner ersten Jahre sei noch stark vom Kaiserreich geprägt gewesen, einem Reich, das immerhin zehn Jahre vor seiner Geburt geborsten war. WZ ist der jüngste von drei Buben, und er hat wohl sein Päckchen an diesem Juniorstatus zu tragen gehabt. Eltern und ältere Brüder veranstalteten je auf ihre Weise ein strenges Regiment.7 WZ erzählt gern von seiner frühen Begeisterung für die klassische Musik, vermittelt insbesondere von der Mutter. Der kleine Wolfgang „war ein musikalisches Kind und liebte das Violinkonzert von Mendelssohn, das er sich auf dem für damalige Verhältnisse sehr guten Elektrogrammophon der Mutter wieder und wieder vorspielte. Er nahm es dem Regime übel, dass dieses Konzert und andere Werke des großen Felix nicht aufgeführt werden durften. Nicht zuletzt deshalb blieb ihm jede innere und äußere Annäherung an das System erspart.“8 Das System war das seit 1933 herrschende. Es gab Fahrten an die Ostsee mit dem eigenen Personenkraftwagen – und der Ahnung des Krieges, als die Rückfahrt im Sommer 1939 an Benzinmangel fast scheiterte. Ein Bruder fiel in den letzten Kriegstagen bei den Seelower Höhen an der Ostfront. Schließlich kam für ihn der Einberufungsbescheid zum Arbeitsdienst für Juli 1945 nach Posen. „Und nicht zuletzt deshalb empfand der 16-Jährige 1945 das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Einmarsch der Amerikaner als große Befreiung. Jüngere werden das Lebensgefühl der ersten Nachkriegszeit nur schwer nachvollziehen können, in der sich zur Empfindung der Befreiung von politischem Zwang und politischer Bevormundung die Hoffnung auf stetige Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gesellte.“9 1947 machte der junge Mann sein Abitur, zuvor eine Schreinerlehre zur Überbrückung. Für die amerikanische Besatzungsmacht war er zeitweise als Dolmetscher tätig. Dann zum Studieren, aber was? Zwei Favoriten vor dem „Jus“ galt es mit rationalem Kalkül zu überwinden. Das war die Medizin, die allerdings durch den älteren Bruder Nepomuk schon reserviert war. Medizinischen Themen ist WZ freilich über alle Jahre treu geblieben; wenn man so will: nicht nur Schönfelder, sondern auch Pschyrembel.10 Und es war vor allem die klassische Musik, denn Dirigent in einer Philharmonie, das – so WZ – wäre schlicht ein Lebenstraum. Gewählt wurde schließlich das Studium der Rechtswissenschaft an der Münchener Universität. Mit glänzendem Erfolg: es stehen zu Buche zwei Bayerische Staatsexamina 1952 und 1955 jeweils mit dem raren „gut“. Zwischen dem ersten und zweiten 7 Krejci, Wolfgang Zöllner zum 75. Geburtstag (2004), S. 53 ff. (Broschüre Manz-Verlag, Wien). 8 Zöllner, AG 2009, 259. 9 AaO. 10 Krejci (Fn. 7), S. 57 ff.: „Das Kurpfuschen macht ihm Vergnügen“.

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Examen erfolgte die Promotion bei Alfred Hueck11 über „Stammkapital und Geschäftsanteil bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH“.12 Diese Arbeit ist leider nur maschinenschriftlich vervielfältigt. Die Zeiten, dass gute Dissertationen in renommierten Verlagsreihen erscheinen,13 hatten damals noch nicht begonnen. Wieder stand der frischgebackene promovierte Assessor WZ vor der Frage: was tun? Nach ganz kurzer Tätigkeit bei einem Industrieverband entschied er sich 1956 für die wissenschaftliche Laufbahn, die er als wissenschaftlicher Assistent an der Universität München begann. Die 50er Jahre also als prägende Zeit: „Der Schwung der Aufbaujahre hat noch den 1960 mit 31 Jahren habilitierten Privatdozenten14 WZ beflügelt; er hatte den festen Glauben, dass es möglich sein würde, eine sinnvolle Ordnung der menschlichen Gesellschaft durch Recht sicherzustellen.“15 Die Entscheidung für die Universität, damals wie heute eine bedeutende Weichenstellung, erwies sich als Erfolg, und zwar nicht nur für Zöllner selbst, sondern, wie rückblickend festgestellt werden kann, für die Fortentwicklung seines Fachs, der Wissenschaft vom Privatrecht.16 Als Dozent in Lehrstuhlvertretungen machte sich Zöllner rasch einen Namen. Denselben Nachnamen trägt seit 1963 seine Frau Ursula, ebenfalls Juristin, die er in den Münchener Assistentenjahren kennen gelernt hat. 1963 wurde Zöllner zum ordentlichen Professor an der Universität Mainz ernannt, nach Ablehnung eines gleichzeitig erhaltenen Rufs an die renommierte Universität Marburg, was durchaus Stirnrunzeln bei dem Establishment (ein Wort, das freilich erst fünf Jahre später in Mode kam) hervorrief – und die Eigenwilligkeit des Zöllner’schen Charakters zeigte. Bald darauf erging der zweite Ruf: dieses Mal an die Universität zu Köln, die ihm die Nachfolge des angesehenen, als Hochschullehrer und als Präsident des BAG gleichermaßen bekannten Hans-Carl Nipperdey anbot. Diesem Ruf folgte Zöllner im Jahre 1966, wobei er auch die berühmt-berüchtigte Doktorandenkartei übernahm.17 11 Zöllner, Alfred Hueck – Rechtslehrer in Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bundesrepublik, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 131, 132. 12 Zöllner, Stammkapital und Gesellschaftsanteil bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH (1953). 13 Zöllner hat (zusammen mit G. Hueck und Lutter) im Jahr 1970 die „Abhandlungen zum deutschen und europäischen Handels- und Wirtschaftsrecht“ (Carl Heymanns Verlag) begründet; dort erscheinen überwiegend hoch bewertete Dissertationen. 14 Dazu unten S. 83 ff. 15 Zöllner, AG 2009, 259. 16 H. P. Westermann, Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag, NJW 1999, 38–39. 17 Adomeit, Hans Carl Nipperdey als Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 149, 163.

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Im Jahr 1969 ereilte ihn der Ruf nach Tübingen (Nachfolge Erich Fechner), wo er bis zu seiner Emeritierung am Ende des Wintersemesters 1997 einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht innehatte und dem Institut für Arbeits- und Sozialrecht als geschäftsführender Direktor vorstand. Nicht zu vergessen ist dazwischen der Ruf nach Salzburg, den er 1967 erhielt und wohl nur sehr schweren Herzens ablehnte, gilt doch der Mozartstadt seine gar nicht heimliche, sondern offen erklärte Liebe. Hingegen hat sich WZ offenbar in Köln nie recht wohl gefühlt; Kölscher Klüngel war seine Sache jedenfalls nicht. Die akademische Vita von WZ hat demnach zwei Teile: die Bildungs- und Wanderjahre in München, Mainz, Köln und die bis heute andauernde Tübinger Zeit. Dort war er in den siebziger Jahren Dekan und zeitweilig Direktor der juristischen Fachbibliothek. WZ gehörte dem Großen Senat der Tübinger Universität an, sein Wort hatte Gewicht, aber Spitzenposten mochte er nicht anstreben. Überhaupt hielt sich WZ von hochschulpolitischem Funktionärstum zurück. „Wenn einer heute von der Universitätsreform anfängt, dann rufe ich Feurio“ soll er die Gäste seiner professoral zusammengesetzten Silvesterfeier einmal gewarnt haben. Publizistisch ist er zu Ausbildungs- und Universitätsfragen18 nur ausnahmsweise und kurz vor der Emeritierung hervorgetreten, obwohl ihn Fragen der (nicht nur) juristischen Bildung immer interessiert haben. Als Fachgutachter war er für die DFG tätig (1973–1981), aber das ist harte Arbeit und taugt kaum für die öffentliche Wahrnehmung. WZ hat sich sehr für den Aufbau der Juristischen Fakultät in Dresden zu Beginn der neunziger Jahre engagiert. Er war dort viele Male zu Vorlesungen und Berufungsberatungen, und das alles neben dem regulären Lehrbetrieb an der Heimatuniversität. Die Fakultät und deren Angehörige sind ihm ans Herz gewachsen. Umso mehr muss es ihn verbittert haben, dass im Jahr 2003 das „Aus“ für die Fakultät beschlossen wurde.19 12 Jahre lang ist er als erster und zweiter Vorsitzender der Zivilrechtslehrervereinigung tätig gewesen (1976–1988). Wen man aus diesem Kreise hört, der bekräftigt, dass er den Verein deutschsprachiger Rechtsprofessoren während seiner Amtsdauer wesentlich geprägt hat. Nach seiner Emeritierung mit 68 Jahren war WZ weiter aktiv: seinen Lehrstuhl hat er noch zwei Jahre selbst vertreten und vor allem Vorlesungen und Aktivitäten an der Wirtschaftsuniversität in Wien bis in das deutlich vorgerückte Alter wahrgenommen. Die Universität Athen verlieh ihm 2001 die Würde eines Ehrendoktors.

18 Zöllner, Einheit der Universität, in: Universität Tübingen (Hrsg.), Wohin geht die Hochschulmedizin?, Attempto (Forum der Universität Tübingen), Okt. 1996 (1996), S. 4 f.; ders., Universität der Zukunft, Tübinger Universitätsreden, Neue Folge, Bd. 22 (1996). 19 Genauer: Staatsexamensausbildung dort nicht mehr angeboten wird.

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Zum 70. Geburtstag hat ihm die akademische Gemeinschaft eine Festschrift überreicht.20 In zwei Bänden haben es 72 Autoren unternommen, das Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht sowie das Arbeitsrecht mit Beiträgen zu bereichern, um den strengen Jubilar zum Nachdenken und/ oder Widerspruch zu veranlassen. Der 75. Geburtstag wurde in Köln mit einem wissenschaftlichen Symposion gefeiert,21 dem 80. war das bereits erwähnte Fakultätssymposion in Tübingen gewidmet.22

II. Werk 1. Zivilrecht Wolfgang Zöllner hat zwar kaum zu den zentralen Gebieten des Bürgerlichen Rechts dogmatische Abhandlungen publiziert – und doch ist er ein großer Zivilrechtler, weil er den Kern des Rechtsgebiets herausgeschält und kämpferisch verteidigt hat. a) Privatrechtsgesellschaft – die politische Rolle des Privatrechts Das Hauptanliegen Zöllners ist die Privatrechtsgesellschaft.23 Unter diesem auf Franz Böhm zurückgehenden Begriff versteht Zöllner eine Gesellschaft, die ihre Angelegenheiten tunlichst unmittelbar selbst regelt, indem die zwischen ihren Mitgliedern geltenden Regeln von diesen entweder selbst erzeugt oder doch von ihnen in Geltung gesetzt werden. Nach Zöllner würde dem Begriff nicht genügt, wenn die Gesellschaft nur die Freiheit, ob man einen Vertrag schließen will, die so genannte Abschlussfreiheit, prästiere, sondern es bedürfe auch der Freiheit inhaltlicher Gestaltung, der Inhaltsfreiheit. Der Staat sei nicht das Primäre, das der Privatautonomie Raum gebe.

20 Festschrift für Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag (1998), herausgegeben von Lieb, Noack, Westermann. 21 Veranstaltet von Dauner-Lieb, H. Hanau, Noack; gefördert vom Carl Heymanns Verlag unter Leitung seines leider früh verstorbenen Verlegers Bertram Gallus; dazu Beiträge von Mülbert, Schön, Schulze-Osterloh, Böcking, Petersen und Simon in: Der Konzern 2004, 147–195. 22 Beiträge von Dauner-Lieb, Die Auswirkungen des MoMiG auf die Behandlung verdeckter Sacheinlagen im Aktienrecht, AG 2009, 217–227; Noack, Das Aktienrecht der Krise – das Aktienrecht in der Krise?, AG 2009, 227–236; K. Schmidt, Reflexionen über das Beschlussmängelrecht, AG 2009, 248–259; Westermann, Der Besondere Vertreter im Aktienrecht, AG 2009, 237–247. 23 Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetz- und Richterstaat (1996) (Schriftenreihe der Kölner Juristischen Gesellschaft Bd. 21); ders., Privatrecht und Gesellschaft, in: Riesenhuber (Hrsg): Privatrechtsgesellschaft – Entwicklung, Stand und Verfassung des Privatrechts (2007), S. 53–74.

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Das Primäre sei vielmehr die Gesellschaft, die ihre Angelegenheiten selbst regele, aber kraft Verfassung durch den Staat die Einengung dieses Raums erfahre. Die Rechtfertigungslast für Einengungen trage damit der Staat. Zu dieser Selbstbestimmung des Einzelnen gehört nach Zöllner auch, dass die Entfaltung des eigenen Tuns nicht von zu vielen einschränkenden Verhaltensregeln umstellt ist. Bewegungsfreiheit und nicht nur Selbstregelung sei für eine von den Prinzipien der Selbstverantwortung und Selbstbestimmung getragene Privatrechtsordnung konstitutiv. Gefährdungen sah WZ in mehrfacher Hinsicht. Insbesondere das Haftungsrecht hat es ihm angetan, weil es mittlerweile dahin laufe, dass jedem, der einen Schaden erleidet, dafür auch ein Gläubiger gefunden werden muss. Es fehle bei den vielen gut gemeinten Haftungsansätzen das Zuendedenken für den Gesamtzustand der Privatrechtsordnung. Die in den 60er und 70er Jahren aufkommende Privatautonomiekritik habe den Gesetzgeber zu einer großen Zahl von Schranken der Vertragsfreiheit ermutigt, die über die dafür klassischen Gebiete mit „Sozial-Touch“ wie Arbeits- und Mietrecht weit hinausgreifen. WZ nennt insbesondere das Verbraucherrecht. Das Privatrecht gerate in den Sog eines sich auf immer breiterer Front etablierenden wohlfahrtstaatlichen Systems. Zwar sei es gewiss nicht das Anliegen des Privatrechts, gegen den Wohlfahrtsstaat schlechthin anzutreten – aber es wird von WZ bestritten, dass dieser Staatszweck sich des Privatrechts soll bedienen dürfen. Ein von ihm immer wieder genanntes Beispiel aus dem Arbeitsrecht zeigt, wie Zöllner die Aufgabenverteilung sieht. Es sei höchst wünschenswert, dass schwangere Arbeitnehmerinnen während der Zeit des Mutterschutzes entgeltartige Leistungen erhalten. Dass diese Leistungen dem jeweiligen Arbeitgeber obliegen, dafür gebe es aus dem Gesichtspunkt der Austauschgerechtigkeit keinen plausiblen Grund. Die oft höchst zufällige Belastung sei nicht dem Vertragspartner, sondern ihrem Sinn nach der gesamten Gesellschaft aufzuerlegen. Ins Allgemeine gewendet: Der moderne Sozialstaat möge Leistungen nicht durch Korrektur der durch aus Marktwirtschaft und Privatrecht sich ergebenden Primärverteilung, sondern im Wege sekundärer Umverteilung mittels Transferleistungen aus öffentlichen Kassen bewirken.24 Seit jeher hat er sich gegen die populäre Vorstellung gewandt, Verträge könnten nur dann gelten, wenn zwischen den Parteien ein „Gleichgewicht“ herrscht. „Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht“25 hieß sein Vortrag 1995 bei der Heidelberger Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung, dessen unmittelbarer Anlass die Bürgschaftsentscheidungen von BGH und

24 25

Zöllner, Die politische Rolle des Privatrechts, JuS 1988, 329, 336. Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1–36.

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BVerfG26 waren. Das Verfassungsgericht hat eine die Vertragsfreiheit unmittelbar beschränkende Wirkung der Grundrechte und vor allem ausgerechnet des Art. 2 I GG eröffnet. Der damit verbundene Ruf nach dem Staat und dem staatlichen Richter als Korrektionsinstanz bringt – so WZ – ein neues obrigkeitsstaatliches Element in das Privatrecht. Zöllner ließ diesem politisch anmutenden Diktum eine subtile Analyse dessen folgen, was es mit den sogenannten Ungleichgewichtslagen auf sich hat und wie das Privatrecht damit umgeht. „Ungleichgewicht ist, ungeachtet dessen, dass viele Rechtstheoretiker und Rechtsanwender sie – unmittelbar zu Gott – fühlen oder konstatieren können, ein weder in seinen Voraussetzungen beschreibbarer noch messbarer Sachverhalt. … Unzutreffend ist, dass Privatautonomie Selbstbestimmung umfassend und ausnahmslos voraussetzt. Richtig ist nur, dass es ohne Privatautonomie keine Selbstbestimmung gibt, nicht aber umgekehrt.“ Grundrechte seien auf vertragliche Absprachen weder unmittelbar noch mittelbar anzuwenden. Zöllner hat nicht etwa in libertärer Weise den völligen Rückzug des Staates verlangt, sondern sich (lediglich aber immerhin) seine Einmischung in die Rechtsbeziehungen freier Bürger verbeten. Daher lässt sich auch nicht die politische Aussage treffen, welches „Sozialmodell“ er für das Richtige hält. Seine Konzeption eines autonomen Privatrechts wäre dem Grunde nach sowohl mit einem üppigen Transferstaat als auch mit einem bloßen Nachtwächterstaat vereinbar. Würde beispielsweise keinerlei „Mieterschutz“ durch staatliche Vorgaben für Mieterhöhungen, Kündigung und gar Anti-Diskriminierung etc. bestehen, so wäre dem Privatrechtsmodell vollauf genügt. Ob der Vermieter seines daraus resultierenden Einkommens froh wäre, entscheidet anschließend das öffentliche Recht der Besteuerung (etwa um Wohngeld verteilen zu können), worüber Zöllner nicht befunden hat und nach seinem Ansatz auch nicht befinden muss. Wie aus dem Vorstehenden ohne Weiteres ersichtlich wird, befindet sich Zöllner ganz und gar nicht in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist. Die von ihm in den achtziger Jahren konstatierten Einbrüche in das Grundkonzept27 eines den Namen verdienenden Privatrechts sind seither erheblich vertieft worden – und Anlass für das anfangs erwähnte resignierende Resümee des Achtzigjährigen.28

26

BVerfG, NJW 1994, 36–39 und BVerfG, NJW 1994, 2749–2750, BGH, NJW 2002, 2940–2943. 27 Zöllner, JuS 1988, 329, 331 ff. 28 Zöllner, AG 2009, 259, 260.

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b) Aufgabe der Privatrechtswissenschaft WZ konstatierte bei seinem Vortrag 1987 bei der Salzburger Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung,29 dass eine umfassende Privatrechtstheorie von hinreichender Stringenz derzeit nicht existiert (seither ist auch keine entwickelt worden). Doch genau dies sei der heutige Beruf der Privatrechtswissenschaft. Damit bezeichnet er nicht eine formale, die Rechtsmaterie abgrenzende, sondern eine materiale, auf die Rechtsinhalte bezogene Theorie von der Stellung des einzelnen gegenüber seinen Mitbürgern. Sie hätte die tragenden Prinzipien privatrechtlicher Ordnung und ihre Gründe herauszuarbeiten. Gerade die Privatrechtswissenschaft sei aufgerufen, anhand einer solchen Theorie auf die innere Konsistenz der Privatrechtsordnung zu achten. Als Grundansatz gibt WZ an, dass es um den Bürger als Person, als zur Selbstverantwortung und -bestimmung fähiges und williges Wesen zu gehen hat. Dazu gehöre auch, sich frei entscheiden zu können, ohne Gründe abwägen oder darlegen zu müssen, solange sich die Person nicht anderen gegenüber gebunden hat oder aus besonderen Gründen in eine Pflichtenstellung gerät. Zwar könne man damit nicht das gesamte Privatrecht erklären, aber immerhin doch eine so grundlegende Figur wie die des subjektiven Rechts. Ihm liegt die Idee zugrunde, dass der Einzelne seine Befugnisse nicht zu sozialen Zwecken, sondern zur Verfolgung eigener Zwecke nach eigener Einsicht hat. Eine selbstkritische Anspielung: „Jeder von uns empfindet freilich, sobald er einmal die Phase begeisterter Schrankenaufstellung30 durchlaufen hat, sehr hautnah die Schwierigkeit der Beurteilung, welche Schranken der Privatautonomie sinnvoll oder akzeptabel sind und welche nicht.“31 Für das Privatrecht mit Stand Mitte der achtziger Jahre stellte er fünf kritische Entwicklungslinien fest, die auch ein Vierteljahrhundert später anzutreffen sind: (1) Ausziselierung der Dogmatik; (2) Überhandnehmen der Kasuistik; (3) Steigerung der Spezialisierung (4) Abdriften der Sonderprivatrechte; (5) fortschreitende Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Sieht man Produkte des europäischen und deutschen Gesetzgebers wie insbesondere das euphemistisch so genannte „Anti-Diskriminierungsgesetz“, dann kann man mehr als nur erahnen, wie diese Art von zusehends radikaler Abwendung von dem vorstehend skizzierten Leitbild eines selbstverantwortlichen Bürgers den Kämpfer für eine Privatrechtsgesellschaft getroffen haben muss. Ernsthaften Widerstand aus der akademischen Zunft der hauptamtlich aktiven Kollegen gegen diesen Trend wird man nicht feststellen können. Eher ein sich fügendes Schulterzucken: das Gegenteil dessen, was in solchen Fragen für WZ das Gebot des Handelns ist. 29 Zöllner, Zivilrechtswissenschaft und Zivilrecht im ausgehenden 20. Jahrhundert, AcP 188 (1988), 85–100. 30 S. bei Seite 84. 31 Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 99.

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2. Arbeitsrecht Zöllner hat viel Kraft für eine systematische Stoffdurchdringung im Arbeitsrecht aufgewandt, ein Rechtsgebiet, das schon durch die Hinzufügungen „individuelles“ und „kollektives“ insoweit Schwierigkeiten erahnen lässt. 1978 erschien im Verlag C. H. Beck die erste Auflage seines Lehrbuchs „Arbeitsrecht“, das er bis heute in der 2008 erschienenen 6. Aufl. fortführt (seit der 4. Aufl. mit dem Mitautor Loritz und jetzt auch mit Hergenröder). Das Buch ist mit seinen 621 Seiten gewiss kein „Kurz-Lehrbuch“, als welches es der Verlag einordnet. Es soll auch kein solches sein, sondern eine äußerst gediegene, immer wieder die Strukturen dieses von zersplitterter Gesetzgebung (es gibt trotz mehrfacher Anläufe kein Arbeitsgesetzbuch) und schillernder Rechtsprechung geprägten Gebiets hervorhebende Gesamtdarstellung. Ein typisches Diktum von WZ ist im Vorwort zu lesen: Jede zwingende Vorgabe von Arbeitsbedingungen sei auf ihre soziale Notwendigkeit und ökonomische Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Einerseits den Blick dafür zu schärfen, andererseits aber die Anliegen der Gerechtigkeit (sic!) nicht aus den Augen zu verlieren sei ein wichtiges Ziel arbeitsrechtlicher Ausbildung. Die intensive Beschäftigung mit dem Arbeitsrecht stand am Anfang seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Universitätsmitarbeiter und junger Professor. Das Schriftenverzeichnis nennt als zweite selbstständige Schrift nach der Dissertation eine Abhandlung über das „Weisungsrecht des Arbeitsgebers“, ein Forschungsauftrag des Bundesarbeitsministeriums (bemerkenswert für einen 26-Jährigen). Der erste kurze Aufsatz 1957 galt einem heute noch virulenten Thema: „Das Rauchverbot“32, dessen allgemeine Ausweitung seinerzeit unvorstellbar war; WZ behandelte das Verbot am Arbeitsplatz. Dann wird es ernst. Für die sechziger Jahre lässt sich eine klare Schwerpunktbildung ausmachen. Das Tarifrecht hatte es dem Vorwärtsstürmenden angetan, das „Wesen der Tarifnormen“33 wollte er ergründen und er stellte die Frage nach der „Gemeinwohlgebundenheit der Tarifautonomie“34. Für den 48. Deutschen Juristentag 1970 hat WZ das Gutachten zu der Frage verfasst, ob es sich empfehle, das Recht der Gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien gesetzlich näher zu regeln. Seine Antwort: für den gegenwärti32

Zöllner, Das Rauchverbot, DB 1957, 117–120. Zöllner, Das Wesen der Tarifnormen, RdA 1964, 443–450; s. auch ders., Tarifmacht und Außenseiter, RdA 1962, 453–459; ders., Die Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, DB 1967, 334–340; ders., Die Wirkung der Normen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, RdA 1967, 361–370 und ders., Der Begriff der gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, BB 1968, 597–601 (jew. zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien); ders., Der Abbau einheitsvertraglicher Arbeitsbedingungen im nicht tariflich gesicherten Bereich, RdA 1969, 250–256. Monographisch: ders., Die Rechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht (1966); ders., Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln (1967). 34 Zöllner, Gemeinwohlgebundenheit der Tarifautonomie, ArbGeb 1969, 454–456. 33

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gen Zeitpunkt ein klares Nein.35 Die siebziger Jahre sehen einen überaus engagierten WZ, der sich nun vermehrt dem Arbeitskampfrecht widmet,36 beginnend mit einem Beitrag zur Zulässigkeit neuer Arbeitskampfformen37 in der Festschrift für Bötticher 38. Dazu war auch Anlass, da in den frühen siebziger Jahren die IG Metall (insbesondere in der Südwestecke der Republik) und ÖTV (Müllmänner, Fluglotsen) erhebliche Arbeitskampfintensität entwickelten und die Arbeitgeber mit breiter Aussperrung reagierten. Das Mitbestimmungsrecht bildete den zweiten Schwerpunkt in diesem Jahrzehnt. Zur Erinnerung: das (fast)paritätische MitbestG wurde 1976 verabschiedet. Der SPIEGEL hatte ein Foto Zöllners mit der Unterschrift „Mitbestimmungsgegner“ gedruckt, was ihn einerseits belustigt, andererseits aber auch betroffen gemacht hat. Er war und ist diesem Mitbestimmungsregime gegenüber kritisch eingestellt, aber einer Abschaffung redet er auch nicht das Wort, sieht vielmehr – auch hier – den Karren wohl als verfahren an. „Paritätische Mitbestimmung und Art. 9 III GG“ lautete der Titel einer Schrift, mit dem das Autorenduo Zöllner und Seiter 39 früh (1970) und unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel in das Geschehen eingriffen.40 Weitere Aufsatzpublikationen behandelten die Umsetzungsaspekte, auch das typisch für WZ: Er zog sich nicht trotzig in den Turm zurück, weil der Gesetzgeber der siebziger Jahre anders entschied, sondern ging sogleich daran, die rechtspraktischen Konsequenzen auszuloten; beispielhaft nenne ich den Beitrag über „Das Teilnahmerecht der AR-Mitglieder an Beschlussfassungen der Gesellschafter bei der mitbestimmten GmbH“ in der Festschrift für Robert Fischer (den ehemaligen BGH-Präsidenten).41 35 Zöllner, Empfiehlt es sich, das Recht der Gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (§ 4 Abs. 2 TVG) gesetzlich näher zu regeln?, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 48. DJT (1970), Bd. I, G 108. 36 Zöllner, Aussperrung und arbeitskampfrechtliche Parität (1974); ders., Maßregelungsverbote und sonstige tarifliche Nebenfolgenklauseln nach Arbeitskämpfen (1977); ferner ders., Über einige extreme Thesen zum Arbeitskampfrecht, ZfA 1973, 227–242; ders., Die Fortentwicklung des Richterrechts zum Arbeitskampf, insbesondere zur Aussperrung, DB 1985, 2450–2459. 37 Auch bei größter Fantasie wäre der „Flashmob“ (BAG v. 22.9.2009) nicht zu erahnen gewesen. 38 Zöllner, Die Zulässigkeit neuer Arbeitskampfreformen, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), Festschrift für Eduard Bötticher zum 70. Geburtstag am 29. Dezember (1969), S. 427–442. 39 Damals sein Habilitand, später Professor an der FU Berlin (bis zu seinem frühen Tod 1988). S. auch Zöllner, Einführung, in: Lieb (Hrsg.), Arbeitskampfrecht: Symposium Hugo Seiter zum Gedächtnis (1990), S. 11–20. 40 Auch Zöllner, Paritätische Mitbestimmung und Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz, ZfA 1970, 97–158. 41 Zöllner, Das Teilnahmerecht der Aufsichtsratsmitglieder an Beschlussfassungen der Gesellschafter bei der mitbestimmten GmbH, in: Lutter/Stimpel/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer (1979), S. 905–922; ferner ders., Zur Problematik der Auswahl und Bestellung des Arbeitsdirektors nach dem Mitbestimmungsgesetz, DB 1976, 1766–1771;

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Der Deutsche Juristentag hat – ungewöhnlich – WZ bald noch einmal als Gutachter in Anspruch genommen und ihn zur Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen befragt.42 Die von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden lautstark dominierten arbeitsrechtlichen Verhandlungen des Juristentages haben Zöllner das Agieren auf diesem Felde schließlich verleidet.43 Mit dem Vortrag „Privatautonomie und Arbeitsverhältnis“44 bei der Zivilrechtslehrertagung 1975 eröffnete sich früh der gesamthafte Blick auf eine bedenkliche Entwicklung des Rechtsgebiets Arbeitsrecht. Er bekannte, dass ihm die Auseinandersetzung mit dem Grundproblem „unendlich viel schwerer gefallen ist als ein Traktat über dogmatische Einzelfragen“. Es gehe um das Verhältnis der wichtigsten Denkform des Zivilrechts überhaupt zum Arbeitsrecht, nämlich darum, inwieweit die Rechtsordnung dem Vertrag im Arbeitsverhältnis Funktionsraum belässt. Sein Fazit lautete, dass nicht mit ausreichendem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit behauptet werden kann, die Parität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei typischerweise gestört. Daraus folgt seine Ablehnung der „seit einigen Jahren ausgebrochenen Kontrollhektik“ und das Plädoyer für eine Öffnung hin zu mehr Privatautonomie im Arbeitsverhältnis. In diesem Beitrag ist im Grunde auch seine rechtsgrundsätzliche Position zu den späteren Entwicklungen gezeichnet (Stichworte „Ungleichgewicht, Richtigkeitsgewähr“).45 Der parteipolitisch stets Neutrale46 hat die politische Implikation des Arbeitsrechts früh erfasst 47 und dessen marktwirtschaftliche Funktionen immer wieder betont.48 Ordnungspolitisch wird man ihn als Anhänger der sozialen Marktwirtschaft bezeichnen dürfen.

ders., GmbH und GmbH & Co KG in der Mitbestimmung, ZGR 1977, 319–334; ders., Die Stellung des Arbeitnehmers in Betrieb und Unternehmen, in: Gamillscheg (Hrsg.), Festschrift 25 Jahre Bundesarbeitsgericht (1979), S. 745–771; übergreifend auch ders., Der Mitbestimmungsgedanke und die Entwicklung des Kapitalgesellschaftsrechts, AG 1981, 13–21. S. auch die von Zöllner für „Baumbach/Hueck“ erstellte Erläuterung des § 52 GmbHG. 42 Zöllner, Sind im Interesse einer gerechteren Verteilung der Arbeitsplätze Begründung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse neu zu regeln?, in: Ständige Deputation des Deutsches Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 52. DJT (1978), Bd. I, Gutachten D. 43 Zöllner, Juristentag wohin?, JZ 1978, 714–716. 44 Zöllner, Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976), 221–246. 45 S. bei S. 77 f. 46 Zöllner, Recht und Politik. Zur politischen Dimension der Rechtsanwendung, in: Gernhuber (Hrsg.), Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen (1977), S. 131–158. 47 Zöllner, Arbeitsrecht und Politik, DB 1970, 54–62. 48 Zöllner, Arbeitsrecht und Marktwirtschaft, ZfA 1994, 423–437; ders., Flexibilisierung des Arbeitsrechts, ZfA 1988, 265–291; ders., Entwicklungschancen für das Arbeitsrecht beim Neuaufbau marktwirtschaftlicher Ordnung erläutert an der Problematik des deut-

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Ein vorläufiges Resümee zog er schließlich in einem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „40 Jahre Grundgesetz“ in Tübingen, in welchem er den „kritischen Weg des Arbeitsrechts zwischen Privatkapitalismus und Sozialstaat“49 beleuchtete. Er sah die privatrechtliche Austauschgerechtigkeit durch überbordenden Sozialschutz verfehlt und illustrierte das an dem Beispiel der 6-wöchigen Lohnfortzahlung auch ohne Ansehung der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Sein Zwischenfazit vor gut zwanzig Jahren: „Die Bundesrepublik ist in die Jahre gekommen. … Die von mir herausgestellte Kritik des Arbeitsrechts kann helfen, auf diesem Feld abwerfbaren Ballast zu erkennen. Es wäre freilich eine Fehlvorstellung zu glauben, dass auf arbeitsrechtlichen Schutz verzichtet werden kann. Eine Rückkehr in frühkapitalistische Zeiten kann kein Vernünftiger anstreben. … Hätten wir nur die Hälfte von jenem Optimismus und jenem Glauben an die Freiheit, die für den Beginn unserer Republik prägend waren, wir würden dann auch darauf vertrauen, dass mit der Befreiung aus der Erstarrung sich nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch mehr Wohlstand für alle einstellt.“ Zusammen mit Ernst-Günther Mager hat er die Zeitschrift für Arbeitsrecht (ZfA) zu einer renommierten Archivzeitschrift entwickelt, die für ihr Gebiet in einer Reihe mit AcP oder ZHR zu nennen ist. Das Lehrstück, das junge Arbeitsrechtler mit Universitätsambition dort abzuliefern hatten, bestand in einem kritischen Report über das Schrifttum oder die Rechtsprechung eines Jahres. Im Wiesbadener Seminar, einem feinen Einladungs-Expertenzirkel des Arbeitsrechts (begründet von Götz Hueck, fortgeführt von Reinhard Richardi), zählt WZ nicht nur zu den Dauerteilnehmern, sondern an ihm liegt es, die Diskussion mit dem ersten Beitrag zu eröffnen. In den neunziger Jahren beteiligte er sich federführend an einem Hochschullehrer-Arbeitskreis „Flexibilisierung des Arbeitsrechts“50, der aber soweit ersichtlich ohne greifbare Resultate blieb. 3. Gesellschaftsrecht Ein zentraler Ausweis des deutschen Rechtswissenschaftlers ist die Habilitation durch eine große Qualifikationsschrift. So klassisch sieht es Wolfgang Zöllner, er hat dies immer wieder, etwa in Berufungskommissionen, betont. Dazu passt natürlich gut, dass WZ im Jahr 1963 eine herausragende Habilitationsarbeit publiziert hat über „Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmschen Arbeitsrechts, in: György (Hrsg.), Festschrift für Tamás Prugberger (1997), S. 461– 468. 49 Zöllner, Der kritische Weg des Arbeitsrechts zwischen Privatkapitalismus und Sozialstaat, NJW 1990, 1–8. 50 Programmatisch dazu Zöllner, Flexibilisierung des Arbeitsrechts, ZfA 1988, 265–291.

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rechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden“. Die Referenten der Arbeit waren in München Alfred Hueck und Rolf Dietz. Das Werk unternimmt es, das System der gesetzlichen und durch privatautonome Gestaltung möglichen Stimmrechtsschranken sichtbar zu machen und die dafür im privaten Verbandsrecht maßgebenden Prinzipien einer zusammenfassenden Betrachtung zu unterziehen. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Im Kern geht es darum, Macht zu domestizieren. Zwar war schon vor dem Erscheinen der Zöllner’schen Schrift das Prinzip „Mehrheit ist Mehrheit“ nicht mehr voll gültig, sondern es gab starre Begrenzungsmittel für deren Durchregieren (z. B. Stimmverbote bei bestimmten Tatbeständen). Zöllners Anliegen und Leistung war, von ihm so genannte „bewegliche Schranken“ aus dem Gesamtsystem zu destillieren: Bindung an die guten Sitten; Grundsatz der Gleichbehandlung; Bindung an den Gesellschaftszweck; Bindung durch die Treupflicht. Damit setzte Zöllner in einer Zeit einen Kontrapunkt, als man von Treubindung und rechtsethischen Anforderungen an die Ausübung von Mehrheitsmacht noch nicht viel wissen wollte. Der damalige „Mainstream“ lag deutlich quer zur Lehre des jungen Privatdozenten. Die Schrift besteht aus drei Teilen. Zuerst erfolgt eine umfängliche Analyse der Interessenlagen, wobei insbesondere das so genannte Unternehmensinteresse keine gute Note davonträgt. Das Unternehmen sei weder rechtlich noch soziologisch als Interessenträger geeignet. Die vorgegebenen Interessenträger (Gesellschafter, Gläubiger, Arbeitnehmer, Allgemeinheit) verbinden je nach Sachlage damit ganz unterschiedliche (z. B. sofortige Schließung, möglichst lang hinausgeschobene Schließung, hohe Löhne, niedrigere Löhne, lange Arbeitszeit, kurze Arbeitszeit). Demgegenüber wird festgestellt, dass das von der Gesellschaft mittels des von ihr betriebenen Unternehmens zu verfolgende Interesse durch den in der Satzung bestimmten Gesellschaftszweck geformt ist. Entscheidend sei daher das Gesellschaftsinteresse (als Kehrseite des Gesellschaftszwecks), das typischerweise auf Erzielung von Gewinn mittels Wertschöpfung durch das Unternehmen, genauer auf Wertsteigerung des Unternehmens geht. Ich habe das so ausführlich gebracht, weil in der heutigen Diskussion zuweilen gefordert wird, dem Vorstand durch Ergänzung von § 76 AktG vorzugeben, dass er dem „Gemeinwohl“ verpflichtet sei. Der Hauptteil des Werkes ist die bereits eingangs geschilderte Untersuchung und Festlegung der Schranken. Kurz gefasst kann man rückblickend sagen, dass hier eine Grundlegung dessen erfolgte, was man fortan unter dem Stichwort „Treubindung im Gesellschaftsrecht“ verstand. Im dritten Abschnitt werden einige Konsequenzen für das Beschlussrecht, insbesondere auch für die Geltendmachung von Mängeln durch Klagen, gezogen, etwa die Kombination der vernichtenden Anfechtungsklage mit der positiven Feststellungsklage bei treuwidrig ablehnendem Beschluss. In der Festschrift für Lutter kann man aus der Feder von WZ die Konzeption und deren Fort-

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schreibung in vier Jahrzehnten noch einmal nachlesen.51 Als weiteres Beispiel sei die Frage genannt, ob es bei Fehlern im Beschlussverfahren darauf ankommt, ob die Mehrheit wohl anders entschieden hätte (Kausalität) oder ob die Bedeutung der Norm in Ansehung der Minderheitsinteressen (Relevanz) entscheidet. Der BGH hat sich vor einigen Jahren ausdrücklich Zöllners Relevanzlehre angeschlossen.52 Mit Zöllners akademischer Laufbahn ging es stetig bergan (s. o. S. 72 ff.), aber die wissenschaftliche und mit Blick auf die Gerichte rechtspraktische Rezeption ließ doch auf sich warten. Die sechziger und weithin auch die siebziger Jahre erlebte das Werk eher als ein Mauerblümchen. Dann änderte sich die einschlägige Großwetterlage. Der BGH bezog sich in Judikaten zum Beschlussrecht, zur Beschlusskontrolle, zum Gesellschaftsinteresse, zur Treubindung in AG und GmbH auf diese Abhandlung aus den frühen sechziger Jahren. WZ war keiner, der auf bloße Richterakzeptanz schielte und die Urteile sogleich danach durchsah, ob er wohl positiv zitiert wurde. Doch hat es ihm „selbstverständlich“ (eine seiner Lieblingsvokabeln) gefallen, dass die Rezeption seiner Arbeit nun in Gang kam – und bis heute anhält.53 Die komplexen Streitfragen der Willensbildung und der Beschlusskontrolle in privatrechtlichen Gesellschaften haben WZ immer wieder beschäftigt. Dazu nahm er in einer Fülle von Aufsätzen und Vorträgen Stellung, die hier im Einzelnen nicht gewürdigt werden können. Ferner erläuterte er die Normen des Beschluss(mängel)rechts sowie des Satzungsrechts im Kölner Kommentar zum Aktienrecht und im Baumbach/Hueck (GmbHG). Hervorgehoben sei lediglich der letzte Beitrag, den Zöllner für eine Festschrift verfasst hat. In der FS Westermann (2008)54 ging er mit dem Gesetzgeber hart ins Gericht („legislatives Unrecht“), weil dieser das Freigabeverfahren (§ 246a AktG) so konzipiert hat, dass es die Anfechtungsbefugnis des einzelnen Aktionärs konterkariert. Der Schwerpunkt des wissenschaftlichen Schaffens Zöllners lag aufs Ganze betrachtet deutlich bei den Kapitalgesellschaften, weniger im Recht der Personengesellschaften. Und doch ist WZ hier in den neunziger Jahren durch die von ihm kräftig zugespitzte Ablehnung des Konzepts einer BGBGesellschaft als rechtsfähiger Einheit hervorgetreten.55 Er beharrt gegen 51

Zöllner, Beschluss, Beschlussergebnis und Beschlussergebnisfeststellung, in: Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag (2000), S. 821–831. 52 BGHZ 160, 385 – Thyssen-Krupp. 53 Die Anregung an den Verlag C.H. Beck, das Werk bei Beck-Online allgemein zugänglich zu machen, sei hiermit wiederholt. 54 Zöllner, Evaluation des Freigabeverfahrens, in: Aderhold/Grunewald/Klingberg (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag (2008), S. 1631–1647. 55 Zöllner, Rechtssubjektivität von Personengesellschaften, in: Lange/Nörr/H. P. Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag (1993), S. 563–578; ders., Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft, in: Hönn/Konzen/Kreutz (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70.Geburtstag (1998), S. 701–718.

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BGH56 und die mittlerweile ganz herrschende Lehre auf der traditionellen Sichtweise, welche die Gesellschaft als Gesamthand und die Gesellschafter als darin verbundene Rechtsadressaten sieht. Zöllner hat sich eingehend mit konzernrechtlichen Fragen befasst. Ausgangspunkt war der Einführungsaufsatz zum neuen Konzernrecht des AktG 196557 und vorläufiger Endpunkt die Neubearbeitung des GmbH-Konzernrechts für die Ende 2009 erschienene 19. Auflage des GmbH-Kommentars Baumbach/Hueck. Für den Deutschen Juristentag war er insoweit ein drittes Mal tätig: 1992 als Referent zur Regelung des Rechts faktischer Unternehmensverbindungen.58 Die mitgliedschaftliche Bindung ist ihm der richtige Ansatzpunkt für konzernrechtliche Pflichten und Schranken. Die Entfaltung des Gedankens, dass an die Treubindung angeknüpft und deren Inhalt und Ausmaß konzernspezifisch bestimmt werden müsse, hat er im Baumbach/ Hueck für das dafür besonders empfängliche GmbH-Recht vorgenommen, das bekanntlich keine gesetzliche Konzernregelung kennt. Dass auch ein „treupflichtgesteuertes Aktienrecht“ möglich ist, hat er in einem Aufsatz für die ZHR gezeigt.59 In der besonders eifrig diskutierten Frage nach der Haftung des herrschenden Gesellschafters gegenüber Gläubigern beharrt er auf einem konzernrechtlichen Haftungskonzept, dessen Ursprung dem Arbeitskreis GmbH-Reform des Jahres 197260 zugeschrieben wird. Der BGH hat diesen Ansatz zunächst übernommen und zugespitzt 61, dann zugunsten einer zuletzt auf § 826 BGB gestützten Haftung62 wegen Insolvenzverursachung63 aufgegeben. Zöllner ist der Auffassung, auch wenn ein Bedürfnis für die neuere Haftungsfigur bestehe,64 sei das Bedürfnis für die Haftung im qualifizierten Konzern nicht entfallen. Ihre Verabschiedung habe leider der Rechtswelt signalisiert, dass die schädigenden Verhaltensweisen im qualifizierten Konzern solange in Ordnung seien, wie es nicht zur Insolvenz kommt. Da-

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BGHZ 146, 341. Zöllner, Einführung in das Konzernrecht, JuS 1968, 297–304. 58 Empfiehlt es sich das Recht faktischer Unternehmensverbindungen – auch im Hinblick auf das Recht anderer EG-Staaten – neu zu regeln?; in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 59. DJT (1992), Bd. II, R 35–R 56. 59 Zöllner, Treupflichtgesteuertes Aktienkonzernrecht, ZHR 162 (1998), 235–248. 60 Neben Zöllner waren beteiligt G. Hueck, Lutter, Mertens, E. Rehbinder, Ulmer, Wiedemann. 61 BGHZ 115, 187 – Video. 62 BGHZ 173, 246 – Trihotel. 63 Begriff nach Zöllner (Baumbach/Hueck [Hrsg.], GmbHG [19.Aufl. 2010], Anh. KonzernR Rn. 122), der die übliche Bezeichnung „Existenzvernichtungshaftung“ für sachlich falsch hält. 64 S. den Anstoß in dem Beitrag „Gläubigerschutz durch Gesellschafterhaftung bei der GmbH“ (in: Dauner-Lieb u. a. [Hrsg.], Festschrift für Horst Konzen zum 70. Geburtstag [2006], S. 999–1021). 57

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mit werde konzerninternem Unrecht gegenüber der Minderheit durch die normative (d. h. auch die richterrechtliche) Ordnung zu wenig entgegengetreten. Die Beschränkung auf die Haftung wegen Insolvenzverursachung wecke in Konzernleitungen die Vorstellung, mit abhängigen Unternehmen beliebig umspringen zu können, solange die Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern gedeckt werden.65 Ein Signal für die wissenschaftliche Verbundenheit mit praktischen Fragen ist oft, ob der Autor nicht nur seine materiell-rechtlichen Übungen bewältigt, sondern den Bezug auf das Prozessuale im Blick hat. Insbesondere die Bestätigung anfechtbarer HV-Beschlüsse und die verfahrensrechtlichen Konsequenzen haben WZ in mehreren Arbeiten beschäftigt.66 Prozessrechtliche Implikationen begleiten auch die „sogenannten Gesellschafterklagen im Kapitalgesellschaftsrecht“67. Weit über das Gesellschaftsrecht hinaus weist die in der AcP erschienene Grundlagenabhandlung über „Materielles Recht und Prozessrecht“.68 Zöllners Schaffen ist um eine konsistente Lösung der Rechtsfragen nach deutschem Recht bemüht. Das europäische Gesellschaftsrecht, insbesondere die Richtlinien, ist dabei Teil der Rechtsfindung, wie es dem normativen Stufenbau auch entspricht. Aber eine Überhöhung dieses „Europa-Ansatzes“, wie er zuweilen zu finden ist, lehnt WZ ab. Mit dem seit etwa 20 Jahren ausgreifenden Kapitalmarktrecht kann sich Zöllner nicht recht anfreunden. Er ist dem herkömmlichen Gedanken des mitgliedschaftlich begründeten Aktienvereins verbunden, wohingegen ihm die Ausrichtung des Korporationsgefüges auf vorgeblich internationale Kapitalmarktpostulate nicht geheuer ist. Stichwort: Ausschluss des Bezugsrechts. Wolfgang Zöllner griff energisch in die jüngste rechtspolitische Debatte um die GmbH-Reform ein, etwa als Vortragender bei der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung oder in einem Beitrag zu dem (von ihm bestrittenen) Wettbewerb der Rechtsformen in Europa69, dabei den „neurasthenischen Neuerern in der Professorenschaft“ eine Absage erteilend. 1965 gab es ein neues Aktiengesetz; ab 1970 erschien dazu unter der Herausgeberschaft Zöllners der Kölner Kommentar.70 WZ hat diesen Kom65

Baumbach/Hueck-Zöllner (Fn. 63), Anh. KonzernR Rn. 151, 153. Zöllner, Die Bestätigung anfechtbarer Hauptversammlungsbeschlüsse, ZZP 81 (1968), 135–157; ders., Bestätigung anfechtbarer Hauptversammlungsbeschlüsse während des Revisionsverfahrens, in: Beisse/Lutter/Närger (Hrsg.), Festschrift für Karl Beusch zum 68. Geburtstag (1993), S. 973–983; ders., Die Bestätigung von Hauptversammlungsbeschlüssen – ein problematisches Rechtsinstitut, AG 2004, 397–404. 67 Zöllner, Die sogenannten Gesellschafterklagen im Kapitalgesellschaftsrecht, ZGR 1988, 392–440. 68 Zöllner, Materielles Recht und Prozeßrecht, AcP 190 (1990), 471–495. 69 Zöllner, Konkurrenz für inländische Kapitalgesellschaften durch ausländische Rechtsträger, insbesondere durch die englische Private Limited Company, GmbHR 2006, 1, 11. 70 Köln ist Verlagsort (Carl Heymanns Verlag) und war Universitätsort Zöllners. 66

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mentar aufgebaut, ein überwiegend junges Autorenteam71 um sich geschart und sich mit Stil und Anspruch von den damals bestehenden Werken deutlich abgesetzt. Die 1. Auflage war ein großer Erfolg; die 1985 begonnene zweite Auflage ist unvollendet geblieben und wird zurzeit durch die 3. Auflage, die WZ zusammen mit mir herausgibt, überholt. Dass es sich um eine „Unvollendete“ handelt, wird WZ gewiss nicht freuen. Der Grund dafür ist einerseits objektiver Natur: Die Aktienrechtsreform in Permanenz72 hat für Großkommentare sehr schwierige Bedingungen gebracht73; aus subjektiver Sicht ist zu sagen, dass das vor über 40 Jahren gebildete Autorenteam früher hätte verstärkt oder verändert werden sollen. Der zweite Kommentar, an dem Zöllner wesentlich mitwirkt, ist der von Baumbach und A. Hueck begründete zum GmbH-Gesetz. In diesem Standardwerk hat er das Recht der Geschäftsführer, der Gesellschafterbeschlüsse, der Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen sowie das Konzernrecht erläutert. 4. Informationsrecht Was kaum wahrgenommen wird und daher besonderer Hervorhebung bedarf ist Zöllners frühe Intervention für eine freiheitliche Informationsordnung. Er ist heute wahrlich nicht als Experte oder auch nur Interessent für Rechtsfragen der modernen Informationstechnologien bekannt. Doch in den achtziger Jahren trat er mit wichtigen Beiträgen zu der damals unter Orwells Romantitel „1984“ entfachten Datenschutzdiskussion auf. Erinnert sei an das Volkszählungsurteil des BVerfG mit der Kreation eines neuen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Regelung der öffentlichen und privaten Datenverarbeitung,74 Datenschutz im Arbeits-75 und im Bankrecht76 und

71 Zur älteren Generation der Autoren gehörte Kronstein, über ihn Biedenkopf, Heinrich Kronstein, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 187–205; über Lutter s. Hommelhoff, in diesem Band, S. 97–125. 72 Eine von Zöllner, Aktienrechtsreform in Permanenz – Was wird aus den Rechten des Aktionärs?, AG 1994, 336 geprägte Sentenz. 73 Seibert, Aktienrechtsreform in Permanenz?, AG 2002, 417, 420: den Autoren gilt unser herzliches Mitleid. 74 Zöllner, Die gesetzgeberische Trennung des Datenschutzes für öffentliche und private Datenverarbeitung, RDV 1985, 3–16; ders., Datenschutz in einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung, RDV 1991, 1–11. 75 Zöllner, Die Nutzung DV-gestützter Personalinformationssysteme im Schnittpunkt von Datenschutzrecht und Betriebsverfassung, DB 1984, 241–246. 76 Zöllner, Datenschutzrechtliche Aspekte der Bankauskunft, ZHR 149 (1985), 179–196; zum Umwandlungsrecht Zöllner, Umwandlung und Datenschutz, ZHR 165 (2001), 440– 452.

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überhaupt der Einsatz neuer Technologien als arbeitsrechtliches Problem77 waren für ein Jahrzehnt (auch) seine Themen. Im Jahr 1982 erschien „Daten- und Informationsschutz im Arbeitsverhältnis“. Das Buch richtete sich gegen ein Gutachten von Simitis, der das Bundesarbeitsministerium zu einer datenrestriktiven bereichsspezifischen Regelung drängte. Zöllner hielt dem Gutachter vor, die grundsätzliche Bedeutung nicht erkannt zu haben. Es gehe um eine rechtspolitische Weichenstellung von großer Bedeutung für die Wirtschafts- und Informationsordnung: ein generelles Verarbeitungsverbot für personenbezogene Daten oder ausgrenzende Verletzungsverbote? Zöllner plädierte für das Letztere. Auf die bloße Gefahr einer Persönlichkeitsverletzung sei nicht mit Totalverboten zu reagieren, schließlich werde trotz der bekannten Gefährdung für Körper und Leben auch das Autofahren nicht untersagt. Heute ist fast drei Jahrzehnte später das Datenschutzgeflecht eng gewoben, und doch beherrschen Skandale (oder: Skandalisierungen?) die Medien. „Informationsordnung und Recht“ war am Ende dieses Jahrzehnts das große abschließende Thema eines Vortrags vor der Berliner Juristischen Gesellschaft.78 Dort wandte sich Zöllner gegen die Statuierung eines informationellen Selbstbestimmungsrechts, da dessen Statuierung außer Betracht lasse, dass personenbezogene Daten vielfach gleichzeitig Sozialbezug haben. „Der Mensch ist zwar Individuum, aber er lebt nur durch andere, mit anderen und für andere. Seine persönlichen Eigenschaften und Umstände sind daher nicht nur seine Sache, sondern auch zugleich … Sache der Gemeinschaft. … Es ist schon von daher eine seltsam realitätsferne Vorstellung, ein Mensch dürfe sich zu jeder Stunde als unbeschriebenes Blatt neu präsentieren, und er dürfe sich von seiner Vergangenheit, von seinen Eigenschaften und von seinen umweltbezogenen Umständen separieren. Erst recht muss die Figur des informationellen Selbstbestimmungsrechts im privaten Rechtsverkehr versagen. Dort sind Daten, die für die Rechtsbeziehung relevant sind, insbesondere Ereignisse bei Begründung, Vollzug oder Beendigung des Rechtsverhältnisses, eben nicht nur Daten des einen, sondern auch und in gleicher Weise des anderen Partners. Ob A eine Schuld an mich zahlt, wann und wie viel, ist ebenso sehr meine Sache wie seine.“79 Zöllner trat für eine Informationsordnung ein, bei der die Erlaubnis der Informationsverarbeitung die Regel und ihr Verbot die Ausnahme darstellt. Doch er musste feststellen, dass die rechtspolitischen Trends anders laufen. Und so ist es bis heute geblieben. Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: 77 Zöllner, Der Einsatz neuer Technologien als arbeitsrechtliches Problem, DB 1986 Beil. 7 zu Heft 10. 78 Zöllner, Informationsordnung und Recht (1990). – Der Vortrag fand am 25.10.1989 statt. 79 Zöllner (Fn. 78), S. 22 f.

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Zöllner äußert(e) sich nicht als technophiler Zeitgenosse, im Gegenteil: „Das computergerechte Gesetz ist ein Alptraum für die Gerechtigkeit, die computergerechte Personalverwaltung ein Alptraum für die Menschlichkeit“.80 5. Wertpapierrecht „Die Zurückdrängung des Verkörperungselements bei den Wertpapieren“ hieß der Beitrag zur Festschrift für Ludwig Raiser im Jahr 1974,81 der als durchaus typisch für WZ zu nennen ist: ein frühes Erkennen der heute weit fortgeschrittenen Entwicklung, dass das „Wertpapier“ ohne Urkunde auskommt (vgl. die Formulierung in § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG). Das hat natürlich Konsequenzen für Rechtssysteme, die sich an der Verkörperung orientieren, s. etwa die sachenrechtlich fundierte Konstruktion des Gutglaubenserwerbs bei Inhaberaktien. Keine der zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen zu diesem Thema verzichtet auf den Bezug zu dem Pilotaufsatz von Zöllner. Der Bedeutungsverlust der klassischen Wertpapiere Wechsel und Scheck dürfte andererseits auch ein Grund dafür sein, dass sein im Beck-Verlag erschienenes Kurz-Lehrbuch zum Wertpapierrecht mit der 14. Aufl. im Jahr 1987 endet. Dieses von Bernhard Rehfeldt begründete Werk hat Zöllner 1970 von der 9. Auflage an fortgeführt, ab der 13. Aufl. alleine unter seinem Namen. Das Werk konkurrierte mit dem von Hueck/Canaris, wobei sich Zöllner mehr den Bedürfnissen des akademischen Unterrichts verpflichtet sah (Vorwort 14. Aufl.). Wissenschaftliche Streitfragen wie etwa die „Wirkung von Einreden aus dem Grundverhältnis gegenüber Wechsel und Scheck in der Hand des ersten Nehmers“ behandelte Zöllner eingehend in der ZHR.82 Seine erste grundlegende wertpapierrechtliche Veröffentlichung galt übrigens 1968 der „rechtlichen Problematik der Scheckkarte“83. Die heute praktisch verschwundene Scheckkarte blühte als Instrument in den sechziger Jahren auf, wodurch die Aufmerksamkeit des damaligen Kölner Ordinarius geweckt wurde. Der Vorgang soll zeigen: WZ wollte in seinen Sturm-undDrang-Zeiten gerne der „Themenstarter“ sein, neue Entwicklungen im Wirtschaftsleben erfassen und nicht einen Aufguss schon zigmal behandelter Gegenstände bieten.

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Zöllner (Fn. 78), S. 31. Zöllner, Die Zurückdrängung des Verkörperungselements bei den Wertpapieren, in: Baur u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag (1974), S. 249–285 zu Teilaspekten auch die von Zöllner betreute Dissertation von Dechamps, Wertrechte im Effektengiroverkehr (1989). 82 Zöllner, Die Wirkung von Einreden aus dem Grundverhältnis gegenüber Wechsel und Scheck in der Hand des ersten Nehmers, ZHR 148 (1984), 313–337; dazu auch die von Zöllner betreute Dissertation von Wittig, Das abstrakte Verpflichtungsgeschäft (1996). 83 Zöllner, Zur rechtlichen Problematik der Scheckkarte, DB 1968, 559–564. 81

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III. Person 1. Das Vorwort der Festschrift sagt über ihn in einer bemerkenswerten Verknüpfung, ihm sei eigen ein „gesunder, trotz aller Wissenschaftlichkeit unverbildeter Menschenverstand“. Das kann ich gerne unterschreiben und habe es als Mitherausgeber schon getan. Als starke Persönlichkeit ist Zöllner nicht pflegeleicht. „Es schmückt ihn zwar manch bunter Schal/Die Rüstung drunter ist aus Stahl“ hat sein österreichischer Kollege Krejci zum 75. Geburtstag gereimt.84 Zöllner hat nicht den Anspruch, es allen recht zu machen, er will Recht machen. Auch mit bzw. in seiner Fakultät hat er zu aktiven wie zu späteren Zeiten manchen Strauß ausgefochten. Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass soweit es meiner Beobachtung unterliegt, die Kontroverse nie persönlich oder unfair geführt wurde. Klares Wort, klarer Standpunkt – aber keine Beleidigung oder gar Intrige. Mit Peter Ulmer kam er in den neunziger Jahren wissenschaftlich ins Gehege wegen diametral unterschiedlicher Rechtsansichten zur BGB-Gesellschaft.85 Hier kam eine gewisse Schärfe in den Ton, doch weit entfernt von jeder Herabsetzung oder ähnlichem, sondern (heute fast unbekannt) aus Lust an der Kontroverse über die Sache.86 Satisfaktionsfähig sollten die Gegner aber doch sein, er konnte durchaus von oben herab auf „Kleinmeister“ blicken, wie er manche Kollegen zu nennen pflegte. Das Image eines Präzeptors seiner Zunft hat er durchaus genossen. Zöllner hat keine wissenschaftliche Schule begründet. Seine zahlreichen Doktoranden hatten ihren Gegenstand nicht an der Lehrmeinung des Betreuers zu orientieren, ebenso wenig die Habilitanden. Neben der Arbeit des Verfassers dieser Zeilen (1994) hat Zöllner die Habilitationen von Manfred Lieb (1970)87, Hugo Seiter (1975)88 und Hans Hanau (2002)89 als Erstreferent betreut. Der Umgang am Lehrstuhl war von nachsichtiger Strenge, soll heißen, man konnte Fehler machen, aber nicht denselben zweimal. Niemals habe ich Zöllner laut werden hören; das hatte er nicht nötig. Einmal in der Woche ein gemeinsames Mittagessen mit dem Lehrstuhlteam und immer mal wieder Einladungen in sein Haus gaben Gelegenheit zu freier Aussprache, die jeder auf seine Weise nutzen mochte. Zöllner hat sich für den Werdegang und das Persönliche der Mitarbeiter durchaus interessiert, aber alles mit gehöriger Distanz und lebenserfahrener Einpassung.

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Krejci (Fn. 7), S. 53 ff. Zöllner, FS Gernhuber (1993), S. 563–578; ders., FS Kraft (1998), S. 701–718. 86 S. auch die Debatte mit K. Schmidt: Zöllner, Wovon handelt das Handelsrecht?, ZGR 1983, 82–91. 87 Weiland Professor an der Universität zu Köln. 88 Professor an der FU Berlin (bis zu seinem frühen Tod 1988). 89 Professor an der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg. 85

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Wo und wie arbeitet WZ? Er wohnt mit seiner Frau Ursula und Hund Bäri in einem schönen Anwesen am Südhang des Tübinger Österbergs mit wunderbarem Blick auf die Schwäbische Alb. Dort entstehen in einem voluminösen, mit Büchern und Papieren vollen Arbeitszimmer die Aufsatz-, Vortrags- und Kommentarmanuskripte. Eine Art kollektiver Rechtsfindung am Lehrstuhl hat es jedenfalls zu meiner Zeit (1982–1993) nicht gegeben. Die Mitarbeiter waren für die Fußnoten zuständig. Ich habe nur einmal auf einem Spaziergang am Tübinger Schönbuchrand eine eingehendere Diskussion über ein Thema gehabt, das zur Bearbeitung anstand: „Zu Schranken und Wirkungen von Stimmbindungsverträgen“90. Im Übrigen arbeitete der Meister allein. Wenn einmal etwas durchdacht war und die Gedanken schnell festgehalten werden müssen, dann mit Kurzschrift. Die Kunst der Stenographie hat WZ früh gelernt und als rationelle Arbeitsmethode für sich perfektioniert. 2. In der Lehre hat WZ alle fünf Bücher des BGB vertreten; sehr beliebt war etwa seine Vorlesung zum Sachenrecht, doch auch die große Anfängervorlesung hat er gerne gemacht, weil es ihm wichtig war, dass die jungen Leute richtig (und das hieß: mit seiner Anleitung) starten. Auf dem Vorlesungsplan standen außer den arbeits-, handels- und gesellschaftsrechtlichen Veranstaltungen auch noch solche zur ZPO und zum Wertpapierrecht. Selbst einen einmaligen Versuch mit einer Vorlesung über Rechtsphilosophie hat er in Tübingen unternommen. Ich habe keinerlei Ermüdungserscheinungen bei dem hoch engagierten Hochschullehrer WZ feststellen können. So ist es nicht verwunderlich, dass er über das 70.Lebensjahr hinaus im Hörsaal aktiv war. Sein Lehrstil setzte auf den freien Vortrag, der mit kleinen Fällen, kniffligen Fragen und Hinweisen begleitet war, die als Materialien an die Hörer ausgegeben wurden. Für die Telekolleg-Reihe des Fernsehens (3. Programm) hat er einem breiten Publikum das Arbeitsrecht präsentiert als Mix aus kleinen Spielszenen und den Erläuterungen des Tübinger Universitätsprofessors. E-Learning für alle vor 35 Jahren! 3. Von der heutigen aktiven Generation und noch mehr von der nachwachsenden erwartet man ausgewiesene Internationalität. WZ ist kein internationaler Jurist in diesem heutigen Sinne gewesen. Wenn auf einer Tagung ein Kollege eine Rechtsansicht pauschal damit zu begründen suchte, so sei es nun mal „international üblich“ – dann konnte WZ diese beliebte Figur, die oft nur ein Scheinargument darstellt, schnell entlarven. Längere Auslandsaufenthalte hat der englisch, italienisch91 und französisch Sprechende nicht gehabt. An engere Verbindungen zum angloamerikanischen Rechtskreis kann

90 Zöllner, Zu Schranken und Wirkung von Stimmbindungsverträgen, insbesondere bei der GmbH, ZHR 155 (1991), 168–189. 91 Italienisch hat er spät gelernt: um die Partituren geliebter Opern verfolgen zu können.

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ich mich nicht entsinnen. In Italien, Frankreich und Griechenland war Zöllner zuweilen zu Gastvorträgen und Seminaren. Im vorgerückten Alter noch führte ihn eine mehrwöchige Vortragsreise nach Südkorea92 und Japan. Und natürlich in die Schweiz und Österreich, vor allem in das letztgenannte Land, in dem er auch Mitglied von Habilitations- und Berufungskommissionen war. Die zunehmende Überwölbung des nationalen Rechts durch europarechtliche Vorgaben begrüßt er nicht mit dem Enthusiasmus, den manche schneidigen Rechtswissenschaftler der heute tonangebenden Generation zuweilen entwickeln. Hier ist ihm die Sorge präsent, dass der EU-Normgenerator von oben herab Segnungen verordnet, die die Privatrechtsgesellschaft auszuhöhlen geeignet sind. 4. WZ mag die großen Themen und Rechtsgebiete, doch er scheut auch nicht die Kärrnerarbeit des Kommentators oder der dogmatischen Spezialabhandlung. Eine Wendung ins Grundsätzliche, die Betonung der Sachgerechtigkeit vor der gleichfalls peniblen Aufbereitung und Beachtung der lex lata ist meistens dabei. Der rigor iuris mancher in die eigene Dogmatik zu sehr Verliebter ist ihm aber geheuer. An einer dem Gegenstand nicht angemessenen Uniformierung wegen einer behaupteten Systematik, die schließlich zum juristischen Prokrustesbett wird, hat er keinen Gefallen. Nicht ganz (un)ernst füge ich an, das hat auch mit der Herkunft zu tun, WZ ist nun einmal kein Preuße, sondern nach den süddeutschen und österreichischen Landen orientiert. Ein Beispiel ist die Ablehnung der vollen Übernahme des aktienrechtlichen Beschlussanfechtungskonzepts auch nur in das GmbHRecht. Begründet wird dieser Widerstand gegen das „System der Anfechtungsklage“ wesentlich mit der Eigenart der GmbH, deren Gesellschaftern nicht in jedem Fall die Inanspruchnahme der Gerichte für Beschlussstreitigkeiten aufgezwungen werden soll.93 5. Zöllner ist kein Mann der Praxis, sondern ein praktisch versierter Rechtswissenschaftler. Als Anwalt war er nie tätig, auch nicht nach der Emeritierung als „off counsel“ bei einer Kanzlei, wie das bei anderen nicht selten zu beobachten ist. Da Recht ihm bei allem Insistieren auf das Grundsätzliche eine für das Leben taugliche Veranstaltung zu sein hat, war und ist Zöllner immer nah mit den rechtsberatenden Berufen und Verbänden94, und doch mit gepflegter Distanz. Rechtsgutachten hat er viele und gerne geschrieben, et-

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Sein ehemaliger Doktorand Ki-Su Lee ist Professor an der Korea-Universität Seoul. Zöllner/Noack, Geltendmachung von Beschlussmängeln im GmbH-Recht, ZGR 1989, 525–544. 94 Zuletzt ein Vortrag über AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht bei der BDA im Oktober 2009. 93

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liche davon veröffentlicht.95 Das Angenehme (man bekommt schließlich dafür Geld) mit dem Nützlichen (man erfährt und untersucht neuralgische Streitpunkte aus der Wirtschaftspraxis) zu verbinden: warum nicht? Schiedsverfahren hat er hingegen nur ganz wenige betreut. In diesen Bereich vorzudringen sei ihm nie recht gelungen, räumt er ein. Mit den Richtern am BAG konnte Zöllner nicht so gut, umso besser mit denjenigen des Gesellschaftsrechtssenats des BGH. Die Blütezeit eines sehr engen Kontakts zwischen damals führenden Gesellschaftsrechtlern und den Richtern des II. Zivilsenats waren die achtziger und frühen neunziger Jahre, als sich ein aus diesen Personen bestehender „Arbeitskreis Gesellschaftsrecht“ übers Wochenende traf. Vor allem zu Zeiten des Senatsvorsitzenden Stimpel tagte dieser elitäre Club, dem Zöllner ganz selbstverständlich angehörte. Unter den nachfolgenden Vorsitzenden wurde der von manchen Ausgeschlossenen naturgemäß kritisch beäugte Zirkel nicht weitergeführt. Zöllner ist schließlich ein Mann des geltenden Rechts. Er ist kein stark rechtspolitisch engagierter Wissenschaftler, auch wenn er seine Grundanliegen und Kritik vor einem dezidiert rechtspolitischen Hintergrund entfaltet (s. S. 76 ff.). Vor einem Plenum, das hinreichend wenn auch nicht notwendig für Sachverstand offen ist, hat er freilich mehrmals wünschenswertes künftiges Recht skizziert. Gemeint sind seine zwei Gutachten und das Referat für drei Deutsche Juristentage. Zöllner hat nebenbei auch betrieben, was man wohl „Politikberatung“ nennt. Der ehemalige Ministerpräsident BadenWürttembergs Späth hat 1983 eine Kommission berufen, die unter Mitwirkung Zöllners „Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen“ behandelte.96 6. An den schönen Künsten ist Zöllner ein überaus interessierter und beteiligter Zeitgenosse, wobei es ihm insbesondere die klassische Musik angetan hat. Das Faible für den weltberühmten Komponisten mit demselben Vornamen und dessen hauptsächlicher Wirkungsstätte wurde bereits erwähnt. Daher ist er Dauergast bei den Salzburger Festspielen und auch bei anderen bedeutsamen Kulturereignissen mit seiner Frau Ursula gerne dabei. Sein besonderes Interesse galt historischen Kirchenorgeln, für deren Erhalt und Restaurierung er sich sehr engagierte. Medizin, Literatur, Architektur, Philosophie, Theater und Kino, gutes Essen und ebensolche Gespräche: mit Zöll95 Beispiele: Zöllner, Die Konzentration der Abstimmungsvorgänge auf großen Hauptversammlungen, ZGR 1974, 1–25; ders./Noack., One share – one vote?, AG 1991, 117–131; dies., Zulässigkeitsgrenzen des gesetzgeberischen Eingriffs in Gesellschafterrechte, AG 1991, 157–165; Zöllner, Folgen der Nichtigerklärung durchgeführter Kapitalerhöhungsbeschlüsse, AG 1993, 68–79; ders., Inhalt und Wirkungen von Beherrschungsverträgen bei der GmbH, ZGR 1992, 173–202; ders., FS Beusch (1993), S. 973–983. 96 Die Beratungen und der Ort (das Nobelhotel Traube in Baiersbronn/Schwarzwald) wurden übrigens literarisch-satirisch gewürdigt im Roman „Monrepos“ von Manfred Zach.

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ner wird es nie langweilig. Seit Jahrzehnten hält sich das aus den alten Münchener Zeiten stammende Gerücht, dass er an der Isar eine Nilpferdezucht betreibe … Da man sich Erkenntnis gehend erwerben soll, gehört die tägliche Tour mit dem Gefährten ebenso zum Arbeits- und notabene: Lebensstil. Die Gefährten waren bzw. sind Bearded Collies, schottische Hütehunde, deren Eigenart so beschrieben wird: „… besitzt ein großes Einfühlungsvermögen und ist deshalb auch sehr sensibel. Er ist für hektische, nervöse oder cholerische Temperamente nicht geeignet.“ Hund und Herrchen passen also zueinander.

IV. Resümee In der zusammenfassenden Schau ist die ungeheure Breite der von WZ repräsentierten Rechtsgebiete herauszustellen: er ist Spezialist sowohl im Gesellschafts- als auch im Arbeitsrecht sowie ein Generalist des Zivilrechts und seiner ordnungspolitischen Funktion obendrein. In den Worten seines geschätzten Tübinger Fakultätskollegen Harm Peter Westermann: „Sowohl der universitäre Lehrbetrieb als auch die Wissenschaft brauchen neben den Spezialisten bestimmter Teildisziplinen den auf das Privatrecht als Ganzes blickenden, die Entwicklung seiner Teilgebiete erfassenden und die übergreifenden Zusammenhänge durchschauenden – im guten Sinne – Generalisten. Ein solcher steht dann allerdings vor der schweren Aufgabe, Fortschritte, Störungen oder Stagnation der Einzelfächer und ihres Zusammenwirkens nicht nur kritisch zu registrieren, sondern immer wieder in eigenen schöpferischen Ansätzen die Wertungen der „Sonderprivatrechte“ mit den Notwendigkeiten und Forderungen einer allgemeinen, Freiheit und Gerechtigkeit verpflichteten bürgerlichen Rechtsordnung zu harmonisieren.“97 WZ ist in diesem Sinne der letzte seiner Art. Ein Hauch von Tragik ist nicht nur mit diesem Bild verbunden, sondern auch mit dem Zöllner’schen Anliegen eines autonomen „wahren“ Privatrechts und einer darauf gegründeten Gesellschaft.

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H. P. Westermann, Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag, NJW 1999, 38, 39.

Marcus Lutter * Peter Hommelhoff I. Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eckdaten einer Wissenschaftlerkarriere . . . . . . . . . . . . . . . . III. Seine Forschungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die europäische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Aufsichtsrat im System der deutschen Aktiengesellschaft . . 4. Binnenstrukturen im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Aktionär in der rechtlich geordneten Marktwirtschaft . . . . IV. Der Kommunikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das öffentliche Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. in den Netzwerken: der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . V. Auf der Grenzlinie zur Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präsident des Deutschen Juristentags . . . . . . . . . . . . . . . . 2. in der Kodexkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. und die Wirtschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der akademische Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein Hörsaal-Löwe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doktorvater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Lehrstuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Der Europäer in seiner Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Visionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Europäische Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 3. und die Monographie zum Konzernverfassungsrecht in Europa?

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I. Annäherung Wer sich anschickt, Person und Werk Marcus Lutters in einem Moment einzufangen, da er uns quicklebendig und unverändert Ideen sprühend täglich begegnet, der wird zunächst und vor allem von seiner gewinnenden Persönlichkeit, von seiner Ausstrahlung und von seinem Charme gefesselt sein. Nicht dass es schwer fallen würde, sein Werk1 in den Blick zu nehmen: beinahe im Wochenrhythmus äußert er sich zu Rechtsfragen seiner Fachgebiete * Vortrag am 8. Mai 2009 – Ruhr-Universität Bochum; Manuskriptabschluss 30. Oktober 2009. 1 Für den Zeitraum bis 2000 s. die Auflistung in Schneider/Hommelhoff/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag (2000), S. 1649–1664.

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und wirkt mit starken Impulsen auf den Fortgang der Rechtsgespräche 2 ein. Nein, seine faszinierende Persönlichkeit und seine geschliffen eleganten Formulierungen strahlen so hell, dass es doch einiger Selbstdisziplin bedarf, um aus dem fast unüberschaubar umfangreichen Werk jene Leitgedanken herauszuschälen, die Marcus Lutter im Kreis der Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts nicht bloß das spezifische Gepräge gegeben, sondern die weitergehend zudem einen markanten Beitrag zur Ideengeschichte der deutschen Rechtswissenschaft geleistet haben. Selbstdisziplin mit dem Ziel zu üben, einen möglichst objektiven Bericht zu erstatten, muss namentlich einem Schüler schwer fallen, der von Anbeginn im wissenschaftlichen Bann seines Lehrers stand und durchaus noch immer steht, der sich dem einstigen Lehrer in persönlicher Freundschaft fest verbunden weiß. Sein Bericht wird trotz aller Bemühungen um Distanz und Objektivität durchgehend subjektiv sein; aber das stand zu erwarten, und deshalb müssen alle damit leben, die den Schüler zu diesem Bericht eingeladen haben. Über den Menschen und Freund Marcus Lutter öffentlich zu berichten, würde den Schüler endgültig überfordern. Deshalb aus seinem universitären Umfeld nur dies: In Bochum hat Marcus Lutter seine musisch-künstlerischen Interessen im Musischen Zentrum der Ruhr-Universität als deren langjähriger Direktor pflegen können. Namentlich die von ihm organisierten Konzerte mit Eschenbach, Zacharias und anderen später berühmten Nachwuchskünstlern erfreuten sich größter Beliebtheit. Und als ihm Jahrzehnte später der Ehrendoktor in der Universität Jena verliehen wurde, überraschte und ergötzte er seine Tischgäste mit einem erhellenden Bericht über die Verbindung zwischen dem geborenen Bonner Beethoven und dem Jenenser Professor Schiller über den Text „Freude schöner Götterfunken …“ in der Neunten Sinfonie.3 In solchen Momenten blitzt auf, wie sehr für Marcus Lutter Leben und Welt in all ihrer Vielfalt nicht allein aus Juristerei bestehen.

II. Eckdaten einer Wissenschaftlerkarriere Beginnen wir mit einem der Objektivierung förderlichen Überblick über die Lebensdaten Marcus Lutters.4 Geboren wurde er, Sohn eines Notars 1930 in München. Das aber hat ihn nie veranlasst, sich als Bayer zu stilisieren; 2 Besondere Wirkung hat sein zusammen mit Zöllner verfasster Zeitungsartikel im Fall „Mannesmann“ entfaltet (Lutter/Zöllner, FAZ vom 10.9.2004, S. 12); s. auch Lutter, Die Mannesmann-Affäre, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Skandale in Deutschland nach 1945 (2007), S. 180–185. 3 Hierzu u. a. Nef, Die neun Symphonien Beethovens (1928), S. 255 ff., 291 ff. – Für die in diesem Bericht verarbeiteten musikwissenschaftlichen Hinweise gebührt Silke Leopold, Altprorektorin der Universität Heidelberg herzlicher Dank. 4 Schneider/Hommelhoff/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag (2000), Vorwort, S. V ff.

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erkennen lässt er eher schon seine Herkunft aus der Pfalz. Denn dort ist er in Pirmasens, der Stadt der Schuhfabriken, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Rechtswissenschaften studierte er anschließend in München, Paris und Freiburg im Breisgau. Dort an der Albert Ludwigs-Universität wurde er mit einer von Horst Müller betreuten Dissertation5 1956 zum Doktor beider Rechte promoviert. Nach dem Assessorexamen schlug er, dem väterlichen Vorbild folgend, die Notarlaufbahn ein – zunächst in Kaiserslautern und sodann als Notar in Rockenhausen in der Pfalz. Aus diesem Amt wurde er jedoch 1961 mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft beurlaubt, um sich an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zu habilitieren; das Verfahren beendete er erfolgreich 1963. Der Notar und Privatdozent Lutter übernahm 1966 an der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum6 den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Handels- und Wirtschaftsrecht. Dort hat ihn offenbar Kurt Biedenkopf, Jahrzehnte später erster Ministerpräsident des Freistaates Sachsen im wiedervereinigten Deutschland („König Kurt“), ins Gespräch gebracht; dieser hatte ihn während dessen Arbeiten am Frankfurter Institut Heinrich Kronsteins kurz kennengelernt. Trotz ehrenvoller Rufe nach Berlin, Gießen, Tübingen und Wien blieb Lutter seiner Universität oberhalb des Ruhrtals treu, bis er 1980 an die Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität in Bonn als Direktor ihres Instituts für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht7 wechselte. 1996 wurde Lutter dort emeritiert. Die Wirtschaftsuniversität in Wien sowie die Universitäten Warschau und Jena haben seine Leistungen mit der Verleihung des Ehrendoktors der Rechte gewürdigt. Seit dem Jahre 1989 amtiert Marcus Lutter bis heute als Sprecher des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn.

III. Seine Forschungsgebiete Dass er zu einem der profiliertesten Unternehmensrechtler im deutschsprachigen Raum heranwachsen werde, hat Marcus Lutter zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere keine Parze geraunt. Hatte er sich doch nach einer familienrechtlichen Promotion, die weder vom Gebiet, noch vom Wurf 5 Lutter, Das Eheschließungsrecht in Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland (1963). 6 Zum Gründungskonzept der Ruhr-Universität: Gründungsausschuss der Universität Bochum, Denkschrift, Empfehlungen zum Aufbau der Universität Bochum (1962); Wenke/ Knoll (Hrsg.), Festschrift zur Eröffnung der Universität Bochum (1965); zu den gesammelten Erfahrungen Dietz/Schulze/Weber (Hrsg.), Universität und Politik, Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Ruhr-Universität Bochum (1990). 7 Sein Lehrstuhlvorgänger war Peter Raisch; zu ihm K. Schmidt/Schwark, Zum Geleit, in: dies. (Hrsg.), Festschrift für Peter Raisch zum 70. Geburtstag (1995), S. V f.

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her Richtung und Dynamik seiner weiteren Entwicklung auch nur erahnen ließ, der eher beschaulichen Laufbahn eines Notars und dies zudem hinter dem Pfälzer Wald in einem stillen Winkel unseres Vaterlandes zugewandt, der mitnichten jene Anregungen, ja: Herausforderungen gebiert, die es braucht, um einen Praktiker aus der beruhigenden Routine des Tagesgeschäfts herauszulocken auf die offene und durchaus tückische See der Wissenschaft. Gewiss – hinter den Pfälzer Bergen gab und gibt es diese kleinen Unternehmen mit ihrer reizvollen juristischen Gemengelage aus Gesellschafts-, Steuer-, Familien- und Erbrecht, die manchen Notar haben zur Feder greifen und zum bekannten Autor viel genutzter Handbücher 8 haben werden lassen. Aber von ihnen hat Marcus Lutter trotz guter Verbindungen zu manchen wohl beleumundeten Familienunternehmen keine wissenschaftlichen Impulse empfangen. 1. Die europäische Perspektive Sie, diese Impulse, rühren ganz offenbar von einem älteren und in seiner Zeit berühmten Notarkollegen aus der Vorderpfalz her, der in seiner Person die Brücke zwischen der notariellen Praxis und der Wissenschaft weithin sichtbar geschlagen hatte: von Justizrat Johannes Bärmann aus Ludwigshafen, Professor an der Mainzer Universität.9 Er hat Marcus Lutter den weiteren Weg gewiesen, hat ihm das Gesellschaftsrecht nahe gebracht; dies aber nicht in der provinziellen Enge allein des deutschen Rechts, sondern mit der verheißungsvollen Perspektive seiner wachsenden Einbindung in das sich entwickelnde Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Selbst hier engagiert10 schärfte Bärmann dem gerade dreißigjährigen Kollegen den Blick auf die Nachbarländer Deutschlands und ihr Recht, insbesondere auf Frankreich und auf den europäischen Rechtsraum, der (wie es Walter Hallstein damals so an- und aufregend beschrieben hatte) den Prozess der Annäherung in dieser Gemeinschaft vorantreiben und konstituieren sollte.11 Das waren damals Aussichten, die einen neugierigen, weltoffenen und ehrgeizigen Jungnotar voller Gestaltungskraft und Tatendrang begeistern und veranlassen konnten, die warme Amtsstube gegen den stürmischen Aufstieg zu den Gipfeln der Wissenschaft einzutauschen. Marcus Lutter nahm diese Herausforderung an, ja: er suchte sie; seine 8 Man denke etwa an die Anleitungsbücher des Notars Sudhoff aus dem Sauerland: Sudhoff/Berenbrok, Unternehmensnachfolge (5. Aufl. 2005); Sudhoff/Buß, Personengesellschaften (8. Aufl. 2005); Sudhoff/Honert, Familienunternehmen (2. Aufl. 2005). 9 Zu ihm, Leben und Werk s. Lutter/Kollhosser/Trusen (Hrsg.), Recht und Wirtschaft in Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Johannes Bärmann zum 70. Geburtstag (1975). 10 Einen ersten Eindruck zu seinem Engagement im Gemeinschaftsgesellschaftsrecht verschafft das Schriftenverzeichnis aaO. (Fn. 9), nach S. 1083. 11 Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft (5. Aufl. 1979), S. 51 ff.

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Frau Rebbecca hat diese Entscheidung zum Glück für die Wissenschaft mit getragen. Gesellschaftsrecht und das auch und vor allem in europäischer Perspektive – dies war und ist der Fixstern, an dem sich der junge Wissenschaftler ausrichtet und der ihm bis heute, wenn auch vielfältig aufgefächert, den klaren Kurs weist. Ihn hat Lutter von Anbeginn gehalten; das kann auch der Umstand nicht vernebeln, dass seine erste ernst zu nehmende Publikation in AcP eine Abhandlung zum Ehegüterrecht war.12 Denn dieser durch und durch bürgerlichrechtliche Beitrag war eine klug zugeschnittene Stufe auf seinem Weg zum Universitätslehrer: ohne gewichtigen Ausweis im bürgerlichen Recht ist an deutschen Universitäten kein Lehrstuhl im Zivilrecht zu erobern. Dies hat Marcus Lutter später seinen Schülern zu deren Vorteil immer wieder eingeschärft. 2. Kapitalschutz Er selbst hat seinen Fixstern, das Gesellschaftsrecht auch und vornehmlich in europäischer Perspektive, mit seiner von Johannes Bärmann begleiteten Habilitationsschrift angepeilt: „Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG.“13 Mit dieser 1964 publizierten Untersuchung hat sich Lutter als Wissenschaftler sogleich in den Dienst des europäischen Rechts und seiner Harmonisierung gestellt. Denn jede Angleichung müsse, so beschreibt er seine eigene Zielsetzung, vom geltenden Recht ausgehen, also vom Recht der Mitgliedstaaten; seine Kenntnis in allen Einzelheiten sei die Grundlage jeder Rechtsangleichung.14 Und so trägt die Habilitationsschrift mit Sorgfalt die Regeln zur Sicherung der Kapitalaufbringung in den damals sechs EWG-Mitgliedstaaten ebenso zusammen wie die in ihnen geltenden Grundsätze der Kapitalerhaltung. Aber mit einer bloßen Bestandsaufnahme des Kapitalschutzes begnügt sich die Untersuchung nicht; darüber hinaus (und das macht ihren Zukunfts-gerichteten wissenschaftlichen Gehalt ganz vordringlich aus) erwägt Lutter im Schlussteil der Untersuchung im Einzelnen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um das Kapitalschutzrecht in den Mitgliedstaaten anzugleichen.15 Er arbeitet mithin dem Gemeinschaftsgesetzgeber für dessen Kapitalschutz-Richtlinie vor; sie wird Ende 1976 erlassen.16 Dabei zielt Lut12

Lutter, Zum Umfang des Sonderguts, AcP 161 (1962), 163–176. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und Kapitalrechten der EWG (1964). 14 Lutter (Fn. 13), S. 22. 15 Lutter (Fn. 13), S. 535 ff. 16 Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 (Kapitalrichtlinie – Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie), ABl. 1977 L 26/1. 13

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ter mit seinen Vorschlägen freilich nicht auf rechtspolitisch zweckmäßige Einzellösungen ab, sondern einnehmend bescheidener darauf, das Gefälle zwischen den nationalen Lösungen der einzelnen Mitgliedstaaten auszugleichen, um auf diesem Wege in ihnen gleichwertige Wirkungen zu erzielen. Oder auf den Punkt gebracht: Marcus Lutter respektiert die national unterschiedlichen Lösungsansätze und will sie nicht durch Lösungen des Gemeinschaftsrechts ersetzen; sein Ziel ist Gleichwertigkeit in Mannigfaltigkeit. Mit dem Kapitalschutz in Deutschland und Europa hat er schon zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn sein erstes großes Forschungsfeld gefunden, das ihn bis in die Gegenwart hinein beschäftigt. So hat er das Vorhaben der EG-Kommission, die Kapitalschutz-Richtlinie zu reformieren, und den britischen Vorstoß, sie gänzlich abzuschaffen, mit einer internationalen und interdisziplinären Gesprächsrunde zur Zukunft des Gläubigerschutzes in europäischen Kapitalgesellschaften aufgegriffen. Von Marcus Lutter konzipiert, besetzt, moderiert und, wo nötig, angetrieben hat diese Gesprächsrunde ihre Überlegungen „Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa“ oder noch pointierter: „Legal Capital in Europe“ 2006 öffentlich zur Diskussion gestellt.17 Von ihm so vielfältig geprägt können die Kernvorschläge der Gesprächsrunde nicht wirklich überraschen: auf der einen Seite Beibehaltung der Kapitalschutz-Richtlinie, auf der anderen jedoch zusätzliche Schutzinstrumente, um vor allem der Internationalen Rechnungslegung (und ihrem dicision usefulness-Ansatz)18 zu entsprechen;19 hierfür schlägt die Gesprächsrunde (und in ihr vor allem Marcus Lutter) in Ergänzung zum sog. Bilanztest einen Solvenztest vor, um die künftige Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft im Interesse ihrer Gläubiger sicherzustellen. Diesen Vorschlag zum Ausbau der Kapitalerhaltung hat die EG-Kommission nach Vorlage eines vergleichenden Gutachtens der KPMG20 nicht aufgegriffen,21 hat ihn jedoch in den Vorschlag für eine Europäische Privatgesellschaft als freiwilligen Zusatzbehelf eingebaut.22

17 Lutter (Hrsg.), Legal Capital in Europe, European Company and Financial Law Review (ECFR), Special Volume 1 (2006) = Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, ZGR-Sonderheft 17 (2006). 18 Dazu u.a. Bohl, IAS/IFRS für Juristen (2008), S. 2 Rn. 9; Heuser/Theile, IAS/IFRS Handbuch (2. Aufl. 2005), S. 42 Rn. 101. 19 Lutter (Fn. 17), S. 13. 20 Dazu Schruff/Lanfermann, EU-Machbarkeitsstudie für ein alternatives Kapitalschutzsystem, WPg 2008, 1099–1109. 21 Abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/capital/index_en.htm (zuletzt abgerufen 30.10.2009). 22 Art. 21 II des Kommissionsvorschlags für eine SPE-VO (KOM(2008)396); im Ministerrat zeichnet sich allerdings anstelle eines Satzungswahlrechts ein Staatenwahlrecht für die Einführung des Solvenztests ab (s. Art. 21 IV des Vorschlags der Schwedischen Präsidentschaft vom 9. September 2009 [2008/0130] [CNS] 13048/09).

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Zwischen diesen beiden Eckpunkten zum Kapitalschutz in Europa liegen die wissenschaftlichen Arbeiten zum deutschen: die große Kommentierung zum Aktienrecht der Kapitalerhaltung, die Marcus Lutter im Kölner Kommentar Anfang der achtziger Jahre in der ersten Auflage vorlegte23 und die er nun (sein Fleiß, seine Ausdauer und seine Selbstdisziplin erstaunen und erschrecken stets aufs neue) in der dritten Auflage unter der Feder hat. Zum Kapitalschutz ist aber auch seine Kommentierung des GmbH-Gründungsrechts zu zählen, die er ebenfalls seit Ende der siebziger Jahre unermüdlich in mehreren Auflagen in seinem eigenen Kommentar besorgt,24 nun aber in jüngere Hände abgegeben hat.25 3. Der Aufsichtsrat im System der deutschen Aktiengesellschaft Sein zweites großes Forschungsfeld hat ihn über die Gesellschaftsrechtswissenschaft hinaus auch in der Unternehmenspraxis und in der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt gemacht: das Recht des Aufsichtsrats. Dessen Aufgaben und die Organisation ihrer Erledigung faszinieren ihn ebenso wie die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder und ihre Konkretisierung. An dieser Faszination hat Marcus Lutter manchen seiner Schüler teilhaben lassen und sie für eigene Forschungen auf diesem Feld gewinnen können; die Dissertationen: „Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats“,26 „Der Aufsichtsratsvorsitzende“,27 „Personalentscheidungen des Aufsichtsrats“28 und „Aufsichtsratsausschüsse“29 zum Beispiel werden nach Jahrzehnten noch heute im Kommentarschrifttum berücksichtigt. Aus einem der Promotionsverfahren verdient hier und heute das Gerücht Erwähnung: ein Beteiligter habe sarkastisch eingeworfen, „Personalentscheidungen des Aufsichtsrats“ seien ein alter Hut; was dazu aus rechtlicher Sicht beizutragen sei, lasse sich sämtlich den Quellen des römischen Rechts entnehmen. Der Kandidat hat es zum Glück für Rechtspraxis und Rechtswissenschaft überlebt. Aber zurück zu Marcus Lutter und zum Aufsichtsrat: speziell die Interessenkonflikte, denen einzelne Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Tätigkeit ausgesetzt sein können, beschäftigen ihn seit mehr als fünfundzwanzig Jahren – mutig beginnend mit einer Provokation: „Bankenvertreter im Aufsichtsrat“30 23

Kölner Kommentar zum AktG-Lutter (1. Aufl. 1985), §§ 54–75. Zuerst in der 11. Auflage des Fischer/Lutter (Hrsg.), GmbH-Gesetz (1985), zuletzt in der 17. Auflage des Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), GmbH-Gesetz (2009). 25 Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbH-Gesetz (17. Aufl. 2009). 26 Semler, Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats (1980; 2. überarbeitete und erweiterte Aufl. 1996). 27 Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende (1983). 28 Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats (1981). 29 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse (1986). 30 Lutter, Bankenvertreter im Aufsichtsrat, ZHR 145 (1981), 224–251; zum Interessenkonflikt in Aufsichtsräten zuletzt ders., Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei 24

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und vorerst ausklingend mit jenen Regelungen zu den Interessenkonflikten im Deutschen Corporate Governance Kodex, auf deren Ausgestaltung für Aufsichtsrat und Vorstand Marcus Lutter als Mitglied der Kodexkommission gewiss gewichtigen Einfluss genommen hat.31 Was aber hat ihn motiviert, mit Ausdauer an diesem Problem „dranzubleiben“, die Interessenkonflikte immer wieder literarisch aufzugreifen und zu thematisieren? Wer seine engagierte Intervention in Sachen „Mannesmann-Bonus“32 oder gar seinen zornigen Zuruf in Sachen „Landesbank-Verwaltungsräte“33 im Sinn hat, der möchte nur zu gerne vermuten, Lutter wolle sich in den Interessenkonflikten einem Skandalon des deutschen Aktienwesens zuwenden, das es mit Nachdruck zu bekämpfen gelte. Aber weit gefehlt; schon seine Abhandlung zu den Bankenvertretern greift zwar auf eine ganze Reihe von in der Presse skandalisierten Vorfällen zurück; aber die dagegen gestellte Argumentation, ruhig und um Entdramatisierung bemüht, zeigt, dass es Lutter um etwas ganz anderes, genuin Rechtliches geht: um die saubere Analyse der Konfliktlage und um den Beitrag der Pflichten-generierenden Rechtsordnung zur Bewältigung solcher Interessenkollisionen.34 Diese für ihn bemerkenswert sachliche Distanz, hier der eines Chirurgen vergleichbar, wurzelt in wissenschaftlicher Erkenntnis – der nämlich, wie er es in einem Festschriftsbeitrag selbst formuliert hat, vom Geniestreich moderner Sozialordnungen, bislang unvereinbare Rollen normativ zu verkoppeln, um so zu ihrer Veränderung beizutragen: Weil der Mensch dem Dauerkonflikt widersprüchlicher Rollenerwartungen nicht gewachsen sei, deswegen müsse sich der Inhalt der Rolle ändern, solle der Mensch nicht am Konflikt zerbrechen.35 Doch damit zum Aufsichtsrat als Forschungsfeld nicht genug. Denn in seiner Umschreibung fehlen noch jene beiden Monographien, die aus dem Wissenschaftler Marcus Lutter eine Person der Zeitgeschichte geformt haben: „Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat“36 im Anschluss an das Bayer-Urteil des Bundesgerichtshofs sowie „Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats“ in Kooperation mit seinem mittlerweile in Fachkreisen nicht min-

Interessenkonflikten, in: Hommelhoff/Rawert/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für HansJoachim Priester zum 70. Geburtstag (2007), S. 417–426. 31 Ziff. 4.3. DCGK (für den Vorstand) und Ziff. 5.5 DCGK (für den Aufsichtsrat). 32 Oben Fn. 2. 33 Lutter, Zur Rechtmäßigkeit von internationalen Risikogeschäften durch Banken der öffentlichen Hand, BB 2009, 786–791; Lutter, Bankenkrise und Organhaftung, ZIP 2009, 197–201. 34 Hierzu sein Grundlagenbeitrag „Rolle und Recht“, in: Horn/Luig/Söllner (Hrsg.), Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, Band I (1982), S. 565–577. 35 Lutter, FS Coing (1982), S. 573. 36 1. Aufl. 1979, 3. Aufl. 2006; Besprechungen von Claussen, Über die Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, AG 1981, 57; Peltzer, Bücherschau, WM 1979, 931–932.

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der berühmten Schüler Gerd Krieger in fünfter Auflage erschienen37 und in Praxis wie Wissenschaft ein wahrer Klassiker. Beide Bücher befassen sich mit jenem Organ, in dem das Spezifische des deutschen Aktienrechts und seine Verfeinerungen von Stufe zu Stufe über lange Jahrzehnte hinweg wie in einem Brennglas gebündelt aufscheinen;38 darüber hinaus werfen diese Bücher ein Schlaglicht auf den Forscher Lutter und seine Arbeitsweise: eine in der Praxis entstandene Frage mit einiger Bedeutung für diese entfacht sein wissenschaftliches Interesse; er greift sie auf und stellt sie hellsichtig in größere Zusammenhänge. Schon dabei bilden sich Strukturen und bislang nicht fixierte Perspektiven heraus; es entsteht ein wissenschaftliches Gesamtkonzept. Dies füllt Marcus Lutter nun Schritt für Schritt in stetem Rückgriff auf Relevanz und Brauchbarkeit für die Praxis aus. So entsteht ein Rohmanuskript, das er einem Assistenten (korrekt: gelegentlich auch einer Assistentin) zur Fundamentierung mit Nachweisen überlässt. Geschäftskundige werden lächeln: ja, ja, „Fußnoten-Knechtschaft“; nicht so bei Marcus Lutter: Er veranlasst seinen Mitarbeiter, sich zum anstehenden Fragenkreis über den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zu informieren und sich damit selbst zu befähigen, mit dem Meister über dessen Rohmanuskript Abschnitt für Abschnitt zu diskutieren. Wer das einmal mitgemacht hat, weiß, wie viel er dabei gelernt hat und welch’ Überzeugungskraft gute Argumente entfalten können. Denn Lutter ist immer wieder aufs neue bereit, sich überzeugen zu lassen; seine Bücher und Aufsätze sind trotz ihres unverkennbaren LutterStils keine Eremiten-Monologe. 4. Binnenstrukturen im Konzern Sein drittes Forschungsfeld schließlich, das Konzernrecht, birgt das Thema seines wissenschaftlichen Lebens, sein Lieblingsthema: die Binnenstrukturen im Konzern. Mit ihm hat er drei seiner Schüler in deren wissenschaftliche Karriere entlassen,39 mit ihm hat er sich als akademischer Lehrer aus dem Bonner Hörsaal verabschiedet 40 und dies Thema hat er nun, ungewohnt

37 1. Aufl. 1981, 5. Aufl. 2008 (dazu die Besprechung von Bauer, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, NJW 2009, 421–422). 38 Zur Entwicklungsgeschichte des Aufsichtsrats s. Lutter, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit – von seinen Anfängen bis heute, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Band II (2007), S. 389–429; s. aber auch Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre (1958), S. 89 ff.; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht (1961), S. 270 ff. 39 Paradigmatisch für Uwe H. Schneider, Konzernleitung als Rechtsproblem, BB 1981, 249–259; Peter Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht (1982); Wolfram Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze (1980). 40 Lutter, Konzernrecht: Schutzrecht oder Organisationsrecht?, in: Reichert u.a. (Hrsg.), Liber amicorum für Rüdiger Volhard (1996), S. 105–113.

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leicht resignativ, den nachfolgenden Generationen in der begründeten Einschätzung überantwortet, für die Binnenorganisation des Konzerns werde die Zeit noch kommen.41 Erschlossen hat sich Marcus Lutter die Binnenstruktur des Konzerns nach ersten „Fingerübungen“ zu den Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften42 und zu den Rechten der Gesellschafter beim Abschluss fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen43 in einem Festschriftsbeitrag aus dem Jahre 1974,44 den man im Rückblick nicht anders als fundamental qualifizieren kann. Denn in dieser Abhandlung sind die Problemansätze, noch heute unverändert aktuell, ebenso aufgefächert wie ihren Lösungsperspektiven die Richtung gewiesen ist. Dabei ist die Ausgangslage leicht zu beschreiben: Die moderne Organisationsform der deutschen, europäischen und globalen Wirtschaft ist nicht die Aktiengesellschaft, sondern der (Unterordnungs-) Konzern, zumeist, aber nicht zwingend mit einer Aktiengesellschaft an seiner Spitze. Diesen Konzern betrachten die Wirtschaftswissenschaften und gleichermaßen die Unternehmenspraxis als ein Unternehmen, obwohl er sich aus mehreren, ja nicht selten aus hunderten von rechtlich selbständigen Gesellschaften im In- und Ausland mit je eigenen Organen zusammensetzt. Dennoch kommt dieser Konzern als rechtlich eigenständige Organisationsform neben oder noch vor der Aktiengesellschaft in den Gesellschaftsrechten der Welt nicht vor – auch nicht im deutschen Aktienrecht; denn hier werden nur vereinzelte Organpflichten im Konzernverbund fixiert.45 Marcus Lutter dagegen hat das Organisationsrecht der Konzerne im Ganzen in den Blick genommen und für die Aktiengesellschaft an der Spitze eines solchen Konzerns die zentrale Frage formuliert, ob und wie sich die Zuständigkeiten ihrer Organe auf das Konzernganze erstrecken, also auch auf das Geschehen in den nachgeordneten Konzerngesellschaften: Ist der Vorstand in der Konzernspitze zur Leitung des gesamten Konzerns verpflichtet? Erstreckt sich der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats oben auch auf das Geschehen auf den nachgeordneten Konzernebenen? Und vor allem: Wie steht es um die unternehmerischen Grundentscheidungen der Hauptversammlung, wenn solche (wie etwa die Hereinnahme neuer Gesellschafter) in Untergesellschaften anstehen? Besonders augenfällig werden die Konzerndimensionalität und 41 Lutter, Das unvollendete Konzernrecht, in: Bitter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag (2009), S. 1065, 1076. 42 Lutter, Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, in: Loebenstein/Doralt/ Nowotny (Hrsg.), Festschrift für Walther Kastner zum 70. Geburtstag (1972), S. 245–267. 43 Lutter, Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluss fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen (1974). 44 Lutter, Zur Binnenstruktur des Konzerns, in: Hefermehl/Gmur/Buox (Hrsg.), Festschrift für Harry Westermann zum 65. Geburtstag (1974), S. 347–368. 45 Zum Problembeschrieb im einzelnen Lutter, FS Westermann (1974), S. 351 f. sowie noch einmal jüngst ders., FS K. Schmidt (2009), S. 1069 ff.

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ihr Konfliktpotential bei der Ergebnisverwendung nach § 58 II AktG:46 Können und dürfen die Verwaltungsorgane in der Konzernspitze die Mitentscheidungsrechte ihrer Aktionäre schlicht dadurch aushöhlen oder gar ins Leere laufen lassen, dass sie die im Konzern erwirtschafteten Gewinne auf den nachgeordneten Konzernstufen einbehalten lassen? Marcus Lutter war und ist bestrebt, die Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft an der Spitze des Konzerns gegenüber diesem zu öffnen, um von oben her den Konzern als ganzen, also die Konzerndimensionalität des Mutterunternehmens angemessen zu erfassen. Bei seiner Arbeitsweise versteht sich: Diese Kompetenzerweiterungen werden nicht mit leichter Hand am Gesetz vorbei deduziert, sondern sorgfältig mit steter Rückbindung an das vorgegebene Normenmaterial Schritt für Schritt von unten her aufgebaut. Schaut man, wie er es unlängst selbst getan hat, auf die Wegstrecke der vergangenen 35 Jahre zurück, dann sind die Erfolge seiner Bemühungen durchaus erkennbar: Die konzernweite Leitungspflicht des Vorstands oben ist mittlerweile im Grundsatz, wenn auch in vielen Einzelheiten umstritten, ebenso anerkannt 47 wie das konzernweite Überwachungsfeld des Aufsichtsrats in der Konzernspitze.48 Das ist gewiss ein Erfolg der Lutter-Schule, der den Konzern als besondere Organisationsform konsolidieren hilft. Freilich: offen sind immer noch die nachgeordneten Gesellschaften und trotz dieser Ansätze für ein umfassendes Konzernverfassungsrecht die Handlungs- und Entscheidungsbeiträge der Organe in ihnen.49 Deshalb bleibt weiterhin die Spannung im Konzern zwischen seiner Einheit und seiner Vielheit auszumessen, die Grundfrage Ludwig Raisers.50

46 Lutter, Rücklagenbildung im Konzern, in: Havermann (Hrsg.), Festschrift für Reinhard Goerdeler zum 65. Geburtstag (1987), S. 327–348. 47 Vgl. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, Band 1 (2007), § 76 AktG Rn. 70 ff.; Kölner Kommentar zum AktG-Mertens (2. Aufl. 1996), § 76 Rn. 54 f.; Münchener KommentarSpindler, AktG Band 2 (3. Aufl. 2008), § 76 Rn. 45 ff.; Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, I. Band (2008), § 76 AktG Rn. 16. 48 Schmidt/Lutter-Drygala (Fn. 47), § 111 AktG Rn. 21 ff.; Spindler/Stilz-Habersack (Fn. 47), § 111 Rn. 52 ff.; Kölner Kommentar zum AktG-Mertens (Fn. 47), § 111 AktG Rn. 23 f.; Großkommentar AktG-Hopt/Roth (4. Aufl. 2005), § 111 Rn. 369 ff.; Spindler/ Stilz-Spindler (Fn. 47), § 111 AktG Rn. 85 ff. 49 Diese Feststellung gilt namentlich für den Aufsichtsrat in der konzernabhängigen Gesellschaft; dazu Schmidt/Lutter-Drygala (Fn. 47), § 111 AktG Rn. 23 f.; Münchener Kommentar-Habersack (Fn. 47), § 111 AktG Rn. 57; Großkommentar AktG-Hopt/Roth (Fn. 48), § 111 AktG Rn. 381 ff.; Spindler/Stilz-Spindler (Fn. 47), § 111 AktG Rn. 93. 50 L. Raiser, Die Konzernbildung als Gegenstand rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchung, in: Raiser u.a. (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Schriften des Vereins für Sozialpolitik N. F. 33 (1964), S. 51–56.

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Dies auch deshalb, weil Rechtsprechung und Schrifttum der Hauptversammlung in der Konzernspitze die Einflussnahme auf das Geschehen in nachgeordneten Konzerngesellschaften ganz weithin verwehren.51 Die Ablehnung des Lutter’schen Ansatzes von der „konzernspezifischen Binnenordnung“ kulminiert 2004 im Gelatine-Urteil des Bundesgerichtshofs;52 dabei verkennt das Gericht mit seinem individualistischen Ansatz beim Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht des einzelnen Aktionärs durch Mediatisierung seiner Einflussmöglichkeiten das primär Institutionelle der Hauptversammlungszuständigkeiten in der Konzernmuttergesellschaft. In ihr geht es, wie Marcus Lutter eingangs seines Grundlagenaufsatzes 1974 zurecht herausgestrichen hatte, um die Beschränkung von Macht durch Teilhabe53 – konkret: um die Beschränkung des Konzernvorstands in seiner Machtentfaltung durch Entscheidungsteilhabe der Hauptversammlung in der Konzernspitze.54 Diese Machtbalance im hierarchisch ungeschichteten Nebeneinander der drei Organe 55 kennzeichnet das deutsche Aktienrecht und ist so Teil unserer allgemeinen Wirtschaftsordnung: Aufsichtsrat und Hauptversammlung tarieren die Vorstandsmacht aus. Zu dieser Erkenntnis ist der Bundesgerichtshof in seinem Bemühen nicht vorgestoßen, globalen Akteuren die Lähmung durch mühsam herbeizuführende Hauptversammlungsentscheide zu ersparen.56 Zugegeben – im Lutter’schen Konzernverfassungsrecht fehlt damit im Firmament der Muttergesellschaft der Schlussstein. Aber ist seine Lehre damit am vorläufigen Ende? Überhaupt nicht! Da wir uns nach dem zutreffenden Eingeständnis des Bundesgerichtshofs mit dem Problem der Kompetenzerstreckung im Bereich der offenen Rechtsfortbildung57 bewegen, geht es jetzt erst richtig los: Weder der Aktiengesetzgeber von 1937, noch der von 1965 haben die organisationsrechtlichen Konsequenzen des Konzernverbunds in ihrer Totalität erkannt.58 Für die Rechtswissenschaft bleibt die Aufgabe un51 BGHZ 159, 30, 44 – Gelatine; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht (5. Aufl. 2008), vor § 311 AktG Rn. 46; Spindler/Stilz-Hofmann (Fn. 47), § 119 AktG Rn. 27; Liebscher, Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten im Lichte von Holzmüller, Macroton und Gelatine, ZGR 2005, 1, 15; Schmidt/Lutter-Spindler (Fn. 47), § 119 AktG Rn. 30; s. aber auch Münchener Kommentar-Kubis (Fn. 47), § 119 AktG Rn. 41. 52 BGHZ 159, 30, 39 – Gelantine. 53 Lutter, FS Westermann (1974), S. 348. 54 Hommelhoff (Fn. 39), S. 422 zusammenfassend These 16. 55 In Rechtsgesprächen hat Lutter diese Sentenz immer wieder gern benutzt; übernommen von Hommelhoff (Fn. 39), S. 225. 56 BGHZ 159, 30, 44 – Gelatine. 57 BGHZ 159, 30, 43 – Gelatine im Anschluss an Geßler, Einberufung und ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten, in: Lutter/Mertens/P. Ulmer (Hrsg.), Festschrift für Walter Stimpel zum 68. Geburtstag (1985), S. 780–789. 58 Dazu Geßler, FS Stimpel (1985), S. 780.

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verändert gestellt, diese Lücke namentlich für die Hauptversammlung in der Konzernmutter zu schließen – in getreulichem Respekt vor der Grundentscheidung der Gesetzgeber, die Aktionäre als König zu entthronen,59 aber doch mit dem legitimen Ziel, die ausgewogene Machtbalance der aktienrechtlichen Kompetenzordnung sachangemessen und praktikabel zugleich in den Konzern hinein zu verlängern. Machen wir uns keine Sorgen: auch nach „Gelatine“ ist keine Friedhofsruhe eingekehrt; dafür sorgen schon die momentan aufziehenden Diskussionen um die „Compliance im Konzern“:60 der Tanz um die Verantwortlichkeiten im Unternehmensverbund geht weiter. 5. Der Aktionär in der rechtlich geordneten Marktwirtschaft Marcus Lutter war und ist Gesellschaftsrechtler, kein allgemeiner Wirtschaftsrechtler. Deshalb hat er auch nicht die Rechtsgrundlagen der geltenden Wirtschaftsordnung im Einzelnen ausgemessen.61 Und dennoch hat er seine vielfältigen Überlegungen zum Gesellschaftsrecht vor dem Hintergrund der Gesellschafts-, Rechts- und Wirtschaftsordnung in Deutschland immer wieder unter einem spezifischen Aspekt entwickelt: unter dem von Delegation und Dezentralisation, auf denen nach seiner Überzeugung die Ordnung unseres sozialen Systems beruht. Denn, so führt Marcus Lutter in seinem Berliner Vortrag „Der Aktionär in der Marktwirtschaft“62 aus, eben diese Dezentralisation gewähre Freiheit dem Einzelnen und sie sichere Effizienz der Gemeinschaft. Deshalb sieht er im Aktionär nicht bloß den Kapitallieferanten mit Erlaubnis zur Spekulation und (über die Begründung zum Aktiengesetz 1965 hinaus) auch nicht bloß den wirtschaftlichen Miteigentümer der Aktiengesellschaft; vielmehr habe der Aktionär weitergehend zentrale Aufgaben im System einer dezentralisierten und sich selbst regulierenden und organisierenden Marktwirtschaft. Damit greift Lutter den schon von anderen vorgetragenen Gedanken vom Aktionär als ordnungspolitischem Faktor auf.63 So gesehen versteht es sich, dass Lutter dem Aktionär insbesondere die Aufgabe zuweist, die offene und durchaus auch politische Debatte um Auf-

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Näher hierzu Hommelhoff (Fn. 39), S. 329 ff. Dazu Fleischer, Corporate Compliance im aktienrechtlichen Unternehmensverbund, Corporate Compliance Zeitschrift 2008, 1–6; Koch, Compliance-Pflichten im Unternehmensverbund?, WM 2009, 1013–1020. 61 Hierzu etwa Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht (3. Aufl. 2008). 62 Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft (1974). 63 Lutter (Fn. 62), S. 26 f., Fn. 63 beruft sich hier auf Walter Strauss, Mestmäcker und Immenga. 60

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gabe und Ziel des einzelnen Unternehmens in dieser Ordnung und im Hinblick auf Art. 14 GG zu gewährleisten. In diesen Kontext stellt er dann auch die Anfechtungsbefugnis:64 Mit ihrer Ausübung sichere der Aktionär über seine persönlichen Belange hinaus zugleich das Allgemeininteresse an korrekter, insbesondere gesetzmäßiger Führung der Unternehmung Aktiengesellschaft. Wolle man die Liberalität dieser Regelung erhalten und die Klagebefugnis eines Aktienamtes, der Wirtschaftsverwaltung, eines öffentlichen Anwalts o. ä. vermeiden, so sei eine solche Anfechtungsklage mit Respekt vor der Person und mit Ernst und Seriosität in der Sache zu behandeln. Damals 1972 wandte sich Marcus Lutter mit diesen Formulierungen gegen die Versuche mancher Vorstände, klagenden Aktionären unlautere Beweggründe zu unterstellen oder ihnen die Anfechtungsklage gar abzukaufen. Seit „Kochs Adler“65 und anderen Fällen mehr wissen wir es besser, und Marcus Lutter selbst hat diese „Erpresser im Aktionärsgewand“ Debatten – prägend stigmatisiert: Diese „räuberischen Aktionäre“66 korrumpieren das sich Staats-fern selbst verwaltende und selbstkontrollierende System der Aktiengesellschaft. In ihm bleiben die Aktionäre dennoch nach Lutters Überzeugung primär Mitglieder im Besitz von Mitverwaltungsrechten und nur nachgeordnet investierende Eigenkapitallieferanten.67

IV. Der Kommunikator Marcus Lutter ist ein begnadeter Kommunikator. Er weiß um die Notwendigkeit des Diskurses und um seine Effekte: im Kreis der Kollegen, der allgemeinen Fachöffentlichkeit und darüber hinaus. Wortgewaltig und sprachbegabt entfaltet er im mündlichen Vortrag vielleicht noch ein wenig stärker als in der Niederschrift seine gewinnende Überzeugungskraft, die fast immer und nicht selten überraschende Erkenntnisse verschafft und zumeist weite Horizonte aufreißt. „Publish or perish“ ist mitnichten seine Empfehlung für eine Wissenschaftskarriere, sondern sein Lebensmotto: Nur wer sich in seinen Überlegungen und Erkenntnissen fort und fort entwickelt, der Fachöf-

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Lutter (Fn. 62), S. 23 f. BGHZ 107, 296 (mit Reaktionen von Heuer, Wer kontrolliert die „Kontrolleure“?, WM 1989, 1401–1408; Radu, Der Mißbrauch der Anfechtungsklage durch den Aktionär, ZIP 1992, 303–314; Teichmann, Rechtsmißbrauch durch eine Klage – OLG Hamm, WM IV 1988, 1164, und BGH, WM IV 1989, 2689, JuS 1990, 269–273; Wardenbach, Mißbrauch des Anfechtungsrechts und „nachträglicher“ Aktienerwerb, ZGR 1992, 563–586); eingehend zur missbräuchlichen Anfechtungsklage Spindler/Stilz-Dörr (Fn. 47), § 245 Rn. 54 ff.; Schmidt/Lutter-Schwab (Fn. 47), § 245 Rn. 36 ff. mwN. 66 Lutter, Zur Abwehr räuberischer Aktionäre, in: Der Betrieb (Hrsg.), Festschrift 40 Jahre Der Betrieb (1988), S. 193–210. 67 Lutter (Fn. 62), S. 44 f. (zusammenfassend). 65

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fentlichkeit mitteilt und ihrer kritischen Kontrolle stellt, ist wahrer Wissenschaftler. Das gilt für die Dissertation und Habilitationsschrift ebenso wie für Aufsätze und Urteilsanmerkungen oder Entscheidungsrezensionen. 1. Das öffentliche Wort Namentlich der Diskurs mit dem Bundesgerichtshof hat Marcus Lutter stets aufs neue beflügelt. Dabei hat er sich (bei allem Respekt vor den Bundesrichtern, denen er sich hier und da freundschaftlich verbunden wusste)68 nicht vor herber Kritik gescheut, wenn er sie für angezeigt hielt. Fernab von allem Persönlichen sah und sieht er darin die Erfüllung der Kontrollfunktion, die der Wissenschaft auferlegt ist. Noch heute schwirren in den Karlsruher Amtsstuben gelegentlich die Eingangsworte aus seiner Urteilsrezension im Siemens-Entscheid: „Welch’ Unglück, dies Urteil …“.69 In der Regel jedoch waren seine Anmerkungen, vor allem jedoch seine großen Entscheidungsrezensionen (man denke nur an „Kali-Salz“70 oder an „Süssen“71) darauf ausgerichtet, das in solchen Urteilen angelegte Argumentationspotential herauszuarbeiten, bestätigend zu entfalten und kraftvoll fortzuführen. Dies Zusammenspiel zwischen Gesellschaftsrechtswissenschaft und Rechtsprechung erlebte in der Zeit des Senatspräsidenten Walter Stimpel 72 gewiss ihren einzigartigen Höhepunkt.

68 Auf Langeoog trafen sich Marcus Lutter und Walter Stimpel (zu ihm unten Fn. 72) häufig in ihren Feriensitzen. 69 Lutter, Zum Bezugsrechtsausschluss bei der Kapitalerhöhung im Rahmen des genehmigten Kapitals, JZ 1998, 50 in Anmerkung zu BGHZ 136, 133; ähnlich kraftvoll zwanzig Jahre zuvor in Reaktion auf den VW-Entscheid (Lutter, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 16.2.1976 – II ZR 61/74, JZ 1976, 561, 562): „Die Entscheidung ist in Ergebnis und Begründung wahrhaft betrüblich“ (aaO. S. 562). Die „Friedenspfeife“ hat Marcus Lutter, Zu den Klagemöglichkeiten des Aktionärs bei einer pflichtwidrigen, kompetenzüberschreitenden Ausnutzung des genehmigten Kapitals, JZ 2007, 371–372, dann in seiner Anmerkung zu BGHZ 164, 241 geraucht. 70 Lutter, Materielle und förmliche Erfordernisse eines Bezugsrechtsausschlusses – Besprechung der Entscheidung BGHZ 71, 40 (Kali und Salz), ZGR 1979, 401–418 zu BGHZ 71, 40. 71 Lutter/Timm, Konzernrechtlicher Präventivschutz im GmbH-Recht, NJW 1982, 409–420 zu BGHZ 80, 69. 72 Prof. Dr. h.c. Walter Stimpel (1917–2008), im II. Weltkrieg Berufsoffizier, Flugzeugführer und Ritterkreuzträger; nach dem Krieg Jurastudium und Referendariat, Richter in Niedersachsen, seit 1965 Richter am Bundesgerichtshof, seit 1971 Senatspräsident und Vorsitzender des II. Zivilsenats, seit 1977 Vizepräsident des Bundesgerichtshofs, 1985 Eintritt in den Ruhestand; Ehrendoktor der Universität Tübingen, Honorarprofessor der Universität Heidelberg. – S. auch den Nachruf von Lutter, Unternehmensfinanzierung und -rechnungslegung, ZGR-Symposion 2008 am 18./19. Januar 2008 in Glashütten, ZGR 2008, 159, 160.

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Marcus Lutter mischt sich ein; auch das gehört nach seinem Selbstverständnis zu den Aufgaben eines Professors, eines „Bekenners“ – wenn es sein muss, auch über die Presse in der allgemeinen Öffentlichkeit. So hat er sich (zusammen mit seinem Kollegen und Freund Wolfgang Zöllner) mit allem Nachdruck und mit aller ihm eigenen Sprachgewalt im Strafverfahren „Mannesmann“ zu Wort gemeldet73 – ungeachtet der Tatsache, dass er sich damit gewiss nicht bloß Freunde schaffen werde; aber darauf kommt es ihm nicht an, ihm geht es um die Sache – so wie jüngst bei den Landesbanken, deren Verwaltungsräte er öffentlich aufforderte, sich ihres folgenschweren Fehlverhaltens zu schämen.74 Damit hat sich der Bürger Lutter in einer funktionierenden Demokratie Gehör verschafft – mögen darob auch Fachkollegen gelegentlich die Stirn runzeln. 2. in den Netzwerken: der Herausgeber Aber das allein macht den Kommunikator Lutter nicht aus. Diese Begabung wird überdies und vor allem durch seine Befähigung beflügelt, andere für eine gemeinsame Sache zu gewinnen, sie dafür in ihren Potentialen zu fördern, sie zusammenzubringen, Netzwerke zu bilden, sie zum gemeinsamen Erfolg zu führen. Gelernt haben mag er das in einer interdisziplinären Gesprächsrunde, die sich in Bochum selbstironisch „die Mondkälber“ titulierte, und zeitgleich in einem Arbeitskreis aus den damals vielversprechendsten und später dann berühmtesten Gesellschaftrechtlern seiner Generation.75 Von den zahlreich folgenden Arbeitskreisen seien hier nur der schon erwähnte zur Reform des Kapitalschutzes in Europa76 und das Forum Europaeum Konzernrecht 77 genannt. Dessen Vorschläge78 sind über die High 73

Lutter/Zöllner (Fn. 2). Lutter, BB 2009, 786; ders., ZIP 2009, 197; scharf kritisch auch Peltzer, Trial and Error – Anmerkungen zu den Bemühungen des Gesetzgebers, die Arbeit des Aufsichtsrates zu verbessern, NZG 2009, 1041, 1042 f.: Laienspielschar. 75 Arbeitskreis Gesellschaftsrecht unter Beteiligung von G. Hueck, Lutter, Mertens, E. Rehbinder, P. Ulmer, Wiedemann und Zöllner. 76 Lutter (Fn. 17). 77 Forum Europaeum Konzernrecht, Konzernrecht für Europa, ZGR 1998, 672–772; seinem steering committee gehörten neben Lutter Doralt/Wien, Druey/St. Gallen, Hommelhoff/Heidelberg, Hopt/Hamburg, Wymeersch/Gent an. Zu den weiteren Beteiligten s. ZGR 1998, 672 (Sternnote). 78 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 766 ff.; seine Überlegungen sind in mehreren Ländern rund um den Globus publiziert worden und haben im deutschen, aber auch vereinzelt im ausländischen Schrifttum Resonanz gefunden: Blaurock, Bemerkungen zu einem Europäischen Recht der Unternehmensgruppe, in: Berger/Ebke/Elsing (Hrsg.), Festschrift für Otto Sandrock zum 70. Geburtstag (2000), S. 79–93; Fleischer, Neue Entwicklungen im englischen Konzernrecht, AG 1999, 350–362; Kluver, European and Australian proposals for Corporate Group Law: a comparative analysis, EBOR 2000, 287–315; Windbichler, „Corporate Group Law for Europe“: Comments on the Forum Europaeum’s 74

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Level Group bei der EU-Kommission79 zu wesentlichen Teilen in deren Aktionsplan zum Gesellschaftsrecht80 eingeflossen. Seine kommunikative Begabung hat Marcus Lutter vor allem jedoch als Herausgeber entfaltet. In dieser Aufgabe konnte er sein Gespür für Entwicklungen, seine Freude an Neuem und dessen Gestaltung, aber auch sein Organisationstalent glücklich entfalten. In manchen Herausgeberschaften fand seine Rolle als Moderator eines Gesprächs- oder Arbeitskreises glänzend ihren öffentlich wahrnehmbaren Abschluss. Zwar ist hier und da der süffisante Einwurf zu vernehmen, ältere Herren hätten offenbar einen unstillbaren Drang, in Bibliotheken ihren Namen auf möglichst vielen Bücherrücken lesen zu wollen. Aber das hat Marcus Lutter wahrhaft nicht nötig; schon die von ihm selbst besorgten Neuauflagen jener Klassiker, die seinen Namen tragen, sorgen für permanente und regelmäßig aufgefrischte Präsenz in Buchhandlungen und Bibliotheken. Sein aus weitem Überblick gespeistes Gespür für Themen, die entstehen und bald (nicht selten brennend) aktuell werden, hat er nicht nur bei seinen berühmten Monographien unter Beweis gestellt, sondern auch in besonderer Weise bei seinen Herausgeberschaften.81 Als Beispiele sind neben den Handbüchern zur Holding82 und zur Konzernfinanzierung83 vor allem der Kommentar zum Umwandlungsgesetz84 zu nennen. Dabei liegt das mutig Gestal-

Principles and Proposals for a European Coporate Group Law, EBOR 2000, 265–285; s. auch den zusammenfassenden Überblick von Hopt, Konzernrecht für Europa – Zur Diskussion um die Vorschläge des Forum Europaeum Konzernrecht, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht (2001), S. 17–38. 79 Report of the High Level Group of Company Law Experts on a Modern Regulatory Framework for Company Law in Europa, 2002, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/modern/report_eu.pdf (Stand 30. Juni 2009), S. 78 ff. – Dazu Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (unter der Leitung von Lutter), Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Stellungnahme zum Report of the High Level Group of Company Law Experts on a modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, ZIP 2003, 863–880. 80 EG-Kommission, Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan vom 21. Mai 2003, abgedruckt u.a. in NZG 2003 Sonderbeilage zu Heft 13; dazu Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht (3. Aufl. 2006), S. 70 ff. 81 Zu nennen sind vor allem die interdisziplinär angelegten Herausgeberschaften wie Busse von Colbe/Lutter, Wirtschaftsprüfung heute: Entwicklung oder Reform (1977) oder Albach/Lutter u. a., Deregulierung des Aktienrechts: Das Drei-Stufen-Modell (1988). 82 Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch (4. Aufl. 2004) mit Besprechung von Veil, AG 2005, 371–372. 83 Lutter/Scheffler/Schneider (Hrsg.), Handbuch der Konzernfinanzierung (1998) mit Besprechung von Habersack, AG 1999, 384. 84 Lutter (Hrsg.), UmwG (1. Aufl. 1996); in der vierten Aufl. 2009 ist Martin Winter als Mitherausgeber hinzugetreten, aber mittlerweile viel zu früh verstorben.

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tende seiner Herausgeberschaft nicht im Kommentar (den brauchte die Praxis zweifellos), sondern in dessen Konzept eines wissenschaftlich fundierten UmwG-Kommentars für die Praxis. War sie für ein solches Konzept überhaupt zu gewinnen? Die Neuauflage mit ihrer immer stärkeren Fundamentierung auch im Dogmatischen haben den Mut des Herausgebers und seines mit ihm hoch zufriedenen Verlages längst aufs Schönste bestätigt. Die Lebensleistung Joachim Ganskes, weiland Ministerialrat im Bundesjustizministerium,85 und das kongeniale Kommentierungskonzept Marcus Lutters haben im europäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte86 dem deutschen Umwandlungsrecht einen vorbildlichen Spitzenplatz erobert. Aber all’ das wird noch überstrahlt von seiner größten Herausgeber-Leistung, von einem Kernstück seines Lebenswerks: von der „Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht“, der ZGR, die er 1972 zusammen mit Herbert Wiedemann,87 dem Frankfurter Anwalt Carl Hans Barz88 und Robert Fischer, dem späteren Präsidenten des Bundesgerichtshofs und damaligen Vorsitzenden dessen gesellschaftsrechtlichen Fachsenats89 aus der Taufe gehoben hat. Das war damals ein überaus mutiges, ja ansatzweise tollkühnes Unterfangen, neben der mehr als hundertjährigen und bestens eingeführten „Zeitschrift für die gesamte Handelsrechtswissenschaft“, der ZHR90 der Fachöffentlichkeit eine zweite Archivzeitschrift mit Konzentration auf das Gesellschaftsrecht91 anzubieten. Und schon damals war es Marcus Lutters Grundbegabung, die „seiner“ ZGR zunächst zu Absatzzahlen und sodann zu nationalem und auch internationalem Ansehen verhalf: die Gesellschafts-

85 Dr. Joachim Ganske (1928–2003) leitete bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1992 das Referat „Europäisches Gesellschaftsrecht, Konzernrecht und Recht der Umstrukturierung“ im Bundesjustizministerium. Der Wissenschaft bleibt insbesondere der konstruktive Dialog während des ZGR-Symposions zum Referentenentwurf für ein Umwandlungsgesetz (Goerdeler/Hommelhoff/Lutter/Odersky/Wiedemann, Die Reform von Umwandlung und Fusion, 7. Symposion der ZGR am 19./20. Januar 1990 in Glashütten-Oberems [Taunus], ZGR 1990, 391–632) in lebhafter und guter Erinnerung. 86 Hierzu grundlegend Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht (2006), § 6 Wettbewerb der Gesetzgeber, S. 330–399. 87 Zu ihm Fleischer, Herbert Wiedemann, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 167–184. 88 Zu ihm s. die Zueignung in: Fischer/Möhring/Westermann (Hrsg.), Festschrift für Carl Hans Barz zum 65. Geburtstag (1974), S. IX. 89 Zu ihm s. das Vorwort Lutter/Stimpel/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer (1979), S. V–VII. 90 Näher hierzu K. Schmidt, Rückblick der Schriftleitung auf 150 Jahre ZHR, ZHR 172 (2008), 507–509. 91 Die Gründungsidee der ZGR ist bislang nicht publiziert; sie liegt weiterhin wohl verwahrt in der „Bundeslade“ des Gründungsvorgangs.

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rechtswissenschaft mit verantwortlich gestaltenden Angehörigen der Rechtspraxis in einen konstruktiven Dialog zu bringen. Das ist vor allem anderen eine Frage der beteiligten Akteure. Wer einmal nur in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ZGR-Herausgebersitzung erlebt hat, der wird dieses Feuerwerk aus Ideen nie vergessen, das in ruhiger, ja: völlig entspannter Atmosphäre voller Kollegialität mit Sorgfalt hin und her gewogen wurde, um daraus ZGR-Projekte zu formen – ein wahrhaft verpflichtendes Vermächtnis; in seinem einen Brennpunkt stehen mittlerweile die Rezensionen der wichtigsten BGH-Urteile zum Gesellschaftsrecht92 – stets erneut Ausweis der ZGR-Gründungsidee. Ganz wesentlich zum Erfolg trugen auch die ZGR-Symposien bei, die bald nach der Zeitschriftengründung beginnend alle zwei Jahre einen zunächst kleinen und dann zunehmend größeren Kreis aus Gesellschaftsrechtswissenschaftlern, Richtern, Anwälten und Notaren, Unternehmensjuristen und Ministerialbeamten zusammenführen. Gemeinsam mit den jahresversetzt stattfindenden ZHR-Symposien ist es denen der ZGR gelungen, für das deutsche und europäische Gesellschaftsrecht eine Gesprächsplattform zu errichten, die es in dieser Form wohl kaum in einem anderen Land auf der Welt gibt. Diesen Solitär hat Marcus Lutter prägend mit konzipiert und zum Erfolg geführt; damit hat er dem Gesellschaftsrecht zugleich eine Leitfunktion verschafft. Seine Idee wirkte derart überzeugend, dass neben den ZGRund ZHR-Tagungen eine weitere Plattform für die große Gemeinde interessierter Gesellschaftsrechtler ins Leben gerufen werden musste: die Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR) mit ihren Jahrestagungen und daneben auch die ZIP- und NZG-Tagungen.93 Nur ein Erfolg blieb Marcus Lutter in diesem Bereich über lange Jahre hinweg versagt: die Gründung einer europäisch ausgerichteten Zeitschrift zum Gesellschaftsrecht, um auf der Grundlage des ZGR-Konzepts den Dialog der Verantwortungsträger Gemeinschafts-weit zu etablieren. Es fand sich keine (in der Kooperation für unverzichtbar gehaltene) britische Zeitschrift; und auch der Verlag scheute das Risiko. Mittlerweile jedoch ist die ZGR-Tochter „European Company and Financial Law Review“, die ECFR aus der Taufe gehoben94 und befindet sich unter engagierter Leitung95 auf dem Weg zum 92 Momentan engagiert initiiert und betreut von Wulf Goette, Vorsitzender des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs seit 2005 und ZGR-Mitherausgeber seit 2000 in Nachfolge des BGH-Präsidenten Walter Odersky. 93 Dazu Hommelhoff, Zur Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, Jahrestagung 1998 der VGR (1999), S. V f. 94 Vgl. Editors, Editorial, ECFR 2004, 1–2. 95 Sie liegt zur Zeit in den federführend verantwortlichen Händen von Heribert Hirte/Hamburg, einem Schüler des ZGR-Gründungsmitherausgebers Herbert Wiedemann (s. oben Fn. 87).

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Erfolg. Die Zahl der ausländischen ECFR-Kooperationspartner nimmt von Jahr zu Jahr zu und wird demnächst vielleicht durch den Beitritt eines englischen Verlages gekrönt werden. Lutters Ideen brauchen eben, wie wir wissen, ihre Zeit – und wenn es sein muss: Jahrzehnte.

V. Auf der Grenzlinie zur Politik Wer, wie Marcus Lutter, gestalten will, der kann sich als Wissenschaftler nicht damit begnügen, die eigene Fachöffentlichkeit anzusprechen und zu beeinflussen zu suchen. Die Chance, prägend-gestaltenden Einfluss zu gewinnen, erlangt allein jener Wissenschaftler, der die verständliche Scheu gegenüber der Politik überwindet und bereit ist zur Politikberatung.96 Marcus Lutter hat sich bewusst auf diese Grenzlinie zur Politik hin bewegt, ohne sich dabei jedoch politisch, insbesondere nicht parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Er war und ist offen für das Gespräch mit allen demokratischen Gruppierungen, wo auch immer sie positioniert sein mögen. Das hat ihn im Verlaufe seiner Wissenschaftlerkarriere in rechtspolitisch einflussreiche Stellungen geführt. Erst nach seiner Emeritierung hat er aus seinem liberalen Herzen (wen wundert’s?) keine Mördergrube gemacht.97 1. Präsident des Deutschen Juristentags Nach einigen ersten Fingerübungen im stellvertretenden Vorsitz der vom Bundesjustizminister einberufenen Unternehmensrechtskommission,98 deren Wirken trotz gewaltigen Papierumtriebs herzlich folgenlos blieb,99 näherte sich Marcus Lutter 1974 der Politikberatung über seine Berufung in die Ständige Deputation des Deutschen Juristentags;100 in ihr sollte er sich um das deutsche und europäische Wirtschaftsrecht kümmern. Allerdings – für große Reformvorhaben war die Zeit mit dem Aktiengesetz 1965 damals schon vorbei oder für das Handelsrecht noch nicht gekommen. Die große GmbH-

96 Grundlegend hierzu Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Politikberatung in Deutschland (2006) mit Beiträgen u.a. von Biedenkopf, Mayntz und Kloten. 97 Man darf wohl vermuten, dass ihn sein Freund Klaus Kinkel, zunächst Bundesjustizund dann Bundesaußenminister, zu diesem Schritt bewogen hat. 98 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission (1980). 99 Das lag gewiss an ihrem beschränkten Auftrag, Argumente pro et contra zu sammeln und zu systematisieren, aber gerade nicht Gestaltungsvorschläge als Kommission zu beschließen. 100 S. hierzu den Bericht von Lutter, Der Deutsche Juristentag und das Wirtschaftsrecht 1970–1992, in: Henssler/Mattig/Nadler (Hrsg.), Festschrift für Felix Busse zum 65. Geburtstag (2005), S. 247–251.

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Reform, die man zu jener Zeit diskutierte,101 war erkennbar ins Gerede geraten und mündete dann auch prompt in die kleinen Retuschen der GmbHNovelle 1980 aus.102 Sogenannten „Jahrhundertreformen“ eignet nicht selten der Anflug des Lächerlichen. Die Ständige Deputation jedenfalls konzentrierte sich, gewiss maßgeblich beeinflusst von Marcus Lutter, auf kleinere Parzellen und agierte hier, wenn auch gelegentlich mit einiger Verzögerung im rechtspolitischen Raum, durchaus erfolgreich. Zwar landeten die Empfehlungen der ersten Juristentags-Abteilung unter Lutters Leitung,103 sauber verpackt im Entwurf für ein Vermögensanlagegesetz104 nach Torpedobeschuss aus Heidelberg105 auf dem Schiffsfriedhof der deutschen Rechtsgeschichte; aber das über die Verhandlungen des Juristentags ins allgemeine Bewusstsein gehobene Kapitalmarktrecht kam dann doch mit Macht auf dem Weg über das Gemeinschaftsrecht aus Brüssel.106 Die erfolgreichste Abteilung während Lutters Zugehörigkeit zur DJT-Deputation war nicht die zur Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen,107 auch wenn sie in die als Werbegag „Kleine Aktiengesellschaft“108 apostrophierten Erleichterungen an der einen und anderen Stelle im Aktiengesetz ausmündete. Am erfolgreichsten war gewiss die insolvenzrechtliche Abteilung von 1982109 unter seiner Leitung mit dem Ziel, für die rechtlich geordnete Sanierung von gestrauchelten, aber sanierungswürdigen Unternehmen nach US-amerikanischem Vorbild einen Regelungsrahmen zu schaffen. Die damaligen Anregungen hat die Insolvenzordnung von 1994 breitflächig und intensiv aufgegriffen.110 Da-

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Dazu näher etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht (4. Aufl. 2002), S. 989. Hierzu u.a. Lutter, Die GmbH-Novelle und ihre Bedeutung für die GmbH, die GmbH & Co KG und die Aktiengesellschaft, DB 1980, 1317–1326; Timm, Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, GmbHR 1980, 286–295; s. in diesem Zusammenhang auch den Verriss von K. Schmidt, Der Aufstand der Makulatur – oder – Da irrte Julius von Kirchmann, JZ 1984, 880–881. 103 Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 51. DJT (1976), Band II, Abteilung Anlegerschutz, P 207 f. 104 Regierungsentwurf eines Vermögensanlagegesetzes, BT-Drucks. 8/1405 vom 2.1. 1978. 105 Ulmer/Dopfer, Anlegerschutz und Gesellschaftsrecht, BB 1978, 461–466. 106 Für einen ersten Überblick Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht (2008), S. 9 f.; vertiefend Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht (2004), S. 289 ff. 107 Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 55. DJT (1984), Band II, Wirtschaftsrechtliche Abteilung, M 6 ff. (Vorsitz Friedrich Kübler). 108 Dazu Seibert/Kiem/Schüppen (Hrsg.), Handbuch der kleinen AG (5. Aufl. 2008). 109 Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 54. DJT (1982), Band II, Abteilung Unternehmenssanierung, M 239 ff.; s. dazu auch Lutter, FS Busse (2005), S. 247, 248 f. 110 Dazu Hax u.a., Insolvenzrechtsreform – mehr Effizienz bei Insolvenz? Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (BFuP) (1995), S. 59 ff. – Insoweit gilt es allerdings, angestoßen durch die Weltwirtschaftskrise von 2009, im Interesse der Frühsanierung von Unternehmen und ihrer Restrukturierung rechtspolitisch fortzuschreiben, s. dazu den 102

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bei fasziniert das Zusammenspiel von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht in seinen intra- und interdisziplinären Gesamtbezügen noch heute und hätte es unter vielen Aspekten wahrhaft verdient, noch viel stärker im akademischen Unterricht behandelt zu werden;111 aber der zielt ja immer noch ganz einseitig auf die Befähigung zum Richteramt ab.112 1982 avancierte Marcus Lutter vom einfachen Deputationsmitglied zum Präsidenten des Deutschen Juristentags. Das war nicht bloß eine großartige Anerkennung seiner erfolgreichen Deputationsarbeit, sondern vor allem ein Vertrauenserweis für die Zukunft: Ihm traute man zu, den so heterogen zusammengesetzten Juristentag so in die Zukunft zu führen, dass sein Votum nicht bloß gehört wird, sondern auch Wirkung entfaltet. Dem ist Lutter gerecht geworden; in guter Erinnerung ist noch seine öffentliche Empörung über die wandelnden Stimmblöcke, die von Abteilung zu Abteilung zogen, um für Abstimmungsergebnisse bestimmter Couleur zu sorgen. Ihm ging es um die Seriosität des Juristentags und um die Ernsthaftigkeit seiner Beratungen. Das Plenum des Deutschen Juristentags hat es Marcus Lutter bei seinem Abschied 1988 mit stehenden Ovationen gedankt – zwei Jahre zu früh; denn welch’ großartiger „Vereinigungspräsident“ wäre er gewesen.113 Darüber wird ihn das Große Bundesverdienstkreuz nur schwach hinweggetröstet haben. 2. in der Kodexkommission Und noch einmal hat sich Marcus Lutter auf der Grenzlinie hinüber zur Politik lange Jahre der Gemeinschaft uneigennützig, wenn auch zu eigener Befriedigung und Freude zur Verfügung gestellt: als Mitglied der RegieKoalitionsvertrag der Regierungsparteien für die 17. Legislaturperiode, Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. vom 27.10.2009, Zeilen 469 bis 492: Reform des Insolvenzrechts. 111 Bemerkenswert hingegen die Aufbaustudiengänge zur Unternehmenssanierung und -restrukturierung, die in jüngerer Zeit u.a. die Juristischen Fakultäten in Heidelberg und Mannheim anbieten. 112 Zur Kritik s. u. a. Hommelhoff, Anwälte im Streckbett der Richterausbildung, in: ders./Schmidt-Diemitz/A. Sigle, (Hrsg.), Familiengesellschaften, Festschrift für Walter Sigle zum 70. Geburtstag (2000), S. 463–473; ders., Zur Umsetzung der Juristenausbildungsreform 2003 auf Länderebene, in: Baumann/von Deckhuth-Harrach/Mavothe (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Otte zum 70. Geburtstag (2005), S. 123–133 mit Erwiderung von Horz/Katzenstein, Zur Umsetzung der Reform der Juristenausbildung in Baden-Württemberg, Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 2006, 1–8; ihrer Überzeugungskraft steht entgegen, dass das Justizministerium dieses Landes kurz darauf den Staatsexamensstudiengang vollständig aufgeben wollte. 113 Die Begrüßung der neuen Mitglieder aus den beitrittswilligen Bundesländern am Vorabend der Wiedervereinigung durch den DJT-Präsidenten Harald Franzki in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 58. DJT (1990), Band II, G 6 fiel bemerkenswert kühl und technisch aus. Was Marcus Lutter daraus gemacht hätte, klingt verhalten in seiner Einleitung zur Podiumsdiskussion (aaO. Q 6 ff.) an.

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rungskommission Corporate Governance und dann mit dem Auftrag, am Deutschen Corporate Governance Kodex, an seiner Konzeption, seiner Ausformung, seiner Niederschrift und an seiner Fortschreibung mitzuwirken.114 Mit diesem Kodex verfolgt die Bundesregierung zwei Hauptziele:115 zum einen die persuasive Heranführung der deutschen Kapitalnachfrager an international übliche Strukturen und Verhaltensweisen und zum anderen die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Aktiengesellschaften auf den Kapitalmärkten der Welt. Im Zentrum dieses Kodex stehen Vorstand und Aufsichtsrat;116 und da ist Marcus Lutter in seinem Element: als Fachmann, als Ideengeber und, wo nötig, als Mahner – gegenüber der Wirtschaft ebenso wie gegenüber den Gewerkschaften. Die Gesellschaftsrechtswissenschaft im Zentrum der rechtspraktischen Entwicklungen; ihr hat Marcus Lutter in der Kodex-Kommission eine goldene Zeit beschert. Als Wissenschaftler hat er in der Kommission 2008 keine Nachfolge gefunden.117 Männer oder Frauen von seinem Kaliber und Format gepaart mit politischem Gespür finden sich nach ihm bei uns wohl schwerlich. 3. und die Wirtschaft? Das mag dann auch der Grund dafür sein, dass die Wirtschaft mit ihm nie rundum warm werden konnte.118 Er ist zu selbständig, zu souverän, zu unabhängig, als dass er sich für Dinge einspannen ließe, die er mit seinen eigenen Grundüberzeugungen nicht glaubt vertreten zu können. Manchem seiner Assistenten hat er die klare Aufgabe zugeteilt: „Halten Sie mich, sobald nötig, von Blödsinn ab.“

114 Zum Auftrag an die Kodexkommission s. Ringleb, 1. Teil: Vorbemerkung, III. Der Auftrag an die Kodexkommission, in: ders./Kremer/Lutter/von Werder (Hrsg.), Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex (3. Aufl. 2008), S. 19. 115 Näher Ringleb, 1. Teil: Vorbemerkung: IV. Der Systematische Ansatz der Kodexkommission und die Grundprinzipien des Deutschen Corporate Governance Kodex, in: ders./Kremer/Lutter/von Werder (Hrsg.), Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex (3. Aufl. 2008), S. 19 ff. 116 Die anfängliche Ausblendung des Vorstands aus der Corporate Governance wurde zu Recht vom Berliner Initiativkreis kritisiert; s. dazu schon Peltzer, Vorstand/Board: Aufgaben, Organisation, Entscheidungsfindung und Willensbildung – Betriebswirtschaftliche Ausfüllung, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance (1. Aufl. 2003), S. 224. 117 An seine Stelle ist Frau Rechtsanwältin Daniela Weber-Rey getreten, eine ausgewiesene Kapitalmarkt-Expertin. 118 Allerdings erging es ihm nicht so schlecht wie Theodor Fontane, dem rühmenden Sänger des märkischen Adels, der in seiner Enttäuschung über dessen Ignoranz dem jüdischen Bildungsbürgertum in seinem Gedicht „An meinem Fünfundsiebzigsten“ (abgedruckt u.a. in: Drude [Hrsg.], Theodor Fontane – Gedichte in einem Band [1998], S. 597) ein anrührendes Denkmal gesetzt hat.

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VI. Der akademische Lehrer Und wie steht es bei Marcus Lutter um die Einheit von Forschung und Lehre?119 1. Ein Hörsaal-Löwe Im Hörsaal soll er nach den glaubwürdigen Berichten ehemaliger Studierender in Bochum engagiert, aber gestrenge und tief sachlich gewesen sein. Während der Vorlesung lebte er ganz in seinem Stoff und wäre mit dieser Grundeinstellung durch jede Bologna-orientierte Abschlussprüfung für Hochschuldidaktik mit Glanz und Gloria durchgefallen: Kein vorgefertigter Witz zu Beginn der Stunde zum Anwärmen und kein Bericht über die Streiche seiner Kinder, um durch geistige Lockerung nach 12 Minuten der beginnenden Ermüdung im Hörsaal entgegen zu wirken. Das war und ist ihm alles zu platt und auch gänzlich unnötig. Denn schon zu Vorlesungsbeginn hatte Lehrer Lutter für den fortdauernd belebenden Adrenalinschub gesorgt: Wer keinen Schönfelder bei sich habe, könne gleich nach Hause gehen, und wer keine Lust verspüre, am Samstag im Juristischen Seminar nachzuarbeiten, der solle sein Jurastudium besser an den Nagel hängen. Und wenn ein Studierender eine wahrhaft abwegige Frage stellte, dann schloss er die Augen und griff sich so unnachahmlich in die Haare, dass jedermann im Saale die Qualität der Frage einstufen konnte. Aber bei aller Strenge riss er seine Zuhörer mit, begeisterte viele von ihnen und brachte ihnen wirklich etwas bei – kurzum: als akademischer Lehrer hatte Marcus Lutter Charisma; davon kündete nach jeder Stunde die Traube junger Damen, die ihn mit Nachfragen bombardierten. Mittlerweile in hohe und höchste Ämter aufgestiegen, gestehen sie heute frank und frei, damals alle in Professor Lutter „verknallt“ gewesen zu sein. Gewiss – er war eine imposante Erscheinung – viele erinnern sich noch an den legendären langen weißen Pelzmantel, den Gehpelz, den er ensemble mit einem auffällig breitkrempigen Hut voll Würde trug, und überhaupt an seine geistesfürstlichen Auftritte, wenn er pünktlich eine Minute nach Beginn einer Vortragsveranstaltung, also noch während der Begrüßung durch die Stille von ganz hinten nach ganz vorn den Vortragssaal durchmaß, und mit erwartungsvoll freundlicher Miene in der ersten Reihe Platz nahm: Ich bin da, nun kann’s losgehen.

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Um die Wissenschaftlichkeit des Jurastudiums scheint es nicht sonderlich gut bestellt zu sein; bezeichnend dafür die Reformdebatte 1990: sogar im Zusammenhang mit „Grundstudium und Rechtsdogmatik“ taucht in keinem der erstatteten Gutachten und Referate das Werk „Wissenschaft“ oder „Wissenschaftlichkeit“ auf (vgl. Ständige Deputation des Deutschen Juristentages [Hrsg.], Verhandlungen des 58. DJT [1990], Band II, Teil O Sitzungsberichte über die Verhandlungen der Abteilung Juristenausbildung).

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2. Doktorvater Fordern, begeistern und fördern – unter diesem Motto begegnete Marcus Lutter auch seinen Doktoranden in den kahlen Seminarräumen der RuhrUniversität und später in den nur wenig stärker inspirierenden der Bonner Universität wie in der angenehm aufgelockerten Atmosphäre des Wasserschlosses Gemen im Münsterland. Insbesondere hier empfing so mancher Doktorand den notwendigen Schub und sei es mit dem aufmunternden Rat, eine Arbeit mit solchen Argumenten am besten gleich wegzuwerfen. Solche Stahlgewitter musste man aushalten lernen, und die unglaubliche Zahl von gut 120 erfolgreich abgeschlossenen Promotionsverfahren zeigt, wie viele auch das bei ihm gelernt haben. Dabei nahm sich Marcus Lutter stets selbst in Disziplin: die Dissertationsentwürfe sah er gewöhnlich in Wochenfrist durch; sagenumwoben ist jener Kurzaufenthalt, aus dem er nach einer Woche mit fünf durchgesehenen und votierten Dissertationen von Langeoog zurückkehrte. 3. Der Lehrstuhl All’ das prägte in gleicher Weise seinen Lehrstuhl in Bochum, später in Bonn und die Tätigkeit seiner Mitarbeiter und Assistenten an ihm. Bei seinen Projekten erwartete Lutter kritisches Mitdenken und engagierte Zuarbeit – am liebsten rund um die Uhr. Berüchtigt waren seine Anrufe am späteren Abend zu Hause oder am Sonntagmorgen. Unvergesslich jener Anruf am Heiligen Abend, ein bestimmtes Aufsatzprojekt müsse unbedingt vor Jahreswechsel abgeschlossen sein. Nicht jede Ehefrau hat mit Duldergemüt ertragen, Weihnachten mit den Kindern allein feiern zu müssen. Aber es hat nicht geschadet; den Lehrstuhl und seine wechselnden Mannschaften hat es zusammengeschweißt – erstaunlicherweise nicht gegen den „Chef“, sondern mit ihm: als Führungskraft ist Marcus Lutter ein Naturtalent. Wir „Lutteraner“ sind gehärtet; wer die letzte legale Knechtschaft auf deutschem Boden120 überstanden hat, der weiß auch heute noch als Mitautor neben ihm mit Sentenzen wie „Vergällen der Lebensfreude“ oder „Aufkündigung der Freundschaft“ umzugehen: „gar nicht drum kümmern, nur der Erfolg zählt.“

120 Zur Aufhebung der Leibeigenschaft in Schleswig-Holstein und zu deren Ausstrahlung auf andere Länder: Degn, Schleswig-Holstein – eine Landesgeschichte (2. Aufl. 1995), S. 182, 186 f.; s. auch Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins (8. Aufl. 1981), S. 214 ff.

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VII. Der Europäer in seiner Generation Im Rückblick geschaut überdeckt das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts im Gesellschafts- und Unternehmensrecht eine ausnehmend fruchtbare Zeitspanne. Anders als in der Anwalts-geprägten Weimarer Republik121 haben in der Hauptsache drei Professoren: Marcus Lutter, Peter Ulmer 122 und Wolfgang Zöllner123 den Fortgang des Rechts geprägt; zu ihnen gesellte sich dann noch das Genie124 Karsten Schmidt125, während Herbert Wiedemann126 bei aller Größe wohl eher auf sich gestellt blieb. Welche Rolle hat Lutter in diesem Quatrumvirat gespielt? Was die Rolle seiner beiden Altersgenossen angeht, so hat er sie in seinem Berner Zivilrechtslehrer-Referat aufs Köstlichste beschrieben:127 „Wenn Ulmer und Zöllner mit mir eine Ballonfahrt über die Schweiz verabreden, so sind wir – was schwierig genug ist – in diesem Punkte einig (beschränktes Ziel); darüber hinaus wissen wir, dass Geld aufzubringen ist, Ulmer den Pilotenschein zu machen hat und Zöllner schon einmal beginnen sollte, die Luft um sich herum aufzuheizen. Aber alles übrige steht in den Sternen: Vom Startplatz bis zu den hier wohl zweckmäßigen Sach- und Lebensversicherungen, von den behördlichen Auflagen bis zur Sektmarke, die mitzunehmen ist …“

Alles klar? Zöllner befeuert den Auftrieb, Ulmer hält Kurs und Marcus Lutter schaut in die Sterne; er ist der Visionär mit Überblick in weiter Runde, mit Gespür, woher der Wind zieht, und mit der Ansage, in welche Richtung, zu welchen Horizonten die Reise gehen soll. Dabei ist Lutter beileibe kein Luftikus ohne Bodenhaftung; dem steht schon sein Sinn für das Rechtspraktische, für das unternehmerisch Relevante entgegen. Und auch rechtsdogmatisch kann er ganz anders; davon zeugt seine große und noch heute faszinierende Abhandlung über die „Theorie der Mitgliedschaft“.128 1. Der Visionär Nein, der Visionär in diesem Quatrumvirat herausragender Gesellschaftsrechtswissenschaftler ist Marcus Lutter, weil er von Anbeginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn und ohne Unterbrechung der begeisterte Europäer in

121 S. dazu etwa Kleindiek, Max Hachenburg – jüdischer Rechtsanwalt und Publizist, NJW 1993, 1295–1301. 122 Zu ihm Habersack, in diesem Band, S. 127–145. 123 Zu ihm Noack, in diesem Band, S. 71–95. 124 Lutter, FS K. Schmidt (2009), S. 1065: juristisches Universal-Genie. 125 Zu ihm Bitter, in diesem Band, S. 161–183. 126 Zu ihm Fleischer (Fn. 87), S. 167 ff. 127 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 84, 92. 128 Lutter, AcP 180 (1980), 84.

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seiner Generation war und noch immer ist. In ihrer Zeit ist die Europäische Gemeinschaft qualitativ von der Wirtschaftsgemeinschaft zur Union ihrer Mitgliedstaaten herangewachsen,129 umfasst sie nun quantitativ die meisten Staaten dieses Kontinents in friedlicher Gemeinschaft. Diese verheißungsvolle Zukunftsperspektive hat Marcus Lutter immer wieder in der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit mitgestaltend aufgegriffen und so auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Schule des deutschen Rechts an der Universität Warschau zusammen mit Kollegen seiner Bonner Fakultät etabliert.130 Wie viel Herzblut er in dies Projekt investiert hat, konnte deutlich spüren, wer seine Dankesrede anlässlich der Ehrenpromotion dort hörte. Was die Nationalsozialisten auch an Immateriellem zerstört haben, schmerzt ihn tief; dem hatte Marcus Lutter schon in einem Sammelband über emigrierte Juristen bewegend Ausdruck verliehen.131 2. Die Europäische Aktiengesellschaft Europa als Feld der Gesellschaftsrechtswissenschaft;132 nach seiner Habilitationsschrift zum Kapitalschutz133 war es vor allem das Projekt der Societas Europaea, der Europäischen Aktiengesellschaft, das ihn faszinierte und als Rechtswissenschaftler herausforderte. Den großartig umfassenden Statutsentwurf des Niederländers Pieter Sanders134 begleitete er mit einem gewiss nicht weniger großartigen Sammelband „Die Europäische Aktiengesellschaft“;135 in dessen 21 Einzelbeiträgen sind die Statutsvorschläge vom Ge-

129 Vgl. etwa Müller-Graff, A. I: Verfassungsziele der EG/EU, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblattsammlung, Band 1 (2009), S. 1–72. 130 Die Festansprachen zur Eröffnung des jeweils neuen Jahrgangs sind in der Schriftenreihe „Deutsche Rechtsschule an der Universität Warschau“ publiziert. 131 Lutter/Stiefel/Hoeflich (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland (1993); s. aber auch Lutter, Laudatio für Stefan Albrecht Riesenfeld, abgedruckt im Newsletter der deutsch-amerikanischen Juristenvereinigung (1983), 49, 50 sowie ders., Besprechung von Jack Beatson and Reinhard Zimmermann, Jurists Uprooted. German-speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain, Oxford 2004, RabelsZ 70 (2006), 579–583. 132 Dazu Lutter, Europa und das Unternehmensrecht, in: Riesenhuber (Hrsg.), Die Europäisierung des Privatrechts, Praxishefte zum Europäischen Wirtschaftsrecht, Heft 1 (2006), S. 21–32; sowie u. a. Engert, § 5 Gesellschaftsrecht, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts (2. Aufl. 2008), S. 225–280; Weller, Kapitel 18: Handels- und Gesellschaftsrecht, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005), S. 769–819. 133 Lutter (Fn. 13). 134 Vgl. dazu die immer noch faszinierende Antrittsrede, die Sanders am 22.10.1959 vor der Niederländischen Wirtschaftshochschule in Rotterdam gehalten hat (Sanders, Auf dem Wege zu einer europäischen Aktiengesellschaft?, RIW 1960, 1–5). 135 Lutter (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft (1976; 2. unveränderte Aufl. 1978).

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7. Teil: Wirtschaftsrecht und Grenzüberschreitung

sellschafts- über das Konzern- bis hin zum Betriebsverfassungsrecht eingehend mit dem Ziel gewürdigt worden, dem europäischen Gesetzgeber Anregungen für die Vervollkommnung dieses Projekts zu unterbreiten.136 Leider haben weder Kommission, noch Ministerrat diese in der damaligen Wirtschaftsgemeinschaft einzigartige Hilfestellung aufgegriffen. Mit dem neuen Grundkonzept für das SE-Statut137 und mit der Konzentration der Debatte auf seine mitbestimmungsrechtlichen Fragen138 lässt sich dieser Fehler sicher ebenso erklären wie mit der damaligen Unkenntnis der Wissenschaft von den internen Abläufen im europäischen Gesetzgebungsprozess. Und als die Kommission 1989 ihren „abgespeckten“ Torso-Entwurf für ein SE-Statut vorlegte, da zeigte der Europäer Lutter für das Vorgehen der Kommission Verständnis, während der Jurist Lutter dafür votierte, das Konzept des Vorschlags 1989 abzulehnen.139 Gottlob hat der europäische Gesetzgeber dies wohl begründete Votum ignoriert und exakt zum 70. Geburtstag Marcus Lutters im Dezember 2000 die SE-Verordnung samt Begleitrichtlinie in Nizza grundkonzeptionell verabschiedet.140 Seine selbstverständliche Antwort ließ nicht lange auf sich warten: der wissenschaftlich fundierte SEKommentar für die Praxis;141 diese supranationale Rechtsform hat mittlerweile vor allem in Deutschland renommierte Unternehmen veranlasst, in das europäische Rechtskleid überzuwechseln,142 ein Ende ist nicht abzusehen. Der Name Lutters wird über diesen Kommentar bis in ferne Zukunft mit „seiner“ Europäischen Aktiengesellschaft verbunden bleiben. 3. und die Monographie zum Konzernverfassungsrecht in Europa? Und im Gesellschaftsrecht der Gemeinschaft ist vielleicht auch der Grund dafür zu suchen, dass er ein Projekt nicht mutig unter die Feder genommen hat, für das er wie kein zweiter geschaffen gewesen wäre: die große Monographie zum Konzernverfassungsrecht, zum Binnenrecht der Konzerne.

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Lutter, Zur Einführung, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 135), S. VI. Hierzu Blanquet, Das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea SE), ZGR 2002, 20, 24 f.; Teichmann (Fn. 86), S. 249 ff. 138 Speziell hierzu Heinze, Die Europäische Aktiengesellschaft, ZGR 2002, 66–95. 139 Lutter, Genügen die vorgeschlagenen Regelungen für eine „Europäische Aktiengesellschaft“?, AG 1990, 413, 421. 140 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. 2001 Nr. L 294/1; der Durchbruch hierfür gelang den Regierungschefs der Mitgliedstaaten am 7./8.12.2000 in Nizza (dazu Blanquet, ZGR 2002, 20, 33). 141 Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), SE-Kommentar (2008) mit vorbereitendem Symposion Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft (2005). 142 Näher Eidenmüller/Engert/Hornuf, Die Societas Europaea – Empirische Bestandsaufnahme und Entwicklungslinien einer neuen Rechtsform, AG 2008, 721–730. 137

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Aber seit der gemeinsamen Arbeit im Forum Europaeum Konzernrecht143 vor zehn Jahren weiß er definitiv, dass die Zeit für ein konzeptionell geschlossenes Konzernrecht in der Gemeinschaft noch nicht reif ist; zu sehr gehen die Grundvorstellungen in den Mitgliedstaaten noch auseinander.144 Und ein auf Deutschland beschränktes Konzernverfassungsrecht zu schreiben, verbietet sich angesichts der Tatsache, dass die meisten Konzerne, auch die in der mittelständischen Wirtschaft, längst die deutschen Grenzen im europäischen Binnenmarkt und global überschritten haben. So müssen sich andere, spätere Generationen auf den Weg machen, das gemeinschaftsweite Gespräch zu den Binnenstrukturen des Konzerns und zu ihm überhaupt zu eröffnen und zu führen. In der Generation der wissenschaftlichen Enkel145 stehen sie nach meiner festen Überzeugung bereit, um dereinst das „Europäische Konzernrecht samt Konzernverfassungsrecht“ zu schreiben und mit der Vollendung des Konzernrechts146 auf der Ebene der Gemeinschaft das Vermächtnis des großen Europäers Marcus Lutter zu erfüllen.

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Oben Fn. 77. Oben Fn. 78. 145 Kleindiek, Konzernstrukturen und Corporate Governance, Leitung und Überwachung im dezentral organisierten Unternehmensverbund, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance (2. Aufl. 2009), S. 787–824; Teichmann, ECLR – Corporate Governance in Europa, ZGR 2001, 645–679. 146 Oder sollte vielleicht für Lutters Konzernverfassungsrecht gelten, was mancher der Schubert’schen Symphonie in h (D 759) glaubt attestieren zu sollen: Das Bruchstück sei (schon) in seiner Zweisätzigkeit innerlich vollendet (dazu Lindmayr-Brandl, Franz Schubert. Das fragmentarische Werk [2003], S. 251 ff. mwN.). 144

Peter Ulmer* Mathias Habersack I. Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das wissenschaftliche Werk . . . . . . . . . 1. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Themen und Hauptwerke . . . . . . . . a) Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . aa) Personengesellschaften . . . . . . bb) GmbH . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aktien-und Mitbestimmungsrecht b) AGB- und Verbraucherschutzrecht . c) Handels- und Wirtschaftsrecht . . . . d) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . .

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Peter Ulmer, über den im Folgenden zu berichten ist, hat das deutsche Zivilrecht auf vielfältigste Weise geprägt und darf zu den Lichtgestalten seines Faches gerechnet werden. Sein Wirken umfasst sämtliche Bereiche des Gesellschaftsrechts, das AGB- und Verbraucherschutzrecht sowie das Kartellrecht. Ihn zu portraitieren ist für den Schüler kein ganz leichtes Unterfangen. Denn zum einen fehlt es dem Schüler, da er im Allgemeinen – und so auch hier – auf seinen akademischen Lehrer erst trifft, nachdem dieser seine wissenschaftliche Qualifikation erworben und es zu Amt und Würden gebracht hat, zu einem Gutteil an jeglicher eigener Anschauung. Zum anderen ist der Schüler, auch soweit er als Zeit- und Augenzeuge berufen ist, zu einem unbefangenen Portrait schon deshalb kaum imstande, weil er sich auf vielfältigste Art und Weise Person und Werk des Lehrers verbunden fühlt. Nicht zuletzt mit Blick auf diese Gegebenheiten sei mit einer betont nüchternen Darstellung des wissenschaftlichen Werdegangs Ulmers begonnen.

* Vortrag am 24. April 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin.

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I. Werdegang Peter Ulmer wurde am 2. Januar 1933 in Heidelberg als Sohn von Eugen Ulmer, Professor an der Heidelberger Juristischen Fakultät und nachmaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München,1 und Elisabeth Ulmer, geb. Linser, geboren. An das Heidelberger Abitur schloss sich sogleich – ab 1952 – das Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Genf und Heidelberg an. Der glänzend bestandenen Ersten Juristischen Staatsprüfung folgten ein mit dem Master of Comparative Law abgeschlossener Studienaufenthalt in Ann Arbor/Michigan, die von Mosler betreute, 1960 veröffentliche Heidelberger Dissertation über den Unternehmensbegriff im Vertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und – nach Stationen in Heidelberg, München und Luxemburg – die wiederum glänzend bestandene Zweite Juristische Staatsprüfung in Stuttgart. Sodann zog es Ulmer in die Praxis, und zwar zunächst in die Rechtsabteilung der Daimler Benz AG, danach – als Vorstandsassistent – zur WP-Gesellschaft Deutsche Treuhandgesellschaft AG (jetzt KPMG) und schließlich in den Juristischen Dienst der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Es ist vor allem Wolfgang Hefermehl 2 zu verdanken, dass Ulmer zur Wissenschaft zurückgekehrt ist und sich 1968 in Heidelberg als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit seiner Schrift über den Vertragshändler habilitiert hat. Alsbald erhielt Ulmer Rufe auf ordentliche Professuren an den Universitäten Hamburg und Salzburg. Ulmer zog es nach Hamburg, wo er von 1969 bis 1975 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht und Gewerblichen Rechtsschutz und Direktor des Seminars für Handels-, Schifffahrtsund Wirtschaftsrecht war. Einen 1972 an ihn ergangenen Ruf an die Universität Tübingen lehnte er ab. Im Jahr 1975 folgte Ulmer sodann einem Ruf auf den Heidelberger Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, wo er als Nachfolger Hefermehls Geschäftsführender Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht wurde; seiner Heimatuniversität blieb er trotz eines ehrenvollen Rufes an die Universität zu Köln bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2001 treu. 1977/78 war er Dekan der Juristischen Fakultät, von 1991 bis 1997 durch

1 Zu Eugen Ulmer s. das Portrait von Deutsch, Eugen Ulmer (1903–1988), in: Grundmann/Riesenhuber, Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 207–219. 2 Zu Wolfgang Hefermehl s. das Portrait von P. Ulmer, Wolfgang Hefermehl (1906–2001), in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 239–259 (255 f.).

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wiederholte Wahl Rektor der Universität; in dieser Eigenschaft bekleidete er zwei Jahre lang das Amt des Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz Baden-Württemberg. Viele Jahre lang war Ulmer Vorsitzender des Fachausschusses Rechtswissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages. Ausdruck der hohen Reputation Ulmers sind zudem die Ehrenpromotionen durch die Universidad Autónoma Madrid, durch die Universität Montpellier I und durch die Universität Lleida (Spanien). Die Emeritierung im Jahr 2001, abgerundet durch eine der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewidmete Abschiedsvorlesung, nahm Ulmer – selbstverständlich – nicht zum Anlass, in den wohlverdienten Ruhestand zu treten. Nach wie vor begleitet und gestaltet er die Entwicklung des Gesellschaftsund Wirtschaftsrechts in Form von Aufsatzveröffentlichungen und Kommentierungen; darauf ist zurückzukommen. Zudem hat er wenige Jahre nach der Emeritierung die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erworben, um als Rechtsanwalt in Mannheim tätig zu sein, zunächst bei Shearman & Sterling LL.P., sodann bei SZA Schilling Zutt & Anschütz als deren Rechtsnachfolgerin.

II. Das wissenschaftliche Werk 1. Methode Peter Ulmer hat Lehrbücher und dergleichen – von einer Ausnahme, auf die zurückzukommen sein wird, abgesehen – nicht verfasst. Seine bevorzugte Werkform ist neben dem Zeitschriften- und Festschriftenbeitrag der Kommentar, und zwar nicht der Kurz-, sondern der dem Kommentator Raum gewährende Großkommentar. Es ist auch alles andere als Zufall, dass am Beginn Ulmers kommentierender Tätigkeit die Übernahme größerer und wichtiger Partien in zur Reihe der „Großkommentare der Praxis“ gehörenden Kommentaren steht, nämlich der §§ 131 bis 144 für die 3. Auflage des Großkommentars zum HGB und der §§ 1 bis 12, 19, des Anhangs zu § 30, der §§ 34, 53 bis 64 und 78 für die 7. Auflage des Hachenburg’schen Kommentars zum GmbHG. Und wiederum kein Zufall ist es, dass Ulmer für die Folgeauflage der beiden Großkommentare die Herausgeberschaft übertragen wurde 3 und der Großkommentar zum HGB seitdem wieder den Namen seines Begründers – Hermann Staub – trägt.4 Zu Recht heißt es in einem jüngst

3 Im Falle des Großkommentars zum HGB gemeinsam mit Claus-Wilhelm Canaris und Wolfgang Schilling. 4 Zur Entwicklungsgeschichte der Staub’schen HGB-Kommentare s. Thiessen, „Ein ungeahnter Erfolg“ – zur (Rezeptions-)Geschichte von Herrmann Staubs Kommentaren, in:

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erschienenen, auf einen Vortrag auf einem Festkolloquium der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität für Hermann Staub zurückgehenden Beitrag zur (Rezeptions-)Geschichte von Hermann Staubs Kommentaren, dass sich „eine neue Generation von Herausgebern … der Methode Staubs verbunden (fühlte) und … dies nun auch wieder im Titel des Kommentars ausdrücken“ wollte.5 Worin aber bestand die Methode Staubs, des Mannes der Praxis, der bekanntlich – hier schließt sich der Kreis – auch den in der 8. Auflage von Ulmer herausgegebenen Großkommentar zum GmbH-Gesetz begründet hat? Hachenburg, der den Kommentar zum GmbH-Gesetz ab der 2. Auflage fortgeführt hat, hat die Methode wie folgt umrissen:6 „Die Art, wie er die Erläuterungen gibt, ist jedem bekannt. […]. Der grundlegende Satz wird mit einem Schlagworte an die Spitze gestellt. In Unterabteilungen wird der weitere Inhalt der Materie gegeben, stets unter Hervorhebung, auch im Drucke, des wesentlichen Momentes. Gern steht an der Spitze der Erläuterungen unmittelbar unter dem Gesetzestexte eine allgemeine Bemerkung. Sie orientiert über die Tragweite und den Zweck der Stelle. Von da entspringen die zahlreichen Wege nach links und rechts, überall von den Wegweisern begleitet und überall zum Ziele führend.“

Ulmer selbst umschreibt Aufgabe und Ziel der von ihm herausgegebenen 8. Auflage des „Hachenburg“ im Vorwort dahin gehend, dass es nicht nur um die sorgfältige Dokumentation des Meinungsstands und der Vielzahl einschlägiger Gerichtsentscheidungen gehe. Vielmehr, so fährt er fort, gehe es dem Kommentar „auch, wenn nicht vorrangig, darum, die tragenden Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen und der richterrechtlichen Entwicklungen herauszustellen. Dadurch soll der Benutzer in die Lage versetzt werden, sich auf neuartige Fragestellungen selbst eine systemkonforme, weiterführende Antwort zu erarbeiten. Die Verfasser wenden sich mit dieser Zielsetzung in erster Linie an Gerichte und beratende Praxis. Sie verbinden damit freilich die Hoffnung, das Werk möge entsprechend der Tradition der Großkommentare auch weiterhin maßgeblich zum wissenschaftlichen Dialog beitragen.“

Im Vorwort zur 4. Auflage des Staub bringt Ulmer als Mitherausgeber das Anliegen des Kommentars – und damit zugleich sein generelles Anliegen als Kommentator – wie folgt zum Ausdruck: „Die dem Vorläufer des Großkommentars von Staub vorangestellte Devise, ‚einen Kommentar zu liefern, der wissenschaftlich und praktisch, kurz und vollständig Henne/Schröder/Thiessen (Hrsg.), Anwalt – Kommentator – „Entdecker“, Festschrift für Hermann Staub zum 150. Geburtstag am 21. März 2006 (2006), S. 55–107. 5 Thiessen, FS Staub (2006), S. 55, 108. 6 Hachenburg, Nachruf: Hermann Staub, Holdheims Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen 13 (1904), 237, 238; auch wiedergegeben bei Thiessen, FS Staub (2006), S. 55, 59.

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zugleich sei‘, ist daher grundsätzlich auch für die Neuauflage maßgebend, selbst wenn das Streben nach Kürze angesichts der immer komplexer werdenden Rechtsfragen in einem Großkommentar nur noch begrenzt zu verwirklichen ist.“

„Wissenschaftlich und praktisch“ – auf diese Staub’sche Kurzformel lässt sich Ulmers Arbeits- und Forschungsstil bringen. Gewiss sind es die vor Beginn der Habilitation gesammelten beruflichen Erfahrungen, die Ulmers Sinn für die praktischen Gegebenheiten und Lebenssachverhalte und für die dienende Rolle des Rechts sowie Ulmers erfolgreiches Bestreben, den Rechtsfortbildungsprozess aktiv und maßgeblich zu begleiten und zu gestalten, geweckt haben. In seiner bemerkenswerten Dankesrede im Anschluss an die Überreichung der ihm gewidmeten Festschrift7 hat er denn auch Wolfgang Hefermehl, Walter Stimpel und Wolfgang Schilling als die Persönlichkeiten benannt, die ihn fachlich ganz besonders geprägt hätten und, das wird man ergänzen dürfen, von ihm ganz besonders geschätzt würden, der akademische Lehrer also,8 der langjährige Vorsitzende des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats des BGH,9 dem er – „als Zeichen des Dankes … für vielfältige Anregungen durch die beispielhaft am Grundsätzlichen orientierte Rechtsprechung seines Senats und durch persönliche Gespräche, aber auch die Verbundenheit im gemeinsamen Dienst an der wissenschaftlichen Durchdringung und Weiterbildung des Gesellschaftsrechts“ – die beiden ersten Auflagen seines Kommentars zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewidmet hat,10 und der erfolgreiche Mannheimer Rechtsanwalt, der gleichfalls dem Staub und dem Hachenburg seinen Stempel aufgedrückt hat, zu dessen 80. Geburtstag Ulmer ein noch heute nachwirkendes Symposium zu Fragen des Konzernrechts ausgerichtet hat11 und der Gründer und Namensgeber der Kanzlei ist, der Ulmer heute angehört.

7 Habersack u. a. (Hrsg.), Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag am 2. Januar 2003 (2003). 8 Vgl. dazu erneut Ulmer (Fn. 2), S. 239 ff. 9 Dazu Ulmer, Walter Stimpel zum 90. Geburtstag, ZIP 2007, 2241 f.; vgl. auch Stimpel/Ulmer, Einsichtsrecht der Gesellschafter einer mitbestimmten GmbH in die Protokolle des Aufsichtsrats?, in: Lieb/Noack/H. P. Westermann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag (1998), Bd. I, S. 589–605. 10 Zitat aus dem Vorwort zur 2. Aufl. von Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (2. Aufl. 1986), S. VII; ähnlich bereits Vorwort zur 1. Aufl., 1980; s. ferner Vorwort zur 3. Aufl. 1997, S. V: „Die Verbundenheit zum langjährigen Vorsitzenden des II. Zivilsenats (Gesellschaftsrechtssenats) und Vizepräsidenten des BGH, Herrn Dr. h.c. Walter Stimpel, und der Dank für seine vielfältigen Anregungen gelten auch für die Neuauflage unverändert fort.“ 11 Ulmer (Hrsg.), Probleme des Konzernrechts, Beiheft 62 der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (1989); s. ferner dens., Bleibende Beiträge Wolfgang Schillings zum Gesellschafts-, Konzern-, und Unternehmensrecht, ZHR 158 (1994), 1–10; K. Schmidt, Nachruf Wolfgang Schilling, JZ 1993, 350.

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„Wissenschaftlich und praktisch“ – dieses Charakteristikum erklärt zugleich die ungeheure Resonanz, die Ulmers Werke in Wissenschaft, Rechtsprechung und Gesetzgebung erfahren haben und auf die noch zurückzukommen sein wird, es erklärt, weshalb Ulmer seit Jahrzehnten und auch heute noch ein gefragter Rechtsgutachter und Schiedsrichter ist, und es erklärt, weshalb Ulmer bisweilen von einer von ihm zunächst vertretenen Ansicht, sollte sich diese nicht durchgesetzt haben, abrückt,12 statt besserwisserisch an ihr festzuhalten und sich hierdurch der Möglichkeit der konstruktiven Teilhabe an dem weiteren Rechtsfortbildungsprozess zu begeben.13 Dem wiederum entspricht es, dass Ulmer den Dialog mit der Praxis, allen voran mit dem II. Zivilsenat des BGH, pflegt. Mehrfach hat er es unternommen, „Richterrechtliche Entwicklungen im Gesellschaftsrecht“ nachzuzeichnen und zu systematisieren,14 und der heute vielfach und zu Recht gerühmte, im internationalen Vergleich fast einzigartige Dialog zwischen Rechtswissenschaft und höchstrichterlicher Rechtsprechung15 lag Ulmer nicht nur am Herzen,16 sondern ist ganz wesentlich und auf vielfältige Weise durch ihn gefördert worden, namentlich durch Begründung der schönen Tradition des zweijährlich stattfindenden ZHR-Symposiums.17 Bisweilen vermag der praxisorientierte Ansatz Ulmers sogar ein wenig zu irritieren, etwa wenn er den Mitherausgeber eines zweibändigen Handbuchs zur zweihundertjährigen Geschichte des deutschen Aktienrechts,18 von dem er um Übernahme eines 12 „Prominent“: Ulmer, Wege zum Ausschluß der persönlichen Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 1999, 509–517; ders., Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Durchbruch der Akzessorietätstheorie?, ZIP 1999, 554–565; dazu Hasselmann, Die Lehre Ulmers zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Wandel der Jahrzehnte (2007). 13 Vgl. die gewichtigen Beiträge Ulmers zur Rechtsnatur und Haftungsverfassung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, namentlich in: Unbeschränkte Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZGR 2000, 339–349; sowie: Die höchstrichterlich „enträtselte“ Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 2001, 585–599 und in der 4. und 5. Auflage des Münchener Kommentars zum BGB; s. ferner den jüngst in ZIP 2009, 293–302 erschienenen Beitrag zur „Anrechnungslösung“ des § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG (zur generellen Bewertung der Reform s. zuvor Ulmer, Der „Federstrich des Gesetzgebers“ und die Anforderungen der Rechtsdogmatik, ZIP 2008, 45–55). 14 Ulmer, Richterrechtliche Entwicklungen im Gesellschaftsrecht 1971–1985 (1986); ders., Recht der GmbH und GmbH & Co. nach 50 Jahren BGH-Rechtsprechung, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft (2000), Bd. II, S. 273–320; ders., Aktienrecht und richterliche Rechtsfortbildung, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. 2: Grundsatzfragen des Aktienrechts (2007), S. 113–149. 15 Aus neuerer Zeit Habersack, Wandlungen des Aktienrechts, AG 2009, 1, 14. 16 Nachdrücklich: Ulmer, Entwicklungen im Kapitalgesellschaftsrecht 1975–1999, ZGR 1999, 752–780. 17 Vgl. Canaris, Kreditkündigung und Kreditverweigerung gegenüber sanierungsbedürftigen Bankkunden, ZHR 143 (1979), 113–138. 18 Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel (2007).

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Beitrags gebeten wird, nach der Daseinsberechtigung eines solchen Werkes fragt oder einem wissenschaftlichen Enkel, der zu Recht stolz darauf ist, es mit einem Beitrag über verdeckte Beherrschungsverträge in die ZHR geschafft zu haben,19 angesichts der (vermeintlich) geringen praktischen Auswirkungen der von diesem favorisierten Lösung mit einem „so what?“ aufwartet. Doch unterstreichen derlei Episoden letztlich nur, was Ulmer über Hefermehl geschrieben hat und cum grano salis auch über sich hätte sagen können: „Hefermehl hat große Lehrbücher oder ähnliche Werke nicht verfasst; er war der Meister des Kommentars. Auch umstürzende Theorien waren seine Sache nicht; vielmehr wirkte er in erster Linie durch seine systematische Durchdringung und Fortentwicklung des geltenden Rechts unter souveräner Zusammenschau von Theorie und Praxis.“

Dass diese Herangehensweise deutliche Spuren im nunmehr geltenden Recht hinterlassen hat, vielfach auch in Form gänzlicher Neukonzeptionen, versteht sich. 2. Themen und Hauptwerke a) Gesellschaftsrecht Seit den frühen siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gilt das besondere Interesse Ulmers dem Gesellschaftsrecht, und zwar zunächst dem Recht der Personengesellschaften und der GmbH. Völlig selbstverständlich ist dies keineswegs, waren doch seine Dissertation und seine Habilitationsschrift, wie bereits einleitend erwähnt, kartell- und handelsrechtlichen Fragen gewidmet und darüber hinaus bis Ende 1970 nicht weniger als zehn Zeitschriftenbeiträge Ulmers zu kartell- und wettbewerbsrechtlichen Fragen erschienen.20 aa) Personengesellschaften Es ist müßig zu fragen, was Ulmer letztlich dazu bewogen hat, 1971 eine umfängliche Kommentierung der §§ 131 bis 134 und 1973 eine nicht minder umfängliche Kommentierung der §§ 135 bis 144 HGB – jeweils für die 3. Auflage des Großkommentars zum HGB – vorzulegen; vermutlich war es der Entlastungswunsch Robert Fischers, der seinerzeit zum Präsidenten des BGH bestellt worden war und zuvor (1967) die Kommentierung der §§ 105 bis 127 für die 3. Auflage des Großkommentars vorgelegt hatte. Für das Ge-

19 Schürnbrand, „Verdeckte“ und „atypische“ Beherrschungsverträge im Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 169 (2005), 35–60. 20 Dazu noch unter II. 2. c).

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sellschaftsrecht war diese Entwicklung ein Glücksfall. Der Kommentierung der §§ 131 ff. HGB und den im zeitlichen Zusammenhang entstandenen Zeitschriftenbeiträgen21 war großer Erfolg beschieden, namentlich im Zusammenhang mit den schwierigen Fragen der Gesellschafternachfolge beim Todesfall. Sie besticht durch Präzision sowohl auf erb- und gesellschaftsrechtlichem Gebiet, Einfühlungsvermögen in Bezug auf die in Frage stehenden divergierenden Interessen und Mut zu innovativen Lösungsvorschlägen. Beispielhaft genannt seien die Ausführungen zur „qualifizierten Nachfolgeklausel“, die den Anteil nur für eine bestimmte Person vererblich stellt und deshalb im Falle einer Mehrheit von Erben in Konflikt zu dem erbrechtlichen Grundsatz der gesamthänderischen Bindung des Nachlasses gerät. In souveräner Auseinandersetzung mit den ganz und gar unterschiedlichen Konzeptionen des Schrifttums 22 spricht sich Ulmer in dieser für das Recht der Personengesellschaften zentralen Frage für den Übergang des gesamten Anteils auf den zum Nachfolger berufenen Erben und damit für eine Verdrängung erbrechtlicher Grundsätze durch gesellschaftsrechtliche Wertungen und Bedürfnisse aus. Eine durchaus typische Randnummer der Kommentierung zu § 139 HGB sei auszugsweise wiedergegeben:23 „Stellungnahme. Von den gegen die Vollnachfolge gerichteten Ansichten vermögen diejenigen von Huber und Kruse schon aus rechtskonstruktiven Gründen nicht zu überzeugen. Die Lösung des BGH ist demgegenüber zwar in sich folgerichtig, doch ist ihr in der Literatur zu Recht der vor allem für den Nachfolger unnötig komplizierte und Rechtsunsicherheit hervorrufende Weg vorgehalten worden (Anm. 51). Den Vorzug verdient daher eindeutig die Lehre von der erbrechtlichen Vollnachfolge. Von den zu ihrer Begründung vorgebrachten Ansichten (Anm. 51) vermag zwar ebenfalls keine voll zu überzeugen (vgl. nur Rüthers AcP 168, 273 ff. und die Übersicht über die verschiedenen Einwände bei Ulmer ZGR 1972, 206 f.). Erkennt man aber mit der ganz h.M. an, daß nur die Lehre von der Vollnachfolge eine sowohl den Besonderheiten der qualifizierten Nachfolgeregelung als auch den Interessen der Beteiligten entsprechende Lösung des Konflikts zwischen Gesellschaftsund Erbrecht zu bieten vermag, so bestehen keine Bedenken, die insoweit bestehende Gesetzeslücke im Wege bewußter Rechtsfortbildung zugunsten der Vollnachfolge zu schließen (Rüthers AcP 168, 277).“ 21 Ulmer, Gestaltungsklagen im Personengesellschaftsrecht und notwendige Streitgenossenschaft, in: Ballerstedt/Hefermehl (Hrsg.), Festschrift für Ernst Gessler zum 65. Geburtstag am 5. März 1970 (1971), S. 269–282; ders., Gesellschafternachfolge und Erbrecht, ZGR 1972, 195–222; ders., Die Sonderzuordnung des vererbten OHG-Anteils – Zum Einfluss von Testamentsvollstreckung, Nachlassverwaltung und Nachlasskonkurs auf die Gesellschaftsbeteiligung, in: Fischer/Hefermehl (Hrsg.), Gesellschaftsrecht und Unternehmensrecht: Festschrift für Wolfgang Schilling zum 65. Geburtstag am 5. Juni 1973 (1973), S. 79–104. 22 Übersicht zu Meinungsstand und Begründungen bei Ulmer, ZGR 1972, 195, 206 ff. 23 Staub-Ulmer, Großkommentar zum HGB (3. Aufl. 1973), Band II/1, § 139 HGB Rn. 53.

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In BGHZ 68, 225 ist dem der II. Zivilsenat des BGH – unter Aufgabe seiner noch in BGHZ 22, 186 vertretenen Ansicht – gefolgt. Als Meisterwerk auf dem Gebiet des Personengesellschaftsrechts darf die bereits erwähnte, erstmals 1980 24 und jüngst in 5. Auflage25 erschienene Kommentierung der §§ 705 bis 740 BGB über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts bezeichnet werden. Ihre herausragende Stellung findet bereits äußerlich ihren Ausdruck darin, dass sie stets auch als – von Ulmer mit dem Untertitel „Systematischer Kommentar der §§ 705–740 BGB“ versehene – Sonderausgabe erschienen ist. In inhaltlicher und konzeptioneller Hinsicht ist die Kommentierung dadurch gekennzeichnet, dass sie die auf Otto von Gierke 26 und Flume27 zurückgehende „Gruppenlehre“ aufgreift und zu einem in sich geschlossenen und handhabbaren System fortentwickelt.28 Ulmer selbst hat das Anliegen seiner Kommentierung wie folgt umschrieben:29 „Zum anderen ist sie … darum bemüht, die gemeinsamen dogmatischen Grundlagen der verschiedenen Personengesellschaften herauszuarbeiten und daraus allgemeine Folgerungen für das Verständnis der Gesellschaft als einer über ein bloßes Schuldverhältnis mit Gesamthandselementen hinausgehenden, mit besonderen Organen ausgestatteten Personenverbindung abzuleiten. Damit verbindet sich die Hoffnung, zur Überwindung des an § 124 HGB anknüpfenden Scheingegensatzes zwischen den verschiedenen Personengesellschaften beizutragen und zugleich auch die Diskussion des OHG- und KG-Rechts in den diesen Rechtsformen gemeinsamen Fragen weiterzuführen.“

Diese Hoffnung hat sich dank der systematischen Geschlossenheit und der Überzeugungskraft der Kommentierung vollauf erfüllt. Zwar hat es noch gut 20 Jahre gedauert, bis sich der II. Zivilsenat des BGH ausdrücklich für die Rechts- und Parteifähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts ausgesprochen hat;30 zumindest das gesellschaftsrechtliche Schrifttum war Ul24 Wiederum angekündigt durch und begleitet von zwei bahnbrechenden Festschriftenbeiträgen, s. Ulmer, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft. Gesicherter Bestand des Gesellschaftsrechts oder methodischer Irrweg?, in: Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, 12. September 1978 (1978), Bd. 2, S. 301–321; ders., Vertretung und Haftung bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in: Lutter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer (1979), S. 785–808. 25 Unter Hinzuziehung von Carsten Schäfer als Mitautor der §§ 706–740 BGB und des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes. 26 O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht I (1895, Nachdruck 1936), S. 671 ff. 27 Flume, Gesellschaft und Gesamthand, ZHR 136 (1972), 177, 187 ff.; ders., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I/1: Die Personengesellschaft (1. Aufl. 1977), § 4 II, III. 28 Zur Einordnung in die Reihe der „juristischen Entdeckungen“ s. auch Fleischer, Juristische Entdeckungen im Gesellschaftsrecht, in: Bitter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag (2009), S. 375, 386 ff. 29 Ulmer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Vorwort zur 1. Aufl. (1980). 30 BGHZ 146, 341, 344 ff. = NJW 2001, 1056.

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mer indes schon lange zuvor gefolgt.31 Nicht durchgesetzt hat sich – leider – die von Ulmer begründete, auch vom Verfasser dieses Portraits begeistert aufgegriffene und fortentwickelte32 Doppelverpflichtungslehre.33 Der Grund dafür, dass sie vom BGH in zwei Grundsatzurteilen aus den Jahren 1999 und 2001 aufgegeben und durch die analoge Anwendung der §§ 128 ff. HGB ersetzt worden ist,34 ist nicht zuletzt darin zu sehen, dass die Praxis zunehmend bestrebt war, die persönliche Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten durch einen entsprechenden Namenszusatz (GbR mit beschränkter Haftung) auszuschließen oder zu beschränken. Es war denn auch ganz wesentlich Ulmer, der durch gewichtige Beiträge den Kurswechsel gefördert und seitdem konstruktiv-kritisch begleitet hat.35 Der Verfasser dieses Portraits war übrigens von dem sich abzeichnenden Meinungsumschwung Ulmers wenig begeistert. Die Idee, dem Richtungswechsel des Lehrers in ZIP 1999 ein Plädoyer des Schülers für die Aufrechterhaltung der Doppelverpflichtungslehre gegenüberzustellen, hat Ulmer durch ein in zugleich freundlichen und bestimmten Worten auferlegtes „Schreibverbot“ verworfen. Der Schüler hat sich sodann mit der neuen Haftungsverfassung arrangiert,36 mit seinem an gleicher Stelle vorgetragenen Plädoyer für die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit aller Außengesellschaften bürgerlichen Rechts indes zur leichten Verstimmung des Lehrers beigetragen, der die Rechts- und Parteifähigkeit Gesellschaften mit Identitätsausstattung vorbehalten möchte.37 Wie sehr Ulmer die Gesellschaft bürgerlichen Rechts am Herzen liegt, mag man aus derlei Episoden, aber auch aus dem Vorwort zur 4. Auflage der Sonderveröffentlichung ermessen, in der es heißt, dass der Verfasser „den Fachkollegen in Praxis und Wissenschaft diese voraussichtlich letzte Auflage aus seiner Feder zu einem ihm in 30-jähriger Arbeit besonders ans Herz gewachsenen Rechtsgebiet als eine Art Vermächtnis hinterlassen“ möchte. Zur Freude aller hat er sich übrigens eines anderen besonnen und für die jüngst erschienene 5. Auflage noch einmal den zentralen § 705 BGB

31 Darstellung der Entwicklung des Meinungsstandes bei Münchener KommentarUlmer, BGB (5. Aufl. 2009), § 705 BGB Rn. 299 ff. 32 Habersack, Die Haftungsverfassung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Doppelverpflichtung und Akzessorietät, JuS 1993, 1–8; s. sodann Münchener Kommentar-Ulmer, BGB (3. Aufl. 1997), § 714 Rn. 33. 33 Nach wie vor lesenswert: Ulmer, FS Flume (1978), S. 301; ders., FS R. Fischer (1979), S. 785. 34 BGHZ 142, 315; 146, 341; zur analogen Anwendung des § 130 HGB s. BGH, NJW 2003, 1803. 35 Vgl. die Nachw. in Fn. 12 f. 36 Habersack, Die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der GbR und der akzessorischen Gesellschafterhaftung durch den BGH, BB 2001, 477–483. 37 Vgl. einerseits Münchener Kommentar-Ulmer (Fn. 31), § 705 BGB Rn. 306, andererseits Habersack, BB 2001, 477, 478 f.

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(nebst Vorbemerkungen) in alleiniger Autorenschaft und die §§ 706 bis 740 BGB und das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz unter Hinzuziehung von Carsten Schäfer verantwortet. bb) GmbH Neben der GbR ist es die GmbH, die Ulmer fasziniert und der sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt. Dieses Interesse äußert sich in der Mitgliedschaft in dem legendären Arbeitskreis GmbH-Reform,38 in zahlreichen, durchweg gewichtigen und für die Fortentwicklung des GmbH-Rechts wesentlichen Beiträgen in Festschriften und Zeitschriften, vor allem aber in der herausragenden Stellung Ulmers als Kommentator des GmbH-Rechts, zunächst in der 7. und 8. (von ihm auch herausgegebenen) Auflage des Hachenburg,39 sodann in dem sich als Fortführung des Hachenburg verstehenden und Max Hachenburg gewidmeten Großkommentar zum GmbHGesetz.40 In thematischer Hinsicht umfassen die Arbeiten Ulmers nahezu das gesamte Leben der GmbH; Schwerpunkte bilden die Gesellschaftsgründung nebst der Kapitalaufbringung, das Recht der „eigenkapitalersetzenden“ Gesellschafterdarlehen und der Einziehung von Geschäftsanteilen, Fragen der Satzungsänderung nebst Kapitalmaßnahmen, die Insolvenzantragspflicht und – last but not least – das GmbH-Konzernrecht. Aus der Vielzahl der Themen sei zunächst die Vorgesellschaft herausgegriffen. Mit ihr hat sich Ulmer bereits in dem dem Vorbelastungsverbot gewidmeten Beitrag in der Ballerstedt-Festschrift 41 und in der Kommentierung des § 11 GmbHG in der 7. Auflage des Hachenburg auseinandergesetzt. Suchte man bis dato, den Gefahren einer Aufzehrung des Haftkapitals der bereits im Gründungsstadium geschäftlich agierenden Gesellschaft durch Beschränkung der erlaubten Geschäftstätigkeit der Vor-GmbH auf die zur Gründung notwendigen Geschäfte zu begegnen, so hat Ulmer, anknüpfend an kritische Stimmen des Schrifttums,42 dieses „Vorbelastungsverbot“ seiner 38 G. Hueck/Lutter/Mertens/Rehbinder/Ulmer/Wiedemann/Zöllner, Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Band 1: Die Handelsgesellschaft auf Einlagen (1971), Band 2: Kapital- und Haftungsfragen bei der GmbH u.a. (1972). 39 Dazu bereits unter II. 1. 40 Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG (2005/2006/2008). 41 Ulmer, Das Vorbelastungsverbot im Recht der GmbH-Vorgesellschaft – notwendiges oder überholtes Dogma?, in: Flume/Raisch/Steindorff (Hrsg.), Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht: Festschrift für Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1975 (1975), S. 279–301; s. ferner Ulmer, Abschied vom Vorbelastungsverbot im Gründungsstadium der GmbH, ZGR 1981, 593–621; zuvor bereits Ulmer, Die Gründung der GmbH, in: Wiethoelter/Ulmer/Lutter (Hrsg.), Probleme der GmbH-Reform (1970), S. 42–62. 42 Vgl. namentlich Lieb, Abschied von der Handlungshaftung, DB 1970, 961, 966 f.; K. Schmidt, Der Funktionswandel der Handelndenhaftung im Recht der Vorgesellschaft, GmbHR 1973, 146, 147 f.; Wiedemann, Das Rätsel Vorgesellschaft, JurA 1970, 439, 446 ff.

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Überzeugungskraft beraubt und den – unzweifelhaft gebotenen – Gläubigerschutz auf andere Weise besorgt, nämlich durch Annahme des Übergangs aller Aktiva und Passiva der Vorgesellschaft auf die GmbH und Ersetzung des „Vorbelastungsverbots“ durch Statuierung einer Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung der Gesellschafter.43 Damit war einerseits die zumal bei Einbringung von Unternehmen unerlässliche Handlungsfähigkeit der Vorgesellschaft gesichert, andererseits gewährleistet, dass das Risiko von Verlusten aus der geschäftlichen Betätigung während der Gründungsphase bei den Gesellschaftern liegt. Auch dies ist ein wunderbares Beispiel für die sowohl Wissenschaftlichkeit als auch Praxistauglichkeit verpflichtete Methode Ulmers, und es ist wiederum kein Zufall, dass sich der II. Zivilsenat des BGH in BGHZ 80, 129 in weitem Umfang den Ulmer’schen Vorarbeiten angeschlossen hat. Mit besonderem Nachdruck hat sich Ulmer sodann der EinpersonenGesellschaft angenommen. Bei ihr stellt sich neben spezifischen Fragen der Einpersonen-Gründung44 vor allem die Frage eines hinreichenden Schutzes der Gläubiger. Diese Problematik ist auf das Engste mit der Lehre vom qualifizierten faktischen Konzern verbunden, die auf entsprechende Vorschläge des Arbeitskreises GmbH-Reform45 zurückgeht und in der legendären „Autokran“-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH ihre (vorläufige) Anerkennung fand.46 Die weitere Entwicklung bis hin zu „Trihotel“47 ist bekannt und braucht hier nicht nachgezeichnet zu werden. In Erinnerung gerufen sei freilich der Beitrag Ulmers im 148. Band der ZHR,48 in dem erstmals in aller Deutlichkeit die Frage eines auch vom Alleingesellschafter zu respektierenden Bestandsschutzinteresses der GmbH aufgeworfen und bejaht worden und damit letztlich die Grundlage einer – wie auf immer zu begründenden – Haftung des alleinigen Gesellschafters für eine „kalte Liquidation“ der Gesellschaft entwickelt worden ist.49 43 Ulmer, FS Ballerstedt (1973), S. 279, 290 ff.; Hachenburg-Ulmer, GmbHG (7. Aufl. 1975), Band 1, § 11 GmbHG Rn. 27 ff., 91. 44 Ulmer, Die Einmanngründung der GmbH – ein Danaergeschenk?, BB 1980, 1001– 1006; Ulmer/Ihrig, Die Rechtsnatur der Einmann-Gründungsorganisation, GmbHR 1988, 373–384. 45 Vgl. Fn. 38. 46 BGHZ 95, 330. 47 BGHZ 173, 246; zusammenfassende Darstellung der Entwicklung von „Autokran“ bis „Trihotel“ bei Habersack, Trihotel – Das Ende der Debatte?, ZGR 2008, 533–559. 48 Ulmer, Der Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern beim Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, ZHR 148 (1984), 391–427. 49 Näher sodann Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht (1988), S. 202 ff.; ders., Eigeninteresse und Treupflicht bei der Einmann-GmbH in der neueren BGH-Rechtsprechung, ZGR 1994, 570, 585 ff.; Priester, Die eigene GmbH als fremder Dritter, ZGR 1993, 512, 521 ff.; s. ferner Emmerich/Habersack-Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht (6. Aufl. 2010), Anh. § 318 AktG Rn. 33 ff.

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cc) Aktien- und Mitbestimmungsrecht Aus dem Aktienrecht stoßen insbesondere Fragen des Aufsichtsrats und der Organhaftung auf das Interesse Ulmers. Was die Organhaftung betrifft, so sei der – auf einen Forschungsaufenthalt in New York zurückgehende – Beitrag über die Aktionärsklage als Instrument zur Kontrolle des Vorstandsund Aufsichtsratshandelns im 163. Band der ZHR hervorgehoben,50 in dem Ulmer nur kurze Zeit nach Inkrafttreten des KonTraG51 eine Nachbesserung der aktienrechtlichen Vorschriften über das Recht der Aktionäre zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ihre Organwalter eingefordert und dieser Forderung durch Unterbreitung eines konkreten Regelungsvorschlags Nachdruck verliehen hat. Dieses seinerzeit von vielen als aussichtslos eingestufte Unterfangen hatte durchschlagenden Erfolg: Mit dem UMAG52 hat der Gesetzgeber wesentliche Eckpunkte des Ulmer’schen Vorschlags, darunter insbesondere das der Abwehr missbräuchlicher Klagen dienende Klagezulassungsverfahren, aufgegriffen und in Gesetzeslettern gegossen. Der Aufsichtsrat ist bekanntlich das Organ, in dem sich die unternehmerische Mitbestimmung vollzieht, und nicht zuletzt aus diesem Grund Gegenstand des besonderen Interesses Ulmers. Dass sich das Mitbestimmungsgesetz 1976 weitgehend in das Aktien-, GmbH- und Genossenschaftsrecht einfügt, ist denn auch zu einem Gutteil dem in erster Auflage 1981 von Ulmer – gemeinsam mit Hanau – vorgelegten, 2006 sodann in zweiter Auflage erschienenen Kommentar zum MitbestG zu verdanken.53 Eines seiner wesentlichen Anliegen besteht ausweislich des Vorworts darin, sowohl den Sachgesetzlichkeiten des neuen Rechts als auch seinem Verhältnis zum allgemeinen Unternehmens-, Gesellschafts- und Arbeitsrecht Rechnung zu tragen. Dieses – angesichts des Kompromisscharakters des MitbestG anspruchsvolle – Harmonisierungskonzept ist in dem Kommentar vollauf verwirklicht und sodann von der Rechtsprechung des BGH im Wesentlichen aufgegriffen worden.54 Ungeachtet dessen besteht allerdings in Sachen MitbestG Reformbedarf, und nicht zuletzt Ulmers Editorial im 166. Band der

50 Ulmer, Die Aktionärsklage als Instrument zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandelns, ZHR 163 (1999), 290–342; s. ferner Ulmer, Haftungsfreistellung bis zur Grenze grober Fahrlässigkeit bei unternehmerischen Fehlentscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat?, DB 2004, 859–863 (betr. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG). 51 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998 (BGBl. I 1998, S. 786). 52 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005 (BGBl. I 2005, S. 2802). 53 Hanau/Ulmer, MitbestG (1981); Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht (2. Aufl. 2006). 54 Vgl. namentlich BGHZ 83, 106; 83, 144; 83, 151; 89, 48; 122, 342.

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ZHR55 hat die Debatte beflügelt und ist sodann unter seiner Beteiligung in einen jüngst vorgelegten Reformvorschlag des Arbeitskreises „Unternehmerische Mitbestimmung“ gemündet.56 b) AGB- und Verbraucherschutzrecht Harmonisierungsbedarf, wie er im Zusammenhang mit dem Mitbestimmungsrecht auszumachen war, besteht auch auf einem anderen großen Gebiet des Zivilrechts, nämlich dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Mit ihm kam Ulmer erstmals auf dem 50. Deutschen Juristentag 1974 in Berührung.57 Auf sein Referat ist die das deutsche Recht kennzeichnende, in jüngster Zeit – nicht zuletzt im Lichte der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln – zunehmend kontrovers beurteilte Erstreckung des persönlichen Schutzbereichs des AGB-Rechts auf Kaufleute und sonstige Unternehmer zurückzuführen. Das kurze Zeit darauf verabschiedete AGBGesetz hat Ulmer sodann nicht mehr losgelassen. Der mit Brandner und Hensen begründete Kommentar zum AGB-Gesetz58 darf als Standardwerk und Klassiker bezeichnet werden und hat ganz entscheidend dazu beigetragen, dass das AGB-Recht zu einem systemkonformen Bestandteil des allgemeinen Vertragsrechts und nicht zu einem Fremdkörper desselben geworden ist. Nicht durchzusetzen vermochte sich Ulmer zwar mit seinem nachdrücklich verfolgten Anliegen, im Zuge der Schuldrechtsreform von einer Integration des AGB-Rechts in das BGB abzusehen.59 Doch wird er im Rückblick vermutlich feststellen, dass die von ihm befürchteten nachteiligen Folgen der Integration ausgeblieben sind. Dem Erfolg des Kommentars jedenfalls hat die Schuldrechtsreform keinen Abbruch getan. Er liegt bereits – mit teils verjüngtem Autorenteam60 – in 10. Auflage vor, die 11. Auflage ist – bedauerlicherweise ohne Mitwirkung Ulmers – in Arbeit. Vom AGB-Recht ist es nur ein kleiner Schritt zum Verbraucherschutzrecht. Mit ihm hat sich Ulmer erst ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre

55 Ulmer, Paritätische Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat von Großunternehmen – noch zeitgemäß?, ZHR 166 (2002), 271–277 mit Nachw. zu früheren krit. Stimmen. 56 Bachmann/Baums/Habersack/Henssler/Lutter/Oetker/Ulmer, Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZIP 2009, 885–899. 57 Ulmer, Welche gesetzgeberischen Maßnahmen empfehlen sich zum Schutze des Endverbrauchers gegenüber AGB und Formularverträgen?, in: Ständige Deputation des deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen zum 50. DJT (1974), Bd. II, H 8–H 44. 58 Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz (1. und 2. Aufl. 1977, 3. Aufl. 1978, 4. Aufl. 1982, 5. Aufl. 1986, 6. Aufl. 1990, 7. Aufl., 1993, 8. Aufl. 1997, 9. Aufl. 2001, 10. Aufl. 2006). 59 Ulmer, Das AGB-Gesetz – ein eigenständiges Kodifikationswerk, JZ 2001, 491–497. 60 Seit der 5. Aufl. gehören H. Schmidt und seit der 10. Aufl. Christensen und Fuchs zu den Bearbeitern.

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des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt, dies indes durchaus nachdrücklich und intensiv, nämlich in Gestalt der Kommentierung der §§ 1–1d des Abzahlungsgesetzes,61 des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften,62 der §§ 1 bis 8 des Verbraucherkreditgesetzes63 und sodann der §§ 312, 312a, 355 bis 357, §§ 491 bis 495 BGB.64 Dass er sich dem Verbraucherschutzrecht auch innerlich verbunden fühlt, belegen nicht zuletzt zwei seiner Aufsätze, in denen er sich überaus kritisch mit der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats auseinandersetzt.65 c) Handels- und Wirtschaftsrecht Schon in anderem Zusammenhang war darauf hinzuweisen, dass das wissenschaftliche Interesse Ulmers zunächst ganz dem Handels- und Wirtschaftsrecht galt. Pioniercharakter hatte die Habilitationsschrift über den Vertragshändler,66 die, 1969 erschienen, das Phänomen des in das Herstellerunternehmen eingegliederten Absatzmittlers erstmals und in vorbildlicher Weise erschlossen hat. Die Schrift lief, wie Karsten Schmidt kürzlich zu Recht bemerkt hat, auf ein Rechtsfortbildungsprogramm hinaus und hat alsbald auch als solches gewirkt.67 Kritisch begleitet hat Ulmer das Recht des Vertragshändlers sodann im Rahmen des AGB-Kommentars68 und in einer 1998 erschienen Schrift über Rechtsfragen des Kraftfahrzeugvertriebs durch Vertragshändler.69 Was das Kartell- und Wettbewerbsrecht anbelangt, so ist es von Ulmer bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein gepflegt

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Münchener Kommentar-Ulmer, BGB (2. Aufl. 1988), §§ 1–1d AbzG. Münchener Kommentar-Ulmer, BGB (2. Aufl. 1988, 3. Aufl. 1995), §§ 1–9 HausTWG, S. 901–982. 63 Münchener Kommentar-Ulmer, BGB (2. Aufl. 1992, 3. Aufl. 1995), §§ 1–8 VerbrKrG; jeweils zugleich Sonderveröffentlichung: Ulmer/Habersack, Kommentar zum Verbraucherkreditgesetz (1. Aufl. 1992, 2. Aufl. 1995). 64 Münchener Kommentar-Ulmer, BGB (4. Aufl. 2003 und 2004), §§ 312, 312a, 355–357, 491–495 BGB. 65 Ulmer, Wirksamkeitserfordernisse für Verbrauchervollmachten beim kreditfinanzierten Immobilienerwerb über Treuhänder, BB 2001, 1365–1373; ders., Zur Anlegerhaftung in geschlossenen (Alt-)Immobilienfonds – Die seltsamen Wege des XI. Zivilsenats des BGH zur Überwindung von Haftungs- und Vollstreckungshindernissen des objektiven Rechts, ZIP 2005, 1341–1346. 66 Ulmer, Der Vertragshändler: Tatsachen und Rechtsfragen kaufmännischer Geschäftsbesorgung beim Absatz von Markenwaren (1969). 67 K. Schmidt, Gesetzgebung und Rechtsfortbildung im Recht der GmbH und der Personengesellschaften, JZ 2009, 10, 11 unter Hinweis auf BGHZ 54, 338 = JZ 1971, 262 mit Anm. Ulmer; zum Stand des Vertragshändlerrechts s. Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGB-Recht (10. Aufl. 2006), Anh. § 310 BGB Rn. 935 ff. 68 S. vorige Fn. 69 Habersack/Ulmer, Rechtsfragen des Kraftfahrzeugvertriebs durch Vertragshändler: Verkauf und Leasing (1998). 62

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worden, freilich mit nachlassender Intensität. Bis Ende der achtziger Jahre standen das Kartell- und Wettbewerbsrecht aus Ulmers Sicht zumindest auf Augenhöhe mit dem Gesellschaftsrecht; erwähnt seien neben zahlreichen Aufsätzen in Zeitschriften und Festschriften die vielzitierten Schriften über die Schranken zulässigen Wettbewerbs marktbeherrschender Unternehmen,70 über Programminformationen der Rundfunkanstalten71 und über die Kurzberichterstattung im Fernsehen,72 ferner eine in zwei Auflagen erschienene Fall- und Entscheidungssammlung zum deutschen und europäischen Kartellrecht.73 Danach hat sich Ulmer nur noch vereinzelt kartellrechtlichen Fragestellungen gewidmet. Was ihn letztlich dazu bewogen hat, sich zunehmend und sodann sogar gänzlich vom Wirtschaftsrecht abzuwenden, lässt sich aus Schülersicht nicht mit Gewissheit sagen. Neben dem Umstand, dass es selbst einen Wissenschaftler vom Range Ulmers überfordern könnte, angesichts der zunehmenden Komplexität rechtlicher Fragestellungen sowohl das Gesellschafts- als auch das Wirtschaftsrecht mit dem gebotenen Tiefgang zu beackern, könnte auch die Feststellung, dass sich das mit Nachdruck und Leidenschaft verfolgte Konzept des „Leistungswettbewerbs“74 letztlich nicht durchgesetzt hat, eine Rolle gespielt haben. d) Sonstiges Vieles mehr ließe sich anführen, etwa Ulmers tiefgründige Rektoratsrede75 oder sein Einsatz in Fragen der Juristenausbildung.76 Nicht unterschlagen

70 Ulmer, Schranken zulässigen Wettbewerbs marktbeherrschender Unternehmen (1977). 71 Ulmer, Programminformationen der Rundfunkanstalten in kartell- und wettbewerbsrechtlicher Sicht (1983). 72 Lerche/Ulmer, Kurzberichterstattung im Fernsehen (1989). 73 Ulmer, Fälle und Entscheidungen zum deutschen und europäischen Kartellrecht (1. Aufl. 1972, 2. Aufl. 1975). 74 Vgl. namentlich Ulmer, Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB- und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565–580; Ulmer, Kartellrechtswidrige Konkurrentenbehinderung durch leistungsfremdes Verhalten marktbeherrschender Unternehmen, in: Merz/Schluep (Hrsg.), Recht und Wirtschaft heute: Festgabe zum 65. Geburtstag von Max Kummer (1980), S. 565–596; Ulmer, Kartellrechtliche Schranken der Preisunterbietung nach § 26 Abs. 4 GWB: Zum Verhältnis des kartellrechtlichen Verbots unbilliger Behinderung zur Generalklausel des § 1 UWG, in: Erdmann u. a. (Hrsg.), Festschrift für Otto-Friedrich Freiherr von Gamm (1990), S. 677–697. 75 Ulmer, Vom deutschen zum europäischen Privatrecht?, JZ 1992, 1–8. 76 Frowein/Kerner/Ulmer, Baden-württembergischer Reformentwurf über die Ausbildung und Prüfung der Juristen – ein Schritt zurück, JZ 1983, 792–795; s. ferner die unter dem Vorsitz von Ulmer tagende Abteilung „Juristenausbildung“ des 58. Deutschen Juristentags (München, 1990): „Welche Maßnahmen empfehlen sich – auch im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen Juristen aus den EG-Staaten – zur Verkürzung und Straffung der Juristenausbildung?“.

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werden darf Ulmers 30 Jahre umfassendes Engagement als Schriftleiter der ZHR.77 In diese Zeit fielen der Beginn der im Zweijahresturnus veranstalteten ZHR-Symposien und nicht unwesentliche thematische und redaktionelle Neuorientierungen der ZHR. Das hohe Ansehen, das die vor 151 Jahren gegründete ZHR nach wie vor genießt,78 verdankt sie zu einem nicht geringen Teil dem Wirken Ulmers.

III. Der Lehrer Peter Ulmer war ein erfolgreicher Hochschullehrer. Ich selbst kam im Wintersemester 1983/84 – meinem ersten Heidelberger Semester – in den Genuss seiner Lehrveranstaltungen. Insbesondere die Vorlesung zum Kapitalgesellschaftsrecht nebst vorlesungsbegleitendem „Kolloquium zur höchstrichterlichen Rechtsprechung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“ haben mein Schicksal als „Ulmeride“79 besiegelt. Ursächlich hierfür waren nicht nur die – in damaliger Zeit keineswegs selbstverständlichen – Lehrmaterialien. Regelrecht begeistert hat mich vielmehr die Ulmer’sche Lehrmethode, die bei allem wissenschaftlichen Fundament und größtmöglicher Systematik und Ordnung den Praxisbezug des jeweiligen Lehrstoffes aufzuzeigen vermochte, typischerweise anhand einschlägiger BGH-Judikatur. Vielfach vermittelte Ulmer dem Hörer das Gefühl, selbst auf der Suche nach der gerechten Lösung und interessiert am Austausch mit den Studierenden zu sein. Einheit von Forschung und Lehre – wir Hörer bekamen einen Eindruck davon, was diese Formel besagen sollte. In Sonderheit gilt dies für die Seminarveranstaltungen, die vielfach aktuelle Forschungsvorhaben Ulmers zum Gegenstand hatten und zu denen er gerne Walter Stimpel und Wolfgang Schilling als Mitveranstalter hinzuzog. Zu Recht gilt der Besuch einer solchen Seminarveranstaltung, die übrigens regelmäßig zu einem Gutteil in Form einer Blockveranstaltung in der näheren Umgebung Heidelbergs stattfand, unter den Teilnehmern als highlight des Studiums, auf das man immer wieder gerne zu sprechen kommt. Letzteres gilt auch für das „Privatseminar“. Es wurde von Ulmer von Fall zu Fall einberufen und tagte regelmäßig auf dem Neuenheimer Neckarhang. An ihm nahmen neben den Mitarbeitern des Lehrstuhls die ortsansässigen Doktoranden und ausgewählte Gäste, darunter regelmäßig Walter Stimpel und Vertre-

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S. dazu den Hinweis der Schriftleitung in ZHR 170 (2006), 1. Vgl. nur die Grußworte der Bundesministerin der Justiz, Zypries, und des Vorsitzenden des II. Zivilsenats des BGH, Goette, ZHR 172 (2008), 514–521; ferner das Zeitschriftenranking in M. Roels/G. Roels, Ein Ranking juristischer Fachzeitschriften, JZ 2009, 488, 493 f. 79 So Peter Hanau auf dem Karlsruher Forum vom Februar 2009. 78

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ter der Mannheimer Anwaltschaft, teil. Den Gegenstand der Debatte bildeten Dissertationsvorhaben der Doktoranden, aber auch aktuelle Forschungsprojekte Ulmers. Diskutiert wurde regelmäßig auf der Grundlage eines Thesenpapiers und beflügelt durch Butterbrezeln und Badischen Weißwein. Das „Privatseminar“ haben zahlreiche Doktoranden durchlaufen und hierdurch die Grundlage für eine erfolgreiche Promotion gelegt; stellvertretend für viele seien Gerhard Wiedemann, Georg Wiesner, Jochem Reichert, Harry Schmidt, Martin Winter,80 Hans-Christoph Ihrig, Hermann-Josef Tries, Andreas Pentz, Johannes Tieves, Marc Löbbe, Andreas Masuch, Henning Heil und Felix Steffek genannt. Zur Habilitation hat Ulmer drei Schüler geführt, neben dem Verfasser dieser Zeilen (1995) Carsten Schäfer (2001) und Matthias Casper (2002). Einigen seiner zuvor promovierten Schüler hatte Ulmer die Habilitation angeboten. Diese sind jedoch durchweg den Verlockungen der Praxis gefolgt, was mehrere Gründe gehabt haben mag, neben den Unsicherheiten, die das Wagnis einer Habilitation im Allgemeinen und im Heidelberg der 1980er und 90er Jahre im Besonderen81 mit sich bringt, vielleicht auch das Gefühl, der Strapazen, die mit einer mit hohem oder höchstem Prädikat bewerteten Dissertation (zumal als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls) verbunden sind, seien es genug gewesen. Wie dem auch sei: Die drei habilitierten Schüler und sämtliche Doktoranden sind stolz darauf, Ulmer-Schüler zu sein, und verstehen sich durchweg als Mitglieder einer akademischen Familie. Sichtbaren Ausdruck fand dieses Phänomen in den drei Schüler-Symposien, zu denen Peter Ulmer aus Anlass seines 65., 70. und 75. Geburtstages eingeladen hat und auf denen – neben dem geselligen Beisammensein – bei gutem Speis und Trank die Wissenschaft vom Gesellschaftsrecht82 gepflegt wurde, und zwar nicht im Rückblick auf bereits Geleistetes, sondern stets nach vorne gerichtet und offene Fragen thematisierend.83 80 Zu ihm s. Ulmer, Nachruf Martin Winter, ZIP 2009, 2175; Habersack, Nachruf Martin Winter, NZG 2009, 1178. 81 Die Habilitation des Verfassers (1995) war die erste zivilrechtliche Habilitation seit 1982 (Karl-Heinz Fezer). 82 Zu einer Ausnahme s. nachfolgende Fußnote. 83 Den Gegenstand des 1998er Symposions bildeten Fragen des Spaltungsrechts, s. Habersack/Koch/Winter (Hrsg.), Die Spaltung im neuen Umwandlungsrecht und ihre Rechtsfolgen, ZHR-Beiheft 68 (1999). Das Symposium des Jahres 2003 handelte von Rechtsfragen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (s. Schäfer, Offene Fragen der Haftung des BGB-Gesellschafters, ZIP 2003, 1225–1234; Wössner, Akzessorische Gesellschafterhaftung und „Vielgestaltigkeit“ der Gesellschaft bürgerlichen Rechts – ein Widerspruch?, ZIP 2003, 1235–1240), vom „acting in concert“ gemäß §§ 22 Abs. 2 WpHG, 30 Abs. 2 WpÜG (s. Casper, Acting in Concert – Grundlagen eines neuen kapitalmarktrechtlichen Zurechnungstatbestandes, ZIP 2003, 1469–1477; Pentz, Acting in Concert – Ausgewählte Einzelprobleme zur Zurechnung und zu den Rechtsfolgen, ZIP 2003, 1478–1492) und von Fragen des Verbraucherschutzes im Lichte der Schuldrechtsreform (s. „Finanzierungsleasing und Verbrauchergeschäfte“, BB 2003, Beilage 6, mit Beiträgen von Habersack, Löbbe, Masuch,

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IV. Die Persönlichkeit Im Vorwort der ihm gewidmeten Festschrift wird Peter Ulmer treffend wie folgt charakterisiert:84 „Hochgewachsen, aufrecht in jedem Sinne des Wortes, begabt mit natürlicher Autorität, präzis in der Erfassung von Problemen und dann sachlich und unbeirrbar in ihrer Bewältigung, überzeugt Peter Ulmer seine Gesprächspartner und sein Publikum, ohne sich jemals vergewissernd nach Beifall umsehen zu müssen. Bequemlichkeit ist seine Sache nicht, und nicht anders erwartet er es von seinem Gegenüber. Dieses hat selbst zu entdecken, daß Ulmers strenge Sachlichkeit zugleich eine Einladung zum Dialog ist, daß sie nicht einschüchtern, sondern zum Mitdenken einladen will, daß sie Teil einer Wahrheitssuche ist, die den Zuhörer einschließt: sapere aude! Wer sich darauf einläßt, wird ein kontrolliertes, aber gewinnendes Miteinander erleben.“

Der Schüler erinnert die kultivierte Gastfreundschaft im Hause über dem Neckar und Ulmers viel zu früh – im Sommer 2004 – verstorbene Frau Jorinde Ulmer (geb. Heygster), die ihm drei Töchter und einen Sohn geschenkt hat, mit der er sein großes Interesse an bildender Kunst, Musik und Literatur teilen konnte und derer er durch die Jorinde Ulmer-Gedächtnisstiftung gedenkt. Er ist bestrebt, den hohen Anforderungen, die Ulmer an sein eigenes Wirken und das Wirken anderer stellt, einigermaßen zu genügen. Dabei sind ihm die Worte Max Hachenburgs bewusst: „Nur der Meister selbst schafft das Meisterwerk und die andern sind seine Schüler.“85

Timmann). 2008 stand das MoMiG im Mittelpunkt; K. Schmidt hat zudem – als „externer“ Referent – über Gesetzgebung und Rechtsfortbildung im Recht der GmbH und der Personengesellschaften (K. Schmidt, JZ 2009, 10–20) vorgetragen. 84 Vgl. Habersack u. a. (Hrsg.), FS Ulmer (2003), Vorwort S. XV–XVIII. 85 Hachenburg, Nachruf: Hermann Staub, Holdheims Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen 13 (1904), 237, 238.

Harm Peter Westermann* Walter G. Paefgen I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

Wie der Vater so der Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . Biografisches und Anekdotisches . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliches Werk . . . . . . . . . . . . . . . . Hochschullehrer aus Passion . . . . . . . . . . . . . . Gutachter und Schiedsrichter, Beziehungen zur Praxis Der „Fußballprofessor“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslandskontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein allseits beliebter Jurist . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Wie der Vater so der Sohn Wenn ich es recht sehe, tauchen unter den Persönlichkeiten, von denen in dieser Vorlesungsreihe zu berichten ist, zwei Namen großer deutscher Handels- und Gesellschaftsrechtler zweimal auf: Ulmer und Westermann. Wie Peter Ulmer, sein Freund und Weggefährte in so manchen Schiedsverfahren und gutachterlichen Auseinandersetzungen, entstammt Harm Peter Westermann bekanntlich einer prominenten Juristenfamilie. Leichter als andere, die wir heute zu den bedeutenden Zivilrechtslehrern des 20. Jahrhunderts zählen dürfen, hat er es dadurch nicht gehabt. Wohl aber war das Vorbild des Vaters und berühmten Münsteraner Ordinarius Harry Westermann für den „jungen Westermann“, wie man ihn zuweilen noch bis zum Tode des Vaters im Jahre 1986 nannte, stets ein besonderer Ansporn, an sich selbst die höchsten Anforderungen zu stellen. Irgendwelche Hemmungen, es dem großen Vater gleich zu tun, hat Westermann junior von Anfang an nicht gekannt. Mitte der siebziger Jahre, zu Zeiten der ersten Ölkrise rief im Lehrstuhlsekretariat des jungen Bielefelder Professors der äußerst beunruhigt wirkende damalige Chefjustitiar der Ruhrgas AG an. Der Anruf wurde von Frau Krull, der Lehrstuhlsekretärin entgegen genommen, die von den damaligen Assistenten, zu denen auch ich mich zählen durfte, als resolute Person besonders geschätzt wurde. Der Chefjustitiar suchte vergebens nach Professor Harry Westermann, von dem er * Um Fußnoten ergänzte und aktualisierte Fassung des am 23. Mai 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehaltenen Vortrags.

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dringend ein Gutachten zu einem vertragsrechtlichen Problem mit den industriellen Abnehmern der Ruhrgas benötigte, das sich aus dem Lieferstopp des Iran ergeben hatte. Die Reaktion von Frau Krull war in etwa wie folgt: „Herr Professor Westermann senior befindet sich auf einer längeren Auslandsreise, aber der junge Professor kann das genauso gut.“ Sie hatte recht. Harm Peter Westermann ging flink zu Werke und erstattete ein längeres Gutachten, mit dem er der Ruhrgas wertvolle juristische Munition in der Auseinandersetzung über Kürzungen der Gaslieferungen an ihre industriellen Abnehmer lieferte. Die nach der Rückkehr von seiner Reise nach außen kund getane Reaktion Harry Westermanns soll eine Mischung aus Verwunderung und Verärgerung gewesen sein. Im Herzen, da bin ich mir sicher, war er mächtig stolz auf seinen Filius. Der Apfel fällt nicht weit vom Baum. Oder: Like father, like son, wie es in der knappen und zugleich präzisen Ausdrucksweise des Englischen heißt. Das trifft bei Gott nicht immer zu. In der Familie Westermann war es glücklicherweise so.

II. Biografisches und Anekdotisches Als Sohn der aus den Niederlanden stammenden Pauline Westermann, geb. Schildt, und des Rechtsprofessors Harry Westermann am 8. Januar 1938 zur Welt gekommen verbrachte Harm Peter Westermann die Kriegszeit in Prag und die ersten Nachkriegsjahre in den Niederlanden. Während dieser frühen Jugendjahre hatte er Gelegenheit, sowohl das Niederländische als auch die tschechische Sprache zu erlernen. Dem Abitur in Münster folgten das Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Münster, Paris und Wien, im Jahr 1961 das 1. Staatsexamen am OLG Hamm und danach der Referendardienst im OLG-Bezirk Hamm, im KG-Bezirk Berlin sowie in Den Haag. Während der Referendarzeit entstand die von Gerhard Kegel betreute Dissertation zum Thema „Die causa im französischen und deutschen Recht“ (1964). 1965 folgte das 2. Staatsexamen in Düsseldorf. Nach Abschluss seiner juristischen Grundausbildung hatte Westermann, mittlerweile verheiratet, sich darauf eingerichtet, eine ihm zugesagte Assistentenstelle bei seinem akademischen Lehrer Walter Erman an der Universität zu Köln anzutreten, um während der Arbeit an der geplanten Habilitationsschrift den Familienunterhalt bestreiten zu können. Als er am Lehrstuhl erschien, wurde ihm dann zu seinem Entsetzen mitgeteilt, mit der Stelle sei es leider nichts, sie sei bereits an einen anderen vergeben. Dadurch ließ sich der ambitionierte junge Assessor jedoch nicht aus der Bahn werfen. Er besorgte sich umgehend gleich zwei Jobs. Seinem Vater war er gegen entsprechende Entlohnung bei dessen Tätigkeit als Rechtsgutachter behilflich. Für das juristische Repetitorium Alpmann und Schmidt überarbeitete er dessen Skript zum Grundstücksrecht. Aus dieser Zeit stammt eine lebenslange Freund-

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schaft zu Josef Alpmann. In einem 1995 gehaltenen Festvortrag zum 75. Geburtstag Alpmanns würdigte der Tübinger Ordinarius Westermann die notwendige Rolle des Repetitors in der Juristenausbildung in markantem Gegensatz zu der – man verzeihe mir die Formulierung – zuweilen hochnäsigen Einstellung vieler Kollegen gegenüber diesem Berufsstand. Seine, für Westermann typisch, leicht ironischen Bemerkungen zeugen, so meine ich, von Realitätssinn: „Der Hochschullehrer, der das gesamte examensrelevante Bürgerliche und Handelsrecht in zwei Semestern darbieten wollte, wäre mit einem solchen Kurs fast vollständig ausgelastet, was sein Lehrdeputat betrifft – er soll ja auch noch etwas anderes tun. … Hochschullehrer, die sich ausschließlich auf diese Aufgabe konzentrieren, werden sich angesichts der zwingenden Verbindung von Lehre und Forschung bei jedem von uns nicht leicht finden, ganz abgesehen davon könnte auch ein auf derartige Veranstaltungen spezialisierter Universitätslehrer nicht ausschließen, dass etwas von dem … problematischen Glanz des Repetitorwesens auch auf ihn ausstrahlt (JA 1996, 523, 525).“ Glücklicherweise erhielt Westermann während der Zeit von 1966–69 ein von politisch so unterschiedlich positionierten Juristen wie Kurt Ballerstedt und dem bekannten Kölner Wirtschaftsanwalt Robert Ellscheid befürwortetes DFG-Stipendium, das es ihm erlaubte, seine von Walter Erman betreute Habilitationsschrift mit dem Titel „Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften“, erschienen 1970, zügig zu Ende zu bringen. Schon während dieser Zeit konnte der junge Habilitand in der Zusammenarbeit mit seinem Vater frühe Erfahrungen als Rechtsgutachter und Berater der Praxis sammeln, u.a. in der Auseinandersetzung Friedrich Flicks mit seinem abtrünnigen Sohn Otto Ernst, der dem jungen Mitberater zum Dank für seine Dienste u.a. einen van Ruisdael überreichte, der heute in der Westermann’schen Villa in Tübingen an prominenter Stelle hängt. Nach der Habilitation an der Universität zu Köln 1969 und Lehrstuhlvertretungen in Göttingen und Köln erhielt Westermann sehr bald Rufe an die Universitäten Bielefeld und Lausanne und wurde dann Ende 1970 zum Professor für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bielefeld ernannt. In Bielefeld war er vierzehn Jahre während der dynamischen Aufbauphase dieser Fakultät als Ordinarius tätig, davon drei Semester als Dekan. Bedeutende zeitgenössische Rechtswissenschaftler haben sich in dieser Zeit in Bielefeld einen Namen gemacht: Ernst-Joachim Mestmäcker und Hans-Jürgen Papier, um nur zwei illustre Namen herauszugreifen, und eben auch Harm Peter Westermann, dem die Fakultät Ende 2009 die Ehrendoktorwürde verliehen hat. Einen Ruf an die Universität Münster im Jahr 1978, der wegen der dort noch sehr spürbaren Präsenz des Familiennamens vielleicht ohnehin nicht ganz unproblematisch war, lehnte Westermann ab. Einen Ruf an die Freie Universität Berlin nahm er dagegen an. Während seiner fünfjährigen Zeit hier genoss er in seiner stets gering bemessenen Frei-

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zeit wohl nicht zuletzt auch das reichhaltige Musikangebot der Stadt. Kurz vor der „Wende“ 1989 nahm Westermann dann einen Ruf an die Universität Tübingen als Nachfolger von Joachim Gernhuber auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an, wo er bis zu seiner Emeritierung im Winter 2006/07 als Ordinarius tätig war und auch weiter seine wissenschaftliche Heimat findet.

III. Wissenschaftliches Werk Harm Peter Westermann ist „Vollprivatrechtler“ in dem Sinne, dass er wie nur wenige Kollegen dies heute noch tun, als Wissenschaftler weite Teile des deutschen Privatrechts einschließlich aller fünf Bücher des BGB abdeckt.1 Gleichzeitig ist er aber auch „Vollblutprivatrechtler“, wie es in einer Rezension seiner im letzten Jahr erschienenen Festschrift treffend gesagt wurde,2 denn er könnte sich sein Wirken als Zivilrechtler gar nicht anders vorstellen. Dem breiten Tätigkeitsspektrum entspricht die gemessen am Normalstandard geradezu gigantisch anmutende Anzahl von rund 270 Publikationen, darunter Monografien, Beiträge in Fachzeitschriften, Festschriften und Sammelwerken sowie Rezensionen. Im Bereich des allgemeinen Zivilrechts handelt es sich schwerpunktmäßig um Publikationen zum Schuldrecht, Sachenrecht und zum Allgemeinen Teil des BGB. Einen zweiten Schwerpunkt bildet das Gesellschaftsrecht, wobei auch dort das gesamte Spektrum abgedeckt wird. Besonders hervorzuheben sind die Kommentierungen in dem von Westermann herausgegebenen, von seinem Lehrer Erman begründeten Kommentar zum BGB, seine Kommentierung des Kaufrechts im Münchener Kommentar zum BGB, das von seinem Vater begründete, zusammen mit Gursky und Eickmann bearbeitete große Lehrbuch des Sachenrechts, wesentliche Teile in dem von Scholz begründeten Kommentar zum GmbHG, und schließlich das von ihm herausgegebene und in weiten Teilen bearbeitete Handbuch der Personengesellschaften. In jüngster Zeit ist noch die Kommentierung von Teilen des Aktiengesetzes in dem von Bürgers und Körber herausgegebenen Kommentar hinzugetreten. Schon als junger Rechtswissenschaftler erregte Harm Peter Westermann erstes Aufsehen mit seinem Kölner Habilitationsvortrag zum Thema „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode seines Trägers“3. Der Vortrag 1 Dazu die Laudatio von Zöllner, Laudatio für Harm Peter Westermann, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften – Symposion aus Anlass der Emeritierung von Prof. Dr. Harm Peter Westermann (2006), S. 1, 3 f. 2 Schneider, Buchbesprechung zu: Aderhold u. a. (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag (2008), NJW 2008, 2632–2633. 3 H. P. Westermann, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode seines Trägers, FamRZ 1969, 561–572.

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enthält eine brillante Kritik des bis heute die deutsche Rechtsprechung und Doktrin prägenden „Mephisto“-Urteils des BGH (BGHZ 50, 133), demzufolge nach dem Tod einer Person ein Recht am Lebensbild des Verstorbenen weiter bestehen soll, ohne dass dieses einem bestimmten Rechtsträger zuzuordnen wäre. Repräsentativ für die h. M. bemerkt Hager in den Eckpfeilern des BGB, dem Mini-Staudinger, dazu: „Gewisse Probleme macht die Rechtsinhaberschaft; am ehesten überzeugt die These, dass den Angehörigen oder den dazu vom Verstorbenen Berufenen das Recht treuhänderisch zugeordnet ist“4. Westermann hält dieser nach wie vor h.M. treffend den Fiktionscharakter der Vorstellung eines solchen subjektlosen Rechts entgegen. Er will deliktsrechtlichen Schutz allein den Angehörigen und sonstigen dem Verstorbenen nahe stehenden Personen zuerkennen, soweit diese selbst durch die Verletzung des Gedenkens an den Toten in ihren eigenen Persönlichkeitsrechten betroffen sind. Mir scheint dieser Ansatz der Realität und den praktischen Bedürfnissen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes besser gerecht zu werden. Dagegen hat mich die h.M. schon seit meinen Studententagen immer an den Spruch erinnert, den man zuweilen in Graffiti auf Autobahnbrücken und in U-Bahnschächten aufgesprüht sieht: „Elvis Lebt!“ In Westermanns 1970 erschienener Habilitationsschrift zur Bedeutung – besser sollte man sagen fehlenden Bedeutung – der Typengesetzlichkeit als Schranke der Gestaltungsfreiheit im Recht der Personengesellschaften5 liegt die Betonung deutlich auf der Vertragsfreiheit. Der Ableitung allgemeinverbindlicher Schranken privatautonomer Gestaltung von Personengesellschaftsverträgen aus dem Typus einer bestimmten Rechtsform steht der Verfasser skeptisch gegenüber.6 Sein Werk geriet damit schnell in einen markanten Gegensatz zu der unter der Ägide Mestmäckers geschriebenen Bielefelder Habilitationsschrift von Dieter Reuter. Grundgedanke der Arbeit Reuters ist die gesamtwirtschaftliche Funktionalisierung des Personengesellschaftsrechts im Sinne der Schaffung auf die marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung ausgerichteter Unternehmensorganisationen. Jegliche Form der Perpetuierung des Familieneinflusses durch Gestaltung von Gesellschaftsverträgen geriet damit in das Zielfeuer der gesellschaftspolitischen Kritik.7 Der kapitallose Komplementär als Quasi-Fremdorgan,8 die Trennung von Herrschaft 4 Hager, Das Recht der Unerlaubten Handlungen, in: Beckmann/Martinek (Hrsg.), Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts (2. Aufl. 2008), S. 889, 908; siehe auch EhmannErman, BGB (12. Aufl. 2008), Anh. § 12 BGB Rn. 310. 5 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften (1970). 6 H. P. Westermann (Fn. 5), S. 105 ff., 123 ff. 7 Zu den Grundlagen dieser ordnungspolitischen Interpretation der Grenzen gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsfreiheit Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen (1973), S. 32 ff. 8 H. P. Westermann (Fn. 5), S. 343 ff.; krit. dagegen Reuter (Fn. 7), S. 172 ff., 201 ff.

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und Haftung durch differenzierte Stimmrechtsregelungen,9 Zurückdrängung des Einflusses von Kommanditisten durch gemeinsame Vertreter, Beiräte, Aufsichtsräte oder Vertreterversammlungen und Abspaltung von Mitgliedschaftsrechten,10 die Abfindung ausscheidender Gesellschafter unter dem Verkehrswert des Anteils, all diese und viele andere bis dato gängige Gestaltungen in Gesellschaftsverträgen wurden als wettbewerbspolitisch unerwünschte Einrichtung von „Familienerbhöfen“ gebrandmarkt und sollten unter Berufung auf ein institutionelles und in diesem Sinne wirtschaftsrechtliches Verständnis des dispositiven Gesellschaftsrechts als Organisationsrecht von Marktteilnehmern zurückgedrängt werden. Einer wettbewerbspolitischen Instrumentalisierung des Personengesellschaftsrecht trat Westermann erstmals deutlich mit seinem im Jahr 1973 gehaltenen Vortrag vor der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe zum Thema „Die GmbH & Co. KG im Lichte der Wirtschaftsverfassung“ entgegen. In Auseinandersetzung mit Reuter wie auch seinem Bielefelder Fakultätskollegen Harald Weber warnte er in diesem Beitrag eindringlich davor, diese Gesellschaftsform, die damals noch weit umstrittener war als heute, bei der Rechnungslegung, im Mitbestimmungsrecht wie auch im Steuerrecht zu pönalisieren oder gar unter Berufung auf einen allein als marktordnungskonform anzusehenden Grundsatz des Gleichlaufs von Vollhaftung und unbehinderter unternehmerischer Entscheidungsmacht von vornherein für systemwidrig zu erklären.11 Im Grundsatz, wenn auch nicht in allen Teilbereichen hat dieses Plädoyer Erfolg gehabt. Als Rechtsform blüht und gedeiht die GmbH & Co. KG heute bekanntlich mehr denn je, was jüngstens wohl auch mit der durch die Unternehmensteuerreform 2008 bewirkten weiteren Annäherung an die GmbH zu tun haben dürfte. In der Frage der Rechnungslegung hat die europäische KapCo-Richtlinie12 und deren Umsetzung in den §§ 264a ff. HGB dagegen zu einer Gleichstellung mit der Kapitalgesellschaft geführt. Gleiches gilt für die Mitbestimmungspflichtigkeit der Gestions-GmbH nach § 4 Abs. 2 MitbestG. In einem grundlegenden Beitrag zum Verhältnis von Kautelarjurisprudenz, Rechtsprechung und Gesetzgebung im AcP 175 (1975) hielt Westermann dem politischen Verständnis des Rechts der Personengesellschaften dessen genuin privatrechtliche Funktion als Reglement der Durchsetzung und des Ausgleichs der Interessen der Gesellschafter entgegen. „Das ,stat pro

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H. P. Westermann (Fn. 5), S. 273 ff.; krit dagegen Reuter (Fn. 7), S. 201 ff. Dazu H. P. Westermann (Fn. 5), S. 382 ff.; krit. dagegen Reuter (Fn. 7), S. 287 ff. 11 H. P. Westermann, Die GmbH & Co. KG im Lichte der Wirtschaftsverfassung (1973), passim. 12 Richtlinie des Rates vom 8.11.1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660 EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), ABl. 1990 L 317/60. 10

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ratione voluntas‘“, so formulierte er im Anschluss an Robert Fischer, „ist [also] nicht überholt, jedenfalls nicht insoweit, als man die Dinge aus der Sicht der Verfügung der Gesellschafter über ihre Belange betrachtet“13. Dass damit entgegen insoweit kritischen Anmerkungen in der Literatur14 kein Plädoyer für ein rein formales, der Willkür der Kautelarpraxis nachgebendes Verständnis der Privatautonomie gemeint war, macht Westermanns Bekenntnis zum Bestimmtheitsgrundsatz und zur Inhaltskontrolle gesellschaftsvertraglicher Gestaltungen im Sinne der Notwendigkeit sachlicher Rechtfertigung von Eingriffen in die wirtschaftliche und persönliche Freiheit einzelner Gesellschafter durch Mehrheitsbeschluss deutlich. In die gleiche Richtung zielt das Bekenntnis zur Treubindung als beweglicher Schranke der Mehrheitsmacht. Schon früh hat Westermann die Ansicht vertreten, dem Problem der richterlichen Kontrolle von Abfindungsklauseln könne allein durch Anwendung des Sittengebots des § 138 BGB bezogen auf den Zeitpunkt der Vereinbarung der Klausel nicht beigekommen werden, zusätzlich erforderlich sei eine auf die Treubindung der Mehrheit zu stützende Ausübungskontrolle zum Zeitpunkt des Ausschlusses des Gesellschafters entsprechend den erst dann absehbaren Verhältnissen der Gesellschaft.15 Erst viele Jahre später ist dies bekanntlich mit einem Grundsatzurteil des BGH zum Richterrecht geworden.16 Unter den Zivilrechtlern unserer Zeit dürfte es nur wenige geben, die als Kommentator so aktiv sind oder waren wie Harm Peter Westermann es viele Jahre war und heute noch ist. Die mit diesem besonderen Aspekt des Hochschullehrerberufs verbundenen Freuden und Leiden hat er 1989 in einem Beitrag zur Festschrift für Kurt Rebmann, den damaligen Herausgeber des Münchener Kommentars zum BGB unter dem Titel „Glanz und Elend der Kommentare“ treffend geschildert.17 Wer selbst kommentiert, weiß um die Rolle als „Krisenmanager“ mit der Aufgabe des „Registrieren[s] und Syste13 H. P. Westermann, Kautelarjurisprudenz, Rechtsprechung und Gesetzgebung im Spannungsfeld zwischen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, AcP 175 (1975), 375, 408. 14 Duden, Grenzen der Vertragsfreiheit im Recht der Personengesellschaften, ZGR 1973, 360, 371 ff.; Pawlowski, Besprechung zu: Harm Peter Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, ZHR 136 (1972), 69–77; Wiethölter, Privatrecht als Gesellschaftstheorie? Bemerkungen zur Logik der ordnungspolitischen Rechtslehre, in: Baur u. a. (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen – Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag (1974), S. 645, 661; siehe aber auch Schultze-v. Lasaulx, Zur Frage der Gestaltungsfreiheit für Gesellschaftsverträge. Eine Bestandsaufnahme. Abschied von Illusionen, ZfgG 1971, 325, 341 ff. 15 H. P. Westermann, AcP 175 (1975), 375, 423, unter Berufung auf Erman, Einige Fragen zur gesellschaftsvertraglichen Abfindung des willentlich aus einer Personenhandelsgesellschaft ausscheidenden Gesellschafters, in: Brox/Gmür/Hefermehl (Hrsg.), Festschrift für Harry Westermann zum 65. Geburtstag (1974), S. 75, 78. 16 BGHZ 123, 281–289. 17 H. P. Westermann, Glanz und Elend der Kommentare, in: Eyrich/Ordersky/Säcker (Hrsg.), Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989), S. 105–124.

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matisieren[s] der Unordnung“, die ihm zufällt, wenn es darum geht, aus ständig neu gefassten Gesetzen und einer immer weniger auf dogmatische Konsistenz bedachten Rechtsprechung Sinn zu machen.18 Vollständigkeit der Materialverwendung, „dem Phantom einer geschlossenen Ordnung nachzujagen“, sind hier unerreichbare Ziele. All dies führt in Westermanns Worten zum Zustand der „unerträglichen Leichtigkeit des Kommentierens“ und es zeugt von der Bescheidenheit eines unserer großen deutschen Zivilrechtskommentatoren, wenn er abschließend bemerkt: „Glanz und Elend der Kommentare sind zwei Seiten ein und derselben Sache, sie lassen sich durch eine noch so kundige Konzeption und Leitung der Arbeit nicht voneinander scheiden. Wer also den Glanz will, – und wer wollte das nicht? – muss sich auch auf das ungute Gefühl des Ungenügens gefasst machen“19.

IV. Hochschullehrer aus Passion Der universitäre Lehrbetrieb hat Westermann stets große Freude bereitet. Nie hat er wegen seiner zahlreichen nebenamtlichen Tätigkeiten eine Veranstaltung an der Universität ausfallen lassen. Sein besonderes Engagement in der Lehre zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er nach der „Wende“ 1989 über seine Vorlesungstätigkeit in Tübingen hinaus mehrere Semester freiwillig ein Vorlesungsdeputat an der Universität Leipzig übernommen hat. Typisch für die Art, wie Westermann die Lehre angeht, sind seine zugleich lebensnahen, humorvollen und tiefere juristische Einsichten vermittelnden Fallbeispiele und Übungsfälle. Kultstatus unter den Westermann-Alumni der Bielefelder Zeit genießt der Übungsfall „Ein Meerschwein bleibt selten allein“20. Tochter S (alias Susanne Westermann?) hatte von den Eltern zum 8. Geburtstag ein Meerschwein geschenkt bekommen, das Bathseba genannt wurde und der ganzen Familie viel Freude bereitete. Als Tochter K (alias Kathrin Westermann?) zu ihrem 8. Geburtstag das ihrerseits erwünschte weitere Meerschwein nicht bekam, ging sie selbst zum Tierhändler und kaufte sich eins von ihrem Taschengeld. Infolge eines Versehens des Tierhändlers handelte es sich bei dem von Kathrin liebevoll Nana genannten Meerschwein allerdings nicht – wie von ihr aus wohlerwogenen Gründen erbeten – um ein weibliches Meerschwein sondern um ein Männlein, das sich dann auch prompt gegenüber der Schweinchendame, mit der es bei Westermanns den Käfig teilte, entsprechend benahm, was Kathrins Vater zusätzliche Fütterungs- und Pflegekosten verursachte. In der Falllösung ging es neben Fragen 18

H. P. Westermann, FS Rebmann (1989), S. 109 ff. H. P. Westermann, FS Rebmann (1989), S. 124. 20 H. P. Westermann/Baltes, Der Praktische Fall Bürgerliches Recht: Ein Meerschwein bleibt selten allein, JuS 1983, 691–699. 19

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des Minderjährigenrechts, des Vertrages mit Drittschutzwirkung und der Drittschadensliquidation entscheidend um die Einsicht des Bearbeiters, dass es sich bei dem Schweinchenmännlein Nana im Sinne des Fehlerbegriffs des BGB um ein fehlerhaftes weibliches Meerschweinchen handelte. Studenten, die das einmal begriffen hatten, waren nicht nur nahe an der Erreichung der Höchstpunktzahl, sie werden wohl auch nie mehr im Leben die Definition des subjektiven Fehlerbegriffs vergessen. Ein typisches Beispiel für die Befruchtung von Westermanns Tätigkeit als Hochschullehrer durch seine Tätigkeit als Gutachter und Berater der Praxis ist der ebenfalls aus der Bielefelder Zeit stammende Übungsfall zur Konzernverschaffungsschuld.21 Die von Westermann beratene Bielefelder Firma Seidensticker AG stellte Anfang der 80iger Jahre in Portugal durch eine dort ansässige Tochtergesellschaft billig Hemden u.a. für den deutschen Markt her. Als es in Portugal wegen der damaligen politischen Unruhen zu Streiks kam, konnte Seidensticker die Hemden aus Portugal von ihrer Tochter nicht mehr beziehen und es stellte sich die Frage, ob sie diesbezüglich gegenüber ihren Abnehmern nach § 279 BGB a. F. eine Verschaffungspflicht traf oder aber eine Befreiung von der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit eingetreten war. In seinem Gutachten für Seidensticker begründete Westermann unter Bezugnahme auf die berühmte Entscheidung des Reichsgerichts im ostgalizischen Eier-Fall, wo es bekanntlich um einen durch Kriegswirren verursachten Lieferengpass ging, dass eine Konzernverschaffungsschuld Seidenstickers nicht bestand.22 Für die Studenten wurde der damals noch hochvertrauliche Fall dann etwas umgestaltet. Aus Hemden wurde portugiesischer Portwein, aus der Seidensticker AG die Suffa-GmbH in München und die portugiesische Tochtergesellschaft hieß Suffa Potuguesa S.A. Für die Musterlösung konnte Westermann weitgehend auf sein Gutachten zurückgreifen. Interessant ist, dass in diesem wohl gemerkt für Studenten bestimmten Beitrag an zahlreichen Stellen Verweise auf Eckard Rehbinders große Habilitationsschrift zum Konzernaußenrecht zu finden sind.23 Eine bessere Symbiose von Wissenschaft, Lehre und Praxis ist kaum vorstellbar. Als akademischer Lehrer hat Harm Peter Westermann nicht nur drei Schüler zur Habilitation geführt (Michalski, Paefgen und Wilhelmi). Auch in der Zivilrechtslehrervereinigung, deren Vorsitzender er sechs Jahre war, hat er aktiv Einfluss auf die wissenschaftliche Fortentwicklung seines Fachs genommen. In Berufungsverfahren wurde und wird er noch heute oft als Gutachter herangezogen. Von erheblichem Einfluss auf die Entwicklung der

21 H. P. Westermann, Die Konzernverschaffungsschuld als Beispiel einer beschränkten Gattungsschuld, JA 1981, 599–605. 22 RGZ 99, 1–2. 23 Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht (1969).

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rechtswissenschaftlichen Forschung war und ist auch seine Tätigkeit als DFG-Gutachter für Handels- und Gesellschaftsrecht, die bis heute andauert. Vor allem aber kann Westermann stolz darauf sein, als Doktorvater über einhundertunddreißig Dissertationen betreut zu haben. Immer wieder trifft man in allen Bereichen des juristischen Lebens auf Westermann-Doktoranden, seien es Richter, Partner großer Wirtschaftskanzleien wie auch mittelgroßer und kleiner Anwaltspraxen, Justitiare bedeutender Familienunternehmen und großer Aktiengesellschaften oder auch in der öffentlichen Verwaltung tätige Juristen. Lassen sie mich auf die Gefahr hin, viele ebenso nennenswerte Persönlichkeiten unerwähnt zu lassen, nur einige Namen nennen: die Kölner Professorin und führende Gesellschaftsrechtlerin Barbara Grunewald, den Athener Professor Karampazos, die führenden Wirtschaftsanwälte Lutz Aderhold und Stefan Mutter und last not least auch den im rechtswissenschaftlichen Schrifttum äußerst umtriebigen Dresdner Notar Heribert Heckschen.

V. Gutachter und Schiedsrichter, Beziehungen zur Praxis Neben seiner umfangreichen Gutachtertätigkeit, die sich naturgemäß weitgehend im vertraulichen Rahmen abgespielt hat und noch heute abspielt, kann die Rolle Westermanns als gefragter Schiedsrichter nicht unerwähnt bleiben. Über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren war er an rund sechzig Schiedsverfahren als Schiedsrichter beteiligt; nicht selten war er Vorsitzender. Dabei war seine Tätigkeit keineswegs nur auf Deutschland beschränkt. Allein in Griechenland hat er an vier großen Schiedsverfahren als Schiedsrichter mitgewirkt, die nach griechischem Recht zu entscheiden waren. Einen interessanten Werkstattreport aus der Praxis jüngeren Datums liefert dazu der Beitrag im Liber Amicorum für Happ24. In jüngerer Zeit hat besonderes Aufsehen der von Westermann als Schiedsrichter mitentschiedene Streit zwischen Adidas und dem DFB um den Vertrag über die Ausrüstung mit Sportartikeln geführt. Zu den Praxisbezügen von Westermanns Tätigkeit ist auch die langjährige Mitgliedschaft im Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft zu zählen, aufgrund derer zahlreiche Kontakte zu Unternehmen und zur beratenden Rechtspraxis aufgebaut werden konnten. Viele Jahre war Westermann Vorsitzender des Arbeitskreises.

24 H.P. Westermann, Der Universitätsprofessor und die juristische Praxis – ein Erfahrungsbericht und eine Apologie, in: Hoffmann-Becking/Ludwig (Hrsg.), Liber Amicorum Wilhelm Happ (2006), S. 337–362.

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VI. Der „Fußballprofessor“ Als treuer Fan von Arminia Bielefeld, zu deren leider viel zu früh verstorbenem Präsidenten Jörg Auf der Heyde ihn eine enge Freundschaft verband, war Harm Peter Westermann seit Beginn seiner Laufbahn als Hochschullehrer an den rechtlichen Aspekten des Fußballs besonders interessiert. Seine in den siebziger Jahren geäußerte Auffassung, auch das Sportverbandsrecht habe sich dem allgemeinen Zivilrecht unterzuordnen,25 wurde seinerzeit von Herrn Kindermann, dem Vorsitzenden des Kontrollausschusses und sogenannten Chefankläger des DFB vehement bestritten, was angeblich sogar zu einem zeitweiligen Hausverbot beim DFB geführt haben soll. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass dem „Bosman“-Urteil des EuGH,26 mit dem die Transferfreiheit von Profifußballern europarechtlich abgesichert wurde, Westermanns besonderes Interesse gegolten hat.27 Obwohl von mir bereits in der nicht abgedruckten Laudatio anlässlich der Überreichung der Festschrift für Harm Peter Westermann erwähnt,28 soll und darf auch hier nicht unerwähnt bleiben, dass Harm Peter Westermann und Claus-Wilhelm Canaris, als sie vor dem Rechtsausschuss des Bundestages erschienen, um bei der Schuldrechtsreform 2002 beratend Hilfe zu leisten, sehr zum Stolz von Herrn Professor Westermann vom Vorsitzenden des Ausschusses mit den Fußballgrößen Franz Beckenbauer und Günter Netzer verglichen wurden. Die Frage allerdings, wer Westermanns Pendant in der Fußballwelt denn sein soll, Beckenbauer oder Netzer, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Ich habe mich seinerzeit dezidiert für den Vergleich mit Netzer ausgesprochen und bekräftige dies hiermit noch einmal; denn Westermann operiert als Rechtswissenschaftler in besonders imponierender Weise aus der Tiefe des geistigen Raumes, so wie auch Netzer seine berühmten Traumflanken aus der Tiefe des Raumes zu schlagen wusste. Obgleich mein Lehrmeister mir dies noch nicht expressis verbis versichert hat, wäre er, glaube ich, mit dieser Klassifikation einverstanden.

25

H. P. Westermann, Die Verbandsstrafbarkeit und das allgemeine Recht (1972). EuGH Urt. v. 15.12.1995 – Rs. C-415/93 Bosman, Slg. 1995 I-4921. 27 H. P. Westermann, Erste praktische Folgen des „Bosman“-Urteils für die Organisation des Berufsfußballs, DZWiR 1996, 82–86 und ders., Die Entwicklung im bezahlten Fußballsport nach dem „Bosman“-Urteil, DZWiR 1997, 485–493. 28 Aderhold u. a. (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag (2008). 26

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VII. Auslandskontakte Nicht unerwähnt bleiben dürfen bei einem Bericht über Harm Peter Westermann die zahlreichen akademischen Auslandskontakte, die er seit den Anfängen seiner Karriere gepflegt und stetig ausgebaut hat. Das gilt insbesondere für seine Beziehungen zur Juristischen Fakultät der Universität Athen, die ihm 2008 die Ehrendoktorwürde verliehen hat. Eine nicht unbeträchtliche Zahl der Doktoranden Westermanns stammt aus Griechenland; auch hat er immer wieder gerne griechische Juristen als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl beschäftigt. Eine zweite Verbindungslinie geht in Westermanns Mutterland die Niederlande, wo er von 1988 bis 1990 Vorlesungen im Gesellschaftsrecht an der Universität Rotterdam gehalten hat. Fruchtbare Beziehungen bestehen schließlich auch zur Juristischen Fakultät der Universität Granada, wo Westermann gerne im Sommer Vorträge hält, wenn er in seinem Domizil in Südspanien weilt.

VIII. Ein allseits beliebter Jurist Harm Peter Westermann hat sich in seiner im November 1986 an der Freien Universität Berlin gehaltenen, zugleich geistig anspruchsvollen und unterhaltsam witzigen Antrittsvorlesung ausführlich mit dem jedem von uns hin und wieder begegnenden Phänomen der Unbeliebtheit des Juristen beim nicht juristisch gebildeten Teil der Bevölkerung auseinandergesetzt.29 Er hat dabei von einem Ereignis berichtet, das offenbar bei Erik Wolf große Enttäuschung ausgelöst hat. Während eines anregenden Gespräches mit einer von ihm als „intelligent“ bezeichneten jungen Dame während einer Zugfahrt hatte Wolf auf die Frage der netten Gesprächspartnerin nach seinem Beruf wahrheitsgemäß antworten müssen, er sei Jurist. Die Antwort der offenbar im Allgemeinen recht charmanten Zeitgenossin war niederschmetternd: „Jurist, Sie? Ach wie schade!“30 Wir alle müssen mit dem Makel, Juristen zu sein, den Rest unserer Tage fristen. Wenn überhaupt, dann hat unter uns vielleicht Harm Peter Westermann eine reelle Chance, auf breite Akzeptanz bei seinen Mitmenschen zu stoßen. Das liegt an seiner freundlichen, offenen und gegenüber den ihm anvertrauten jungen Menschen fürsorglichen Art, aber auch an seiner für einen Herren seines Standes ungewöhnlichen Bescheidenheit. Arroganz ist

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H. P. Westermann, Über Unbeliebtheit und Beliebtheit von Juristen (2. Aufl. 1987). H. P. Westermann (Fn. 29), S. 17; zitierend aus E. Wolf, Der unbeliebte, aber unentbehrliche Jurist – als Manuskript herausgegeben von A. Hollerbach und H. P. Schneider (1978), S. 5. 30

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ihm ebenso fremd wie das bei dem einen oder anderen Ordinarius anzutreffende Statusgehabe. Über seine Vorliebe für ausgebeulte Fahrzeuge des Typs OPEL CORSA und einen FORD FIESTA mit Zweitmotor habe ich bereits bei der Überreichung der Festschrift in Tübingen letztes Jahr berichten dürfen. Aber, ich kann sie beruhigen liebe Zuhörer, der alte FIESTA ist mittlerweile an den Schwiegersohn abgegeben und durch einen neuen VOLKSWAGEN POLO ersetzt worden. Welche inneren Kämpfe Harm Peter Westermann mit sich selbst austragen musste, um diesen Schritt zu tun, das weiß nur er selbst.

Karsten Schmidt * – Landschaftsbildner des Rechts – Georg Bitter I. Von 26.391 Druckseiten und unermesslicher Schaffenskraft . . . . . . . . II. Von juristischer Landschaftsbildnerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Sonderprivatrecht der Kaufleute zum Außenprivatrecht der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kaufleute und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmen und Unternehmensträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Logik und gesetzliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wissenschaftliche Innovationskraft und ihr Einfluss auf den Gesetzgeber IV. Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erreichte Fortschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Juristische Literatur als Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Grenzgänger zwischen den Rechtsdisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Lehrstuhlinhaber mit Begeisterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebenslauf von Karsten Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vor einiger Zeit kam eine sehr gut deutsch sprechende Erasmusstudentin aus Polen nach der Vorlesung zu mir und fragte mich: „Ist Schmidt ein in Deutschland häufiger Name?“ Als ich dies bejahte, fragte sie weiter: „Und ist Karsten ein häufiger Vorname?“ Ich stutzte etwas und meinte, der Name sei eigentlich nicht so häufig. Wie sie darauf komme? Da sagte die Studentin: „Ja, weil in Deutschland so viele Professoren Karsten Schmidt heißen.“ Ich schaute erstaunt, weil ich nur den einen Karsten Schmidt, meinen akademischen Lehrer, kannte – und während ich noch überlegte, fuhr sie fort: „In der Vorlesung Handelsrecht habe ich von einem berühmten Handelsrechtler Karsten Schmidt gehört, in der Vorlesung Gesellschaftsrecht von einem berühmten Gesellschaftsrechtler gleichen Namens. In der Vorlesung zum Insolvenzrecht erwähnte der Dozent einen weiteren Professor Karsten Schmidt, der dieses Rechtsgebiet ganz maßgeblich geprägt habe. Und als uns im Zivilrecht die Ausbildungszeitschrift JuS empfohlen wurde, habe ich dort * Vortrag am 25. April 2008 – Humboldt-Universität zu Berlin. Die Vortragsfassung wurde im Grundsatz beibehalten, um Fußnoten sowie einen Lebenslauf am Ende ergänzt.

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einmal reingeschaut und fand am Ende unter ganz vielen Urteilen den Namen Karsten Schmidt. Der Name scheint also häufig zu sein.“ Ich konnte die Studentin aufklären, dass es zwar einen berühmten Handelsrechtler, Gesellschaftsrechtler, Insolvenzrechtler, Vollstreckungsrechtler und allgemeinen Zivilrechter mit Namen Karsten Schmidt gebe, dass sich dahinter aber ein und dieselbe Person verberge, die sich übrigens auch noch hervorragend mit Kartellrecht, Geldrecht, Bilanzrecht, Stiftungsrecht, Schiedsrecht und Rechtsgeschichte auskenne. Liebe Zuhörer, dieses Gespräch ist nur partiell erfunden und es hat einen wahren Kern. Heute Abend gilt es, ein juristisches Universaltalent zu würdigen, und es ist mir als Schüler von Karsten Schmidt eine Ehre und Freude, diese Aufgabe hier in Berlin wahrnehmen zu dürfen.

I. Von 26.391 Druckseiten und unermesslicher Schaffenskraft Wer einmal einen Blick auf die Homepage der Bucerius Law School in Hamburg wirft, als deren Präsident Karsten Schmidt seit 2004 tätig ist, der findet dort seine Liste mit Publikationen aus seiner Zeit als Assistent in Bonn (1969 bis 1976), als Professor in Göttingen (1976 bis 1977), Hamburg (1977 bis 1997), Bonn (1997 bis 2004) und nun wieder Hamburg (seit 2004). Allein diese Publikationsliste hat – mit Stand Dezember 2007 – bereits einen Umfang von 66 eng bedruckten Seiten.1 Es finden sich darin nicht weniger als 41 selbständige Veröffentlichungen, darunter seine berühmten Lehrbücher und Monographien, 48 Kommentierungen, 168 Beiträge in Büchern, 383 Aufsätze, 55 Urteilsanmerkungen, 46 Rezensionen und 7 Glossen, darunter Titel wie „Der unbeschränkt persönlich haftende Bernhardinerhund“2, „Sind Hunde Plastiktüten?“3 oder „Zueignung aus Zuneigung“4. Die Herausgeberschaften summieren sich auf 36, darunter viele Festschriften, Kommentare, Schriftenreihen sowie deutsche und internationale Zeitschriften. Besonders erwähnt sei dabei die ZHR, jene ehrwürdige, im Jahr 1858 von Goldschmidt gegründete „Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht“, deren Schriftleitung Karsten Schmidt seit 1984 mit Engagement betreibt.5

1 Siehe auch den Abdruck des Schriftenverzeichnisses in der zwischenzeitlich erschienenen Festschrift: Bitter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt (2009), S. 1805 ff. 2 Karsten Schmidt, Der unbeschränkt persönlich haftende Bernhardinerhund – Oder: Vom stillen Wirken der Zivilrechtsdogmatik wider den Unverstand des Gesetzgebers, JZ 1988, 31–32. 3 Karsten Schmidt, Sind Hunde Plastiktüten? – Von der unsachgemäßen Behandlung der Tiere in einem geläuterten BGB, Oder: Krambambuli macht Karriere, JZ 1989, 790–792. 4 Karsten Schmidt, Zueignung aus Zuneigung – Vorstudien zu einer juristischen Dedikationslehre, JZ 1990, 1121–1123. 5 Als Herausgeber der ZHR ist Karsten Schmidt bereits seit 1981 tätig.

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Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Seitenzahl aller seiner Veröffentlichungen zusammen zu rechnen und bin dabei auf 26.391 Seiten gekommen.6 Das ist eine stattliche Bibliothek, und zwar alles persönlich geschrieben, Manuskript im wahrsten Sinne des Wortes ohne Zuhilfenahme moderner Diktierhilfen. Er lässt auch keine Mitarbeiter für sich schreiben, nicht einmal besagte Urteilsbesprechungen in der JuS. Diese unermessliche Schaffenskraft ist umso mehr zu würdigen, als Karsten Schmidt nicht nur Wissenschaftler ist, sondern auch angesehenes Mitglied der Hamburger Gesellschaft und Teil seiner Familie: Als in Musik, Kunst und Literatur umfassend gebildeter und weltoffener Gelehrter ist er in Hamburg u.a. Seniormitglied der Akademie der Wissenschaften, Mitglied des Vorstandes und Kuratoriums der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und Vizepräsident des Übersee-Clubs. Von Anfang an ist er Wegbegleiter – man ist versucht zu sagen: Gründer – der heute von ihm geleiteten Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft, die schon nach wenigen Jahren im In- und Ausland einen ganz hervorragenden Ruf genießt. Und nicht zuletzt ist Karsten Schmidt Ehemann einer ebenfalls sehr aktiven Frau, deren Tätigkeit als Senatsvorsitzende am Hanseatischen Oberlandesgericht auch ihm familiäre Aufgaben zuwies, als Vater zweier Töchter (auch wenn er sich selbst nicht als Vorbild eines Familienvaters bezeichnet). Angesichts dieser schon früh einsetzenden Schaffenskraft verwundert eine Geschichte nicht, die mir aus der Bonner Fakultät zugetragen wurde. Dort habilitierte sich Karsten Schmidt 1975/1976 bei Peter Raisch mit einer Arbeit über „Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht. Versuch einer Systematik der deutschen Kartellrechtspflege“.7 Nach Begutachtung seiner Schrift hielt der damals 37jährige Karsten Schmidt vor der Fakultät seinen Habilitationsvortrag, übrigens zum Thema „Unterlassungsanspruch, Unterlassungsklage und deliktischer Ersatzanspruch im Konkurs – Eine Untersuchung am Beispiel des Patentverletzungsstreits“.8 Nach dem Vortrag wird der Kandidat nach draußen gebeten, in Bonn in das neben dem Sitzungszimmer gelegene Dekanat, damit die Fakultät beraten kann. Da an der Habilitationswürdigkeit der Leistungen von Karsten Schmidt ohnehin kein Zweifel bestand, sagte Werner Flume, der große und von Karsten Schmidt hoch geschätzte Bonner Zivilrechtslehrer, in der Be-

6 Bei der Zählung wurden Vorauflagen von mehrfach erschienenen Kommentaren, Lehr- und Handbüchern nur mit 1/3 der Seitenzahl gewertet. 7 Später veröffentlicht mit verändertem Untertitel: Karsten Schmidt, Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht. Kartellrechtspflege nach deutschem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1977). 8 Karsten Schmidt, Unterlassungsanspruch, Unterlassungsklage und deliktischer Ersatzanspruch im Konkurs – Eine Untersuchung am Beispiel des Patentverletzungsstreits, ZZP 90 (1977), 38–67.

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ratung: „Lassen wir ihn rasch wieder hereinrufen. Sonst hat er in der Zwischenzeit schon wieder einen Aufsatz geschrieben.“ Das Ergebnis dieser unvorstellbaren Forschungskraft lässt sich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht einmal im Überblick darstellen, auch dann nicht, wenn ich mich auf das hastige Vorlesen der Titel aus der Publikationsliste beschränkte. Deshalb dachte ich mir: Rede weniger über einzelne von ihm bearbeitete Themen oder Rechtsgebiete, als vielmehr über die Methode des Schmidt’schen Denkens und Arbeitens. Denn diese Methode hebt ihn von anderen großen Zivilrechtslehrern des 20. Jahrhunderts besonders ab.

II. Von juristischer Landschaftsbildnerei Ein verbreiteter Weg, sich juristischen Problemen zu nähern, ist der des Inseldenkens: Die juristische Welt erscheint dem Anfänger zunächst wie ein großes dunkles Meer der Ahnungslosigkeit. Darin tun sich zunächst im Studium, dann in der Promotion und später durch weitere wissenschaftliche Arbeiten Inseln des Wissens auf. Durch stetige Landgewinnung wird hier und da dem Meer ein weiteres Fleckchen Erde abgewonnen. So setzt sich im Laufe des wissenschaftlichen Lebens ein Flickenteppich zusammen, hier und da entstehen Landbrücken, Verbindungslinien zwischen den Inseln des Wissens. Wer Karsten Schmidt erlebt hat, staunt vor allem über dessen ganz anderen, kraftvollen und mutigen Denkansatz. Er legt – um im Bild zu bleiben – zunächst einmal das Meer gänzlich trocken. Das fällt nicht so leicht, denn es finden sich beim Abfluss des Wassers viele Sümpfe: herrschende Meinungen, über Jahrzehnte oder Jahrhunderte fortgeschleppt und doch nie ernsthaft auf ihre Überzeugungskraft überprüft. An deren Trockenlegung macht sich Karsten Schmidt heran, manchmal in Verzweiflung, wie etwa seine Glosse aus JZ 1992, 298 belegt: „Salut zum Thronjubiläum einer herrschenden Irrlehre – Einhundert Jahre höchstrichterliche Amtstheorie im Konkursrecht“. Die trockengelegte Landschaft beginnt Karsten Schmidt zu gestalten. Er ebnet Höhen und Tiefen ein, damit Nährböden für Neues entstehen: einheitliche Modelle mit klaren Strukturen. Wir könnten ihn einen Landschaftsbildner des Rechts nennen. Mühelos schiebt Karsten Schmidt bei seiner gestalterischen Aufgabe auch große Brocken beiseite. Doch trifft er bisweilen auf harten Fels: gesetzgeberische Eckpunkte, die nicht ins Bild passen, weil sie in punktueller, unstrukturierter Methode entstanden sind. Deren Beseitigung ist nur mit besonderer Sprengkraft möglich, wie später erläutert sei (unten III. 3.). Wie haben wir uns nun den Bauplan vorzustellen? Nach welchen Maximen gestaltet Karsten Schmidt den unter dem Meer liegenden Boden, während andere noch auf der Meeresoberfläche nach Inseln suchen? Wenn mein akademischer Lehrer ein Buch schreibt, dann nicht, weil er eines der häufigen Anliegen irgendeines Verlags nicht abzuwehren wusste. Er schreibt, wenn

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und weil er eine tragende Idee hat, er eine Kernbotschaft vermitteln will, weil sie vermittelt werden muss.9 Jedes einzelne Werkstück ist dabei Teil der großen gestalterischen Aufgabe, die unser Landschaftsbildner des Rechts mit Leidenschaft verfolgt.10 Ich will Ihnen diese Methode heute anhand von drei Bereichen erläutern, dem Handels-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht, auch wenn dies um den Preis geschieht, aus Zeitgründen nicht das Gesamtwerk so skizzieren zu können, wie Karsten Schmidt es verdient hätte. Zum Kartellrecht, in Schmidts Worten ein von der Kartellformenlehre emanzipiertes „Recht der Verbote und Verbotssanktionen“10a, möchte ich allerdings noch kurz die Gutachter seiner Habilitationsschrift zu Wort kommen lassen. Sie sprachen nämlich schon damals für das Kartellrecht aus, was auch für das spätere Werk in anderen Rechtsbereichen gilt: „Selbständigkeit, Gedankenreichtum, Fantasie, die Fähigkeit zu systematischem Denken treten allenthalten hervor“, so Ulrich Huber, ferner: „Das systematische Konzept des Verfassers ist im Grunde einfach, so etwas wie das Ei des Kolumbus.“ Im Gutachten von Herbert Fenn kann man lesen: „Die Überzeugungskraft seiner Lösung beruht … darin, daß das erarbeitete Konzept ein in sich geschlossenes – und gerade durch seine Geschlossenheit überzeugendes – System des kartellrechtlichen Rechtsschutzes der potenziell betroffenen Dritten herbeiführt und daß dieses System insgesamt allen übrigen bisher erarbeiteten Systemen überlegen ist. … [Das] Konzept … zieht seine Überzeugungskraft aus seiner Geschlossenheit, daraus also, daß es letztlich sämtliche erarbeiteten Teilergebnisse oder auch nur thesenartig aufgestellte Forderungen bruchlos in ein einheitliches System zusammenfügt. Den Mann, dem das durch Forschungen im Bürgerlichen Recht, Wirtschaftsrecht, im Öffentlichen Recht und im Verfahrensrecht gelungen ist, kann die Fakultät bedenkenlos habilitieren.“

III. Vom Sonderprivatrecht der Kaufleute zum Außenprivatrecht der Unternehmen Zunächst also das Beispiel Handelsrecht: Wer als Student die Vorlesung hört oder sich in der Examensvorbereitung mit diesem Gebiet befasst, der stößt irgendwann auf § 25 HGB, die „Haftung des Erwerbers bei Firmen9

Zur Bedeutung der Literaturgattung „Monographie“ siehe Karsten Schmidt, Gewaltenteilung im Gesellschaftsrecht – Neujahrsgedanken über Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung, ZHR 171 (2007), 2, 3: „Die Monographie ist ein Produkt aus Sorgfalt, Bekennermut und oft auch aus Trotz, und ihrer bedarf es“. 10 Zur Gestaltung von Gesamtbildern durch Karsten Schmidt siehe auch Schön, Zur „Existenzvernichtung“ der juristischen Person, ZHR 168 (2004), 268–297. 10a Zusammenfassend Karsten Schmidt, Wirtschaftsrecht: Nagelprobe des Zivilrechts, AcP 206 (2006), 169–204.

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fortführung“ (so die – nicht amtliche – Überschrift im Schönfelder). Darin heißt es in Absatz 1 Satz 1: „Wer ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, haftet für alle im Betriebe des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers.“

Entsprechend wird dem Studenten oft folgendes Prüfschema vorgegeben: 1. 2. 3. 4.

Handelsgeschäft – der Inhaber muss Kaufmann i.S.d. §§ 1 ff. HGB sein Erwerb unter Lebenden – insbesondere durch Vertrag Firmenfortführung Kein Ausschlussgrund – insbesondere keine abweichende Vereinbarung nach § 25 Abs. 2 HGB.

Zumindest beim Prüfungsmerkmal „Firmenfortführung“ findet sich sodann der Hinweis „a.A. Karsten Schmidt“, vielleicht darüber hinaus noch die Anmerkung, Karsten Schmidt kritisiere auch die Beschränkung auf Kaufleute i.S. d. §§ 1 ff. HGB sowie die Möglichkeit, die Haftung durch schlichte Vereinbarung zwischen den Parteien und deren Eintragung im Handelsregister nach § 25 Abs. 2 HGB auszuschließen. Ohne Erklärung wird sich unser Student fragen: Wie kann Karsten Schmidt die „Firmenfortführung“ für unerheblich erklären, obwohl sie doch im Gesetz steht? Und warum kritisiert dieser Mann die Beschränkung auf Kaufleute sowie § 25 Abs. 2 HGB? Die Antwort findet nur, wer diese Insel des § 25 HGB verlässt und sich das dahinter stehende Gesamtbild anschaut. In seinem Lehrbuch zum Handelsrecht erklärt Karsten Schmidt nicht einzelne Paragraphen, sondern entwickelt ein Modell. Das auch in seinen Vorlesungen zu hörende Schlagwort lautet: „Vom Sonderprivatrecht der Kaufleute zum Außenprivatrecht der Unternehmen“. 1. Kaufleute und Unternehmen Was macht nun aber das Handelsrecht im Schmidt’schen Sinne aus? Ihm geht es nicht um Kleinarbeit am Kaufmannsbegriff, insbesondere nicht im Sinne des damals – 1980 – bei Erscheinen der ersten Auflage seines Lehrbuchs noch deutlich engeren § 1 HGB. Karsten Schmidt erklärt die Außenbeziehungen von Unternehmen zum wahren Gegenstand modernen Handelsrechts. Noch bevor der Kaufmannsbegriff erläutert wird, der bei nicht wenigen am Anfang handelsrechtlicher Vorlesungen und Lehrbücher steht, findet der Leser bei Karsten Schmidt einen großen Abschnitt über „Das Unternehmen im Handelsrecht“.11 Erst auf S. 277 der 5. Auflage, also dort, 11 Karsten Schmidt, Handelsrecht (1. Aufl. 1980), Zweiter Abschnitt, §§ 4–8 (S. 49–202), (5. Aufl. 1999, S. 63–276).

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wo manche Lehrbücher zum Handelsrecht bereits enden, kommt Karsten Schmidt auf die §§ 1 ff. HGB zu sprechen – übrigens nicht: „§§ 1 fortfolgende“ – mein Lehrer wäre empört, wenn Sie das sagen würden.12 Die Idee, am Unternehmen anzuknüpfen, zieht sich sodann als Leitlinie durch das ganze Buch, etwa wenn Karsten Schmidt verschiedene handelsrechtliche Sonderregelungen auch auf nichtkaufmännische Unternehmen angewendet wissen will. 2. Unternehmen und Unternehmensträger Ein zweites hat Karsten Schmidt uns klar gemacht: die heute ganz geläufige Trennung von Unternehmen und Unternehmensträger. Das Unternehmen ist eine wirtschaftliche Einheit aus sächlichen und personellen Mitteln; doch kann es mangels Rechtsfähigkeit nicht Träger von Rechten und Pflichten sein. Die rechtliche Zuordnung erfolgt vielmehr zum Träger des Unternehmens, der Einzelkaufmann sein mag, zumeist aber eine Gesellschaft ist. Aus dieser Dichotomie von wirtschaftlicher Einheit und rechtlichem Zuordnungssubjekt ergeben sich Schwierigkeiten, wenn das Unternehmen von einem Unternehmensträger auf einen anderen übertragen wird. Und genau an dieser Stelle ist das Problem des § 25 HGB angesiedelt. Aus Sicht Karsten Schmidts geht es um die „Kontinuität der Rechtsverhältnisse beim Wechsel des Unternehmensträgers“.13 Da das Unternehmen als Gegenstand des Handelsverkehrs nicht selbst rechtsfähig ist, würden bei einem Wechsel des Unternehmensträgers die Forderungen und Verbindlichkeiten beim alten Träger gleichsam hängen bleiben. Die bisherige Verbindung zwischen dem Unternehmen und seinen zugehörigen Rechtsverhältnissen wäre aufgelöst. In dem Modell von Karsten Schmidt ist § 25 HGB – ebenso wie § 28 HGB – nur ein unvollständiger Versuch des Gesetzgebers, diese Einheit wiederherzustellen. Und gerade deshalb spricht er sich in deutlicher Erweiterung des § 25 HGB für den Übergang nicht nur der Verbindlichkeiten, sondern auch aller Forderungen und sogar ganzer Rechtsverhältnisse auf den neuen Unternehmensträger aus.14 Dass in einem solchen Modell die Anknüpfung an die Firmenfortführung ebenso störend ist wie die Möglichkeit, diese Kontinuität

12 Dazu Karsten Schmidt, Fortissimo (ff.) – Oder: Von der Fruchtbarkeit der Fachsprache und des Abkürzungswesens, JZ 1981, 597–598. 13 So die Überschrift von § 8 seines Lehrbuchs zum Handelsrecht (Fn. 11). 14 Karsten Schmidt (Fn. 11, 5. Aufl. 1999), § 8 I 4; ders., Übergang von Vertragsverhältnissen nach §§ 25, 28 HGB?, in: Beuthien u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus (1999), S. 555–574; ders., Unternehmensbezogenes Mietverhältnis, Unternehmensumstrukturierung und Unternehmensveräußerung – Zur Anwendung der §§ 25 ff. HGB auf Mietverhältnisse –, in: Jickeli/Kreuz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein (2003), S. 497–514.

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durch schlichte Abrede zwischen den Parteien des Unternehmenskaufvertrags gemäß § 25 Abs. 2 HGB zu überwinden, versteht sich von selbst. 3. Logik und gesetzliche Grenzen Wer – wie Karsten Schmidt – in großen Modellen denkt und dementsprechend das Recht gestaltet, stößt bei seiner Landschaftsbildnerei notwendigerweise an die bereits angedeuteten Grenzen, insbesondere gesetzliche. Die Frage lautet dann: Verbietet Art. 20 Abs. 3 GG der an Gesetz und Recht gebundenen Rechtsprechung, sich den Einsichten von Karsten Schmidt anzuschließen, auch wenn sie logisch stringent entwickelt sind? Der Tübinger Zivilrechtslehrer Zöllner, der in dieser Vortragsreihe nicht nur seinen Lehrer Alfred Hueck vorgestellt hat15, sondern in einem Jahr auch selbst von seinem Schüler Noack gewürdigt wird16, hat die erste Auflage des „Handelsrecht“ von Karsten Schmidt rezensiert.17 Darin würdigte er im Jahr 1983 das stringente Denken, hielt aber die Schmidt’sche These methodisch nicht nur für bedenklich, sondern für unzulässig.18 Der rechtspolitische Elan sei mit dem Verfasser durchgegangen, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung der §§ 25, 28 HGB.19 Karsten Schmidt habe, so liest man bei Zöllner, „zum Gesetzeswortlaut eine sehr freie Einstellung“.20 Und im Februar letzten Jahres hat Zöllner diese Kritik in einem mit Karsten Schmidt an der Bucerius Law School geführten Streitgespräch noch einmal pointiert wiederholt: „Es ist unerhört, dass der Präsident einer Universität Studenten des Rechts zum Rechtsbruch und zur Rechtsbeugung auffordert.“21 Richtig ist daran aus meiner Sicht nur, dass Karsten Schmidt weniger eng an den Vorgaben des Gesetzes haftet, wenn die Logik eben jenes Gesetzes schwer nachvollziehbar, die Aussagen des Gesetzes bisweilen gar widersprüchlich sind. Wer große Konzepte mit übergreifender Logik entwickelt, muss – um sein Modell stimmig zu halten – hier und da Korrekturen vorneh-

15 Zöllner, Alfred Hueck – Rechtslehrer in Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bundesrepublik, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 131–147. 16 Noack, in diesem Band, S. 71–95. 17 Zöllner, Wovon handelt das Handelsrecht?, ZGR 1983, 82–91. 18 Zöllner, ZGR 1983, 82, 83. 19 Zöllner, ZGR 1983, 82, 87 f., a. A. Raisch, Handelsrecht heute – Handelsrecht oder Unternehmensprivatrecht? (Teil 3), JA 1990, 369, 371 f., nach dessen Ansicht die systematische Auslegung die „kühne Konzeption“ gerade noch zulässt. Die Rechtsfortbildung Karsten Schmidts könne zusätzlich durch die Entstehungsgeschichte der §§ 25 und 28 HGB gestützt werden. 20 Zöllner, ZGR 1983, 82, 87. 21 Zöllner/Karsten Schmidt, Wovon handelt das Handelsrecht? – Gegenstand und Zukunft des Handelsgesetzbuches –, Bucerius Law Journal Heft 1/2008, 36, 39.

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men; und dabei überschreitet Karsten Schmidt manchmal ausdrücklich die Grenze des nach klassisch-konservativer Lesart für methodisch zulässig Erachteten. Ich selbst sehe dies übrigens weniger kritisch, habe insoweit wohl eher von meinem Lehrer gelernt.22 4. Wissenschaftliche Innovationskraft und ihr Einfluss auf den Gesetzgeber Wenn Zöllner dem Werk Karsten Schmidts seinerzeit „reiche (fast überreiche) Phantasie“ bescheinigte23, so ist es genau diese aus meiner Sicht besser als Innovationskraft zu bezeichnende Eigenschaft, die diesen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts ausmacht: Er nimmt keine herrschende Meinung als solche hin, hinterfragt jeden Gedanken auf seine Systemstimmigkeit. Und wo das System nicht stimmt, da schafft er ein neues, stets streng an der Logik orientiert. Dass die oft behäbige herrschende Meinung ihm dabei nicht immer und nicht in jedem Punkt folgt, versteht sich von selbst. Gleichwohl gilt es zu erkennen, was solch ein kreativer Geist bewirkt. Oft haben sich seine Gedanken in den Grundzügen durchgesetzt, auch wenn man ihm nicht bis in das letzte Detail seines Modells folgt. Wir sehen dies beispielhaft am Kaufmannsbegriff. Als die erste Auflage des Schmidt’schen „Handelsrecht“ erschien, stand noch ein Katalog von Grundhandelsgewerben in § 1 HGB. Danach war etwa ein Bäckereibetrieb als Kaufmann anzusehen, nicht aber ein Bauunternehmen oder eine Autoreparaturwerkstatt, weil dort keine Waren an- und verkauft werden.24 Karsten Schmidt hatte diese historisch bedingte Unterscheidung des Gesetzes seit jeher kritisiert25 und das Handelsrechtsreformgesetz von 199826 hat ihm Recht gegeben. Alle Gewerbebetriebe sind seither gleichgestellt. Allerdings unterscheidet auch das neue Gesetz zwischen gewerblichen und freiberuflichen Unternehmern, weshalb sich etwa der Inhaber einer Bäckerei mündlich verbürgen kann (§ 350 HGB in Abweichung von § 766 BGB), nicht aber ein Arzt oder Anwalt 27, selbst wenn seine Praxis Millionenumsätze erwirtschaftet.

22 In meiner eigenen Habilitationsschrift (Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung [2006]) befürworte ich die analoge Anwendung einer handelsrechtlichen Vorschrift (§ 392 Abs. 2 HGB) im bürgerlichen Recht, obwohl die zweite BGB-Kommission die Übernahme einer entsprechenden Vorschrift ins BGB ausdrücklich abgelehnt hatte. Mein Hinweis auf einen „Motivirrtum des Gesetzgebers“ (aaO., S. 248 ff.) fand jedenfalls beim Erstgutachter – Karsten Schmidt – Gefallen. 23 Zöllner, ZGR 1983, 82, 90. 24 Dazu Karsten Schmidt (Fn. 11, 1. Aufl. 1980), § 10 IV 1 und 2. 25 Karsten Schmidt (Fn. 11, 1. Aufl. 1980), § 3 I, § 9 I, § 10 I, § 10 IV 1. 26 Gesetz vom 22.6.1998, BGBl. I 1998, S. 1474. 27 Zur Einordnung dieser Berufsgruppen unter die nichtgewerblichen Freiberufler Karsten Schmidt (Fn. 11, 5. Aufl. 1999), § 9 IV 2.

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Aus Sicht Karsten Schmidts ist dies zwar unbefriedigend.28 Doch darf das Erreichte nicht gering geschätzt werden. Es muss nämlich in Rechnung gestellt werden, dass jene Definition des Kaufmanns, die nunmehr verändert wurde, eine jahrhundertealte geschichtliche Tradition hat. Sie findet sich schon im wohl ersten europäischen Handelsrechtslehrbuch des Italieners Benvenuto Stracca, das 1553 erschien.29 Wer diese Geschichte sieht und gleichzeitig berücksichtigt, dass wir Juristen nicht nur als konservativ gelten, sondern es zumeist auch sind, der kann diesen ersten Schritt in die richtige Richtung angemessen würdigen. Karsten Schmidt hat durch sein Werk an diesem (Teil-)Erfolg maßgeblich mitgewirkt und es kann nur gehofft werden, dass der zweite Schritt nicht weitere 500 Jahre auf sich warten lässt. Unser Nachbar Österreich hat diesbezüglich vorgelegt durch die Schaffung des „Unternehmensgesetzbuchs“.30 Sie dürfen raten, wer auch bei dessen Entwicklung Pate stand.31

IV. Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht Ich komme damit zum zweiten Feld, dem Gesellschaftsrecht. Auch hier wird die Methode Karsten Schmidts bereits an der Gliederung seines Lehrbuchs deutlich, die mit Recht als „ungewöhnlich aber einleuchtend“ bezeichnet worden ist.32 Während andere Lehrbücher sich tapfer von Gesellschaftsform zu Gesellschaftsform hangeln, stellt Schmidt „Allgemeine Lehren“ voran. Dieser Erste Teil seines Buches umfasste bereits in der ersten Auflage von 1986 knapp 500 Seiten33 und ist zwischenzeitlich auf gut 650 Seiten34 28 Dem Vorschlag von Karsten Schmidt, Bemerkungen und Vorschläge zur Überarbeitung des Handelsgesetzbuches – Vom Recht des „Handelsstandes“ (Erstes Buch) zum Recht der „Unternehmen“ –, DB 1994, 515–521, den Kaufmannsbegriff durch den weiten Unternehmensbegriff zu ersetzen, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt; dies bedauernd Graf von Westphalen, Fünf Jahre HGB-Reform – eine erste Zwischenbilanz, BB 2003, Heft 45 Die erste Seite. 29 „Mercator est, qui negotiationis exercendae quastusque faciendi causa merces emit, ut vendat“, nach der freien Übersetzung von Raisch, Handelsrecht heute – Handelsrecht oder Unternehmensprivatrecht? (Teil 1), JA 1990, 259, 261: „Kaufmann ist derjenige, der damit gewinnbringende Geschäfte macht, dass er Waren kauft, um sie zu verkaufen.“ 30 Dazu Karsten Schmidt, Zum Stand der HGB-Reform, Rechtsdogmatische und rechtspolitische Überlegungen, JBl 2003, 137–149; ders., Der Entwurf eines Unternehmensgesetzbuches – eine rechtspolitische Analyse, JBl 2004, 31–43; ders., Fünf Jahre neues Handelsrecht – Verdienste, Schwächen und Grenzen des Handelsrechtsreformgesetzes von 1998, JZ 2003, 585, 586; Graf von Westphalen, BB 2003, Heft 45 Die erste Seite. 31 Vgl. Krejci/Karsten Schmidt, Vom HGB zum Unternehmergesetz (2002). 32 Klamroth, Buchbesprechung: Karsten Schmidt, Handelsrecht (1. Aufl. 1980; 2. unveränderte Aufl. 1982), WRP 1987, 412, 413. 33 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (1. Aufl. 1986), §§ 1–21 (S. 1–486). 34 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (4. Aufl. 2002), §§ 1–21 (S. 1–652).

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angewachsen. Auch hier ist die Zielrichtung klar erkennbar: Erneut geht es um die Entwicklung übergreifender Modelle, um Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht. Klarer als andere hat er erkannt, dass sich viele Rechtsfragen bei allen Gesellschaftsformen stellen, sie jedoch herkömmlich oft unterschiedlich für die verschiedenen Gesellschaftsformen beantwortet wurden und werden. Da bedarf es eines übergreifenden Blickes, den allerdings nur eine solche Person auf das Gesellschaftsrecht werfen kann, die mit dem umfassenden Wissen und Denkvermögen eines Karsten Schmidt ausgestattet ist. Er analysiert alle Gesellschaftsformen zugleich, mustert die vorhandenen, je unterschiedlichen Ansätze durch und erschafft sodann ein neues Gesamtbild, die „Allgemeinen Lehren“. 1. Erreichte Fortschritte Durch seine maßgebliche Befruchtung ist die Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht seit dem Erscheinen der ersten Auflage des „Gesellschaftsrecht“ weit vorangeschritten. Dies gilt etwa für das Außenrecht der Personengesellschaften als Bestandteil der Lehre von der Rechtsperson. Bereits die erste Auflage enthält einen eigenen Paragraphen mit dem Titel „Verbände als Rechtsträger“, in dem sich Karsten Schmidt intensiv mit der Rechtssubjektivität der Gesamthand im Vergleich zur juristischen Person befasst.35 Die dort im Anschluss an Arbeiten insbesondere von Flume und P. Ulmer vertretene neue Gesamthandslehre hat sich bekanntlich vor einigen Jahren auch in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH Bahn gebrochen, als dieser die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts anerkannt hat.36 Dieser Erfolg geht auch auf das Konto von Karsten Schmidt. Weit fortgeschritten ist die von ihm so stark beeinflusste Institutionenbildung auch im Recht der fehlerhaften Verbände (bei Karsten Schmidt § 6 des Lehrbuchs) oder im Recht der Vorgesellschaften (§ 11 des Lehrbuchs). Während Wiedemann 1970 noch von einem „Rätsel“ sprach37, konnte Flume elf Jahre später konstatieren, die Vorgesellschaft sei weitgehend „enträtselt“.38 Die „Allgemeinen Lehren“ Karsten Schmidts haben zu dieser Enträtselung einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet.

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Karsten Schmidt (Fn. 33), § 8. BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330. 37 Wiedemann, Das Rätsel Vorgesellschaft, JurA 1970, 439–465. 38 Flume, Zur Enträtselung der Vorgesellschaft – Eine Untersuchung aus Anlaß der Entscheidung BGH, NJW 1981, 1373, NJW 1981, 1753–1756: „Zur Enträtselung der Vorgesellschaft“ stellt er in seiner Besprechung von BGHZ 80, 129 fest, der BGH habe einen wesentlichen Beitrag zur „Enträtselung“ der Vorgesellschaft geleistet, wenn sich aus der Entscheidung auch neue Rätsel ergeben würden. 36

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2. Aufgaben für die Zukunft Doch längst ist nicht alles erreicht in Sachen Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht. Gespalten ist nach wie vor das Recht der fehlerhaften Beschlüsse und dies hat Karsten Schmidt erst jüngst wieder in der ZGR kritisiert.39 Während das Aktienrecht seit Langem auf gesetzlicher Grundlage die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage kennt und gleiches – ohne gesetzliche Grundlage – im Recht der GmbH gilt, ist das Recht der Personengesellschaften noch voller Unklarheiten. Diese auszuräumen ist seit langem sein Anliegen. Auch hier zeigt sich wieder das übergreifende Denken: bereits in der ersten Auflage des „Gesellschaftsrecht“ fordert er gleiche Grundsätze für alle Verbände.40 Mit Forschergeist findet Karsten Schmidt immer noch neue Felder für die Institutionenbildung. Angetan haben es ihm in jüngerer Zeit vor allem die von ihm sog. „virtuellen Rechtspersonen“.41 Mit der Figur der „virtuellen Rechtsträger“ werden Phänomene erfasst, bei denen bestimmte Organisationen nicht durch das Recht als Subjekt anerkannt werden. Die Denkfigur der „atypischen stillen Gesellschaft“ etwa soll durch die Innen-KG 42 oder den stillen Verband 43 ersetzt werden; diese Innen-KG ist ein solch „virtueller Rechtsträger“, dessen Organisationsverfassung im Innenverhältnis der einer KG angenähert ist.44 Wollen wir hoffen, dass er sich als ganz reale Person mit diesen Fragen noch lange wird beschäftigen können, damit auch in Rezensionen der Neu-

39 Karsten Schmidt, Mehrheitsbeschlüsse in Personengesellschaften, Stand und Fortbildung des Innenrechts der Personengesellschaft bei dem Otto-Urteil des Bundesgerichtshofs, ZGR 2008, 1, 24 ff.; siehe später auch ders., Reflexionen über das Beschlussmängelrecht – Dogmatik und Rechtspolitik der Anfechtungsklagen für Heute und Morgen –, AG 2009, 248–259. 40 Karsten Schmidt (Fn. 33), § 15 II 3. 41 Siehe Karsten Schmidt, Konzernunternehmen, Unternehmensgruppe und KonzernRechtsverhältnis – Gedanken zum Recht der verbundenen Unternehmen nach §§ 15 ff., 291 ff. AktG, in: Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter (2000), S. 1167, 1175 in Fn. 34, zuletzt ders., Zur Gesellschafterhaftung in der „Innen-KG“ – Bermerkungen zur typisch-atypischen stillen Gesellschaft, NZG 2009, 361–364. 42 Karsten Schmidt, Sozialansprüche und actio pro socio bei der „GmbH & Still“, Zur Binnenverfassung der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft, in: H. P. Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger (2000), S. 401–413; Münchener Kommentar HGB-Karsten Schmidt (2. Aufl. 2007), § 230 HGB Rn. 81, zuletzt ders., NZG 2009, 361 ff. 43 So die Arbeit seines Schülers Florstedt, Der »stille Verband« (2007); siehe auch ders., Schuldrechtliches Beteiligungskapital, in: Bitter u. a. (Hrsg.) Festschrift für Karsten Schmidt (2009), S. 399, 404. 44 Zeitlich nach dem hier abgedruckten Vortrag hat die Rechtsprechung dieses Konzept aufgegriffen: OLG Schleswig, ZIP 2009, 421 = DB 2009, 221 = NZG 2009, 256; dazu Karsten Schmidt, NZG 2009, 361–364.

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auflagen gesagt werden kann: „Das Gesellschaftsrecht von Karsten Schmidt ist das Lehrbuch eines Vordenkers mit hoher Überzeugungskraft“45. 3. Juristische Literatur als Literatur Das vorgenannte Zitat stammt von Dr. Rid, früher Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, der dabei ganz besonders auf die allgemeinen Lehren hinweist, die die einzelnen Gesellschaftsformen übergreifen und so zu einem erhöhten Verständnis der Materie beitragen.46 Eine andere Rezension spricht von einer „bewusstseinserweiternden Wirkung [der] methodischen Gesamtdarstellung“47. Doch nicht nur die Inhalte werden immer wieder mit Recht gelobt, sondern ebenso sein Ausdrucksvermögen: So liest man bei Rid: „Das Lehrbuch ist in einer Sprache verfasst, die dem Leser schwierigste Sachverhalte und Rechtsfolgen mühelos erschließt.“48 Ganz ähnlich äußert sich Picot über das Lehrbuch zum Handelsrecht: „Der unkomplizierte, klare und immer verständliche Sprachstil des Autors bereitet … ein besonderes fachliches Lesevergnügen.“49 Doch ist es nicht nur diese Fähigkeit, übergreifend zu denken und zu kombinieren und das Erdachte trotz hoher Komplexität der Materie in kristallener Klarheit und Einfachheit darzustellen. Viel wichtiger scheint mir noch, dass juristische Literatur für Karsten Schmidt Literatur sein muss. Immer wieder sagt er seinen Doktoranden: „Sie schreiben ein Buch. Lesen Sie zur Vorbereitung nicht den Palandt oder den Münchener Kommentar, sondern die großen Werke berühmter Schriftsteller und dann legen sie los.“ Denn es ist genau dieser Maßstab, an dem er seine eigenen Werke ausrichtet: Karsten Schmidt ist Schriftsteller; und er hätte vermutlich manches nichtjuristische Buch verfasst, wäre da nicht seine allzu große juristische Arbeitsbelastung. Misslich ist an diesem Maßstab allenfalls, dass man als Schüler ebenfalls daran gemessen wird. Als ich etwa den ersten Entwurf meiner Habilitationsschrift bei ihm einreichte und dabei an einer Stelle die Gedanken etwas hölzern zu Papier gebracht hatte, fand sich am Rande mit spitzer Feder vermerkt: „Eine Dienstanweisung an Kommunalbeamte könnte nicht besser formuliert sein.“

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So Rid, Rezension: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (2. Aufl. 1991), DStR 1992, 964. Rid, DStR 1992, 964. 47 Klamroth, WRP 1987, 412, 413. 48 Rid, DStR 1992, 964. 49 So wörtlich Picot, Wieder ein großer Wurf – und ein fachliches Lesevergnügen, BB 1999, 2307. 46

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V. Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen Doch zurück zur Methode Karsten Schmidts, zu der ich Ihnen noch das dritte Beispiel schulde: das Insolvenzrecht. Zur Illustration seines Denkens scheint mir eine Monographie aus dem Jahr 1990 geeignet, in der einmal mehr Sümpfe trocken gelegt und anschließend neue Wege aufgezeigt werden, in diesem Fall – so der Titel – „Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen“.50 Weshalb er dieses Buch geschrieben hat, erhellt gleich der erste Satz des Vorworts: „Die Arbeit stellt den Versuch dar, die Grundanliegen, Grundregeln und Grundlagen eines Insolvenzrechts der Unternehmen systematisch zu entwickeln.“ Weiter heißt es: „Das wissenschaftliche Anliegen der im Winter 1988/89 begonnenen Arbeit bestand zunächst darin, die in der Diskussion meist mehr als Einzelthesen zur Kenntnis genommenen Erträge meiner Untersuchungen aus etwa anderthalb Jahrzehnten in ihrem Zusammenhang, also als Bestandteile eines ‚großen Modells‘, zu präsentieren und sie in den Dienst eines Unternehmensinsolvenzrechts für heute und morgen zu stellen.“ Hier wird ein Modell entworfen, dem man zwar nicht in allen seinen Verästelungen folgen muss, das aber an Kreativität und Geschlossenheit kaum zu überbieten ist. Ein Buch, das begeistert. Die Aufgabe, vor die er sich als Rechtswissenschaftler gestellt sieht, beschreibt Karsten Schmidt im ersten Abschnitt des Buches so: „Gerade weil das Wirtschaftsleben komplex ist, muß es durch allgemeingültige Regeln zusammengehalten werden; gerade weil der Konsens über Einzelfragen so schwierig geworden ist, bedarf dieser Konsens einer Grundordnung, die allein eine Stimmigkeit der Ergebnisse gewährleistet und verhindert, daß der Diskurs aller Einzelprobleme bei inkohärenten Prämissen und Fragen beginnt. Gerade weil alle Rechtserkenntnis provisorische Züge trägt und unter dem steten Risiko der Korrektur steht, müssen sich Rechtswissenschaft und Rechtspolitik ständig aufgerufen sehen, Einzelprobleme und ihre Lösungen stets nur als Bausteine eines stimmigen Ganzen zu begreifen. Darin steckt der optimistische Glaube an die ordnende Kraft der rechtswissenschaftlichen Institutionenlehre, nicht aber vermessene Juristenwillkür.“51

Worin diese – zu einem guten Teil bereits verwirklichte – Neuordnung im Bereich des Insolvenzrechts liegt, sei noch kurz dargestellt: Karsten Schmidt geht von dem Befund aus, dass Insolvenzrecht in einer über Jahrzehnte gewachsenen Rechtsentwicklung zur Domäne der Prozessrechtswissenschaft geworden ist, die in verdienstvoller Weise bleibende Erträge herausgearbeitet, jedoch auch zur Stagnation des Rechtsgebiets beigetragen hat.52 Diese

50 51 52

Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen (1990). Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 14 f. Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 19.

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„Herrschaft der Zivilprozessrechtswissenschaft über das Insolvenzrecht“53 gelte es abzulösen. Autoren wie Friedrich Weber und Wilhelm Uhlenbruck, die ebenfalls als Insolvenzrechtswissenschaftler die unternehmensrechtlichen Rechtsprobleme gleichwertig neben dem Bürgerlichen Recht und dem Konkursverfahrensrecht als Elemente der Insolvenzrechtsordnung begreifen, dürften nicht länger Einzelfälle bleiben.54 Das fehlende unternehmensrechtliche Denken erkennt Schmidt bereits im Aufbau der früheren Konkursordnung: Sie ging vom Gemeinschuldner als einer natürlichen Person aus (§§ 1, 6 Abs. 1 KO), während die Regelung des Konkursverfahrens über das Vermögen einer Handelsgesellschaft nur als Annex erschien (§§ 207, 209 KO, 63 GmbHG a. F.).55 Orientiere man das Recht der Unternehmensinsolvenz demgegenüber am Paradigma der Handelsgesellschaften, sei die Brücke zum Liquidationsrecht geschlagen. Der Konkurs erscheine dann nur als Sonderfall eines gesetzlichen Liquidationsverfahrens,56 das entweder mit Vollbeendigung oder Sanierung des Rechtsträgers ende.57 Dieser Grundansatz, weg vom prozessualistischen Vollstreckungsdenken hin zum unternehmsbezogenen Denken, zieht sich sodann durch die ganze Monographie und auch durch das sonstige insolvenzrechtliche Werk Karsten Schmidts. Es hat z.B. seinen „modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff“ geprägt, mit dem er das statische, auf Verteilung des gegenwärtigen Vermögens gerichtete exekutorische Konkursdenken durch eine dynamische, an der lebenden Wirtschaftseinheit Unternehmen orientierte Betrachtung abgelöst hat.58 Nachdem sich dieses Modell bereits in der Rechtsprechung durchgesetzt hatte,59 kam zum Bedauern von Schmidt 60 der Gesetzgeber der Insolvenzordnung dazwischen und drehte das Rad mit der Neuformulierung der Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO zurück.61 Das unternehmensrecht53

Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 133. Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 21. 55 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 25. 56 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 26. 57 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 159 ff. 58 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 37 ff., insbes. S. 40, 46 ff. 59 BGHZ 119, 201 = NJW 1992, 2891 = ZIP 1992, 1382 (Leitsatz 2); BGHZ 129, 136 = NJW 1995, 1739 = ZIP 1995, 819 (Leitsatz 8). 60 Scholz-Karsten Schmidt, GmbHG, Band 2 (9. Aufl. 2002), Vor § 64 GmbHG Rn. 16 f., der in der Neuformulierung des § 19 Abs. 2 InsO allerdings nur eine nominelle, keine sachliche Änderung sieht; das in Fn. 61 zitierte Urteil des II. Zivilsenats des BGH sieht dies offenbar anders, wenn es dort heißt, mit der Neufassung des Überschuldungstatbestandes in § 19 Abs. 2 InsO sei der in Fn. 59 angeführten Rechtsprechung „die Grundlage entzogen“. 61 Dazu BGHZ 171, 46 = NJW-RR 2007, 759 = ZIP 2007, 676 (Leitsatz 4 und Rn. 19); nach dem Vortragstermin (25.4.2008) hat allerdings der Gesetzgeber im Finanzmarktstabilisierungsgesetz den modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff vorläufig wieder in Kraft gesetzt (vgl. dazu Bitter, Neuer Überschuldungsbegriff in § 19 Abs. 2 InsO: Führt die Finanzmarktkrise zu besseren Einsichten des Gesetzgebers?, ZInsO 2008, 1097; 54

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liche Denken im Insolvenzrecht wird zudem deutlich, wenn er die Insolvenzmasse betrachtet. Statisches Denken schaut nur auf das vollstreckbare Vermögen zur Zeit der Verfahrenseröffnung, blendet folglich das vollstreckungsfreie Vermögen und den Hinzuerwerb während des Verfahrens aus.62 Zum Unternehmen als einer dynamischen Einheit passt diese Sichtweise nicht und deshalb stellt Schmidt seine Gegenthese auf: Es gibt kein konkursfreies Gesellschaftsvermögen.63 Aus diesem Denken heraus erklärt sich etwa auch seine prominente, gegen die herrschende Ansicht gerichtete These, der Insolvenzverwalter dürfe nicht einzelne ihm lästige Gegenstände aus der Masse freigeben, insbesondere nicht altlastenverseuchte Grundstücke der Sanierung auf Kosten der Allgemeinheit anheimgeben, während das Aktivvermögen unter die Gläubiger verteilt wird.64 Die Rechtsprechung ist ihm darin – wie ich meine zu Unrecht – nicht gefolgt, sondern heißt die Freigabe weiter gut.65 Gesetz geworden ist hingegen die Einbeziehung des Neuerwerbs in die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO). Leider wird manchmal nicht hinreichend gesehen, wie sich bei Karsten Schmidt eins zum anderen fügt. Hinter jeder Einzelthese steht immer das große Modell. Und es ist trotz aller Meinungsunterschiede über Einzelthesen diese Gesamtidee, mit der er die Rechtsentwicklung in Deutschland nachhaltig geprägt hat. Wer sich das Insolvenzrecht von heute im Vergleich zu dem vor dreißig Jahren anschaut, wird große Veränderungen feststellen. Das exekutorische Denken weicht immer mehr einem unternehmensrechtlichen. Auch an den Universitäten macht sich eine erstaunlich rasche Entwicklung breit: Die Mehrzahl der jungen Insolvenzrechtler von heute betrachtet das Insolvenzrecht nicht mehr vom Vollstreckungs-, sondern vom Unternehmensrecht her. Ich denke, es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich feststelle, dass Karsten Schmidt nicht nur das Insolvenzrecht, sondern mit ihm auch die Insolvenzpraxis ganz nachhaltig verändert hat. Karsten Schmidt, Überschuldung und Insolvenzantragsplficht nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz, Geschäftsleiterpflichten im Wechselbad der Definitionen, DB 2008, 2467– 2471; Scholz-Karsten Schmidt/Bitter, GmbHG, Bd. 3 [10. Aufl. 2010], Vor § 64 Rn. 15 ff.). 62 Zur Sicht der Konkursordnung Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 69. 63 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 70 ff. 64 Zur Ablehnung der Freigabe Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 73 ff.; später sodann ders., Altlasten, Ordnungspflicht und Beseitigungskosten im Konkurs – Wege und Irrwege der verwaltungsgerichtlichen Praxis, NJW 1993, 2833–2837; ders., Ordnungsrechtliche Haftung der Insolvenzmasse für die Altlastenbeseitigung, Zum Stand der Diskussion nach dem Urteil des OVG Greifswald vom 16. Januar 1997, ZIP 1997, 1460, ZIP 1997, 1441–1445; ders., „Altlasten in der Insolvenz“ – unendliche Geschichte oder ausgeschriebenes Drama?, ZIP 2000, 1913–1921; ders. Keine Ordnungspflicht des Insolvenzverwalters? – Die Verwaltungsrechtsprechung als staatliche Insolvenzbeihilfe für Umweltkosten, NJW 2010, 1489–1493. 65 BGHZ 163, 32 = NJW 2005, 2015 = ZIP 2005, 1034 m.w.N.; BVerwGE 122, 75 = ZIP 2004, 1206; siehe zuvor allerdings auch die Entscheidungen BVerwGE 107, 299 = NJW 1999, 1416 = ZIP 1998, 2167; BVerwGE 108, 269 = ZIP 1999, 538, die Karsten Schmidt, ZIP 2000, 1913–1921 zunächst als Bestätigung seiner Ansicht verstanden hatte (insbes. 1915 f.).

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VI. Grenzgänger zwischen den Rechtsdisziplinen Ein Denker wie Karsten Schmidt sorgt jedoch nicht nur für einheitliche Modelle innerhalb einer bestimmten rechtswissenschaftlichen Disziplin, sondern er schafft auch die nötigen Querverbindungen. Im Grunde gibt es bei ihm nur ein einziges großes Modell der wirtschaftsrechtlichen Welt, in das er all seine Detailaussagen einbettet. Nur ein paar wenige dieser Querverbindungen will ich beispielhaft herausgreifen. Seine Ideen zum Handelsrecht verknüpft Schmidt mit denen zum Insolvenzrecht, wenn er fordert, Handelsrecht auch auf die insolvente Gesellschaft anzuwenden.66 Dies erleichtert ihm seine Theorie, die den Insolvenzverwalter als Vertreter des insolventen Schuldners ansieht, nicht als Amtstreuhänder 67, der für eine solche Anwendung handelsrechtlicher Normen selbst zum Kaufmann erklärt werden müsste. Die im Handelsrecht herausgestellte Verknüpfung von Unternehmen und Unternehmensträger lässt ihn im Insolvenzrecht die – übrigens nach seiner Begriffsbildung 68 heute allgemein so genannte – übertragende Sanierung kritisch betrachten, bei der das Unternehmen vom insolventen Träger getrennt und auf eine neue (Auffang-)Gesellschaft übertragen wird.69 Verknüpfungen zwischen der Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht und dem Insolvenzrecht werden hergestellt, wenn Karsten Schmidt schon früh aus seiner Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesamthand auf deren Insolvenzfähigkeit geschlossen, mithin diese selbst und nicht die Gesellschafter als Insolvenzschuldner betrachtet hat,70 eine Sichtweise, der sich später der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 InsO angeschlossen hat.71 Rechtsformübergreifendes Denken im Insolvenzrecht findet sich auch, soweit Karsten Schmidt eine Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung für alle Unternehmensträger fordert, nicht nur für solche ohne natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter.72 Die gleiche Ausweitung vertritt er im Eigenkapitalersatzrecht.73 66

Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 101 f. Zur herrschenden Amtstheorie vgl. die Nachweise bei Münchener Kommentar InsOOtt/Vuia, Band 1 (2. Aufl. 2007), § 80 InsO Rn. 27. 68 Karsten Schmidt, Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1980, 328–337; dazu auch ders. (Fn. 50), S. 138. 69 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 137 f., 213 f. 70 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 143 f.; siehe auch ders. (Fn. 34), § 60 IV 3. 71 Siehe dazu Münchener Kommentar InsO-Ott/Vuia (Fn. 67), § 11 InsO Rn. 3, 7 und 49. 72 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 59 f. m. w. N.; siehe auch ders., Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht. Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag. Unternehmens- und insolvenzrechtlicher Teil, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 54. DJT (1982), Bd. I, D 64 f. 73 Karsten Schmidt (Fn. 50), S. 91 ff.; siehe auch ders. (Fn. 34), § 18 III 4 m.w.N. in Fn. 59. 67

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Besonders deutlich sind die Verbindungslinien auch zwischen dem Handels- und Gesellschaftsrecht, weshalb sein Lehrbuch zum „Gesellschaftsrecht“ mit Recht als eine „Art größerer Bruder“ des „Handelsrecht“ bezeichnet worden ist.74 Dies gilt nicht nur in äußerlicher Hinsicht der beiden „blauen Wunder“, wie Karsten Schmidt seine Werke in Anspielung auf die berühmte Dresdner Brücke manchmal in der Vorlesung zu nennen pflegt. Auch der Inhalt ist eng verwoben, wie man bereits an den zahlreichen Querverweisen erkennen kann. Seine Erkenntnisse über die notwendige Verknüpfung von Unternehmen und Unternehmensträger nutzt Karsten Schmidt übrigens auch im internationalen Gesellschaftsrecht – Stichworte: Centros75, Überseering76 und Inspire Art77. Vor dem Urteil Überseering war bekanntlich auf Grundlage der traditionellen Spielart der Sitztheorie einer ausländischen Gesellschaft bei Verlegung ihres Verwaltungssitzes ins Inland wegen fehlender Einhaltung der deutschen Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften die Rechtsfähigkeit aberkannt worden; mit dieser Nichtanerkennungstheorie wurden sie gleichsam „an der Grenze totgeschlagen“.78 Dass diese traditionelle Sitztheorie nicht nur vom Judiz her inakzeptabel,79 sondern auch logisch unzutreffend war, hatte Karsten Schmidt, der sich ein Unternehmen ohne Unternehmensträger selbstverständlich nicht vorstellen konnte, schon früh erkannt: Durch den Grenzübertritt wird – wie er es plakativ ausdrückte – „das Gesellschaftsvermögen nicht herrenlos wie ein wildes Tier, das Unternehmen nicht trägerlos wie ein Abendkleid“80. 74

Klamroth, WRP 1987, 412, 413. EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 = ZIP 1999, 438. 76 EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 Überseering, Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 = ZIP 2002, 2037. 77 EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 Inspire Art, Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 = ZIP 2003, 1885. 78 Vgl. dazu mit umfangreichen Nachweisen Lutter, Überseering und die Folgen, BB 2003, 7–10, insbes. 9: „Wahrlich: Was bleibt von der Niederlassungsfreiheit, wenn die Gesellschaften beim Überschreiten der Grenze sterben.“ 79 So Schanze/Jüttner, Die Entscheidung für Pluralität – Kollisionsrecht und Gesellschaftsrecht nach der EuGH-Entscheidung „Inspire Art“, AG 2003, 661, 664; ähnlich W.-H. Roth, Internationales Gesellschaftsrecht nach Überseering, zu EuGH, 5.11.2002 – Rs. 208/00 Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), IPRax 2003, 65, IPRax 2003, 117, 119: „… von den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen her unerträglich“; ausführlich schon Knobbe-Keuk, Umzug von Gesellschaften in Europa, ZHR 154 (1990), 325–356, insbes. S. 328, 335 ff. 80 Karsten Schmidt, Freie Beweglichkeit von Unternehmen über nationale Grenzen, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e.V. (Hrsg.), Multimedia: Kommunikation ohne Grenzen – grenzenloser Wettbewerb?, Referate des XXXI. FIW-Symposions, FIW-Schriftenreihe Heft 177 (1998), S. 41, 43; vgl. auch ders. (Fn. 34), § 1 II 8a; ders., Sitzverlegungsrichtlinie, Freizügigkeit und Gesellschaftsrechtspraxis, ZGR 1999, 20, 22 ff.; siehe sodann auch BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539 = ZIP 2002, 1763, wonach die 75

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VII. Lehrstuhlinhaber mit Begeisterung Wir sehen also: Bei Karsten Schmidt ist alles nur im Gesamtkonzept zu verstehen und das macht es einerseits schwierig, andererseits faszinierend, mit ihm zusammenzuarbeiten. Schwierig, weil es viele Jahre dauert, bis man sich in diese gedankliche Welt auch nur annäherungsweise hineingedacht hat – sie vollständig zu erfassen, scheint mir fast unmöglich. So stieß ich des Öfteren auf seine kritische Frage: „Was, das wissen Sie nicht? Das gehört aber doch zum juristischen Gemeingut.“ Man muss lange bei ihm arbeiten, um dergleichen seltener zu hören. Faszinierend ist die Zusammenarbeit, weil seine gedankliche Schnelligkeit, Flexibilität und Kreativität einfach begeistern. Denken und Diskutieren sind für ihn mit Leidenschaft verbunden. Je schwieriger die juristische Frage ist, mit der er konfrontiert wird, desto größer ist sein Interesse, eine Lösung zu finden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit könnte man ihn ansprechen und ihn mit einer guten Frage ins Gespräch verwickeln, auch wenn er im Moment eigentlich viel wichtigere Dinge zu tun hätte. So erinnere ich mich, dass wir einmal abends in der Bibliothek des Bonner Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht saßen – für ihn war das übrigens nicht ungewöhnlich, denn er arbeitete immer bis tief in die Nacht – und über eine juristische Frage ins Gespräch kamen. Es ging um den damals neuen § 93 InsO, der bestimmt, dass die persönliche Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB in der Gesellschaftsinsolvenz vom Insolvenzverwalter geltend gemacht wird. Diese Regelung war aufgrund seines Vorschlags im Juristentagsgutachten von 198281 ins Gesetz gekommen. Wir kamen auf schwierige Fragen der Anwendung dieser Norm, diskutierten hin und her. Ein Wort gab das andere. Jeder brachte immer wieder neue Gedanken ein, die der andere aufgriff. Dabei begeisterte er mich durch die Art der Diskussion, sein Reaktionsvermögen, neue Ideen sogleich zu retournieren, seine Bereitschaft, einen vielleicht zu spontan entwickelten Gedanken sofort zu präzisieren, umzudenken, immer auf der Suche nach der „richtigen Lösung“. Nach diesem Gespräch ging ich geradezu euphorisiert nach Hause. Es war ein intellektueller Genuss. Damals wurde mir bewusst, dass eine juristische Diskussion mit einem geistig so unglaublich wachen Gegenüber einen ebenso begeistern kann wie etwa die Betrachtung eines großartigen Bergpanoramas, eines Bildes von Picasso im Museum of Modern Art in New York oder ein wunderbares klassisches Konzert. ausländische Gesellschaft in Deutschland jedenfalls als rechtsfähige Personengesellschaft anerkannt werden sollte. 81 Karsten Schmidt (Fn. 72), S. D 46 f.; vgl. auch ders., Insolvenzrisiko und gesellschaftsrechtliche Haftung, Die Unternehmensinsolvenz als Bewährungsprobe des Gesellschaftsrechts, JZ 1985, 301, 303 f.; ders., Das Insolvenzverfahren neuer Art – Kernprobleme der Insolvenzrechtsreform nach dem Kommissionsbericht –, ZGR 1986, 178, 205; ders. (Fn. 50), S. 34 ff., 80 ff.

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Und was Karsten Schmidt dabei weiter auszeichnet, ist seine Bereitschaft, diese Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Jahr 2000 erschien ein viel beachteter Aufsatz in der ZIP, in dem Karsten Schmidt und ich unsere je unterschiedlichen Ideen zusammen veröffentlichten, erst ein gemeinsamer Anfangsteil, dann das Vollanmeldungsmodell (Georg Bitter) und das Ausfallmodell (Karsten Schmidt) und zum Schluss wieder gemeinsame Überlegungen.82 Welcher andere hoch angesehene Hochschullehrer hätte es wohl seinem Schüler gestattet, ihm in einem gemeinsamen Aufsatz vor der Fachöffentlichkeit zu widersprechen? Und welcher andere Hochschullehrer hätte sich sodann noch bereit erklärt, beide Modelle in einem gemeinsamen Vortrag mit seinem Schüler vor dem bekannten Kölner Arbeitskreis für Insolvenzwesen zu präsentieren und dort diskutieren zu lassen?83 Mein Lehrer besitzt diese Größe und ich habe ihm deshalb und aus anderen Gründen mehrfach gesagt: „Lieber Herr Schmidt, ich bin sehr froh, dass ich bei Ihnen tätig sein darf.“ Begeisterter Lehrer ist Karsten Schmidt aber auch, wenn er aus seinem reichen Wissens- und Erfahrungsschatz berichten kann. Das gilt vor allem für seine Vorlesungen, die immer gut besucht waren. Ich selbst hatte das Vergnügen, seine Vorlesung vor gut 15 Jahren im Hamburger Rechtshaus besuchen zu können. Der Hörsaal war stets voll besetzt, eine gespannte Stille und hier und da ein Zucken, wenn der Herr Professor seinen Hörern das tragbare Mikrofon vors Gesicht hielt, damit sie eine Frage zum Handelsrecht, zum aktuellen Tagesgeschehen oder zur allgemeinen Bildung beantworten mögen. Der starke Eindruck, den seine Vorlesungen auf die Zuhörer machten, lässt sich vielleicht daran am besten ablesen, dass die Hamburger Studenten regelrechte Fackelumzüge veranstalteten, um ihn damals vom Wechsel nach Bonn abzubringen. Übrigens steigerte sich der in Evaluationen zum Ausdruck gebrachte Beifall seiner Zuhörer noch mit deren zunehmender Semesterzahl: Der Examenskurs zum Handels- und Gesellschaftsrecht war in Bonn besonders beliebt, wahrscheinlich deshalb, weil die meisten Studenten erst jetzt die bei ihm so wichtigen Querverbindungen erfassen konnten. Von der klaren Sprache seiner Bücher war auch schon die Rede. Mit Recht las ich in einer Rezension: „Wer im ‚Handelsrecht‘ und im ‚Gesellschaftsrecht‘ blättert, wird oft der Versuchung unterliegen, sich festzulesen.“84 Nicht anders ist es, wenn man das Vergnügen hat, ihm persönlich zuhören zu können. Er ist immer zum Gespräch bereit, zum „Schnacken“, wie der Hamburger sagt. Ein innerer Drang beflügelt ihn, jene Erkenntnisse, die er für sich 82 Karsten Schmidt/Bitter, Doppelberücksichtigung, Ausfallprinzip und Gesellschafterhaftung in der Insolvenz, Eine Analyse der §§ 43, 52, 93 InsO und § 32a Abs. 2 GmbHG, ZIP 2000, 1077–1089. 83 Vortrag am 7.1.2003; Unterlagen unter www.georg-bitter.de (zuletzt abgerufen am 30.06.2010). 84 Klamroth, WRP 1987, 412, 413 a. E.

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gewonnen hat, an den Mann und an die Frau zu bringen. So ist er ein Hochschullehrer im besten Sinne des Wortes, der seine Studenten und Mitarbeiter nicht als die Forschung störende Last empfindet. Im Gegenteil: er freut sich über jeden, der zu ihm kommt und dem er etwas von seinem Wissen weitergeben kann. Am Bonner Lehrstuhl ging es bisweilen zu wie im Taubenschlag, weil sich Karsten Schmidt nie abkapselte. Er liebte es, viel Trubel um sich herum zu haben. Da er einerseits viel zu viel zu tun hatte, andererseits so gerne plauderte, konnte es schon einmal vorkommen, dass er eine halbe Stunde darauf verwendete, einem zu erzählen, wie wenig Zeit er doch habe und was er heute alles noch schaffen müsse. Seine zutiefst menschlichen Seiten, die ihn so liebenswürdig machen, kamen auch dann zum Ausdruck, wenn er kurz vor der Rückfahrt von Bonn nach Hamburg – er behielt seinen Hauptwohnsitz in Hamburg auch während der Bonner Zeit – bemerkte, dass ihm sein Schlüssel fehlte. Dann trommelte er den Lehrstuhl zusammen und suchte gemeinsam mit Assistent, Mitarbeitern und Studenten den Schlüssel – oder vielleicht das Portemonnaie, ein wichtiges Buch oder Manuskript, das er noch mitnehmen wollte. Meist ging es gut und er erreichte rechtzeitig den Zug am nahe gelegenen Bahnhof. Bisweilen sah er jedoch auch nur noch die roten Lichter des Zuges, der soeben ausgefahren war. Dieses Lehrstuhlteam, das ihn umgab, war ihm sehr wichtig. Natürlich achtete er bei Neueinstellungen auch auf die juristische Qualifikation, doch ebenso darauf, dass neue Mitarbeiter in dieses Team passten. Bewerbungsgespräche führte er immer gemeinsam mit seinem Assistenten; oft kamen auch weitere Mitarbeiter hinzu. Ein neues Mitglied wurde nur dann ins Team aufgenommen, wenn alle einverstanden waren. Karsten Schmidt war eben nicht nur in der fachlichen Diskussion für seine Gesprächspartner offen, sondern gerade auch bei lehrstuhlinternen Fragen. Sein Lehrer Peter Raisch schrieb am 18. Februar 1976 ein Gutachten über seinen Schüler Karsten Schmidt für die Universität Göttingen, das mit den Worten endete: „Persönlich ist er zuverlässig, kollegial, hilfsbereit, bescheiden und liebenswürdig.“ Heute spreche ich nun aus der Perspektive des Schülers über den Lehrer Karsten Schmidt und möchte mit den Worten schließen: „Lieber Herr Schmidt, vielen Dank für die schöne und lehrreiche Zeit. Mögen Sie noch viele juristische Landschaften gestalten und Ihre Zuhörer und Leser durch Ihre Art auch in Zukunft gewinnen!“

Lebenslauf von Karsten Schmidt Karsten Schmidt, 1939 in Oschersleben (Harzvorland) geboren und in Kiel aufgewachsen – die Eltern, ihrerseits waschechte Kieler, waren beide Lehrer –, studierte Rechtswissenschaft und zunächst auch Geisteswissenschaften

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in Kiel und München. Die Erste juristische Staatsprüfung legte er 1965 in Schleswig, das Assessorexamen 1969 in Hamburg ab. Nach kurzer Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei zog Karsten Schmidt mit seiner Frau Dr. Inga Schmidt-Syaßen, später Vorsitzende Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht, nach Bonn und wurde dort 1972 mit einer Arbeit „Zur Stellung der oHG im System der Handelsgesellschaften“ promoviert. In Kiel und Bonn wurden seine beiden Töchter geboren. Sein Doktorvater Peter Raisch betreute auch die 1975/76 abgeschlossene Habilitationsschrift über „Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht“. Dem Erstruf nach Göttingen folgte schon 1977 der Ruf an die Universität Hamburg, wo Karsten Schmidt für zwei Jahrzehnte als Direktor des Seminars für Handels-, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht wirken sollte. Die Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR) machte den Ordinarius im Jahr 1981 zum Herausgeber und 1984 zum Mitglied der Schriftleitung. Die Zivilrechtslehrervereinigung wählte ihn 1987 zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden, später zu ihrem Vorsitzenden. Im Jahr 1997 wechselte der Gelehrte, der längst auch im Ausland hohes Ansehen genoss, dann noch einmal von der Elbe an den Rhein: die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hatte ihn als Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht gewinnen können. Auch in dieser Zeit blieb die Verbindung nach Hamburg eng: zur ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, in deren Vorstand und Kuratorium Karsten Schmidt in den Jahren 1984 bzw. 1986 berufen worden war; zum Übersee-Club, der ihn im Jahr 1992 auf das Amt des Vizepräsidenten gehoben hatte; zur Joachim Jungius Gesellschaft und zur Akademie der Wissenschaften, die ihn im Jahr 2005 zum Seniormitglied ernannte; und natürlich zur Bucerius Law School, die Karsten Schmidt in Hamburg mitbegründet hatte und deren Gedeihen er zunächst als Vizepräsident förderte – Termine auf dem feinen Hamburger Parkett gehörten weiter zum Alltag des Bonner Rechtsgelehrten. So kehrte Karsten Schmidt nach seiner Emeritierung im Frühjahr 2004 in die Hansestadt zurück, um fortan der Bucerius Law School als Präsident vorzustehen. Hier lehrt er in deutscher und englischer Sprache, und von hier aus hat er seine internationale Vortragsund Lehrtätigkeit weiter ausgedehnt, z.B. fast alljährlich in China. Die Zahl seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen – rund 700 Monographien, Kommentierungen und Aufsätze zum Handels-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht, zum Bürgerlichen Recht wie zum Zivilprozess- und Kartellrecht – wird nur von der einzigartigen Qualität dieser Arbeiten überboten. Für sein unerschöpfliches Wirken hat Karsten Schmidt zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter die Ehrendoktorwürde der Universität Athen und der Universität Wien im Jahr 2002, den Emil von Sauer-Preis im Jahr 2005 und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse im Jahr 2006, zuletzt im Jahr 2009 den Dr. Günther Buch-Preis der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung. Seit Langem ist er Honorary Fellow des Institute of Advanced Legal

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Studies in London, Mitglied der Argentinischen Akademie der Wissenschaften und anderer Institutionen. Aus Anlass seines 70. Geburtstags wurde ihm im Januar 2009 eine von Georg Bitter, Marcus Lutter, Hans-Joachim Priester, Wolfgang Schön und Peter Ulmer herausgegebene Festschrift überreicht.

Peter Doralt * Susanne Kalss

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Charakterisierung in wenigen Schlagworten . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Mann des gesprochenen Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Büchertrinker und Lesenarr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der akademische Freigeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der freigiebige Gedanken- und ideenspender . . . . . . . . . . . 6. Der Brückenbauer zwischen Praxis und Wissenschaft . . . . . . . 7. Der rechtspolitische Gestalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Grenzgänger: Rechtsvergleicher und Disziplinenüberschreiter 9. Der Visionär und rechtswissenschaftliche vates . . . . . . . . . . IV. Das wissenschaftliche Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ost- und mitteleuropäisches Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . 4. Internationales Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. GmbH & Co KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Resumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Buch und Ringvorlesung betiteln sich „Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in den Berichten ihrer Schüler“. Ausdrücklich wird von deutschsprachigen Lehrern gesprochen – nicht von deutschen, daher darf ich hier über Peter Doralt berichten. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Naturgemäß geht es nicht so sehr um die gemeinsame Sprache, wobei uns ohnehin – frei nach Karl Kraus – nichts mehr trennt als eben diese.1 In Deutschland, das gerade im Bereich der Rechtswissenschaften eine ganz bedeutende Rolle spielt, werden nur einzelne, wenige Stimmen aus anderen deutschsprachigen Ländern wahrgenommen. Die Wahrnehmung gelingt nur, * Vortrag am 15. Mai 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin. 1 Die Urheberschaft dieses Bonmots ist seit Kurzem umstritten; nicht nur Karl Kraus, sondern auch Alfred Polgar oder Friedrich Torberg kommen nunmehr in Frage. A. LernetHolenia hat es nach 1945 als erster wieder aufgegriffen.

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wenn man nicht bloß österreichische Besonderheiten darstellt, sondern zum deutschen und zum europäischen Recht beizutragen imstande ist.2 Wenige Rechtsgebiete sind im deutschen und österreichischen Recht so nahe verwandt wie das Gesellschaftsrecht. Daher verwundert es auch nicht, wenn von österreichischer Hand nicht bloß informierender Rechtsvergleich kommt, sondern der Betreffende auch Kluges und Weiterführendes zu deutschen und europäischen, somit zu allgemeinen Rechtsfragen beiträgt. Die berühmten Worte Ottokars von Hornek, des Dienstmanns, aus Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“3 mögen als erste Wegleitung dienen: „Drum ist der Österreicher froh und frank, Trägt seinen Fehl, trägt offen seine Freuden, Beneidet nicht, läßt lieber sich beneiden, Und was er thut ist frohen Muths gethan.“

Wie ich aber zu zeigen versuche, stimmen nicht alle Reime, die Grillparzer seinem sympathischen Ottokar in den Mund legt. In der bekannten Rede heißt es weiter: „’s ist möglich, dass in Sachsen und beim Rhein es Leute gibt, die mehr in Büchern lasen; Allein, was not tut und was Gott gefällt, der klare Blick, der offne, richt’ge Sinn, da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die andern reden.“

Grillparzer hat es gut gemeint mit uns Österreichern. Natürlich findet sich auch Peter Doralt in der Beschreibung gut wieder. Er belehrt uns aber jedenfalls in drei Dingen eines Anderen: beim „Bücherlesen“, beim „Alleindenken“ und schließlich beim „miteinander Reden“; darauf ist zurückzukommen.

II. Lebenslauf Peter Doralt wird am 3. April 1939 geboren. Seine ersten Jahre – es sind die Kriegsjahre – verbringt er – wie viele andere Stadtkinder auch – nicht in Wien selbst, sondern im niederösterreichischen Weinviertel. Die Schulzeit verlebt er in Wien, das durch die Teilung in die vier Zonen der Alliierten geprägt ist. Sein Bezirk (Josefstadt) liegt im amerikanischen Sektor. Selbst wenn wir das

2

Vgl. auch Rummel, in diesem Band, S. 19–29. Grillparzer, König Ottokars Glück und Ende (1825), 3. Aufzug, Vers 1689–1698, das Zitat ist nicht vollständig, Unterstreichungen finden sich im Original nicht. 3

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Bild von Graham Greenes Dritten Mann, Anton Karas’ Zitherschlag und das Wien der Agenten im Gedächtnis haben, so ist der Alltag in der Stadt frei und relativ normal. Doralts Jugend ist bestimmt durch eine fordernde und glückliche Schulzeit am Schottengymnasium in Wien, durch Erlebnisse bei den Pfadfindern, die intensiven Diskussionen mit seinen drei Brüdern und durch die ebenso dominante wie beeindruckende Führung der Mutter, in deren Kaffeehaus die Mithilfe der Söhne erwartet wird. Den Pfadfindern verdankt Peter Doralt nicht nur sein erstes Aufsichtsratsmandat, vielmehr hinterlassen die Gruppenerlebnisse einen derartig starken Eindruck, dass er sie heute noch zur Erläuterung von gesellschafts- und organisationsrechtlichen Fragen heranzieht. Drei Doralt-Brüder – ein Anwalt und zwei Universitätsprofessoren – werden über Jahrzehnte das juristische Leben in Wien und Österreich wesentlich mitgestalten. Der vierte Bruder wird ein guter Mediziner. Das Kaffeehaus ist ein Ort, der Peter Doralt noch heute anzieht, kommt es doch seinen Neigungen ganz besonders entgegen, nämlich seiner Neugier und Begier nach Lesestoff, seiner Lust an Gespräch und Diskussion und schließlich seinem offenen Verhältnis zur Zeit, seiner Liebe zur akademischen Freiheit und Toleranz. Neben seinem Jusstudium an der Alma Mater Rudolfina in Wien absolviert Peter Doralt das Dolmetschstudium Englisch. Ab dem dritten Semester ist er Pauker in Rechtskursen. An sein rechtswissenschaftliches Studium in Wien schließt er ein Postgraduate-Studium in Harvard an und wird das erste Mal von der Vielfalt und Breite des amerikanischen und anglosächsischen Rechtsdenkens in gleichem Maß erfüllt wie von der Internationalität der Studierenden. Das Fundament für die Offenheit und das Wissen um die Notwendigkeit eines internationalen rechtsvergleichenden Blicks ist gelegt – im öffentlichen Recht, keineswegs im Gesellschafts- und Unternehmensrecht. Zurück in Wien nimmt er 1964 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät – mangels Alternativen – die Stelle eines Assistenten bei Hans Schima im Zivilprozessrecht an, ehe er zu Walther Kastner und damit zum Handels- oder Unternehmensrecht wechselt. Dies ist eine besonders glückliche Fügung. Walther Kastner wird der prägende akademische Lehrer für Peter Doralt, dieser umgekehrt zum besonders geschätzten und geförderten Schüler.4 Kastner wirkt als Hilfsarbeiter, Bankangestellter, Generaldirektor eines Konzerns, Rechtsanwalt und Universitätsprofessor, Berater vieler Minister, Ministerialbeamter und Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte und sonstiger Gremien. Er übt die spannendsten Berufe aus, die ein Jurist seiner Zeit ergreifen kann.5

4 Kastner, Mein Leben – kein Traum. Aus dem Leben eines österreichischen Juristen (1980), S. 195. 5 Kastner (Fn. 4), S. 212; Lutter, Laudatio, GesRZ-Sonderheft SE 2004, 3, 4.

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Walther Kastner ist mit Leib und Seele Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Handelsrecht an der Wiener Fakultät.6 Peter Doralt wird damit zum engsten Mitarbeiter des Unternehmens-, Wirtschafts- und Gesellschaftsrechtlers der zweiten Republik schlechthin. Um die Wirkungskraft Walther Kastners und seiner Mitarbeiter, insbesondere Peter Doralts, zu verdeutlichen, soll kurz die damalige Situation um das Gesellschaftsrecht skizziert werden. Kastner treibt und gestaltet nicht nur die wissenschaftliche Diskussion im Gesellschafts- und Unternehmensrecht maßgeblich, sondern ist vor allem der Dramaturg der österreichischen Wirtschaft sowohl für den gesetzlichen Rahmen als auch für den praktischen Einzelfall.7 Die Rechtsbereiche, die heute etwa Wirtschaftsaufsichtsrecht, Energierecht, Verkehrsrecht, Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht, Unternehmensrecht und vor allem Gesellschaftsrecht umfassen, werden zu jener Zeit – außer von Walther Kastner – praktisch nicht bearbeitet; bei Kastner ist es vielfach die Frucht praktischer Auseinandersetzung und zugleich gemeinwohlfördernder Lösungsfindung. Gerade Gesellschaftsrecht wird in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in Österreich kaum wissenschaftlich betrieben; einzig Kastner nimmt zu praktischen Fragen und mehrfach zur Neuregelung des österreichischen Aktienrechts – in der für ihn typisch knappen Form – Stellung. Der österreichische Juristentag (ÖJT), der im Mai 2009 sein 50-jähriges Bestehen feierte,8 ist erst wenige Jahre alt, als Kastner 1964 beim 2. ÖJT zur Europäisierung des österreichischen Gesellschaftsrechts das Gutachten erstattet. Im ersten halben Jahrhundert seines Bestehens sollte Gesellschaftsrecht nur drei Mal Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion am österreichischen Juristentag sein (1964 [Europäisierung], 1988 [Konzern], 2006 [Kapitalgesellschaftsrecht]).9 Peter Doralt wird zum Konzernrecht ein grundlegendes Referat halten.10 Die von Peter Doralt wesentlich mitgestalteten Gesellschaftsrechtsseminare, insbesondere etwa zu den Auswirkungen der deutschen Aktienrechtsreform in Österreich, der GmbH & Co KG, der geplanten GmbH-Reform oder zum europäischen Gesellschaftsrecht, versammeln eine Vielzahl heute bekannter Anwälte, Richter und Unternehmensjuristen und bilden den Kulminationspunkt fruchtbarer Diskussion. Die Ergebnisse dieser Seminare sind 6 Frotz, Walther Kastner, Mein Leben – kein Traum, in: Loebenstein/Meyer (Hrsg.), Festschrift für Walther Kastner zum 70. Geburtstag (1972), S. IX. 7 Frotz, FS Kastner (1972), S. XX. 8 Zur teilweisen gemeinsamen Geschichte des Deutschen Juristentags, der 1860 gegründet wurde s. etwa Marchetti-Venier, Zeitrelevanz von Geschichte und österreichischem Juristentag, in: ÖJT (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Österreichischer Juristentag 1959–2009 (2009), S. 277, 280 ff. 9 Krejci, Der Österreichische Juristentag als Spiegel des Privatrechts, in: ÖJT (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Österreichischer Juristentag 1959–2009 (2009), S. 37, 140 ff. 10 Vgl. unten Pkt IV.1.

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noch heute lesenswert, zeigen die Fülle der Argumente und die anregenden Gedanken der Diskussion.11 Die Kurzfassungen der Referate werden meist – gerade zur Belebung des Austausches von Wissenschaft und Praxis – veröffentlicht; zur GmbH & Co entsteht ein umfassendes Werk.12 Gerade diese Veranstaltungen und die sonstigen vielfältigen Aktivitäten des Lehrstuhls etablieren Gesellschaftsrecht in Österreich als Disziplin. Ist es heute die Unüberschaubarkeit des Geschriebenen, so sind die ersten Nachkriegsjahrzehnte – ja selbst noch die Siebziger- und Achtzigerjahre – dadurch gekennzeichnet, dass nur „ein leider nicht umfangreiches österreichisches Schrifttum zum Gesellschaftsrecht“13 existiert. Die Bedeutung der tiefergehenden Auseinandersetzung mit Gesellschaftsrecht am Lehrstuhl Kastner mit seinem Mitarbeiter Doralt zeigt etwa auch der Umstand, dass die erste und letztlich bis 1965 auch einzige aktienrechtliche Einführung und Kurzkommentierung zum AktG 1938 aus österreichischer Perspektive von einem als Rechtsanwalt tätigen Kirchenrechtler,14 Julius Bombiero-Kremenać, geschrieben wird. Doralt wird Jahrzehnte später über die völlig falschen Ausführungen zur Weisungsfreiheit des Vorstands und zum Führertum einen Beitrag verfassen und das System der Stellung des Vorstands in der Publikumsaktiengesellschaft erläutern und aufhellen.15 Österreich ist aber beileibe kein weißer Fleck auf der rechtswissenschaftlichen Landkarte. Im Gesellschaftsrecht, speziell im Aktienrecht, vereinfacht aber die Provenienz der Rechtsgrundlagen (AHGB, HGB, AktG) den Griff auf deutsche Literatur. In dieser Zeit, im Herbst 1974, erscheint der Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts von Walther Kastner, der unter wesentlicher Mitwirkung Peter Doralts entsteht16 und der gerade das Manko der wissen11 Kastner, Neuerungen des deutschen Aktiengesetzes – ihre Bedeutung für das österreichische Gesellschaftsrecht, WiPolBl 1967, Beilage 1, 3; Kastner, Die Gesellschaft mbH & Co, WiPolBl 1970, Beilage 1/2, III. 12 Kastner/Stoll, Die GmbH & Co KG (1970); vgl. unten Pkt IV.5. 13 Kastner, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrecht (1973), Vorwort S. VI. 14 Bombiero-Kremenać, Gründung und Führung der Aktiengesellschaft nach neuem deutschen Recht – eine rechtsvergleichende Studie mit besonderer Heranziehung des bisherigen österreichischen Aktienrechts (1938). Bombiero-Kremenać war während des Naziregimes Kirchenrechtsprofessor an der Wiener Fakultät; s. S. Schima, Flüchtling-MitläuferÜberzeugungstäter – Das Fach „Kirchenrecht“ und seine Betreuer, in: Meissel u. a. (Hrsg.), Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht, Die Wiener Rechtswissenschaftliche Fakultät zwischen 1938 und 1945 (im Druck 2010). 15 Doralt, Die Unabhängigkeit des Vorstands nach österreichischem und deutschen Aktienrecht – Schein und Wirklichkeit, in: Hofmann (Hrsg.), Die Gestaltung der Organisationsdynamik, Konfiguration und Evolution; Festschrift für Professor Dipl.-Kfm. Dr. Oskar Grün zum 65. Geburtstag (2003), S. 31–52. 16 In der 4. Auflage verfasst Doralt die GmbH neu, in der 5. Auflage die GmbH und AG. Peter Doralts Frau, Roswitha Doralt, auch Assistentin am Lehrstuhl Kastners, ist mit Vorbereitungs- und Redaktionsarbeiten und mit der Erstellung des Stichwortverzeichnisses befasst.

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schaftlich-literarischen Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftsrecht beseitigen will 17 und diesem Anspruch auch gerecht wird. Die Habilitationsschrift Peter Doralts beschäftigt sich mit der Vertretungsmacht des faktischen Vorstands bei der AG.18 Die Arbeit fällt in eine Zeit, in der Fragen der Stellvertretung mehrere junge Juristen beschäftigen. Sie sollte die Grundlage für so manch anderes Werk werden. Nur wenige Wochen nach dem Kolloquium erhält Peter Doralt 1972 den Ruf auf einen neu geschaffenen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Handelsrecht an der Hochschule für Welthandel, der heutigen Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Er zieht die Professur an der WU einem Ruf nach Innsbruck vor und baut in rund drei Jahrzehnten das Institut mit der Abteilung für Unternehmensrecht auf. Es ist heute eine in Österreich viel beachtete Einrichtung im Bereich des Gesellschafts- und Unternehmensrechts, die auch in Europa Gehör findet.19 Der WU bleibt Peter Doralt bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2007 treu. Kurz nach dem Durchschneiden der Stacheldrähte an den österreichischen Grenzen zu Ungarn und zur Tschechoslowakei im Frühjahr bzw. Herbst 1989 und nach dem Fall der Berliner Mauer erkennt Peter Doralt die Gunst der Stunde und schafft 1990/91 an der WU ein Forschungsinstitut für mittelund osteuropäisches Wirtschaftsrecht (FOWI). Es gelingt ihm, den damaligen Minister für Wissenschaft und Forschung sowie Brückenbauer in den ehemaligen Ostblockstaaten, Erhard Busek, von seiner Idee zu überzeugen. Das Forschungsinstitut, das heute wohl eine der besten Dokumentationen des Wirtschaftsrechts der CEE- und SEE-Staaten beheimatet, und nunmehr von Peter Doralts Schüler Martin Winner, geleitet wird, der unmittelbar davor für 18 Monate im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Justiz für die EU in Albanien tätig war. Im Jahr 2002 eröffnet Peter Doralt eine Rechtsschule in Brünn für tschechische Studierende, 2003 in Bratislava für slowakische. Zahlreiche Kooperationen mit mittel- und osteuropäischen Universitäten und Forschungseinrichtungen folgen. Zu nennen sind insbesondere die Universitäten Kiew und seit einigen Jahren Moskau. Seit den späten Siebzigerjahren berät Peter Doralt das Bundesministerium für Justiz und zum Teil andere Ministerien bei ihren legistischen Vorhaben zum Gesellschaftsrecht, etwa der Novelle des GmbH-Rechts. Die Europäisierung des Aktien- und GmbH-Rechts wird entscheidend vorangetrieben, das GesRÄG 1993 etabliert die Spaltung, das EU-GesRÄG 1996 formt das

17 Vgl. Kastner (Fn. 13), Vorwort S. V; das Buch erscheint noch im Herbst 1973, es trägt aber bereits die Jahreszahl 1974 als Imprint. 18 Doralt, Die Vertretungsmacht des faktischen Vorstands bei der AG, GmbH und Genossenschaft (1972). 19 Lutter, GesRZ-Sonderheft SE 2004, 3.

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handelsrechtliche Umgründungsrecht (in Deutschland: „Umwandlungsrecht“) neu, und schließlich gelingt als Höhepunkt die Inkraftsetzung des Übernahmegesetzes 1998. Die rechtspolitische Beratungstätigkeit beschränkt sich keineswegs auf Österreich, vielmehr leitet Peter Doralt auch die Ratsarbeitsgruppe zur Erarbeitung der SE-Verordnung unter österreichischer Präsidentschaft und ist im Auftrag des Justizministeriums vielfach für Beratungen hinsichtlich der Vorbereitung anderer Normtexte, etwa der Übernahmerichtlinie und der Zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, in Brüssel. Für fünf Jahre übernimmt Peter Doralt 2004 neben seiner Professur an der WU auch die Leitung der Übernahmekommission. Bis Ende 2008 ist er der maßgebliche Verantwortliche für die Vollziehung eines Gesetzes, dessen Gestaltung ganz wesentlich auf seine Ideen und seine Kenntnisse an der Schnittstelle von Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht zurückgeht. Die Erweiterung der EU auf 27, der Beitritt der CEE- und teilweise SEEStaaten zur EU, die Finanzkrise, die gerade diese Länder und damit auch insbesondere österreichische Banken, Versicherungen und andere Unternehmen trifft, sind Boden und Anreiz für Peter Doralt, genau an diesen Schnittstellen und Arbeitsbereichen fortzufahren und die aus der Krise erfließenden Chancen für neue Lehr- und Lernaktivitäten über die Disziplinen- und Staatengrenzen hinaus zu nutzen.

III. Charakterisierung in wenigen Schlagworten Was macht das Besondere von Peter Doralt, dem Professor der alten Schule, dem Doyen seines Faches, dem umfassend humanistisch Gebildeten, aus? Am besten ist Peter Doralt mit einigen Schlagworten zu charakterisieren: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Der Lehrer Der Mann des gesprochenen Wortes Der Büchertrinker und Lesenarr Der akademische Freigeist Der freigiebige Gedanken- und Ideenspender Der Brückenbauer zwischen Praxis und Wissenschaft Der rechtspolitische Gestalter Der Grenzgänger: Rechtsvergleicher und Disziplinenüberschreiter Der Visionär und rechtswissenschaftliche vates

1. Der Lehrer Die Ringvorlesung und das Buch heißen nicht zufällig „Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler“. Stets soll der Lehrer im Blickpunkt stehen. Selten findet man aber einen Ordinarius, der so leiden-

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schaftlich und so gerne, gleichsam missionarisch, Lehrer seines Faches ist. Nicht von ungefähr beantworten – geradezu unverhältnismäßig – viele Absolventinnen und Absolventen der WU die Frage nach beeindruckenden und prägenden Lehrern ganz spontan mit dem Namen Peter Doralt; so Regina Ovesny-Straka 20, die hinzufügt: „Er hat Bürgerliches Recht im ersten Studienjahr so gelesen, dass man es verstanden hat. Doralt hat bei mir ein grundsätzliches Interesse für Gesetze geweckt und uns beigebracht, wie man sie interpretiert und die richtigen Fragen dazu stellt. Davon zehre ich heute noch, zum Beispiel bei Diskussionen im Vorstand.“21 Hans Zöchling, einer der führenden Wirtschaftsprüfer Österreichs, formuliert es so: „Mein Lehrer Peter Doralt erkannte mein (Zöchlings) juristisches Talent – nur ein Jahr später war ich dank Doralt auch an der rechtswissenschaftlichen Fakultät inskribiert.“ 22 Der kürzlich aus Kuwait in das Außenministerium in Wien zurückgekehrte Botschafter Georg Stillfried wechselte dank der erhellenden Vorlesungen Doralts ans Juridicum, um Rechtswissenschaften zu studieren. Mein Kollege Werner Hoffmann, seit kurzem Professor für Strategisches Management an der WU, verdankt seine Beschäftigung mit Corporate Governance der klugen Anleitung des Vorsitzenden der Habilitationskommission 2001 Peter Doralt. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die Leidenschaft, seine Einsichten und Grunderkenntnisse anderen mitzuteilen, andere an seinem Wissen teilhaben zu lassen, unabhängig davon, auf welchem Wissensstand sie stehen, ist eines der Grundanliegen Peter Doralts. Einerlei, ob es sich um unkundige Erstsemestrige mit Neugier für wirtschaftliche Zusammenhänge oder juristisch und wirtschaftlich nicht bewanderte Mitglieder in Beiräten von Familiengesellschaften handelt, ob es seine Brüder, seine Kinder, Absolventen der WU oder spezialisierte Anwälte mit hohem Know-How sind oder ob es seine Mitarbeiter, seine Assistenten, oder Kollegen in erlesenen Seminaren und Symposien betrifft – stets ist es sein Bestreben, ihnen noch etwas beizubringen, ihnen seine Einsichten und Erkenntnisse mitzugeben. Meist entwickelt er seinen Gedanken an illustrativen Beispielen und einfachen Überlegungen, um seine Zuhörer an seinem nächsten Gedankenschritt teilhaben zu lassen. Das Bemühen und Können, seine Zuhörer dort abzuholen, wo diese gerade stehen, durchzieht seine Lehrtätigkeit durch behutsames Öffnen neuer Bereiche. Mit praktischem Hinführen bereitet er für seine Zuhörer und Schüler den Boden, Schritt für Schritt kompliziertere, komplexe rechtliche und wirt-

20 Vorstandsvorsitzende und Generaldirektorin der Slovenská Sporitelna, einer großen slowakischen Bank, Präsidentin des slowakischen Bankenverbands. 21 Krumphuber, Immer etwas Neues – Porträt von Regina Ovesny-Straka, WU Magazin 4/2008, 22 f. 22 Zöchling, MANZ Aktuell (2007), 11.

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schaftliche Zusammenhänge zu erfassen, die Wirkungsweise zu verstehen und schließlich die Regelungen als logisch und konsequent zu erkennen und zu akzeptieren. Kürzlich fand ich im Kopierer unseres Instituts Peter Doralts aktuellen Vortrag „Wozu sollen angehende Unternehmer und Manager überhaupt Rechtsfächer lernen, und wie lernt man sie am besten?“. Die anschaulichen Ausführungen Peter Doralts werden mit Beispielen wie jenem des Tortenaufteilens für vierjährige Kinder belegt; die Sinnhaftigkeit des Einhaltens von Verträgen und Versprechen wird anhand des Froschkönigs illustriert. Das Bemühen Peter Doralts gilt nicht bloß dem Wissenstransfer in der rechtswissenschaftlichen Forschung und Erkenntnis, sondern zugleich und insbesondere der Ausbildung der Studierenden. Das Lernen und Sich-Entwickeln des Menschen, vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter, ist eines der großen Themen, die ihn anziehen und beschäftigen. Seine glückliche Hand, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, geradezu ein Markenzeichen Peter Doralts, ist die Frucht seines Interesses an jungen Leuten mit unterschiedlichen Biographien, eigenen Vorstellungen und ausgeprägter Neugier. Peter Doralt habilitiert fünf seiner Mitarbeiter, nämlich Christian Nowotny, Martin Schauer, Susanne Kalss, Eva Micheler und Martin Winner; eine Vielzahl von Assistentinnen und Assistenten zehrt noch heute in unterschiedlichen praktischen Berufen von den fruchtbaren Jahren am Lehrstuhl und am Institut und nimmt – gerade zur Fortführung des wissenschaftlichen Gesprächs mit Peter Doralt – an den regelmäßigen Institutsveranstaltungen teil. Ich selbst habe mir oft die Frage gestellt, wer mich mehr beeindruckt – der Lehrer Doralt oder der Wissenschafter Doralt. Für mich ist es klar der wissenschaftliche Lehrer. Eine kleine Begebenheit soll dies erklären: Gemeinsam mit einigen Mitarbeitern des FOWI untersuchte ich die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung Centros auf die damaligen Mitgliedskandidaten des CEE-Raums. Die Regelungen der verschiedenen Assoziierungsabkommen sind einigermaßen kompliziert. Gerade diese Schwierigkeit und die in unseren Entwurfsfassungen noch nicht ganz präzise Darstellung lockten Peter Doralt erst so richtig, mir und allen FOWI-Mitarbeitern seine profunden Kenntnisse des Gesellschaftsrechts, der Rechtsvergleichung, des internationalen Gesellschaftsrechts anhand des Instituts des genuin link und des Zusammenspiels von nationalem Gesellschaftsrecht, IPR, Internationalem Gesellschaftsrecht und Völkerrecht zu vermitteln. Belehrt und bereichert schlossen wir dieses Arbeitspapier ab. Heute sind es besonders talentierte junge Juristinnen und Juristen aus Kiew oder Moskau, denen Peter Doralt Corporate Governance oder Besonderheiten der börsenotierten Aktiengesellschaft anhand österreichischer Beispiele erläutert. Die Gesellschaften und Hörer wechseln, die Problemsicht und die Erkenntnisse aus seinen Darstellungen bleiben.

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2. Der Mann des gesprochenen Wortes Wer die Strahlkraft Peter Doralts an seinem geschriebenen Werk allein messen will, liegt völlig falsch. Natürlich hat Peter Doralt eine Fülle wesentlicher und prägender Gedanken zu Papiere gebracht und einige herausragende Arbeiten verfasst. Bezeichnenderweise viele davon gerade nicht in Österreich, sondern in Deutschland23 oder in anderen Ländern. Ihn allein an seiner Publikations- und Literaturliste zu würdigen, hieße aber, Peter Doralt zu verkennen. Peter Doralt ist zuallererst ein Mann des gesprochenen Wortes, des juristisch-analytischen Diskurses. Jedes Seminar, jedes Symposion erfährt durch seine Diskussionsbeiträge eine Bereicherung.24 Marcus Lutter hat ihn liebevoll als geradezu debattiersüchtig beschrieben, der für ein langes, langes, langes Gespräch immer Zeit habe.25 Grillparzers Hornek hat somit geirrt – „denkt sich seinen Teil und lässt andere reden“. Das Kaffeehaus als Kinderstube hat seine Wirkung getan. Peter Doralt läuft zu seiner Hochform auf, wenn er ein Gespräch im kleinen Kreis führt, einen Gedankensplitter aufnimmt, eine Idee formuliert und sie im dialektischen Prozess fortentwickelt. Er denkt im Reden, gerne zieht er seine Mitarbeiter bei, um einen Gedanken zu entwickeln, zu präzisieren, gerne „laut denkend“ im Gespräch. Das können nachmitternächtliche Diskurse ebenso sein wie solche bei dreimal verlängerten Taxifahrten oder mit leertelefonierten Handyakkus. Seine gedankliche Spritzigkeit, seine Innovationskraft, seine Assoziationsfähigkeit zeigen sich vor allem in seinen Beiträgen, Ergänzungen und Erweiterungen bei Seminaren und Symposien. Im gesprochenen Wort ist Peter Doralt offener, mutiger, innovativer, im schriftlichen hingegen präziser, abwägender, manchmal geradezu zurückhaltend. Im mündlichen ist es eben der Gedanke, der fortentwickelt werden soll, der offen ist für andere Gedanken und letztlich nicht festgelegt. Hier ist Peter Doralt unglaublich aufmerksam und greift blitzschnell neue Gedanken auf, um sie in seinen Gedankengang einzufügen. Das Gespräch, das von der Dialektik und der Argumentationsfolge lebt, ist ihm viel wichtiger und näher als die einsame analytische Reflexion im Elfenbeinturm. Die Lust am laufenden Gedankenfluss und Fortspinnen der Argu23 S. nur die Kommentierung zum österreichischen Gesellschaftsrecht Münchener Kommentar-Doralt/Diregger, AktG, Österreichisches Konzernrecht, Band 9/1 (2. Aufl. 2004), Rn. 1–152; Semler/von Schenck-P. Doralt/W. Doralt, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder (3. Aufl. 2009), § 13. 24 Kalss/Nowotny/Schauer (Hrsg.), Festschrift Peter Doralt zum 65. Geburtstag (2004), Vorwort S. VIII; Welser, Über die Juristen, in: Kalss/Nowotny/Schauer (Hrsg.), Festschrift Peter Doralt zum 65. Geburtstag (2004), S. 773, 790. 25 Lutter, GesRZ-Sonderheft SE 2004, 3.

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mentationsketten ist oft größer als die Zeit zum Bannen der Gedanken. Peter Doralt in seiner Qualität und in seiner juristischen Leistungskraft zu erfahren, heißt daher auch, geduldig zu sein und sich Zeit zu nehmen, heißt nämlich mit ihm das Gespräch zu führen, heißt nicht ihn bloß zu lesen, sondern ihn zu hören, mit ihm zu diskutieren und dann an seiner Gedankenvielfalt teilzuhaben.

3. Der Büchertrinker und Lesenarr Kein Regal, kein Schriftenständer ist vor ihm sicher – zielgerichtet steuert er darauf zu, greift sich ein Werk, um in aller Ruhe sein Kapitel zu finden und zu lesen. Hier irrt Ottokar von Hornek ein zweites Mal. Mehr Bücher als Peter Doralt können auch deutsche Freunde aus Sachsen und Professoren am Rhein weder tragen noch lesen. Unabhängig davon, ob es Kurzinformationen in einer Broschüre über die Limited in Österreich aus der Sicht der Wiener Wirtschaftskammer sind oder dicke juristische Wälzer oder belletristische Schätze – Peter Doralts Auge entkommen sie nicht. Die ihm liebgewordene Gewohnheit, viele von ihm geschätzte Bücher weiterzuschenken, lassen uns alle ein wenig daran teilhaben und zumindest auch einen Bruchteil davon erfahren.

4. Der akademische Freigeist „Jours fixes“, „Kick-Off-Meetings“, „Follow-ups“ oder sonstige regelmäßige Team- oder Mitarbeiterbesprechungen sind nicht die Sache Peter Doralts. Vielmehr liebt und lebt er seine akademische Freiheit der vollkommenen freien Zeiteinteilung, die großzügige Interpretation des akademischen Viertels – damit lernen Schülerinnen und Schüler zu leben. Entscheidend ist etwas anderes: Die akademische Freiheit, die er in zeitlicher und gedanklicher Weise für sich selbst in Anspruch nimmt, die anerkennt er auch voll und ganz bei seinen Schülern und Mitarbeitern. Er respektiert die Selbstbestimmung der Mitarbeiter und fördert von Anfang an deren eigene Entfaltung. Peter Doralt lebt uns die notwendige Freiheit der universitären Welt vor, um Kreativität, Originalität und Spontaneität zu entfalten und zur Entfaltung bringen zu lassen. Was er für sich beansprucht, gibt er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – in geradezu unendlichem Vertrauen – weiter. Wir alle genossen und genießen ein großes Maß an Freiheit, Entfaltungs- und eigenständiger Entwicklungsmöglichkeit. Dies ist vielfach gerade am Beginn der Tätigkeit am Institut schwierig, zugleich aber unwahrscheinlich verlockend, bietet sich doch dadurch gerade die einmalige Chance selbständiger Entwicklung. Viele Bücher und Projekte entstehen überhaupt nur wegen dieser großen Toleranz, dieses von Anfang an bestehende Vertrauen in die eige-

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nen Mitarbeiter und der gleichzeitigen Freude des schlichten Anstoßens und Weiterentwickelnlassens.26 5. Der freigiebige Gedanken- und Ideenspender Peter Doralt ist mit seinen Gedanken freigiebig. Viel wichtiger als das Copyright an einer Formulierung, an einer Gedanken- und Argumentationsführung ist ihm die gemeinsame vertiefte Einsicht in neue Fragen, unabhängig davon, ob er sie selbst erstmals formuliert oder schriftlich niederlegt oder ob sie jemand anderer weiter entwickelt. Gespräche mit Assistenten in der Kaffeepause sind ebenso Quelle wie Co-Referate bei Seminaren. Seminare sind mit ihm eben nicht bloß ein Abspulen genau getakteter Präsentationen, sondern Grundlage eines weiterführenden Gesprächs, einer Diskussion grundlegender Fragen. Hier irrt Hornek ein drittes Mal; es ist nicht das Fürsich-Denken oder Beiseite-Treten, sondern das gemeinsame Entwickeln von Gedanken. So mancher Mitarbeiter, Assistent oder Studierende profitiert aus derart laut gedachten Gedanken. Gedanken fliegen, jeder soll den Anstoß Peter Doralts nutzen können. Seine Assoziationen lassen so manchen bestehenden Gedanken zu einer Idee wachsen. 6. Der Brückenbauer zwischen Praxis und Wissenschaft Peter Doralt ist begnadeter Lehrer und Wissenschafter, dabei keineswegs fernab der Praxis. Er ist das Gegenteil des Forschungs- und Wissenschaftseremiten, er lebt und wirkt mitten in der Praxis. Einige besonders anspruchsvolle Projekte, die juristisch schwierig und politisch heikel sind, werden seiner Gestaltungskraft überantwortet, genannt sei an dieser Stellt nur die Errichtung der Leopold Museum Privatstiftung. Rechtswissenschaft ist Gesellschaftswissenschaft, die lebt und durch Anschauung in der Praxis gespeist wird, die Peter Doralt in seiner Rolle als Aufsichtsratsmitglied, als Berater, zuletzt als Behördenleiter unmittelbar erlebt, der er durch profunde Kenntnis, dogmatische Fundierung und hohe Innovations- und Gestaltungskraft ein eigenes Gepräge verleiht und die er wissenschaftlich bereichert. 7. Der rechtspolitische Gestalter Fundiert auf gediegener rechtshistorischer Kenntnis und sicherer dogmatischer Basis frönt Peter Doralt seiner Leidenschaft des rechtspolitischen Gestaltens. Rechtsgeschichte zu kennen ist seiner Ansicht nach gut, sie interes26 Doralt/Nowotny, Der EG-rechtliche Anpassungsbedarf im österreichischen Gesellschaftsrecht (1992); Doralt/Nowotny/Kalss, Kommentar zum PSG (1995); Doralt/ Nowotny/Kalss, Kommentar zum Aktiengesetz (2003).

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siert ihn aber nicht allein, viel spannender findet er die Rechtspolitik. Im Umkreis Walther Kastners, dessen „beratender“ Einfluss auf Ministerien aus heutiger österreichischer Sicht und erst recht aus deutscher oder sonstiger externer Sicht geradezu unvorstellbar ist, erkennt Peter Doralt früh die Wichtigkeit der Teilnahme der Rechtswissenschaft an der rechtspolitischen Gestaltung und Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts. Wie das Recht sein wird, wie es gestaltet werden soll, welche Interessen vertreten und geregelt werden sollen, ist ihm ein wirkliches Anliegen, das er auf europäischer Ebene in Ratsarbeitsgruppen zur SE-Verordnung, zur Übernahme-RL und zu anderen Regelwerken genauso leben kann wie auf nationaler Ebene. Dass das eine oder andere Vorhaben gestrandet ist und seine Denkleistungen und Konzeptionen daher vergeudet sind, stört ihn nur wenig. Wichtig ist ihm, seine Überzeugung einer richtigen – interessenausgleichenden – Gestaltung der künftigen Regelung vorzubringen und möglichst durchzusetzen. Der Vorwurf, den Franz Klein gegenüber der Rechtswissenschaft in der Vorrede seiner Aufsatzreihe pro futuro27 erhebt, wonach sich die Rechtswissenschaft in das Konzert rechtspolitischer Diskussion zu wenig einmenge, gilt für Peter Doralt nicht. Seit der persönlichen Einladung des reformfreudigen Justizministers Christian Broda Mitte der Siebzigerjahre an der GmbH-Reform mitzuwirken, ist er steter Berater dieses Ministeriums in gesellschaftsrechtlichen Fragen. Sein Wort, sein Ratschlag werden im Justizministerium gehört. Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts unter der Ministerschaft von Nikolaus Michalek bezeichnet Doralt selbst als sein bestes Jahrzehnt aus legistischer Sicht. Kein Zufall – gelingen doch in dieser Zeit maßgebliche Novellen zum Gesellschaftsrecht. Jedenfalls schafft es Peter Doralt, maßgeblicher Berater der Ministerien und legislativer Vorbereiter und Vordenker mit einem Gestaltungsradius und einer Wirkungsmacht zu werden, die in Deutschland für einen Einzelnen wohl nicht vorstellbar sind. Eine grundlegende dogmatische Durchdringung der Interessen und Problemlagen geht der legistischen Struktur- und Feinarbeit voraus. Als erstes veröffentlicht er etwa eine herausragende Arbeit über die Grundfragen der Spaltung,28 die ein Jahr später (1993) als handelsrechtliches Gestaltungselement zur Verfügung stehen soll, entwickelt – unter Einbeziehung der Vorbilder der skandinavischen Länder – das deutsche Spruchverfahren zum österreichischen Überprüfungsverfahren (§§ 225c ff. öAktG) fort oder bereitet er die Grundfragen des Übernahmerechts auf.29

27 Franz Klein, pro futuro – Betrachtung über Probleme der Civilprozeßreform, JBl 1890, 507–509. 28 Doralt, Zur Gestaltung handelsrechtlicher Vorschriften über die Spaltung, in: Doralt/ Nowotny (Hrsg.), Kontinuität und Wandel, Festschrift für Walther Kastner zum 90. Geburtstag (1992), S. 123–152. 29 Vgl. unten IV. 2.

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Offenbar macht es ihm auch Freude, anonym im Bundesgesetzblatt zu publizieren. Hier sind seine Gedanken dann in knapper Form zusammengerafft. Zahlreiche Gesetze, wie das Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz (GesRÄG) 1993, das EU-Gesellschaftsrechtsanpassungsgesetz 1996 (EUGesRÄG), die gesellschaftsrechtlichen Teile des Insolvenzrechtsanpassungsgesetzes 1997 und insbesondere das Übernahmegesetz 1998 tragen seine Handschrift. Zitate und Anregungen finden sich in viel mehr Gesetzeswerken, nur das Privatstiftungsgesetz, das Aktienrechtsänderungsgesetz 1998 und das Aktienoptionengesetz 2001 seien hier erwähnt. 8. Der Grenzgänger: Rechtsvergleicher und Disziplinenüberschreiter Mit seinem Postgraduate-Studium in Harvard legt Peter Doralt den Grundstein für seine Offenheit und seine Begeisterung für die rechtsvergleichende Arbeit.30 Stets ist er bemüht, zum Erkennen und Durchdringen der eigenen nationalen Rechtsordnung rechtsvergleichende Beispiele heranzuziehen, um die Struktur der Regelung zu erkennen, zugleich, um aus rechtsvergleichenden Modellen Lösungen für die von ihm so geliebte neue rechtspolitische Gestaltung zu gewinnen. Dabei geht es ihm naturgemäß nicht um eklektisches und punktuelles Aufsammeln einzelner Regelungselemente, vielmehr ist er am Problem und an den Regelstrukturen interessiert.31 Der Blick durch und auf Einzelheiten wird bei ihm zum Konzept. Gerade die Gesellschaft und die Organisation bieten sich dafür an.32 Die Entwicklung kultureller Ideen (Meme), somit die Übertragung des darwinistischen Erklärungsansatzes der Evolution auf die Entfaltung von Phänomen der Kultur im Allgemeinen, der Rechtskultur im Besonderen, etwa auf Einsichten in der Rechtsgeschichte und in der Rechtsvergleichung, fasziniert ihn.33 Dies fügt sich in eine parallele Entwicklung in der Anthropologie: Die Wiederkehr von brauchtümlichen Details auf zwei verschiedenen Stellen des Erdballs oder einer Landkarte ist für Claude Levi-Strauss ziemlich irrelevant. Seiner Ansicht nach sind die Gemeinsamkeiten der menschlichen Kultur nur auf der Ebene von Strukturen zu suchen, nicht aber auf der Ebene der äußeren Fakten. Aus dem Vergleich isolierter Kulturphänomene ist gar nichts abzuleiten, vielmehr lassen sich sinnvollerweise nur Muster zwischenmenschlicher Verhaltensweisen vergleichen.34 Erkenntnisgegenstand der strukturalistischen 30

Lutter, GesRZ-Sonderheft SE 2004, 3. Lutter, GesRZ-Sonderheft SE 2004, 3. 32 Vgl. Druey, Franz Klein Weiterdenken, in: Doralt/Kalss (Hrsg.), Franz Klein – Vorreiter des modernen Aktien- und GmbH-Rechts (2004), S. 139, 160. 33 Doralt, Franz Klein: Zur Lebenskraft der Ideen eines schöpferischen Reformators, in: Doralt/Kalss (Hrsg.), Franz Klein – Vorreiter des modernen Aktien- und GmbH-Rechts (2004), S. 5. 34 Lear, Claude Levi-Strauss zur Einführung (1991/2006), S. 29 f. 31

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Methode ist in der Rechtsvergleichung und in der Rechtswissenschaft der Regelmechanismus, nicht das normative Detail. Dies ist aber naturgemäß wichtig, um die Parallele der Strukturen zu erkennen. Genau darauf kommt es Peter Doralt an, genau das will er uns vermitteln. Sehr deutlich wird dies in seinem Bemühen, keine pauschalierenden Lösungen für bestimmte rechtliche Detailfragen zu finden, vielmehr beginnt er stets mit einer Interessenanalyse, vielfach mit einer Typenbildung.35 Darin zeigt sich einerseits die Frucht der Rechtsvergleichung, andererseits auch die bei ihrer Anwendung gebotene Vorsicht. Begriffe der Unabhängigkeit müssen bei publikumsorientierten Gesellschaften des angelsächsischen Raums völlig anders interpretiert werden als bei Gesellschaften mit einem einzigen Aktionär oder einer Gruppe dominierender Aktionäre.36 Die Offenlegung struktureller Unterschiede und nationaler Besonderheiten macht es erst möglich, eine sachgerechte Analyse der jeweiligen Regelungen und Gestaltungsmechanismen vorzunehmen. Immer wieder greift Peter Doralt dabei in völlig verschiedenen Zusammenhängen auf Franz Klein zurück,37 der die Notwendigkeit des fach- und rechtsvergleichenden Blicks früh erkannte und vielfach rechtspolitisch einsetzte.38 9. Der Visionär und rechtswissenschaftliche vates Im frühen Erkennen von Fragestellungen oder der künftigen Aktualität gesamter Rechtsbereiche, wie des Bilanzrechts, des Kapitalmarktrechts, des IT-Rechts oder des Wirtschaftsrechts der ost- und mitteleuropäischen Nachbarstaaten, liegt eine maßgebliche Stärke Peter Doralts. Neben seiner eigenen Beschäftigung mit diesen Bereichen, jedenfalls seinem hohen Interesse dafür, regt er Mitarbeiter an, sich frühzeitig der genannten Themen anzunehmen. Seine besondere Gabe liegt darin, engagierte junge Leute für eben entstehende Rechtsgebiete zu gewinnen, zu begeistern und sie sehr eigenständig

35 S. zur Privatstiftung Doralt, Die österreichische Privatstiftung – ein neues Gestaltungsinstrument für Unternehmen, ZGR 1996, 1–17; für die Aktiengesellschaft s. etwa Doralt, FS Grün (2003), S. 31–52; Doralt/Kalss, Corporate Governance – effiziente Unternehmensleitung und -überwachung, GesRZ-Sonderheft (2002). 36 Doralt, Duties of Management: Fundamental Issues of Corporate Governance, Doshisha University World Business Review 7/1 (2005), 135, 137. 37 Zur Erklärung der Gesellschaft, zur Erklärung des Konzerns oder in einer kritischen wertenden Auseinandersetzung des allgemeinen Bemühens der Fortentwicklung des Rechts; s. nur Doralt, Shareholder Value und Stakeholder Value, ÖBA 2000, 639–640; Doralt, Zum Grundkonzept eines österreichischen GmbH-Konzernrechts, in: Doralt u. a. (Hrsg.), Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht (1986), ZGR-Sonderheft 6, S. 1–13 und schließlich Doralt (Fn. 33), S. 5 ff. 38 Kalss/Eckert, Franz Klein als Gesellschaftsrechtler, in: Doralt/Kalss (Hrsg.), Franz Klein – Vorreiter des modernen Aktien- und GmbH-Rechts (2004), S. 13–41.

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arbeiten zu lassen. Kein Weg ist ihm zu weit, keine Mühe zu aufwendig, um dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel – außerhalb der Universität – zu erschließen; junge engagierte Leute sollen die Möglichkeit erhalten, neue Fragen in Ruhe zu durchdringen. Peter Doralt begleitet sie mit spontanen Ideen, Assoziationen und Grundsatzüberlegungen über Jahre, meist Jahrzehnte. Nicht zufällig entstehen an seiner Lehrkanzel Habilitationen zum Bilanzrecht, zum Kapitalmarktrecht, Monografien zum Versicherungsvertragsrecht, Kommentare zum europäischen Gesellschaftsrecht, richtet er an seinem Institut eine Lehrkanzel für Informationsrecht ein und etabliert er das Forschungsinstitut für mittel- und osteuropäisches Wirtschaftsrecht. Er selbst nimmt mit frühen Werken und Aufsätzen Centros vorweg und legt einen Mosaikstein für eine Kapitalmarkthaftung.39 Zwei, drei Schritte ist er vielfach voraus, voller Ideen und Pläne, manche Stufe überspringt er.

IV. Das wissenschaftliche Werk Die Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts, insbesondere des Kapitalgesellschaftsrechts, durch Peter Doralt gemeinsam mit Walther Kastner in den Siebziger- und Achtziger-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde schon angesprochen. Einige große Themenbereiche, die ihn über Jahre und Jahrzehnte beschäftigen, sollen herausgegriffen werden. 1. Konzernrecht Bekanntlich besteht in Österreich anders als in Deutschland kein kodifiziertes Konzernrecht. Selbstredend gibt es in Österreich gleich wie in Deutschland das Phänomen des Konzerns. Folglich muss es daher auch ein – nicht kodifiziertes – Konzernrecht geben. Eben dieses Konzernrecht wird in seinem Verständnis und in seiner Wirkungskraft ganz maßgeblich von Peter Doralt geprägt.40 Er widmet sich dem Phänomen Konzern nicht nur rechtsdogmatisch, sondern auch mehrfach in rechtspolitischer Annäherung. Auf dem 10. Österreichischen Juristentag im Jahr 1988 hält Peter Doralt ein Referat und wirkt wesentlich an den Vorschlägen der Gruppe „Forum Euro39 Doralt, Entscheidungsanmerkung: Haftung einer Genossenschaft für eine Bonitätsauskunft ihres Geschäftsleiters (OGH 17.11.1970, 4 Ob 604/70), ZfgG 1971, 402, 405. 40 Doralt, ZGR-Sonderheft 6 (1986), 1–13; Doralt, Zur Entwicklung eines österreichischen Konzernrechts, in: ÖJT (Hrsg.), Gutachten zum 10. ÖJT (1988), Band II/1; Doralt, Zur Entwicklung des österreichischen Konzernrechts, ZGR 1991, 252–288; Doralt/ Nowotny/Kalss-Doralt, AktG § 15; Doralt/Kalss, Kapitalmarkt und Konzernrecht in Österreich, in: Hommelhoff/Hopt/ Lutter (Hrsg.), Konzernrecht für Europa – Konzernrecht und Kapitalmarktrecht (2001), S. 177–209; Münchener Kommentar-Doralt/Diregger

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paeum Konzernrecht“ (1998) mit.41 Die Frage nach der Notwendigkeit eines materiellen verfassungsmäßigen Konzernrechts taucht im Lauf der gesellschaftsrechtlichen Diskussion gerade auch im österreichischen Recht mit steter Regelmäßigkeit auf.42 Worum geht es im Konzernrecht? Grundsätzlich ist das Interesse der Gesellschafter in einer Gesellschaft im Gleichklang. Die Gesellschafter sind darauf bedacht, ihr gemeinsames Vermögen zu vermehren, ohne dabei das Risiko persönlicher Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu übernehmen. Der Gleichklang der Interessen der Gesellschafter ist aber gestört, wenn ein Gesellschafter oder eine Gruppe von Gesellschaftern die Möglichkeit hat, durch Nutzung eines Einflusses, etwa bei Organentscheidungen, überproportional Vorteile für sich zu erringen. Diese Gefahr besteht nicht nur, wenn die Person oder die Gruppierung, die über eine Beherrschungsmöglichkeit verfügt, selbst unternehmerisch tätig ist. Dieser Beherrschungsmöglichkeit muss daher im Gesellschaftsrecht besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.43 Genau darum geht es im Wesentlichen im Konzernrecht. Der Beginn einer Konzernbildung, das aufrechte Bestehen mit Schutzeinrichtungen zugunsten einer Minderheit und der Gläubiger sowie das Ende des Konzerns zur Sicherung der Interessen der Minderheit sind in den Blick zu nehmen. Pointiert lässt sich somit die Aufgabe des Gesellschaftsrechts in Gesellschaften mit einem dominierenden Gesellschafter nicht allein in der Überwachung des Managements, sondern in der Überwachung des dominierenden Aktionärs sehen.44 Die österreichische Rechtsentwicklung lässt das Wechselspiel zwischen allgemeinen und speziell auf Konzerne zugeschnittenen Regelungen erkennen. Der österreichische Gesetzgeber kann sich anlässlich der Austrifizierung des dAktG 1937 im Jahr 1965 nicht entschließen, das im selben Jahr in Deutschland neu geschaffene Aktienkonzernrecht zu übernehmen. In den (Fn. 23), Rn. 1–152; Forum Europeum Konzernrecht (Doralt/Druey/Hommelhoff/Hopt/ Lutter/Wymeersch), Konzernrecht für Europa, ZGR 1998, 672–772. 41 Forum Europaeum Konzernrecht (Doralt/Druey/Hommelhoff/Hopt/Lutter/Wymeersch), ZGR 1998, 672. 42 S. bereits Klein, Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des Rechts der Erwerbsgesellschaften (1914), S. 77 f.; Nowotny, Benötigt Österreich ein Konzernrecht?, in: Gruber/Rüffler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht-Wettbewerbsrecht-Europarecht, Hans-Georg Koppensteiner zum 70. Geburtstag (2006), S. 75, 76; Kalss/Schauer, Die Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, in: ÖJT (Hrsg.), Gutachten zum 16. ÖJT (2006), Bd. II/1, S. 665–679; ferner Koppensteiner, Aspekte „verbundener Unternehmen“ im österreichischen Recht, in: Forster (Hrsg.), Festschrift für Bruno Kropff (1997), S. 157–169; Koppensteiner, Unternehmensverträge de lege ferenda – eine Skizze, in: Aicher/Koppensteiner (Hrsg.), Festschrift für Rolf Ostheim zum 65. Geburtstag (1990), S. 403–435. 43 Vgl. Nowotny, FS Koppensteiner (2006), S. 75, 76. 44 Doralt, Doshisha University World Business Review 7/1 (2005), 135, 141, 145; Kalss, Alternativen zum deutschen Aktienkonzernrecht, ZHR 171 (2007), 146, 157.

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folgenden Jahrzehnten bildet die Frage nach der Ausgestaltung des österreichischen Konzernrechts einen stetig wiederkehrenden Programmpunkt der gesellschaftsrechtlichen Reformdiskussionen.45 Bis heute hat der österreichische Gesetzgeber von der Kodifikation eines eigenen, in sich geschlossenen Konzernrechts abgesehen. Keineswegs hat er aber vollkommen davon Abstand genommen, konzernrelevante Regelungen zu schaffen. Bereits Mitte der Siebzigerjahre wird das Konzernrecht auf die rechtspolitische Agenda der Neuregelung des Aktienrechts gesetzt.46 Auch mehrere Regierungsabkommen enthalten Absichtserklärungen zur Schaffung eines österreichischen Konzernrechts.47 Der politische Wille ist stets vor allem auf spektakuläre Konzerninsolvenzen zurückzuführen.48 1988 konstituiert sich – nach dem schon mehrfach angesprochenen 10. Juristentag – eine Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Justiz zum materiellen Konzernrecht, der unter anderem auch Peter Doralt angehört.49 Obwohl die Arbeitsgruppe keinen formalen Abschlussbericht erstattet hat und auf der Grundlage ihrer Ergebnisse keine unmittelbaren legislativen Schritte gesetzt werden, nimmt sie doch über den Lauf der Zeit ganz maßgeblichen Einfluss auf die künftige Fortentwicklung des Konzernrechts. Zum einen werden bestimmte Regelungen des allgemeinen Gesellschaftsrechts ganz spezifisch unter dem Blickwinkel der Kontrolle dominierender Gesellschafter geschaffen. Peter Doralt befindet Anfang der Neunzigerjahre, dass in Österreich die Zeit reif sei, das Konzernrecht tatsächlich zu kodifizieren.50 Er kann sich mit dieser Aussage – formal betrachtet – im Allgemeinen nicht durchsetzen. Zugleich hat er aber bei genauer Betrachtung Recht. Die mangelnde Kodifikation führt zur Ausprägung und Ausformung des materiellen Konzernrechts durch spezifische Anwendung des allgemeinen Gesellschaftsrechts auf Sachverhalte mit einem dominierenden Aktionär. Zahlreiche allgemeine Bestimmungen gehen auf Vorschläge zurück, die in der rechtspolitischen Diskussion um die Schaffung eines österreichischen Kon45 S. dazu Kalss/Burger/Eckert, Die Entwicklung des österreichischen Aktienrechts (2003), S. 365. 46 Kastner, Zur Erneuerung des österreichischen Gesellschaftsrechts, in: Neider (Hrsg.), Festschrift für Christian Broda (1976), S. 91, 103 f. 47 Dazu Kastner, Zu den legistischen Aufgaben auf dem Gebiet des österreichischen Gesellschaftsrechts, JBl 1990, 545–552; Nowotny, Dynamische Anpassung des Gesellschaftsrechts, GesRZ 1987, 61, 64; Kalss/Burger/Eckert (Fn. 45), S. 365. 48 Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 7. 49 Doralt, Zur Entwicklung eines österreichischen Konzernrechts, ZGR 1991, 252–288; Nowotny, Die konzernrechtlichen Vorgaben des europäischen Gesellschaftsrechts, in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht I (1994), S. 395, 401. 50 Doralt, ZGR 1991, 252–288; s. ferner Doralt, Zur Entwicklung eines österreichischen Konzernrechts, in: Lutter (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, ZGR-Sonderheft 11 (1994), S. 192 f.

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zernrechts unterbreitet werden.51 Nach österreichischem Recht ist die Minderheit von zehn, zum Teil schon von fünf Prozent, nicht bloß berechtigt, gegen die Leitungs- und Aufsichtsorgane zugunsten der Gesellschaft vorzugehen, sondern auch gegenüber anderen Gesellschaftern, insbesondere den dominierenden Gesellschafter. Genau darin wird ein ganz wichtiger Eckpfeiler des österreichischen Konzernrechts gesehen. Wesentliche Beiträge kommen dazu von Peter Doralt, der in seinem Referat zum 10. Österreichischen Juristentag unter anderem klar die Erweiterung der Minderheitsklage gem. § 48 öGmbHG, § 122 öAktG auf Ansprüche gegen Gesellschafter vorschlägt und erläutert,52 wobei er nicht bloß eine zehnprozentige, sondern sogar eine fünfprozentige Schwelle befürwortet. Besonders wichtige Impulse für das Konzernrecht setzte das EU-GesRÄG 1996, das Peter Doralt als maßgeblicher Berater des Justizministeriums ganz wesentlich mitgestaltet. Das bestehende handelsrechtliche Umgründungsrecht (Umwandlungsrecht) wird einer Totalreform unterzogen.53 Neben Informationspflichten etabliert das EU-GesRÄG 1996 vor allem ein dem deutschen Spruchstellenverfahren vergleichbares Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses und von Barabfindungen, das zunehmend auf weitere Maßnahmen, zuletzt auf die Überprüfung der Abfindung nach einem Squeeze-out nach dem Gesellschafterausschlussgesetz 2006, ausgedehnt wird. Das Verfahren und alle Regelungen der Informationsvorbereitung gelten zwar für alle Umgründungskonstellationen, die tatsächliche Rechtfertigung für derartige aufwendige Verfahren liegt aber in den Konzernverschmelzungen zum Schutz der Minderheitsgesellschafter. Peter Doralt entwickelt auch den Konzerneingangsschutz für das GmbHRecht, indem er zwischen einfachem und qualifiziertem Konzern unterscheidet und den Schutz beim einfachen Konzern von einer Satzungsklausel, nämlich einer Vinkulierungsbestimmung, abhängig macht, während er den Schutz vor einem qualifizierten Konzern aus dem Einstimmigkeitserfordernis bei Änderung des Unternehmensgegenstands gem. § 50 Abs 3 öGmbHG sowie dem damals noch geltenden Einstimmigkeitserfordernis für die Verschmelzung gem. § 96 öGmbHG 54 ableitet.55 Minderheiten- und Gläubigerschutzbedachtnahme und Konzerninteressen rechtfertigen keine kompensationslose Beeinträchtigung der durch Ge-

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Kalss, ZHR 171 (2007), 146, 147, 155. Doralt, Referat 10. Österreichischer Juristentag (1988), Band II/1, S. 32; Doralt (Fn. 50), S. 192, 219; Doralt, ZGR 1991, 252, 278 f. 53 Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 9. 54 Durch das EU-GesRÄG 1996 wurde das Einstimmigkeitserfordernis gem. § 98 öGmbHG auf eine Dreiviertel-Mehrheit herabgesetzt. 55 Doralt, ZGR-Sonderheft 6 (1986), S. 1, 9. 52

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setz, Gesellschaftszweck oder Unternehmensgegenstand vorgezeichneten Interessen der abhängigen Gesellschaft (Verbot der Nachteilszufügung).56 Entgegen dem historischen Gesetzgeber ist es heute – gerade auch dank Peter Doralt – ganz herrschende Lehre, dass das übergeordnete Konzerninteresse nicht als Rechtfertigung zur Schädigung einzelner Konzernglieder dienen kann, selbst wenn für den Gesamtkonzern erzielbare Vorteile die Nachteile für das jeweilige Konzernglied überwiegen.57 Das Verbot der Einlagenrückgewähr hat im Konzern eine besonders hohe praktische Bedeutung,58 zumal sämtliche Finanzierungen upstream potentiell geeignet sind, eine verbotene Einlagenrückgewähr darzustellen. Naturgemäß müssen auch sonstige Finanzierungen und Zuwendungen sowie Sicherheitsleistungen oder Cashpooling und zentrale Kreditaufnahmen durch eine Konzerngesellschaft im Lichte des § 52 öAktG geprüft werden.59 Eine spezifische konzernrechtliche Sonderregelung existiert im österreichischen Recht nicht. Das Verbot der Nachteilszufügung beruht auf dem Zusammenspiel des Verbots der Einlagenrückgewähr gem. § 52 öAktG (§ 57 Abs. 1 dAktG) und des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. § 47a öAktG (§ 53a dAktG).60 Selbstredend darf aber der Vorstand der abhängigen Gesellschaft auch Maßnahmen im Interesse des Konzerns durchführen; im Rahmen des unternehmerischen Ermessens, das konzernspezifisch auszurichten und zu überprüfen ist, ist er dazu durchaus berechtigt.61 Die Schärfe der Sanktion des Verbots der Nachteilszufügung, die nach der Judikatur in der Nichtigkeit 62 des betreffenden Geschäfts besteht, wird nunmehr je nach Schutzzweck der einzelnen Verbotsmaßnahme gerade auch dank der maßgeblichen Arbeiten von Peter Doralt zu einer differenzierten Lösung mit Teilnichtigkeit, Anpassung und Nachzahlungsmöglichkeit fortentwickelt.63 Um das österreichische Konzernrecht aber tatsächlich zu verstehen, ist es bloß der erste Schritt, die Schriften Peter Doralts dazu zu lesen. Viel ergiebiger und bunter ist das Bild, wenn sich die Gelegenheit ergibt, es sich von ihm 56

Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 54. Münchener Kommentar-Doralt, AktG (3. Aufl. 2008), § 15 Rn. 50; Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 54; Kastner/Doralt/Nowotny, Österreichisches Gesellschaftsrecht (5. Aufl. 1990), S. 241. 58 Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 142. 59 Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 142. 60 Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 72; Kalss, Aktiengesellschaft und Societas Europaea, in: Kalss/Nowotny/Schauer (Hrsg.), Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008), Rn. 3/936. 61 Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 51, Rn. 54; Kalss (Fn. 60), Rn. 3/936. 62 OGH 22.10.2003, 3 Ob 287/02f, SZ 2003, 133; OGH 1.2.2005, 6 Ob 271/05d, ÖBA 2006, 293. 63 Kastner/Doralt/Nowotny (Fn. 57), S. 295; Münchener Kommentar-Doralt/Winner, AktG (3. Aufl. 2008), § 62 Rn. 134 ff. 57

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schildern zu lassen. Illustriert mit einer Vielzahl von Anekdoten, Fallgestaltungen und Analysen, bereichert um die Besonderheiten der österreichischen Industrieaktiengesellschaft (ÖIAG) und ihrer Sonderregelungen und abgesichert durch ein breites dogmatisches Fundament, erläutert er dies aus der Sicht des Beraters, des Beobachters und des Mitwirkenden. 2. Übernahmerecht Mit seiner Einschätzung, dass Anfang der Neunzigerjahre die Zeit für eine Konzernrechtskodifikation gekommen sei, sollte Peter Doralt – jedenfalls zu einem großen Teil – Recht behalten. Die Zeit ist im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts tatsächlich reif für ein Konzernrecht, eben für ein spezifisches, nämlich das Konzerneingangsrecht für Börsenaktiengesellschaften. Das Übernahmerecht, von Peter Doralt selbst als Paukenschlag des Konzernrechts bezeichnet,64 beruht in Österreich auf einem spektakulären Anlassfall, nämlich der Übernahme 65 der Creditanstalt-Bankverein AG66 durch die Bank Austria AG67. Die noch heute nachwirkende Bankenübernahme fördert die politisch-gesellschaftliche Reife für eine Regelung. Die gedanklich-konzeptionelle Reifung wird ganz entscheidend von Peter Doralt bereitet. Seine Liebe zur Rechtsvergleichung, sein Ansatz, dort nachzusehen, wo Marktmechanismen tatsächlich wirken, veranlassen Peter Doralt – viel früher als die gesamte österreichische Gesellschaftsrechtswissenschaft, aber auch ein Großteil der deutschen Kollegen – sich mit Takeover Law und dem britischen City Code zu beschäftigen. Dank der tiefgreifenden und differenzierten Durchdringung dieser komplexen Materie an der Schnittstelle von Kapitalmarkt-, Gesellschafts- und Konzernrecht und dem profunden dogmatischen Verständnis der Gesetzesredaktoren ist es möglich, in Österreich nach dem schon genannten Anlassfall 1998 ein Übernahmegesetz zu verabschieden, das am 1. Januar 1999 in Kraft tritt und nunmehr seit zehn Jahren in Geltung ist. Peter Doralt erarbeitet gemeinsam mit Christian Nowotny und Martin Winner, Angehörigen des Instituts an der WU,68 nicht nur den ersten Ent64

Münchener Kommentar-Doralt/Diregger (Fn. 23), Rn. 10. Dazu Kalss, Der Anpassungsbedarf im österreichischen Übernahmerecht zur Übernahmerichtlinie, in: Baums/Cahn (Hrsg.), Die Umsetzung der Übernahme-RL in Europa (2006), S. 21–52. 66 Die Creditanstalt war eine altehrwürdige Bank, die 1855 gegründet wurde; in den 30er-Jahren spektakulär fiel und nur durch Verstaatlichung gerettet werden konnte. 67 Die Bank Austria entstand aus einer Verschmelzung der Wiener Zentralsparkasse, das heißt einem dem roten Wien sehr nahestehenden Institut. Die Übernahme war daher nicht nur eine unternehmerische, sondern auch politische Angelegenheit. 68 Doralt/Nowotny/Schauer, Takeover-Recht, Rechtsvergleichende Berichte, Entwurf der 13. EG-Richtlinie 1996 und österreichischem Ministerialentwurf 1997 (1997), Vorwort. 65

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wurf für das Gesetz, sondern trägt das Gesetzeswerk ganz maßgeblich zur Entscheidungsreife und zur Verabschiedung durch das Parlament. Nach einer Vielzahl von Beratungen, Kommissionsbesprechungen und Einzelgesprächen werden seine Ideen für ein relativ strenges Übernahmerecht im Wesentlichen umgesetzt. Leitlinien des Übernahmerechts sind die Anerkennung eines materiellen Kontrollbegriffs, um den Besonderheiten der österreichischen Eigentümer- und Einflussstruktur gerecht zu werden, das zwingende Barangebot (kein Tauschangebot), das verpflichtende Vollangebot bei Pflichtangebot oder öffentlichem Übernahmeangebot mit der Legalbedingung, dass 50 % aller Aktionäre annehmen müssen, die Anordnung der Unabhängigkeit der Organe, die Sicherung der Objektivität durch Einschaltung eines Sachverständigen und die begleitende behördliche Kontrolle durch die Übernahmekommission (ÜbK), einer kleinen und flexiblen Spezialbehörde, die erst- und letztinstanzlich entscheidet und über eine flexible und marktkonforme Entscheidungsbefugnis verfügt. Kehren wir aber zu den Anfängen zurück: Nachdem Peter Doralt bereits selbst rechtsvergleichende Betrachtungen angestellt, insbesondere auf das Takeover-Recht Englands und Europas hingewiesen 69 und seine Mitarbeiter angeleitet hatte, zu einzelnen Ländern genauer zu forschen,70 regt er ein rechtsvergleichendes Seminar an,71 bei dem das Übernahmerecht zahlreicher Länder, unter anderen Belgien, Frankreich, England, Spanien, USA, Schweiz, und der deutsche Übernahmekodex präsentiert werden. Als Grundlegung des europäischen und österreichischen Übernahmerechts zeigt Peter Doralt die ökonomischen Rahmenbedingungen, die Interessengegensätze und den Regelungsbedarf für Übernahmesituationen bei börsenotierten Gesellschaften.72 In seinem Beitrag erläutert Peter Doralt – vor Bestehen eines Übernahmerechts in Österreich und Deutschland – grundlegende Begriffe, wie jenen der Übernahme der Corporate Control, der freundlichen und unfreundlichen Übernahme und des öffentlichen Übernahmeangebots. Insbesondere arbeitet er bereits damals heraus, wie unterschiedlich ein Takeover bei großen börsenotierten amerikanischen und englischen Aktiengesellschaft mit breitgestreutem Publikumsbesitz, die weder einen Mehrheits- noch einen Kernaktionär haben, und den typischen österreichischen Aktiengesellschaften mit Mehr69 Doralt, in: ÖJT (Hrsg.), Verhandlungen des 10. ÖJT (1988), II/11; Doralt, ZGR 1991, 252 bei Fn. 55. 70 Stern, Übernahmeangebote im englischen Recht, ÖBA 1992, 1065–1073 und ÖBA 1993, 27–36; Winner, Das geplante europäische Übernahmerecht (Diplomarbeit an der WU Wien 1993). 71 Doralt/Nowotny/Schauer (Fn. 68). 72 Doralt, Ökonomischer Hintergrund und Interessengegensätze bei Übernahmeangeboten, in: Doralt/Nowotny/Schauer (Hrsg.), Takeover-Recht, Rechtsvergleichende Berichte, Entwurf der 13. EG-Richtlinie 1996 und österreichischem Ministerialentwurf 1997 (1997), S. 1 f.

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heitsbesitz eines Aktionärs oder zumindest einer durch Stimmbindungsvertrag oder in einer Holding-Konstruktion zusammengeschlossenen Gruppe funktioniert.73 Die Abhängigkeit der Wirkung des Übernahme-rechts von der Eigentümerstruktur wird von ihm an mehreren Stellen deutlich gemacht.74 Bereits hier legt er sehr deutlich dar, dass die Kontrolle bei der österreichischen Gesellschaft eben durch die Übernahme des Pakets vom kontrollierenden Aktionär oder der kontrollierenden Gruppe erreicht werden kann, während bei der breitgestreuten angelsächsischen Gesellschaft der Kontrollerwerb über die Börse bzw. durch ein öffentliches Angebot vollzogen werden muss. Schließlich zeigt Peter Doralt die maßgeblichen Gegensätze von Aktionärsinteressen, öffentlichen Interessen und Arbeiterinteressen, den Interessengegensatz zwischen Kern- und Mehrheitsaktionär und Streubesitz, zwischen verkaufswilligem Mehrheitsaktionär und Gesellschaft, endlich zwischen dem Management der Zielgesellschaft und ihren Aktionären. Peter Doralt verdeutlicht, dass im österreichischen Recht grundsätzlich der gemäßigte Shareholder-Ansatz gilt. Die Interessen der Aktionäre sind zu verfolgen, soweit dies mit dem Wohl des Unternehmens vereinbar ist. Allein in der Übernahmesituation hat sich der Vorstand neutral zu verhalten, und er ist nicht berechtigt, im Interesse der Gesellschaft und damit zum Teil gegen die Vermögensinteressen der Aktionäre zu handeln.75 Seine Vertrautheit und souveräne Beherrschung von Konzern-, Verschmelzungs- und Umwandlungsrecht und deren dogmatische Fortentwicklung fördern ganz entscheidend auch die Fortentwicklung des Übernahmerechts. Anlass für die fortgesetzte intensive Auseinandersetzung ist die spektakuläre grenzüberschreitende Übernahme der österreichischen Bank Austria AG durch die Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG mittels einer Kombinationstechnik von Sacheinlage und Verschmelzung, die faktisch eine Übernahme darstellt, bei der aber das Übernahmerecht nicht zur Anwendung kommt.76 In einem grundlegenden Aufsatz arbeitet Peter Doralt die Unterschiede von Übernahme und Verschmelzung, nämlich Barange-

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Doralt (Fn. 72), S. 4. S. Doralt, Überlegungen zur Gestaltung der Vorschriften über das Recht des öffentlichen Übernahmeangebots in Österreich, in: Forster (Hrsg.), Festschrift für Bruno Kropff: Aktien und Bilanzrecht (1997), S. 54, 57. 75 Doralt, Shareholder-value und Stakeholder-value, ÖBA 2006, 138, 139. 76 ÜbK 12.9.2000, GZ 2000/1/4-171, GesRZ 2000, 253, abgedruckt in Diregger/Kalss/ Winner, Das österreichische Übernahmerecht (2. Aufl. 2007), S. 566–582; www.takeover.at (zuletzt abgerufen am 18.06.2010); s. dazu Diregger/Ulmer, Die Spruchpraxis der Übernahmekommission nach drei Jahren Übernahmegesetz, wbl. 2002, 97–105; Karollus/Geist, Das österreichische Übernahmegesetz – (k)ein Papiertiger?! – eine Fallstudie, NZG 2000, 1145–1150. 74

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bot, Orientierung am durchschnittlichen Börsenkurs, strengere begleitende behördliche Verfahrensregeln, Verbot von Paralleltransaktionen etc., heraus.77 Hierbei zeigt er klar die Bedeutung des City Code on Takeovers and Mergers als Beitrag des englischen Rechts zur Entwicklung des europäischen Konzernrechts und stellt ihn als Modell für das europäische Übernahmerecht vor.78 Peter Doralt macht auf der Grundlage eines sorgfältigen Rechtsvergleiches deutlich, dass sich das englische Konzernrecht ganz maßgeblich auf die Konzerneingangskontrolle konzentriert und nicht auf die Konzernzustandskontrolle, somit auf den Schutz der Minderheit während des aufrecht bestehenden Konzerns.79 Auf der Basis einer Parallelziehung zwischen kontinentaleuropäischem bzw. österreichischem und englischem Gesellschaftsund Übernahmerecht schließt Peter Doralt – wie nicht anders zu erwarten – wiederum mit rechtspolitischen Vorschlägen, wobei er sich für eine Anerkennung von Tauschangeboten in besonderen Situationen, für eine Angleichung von Fusionen und fusionsgleichen Vorgängen und für Regelungen des Delisting und des Squeeze-out ausspricht. Der Squeeze-out wird durch das Gesellschafterausschlussgesetz 2006 auch tatsächlich geregelt und öffnet einen sehr weitreichenden Exit aus der Gesellschaft mit Streubesitz. Das Inkrafttreten und die Umsetzung der europäischen Übernahme-RL und die Aufhebung einiger Bestimmungen des Übernahmerechts mangels Bestimmtheit durch den Verfassungsgerichtshof im Oktober 200680 sind Anlass für eine tiefgreifende, weit über die europäischen Vorgaben hinausgehende Novellierung des Übernahmerechts, bei der maßgebliche Errungenschaften des Übernahmegesetzes 1998 zurückgenommen werden.81 Österreichische Gesellschaften stellen – in Zeiten der in den Keller gefallenen Kurse – gerade auch wegen des geradezu „kupierten“ Übernahmerechts leichte Targets dar; was – zwischendurch – den Ruf nach dem Gesetzgeber immer wieder laut werden lässt. Dennoch bleibt das Gesetz ein ganz zentrales Element des kapitalmarktrechtlichen aufsichts- und gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsrahmens. Jedenfalls bereitet Peter Doralt den Boden für diese komplexe Materie an der Schnittstelle zwischen Kapitalmarkt-, Gesellschafts- und Konzernrecht,

77 Doralt, Übernahme, Verschmelzung, Konzern und der City Code, GesRZ 2000, 197–206. 78 Doralt, GesRZ 2000, 197, 200. 79 Doralt, GesRZ 2000, 197, 202. 80 VfGH 6.10.2006, G 151–153/05-17, JBl 2007, 372. 81 Diregger/Kalss/Winner (Fn. 76), Rn. 179 ff.; Kalss, Austria, in: Maul/Muffat-Jeandet/ Simon (Hrsg.), Takeover bids in Europe (2008), S. 63–82; Winner, Das Pflichtangebot nach neuem Übernahmerecht, ÖJZ 2006, 659–669.

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sieht sowohl die kapitalmarktrechtliche als auch die gesellschaftsrechtliche Komponente der Gleichbehandlung (informationelle Gleichbehandlung, vermögensmäßige Gleichbehandlung durch Sicherung des Cashangebots und Vollangebots, Nachzahlungsgarantie, restriktive Anwendung von Ausnahmeregelungen in Sondersituationen, Anerkennung der behördlichen Kontrolle des Preises) und bereitet ihn dogmatisch auf und setzt sie faktisch um. Heute – einige Jahre nach dem Inkrafttreten der Novelle – ist es weitestgehend anerkannt, dass die Beobachtungen und Darstellungen Peter Doralts gerade auf den österreichischen Markt und seine Besonderheiten zugeschnitten waren. Die Übernahme formal schematisierender Regelungsmechanismen ohne spezifische Einpassung in das österreichische politisch-sozioökonomische Umfeld führt hingegen nunmehr zu einem teilweisen Leerlauf übernahmerechtlicher Regelungen. Die Novelle 2006 wird daher zutreffend als rechtspolitischer Fehler angesehen.82 3. Ost- und mitteleuropäisches Wirtschaftsrecht Mit der Gründung des Forschungsinstituts für ost- und mitteleuropäisches Wirtschaftsrecht erschließt sich Peter Doralt ein völlig neues Feld für sein rechtsvergleichendes Arbeiten und sein gesellschafts- und unternehmensrechtliches Interesse, nämlich das Recht der eben vom kommunistischen Joch befreiten Wirtschaftsordnungen. Obwohl Wien nur 60 Kilometer von Bratislava entfernt ist und Österreich beim Fall des Eisernen Vorhangs an drei kommunistische Länder angrenzt (heute vier CEE-Länder) 83, gibt es bis 1989/1990 nur wenige Kontakte zu Lehrstühlen und Universitäten aus diesem Raum. Peter Doralt erkennt – wie bereits dargestellt – die einzigartige Chance des Neubeginns in den postkommunistischen Staaten auch für das Wirtschaftsrecht und gründet an der Wirtschaftsuniversität sein Forschungsinstitut für mittel- und osteuropäisches Wirtschaftsrecht. In der Retrospektive von beinahe 20 Jahren wirkt dies angesichts der EU-Mitgliedschaft der meisten der betroffenen Länder wenig aufregend und unspektakulär. Ein genauerer Blick belehrt uns eines Besseren: Geradezu pionierhaft werden damals von Peter Doralt und seinen Mitarbeitern die einzelnen Länder besucht und nach Gesetzessammlungen, ersten Kommentaren und sonstiger Literatur abgesucht um die Fundstücke zum

82 Vgl. etwa Johannes Ditz, Vortrag am 19.3.2009 in Wien, ehemaliger Wirtschaftsminister und Staatssekretär im Finanzministerium und Vorsitzender der Julius-Raab-Stiftung, einem Think Tank der ÖVP, zugleich ehemaliger Vorstand der ÖIAG und Aufsichtsratsvorsitzender zahlreicher im staatsnahen Bereich stehender Gesellschaften. 83 Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien; heute: Tschechien; Slowakei, Ungarn, Slowenien.

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Teil per Rucksack nach Wien zu verfrachten. Praktisch gleichzeitig wird unter der Leitung von Peter Doralt begonnen, für vier oder fünf Rechtsordnungen insbesondere das Gesellschaftsrecht aufzubereiten. In einigen Ländern wird in der Folge – nach unterschiedlich rascher Beseitigung kommunistischen Normenmaterials – zum Teil auf österreichische oder österreichisch-deutsche Wurzeln zurückgegriffen. Geradezu kaleidoskopartig entwickelt sich die Wirtschaftsrechtsordnung der unterschiedlichen Länder als Basis der komplexen Privatisierungsmaßnahmen. In den einzelnen Ländern werden einerseits allgemeine Gesellschaftsrechte sowie darauf bezogene Spezialgesellschaftsrechte verfasst. Ohne spezielle Kenntnis des jeweiligen Privatisierungsverfahrens ist es in keinem der Länder möglich, das Gesellschaftsrecht zu verstehen. Peter Doralt hat, da er die Kenntnisse aus fünf oder sechs Ländern parallel erwerben kann, den uneinholbaren Vorteil gegenüber allen anderen Betrachtern von außen, Parallelen ziehen zu können, Strukturelemente zu erkennen und zu analysieren. Abgesehen von der allgemeinen Übersetzungsleistung aus den slawischen Sprachen sowie aus dem Ungarischen beeindrucken vor allem auch die Leistung der raschen Bestandsaufnahme, der Fragestellung nach weiteren Normen, der Analyse des Handlungsbedarfs und der Anregung legistischer Arbeiten sowie letztlich die Möglichkeit, die Erfahrung des autonomen Nachvollzugs als damals junges EU-Mitgliedsland Österreich in anderen Ländern rasch und fruchtbringend weitergeben zu können, insbesondere in Slowenien. Das Wirtschaftsrecht der Reformstaaten sollte nicht nur auf dogmatischabstrakter Ebene durchdrungen, sondern vor allem praktisch aufbereitet und der heimischen Wirtschaft ebenso wie ausländischen Investoren zugänglich gemacht werden. Rasch hingestellte Gesetze ohne feste Verankerung im eben – noch – nicht gewachsenen nationalen Recht aufzubereiten, stellt sich als besondere Herausforderung dar, fehlt doch ein vollständiges systematisches Gerüst, auf dessen Basis Gesetze ausgelegt werden können. Oft handelt es sich um – mangels vertiefter Kenntnis der Umstände und systematischer Durchdringung – torsohaft hingeworfene Gesetzesfragmente, vielfach auch um falsch gemachte Vereinfachungen. Die hier dringend erforderliche erste Aufbereitung und erste systematisierende Einordnung leistet Peter Doralt in verschiedenen Ländern mit seinen den Gesetzesausgaben angeschlossenen Musterverträgen und ersten Kurzkommentaren zu diesen Gesetzen.84 84 Doralt/Svoboda/Solt, GmbH – Mustervertrag CSFR (1992); Doralt/Török, AG – Mustersatzung Ungarn, (1995); Doralt/Török, Satzung der ungarischen Aktiengesellschaft – Articles of Association of the Hungarian Stock Company (1997); Doralt, Das neue ungarische Aktienrecht (1998); Doralt/Kocbek/Pivka, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung nach slowenischem Recht (1997).

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Nach dem ersten Schwung der überwiegend in Form von Gesamtkodifikationen vollzogenen Inkraftsetzung von Handels- und Gesellschaftsrechten oder Wirtschaftsgesetzen beginnen sich die verschiedenen Länder viel stärker an EU-Europa zu orientieren und gestalten in weiteren großen Novellen ihre Kapitalgesellschaftsordnungen nach dem Vorbild Europas und einzelner Länder aus. Dem Recht der Umwandlungen bzw. Umgründungen kommt dabei eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Peter Doralt ist maßgeblich daran beteiligt, diese schwierige Materie – auch – an den Schnittstellen zum Konzernrecht und zum Übernahmerecht mit aufzubereiten und praktikabel zu machen.85 Auf Basis dieser juristischen Grundlagenarbeit, die er auf großen Symposien und auf Konferenzen ebenso wie in zahlreichen Workshops leistet, wird auch neues Recht geschrieben, insbesondere kann er in Slowenien an der Gestaltung des Umwandlungsrechts in großem Maße mitwirken.86 Das parallele Arbeiten in zahlreichen Rechtsordnungen, die genaue Kenntnis der Geschichte des österreichischen GmbH-Rechts mit der zentralen Bestimmung des § 4 Abs. 2 öGmbHG (Gestaltungsfreiheit) erleichtern ganz maßgeblich die Erarbeitung und das Abstecken der Reichweite der Satzungsautonomie, etwa im slowenischen oder im tschechischen Recht. Die herausragende Leistung Peter Doralts für das ost- und mitteleuropäische Wirtschaftsrecht liegt wiederum nicht allein in den Beiträgen, die er in verschiedenen Sammelbänden und Zeitschriften publiziert, sondern vielmehr auch in den ungezählten Vorträgen, Konferenzteilnahmen und intensiven Gesprächen auf Symposien, Workshops, Arbeitssitzungen und Arbeitsgemeinschaften, die er in zahlreichen Ländern hält oder besucht. In etlichen Rechtsschulen, Lehrgängen und Sommerkursen, die er tschechischen, slowakischen, polnischen, ukrainischen und russischen Studierenden zuteil werden lässt, sucht er den Diskurs auf rechtsdogmatischer, aber vor allem auch auf rechtspolitischer Ebene mit den herausragenden Juristen des jeweiligen Landes.

85 Doralt, Zur Verschmelzung und Umwandlung nach tschechischem Recht (1997); Doralt, Umwandlung der Handelsgesellschaften. Bemerkungen zum novellierten tschechischen Recht aus der Sicht des österreichischen Rechts, in: Vereinigung deutsch-tschechischslowakischer Juristen e.V. (Hrsg.), VIII. Karlsbader Juristentage (1998), S. 302–315; Doralt, Der Schutz von Minderheitsaktionären nach ungarischem Recht unter Berücksichtigung der Reform 1997/98, Jogtudományi Közlöny 1999, 9–17 (übersetzter Titel). 86 S. nur Doralt/Bruckmüller/Knaus, Die Europäisierung des slowenischen Gesellschaftsrechts, Juridikum 4/2000; Doralt/Bruckmüller/Knaus, Zaklujcni redakcijski posegi [Abschließende Gesetzesredaktion], in: In titut za gospodarsko pravo (Hrsg.), Die Anpassung des slowenischen Gesellschaftsrechts and das EU-Recht (1999), S. 297–309; ferner Bruckmüller, Rezeption von österreichischem Gesellschaftsrecht in Slowenien – Experiment und Bewährung, GesRZ 2007, 398–409.

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Die Bedeutung Peter Doralts für das ost- und mitteleuropäische Gesellschafts- und Unternehmensrecht liegt – in der sofortigen Beschäftigung mit dieser Materie nach dem Niederreißen des Stacheldrahts und noch vor dem Fall der Berliner Mauer; – in der Übersetzungsleistung nicht bloß bezogen auf die jeweilige Sprache in das Deutsche oder Englische, sondern auch in der Sichtbarmachung der Eigenständigkeit der jeweiligen Entwicklung; – in der Einbeziehung der spezifischen sozioökonomischen Hintergründe der jeweiligen Länder, etwa bezogen auf die Privatisierung der Wirtschaft, die mangelhafte Ausbildung der breiten Masse der Juristen, die mangelnde Rechtskultur bei Anwendung der Gesetze, die fehlende Akzeptanz und Anerkennung von Gesetzen und die hohe Neigung zur Korruption sowie auf Maßnahmen zu deren Bewältigung; – im Erkennen der engen Zusammenhänge des Gesellschaftsrechts mit anderen Wirtschaftsrechtsmaterien, wie insbesondere dem Kreditsicherungsrecht, dem Grundbuchsrecht sowie dem Insolvenzrecht, deren Durchdringung und intensive Bearbeitung er anregt und tatkräftig fördert; – in der Verbindung der Europäisierung und der zugleich notwendigen eigenständigen Entwicklung der einzelnen Rechtsordnungen; – im Erkennen der Notwendigkeit einer spezifischen Ausbildung der Juristinnen und Juristen in den Reformstaaten, um die neue, viel größere Regelungsdichte bewältigen und das neugeschaffene Recht anwenden sowie vollziehen zu können; – im Erkennen der Problematik der mangelnden Rechtstradition oder jedenfalls in der Überwindung von deren 60-jähriger „Auszeit“ und der Notwendigkeit, auf dieser kargen Grundlage eine auf die Rechtsprechung gestützte, eigenständige Dogmatik zu entwickeln und Verständnis dafür zu entfalten. Somit geht es keineswegs vorrangig um Detailfragen oder deren Verfeinerung und Tiefenbohrung; entscheidend sind vielmehr das Verständnis und der Blick für das Ganze sowie die Bereitschaft und die Befähigung zur vielfachen und vielseitigen Weitergabe. 4. Internationales Gesellschaftsrecht Vor genau 40 Jahren veröffentlicht der damalige Universitätsassistent Peter Doralt eine Arbeit über die Anerkennung ausländischer Gesellschaften nach österreichischem Recht.87 Sie ist die wohl wichtigste und einflussreichste Arbeit zu diesem Thema in der österreichischen Rechtsliteratur. Der Aufsatz

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Doralt, Anerkennung ausländischer Gesellschaften, JBl 1969, 181–200.

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leistet nicht nur eine umfassende Aufbereitung der Anerkennungsproblematik nach damals geltendem Recht, sondern nimmt auch die 30 Jahre später ergangene EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Centros im Grundsatz vorweg. Hier soll vor allem auf diese und andere zukunftsweisende Aspekte des Aufsatzes eingegangen werden. Doralt arbeitet zunächst heraus, dass die „Anerkennung“ juristischer Personen – wie jede andere Rechtsfrage auch – sowohl ein Problem des Kollisions- als auch des Sachrechts ist und dass die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit scharf von der Zulassung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Inland (§ 254 öAktG a. F.) zu trennen ist. Nach dieser einleitenden Begriffsklärung wendet sich Peter Doralt der kollisionsrechtlichen Ebene zu und erläutert die verschiedenen möglichen Anknüpfungspunkte des Anerkennungsstatuts.88 Seine Ausführungen zu den Vorteilen der Anknüpfung am Verwaltungssitz haben den österreichischen Gesetzgeber ausweislich des öIPRG 1978 offenbar überzeugt: § 10 öIPRG knüpft das Personalstatut an den Verwaltungssitz der Gesellschaft. Die Gesetzesbegründung wiederholt die Überlegungen Peter Doralts über weite Strecken wortwörtlich: 89 Für die Anknüpfung an den Verwaltungssitz der Gesellschaft spreche, dass der Staat des Verwaltungssitzes durch die Existenz der Gesellschaft am meisten betroffen sei; seine Wirtschaft hänge innig mit der Entwicklung der auf seinem Gebiet tätigen Gesellschaften zusammen. Das moderne Kapitalgesellschaftsrecht enthalte daher im zunehmenden Maße Vorschriften zur Durchsetzung bestimmter wirtschaftspolitischer Ordnungsvorstellungen und zum Schutz der Gesellschafter und der Gesellschaftsgläubiger. Die Verwirklichung dieser angestrebten Ordnungsvorstellungen wäre gefährdet, wenn Gesellschaften, deren Verwaltung im Inland geführt werde, nicht den inländischen Vorschriften unterworfen würden. Im Besonderen stünden nach der Gründungstheorie den Gesellschaften für ihre Betätigung im Inland die Gesellschaftsrechte all jener Länder praktisch zur Auswahl frei, deren Recht für die Gründung auf einen tatsächlichen Inlandssitz verzichte. Peter Doralt räumt aber sogleich ein, dass die Sitztheorie nicht zwingend die Versagung der Anerkennung mit sich bringt. Denn das Anerkennungsstatut könne auch vom übrigen Personalstatut getrennt werden,90 womit die zwingenden Ordnungsvorstellungen des Verwaltungssitzstaates trotz Aner-

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Eine ausdrückliche Regelung war im damaligen österreichischen IPR nicht enthalten. EBRV IPRG 746 Blg Nr. XVIII GP zu § 10 IPRG. 90 Zu ergänzen ist, dass eine im Ausland gegründete Gesellschaft auch auf sachrechtlicher Ebene „anerkannt“ werden könnte, indem dem ausländischen Gebilde trotz Nichteinhaltung der inländischen Gründungsbestimmungen die Rechtsfähigkeit zuerkannt wird, wie dies nach italienischem, belgischen und französischen Recht der Fall ist. 89

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kennung zur Geltung kämen. Dafür spreche insbesondere der Schutz Dritter, die auf den Bestand der Gesellschaft vertraut hätten. Die Anerkennung von im Ausland gegründeten Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland sieht Peter Doralt aber nicht für notwendig an, da die Gesellschaft entweder als rechtsfähige OHG zu behandeln sei oder eine (nach österreichischem Recht nicht rechtsfähige) GesbR entstehe, deren Gesellschafter persönlich für die namens der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten hafteten. Naturgemäß werden zivilrechtliche und zivilprozessrechtliche Probleme aufgeworfen, die mit der Versagung der Rechtsfähigkeit (GesbR) einhergehen;91 völlig ausgeklammert bleibt aber die Frage des Schutzes der Minderheitsgesellschafter. Ein aktuell in den österreichischen Medien vieldiskutierter Fall – MEL – belegt, dass für die Anerkennungsfrage gerade auch bei Publikumsgesellschaften eine praktikable Lösung gefunden werden muss. Als wichtigste Alternative zur Verwaltungssitzanknüpfung erörtert Peter Doralt die Anknüpfung an den Gründungsort bzw. den Satzungssitz, die er für das österreichische Recht ablehnt. Besonders bemerkenswert sind die Ausführungen Peter Doralts zu den Implikationen der Niederlassungsfreiheit. Die Niederlassungsfreiheit bedeutet nichts anderes als die Zulassung der Gesellschaft zum inländischen Gewerbebetrieb. Diese setzte die Anerkennung voraus. Dieser Gedankengang dürfe jedoch nicht zu der Folgerung verleiten, dass im Rahmen der EG die Niederlassungsfreiheit durch Versagung der Anerkennung zu verweigern wäre. Mit der Gewährung der Niederlassungsfreiheit hätten sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, die ausländische Gesellschaft in gleicher Weise anzuerkennen.92 Eine Versagung der Anerkennung unter Berufung auf fraus legis lehnt Peter Doralt ab, da aus Sicht des Gründungsstaats gerade keine fraudulöse Absicht vorliege und die Standortwahl nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten gerade dem Zweck der Niederlassungsfreiheit entspreche. Mit diesen Überlegungen nimmt er die Kernelemente der Entscheidungen Centros, Überseering und Inspire Art vorweg. Peter Doralt sieht zu jener Zeit die Anknüpfung an den Verwaltungssitz, die die realen wirtschaftlichen Gegebenheiten reflektiert, und die Anknüpfung an den Satzungssitz mit der Folge einer schrankenlosen Rechtswahlfrei-

91 S. den Fall OGH 3 Ob 59/00y, ZfRV 2001, 152 und die Vorentscheidungen in derselben Rechtssache OGH 14.7.1993, 8 Ob 634/92, ZfRV 1994, 79 (Hoyer); OGH 28.8.1997, 3 Ob 2029/96w; 28.8.1997, 3 Ob 93/97s, RdW 1998, 70. 92 Selbstverständlich fehlt nicht der Hinweis, dass die Niederlassungsfreiheit zur Zeit der Veröffentlichung des Beitrags (nämlich bis zum 31.12.1969) noch nicht unmittelbar anwendbar war. Wie der EuGH v. 21.7.1974 – Rs. 2/74 Reyners, Slg. 1974, 631 – entgegen der Auffassung Peter Doralts – klarstellen sollte, war nach Ablauf der Übergangsfrist die Berufung auf das freie Niederlassungsrecht nicht von der Erlassung von Durchführungsbestimmungen abhängig.

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heit wohl noch als striktes Entweder-Oder an. Später weist er – wie schon erwähnt – die FOWI-Mitarbeiter und mich auch auf die Alternative in Gestalt einer genuin-link-Regel in Anlehnung an die Judikatur des IGH im Nottebohm-Fall 93 hin: Die Anwendung des Gründungsrechts setzt nicht unbedingt einen Verwaltungssitz im Gründungsstaat, aber eine echte wirtschaftliche Verknüpfung zum Gründungsstaat voraus.94 Auf diese Weise wird der beliebigen „Rechtswahl“ ein Riegel vorgeschoben 95 und der Rechtssicherheit in einer zunehmend international verflochtenen Wirtschaft dennoch Rechnung getragen. Zugleich werden die Schwierigkeiten vermieden, die mit der Feststellung des Verwaltungssitzes gerade in einer Zeit der weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten verbunden sind. In der Literatur wird aktuell darauf verwiesen, dass der EuGH in seiner steuerrechtlichen Judikatur 96 eine ähnliche Linie vertritt 97 und dass Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cartesio die Wertung aus dem Steuerrecht für das Gesellschaftsrecht fruchtbar machen will.98 Der EuGH greift diese Anregung allerdings nicht auf, und der bisherige Stand der Judikatur geht eindeutig dahin, dass auch „jeder wirtschaftlichen Realität bare“ Konstruktionen mit dem Ziel der Umgehung des Gesellschaftsrechts des Zuzugsstaats keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit darstellen.99 Vor dem Hintergrund des von ihm zum Gesellschaftsrecht entwickelten „Informationsmodells“ 100 ist es

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IGH v. 6.4.1955 Liechtenstein vs Guatemala, I.C.J.Rep.1955, 4. Hinzuweisen ist idZ auch auf die Parallele zum IPR der Schuldverträge (Art. 3 Abs. 3 EVÜ, Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO), die insbesondere Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht (1995), S. 220 ff. für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts fruchtbar machen will. 95 Vgl. Kalss (Hrsg.), Centros und die Beitrittswerber, Arbeitspapier des Forschungsinstituts für ost- und mitteleuropäisches Wirtschaftsrecht (FOWI) an der Wirtschaftsuniversität Wien Nr. 67 (2000), S. 8–32. 96 EuGH v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 Imperial Chemical Industries plc, Slg. 1998, I-04695, Tz. 26; EuGH v. 21.11.2002 – Rs. C-436/00 x and y, Slg. 2002, I-10820, Tz. 61; EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 Hughes de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409, Tz. 50; EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 Marks & Spencer, Slg, 2005, I-10866, Tz. 57; EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, seither z.B. EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation/Commissioners of Inland Revenue, Slg. 2007, I-2107. 97 G. Roth, Das Herkunftslandprinzip im Gesellschaftsrecht, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Das Herkunftslandprinzip (2009), S. 111–120. 98 Schlussanträge GA Maduro 22.5.2008 – Rs. C-210/06 Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Tz 29. 99 EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999, I-01459, Tz. 27; EuGH v. 30.9. 2003 – Rs. C-167/01 Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Tz. 138. 100 Der Terminus stammt von Grundmann, Information und ihre Grenzen im Europäischen und neuen Englischen Gesellschaftsrecht, in: Schneider/Hommelhoff/K. Schmidt (Hrsg.), Deutsches und europäisches Gesellschafts- Konzern- und Kapitalmarktrecht, Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag (2000), S. 61; s. ferner etwa Grundmann, Ausbau des Informationsmodells im Europäischen Gesellschaftsrecht, DStR 2004, 232–236; 94

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kein Widerspruch, dass der EuGH mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerumgehung weniger restriktiv beurteilt als solche im gesellschaftsrechtlichen Bereich. Wie immer sich die Judikatur des EuGH entwickeln wird: Jedenfalls hat Peter Doralt auch diese jüngste Diskussion schon früh gesehen und im Wesentlichen vorweggenommen. 5. GmbH & Co KG Kurz noch ein Blick auf die GmbH & Co KG: Sie ist eines der Themen im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Seminars, zumal dieser Gesellschaftstyp Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre in Österreich immer mehr an Boden gewinnt. Eine wissenschaftliche Durchleuchtung dieser für Österreich damals verhältnismäßig jungen Gesellschaftsgestaltung fehlt.101 Dabei geht es nicht um die Zulässigkeit der GmbH & Co KG als solcher, deren Anerkennung der OGH bereits 1906 – also im Jahr des Inkrafttretens des öGmbHG (!) – ausgesprochen hatte.102 Vielmehr sollten die Grenzen der Gestaltungsfreiheit und die Frage der Unanwendbarkeit einzelner Bestimmungen des GmbH- oder KG-Rechts ausgelotet werden. Peter Doralt bereitet mit seinem umfassenden Beitrag über die Geschäftsführer der GmbH & Co KG im Handelsrecht gerade die dogmatisch anspruchsvollen Fragen der Vertretung der GmbH & Co KG, der Zurechnung und des Durchgriffs zwischen den einzelnen Rechtsträgern dieser Rechtsform auf und durchleuchtet damit grundlegend das Verhältnis von GmbH und KG im Gefüge der GmbH & Co KG für das österreichische Recht. Die Geschäftsführung der GmbH als Komplementärin wird regelmäßig durch Gesellschafterbeschlüsse der GmbH ausgeübt.103 Die Geschäftsführer der GmbH haften wegen der einheitlichen Betrachtung und des engen Zusammenspiels der Komplementär-GmbH mit der KG nicht allein gegenüber der GmbH, sondern auch gegenüber der KG.104 Nunmehr, 30 Jahre später, stellt sich für die GmbH & Eidenmüller-Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004), § 3 Rn. 35; Kübler, The Rules of Capital Under Pressure of the Securities Markets, in: Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets and Company Law (2003), S. 95–114; Hirte/Bücker-Forsthoff, Grenzüberschreitende Gesellschaften (2006), § 2, Rn. 81 ff.; Münchener Kommentar-Altmeppen, AktG (2. Aufl. 2004), Europäisches Aktienrecht B 2. Kap., Rn. 125 ff.; Grohmann, Informationsmodell im europäischen Gesellschaftsrecht (2006). 101 Kastner/Stoll (Hrsg.), Die GmbH & Co KG im Handels-, Gewerbe- und Steuerrecht (1970), S. III, (2. Aufl. 1977). 102 OGH 20.6.1906, AC 2583; OGH 17.7.1906, AC 2589 (Adler/Clemens, Sammlung handelsrechtlicher Entscheidungen). 103 Doralt, Die Geschäftsführer der GmbH & Co KG im Handelsrecht, in: Kastner/ Stoll (Hrsg.), Die GmbH & Co KG im Handels-, Gewerbe- und Steuerrecht (2. Aufl. 1977), S. 235, 274. 104 Doralt (Fn. 103), S. 235, 260 ff.

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Co KG nach grundlegenden dahingehenden Entscheidungen des OGH die Frage,105 inwieweit die kapitalgesellschaftsrechtlichen Regelungen, insbesondere der GmbH (§ 82 öGmbHG f.), auch auf die GmbH & Co KG anzuwenden sind. Während ein Teil der Literatur diese Judikatur gutheißt,106 sind es vor allem Schüler Peter Doralts, die ihr kritisch gegenüberstehen,107 zumal damit die unterschiedlichen Gläubigerschutzkonzepte Haftungsverbund des Personengesellschaftsrechts und Vermögensbindung des Kapitalgesellschaftsrechts vollkommen verwischen und es zu überschießenden Schutzdoppelungen kommt. Wieder sind neue, schärfere Grenzen zu ziehen. Das Zusammenspiel des personen- und kapitalgesellschaftsrechtlichen Regelungsprogramms in der GmbH & Co KG bleibt spannend und wird auch Peter Doralt weiter beschäftigen.

V. Resumé Eindrücklich ist es, wenn Peter Doralt geflügelte Worte und Klassiker des Gesellschaftsrechts auf österreichische oder europäische Verhältnisse spannt und uns damit die Besonderheiten des kleinen Österreich mit seinen Vorzügen und Nachteilen in seiner europäischen und internationalen Einbettung vor Augen führt. Dabei kommt der Urwiener hervor und zugleich der Kosmopolit, der hinaus muss in die Welt, um sie anschaulich zu machen. Viel hat Peter Doralt erarbeitet, viel hat er angestoßen, viel ist entstanden und entwickelt sich weiter. Neben seinen wegbereitenden Arbeiten sind es vor allem sein ehrliches Interesse an einer Rechtsfrage und sein Ringen um sach-

105 OGH GesRZ 2008, 310; vgl. weiteres (nicht auf die GmbH & Co KG beschränkt) OGH GesRZ 2008, 100 (Umlauft) = ecolex 2008, 243 (Karollus) = RWZ 2008, 104 (Wenger); gleichlautend 6 Ob 236/07k; OGH GesRZ 2009, 176 (Schörghofer). 106 Harrer, Vermögensbindung bei der GmbH & Co KG, WBl. 2009, 328–335; Grossmayer, Kapitalerhaltung bei der GmbH & Co KG, ecolex 2008, 1023, 1023 ff.; dem OGH zustimmend auch Bauer, GeS 2008, 315 f.; Moser, Weitere Annäherung der „kapitalistischen“ KG an „echte“ Kapitalgesellschaften, SWK 2008, W 187; bereits davor Karollus, Verstärkter Kapitalsschutz bei der GmbH & Co KG, ecolex 1996, 860–863; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004), S. 404. 107 Nowotny, Die GmbH & Co KG auf dem Weg zur Kapitalgesellschaft?, RdW 2009, 326–331; Kalss/Eckert/Schörghofer, Ein Sondergesellschaftsrecht für die GmbH & Co KG, GesRZ 2009, 65–81; Schörghofer, Kommanditgesellschaft, in: Kalss/Nowotny/Schauer (Hrsg.), Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008), Rn. 2/940; ferner Koppensteiner/ Rüffler-Koppensteiner, GmbHG (3. Aufl. 2007) § 82 Rn. 20; Szep, Umgründungen im Zusammenhang mit Personengesellschaften im Lichte jüngster OGH-Rechtsprechung zur Kapitalerhaltung, ecolex 2001, 804–809; OGH, Urteil vom 29.5.2008 – Az. 2 Ob 225/07p, GesRZ 2008, 310 mit Anmerkung Stingl, 314–316.

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gerechte, interessenwahrende Lösungen in der dogmatischen Arbeit sowie in der praktischen Erprobung, die spürbar bleiben. Seine Offenheit für Neues, seine Förderung junger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, seine Gesprächsund Diskussionsfreude sind uns Beispiel, Motivation und Ansporn. Wenn nun meine Mitarbeiter die Zeit am Institut so schön und bereichernd finden wie ich, verwirklicht sich dieses Anliegen.

Klaus J. Hopt* Stefan Grundmann I. II.

Auftakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ersten 30 Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stationen als Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Direktor am Max-Planck-Institut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kapitalmarktrecht, Bankrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Habilitation zum kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutz . . . . 2. Die Durchsetzung des kapitalmarktrechtlichen Schutzziels in Rechtswissenschaften und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausstrahlung ins Unternehmensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bankrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nationales und Internationales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Baumbach/Hopt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die internationalen Werke und Herausgeberschaften – Anfänge . . . 3. Europa- und weltweiter Wirkungskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unternehmens- und Marktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktienrecht – Hauptorgane und Mitbestimmung . . . . . . . . . . . 3. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Handels- und Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Recht, Methodenkranz und praktische Verantwortung . . . . . . . . . . 1. Methodenkranz und Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Verantwortung und zunehmendes Gewicht in der Gesetzgebungsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Wissenschaftsgestalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Auftakt Klaus Hopt wurde am 24. August 1940 in Tuttlingen geboren, als Kind von Dr. med. Maria Hopt und Dr. med. Theo Hopt. Dort und in Rottweil verbrachte er seine Kindheit und Jugend. Das Gründungsjahr der Europäischen Gemeinschaft und Union, damals noch Wirtschaftsgemeinschaft, erlebte * Vortrag am 12. November 2010 – Humboldt-Universität zu Berlin.

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Hopt in der Oberprima. 1964/65 ging er hinaus in die Welt, einige Monate nach Bilbao, schon etwas länger nach Paris, ein Jahr nach New York, wo er auch seine spätere Frau Drs. Nhu Dung Hopt-Nguyen kennenlernte. Vier Jahre später, mit 32, hatte er ein Rechtsgebiet geradezu im Alleingang entwickelt, wie sich kein einflussreicheres im Privat- und Wirtschaftsrecht in den letzten 50 Jahren ausformte, das Kapitalmarktrecht1 – vordergründig vor allem für Deutschland, durch sein stetig wachsendes internationales Gewicht damit zugleich jedoch für ganz Europa, jedenfalls in der spezifischen Form, die das Unternehmens- und Kapitalmarktrecht hier heute hat. Ein echter Naturwissenschaftler im Geiste, von seiner Präzision her – und natürlich Kind von Naturwissenschaftlern – machte er diese große „Erfindung“ demnach ganz früh, fast jugendlich, oder auch wie manch großer Ökonom, etwa ein Coase oder ein Akerlof, die ihre „Nature of the Firm“ oder ihren „Market for Lemons“ ebenfalls Mitte und Anfang 30 schrieben.2 Und alles war damals bereits angelegt: der Dreiklang Bank- und Kapitalmarktrecht, Unternehmensrecht sowie Handels- und Privatrecht, die Trias Rechtswissenschaften, Rechtspraxis und breitere – gesetzgeberische – Verantwortung, aber auch die Spannungsverhältnisse Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Nationales und Internationales. Diese frühe Reife gab ihm jene lange Zeitspanne, jene weiteren vier Jahrzehnte, die es ihm bis heute erlaubten, alles so enorm breit, so faszinierend tief und variantenreich auszuformen.

1 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken – gesellschafts-, bank- und börsenrechtliche Anforderungen an das Beratungs- und Verwaltungsverhalten der Kreditinstitute (1975), am 26.7.1973 von der Münchener Fakultät als Habilitation angenommen (unter Erteilung der unten genannten venia); bald danach, die rechtspolitische „Laufbahn“ eröffnend: Hopt, Inwieweit empfiehlt sich eine allgemeine gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes? (dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Publikumspersonengesellschaften, namentlich der Abschreibungsgesellschaften und geschlossenen Immobilienfonds), in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 51. DJT (1976), Bd. I, G1–G133; sowie ders., Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht? Teil 1 – Der internationale Stand des Kapitalmarktrechts, ZHR 140 (1976), 201–235 und ders., Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht? Teil 2 – Die deutsche Entwicklung im internationalen Vergleich, ZHR 141 (1977), 389–441; zum Juristentagsgutachten jüngst wieder K. Schmidt, Anlegerschutz als Juristentagsthema – Gedanken beim Wiederlesen der Juristentagsverhandlungen von 1976, in: Grundmann/Haar/Merkt/ Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus Hopt (2010), S. 2489–2506. 2 Coase, The Nature of the Firm, Economica 4 (1937), 386–405; Akerlof, The Market for ,Lemons‘: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488–500.

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II. Leben3 Unter den (deutschsprachigen) Zivilrechtslehrern des 20. Jahrhunderts, die heute das 70. Lebensjahr vollendet haben und mit einer großen Festschrift, allgemein sichtbar, von der Gemeinschaft der Privatrechtswissenschaftler für ihr Lebenswerk geehrt wurden, ragen manche ins 21. Jahrhundert hinüber, beeinflussen auch dieses, und sind nicht zuletzt auch deswegen in diese Sammlung aufgenommen worden. Klaus J. Hopt ist der jüngste unter ihnen, und sieht man spezifisch seinen Einfluss in Europa, ist er wohl der einzige, bei dem vielleicht sogar die intensivste Wirkphase in das spätere Jahrhundert fällt. 1. Die ersten 30 Jahre Er war noch nicht fünf, da endete der Krieg. Hopt wurde zwar nicht in eine friedliche, zunehmend international zusammenwachsende Welt hineingeboren, wuchs jedoch in eben diese Welt hinein. Sie wurde die seine. Unter den schwerpunktmäßig im nationalen Recht arbeitenden deutschsprachigen Privat- und Wirtschaftsrechtlern, die maßgebende Kommentare oder Lehrbücher zum deutschen Recht geschaffen haben, zählt er zu den internationalsten, ist vielleicht sogar der am internationalsten Wirkende, jedenfalls im Handels- und Wirtschaftsrecht. Aufgewachsen in seiner schwäbischen Heimat, träumt der Junge Klaus Hopt von Städten an der Seidenstraße in Zentralasien – die er erst ca. 50 Jahre später sehen wird –, blickt also vom Gefühl her ebenso sehr in die Weiten des Ostens wie natürlich auch nach Westen. Es ist die Zeit, da sich die Westanbindung Deutschlands formt, Klaus Hopt hatte später den Berufswunsch Auswärtiges Amt. Eine bis heute wache Neugierde auf die gesamte Welt war schon damals sein charakteristisches Kennzeichen, eingebettet in eine humanistische Ausbildung und seine schwäbische Heimat. Trotz der Einbettung in eine große Medizinerfamilie und besagter – „naturwissenschaftlicher“ – Präzision waren es schon früh eher die Geistesund Sozialwissenschaften, die Hopt faszinierten. Ab 1959, nach dem Abitur am humanistischen Albertus-Magnus-Gymnasium in Rottweil, studierte er Rechtswissenschaften an der heimatlichen Eberhard-Karls-Universität in Tübingen, später an der Ludwig-Maximilians-Universität München, besonders faszinierten ihn der Münchener Theologe Romano Guardini und in Tübingen der Historiker Hans Rothfels und der Rechtswissenschaftler Joachim Gernhuber. Als Lehrer sollte er sich später den International- und Europaprivatrechtler Ernst Steindorff wählen. Ab 1962 kamen im Studium politische Wissenschaften und Volkswirtschaftslehre hinzu, zeitweise war

3 Tabellarischer Lebenslauf in: Grundmann/Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus Hopt (2010), S. 3355–3368.

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Hopt mehr Verfassungs- und Öffentlichrechtler als Privat- und Wirtschaftsrechtler. Die große Affinität zu den Zwischenbereichen und insbesondere Regulierungsfragen wurde schon damals angelegt. Das Erste Staatsexamen schloss er 1963 als der Beste seines Jahres in Tübingen ab, 1969 das Zweite Staatsexamen in München, wiederum als Bester seines Jahres. Dazwischen lagen jene Monate in Spanien, Frankreich und den USA, mit einem erfolgreichen Masterstudium an der New York University, mitten in Manhattan. In die Zeit zwischen beide Staatsexamina fielen außerdem zwei Dissertationen, die erste zum „Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung“ (Münchener Universitätsschriftenreihe, Bd. 7, 1968), die zweite, politikwissenschaftliche zur „Dritte(n) Gewalt als politischem Faktor – eine Fallstudie zur Reform der Wahlkreiseinteilung“ (Duncker & Humblot 1969). Und in diese Zeit fallen auch die ersten Jahre und die Heirat mit seiner Frau Drs. Nhu Dung Hopt-Nguyen, am 7. Juni 1968. Selbst Juristin, später Absolventin der Pharmazie, trägt sie mit Klaus Hopt das, was kommen sollte, ist zugleich wie der Inbegriff an Beständigkeit, an Weltüberspannendem, zwischen Washington Square, wo sie sich kennenlernten, und ihrer vietnamesischen Heimat, welche die Hopt-Nguyen-Stiftung für die Förderung der Wissenschaften und für mildtätige Zwecke ebenfalls im Blick hat. Die Zeit in New York war diejenige, in der beide in der alten „Met“ und in der Carnegie Hall auf den Studentenplätzen fast wöchentlich Mozart, Beethoven, Brahms und Bruckner hörten und Klaus Hopt seiner späteren Frau „sein Europa“ eröffnete – so intensiv wie vielleicht später am ehesten wieder in Florenz, das ihn schon als Jugendlichen fasziniert hatte. 2. Stationen als Hochschullehrer a) Seine Habilitation schrieb Klaus Hopt bei Ernst Steindorff, demjenigen Wirtschaftsrechtler an der Münchener Fakultät, der alle Bereiche des internationalen Rechts verkörperte, das Internationale Privatrecht, primär mit seiner wirtschaftsrechtlichen Seite, und vor allem das Europäische Privatrecht, erster deutscher Mitherausgeber der Common Market Law Review (CMLR), zugleich auch der am internationalsten ausgerichtete Herausgeber der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR). Früh waren diese beiden Publikationsorgane diejenigen, in denen Hopt schrieb und berichtete, in der CMLR machte er über die 60er und 70er Jahre Zentralstücke der deutschen Rechtsprechungsentwicklung europaweit bekannt. Dass Hopt später als Herausgeber nicht in diese beiden Zeitschriften, vor allem auch nicht in die ZHR, hineinwuchs, sondern vielmehr in die Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (ZGR), ist angesichts der Statur von Hopt und seiner Fächer bemerkenswert. Es zeigt vor allem seine ungemeine Selbständigkeit, selbst im Verhältnis zu seinem Lehrer, und hat zugleich eine „innere Logik“: Denn diese um ein Jahrhundert jüngere Zeitschrift hatte Marcus Lut-

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ter als internationale, thematisch-methodisch sehr fortschrittliche Archivzeitschrift etabliert, und so schien die Einladung an Hopt nur allzu naheliegend und steht die ZGR mit ihrem starken Herausgeberkreis heute als sicherlich gleichrangig neben der ZHR, ja beide bilden sichtlich das große „Paar“ im Kern des Handels- und Wirtschaftsrechts im deutschen Sprachraum. Eine tiefe Freundschaft, ein ungemein fruchtbarer Austausch mit so großen Gesellschaftsrechtlern wie Marcus Lutter, Herbert Wiedemann und Peter Hommelhoff ging damit einher, später auch Holger Fleischer, der ihm dann im Max-Planck-Institut nachfolgen sollte. Doch war dies über zwei Jahrzehnte später. Die Habilitation im Jahre 1973 (Fn. 1) war ein Paukenschlag. Neben seinen Dissertationen und den Berichten hatte Hopt bis dahin einige Aufsätze in der Rechtsinformatik und der Rechtssoziologie vorgelegt, ansonsten einen einzigen größeren zivil- und handelsrechtlichen sowie eine kurze Monographie zum (damals in Deutschland völlig unbekannten) Insiderrecht.4 Auf dieser Grundlage wurde Hopt mit der Habilitation eine venia legendi in den Fächern „Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik“ verliehen. Die Münchener Fakultät teilte also bereits – prospektiv – das eingangs formulierte Urteil: Alles war damals bereits angelegt – der Dreiklang Bank- und Kapitalmarktrecht, Unternehmensrecht sowie Handelsund Privatrecht, die Trias Rechtswissenschaften, Rechtspraxis und gesetzgeberische Verantwortung, aber auch die Spannungsverhältnisse Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Nationales und Internationales. Das lag im Wesentlichen an der Habilitation. Denn die anderen Veröffentlichungen erschienen daneben doch eher zahlenmäßig begrenzt, teils auch etwas abgelegen – wie das Insiderrecht, von dem damals niemand ahnen konnte, dass es das erste Rechtsgebiet werden sollte, mit dem sich Hopts Gedankengut letztlich auch rechtspolitisch durchsetzen sollte. Warum die Habilitation als solch ein Paukenschlag empfunden werden konnte, wird zu beleuchten sein (unten III.). Dass sie tatsächlich als solcher empfunden wurde, belegt der Umstand, dass innerhalb weniger Monate die ersten drei Rufe folgten, einer davon „grau“, und dies auf ausgesprochen breit gestreute und prestigereiche Lehrstühle an großen Universitäten: b) Die erste längere Phase als Hochschullehrer, von 1974 bis 1985, verbrachte Hopt an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen, auf einem Lehrstuhl für „Bürgerliches Recht, Handels-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung“ (Nachfolge Wolfgang

4 Hopt, Die Auswirkungen des Todes des Vollmachtgebers auf die Vollmacht und das zugrundeliegende Rechtsverhältnis, ZHR 133 (1970), 305–326; ders./Will, Europäisches Insiderrecht, Einführende Untersuchung – Ausgewählte Materialien (1973).

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Fikentscher). Abgelehnt hatte er Parallelrufe an die Universität Göttingen auf einen Lehrstuhl für „Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht“ (Nachfolge Bernhard Großfeld) und an die Universität Hamburg („grau“) auf einen neu eingerichteten Lehrstuhl für „Privatrecht und Rechtssoziologie“ (alle erste Hälfte 1974). Hopt wurde also nicht Rechtssoziologe, auch Internationalprivatrechtler im engen Sinne wurde er nicht, treu blieb er jedoch dem Internationalen und dem Interesse für Disziplinübergreifendes. In die (spätere) Zeit in Tübingen fallen die ersten drei Herausgeberschaften großer internationaler, englischsprachiger Publikationen zu gesellschaftsund wettbewerbsrechtlichen Themen. In diese Phase fällt – früh und mindestens ebenso wichtig – die dauerhafte Verankerung im Herz des deutschen Handelsrechts: mit der Übernahme des Baumbach’schen Kommentars zum HGB (unten IV.1.) und mit dem erstmaligen Erscheinen beider Studienkurse zum Handels- und zum Gesellschaftsrecht, außerdem dann mit seiner Bestellung am OLG Stuttgart (1981–1985, Kartellsenat). In dieser Zeit wurde Hopt als Redner auf die großen (privat-)rechtswissenschaftlichen Foren in Deutschland eingeladen, zunächst zum 51. Deutschen Juristentag von 1976 mit seinem Gutachten zum Anlegerschutz (Fn. 1), sodann zur Jahrestagung 1983 der Zivilrechtslehrervereinigung in Stuttgart mit seinem Referat zu Berufshaftung und Berufsrecht (unten Fn. 38). Hopt blieb Tübingen lange Zeit treu und lehnte eine Reihe von Rufen ab (1978/79): an die Universität Frankfurt auf eine stärker internationalprivatrechtliche Professur, den Lehrstuhl für „Deutsches und ausländisches Bürgerliches und Handelsrecht und Internationales Privatrecht“ (Nachfolge Frh. Marschall v. Bieberstein), und an die Universität Münster, auf den Lehrstuhl für „Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie“ (Nachfolge Helmut Schelsky). Noch stärker als einige Jahre zuvor lässt sich das auch dahin erklären, dass Hopt weder reiner Internationalist oder gar nur Internationalprivatrechtler noch reiner Rechtssoziologe werden wollte. Die Verbindung der verschiedenen Methoden, ihre Fruchtbarmachung im Zusammenspiel, und die Verbindung zwischen Nationalem und Internationalem schienen ihm fruchtbarer. Von allen Rufen dieser Zeit nahm er daher nur einen an und diesen auch nur für eine begrenzte Zeit: denjenigen nach Florenz ans Europäische Hochschulinstitut, auf einen Lehrstuhl für „Europäisches und internationales Handels- und Wirtschaftsrecht“ (Nachfolge Christoph Sasse), an dem noch der große französische Rechtsvergleicher der Nachkriegszeit, Réné David, gewirkt hatte. Dort blieb er 1978 bis 1980. Diese Phase wurde privat, zugleich jedoch auch fachlich, besonders prägend. Man hat das Gefühl, dass in der Hügellandschaft der Toskana jene Phantasie aus der Kindheit, die Liebe zu Geist und Kunst noch verstärkt aufblüht. Die jährlichen Reisen zu den Salzburger Festspielen, die intensiven Gespräche über Opern, Inszenierungen und Konzerte sind Aspekte dieser Seite in Hopts Wesen. Kaum eine Vortragsreise, sicherlich keine Gastprofes-

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sur, ohne dass das Ehepaar Hopt die wichtigsten aktuellen Ausstellungen der jeweiligen Gaststadt ausführlich besucht hätte! Manchmal hatte man gar das Gefühl (das man dann umgekehrt gleich wieder als trügerisch verwarf), das Ehepaar Hopt wähle die Zielorte nach Ausstellungen und Museen aus. Wie sehr dieses Gefühl tatsächlich trügt – obwohl Hopt ganz Kunst ist, wenn er von Kunst erzählt – lehrt wohl am besten der Aufenthalt in Florenz selbst. Außer Hopt habe ich bisher nur Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die den Aufenthalt am Europäischen Hochschulinstitut mit allen Mitteln verlängern wollten, über Sonderprogramme, die dortige Übernahme des Dekanats oder auch über Teilzeitprofessuren. Hopt übernahm zwar ebenfalls ein einjähriges Dekanat (wie dann drei Jahre später auch noch in Tübingen), blieb aber dennoch nur zwei Jahre. Er erklärte mir die Entscheidung einmal mit seiner Angst davor, dass derjenige, der sich länger in diese Welt der Schönheit begibt, aus ihr wohl nie wieder wirklich zurück kommt. Florentiner Elegien wollte er nicht leben. Und doch: Dominiert ist die schöne Stadtwohnung der Hopts – in Hamburg, wie vorher diejenige in München und schon der Bungalow auf dem Hügel in Tübingen – von einem dunklen, sehr gefühlsstarken Zentralitaliener des 16. Jahrhunderts, mit leicht venezianischem Einschlag. Doch das Florentiner Institut war auch fachlich prägend. Die genannten drei Herausgeberschaften großer international-rechtsvergleichender, englischsprachiger Publikationen zu Fusionskontrolle, Konzernrecht und Vorstandshaftung (im Kontext der Corporate Governance) sind Frucht dieser Zeit und der daran anschließenden letzten Tübinger Jahre.5 Gerade das letzte Werk zeigt besonders stark auch schon die in all seinen Herausgeberschaften charakteristische Verbindung zwischen Rechtsvergleichung und interdisziplinärer Methodik, später dann häufig auch noch ganz zentral verbunden mit Europäischer Rechtssetzung und Rechtssetzungspolitik. In Florenz auch 5 Hopt (Hrsg.), European Merger Control – Legal and Economic Analyses on Multinational Enterprises (1982); ders. (Hrsg.), Groups of Companies in European Laws/Les groupes de sociétés en droit européen – Legal and Economic Analyses on Multinational Enterprises/Analyses légales et économiques sur les enterprises multinationales (1982); ders./Teubner (Hrsg.), Corporate Governance and Directors’ Liabilities – Legal, Economic and Sociological Analyses on Corporate Social Responsibility (1985); dann Buxbaum/ Hopt, Legal Harmonization and the Business Enterprise – Corporate and Capital Market Law Harmonization Policy in Europe and the USA (1988); zweifach ausführlich diskutiert in: Buxbaum/Hertig/Hirsch/Hopt (Hrsg.), Legal and Economic Analyses on Integration and Harmonization (1991); Buxbaum/Hertig/Hirsch/Hopt (Hrsg.), European Economic and Business Law – Legal and Economic Analyses on Integration and Harmonization (1996). Diese Diskussion dann fortgesetzt bis in die Jahre des Berichts der High Level Group hinein: Hopt, Harmonisierung im europäischen Gesellschaftsrecht Status quo, Probleme, Perspektiven, ZGR 1992, 265–295; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht – Krise und neue Anläufe, ZIP 1998, 96–106; ders., Company Law in the European Union: Harmonisation and/or Subsidiarity?, ICCLJ 1 (1999), 41–61.

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reifte die Idee für das mit Richard Buxbaum geschriebene Buch zur „Legal Harmonization and the Business Enterprise“ (1988), das noch weitergehend einen Meilenstein darstellt, weil in ihm nun aus Rechtsvergleich konkretes Programm wird, ein Programm für Rechtsgestaltung, für Rechtssetzung, und auch für rechtlich-interdisziplinäre Konzeption. Hopt wird durch Florenz endgültig zum „europäischen“, ja bereits zum globalen Spieler, und kehrt als Teilzeitprofessor auch mehrfach hierher zurück. In der Florentiner Zeit blüht jene Internationalität auf, für die die für Hopt (nach dem Studium) vielleicht wichtigsten Impulse aus der Mitgliedschaft in der International Faculty of Corporate and Capital Market Law herrührten. In die Florentiner Zeit fällt auch die erste große Gastprofessur in Übersee, im Frühjahr 1979 an der University of Pennsylvania Law School. Für die vielen internationalen Freundschaften, die sich ausbildeten, kann stellvertretend diejenige mit Eddy Wymeersch genannt werden, mit dem ihn neben der besonderen Freundschaft sehr sichtbar die Vielzahl gemeinsamer Buchprojekte verbindet. Aus der Vielzahl gleich enger und wichtiger Freunde feierten ihn einige auf dem Symposium zum 60. Geburtstag (Fn. 10), andere wirkten etwa im Forum Europaeum Konzernrecht mit ihm zusammen (Fn. 7). c) Die zweite längere Phase als Hochschullehrer, knapp fünf Jahre nach der Rückkehr aus Florenz, hebt an mit einem Intermezzo an der Universität in Bern auf einem neu eingerichteten Ordinariat für „Privatrecht, Wirtschafts-, Handels- und Bankrecht“ (1. August 1985–30. September 1987) und umfasst vor allem die Jahre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München von 1987 bis 1995. Dort wurde er Nachfolger seines Lehrers, Ernst Steindorff, auf dem Lehrstuhl für „Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht sowie Internationales Privatrecht“, zugleich Direktor des Europäischen Dokumentationszentrums der Universität. Diese Phase wird eröffnet mit einer Reihe von (weiteren) Rufen (1984–1986): neben den beiden nacheinander angenommenen nach Bern und München noch einer nach Wien (Ordinariat für „Österreichisches Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung“, Nachfolge Fritz Schwind) und einer nach Köln (Lehrstuhl für „Bürgerliches Recht und Handelsrecht, Institut für Bankrecht“, Nachfolge Clemens Pleyer), die er ablehnte. Wieder zeigt sich die Breite der Qualifikationen, vom klassischen Internationalen Privatrecht mit Rechtsvergleichung bis hin zum Schwerpunkt Bankrecht und Bankrechtsinstitut. In seiner Münchener Zeit spannt Hopt sein Netzwerk ungleich breiter und internationaler. Gastprofessuren an der Sorbonne, in Kyoto sowie Tokio, in Brüssel und auch in Genf führen ihn an die wichtigsten Plätze dieser jeweiligen Länder, die teils ja schon früh und verstärkt fortan – neben den USA und auch Italien – die wohl wichtigsten Referenzländer für Hopt werden. 1994 wird er dann Max-Rheinstein-Professor an der University of Chicago, Heim-

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statt nicht nur der Rheinstein’schen Rechtsvergleichung, sondern vor allem auch der Law and Economics Bewegung, die sich seit den 60er Jahren dort etabliert und in den 80er und frühen 90er Jahren gerade im Unternehmensrecht nochmals einen erheblichen Schub erlebt hatte.6 In der Tat hatte Hopt in internationalen Herausgeberschaften Anfang der 80er Jahre noch sehr intensiv soziologisch inspirierte interdisziplinäre Forschung einbezogen (teils auch unter dem Einfluss von Mitherausgebern wie Gunther Teubner), hatte sich jedoch über die 80er Jahre der Schwerpunkt hin zu einer starken, wenn auch nie ausschließlichen Berücksichtigung der Ökonomie verschoben. Meilenstein hierfür sind die beiden in der Münchener Zeit erschienenen Werke zur „Legal Harmonization and the Business Enterprise“ (1988) sowie zum Insiderrecht (1991). In seiner Münchener Zeit wird bei Hopt der Bezug zur Wissenschaftsgestaltung stärker: als Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, als Beiratsmitglied an Forschungsinstitutionen verschiedener anderer Universitäten, als Mitglied der Struktur- und Berufungskommission Rechtswissenschaften für die Humboldt-Universität beim Neubeginn nach der Wiedervereinigung, und er wirkte mit bei der Gründung der Bankrechtlichen Vereinigung. Damit im Zusammenhang steht die ungleich stärkere Begleitung von und Einwirkung auf gesetzgeberische Prozesse, teils national, teils auch in einzelnen Ländern etwa in Zentral- und Osteuropa, vor allem aber auch auf Europäischer Ebene. In die Münchener Zeit fällt der erste große rechtspolitische Erfolg: Deutschland gibt seinen Widerstand gegen ein Europäisches Insiderrecht auf, ca. 15 Jahre nachdem Hopt das Thema 1973 in Deutschland eingeführt hatte. Hopt besetzt das Thema des neu entstandenen Europäischen Insiderrechts auch literarisch … und legt zugleich weitere an: In diese Zeit fallen die Herausgeberschaft eines vergleichbar zugeschnittenen Bandes zum Übernahmerecht (1992), das den wohl wichtigsten Streitgegenstand im Europäischen Gesellschaftsrecht in den 90er Jahren bilden wird, und in diese Zeit fällt auch die weitere Beschäftigung mit der Corporate Governance, nunmehr mit den immer stärker in den Vordergrund tretenden Institutionellen Investoren (1994). Nicht so erfolgreich – auch langfristig – ist wohl einzig Hopts Bemühen um ein Europäisches Konzernrecht, das ebenfalls in dieser Zeit anhebt, aber erst in der Hamburger Zeit zur Reife gelangt.7 6 Nach der heroischen Zeit der sich entwickelnden principal agent theory und Informationsökonomie in den 70er Jahren vgl. vor allem: Williamson, The Economic Institutions of Capitalism (1985); Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law (1991); sowie, allgemeiner, natürlich auch Posner, Economic Analysis of Law (1. Aufl. 1973). 7 Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing – Law and Practice (1991); dies. (Hrsg.), European Takeovers – Law and Practice (1992); Baums/Buxbaum/Hopt (Hrsg.), Institutional Investors and Corporate Governance (1994); Forum Europaeum Konzernrecht, Konzernrecht für Europa, ZGR 1998, 672–772 = Corporate Group Law for Europe, 2000 (mit Hommelhoff/Lutter/Doralt/Druey/Wymeersch).

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In seiner Münchener Zeit schreibt Hopt auch seine erste Großkommentierung, zum Kreditrecht im Staudinger, mit seinem ersten Schüler, Peter Mülbert (dazu unten III.4.). In die Münchener Zeit fallen auch die ersten drei Habilitationen von Schülern, auf Mülbert folgen Stefan Grundmann und Marina Wellenhofer.8 Das ist bereits in einer Phase neuerlichen Aufbruchs: 3. Direktor am Max-Planck-Institut Die letzten 15 Jahre seiner aktiven Karriere wirkte Klaus J. Hopt als Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht – er selbst fügte gerne und für die Rechtsentwicklung adäquat hinzu: und Wirtschaftsrecht. Im Rückblick bezeichnete Hopt die Entscheidung, nach Hamburg zu gehen, als „die beste Berufsentscheidung in meiner akademischen Laufbahn“.9 Parallel lehrt er seit 1996 an der dortigen Universität, und auch in Hamburg fühlt sich Hopt privat sehr wohl, doch bleibt bei Herrn und Frau Hopt stets die Liebe zu München und zum Süden fühlbar. Alles verstärkt sich. Nochmals stärker werden vor allem die Vernetzung seiner wissenschaftlichen Gebiete, die Bedeutung seiner Wissenschaftsgestaltung und der Einfluss in der Gesetzgebung. Wenige Worte müssen für diese Phase genügen, vielleicht auch weil die Münchener Schüler selbst inzwischen Ordinarien sind und alles mehr aus der Ferne beobachten: Wie sich die wissenschaftlichen Gebiete noch weiter vernetzen, wird für einzelne Gebiete näher zu zeigen sein. Exemplarisch jedoch steht hierfür die (Corporate) Governance-Forschung. Deren Ansatz ist ja gerade „ganzheitlich“, die Verbindungen betonend: zwischen Organisations- und Kapitalmarktrecht, aber auch Bank- und sogar Arbeitsrecht; zwischen allen beteiligten Methoden; zwischen den verschiedenen Länderperspektiven; und nicht zuletzt auch zwischen der materiellrechtlichen Sicht einerseits und der Regelsetzungsperspektive andererseits. Diese ganzheitliche, vernetzte Sicht, die Hopt schon immer pflegte, das Interesse für die Corporate Governance, zu der Hopt schon vorher Einzelaspekte aufgegriffen und die genannten Werke herausgegeben hatte – all dies gelangt jetzt gänzlich zur Blüte: Diese Diskussionsrichtung kommt in Europa für das Gesellschaftsrecht machtvoll zum Durchbruch durch den breit interdisziplinär, international und gebietsüber-

8 Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt – Die Aktionärsrechte bei Bildung und Umbildung einer Unternehmensgruppe zwischen Verbandsund Anlegerschutzrecht (1995); Grundmann, Der Treuhandvertrag – insbesondere die werbende Treuhand (1997); Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht (1999). 9 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Stabwechsel – Ansprachen aus Anlass des Wechsels im Direktorium (9.9.2009), S. 21.

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greifend konzipierten, theoretisch ebenso wie empirisch angelegten Band zur „Comparative Corporate Governance – the State of the Art and Emerging Research“ (1998). Publiziert wird er bei Europas erster Publikationsadresse, Oxford University Press, deutlich über 1200 Seiten lang. Bald darauf wirkt Hopt maßgeblich bei der Gründung des European Corporate Governance Institute mit (Inaugural Fellow 2002 und ab 2005 Vorstandsmitglied), und feiern seine Schüler ihn und seinen 60. Geburtstag mit einem Festkolloquium zur „Europäischen Corporate Governance“.10 Nochmals ungleich stärker wird auch die Rolle Hopts als Wissenschaftsgestalter. Er wird Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2002–2008), dann Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates der MaxPlanck-Gesellschaft (2003–2006), und ist maßgeblich und feinfühlig beteiligt an Abstimmung und Koordinationsbemühungen zwischen diesen beiden Spitzenvereinigungen der deutschen Wissenschaft auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Darüber hinaus wird Hopt Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages (2000–2006), und begleitet als wissenschaftlicher Beirat, Mitgründer oder in ähnlichen Funktionen das Deutsche Aktieninstitut, die Alexander v. Humboldt- und die Thyssen-Stiftung, das bereits erwähnte European Corporate Governance Institute und manche mehr. 1997 wird Hopt (Mit-)Herausgeber der Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (ZGR), damit verbunden auch Mitgestalter der ZGR-Tagungen und -Strategie. 1995– 2001 ist er Mitglied der neu eingerichteten Übernahmekommission, 2002– 2007 dann des Übernahmerates und parallel (2002–2010) der Börsensachverständigenkommission, die – arbeitsteilig – für das sich rasant entwickelnde Kapitalmarktrecht eine ähnliche Rolle spielen wie die Monopolkommission für das Wettbewerbsrecht, die Hopts Vorgänger am Max-Planck-Institut, Ernst-Joachim Mestmäcker, 1973–78 als Gründungsvorstand leitete. Und es erhöht sich auch die Zahl der Habilitanden nochmals erheblich: Hanno Merkt, Brigitte Haar, Harald Baum, Jan v. Hein, Thomas v. Hippel, Markus Roth.11 10 Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Hrsg.), Comparative Corporate Governance – the State of the Art and Emerging Research (1998); kurz zuvor bereits Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Comparative Corporate Governance – Essays and Materials (1997); www.ecgi.org (zuletzt abgerufen am 9.6.2010); Grundmann/Mülbert (Hrsg.), Festheft Klaus J. Hopt: Corporate Governance – Europäische Perspektiven, ZGR 2001, 215–324 = Corporate Governance – European Perspectives, International and Comparative Corporate Law Journal 4/2000 (in dedication to Klaus J Hopt), 413–502. 11 Neben diesen formellen abgeschlossenen Habilitationen vgl. noch die weiteren Schüler unten IX. Die Themen der Habilitationen sind: Merkt, Unternehmenspublizität – Offenlegung von Unternehmensdaten als Korrelat der Marktteilnahme (2001); Haar, Die Personengesellschaft im Konzern – Privatautonomie zwischen Vertrag und Organisation (2006); v. Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland (2008); v. Hippel, Grundprobleme von Nonprofit-Organisationen – eine zivilrechtsdogmatische, steuerrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung über Strukturen, Pflichten und Kontrollen und wirtschaftliche Tätigkeit von Vereinen und Stiftungen (2007); M. Roth,

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Nicht zuletzt verstärkt ist auch nochmals sein Einfluss in der Gesetzgebungsberatung. Die deutsche Börsenrechtsreform beeinflusst Hopt nicht mehr nur, er bestimmt jetzt die Leitlinien mit seiner rechtsvergleichendinterdisziplinär angelegten Studie.12 Die wichtigen Finanz- und Kapitalmarktgesetze bis hin zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz begleitet er regelmäßig als Sachverständiger in den Anhörungen. Und für Europa wirkt er als das deutsche Mitglied in der High Level Group.13 Diese schafft nicht nur den Durchbruch für ein Europäisches Übernahmerecht, sondern setzt die Agenda für das Europäische Gesellschaftsrecht bis heute. Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre und jedenfalls seit 2002 kann ohne Übertreibung konstatiert werden, dass praktisch alle maßgeblichen Entwicklungen im Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht von Hopt strukturiert, gelenkt oder stark gefördert werden. Zunehmend weisen Projekte jedoch auch wieder weit über das Unternehmens- und Kapitalmarktrecht hinaus, Projekte des Max-Planck-Instituts allgemein, etwa zur Verbandsklage, zur gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft und zuletzt zu einem Europäischen Stiftungsrecht und Recht der Nonprofit-Organisationen.14

Private Altersvorsorge – Betriebsrentenrecht und individuelle Vorsorge – eine rechtsvergleichende Gesamtschau (2009); und bei Baum handels- und wirtschaftsrechtliche Arbeiten sowie insbesondere japanisches Recht. 12 Hopt/Rudolph/Baum (Hrsg.), Börsenreform – eine ökonomische, rechtsvergleichende und rechtspolitische Untersuchung (1997) (das Herzstück darin das Gutachten Hopt/Baum, Börsenrechtsreform in Deutschland, in: Hopt/Rudolph/Baum aaO., S. 287– 467); Hopt/Baum, Börsenrechtsreform – Überlegungen aus rechtsvergleichender Perspektive, WM-Sonderbeil. 4/1997, 1–20. 13 High Level Group I/II, Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten vom 10.1.2002 und Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4.11.2002, abrufbar unter http://ec.europa.eu/international_market/company/docs/ modern/report_de.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2010); dazu etwa Group of German Experts on Corporate Law, Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts – Stellungnahme zum Konsultationsdokument der High Level Group of Experts on Corporate Law, ZIP 2002, 1310. 14 Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß – Verbandsklage und Gruppenklage (1999); Basedow/Hopt/Kötz/Dopffel (Hrsg.), Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften (2000); Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa – Stiftungsrecht und Stiftungsrechtsreform in Deutschland, den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Schweiz, Liechtenstein und den USA (2001); Hopt/v. Hippel/Walz (Hrsg.), Nonprofit-Organisationen in Recht, Wirtschaft und Gesellschaft – Theorie, Analysen, Corporate Governance (2005); Hopt/Walz/v. Hippel/Then (Hrsg.), The European Foundation – A New Legal Approach (2006). Feasibility Study on a European Foundation Statute, Final Report (for the European Commission) (Brüssel 2009), http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/eufoundation/ feasibilitystudy_en.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2010).

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Vier Ehrendoktorwürden – an den Universités „Libre de Bruxelles“ (1997), „Catholique de Louvain“ (1997) und „Paris René Descartes“ (2000) sowie an der Universität Athen (2007) – werden Hopt verliehen und neben vielen weiteren Ehrungen das Bundesverdienstkreuz I. Klasse (7. April 2009). Jüngst wurde Hopt in die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) gewählt. Gastprofessuren führen ihn jetzt (außer nach Italien) vor allem in die USA. Er wird dort als einer der großen europäischen Gesprächspartner wahrgenommen, eine Schülerin, Katharina Pistor, lehrt prominent an der Columbia University. Unter Hopts Gastprofessuren stechen jetzt hervor diejenigen an der Harvard Law School und mehrfach an „seiner“ New York University (Global Law School), aber auch an der Columbia University (New York) und jetzt mehrfach an der Université Paris II (Panthéon-Assas). Die Gastprofessuren haben im letzten Jahrzehnt nochmals deutlich gesteigertes Gewicht.

III. Kapitalmarktrecht, Bankrecht15 1. Die Habilitation zum kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutz Das Kapitalmarktrecht stand am Anfang. Vor Hopt – parallel zu seiner Habilitation (Fn. 1) und auch noch erhebliche Zeit danach – war (auch) das „investment banking“ vor allem als Bankvertragsrecht verstanden worden.16 Das Kreditwesengesetz wurde zwar für die Definitionen herangezogen. Das Spezifikum einer intensiven Interdependenz zwischen marktordnenden und vertragsrechtlichen Elementen, zwischen Aufsichts- und Börsenrechten einerseits und Vertrags- und Transaktionsrecht andererseits, und auch die stringente Ausrichtung aller Betrachtungen an einem überwölbenden Generalziel, dem Anlegerschutz, sind jedoch nirgends auch nur annähernd so stark und prägend für die Darstellung wie bei Hopt (vor allem §§ 2–4 und 7 bzw. §§ 6, 9 und 13 f. der Habilitation). Wer heute die Fülle an Literatur und die intensive höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage sieht, ob nun die Maßstäbe des Wertpapierhandelsrechts (WpHG) – und der zugrunde liegenden EG-Finanzmarktrichtlinie – nur aufsichtsrechtlicher Natur seien oder auch Rechte von Privatrechtssubjekten begründen,17 erkennt zugleich, wie 15 Ausführliches Schriftenverzeichnis in: Grundmann/Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus Hopt (2010), S. 3369–3424. 16 Vgl. etwa Schönle, Bank- und Börsenrecht (2. Aufl. 1976) und die große Kommentierung von Canaris, Bankvertragsrecht (2. Aufl. 1981; Sonderausgabe aus dem Großkommentar zum HGB). 17 Vgl. (auch zum Meinungsstand) BGHZ 142, 345, 356 = NJW 2000, 359, 361 f.; BGH, NJW-RR 2004, 484, 484; BGH, NJW 2008, 1734; und unter den Schülern Hopts etwa: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Grundmann, HGB-Kommentar, Band 2 §§ 373–475h Transportrecht Bank- und Börsenrecht (2. Aufl. 2009), Rn. BankR VI 269 f.; Kumpan/Hell-

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überragend wichtig die Frage nach dem Verhältnis zwischen beiden genannten Regelungsbereichen auch für die Praxis ist. Doch noch weitergehend handelt es sich um eine, wenn nicht die Grundfrage in einer auf Marktordnung fußenden freien Marktwirtschaft und ihrem Rechtssystem: Privatautonomie und Regulierung in ihrem Spannungsverhältnis zueinander.18 Ein zweites fällt auf: Hopt bildet sein Konzept eines kohärenten Rechtsgebiets Kapitalmarktrecht unter Fokussierung auf den „Schlüsselspieler“ aus, geht also weniger von den Normen aus als vom Hauptakteur. Das sind die Banken, denn sie beherrschen den Handel in den Sekundärmärkten, aber auch schon das Emissionsgeschäft und damit die Primärmärkte. Deren „Governance“ steht im Mittelpunkt. Und, drittens und wohl am wichtigsten, mit dieser Entwicklung eines Kapitalmarktrechts wird aus einem bankrechtlichen Teilgebiet mit einigen, bis dahin wenig ausgeformten Grundsätzen, in der Gesamtsicht und vor allem in der Herausstellung eines zentralen Schutzziels, des Anlegerschutzes, ein ganzes Rechtsgebiet entwickelt.19 Unter dem Leitbild des Anlegerschutzes wird das Kapitalmarktrecht gedacht. Der eigentliche Schritt ist der über die Teilgebiete hinaus, über das Börsenrecht und über das bankrechtrechtliche Teilgebiet Emissions- und Effektengeschäft hinaus. Die Entwicklung eines Kapitalmarktrechts ist vor allem aus einem Grunde so wichtig: Sie steht für zwei sehr bedeutsame Perspektivenwechsel für das gesamte Unternehmensrecht, mit über die Jahrzehnte stetig wachsender Dynamik: Das ist zum einen der Übergang von einem Unternehmertum, das primär fremdkapitalfinanziert arbeitete, zu einem Unternehmertum, für welches das Eigenkapital absolut zentral geworden ist – finanziell, aber ebenso sehr vom Image her. Juristisch gewendet: Zum Gesellschaftsrecht als Organisationsrecht und Herz des Unternehmensrechts trat – als zweites Bein – das Kapitalmarktrecht, heute das Herzstück des Gesellschaftsaußenrechts bei den großen Gesellschaften, ein Recht, das vor allem Transparenz für die Ingardt, Haftung der Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Umsetzung der EURichtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), DB 2006, 1714, 1715; Mülbert, Anlegerschutz bei Zertifikaten – Beratungspflichten, Offenlegungspflichten bei Interessenkonflikten und die Änderungen durch das Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG), WM 2007, 1149, 1156 f.; Rothenhöfer, Interaktion von Aufsichts- und Zivilrecht, in: Baum/Fleckner/Hellgardt/ Roth (Hrsg.), Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung (2008), S. 55–84. 18 Vgl. zuletzt Grundmann, Welche Einheit des Privatrechts? – Von einer formalen zu einer inhaltlichen Konzeption des Privatrechts, in: Grundmann/Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus Hopt (2010), S. 61–91. 19 Sicherlich nicht ganz ohne Vorbilder in Deutschland: vgl. vor allem Kohl/Kübler/ Walz/Wüstrich, Abschreibungsgesellschaften, Kapitalmarkteffizienz und Publizitätszwang – Plädoyer für ein Vermögensanlagegesetz, ZHR 138 (1974), 1–49. Und bald auch von der wirtschaftsrechtlichen Flanke her überzeugend gestützt durch: Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht – Entwicklungslinien, Prinzipien und Fortbildung des Anlegerschutzes, zugleich ein Beitrag zur Überlagerung bürgerlich-rechtlicher Regelung und gewerbepolizeilicher Überwachung durch Wirtschaftsrecht (1979).

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vestitionsentscheidungen der Anleger schaffen soll.20 Wirtschaftspolitisch gewendet bedeutet dies auch einen Wandel von einer Wirtschaftsordnung, die mit dem Begriff Deutschland-AG umschrieben und als allzu verflochten eingestuft wurde, hin zu einer für das globale Umfeld stark aufgestellten Wirtschaft, in der die Unternehmen eine offenere, stärker (kapital-)marktorientierte Finanzverfassung aufweisen. All dies bedeutet zugleich einen grundlegenden Umbruch auch für zahlreiche Fragen des Innenlebens der Gesellschaft, namentlich für den Rahmen von Entscheidungsfindung in der Gesellschaft. Angestoßen wird damit zugleich ein spezielles Gesellschaftsinnen-, d.h. -organisationsrecht für börsennotierte Gesellschaften, das sog. Börsengesellschaftsrecht (dazu unten 3.). Das alles bedeutet nicht weniger als die Verknüpfung der zentralen Organisationsformen „Firm and Market“, Organisation und Vertrag, innen und außen. Damit zusammen hängt ein zweiter, facettenreicher Perspektivenwechsel: Ohne Kapitalmarktrecht keine so ausgeprägte internationale, globale Perspektive, ohne Kapitalmarktrecht keine so starke Governance-Orientierung (Fn. 7 und 10 und unten V.1.) und damit auch Orientierung an alternativen Regelungstechniken, ohne Kapitalmarktrecht keine so prononcierte Wettbewerbsperspektive zwischen Märkten und Regelsetzern. 2. Die Durchsetzung des kapitalmarktrechtlichen Schutzziels in Rechtswissenschaften und Gesetzgebung War mit Hopts Habilitation das Kapitalmarktrecht in den Rechtswissenschaften als eigenes und breites Rechtsgebiet gedacht – über eine Teildisziplin des Bankrechts ausgreifend und nicht nur auf ein Börsenrecht beschränkt –, so gab es hierfür natürlich in anderen Ländern Vorbilder. Freilich gingen diese auch eher dahin, dass dort ungleich besser entwickelte Kapitalmarktrechte bestanden, namentlich in den USA, in Großbritannien, aber auch in Frankreich, weniger dahin, dass die wissenschaftliche Diskussion des Gesamtgebiets, nicht nur von Teilaspekten, voll entwickelt gewesen wäre. Hier leistete die International Faculty of Corporate and Capital Market Law, der Kübler und Hopt als deutsche Mitglieder schon früh und sehr aktiv angehörten, seit 1975 einen bedeutenden, genuin internationalen Beitrag. Neben der Habilitation legte Hopt bald einen ausführlichen, zweiteiligen Beitrag in der ZHR vor, der dem Gedanken Breitenwirkung verlieh (Fn. 1). In der Folgezeit entstanden mehrere große Habilitationen, zunächst die (noch eher parallel entstandene) Arbeit von Schwark (Fn. 19), dann jedoch vor allem diejenige zur Prospekthaftung von Assmann, die in Ansatz und Methode viel

20 Zentral hierauf fokussiert unter den Habilitationen, die Hopt betreute, und Standard setzend: Merkt (Fn. 11).

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dem Hopt’schen Werk verdankt.21 Spätestens Anfang der 90er Jahre ist das Rechtsgebiet auch in den deutschen Rechtswissenschaften breit verankert, wird in Teilaspekten ausgearbeitet, bis hin in die europa- und internationalprivatrechtliche Theorie hinein.22 Dies ist auch die Folge einer intensiveren Berücksichtigung in der Gesetzgebungsentwicklung. Hopts Einfluss auf gesetzgeberische Prozesse hebt an mit seinem – wenn auch kurzfristig noch nicht erfolgreichen – Gutachten für den 51. Deutschen Juristentag 1976 (Fn. 1), das vor allem die grauen Kapitalmärkte in den Blick nahm, für die sich lange Zeit nur eine Prospekthaftung durch Rechtsprechung entwickelte, nicht eine Prospektpflicht. Diese wurde erst mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz von 2005 in § 8f Abs. 1 Verkaufsprospektgesetz eingeführt. Deutlich früher erfolgreich war ein Anliegen, das Hopt schon 1973 monographisch formuliert hatte: 1989 wurde die EG-Insiderhandels-Richtlinie erlassen, Deutschland hatte seinen langjährigen Widerstand aufgegeben. Hopt hatte das Gebiet durch Abdruck und Kommentierung der nur konsensual einzuführenden (deutschen) Insiderhandels-Richtlinien im Baumbach/Hopt breiter ins Bewusstsein gebracht.23 Letztlich hatte sich der alte Gedanke, Insiderhandel sei ein „victimless crime“, weil an anonymen Börsen die Transaktionen ohnehin stattgefunden hätten, also schließlich niemand geschädigt werde, nicht halten lassen: Vielmehr war umgekehrt zunehmend herausgearbeitet worden, dass Insiderhandel insgesamt Anlegervertrauen, vor allem auch Vertrauen von Intermediären, untergräbt und mit den daraus resultierenden Risikoaufschlägen die Kapitalaufnahme für Emittenten insgesamt verteuert.24 Erstmals war ein zen21 Assmann, Prospekthaftung – als Haftung für die Verletzung kapitalmarktbezogener Informationsverkehrspflichten nach deutschem und US-amerikanischem Recht (1985). 22 Vgl. etwa Assmann/Buck, Europäisches Kapitalmarktrecht, EWS 1990, 110, 190 und 220; Grundmann, Europäisches Kapitalmarktrecht, ZSR 115 n.F. (1996), 103–149; ders., Deutsches „Anlegerschutzrecht“ in internationalen Sachverhalten – vom internationalen Schuld- und Gesellschaftsrecht zum internationalen Marktrecht, RabelsZ 54 (1990), 283– 322; Kiel, Internationales Kapitalanlegerschutzrecht – zum Anwendungsbereich kapitalanlegerschützender Normen im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Recht (1994); Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht: Das Kollisionsrecht der Gesellschaften und sein Verhältnis zum internationalen Kapitalmarktrecht und zum internationalen Unternehmensrecht (1996). 23 Richtlinien für Insidergeschäfte in börsenotierten oder öffentlich angebotenen Aktien (Insiderhandels-Richtlinien) vom 1.7.1976, in einer Reihe von Auflagen des Baumbach/ Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch (Kommentar) abgedruckt unter (16), so etwa in der 26. Aufl. von 1985. 24 Zur Qualifikation als „victimless crime“: Manne, Insider Trading and Property Rights in New Information, The Cato Journal 4 (1985), 933, 937. Zur genannten Begründung des Verbots: Amihud/Mendelson, Liquidity and Asset Prices: Financial Management Implications, Financial Management 17 (1988), 5, 11 (Vertrauensschwund bei den Händlern); Fenn/ McGuire/Prentice, Information Imbalances and the Securities Markets, in: Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing (Fn. 7), S. 3, 8; Schmidt, Insider Regulation and Economic Theory, in: Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing (Fn. 7), S. 21,

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trales rechtspolitisches Anliegen umfassend durchgesetzt, das (jedenfalls in Deutschland) vor allem mit dem Namen Klaus Hopt verbunden wurde. Zeitgleich war ein zweites großes rechtspolitisches Thema entstanden, die Frage nach einer Regelung des Übernahmerechts. Wieder formulierte Hopt früh – und zeitweise als extreme Mindermeinung – die beiden Hauptthesen, die sich letztlich in der EG-Übernahme-Richtlinie durchsetzten: die Notwendigkeit eines Pflichtangebots, das an alle Aktionäre zu ergehen hatte, um ihnen Gleichbehandlung zu verbürgen, und die Notwendigkeit einer Neutralitätspflicht des Vorstandes in Übernahmesituationen. Lange war in Deutschland argumentiert worden, das deutsche Konzernrecht gewähre hinreichenden Schutz, einer europäisierten Konzerneingangskontrolle bedürfe es jedenfalls für Deutschland nicht. Die Rechtsentwicklung verlief anders, wenn auch in puncto Neutralitätspflicht (noch) nicht gänzlich erfolgreich im Sinne der Anliegen Hopts, weil die Richtlinie insoweit ein Mitgliedstaatenwahlrecht enthält (Art. 12).25 Hier nun war Hopt selbst unmittelbar am Gesetzgebungsprozess beteiligt, als das deutsche Mitglied der High Level Group, der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten und über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa (Fn. 13). Diese unterstrich einerseits für das Übernahmerecht nochmals intensiv die Notwendigkeit einer Regulierung vor allem in den genannten beiden Punkten und gab andererseits auch langfristig die Linien vor: Denn dieser Bericht und der darauf aufbauende Aktionsplan der EG-Kommission von 2003 sollten recht eigentlich die Agenda für die Fortentwicklung des Unternehmens- und Kapitalmarktrechts in Europa bis heute setzen. Längst war aus dem Kapitalmarktrecht das gesamte Unternehmensrecht geworden: 24 ff., 26 ff. Aus Hopts Werk im unmittelbaren Umfeld mit der Verabschiedung und Umsetzung der Richtlinie: Hopt, Europäisches und deutsches Insiderrecht, ZGR 1991, 17–73; ders., Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapierhandelsgesetz – insbesondere Insidergeschäfte und Ad-hoc-Publizität, ZHR 159 (1995), 135–163; ders., The European Insider Dealing Directive, CMLR 27 (1990), 51–82; Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing (Fn. 7). 25 Zur intendierten Disziplinierungswirkung von Übernahmen vgl. Nachw. unten Fn. 28. Aus Hopts Werk vor allem: Hopt, Übernahmeangebote im europäischen Recht, in: Löwisch (Hrsg.), Festschrift für Fritz Rittner zum 70. Geburtstag (1991), S. 187–209; ders., Aktionärskreis und Vorstandsneutralität, ZGR 1993, 534–566; ders., Europäisches und deutsches Übernahmerecht, ZHR 161 (1997), 368–420; ders., Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen – zur aktien- und übernahmerechtlichen Rechtslage in Deutschland und Europa, in: Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag (2000), S. 1361–1400; ders., Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, ZHR 166 (2002), 375–432; Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Takeovers (Fn. 7). Ausführliche Darstellung beider Kernpunkte der Regelung und der Rechtssetzungsentwicklung etwa in Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht – eine systematische Darstellung unter Einbeziehung des Europäischen Kapitalmarktrechts (2004), Rn. 922, 926–928, 936–952, 957–973.

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3. Ausstrahlung ins Unternehmensrecht In der Tat zählt zu den wichtigsten Entwicklungen des Gesellschaftsrechts der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, dass sich zunehmend auch für das Gesellschaftsinnen-, d.h. das Gesellschaftsorganisationsrecht unter den Kapitalgesellschaften eine neue Rechtsform etablierte: die börsennotierte Aktiengesellschaft. Denn für sie entwickelt sich mit dem sog. Börsengesellschaftsrecht ein spezielles, nur für sie geltendes Gesellschaftsorganisationsrecht. In Deutschland bildet das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) von 1998 eine besonders wichtige Etappe, etwa mit der Einführung eines Verbots von Höchststimmrechten speziell in börsennotierten Gesellschaften (§ 134 Abs. 1 S. 2 AktG). Der Begriff eines Börsengesellschaftsrechts wurde zwar in der Schweiz geprägt und diskutiert wurde ein solches natürlich in mehreren Ländern, etwa auch sehr prominent in Italien.26 Dennoch ist gerade im Umfeld Hopts, speziell auch unter seinen Schülern, dieser Gedanke sehr prägend, er wurde hier breit entwickelt und ganz besonders früh gedacht.27 Gerade für das Europäische Gesellschaftsrecht kann sogar konstatiert werden, dass im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends eigentlich fast nur an einem Börsengesellschaftsrecht gearbeitet wird, nicht mehr an der Harmonisierung des Aktien- oder allgemein des Kapitalgesellschaftsrechts: Börsengesellschaftsrecht sind gleichermaßen die EG-Übernahme-Richtlinie, die EG-IFRS-VO und die EG-Aktionärsrechte-Richtlinie, also die drei großen Rechtsakte des Jahrzehnts (vgl. Fn. 27). Deutlich wird an all dem, dass gerade das Übernahmerecht insoweit auf Europäischer Ebene eine führende Rolle spielte. Es steht in besonderem Maße zwischen Kapitalmarktrecht – das Angebot wird bei der feindlichen Übernahme öffentlich, über die Kapitalmärkte gemacht – und Gesellschaftsorganisationsrecht: Denn das Übernahmepotential wird als eines der wich-

26 Nobel, Börsengesellschaftsrecht? Aktienrecht 1992–1997 – Versuch einer Bilanz, in: Büren (Hrsg.), Versuch einer Bilanz: Zum 70. Geburtstag von Rolf Bär (1998), S. 301–309; Oppo, Sulla „tipicità“ delle società quotate, Rivista di Diritto Civile 1999 II, 483–493; Weigmann, Aspekte des italienischen Gesellschaftsrechts unter besonderer Berücksichtigung der börsennotierten Aktiengesellschaft als eines neuen Gesellschaftstyps, in: Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag (2000), S. 203–212. 27 Unter seinen Schülern (bzw. „Enkeln“): Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt – Die Aktionärsrechte bei Bildung und Umbildung einer Unternehmensgruppe zwischen Verbands- und Anlegerschutzrecht (1995); Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im markoffenen Verband (2007); speziell für das Europäische Gesellschaftsrecht: Grundmann (Fn. 25), Rn. 5 f., ders., European Company Law – Organization, Finance and Capital Markets (2007), Rn. 5 f., 1310–1315; und Hopt ebenfalls nahe stehend: Kalss, Anlegerinteressen – der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband, und Markt (2001); früh aus Hopts eigener Generation: Schwark, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht, in: Lutter/Mertens/Ulmer (Hrsg.), Festschrift für Walter Stimpel zum 68. Geburtstag am 29. November 1985 (1985), S. 1087–1111.

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tigsten Disziplinierungsinstrumente für das Management gesehen,28 etwa neben dem Stimmrecht der Aktionäre, der Haftung und anderen klassischen Instrumenten des Kapitalgesellschaftsrechts. Und das Übernahmerecht ändert Kompetenzen und Abstimmungsregeln, jedenfalls während der Laufzeit des Angebots, ggf. auch nach erfolgreichem Abschluss (mittels der sog. Durchbruchsregel) und auch schon in der vorangegangenen Phase, etwa durch besondere Ausformung der Treuepflicht (vgl. Fn. 25) oder auch durch Verbot übernahmebehindernder Gestaltungen.29 Kaum verwundern kann es angesichts dieser Entwicklungen, dass das Thema Börsengesellschaftsrecht dann allgemein zum Thema eines der großen wissenschaftlich-rechtspraktischen Foren gemacht wurde, dies auf dem 67. Deutschen Juristentag 2008; Hopt ist in der Vorbereitungszeit Mitglied der Ständigen Deputation.30 4. Bankrecht Fast schon wie ein Exkurs im Bericht über Hopts Werk wirkt das Bankrecht selbst, und doch könnte es allein schon als ein Lebenswerk gelten: Die Habilitation, die das beschriebene große Programm aufblätterte, galt ja einem bestimmten Schutzziel – dem Kunden- genauer: dem Anleger-

28 Klassisch etwa Coffee, Regulating the Market for Corporate Control – a Critical Assessment of the Tender Offer’s Role in Corporate Governance, Colum.L.Rev. 84 (1984), 1145–1296; Easterbrook/Fischel, Corporate Control Transactions, Yale L.J. 91 (1981/82), 698–737; Manne, Mergers and the Market for Corporate Control, J.Pol.Econ. 73 (1965), 110, bes. 114–120; Winter, Government and the Corporation (1978), S. 16–28; heute vor allem Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law (2. Aufl. 1996), bes. S. 124–132; Grossmann/Hart, One Share – One Vote and the Market for Corporate Control, Journal of Financial Economics 20 (1988), 175–202; Scharfstein, The Disciplinary Role of Takeovers, Review of Economic Studies 55 (1988), 185–200; Zwiebel, Block Investments and Partial Benefits of Corporate Control, Review of Economic Studies 62 (2) (1995), 161– 185; und die Beiträge in: Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Fn. 10), S. 639–697; unter Hopts Schülern etwa Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen – Eine juristische und ökonomische Analyse (1991), S. 128–132. 29 Hierher zählen – neben solchen Regeln wie § 134 Abs. 1 S. 2 AktG – die Vorgaben, die der EuGH in seinen Golden-Shares-Urteilen gemacht hat. Übersicht dazu etwa in Grundmann, European Company Law (Fn. 27), Rn. 667–677. 30 Zur Diskussion um das Börsengesellschaftsrecht auf dem Deutschen Juristentag 2008, vgl. Bayer, Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 67. DJT (2008), Bd. I, E5, E81–E87 und E96–E98; Spindler, Regeln für börsennotierte vs. Regeln für geschlossene Gesellschaften – Vollendung des Begonnenen?, AG 2008, 598, 598–603; Windbichler, Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, JZ 2008, 840, 842 f. und 846; parallel in Österreich Schauer/ Kalss, Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, 16. ÖJT Bd. II/1 2006, bes. S. 51–65.

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schutz – „im Recht der Banken“. Dass Hopt damit nicht „nur“ Bankrechtler geworden ist, liegt schlicht daran, dass er das, was als Bankrecht des Effektengeschäfts oder Wertpapierhandels konzipiert hätte werden können, ungleich breiter als „Kapitalmarktrecht“ verstand und im Bewusstsein der deutschen Rechtswissenschaften verankerte. Unter den drei großen Bankgeschäften – dem Zahlungsgeschäft, dem Kreditgeschäft (beide zusammengefasst im sog. „commercial banking“) sowie dem Emissions- und Effektengeschäft („investment banking“) – hat die Habilitation sichtlich das zuletzt genannte zum Gegenstand. Betrachtet man Hopts Kommentierungstätigkeit, so rundet sich das Bild jedoch bald ab. Denn eine der signifikanten Neugestaltungen im Baumbach/Hopt ging dahin, in diesen HGB-Kommentar auch das Bankrecht einzubeziehen, vor allem das Recht des Zahlungsverkehrs (und einiger weiterer Nebengesetze), dieses also über 30 Jahre hinweg dauerhaft kommentierend zu begleiten – bis hinein in die Klauselwerke des Zahlungsverkehrs. Und das Kreditgeschäft wurde am Ende des gleichen Jahrzehnts, in dem Hopt den Baumbach erstmals neu herausgebracht hatte, zum Gegenstand der umfassenden Großkommentierung im Staudinger.31 Im Zuschnitt unterscheidet sich diese Kommentierung vor allem in einem signifikant von der letzten herausragenden Großkommentierung im Bankrecht, derjenigen von Canaris (Fn. 16). Wie schon in der Habilitation, verbindet Hopt (mit Mülbert) intensiv Bankvertragsrecht und Regulierung, Nationales und Internationales, gestaltet den Kommentar also als ungleich breiter wirtschafts- und auch internationalrechtlich. Hinzu kommt die Gestaltung des Bankrechts, seiner Diskussionsplattformen und auch seiner Normen. Dies geschieht insbesondere in zwei signifikanten Weisen: Zum einen schuf Hopt federführend – gemeinsam mit Walther Hadding – die Bankrechtliche Vereinigung, die Wissenschaft und Praxis seit 1990 jährlich zusammen bringt, die wichtigsten aktuellen Themen jährlich breit diskutiert und sich mit fast 1000 Mitgliedern als die dauerhafte Diskussionsplattform in diesem Bereich etabliert hat. Vorangegangen war die Aufnahme in den Herausgeberbeirat der Wertpapier-Mitteilungen als der großen bankrechtlichen Fachzeitschrift (seit 1985). Auf anderen wichtigen Foren, etwa im Bankrechtlichen Handbuch, wirkte er zwar nicht federführend, doch an prominenter Stelle mit, dort etwa mit der Darstellung des Gesamtrahmens der Bank-Kunden-Beziehung (§ 1). Zum anderen betrifft auch seine intensive gesetzgebungsberatende Tätigkeit das Bankrecht, mit Abstand am stärksten im kapitalmarktorientierten Bankrecht, also im Bereich Emissionsgeschäft und Wertpapierhandel (vgl. unten VII.2.). 31 Staudinger-Hopt/Mülbert, BGB (12. Aufl. 1989), Bankkreditrecht, Vorbemerkungen zu §§ 607 ff. BGB; Staudinger-Hopt/Mülbert, BGB (12. Aufl. 1988), Darlehen, §§ 607–610 BGB, zugleich Sonderveröffentlichung: Hopt/Mülbert, Kreditrecht – Bankkredit und Darlehen im deutschen Recht (1989).

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IV. Nationales und Internationales 1. Der Baumbach/Hopt Mit dem Baumbach/Hopt, damals dem Baumbach/Duden/Hopt, der Hopt für die 24. Auflage (1980) angetragen wurde, sind zahlreiche Thematiken im Lebenswerk Hopts angesprochen. Seither hat er ihn in insgesamt 11 Auflagen bis heute betreut, alle zwei bis drei Jahre, ein wenig verlangsamt zwischen 1990 und 2000, in den letzten vier Auflagen mit seinem Schüler Hanno Merkt.32 Es handelt sich um das erste große monographische Werk nach der Habilitation, das (sukzessiv) umfassend aus Hopts Feder stammt. Zudem handelt es sich um das einzige Werk, das ihn sein ganzes Leben kontinuierlich, in dichten Abständen, begleitet hat. Daher ist sein Zuschnitt so bedeutsam, um Hopts zentrale Anliegen zu erfassen. Um dieses zweite große Hauptwerk gruppiert sich also dieser zweite inhaltliche Abschnitt, der stärker die methodische Herangehensweise, den „Stil“ betrifft. Dieser Abschnitt ist dem durchaus auch bereits in der Habilitation angelegten Brückenschlag zwischen Nationalem und Internationalem gewidmet. Zugleich ist dieser Kommentar sicherlich auch herausragend aus Sicht des deutschen Handelsund Wirtschaftsrechts. Kein anderer Kommentar zum gesamten Handelsrecht, der weit ausgreift in die handelsrechtlichen Nebengesetze, stammt aus einer einzigen Hand, ist solchermaßen vollständig geprägt von einem einheitlichen Stil, der zudem in wichtigen Punkten sehr eigenständig und besonders ist. Dieser Kommentar ist in der Hand von Klaus Hopt zunächst einmal ungleich breiter geworden. Das Handelsrecht beschränkt sich nicht mehr nur auf das HGB, die handelsrechtlichen „Nebengesetze“ sind praktisch ebenso wichtig geworden, teils sogar wichtiger. Wie breit insbesondere das Bankrecht einbezogen wurde, wurde angesprochen. Dass das Handelsrecht – sachlich – so stark verbreitert wurde, hängt auch mit der für Hopt so prägenden Sicht des Handelsrechts zusammen, mit seiner Konzeption gerade auch als einem Recht zur Beherrschung von Gefahren, die von unternehmerischem Handeln ausgehen (vgl. schon oben III.1. und noch unten VI.). Im alten HGB ist das weniger angelegt als etwa im modernen Bankrecht. Mit dieser sachlichen Ausweitung einher geht eine ungleich stärkere Berücksichtigung

32 Baumbach/Hopt, HGB Kommentar (25. Aufl. 1983; 26. Aufl. 1985; 27. Aufl. 1987; 28. Aufl. 1989; [dazwischen die 1. Aufl. des Kurzkommentars Handelsvertreterrecht 1992]; 29. Aufl. 1995, [parallel dazu die erste Auflage Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts-, Bank- und Transportrecht, 1995]; 30. Aufl. 2000; 31. Aufl. 2003 [erstmals mit Merkt]; 32. Aufl. 2006; 33. Aufl. 2008; 34. Aufl. 2010 [parallel dazu die 1. Aufl. des Kurzkommentars Bilanzrecht 2010, des Teils im Baumbach/Hopt, den Merkt zunehmend verantwortet]).

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des Klauselrechts – neben dem Gesetzesrecht: Die Klauselwerke werden nicht mehr nur als ein Ausfluss von § 346 HGB gesehen, in der Kommentierung dieser Norm kurz angetippt und ansonsten übergangen. Vielmehr werden sie jetzt gesondert abgedruckt und selbst zum Gegenstand von Kommentierungen, ganz besonders wiederum diejenigen des Bankrechts, die AGB-Banken aber auch die Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive und -inkassi und andere. Und auch die Rechtsprechung, die Rechtspraxis, wird ungleich dominanter im Stil. So zahlreiche Thematiken mit diesem Kommentar auch im Werk Hopts angesprochen sind, so scheint doch eine (in Hopts eigenen Augen) als die vielleicht wichtigste und nochmals hervorzustechen: Der Kommentar wird – selbstverständlich – als einer zum nationalen Recht verstanden. Kaum ein deutscher Privat- und Wirtschaftsrechtler, der einen vergleichbaren internationalen Einfluss hat und mit höchster Intensität rechtsvergleichend, international gestaltend arbeitet, ist derart tief in der deutschen Rechtswissenschaft und -praxis verankert. Der Baumbach/Hopt prägt das nationale Handelsrecht. Schon manchen Praktiker sah ich verwundert, wenn ich Hopt nicht primär als den herausragenden nationalen HGB-Kommentator sehen wollte. Daneben treten später natürlich noch die Großkommentare zum Vorstand und zum Aufsichtsrat (mit Markus Roth), zum Kreditrecht (oben III.4.) und Monographien zu vielem mehr. Der Baumbach/Hopt jedoch stand am Anfang und auch weiterhin im Zentrum dieser allseits sichtbaren Verankerung, etwa auch in ZHR und ZGR. So sehr also der Baumbach/Hopt ein Monument des deutschen Rechts ist, so sehr ist er zugleich auch ein internationales Werk. Es gehört zu den Subtilitäten dieses Werkes, dass es das Internationale völlig selbstverständlich in die deutschen Rechtswissenschaften und die deutsche Rechtspraxis gleichsam „infiltrierte“: Der Baumbach/Hopt wurde, die Entwicklung in der Lebenswirklichkeit nachvollziehend, von einem nationalen zu einem in weiten Teilen auch internationalen Kommentar. Unvergessen bleibt für die ersten Schüler der Zeitpunkt, da das Bilanzrecht europäisiert und mit dem Bilanzrichtlinien-Gesetz 1985 ins HGB zurückgeführt wurde (in Kraft ab 1. Januar 1986). Hopt war einige Monate nicht mehr im Institut zu sehen, dann bildete der Baumbach/Hopt die erste zusammenhängende Darstellung im deutschen Kommentar- und Lehrbuchmarkt, die diesen gigantischen Schritt in der Europäisierung des Handels- und Gesellschaftsrechts im deutschen Recht aufbereitet hatte. 2. Die internationalen Werke und Herausgeberschaften – Anfänge Entscheidend für den Baumbach/Hopt ist die intensive Verbindung zwischen Nationalem und Internationalem. Das bedeutet freilich nicht, dass Hopt nicht sehr umfangreich auch allein oder weit überwiegend international im Zuschnitt geforscht und publiziert hätte. Große internationale Publika-

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tionen alternieren mit den wiederkehrenden Neuauflagen des Baumbach/ Hopt und anderer Lehrbücher bzw. Kommentare zum „deutschen“ Handels- und Unternehmensrecht – gleichsam oszillierend, nur in Hopts Denken selbst und in der Zusammensicht formt sich dann das Bild enger Verknüpfung. Im Nachhinein erscheint es als völlig „unausweichlich“, dass Hopt 1994/95 als Direktor ans Max-Planck-Institut berufen wurde – obwohl man ihn zuerst auf die andere Seite, in die Findungskommission gebeten hatte! Die Rechtsvergleichung hat ihn immer begleitet, in den Auslandsstudien, in der Habilitation, voll durchgebrochen ist dieses Element zuerst in seiner Mitarbeit in der International Faculty of Corporate and Capital Market Law, auf die Hopt viel Zeit verwandte, und dann in den Jahren seiner Berufung nach Florenz. Erste internationale Themenbände erschienen: einige bereits zu Themenausschnitten aus der Corporate Governance, zwei sehr wichtige, bereits in der Münchener Zeit, zum Insiderrecht und zum Übernahmerecht. Im Zeitraum von nur einer Dekade legte Hopt solchermaßen zwischen den frühen 80er und den frühen 90er Jahren sechs große Bände zu wichtigen internationalen Themen des Markt- und Unternehmensrechts als Herausgeber vor, darüber hinaus einen, querschnittartig konzipierten, als Autor. Es handelt sich um die Bände zur Europäischen Fusionskontrolle (1982), zum vergleichenden Konzernrecht (1982), zur Vorstandshaftung im Kontext der Corporate Governance (1985) (alle Fn. 5), zum Europäischen Insiderrecht (1991), zum Europäischen Übernahmerecht (1992) und zu den Institutionellen Investoren im Kontext der Corporate Governance (1994) (alle Fn. 7). Erinnert sei an dieser Stelle auch an den ersten rechtspolitischen Erfolg, den er mit dem Einführung eines Insiderhandelsverbots 1989 feierte, bezeichnender Weise primär auf internationaler, genauer: supranationaler Ebene, und an den zweiten, 15 Jahre später, nun zum Übernahmerecht (näher zu allem oben III.2.). Zu all dem kam – ungleich übergreifender und querschnittsartig – die eigene Monographie zur „Legal Harmonization and the Business Enterprise“ (mit Richard Buxbaum), die auf zwei Nachfolgesymposien eingehend diskutiert wurde (Fn. 5). Ein wichtiger Aspekt der Internationalität war bei Hopt ebenfalls bereits vor seiner Hamburger Zeit angelegt: Über Europa hinaus ist er nach all dem Gesagten einer der führenden Vertreter des transatlantischen Dialogs mit den USA. Der Blick wird jedoch nicht nur nach Westen gerichtet. In Asien gilt seine Aufmerksamkeit schon früh insbesondere Japan, der dritten großen Wirtschaftsmacht der „Triade“ neben der EU und den USA. Ein spezielles Anliegen ist ihm dabei der Austausch mit hochqualifizierten japanischen Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, für die es angesichts der Sogkraft des US-amerikanischen Rechts, anders als früher, keineswegs mehr selbstverständlich ist, sich rechtsvergleichend mit dem deutschen Recht zu befassen. In Hamburg findet Hopt in Harald Baum, dem Spezialisten des

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japanischen Rechts, dazu einen wichtigen „Mitstreiter“. Das weltumspannende Interesse von Hopt findet einen adäquaten Ausdruck in den zahlreichen großen internationalen (und interdisziplinären) Symposien, die er seit jeher grundsätzlich unter Einbindung der Triaden-Länder ausgerichtet hat. 3. Europa- und weltweiter Wirkungskreis Das Internationale war demnach schon so stark, dass die Zeit in Hamburg eher Kontinuität als weitere Steigerung versprach. Und doch sollte ein weiterer qualitativer Schritt bald danach noch folgen. Wichtige Diskussionen hatte Hopt bis dahin auch international schon mehrfach angestoßen. Jetzt jedoch sollte es ihm gelingen, selbst ein Kernanliegen durchzusetzen, die Regulierung der Übernahmemärkte in Europa, und darüber hinaus das die ganze Diskussion beherrschende Hauptthema zweifach zu setzen: internationalinterdisziplinär mit seinen großen Werken zur Corporate Governance, namentlich der „State of the Art and Emerging Research“ von 1998 (Fn. 10), und Europäisch mit dem bereits angesprochenen Bericht der High Level Group (Fn. 13). Wohl kein Handels- und Wirtschaftsrechtler seiner Generation hat in dieser Weise eine zentrale Europäische, ja weltweite Diskussionslinie vorgegeben. Mit der Corporate Governance Diskussion werden zwar durchaus auch herkömmliche Themen angesprochen, jedoch keineswegs nur und jedenfalls im Rahmen einer sehr weit gehend neuen Diskussionsstruktur und dies für das gesamte Unternehmensrecht (unten V.1.). Jedenfalls wird die Diskussion ungleich internationaler und interdisziplinärer geführt als je zuvor. Und mit dem Bericht der High Level Group wird nach dem Gesagten die Agenda im Europäischen Gesellschafts- und Unternehmensrecht für ein ganzes Jahrzehnt gesetzt. Ein drittes Werk tritt hinzu, in dem Hopt von deutscher Seite mitwirkt. Es handelt sich um das inzwischen führende rechtsvergleichende Werk zur Struktur- und Funktionsanalyse des Unternehmensrechts, kurz und prägnant, federführend betreut durch den Kollegen Kraakman von der Harvard Law School: „die Anatomy“ in Fachkreisen genannt.33

33 Kraakman/Davies/Hansman/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law – A Comparative and Functional Approach (2004, 2. Aufl. 2009) (2. Aufl. mit zusätzlich Armour und Enriques). Schon angesichts der üblichen Verwendung dieser Kurzbezeichnung wohl auch dieses ein „Klassiker“ im Sinne der Beschreibung von Fleischer, Herbert Wiedemann, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 167, 180–182.

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V. Unternehmens- und Marktrecht Die durchgehend zu findende und stets dichte Vernetzung von Gebieten, von Methoden und von Nationalem mit Internationalem in Hopts Werk – kurz die ganzheitliche, lebensnahe und dennoch methodisch reiche Sicht – hat eine Konsequenz für die Darstellung: Obwohl das Unternehmensrecht insgesamt im Zentrum seines Denkens steht, kann es deutlich knapper erörtert werden, wenn, wie vorliegend, Kapitalmarktrecht, Börsengesellschaftsrecht und Baumbach/Hopt sowie internationale Herausgeberschaften und Gesetzesinitiativen an die Spitze gestellt und vorab spezifischer behandelt werden. All das sind selbstverständlich Hauptaspekte seines unternehmensrechtlichen Denkens und Stils, insbesondere der konsequente Blick auf die Funktionseinheit Finanzierung und Gesellschaft. Dennoch bleibt Vieles Wichtiges darüber hinaus zu berichten. Ein Blick auf jedenfalls drei (weitere) Hauptbereiche ist unverzichtbar. 1. Corporate Governance Die Corporate Governance als Forschungsrichtung ist so sehr mit Hopts Namen verbunden und ist auch so zentral in seinem Werk und für seinen Stil, dass sie, obwohl schon mehrfach angesprochen, nochmals gesondert kurz aufzugreifen ist. Es geht um Entscheidungsfindung (vor allem) in den großen, börsennotierten Gesellschaften, genauer: um optimierte Rahmenbedingungen hierfür, Rahmenbedingungen, die Entscheidungen befördern, die für alle Betroffenen möglichst konsensfähig wären. Im Fokus steht die rechte Ordnung von Leitung und Kontrolle, des Zusammenspiels höchst vielfältiger Interessen und die Abstimmung der verschiedensten Instrumente aufeinander. Dass gerade an dieser für jede Volkswirtschaft zentralen Stelle – der großen Wirtschaftsentscheidungen – gute (rechtliche) Rahmenbedingungen von überragender Bedeutung sind, leuchtet ebenso ein, wie umgekehrt, dass es dann auch von überragender Wichtigkeit ist, von der Erfahrung anderer Länder systematisch zu lernen. Diesen Lernprozess für Deutschland angestoßen zu haben, ja sogar mit für ganz Europa, das systematische Gespräch über diese Gestaltungsformen, ist Hopts Verdienst mit seinen vielen interdisziplinär ausgerichteten Monographien und Einzelbeiträgen zum Thema Corporate Governance. Zentral für Hopts Stil ist die Forschungsrichtung auf Grund ihrer Eigenheiten: Auch wenn unter dem Begriff der Corporate Goveranance zu einem Gutteil durchaus bekannte Fragestellungen diskutiert werden, ist doch der Stil ein sehr neuer, ungleich ganzheitlicher: genuin international wird die Diskussion geführt; der Vergleich der Lösungen, nicht die Analyse einer (eigenen nationalen) Lösung steht von Anfang an im Mittelpunkt; interdisziplinäre Theorieansätze sind selbstverständlicher und integrativer Bestandteil;

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und nicht zuletzt wird von den Spielern und von den Regelsetzungsprozessen, nicht primär von einem bestehenden Normenbestand ausgegangen, Anreizwirkungen und Regelsetzung werden also als Problem erkannt und in der Vordergrund gerückt. Alle diese Fragestellungen und methodischen Herangehensweisen, das wurde an verschiedenen Stellen betont, sind für Hopts Denken zentral. Durchaus wichtige Fragestellungen sind freilich auch weitgehend neu, namentlich die intensive Diskussion des Wechselspiels zwischen Anreiz- und Einflussmechanismen von innerhalb und von außerhalb der Organisation. Und auch dieses, namentlich im Übernahmerecht, ist für Hopt stets wichtig gewesen. Corporate Governance fasst als Fragestellung Hopts Denken jedoch nicht nur in besonders schlagender Weise zusammen. Vielmehr hat Hopt Corporate Governance auch vielfach in seinem Werk behandelt. Corporate Governance bildet geradezu den Ostinato in seinem internationalen Werk. Das liegt auch nahe, gibt es doch so viele Einzelaspekte zu bedenken. Das liegt jedoch auch nahe angesichts der steten Fortentwicklung, das mit der Corporate Governance Diskussion erforschte und angestrebte Gleichgewicht ist nie als perfekt und endgültig zu verstehen. So heben die internationalen Publikationen bald mit zentralen Corporate Governance-Fragen an, der Haftung von Geschäftsleitern, den Institutionellen Investoren (Fn. 5 und 7), um dann später in breiteren Gesamtsichten wieder aufgegriffen zu werden, etwa zur Harmonisierung in der EG und in den USA oder insgesamt zum Forschungsstand (Fn. 5 und 10), um dann auch wieder breitere Einzelaspekte zur Diskussion zu stellen, etwa zum Verhältnis zu den Kapitalmärkten. Es verwundert auch nicht, dass Hopt das maßgebliche Handbuch in Deutschland mit herausgibt.34 An das zum Übernahmerecht Gesagte ebenso wie an die Ausführungen zu einem Börsengesellschaftsrecht ist ebenfalls in diesem Kontext zu erinnern, desgleichen an die Ausführungen zur High Level Group (Fn. 13). Den Titel des zweiten (Teil-)Berichts der Gruppe, der sich mit den „moderne(n) gesellschaftsrechtliche(n) Rahmenbedingungen“ beschäftigt, könnte man unschwer ergänzen und titeln: „… Rahmenbedingungen für gute Governance“. Und auch Hopts Beschäftigung mit den Hauptorganen der AG erhält letztlich nur auf diesem Hintergrund ihren ausgewogenen Klang.

34 Ferrarini/Hopt/Wymmeersch (Hrsg.), Capital Markets in the Age of the Euro – Cross-Border Transactions, Listed Companies and Regulation (2002); Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets and Company Law (2003); Hopt/Wymeersch/Kanda/Baum (Hrsg.), Corporate Governance in Context: Corporations, States, and Markets in Europe, Japan, and the US (2005); Hommelhoff/Hopt/v.Werder, Handbuch Corporate Governance – Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen in der Rechts- und Wirtschaftspraxis (2003, 2. Aufl. 2009).

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2. Aktienrecht – Hauptorgane und Mitbestimmung Die Corporate Governance-Forschung hat ihren Schwerpunkt im Bereich der Aktiengesellschaften, primär sogar allein der börsennotierten. Dies ist zwar keineswegs durch Sachstrukturen so vorgegeben. Vielmehr war bei Williamson, der Begriff und Konzept prägte, die Notwendigkeit von spezifischen Governance-Strukturen und -Überlegungen genereller für alle Beziehungen konstatiert worden, in denen beziehungsspezifische Investitionen in signifikantem Umfang getätigt werden und Unsicherheiten bestehen, also durchaus generell in Gesellschafts-, aber auch in Langzeitvertragsbeziehungen.35 Die Governance-Forschung hat außerdem ihren Schwerpunkt bei den Hauptentscheidungsträgern. Dies ist schon stärker durch Sachstrukturen vorgegeben, steht bei dieser Forschung doch die Frage im Mittelpunkt, wie die Rahmenbedingungen für Entscheidungen gestaltet sein müssen, um Ergebnisse zu befördern, auf die sich die Betroffenen ex ante typischer Weise hätten verständigen können. Es besteht also ein erheblicher Governance-Bezug auch bei der Auswahl derjenigen Themen, die Hopt als einer der beiden Herausgeber des Großkommentars Aktienrecht, 4. Auflage, für sich wählte: Teilbereiche des Rechts des Vorstandes der Aktiengesellschaft sowie das gesamte Recht des Aufsichtsrats (mit Markus Roth). Hopt hatte schon früh gerade den deutschen Aufsichtsrat immer wieder in den Blick genommen, gerade auch die Besonderheit der deutschen Mitbestimmung international immer wieder diskutiert 36 – aus Governance-Perspektive einer der interessantesten Fälle eines 35 Williamson, Transaction-Cost Economics: The Governance of Contractual Relations, J. Law & Econ. 22 (1979), 233–261; ders., The Economic Institutions of Capitalism (1985), S. 43–63, 68–84; für eine Zusammenführung von Vertrags- und Gesellschaftsrecht unter diesem Gesichtspunkt Hopts „Enkel“: Riesenhuber/Möslein, Contract Governance – Skizze einer Forschungsperspektive, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008), S. 1–41 (= ERCL 5 [2009], 248–289); auch Behrens, Corporate governance, in: Basedow/Hopt/Kötz (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Drobnig zum siebzigsten Geburtstag (1998), S. 491–506. 36 Vgl. Hopt, Grundprobleme der Mitbestimmung in Europa in: Mitbestimmung in Europa, Internationales Mitbestimmungs-Symposium in Cadenabbia, societas europaea 3 (1981), S. 9–25; ders., Grundprobleme der Mitbestimmung in Europa – Eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme und Einschätzung der Vorschläge zur Rechtsangleichung der Arbeitnehmermitbestimmung in den Europäischen Gemeinschaften, ZfA 1982, 207–235; ders., New Ways in Corporate Governance: European Experiments with Labor Representation on Corporate Boards, Michigan Law Review 82 (1984), 1338–1363; ders., Labor Codetermination in Europe, Journal of Comparative Business and Capital Market Law 6 (1984), 216–222; ders., Labor Representation on Corporate Boards: Impacts and Problems for Corporate Governance and Economic Integration in Europe, International Review of Law and Economics 14 (1994), 203–214; ders., Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat – Auswirkungen der Mitbestimmung auf corporate governance und wirtschaftliche Integration in Europa, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling (1995), S. 475–492; und immerhin auf den wenigen Seiten seines Vortrages zur Amtseinführung als

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Zusammentreffens von Shareholder- und Stakeholder-Interessen, von Fragen der Interessenkonflikte und einer Haftungsdifferenzierung. Wie auch sonst vielfach, wurde Hopt auch im Hinblick auf die Mitbestimmung zum (durchaus teils kritischen) Botschafter deutschen Gedankenguts in der Welt, mit der Mitbestimmung letztlich über Jahrzehnte hinweg. Es war eines der Themen, die zu seinem internationalen Gewicht maßgeblich beitrugen. Zudem hatte Hopt stets im Aktienrecht neben dem Rechtsvergleich auch der historische Querschnitt besonders interessiert,37 in dem der Aufsichtsrat als deutsche Besonderheit besonders hervorstach, als eine Besonderheit, die sich zwar institutionell nicht international durchsetzen konnte, wohl aber funktionell – mit der Installierung einer spezifischen Kontrollfunktion auch im monistisch verfassten Board, dort in Form der outside oder non-executive directors. So verwundert es nicht, dass Hopt gerade bei diesem Organ den Aufwand einer Großkommentierung für sinnvoll erachtete. Charakteristisch ist inhaltlich für die Kommentierung, dass sie den Aufsichtsrat nicht nur umfangmäßig besonders breit ausleuchtet – die Kommentierung übersteigt mit gut 1500 Seiten deutlich diejenige zum Vorstand und zur Hauptversammlung –, sondern dass sie auch inhaltlich entsprechend angelegt ist, dies, ebenfalls anders als die Kommentierungen zu den beiden anderen Organen, auch aus „einem Guss“: Die Kommentierung ist eigentlich kantig und knapp, sie hebt nicht einmal an mit Vorbemerkungen. Doch sobald sie konkret wird, bei den einzelnen Normen, leuchtet sie diese ausgesprochen tief aus, jedes Mal mit anfangs einer Funktionsgeschichte und mit einem vertieften Blick auf die Rolle in der Corporate Governance, jedes Mal abschließend mit einem internationalrechtlichen Ausblick, zunächst auf die SE, weil diese geltendes Recht ist, dann mit europarechtlichen Projekten, und, wo das wegen der Relevanz von Jurisprudenz angezeigt ist, auch rechtsvergleichend, etwa zu § 117 AktG. Wieder leuchtet zu jeder einzelnen Norm nicht nur das geltende Recht auf, sondern daneben der ganze Kranz von Entwicklungen, Funktionen, Methoden, Vergleichen und Perspektiven. 3. Personengesellschaftsrecht Weniger wahrgenommen wird das Personengesellschaftsrecht in Hopts Werk – obwohl die Personenhandelsgesellschaften im Baumbach/Hopt über zentrales Forschungsfeld angesprochen: Max-Planck-Institut, Stabwechsel (Fn. 9), S. 41 f.; ausführlicher auch wieder etwa Hopt/Leyens, Recent Developments of Internal Corporate Governance Structures in Germany, the United Kingdom, France, and Italy, ECFR 1 (2004), 135, 143–146 und 165 f. 37 Vgl. etwa Hopt, Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen der Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. V, Geld und Banken (1980), S. 128– 168.

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30 Jahre dicht kommentiert und begleitet werden und obwohl sie in dem Studienkurs Gesellschaftsrecht über vier Auflagen den Hauptanteil des Stoffes ausmachen. In der Tat ist die Internationalisierung im Personengesellschaftsrecht ungleich weniger stark. Sie werden nicht annähernd im gleichen Maße rechtsvergleichend diskutiert, und auch in der internationalen Gesetzgebung haben sie nicht annähernd die gleiche Bedeutung: vor allem, weil Europäische Harmonisierung fehlt, aber auch, weil internationale Einheitsregelwerke, von Börsen und Standardsettern, ausschließlich oder primär die Aktien- oder die Kapitalgesellschaften betreffen. Und nicht zuletzt werden die Personengesellschaften methodisch ungleich weniger breit diskutiert, es gibt für sie – zu Recht oder zu Unrecht – kein Pendant zur Corporate Governance Diskussion. Das Personengesellschaftsrecht, genauer: den Stellenwert, den es in Hopts Werk einzunehmen scheint, belegt, dass viel von der besonderen Strahlkraft des Hopt’schen Werkes gerade in dieser Zusammensicht zwischen Nationalem und Internationalem, aber auch zwischen verschiedenen Disziplinen gründet.

VI. Handels- und Zivilrecht Eine durchaus zentrale Rolle nimmt in Hopts Werk das Handels- und Zivilrecht ein, gerade auch in ihrem Verhältnis zueinander. Mit dem Baumbach wurde das zentrale Werk im Handelsrecht im engen Sinne bereits erörtert, daneben tritt etwa der in zwei Auflagen erschienene Studienkurs zum Handelsrecht. Versteht man das Handelsrecht breiter und nimmt das Unternehmensrecht hinzu, so bleibt neben dem zum Baumbach, zum Bank- und zum Unternehmensrecht Gesagten in der Tat vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Handels- und Zivilrecht als ein Großthema in Hopts Werk. Hopts zentrale Gedanken hierzu finden sich bereits in der Habilitation, kondensiert jedoch in seinem (ebenfalls nicht gerade kurzen) Vortrag zu Berufsrecht und Berufshaftung vor der Zivilrechtslehrervereinigung im Jahre 1983, veröffentlicht als Aufsatz im Archiv für civilistische Praxis.38 Kernthese dieses Beitrages ist, dass berufliches Auftreten am Markt vielfach schärfere Rechtsfolgen zeitigt – etwa einen Vertragsabschluss unter geringeren Anforderungen an den Rechtsbindungswillen begründet oder eine Fahrlässigkeitshaftung, wo im allgemeinen Verkehr eine Vorsatz- oder Arglisthaftung ein38 Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, AcP 180 (1980), 608–720; vorher schon u.a.: Hopt, Berufshaftung und Berufsrecht der Börsendienste, Anlageberater und Vermögensverwalter, in: Lutter/Stimpel/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer (1979), S. 237–261; später wiederaufgegriffen mit: Hopt, Interessenwahrung und Interessenkonflikte im Aktien-, Bank- und Berufsrecht – Zur Dogmatik des modernen Geschäftsbesorgungsrechts, ZGR 2004, 1–52.

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greift – und dass dies zwei Hauptbeweggründen geschuldet ist: einerseits dem stärkeren Professionalitätsgefälle gegenüber dem Kunden und der damit einhergehenden Schutzwürdigkeit desselben, zugleich jedoch auch der Optimierung von der Allokationsfunktion von Märkten. Mit anderen Worten: Wie im Kapitalmarktrecht wird hier mit Individual- und mit Funktionsschutz argumentiert. Das Thema der Bindung oder der Haftung, die weder rein vertraglicher noch klassisch deliktischer Natur sind, beschäftigte in besonderem Maße das Jahrzehnt.39 Hopt grenzt sich mit seiner These nicht zuletzt von der nur wenig älteren These ab, solch eine Haftung fuße in einem gesetzlichen Schuldverhältnis, begründet durch Vertrauen(shaftung).40 Problematisch erscheint ihm (und anderen) diese These insbesondere, weil das Vertrauen als Erklärungsgrund mehrfach abgeschwächt erscheint und auch nicht als der wirklich zentrale Gesichtspunkt: Das Vertrauen sei häufig konkret gar nicht nachweisbar, es werde also auf abstraktes (nur in typischen Fällen bestehendes) Vertrauen abgestellt. Also sei nicht das Vertrauen so wichtig, sondern vielmehr der Vertrauenstatbestand und dieser bestehe eben in einer immer professionelleren Welt primär im beruflichen Auftreten. Charakteristisch ist dieser Ansatz auch darin, dass der Aspekt eines umfassenden Systems schwächer erscheint als die ungleich konkretere Herausarbeitung des in der ganz großen Mehrzahl der Fälle maßgeblichen Kriteriums. Der Fokus ist auf dem (zentralen) Gehalt – stärker als dem System. Für das Verhältnis zwischen Handels- und Zivilrecht bedeutet insbesondere die Betonung der Haftungs- und Bindungswirkung einen großen Schritt: Handelsrecht wird dann nicht mehr vorrangig als ein Recht gesehen, das gegenüber dem Zivilrecht Erleichterungen und abgesenkte Anforderungen verbürgen soll („Schnelligkeit des Rechtsverkehrs“). Vielmehr wird das Recht der Unternehmensgeschäfte jetzt als eines verstanden, das vor allem Gefahren in den Blick nimmt, die von Berufsträgern ausgehen, und das zu einer erhöhten Bindung führt – für den Gesellschaftsrechtler vielleicht selbstverständlich angesichts von Normen wie § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und deren Auslegung, für den Handelsrechtler vielleicht weniger. Auf der Hand liegt, dass diese Sicht die gesamte Entwicklung des Rechts der Unternehmensgeschäfte in der Europäischen Union, also die Harmonisierung des Europäischen Vertragsrechts als eines Rechts (allein) der Verträge mit Unternehmensbeteiligung prägen wird, eine Entwicklung, die insbesondere unter der etwas verkürzenden Bezeichnung eines „Verbrauchervertragsrechts“ diskutiert wird.41 Ebenso liegt auf der Hand, dass diese 39 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag – zur Haftung aus geschäftsbezogenem Handeln (1981). 40 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971). 41 Zu beidem – dem Recht der Unternehmensgeschäfte als einem Recht stärkerer Bindung und dem Europäischen Vertragsrecht – etwa Grundmann, Europäisches Handelsrecht – vom Handelsrecht des laissez faire im Kodex des 19. Jahrhunderts zum Handelsrecht der sozialen Verantwortung, ZHR 163 (1999), 635–678, auch ders., The Structure of

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spezifische Sicht des Handels- und Berufsrechts zunächst aus der Anlegerschutzperspektive in der Habilitation entwickelt wurde, also dadurch, dass ein zentrales Schutzelement im Bankrecht als einem Teil des Handelsrechts systematisiert wurde. In der Habilitation wird in § 1 das Programm der Untersuchung (nach einem Punkt zum sozialen Phänomen) in der Tat mit den zwei Punkten umrissen: dem „Anlegerschutz als notwendige Reaktion der Rechtsordnung“ und dem „Anlegerschutz als Beispiel für die rechtliche Bindung wirtschaftlicher Macht durch ein Unternehmensverhaltensrecht“. Handelsrecht wird nicht mehr nur oder vorrangig als Erleichterung gegenüber dem Zivilrecht verstanden, sondern gleichermaßen, vielleicht sogar vorrangig als ein Recht gesteigerter Bindungswirkung. Eine zweite spezifische Form des Spannungsverhältnisses zwischen Handels- und vor allem Unternehmensrecht einerseits und klassischem Zivilrecht andererseits ist in Hopts Werk angelegt. Die Entwicklung eines Kapitalmarktrechts, eines Rechts, in dem das Transaktionsrecht, also das Vertragsrecht, mit dem Unternehmensrecht in unmittelbaren Austausch tritt, zieht nicht nur die oben angesprochenen Änderungen im Zuschnitt des Unternehmensrechts nach sich. Vielmehr wird mit dem Kapitalmarktrecht Unternehmensrecht und Zivilrecht – namentlich Vertragsrecht – in enge Beziehung gebracht. Solchermaßen liegt in der Ausbildung eines Kapitalmarktrechts – zumal eines Kapitalmarktrechts, das nicht unerheblich aus dem Bankvertragsrecht entwickelt wird – ein großer Einheit stiftender Akt für das Privatrecht insgesamt: Es wird nämlich die Brücke geschlagen zwischen Markt und Organisation42 und es werden damit die Rechtsgebiete in Bezug zueinander gesetzt, die in besonderem Maße Privatautonomie (sowie deren Grenzen) zum Gegenstand haben, genauer: in denen in besonderem Maße Recht privatautonom gestaltet wird und in denen umgekehrt auch in besonderem Maße dieser Rechtsgestaltung Grenzen gesetzt werden, um die Funktionsvoraussetzungen für eine Ausübung von Privatautonomie zu erhalten und schützen. Das sind Rechtsgebiete, vor allem das Vertragsrecht und das Gesellschaftsrecht, die traditionell in den zuständigen Gesetzgebungsorganen und in den wissenschaftlichen Zirkeln, die sie diskutieren, stark voneinander getrennt erscheinen.43 Wie wichtig gerade Rechtsgestaltung und verwandte

European Contract Law, ERPL 2001, 505–528 und ders., European Contract Law(s) – of What Colour?, ERCL 1 (2005), 184–210. 42 Vgl. neben Coase (Fn. 2) zum „Wunder des Marktes“ (v. Hayek) und „Wunder des Unternehmens“ (Barnard, The Functions of the Executive [1938], etwa S. 6) heute: Easterbrook/Fischel, Economic Structure (Fn. 28), S. 8 f.; Eidenmüller, Kapitalgesellschaftsrecht im Lichte der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1041, 1042; Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure (1997), S. 6–8, 15–55. 43 Europaweit wird noch immer recht scharf getrennt zwischen „Civilisti“ und „Commercialisti“, auch auf EU-Ebene ist in dem einen Fall die Generaldirektion Verbraucher-

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Phänomene Hopt auch in der Praxis sind, zeigt sich an der Entwicklung des Handbuchs der Vertragsgestaltung, aber auch etwa am zunehmenden, aktiven Engagement in der Schiedsgerichtsbarkeit oder auch in den Gestaltungsformen bürgerschaftlichen Engagements.44 Natürlich ist Hopt – wie fast jeder große Handels- und Unternehmensrechtler – fest verwurzelt im Zivilrecht. Dennoch treten die rein zivilrechtlichen Schriften, zumal klassisch zivilrechtliche doch deutlich in den Hintergrund. Das bedeutet freilich nicht, dass das spezifisch Zivilistische, Systembildung und Dogmatik, nicht immer wieder in den verschiedensten Zusammenhängen aufblitzt – besonders gerne in Beiträgen zu Festschriften, die für ihn eine besondere Bedeutung hatten.45 Im Grundsatz zeigt sich dann Vergleichbares wie im großen AcP-Aufsatz: Als besonders charakteristisch sei der Beitrag zur Festschrift seines Lehrers, Ernst Steindorff, herausgegriffen: Hier entwickelt Hopt – wie in den anderen Beiträgen – aus der Zusammensicht von wirtschaftsrechtlichem Sondergesetz – hier dem Schuldverschreibungsgesetz – und zentralen Institutionen des Zivilrechts überraschende, gänzlich neue Querverbindungen. In benanntem Beitrag geht es dann u.a. um das Problem, dass bei Begebung von Schuldverschreibungen diese (mitsamt aller Klauseln zur Ausstattung des Papiers) häufig zunächst von einem Konsortium übernommen werden und erst dann an die Anleger veräußert werden. Wie sich dies dann auf den wertpapierrechtlichen Grundsatz der Dokumentenstrenge und auf den AGB-rechtlichen Kundenschutz auswirkt – das ist die interessante Frage, die in einem spezifischen Mikrokosmos aufgeworfen wird, um dann weit verzweigt über verschiedenste Rechtsgebiete und auch Methoden entwickelt zu werden. schutz, teils inzwischen Justiz, in dem anderen die Generaldirektion Binnenmarkt federführend. Vgl. zu einer Zusammenschau von Vertrags- und Gesellschaftsrecht und zur Rolle beider Rechtsgebiete als Kernstück einer Einheit des Privatrechts mein Beitrag in: Grundmann/Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus Hopt (2010), S. 61–91; sowie – ebenfalls unter den Schülern – Haar (Fn. 11), S. 31–47. 44 Vgl. etwa Hopt/Steffek (Hrsg.), Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen (2008); ansonsten bereits oben Fn. 14. 45 Vielleicht besonders erwähnenswert (neben dem ersten Archivaufsatz und der Dissertation [Fn. 4 bzw. 46]): Hopt, Die Nichtigkeit von Darlehensverträgen bei Abschluss oder Vermittlung im Reisegewerbe – Rechtsprobleme der § 56 I Nr. 6 GewO Rechtsprobleme § 134 BGB, NJW 1985, 1665–1670; ders., Änderungen von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG, in: Baur/Hopt/Mailänder (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag am 13. März 1990 (1990), S. 341–382 (Kurzfassung WM 1990, 1733); nochmals aufgegriffen in: ders., Neues Schuldverschreibungsrecht – Bemerkungen und Anregungen aus Theorie und Praxis, in: Grundmann u. a. (Hrsg.), Unternehmensrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Festschrift für Eberhard Schwark zum 70. Geburtstag (2009), S. 441–457; sowie ders., Funktion, Dogmatik und Reichweite der Aufklärungs-, Warn- und Beratungspflichten der Kreditinstitute, in: Lange/ K. Nörr/H.P. Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag (1993), S. 169–189.

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VII. Recht, Methodenkranz und praktische Verantwortung Wenn nach drei Gebieten – dem Kapitalmarktrecht, allgemeiner: dem Unternehmensrecht, und ganz allgemein: dem Privat-, Bank- und Wirtschaftsrecht – erst jetzt wieder zurückzukommen ist auf eine Metaebene, dann sagt das nichts über das Gewicht dieses Aspekts im Werke Hopts aus. Ebenso gut hätte dieser Abschnitt als erster auf denjenigen zu den Lebensdaten folgen können. Nahe gelegen hätte dies nicht nur vom Gewicht des im Folgenden Angesprochenen her, vielmehr ist auch Hopts allererste veröffentlichte Schrift hier ein beredter Einstieg. Im Folgenden geht es um Rechtswissenschaften und Praxis und um Rechtswissenschaften und Sozialwissenschaften und beide Aspekte hängen bei Hopt durchaus zusammen. Bei der angesprochenen Schrift handelt es sich um seine rechtswissenschaftliche Dissertation aus dem Jahr 1968, auf die im Jahr danach noch die politikwissenschaftliche folgen wird.46 Beide Dissertationen erscheinen von Späterem ein wenig überdeckt, zumal von der bald folgenden Habilitation, sicherlich auch, weil sie nicht in den Kerngebieten der späteren wissenschaftlichen Tätigkeit liegen. Beide sind umgekehrt jedoch bereits charakteristisch: Die juristische Dissertation ist bereits intensiv rechtsvergleichend im Zuschnitt und es geht ihr um Durchsetzungsfragen. Die politologische setzt bei einem, so scheint es, Detailproblem an, bei dem sich freilich sehr bald herausstellt, dass gerade hier ein Großteil der Macht sitzt. Schon in den Dissertationen denkt Hopt von den wichtigen Spielern her – die Governance-Perspektive – und ist pragmatisch … oder auch jeder methodischen Beschränkung abhold. Das wird überragend wichtig bleiben: 1. Methodenkranz und Ausgleich Vieles verbindet Klaus Hopt mit seinem Vorgänger am Max-Planck-Institut, Ernst-Joachim Mestmäcker, der in dieser Reihe – gemeinsam mit Gerhard Kegel – die Auftaktrede gehalten hat, über seinen Lehrer, Franz Böhm, und das ordoliberale Denken, und der zugleich – wie auch Kegel und wie heute Klaus J. Hopt – selbst in dieser Reihe besprochen wurde. Vieles verbindet beide, vielleicht am intensivsten jedoch ist die Übereinstimmung in dem Verständnis von dem, wie Recht zu den anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen steht. Wo Mestmäcker exklusiv ökonomisch begründeten Rechtswissenschaften, wie sie teilweise in den USA vertreten werden, eine Absage erteilt und (rhetorisch) fragte „a theory without law?“, antwortete 46 Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Schutz gegen unberechtigte Inanspruchnahme staatlicher Verfahren (1968); Hopt, Dritte Gewalt als politischer Faktor – eine Fallstudie zur Reform der Wahlkreiseinteilung (1969).

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Klaus J. Hopt nicht weniger prägnant: „Interdisziplinarität heißt nicht in einer anderen Disziplin zu dilettieren, …“ oder gar die eigene aufzugeben, „… sondern mit dieser zu kooperieren.“47 Kaum ein Rechtswissenschaftler seiner Generation hat einerseits sein Leben lang ähnlich intensiv wie Hopt interdisziplinär gearbeitet, andererseits umgekehrt den Selbstwert des Rechts und der Rechtswissenschaften so sehr hoch gehalten wie dieser. Solchermaßen hat Hopt immer wieder das Proprium der Rechtswissenschaften in den Gesellschaftswissenschaften eingefordert und betont. Rechtswissenschaften können in den Augen Hopts nicht ohne die tiefe Detailkenntnis des Fallmaterials, der sozialen Verhältnisse, der konkreten Märkte und Unternehmen betrieben werden, genuin als Rechtswissenschaften, umgekehrt jedoch auch nicht ohne Blick auf die Abstraktionshöhe ökonomischer Theoriebildung oder die Rückversicherung in der Empirie. Dass aber Zweitere ohne Erstere wie eine „klingende Schelle“ sind, ist Grundannahme in all seinen Schriften und bestätigte sich letztlich auch in der Finanzkrise. Soziologie, Politologie und Ökonomie sind Hopts Gesprächspartnerinnen, doch erst in der Verbindung entfalten sie volle Wirkung. Und dies ist letztlich von Anfang an der Ansatz der Governance-Forschung, doch viel früher stand gerade die Zusammensicht von Wirtschaft und Gesellschaft am Beginn der rechtssoziologischen Forschung am Anfang des letzten Jahrhunderts.48 Wie früh dieser breite Methodenkranz angelegt war, wurde für die Herausgeberschaften aufgezeigt (oben IV.2.). Hopt ist ausgebildet in so vielen sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie wenige Rechtswissenschaftler: von Anfang an volkswirtschaftlich und politologisch – nicht von ungefähr wurde ihm zwei Mal ein rechtssoziologisches und rechts- und sozialphilosophisches Ordinariat angetragen. Und mit vielen Ökonomen pflegt er einen sehr engen Kontakt, manche seiner Schriften verfasste er gemeinsam mit ihnen. Als Rechtswissenschaftler versteht er Recht jedoch als selbständig, ja zentral: als die ordnende Sprache, die die Verbindung findet zwischen Politik und Ökonomie. Bei ihm gerät Recht nicht in den Sog von Hegemonieansprüchen einer vor allem modellorientierten ökonomischen Theorie, jedoch ignoriert Hopt diese Modelle auch nicht. Das machte ihn zum wirtschaftspolitischen Pragmatiker mit breitester Basis.

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Max-Planck-Institut, Stabwechsel (Fn. 9), S. 23. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriß der verstehenden Soziologie (1921; 5. Aufl. 1990, hrsgg. v. Winkelmann). Für die Hochachtung Hopts für Weber spricht, dass er seine „Abschiedsrede“ am Max-Planck-Institut mit einem Zitat aus „Wissenschaft als Beruf“ beschloss (Max-Planck-Institut, Stabswechsel [Fn. 9] S. 28). Heute ist die Kombination Wirtschaftsrecht und Interesse für soziologische Fragestellungen seltener, jedoch keineswegs verloren; genannt werden können etwa auch Th. Raiser und G. Teubner. 48

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2. Praktische Verantwortung und zunehmendes Gewicht in der Gesetzgebungsberatung Heute wird Hopt als einer der einflussreichsten Rechtswissenschaftler in der Gesetzgebungsentwicklung des Unternehmensrechts der letzten Dekaden gesehen, vor allem auf Europäischer Ebene. Seine praktische Verantwortung ist jedoch ungleich vielfältiger: Ursprünglich stand eher die Rechtsprechung im Vordergrund. Hopt war einige Jahre Richter am OLG Stuttgart (Kartellsenat). Im Baumbach/Hopt hat er 30 Jahre die Rechtsprechung des Handels-, Bank- und Personengesellschaftsrechts in ihrer ganzen Breite begleitet, strukturiert und kommentiert. Da es sich um den einzigen Handelsrechtskommentar aus einer Hand handelt, zeugt schon dieses Werk von einer praktischen Breite von außergewöhnlicher Intensität. Da verwundert es kaum, dass nach der Vielzahl der Urteilsanmerkungen im frühen Werk dieses Genre fast gänzlich versiegt. Daraus sollte jedoch nicht geschlossen werden, dass ihm die Rechtsprechung und insbesondere die höchstrichterliche weniger wichtig geworden wäre. Hopt freilich versteht praktische Verantwortung – entgegen gewisser Traditionen auch in Deutschland – nicht eng und beschränkt auf den Austausch mit der Justiz. Die Rechtsgestaltung ist ihm vergleichbar wichtig. Neben die umfangreiche Tätigkeit als Schiedsrichter tritt vor allem das besondere Interesse an der Kautelarjurisprudenz. Auf den Umstand, dass Hopt im Baumbach/Hopt umfangreich branchenweit verwendete Klauselwerke abdruckte und kommentierte, sie also als eine eigenständige Quelle des Rechts sichtlich Ernst nahm, wurde bereits hingewiesen. Doch er verstand den Baumbach/ Hopt noch weitergehend (auch) als umfassendes Instrument der praktischen Rechtsgestaltung. Das zeigt sich daran, dass er nicht nur zwei besonders praxisrelevante (und spezialisierte) Sonderbereiche zunehmend auch gesondert publizierte: zuerst das Handelsvertreterrecht (seit 1992 in mehreren Auflagen), zuletzt das Bilanzrecht (seit 2010). Vielmehr schuf Hopt neben dem Baumbach/Hopt und dennoch mit diesem eng verknüpft das Formularhandbuch, jene „Bibel“ der Kautelarpraxis.49 Am engsten verbunden mit seiner Wissenschaft ist freilich trotz all dem Gesagten wohl doch die Gesetzgebungsberatung, gleichsam die „Königsdisziplin“. Hier konnte Hopt seinen methodischen Reichtum, seine Breite und Tiefe im Nationalen ebenso wie im Internationalen besonders gut ausspielen. In die Münchener Zeit fiel nach dem Gesagten mit der Einführung eines EGInsiderhandelsverbots der erste große rechtspolitische Erfolg. In dieser und besonders der Hamburger Zeit folgten nicht nur zahlreiche Gesetzgebungsberatungen in einzelnen Ländern, vor allem Zentraleuropas. Es folgte viel49 Hopt (Hrsg.), Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts-, Bank- und Transportrecht (1995, 2. Aufl. 2000, 3. Aufl. 2007).

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mehr eine umfassende Beratung aller größeren kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebungsinitiativen in Deutschland, natürlich zuvörderst der Börsenrechtsreform und dem großen Gutachten hierzu (Fn. 12), es folgte die Kolumne im Handelsblatt zu den politischen Fragen des Finanz- und Wirtschaftsrechts, knapp, dicht und mit großer, dauerhafter Breitenwirkung. Und vor allem: Es folgen die großen „Europäischen“ Erfolge – der Durchbruch im Übernahmerecht und damit zur wichtigsten Strukturmaßnahme sowie zum Schnittpunkt zwischen interner und externer Corporate Governance; die breite Festlegung der zukünftigen Gesetzgebungsstrategie im zweiten Teil des Berichts der High Level Group;50 und nicht zuletzt auch die Entwicklung herausragender Einzelprojekte: So machte Hopt in zehn Jahren aus dem höchst national verfassten Thema Stiftung und Nonprofit-Organisationen eines, das in das Stadium einer „Feasibility Study“ im Europäischen Gesetzgebungsprozess eingetreten ist (Fn. 14). Kommt es zu einer Europäischen Stiftung, verändert dies auch Rahmenbedingungen für Wissenschaft nachhaltig. So steht gerade dieses zuletzt genannte rechtspolitisch-gesetzgeberische Projekt im engen Bezug zu einem weiteren wichtigen Aspekt im Berufsleben von Klaus Hopt: der Wissenschaftsgestaltung.

VIII. Wissenschaftsgestalter Hopt ist die Wissenschaftsgestaltung ein besonderes Anliegen. Für ihn gehört auch in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften die breite Koordination zu moderner Wissenschaft, zumal in den großen Instituten. Schon in den frühen Herausgeberschaften, in der frühen Beteiligung an der International Faculty war das angelegt. In der Übernahme wichtiger Herausgeberschaften in den Hauptzeitschriften seines Gebietes setzte sich dies vor allem am Übergang zur Münchener und dann in der Hamburger Zeit fort, namentlich mit den Wertpapier-Mitteilungen (Herausgeberbeirat ab 1985) und mit der Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Herausgeberschaft ab 1997). In diese Zeit fällt auch die Gründung der Bankrechtlichen Vereinigung als des maßgeblichen Forums im Bankrecht deutscher Sprache (ab 1990). Später wird er die Gründung des – ähnlich konzipierten – Vereins für Gesellschaftsrecht (VGR) durch Peter Hommelhoff tatkräftig unterstützen. Wissenschaftsgestalter auch deutlich jenseits der Grenzen seiner eigenen Forschungsgebiete und zugleich Spiritus Rector von Wissenschaft, Praxis und Gesetzgebung innerhalb seiner eigenen Forschungsgebiete wurde Hopt 50 Fn. 13; zuletzt wieder aufgenommen in: Hopt, The European Company Law Action Plan Revisited – An Introduction, in: Geens/Hopt (Hrsg.), The European Company Law Action Plan Revisited, Reassessment of the 2003 priorities of the European Commission (2010), S. 9–23.

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dann in nochmals ungleich stärkerem Maße während seiner Hamburger Jahre. Wenn er, der Süddeutsche, den Weg ans Hamburger Max-Planck-Institut als eine besonders glückliche berufliche Entscheidung bezeichnet (und es ihn zugleich dennoch auch heute noch so gerne über die Alpen zieht), so liegt das wohl nicht zuletzt an ebendiesem. Er wusste um das Potential der Wissenschaftsgestaltung wie kaum ein anderer. Er war auch bereit, einen durchaus nicht geringen Preis dafür zu zahlen. Den beiden – für Juristen – wichtigsten deutschen Wissenschaftsinstitutionen, der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat er in höchsten Ämtern gedient, beide an manchem Punkte auch zusammen geführt (oben II.3.). Maßgebliche Institute und Vereinigungen hat er mit gestärkt oder aus der Taufe gehoben, früh die International Faculty of Corporate and Capital Market Law (ab 1975), dann solche Institutionen wie die Bankrechtliche Vereinigung (ab 1990), und dann, am breitesten (räumlich wie personell) aufgestellt, das European Corporate Governance Institute (ab 2002/2005). In Deutschland fallen die Ständige Deputation des Deutschen Juristentages und das zunehmende Engagement auf den ZGR-Tagungen (Mitherausgeber seit 1997) ebenfalls in die Hamburger Zeit. Und erst recht die Großprojekte „aus einer Hand“, d.h. aus der Hand eines großen Forschungsinstituts, fallen letztlich erst in diese Zeit: Was vorher Herausgeberschaften „unter Unabhängigen“ waren, wurden jetzt Studien, die ungleich intensiver zugespitzt werden konnten. Nicht von ungefähr führte dies auch dazu, dass deutlich häufiger auch die Umsetzung in konkrete Rechtssetzungsprojekte oder in große Standardwerke gelang. Zu den letzten zählt – neben den bereits genannten – das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (2009).51 Bei all dem scheint es geradezu zwingend, dass zu den Interessen des letzten Jahrzehnts zunehmend auch das (Europäische) Recht der Stiftungen und der Nonprofit-Organisationen wurde: als Vehikel solch eines gemeinnützigen Engagements, etwa in der Spitzenwissenschaft, zugleich als eine Organisationsform, die eben gleichermaßen Governance-Probleme aufweist 52 und deren Fortentwicklung von der gesellschafts- und auch unternehmensrechtlichen Expertise nachhaltig profitiert.

51 Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2 Bde (2009). 52 Nachw. Fn. 14, insbesondere Hopt/v. Hippel/Walz (Hrsg.), Nonprofit-Organisationen in Recht, Wirtschaft und Gesellschaft – Theorie, Analysen, Corporate Governance (2005); Hopt/Walz/v. Hippel/Then (Hrsg.), The European Foundation – A New Legal Approach (2006).

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7. Teil: Wirtschaftsrecht und Grenzüberschreitung

IX. Lehrer Klaus J. Hopt und seine Frau Nhu Dung haben keine Kinder. In ihrer Heimat war Frau Nguyen vorhergesagt worden, dass sie einen Mandarin heiraten würde, aber keine Kinder haben würde. Einen Mandarin, mit einer beeindruckenden Wirkung nach Westen ebenso wie nach Osten, hat Frau Hopt in der Tat geheiratet, und beide tragen sie dieses große Werk. Und doch: Die spezifische Art, wie Hopt seine Schüler formte und förderte, die Liebe zu seinen Doktoranden und Habilitanden, ja sogar seinen wissenschaftlichen Enkeln, all dies lässt den zweiten Teil der Vorhersage doch etwas mechanistisch erscheinen: Kinder und Enkel hatte Klaus Hopt gar zahlreich, nur dass er sie sorgsam auswählte und über Jahre hin formte. Die Zahl der von ihm intensiv betreuten Dissertationen übersteigt die Hundert, viele von ihnen mit Preisen ausgezeichnet, etliche beteiligten sich 2008 an den „Beiträgen für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung“. Seine (habilitierten) Schüler dürfen sich – in dieser Reihenfolge – nennen: Prof. Dr. Peter Mülbert (Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Marina Wellenhofer (Johann Wolfgang v. Goethe-Universität Frankfurt am Main), Prof. Dr. Hanno Merkt (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), PD Dr. Harald Baum (Max-PlanckInstitut, Hamburg). Prof. Dr. Brigitte Haar (Johann Wolfgang v. GoetheUniversität Frankfurt am Main), Prof. Dr. Jan von Hein (Universität Trier), Prof. Dr. Markus Roth (Philipps-Universität Marburg), PD Dr. Thomas von Hippel (Amtsgericht Hamburg), sowie – mit einem U.S.-amerikanischen Karriereweg – Prof. Dr. Katharina Pistor (Columbia University, New York). Als erster „Enkel“ gesellt sich Prof. Dr. Karl Riesenhuber (Ruhr-Universität, Bochum) hinzu, weitere folgen derzeit.53 Immer wieder in diesem Bericht wurde auch auf das Werk der Schüler eingegangen, wie sie Anlagen in Hopts Werk fortdachten, selbständig fortdachten und dies zugleich unter lebhafter Förderung und in einer deutlich sichtbaren – gemeinsamen – Perspektive. Stilmerkmale, die sich immer wieder finden, sind etwa die Verbindung von Nationalem und Internationalem, das lebhafte Interesse an interdisziplinären Fragestellungen, das Marktdenken und nicht zuletzt die Governance-Orientierung im Ansatz. Manche seiner Schüler sind im Schwerpunkt verstärkt Vertrags- und Zivilrechtler, andere sind ganz in die USA übersiedelt. Und doch ist mit allen die stilistische Verwandtschaft unverkennbar. Mit fast jedem seiner Schüler verbindet Hopt ein gemeinsames Werk. Alle zwei Jahre trifft sich die „Familie“. Hopt wirkt als Lehrer sehr intensiv. Er setzt zunehmend Peer-Prozesse in Lauf. Und die

53 Vgl. Nachw. Fn. 8 und 11; sowie Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003).

Klaus J. Hopt

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Zahlen allein sprechen eine deutliche Sprache. So ist Hopt ein sehr würdiger Träger des Preises für Mentorship der Claussen-Simon-Stiftung (2008), verliehen für seine Lebensleistung als Lehrer. Vorgeschlagen hatte ihn Florian Möslein, ein weiterer „Enkel“, der gerade als Assistenzprofessor nach St. Gallen geht. Schon rein räumlich schließt sich auch hier ein großer Kreis.

X. Ausblick Nach solch einem reichen Bild fällt ein Ausblick nicht leicht. Immer mehr hat sich gezeigt, dass Hopt zunehmend die großen Linien gestaltete, fast mehr noch Gesetzgeber beeinflusste als die Rechtsprechung, und sicherlich mehr die Zukunftsthemen als die etablierten. Da passt es ins Bild, dass von den großen rechtspolitischen Themen des letzten Jahrzehnts auf Europäischer Ebene, die Hopt weniger stark beeinflusst hat, vielleicht am ehesten drei zu nennen sind: Vorsichtiger war seine Positionierung beim Streit um das kapitalgesellschafsrechtliche Kapitalschutzmodell – mit dem bekannten Ausgang, dass es nach hitziger Diskussion eher zu graduellen als zu grundstürzenden Reformen auf Europäischer und deutscher Ebene kam. Nicht so intensiv hat Hopt auch die Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH begleitet, die Mobilität intensiv förderte und auch faktische Investitionshemmnisse zurückdrängte – Hopt begleitete die Rechtsprechung zwar im Baumbach/Hopt ein Leben lang, ihm war jedoch zunehmend die Rechtspolitik mit ihrem methodischen Reichtum noch ein wenig wichtiger. Und nicht zuletzt hat er auch das überaus spezialisierte Gebiet des Bilanzrechts, das gerade auf dem Kontinent eine so intensive Wandlung vollzog, zwar grundsätzlich in seine Überlegungen einbezogen, die Detailarbeit jedoch zurückgestellt. Drei Gebiete, die Hopt weniger beeinflusste, als Ausblick? Wohl eher im Gegenteil. Betrachte ich nämlich die Themen, die Hopt in den letzten Jahrzehnten anging, und diejenigen, bei denen er sich eher zurückhielt, so stellen sich für den deutschsprachigen Zivilrechtslehrer sehr schnell die ersten beiden Zeilen aus dem abschließenden Terzett eines deutschsprachigen Meistersonetts ein: „Wer Großes will, muss sich zusammenraffen. In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.“ Nach solch einem reichen Bild fällt ein Ausblick in der Tat nicht leicht. Für den Liebhaber großer Meister bleibt freilich die frohe Zuversicht, dass fast alle, die große Werke schufen, bis ins hohe Alter nicht müde wurden, immer noch weitere zu schaffen.

8. Teil Privatrechtsdogmatik und System

Karl Larenz* Claus-Wilhelm Canaris I.

Frühe wissenschaftliche Exzellenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Am Anfang war Hegel“ – Adäquanz als objektive Zurechnung . . . . . . 2. Die Willenserklärung als „Geltungserklärung“ – analytische Sprachphilosophie avant la lettre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart – und „die Nacht, die man Aufklärung nennt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verstrickung in den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Drei Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein Selbstzeugnis von Karl Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein paradigmatisches Problem: Rechtsfähigkeit und Rassenideologie . . . . a) Der „Volksgenosse“ als Rechtsgenosse und der Nichtrechtsgenosse als „Gast“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Rechtfertigung der privatrechtlichen Entrechtung der Juden“ (Zöllner)? c) „Interpretative Änderung“ des geltenden Rechts oder „Vorschlag an die Gesetzgebung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Relativierung der Rechtsfähigkeit und Diskriminierung des „Rassefremden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Larenz ein „Rassist“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Larenz’ Verhältnis zu seinem Kieler Vorgänger Gerhart Husserl . . . . . 4. Eine paradigmatische Schrift: „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Gesamteindruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Richterliche Gesetzesbindung und „Führerprinzip“ . . . . . . . . . . . c) Die Befugnis der Rechtsprechung zur Korrektur von vor-nationalsozialistischen Gesetzen in Ausnahmefällen und ein rassendiskriminierendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eine vernachlässigte Abhandlung: „Sittlichkeit und Recht“ von 1943 – Antigone und York bei Tauroggen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Warum haben wir als Larenz’ Assistenten nicht nachgefragt? . . . . . . . . III. Ein „Klassiker zu Lebzeiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Lehrbücher zum Schuldrecht und zum Allgemeinen Teil: eine exzeptionelle Erfolgsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Wachsen von Auflage zu Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wesentliche Charakteristika von Larenz’ Lehrbüchern . . . . . . . . . . 2. Die „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“: ein Durchbruch . . . . . . . a) Grundlegung einer kaum erschlossenen wissenschaftlichen Materie . . . b) Die Abwendung vom „konkret-allgemeinen Begriff“ im Sinne Hegels .

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* Ausgearbeitete und stark erweiterte Fassung des Vortrags, den ich am 29. Mai 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten habe.

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

c) Die Verbindung von „subjektiver“ und „objektiver“ Auslegungstheorie und die Zurückweisung des „positivistischen“ und des „scientistischen“ Wissenschaftsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Objektiv-teleologische Kriterien der Rechtsfindung und -fortbildung, das Problem der „außergesetzlichen Rechtsordnung“ und die Schwächen richterlicher „Eigenwertung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Larenz als akademischer Lehrer und im Umgang mit seinen wissenschaftlichen Schülern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Larenz’ Verhältnis zu den Versuchungen wissenschaftlicher Geltungssucht IV. Was bleibt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Frühe wissenschaftliche Exzellenz 1. „Am Anfang war Hegel“ – Adäquanz als objektive Zurechnung „Am Anfang war Hegel“. Passender als mit diesem Satz kann man einen Vortrag über die wissenschaftliche Laufbahn von Karl Larenz kaum beginnen. Am 23. April 1903 in Wesel am Rhein als Sohn des gleichnamigen (späteren) Senatspräsidenten am Preußischen Oberverwaltungsgericht Berlin geboren, studierte Larenz seit dem Wintersemester 1921/22 in Berlin, Marburg, München und Göttingen Jura, Volkswirtschaft und Geschichte und entwickelte alsbald ein intensives Interesse für philosophische Probleme. Von der damals an den deutschen Universitäten dominierenden Schule des Neukantianismus wegen deren rigorosen Formalismus’ und insbesondere von der Philosophie Stammlers enttäuscht,1 wandte er sich in Göttingen dem Rechtsphilosophen Julius Binder 2 zu und geriet durch diesen sogleich in den Bannkreis der Philosophie Hegels.3 Nachdem er 1926 am Oberlandesgericht Celle das Referendarexamen abgelegt hatte, promovierte er noch im selben Jahr bei Binder. Das Thema seiner Dissertation lautete: „Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung“. Der erste Name, ja das erste Wort der ersten Publikationen von Larenz ist also Hegel. Auch der letzte Satz dieser Schrift gilt Hegel. Hochgemut schließt der 24 Jahre junge Wissenschaftler mit dem emphatischen Ausruf: „An der Stellung, die sie zu Hegel findet oder nicht findet, muss sich die Zukunft der deutschen Rechtsphilosophie entscheiden.“ 4 1 So sein Selbstzeugnis im Vorwort zur 1. Aufl. seiner Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1960). 2 Vgl. zu diesem R. Dreier, Julius Binder (1870–1939) – Ein Rechtsphilosoph zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: F. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren (1987), S. 435–455; wieder abgedruckt in R. Dreier, Recht – Staat – Vernunft (1991), S. 142–165. 3 Vgl. dazu näher Diederichsen, Karl Larenz, in: C. H. Beck (Hrsg.), Juristen im Porträt, Festschrift zum 225-jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck (1988), S. 495, 497. 4 Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung (1927), S. 105.

Karl Larenz

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Dass eine Dissertation veröffentlicht wurde, war in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts anders als heute, wo wir geradezu mit einer Flut von – häufig gänzlich überflüssigen – Publikationen von Dissertationen überschwemmt werden, ein exzeptioneller Erfolg. Dieser wurde noch dadurch gesteigert, dass die Arbeit im Jahre 1970 einen Nachdruck erlebte. In der Tat entfaltet sie einen Gedanken von großer Fruchtbarkeit mit einer Klarheit, die dem damaligen Stand der Diskussion weit voraus war und von der wir noch heute zehren: Larenz erkennt, dass die so genannte Adäquanz kein Kriterium der Kausalität, sondern der objektiven Zurechnung ist 5 und gibt damit zugleich – was noch weitaus wichtiger ist – dem letzteren Begriff einen dauerhaften Platz in der Dogmatik des Schadensersatzrechts. Gerade weil uns das heute als selbstverständlich erscheint, lag darin damals eine wissenschaftliche Leistung von besonderem Rang. Schon in der Dissertation werden somit zwei charakteristische Fähigkeiten von Larenz deutlich: Er vermochte, wie kaum ein zweiter Privatrechtler seiner Zeit, philosophische Einsichten in dogmatische Kategorien umzusetzen; und er besaß eine außergewöhnliche Gabe, Probleme und ihre Lösungen in präzisen Formulierungen zu verdichten und sie also – ganz im Geiste seines damaligen Meisters Hegel – „auf den Begriff zu bringen“. 2. Die Willenserklärung als „Geltungserklärung“ – analytische Sprachphilosophie avant la lettre Diese Fähigkeiten beweist Larenz auch in seiner 1930 erschienenen Habilitationsschrift über „Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts“. Deren Hauptleistung liegt darin, dass Larenz in ihr die so genannte Geltungstheorie entwickelt hat, nach der eine Willenserklärung nicht als Mitteilung über einen inneren Willen des Erklärenden, sondern als Ingeltungsetzung der entsprechenden Rechtsfolge zu qualifizieren ist.6 Auch diese These hat sich durchgesetzt und darf heute wohl als allgemein anerkannt angesehen werden. Der wahre Rang dieser wissenschaftlichen Leistung wird erst deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrund der analytischen Sprachphilosophie der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts sieht, wie sie vor allem durch Austin und Searle geprägt worden ist. Diese hat die besondere Struktur von Sätzen, die keine Aussage, sondern ein Versprechen, einen Befehl oder dgl. zum Gegenstand haben, herausgearbeitet und sie als „performative utterances“ den

5

Larenz (Fn. 4), S. 84. Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts (1930), S. 58 ff.; vertiefend ders., Originäre Rechtssachverhalte, in: Würtenberger (Hrsg.), Festschrift für Gerhart Husserl zum 75. Geburtstag (1969), S. 132–151. 6

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

„constative utterances“ gegenübergestellt.7 Danach stellt eine performative 8 Äußerung einen Sprechakt dar,9 durch dessen Vollzug genau das bewirkt wird, wovon darin die Rede ist.10 Dazu gehört auch das Rechtsgeschäft als Geltungsanordnung, ja dieses bildet geradezu ein Musterbeispiel für eine performative Äußerung; denn es ist eben der Akt des Sprechens selbst (oder eines konkludenten, d.h. „sprechenden“ Verhaltens) und nicht ein diesem vorausliegender innerer Wille, welcher die Rechtsfolge in Geltung setzt, und daher geht es beim Rechtsgeschäft in der Tat in einem wahrhaft paradigmatischen Sinne um die Möglichkeit „to do things with words“ 11. Larenz ist somit durch die Formulierung der Geltungstheorie analytische Sprachphilosophie avant la lettre gelungen, indem er in hellsichtiger Weise zentrale Einsichten derselben vorweggenommen hat.12 Insofern als er diese mit dem Terminus „Geltungserklärung“ optimal „auf den Begriff gebracht“ hat, darf man hier geradezu von einer „juristischen Entdeckung“ sprechen.13 Nun hat freilich Werner Flume eingewandt, schon aus der Konzeption von Savignys ergebe sich „mit Selbstverständlichkeit, dass die Willenserklärung ihrem Inhalt nach Geltungserklärung ist“.14 Larenz hat darauf im Nachwort zum Nachdruck seines Buches – auch diesem ist ein solcher im Jahre 1966 zuteil geworden – nobel-zurückhaltend erwidert, er wolle „da-

7 Grundlegend J. L. Austin, Performatif – constatif, in: L. Beck (Hrsg.), La philosophie analytique (1962), S. 271–304 = Performative und konstatierende Äußerungen, in: Bubner (Hrsg.), Sprache und Analysis (1966), S. 140–153; ders., How to do things with words (1962), S. 4 ff. 8 Das Wort „performativ“ hat sich im Anschluss an Austin auch in der deutschsprachigen philosophischen Terminologie durchgesetzt. Das englische Wort „performative“ ist von Austin aus dem Verbum „to perform“ gebildet worden, das im vorliegenden Zusammenhang wohl am besten mit (einen Akt) „ausführen“ oder „vollziehen“ zu übersetzen ist; mit „constative“ meint Austin ungefähr dasselbe, was man in der deutschen Rechtssprache als „deklaratorisch“ zu bezeichnen pflegt, vgl. dazu Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: ders. u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I, (2000), S. 129, 136. 9 Vgl. dazu auch Searle, Speech acts (1969), S. 22 ff. 10 Vgl. Ritter/Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie (1989), Bd. 7, S. 254; jüngst Augsberg, Rechtslektionen – Zur Textualität des juristischen Verfahrens, Rechtstheorie 40 (2009), 71, 77. 11 Vgl. den Titel des oben Fn. 7 zitierten grundlegenden Werks von J. L. Austin. 12 Eine unterschwellige Verbindung mag dabei darin liegen, dass Larenz trotz seines emphatischen Bekenntnisses zu Hegel schon damals (und später erst recht) einen ausgeprägten (wenn auch meist nicht explizit eingestandenen) Sinn für eine phänomenologische Sichtweise hatte und dass dieser offenbar auch den Anhängern der analytischen Sprachphilosophie zueigen ist. 13 Vgl. zu diesem Begriff Dölle, Juristische Entdeckungen, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 42. DJT (1958) Bd. II, B 1 ff.; siehe ferner Hoeren (Hrsg.), Zivilrechtliche Entdecker (2001). 14 Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts (4. Aufl. 1992), § 4, 7.

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rüber nicht mit ihm streiten“, doch sei „die Willenstheorie jedenfalls nicht immer so verstanden worden, wie Flume sie verstanden wissen will“.15 Letzteres trifft ohne Zweifel zu und manifestiert sich etwa in der Position eines so bedeutenden Privatrechtlers wie derjenigen von Tuhrs, wonach die Willenserklärung „eine Handlung ist, welche zu dem Zweck vorgenommen wird, einen Vorgang des Seelenlebens zur Kenntnis der Mitwelt zu bringen“.16 Das ist in der Tat eine Formulierung, in welcher der Charakter der Willenserklärung als Geltungserklärung von Grund auf verkannt wird. Freilich gibt es auch Stellungnahmen, in denen dieser durchaus zutreffend anklingt.17 Es war jedoch erst Larenz, der die spezifische Eigenart der Willenserklärung als Geltungserklärung in philosophisch fundierter Weise zutreffend herausgearbeitet hat, wie insbesondere die frappierende Übereinstimmung mit den – Jahrzehnte später (!) gewonnenen – Einsichten der analytischen Sprachphilosophie belegt. Außerdem ist es erst ihm gelungen, dafür einen überzeugungskräftigen Begriff zu schaffen. 3. Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart – und „die Nacht, die man Aufklärung nennt“ So erweist sich Larenz durch seine beiden Frühschriften bereits mit 27 Jahren als Wissenschaftler exzeptionellen Ranges; heute würde man von Exzellenz sprechen. Kühn greift er denn auch schon ein Jahr später – auf Referendariat und Assessorexamen souverän verzichtend – nach einem noch anspruchsvolleren Gegenstand und legt ein gut 100-seitiges Buch mit dem Titel „Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart“ vor. Zwar sehe ich keinen Anlass, dessen Inhalt in den Einzelheiten nachzuzeichnen, greife aber doch immerhin zwei Aspekte heraus, die mir auch heute noch als bemerkenswert erscheinen. Nahezu von selbst versteht sich zunächst, sei aber dennoch ausdrücklich festgehalten, dass Larenz sich erneut mit Nachdruck für eine „Wiederbelebung Hegels“ einsetzt und daher nach Anknüpfungspunkten hierfür bei anderen zeitgenössischen Rechtsphilosophen sucht.18 Damit einher geht eine pointierte Distanzierung gegenüber der „Aufklärung“ und deren Grundhaltung zum Verhältnis von Staat und Mensch, die Larenz als „Individualismus“ charakterisiert.19 So kritisiert er Kant, weil dieser sich von „dem abstrakten rationalistischen Denken der Aufklärung … noch nicht hat befreien 15

Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts (Neudruck 1966), S. 107. So von Tuhr, Der allgemeine Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, Band II Teil 1 (1914), S. 400; hierauf bezieht sich ausdrücklich Larenz (Fn. 15), S. 37 mit Fn. 6. 17 Das gilt z.B. für die von Flume (Fn. 14) zitierten Ausführungen Hölders auf dem 20. Deutschen Juristentag im Jahre 1889. 18 Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart (1931), S. 108 f. 19 Larenz (Fn. 18), S. 95 ff. 16

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

können“.20 Auf der gleichen Linie liegt, dass er Gustav Radbuch wegen dessen neukantianisch beeinflusster relativistischer Einstellung gegenüber der Erkenntnis von Werten entgegenhält, für diese Auffassung gelte, „dass sie in der Nacht bleiben will, die man Aufklärung nennt …“.21 Diese Bemerkung hat Arthur Kaufmann in seiner Münchener Abschiedsvorlesung 1991 aufgegriffen. Er befasste sich dabei u. a. mit den geistigen Strömungen gegen Ende der Weimarer Republik, nannte als eine solche – völlig zu Recht – „Die ewige Wiederkehr des Irrationalismus“, attackierte als eine ihrer Erscheinungsformen den „faschistischen Irrationalismus“ und fuhr dann fort: „Das war kein Irrationalismus mehr, wie er 22 etwa noch die Freirechtsbewegung beflügelt hat, die sich zwar als über-rational, auch als a-philosophisch, aber nicht als widervernünftig verstand – das war die kalt berechnete bare Unvernunft, die Umkehr der Aufklärung: Gegenaufklärung. Wer, wie Gustav Radbruch, damals noch an den Werten der Rationalität und der Vernünftigkeit festhielt, musste sich verspotten lassen, dass er ‚in der Nacht bleiben will, die man Aufklärung nennt‘ (Karl Larenz)“.23

Hier wird also Larenz unverblümt in den Zusammenhang der faschistischen Ideologie gestellt. Was Kaufmann indessen nicht erwähnt – und was auch ich Ihnen bisher aus Gründen der Vortragsdramaturgie vorenthalten habe –, ist, dass das Wort von „der Nacht, die man Aufklärung nennt“ ein Hegel-Zitat darstellt 24 und als solches von Larenz auch ausdrücklich gekennzeichnet worden war. Berücksichtigt man dies und nimmt man hinzu, dass wir das Jahr 1931 schreiben, so erscheint die Äußerung von Larenz in einem völlig anderen Licht: Hier attackiert ein Hegelianer einen Kantianer mit einem Wort seines „Meisters“. Wenngleich ich der Herabsetzung der Aufklärung genauso kritisch gegenüberstehe wie Kaufmann, vermag ich in Larenz’ Polemik daher nicht ein Zeichen „kalt berechneter barer Unvernunft“ zu sehen, sondern lediglich den Ausdruck eines philosophischen Schulenstreits, wie er seinerzeit alles andere als ungewöhnlich war. Hinzukommt, dass Larenz damals ein 28-jähriger Privatdozent, Radbruch dagegen einer der angesehensten und, zumal als mehrfacher Reichsjustizminister, gewiss auch einflussreichsten Rechtswissenschaftler Deutschlands war. Zum Gesamtbild gehört m.E. schließlich, dass Larenz in der 2. Auflage seiner „Rechts- und Staats-

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Larenz (Fn. 18), S. 95. Larenz (Fn. 18), S. 67. 22 Im Original steht irrig: „ihn“. 23 A. Kaufmann, Rechtsphilosophie in der Nachneuzeit (1991), S. 7. 24 Es stammt aus Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Erster Band, XI, S. 34, vgl. Hegel, Sämtliche Werke, hrsgg. von Hermann Glockner, 15. Band (1928), S. 49 f.; bei Hegel steht statt „man“ „sie“, was sich auf eine – zuvor kritisierte – „negative Richtung“ bezieht. 21

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philosophie der Gegenwart“ von 1935, als er selbst in Kiel als Ordinarius etabliert, Radbruch dagegen verfemt war, dieses Hegel-Zitat, an dem Radbruch im Vorwort zur 3. Auflage seiner „Rechtsphilosophie“ von 1932 Anstoß genommen hatte,25 ersatzlos gestrichen hat.26 Auch bei erneuter Durchsicht der 1. Auflage von „Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart“ aus dem Jahr 1931 kann ich in dieser kein spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut finden. Gleichwohl erscheint mir die zitierte Stellungnahme von Kaufmann trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – des ihr zugrunde liegenden Fehlverständnisses als hochgradig signifikant. Vor ihrem Hintergrund gewinnt nämlich mein Satz „Am Anfang war Hegel“ einen düsteren Beiklang. Denn hier tritt, mittelbar und von Kaufmann vermutlich unbeabsichtigt, eine Tiefendimension zu Tage, die für mich vor allem in dem Buch von Karl Popper „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ ihren thematischen Niederschlag gefunden hat, ist doch einer dieser „Feinde“ bekanntlich Hegel.27 Demgemäß hätte sich Larenz in der Zeit, in der ich ihn gekannt habe, nach meiner Einschätzung mit Sicherheit das Wort von „jener Nacht, die man Aufklärung nennt“ nicht mehr zueigen gemacht.28

II. Verstrickung in den Nationalsozialismus Damit befinde ich mich schon im Übergang zu dem dunklen Kapitel, das nun folgen sollte: Larenz’ Verstrickung in den Nationalsozialismus. Dazu habe ich vorab drei klarstellende Bemerkungen zu machen. 1. Drei Vorbemerkungen Zunächst: Ich bin kein Historiker und verfüge daher nicht über das Rüstzeug eines solchen. Außerdem ist diese Vortragsreihe nicht als Veranstaltung zur Zeitgeschichte angelegt, wenngleich auch zeitgeschichtliche Aspekte dabei selbstverständlich zur Sprache kommen müssen. Ich werde also nicht

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Radbruch, Rechtsphilosophie (3. Aufl. 1932), S. VIII. Auf diese Zusammenhänge habe ich Kaufmann im Anschluss an seine Abschiedsvorlesung brieflich hingewiesen – ohne vorherige Abstimmung mit Larenz –, da mir sofort aufgefallen war, dass es sich bei der von ihm attackierten Äußerung um ein Hegel-Zitat handelte. Er hat darauf reagiert, indem er in der 2. Aufl. von 1992 zwar den Text unverändert gelassen, aber den wesentlichen Inhalt meines Briefes (unkommentiert) in Fn. 24 wiedergegeben hat. 27 Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II, Falsche Propheten – Hegel, Marx und die Folgen (1958) (hier zitiert nach der 3. Aufl. 1973, übersetzt von P. Feyerabend), S. 36 ff. 28 Vgl. dazu auch unten III 2 b). 26

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

einen Abschnitt der „Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“ oder dgl., sondern eine Phase in der wissenschaftlichen Biographie von Karl Larenz behandeln, ohne dabei freilich aus dem Auge zu verlieren, dass dieser damals einer der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Rechtswissenschaft war und es nach 1949 wieder geworden ist. Sodann: Ich bin Schüler von Larenz und war als solcher mit ihm über Jahrzehnte fachlich und persönlich verbunden. Gleichwohl werde ich selbstverständlich versuchen, in dem Maße, in dem das dieser politisch und emotional hochbelastete Gegenstand überhaupt zulässt, „sine ira et studio“ zu sprechen. Dabei bin ich mir bewusst, dass mancher – hoffentlich freilich keiner meiner heutigen Zuhörer – nur darauf wartet, mir Beschönigungen oder Verharmlosungen dessen, was mein Lehrer während des „Dritten Reiches“ veröffentlich hat, vorwerfen zu können. Jedoch werde ich mir durch dieses Risiko nicht den Schneid nehmen lassen, mit der für einen Wissenschaftler geziemenden Klarheit auch dann Stellung zu beziehen, wenn mit Äußerungen von Larenz aus jener Zeit nach meinem Urteil im kritischen Schrifttum inkorrekt umgegangen worden ist. Andererseits werde ich es selbstverständlich auch an Schärfe der Distanzierung nicht fehlen lassen, wo diese geboten ist. Schließlich: Es gibt aus der Zeit von 1933 bis etwa 1943 eine fast unglaubliche Vielzahl von Publikationen aus Larenz’ Feder.29 Es brächte die Proportionen dieses Vortrags vollständig aus dem Gleichgewicht (und überdies nach meiner Überzeugung in der Sache kaum Gewinn), würde ich versuchen, diese auch nur einigermaßen vollständig zu behandeln. Daher werde ich lediglich einen Hauptschwerpunkt setzen: Ich werde mich ausführlich mit einem paradigmatischen Problem befassen: mit Larenz’ besonders häufig und heftig kritisierter Stellungnahme zum Begriff der Rechtsfähigkeit. Zusätzlich werde ich zwei Nebenschwerpunkte bilden, die einer paradigmatischen Schrift und einer m. E. zu Unrecht bisher unbeachtet gebliebenen Arbeit aus der Spätzeit des „Dritten Reichs“ gewidmet sind: seiner bekanntesten Publikation aus jenen Jahren, dem kleinen Buch „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“ von 1938 zum einen und der – weitaus umfangreicheren – Abhandlung „Sittlichkeit und Recht“ von 1943 zum anderen. 2. Ein Selbstzeugnis von Karl Larenz Larenz gehörte bekanntlich zur sogenannten „Kieler Rechtsschule“. Dieser war von den Nationalsozialisten eine führende Rolle für die Verbreitung

29 Eine – vermutlich nicht einmal vollständige, aber aussagekräftige – Übersicht findet sich bei Frassek, Von der „völkischen Lebensordnung“ zum Recht (1996), S. 191 ff.

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und Durchsetzung nationalsozialistischen Denkens zugedacht; 30 sie hatte insoweit, wie oft formuliert wird, die Funktion eines „Stoßtrupps“.31 Zu dem Hintergrund seiner Berufung nach Kiel und zu der Rolle, die er in der Zeit des Nationalsozialismus gespielt hat, hat sich Larenz in einem Brief an Ralf Dreier vom 25. Februar 1987 geäußert, den dieser kurz nach Larenz’ Tod veröffentlicht hat.32 Der Brief knüpft an eine Publikation Dreiers an und beginnt mit den Worten: „… Da Sie … auch auf die Binder-Schüler und den Neuhegelianismus eingehen, habe ich mich nun entschlossen, Ihnen zu schildern, wie ich damals eigentlich zu meiner in der Tat widersprüchlichen und eigentlich unverständlichen Haltung gekommen bin.“ Etwas später heißt es, dass „wir, ich meine die Binder-Schüler, damals zwar alle, wie die meisten, ‚national‘ dachten, die Nationalsozialisten aber für unfähig hielten.“ Nach einigen Sätzen über den Wirtschaftswissenschaftler Jens Peter Jessen, der nach Ansicht von Larenz „über Verbindungen verfügt haben muss, die in das preußische Ministerium reichten“, kommt er dann zum Kern des Geschehens. Ich zitiere den Brief im Folgenden über eine längere Strecke ohne wesentliche Auslassungen wörtlich: „Am 2.5.1933 trafen die Herren Huber, Dahm und ich – wir kannten uns bis dahin nicht – dort zusammen und wurden mit der Vertretung von Lehrstühlen in Kiel beauftragt, die dort infolge des berüchtigten Gesetzes 33 verwaist waren. Das war nur ein kurzer routinemäßiger Akt; aber anschließend wurde jeder von uns einzeln von einem jungen Mann bei Seite genommen, der ein Mitarbeiter des Referenten zu sein schien. Es war Wilhelm Ahlmann.34 Dieser stammte aus einer sehr bekannten Kieler Bankiersfamilie und war blind, wie wir später erfuhren, weil er am Ende des 1. Weltkrieges versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Ich nehme heute an, dass

30 Vgl. dazu z.B. Erdmann, Wissenschaft im Dritten Reich (1967), S. 14 ff.; Eckert, Was war die Kieler Schule? in: Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus (1992), S. 37–70; Frassek (Fn. 29), S. 26 ff.; ders., Göttinger Hegel-Lektüre, Kieler Schule und nationalsozialistische Juristenausbildung, in: E. Schumann (Hrsg.), Kontinuitäten und Zäsuren – Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit (2008), S. 49 ff. (insbesondere auch zu Larenz’ Stellung innerhalb der Kieler Schule). 31 Vgl. nur Eckert (Fn. 30), S. 46 ff. mit Nachw. 32 Vgl. R. Dreier, Karl Larenz über seine Haltung im „Dritten Reich“, JZ 1993, 454, 455 f.; vgl. auch schon die Wiedergabe des Auszugs aus einem Brief von Larenz an Erdmann, der zwar offenbar kürzer war, aber inhaltlich im Wesentlichen und teilweise sogar im Wortlaut übereinstimmte (Fn. 30), S. 15 Fn. 18. 33 Gemeint ist das Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933, RGBl. I 1933, S. 175. 34 Dieser war damals Hilfsreferent in der Hochschulabteilung des Preußischen Kultusministeriums, stand später der Widerstandsbewegung nahe und nahm sich am 7.12.1944 das Leben, vgl. Eckert (Fn. 30), S. 37, 49; weitere Schrifttumsnachweise zu ihm finden sich bei R. Dreier, JZ 1993, 454, 456 Fn. 17. Jessen schloss sich der Widerstandsbewegung an und wurde im Zusammenhang hiermit am 30.11.1944 hingerichtet; ein Schrifttumsnachweis zu ihm findet sich bei R. Dreier, JZ 1993, 454, 455 Fn. 15; vgl. ferner Schlüter-Ahrens, Der Volkswirt Jens Jessen: Leben und Werk (2001).

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Jessen ihn in das Ministerium eingeschleust hatte und dass das, was er uns sagte, mit Jessen abgesprochen war. Mir sagte Ahlmann: Da man es nun nicht mehr ändern könne, dass die Nationalsozialisten an die Macht gekommen wären, müsse man versuchen, sie auf einen vernünftigen Weg zu bringen. Sie hätten bisher kein rechtes Verhältnis zum Recht und zur Staatsidee. Um ihnen dies zu vermitteln, müsse man ihnen eine Rechts- und Staatsphilosophie, wie ich sie in meiner Schrift über die Rechts- und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus dargestellt hatte,35 in einer solchen Weise nahe bringen, dass sie sich darin wieder finden und sie akzeptieren könnten. Das sollte meine Aufgabe sein. Nun war das, was er sagte, aus heutiger Sicht völlig unsinnig und realitätsfern. Damals glaubten aber wirklich viele, der Nationalsozialismus sei eine noch formbare Masse. Von Ahlmann ging, gerade wohl wegen seiner Blindheit, eine außerordentliche suggestive Kraft aus. … Ich war von seinen Ausführungen stark beeindruckt, wenn ich auch keine Ahnung hatte, wie ich seinen ‚Auftrag‘ sollte ausführen können. Nach dem Kriege habe ich einmal mit Huber darüber gesprochen. Ihm hatte Ahlmann gesagt, er solle den Nationalsozialisten eine Verfassung suggerieren, an die sie sich dann gebunden halten müssten. Es kommt nun eine zweite Sache hinzu, die dazu führte, dass ich wirklich versuchte, den Plan Ahlmanns (und Jessens?) zu verwirklichen.“ Larenz schildert sodann näher, wie er an Stelle von Richard Kroner zusammen mit Hermann Glockner zum Herausgeber der Zeitschrift „Logos“ wurde, und fährt fort: „Jetzt glaubte ich, ein Instrument in der Hand zu haben, mit dessen Hilfe ich im Sinne Ahlmanns tätig werden konnte“. Abschließend sagt Larenz: „Natürlich weiß ich heute, dass ich dem Rat von Ahlmann nicht hätte folgen sollen. Ich will da nichts beschönigen. Aber, wenn heute manchmal behauptet wird, der Nationalsozialismus habe sich auf Hegel gestützt, oder die Hegelianer hätten auf ihn irgendeinen Einfluss gehabt, so ist das eine Legende.“

Ich habe diesen Brief – von dem ich erst im Zusammenhang mit seiner Publikation durch Dreier Kenntnis erlangt habe – aus zwei Gründen so ausführlich im Wortlaut wiedergegeben. Zum ersten stellt er die einzige wesentliche schriftliche Äußerung von Larenz über sein Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus dar. Und zum zweiten entspricht er in seinen Grundlinien genau den – wenigen – Äußerungen, die Larenz hierüber mir gegenüber – und, soweit mir bekannt ist, auch seinen anderen Schülern gegenüber – getan hat. Dabei hat er sich stets auf seine seinerzeitige Hoffnung berufen, er könne dazu beitragen, den nationalsozialistischen Staat an einen gewissen Mindeststandard von rechtsstaatlichen Prinzipien zu binden und seiner Perversion zum Unrechtsstaat entgegenzuwirken; die Sprache der Nationalsozialisten habe er sprechen müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, dass seine Gedanken von diesen wahrgenommen würden. Zugleich hat er 35 Gemeint ist offenbar der Beitrag von Larenz, Die Rechts- und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus und ihre Gegenwartsbedeutung, in: Larenz/Holstein (Hrsg.), Staatsphilosophie (1933), S. 89–188.

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dabei den völlig illusionären Charakter seiner Hoffnungen 36 in scharfer Selbstkritik betont und seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus ebenso wie in dem Brief an Dreier sinngemäß als „widersprüchlich und eigentlich unverständlich“ bezeichnet. Ebenso wenig wie in diesem – und das stellt aus meiner Sicht ein dramatisches Defizit dar – ist freilich im Gespräch mit mir jemals vom Holocaust oder auch nur von der Unterdrückung und Diskriminierung der Juden die Rede gewesen. Wenden wir uns nun also einigen repräsentativen Publikationen aus jener Zeit zu und richten wir dabei ein Auge auch – aber keineswegs nur – darauf, wie sie sich zu der in dem Brief und in mündlichen Äußerungen tradierten Grundhaltung von Larenz verhalten. 3. Ein paradigmatisches Problem: Rechtsfähigkeit und Rassenideologie a) Der „Volksgenosse“ als Rechtsgenosse und der Nichtrechtsgenosse als „Gast“ Die schärfste Kritik, die Larenz für Äußerungen während der Zeit des Nationalsozialismus erfahren hat, betrifft seine Stellungnahme zur Frage der Rechtsfähigkeit. Hören wir ihn zunächst wieder selbst wörtlich mit der inkriminierten Passage aus dem Jahr 1934: „Nicht als Individuum, als Mensch schlechthin oder als Träger einer abstrakt-allgemeinen Vernunft habe ich Rechte und Pflichten und die Möglichkeit, Rechtsverhältnisse zu gestalten, sondern als Glied einer sich im Recht ihre Lebensform gebenden Gemeinschaft, der Volksgemeinschaft. Nur als in Gemeinschaft lebendes Wesen, als Volksgenosse ist der Einzelne eine konkrete Persönlichkeit. Nur als Glied der Volksgemeinschaft hat er seine Ehre, genießt er Achtung als Rechtsgenosse. Rechtsgenosse zu sein, das heißt im Recht zu leben und eine bestimmte Gliedstellung auszufüllen, ist also ein Vorrecht des Volksgenossen. Es ist, wenn man so will, eine besondere Qualität nicht des Menschen schlechthin, sondern des Volksgenossen. Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Dieser Satz könnte an Stelle des die Rechtsfähigkeit ‚jedes Menschen‘ aussprechenden § 1 BGB an die Spitze unserer Rechtsordnung gestellt

36 Dass sich auch andere prominente Rechtswissenschaftler, die nicht unmittelbar oder allenfalls eingeschränkt der „Kieler Schule“ zuzurechnen sind, ähnlichen Illusionen hingegeben haben, zeigt das Beispiel Franz Wieackers, vgl. J. G. Wolf, Franz Wieacker, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 73, 77. Der Grundhaltung von Larenz entsprechen auch die (unveröffentlichten) Äußerungen E. R. Hubers, eines anderen Angehörigen der Kieler Schule, die Grothe wiedergegeben hat, vgl. „Strengste Zurückhaltung und unbedingter Takt“ – Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und die NS-Vergangenheit, in: E. Schumann (Hrsg.), Kontinuitäten und Zäsuren – Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit (2008), S. 333 f.

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werden.“ … „Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht, ist nicht Rechtsgenosse.“ 37

Diese Sätze erfüllen einen in der Tat mit Schaudern, ja Abscheu. Denn sie leugnen elementarste Errungenschaften europäischen Rechtsdenkens und Fundamente der Humanität, worauf ich noch vertiefend zurückkommen werde.38 Indessen hat Larenz noch mehr zu sagen und fährt fort: „… Allerdings kann und wird der Fremde in vielen Beziehungen als Gast dem Rechtsgenossen gleichgestellt werden. Der Ausländer, der sich auf deutschem Boden befindet, unterliegt der Herrschaftsgewalt des deutschen Staates, genießt Leibund Lebensschutz sowie Vermögensrechte und nimmt teil am Rechtsverkehr. Er ist selbstverständlich nicht etwa ein Rechtsobjekt. Wir müssen uns jenes abstrakte Entweder – Oder abgewöhnen, nach dem ein Mensch entweder nur Person und Subjekt oder nur Objekt des Rechts sein kann. Der Nichtrechtsgenosse ist Rechtssubjekt, er genießt eine beschränkte Rechtsfähigkeit, die ihm von der Volksgemeinschaft als Rechtsgemeinschaft 39 in bestimmtem Umfange zugestanden wird. Er ist aber nicht, wie der Volksgenosse, kraft seiner Geburt dazu bestimmt, der Gemeinschaft anzugehören, in ihrem Recht zu leben. Er ist, auch soweit ihm Rechtsfähigkeit zugestanden wird, doch nicht Mitträger jenes gemeinschaftlichen Lebens, durch dessen immer erneuten Vollzug sich das Recht als Gemeinschaftsordnung bildet und erhält. Er kann nicht Richter oder Schöffe sein oder sonst ein ‚Amt‘ bekleiden; von den wichtigsten Rechtsstellungen bleibt er ausgeschlossen; z.B kann er nicht Eigentümer eines Erbhofs sein. So ist der Ausländer nicht deutscher Rechtsgenosse, wenngleich er unter dem Schutz unseres Rechtes steht und in weitem Umfang am Rechtsverkehr und seinen Einrichtungen teil hat und als Gast geachtet wird.“

Diese Passage nimmt zwar dem zuvor zitierten ersten Teil der Ausführungen von Larenz in keiner Weise seine Anstößigkeit,40 ergänzt ihn jedoch wesentlich in eine gegenläufige Richtung. Denn dem „Nichtrechtsgenossen“ und also nicht nur dem Träger einer fremden Staatsangehörigkeit, sondern inzident auch dem, wie Larenz damals nicht selten formulierte, „Rassefremden“, also dem Nichtarier 41 werden hier ausdrücklich eine „beschränkte 37 Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht – Zur Wandlung der Rechtsgrundbegriffe (1935), S. 21 = ders., Rechtsperson und subjektives Recht – Zur Wandlung der Rechtsgrundbegriffe, in: Dahm u.a. (Hrsg.), Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), S. 225, 241 (Hervorhebungen im Original). 38 Vgl. unten d). 39 D.h. als einer Gemeinschaft, die sich im Recht ihre Lebensform gibt. Ich verstehe den Ausdruck „Rechtsgemeinschaft“ hier – ebenso wie in meinen früheren Schriften – also in einem anderen Sinn als Höhn in seiner Schrift „Rechtsgemeinschaft und Volksgemeinschaft“ (Fußnote von Larenz). 40 Vgl. näher unten d). 41 Dass auch dieser einbezogen ist, hat Prölss, Erwiderung auf Jakobs’ Beitrag zu Karl Larenz, JZ 1994, 33 f. in genauer Analyse des Textes von Larenz nachgewiesen; sein Kontrahent H. H. Jakobs hat ihm darin ausdrücklich zugestimmt, vgl., JZ 1994, 33, 34.

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Rechtsfähigkeit“, insbesondere „Leib- und Lebensschutz“, ja sogar „Vermögensrechte“, zugestanden und lediglich die Fähigkeit zur Innehabung von Stellungen wie Richter und Schöffe oder Eigentümer eines Erbhofs abgesprochen. Auch betont Larenz den Status als „Gast“ in auffälliger Weise, wobei dieser nach dem Kontext positiv besetzt ist. Man muss sich in diesem Zusammenhang bewusst machen, dass im Jahre 1935 die Vorstellung, der Gast sei „heilig“ und dies sei „deutsches“ Gedankengut, noch in einer Weise lebendig war, die heute jenseits der Vorstellungswelt der meisten Menschen liegt. Daher halte ich es nicht für wissenschaftlich korrekt, bei einer kritischen Auseinandersetzung mit der brieflichen Stellungnahme von Larenz zu seiner Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus diesen zweiten Teil seiner Ausführungen zur Rechtsfähigkeit einfach unerwähnt zu lassen, wie das indessen u.a. H. H. Jakobs getan hat.42 Abgesehen davon, dass dadurch ein einseitiges und damit unfaires Bild entsteht, hätte Larenz nicht ohne eine gewisse Plausibilität geltend machen können, seine Betonung des Leibes- und Lebensschutzes und der Vermögensrechte von Nichtrechtsgenossen und deren Ausschluss lediglich von solchen Rechtsstellungen wie denen des Richters, Schöffen und Erbhofeigentümers sei in der Tat Teil seines – wenngleich politisch gänzlich naiven – Versuchs gewesen, Schlimmeres zu verhindern.43 Interessanter und ergiebiger, wenngleich letztlich nicht weniger angreifbar ist der Umgang von Rüthers mit dieser Passage. Er zitiert zunächst die Sätze „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist nur, wer deutschen Blutes ist“ und sodann – anders als Jakobs – korrekter Weise auch den Satz „Allerdings kann und wird der Fremde in vielen Beziehungen als Gast dem Rechtsgenossen gleichgestellt werden“. Anschließend fügt er jedoch ohne jede Analyse hinzu, dass diese beiden Zitate „sinngemäß mit den Punkten 4 und 5 des Programms der NSDAP übereinstimmen“.44 Das trifft indessen nur für das erste, nicht aber auch für das zweite Zitat von Larenz zu. Denn Ziff. 5 dieses Programms lautete: „Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter Fremdengesetzgebung stehen.“ Rüthers verschweigt also, dass das Wort „Gast“ bei Larenz gerade die entgegengesetzte Tendenz hat und primär als Mittel zum Schutz des 42 H. H. Jakobs, Karl Larenz und der Nationalsozialismus, JZ 1993, 805, 814; kritisch dazu mit Recht Prölss, JZ 1994, 33 f.; auch H. Wagner, Kontinuitäten in der juristischen Methodenlehre am Beispiel von Karl Larenz, Demokratie und Recht (1980), S. 254 f. verschweigt Larenz’ Ausführungen über den „Nichtrechtsgenossen“ als „Gast“; ähnlich verkürzend Eckert (Fn. 30), S. 61 f.; Wesel, Geschichte des Rechts (3. Aufl. 2006), Rn. 299, der das Zitat ebenfalls vor der Passage über den „Gast“ abbricht und fortfährt: „Das bedeutete die Vernichtung der bürgerlichen Existenz von Juden, deren Fortsetzung die der physischen Existenz in den Gaskammern von Auschwitz gewesen ist.“ 43 Vgl. aber auch unten d). 44 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung – Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus (1968), S. 330 (6. unveränderte, um ein Nachwort erweiterte Aufl. 2005; im Folgenden wird die 1. Aufl. zitiert); ähnlich ders., Entartetes Recht (1988), S. 92 f.

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Nichtrechtsgenossen fungiert. Auch darf man zumal dann, wenn man sich so intensiv wie Rüthers mit Larenz’ Lehre vom „konkret-allgemeinen Begriff“ auseinandergesetzt hat, nicht einfach seine Konkretisierungen – Leibes- und Lebensschutz sowie Vermögensrechte einerseits, Ausschluss aus der Stellung als Richter, Schöffe und Erbhofeigentümer andererseits – mit Stillschweigen übergehen, lassen doch folgerichtig erst sie die eigentliche Bedeutung der von Larenz verwendeten Begriffe erkennen. b) „Rechtfertigung der privatrechtlichen Entrechtung der Juden“ (Zöllner)? Bevor ich alsbald auf Rüthers vertiefend zurückkomme, muss ich mich noch mit einer zweiten Aussage von Larenz zur Problematik der Rechtsfähigkeit befassen. Der von mir hochgeschätzte Kollege Wolfgang Zöllner hat es nämlich leider für passend erachtet, im Rahmen des Vortrags, den er in dieser Reihe über Alfred Hueck gehalten hat, auch auf Larenz näher einzugehen und dabei u.a. gesagt: „Von ihm stammt, …, die berüchtigte Schrift über ‚Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens‘ (1938), in der Larenz die privatrechtliche Entrechtung der Juden aus seinen rechtsquellentheoretischen Erwägungen rechtfertigt. Ich erinnere mich meines Entsetzens, als mir diese Schrift in die Hände kam. Ich kannte Larenz bis dahin vor allem aus seinem bewunderungswürdigen Schuldrecht, und ich kannte ihn als einen persönlich ungewöhnlich liebenswürdigen und netten Mann, der keiner Fliege etwas zu Leid tun konnte. Wie wir die Mitwirkung biederer Familienväter als Peiniger und Mörder in Konzentrationslagern nicht begreifen können, so wird uns auch die Schreibtischtäterschaft prominenter Juristen ein Rätsel bleiben.“45

Liest man, was Larenz in der genannten Schrift an der einzigen einschlägigen Stelle schreibt, so reibt man sich die Augen. Hier heißt es nämlich: „Das völkische Rechtsdenken spricht, was ausdrücklich betont werden muss, keinem Menschen, auch nicht dem Rassefremden, die Rechtsfähigkeit und damit die Persönlichkeit überhaupt ab. Der § 1 des BGB bleibt insofern unberührt; aber durch die Geburt erlangt der Mensch nicht eine abstrakte ‚Rechtsfähigkeit überhaupt‘, sondern eine konkrete Rechtsfähigkeit (als Rassegenosse oder Rassefremder).“ 46

45 Vgl. Zöllner, Alfred Hueck, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 131, 145. 46 Vgl. Larenz, Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens (1938), S. 52 f.; ähnlich ders., Die Aufgabe der Rechtswissenschaft, Zeitschrift für Deutsche Kulturphilosophie Bd. 4 (1938), 209, 235 f.; ders., Zur Logik des konkreten Begriffs: eine Voruntersuchung zur Rechtsphilosophie, Deutsche Rechtswissenschaft, Vierteljahresschrift der Akademie für Deutsches Recht, 5. Bd. 1940, 279, 288 f.

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Für mich ist angesichts dieser Sätze nicht nachvollziehbar, wie Zöllner behaupten kann, Larenz habe durch diese Schrift „die privatrechtliche Entrechtung der Juden aus seinen rechtsquellentheoretischen Erwägungen gerechtfertigt“. Das mindeste, was man hätte erwarten dürfen, wäre ein wörtliches Zitat und dessen Analyse gewesen 47 statt des bloßen Hinweises auf die Erinnerung an sein „Entsetzen“ bei einer früheren – vermutlich viele Jahrzehnte zurückliegenden – Lektüre. Hier scheint mir Zöllner, zumal in Anbetracht des Wortes von der „Schreibtischtäterschaft“ und deren Parallelisierung mit der Mitwirkung der „Peiniger und Mörder in Konzentrationslagern“, sowohl seinem toten Kollegen als auch der scientific community wohl doch noch eine Erklärung schuldig zu sein. c) „Interpretative Änderung“ des geltenden Rechts oder „Vorschlag an die Gesetzgebung“? Zugleich lenkt die Zitierung dieser zweiten Stellungnahme von Larenz zur Frage der Rechtsfähigkeit den Blick noch einmal zurück auf die Äußerungen von Rüthers zu dieser Problematik. Er meint nämlich, dass Larenz’ Satz „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist“ nach seinem Inhalt „nicht in erster Linie als Gesetzesvorschlag, sondern als Beschreibung der geltenden (!) Rechtslage nach der Machtergreifung gedacht war“ und dass es sich also um eine „rein interpretative (!) Änderung eines grundlegenden Privatrechtsinstituts“ handele.48 Das ist für Rüthers’ Sichtweise von zentraler Bedeutung;49 denn die Hauptthese seines Buches geht ja, wie schon der Titel besagt und wie Rüthers bis heute nicht müde wird zu wiederholen, dahin, dass die Auslegung „unbegrenzt“ sei und die Juristen daher mit ihrem methodologischen Instrumentarium den Gesetzen auch bei unverändertem Wortlaut einen anderen Inhalt zu geben vermöchten, der sich an die von den Trägern der jeweiligen Staatsordnung verfochtene Politik und die ihnen genehme Weltanschauung oder Ideologie anpasse. Demgegenüber bezeichnet H. H. Jakobs denselben Satz von Larenz bemerkenswerter Weise mit Selbstverständlichkeit als einen (bloßen) „an die Gesetzgebung (!) gerichteten Vorschlag (!) zur Arisierung von § 1 BGB“.50 Wer hat Recht? Nach meiner Meinung zweifelsfrei Jakobs. Larenz’ Worte lassen insoweit an Klarheit nichts zu wünschen übrig, da er ja sagt: „Dieser Satz könnte (!) an Stelle (!) des die Rechtsfähigkeit ‚jedes Menschen‘ aussprechenden § 1 BGB an die Spitze unserer Rechtsordnung gestellt (!) werden.“ Es geht ihm also in der Tat lediglich um einen Vorschlag de lege ferenda. 47

Zöllner nennt nicht einmal eine Seitenzahl, auf die sich sein Verdikt gründen soll. Vgl. Rüthers (Fn. 44), S. 330. 49 Dies wird unmissverständlich deutlich auch bei Rüthers, Rechtstheorie (4. Aufl. 2008), Rn. 566. 50 Vgl. H. H. Jakobs, JZ 1993, 805, 814. 48

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Das wird voll bestätigt durch das zweite Zitat aus der Schrift von 1938, wonach „§ 1 BGB insofern unberührt bleibt“, als das „völkische Rechtsdenken“ danach „keinem Menschen, auch nicht dem Rassefremden, die Rechtsfähigkeit abspricht“. Allerdings ist diese Rechtsfähigkeit „konkret (als Rassegenosse oder Rassefremder)“, doch ist es bezeichnend, dass Larenz als Beispiel hierfür (neben der „Fähigkeit zu bestimmten Rechtsstellungen wie der als Bauer, Betriebesführer, Vormund“, von der m. E. undeutlich bleibt, ob sie dem „Rassefremden“ schon de lege lata fehlt oder nur de lege ferenda entzogen werden soll) vor allem die Versagung des „Connubiums“ für „Rassefremde“, also der Fähigkeit zur Schließung der Ehe mit einem „Rassegenossen“ nennt.51 Diese war nämlich damals schon gesetzlich verankert,52 so dass Larenz sich auch hier an die Unterscheidung zwischen der Argumentation de lege lata und de lege ferenda und damit an eines der Fundamente rechtsstaatlichen Denkens hält. Sein Umgang mit § 1 BGB ist somit entgegen Rüthers 53 keineswegs ein Beispiel für die Möglichkeit einer „unbegrenzten“ Auslegung. Zwar ist natürlich nicht zu bestreiten, dass es in der Zeit des Nationalsozialismus eine Fülle interpretatorischen Missbrauchs gegeben hat, doch ist der plakativen Pauschalität, mit der Rüthers seine These von der Möglichkeit einer „unbegrenzten Auslegung“ propagiert, entschieden entgegenzutreten. d) Relativierung der Rechtsfähigkeit und Diskriminierung des „Rassefremden“ Ich habe dieser Problematik so viel Raum gewidmet, weil es hier in der Tat um das Kernstück des Verhältnisses von Larenz zum Nationalsozialismus geht und weil sie darüber hinaus – insoweit bin ich mit Rüthers durchaus einig – von exemplarischer Bedeutung für die Haltung der deutschen Rechtswissenschaft gegenüber dem damaligen Unrechtsregime und somit nach wie vor und – hoffentlich – noch bis in eine ferne Zukunft von unmittelbarem Interesse ist. Dabei scheint mir nun allerdings die Empörung über den Versuch einer Relativierung der Rechtsfähigkeit, die bisher die Debatte dominiert hat, noch nicht einmal das Zentrum zu treffen. Zwar ist dieser wegen der Konsequenzen, denen er Tür und Tor öffnet, in der Tat verhängnisvoll,54 doch halte ich den Gedanken einer bloßen Teilrechtsfähigkeit als solchen 51

Vgl. Larenz (Fn. 46), S. 52. Durch § 1 des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Blutschutzgesetz) vom 15.9.1935, RGBl. I 1935, S. 1146. 53 Rüthers (Fn. 44), S. 330. 54 Außerdem lässt er sich in der von Larenz vorgeschlagenen Form nicht ohne schwere innere Widersprüche durchführen, so mit Recht Braczyk, Karl Larenz’ völkisch-idealistische Rechtsphilosophie, ARSP 79 (1993), 99, 111 f.; ähnlich Schild, Person als Begriff – zur Begriffslehre von Karl Larenz, in: Baumann (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Otte zum 70. Geburtstag (2005), S. 329, 334 f. 52

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auch dann, wenn er nicht lediglich auf Vereinigungen von Personen – für die er bekanntlich eine Selbstverständlichkeit darstellt –, sondern auf Menschen angewendet wird, nicht für per se verwerflich; so unterscheidet z.B. das Grundgesetz zwischen Grundrechten, die „jedem“ zustehen wie die aus Art. 2 und 5, und Grundrechten, die nur „allen Deutschen“ zustehen wie die aus Art. 8, 9, 11 und 12. Das noch viel schlimmere Skandalon liegt nach meiner Ansicht vielmehr darin, dass die Rechtsfähigkeit nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse differieren soll. Bei dieser Verschiebung der Perspektive erscheint manches in einem anderen – und zwar nicht nur helleren, sondern vor allem auch grelleren – Licht. So ändert der Versuch von Larenz, dem „Rassefremden“ einen weitreichenden Schutz als „Gast“ zukommen zu lassen, nicht das geringste daran, dass er dabei doch zugleich die Unterscheidung zwischen Ariern und Nichtariern zugrunde legt, ja dadurch inzident bekräftigt und so an dieser Ursünde des Nationalsozialismus teilhat. Zugleich wird schlagartig klar, dass es geradezu eine Diffamierung Hegels darstellen würde, dessen Philosophie im vorliegenden Zusammenhang in Verbindung mit dem Nationalsozialismus zu bringen.55 Zwar mag es möglich sein, den Satz, wonach Rechtsgenosse nur der „Volksgenosse“ ist, trotz seiner Übereinstimmung mit Punkt 4 des Parteiprogramms der NSDAP irgendwie an Gedanken Hegels anzulehnen, doch wäre es blanker Unsinn zu behaupten, dass auch der anschließende und entscheidende, ebenfalls wörtlich aus diesem Programm stammende Satz, wonach „Volksgenosse“ nur ist, wer „deutschen Blutes“ ist, irgendeine Wurzel in der Philosophie Hegels aufweist.56 Auf der anderen Seite sollte man freilich heute auch konsequent und ehrlich genug sein, die Perhorreszierung oder gar Dämonisierung des „konkret-allgemeinen Begriffs“ zu beenden; denn auch mit dessen Hilfe lässt sich einem Satz wie dem, dass „Volksgenosse“

55 Larenz selbst hat denn auch die Behauptung, „der Nationalsozialismus habe sich auf Hegel gestützt oder die Hegelianer hätten auf ihn irgendeinen Einfluß gehabt“, ausdrücklich als „Legende“ zurückgewiesen, vgl. Dreier, JZ 1993, 454, 457; vgl. dazu auch Alexy, Fortwirkungen nationalsozialistischer Denkweisen in Rechtslehre und Rechtsprechung nach 1945 (Streitgespräch zwischen Alexy, Köhler, Naucke und Rottleuthner), in: Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus (1992), S. 219, 222 f. 56 Zutreffend H. H. Jakobs, JZ 1993, 805, 815; ähnlich schon Gernhuber, Das völkische Recht – Ein Beitrag zur Rechtstheorie des Nationalsozialismus, in: Rechtswissenschaftliche Abteilung der Rechts- Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen (Hrsg.), Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968), S. 167, 184. Larenz selbst hat in seiner Schrift „Hegelianismus und preußische Staatsidee“ (1940), zwar – wohl mit Recht – Hegel für die zentrale Bedeutung des Zusammenhangs von Volk und Geschichte bzw. Staat in Anspruch genommen (vgl. S. 59 f., 63 f. und öfter), dort jedoch jede Verbindung zwischen Volk und Rasse, Blut oder dgl. im Gegensatz zu der im Text kritisierten Publikation gänzlich vermieden; bemerkenswert ist im Übrigen die völlige Selbstverständlichkeit, mit der Larenz sich in dieser Schrift mit Franz Rosenzweig auseinandersetzt, obwohl dieser Jude war und als solcher damals eigentlich als nicht zitierfähig galt.

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nur ist, wer „deutschen Blutes“ ist, nicht einmal der Schein von Rationalität oder Legitimität verschaffen. Dass der „konkret-allgemeine Begriff“ besonders missbrauchsanfällig und überdies wohl auch noch immer diskreditiert ist, steht auf einem anderen Blatt.57 e) Larenz ein „Rassist“? Es bleibt die verstörende, aber unabweisbare Frage, wie Larenz dazu kommen konnte, seiner Stellungnahme zur Rechtsfähigkeit die Rassenideologie des Nationalsozialismus zugrunde zu legen.58 Die Antwort liegt dann nahe, wenn man von der Darstellung in seinem Brief an Dreier ausgeht und also annimmt, dass er die ihm von Ahlmann übertragene „Aufgabe“ 59 ausführen wollte: Wenn er dazu überhaupt eine Möglichkeit sah, musste er wohl in dieser Frage in der Tat „mit den Wölfen heulen“, weil er sich sonst von vornherein jeder Chance zu einer Durchsetzung, ja auch nur Publikation seiner Gedanken begeben hätte. Ob er damals wirklich geglaubt hat, mit seinen Schriften der Erfüllung jener „Aufgabe“ zu dienen – ich weiß es nicht und wage es nicht zu beurteilen.60 Aber wie dem auch sei – jedenfalls erscheint die Annahme, Larenz könne „Rassist“ gewesen sein, für jemanden, der ihn so gut wie ich gekannt hat und der mit ihm so zahlreiche Gespräche, insbesondere auch politischen und historischen Inhalts, geführt hat, als völlig unplausibel, ja als geradezu absurd. Demgemäß ist dies der Punkt, an dem mir der Hinweis angebracht erscheint, dass Larenz – obwohl der „Kieler Schule“ zugehörig und im Unterschied zu den meisten anderen Mitgliedern derselben – ausweislich der Unterlagen des Bundesarchivs in Berlin der NSDAP erst im Jahre 1937 beigetreten ist.61 Ein begeisterter oder gar gläubiger „Nazi“ kann er demnach nicht gewesen sein. Im Übrigen fällt auf, dass als Tag der Aufnahme der 1. Mai 1937 vermerkt, der Antrag aber erst am 25. Oktober 1937 datiert ist. Dieser liegt beim Bundesarchiv nicht vor, doch ist nach dessen Auskunft die Rückdatierung eines Aufnahmeantrags auf einen Zeitpunkt wie den 1. Mai – der ja erst von den Nationalsozialisten zum 57

Vgl. dazu unten III 2 a). Zu dieser hat er sich in jenen Jahren auch sonst bekannt, vgl. etwa Larenz, Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie (1934), S. 39 f.: „Für den Aufbau der Gemeinschaft ist im nationalsozialistischen Staat vor allem der Rassegedanke, die Einsicht in die blutsmäßige Bedingtheit des Volkstums, bestimmend (Zitate)“ (Hervorhebung im Original); vgl. aber auch soeben Fn. 56 a.E. 59 Vgl. dazu oben II 2. 60 Dass er eine solche „subjektive Überzeugung“ gehabt hat, wird ihm von seinem Kritiker Rüthers ausdrücklich konzediert, vgl. Geschönte Geschichten – geschonte Biographien: Sozialisationskohorten in Wendeliteraturen (2001), S. 120. 61 Briefliche Auskunft des Bundesarchivs vom 2.7.2009 an mich; danach hatte Larenz die Mitgliedsnummer 5041008. 58

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Feiertag erhoben worden ist – „nicht ungewöhnlich“ und eine Aufnahme ohne Wissen der betreffenden Person „eher auszuschließen“, so dass Spekulationen in diese Richtung ohne empirisches Fundament wären.

f) Larenz’ Verhältnis zu seinem Kieler Vorgänger Gerhart Husserl Hervorhebung verdient im vorliegenden Zusammenhang ferner, dass Larenz zu seinem Vorgänger auf dem Kieler Lehrstuhl Gerhart Husserl, der diesen wegen seiner jüdischen Abstammung 1933 hatte räumen müssen,62 offenkundig eine harmonische Beziehung gewonnen hat. Davon legen u.a. etwa 20 Briefe Husserls, der damals in Freiburg i. Br. lebte, an Larenz aus der Zeit von 1960–1972, die sich in Larenz’ Nachlass gefunden haben und heute in der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München aufbewahrt werden, in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab. Sie sind in überaus freundlichem Ton und in völlig entspannter Haltung abgefasst, haben aber nur – mitunter in ausgiebiger Weise – die Erörterung fachlicher Fragen, nicht jedoch den Nationalsozialismus zum Gegenstand. Der Briefwechsel hat ersichtlich schon vor 1960 und somit vor dem Erscheinen von Larenz’ „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ begonnen, in deren historisch-kritischem Teil dieser Husserl eine ausführliche Darstellung und Würdigung gewidmet hat,63 doch lässt sich aus den Briefen leider nichts über Zeitpunkt und Anlass der Kontaktaufnahme entnehmen.64 Ihren äußerlichen Höhepunkt findet die Beziehung in Larenz’ Mitwirkung an der Festschrift zu Husserls 75. Geburtstag im Jahre 1968,65 zu der ich indessen in dem Briefwechsel ebenfalls nichts gefunden habe. Mit welcher Genugtuung und Freude Larenz seine Verbindung zu Husserl erlebt hat, hat er mir gegenüber häufig zu erkennen gegeben, dabei aber in der ihm eigenen zurückhaltenden Art keine Einzelheiten erwähnt, so dass ich darüber nichts Substantielles berichten kann. Es spricht jedoch m. E. für sich selbst und stellt 62 Vgl. zu G. Husserl das Geleitwort von Würtenberger in der Festschrift zu seinem 75. Geburtstag (1969), S. VII ff. sowie den Nachruf von Hollerbach, JZ 1974, 36 f.; kurze biographische Hinweise finden sich ferner bei Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“ (2. Aufl. 1990), S. 341; Landau, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Heinrichs/Franzki/Schmalz/Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft (1993), S. 133, 174 f.; eine ausführlichere Darstellung seines Lebens und eine umfassende Präsentation und Analyse seines Werks bietet B. Böhler, Gerhart Husserl – Leben und Werk (Diss. Freiburg, 1992), doch ist diese Arbeit leider ausgesprochen dürftig. 63 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1. Aufl. 1960), S. 116 ff. = 6. Aufl. 1991, S. 113 ff. 64 Das in der Universitätsbibliothek befindliche Konvolut beginnt mit einem Brief Husserls unmittelbar nach dem Wechsel von Larenz nach München; ich vermute daher, dass die Briefe aus der Kieler Zeit bei Larenz’ Tod nicht mehr vorhanden waren. 65 Vgl. Larenz, Originäre Rechtssachverhalte, in: Würtenberger (Hrsg.), Phänomenologie, Philosophie, Jurisprudenz, Festschrift für Gerhart Husserl zum 75. Geburtstag (1969), S. 132–151.

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wohl einen historisch nahezu singulären Vorgang dar, dass ein in den Nationalsozialismus verstrickter Wissenschaftler von seinem jüdischen Lehrstuhlvorgänger viele Jahre als Partner einer intensiven Korrespondenz über Fachfragen akzeptiert wurde und an einer Festschrift zu dessen Ehren mitwirken durfte.66 4. Eine paradigmatische Schrift: „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“ Mit Larenz’ Tätigkeit während der Zeit des Nationalsozialismus kann man sich nicht befassen, ohne auf seine mit Abstand bekannteste Arbeit aus jenen Jahren einzugehen: die gut 50-seitige Schrift „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“ von 1938, die aus zwei Vorträgen im Rahmen der juristischen Ausbildung hervorgegangen ist. a) Zum Gesamteindruck Aufs Ganze gesehen halte ich den Inhalt dieser Schrift, wie schon bei meiner ersten Lektüre vor Jahrzehnten, für weniger anstößig als man das nach dem – scheußlichen – Titel und nach ihrem Ruf – sie wird nicht selten als „berüchtigt“ bezeichnet – erwarten sollte, doch muss sich das Urteil hierüber naturgemäß jeder Leser selbst bilden. Immerhin enthält sie m.E. in erheblichem Umfang traditionell-technische Methodenlehre ohne spezifisch „völkischen“ Charakter. Drei Passagen verdienen jedoch in besonderem Maße eine kritische Würdigung. Das gilt natürlich vor allem für die Ausführungen zur Rechtsfähigkeit und die dabei von Larenz vorgenommene Differenzierung zwischen „Rassegenossen“ und „Rassefremden“, doch habe ich dazu ja bereits ausführlich Stellung genommen, weshalb ich dem an dieser Stelle nichts hinzuzufügen habe. b) Richterliche Gesetzesbindung und „Führerprinzip“ Eine weitere Passage berührt das „Führerprinzip“ und damit den zweiten Punkt, in dem sich Larenz besonders angreifbar gemacht hat. Indessen beginnt er seine Schrift mit einer Erörterung der Thematik von „Gesetz und 66 Da sich diese Mitwirkung bibliografisch unschwer ermitteln lässt, ist es m.E. wissenschaftlich höchst anfechtbar, wenn Rüthers in seiner Kritik an Larenz’ Selbstzeugnis in dessen Brief an Dreier (Fn. 32) ohne Erwähnung von Larenz’ Mitwirkung an der Festschrift für Husserl mutmaßt, dass dieser „in den Texten von Larenz nach 1933 wenig Widerstand gegen die Rechtsblindheit der NS-Machthaber entdeckt haben dürfte“, vgl. (Fn. 60), S. 121. B. Böhler (Fn. 62), S. 22 bemerkt zwar, Husserl sei „zu verbittert über das Verhalten vieler ehemaliger Kollegen in den Krisenzeiten des Dritten Reiches gewesen, um Angebote zu einer Tätigkeit als Hochschullehrer in Deutschland anzunehmen“, und habe deshalb auch „eine Berufung ins Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen“, belegt dies jedoch befremdlicher Weise nicht durch Quellenangaben.

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Recht“, die zwar aus heutiger Sicht naturgemäß in vieler Hinsicht auf Ablehnung stoßen muss, bei deren (erneuter) Lektüre ich aber doch mit einer gewissen Beruhigung festgestellt habe, dass hier mitnichten vom „Führer“ und damit auch nicht von seinem Wort oder Willen als oberster Rechtsquelle oder dgl. die Rede ist.67 Dann aber kommt Larenz an späterer Stelle plötzlich doch noch hierauf zu sprechen, jedoch auf eine eigentümlich zwiespältige Weise. Zunächst nennt er nämlich als Beispiel für die „Bindung des Richters an das Gesetz“ die erschöpfende Aufzählung der Ehenichtigkeits- und Eheanfechtungsgründe im BGB und sagt sodann in schöner Unmissverständlichkeit: „Deshalb durfte der Richter vor Erlass der Nürnberger Gesetze nicht die Nichtigkeit einer Mischehe zwischen einem Deutschen und einer Jüdin annehmen, obgleich die sittliche Anschauung des deutschen Volkes eine solche Ehe mißbilligte und das Fehlen eines entsprechenden Verbotes daher als eine Gesetzeslücke betrachtet werden mußte.“ 68

Darin sehe ich geradezu ein weiteres signifikantes Gegenbeispiel 69 gegen die von Rüthers verfochtene These von der „unbegrenzten“ Auslegung und damit zugleich ein Beispiel für die stabilisierende Funktion einer Methodenlehre, die an den Regeln tradierter Rechtskultur und handwerklicher Korrektheit festhält. Unmittelbar anschließend fährt Larenz fort: „Heute sind die Ehehindernisse wegen jüdischen Bluteinschlags durch das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre und die erste Ausführungsverordnung zu diesem Gesetz (vgl. § 5 dieser Verordnung) ausdrücklich erschöpfend geregelt. Ein Richter, der sich darüber hinwegsetzen wollte, würde sich mit einem fundamentalen Grundsatz der völkischen Verfassung, dem Grundsatz des unbedingten Vorrangs der Führerentscheidung in Widerspruch setzen.“

Damit ist einerseits nun doch noch dieser Grundsatz als Bestandteil der Verfassung ausgewiesen, andererseits aber auch das Prinzip der Gesetzesbindung des Richters aufrechterhalten, weil der „Vorrang der Führerentscheidung“ hier nur im Rahmen dieser Bindung herangezogen wird. Es mag sich daher bei dieser seltsam ambivalenten Stelle letztlich (auch) um einen – freilich äußerst unbeholfenen – Versuch handeln, eine völlige Loslösung des Nationalsozialismus von der Bindung an das Gesetz zu verhindern. Den primären Sinn dieser Ausführungen sehe ich allerdings darin, dem Richter eine Kontroll- und Verwerfungskompetenz gegenüber Gesetzen – die Larenz in einer Schrift aus dem Jahre 1929 grundsätzlich anerkannt hatte 70 – 67 Vgl. Larenz, Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens (1938), S. 10 ff. 68 Vgl. Larenz (Fn. 67), S. 24. 69 Vgl. schon oben 3 c) bei Fn. 53. 70 Vgl. Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung (1929), S. 38 ff.; um ein Nachwort erweiterter Neudruck 1967.

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insoweit abzusprechen, als diese unter dem Nationalsozialismus zustande gekommen waren.71 Im Übrigen kann ich hier auf Larenz’ Stellung zum Führerprinzip, die er an anderer Stelle niedergelegt hat,72 nicht eingehen, da das den Rahmen und die Proportionen meines Vortrags vollends sprengen würde. c) Die Befugnis der Rechtsprechung zur Korrektur von vor-nationalsozialistischen Gesetzen in Ausnahmefällen und ein rassendiskriminierendes Beispiel Wohl aber will ich mich noch der unmittelbar anschließenden Passage in Larenz’ „Völkischem Rechtsdenken“ genauer annehmen, weil sie aus heutiger Sicht hochinteressant ist. Deren Kern besteht darin, dass Larenz dem Richter für Gesetze aus der Zeit vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten eine Befugnis zu deren Korrektur zuspricht. Diese knüpft er indessen an die Voraussetzung, dass ihre Anwendung „zu einem vom Standpunkt der völkischen Gesamtordnung aus schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde“ und … „die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Recht ganz offenbar“ ist.73 Wer nach Kontinuitäten zwischen dem Denken von Larenz während der Zeit des Nationalsozialismus und in der Zeit der Bundesrepublik sucht,74 kann hier fündig werden. Denn diese Kriterien ähneln offenkundig denjenigen, bei deren Erfüllung Larenz in seiner „Methodenlehre“ von 1960 der Rechtsprechung wegen Vorliegens eines „Rechtsnotstands“ die Befugnis zu einer „gesetzesändernden Rechtsfortbildung“ zuerkennt.75 Allerdings dient als Maßstab jetzt selbstverständlich nicht mehr die „völkische Gesamtordnung“, die Larenz 1938 ersichtlich mit dem „Recht“ gleichgesetzt hat, sondern ein „dem Gesetz noch fremder Rechtsgedanke, der sich im ‚allgemeinen Rechtsbewußtsein‘ bereits Geltung verschafft hat“. Diese Formulierung hat Larenz später nicht mehr verwendet,76 doch erscheint mir auch sein modifizierter Standpunkt noch als so unbefriedigend, dass ich bei der Neuauflage der „Methodenlehre“ in diesem Punkt eine wesentlich andere Konzeption zu entwickeln versucht habe.77 71

Ebenso schon Larenz, Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie (1934),

S. 34. 72

Vgl. vor allem Larenz (Fn. 67), S. 34; kritisch dazu H. H. Jakobs, JZ 1993, 805, 811 f. Vgl. Larenz (Fn. 67), S. 25; ähnlich ders. (Fn. 70), S. 35. 74 Vgl. z.B. H. Wagner (Fn. 42), S. 243 ff.; Frassek, Von der „völkischen Lebensordnung“ zum Recht – Die Umsetzung weltanschaulicher Programmatik in den schuldrechtlichen Schriften von Karl Larenz (1903–1993) (1996), insbesondere S. 172 ff.; siehe dazu auch Canaris, Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, in: Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert (2007), S. 419, 422 mit Fn. 2. 75 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1960), S. 320. 76 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), S. 427 f. 77 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl. 1995), S. 246 f., 251 f. (unter Rückgriff auf die Vorgaben des Grundgesetzes, wenngleich nicht ohne gänzlichen Verzicht auf das Kriterium des Rechtsnotstands). 73

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Natürlich könnte man daran denken, hier einen Beleg für die „unbegrenzte“ Manipulierbarkeit der Methodenlehre zu sehen, wie sie vor allem Rüthers behauptet. Das scheint sogar noch näher zu liegen, wenn man das Beispiel hinzunimmt, das Larenz 1938 für eine Befugnis der Gerichte zur Korrektur des Gesetzes gegeben hat. Nach der damaligen Fassung von § 1594 BGB konnte die Ehelichkeit eines Kindes nur binnen eines Jahres nach dem Zeitpunkt, in dem der Ehemann von der Geburt erfahren hatte, angefochten werden, auch wenn er von der Nichtehelichkeit erst danach Kenntnis erlangte. Davon will nun Larenz eine (ungeschriebene) Ausnahme zulassen, wenn „ein deutschblütiger Mann erfährt, daß seine Frau ein nach dem BGB als ehelich anzusehendes Kind im Ehebruch von einem Juden empfangen hat, nachdem die Anfechtungsfrist des § 1594 bereits verstrichen ist“.78 Zwar ist dies selbstverständlich wegen der darin liegenden Rassendiskriminierung mit derselben empörten Entschiedenheit wie die Differenzierung der Rechtsfähigkeit nach Rassegesichtspunkten zu verwerfen,79 doch würde man sich Sand in die Augen streuen, wollte man annehmen, dass die Problematik damit schon voll gelöst ist. Larenz stützt sich nämlich ausdrücklich darauf, dass die Gegenansicht „der durch die Nürnberger Gesetze erstrebten reinlichen Trennung der Rassen widerspräche“. Hier scheint die Methodenlehre in gewisse Schwierigkeiten zu geraten, da ja die „Fernwirkung“ von gesetzlichen Normen und der in ihnen zum Ausdruck kommenden Wertungen zu ihrem anerkannten Arsenal gehört,80 wie seit Philipp Heck außer Streit stehen dürfte. Daher lässt sich die Problematik lege artis wohl nur überzeugend lösen, indem man die „Nürnberger Gesetze“ als das qualifiziert, was sie waren: Schreiendes Unrecht in Gesetzesform und daher für den Rechtsanwender nicht bindend. Die Jurisprudenz ist somit auch hier keineswegs am Ende mit ihrem Argumentationspotential, auch wenn der Rückgriff darauf in diesem Punkt natürlich während der Herrschaft des Nationalsozialismus faktisch nicht möglich war. Was freilich Larenz angeht, so muss man kritisch fragen, warum er dieses schändliche Beispiel überhaupt gebracht hat,81 wenn es ihm mit der Erfüllung der in seinem Brief vom 25. Februar 1987 genannten „Aufgabe“ 82 ernst war.

78

Larenz (Fn. 67), S. 25. Vgl. oben 3 d). 80 Dass das auch nach einem politischen Umsturz gilt, betont ausdrücklich Rüthers (Fn. 44), S. 436 f. 81 Es war angeregt durch die Entscheidung RGZ 152, 390, 395, wo das RG die Frage offen gelassen hat, weil der Erzeuger kein Jude war. 82 Vgl. oben II 2. nach Fn. 35. 79

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5. Eine vernachlässigte Abhandlung: „Sittlichkeit und Recht“ von 1943 – Antigone und York bei Tauroggen Während die Schrift über das „Völkische Rechtsdenken“ bei jedem, der sich mit Larenz’ Verstrickung in den Nationalsozialismus befasst, intensive Beachtung zu finden pflegt, bleibt ein anderes Werk, soweit ersichtlich, unberücksichtigt: Die im Jahr 1943 erschienene, fast 250 Seiten lange Abhandlung „Sittlichkeit und Recht“.83 Es gehört zu meiner Chronistenpflicht und stellt zugleich ein selbstverständliches Gebot der Fairness dar, auf sie ebenfalls einzugehen. Hier liest man nämlich Gedanken, die mit dem herkömmlichen Bild von Larenz’ Haltung zum Nationalsozialismus nicht zusammenpassen,84 wie jeder halbwegs kundige Leser schon aus der Überschrift erkennen wird, die ich diesem Abschnitt gegeben habe. Nach einem langen ideengeschichtlichen Hauptteil lässt Larenz einen systematischen Schlussteil folgen, in dem vor allem seine Ausführungen über das Gewissen Aufmerksamkeit verdienen, weil man, soweit ich sehe, Vergleichbares in seinen vorausgehenden Arbeiten nicht findet. So sagt er über den Gesetzgeber, dass dieser nach der „organischen Auffassung“ – die er ersichtlich teilt und die er in Gegensatz zur Theorie des Staats- oder Herrschaftsvertrages etwa im Sinne Christian Wolffs stellt – „nur seinem eigenen Gewissen, Gott und der Geschichte verantwortlich ist“. Er fährt dann fort: „Die Grundlage dieser in ihrer Art einzig schweren Verantwortung des echten Führers und Gesetzgebers – denn keine irdische Instanz ist in der Lage, ihm Entlastung zu erteilen – ist das zwischen ihm und der Gefolgschaft bestehende sittliche Band der Gemeinschaft, auf das so die objektive Sittlichkeit in allen ihren Erscheinungsformen, als Sitte, Gewohnheitsrecht und ungeformtes Recht, als Gesetz und Richterspruch gegründet ist.“ 85 Hier ist also immerhin von einer „Verantwortlichkeit“ des Gesetzgebers und des „echten Führers“ sowie dem „sittlichen Band der Gemeinschaft“ zwischen diesem und seiner „Gefolgschaft“ die Rede. Diese Passage befände ich nun freilich nicht der Erwähnung für wert, wenn Larenz nicht anschließend auf die Gewissensentscheidung des Einzelnen einginge und nach dem Bemühen, diese weitgehend in die „objektive Ordnung“ einzubinden,86 zu dem Satz vordränge: „Die letzte Bürgschaft des Rechts gegen den Mißbrauch, sei es der Gesetzgebungsgewalt, sei es der richterlichen oder vollziehenden Gewalt, liegt nicht im Zwang – denn der letzte Zwingende kann nicht mehr selbst gezwungen werden –, sondern im 83 Larenz, Sittlichkeit und Recht, Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Rechtsdenkens und zur Sittenlehre, in: ders. (Hrsg.), Reich und Recht in der deutschen Philosophie, Bd. 1 (1943), S. 169–402. 84 Vgl. auch schon oben Fn. 56 a.E. 85 Larenz (Fn. 83), S. 229 f. 86 Vgl. Larenz (Fn. 83), S. 232 ff.

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persönlichen (!) Verantwortungsbewußtsein.“ 87 Larenz anerkennt dabei – in expliziter Wendung gegen seinen Lehrer Binder – die Möglichkeit eines „echten sittlichen Konflikts“, der „notwendig ein tragischer Konflikt“ sei,88 und wird – und erst das hat mich letztlich zur Aufnahme dieser Ausführungen in meinen Vortrag bewogen – mit zwei Beispielen höchst konkret: Im Zusammenhang mit der soeben zitierten Stelle erwähnt er in der Tat, wie es jeder Leser Hegels schon gespannt vorausahnt, ausdrücklich die berühmte Deutung der „Antigone“ des Sophokles durch Hegel.89 Nun steht aber in dieser Sicht Antigone für die Verteidigung einer religiösen Anforderung gegen den staatlichen Befehl des Tyrannen Kreon – und demgemäß war es etwa in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts gang und gäbe, Antigone als eine antike Sophie Scholl zu sehen. Larenz nennt noch ein zweites Beispiel – und dieses hat mir fast den Atem verschlagen: Er bezieht sich auf das Verhalten von General York bei Tauroggen und sagt darüber, dieses belege, „daß auch ein Konflikt zwischen einer Pflicht der objektiven Sittlichkeit (nämlich der Gehorsamspflicht gegenüber dem Kriegsherrn und Staatsoberhaupt) und einer selbst gegebenen Gemeinschaftspflicht möglich ist und daß auch dieser als tragisch empfunden zu werden vermag“.90 York hat bei Tauroggen im Jahr 1812 die nach diesem Ort benannte „Konvention“ mit den russischen Befehlshabern, also eine Art „Separatfrieden“ geschlossen 91 und dadurch gegenüber seinem Kriegsherrn und Staatsoberhaupt König Friedrich Wilhelm III. den Befehl verweigert, ja Landesverrat begangen,92 weil Preußen mit Frankreich verbündet war und Napoleon bekanntlich Krieg gegen Russland führte. Dazu Larenz: „… er muß seine Schuld als sein Schicksal auf sich nehmen; genug, daß er vor seinem Gewissen besteht.“ 93 Das im Kriegsjahr 1942! 94 Mir liegt es fern, Larenz zu einem geistigen Verbündeten des Widerstands gegen Hitler hochzustilisieren, zumal auch dieser Abschnitt wieder von „Blut“, „Rasse“ und „völkisch“ durchsetzt ist. Ich maße mir auch kein Urteil darüber an, was er sich bei diesen Ausführungen letztlich gedacht haben 87

Larenz (Fn. 83), S. 243. Larenz (Fn. 83), S. 241; vgl. auch S. 233. 89 Vgl. Hegel, Sämtliche Werke, hrsgg. von Herrmann Glockner, Bd. 16: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Zweiter Teil (1928), S. 133 f.; vgl. zur Deutung der „Antigone“ aus der Sicht eines Juristen zuletzt H. Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie (2000), S. 76 ff.; G. Hager, Rechtsmethoden in Europa (2009), S. 330 ff. 90 Larenz (Fn. 83), S. 242. 91 Eine gute Schilderung des Vorgangs aus jüngerer Zeit findet sich bei C. Clark, Preußen (2008), S. 414 ff.; eine knappe Darstellung und Bewertung bietet Münkler, Die Deutschen und ihre Mythen (2009), S. 220. 92 So die Wertung von BGH, NJW 1952, 1183, wo übrigens ausdrücklich die Parallele zwischen den Mitgliedern des militärischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus und York gezogen wird. 93 Larenz (Fn. 83), S. 241 f. 94 Das Vorwort stammt aus dem Dezember dieses Jahres. 88

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mag.95 Das mindeste aber, was man über die Evokation von Antigone und York im Jahr 1942 wird sagen dürfen und müssen, ist, dass sie äußerst mutig war und bei der Würdigung von Larenz’ Verhältnis zum Nationalsozialismus keinesfalls außer Betracht bleiben darf.96 6. Warum haben wir als Larenz’ Assistenten nicht nachgefragt? Spätestens an dieser Stelle wird sich mancher fragen, warum wir, die wir seine Assistenten waren, über seine Haltung zum Nationalsozialismus offenkundig nur sehr wenig aus seinem Mund erfahren haben. Für meine Person besteht die Antwort im Kern darin, dass es mir als ungehörig erschienen wäre, von meinem akademischen Lehrer eine Rechtfertigung mir gegenüber für sein Tun und Lassen während der Zeit des Nationalsozialismus zu erwarten – und zwar deshalb, weil ich in der Diskussion und „Bewältigung“ dieser Problematik eine Aufgabe von Politik und Gesellschaft in ihrer Gesamtheit sah und nicht so anmaßend war, mich insoweit als deren Repräsentanten zu verstehen oder gar zu gerieren. Ebenso oder ähnlich dürften die meisten meiner Altersgenossen gedacht haben. Uns war völlig klar, dass es in der Generation unserer Eltern und Großeltern zahllose „Mitläufer“ gegeben hatte und dass sich viele Täter und Gehilfen zu Unrecht in Freiheit befanden. Ebenso klar war uns aber, dass auch wir uns „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ – um diese spezifisch juristische Formulierung hier einmal in anderem Zusammenhang fruchtbar zu machen – nicht besser bewährt hätten und dass wohl niemand von uns das Ethos etwa der Geschwister Scholl aufgebracht hätte. Demgemäß besaß unsere Generation, die Helmut Schelsky treffend als die „skeptische“ bezeichnet hat,97 im Gegensatz zu vielen Angehörigen der nachfolgenden Generation, die man „die 68er“ zu nennen pflegt und die in großen Teilen wieder ideologiegläubig, ja ideologiesüchtig, also das Gegenteil von „skeptisch“ war, nicht die – mich seit jeher tief empörende – Arroganz, ihr Selbstverständnis und Selbstbewusstsein aus einem ebenso wohlfeilen wie pubertär-größenwahnsinnigen nachholenden „Widerstand“ gegen den national-sozialistischen Totalitarismus zu gewinnen. Das hatte mit Geschichts- oder Vergangenheitsblindheit nicht das mindeste zu tun. An meiner Schule – dem Humboldt-Gymnasium in Düsseldorf – war das Thema des Holocaust (damals i.d.R. mit dem Stichwort „Ausch-

95 In Larenz’ Handexemplar zu „Sittlichkeit und Recht“, das sich in seinem Nachlass gefunden hat und in der Bibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München aufbewahrt wird, habe ich keine diesbezüglichen Anhaltspunkte gefunden. 96 Dass insbesondere Rüthers diese Abhandlung, soweit ersichtlich, nirgends erwähnt, erscheint mir daher befremdlich. 97 So der Titel von Schelskys Buch aus dem Jahr 1957: Die skeptische Generation (1957).

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witz“ bezeichnet) zur Zeit meines Abiturs im Jahre 1957 in vielfältiger Weise gegenwärtig (auch wenn der Geschichtsunterricht in der Tat nicht bis zu der Zeit nach 1933 vordrang). So war es mir selbstverständlich, einer Vereinigung für christlich-jüdische Zusammenarbeit anzugehören; das Gedicht „Todesfuge“ von Paul Celan war für jeden von uns, der überhaupt Sinn für Lyrik hatte, ein Schlüsselwerk; in meinem persönlichen Umfeld gab es keinen Gleichaltrigen, der die Tätigkeit von Hans Globke, des Kommentators der „Nürnberger Gesetze“, als Staatssekretär im Bundeskanzleramt nicht als Skandal empfunden hat – ohne dass uns das freilich den Blick für die exzeptionellen Leistungen der Regierung Adenauer/Erhard verstellt hätte. In dieser Weise könnte ich lange fortfahren. Für eine üble „linke“ Geschichtsklitterung und eine Folge von Ideologie im schlechtesten Sinne des Wortes – nämlich von „falschem Bewusstsein“ – halte ich jedenfalls das heutzutage verbreitete Klischee, die 50er und frühen 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts seien „dumpf“, „dunkel“, „spießig“, „rückwärtsgewandt“ oder dgl. gewesen. Vielmehr trugen sie durch den Beginn der europäischen Integration, die Aussöhnung mit Frankreich, die Regelung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zu Israel und andere parallele Geschehnisse sowie durch die Schaffung einer wettbewerbsbasierten und zugleich sozial abgefederten Marktwirtschaft in vieler Hinsicht Züge einer zwar „stillen“, aber gemessen am bisherigen Verlauf der deutschen Geschichte ganz und gar radikalen Revolution.98 Dass diese ohne Mitwirkung der „Linken“, überwiegend sogar gegen deren erbitterten Widerstands zustande kam, dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass jene Zeit schlecht geredet wurde und wird, seit Kreise, die der „Linken“ zugehören oder nahe stehen, die historische Deutungshoheit erlangt haben. Wer sie indessen wie ich mit dem politischen Bewusstsein der „skeptischen“ Generation erlebt hat und aus eigener Erfahrung, ohne Einbindung in „linke“ Vorurteile bewertet, für den hatte sie den erregenden und vitalen Charakter, der einer Revolution – und sei sie auch „still“ – zueigen zu sein pflegt.

III. Ein „Klassiker zu Lebzeiten“ Nach diesem Exkurs, der ein Stück Selbstzeugnis einschließt, nun wieder zurück zu Karl Larenz! Nach 1945 begann ein neuer, dritter Abschnitt in seiner wissenschaftlichen Biographie. Während er unmittelbar nach dem Krieg noch Vorlesungen hielt, war er zwischen dem Sommersemester 1947 und

98 Man kann, den Titel eines Buches von H. A. Winkler aus dem Jahre 2000 aufgreifend, auch sagen, dass „Der lange Weg nach Westen“, den Deutschland gegangen ist, damals außen-, wirtschafts- und innenpolitisch sowie wohl auch mentalitätsgeschichtlich in den Beginn seiner Schlussphase gemündet ist.

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dem Sommersemester 1950 suspendiert, konnte aber anschließend seinen Lehrstuhl wieder übernehmen.99 Nach Ablehnung eines Rufs nach Münster im Jahr 1957 wechselte er 1960 nach München, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1993 lebte. Noch in Kiel hatte er die beiden Bände zu seinem Lehrbuch des Schuldrechts, die 1953 und 1956 erstmals erschienen, und das Manuskript zu seiner „Methodenlehre“, die er 1960 vorlegte, geschrieben. Durch diese Werke und die Fülle sonstiger Publikationen, die sie begleiteten und umgaben, sollte er trotz seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus doch noch werden, was man vor 1933 hatte erhoffen dürfen: ein „Klassiker zu Lebzeiten“, wie Ralf Dreier formuliert hat.100 1. Die Lehrbücher zum Schuldrecht und zum Allgemeinen Teil: eine exzeptionelle Erfolgsgeschichte Da ich über das Schuldrechtslehrbuch von Larenz an anderer Stelle ausführlich geschrieben habe,101 begnüge ich mich hier mit einer knappen Skizze. a) Das Wachsen von Auflage zu Auflage Diesem Buch war ein außerordentlicher Erfolg beschieden. Das spiegelt sich schon in der Zahl und der Abfolge seiner Auflagen wieder: Band I erlebte von 1953 bis 1987 14 Auflagen, Band II von 1956 bis 1986 13 Auflagen, so dass zwischen den Auflagen im Schnitt nur gut zwei Jahre liegen. Zusätzlich erschien der „Allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts“ von 1967 bis 1989 in sieben Auflagen, was fast derselben Frequenz entspricht. Das ist Ausdruck nicht nur einer staunenswerten Arbeitskapazität, sondern auch einer ebenso außergewöhnlichen Arbeitsdisziplin. Diese hatten ihre Wurzel, wie ich in meiner Zeit als Larenz’ Assistent miterleben durfte, nicht zuletzt darin, dass ihm seine wissenschaftliche Arbeit eminente Freude machte und neben seiner Familie den zentralen Schwerpunkt seines Lebens bildete. Zu seinem Glück war es ihm vergönnt, seine wissenschaftliche Tätigkeit bis unmittelbar vor seinem Tod in unverminderter geistiger Frische fortzusetzen. Typisch für die Lehrbücher von Larenz ist, dass er diese, frei nach Rilke, gleichsam „in wachsenden Ringen“ geschrieben hat. So wurden aus den 300 Seiten der ersten Auflage von Band I des Schuldrechts 670 Seiten in der 99 Vgl. die eingehende Darstellung von Frassek, Karl Larenz (1903–1993) – Privatrechtler im Nationalsozialismus und im Nachkriegsdeutschland, JuS 1998, 296, 300, die teilweise auf intensiven Recherchen und teilweise auf Auskünften von Larenz beruht. 100 R. Dreier, JZ 1993, 454. Der Ehrentitel des „Klassikers“ wurde Larenz und seinen Lehrbüchern auch von anderen wiederholt zuerkannt, vgl. z.B. Kupisch, Buchbesprechung zu Lehrbuch des Schuldrechts Band II: Besonderer Teil, NJW 1982, 321; Pawlowski, Buchbesprechung zu Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, NJW 1989, 1981; Hilgendorf, Buchbesprechung zu Methodenlehre der Rechtswissenschaft, NJW 1993, 3250. 101 Vgl. Canaris (Fn. 74), S. 419 ff.

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letzten Auflage und aus den gut 400 Seiten der ersten Auflage von Band II 760 Seiten in der letzten Auflage. Ein solches sukzessives Vorgehen entsprach Larenz’ Denkweise und seinem Wissenschaftsverständnis. Er war nämlich weniger bestrebt, auch bei komplexen oder neuartigen Problemen schon „im ersten Anlauf“ eine möglichst tief dringende und umfassend angelegte Lösung zu gewinnen, als vielmehr damit zufrieden, im Vertrauen auf die Verbesserungsmöglichkeiten in späteren Auflagen die Entfaltung und Vertiefung der Probleme während eines längeren Zeitraums gelassen abzuwarten. b) Wesentliche Charakteristika von Larenz’ Lehrbüchern Zu den hervorstechenden Fähigkeiten von Larenz gehörte es, dass er es meisterhaft verstand, Probleme und ihre Lösung „auf den Begriff zu bringen“ und insbesondere einen passenden und durchsetzungsfähigen Terminus zu finden. Ein Musterbeispiel hierfür bildet der Begriff „Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht“, der von ihm stammt.102 Dieser erleichtert das Verständnis wesentlicher Aspekte des Schuldverhältnisses außerordentlich. Legt man den Akzent auf das Wort „primäre“ und zieht man also die Konsequenz, dass es auch Schuldverhältnisse mit lediglich „sekundären“ Leistungspflichten gibt, so wird es zu einer dogmatischen Selbstverständlichkeit, dass nach dem Erlöschen einer primären Leistungspflicht, etwa gemäß § 275 I BGB, aus demselben Schuldverhältnis neue – eben „sekundäre“ – Leistungspflichten entspringen können wie z. B. solche zur Herausgabe von Surrogaten nach § 285 BGB oder zum Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 III, 281–283 BGB, oder dass dieses Schuldverhältnis durch einen Rücktritt nicht untergeht, sondern unter Wahrung seiner rechtlichen Identität in ein Rückabwicklungsverhältnis verwandelt wird. Als noch fruchtbarer erwies es sich, dass man auch das Wort Leistungspflicht betonen kann. So gelangt man nämlich unschwer zu der Einsicht, dass es auch Schuldverhältnisse gibt, die überhaupt keine Leistungs-, sondern nur Schutz- oder Rücksichtspflichten beinhalten, was bekanntlich im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung gemäß § 241 II BGB sogar Eingang in das Gesetz gefunden hat. Im Zusammenhang mit der Kategorie des Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht steht, dass Larenz auch den Begriff des „Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte“ geprägt hat,103 den der BGH alsbald von ihm übernommen hat.104 Erst daraufhin und wohl nicht zuletzt dadurch hat diese Rechtsfigur ihren unaufhaltsamen Siegeszug angetreten. Wieder einmal sehen wir Larenz somit in seinem Denken auf den Spuren Hegels, zeigt sich

102 Er verwendet ihn erstmals in der 5. Auflage des 1. Bandes seines Schuldrechtslehrbuchs von 1962 im Rahmen der Ausführungen über die culpa in contrahendo S. 39. 103 Er findet sich schon in der 1. Auflage von Schuldrecht I, vgl. S. 139 ff. 104 Erstmals BGH, NJW 1959, 1676 f.

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hier doch geradezu exemplarisch die „produktive“ Kraft des Begriffs und seiner Bildung. Demgemäß darf man die Schaffung der Kategorie des Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht durchaus als „juristische Entdeckung“105 bezeichnen. Viel gerühmt und in der Tat des Rühmens wert sind auch die Eleganz von Larenz’ Stil und die Luzidität seiner Gedankenführung. Diese haben ohne Zweifel ganz wesentlich zum Erfolg seiner Bücher beigetragen. Freilich bergen sie, wie ich noch aus eigener Erfahrung weiß und auch von zahlreichen anderen Lesern gehört habe, zugleich gewisse Gefahren in sich. Allzu leicht wiegt der Leser sich nämlich in der trügerischen Gewissheit, ein Problem und seine Lösung voll verstanden zu haben, weil ihm die Suggestivkraft von Larenz’ Darstellung den Blick für unter der Oberfläche liegende Schwierigkeiten trübt.106 Zwar pflegt er für nahezu jeden nicht-trivialen Satz eine teleologisch fundierte Begründung zu geben – was seinerzeit alles andere als selbstverständlich war und daher durchaus auch maßstabsetzend gewirkt hat, was mir aber keineswegs als Student, sondern erst als Assistent und damit als (werdendem) Wissenschaftler bewusst geworden ist –, doch besteht diese meist nur aus einem einzigen Gedanken, den er sich nicht selten in einem langen Prozess des Nachdenkens erarbeitet hatte, und nimmt den Leser daher nicht mit auf den Weg durch den Dschungel der Schwierigkeiten und Argumente, der oft vor der Erreichung eines einigermaßen abgesicherten Ergebnisses durchdrungen werden muss.107 Nicht zu Unrecht hat Diederichsen daher gesagt, dass Larenz seine Lehrbücher „weniger für andere als für sich selbst schreibt“ und dass „seine Texte deshalb monologisch, nicht dialogisch sind“.108 In der Tat hat er mir gegenüber einmal geäußert, er schreibe primär, um sich selbst über die Probleme und ihre Lösung klar zu werden. Weniger bekannt, gerade darum aber besonderer Hervorhebung wert ist die Tatsache, dass Larenz stets aufgeschlossen für Fortschritte des Rechtsdenkens war, ja geradezu einen ausgeprägten Spürsinn für „in der Luft liegende“ Tendenzen hatte. So gehörte er – was heute wohl kaum noch jemand weiß – zu den ersten, die für eine Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen plädiert haben, und zwar im wesentlichen mit denjenigen Argumenten, die wir auch jetzt noch als maßgeblich erachten.109 Auch

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Vgl. dazu die Nachweise oben Fn. 13. Vgl. auch Westermann, Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, NJW 1971, 1789–1790, der in seiner Rezension der 10. Auflage von Band 1 und der 9. Auflage von Band 2 von einer „fast schon irreführend flüssigen Darstellung auch verwickelter Problemkomplexe“ spricht; ähnlich Pawlowski, NJW 1989, 1981. 107 Dies habe ich in der von mir besorgten Neuauflage des Schuldrechtslehrbuchs geändert, vgl. dazu Canaris (Fn. 74), S. 430 f. 108 So Diederichsen, FS C. H. Beck (1988), S. 495, 507; ähnlich S. 498. 109 Vgl. Larenz, Schuldrecht I (1953), S. 69 f. und 2. Aufl. 1957, S. 78. 106

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hat er sich z.B. schon früh den „neuen Vertragstypen“ wie dem finanzierten Kauf und dem Finanzierungsleasing intensiv gewidmet.110 2. Die „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“: ein Durchbruch a) Grundlegung einer kaum erschlossenen wissenschaftlichen Materie Als 1960 Larenz’ „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ erschien, kam das einem Durchbruch gleich. Bis dahin gab es nämlich auf dem Gebiet der Methodenlehre an aktueller Literatur im Wesentlichen nur Engischs zwar schöne, aber in der Themenstellung viel zu enge „Einführung in das juristische Denken“.111 Wer sich heute an Larenz’ „Methodenlehre“ kritisch reibt, sollte daher nicht vergessen, dass es erst sein Buch war, das einer – alsbald nach dessen Erscheinen einsetzenden – intensiven wissenschaftlichen Befassung mit dieser Materie überhaupt den Weg geöffnet und das Feld bereitet hat. Dabei weist dieses Werk zusätzlich insofern einen besonderen Vorzug auf, als dem „systematischen Teil“ ein fast gleichgewichtiger „historisch-kritischer Teil“ vorangestellt ist, welcher die „Rechtstheorie und Methodenlehre in Deutschland seit Savigny“ behandelt. Ich habe über diesen aus dem Munde von Rechtshistorikern überaus lobende Worte gehört. Heute wäre insoweit indessen m.E. angesichts der Fortschritte, welche die Erforschung der deutschen Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts seither gemacht hat, von einem einzelnen, der nicht Rechtshistoriker ist, Vergleichbares nicht mehr zu leisten. Daher bin ich Larenz darin gefolgt, dass ich, wie er selbst es schon in den beiden noch von ihm besorgten Auflagen der „Studienausgabe“ der „Methodenlehre“ getan hat, in der von mir nach seinem Tod übernommenen dritten Auflage den historisch-kritischen Teil weggelassen und meiner Bearbeitung nur den (ungekürzten) systematischen Teil zugrunde gelegt habe.112 Wenn Rüthers dies als „Anleitung zum fortgesetzten methodischen Blindflug“ kri-

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Letzteres hat er erstmals behandelt in Schuldrecht II (11. Aufl. 1977), § 63 III. Engisch, Einführung in das juristische Denken (1956); in der 10. Aufl. 2005 herausgegeben und bearbeitet von Würtenberger und Otto. 112 Vgl. Larenz/Canaris (Fn. 77). Dass ich im Gegensatz zu Larenz auch das Kapitel über „Die Methodendiskussion in der Gegenwart“, das den Abschluss des historisch-kritischen Teils bildet, weggelassen habe, beruht zum einen darauf, dass es sich dabei zur Zeit der Übernahme dieses Buchs durch mich m. E. in weiten Teilen nicht mehr um „Gegenwart“, sondern ebenfalls bereits um „historisch“ gewordene Ansichten handelte, und zum anderen darauf, dass ich eine gesonderte Darstellung der von einzelnen Autoren vertretenen methodologischen Positionen angesichts des Anschwellens der Literatur für kaum seriös machbar und vor allem nicht für angemessen halte; diese mögen bei der Behandlung der einzelnen Sachfragen punktuell zu Wort kommen, wie das auch sonst in der rechtswissenschaftlichen Literatur üblich ist. 111

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tisiert hat,113 so liegt das schon deshalb neben der Sache, weil der historischkritische Teil von Larenz die Epoche des Nationalsozialismus, auf die es Rüthers insoweit entscheidend ankommt, gar nicht enthält. Ich sah (und sehe) auch keinen Anlass, diese meinerseits als eigenständigen Abschnitt in die „Methodenlehre“ aufzunehmen. Ich halte nämlich die damaligen Exzesse im Umgang mit Gesetz und Recht, wie ich im Rahmen meiner Ausführungen zur Behandlung der „Rassefremden“ deutlich zu machen versucht habe, nicht für einen Teil der Geschichte der Methodenlehre, sondern für einen Ausstieg aus dieser; 114 denn Methodenlehre hat bei unserem heutigen Verständnis von Jurisprudenz, das auf einer Jahrhunderte alten europäischen Tradition beruht, ex praemissione spezifisch wissenschaftliche Wege zur Findung und Gewinnung des Rechts zum Gegenstand und von deren Beschreitung kann von vornherein nicht die Rede sein, wo die Rassenideologie zugrunde gelegt wird.115 Demgemäß lehrt uns der Rückblick auf jene Zeit m.E. kaum etwas über den methodologisch korrekten Umgang mit Gesetz und Recht, sondern betrifft das ungleich größere Thema des Verhältnisses der Juristen zu einem Unrechtsstaat 116 und gehört daher in den viel weiteren Rahmen der Rechtsphilosophie.117 Darüber hinaus gilt auch für diese, sofern sie der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist, und erst recht für eine Methodenlehre, die das Prädikat der Wissenschaftlichkeit verdient, in Anlehnung an ein bekanntes Wort Böckenfördes, dass sie die Voraussetzungen, von denen sie lebt, nicht selbst zu gewährleisten, also zu schaffen und aufrecht zu erhalten vermag,118 auch wenn sie – das aber immerhin! – einen gewissen Beitrag dazu zu liefern durchaus imstande ist. Im Übrigen möchte ich im Folgenden drei repräsentative Problemfelder herausgreifen, um einen Eindruck vom Gehalt der Larenz’schen „Methodenlehre“ und von ihrer heutigen Bedeutung für unser Fach zu geben. Diese sind so gewählt, dass sie in ihrer Zusammenschau zugleich einen großen Teil des gedanklichen Gesamtgebäudes, als welches sich seine „Methodenlehre“ darstellt – und den übrigens insoweit auch ich „bewohne“ – sichtbar machen und tragende Elemente seiner Architektur in Erscheinung treten lassen.

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Vgl. Rüthers, Anleitung zum fortgesetzten methodischen Blindflug?, NJW 1996, 1249–1253. 114 Vgl. oben II 3 d). 115 Zutreffend Luig, Macht und Ohnmacht der Methode, NJW 1992, 2536, 2539 gegen Rüthers: „In einem Rechtssystem, das verwissenschaftlicht ist …, steht ‚Methode‘ nicht für alle Zwecke zur Verfügung.“ 116 Vgl. als Beispiel oben II 4 c) vor Fn. 81. 117 So im Ansatz auch Rüthers (Fn. 44), S. 443 und ders., Die unbegrenzte Auslegung (6. Aufl. 2005), Nachwort S. 494. 118 Vgl. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit (1976), S. 60; ders. Der Staat als sittlicher Staat (1978), S. 37.

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b) Die Abwendung vom „konkret-allgemeinen Begriff“ im Sinne Hegels Zunächst bedarf es einer Abgrenzung in negativer Hinsicht: Die auffälligste Veränderung, die Larenz an seiner „Methodenlehre“ in der Abfolge ihrer Auflagen vorgenommen hat, ist seine Abwendung von dem „konkret-allgemeinen Begriff“ im Sinne Hegels. Während das Buch in der 1. Auflage von 1960 noch mit diesem endete und in gewisser Hinsicht auch in ihm gipfelte,119 hat Larenz ihn seit der 3. Auflage von 1975 nach weiter vorn gezogen und in einen bloßen „Exkurs“ ausgelagert.120 Schon während der Zeit des Nationalsozialismus hatte Larenz sich darum bemüht, den „konkret-allgemeinen Begriff“ für die Rechtswissenschaft fruchtbar zu machen,121 doch wäre es verfehlt, diesen deshalb in einen inneren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu bringen,122 wenngleich Larenz ihn in dieser Richtung missbraucht hatte. Als Motive für seine Abwendung von Hegel hat Larenz 1975 angegeben, dass er nunmehr auch die moderne Hermeneutik in sein methodologisches Konzept einbezogen habe und „einige der für jede geisteswissenschaftliche Erkenntnis bedeutsamen Einsichten Hegels zweifellos in die moderne Hermeneutik eingegangen sind“,123 sowie, dass „die Geschichte über den Absolutheitsanspruch dieses Systems – wie desjenigen aller Nachfolger – hinweggegangen … (und) nicht nur für die Rechtswissenschaft, sondern auch für die ‚praktische‘ Philosophie (d.h. Ethik und Rechtsphilosophie) das ‚offene‘ und bis zu einem gewissen Grade in sich ‚bewegliche‘ System, das niemals vollendbar ist und immer wieder in Frage gestellt werden kann, die einzig noch mögliche Form des Systemdenkens ist“.124 Für diese Korrektur seiner Position mag auch eine gewisse Rolle gespielt haben, dass wir als seine Schüler behutsam, aber hartnäckig versucht haben, ihn von einer unmittelbaren Anknüpfung an die Gedankenwelt Hegels wegzudrängen, soweit es um Fragen der Methodenlehre geht. So hängt es vielleicht hiermit zusammen, dass er seine „Methodenlehre“ seit der 3. Auflage (namentlich genannten) Schülern von ihm als „langjährigen Gesprächspartnern“ gewidmet hat. Für mich selbst war ohnehin Kant (neben Platon) der

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Vgl. Larenz (Fn. 75), S. 353 ff., 369 f.; übereinstimmend 2. Aufl. 1969, S. 473 ff. Vgl. Larenz (Fn. 76), S. 457 ff. 121 Vgl. Larenz (Fn. 67), S. 43 ff.; ders., Zur Logik des konkreten Begriffs: eine Voruntersuchung zur Rechtsphilosophie, Deutsche Rechtswissenschaft, Vierteljahresschrift der Akademie für Deutsches Recht, 5. Bd. 1940, 279–299. 122 Vgl. auch A. Kaufmann, Buchbesprechung zu Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991), JZ 1992, 191, 192. 123 So Vorwort zur 3. Aufl. S. VIII; vgl. zu dieser Positionsänderung von Larenz auch Frommel, Die Rezeption der Hermeneutik bei Karl Larenz und Josef Esser (1981), S. 55 ff. (kaum ergiebig). 124 Larenz (Fn. 75), S. 161; fast wörtlich übereinstimmend 6. Aufl. (1991) S. 173; ausführlicher und vertiefend Larenz, Richtiges Recht (1979), S. 182 f. 120

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philosophische Fixstern, lange bevor ich zu Larenz kam, während ich Hegel, wohl nicht zuletzt unter dem Einfluss Poppers, mit äußerster Distanz gegenüberstand. Vor allem aber war – und bin – ich der Überzeugung, dass eine juristische Methodenlehre nur das unerlässliche Minimum an allgemeinphilosophischen Grundlagen in sich aufnehmen sollte und hielt daher Larenz’ ursprüngliches pointiertes Bekenntnis zu Hegel für kontraproduktiv. Die Aufgaben, deren Erfüllung Larenz dem „konkret-allgemeinen Begriff“ zugedacht hatte, haben sich damit freilich nicht erledigt. Sie sollen vielmehr von anderen Denkformen wie dem Typus – den Larenz schon 1938 als äquivalent neben den „konkret-allgemeinen Begriff“ gestellt hatte 125 –, dem funktionsbestimmten Begriff und der Konkretisierung allgemeiner Rechtsprinzipien wahrgenommen werden.126 In der Tat scheinen auch mir abstrakte Allgemeinbegriffe in der Jurisprudenz trotz ihrer Unentbehrlichkeit von geringer Fruchtbarkeit zu sein und daher der Ergänzung durch andere Denkfiguren zu bedürfen, wobei man im vorliegenden Zusammenhang wohl noch das „bewegliche System“ im Sinne Wilburgs hinzunehmen sollte. Hier bedarf es freilich der Vertiefung in mannigfacher Hinsicht und hier sehe ich daher eines der wichtigsten zukünftigen Arbeitsfelder auf dem Gebiet der Methodenlehre. c) Die Verbindung von „subjektiver“ und „objektiver“ Auslegungstheorie und die Zurückweisung des „positivistischen“ und des „scientistischen“ Wissenschaftsbegriffs Ein anderes Grundlagenthema der Methodenlehre neben dem der Begriffsbildung stellt die Frage nach dem Ziel der Auslegung dar: Geht es, etwas verkürzend gesprochen, dabei darum, den Willen des „historischen“ Gesetzgebers zu ermitteln, wie die Anhänger der „subjektiven“ Theorie meinen, oder ist letztlich der „objektive“ oder „normative“ Sinn des Gesetzes maßgeblich, wie dies der „objektiven“ Theorie entspricht? Larenz hat seit jeher für eine Verbindung beider Konzeptionen plädiert mit einer leichten Tendenz zu einem Vorrang des „normativen“ Sinnes vor den „Regelungsabsichten und den konkreten Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers“.127 Selbstverständlich spricht im Ansatz für die „subjektive“ Theorie, dass die Rechtsprechung grundsätzlich an das Gesetz gebunden ist 128 und die Metho125

Vgl. Larenz (Fn. 67), S. 45, 47 und öfter. Vgl. Larenz (Fn. 67), S. 457. 127 Vgl. zuletzt Larenz (Fn. 67), S. 316 ff. 128 Den Versuch, hieraus eine konsistente Konzeption der „subjektiven“ Theorie zu entwickeln, hat vor allem Neuner unternommen, vgl. Die Rechtsfindung contra legem (2. Aufl. 2005), S. 85 ff., 103 ff. Indessen zahlt er dafür konsequenterweise den Preis einer starken Ausweitung des Bereichs, in dem er ein Contra-legem-Judizieren für zulässig hält, und setzt sich dadurch dem Einwand aus, die überkommene Funktion dieser Kategorie termino126

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denlehre somit ebenfalls von diesem Gebot auszugehen hat, weil und soweit sie sich als Lehre von der korrekten Rechtsanwendung, -findung und -fortbildung versteht und also am Leitbild der Rechtsprechung orientiert ist. Die erste Schwachstelle der „subjektiven“ Theorie besteht jedoch bekanntlich schon darin, dass man allzu oft nicht weiß, was eigentlich der Wille des „historischen“ Gesetzgebers war, und diesem dann zwangsläufig einen „vernünftigen“, also doch irgendwie „objektiven“ Willen unterstellt. Noch vorgelagert ist die kritische Frage, wer eigentlich der „historische“ Gesetzgeber ist: das Parlament, dem zwar bei einem Gesetz die Normsetzungskompetenz zukommt, dessen Mitglieder sich aber häufig bei bestimmten Vorschriften gar nichts oder zumindest nichts Genaues gedacht haben; oder die Beamten des Ministeriums, welche den Entwurf des Gesetzestextes und dessen Amtliche Begründung abgefasst haben; oder gar eine gegebenenfalls vorgeschaltete Kommission von Experten, auf welche Ideen und Formulierungen zurückgehen?! Eine stringente Antwort hierauf zu finden ist bisher m.E. nicht gelungen und insbesondere nicht mit Hilfe der „Paktentheorie“ zu erreichen.129 Auf der Ebene des Europarechts werden diese Schwierigkeiten nicht selten noch potenziert.130 Entscheidend kommt hinzu, dass die berühmte Maxime, wonach „ein Text klüger sein kann als sein Verfasser“ und der Interpret ihn also u.U. besser zu verstehen vermag als dieser selbst,131 im Kern völlig zutrifft. Wer sich

logisch wesentlich zu verändern, vgl. F. Bydlinski, Über die Lex-lata-Grenze der Rechtsfindung, in: Koller u.a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im juristischen Denken, Symposion zu Ehren von Claus-Wilhelm Canaris (1998), S. 27–88. 129 Nicht voll überzeugend insoweit Neuner (Fn. 128), S. 104, der dem gesetzgebenden Gremium der Sache nach eine Widerspruchsobliegenheit gegenüber den Gesetzesmaterialien aufbürdet und dadurch m.E. sowohl die Kompetenzverteilung in riskanter Weise tangiert als auch den Zufälligkeiten des Gesetzgebungsverfahrens zu viel Raum lässt. 130 Dass sich deshalb die subjektive Theorie „für weite Bereiche der nationalen Gesetzgebung schlicht und einfach erledigt hat“, wie Hirsch, Auf dem Weg zum Richterstaat?, JZ 2007, 853, 857 meint, erscheint mir allerdings als überpointiert. Im Gegenteil stellt es ein gutes Beispiel für deren fortdauernde partielle Tragfähigkeit dar, wenn der nationale Gesetzgeber etwa den Willen zu einer völlig kongruenten Umsetzung einer Richtlinie der EG bekundet hat – den er ja nicht zu haben braucht! – und die Rechtsprechung daraus dann auf die Zulässigkeit einer rigorosen richtlinienkonformen Rechtsfindung schließt; hier passt sogar die „Paktentheorie“ einigermaßen! Außerdem verlagert sich das Problem teilweise auf die europäische Ebene – so wenn aus den „Erwägungsgründen“ einer Richtlinie auf den „Willen“ des Richtliniengebers geschlossen wird. Im Übrigen stößt die subjektive Theorie hier oft (nur) deshalb an ihre natürlichen Grenzen, weil das Zustandekommen europarechtlicher Normen häufig sehr intransparent ist und von der Kommission teilweise offenbar bewusst intransparent gehalten wird – ein unter demokratietheoretischen Aspekten bedenkliches Verhalten. 131 Auf diese beruft sich im vorliegenden Zusammenhang mit Recht jüngst z. B. Hirsch, JZ 2007, 853, 855.

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hierüber mokiert 132 oder gar zu der Diffamierung greift, dass „die Argumentation deutliche Parallelen mit der Auslegungslehre im Nationalsozialismus aufweist“,133 sollte beschämt verstummen, wenn er zur Kenntnis nehmen muss, dass Kant mit Selbstverständlichkeit von dieser Maxime ausgegangen ist – und zwar an äußerst prominenter Stelle, nämlich in der „Kritik der reinen Vernunft“ bei seiner Auseinandersetzung mit der Ideenlehre Platons.134 In der Tat gehört diese Ansicht längst zu den anerkannten Bestandteilen der allgemeinen Hermeneutik.135 Ihre Plausibilität lässt sich auch dann, wenn man die Geschichtlichkeit von Texten und die Gegenwartsbezogenheit der Perspektive eines Gesetzesanwenders hier einmal wegen ihrer Komplexität ausklammert und also von dem darin liegenden – enormen – Argumentationspotential absieht, unschwer dartun. Für sie sprechen nämlich zwei ebenso einfache wie überzeugungskräftige Gesichtspunkte: Zum ersten kann sich der Verfasser eines Textes in der Formulierung vergreifen, zugleich aber doch das Gemeinte wenigstens andeutungsweise oder bruchstückhaft treffen.136 Zum zweiten bringt er in diesen mehr oder weniger zwangsläufig auch solche Bestandteile ein, die in seinem „Material“ enthalten sind und ihm selbst gar nicht bewusst zu sein brauchen. Ein „Plot“ oder „Stoff“ wie der des „Ödipus“, des „Lear“, des „Wallenstein“ oder des „Faust“ hat nun einmal seine Eigengesetzlichkeiten, die bei der Umsetzung in ein Theaterstück auch dann hervorscheinen können, wenn es dessen Autor hierauf gar nicht ankam. Ebenso entfalten „Rechtsgedanken“ nach ihrer Inkorporierung in ein Gesetz oft eine Eigendynamik, die weit außerhalb der Vorstellungen seiner Verfasser liegt. Wenn ich heute im Rahmen der Neukonzeption des Schuldrechtslehrbuchs von Larenz an der dogmatischen Umsetzung des Leistungsstörungsrechts arbeite, ergreift mich oft großes Erstaunen darüber, welche Konsequenzen und „Fernwirkungen“, an die wir in der „Kommission Leistungsstörungsrecht“ nicht einmal ansatzweise gedacht haben und die natürlich 132 Repräsentativ etwa Rüthers (Fn. 49), Rn. 722 und 797, der in grober Simplifizierung Metaphern wörtlich nimmt; ähnlich ders. (Fn. 117), S. 489 ff. Dass die Rede vom „Willen des Gesetzes“ nur metaphorisch sein kann und in Wahrheit dessen objektiven oder normativen „Sinn“ oder dgl. meint, liegt auf der Hand; ebenso freilich auch, dass sie Anlass zu Missverständnissen oder argumentativem Missbrauch durch Anhänger der Gegenposition geben kann und daher vermieden werden sollte, vgl. Larenz/Canaris (Fn. 77), S. 139 f. 133 So Höpfner/Rüthers, Grundlagen einer europäischen Methodenlehre, AcP 209 (2009), 1, 7 Fn. 32 in Polemik gegen den BGH-Präsidenten a.D. Hirsch und gegen Larenz im Anschluss an Hillgruber, Neue Methodik – Ein Beitrag zur Geschichte der richterlichen Rechtsfortbildung in Deutschland, JZ 2008, 745, 755, der zwar nicht in dieser Weise personalisiert, aber bei seiner Kritik an der richterlichen Rechtsfortbildung allen Ernstes an Freisler erinnern zu sollen glaubt. 134 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781, 2. Aufl. 1987), A 314 bzw. B 370. 135 Vgl. denn auch die Glossierung der betreffenden Stelle bei Kant durch Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt (1981), hier zitiert nach Suhrkamp Taschenbuch (2. Aufl. 1989), S. 192: „Kant im Gewand des Hermeneuten“. 136 Diese Möglichkeit hat Kant (Fn. 134) im Auge.

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vollends weit jenseits des Horizonts der Parlamentarier lagen, bestimmte Regelungen und die ihnen zugrunde liegenden Lösungsmodelle nach sich ziehen.137 Ich gehe auf dieses Problemfeld deshalb verhältnismäßig ausführlich ein, weil es mir eng mit mehreren Hintergrund- und Grundlagenfragen zusammenzuhängen scheint, zu denen Larenz uns in seiner „Methodenlehre“ auch heute noch Wesentliches zu sagen hat. Da ist zunächst die Frage nach dem ontologischen Status oder der „Seinsweise“ des Rechts. Larenz sieht sie in der „Geltung“.138 Das leuchtet ein, weil diese in der Tat die spezifische Besonderheit einer rechtlichen Sollensordnung bildet und rechtliche Regelungen, wie unmittelbar einsichtig, aber alles andere als trivial ist, den Kategorien der Zeit und des Raumes unterliegen: Ein Gesetz und jede andere Rechtsnorm „gilt“ nur innerhalb einer bestimmten Zeitspanne und hat grundsätzlich einen räumlich begrenzten oder zumindest räumlich „anzuknüpfenden“ Anwendungsbereich. Es stellt daher eine sinnvolle Sprechweise dar zu sagen, die „Seinsweise“ des Rechts bestehe in seiner Geltung in Zeit und Raum. Daraus zieht Larenz folgerichtig den ebenso fundamentalen wie zutreffenden Schluss, dass sich das Recht weder auf materielle noch auf psychische Vorgänge reduzieren lässt, sondern dem davon scharf zu unterscheidenden „geistigen Sein“ im Sinne der „Schichtenlehre“ Nicolai Hartmanns zugehört.139 Stattdessen könnte man es m.E. auch der „Welt 3“ im Sinne Karl Poppers – der als Hauptrepräsentant des „Kritischen Rationalismus“ und Verfasser des primär an den Naturwissenschaften orientierten Werkes „Logik der Forschung“ über den Verdacht pseudometaphysischer Tieftümelei erhaben ist – zurechnen, in die dieser vor allem die menschliche Sprache und die Mathematik einordnet.140 Andere Hervorbringungen des menschlichen Geistes wie Philosophie, Literatur, Musik, bildende Kunst und eben auch Recht lassen sich hier unschwer anschließen. Macht man sich diese Hintergründe klar, wird man besser verstehen, dass es bei dem Gegensatz zwischen „subjektiver“ und „objektiver“ Theorie keineswegs, wie heute oft insinuiert oder gar explizit behauptet wird, allein oder auch nur primär um die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz und um die Verankerung der Methoden-

137 Ein Beispiel bildet, dass das Erfordernis der „Teilbarkeit“ der Leistung im Recht der Leistungsstörungen nahezu völlig gegenstandslos geworden ist, auch wenn die h.L. es unreflektiert fortschleppt, vgl. Canaris, Die Bedeutung des Kriteriums der Unteilbarkeit der Leistung oder der Gegenleistung im modernisierten Leistungsstörungsrecht, in: Beuthien u. a. (Hrsg.), Perspektiven des Privatrechts am Anfang des 21. Jahrhunderts, Festschrift für Dieter Medicus zum 80. Geburtstag (2009), S. 17–41, insbesondere S. 19 ff., 30 ff., 40 f. 138 Vgl. 6. Aufl. S. 117 und ders. (Fn. 124), S. 176 f. im Anschluss an G. Husserl, Recht und Zeit (1955), S. 10 ff.; vgl. auch schon Larenz (Fn. 70), S. 20 ff. zu G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung (1925), S. 1 ff. 139 Larenz (Fn. 76), S. 117 f. bzw. S. 176. 140 Vgl. Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt (1987), S. 30 ff.

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lehre in der Verfassung geht, sondern zugleich – und logisch vorrangig! – um tiefer liegende philosophische, insbesondere allgemein-hermeneutische Probleme. Andererseits darf man die „subjektive“ Theorie nicht auf ihren verfassungsrechtlichen Impetus verkürzen. Vielmehr muss man sehen, dass hinter ihr – wenngleich meist unausgesprochen oder sogar unbewusst – eine bestimmte wissenschaftstheoretische Konzeption steht: die Vorstellung, dass nur empirisch erfassbare und überprüfbare Phänomene, hier also historische Fakten einen legitimen Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis bilden.141 Das entspricht indessen dem „positivistischen“ Wissenschaftsbegriff,142 nach dem grundsätzlich nur Logik, Mathematik und Empirie als Mittel der Wissenschaft anzuerkennen sind. Diesen und den verwandten „scientistischen“ Wissenschaftsbegriff zu bekämpfen stellt eines der Hauptanliegen von Larenz’ „Methodenlehre“ dar.143 In der Tat findet in diesem die Jurisprudenz in ihrem Kernbereich, nämlich in ihrer dogmatischen Arbeit, keinen Platz, weil sie sich weder rein logisch oder mathematisch noch empirisch betreiben lässt; ähnliches gilt für andere Disziplinen wie die Literatur- und die Kunstwissenschaft oder die Theologie, soweit diese exegetisch und nicht historisch verfahren. Machte man mit diesem Wissenschaftsbegriff ernst, wären die Folgen für die Jurisprudenz desaströs: Sie schiede aus dem Kreis der Wissenschaften aus und müsste sich folgerichtig aus der Universität verabschieden mit allen Konsequenzen organisatorischer, finanzieller und berufspraktischer Art. Diese Gefahr ist m.E. heutzutage kaum zu unterschätzen. Der „positivistische“ oder „scientistische“ Wissenschaftsbegriff entspricht nämlich aufgrund der Faszinationskraft der Naturwissenschaften dem Geist unserer Zeit und seine Repräsentanten setzen sich wissenschaftspolitisch häufig mit befremdlicher Robustheit, ja zuweilen mit erschreckender Aggressivität durch. Ein aktuelles Beispiel bilden bestimmte Umwidmungen von Lehrstühlen in den Wirtschaftswissenschaften an deutschen Universitäten, die m.E. in ihrer Fixierung auf die Leistungsfähigkeit mathematisierbarer „Modelle“ nur aus einer (impliziten) Orientierung am „positivistischen“ oder „scientistischen“

141 Das wird vorbildlich klar herausgestellt (wenngleich m. E. aus den im Text genannten Gründen zu Unrecht offenbar als tragfähige Grundlage der „subjektiven“ Theorie angesehen) von Auer, Methodenkritik und Interessenjurisprudenz – Philipp Heck zum 150. Geburtstag, ZEuP 2008, 517, 528 f. (in Interpretation Hecks). 142 Vgl. zu diesem und zu seiner Unterscheidung vom Rechtspositivismus jüngst etwa Auer, Normativer Positivismus – positivistisches Naturrecht, in: Heldrich u. a. (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag (2007), Band II, S. 931, 960. 143 Vgl. 6. Aufl. S. 117 f. bzw. 3. Aufl., 1975, S. VII; pointiert zusammenfassend ders., Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1966), S. 11; vertiefend ders., Über den Wissenschaftscharakter der Rechtswissenschaft, in: Universidad de Santiago de Compostela (Hrsg.), Estudios Juridico-Sociales: Homaje al Profesor Luis Legaz y Lacambra, Bd. 1, (1960), S. 179, 181.

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Wissenschaftsbegriff zu erklären sind (und die vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktkrise und der massiven Mitverantwortung, welche bestimmte Strömungen der Wirtschaftwissenschaften für diese tragen, wie eine Selbstverstümmelung aufgrund von Verblendung und Eigeninteresse etablierter Repräsentanten dieses Faches wirken). Demgegenüber sollte man mit Schärfe an die Defizite dieses Wissenschaftsbegriffs erinnern: Historisch gesehen fehlt ihm jede Legitimation, da die europäische Universität bekanntlich (im 12. Jahrhundert) aus einer Juristenschule in Bologna und einer Theologenschule in Paris hervorgegangen ist 144 und ein Begriff von Wissenschaft, der diese Disziplinen ausschlösse, daher jeder Tradition widerspräche, ja ein Zeichen kulturloser Geschichtsvergessenheit darstellte. Und systematisch gesehen ermangelt er der Konsistenz, weil er keinen hinreichenden Grund dafür anzugeben vermag, dass als Mittel wissenschaftlichen Denkens nur Logik, Mathematik und Empirie anzuerkennen sind; insbesondere fehlt ihm von vornherein jede Möglichkeit, den Vorgang der „Abwägung“ in das System der Wissenschaft zu integrieren, obwohl doch in diesen zahllose Vorgänge der Argumentation münden, so dass er für rationales Denken ebenso fundamental wie unentrinnbar ist. Für die gebotene Selbstvergewisserung unseres Faches ist dabei ein Buch wie Larenz’ „Methodenlehre“ von eminenter Bedeutung, weil zu seinen gedanklichen Grundlagen mit Selbstverständlichkeit die Einbeziehung der exegetischen und der hermeneutischen Dimension in das rechtswissenschaftliche Denken gehört. Übrigens ist es letztlich ein Trugschluss, dass sich die „subjektive“ Theorie mit Hilfe des „positivistischen“ Wissenschaftsbegriffs überzeugend fundieren lässt; denn selbst wenn man diesem folgte, bedeutete das ja noch längst nicht, dass an seiner Grenze jede Form von Rationalität endet – und daher würde die Auseinandersetzung lediglich in einen anderen Bereich verlagert, den man dann nicht mehr „Wissenschaft“, sondern z.B. „Kunst“ der Auslegung nennen würde145. Damit stehen wir unmittelbar vor einem dritten und letzten Grundlagenproblem: Woran soll der Jurist sich eigentlich orientieren, wenn er eine Lösung auf der Basis der „subjektiven“ Theorie nicht zu finden vermag? Hier ist oft allzu schnell von „Methodenehrlichkeit“ und „Eigenwertung“ oder „Dezision“ des Richters die Rede.146 Larenz ist indessen auch diese Kurzschlüssigkeit fremd, weil er folgerichtig (subsidiär) auf „objektiv-teleologische“ Kriterien zurückgreift.147 Da dagegen seit längerem geradezu eine

144 Vgl. z.B. Wesel (Fn. 42), Rn. 216; Rainer A. Müller, Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universität zur deutschen Hochschule (1990), S. 31 ff., 34 ff. 145 So hat z.B. der große Literaturwissenschaftler Staiger seine methodologischen Überlegungen unter dem Titel „Die Kunst der Interpretation“ (1955), zusammengefasst. 146 Typisch auch insoweit Rüthers (Fn. 49), Rn. 724 a.E., 813 f., 817 und öfter. 147 Vgl. Larenz (Fn. 76), S. 333 ff.

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Kampagne geführt wird, in besonders prononcierter und aggressiver Weise wiederum von Rüthers,148 sei zum Abschluss auch hierauf noch eingegangen. d) Objektiv-teleologische Kriterien der Rechtsfindung und -fortbildung, das Problem der „außergesetzlichen Rechtsordnung“ und die Schwächen richterlicher „Eigenwertung“ Als Ausgangspunkt ist daran zu erinnern, dass das Grundgesetz den Richter in Art. 20 Abs. 3 an „Gesetz und Recht“ bindet. Unserer Verfassung liegt also die Vorstellung zugrunde, dass es „Recht“ jenseits des „Gesetzes“ gibt.149 Ihr ist somit die plumpe Dichotomie von Bindung an das („historisch“ zu interpretierende) Gesetz einerseits und „eigener Rechtssetzung“ des Richters im Wege der „Dezision“150 andererseits gänzlich fremd. Dabei hat das „Recht“ nicht nur die Funktion eines Korrekturmaßstabs gegenüber einem – mit ihm unvereinbaren – Gesetz,151 sondern folgerichtig auch und erst recht die einer ergänzenden Rechtsquelle bei Fehlen einer passenden gesetzlichen Lösung.152 Franz Wieacker hat dafür das treffende Stichwort von der „außergesetzlichen

148

Vgl. nur Rüthers (Fn. 49), Rn. 801 f., 810 ff. Vgl. nur BVerfGE 34, 269, 286 ff.; 82, 6, 12; Hirsch, JZ 2007, 853, 854. Wenn sich Hillgruber, JZ 2008, 745, 746 f. hiergegen unter Berufung auf Einzelheiten bei der redaktionellen Abfassung der Vorschrift wendet und die Formulierung „Gesetz und Recht“ als Tautologie hinzustellen versucht, so stellt das eine besonders schwache Art „historischer“ Interpretation dar – als hätte nicht allen Mitgliedern des Parlamentarischen Rats der Unterschied und potentielle Gegensatz von „Gesetz“ und „Recht“ auf das lebhafteste (und schrecklichste) vor Augen gestanden! 150 So Rüthers (Fn. 49), Rn. 817 (in pointierter und polemischer Frontstellung gegen Larenz und mich); zu Art. 20 III GG findet sich hier kein Wort. Es handelt sich bei der Position von Rüthers im Grunde um das altbekannte Modell des Gesetzespositivismus i.e.S., zu dem er sich denn auch ausdrücklich bekennt, vgl. z.B. Rüthers (Fn. 44), S. 432 sowie das Zitat in der folgenden Fn.; vgl. zu den Defiziten einer solchen Konzeption auch Canaris, Richtigkeit und Eigenwertung in der richterlichen Rechtsfindung, in: Universität Graz (Hrsg.) Grazer Universitätsreden Nr. 50 (1993), S. 23, 25 ff. 151 Auch insoweit sowohl rechtsphilosophisch inakzeptabel als auch mit Art. 20 III GG unvereinbar Rüthers, Ideologie und Recht im Systemwechsel (1992): „Gesetzesbindung bedeutet dies: Die Juristen in amtlichen Funktionen sind an die ideologisch begründeten Weisungen der Normsetzer gebunden. Das trifft zu sowohl in einem Rechtsstaat als auch in einem Unrechtsstaat (sic!)“; zutreffend demgegenüber z.B. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (7. Aufl. 1992), S. XII, der über die Juristen sagt: „Sie alle müßen gelernt haben, dem Interesse der objektiven Wahrheit zu dienen, dem Gesetz und der gesetzmäßigen Wahrheit, nichts anderem. Keine ‚höheren‘ Interessen, keine Staatsräson dürfen eine Rolle spielen …“. Der große römische Jurist Papinian ist bekanntlich auf Befehl des Kaisers Caracalla sogar hingerichtet worden, weil er sich geweigert hatte, die von diesem veranlasste Ermordung seines Bruders juristisch zu „legitimieren“. 152 Von diesem Konzept bin ich seit Beginn meiner methodologischen Arbeit ausgegangen, vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (1964, 2. Aufl. 1983), S. 37 f. Fn. 95; im Ansatz ebenso z.B. Neuner (Fn. 128), S. 47 ff., 83 f. 149

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Rechtsordnung“ ausgegeben.153 Dass es eine solche „gibt“ und sie vor allem auf der „Prinzipienebene“ zu suchen und (teilweise) zu finden ist, ist längst (auch empirisch) erwiesen und stellt eines der Zentralargumente gegen die Konzeption eines engen Gesetzespositivismus dar.154 Es entspricht auch dem Selbstverständnis von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft; denn welcher bei Verstand befindliche Richter oder Wissenschaftler würde dort, wo er eine Antwort mit Hilfe des Gesetzes nicht mehr zu geben vermag, generell leugnen, dass die von ihm vertretene Lösung gleichwohl noch eine „rechtliche“ ist, und kurzerhand zur „Eigenwertung“ oder „Dezision“ schreiten, als stünde der Rechtsprechung die Kompetenz zur Setzung von Recht zu?! Zu klären, wie wir diese „außergesetzliche Rechtsordnung“ gewinnen und uns erarbeiten können, stellt eine der großen Zukunftsaufgaben der Rechtswissenschaft dar, zu deren Bewältigung Larenz sowohl in seiner „Methodenlehre“ als auch in seiner im Stande des Emeritus verfassten schönen Spätschrift über „Richtiges Recht“ – auf die ich hier aus Zeit- und Raumgründen leider nicht eingehen kann – sowohl Grundlagen gelegt als auch in manchen Einzelheiten weiterführende Anregungen gegeben hat.155 Demgegenüber bin ich grundsätzlich von Skepsis erfüllt, wenn unter Hinweis auf das Gebot der „Methodenehrlichkeit“ die richterliche „Eigenwertung“ proklamiert wird. Solche Appelle sind zwar gewiss ehrenwert, ähneln mir aber oft allzu sehr einem „pecca fortiter“: Da die „Eigenwertung“ ja ohnehin unvermeidlich sei, möge der Richter getrost kräftig von ihr Gebrauch machen! Das kommt einer Kapitulation der Rechtswissenschaft vor den Aufgaben der Methodenlehre gleich und war Larenz daher fremd. In Wahrheit liegt in der „Eigenwertung“ des Richters – wenn Sie mir eine etwas barbarische Zweckentfremdung eines Faust-Zitats nachsehen – „ein Erdenrest zu tragen peinlich“ 156. Dieser ist zwar realiter unvermeidlich, weil das Gericht in begrenzter Zeit und mit beschränkter intellektueller Kapazität zu einer Entscheidung gelangen muss, idealiter aber „eigentlich“ nicht hinnehmbar, so dass grundsätzlich von einem Richtigkeitsanspruch der Entscheidung im Sinne einer „regulativen Idee“ auszugehen ist.157 Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen einer klaren Rangfolge der verschiedenen Auslegungskriterien entgegen der Ansicht Essers mitnichten entnehmen, dass dem Richter die Wahl der von ihm angewendeten Methode frei

153 Vgl. Wieacker, Gesetz und Richterkunst. Zum Problem der außergesetzlichen Rechtsordnung (1957); siehe dazu vertiefend Neuner (Fn. 128), S. 69 ff. 154 Grundlegend Dworkin, Taking Rights Seriously (1977), S. 22 ff.; ähnlich z. B. R. Dreier, Der Begriff des Rechts, NJW 1986, 890–896; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (2. Aufl. 1994), S. 117 ff. 155 Larenz (Fn. 124), S. 45 ff., 180 ff. und passim. 156 Goethe, Faust Zweiter Teil, Vers 11954 f. 157 Vgl. näher Canaris (Fn. 150), S. 40 f. mit Nachw.

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stehe und er dabei von seinem „Vorverständnis“ geleitet werde.158 Gelassen und zutreffend sagt demgegenüber Larenz, dass „das jeweilige Gewicht der verschiedenen Kriterien nicht zuletzt davon abhängt, was sie im Einzelfall hergeben“.159 Darin liegt nicht etwa „eine Annäherung an methodische Beliebigkeit“ oder gar ein „Grundsatz der Grundsatzlosigkeit“,160 sondern der – wenngleich stark verknappte – Ausdruck der richtigen Einsicht, dass die Auslegungskriterien bei etwaigen Kollisionen zwischen ihnen – und nur in solchen Fällen stellt sich ja das Problem ihrer Rangfolge! – grundsätzlich der Gewichtung bedürfen. Diskurstheoretisch gesehen stellen sie nämlich lediglich typisierende Zusammenfassungen von spezifischen Argumenten dar (die sich nur – aber immerhin! – dadurch auszeichnen, dass ihre Relevanz im Rahmen der Auslegung überzeugend gesichert und generell anerkannt ist und daher nicht jeweils wieder legitimiert zu werden braucht161) und bedürfen folglich als solche naturgemäß am Ende des gedanklichen Prozesses grundsätzlich – d.h. sofern nicht ausnahmsweise eine echte Vorrangregel eingreift – einer Abwägung nach Art, Gewicht und Zahl, wie das nun einmal bei konfligierenden Argumenten unvermeidlich ist.162

3. Larenz als akademischer Lehrer und im Umgang mit seinen wissenschaftlichen Schülern a) Lassen Sie mich nun noch kurz auf Larenz als akademischen Lehrer zu sprechen kommen. Was zunächst sein Verhältnis zu den Studierenden angeht, so kann man holzschnittartig sagen: In der Vorlesung war er so schlecht wie die meisten seiner Generation, in der Übung brach wegen ihres Bezugs auf die Lösung konkreter Fälle oft der exzeptionelle Könner aus ihm heraus und im Seminar war er voll in seinem Element und daher überragend. Seine Vorlesungen wurden dadurch stark beeinträchtigt, dass er fast immer vom Blatt ablas, ja mitunter sogar die Druckfahnen der neuesten Auflage eines seiner Lehrbücher auf dem Pult liegen hatte, und so gut wie niemals Fragen an das Auditorium richtete. Eines Tages kam er aus einer ZPO-Vor-

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So Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung (1970), S. 123. Vgl. Larenz (Fn. 76), S. 345. 160 So aber Rüthers (Fn. 49), Rn. 815 bzw. ders., Methodenfragen als Verfassungsfragen?, Rechtstheorie 40 (2009), 253, 277 in vollständiger Verkennung auch dieser Problematik. 161 Wie wichtig das ist, zeigt sich an dem Vergleich mit Gesichtspunkten wie denen der Folgenabschätzung oder der ökonomischen Effizienz, denen zwar im Rahmen der Rechtsfindung ebenfalls Bedeutung zukommen kann, deren Berücksichtigungsfähigkeit aber nicht von vornherein außer Diskussion steht und die daher nicht „kanonisch“ sind. 162 Vgl. eingehend Canaris, Das Rangverhältnis der „klassischen“ Auslegungskriterien, in: Beuthien u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus zum 70. Geburtstag (1999), S. 25, 58 ff. 159

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lesung ins Institut und sagte zu mir: „Herr Canaris, stellen Sie sich vor, heute ist mir etwas Schreckliches passiert: Ich habe mein Vorlesungsmanuskript zu Hause vergessen – und Sie werden es nicht glauben, ich war viel besser als sonst!“ Im Grunde hing Larenz wohl der damals leider weit verbreiteten Ansicht an, dass das Halten von Vorlesungen nicht mehr als eine lästige Nebenpflicht sei. Dagegen kam in der Übung, in der er natürlich nichts ablas, seine glänzende Fähigkeit zur freien Rede ebenso voll zur Geltung wie sein vorzügliches Judiz, das ihn zu einem Meister in der Kunst der Falllösung machte. Das Seminar war für ihn der Kern und Höhepunkt seiner Lehrtätigkeit. Dessen Teilnehmer behandelte er als potentielle Wissenschaftler – ganz im Sinne von Humboldts Ideal der „Einheit von Forschung und Lehre“. Er hielt sich von jedem Monologisieren fern und ließ den Vortragenden uneingeschränkt zur Entfaltung kommen, bevor er dann seine Ergänzungen und erforderlichenfalls Korrekturen anbrachte. So ist manche Dissertation, darunter meine eigene über „Die Feststellung von Lücken im Gesetz“, aus einem Vortrag in seinem Seminar hervorgegangen. b) Seinen akademischen Schülern waren er und seine Frau herzlich zugetan. Als ich einmal bei der Antwort auf eine Frage von ihm, wie sich die Karriere eines kürzlich habilitierten Schülers von mir anlasse, etwas ins Schwimmen geriet, bemerkte er in tadelndem Ton: „Wie, Sie müssen doch wissen, was Ihr Schüler macht!“ In meine eigene wissenschaftliche Arbeit hat er sich grundsätzlich nicht eingemischt – auch nicht vor meiner Promotion. Trotzdem habe ich nicht nur „handwerklich“ viel von ihm gelernt, sondern bin in ganz wesentlicher Hinsicht von ihm geprägt worden (auch wenn er gewiss nur aktualisiert und verstärkt hat, was ohnehin meiner Grundhaltung entsprach). Er erkannte nämlich mit nahezu untrüglichem Scharfblick in jedem Manuskript die argumentativ „dünnen“ Stellen und monierte sie – und ich sagte mir dann: Das soll Dir nicht wieder passieren. Diese „Lehre“ hat naturgemäß Sorgfalt und Niveau meiner Argumentation ungemein erhöht. Das wissenschaftliche Gespräch mit seinen Schülern war ihm ein tiefes Bedürfnis. Wenn er aus der Vorlesung ins Institut kam, musste ihn stets einer seiner Assistenten – aber nur einer – erwarten, damit er einen Ansprechpartner hatte. Nach seiner Emeritierung haben er und seine Frau diejenigen seiner Schüler, die damals in München waren, zusammen mit ihren Ehefrauen zu sich in seine Wohnung zu einer philosophischen Diskussionsrunde eingeladen – wir haben Gadamer, Habermas, Platons „Gorgias“ gelesen und besprochen. An der Einleitung zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“ sind wir dann gescheitert. Das lag nicht nur an der extremen Schwierigkeit dieses Textes, sondern hatte etwas Symbolisches: Larenz selbst hatte an ihm letztlich kaum noch ein Interesse und vermochte ihn uns daher nicht mehr zu vermitteln.

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4. Larenz’ Verhältnis zu den Versuchungen wissenschaftlicher Geltungssucht Im Gespräch mit uns Schülern kamen naturgemäß immer wieder juristische Einfälle zur Sprache, die neu zu sein schienen. Larenz sagte dann oft: „Schauen Sie doch bitte mal nach, was ich dazu in meinem Lehrbuch geschrieben habe“. Nicht selten wusste das einer von uns auswendig (ich freilich so gut wie niemals). Demgegenüber war es Larenz selbst offenbar nicht wichtig genug, um es immer präsent zu haben. Stand in seinem Lehrbuch nichts, war der nächste Schritt die Aufforderung nachzuprüfen, was zu dem betreffenden Problem in Literatur und Rechtsprechung bisher schon gesagt worden sei. Wenn sich dort diejenige Ansicht fand, die auch er – scheinbar neu – gerade entwickelt hatte, pflegte seine Reaktion zu sein: „Na, dann ist es ja gut – ich sollte das in der nächsten Auflage meines Lehrbuchs klarstellen.“ Diese Grundhaltung ist bewunderungswürdig. Fast alle Wissenschaftler von einigem Rang pflegen nämlich – wenngleich meist auf subtilere Weise als z.B. Schauspieler oder Politiker – von ausgeprägter Eitelkeit zu sein (was nicht odios ist, sondern worin ein zentrales Motiv wissenschaftlicher Produktivität liegt) und erleben es daher oft als herbe Enttäuschung, wenn sie feststellen müssen, dass eine gute Idee, die ihnen eingefallen ist, schon vorher von einem anderen publiziert worden war. Nicht so Larenz! Das – m. E. gegenüber dem natürlichen Geltungsbedürfnis eines Wissenschaftlers meist glücklicher Weise letztlich doch vorrangige – Motiv, dass die als richtig erkannte Ansicht klar ausgesprochen werden solle und sich durchsetzen möge, verdrängte bei ihm offenbar das Bedürfnis, selbst derjenige zu sein, dem das copy right für diese zusteht. Ich trete seinem Andenken wohl nicht zu nahe, wenn ich die Mutmaßung wage, dass ihm im Rückblick auf sein Verhalten nach 1933 – wahrscheinlich kaum reflektiert, sondern in tieferen Schichten seines Bewusstseins wurzelnd – die Einsicht zugewachsen war, auf welche Irrwege zeitgeistbedingter Geltungswille einen Wissenschaftler (ver)führen kann, und dass er dadurch eine große Distanz gegenüber der Bedeutung eigener wissenschaftlicher „Innovationen“ und damit in dieser Hinsicht eine besondere Souveränität erlangt hatte. Das soll natürlich keineswegs heißen, dass Larenz „uneitel“ war, wohl aber, dass er mit dieser Gefährdung umzugehen wusste wie nur wenige andere.

IV. Was bleibt? In der Rückschau auf ein so reiches Werk und auf ein so leidenschaftlich der Wissenschaft verschriebenes Leben ist es nicht vermessen, eine Frage zu stellen, die einem bei den meisten Wissenschaftlern von vornherein gar nicht in den Sinn käme: Was bleibt?

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Larenz hat einmal zu mir gesagt: „Mein Lebenstraum war, einen Kommentar zu Hegels Rechtsphilosophie zu schreiben. Und was habe ich geschafft? Ein rasch veraltendes Lehrbuch des Schuldrechts und eine etwas weniger rasch veraltende Methodenlehre.“ Indessen hat er die Antwort selbst gegeben, indem er Hegels „Absolutheitsanspruch“ verworfen und sich auch sonst weitgehend von dessen Philosophie abgewandt hat. Besser als ein Epigone Hegels also ein „Klassiker“ 163 auf dem Gebiet des deutschen Schuldrechts und der Methodenlehre, der diese Materien in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geprägt hat wie kaum ein anderer! Und was das Veralten wissenschaftlicher Werke angeht, so ist es nach einem bekannten Wort Max Webers geradezu der Sinn von Wissenschaft, dass sie „,überboten‘ werden und veralten will“.164 Oder lassen wir zum Abschluss doch noch einmal Hegel die Pointe setzen, der am Anfang von Larenz’ Werk und am Anfang meines Vortrags stand und nun auch an dessen Ende stehen möge! Larenz, der sich ja keineswegs zur Gänze von Hegel abgewandt hat, schätzte besonders dessen berühmtes dialektisches Verständnis des Wortes „aufgehoben“. Danach bedeutet dieses sowohl überwunden als auch aufbewahrt als auch schließlich auf eine neue, höhere Stufe hinaufgehoben. So ist, was Larenz vor 1933 exzellent und untadelig begonnen hatte und seit 1949 in mustergültiger Weise fortgesetzt und zum Höhepunkt geführt hat, in diesem dreifachen Sinne aufgehoben: Zwar ist es inzwischen gewiss in mannigfachen Einzelheiten überholt, doch lebt es andererseits in vieler Hinsicht in unserem heutigen Denken, oft geradezu mit Selbstverständlichkeit und darum umso größerer Wirkungsmächtigkeit, fort und ist auch zum Bestandteil, ja mitunter zum Kern gänzlich neuer Konzeptionen geworden – sowohl in der Weiterentwicklung der bürgerlichrechtlichen Dogmatik als auch in der Grundlegung der juristischen Methodenlehre für die Bundesrepublik Deutschland.

163 Vgl. oben bei und mit Fn. 100; vgl. ferner jüngst Hoeren, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 174 vom 30.7.2009 S. 6, der Larenz als den „berühmten Ur-Vater der deutschen Rechtswissenschaft“ bezeichnet, was freilich eine krasse Überzeichnung darstellt, die allenfalls in einem Artikel in einer Tageszeitung durchgehen mag, und im Übrigen Larenz’ Wirken während der Zeit des Nationalsozialismus zu Unrecht unberücksichtigt lässt. 164 M. Weber, Wissenschaft als Beruf (hier zitiert nach der 3. Aufl. von 1930), S. 15 (Hervorhebung im Original).

Ernst von Caemmerer (1908–1985) * Günter Hager I. II.

Lebensweg . . . . . . . . . . . Das Werk . . . . . . . . . . . 1. Die maßgeblichen Schriften 2. Stil und Denkweise . . . . III. Die Person . . . . . . . . . . .

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I. Lebensweg Einige biographische Daten sollen einen ersten Eindruck von Ernst von Caemmerer vermitteln.1 Ernst von Caemmerer wurde am 17. Januar 1908 in Berlin geboren. Mit sechs Jahren verlor er seinen Vater im Ersten Weltkrieg. von Caemmerer studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin und München. Zahlreiche bedeutende Professoren gehörten zu seinen Lehrern. Besonders erwähnen möchte ich Martin Wolff. Die dogmatische Strenge Martin Wolffs wird die wissenschaftliche Arbeitsweise von Caemmerers nachhaltig prägen. Nach dem Studium war Ernst von Caemmerer bereits als Referent am damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht tätig. Unter Ernst Rabel arbeitete er an dem großen rechtsvergleichenden Werk „Recht des Warenkaufs“. Hier liegen die rechtsvergleichenden Wurzeln von Caemmerers. Er blieb dem Institut verbunden bis zur Vertreibung Ernst Rabels durch die Nationalsozialisten Ende der dreißiger Jahre. Während dieser Zeit war Ernst von Caemmerer zunächst als Richter am Berliner Landgericht tätig, dann ab 1937 als Syndikus bei der Dresdner Bank. Es war diese praktische Tätigkeit, die seinen Sinn für die Relevanz juristischer Lösungen und Konstruktionen schärfte. Noch heute klingt es mir

* Vortrag am 1. Februar 2008 – Humboldt-Universität zu Berlin. 1 Hierzu: Leser, Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, JZ 1978, 36–37; Schlechtriem, Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, NJW 1978, 99; Coing, Ernst von Caemmerer und die Wissenschaft vom Privatrecht, in: Ficker u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag 1978 (1978), S. 1–9; Leser, Nachruf Ernst von Caemmerer, JZ 1985, 735–736.

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in den Ohren, wenn von Caemmerer juristische Gebäude aufstrebender Studenten mit der schlichten Frage ins Wanken brachte: Wo liegt die praktische Spitze? Im Krieg diente Ernst von Caemmerer bei der Kriegsmarine. Er befehligte zuletzt als Kommandant ein Minensuchboot. Nach dem Krieg habilitierte sich Ernst von Caemmerer 1946 bei Professor Hallstein in Frankfurt. 1947 folgte er einem Ruf nach Freiburg auf den Lehrstuhl von Großmann-Doerth. Er baute in Freiburg das Institut für ausländisches und internationales Privatrecht auf. Ehrenvolle Rufe nach Köln, Bonn und München lehnte er ab. Freiburg, der Schwarzwald und vor allem auch das Elsass wurden seine neue Heimat. Er heiratete hier und gründete eine Familie. Seine Ehefrau Friede schuf mit ihrem praktischen Sinn ein Heim, das ihm sicherer Hort für seine wissenschaftliche Arbeit war. Im Mittelpunkt der akademischen Tätigkeit Ernst von Caemmerers standen stets Forschung und Lehre. Ungeachtet dessen entzog er sich nicht den Lasten der akademischen Selbstverwaltung. So bekleitete er das Amt des Dekans und in den Jahren 1956/1957 das Amt des Rektors der Albert-Ludwigs-Universität. Auch im wissenschaftlichen Bereich verschloss sich Ernst von Caemmerer nicht der Gremienarbeit. Seit 1954 war er Mitglied des ständigen Schiedshofs (Cour Permanente d’Arbitrage) in Den Haag. Er war an den Reformarbeiten zum AktG und zum Genossenschaftsrecht maßgebend beteiligt. Von 1962 bis 1973 war er Vorsitzender der Gesellschaft für Rechtsvergleichung. Im deutschen Rat für IPR war er Vorsitzender der Schuldrechtskommission. Als Mitglied der deutschen Delegation hat er an den Haager Konferenzen zur Vereinheitlichung des Kaufrechts teilgenommen. Ernst von Caemmerer erhielt die Würde eines Ehrendoktors der Universitäten Kopenhagen, Lund und der Sorbonne. Ihm wurden das Bundesverdienstkreuz und die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg verliehen. 1983 wählte ihn die Britische Akademie zum Korrespondierenden Mitglied (Corresponding Fellow of the British Academy). Ernst von Caemmerer brachte zahlreiche Schüler hervor, die ich kurz erwähnen darf: Hans Claudius Taschner, der in Brüssel als Direktor in der Generaldirektion XV der Europäischen Kommission wirkte, sowie die Professoren Wolfgang Freiherr Marschall von Bieberstein, Hans G. Leser, Karl F. Kreuzer, Detlef König, Peter Schlechtriem, Uwe Blaurock sowie mich selbst. Am 23. Juni 1985 ist Ernst von Caemmerer im Alter von 77 Jahren verstorben. Kein geringerer als Nipperdey hat, als ihm die Ehrenbezeugung erwiesen wurde, er sei der größte lebende deutsche Jurist, dies mit den Worten zurück gewiesen: „Ich glaube, das ist Professor von Caemmerer.“ 2

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Siehe: Krüger, Hans Carl Nipperdey, DÖV 1968, 870.

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II. Das Werk Ich darf mich nun dem Werk Ernst von Caemmerers zuwenden. Gegenstand der wissenschaftlichen Arbeit Ernst von Caemmerers war vor allem das Schuldrecht. Schwerpunkte bildeten hier das Bereicherungsrecht, das Deliktsrecht einschließlich des allgemeinen Haftungsrechts und das Kaufrecht.3 Als bahnbrechende Schriften seien genannt „Bereicherung und unerlaubte Handlung“ 4, „Wandlungen des Deliktsrechts“ 5 sowie zahlreiche Abhandlungen zum Einheitlichen Kaufrecht 6. Neben dem Schuldrecht hat sich von Caemmerer auch dem Handels-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht sowie dem internationalen Privatrecht gewidmet. 1. Die maßgeblichen Schriften Ehe wir uns den maßgeblichen Schriften Ernst von Caemmerers im Einzelnen zuwenden, sei noch einmal an den Lebensweg und die maßgeblichen Einflüsse erinnert: Die dogmatische Strenge Martin Wolffs, die Rechtsvergleichung, wie sie im Kaiser-Wilhelm-Institut unter der Leitung Ernst Rabels betrieben wurde, und der praktische Sinn aufgrund der Tätigkeit als Syndikus der Dresdner Bank; auf diese Wurzeln werden wir immer wieder stoßen. Der Name Ernst von Caemmerers steht für das Bereicherungsrecht. Die Neuerung, die von Caemmerer hier brachte, liegt auf methodischem Gebiet. Die von ihm eingeleitete Wende erschließt sich am leichtesten, wenn wir den Rechtszustand vor der grundlegenden Arbeit „Bereicherung und unerlaubte Handlung“ aus dem Jahre 1954 näher betrachten. Gute Dienste erweist hier das große Schuldrechtslehrbuch von Enneccerus/Lehmann, das in seiner letzten Auflage 1958, also nach der Schrift von Caemmerers erschienen ist, das aber gleichwohl den Stand des Bereicherungsrechts dokumentiert, wie es sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat.7

3 Siehe: von Caemmerer, in: Leser (Hrsg.), Gesammelte Schriften Bd. 1, Rechtsvergleichung und Schuldrecht (1968); Bd. 2, Gesellschaftsrecht, Währung und Kredit (1968); Bd. 3, 1968–1982 (1983). 4 von Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, in: Dölle/Rheinstein/Zweigert (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rabel. Bd. 1: Rechtsvergleichung und internationales Privatrecht (1954), S. 333–401 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209–278. 5 von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: ders./Friesenhahn/Lange (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960 (1960), Bd. 2, S. 49–136 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 452–553. 6 von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 79–145; Bd. 3 (Fn. 3), S. 3–12. 7 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse (15. Aufl. 1958), S. 870.

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Ausgangspunkt ist die Regelung des § 812 BGB, die zwischen der Leistungskondiktion und dem Auffangtatbestand der Bereicherung in sonstiger Weise differenziert. Enneccerus/Lehmann arbeiten gleichwohl nicht mit den verschiedenen Typen von Bereicherungsansprüchen. Anknüpfend an den Gesetzestext prüfen sie vielmehr als Voraussetzungen eines einheitlichen Bereicherungsanspruchs die Merkmale „Bereicherung auf Kosten eines anderen“ und „Mangel eines die Bereicherung rechtfertigenden Grundes“.8 Mit diesen beiden Merkmalen droht das Bereicherungsrecht viel zu weit zu geraten. Literatur und Rechtsprechung haben deshalb das zusätzliche Haftungskriterium der Unmittelbarkeit entwickelt. Hier wie anderswo muss dieser Zauberbegriff die wünschenswerte Limitierung gewährleisten. Was unter „Unmittelbarkeit“ zu verstehen ist, führt sogleich in Untiefen. Wie Enneccerus/Lehmann zutreffend bemerken, kann eine Unmittelbarkeit auch dann vorliegen, wenn der Bereicherungsgläubiger die Leistungshandlung nicht selbst vollzogen hat, die Zuwendung vielmehr durch einen Dritten vermittelt worden ist.9 Etwas überraschend für uns wird zunächst als Beispiel die offene Stellvertretung genannt, dann folgen die uns geläufigen Anweisungsfälle, die Fälle der Drittleistung nach § 267 BGB sowie die Baufälle. Wie flexibel das Unmittelbarkeitserfordernis gehandhabt werden muss, lässt sich schön an den Baufällen demonstrieren: Errichtet der Bauunternehmer B aufgrund eines mit A geschlossenen Vertrages dem E ein Haus auf dessen Grundstück, verneinen Enneccerus/Lehmann zu Recht einen Bereicherungsanspruch des Bauunternehmer B gegen den Grundstückseigentümer E. Denn der Rechtserwerb des E ist nicht auf Kosten des B erfolgt. Im Verhältnis zum Bauunternehmer B ist der Auftraggeber A der Bereicherte. Der Grundstückseigentümer E ist dagegen auf Kosten des Auftraggebers A bereichert, wenn auch vermittelt durch die Leistung des B. Verneint wird eine Unmittelbarkeit von Enneccerus/Lehmann auch dann, wenn sich in eine Wertbewegung zwischen zwei Personen ein Dritter selbstständig einschiebt.10 Als Beispiel wird das Kommissionsgeschäft genannt. Vergleichbare Argumentationen wie bei Enneccerus/Lehmann finden wir in der Rechtsprechung. So hat der BGH in einem Fall, in dem eine Baugesellschaft zwar für Rechnung der Wohnungseigentümer, aber im eigenen Namen mit einem Architekten kontrahiert hatte, den Wohnungseigentümern einen Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung eines angeblich überzahlten Honorars wegen fehlender Unmittelbarkeit abgesprochen.11 In den Baufällen lehnte das RG einen Bereicherungsanspruch des Bauunternehmers gegen den ver8 9 10 11

Enneccerus/Lehmann (Fn. 7), S. 874 ff. Enneccerus/Lehmann (Fn. 7), S. 880. Enneccerus/Lehmann (Fn. 7), S. 882. BGH, JZ 1962, 404.

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tragsfremden Grundstückseigentümer mit der Erwägung ab, dass die Bereicherung des Grundstückseigentümers nicht auf Kosten des Bauunternehmers erfolgt sei.12 So zutreffend die Lösungen von Enneccerus/Lehmann und der Rechtsprechung sind, so wenig gehört doch heute im Bereicherungsrecht die Unmittelbarkeit zu unserem Argumentationshaushalt. Dies ist Folge einer Neuorientierung, die auf von Caemmerer zurückgeht. Das Neue des Ansatzes Ernst von Caemmerers war, dass er nicht mehr mit allgemeinen Formeln arbeitete, sondern Fallgruppen bildete. Für uns ist dies eine Selbstverständlichkeit, die Wurzeln liegen aber in den Abhandlungen von Caemmerers. In diesem methodischen Schwenk liegt m.E. sein bleibender Verdienst. Für das Bereicherungsrecht entwickelte Ernst von Caemmerer die klassischen Kondiktionstypen der Leistungskondiktion, der Eingriffskondiktion, der Rückgriffskondiktion, der Verwendungskondiktion und der Versionsklage.13 Die Meisterschaft von Caemmerers liegt darin, dass er diese Kondiktionstypen in nuce beschreibt und gegebenenfalls mit kleinen Beispielen konkretisiert. So heißt es zur Leistungskondiktion, dass sie der Rückabwicklung fehlgeschlagener Leistungen oder der Rückabwicklung von Leistungen nach Erledigung des Kausalverhältnisses diene. Bei der Eingriffskondiktion geht es nach von Caemmerer um die Fälle, dass fremdes Gut gebraucht oder genutzt, verbraucht oder verwertet wird. Auf die Unrechtmäßigkeit des Eingriffs kommt es nach von Caemmerer nicht an, was er mit dem einfachen Beispiel belegt, dass ein Hausmeister versehentlich ihm selbst gehörendes Heizmaterial zum Heizen der Zentralheizung verwendet. Zur Rückgriffskondiktion heißt es lapidar, dass die Zahlung fremder Schulden ein anerkannter Fall der Bereicherung sei. Wohl wissend, dass hier regelmäßig bereits die negotiorum gestio hilft, findet von Caemmerer wiederum einen schlagenden Fall für die Notwendigkeit des Bereicherungsrechts: Ein Gläubiger hat bei seinem Schuldner einen unter Eigentumsvorbehalt gekauften Eisschrank gepfändet und zahlt nun sehr gegen den Willen des Schuldners die letzte Rate, um die Zwangsvollstreckung durchführen zu können. Die Verwendungskondiktion bezeichnet von Caemmerer zu Recht als crux.14 Eigene Unsicherheit wird nicht verdeckt, sondern wieder an ganz ein12

RG, Gruchot 51 (1907), Nr. 78, 967. von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 334 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 211. 14 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 365 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 241. 13

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fachen Beispielen verdeutlicht: Soll der Mieter oder Pächter, der Zentralheizung oder Warmwasserversorgung eingebaut hat, mangels Vereinbarung vom Eigentümer Bezahlung unter Bereicherungsgesichtspunkten verlangen können? Oder ist der Anspruch deshalb zu versagen, weil der Mieter in Verfolgung eigener Interessen irrtumsfrei gehandelt hat? Als letzten grundlegenden Bereicherungstyp diskutiert von Caemmerer den sog. Versionsanspruch gegen denjenigen, der aus einem Vertrag, ohne selbst Partei zu sein, Vorteile erlangt. Vermag der Leistende von seinem Vertragspartner die vereinbarte Gegenleistung nicht zu erlangen, eröffnet der Versionsanspruch den Zugriff auf den begünstigten Dritten. Einen solchen Versionsanspruch kannte das gemeine Recht und kennt heute noch, wenn auch unter erheblichen Einschränkungen, das französische Recht; das BGB hat diesen Bereicherungstatbestand bewusst abgeschafft.15 Die Lösung der Baufälle ergibt sich damit für von Caemmerer ganz von selbst. Erbringt ein Bauunternehmer im Auftrag eines Dritten Bauarbeiten, die dem vertragsfremden Grundstückseigentümer zugute kommen, wird der Bauunternehmer auf seinen Vertragsanspruch gegen den Dritten begrenzt, denn ein Durchgriff auf den Grundstückseigentümer liefe auf die Wiedereinführung der Versionsklage hinaus. Von Caemmerer stützt dieses Ergebnis mit der für ihn typischen Argumentation ab, dass sich innerhalb von Vertragsbeziehungen jede Partei an ihren Partner halten müsse, sie könne auf Dritte nicht durchgreifen, brauche sich aber auch keinen Dritten aufdrängen zu lassen.16 Ernst von Caemmerer ist stets darauf bedacht, seine Lösungen durch rechtsvergleichende Hinweise unter Einschluss des römischen Rechts abzusichern. Auch hier spürt man das Faible von Caemmerers für Anschaulichkeit, so wenn er die Eingriffskondiktion in den USA an dem originellen Fall exemplifiziert, dass sich eine Höhle in Kentucky zwar unter dem Grundstück des Klägers befand, aber nur vom Nachbargrundstück des Beklagten aus betreten werden konnte und dieser hohe Einnahmen erzielte, an denen der Kläger einen Anteil begehrte.17 Die Typologie des Bereicherungsrechts, wie sie durch Ernst von Caemmerer herausgearbeitet worden ist, wird Rechtsprechung und Literatur in Deutschland nachhaltig beeinflussen. Über einzelne Lösungen wurde zwar immer wieder heftig gestritten, erinnert sei an die nahezu unübersehbare Flut von Publikationen zum Bereicherungsausgleich in Dreiecksbeziehungen. Der typologische Grundansatz von Caemmerers hat aber bis heute Bestand.

15 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 369, 370 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 245 f. 16 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 370 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 247. 17 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 359 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 235.

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Nach diesem Überblick über das Bereicherungsrecht darf ich mich nun dem Deliktsrecht und hier vor allem der Schrift „Wandlungen des Deliktsrechts“ zuwenden.18 Mit sicheren Strichen skizziert Ernst von Caemmerer die Entwicklungslinien des Deliktsrechts seit der Kodifikation des BGB. Einleitend wird zu Recht daran erinnert, wie der französische Kassationshof das Deliktsrecht der Moderne angepasst hat. Stichworte für die Fortentwicklung des Deliktsrechts durch das RG sind die vorbeugende Unterlassungsklage sowie die Hineinziehung deliktischer Tatbestände in das Vertragsrecht durch die Institute der cic und des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. In der Sache geht es dabei um die Ausschaltung des rechtspolitisch verfehlten Entlastungsbeweises in § 831 BGB durch Anwendung des § 278 BGB. Hierbei handelt es sich freilich mehr um Randkorrekturen. Das Deliktsrecht hat weitergehend unter den Händen der Rechtsprechung eine grundlegende Umgestaltung erfahren. Eine der großen Leistungen der deutschen Rechtsprechung war die Herausarbeitung der sog. Verkehrssicherungspflichten. Wie von Caemmerer zu Recht betont, hat die Rechtsprechung damit einen dem anglo-amerikanischen Tatbestand von „negligence“ vergleichbaren Haftungstatbestand geschaffen. Von Caemmerer entwickelt als Annex zur Verkehrspflichtverletzung sein Konzept der Rechtswidrigkeit und zeigt hier, dass er nicht nur in Fallgruppen denkt, sondern ein gutes Gespür für Dogmatik hat. Rechtswidrig sind nach seiner Konzeption die vorsätzliche Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter und Rechte, desgleichen nicht vorsätzliche Handlungen, wenn sie sich als Eingriffe in diese Rechtsgüter und Rechte darstellen; im Übrigen liegt eine widerrechtliche Verletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB nur vor, wenn gegen Verkehrspflichten verstoßen wird.19 Neben die Verkehrspflichten treten als weitere große Rechtsfortbildungen das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Trefflich zeigt von Caemmerer, dass eine Konkretisierung dieser Rechte wiederum nur im Wege der Fallgruppenbildung möglich ist. Eine weitere Schrift zum Deliktsrecht, die hier nicht unerwähnt bleiben soll, ist eine kurze Arbeit zur Reform der Gefährdungshaftung.20 Meisterhaft werden hier die rechtspolitischen Grundlagen der Gefährdungshaftung dargelegt. Im Hinblick auf die Reform spricht sich von Caemmerer gegen eine Generalklausel aus und plädiert stattdessen mit der ihm eigenen Bedächtigkeit für einen Ausbau der anerkannten Fallgruppen. In einer wegweisenden

18 von Caemmerer, FS Hundert Jahre Deutscher Juristentag (1960), S. 49 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 452. 19 von Caemmerer, FS Hundert Jahre Deutscher Juristentag (1960), S. 49, 80 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 452, 488. 20 von Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung (1971) = Gesammelte Schriften Bd. 3 (Fn. 3), S. 239–260.

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Analyse der Produkthaftung fordert von Caemmerer eine strikte Haftung für das Funktionieren des Betriebsbereichs, für Entwicklungsgefahren könne dagegen nicht strikt gehaftet werden, dies würde vor allem Kleinbetriebe überfordern.21 Im Kern entspricht dies der Regelung, wie sie später die Produkthaftungsrichtlinie bringen wird. Neben dem Bereicherungsrecht und dem Deliktsrecht ist ein dritter großer Bereich, der hier angesprochen werden soll, das Einheitliche Kaufrecht (EKG). Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Ernst von Caemmerer an den Haager Kaufrechtsübereinkommen mitgewirkt hat. Er hat dieses Gebiet aber auch wissenschaftlich durch zahlreiche Veröffentlichungen begleitet. Genannt sei hier vor allem der Vortrag, Probleme des Haager einheitlichen Kaufrechts, den Ernst von Caemmerer 1977 anlässlich der Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung in Bad Salzuflen gehalten hat.22 Kernfragen des Vertragsrechts wie Vertragsaufhebung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung werden vor einem rechtsvergleichenden Hintergrund kenntnisreich entfaltet. Das EKG hatte sich anders als das alte BGB für eine Kombination von Vertragsaufhebung und Schadensersatz entschieden. Von Caemmerer sah hierin die sachgerechte modernere Lösung. Diesem System sind später das CISG und die Schuldrechtsreform gefolgt. Schön zeigt von Caemmerer, wie im Einheitlichen Kaufrecht die Sachmängelhaftung in das allgemeine System der Vertragsverletzung integriert worden ist. Auch hieran werden später das CISG und die Schuldrechtsreform anknüpfen. Im Kapitel zur Verantwortung und Entlastung offenbart sich wieder von Caemmerers breite rechtsvergleichende Erfahrung. Bekanntlich ist im Grundsatz die Vertragshaftung im anglo-amerikanischen Recht als Garantiehaftung, im deutschen Recht dagegen als Verschuldenshaftung ausgestaltet. Im praktischen Ergebnis schrumpfen freilich die Unterschiede. Knapp, aber zutreffend legt von Caemmerer dar, dass das anglo-amerikanische Vertragsrecht Entlastungsgründe kennt, während das deutsche Vertragsrecht mit Garantieelementen durchsetzt ist. Vor diesem Hintergrund konnte dann das Haager Einheitliche Kaufrecht eine Regelung entwickeln, die auf dem Gedanken der vertraglichen Risikoübernahme basiert. Im Mittelpunkt der abschließend diskutierten Regeln zum Schadensersatz steht die Begrenzung des Schadensersatzes auf den bei Vertragsabschluss vorhersehbaren Schaden. Unter Hinweis auf Vorarbeiten von König zeigt von Caemmerer die Wurzeln dieser Haftungsbegrenzung im französischen und anglo-amerikanischen Recht und arbeitet die relevanten Fallkonstellationen heraus.

21

von Caemmerer (Fn. 20), S. 25 = Gesammelte Schriften Bd. 3 (Fn. 3), S. 239, 259. von Caemmerer, Probleme des Haager Einheitlichen Kaufrechts, AcP 178 (1978), 121–141 = Gesammelte Schriften Bd. 3 (Fn. 3), S. 23–51. 22

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Ernst von Caemmerer hat seine Erfahrungen zum Haager Einheitlichen Kaufrecht eingebracht in den großen Kommentar zum EKG, herausgegeben von Dölle. Der Kommentar fand dann später seine Fortsetzung in dem entsprechenden Kommentar zum CISG. 2. Stil und Denkweise Eine Würdigung Ernst von Caemmerers wäre unvollständig ohne eine Würdigung seines Stils und seiner Denkweise. Eine ganz einfache Sprache verleiht den Überlegungen von Caemmerers hohe Verständlichkeit und hohe Akzeptanz. Der Leser erlangt den Eindruck, dass er selbst die Dinge schon immer in der dargelegten Weise gesehen habe. Die Einfachheit ist ein, wenn nicht das zentrale Element des Stils von Caemmerers. Verwickelten Gedankengängen stand er ablehnend gegenüber. Sie waren für ihn schon kraft der Verwicklung unbrauchbar. Ergänzt wird die Einfachheit der Sprache durch die Anschaulichkeit der Darstellung. Zu danken ist dies dem Denken in Fallgruppen, wie es hier bereits mehrfach angesprochen worden ist. Mit welcher Sicherheit und welchem Erfolg von Caemmerer das Denken in Fallgruppen praktiziert hat, darf ich jenseits der bereits besprochenen Felder an einigen Kernproblemen des Schuldrechts kurz skizzieren. Genannt sei das Problem des Drittschadens.23 Allgemeinen Lösungsversuchen wird eine Absage erteilt. Stattdessen entwickelt von Caemmerer die klassischen Fallgruppen der mittelbaren Stellvertretung, der Treuhand, der Gefahrentlastung bei Übereignungspflichten und der Obhutsposition. Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter arbeitet von Caemmerer klar die beiden Fallgruppen des Integritätsschutzes und des Vermögensschutzes heraus.24 Bei der ersten Fallgruppe geht es im Kern um die Korrektur des § 831 BGB. Standardfall ist der Gasuhrfall 25: Hier wurde einer Aufwartefrau, die durch Entzündung ausströmenden Gases verletzt worden war, ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen die von der Mieterin beauftragte Installationsfirma eingeräumt, deren Monteur die Gasuhr fehlerhaft verlegt hatte. Bei der zweiten Fallgruppe geht es um die Ausweitung des Vermögensschutzes. Standardfall ist der Testamentsfall 26: Bekanntlich war es darum gegangen, dass ein Erblasser, der seine Tochter zur Alleinerbin ein-

23 von Caemmerer, Das Problem des Drittschadensersatzes, ZHR 127 (1965), 241–279 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209–233. 24 von Caemmerer, Verträge zugunsten Dritter, in: Behrends (Hrsg.), Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag (1978), S. 311–324 = Gesammelte Schriften Bd. 3 (Fn. 3), S. 189–202. 25 RGZ 127, 218–225. 26 BGH, JZ 1966, 141–143.

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setzen wollte, einen Anwalt mit der Errichtung eines Testaments beauftragt hatte, dieser aber die Testamentserrichtung schuldhaft immer wieder hinauszögerte, so dass beim Tod des Erblassers das Testament nicht vorlag. Die dadurch um die Alleinerbschaft gebrachte Tochter verklagte den Anwalt mit Erfolg auf Schadensersatz. Von Caemmerer zeigt überzeugend, dass die Abgrenzung der geschützten Dritten in beiden Fallgruppen ganz unterschiedlichen Regeln folgt. Das klassische Problem, wer bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und wegen Lieferung einer mangelhaften Ware das Untergangsrisiko der Ware zu tragen hat, wurde von Ernst von Caemmerer dadurch entschärft, dass er in dem kleinen Beitrag „Mortuus Redhibetur“ nach den Gründen des Untergangs differenzierte und vier Fallgruppen unterschied: Der Untergang der Sache beruht auf Verschulden des Käufers, auf einem dem Käufer zurechenbaren Verhalten, auf dem Mangel des Kaufgegenstandes oder auf Zufall.27 Die intrikate Problematik des gestörten Gesamtschuldverhältnisses hat von Caemmerer wieder durch Fallgruppenbildung entzerrt.28 Von Caemmerer unterscheidet drei Konstellationen, nämlich die Störung der Gesamtschuld durch eine Freizeichnungsklausel, die durch gesetzliche Haftungsprivilegierung und schließlich die durch Eingreifen der Sozialversicherung. Jede Fallkonstellation wird unter Wahrung ihrer eigenen Gesetzlichkeit einer Lösung zugeführt. Das Denken in Fallgruppen ist kein reines case-law,29 es handelt sich aber auch nicht um Rechtsfindung durch Gesetzesinterpretation, die knappen Fälle verweisen eher auf das römische Recht. Treffend wurde beobachtet, Ernst von Caemmerers Methode bewege sich gleichsam zwischen Martin Wolff und Ernst Rabel.30 Von Caemmerer bleibt im Rechtssystem verhaftet, konkretisiert es aber durch typische Fallgestaltungen. Er wandert gleichsam zwischen Prinzip und Fall hin und her. Weder eine zu ausdifferenzierte Dogmatik noch ein zu ausladendes Fallrecht sind seine Sache. Ihm geht es letztlich darum, einfache Lösungsmodelle für die richterliche Tätigkeit zur Verfügung zu stellen. Der praktische Nutzen steht ganz im Vordergrund.

27 von Caemmerer, „Mortuus Redhibetur“. Bemerkungen zu den Urteilen BGHZ 53, 144 und 57, 137, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag (1973), S. 621–642 = Gesammelte Schriften, Bd. 3 (Fn. 3), S. 167– 188. 28 von Caemmerer, Ausgleichsprobleme im Haftpflichtrecht in rechtsvergleichender Sicht, (Österreichische) Zeitschrift für Rechtsvergleichung 9 (1968), 81–98 = Gesammelte Schriften Bd. 3 (Fn. 3), S. 401–418. 29 Hierzu: Coing, FS von Caemmerer (1978), S. 6. 30 Leser, JZ 1985, 735.

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Dem Denken in Fallgruppen verwandt ist die Technik von Caemmerers, Lösungen an einfachen Beispielen auf ihre Brauchbarkeit zu testen. Dies darf ich im Folgenden wieder an einer Problematik aus dem Bereicherungsrecht und zwar an der bekannten Konstellation der Verfügung über fremdes Gut und des „waiver of tort“ verdeutlichen.31 Die Sachfrage ist die, ob der Eigentümer einer Sache, über die ein Dritter rechtswidrig verfügt hat, nur im Fall des gutgläubigen Erwerbs den Erlös von dem Dritten herausverlangen kann, oder ob ihm diese Möglichkeit auch dann eröffnet sein soll, wenn die Verfügung zwar unwirksam ist, wenn der Eigentümer aber die rei vindicatio aus welchen Gründen auch immer nicht geltend machen will. Die Frage war ursprünglich heftig umstritten. Das RG hat sich dafür entschieden, dem Eigentümer die Wahl zwischen der rei vindicatio und der Erlösherausgabe zu geben.32 Dies ist heute weithin anerkannt. Hören wir aber, wie von Caemmerer diese Lösung mit ganz einfachen Beispielen untermauert.33 Der Eigentümer eines Lastkraftwagens, der abhanden gekommen war und durch mehrere Hände gegangen ist, könne gute Gründe dafür haben, den Veräußerer auf den Erlös in Anspruch zu nehmen und nicht die rei vindicatio gegen den Besitzer zu erheben, so wenn der Besitzer bestreite, dass das Fahrzeug abhanden gekommen sei, wenn er erhebliche Gegenrechnungen wegen Verwendungen aufmache und es auf einen Prozess ankommen lasse, währenddessen das Fahrzeug zerstört werde. Nicht vorenthalten möchte ich die weiteren kurzen, typisch von Caemmererschen Fallgestaltungen, dass der Eigentümer gestohlenen Schmucks von dem gutgläubigen Juwelier erfährt, dass dieser den Schmuck einem unbekannten Kunden verkauft habe, oder dass gestohlene Drahtwaren von dem redlichen Erwerber an zahlreiche Kunden veräußert worden seien, deren Inanspruchnahme praktisch undurchführbar sei.34 In all diesen Fällen erweise sich die Erlösherausgabe als der einzig adäquate Rechtsbehelf. Eine nähere Begründung wird gar nicht mehr gegeben. Die Beispiele sprechen gleichsam für sich. Zusammenfassend könnte man die Rechtsmethode Ernst von Caemmerers folgendermaßen umschreiben: Die Lösungen müssen einfach handhabbar sein, sie müssen im Rechtssystem verwurzelt sein und sie müssen in der Realität Sinn ergeben. Als ich jüngst Adalbert Stifters „Nachsommer“ wieder einmal zur Hand nahm und den Schluss las, der mit den drei gewichtigen

31 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 389 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 265. 32 Vgl. die Nachweise bei von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 391 Fn. 215 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 267 Fn. 215. 33 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 390 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 267. 34 von Caemmerer, FS Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 390 Fn. 213 = Gesammelte Schriften Bd. 1 (Fn. 3), S. 209, 266 Fn. 213.

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Worten endet, dass das Leben des Romanhelden nun Einfachheit, Halt und Bedeutung hatte, ging mir durch den Kopf, dass genau dieses auch für die rechtswissenschaftliche Arbeit Ernst von Caemmerers gilt, sie hat Einfachheit, Halt und Bedeutung.

III. Die Person Gestatten Sie mir abschließend noch einige persönliche Worte zum Menschen Ernst von Caemmerer. Notwendigerweise handelt es sich um einen ganz subjektiven Eindruck. Ernst von Caemmerer war zunächst und vor allem eine Autorität. Er strahlte große Würde aus. Er wahrte stets eine vornehme Distanz. Tagungen, Symposien, Seminaren, aber auch der einzelnen Vorlesung verlieh er durch sein Auftreten einen gewissen Glanz, was er auch wusste. Sein Redestil war von starker Akzentuierung geprägt. Musikalisch gesprochen, pflegte er mehr ein gemessenes Staccato denn ein Legato. Was zunächst wie ein Mangel erscheinen mochte, erwies sich freilich von höchstem praktischen Nutzen. Denn es war gerade dieser Stil, mit dem er seine Zuhörer in Bann schlug. Trotz aller Anerkennung, die Ernst von Caemmerer widerfuhr, war ihm wissenschaftlich eine Grundbescheidenheit zu eigen. Sie bewahrte ihn davor, große Theorien oder große Denkgebäude zu entwickeln. Er sah die Aufgabe des Rechts im Hier und Heute. Das schrittweise Vorangehen hielt er für das angemessene Tempo. Er überschätzte das Recht nicht, sondern war sich dessen Begrenztheit voll bewusst. Als ich ihn Jahre nach seiner Emeritierung einmal fragte, worin er denn heute die Aufgabe der Rechtswissenschaft sehe, bekam ich die unvergessliche Antwort: Ob in einer Zeit schwindender Ressourcen und wachsender Müllberge das Bereicherungsrecht so wichtig ist, will mir zweifelhaft erscheinen. Die Zusammenarbeit mit Ernst von Caemmerer in seinem Institut war von hohem Einsatz geprägt. Umfängliche Aktennotizen sowie ausführliche Diskussionen über anstehende juristische Probleme gehörten zum Alltag. Zuweilen fanden Diskussionsrunden sogar in der Privatwohnung Ernst von Caemmerers bei einer von seiner Frau zubereiteten Tasse Tee statt. Vorgetragene Lösungen wurden an immer neuen hypothetischen Fallgestaltungen überprüft. Von Caemmerer erwartete von den Teilnehmern solide Kenntnisse im Rechtssystem, unabdingbares Rüstzeug war eine gute Kenntnis der Rechtsprechung, vor allem unter Einschluss der relevanten Sachverhalte. Es empfahl sich nicht, eine Entscheidung zu zitieren, deren Sachverhalt einem nicht geläufig war. Begleitet wurde die wissenschaftliche Arbeit von großer Fürsorge. Sinnfälliger Ausdruck hierfür war der Brauch seiner Frau, stets eine Kerze zu entzünden, wenn bei einem Mitarbeiter und Schüler ihres Mannes eine wichtige

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Entscheidung anstand, vornehmlich der Habilitationsvortrag. Das Licht der Kerze hat im Übrigen die erhoffte Wirkung nie verfehlt. Den versteckten Humor Ernst von Caemmerers erkannte nur der Kundige und dies erst nach längerer Zeit der Zusammenarbeit. Was die besonderen Neigungen Ernst von Caemmerers anbelangte, waren es vor allem Blumen, die er liebte. Im Frühling besuchte er gerne die Narzissenblüte im Elsass. Anlässlich dieses Vortrages habe ich mich gefragt, was denn der letzte und tiefste Grund dafür sei, dass alle seine Schüler Ernst von Caemmerer respektierten, aber doch auch liebten. Ich glaube die Antwort ist ganz einfach. Er war, was heute immer mehr im Schwinden begriffen ist, ein strenger, aber zugleich gütiger Vater, ein bonus pater familias. Ich werde ihn stets in Ehren halten.

Der Jahrhundertjurist: Werner Flume * Thomas Lobinger I. Als Werner Flume am 12. September 2008 sein einhundertstes Lebensjahr vollendet hatte, lag die Vokabel vom Jahrhundertjuristen nahe.1 Dabei musste sich allerdings keiner der Gratulanten dem Verdacht bloßer Wortspielerei oder gar Phrasendrescherei aussetzen. Denn bei kaum einem Jubilar unserer Disziplin hätte der Begriff wohl besser gepasst als eben bei Werner Flume. Noch heute begegnet ihm jeder Studienanfänger, der es mit seinem Fach nur annähernd ernst meint, bereits im ersten Semester: als dem Verfasser des bis dato unerreichten Standard-Lehrbuchs zur Rechtsgeschäftslehre des BGB.2 Halten Eifer und Interesse an, erschließt sich dem in die Semester kommenden Studierenden darüber hinaus schon bald, dass Flumes herausragende Bedeutung nicht auf das Bürgerliche Recht beschränkt ist. Sie erstreckt sich gleichermaßen auf das Handels- und Gesellschaftsrecht, das Steuerrecht, das Römische Recht und die Methodenlehre. Auf all diesen Feldern sind mit dem Namen Werner Flume bedeutende, vielfach bahnbrechende und längst zum Allgemeingut gewordene Thesen verbunden. Die Bedeutung Flumes spiegelt sich nicht zuletzt auch in den zahlreichen akademischen Ehrungen wider, die ihm zuteil wurden. Bereits 1952 nahm ihn die Göttinger Akademie der Wissenschaften auf. Ferner war er Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und korrespondierendes Mitglied sowohl der Bayerischen Akademie der Wissenschaften als auch, was selten bei einem deutschen Wissenschaftler ist, der British Academy. 1982 verlieh ihm die juristische Fakultät der Universität Regensburg die Ehrendoktorwürde. Daneben stehen Ehrungen in spezifisch wissenschaft* Vortrag am 5. November 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin. 1 F. Bydlinski/Rummel, Werner Flume – 100 Jahre, JBl 2008, 712; Lobinger, Ein Jahrhundertjurist ist hundert: Werner Flume, ZJS 2008, 675–680; Mundorf, Handelsblatt v. 11.9.2008, S. 15; Prantl, Süddeutsche Zeitung v. 12.9.2008, S. 16; vgl. außerdem die Nachrufe von Hüttemann, Werner Flume, NJW 2009, 820; Lobinger, Ein Jahrhundertjurist – Zum Tod von Werner Flume am 28. Januar 2009, Bonner Rechtsjournal (BRJ) 2009, 90–95 (= StudZR 2009, 3–12). 2 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft (1965, 2. Aufl. 1975, 3. Aufl. 1979, 4. Aufl. 1992).

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licher Form: 1978 erschien die zweibändige Festschrift zum 70. Geburtstag Werner Flumes,3 1988 wurden neben einem ihm gewidmeten Heft des Archivs für die civilistische Praxis 4 von seinen Schülern zwei Bände gesammelter Schriften herausgegeben,5 1998 folgte eine Festgabe der damals habilitierten akademischen Abkömmlinge,6 2003 fasste Wolfgang Ernst Flumes Schriften zur ungerechtfertigten Bereicherung in einem Band zusammen.7 2008 schließlich ehrte die Bonner Fakultät ihr berühmtes Mitglied zum 100. Geburtstag mit einem ganztägigen Symposion, das literarisch in ein Heft des Archivs für die civilistische Praxis mündete.8 Einen Spiegel der Bedeutung Werner Flumes für die Rechtswissenschaft unserer Zeit bildet nicht zuletzt auch der Umstand, dass Flumes Art der Jurisprudenz und seine Methode schon unmittelbar nach seinem Tod selbst Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung geworden sind.9 Dass man sich dabei an ihm reibt und ihm in vielen Punkten kritisch gegenübersteht, ist nicht verwunderlich, sondern unterstreicht nur noch einmal seine Ausnahmestellung unter den Juristen des vergangenen Jahrhunderts. Mittelmäßige Texte fordern die Nachfolgenden bekanntlich nicht heraus, sondern langweilen nur und geraten schließlich in Vergessenheit. Darüber, ob sich die Herausgeforderten in ihrer Wissenschaft immer auch mit dem Herausforderer messen können, ist hier indes nicht zu entscheiden.

II. Werner Flume wurde am 12. September 1908 im westfälischen Kamen geboren. Nach dem Abitur in Hamm ging er im Sommersemester 1927 nach Tübingen, zunächst, um dort Geschichte und Alte Sprachen zu studieren. Als er allerdings eine Vorlesung von Philipp Heck über „Grundzüge des Bürgerlichen Rechts mit schriftlichen Arbeiten“ besuchte, war es um ihn geschehen. Bereits nach der ersten Stunde war ihm klar: „Das machst Du auch!“ Und so erscheint es fast schon als Ironie der Geschichte, dass in die-

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Ballerstedt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag (1978). AcP 188/5 (1988), 445–657. 5 Flume, Gesammelte Schriften: Festgabe zum 80. Geburtstag (hrsgg. von H. H. Jakobs/ Knobbe-Keuk) (1988). 6 H. H. Jakobs/Picker/Wilhelm (Hrsg.), Festgabe für Werner Flume zum 90. Geburtstag (1998). 7 Flume, Studien zur Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung (hrsgg. von Ernst) (2003). 8 AcP 209/2 (2009), 141–211. 9 Siehe nur Schermaier, Eigenschaftsirrtum und Kauf: Werner Flume rechtsgeschichtlich, http://www.forhistiur.de/zitat/0903schermaier.htm. (zuletzt abgerufen am 23.6.2010). 4

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sem bemerkenswerten Tübinger Moment ausgerechnet der Begründer der Interessenjurisprudenz den späteren Wiederbegründer einer geschichtlichen Rechtswissenschaft für das Jurastudium entflammt. Gleich zum Wintersemester 1927/28 wechselte Flume allerdings nach Bonn. Hier fand er in dem Romanisten Fritz Schulz 10 seinen akademischen Lehrer. Unterbrochen nur durch ein Berliner Semester (WS 1928/29) blieb Flume über das Referendarexamen vor dem OLG Köln 1930 bis zur Promotion im Juli 1931 an der Bonner Fakultät. Die römischrechtliche Dissertation hatte die Akzessorietät der römischen Bürgschaftsstipulationen zum Thema.11 Zum WS 1931/32 folgte Flume seinem Lehrer Fritz Schulz als Assistent nach Berlin, der einen Ruf an die dortige Fakultät angenommen hatte. Bereits zum Ende des Wintersemesters 1932/33 lag hier dann im Kern die berühmte, schließlich aber erst 1948 erschienene Schrift „Eigenschaftsirrtum und Kauf“ (Neudruck 1975) vor. Sie sollte Grundlage für die im März 1933 bei der Berliner Fakultät beantragte Habilitation werden. Dazu kam es allerdings nicht mehr. Fritz Schulz wurde als Sohn einer jüdischen Mutter und Ehemann einer Rabbinerstochter aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ bereits zum Ende des Sommersemesters 1933 um sein Berliner Amt gebracht und bis zur Zwangsemeritierung 1935 nach Frankfurt a.M. versetzt. Flume selbst legte sich auf einer Assistentenversammlung mit dem der SA zugehörigen Dozentenschaftsführer an, als dieser zum Boykott aller jüdischen und „jüdisch versippten“ Professoren aufrief. Es fiel das Wort „Schwein“. Und Flume hatte fortan einen Todfeind, der ihn (möglicherweise nur aufgrund seiner eigenen Ermordung im Zuge des sog. Röhm-Putsches am 30. Juni 1934) zwar nicht, wie mehrfach angekündigt, ins Konzentrationslager Oranienburg, wohl aber um die angestrebte Berliner Habilitation brachte.12 Mit diesen Ereignissen nahm Flumes Leben eine entscheidende Wendung, die er später als Glück bezeichnete. Er nahm den zu Habilitationszwecken unterbrochenen Referendardienst wieder auf und absolvierte Anfang 1936 das Assessorexamen, was für angehende Romanisten in dieser Zeit keines-

10 Fritz Schulz, geb. 1879, emigrierte 1939, vier Jahre nach seiner Zwangsemeritierung durch die Nationalsozialisten, über die Niederlande nach England. Seit 1947 britischer Staatsbürger, starb er 1957 in Oxford. Zu seinen Hauptwerken gehören: System der Rechte auf den Eingriffserwerb, AcP 105 (1909), 1–488; Prinzipien des Römischen Rechts (1934) (engl. Übersetzung: Principles of Roman Law [1936]); Classical Roman Law (1951); History of Roman Legal Science (1953) (dt. Übersetzung: Geschichte der römischen Rechtswissenschaft [1961]). S. außerdem Ernst, Fritz Schulz (1879–1957), in: Beatson/Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted, German-speaking Emigré Lawyers in Twentiethcentury Britain (2004), S. 105–204. 11 Flume, Studien zur Akzessorietät der römischen Bürgschaftsstipulationen (1932). 12 Vgl. zu diesen Vorgängen auch Gräfin von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933 (1999), S. 232 ff.

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wegs üblich war. Die schon während der Referendarzeit begonnene Tätigkeit in einem Druck- und Verlagskonzern wurde anschließend zu seinem Hauptberuf. Sie machte Flume mit dem Gesellschafts- und Steuerrecht vertraut. Bis Sommer 1944 konnte er in führender Stellung in dem Konzern arbeiten. Danach war die Einberufung allerdings nicht mehr zu vermeiden. Der Krieg endete für Flume schließlich glücklich mit einer Flucht aus der russisch besetzten Zone und kurzer amerikanischer Gefangenschaft. Der berufliche Wiedereinstieg gelang zunächst in einem mittelständischen Dortmunder Druck- und Verlagsunternehmen sowie als Justitiar eines Hüttenwerks. Zudem begann Flume bereits 1946, wöchentlich Artikel im Handelsblatt zur Finanz- und Steuerpolitik sowie zum Steuerrecht zu schreiben. Die steuerrechtlichen Beiträge erschienen ab 1948 nunmehr in der neu gegründeten und maßgeblich von ihm geprägten Zeitschrift „Der Betrieb“. Das eigentliche Ziel Flumes nach dem Krieg aber war die Habilitation. Sie erfolgte 1946 in Bonn noch unter dem Patronat von Wolfgang Kunkel, obwohl dieser bereits 1943 einem Ruf nach Heidelberg gefolgt war. Entgegen vielfacher Ansicht wurde hier als Habilitationsschrift nicht „Eigenschaftsirrtum und Kauf“, sondern der Aufsatz „Die Vererblichkeit der suspensiv bedingten Obligationen nach klassischem römischem Recht“13 zugrunde gelegt. Die Thesen aus „Eigenschaftsirrtum und Kauf“ dienten als Grundlage für das Kolloquium am 18. Dezember 1946 und die Antrittsvorlesung im Februar 1947. Eine Berufung ließ allerdings auf sich warten. Sie erfolgte erst 1949 auf einen romanistischen Lehrstuhl in Göttingen, wobei die Umstände bemerkenswert waren: Nach der Absage des Erstplazierten, Franz Wieacker, überging das Ministerium den Zweitplazierten und berief sogleich den Privatdozenten Werner Flume. Die Rückberufung nach Bonn erfolgte 1953, allerdings nicht auf den seit dem Weggang Wolfgang Kunkels verwaisten romanistischen Lehrstuhl, den auch Flumes Lehrer Fritz Schulz innegehabt hatte. Flume wurde vielmehr auf einen in seiner Verbindung mit dem Zivilrecht damals einzigartigen Lehrstuhl für Steuerrecht berufen, als zweiter der seinerzeit allein für einen solchen Lehrstuhl in Betracht kommenden Kandidaten. Ab dem Sommersemester 1957 übernahm Flume dann allerdings auch formal den nach wie vor verwaisten romanistischen Lehrstuhl. 1959 folgte ein Ruf nach Heidelberg, den er allerdings ablehnte. Die unruhigen Zeiten an der Universität Ende der 1960er Jahre setzten Flume bis hin zu massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu. Eine Revision seiner Vorstellungen von Universität oder auch nur ein Kleinbeigeben wären für ihn jedoch auch hier nie in Betracht gekommen, zumal dieser Institution als Hort des freien wissenschaftlichen Geistes ja bereits seit 13 Flume, Die Vererblichkeit der suspensiv bedingten Obligation nach klassischem römischem Recht, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 1936, 19–85 (= Gesammelte Schriften [Fn. 5], Bd. 1, S. 80–124).

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über 40 Jahren sein ganzes Streben und seine ganze Leidenschaft galten. Ihr zuliebe wurden nicht nur die finanziell sehr viel lukrativeren Möglichkeiten in der Wirtschaft, sondern auch zwei Angebote einer Bundestagskandidatur ausgeschlagen. Dem entspricht es, dass Flume immer auch ein leidenschaftlicher Lehrer war. Seine achtstündigen Anfängervorlesungen in Bonn waren legendär. Und auch in hohem Alter vermochte er es noch mühelos, ein großes Auditorium in seinen Bann zu schlagen.14 Dabei verstand er sich freilich nie als Hochschulpädagoge oder -didaktiker. Sein Lehrerfolg gründete vielmehr allein in der Leidenschaft für den vermittelten Stoff, wie sie nur durch eine tiefe Verankerung der Lehre in der Forschung entstehen kann. Von besonderer Bedeutung war Flume die Beziehung zu seinen akademischen Schülern im engeren Sinne. Ihr Fortkommen zu fördern und nicht ihre Arbeitskraft auszubeuten war sein stets auch in die Tat umgesetztes Bestreben. Denn die Schüler sind es, „welche die Fackel weiterzutragen haben“15. Zwei Aspiranten aus Flumes Göttinger Zeit verwehrte das Schicksal die Stabübernahme. Klaus Toebelmann wurde vor der Habilitation Opfer eines Krebsleidens,16 ein anderer Opfer seiner eigenen Ansprüche. Unübersehbar leuchtete und leuchtet dafür das Licht seiner vier Bonner Schüler: Horst Heinrich Jakobs, Brigitte Knobbe-Keuk, Eduard Picker und Jan Wilhelm. Auch ist es maßgeblich Werner Flume zu verdanken, dass Eberhard von Olshausen der Wissenschaft erhalten blieb.

III. 1. In einer Zeit, die ihre Urteilskraft weitgehend verloren zu haben scheint und deshalb den Rang ihrer Wissenschaftler in Krämermanier vornehmlich nach quantitativen Kriterien bemisst: Drittmitteleinnahmen, Zahl der veranstalteten Kongresse, Zahl der Publikationen und Zahl der Beziehungen („networking“), mag es wie Musik aus fernen Landen klingen: Bedeutung erlangt der Wissenschaftler allein durch die Kraft seiner Thesen und die durch sie bewirkten Erkenntnisgewinne. Nur so erschließt sich unabhängig von allen äußeren Ehrungen auch die herausragende Stellung von Werner Flume in der Jurisprudenz des 20. Jahrhunderts. Schon der Blick auf die wichtigsten seiner Lehren zum geltenden Recht und die hier von ihm angestoßenen Entwicklungen führt dies schlaglichtartig vor Augen:

14 S. Altmeppen, Werner Flume zum 95. Geburtstag, NZG 2003, 865; Gaul, Werner Flume zum 80. Geburtstag, JZ 1988, 865, 866; Picker, Werner Flume zum 90. Geburtstag, JZ 1998, 892; Wilhelm, Werner Flume zum 90. Geburtstag, NJW 1998, 2796, 2797. 15 S. Flume, Rede – In memoriam Brigitte Knobbe-Keuk, in: Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk (1997), S. 7. 16 S. Flume (Fn. 2), S. 282 f. Fn. 104.

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2. a) aa) Mit „Eigenschaftsirrtum und Kauf“ hat Flume gegen die damals noch ganz herrschende Meinung dem sog. subjektiven Fehlerbegriff zum Durchbruch verholfen.17 Dieser ist heute längst Allgemeingut und findet sich seit der Schuldrechtsmodernisierung auch – wenngleich in wenig glücklicher Formulierung – im Gesetz (§ 434 BGB). Die hiermit verbundene dogmatische Leistung Flumes wird selbst dort nicht in Frage gestellt, wo man seine Begründungswege in Zweifel zieht und seiner in derselben Schrift entwickelten Lehre zum Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB) als geschäftswesentlichem Irrtum nicht folgen will.18 So wenig, wie diese zuletzt genannte Kritik allerdings verstanden zu haben scheint, dass mit der Anerkennung des subjektiven Fehlerbegriffs und der Beschaffenheitsvereinbarung für die Anerkennung eines einseitigen außergeschäftlichen Beschaffenheitsirrtums kein Raum mehr bleibt, will man dem Gesetz in der Frage, wer beim Umsatzgeschäft das Beschaffenheitsrisiko zu tragen hat, nicht wertungswidersprüchliche Regelungen implementieren, so wenig haben auch die Verfasser des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sämtliche Konsequenzen des vereinbarungsbasierten subjektiven Fehlerbegriffs erkannt. Denn in seiner Folge erübrigt sich insbesondere auch die so problematische und von jeher in Frage gestellte Figur der Geschäftsgrundlage.19 Gleichwohl hat man sie just gemeinsam mit dem subjektiven Fehlerbegriff kodifiziert. bb) Mit seinem Beitrag „Der Wegfall der Bereicherung in der Entwicklung vom römischen zum geltenden Recht“ in der Festschrift für Hans Niedermeyer 1953 legte Flume den Grundstein für eine umfassende, später immer weiter ausgebaute Lehre zur ungerechtfertigten Bereicherung.20 Deren Kern besteht in der Ausrichtung des Bereicherungsanspruchs auf das Gesamtvermögen des Bereicherungsschuldners (Abkehr von der Gegenstandsorientierung). Und sie hat ihre größte Wirkkraft wohl in der Kritik an der sog. Saldotheorie entfaltet, mit der die ganz herrschende Meinung jener Zeit den Problemfall in den Griff zu bekommen versuchte, dass bei der Rückabwicklung gegenseitiger Verträge die Sachleistung wegen Untergangs nicht mehr herauszugeben ist. Wie bahnbrechend diese Leistung war, zeigt nicht zuletzt die – den Studenten freilich kaum freudig stimmende – Vielzahl an Lösungsvorschlägen und Theorien, die in der Folge als Alternativen zu der als unhaltbar erkannten Saldotheorie entwickelt wurden. Neben Flumes

17 S. zur zeitgenössischen Rezeption nur etwa Kegel, Besprechung von Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, AcP 150 (1949), 356–362; Raape, Sachmängelhaftung und Irrtum beim Kauf, AcP 150 (1949), 481–506. 18 S. Schermaier (Fn. 9), Rn. 23, 48. 19 Siehe hierzu nur Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten (2004), S. 244 ff. sowie auch noch S. 265 f., 271 f. und schon S. 241 f. 20 Zusammengeführt von Ernst (vgl. Fn. 7).

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eigener Lehre von der vermögensmäßigen Entscheidung 21 sind etwa zu nennen die Lehre vom faktischen Synallagma 22, die Lehre von der normativen Korrektur des § 818 Abs. 3 BGB,23 die Lehre von der Gegenleistungskondiktion,24 die Lehre von der Beachtlichkeit hypothetischer Vermögensentwicklungen im Rahmen des § 818 Abs. 3 BGB 25 sowie jüngst noch die Lehre vom Rechtsgrundlosigkeitszusammenhang.26 Binnen weniger Jahre hat die Geschichte damit einem Satz des BGH die Grundlage entzogen, den dieser schon 1970 seriöserweise so nicht mehr hätte formulieren dürfen: „Wird ein gegenseitiger Vertrag angefochten, so entbehren die beiderseitigen Leistungen des rechtlichen Grundes. Sie sind herauszugeben. Voraussetzung ist aber, wie sich aus § 818 Abs. 3 BGB ergibt, dass der Empfänger noch bereichert ist. Ob noch eine Bereicherung vorhanden ist, ist grundsätzlich nicht isoliert für die einzelne Leistung zu betrachten (so die ältere Zweikondiktionen-Theorie), sondern beurteilt sich danach, ob unter Berücksichtigung der Gegenleistung für eine Partei noch ein Überschuss bleibt (Saldotheorie, allgemein anerkannt; anders nur noch Flume, Festschrift für Niedermeyer S. 103).“27 cc) Durchschlagenden Erfolg gerade auch beim Bundesgerichtshof hatte Flume demgegenüber mit seiner 1950 entwickelten sog. Vertragsbruchtheorie.28 Mit ihr hat er bei einer Kollision von verlängertem Eigentumsvorbehalt und Sicherungszession den Vorrang des Warenlieferanten auch für den Fall

21 S. Flume, Der Wegfall der Bereicherung in der Entwicklung vom römischen zum geltenden Recht, in: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät zu Göttingen (Hrsg.), Festschrift für Hans Niedermeyer zum 70. Geburtstag 30. November 1953 (1953), S. 103– 176 (= Fn. 7, S. 72). 22 S. v. Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, in: Dölle u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rabel (1954), Bd. 1, S. 333, 384 ff.; Leser, Von der Saldotheorie zum faktischen Synallagma (1956), S. 49 ff.; ders., Der Rücktritt vom Vertrag (1975), S. 110 ff. 23 S. Dießelhorst, Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle verfolgt an der Rechtsprechung zur Saldotheorie (1968), S. 50 ff.; Münchener Kommentar-Lieb, BGB (4. Aufl. 2004), § 818 BGB Rn. 124; i.E. ähnlich Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983), S. 599 ff.; s. jüngst wieder Linke, Die Rückabwicklung gescheiterter gegenseitiger Verträge (2007), S. 134 ff. 24 S. Canaris, Die Gegenleistungskondiktion, in: Pfister/Will (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag (1991), S. 19–63. 25 S. Frieser, Der Bereicherungswegfall in Parallele zur hypothetischen Schadensentwicklung (1987), S. 252 ff. 26 S. Mossler, Bereicherung aus Leistung und Gegenleistung (2006), S. 140 ff. 27 BGHZ 53, 144, 145. 28 S. Flume, Der verlängerte und erweiterte Eigentumsvorbehalt, NJW 1950, 841, 847 sowie später auch noch ders., Besprechung von Westermann, Interessenkollision und ihre richterliche Wertung bei den Sicherungsrechten an Fahrnis und Forderungen, AcP 154 (1955), 560–566 und ders., Zur Problematik des verlängerten Eigentumsvorbehalts, NJW 1959, 913, 918.

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begründet, dass die Sicherungszession zeitlich vor der Vorausabtretung im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehalts erfolgte und damit nach dem Prioritätsgrundsatz an sich der Geldkreditgeber Vorrang haben müsste. Der Bundesgerichtshof hat diese Begründung in seiner Entscheidung vom 30. April 1959 29 übernommen und in der weiteren Folge zur ständigen Rechtsprechung ausgebaut.30 Dass die Vertragsbruchtheorie durchaus anfechtbar ist,31 mindert ihre Bedeutsamkeit nicht. Denn ihr bleibt das Verdienst, Wissenschaft und Praxis in einer rechtlich wie ökonomisch hochbedeutsamen Frage zur Suche nach sachlich begründeten Antworten gezwungen zu haben, wo das geltende Recht scheinbar nur formal begründete Lösungen bereithält. dd) Ein Monument der Zivilrechtswissenschaft hat Werner Flume neben all dem mit seinem allseits bekannten „Rechtsgeschäft“, dem zweiten Band des insgesamt drei Bücher umfassenden Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts geschaffen. Dieses Werk ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert und auf seinem Feld bis heute ein Solitär. Das gilt zunächst inhaltlich. Paukenschlagartig 32 stellt Flume die Privatautonomie des Einzelnen an den Anfang und in die Mitte seines Buches; und dies in einer Zeit (Erstauflage 1965), in der die Privatautonomie und mit ihr das gesamte überkommene System des Bürgerlichen Rechts den führenden Vertretern der Zivilrechtswissenschaft wenig galt. Überwiegend hielt man beides für die Ausgeburt eines überlebten Sozialmodells. Nicht auf die Gewährleistung, sondern auf die Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsfreiheit des Einzelnen verwandte man die geistige Kraft. Und dabei spielte die junge Verfassung mit ihrem Sozialstaatsprinzip für die drängenden bürgerlichrechtlichen Fragen nicht selten eine größere Rolle als das BGB. „Das Rechtsgeschäft“ war deshalb neben seiner – keineswegs bruchlos durchgehaltenen – inhaltlichen Ausrichtung aber auch ein methodologischer Paukenschlag. Der Stoff wird nach Art der geschichtlichen Rechtswissenschaft behandelt. Einen dem Zeitgeist geschuldeten Neubau der Lehre vom Rechtsgeschäft etwa durch ihre Aufladung mit verfassungs- oder gar außerrechtlichen Wertungen lehnt Flume dezidiert ab. Vielmehr sollen die einschlägigen Regelungen des

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BGHZ 30, 149–154. Vgl. BGHZ 55, 34, 35; 72, 308, 310; 98, 303, 314 f.; BGH, NJW 1999, 2588, 2589; BGH, NJW 2005, 1192, 1193. 31 Vgl. aus jüngerer Zeit nur etwa Picker, Die Schlacht der Kreditoren, JuS 1988, 375, 378 ff.; Eidenmüller/Engert, Prioritätsgrundsatz, Vertragsbruchtheorie und die richtige Zuweisung von Kreditsicherheiten, in: Bork/Hoeren/Pohlmann (Hrsg.), Festschrift für Helmut Kollhosser zum 70. Geburtstag (2004), Bd. II, S. 103, 107 ff. 32 Vgl. Historisch-kritischer Kommentar zum BGB-Rückert (2003), vor § 1 BGB Rn. 108. 30

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BGB als Ergebnis einer historischen Entwicklung erkannt und verstanden werden, um sie im Lichte und in Anknüpfung an diese Entwicklung ggf. auch fortzuentwickeln. Für eine Zivilrechtswissenschaft, die sich für das 19. Jahrhundert verbreitet die bequeme Schablone einer so realitäts- wie gerechtigkeitsfernen Begriffsjurisprudenz zurechtgelegt hatte, musste das Buch damit doppelte Provokation sein. Sein Rang wurde gleichwohl auch von Kritikern nie in Zweifel gezogen.33 Welche Wirkkraft „Das Rechtsgeschäft“ entfaltet hat, ist hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnen. Drei Hinweise mögen genügen: Wo immer man sich heute mit dem Grundsatz der Privatautonomie ernsthaft auseinandersetzt, wird diese – vielfach schon ohne jeden Nachweis – im Sinne des berühmten ersten Satzes des „Rechtsgeschäfts“ als „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“ verstanden.34 Dabei steht heute im Grunde auch nicht mehr im Streit, dass dieses Prinzip zu den prägenden Strukturelementen des geltenden Privatrechts gehört. Mit welcher Wucht Flumes Forderung nach einer Rückbesinnung auf dieses Strukturprinzip damals eingeschlagen hat, zeigen am deutlichsten wohl die schon kurz darauf spürbaren Auswirkungen auf das Arbeitsrecht als einem – zumal in dieser Zeit – geradezu klassischen privatautonomieskeptischen, wenn nicht gar -feindlichen Feld. So ist insbesondere Reinhard Richardis in dieser Zeit nicht minder bemerkenswerte und gegen den Strom schwimmende Habilitationsschrift über „Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses“ aus dem Jahr 1968 merklich von Flume beeinflusst.35 Dass man heute in Bezug auf die Tarifautonomie ganz selbstverständlich (wenn auch nicht immer zu Recht) von „kollektiv ausgeübter Privatautonomie“ spricht,36 markiert deshalb einen im Arbeitsrecht vor gut 40 Jahren kaum vorstellbaren Umbruch, der – jedenfalls mittelbar – ganz maßgeblich auch von Werner Flume befördert wurde. Generell, und das ist der abschließende dritte Hinweis auf die Wirkungsmächtigkeit des „Rechtsgeschäfts“, hat die Privatautonomie als Grundprinzip unserer Rechtsordnung heute wieder einen Stellenwert erlangt, der selbst diejenigen, die ihr den größten Tort antun, dazu zwingt, sich dem Grundsatz nach zu ihr zu bekennen und ihr Handeln mit mehr als rechtsfernen Hinweisen auf überlebte Sozialmodelle zu rechtfertigen.37

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S. nur Brox, Fragen der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, JZ 1966, 761, 767. S. nur BVerfGE 72, 155, 170 f.; 89, 214, 231. 35 S. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses (1968), S. 7 ff. 36 St. Rspr. seit BAGE 88, 118, 123; s. BAG, NZA 1998, 775, 776; BAG, NZA 1998, 778, 779; BAG, NZA 2002, 917, 918; BAGE 118, 232, 240. 37 Vgl. hierfür nur die Begr. zum RegE eines allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), BT-Drucks. 16/1780, S. 39. 34

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b) In seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des BGB, namentlich in den zwei Teilen des ersten Bandes, spiegelt sich auch Werner Flumes Bedeutung für das Handels- und Gesellschaftsrecht. Wieder stehen diese Werke aber nicht etwa am Anfang seiner Forschungen auf diesen Feldern, sondern bilden gleichsam die Summa. Sie sind Lehrbuch im ursprünglichen und idealtypischen Sinn, weil sie die zuvor in Einzeluntersuchungen erarbeitete Lehre für ein ganzes Rechtsgebiet zusammenfassen und vervollständigen. Im Gegensatz zum Gros der heutigen Lehrbuchliteratur erschöpft sich die Motivation des Verfassers nicht in didaktischen Zielen, wie sie auch Schulbücher verfolgen. Vielmehr leitet ihn allein der rote Faden. Teilband 1 des ersten Bandes enthält das Bahnbrechende bereits im Titel. Die Personengesellschaft wird im Allgemeinen Teil behandelt, weil Flume sie als rechtsfähige Wirkungseinheit, als „Gruppe“ sieht. Mit dieser ursprünglich gegen die ganz herrschende Meinung gerichteten Sicht hat er sich heute weitgehend durchgesetzt. In seiner berühmten Entscheidung zur Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vom 29. Januar 2001 38 ist Flume schließlich auch der BGH gefolgt. In Teilband 2 über die juristische Person werden naturgemäß auch die Grundlagen des Aktienrechts behandelt, das Flume bereits früher maßgeblich beeinflusst hatte. So gingen die Regelungen über den faktischen Konzern in der Aktienrechtsreform 1965 auf ihn zurück. Der Gesetzgeber zog die Flume’sche Konzeption schließlich dem ursprünglichen Referentenentwurf vor. c) Pioniertaten hat Werner Flume nicht nur im Privatrecht, sondern gleichermaßen – und schon diese Kombination der Arbeitsfelder war zu Beginn seiner Professorentätigkeit bemerkenswert – im Steuerrecht vollbracht. Die spezifische Sicht des Zivilrechtlers und die praktische Erfahrung als Unternehmensjurist führten ihn zu einer Forderung, die uns heute weitgehend selbstverständlich erscheint, die aber in ihrer Zeit alles andere als selbstverständlich war, und mit der Flume der modernen Steuerrechtswissenschaft eine entscheidende Prägung gegeben hat: die Forderung, dass Steuergesetze, sollen sie „Recht“ sein, auch materiellen Rechtsgehalt aufweisen müssen.39 Darunter verstand er dann allerdings mehr als nur eine allgemeine Orientierung an der Rechtsidee und den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Als „Recht“ unterlägen die Steuergesetze vielmehr dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung, dem Gesetz der Kongruenz 40. Damit nahm Flume im

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BGHZ 146, 341–361. S. Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung (1952), S. 6 (= in: Kaufmann/Scheuner/ Weber [Hrsg.], Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag 15. Januar 1952 [1952], S. 59, 60). 40 S. Flume (Fn. 39), S. 6 (= FS Smend [1952], S. 59, 60). 39

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Kern bereits 1952 etwa auch das vorweg, was in der verfassungsrechtlichen Diskussion über die Steuergesetzgebung erst sehr viel später anerkannt und etwa unter dem Schlagwort des steuerrechtlichen Halbteilungsgrundsatzes schließlich sogar in – bekanntlich hochkontroverse – Prozentvorgaben umgesetzt wurde, dass nämlich ein Steuergesetz die Güterverteilung der allgemeinen Rechtsordnung von einer bestimmten Grenze ab „außer Kurs“ setzen kann: „Wenn die Erbschaftssteuer den Erbschaftserwerb ganz oder im ‚Übermaß‘ wegnimmt, so wird mit dem Erbrecht das Privateigentum als das entscheidende Strukturelement unserer Rechtsordnung in Frage gestellt“ 41. 3. Es wäre verwunderlich, wenn Werner Flume nicht auch dort Anstoß zu neuen Sichtweisen gegeben hätte, wo sein wissenschaftliches Arbeiten den Anfang nahm, im Römischen Recht. Die Summa findet sich hier in dem 1990 erschienen Band „Rechtsakt und Rechtsverhältnis“. Flume verfolgt in den dort versammelten Untersuchungen die These, dass sich das juristische Denken der Römer von dem unseren grundlegend unterscheidet, weil es nicht auf Rechts- oder auch Schuldverhältnisse bezogen war, die sowohl gegenüber ihrem Begründungsakt als auch den aus ihnen resultierenden Klagen (heute: Ansprüchen) verselbstständigt waren. Die „Pole“ des Denkens der römischen Juristen seien allein der Rechtsakt (etwa der Vertragsschluss) und die hieraus resultierende actio (heute etwa ein Erfüllungsanspruch) gewesen. Warum es bei den Römern etwa keine direkte Stellvertretung und auch keinen Vertrag zugunsten Dritter geben konnte, lässt sich so unschwer erklären. 4. a) Flumes romanistische Forschungen wurden allerdings nie allein von seiner Liebe zu den alten Sprachen, seinem historischen Sinn und der Vorbildlichkeit seines akademischen Lehrers, Fritz Schulz, getragen. Sie hatten von Beginn an immer auch einen methodologischen Hintergrund. Und das führt zu dem letzten – und vielleicht sogar wichtigsten – Feld, auf dem Werner Flume als Ausnahmeerscheinung herausragt. Zwar ist die bloße Zahl seiner explizit die juristische Methode betreffenden Abhandlungen vergleichsweise klein; Flume zog es vor, seine Art der Jurisprudenz am konkreten Sachproblem zu demonstrieren, statt abstrakt über sie zu reden. Gleichwohl finden sich auch hier Schriften, die schon heute als „Klassiker“ gelten. Dies trifft insbesondere für seinen Schlussvortrag „Richter und Recht“ auf

41 S. Flume (Fn. 39), S. 7 f. (= FS Smend [1952], S. 59, 62); s. entsprechende erste Anklänge beim BVerfG in der Entscheidung BVerfGE 19, 119–129; wohl deutlich über Flumes eigene Vorstellungen hinaus (vgl. ders., Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu den Einheitswerten in Hinsicht auf die Vermögens- und Erbschaftsteuer, DB 1995, 1779–1780) hat sich die entsprechende Erkenntnis schließlich auf der Basis grundlegender Arbeiten von P. Kirchhof in der Entscheidung BVerfGE 93, 121–165 durchgesetzt. Sie wurde im Grundsatz auch durch die Entscheidungen BVerfGE 95, 267–322; 115, 97–118 nicht mehr in Zweifel gezogen.

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dem 46. Deutschen Juristentag 1966 42 zu. Flume fordert hier – wieder in provozierender Antithese zum herrschenden Zeitgeist – die Rückbesinnung auf einen – allerdings in strikter Abgrenzung zum bloßen Gesetzespositivismus zu verstehenden – Rechtspositivismus, wie er für die historische Schule und auch noch das Selbstverständnis des BGB prägend war. b) Die Autonomie des Rechts als einer eigenständigen, der Verwirklichung der Rechtsidee verpflichteten Ordnung ist hiernach in zweifacher Weise abzusichern: Sie ist zunächst, und das war seinerzeit die wohl vordringlichste Aufgabe, gegen Aufweichungen zu verteidigen, die darin gründen, dass man die Verbindlichkeit der für den Richter bestehenden Entscheidungsvorgaben des geltenden Rechts gedanklich abbaut und ihn so vom Organ der Rechtserkenntnis zu einem Organ der Rechtsgestaltung, gar zum Sozialingenieur macht. Flume rettet bei dieser Gelegenheit nicht nur die Ehre der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, indem er ihr nachweist, nicht weniger am Rechtsgedanken orientiert gewesen zu sein als unsere Zeit. Er stellt sich – wie wir heute wissen: in weiser Voraussicht – schützend speziell auch vor die Zivilrechtswissenschaft, der unter dem Banner der Grundrechtsverwirklichung eine subtile Publifizierung und Politisierung droht. Messerscharf wird erkannt, dass die Grundrechte für die konkret zu entscheidenden zivilrechtlichen Fragen zumeist nur Leerformeln bereithalten, die die eine Entscheidung so gut begründbar machen wie die andere und die deshalb aufs Beste zur Scheinlegitimierung von Vorurteilen missbraucht werden können, zu denen der Richter nicht in Verfolgung des Rechts, sondern in Verfolgung persönlicher Sachziele gelangt. Für den Historiker Flume mag bei dieser dezidierten Haltung darüber hinaus auch noch die Gewissheit eine Rolle gespielt haben, dass bei einer solchen Jurisprudenz in weitem Umfang nur das Küken die Henne belehrt, weil die Freiheiten, die mit den Grundrechten gegenüber dem Staat gesichert werden sollen, in ihrem Kern zumeist mit den Freiheiten identisch sind, die im Zivilrecht zwischen Privaten schon Jahrhunderte zuvor zu wirken begannen. c) Ohne Frage gerade dem Historiker zu verdanken sind schließlich aber die Absicherungen, die Flume in die andere Richtung vornimmt. Denn so vehement, wie er sich gegen eine Relativierung der richterlichen Bindung an Recht und Gesetz verwahrt, wendet er sich auch gegen die Verkümmerung der Jurisprudenz zur bloßen Buchstabenklauberei. Die Bindung des Richters erschöpft sich nicht in einer Bindung an das geschriebene Gesetz; er ist an Gesetz und Recht gebunden. Das Recht aber ist als ein Gesamtsystem zu begreifen, in dem der einzelne positive Rechtssatz immer nur als Ausdruck

42 S. Flume, Richter und Recht, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 46. DJT (1967), Bd. II, Teil K.

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des Bemühens um die Verwirklichung des Rechtsgedankens erscheinen kann. Der Richter ist deshalb ganz selbstverständlich auch zur Rechtsfortbildung, ggf. sogar gegen die lex scripta, befugt, solange diese Rechtsfortbildung in der Gesamtrechtsordnung begründet ist, von dieser erzwungen wird und nicht darauf beruht, dass der Richter die Wertentscheidungen der Gesamtrechtsordnung oder die in diesem Rahmen vom Gesetzgeber verfolgten Sachziele korrigieren will, weil er es selbst besser weiß. „Ius est“ ist die vom Richter geforderte Überzeugung. Das „ius esto“ ist demgegenüber dem formellen Gesetzgeber vorbehalten und vermag eine vom Richter betriebene Rechtsfortbildung nicht zu legitimieren. In der Tat ist das Recht erst hierdurch als selbständiges, einer ureigenen Idee folgendes Ordnungssystem gewährleistet.43 Denn so, wie es mit dem Beharren auf der Verbindlichkeit des positiven Rechts gegen Relativierungen von innen geschützt wird, wird es mit der Zulassung systemimmanenter Fortbildung auch gegen Relativierungen von außen, namentlich gegen seine vollständige Usurpation durch die Politik, geschützt, ohne dabei aber erstarren zu müssen. Es ist noch nicht einmal der weite Blick des Historikers erforderlich, um zu erkennen, wie wenig Substanz die damals verbreitete Diskreditierung eines solchen Rechtsverständnisses als Ausgeburt einer überlebten historischen Schule hatte und wie notwendig demgegenüber gerade dessen Wiederbelebung für ein Gemeinwesen war und ist, das sich, wie die damals noch junge Bundesrepublik, als ein freiheitliches verstehen will. Denn erst ein in der Flume’schen Ausprägung autonomes Recht ist auch seiner wissenschaftlichen Erschließung zugänglich, vermag so Kulturleistung zu werden und hierdurch schließlich die Würde zu erlangen, die es benötigt, um die Würde derer machtvoll schützen zu können, die ihm unterworfen sind.

IV. Die Kraft des Einzelnen für ein Leben von über hundert Jahren beruht auf einem Geschenk. Die Kraft der Gemeinschaft für ein Leben in rechtlich gesicherter Freiheit und Würde beruht dagegen auf Einsicht. Was Werner Flume der deutschen Rechtswissenschaft gegeben hat, um diese Einsicht zu erlangen, wird weit länger bestehen als die beeindruckende Zahl seiner schließlich erreichten Lebensjahre. Um als Jahrhundertjurist zu gelten, hätte Werner Flume deshalb auch nicht 100 Jahre alt werden müssen. Dass er es gleichwohl wurde, war ein großes Glück und ergibt auch ein stimmiges, ganz zu ihm passendes Bild: ein außergewöhnlicher Wissenschaftler in einem außergewöhnlichen Leben. Für die Zivilrechtswissenschaft gilt es nun vor

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S. hierzu auch J. Schröder, Recht als Wissenschaft (2001), S. 269 ff.

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allem, sein Erbe im recht verstandenen Sinne zu bewahren. Das erfordert kein Festhalten an einzelnen seiner Thesen und Lösungen. Es erfordert auch nicht eine strikte Gefolgschaft in der Methode. Es erfordert jedoch ein Wachhalten seiner so ursprünglichen und kunstvollen Art der Jurisprudenz. Diese Jurisprudenz zeichnet sich in der Arbeit am konkreten Fall durch ihre Unterscheidungs- und Urteilskraft aus. Sie ist geschult im Blick für Übereinstimmungen, Divergenzen und Besonderheiten. Nicht minder anspruchsvoll und hochstehend ist sie aber eben auch in ihrer Arbeit am abstrakten Rechtssatz. Denn ganz der Rechtsidee verpflichtet läuft sie nie Gefahr, das Recht nur als eine mehr oder weniger geordnete Ansammlung von Sollenssätzen weitgehend beliebigen Inhalts zu verstehen. Sie richtet ihren Blick vielmehr stets auf den Gedanken hinter den Buchstaben und sucht dessen Verbindung mit dem Ganzen. Selbstverständlich und unverzichtbar ist dieser Jurisprudenz deshalb auch die geschichtliche Betrachtung der in Frage stehenden Rechtssätze und -institute. Denn welcher Gedanke eine Regelung trägt und wie sich dieser Gedanke zu dem gesamten Rechtssystem und seinen Grundprinzipien verhält, erschließt sich regelmäßig erst, wenn man auch seine Entwicklung in der Geschichte verfolgt. Erst hierdurch lässt sich das Lebendige vom Toten scheiden und der aktuelle Geltungsanspruch der in Frage stehenden Regel beurteilen. Dafür, dass eine so verstandene Art der geschichtlichen Rechtswissenschaft alles andere als starr, kreativitätsscheu und innovationsfeindlich ist, hat Werner Flume mit seinem wissenschaftlichen Leben ein leuchtendes Beispiel gegeben. Bleibt zu hoffen, dass es unserer Disziplin auch künftig gelingen kann, Juristen von diesem Format hervorzubringen.

Dieter Medicus (1929) * Herbert Roth I. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Jurastudium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Weg in die Wissenschaft . . . . . . . . . . . 3. Ämter jenseits des Dienstbetriebs . . . . . . . . III. Der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für Gute Lehre . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheit von Forschung und Lehre . . . . . . . . 3. Reform der Juristenausbildung . . . . . . . . . . IV. Der Forscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schulenbegründung und Theoriebildung . . . . 3. Zur Rolle des Arguments . . . . . . . . . . . . . V. Das Rechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stärkung der Privatautonomie . . . . . . . . . . 2. Ideologiefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trennbarkeit von Privat- und Allgemeininteresse 4. Deutsches und Europäisches . . . . . . . . . . . VI. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung Das deutsche BGB zählt wegen seiner systematischen Geschlossenheit und der Durchdringung des Rechtsstoffes auf hoher Abstraktionsebene weltweit nach wie vor zu den vorzüglichsten Kodifikationen. Dieter Medicus, der am 9. Mai 2009 sein 80. Lebensjahr vollendet hat, ist in einer früheren Würdigung seines Lebenswerks als „Mister Bürgerliches Recht“ bezeichnet worden, also der Sache nach als das personifizierte BGB.1 Sein berühmtes „Bürgerliches Recht – Eine nach Anspruchsgrundlagen geordnete Darstellung zur Examensvorbereitung“ ist im Jahre 2007 in der 21. Auflage erschienen und

* Vortrag am 11. November 2008 – Humboldt-Universität zu Berlin. 1 Schiemann, Dieter Medicus zum 75. Geburtstag, JZ 2004, 449–450.

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gehört zu den auflagenstärksten Werken der zeitgenössischen Rechtsliteratur. Schon vor vierzehn Jahren ist Dieter Medicus im „manager magazin“ bei einer repräsentativen Umfrage unter 700 Praktikern über die Fachgrenzen hinweg mit Abstand als angesehenster deutscher Hochschullehrer des Rechts überhaupt genannt worden. Einen ersten Eindruck über die persönliche und wissenschaftliche Prägung meines Lehrers, bei dem ich in München 1980 promoviert und 1986 habilitiert habe, kann vielleicht schon die nachfolgende knappe Skizze vermitteln.

II. Werdegang 1. Das Jurastudium Dieter Medicus wurde am 9. Mai 1929 in Berlin geboren, er ist seit 1959 verheiratet und hat zwei Kinder. Dem Vorbild seines Vaters folgend begann er – im März 1945 noch zum Kriegsdienst eingezogen – nach dem Abitur 1946 an der Humboldt-Universität in Berlin zunächst das Studium der Physik und Chemie. Krankheitsbedingt wechselte er 1949 in das Studium der Rechtswissenschaft; er hat ein Semester in Berlin, vier Semester in Würzburg und drei Semester bis 1953 in Münster studiert. Dort wurde er erst wissenschaftliche Hilfskraft und dann Assistent bei seinem späteren Lehrer, dem großen Römischrechtler Max Kaser. Die erste juristische Staatsprüfung bestand er 1954 in Hamm und die zweite 1959 in Düsseldorf. In seiner Münchner Abschiedsvorlesung im Jahre 1994 begründete Dieter Medicus die spätere Wahl der Rechtswissenschaften damit, er habe darin „wenigstens einen Teil von derjenigen logischen Klarheit wiederzufinden gehofft …, die mich zu den Naturwissenschaften gezogen hatte“. 2. Der Weg in die Wissenschaft Der Berufsweg zum Professor und damit zur Wissenschaft verlief geradlinig und wurde im Vergleich mit heutigen Gepflogenheiten in atemberaubendem Tempo zurückgelegt. Durch Max Kaser war zunächst das Interesse am römischen Recht geweckt worden. Es folgte daher im Jahre 1956 die Promotion über ein Thema zum römischen Bürgschaftsrecht: „Zur Geschichte des Senatus Consultum Velleianum“ und nach nur 1 3/4 Jahren Arbeitszeit im Jahre 1961 die Habilitation in Hamburg zum römischen Schadensersatzrecht: „Id quod interest“. Als einen von mehreren Gründen für die kurze Bearbeitungszeit nennt er den Umstand, sein Lehrer Max Kaser habe seine Arbeitskraft weit weniger in Anspruch genommen, als es dienstrechtlich zulässig gewesen wäre. Auch Dieter Medicus hat seine fünf Habilitanden so gut wie nie für sich arbeiten lassen und jede Zeile seine Aufsätze und Bücher einschließlich der Register und Fußnoten selbst geschrieben.

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1962 erhielt er seinen ersten Ruf auf den Lehrstuhl für römisches und bürgerliches Recht an der Universität Kiel, 1966 nahm er einen Ruf nach Tübingen auf den Lehrstuhl für bürgerliches, römisches und Handelsrecht an, 1969 ging er an die damals junge Universität Regensburg und übernahm den Lehrstuhl für bürgerliches und römisches Recht. Schließlich wechselte er 1978 nach München als ordentlicher Professor für Antike Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht, wo er im Sommersemester 1994 emeritiert wurde. Weitere Rufe nach Innsbruck, Bern, Würzburg und Bonn hat er abgelehnt. Auch wenn Dieter Medicus nach seinem Selbstzeugnis zur Verwaltung weder Geschick noch Neigung hatte, so hat er doch in Kiel, Regensburg und München die Aufgaben des Dekans übernommen. Im Jahre 1999 haben ihm die Juristische Fakultät der Universität Regensburg und im Jahre 2008 die Juristische Fakultät der Universität Halle die Ehrendoktorwürde verliehen. Seit Mitte der 60iger Jahre steht das deutsche Bürgerliche Recht ganz im Mittelpunkt seiner Forschungen. Doch sind der geschilderte wissenschaftliche Beginn mit dem römischen Recht und die Bekleidung römisch-rechtlich ausgerichteter Lehrstühle auch insoweit nicht folgenlos geblieben. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass das Vorbild der klassischen römischen Juristen stilbildend geworden ist für die stets angestrebte und immer erreichte gedankliche Klarheit seines juristischen Denkens. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Ich habe meinen späteren Lehrer vor 39 Jahren als damals 19jähriger Student zum ersten Mal gesehen. Er ist zufällig an mir vorbei geschritten und in mir hat sich unwillkürlich die Verknüpfung mit dem Bild eines römischen Senators aufgedrängt, obwohl er natürlich einen Anzug und keine Toga trug. 3. Ämter jenseits des Dienstbetriebs Der bald erworbene Ruhm als Rechtsgelehrter hat die Belastung mit vielfältigen verantwortungsvollen Aufgaben außerhalb der wissenschaftlichen Dienstgeschäfte mit sich gebracht. Von herausragender Bedeutung war seine Berufung in die Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts durch den Bundesminister der Justiz im Jahre 1984. Unser modernisiertes Schuldrecht beruht in großen Teilen bis in die Formulierungen hinein auf den von ihm als Kommissionsmitglied geleisteten Vorarbeiten. Seit 1974 war er Mitherausgeber des angesehenen Archivs für die civilistische Praxis (AcP) und von 1977 bis 1983 Vorsitzender der Zivilrechtslehrervereinigung. 1980 wurde er als ordentliches Mitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften berufen. Genannt sei aus diesem Bereich der Grundfragen des Zivilrechts berührende Vortrag „Zivilrecht und werdendes Leben“ 2. Das Amt des Vorsit2 Medicus, Zivilrecht und werdendes Leben, in: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (Hrsg.), Sitzungsberichte (1985), Heft 1, 26 Seiten.

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zenden des Juristen-Fakultätentages wurde ihm 1971/1972 angetragen, ebenso wie der Vorsitz des Studienreformausschusses des Juristen-Fakultätentages von 1974 bis 1976. Zudem war er über viele Jahre Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Bürgerliches Recht. Ihn selbst hat wohl am meisten die Mitarbeit in der Schuldrechtskommission mit der dort verbundenen Rolle des Wissenschaftlers als Vordenker und Vorbereiter des parlamentarischen Gesetzgebers beeindruckt. In diesen Zusammenhang gehört etwa sein Gutachten „Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Empfiehlt sich eine Normierung der Lehre vom Verschulden bei Vertragsverhandlungen und eine Neuregelung vorvertraglicher Rechte und Pflichten im BGB?“ 3 Selbst seine didaktisch ausgerichteten Beiträge in der Ausbildungszeitschrift „Juristische Schulung“ (JuS), etwa zur „Subsidiarität von Ansprüchen“, enden gelegentlich mit einem Rat an den Reformgesetzgeber: Er solle von der Rechtsfigur der Subsidiarität keinen übermäßigen Gebrauch machen.4 Schließlich hat er stets den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gegenüber der Jurisprudenz betont, der diesem anlässlich der Arbeiten zur Schuldrechtsreform vereinzelt mit Nachdruck bestritten worden war.5

III. Der Lehrer Dieser Vortrag soll der jetzigen Studierendengeneration einen Eindruck von der Persönlichkeit meines Lehrers vermitteln. Das Auftreten in Vorlesungen gehört zu den flüchtigen und vergänglichen Augenblicken auch eines Rechtsgelehrten. Vorlesungen pflegen nicht aufgezeichnet zu werden, leben damit nur im Gedächtnis des jeweiligen Auditoriums weiter und verblassen mit fortschreitender Zeit. Bestehende Forschungsleistungen und vergehende Lehrleistungen verzerren aber das Bild eines Wissenschaftlers, der auf beiden Gebieten Großes hervorgebracht hat. Ich durfte Dieter Medicus in den 70er Jahren während seiner Regensburger Zeit als Student in seinem regelmäßig abgehaltenen Examenskurs erleben. Er war in meinem und im Urteil aller Kommilitonen ein begnadeter Lehrer mit geradezu charismatischer Ausstrahlung. Gute Lehre bedeutete ihm viel und seinen Erfolg in vollen Hörsälen genoss er wohl auch, soweit seine Bescheidenheit das überhaupt zuließ. 3 Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Empfiehlt sich eine Normierung der Lehre vom Verschulden bei Vertragsverhandlungen und eine Neuregelung vorvertraglicher Rechte und Pflichten im BGB, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (1981), Bd. I, S. 281–310. 4 Medicus, Subsidiarität von Ansprüchen, JuS 1977, 637, 644. 5 Medicus, Gesetzgebung und Jurisprudenz im Recht der Leistungsstörungen, AcP 186 (1986), 268–289.

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1. Gründe für Gute Lehre Er setzte in den Vorlesungen weder moderne Kommunikationsmittel ein noch gab er Skripten aus. Vielmehr beschränkte er sich darauf, mit Kreide an die Tafel zu schreiben und jeweils zu Beginn der Veranstaltung eine einfache Gliederung auszugeben. Sein Lehrerfolg hatte demnach andere Gründe. Dieter Medicus war nur mit dem BGB bewaffnet und trug im übrigen vollkommen frei vor. Seine Ausführungen waren stets druckreif, er wiederholte sich nicht und versprach sich nicht. So kann nur auftreten, wer den Stoff vollständig beherrscht. Sodann war sein Vortrag stets spannend und überaus humorvoll. So verbinde ich noch heute den für eine Willenserklärung erforderlichen Handlungswillen mit dem Beispiel, es nütze nichts, sich neben den schlafenden potentiellen Vertragspartner ans Bett zu setzen, auf seinen im Schlaf gemachten Vertragsantrag zu hoffen und darauf zu erklären: „Ich nehme an“. Und sehe ich irgendwo in Deutschland den Träger eines taubenblauen Anzugs, kommt mir sein Ausspruch in den Sinn, er pflege seine Anzüge nicht nach § 937 BGB zu ersitzen. Dieter Medicus war seinem Publikum gegenüber stets geduldig und vermochte es wie kaum ein anderer, abstrakte Fragestellungen durch Alltagsbeispiele aufzuhellen. 2. Einheit von Forschung und Lehre Der wohl entscheidende Grund für den großen Stellenwert, den Dieter Medicus selbst der akademischen Lehre zumaß, war seine Gewissheit über den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre. Er hat in seiner schon erwähnten Münchner Abschiedsvorlesung betont, dass seine Lehrbücher eng mit den Vorlesungen verbunden seien: „Die Lehre zeigt dem Lehrenden, wo speziell auch für den Studenten die Verständnisschwierigkeiten liegen. Und die schriftliche Formulierung von Gedanken zeigt dem Schreibenden, wo er selbst noch Verständnisschwierigkeiten hat“. Und: „Wenn man vertiefte Kenntnisse in einem Rechtsgebiet wünscht, soll man darüber eine Vorlesung halten. Denn der Zwang, anderen etwas beizubringen, offenbart am schonungslosesten die Lücken des eigenen Wissens“. In dieser Selbsteinschätzung erscheint die Lehre neben der Forschung als eigenständige Erkenntnisquelle, die wissenschaftlichen Fortschritt vorbereitet. Dazu passt, dass Dieter Medicus auch nach seiner Emeritierung regelmäßig als Gastprofessor an der Universität HalleWittenberg gelehrt hat.

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3. Reform der Juristenausbildung Wegen des engen Zusammenhangs mit Fragen der Lehre war Dieter Medicus auch stets die Juristenausbildung und deren Reform ein Anliegen.6 Weniger beunruhigt hat ihn dabei die stets im Mittelpunkt von Befürchtungen der Studierenden stehende Vermehrung des Prüfungsstoffes. Dagegen helfe vor allem die vorauszusetzende Fähigkeit der Prüfer zur Selbstbeschränkung, also deren praktische Vernunft. Mehr Grund zur Sorge sah er in der entgegengesetzten Tendenz der angestrebten und allseits propagierten Stoffverengung, die das Verständnis von Zusammenhängen zerstören könne. So mache etwa die Ausgrenzung des Insolvenzrechts aus dem Pflichtstoff den Zugang zum Kreditsicherungsrecht unmöglich.7 Nur selten ist die systematisch eher entfernt liegende Frage der Einheit der Rechtsordnung in einen so klaren Zusammenhang mit der rechtspolitischen Dauerbaustelle der deutschen Juristenausbildung gebracht worden.

IV. Der Forscher Dieter Medicus gehört gewiss zu den einflussreichsten deutschen Zivilrechtlern der Gegenwart. Für den engeren Kreis der Fachkollegen wird das durch die vorhin erwähnten Ehrungen ausreichend belegt. Nebenbei erwähnt: Auch breiteren Bevölkerungsschichten ist der Name ein Begriff geworden, wie mehrere Auftritte in der Fernsehreihe „Wie würden Sie entscheiden?“ belegen. Doch soll davon nicht weiter die Rede sein. 1. Hauptwerke Neben der Rechtslehre definiert sich das Ansehen eines Rechtswissenschaftlers herkömmlich durch seine veröffentlichten Forschungsergebnisse. In der im Jahre 1999 zu seinem 70. Geburtstag erschienenen ersten Festschrift sind über 100 Aufsätze und knapp 120 Urteilsanmerkungen nachgewiesen. In der 2009 erschienenen zweiten Festschrift zu seinem 80. Geburtstag sind seitdem noch einmal über 50 Aufsätze und etwa 40 Urteils-

6 Etwa Medicus, Deutsche Erfahrungen mit der Reform der Juristenausbildung, JBl 1978, 79–82; ders., Welche Maßnahmen empfehlen sich – auch im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen Juristen aus den EG-Staaten – zur Verkürzung und Straffung der Juristenausbildung?, in: Ständige Deputation des deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 58. DJT (1990), Bd. II O11–O29; ders., Private Juristenausbildung. Zu § 5d des Entwurfs des DRiG, JZ 1971, 497–499. 7 Das Insolvenzrecht beschäftigt ihn noch in jüngster Zeit: Medicus, Schulden und Verschulden. Zum Verhältnis zwischen Zivilrecht und Restschuldbefreiung, DZWiR 2007, 221–227.

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anmerkungen genannt. Zu den großen Kommentarbeiträgen zum allgemeinen Schadensrecht der §§ 249 bis 254 BGB im „Staudinger“ bis zur 12. Auflage 1983 und zu den Ansprüchen aus dem Eigentum (§§ 985 bis 1007 BGB) im Münchener Kommentar bis zur 4. Auflage 2004 sind jüngst noch Kommentierungen von zentralen Teilen des allgemeinen Schuldrechts (§§ 249 bis 255 BGB und §§ 311 bis 361 BGB) im neuen, jährlich aufgelegten, BGB-Kommentar von Prütting/Wegen/Weinreich hinzu gekommen (derzeit in der 5. Auflage 2010). Das bürgerliche deutsche Vermögensrecht hat Dieter Medicus in systematischer Geschlossenheit vor allem in seinen Lehrbüchern dargestellt,8 seinem „Allgemeinen Teil des BGB“, den beiden Lehrbüchern zum „Schuldrecht“ (Allgemeiner und Besonderer Teil) und den „Gesetzliche(n) Schuldverhältnisse(n)“. Sein charakteristischstes Werk ist aber wohl das bereits erwähnte „Bürgerliche(s) Recht“, ergänzt durch das „Basisbuch zu den Anspruchsgrundlagen“, seinem „Grundwissen zum Bürgerlichen Recht“, das als Grundgerüst zum Mutterwerk gedacht ist. Sämtliche Werke weisen gemeinsame Eigenschaften auf, die auch in den jeweiligen Vorworten teils eigens hervorgehoben werden. Zu nennen sind erstens die strikte Gesetzesbindung und damit das Bekenntnis zur Gesetzestreue mit der Absage an Ideologisches, zweitens die Betonung von Grund und Zweck der geltenden Regelungen, drittens das Hervortreten der systematischen Zusammenhänge vor dem Hintergrund bloß veranschaulichender Fallbeispiele und viertens ein klarer und knapper Stil als Ausweis wissenschaftlicher Ehrlichkeit. Schon die Betonung der Gesetzesbindung mit der Respektierung der Gewaltenteilung bedeutet viel, wenn man die gegenwärtige Diskussion um Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung verfolgt.9 Die Gesetzestreue hängt übrigens mit der Skepsis gegenüber demokratisch weniger legitimierter freier Theoriebildung zusammen (sogleich unten 2.). 2. Schulenbegründung und Theoriebildung Dieter Medicus hat durch seine fünf Habilitanden, also seine akademischen Schüler im engsten Sinne, keine „Schule“ gebildet und hatte das auch nie im Sinn, obwohl seine schulbildende Kraft außer Frage steht. Die Gründe dafür können nur erahnt werden, weil mir dazu keine Stellungnahme bekannt ist. In erster Linie käme wohl seine persönliche Bescheidenheit in Betracht, die den Glanz oder Abglanz nicht braucht, der von Schülern zurückstrahlen könnte. Vielleicht ist es auch die im Zentrum seines Schaffens stehende Privat8

Bibliographische Angaben dazu im Anhang. Jüngst Hillgruber, „Neue Methodik“ – Ein Beitrag zur Geschichte der richterlichen Rechtsfortbildung in Deutschland, JZ 2008, 745–755 mit vielen Nachweisen. 9

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autonomie selbst, weil sich die dadurch ermöglichte Selbstbestimmung nicht mit Schulzwängen verträgt. Seine Schüler (Volker Beuthien, Maximilian Fuchs, Herbert Roth, Gottfried Schiemann und Andreas Wacke) forschen und lehren zwar alle im Bürgerlichen Recht, im Übrigen reicht das Spektrum der Fächer aber vom Römischen Recht über das Handels- und Wirtschaftsrecht, das Arbeits- und Sozialrecht bis hin zum Zivilprozessrecht. Da alle Genannten entweder kurz vor Erreichen des 60. Lebensjahres stehen oder sogar schon deutlich darüber hinaus sind, wird auch keines seiner Hauptwerke aus dem Schülerkreis fortgeführt. Voraussetzung einer „Schulenbildung“ ist wohl das Verpflichtetsein auf eine gemeinsame „Theorie“. Dieter Medicus hat seine Einstellung dazu mit Blick auf die römischen Klassiker so zusammengefasst: „Auch heute noch gibt es hinsichtlich des Interesses an Methodenfragen große Unterschiede, ohne dass die weniger interessierten Juristen immer die Schlechteren sein müssten.“ Aufschlussreich ist, was im Werk von Dieter Medicus nicht oder nur eher selten aufscheint: Besonders skeptisch ist er gegenüber Versuchen, Regeln oder Falllösungen als Konsequenz von (vor allem weit formulierten) Theorien mit umfassendem Geltungsanspruch abzuleiten und zu legitimieren. Das betrifft die heuristische Funktion der Theorie im Sinne ihrer Eignung zur Lösung neuer Probleme. Er bevorzugt gerade den umgekehrten Weg, wonach sich die Brauchbarkeit einer Theorie an der Überzeugungskraft der mit ihr erzielten neuen Ergebnisse erweisen muss. Unangemessene Ergebnisse führen zur Verwerfung oder Korrektur der Theorie. Für ihn schrumpft Theoriebildung hauptsächlich auf die Aufgabe, das Bekannte formelhaft darzustellen, also auf die erklärende Funktion der Theorie. Selbst insoweit hat er Zweifel geäußert und neigt eher zu der Benennung als „erklärende Zweckangaben“. Daher verwundert es nicht, dass er sich überhaupt nur selten ausdrücklich zu Fragen des Theorieverständnisses geäußert hat.10 Allemal hält er das auf den Mehrheitswillen zurückgehende Gesetz für demokratisch besser legitimiert als die ebenfalls auf die Lieferung und Begründung von Ergebnissen zielende Theorie. Vergleichbar bezweifelt werden übrigens trotz seiner Verwurzelung im römischen Recht auch dogmatische Herleitungen, die allein in historisch legitimierten Unterscheidungen, also in der Rechtsgeschichte, ihren Grund finden. Und zum „heute wohl unvermeidlichen Hinweis auf die Rechtsvergleichung“11 bemerkt er lapidar, dass nicht alles vorzugswürdig sei, was

10 Zu den genannten Sachaussagen: Medicus, Theorien im modernen Zivilrecht, in: Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel (Hrsg.), Reden zum Gedächtnis von Wolfgang Thiele (1984), S. 38, 43, 53, 56. 11 Hervorhebung von mir.

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andere Rechte haben. Selbst der Verweis auf eine ausgemachte internationale Tendenz sei wenig aussagekräftig, weil sie auch bloß der Einfluss eines modischen Zeitgeistes sein könne, dem man nicht folgen müsse.12 Vorbehalte hegt er auch gegenüber der im Vordringen begriffenen „Ökonomischen Analyse des Rechts“, was schon ihre Nichterwähnung in seinem „Allgemeinen Teil des BGB“ zeigt. Speziell für die von ihm gewürdigte Prävention im Schadensersatzrecht werde eine Rationalität vorgetäuscht, für die „in Wahrheit häufig die Grundlage fehle“.13 Zudem gäbe es Faktoren, die letztlich ökonomisch nicht fassbar seien. 3. Zur Rolle des Arguments Die Theorieskepsis und die dagegen gesetzte Betonung der Angemessenheit der Ergebnisse sowohl bei der Bildung von Rechtsregeln als auch bei der Lösung von konkreten Fällen verbindet Dieter Medicus mit einer Absage an die Verwendung von mehrdeutigen Worten. Der stets eingehaltene klare, knappe Stil als Indiz wissenschaftlicher Ehrlichkeit bezeichnet aber mehr als eine bloße „Stilfrage“, zumal er stets den Systemgedanken betont: Nur das System könne den Überblick über ein Rechtsgebiet im Sinne eines umfassenden Verständnisses vermitteln. Für sein Rechtsdenken prägend ist damit wohl die Verwendung des „starken Arguments“, das systembezogen gebraucht wird und somit letztlich zur Prinzipienbildung und Einordnung in ein System führen kann und muss. Für „schwache“ Argumente, wie etwa das vom BGH verwendete „Luxusargument“ im Schadensersatzrecht, gilt das freilich nicht.14 Das Argument bedarf nach dem vorhin Ausgeführten nicht unbedingt der Einbettung in eine überhöhende Theorie, nicht einmal in eine „kleine“ Theorie.15

V. Das Rechtsdenken Bisher war noch nicht die Rede davon, welche Faktoren für sein Rechtsdenken als prägend angesehen werden können. Zu nennen sind wohl erstens die Sorge um die von mehreren Seiten bedrohte Privatautonomie, zweitens das Eintreten für eine ideologiefreie Rechtswissenschaft und drittens die Gewissheit der Trennbarkeit von Privat- und Allgemeininteresse im Zivil-

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Medicus, DZWiR 2007, 221, 224. Medicus, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, JZ 2006, 805, 812. 14 Zu letzterem Medicus, Das Luxusargument im Schadensersatzrecht, NJW 1989, 1889–1895. 15 Nochmals Medicus (Fn. 10), S. 38, 40 ff. 13

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recht und im Recht überhaupt, die seiner Lehre von Anspruch und Einrede zugrunde liegt. 1. Stärkung der Privatautonomie Seine stete Sorge gilt der Gefährdung der Privatautonomie, wie sie etwa in einem Vortrag vor der Münchener Juristischen Gesellschaft aus dem Jahre 1992 mit dem Titel: „Abschied von der Privatautonomie?“ aufscheint.16 Die Gefahren drohen nach seinem Urteil nicht nur vom wohlmeinenden nationalen und europäischen Gesetzgeber mit der steten Vermehrung zwingenden Rechts zugunsten des vermeintlich Schwächeren und dem damit beabsichtigten Eingriff in die Begründung oder inhaltliche Gestaltung von Verträgen. Ein prominentes Beispiel aus jüngster Zeit ist das im Jahre 2006 in Kraft getretene „Allgemeine Gleichberechtigungsgesetz“.17 Kritik erfährt auch das Bundesverfassungsgericht mit seiner Forderung, bestehende Ungleichgewichtslagen zwischen Vertragspartnern im Sinne einer strukturell ungleichen Verhandlungsstärke jenseits der anerkannten Rechtsbehelfe des Privatrechts zu korrigieren. Auf die „Theorie der Ungleichgewichtslage“ antwortet Dieter Medicus zuletzt in seinem Schuldrechtslehrbuch mit einem „starken Argument“: „… auch da, wo auf den ersten Blick eine Ungleichgewichtslage besteht, bedarf es nicht allemal eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit. Denn … (es) kann etwa der Wissensvorsprung eines Partners durch besondere Anstrengungen „verdient“ sein. Wenn man ihn ohne weiteres ausgleicht, kann das eine Prämie für Faulheit bedeuten. Wer in Urlaub geht, statt sich die für den Vertragsschluss nötigen Kenntnisse zu verschaffen, bräuchte dann keinen Nachteil zu fürchten“.18 Und gegen die behauptete Möglichkeit, ein Gesamtgleichgewicht durch Kompensation zu schaffen, hat er formuliert: „Um wieviel soll jemand relativ reicher sein müssen, um die eigene relative Dummheit auszugleichen?“19 Mit der Absage an ein „Sonderprivatrecht für Ungleichgewichtslagen“ scheint bei den Vertretern dieser Lehre eine gewisse Ermattung eingetreten zu sein. Mit diesen Beispielen sei wenigstens angedeutet, wie aufgeblähte Theoriengebäude zu bloßen „Nischentheorien“ zusammensinken können.

16 Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? (1994), 35 Seiten, in erweiterter Fassung abgedruckt auch in: Vorstand der Münchener Juristischen Gesellschaft e.V. (Hrsg.), Einheit und Vielfalt der Rechtsordnung, Festschrift zum 30jährigen Bestehen der Münchener Juristischen Gesellschaft (1996), S. 9–24. 17 Dazu sehr kritisch Medicus, Allgemeiner Teil des BGB (9. Aufl. 2006), Rn. 479a. 18 Medicus, Schuldrecht I (17. Aufl. 2006), Rn. 73. 19 So der Vortrag vor der Münchener Juristischen Gesellschaft (Fn. 16), S. 16.

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Zur erwähnten Zunahme des zwingenden Gesetzesrechts gerade mit der EG „als Verächter von nachgiebigem Schuldrecht“ hat er folgendes ausgeführt: „Insgesamt ist daher auch gegenüber der Vermehrung des zwingenden Rechts zu großer Vorsicht und Zurückhaltung zu mahnen. Zwar bildet es ein unentbehrliches Hilfsmittel gegen Missbräuche der Vertragsfreiheit. Aber dieses Mittel sollte schon aus Gründen des einfachen Rechts – also auch abgesehen von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nur sparsam eingesetzt werden. Dabei dürften zwar Generalklauseln nicht ganz zu vermeiden sein. Doch sollten sie zur Wahrung der Rechtssicherheit möglichst durch konkretere Formulierungen – zumindest die Beifügung von Regelbeispielen – ergänzt werden: Sonst muss das zwingende Recht zu Rechtsunsicherheit führen und so gerade dem Schwachen eher schaden als nützen“20. 2. Ideologiefreiheit Das zivilrechtliche Schaffen von Dieter Medicus ist frei von ideologischen Einflüssen. Dafür mögen auch seine persönlichen Erfahrungen maßgebend gewesen sein, die er im Wintersemester 1949/1950 in seinem ersten juristischen Fachsemester an der Humboldt-Universität in Ostberlin gesammelt hatte. Ursächlich geworden für einen baldigen Wechsel des Studienorts ist nach seinem Bericht eine Juraprofessorin mit Vornamen Lola: „Sie erklärte uns, wie Kapitalisten reich werden: Wer ein Unternehmen hat, bringt dieses in eine Aktiengesellschaft ein und verkauft die Aktien. Dann, so die Dame Lola, habe er das Unternehmen und den Kaufpreis für die Aktien. Dass dieser Weg zur Vermögensverdoppelung nicht funktionieren konnte, haben damals auch diejenigen Studenten gemerkt, die der Lola politisch nahestanden“. Am deutlichsten tritt die Absage an Ideologisches wohl in einem dem Mietrecht der ehemaligen DDR gewidmeten Beitrag aus dem Jahr 1988 hervor mit dem Namen „Soziales und Sozialistisches. Ein Systemvergleich am Beispiel des Rechts der Wohnungsmiete“.21 Hier wendet er sich mit Nachdruck gegen die umfassende Inanspruchnahme des Zivilrechts durch eine Ideologie und die Unterordnung unter staatliche Leitung und Planung. Bezeichnend ist aber noch eine weitere Tendenz in seinem Rechtsdenken,

20 Medicus, 25 Jahre Entwicklung im Zivilrecht, in: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Hrsg.), 25 Jahre Rechtsentwicklung in Deutschland – 25 Jahre Juristische Fakultät der Universität Regensburg. Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg. Heft 11 (1993), S. 13, 29, 33 f.; ausführlicher in dem Vortrag vor der Münchener Juristischen Gesellschaft (Fn. 16), S. 13, 23 f. 21 Medicus, Soziales und Sozialistisches. Ein Systemvergleich am Beispiel des Rechts der Wohnraummiete, in: Giger/Linder (Hrsg.), Sozialismus – Ende einer Illusion. Zerfallserscheinungen im Lichte der Wissenschaften (1988), S. 461, 465.

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nämlich die Skepsis gegenüber einer „Materialisierung“ oder gar Überfrachtung des Privatrechts mit sozial- oder wohlfahrtsstaatlichen Erwägungen. Nach der Gegenüberstellung von Privat- und Sozialversicherungsrecht wird als Erkenntnis formuliert: „Demgegenüber wird in nichtsozialistischen Gemeinwesen die soziale Komponente da, wo sie mit starkem Einfluß auftritt, vom Privatrecht geschieden“. Dieser Ansatz vermeidet es übrigens, das Privatrecht mit Regelungsaufgaben zu belasten, die es nicht erfüllen kann und diese dorthin zu verweisen, wo sie gelöst werden können, nämlich durch das Öffentliche Recht. 3. Trennbarkeit von Privat- und Allgemeininteresse Ich komme jetzt noch einmal zurück auf sein wohl persönlichstes Buch, nämlich sein „Bürgerliches Recht“, das Generationen von Studierenden zur Examensvorbereitung benützt haben. Die dort erstmals konsequent durchgeführte Gliederung einer Gesamtdarstellung des Bürgerlichen Rechts nach Anspruchsgrundlagen hat mehrere Bedeutungsebenen: Erstens bedeutet diese Darstellung eine didaktische Anstrengung, nämlich die Anleitung zur vollständigen, ökonomischen und gedanklich einfachen Lösung von Fällen. Nach seiner eigenen Einschätzung handelt es sich um Fragen der Zweckmäßigkeit auch und vor allem zugunsten des weniger Geübten. Zweitens geht es in der Soziologensprache um die „Reduktion von Komplexität“ und damit um den Zusammenhang mit dem Prozessrecht. Die von Dieter Medicus im Zivilrecht durchgesetzte Anspruchsmethode entspricht in ihrer Struktur prozessualem Denken. Die Zerlegung einer komplexen Problematik in Rechtsverhältnisse und die Beschränkung der richterlichen oder anwaltlichen Prüfung auf den Tatbestand der Anspruchsnorm scheidet alles aus, was für die gesuchte Antwort keine Bedeutung hat. Die komplexe Lebenswirklichkeit wird reduziert auf den tragenden Rechtsgedanken, wie er in der Anspruchsnorm ausgedrückt wird. Das aktionenrechtliche Denken führt damit zu einer prozessförmigen Gliederung des Stoffes. Die angestrebte Beschränkung des Stoffes auf Ausschnitte aus der Wirklichkeit hat er in einem einzigen Satz zusammen gefasst: „Diese Beschränkung zeigt sich in der Praxis besonders deutlich, wenn ein Richter eine Partei oder einen Zeugen auffordert, doch endlich zur Sache zu kommen, obwohl der so Angeredete meist glaubt, längst bei der Sache zu sein“. Drittens bedeutet das Denken in Ansprüchen und Einreden eine dem individualistischen Rechtsdenken verpflichtete Methode, womit wieder die Brücke zur Privatautonomie geschlagen ist. Für totalitäre Systeme wie den Nationalsozialismus war dieses Denken inakzeptabel, da die komplette

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Indienststellung des Privatrechts unter die Belange der „Volksgemeinschaft“ die Durchsetzung subjektiver Privatrechte – mit dem Hauptfall des Anspruchs – zum bloßen Rechtsreflex verkümmerte. Gegen das stattdessen propagierte „institutionelle Rechtsdenken“ der Nationalsozialisten als einer angeblichen „Rechtsordnung des Miteinanders“ anstelle der Betonung des Gegeneinanders im Recht hat Dieter Medicus das Denken in Ansprüchen in einem groß angelegten Vortrag mit dem Titel „Anspruch und Einrede als Rückgrat einer zivilistischen Lehrmethode“ im 174. Band des AcP verteidigt.22 Kennzeichen jeglichen totalitären Rechtsverständnisses ist das Leugnen von offen auf der Hand liegender Interessengegensätze der Parteien und der damit einher gehenden Annahme, die Interessen der Parteien deckten sich mit denjenigen des Staates. Privatrecht verkümmert dadurch zur staatlich zugeteilten Wohltat, der aber kein durchsetzbarer privatrechtlicher Anspruch des Beglückten entspricht. Demgegenüber geht das individualistische Denken in Ansprüchen denknotwendig von der Trennbarkeit und Unterscheidbarkeit von privatem und öffentlichem Interesse aus und ist damit Ausdruck eines demokratischen Rechtsverständnisses. Viertens hat Dieter Medicus mit dem klagbaren Erfüllungsanspruch ein regelungstechnisches Herzstück des BGB als Teil nationaler Zivilrechtskultur rechtsdogmatisch entfaltet. Über seine Gefährdung durch das im Zusammenhang mit der Europäisierung des Privatrechts vorgeschlagene Rechtsbehelfsmodell des in vielem unsäglichen DCFR (Draft Common Frame of Reference, veröffentlicht 2008) kann hier nicht näher berichtet werden.23 Bei der Einschränkung des Erfüllungsanspruches mit der Unterscheidung zwischen den unklagbaren primary rights und den im Entstehungstatbestand an zusätzliche Voraussetzungen geknüpften remedies (Artikel III.-3:101 ff.) handelt es sich um längst überwunden geglaubte Relikte aus der Rechtsgeschichte und um einen Rückschritt gegenüber dem geltenden deutschen Recht.24 4. Deutsches und Europäisches Damit ist der Punkt berührt, der einen abschließenden Blick auf die europäische Perspektive dieses großen Rechtsdenkers gestatten soll. Dieter Medicus hat sich im Zusammenhang der Schuldrechtsreform mehrfach mit 22 Medicus, Anspruch und Einrede als Rückgrat einer zivilistischen Lehrmethode, AcP 174 (1974), 313, 322 ff. 23 Beifallswert Weller, Die Struktur des Erfüllungsanspruchs im BGB, common law und DCFR – ein kritischer Vergleich, JZ 2008, 764–773 mit vielen Nachweisen; zur Kritik insgesamt Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, 529–550. 24 So in anderem Zusammenhang Medicus, Voraussetzungen einer Haftung für Vertragsverletzung, in: Basedow (Hrsg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht (2000), S. 179, 190.

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Fragen der europäischen Privatrechtsvereinheitlichung befasst. Kühl und abgewogen ist seine Stellungnahme zum Verhältnis von nationalem deutschen zum europäischen Recht ausgefallen. Die von ihm anhand der Landound der Unidroit-Prinzipien geprüften Möglichkeiten zu einer Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der EG beurteilt er nüchtern nach ihren praktischen Vorteilen.25 Derartige Vorteile vermag er nur bei Geschäften mit Auslandsberührung zu sehen. Dagegen sei es für Inlandsgeschäfte nicht einzusehen, „warum man eine qualitativ schlechtere Regelung vorziehen soll, obwohl dort die Einheitlichkeit praktisch keine Rolle spielt“. Man solle nationale Besonderheiten als Bestandteil der europäischen Rechtskultur nicht „auf dem Altar der Einheitlichkeit opfern, soweit das nicht durch Gesichtspunkte der Verkehrserleichterung oder der sachlichen Richtigkeit gefordert wird“. Diese Absage an eine Rechtsvereinheitlichung als Selbstzweck ist ein Bekenntnis „zum besseren Recht“. Dabei scheint es gleichgültig, ob dieses Recht aus der Rechtsvergleichung, der Rechtsgeschichte oder durch dogmatische Anstrengung als eigenständig erdachtes „starkes Argument“ gewonnen wird.

VI. Schluss Ich bin am Ende meines Vortrags angekommen. Dieter Medicus ist als Meister der Klarheit für mich und viele andere ein unerreichbares Vorbild geblieben. Seine sprichwörtliche Bescheidenheit, seine Fürsorglichkeit gegenüber seinen Mitarbeitern und seine fördernde Nachsicht mit den Studierenden sind schon des Öfteren hervorgehoben worden, ohne dass seine weiteren angenehmen menschlichen Seiten auch nur andeutungsweise in diesem Vortrag ausgeschöpft werden konnten. In der Beschreibung des Menschen, Forschers und Lehrers bekenne ich mich gerne zu meiner Voreingenommenheit und bitte mir das nachzusehen. Dieter Medicus darf mit Fug und Recht als Lehrer und Gestalter des Zivilrechts im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden.

Anhang Hauptwerke von Dieter Medicus – Bürgerliches Recht. Eine nach Anspruchsgrundlagen geordnete Darstellung zur Examensvorbereitung (21. Aufl. 2007); ab der 22. Aufl. 2009 zusammen mit Petersen

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Medicus (Fn. 24), S. 179, 180, 191 ff.

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– Allgemeiner Teil des BGB (9. Aufl. 2006) – Schuldrecht I. Allgemeiner Teil (17. Aufl. 2006); ab der 18. Aufl. 2008 zusammen mit St. Lorenz – Schuldrecht II. Besonderer Teil (14. Aufl. 2007) – Grundwissen zum Bürgerlichen Recht. Ein Basisbuch zu den Anspruchsgrundlagen (8. Aufl. 2008) – Gesetzliche Schuldverhältnisse (5. Aufl. 2007) – Zur Geschichte des Senatus Consultum Velleianum (1957) – Id quod interest. Studien zum römischen Recht des Schadensersatzes (1962)

Ulrich Huber * Johannes Wertenbruch Herr Huber wurde 1936 in Kiel als zweites von fünf Kindern der Eheleute Prof. Dr. iur. Ernst Rudolf Huber, damals Ordinarius für Öffentliches Recht in Kiel, zuletzt emeritierter Professor der Georg-August-Universität Göttingen, und Dr. iur. Tula Huber-Simons, zuletzt Rechtsanwältin in Freiburg/ Breisgau, geboren. Die Familie zog – den Berufungen des Vaters folgend – 1937 nach Leipzig und 1941 nach Straßburg um. Dort besuchte Ulrich Huber von 1942 bis 1944 die Volksschule. 1944 erzwang der Krieg die Flucht nach Falkau im Schwarzwald. Die Familie siedelte 1949 nach Freiburg/Breisgau um, wo die Mutter 1947 in die bekannte Anwaltskanzlei von Dr. Maria Plum und Dr. Karola Fettweis eingetreten war. Von 1946 bis zum Abitur (1954) besuchte Ulrich Huber das Humanistische Gymnasium des Landschulheims Birklehof in Hinterzarten/Schwarzwald. Von 1954 bis 1957 folgte das Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg/Breisgau (SS 1954–SS 1955), München (WS 1955/56 und SS 1956) und Heidelberg (WS 1956/57 und SS 1957). Der Vortrag über Ulrich Huber im Rahmen der Vortragsreihe „Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ bietet Anlass zu einer wissenschaftlichen Zwischenbilanz. Auch die wissenschaftliche Bilanz hat eine Aktiv- und eine Passivseite; ich weiche aber von den Bilanzregelungen des Handelsgesetzbuches gelegentlich ab, weil sonst der Goodwill der hinter den wissenschaftlichen Leistungen stehenden Person Ulrich Huber nicht angemessen gewürdigt werden kann. Auf der Passivseite der Bilanz finden wir unter der Rubrik Eigenkapital/ gezeichnetes Kapital zwei Wertpapiere, ausgestellt vom Präsidenten des Baden-Württembergischen Justizprüfungsamtes, nämlich das mit „sehr gut“ bestandene Erste Juristische Staatsexamen und das mit „gut“ bestandene Zweite Staatsexamen. Diese Abschlüsse bildeten das geistige Startkapital für die rechtswissenschaftlichen Forschungsarbeiten. Die auch für wissenschaftliche Arbeiten erforderlichen Kenntnisse der Anwalts- und Gerichtspraxis hatte Herr Huber nicht erst als Referendar, sondern bereits durch regelmäßige Einsätze als studentischer Ferienarbeiter in der bereits erwähnten, von seiner Mutter Tula Huber-Simons sowie Maria Plum und Karola Fettweis geführten

* Vortrag am 23. Januar 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin.

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Anwaltskanzlei gesammelt. Als er beim ersten Einsatz in den Ferien nach dem 3. Semester beim Entwurf einer Klageschrift für die klagende GmbH deren Geschäftsführer als Zeugen benannte, musste er sich bei Maria Plum sofort eine sog. „Zigarre“ abholen. Sie sagte zu ihm: „Darauf, dass der Geschäftsführer der GmbH nicht als Zeuge, sondern als Partei vernommen werden muss, hättest du auch selbst kommen können.“ Wir können jetzt die Passivseite der Bilanz verlassen und uns der Aktivseite zuwenden. Denn zum Bilanzposten Verbindlichkeiten ist nur zu sagen, dass Manuskriptlieferungen an die Verlage bislang immer ohne Verzug erfolgt sind. Auf der Aktivseite der Bilanz ist unter „I.“ die bei Rolf Serick in Heidelberg entstandene Dissertation zum Thema „Die Sicherungsgrundschuld“ zu nennen. Das schwierigste an einer Dissertation ist nicht selten das Finden eines geeigneten Themas. Zu Beginn seiner Hilfskrafttätigkeit bei Rolf Serick hatte Herr Huber als Rechtsreferendar des Landgerichts Heidelberg eine Zivilrechtsklausur mit dem Schwerpunkt „Grundschuld“ in der Referendararbeitsgemeinschaft nicht mitgeschrieben; er war aber in der Besprechung gewesen. Da die Mitarbeiter Sericks jederzeitigen Zugriff auf dessen Handbibliothek hatten, ergaben sich beim Herausholen von Büchern häufig Gespräche. Bei einem solchen Anlass berichtete Herr Huber seinem Lehrer Rolf Serick über die Referendarklausur und die nach seiner Ansicht unzutreffende Rechtsprechung des Reichsgerichts zu Einwendungen des Grundstückseigentümers gegenüber dem Zessionar einer Sicherungsgrundschuld. Die Diskussion wurde später fortgesetzt, und schließlich bat Serick Herrn Huber, eine kleine schriftliche Ausarbeitung anzufertigen, um die Überlegungen und Ergebnisse festzuhalten. Daraus ist später die Dissertation zur Sicherungsgrundschuld entstanden. Die von Herrn Huber und einem Teil der Literatur gegen die Rechtsprechung des Reichsgerichts vertretene Auffassung wurde nicht nur von Rolf Serick, sondern im Jahre 1972 auch vom Bundesgerichtshof in BGHZ 59, 1 übernommen. Den BGH-Fall hatte im Instanzenzug schon das Landgericht gegen das Reichsgericht entschieden; es war das Landgericht Heidelberg. Es entspricht nunmehr der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre, dass Zahlungen des Sicherungsgebers und des persönlichen Schuldners an den Zedenten der Grundschuld nach der Abtretung dem Zessionar grundsätzlich nicht schaden. Es schadet nur die Kenntnis der Nichtvalutierung zum Zeitpunkt der Abtretung der Grundschuld. Bevor ich über den gewichtigen Aktivposten „Habilitation“ berichte, muss ich zwei Sonderkonten hervorheben. Das erste Sonderkonto ist eine Position, die in einer Personengesellschaft unter der Bezeichnung „Gesellschafter-Privatkonto“ geführt wird; man könnte es hier auch Familienkonto nennen. 1961 heiratete Herr Huber Dr. phil. Erika Heimpel, und zwischen 1962 und 1967 wurden die Kinder Johanna, Berthold, Katharina und Franziska geboren. Der Wert dieses Familienkontos einschließlich einer zweistel-

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ligen Anzahl Enkelkinder und vielfältiger stiller Reserven muss nicht besonders erläutert werden. Das zweite Sonderkonto ist ein Konto zugunsten Dritter, nämlich zugunsten von Rolf Serick. Während der Assistentenzeit bei Serick in Heidelberg entstand nicht nur die Habilitationsschrift Ulrich Hubers, auf die ich später noch eingehen werde, sondern auch die Bände I, II und III von Sericks monumentalem Gesamtwerk „Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung“. Den Wert der Beteiligung von Ulrich Huber an den Arbeiten von Rolf Serick konnte niemand besser bewerten als Serick selbst. Ich verweise insoweit auf Sericks Vorwort zu Band I, wo es heißt: „Mein Assistent, Herr Assessor Ulrich Huber, hat mir in vielen Gesprächen und durch kritische Einwände geholfen, formale und inhaltliche Probleme zu klären. Für seine unermüdliche Mitarbeit bis zur vorliegenden Fassung des Buches bin ich ihm dankbar verbunden.“ Ähnliche Dankesworte finden sich in den Vorwörtern der Bände II und III. Die Habilitationsschrift zum Thema „Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts“ war im Jahre 1968 fertiggestellt. Die Ausführungen zur Dogmatik des Gesellschaftsanteils und insbesondere zum Kapitalanteil des Gesellschafters sind nach wie vor grundlegend und richtungsweisend. Dies gilt vor allem für die Unterscheidung zwischen Beteiligungskonten und Forderungskonten, die auch als Privat- oder Darlehenskonten bezeichnet werden. Hier ist insbesondere die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs den Einteilungskriterien von Herrn Huber gefolgt. Ein Richter des Bundesfinanzhofs bemerkte einmal dazu, dass man Herrn Huber auch deshalb glaube, weil er bei seinen Ausführungen als Zivil- und Gesellschaftsrechtler keine steuerrechtlichen Hintergedanken verfolgt habe. Schlägt man zur Frage der Gesellschafterkonten einen Kommentar, ein Lehrbuch oder ein Handbuch auf, so stößt man nach wie vor in den Fußnoten an erster Stelle auf Hubers Habilitationsschrift und/oder einen nachfolgenden ausführlichen Aufsatz in der Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (ZGR 1988, 1). Zum Habilitationsverfahren gehörte auch in Heidelberg ein Vortrag vor der Fakultät mit anschließendem Kolloquium. Der Vortrag von Herrn Huber sollte der letzte Tagesordnungspunkt einer Fakultätssitzung im Februar 1968 sein. Schon die Jahreszahl lässt erahnen, dass vorher schwierige und zeitaufwendige Themen in der Fakultätssitzung zu behandeln waren. Der für 17 Uhr geladene Assistent Dr. Ulrich Huber wurde daher von Hans Schneider, Professor für Öffentliches Recht, erst einmal in Schneiders Dienstzimmer gebracht. Nachdem Herr Huber dort Platz genommen hatte, holte Schneider eine Flasche Bénédictine, also Benediktiner Kräuterlikör, hervor und gab sie Herrn Huber mit der Dosierungsanleitung: „Nicht zu viel und nicht zu wenig.“ Als Ulrich Huber dann nach einer längeren Wartezeit gerufen wurde, war Hans Schneider offenbar nicht sicher, ob Herr Huber jetzt cool

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

genug war. Denn er gab ihm noch die Bemerkung mit auf den Weg: „Sie müssen sich nur vorstellen, dass die Professoren da drin alles Kohlköppe sind.“ Nach dem Vortrag zum Thema „Typenzwang, Vertragsfreiheit und Gesetzesumgehung“ und dem anschließenden Kolloquium war die Habilitation formell vollzogen. Bevor ich in unserer Bilanz auf zwei weitere Forschungsschwergewichte eingehe, möchte ich mich der Bilanzposition „Umlaufvermögen“ zuwenden. Das Umlaufvermögen der Professoren sind die Studierenden. Die Studierenden hatten in Herrn Hubers Vorlesungen ebenso wie in Prüfungen das Gefühl, als Gast freundlich und fair behandelt zu werden. Mitprägend für diese Einstellung war vielleicht auch die Lehrstuhlvertretung an der Freien Universität Berlin im Sommersemester 1969. Herr Huber vertrat den Lehrstuhl des Versicherungsrechtlers Karl Sieg, der sich in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsfreisemester befand. Nachdem ein Professor der juristischen Fakultät mit Tomaten und Eiern beworfen worden war, beschloss die Fakultät, die Vorlesungen bis zum Ende des Semesters komplett ausfallen zu lassen. Auf Intervention der Fachschaft, die die Maßnahme für unverhältnismäßig hielt, wurden von Professor Bettermann über den Berliner Justizsenator für das Gebäude Van’t-Hoff-Straße 8 Polizeischutz und polizeiliche Einlasskontrollen erwirkt, weil nach den Darlegungen der Fachschaft die Übeltäter nicht dem juristischen Fachbereich angehörten. So erhielt auch Herr Huber einen Ausweis, und zwar mit dem Vermerk „Privatdozent Dr. Ulrich Huber ist berechtigt, das Gebäude Van’tHoff-Straße 8 zu betreten.“ Die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Kontrollen war in der Berliner Fakultät nicht unumstritten. Deshalb wurde zu einer Fakultätssitzung neben dem Lehrstuhlvertreter auch der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Karl Werner geladen, der zugleich Honorarprofessor der Freien Universität war. Zur Rechtmäßigkeit der Maßnahme sagte Herr Werner: „1. Für eine Klage gegen die Fakultät ist das Verwaltungsgericht Berlin I zuständig. 2. Wie das Verwaltungsgericht Berlin I über eine Klage entscheiden würde, weiß niemand.“ Damit waren die rechtlichen Bedenken der Fakultät ausgeräumt. Das Problem für Herrn Huber bestand aber nun darin, dass in seiner gut gefüllten Wertpapierrechtsvorlesung recht viele Studierende der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät saßen, die keinen Einlassausweis hatten und einen solchen auch nicht bekommen konnten. Sie fragten Herrn Huber, ob irgendetwas zu machen sei. Herr Huber bat sie, zur Vorlesung, die um 11 Uhr c. t. begann, schon um 11 Uhr oder, noch besser, vor 11 Uhr am Eingang des Gebäudes Van’t-Hoff-Straße 8 zu warten; er werde da sein. Als die ersten Studierenden kamen, sagte Herr Huber zu den Polizisten, er habe heute den einen oder anderen Gast, der sich gerne mal die Vorlesung anhören würde, aber keinen Ausweis habe. Die Polizisten ließen mit sich reden und zählten circa 40 Gäste für die Wertpapierrechtsvorlesung. Da die polizeiliche Ein-

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lasskontrolle das ganze Semester über praktiziert wurde, empfing Herr Huber bis zur letzten Vorlesung seine Gäste am Eingang des Gebäudes. Die nächste Bilanzposition betrifft das Kartellrecht. Zu erwähnen sind hier die umfangreiche, gemeinsam mit Theodor Baums verfasste Kommentierung des § 1 GWB im Frankfurter Kommentar und die Monografie zu Gemeinschaftsunternehmen im Deutschen und Europäischen Kartellrecht, für die Herr Huber den deutschen Teil und Bodo Börner den europarechtlichen Teil verfasst hat. Von Benisch war vorher die Unterscheidung zwischen kooperativen und konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen vertreten worden. Herr Huber hat herausgearbeitet, dass in der Praxis die Mischformen, d.h. die konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen mit kooperativen Elementen und die überwiegend kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, problematisch sind. Die von Herrn Huber vertretenen Einteilungskriterien und Rechtsfolgen sind von der EU-Kommission für die Kartellrechtspraxis übernommen worden, und sie sind jetzt auch kodifiziert in Art. 2 und Art. 3 der EU-Fusionskontrollverordnung. Das Schwergewicht in unserer Zwischenbilanz bildet ohne Zweifel das Schuldrecht mit dem im Auftrag des Bundesjustizministers erstellten Gutachten zur Überarbeitung des Schuldrechts, der Kaufrechtskommentierung im Kommentar von Soergel und den beiden Bänden zum Leistungsstörungsrecht in der Reihe „Handbuch des Schuldrechts“ des Verlages Mohr-Siebeck. Die Erträge für Wissenschaft und Praxis sind auch hier eindrucksvoll. Der BGH ist bei seinen Entscheidungen zum Kaufrecht zwar nicht immer der von Herrn Huber im Soergel vertretenen Auffassung gefolgt, in den überwiegenden Fällen war es aber so; in den sonstigen Fällen hat sich der BGH jedenfalls eingehend mit der von Herrn Huber vertretenen Auffassung auseinandergesetzt. In den 70er Jahren hat Herr Huber eine Reihe von Aufsätzen zum Einheitskaufrecht, also zum grenzüberschreitenden Warenkauf, veröffentlicht. Gegen Ende der 70er Jahre suchte der Bundesjustizminister für die Gutachten zur Überarbeitung des Schuldrechts einen gerade auch im internationalen Kaufrecht ausgewiesenen Wissenschaftler. Die Wahl fiel auf Herrn Huber. Er schlägt im erstellten Gutachten eine Angleichung des deutschen Kaufrechts an das Recht des grenzüberschreitenden Warenkaufs vor. Mit dem Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung als Primärrechtsbehelf erfolgt dann eine gewisse Verschmelzung des Kaufrechts mit dem allgemeinen Schuldrecht. Dem Erfordernis einer Nachfristsetzung – jetzt §§ 281, 323, früher § 326 BGB – kommt damit eine überragende Bedeutung zu. Der Schuldner erhält mit der Nachfrist eine zweite Chance und hat damit zumindest die Möglichkeit, die „harten“ Rechtsbehelfe Schadensersatz und Rücktritt abzuwenden. Zur Umsetzung der von Herrn Huber unterbreiteten Vorschläge kam es jedoch erst, als der deutsche Gesetzgeber 20 Jahre nach der Veröffentlichung des Gutachtens die EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bis zum 1. Januar 2002

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

in nationales Recht transformieren musste. Ob der deutsche Gesetzgeber innerhalb der ihm von der EU gesetzten Frist als „Paragraphenschuldner“ zwecks Vermeidung von harten Rechtsbehelfen übereilt gehandelt hat, mag dahinstehen. Wir haben nun im Großen und Ganzen für den BGB-Kaufvertrag die Grundprinzipien, die sich im UN-Kaufrecht finden und von Herrn Huber in seinem Gutachten von 1981 vorgeschlagen worden sind. In einem in ZEuP 2008, 708 veröffentlichten Beitrag kritisiert Herr Huber das Kaufrecht des „Draft Common Frame of Reference“ (DCFR) als unausgereift. Die Kritik bezieht sich insbesondere auf den Sachmangelbegriff, die Regelung des Gefahrübergangs und die „ausufernden“ Bestimmungen über die Verbrauchergarantie. Zusammen mit dem Tübinger Kollegen Mathias Habersack hat Herr Huber in Heft 1/2006 des Betriebsberaters und in dem von Marcus Lutter herausgegebenen Werk „Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa“ zwölf Thesen zu einer möglichen Reform des Rechts der kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen formuliert. Diese Thesen richten sich in erster Linie gegen die sehr komplizierte Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH zu den kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen und zur kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung (sog. Rechtsprechungsregeln). Der BGH hat diese Regeln neben den gesetzlichen Vorschriften zu kapitalersetzenden Darlehen (sog. Novellenregeln) angewandt. Für Gesellschafter und sonstige Unternehmensgründer war die Rechtslage in Bezug auf die Gesellschafterdarlehen kompliziert. Eine Rechtsunsicherheit bestand insbesondere in Bezug auf die Frage, ob ein Gesellschafterdarlehen während einer „Krise“ der GmbH gewährt oder ein vor der Krise gewährtes Darlehen nach Eintritt der Krise „stehen gelassen“ worden war. Der BGH hat schließlich die Rechtsprechung zu den kapitalersetzenden Darlehen in gewissem Umfang auf die sog. kapitalersetzende Nutzungsüberlassung erstreckt. Miet- oder Pachtgegenstände, die ein Gesellschafter der GmbH überlassen hatte, sollten danach im Falle eines kapitalersetzenden Charakters vom Insolvenzverwalter bis zum Ende der vereinbarten Vertragsdauer „ohne Entgelt“ genutzt werden können. Huber und Habersack schlugen im Jahre 2006 die „Abschaffung der Rechtsprechungsregeln“ insbesondere deshalb vor, weil sie nicht nur für die beteiligten Kreise schwer verständlich seien, sondern darüber hinaus auf eine Nachschusspflicht hinausliefen, die den Gesellschafter bei der GmbH kraft Gesetzes gerade nicht treffe. An die Stelle der Rechtsprechungsregeln soll nach dem Vorschlag Hubers und Habersacks ein Rangrücktritt für alle Gesellschafterforderungen aus Darlehen treten, und zwar unabhängig davon, ob das Darlehen kapitalersetzend ist. Zugleich soll unabhängig von einem kapitalersetzenden Charakter eine Rückzahlung des Darlehens innerhalb eines Jahres vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter

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unterliegen. Zugleich soll die gesamte Regelung der Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz in die Insolvenzordnung verlagert werden, um sie auf alle Kapitalgesellschaften, die GmbH & Co. KG und insbesondere auch auf Auslandsgesellschaften entsprechender Rechtsform anwenden zu können. Auch im Hinblick auf die kapitalersetzende Nutzungsüberlassung soll nach Auffassung von Ulrich Huber und Mathias Habersack die Rechtsprechung des BGH durch den Gesetzgeber aufgehoben werden. Vorgeschlagen wird insoweit die Abschaffung der vom BGH begründeten Pflicht, dem Insolvenzverwalter den Gegenstand bis zum Ablauf der vertraglichen Miet- oder Pachtzeit unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Eine solche Pflicht sei nicht zu rechtfertigen, weil es sich um eine systemwidrige Fortentwicklung des Kapitalersatzrechts handele, die in Wirklichkeit auch hier eine Nachschusspflicht begründe, die mit den Grundprinzipien des GmbH-Rechts nicht vereinbar sei. Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ist am 1. November 2008 in Kraft getreten. Es handelt sich um die größte GmbH-Reform seit Inkrafttreten des GmbHGesetzes von 1892. Hirte bezeichnet in seinem Aufsatz (NZG 2008, 761) zum Thema „Die große GmbH-Reform“ die Neuregelung des Kapitalersatzrechts als zentralen Baustein des MoMiG, der auf Vorarbeiten von Huber und Habersack zurückgehe. Der Gesetzgeber hat im Wesentlichen mit den §§ 39, 135 InsO die von Huber und Habersack vorgeschlagenen Thesen übernommen. Die Einordnung des Darlehens als „kapitalersetzend“ spielt keine Rolle mehr. Die für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen jeder Art geltende einjährige Anfechtungsfrist ist in der Praxis einfach zu handhaben. Die kapitalersetzende Nutzungsüberlassung gibt es ebenfalls nicht mehr. Der Insolvenzverwalter kann den Miet- oder Pachtgegenstand noch bis zu einem Jahr weiter nutzen; er muss dafür allerdings ein angemessenes Entgelt zahlen. Auch in Bezug auf die von Ulrich Huber mitbeeinflusste Reform des Kapitalersatzrechts wird ein Grundprinzip seiner Arbeitsweise manifestiert: Eine gründliche und tiefschürfende wissenschaftliche Tätigkeit muss zu einem Ertrag führen, der für die im Rechtsverkehr betroffenen Personen verständlich und handhabbar ist. Einen Platz im sog. „Elfenbeinturm“ hat Ulrich Huber nie angestrebt. Zumindest mitursächlich für diese Prägung ist wahrscheinlich die Mitarbeit als Jurastudent in der Freiburger Anwaltskanzlei seiner Mutter Tula Huber-Simons. Auf der Marburger Zivilrechtslehrertagung im September 2009 hat Herr Huber einen Vortrag zum Thema „Schadensersatz statt der Leistung“ gehalten, dessen schriftliche Fassung mit den anderen Tagungsbeiträgen in einem AcP-Sonderheft veröffentlicht wird. Zur Gewährleistung beim Unternehmenskauf nach neuem Schuldrecht hatte Herr Huber bereits auf der Zivilrechtslehrertagung 2001 in Trier referiert (AcP 202 [2002], 179).

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Schließen möchte ich meine Bilanz mit einigen immateriellen Werten und Erträgen. In den von Herrn Hubers langjähriger Bonner Sekretärin, Frau Hermeling, geführten Terminkalender wurde in regelmäßigen Abständen der abendliche Termin „Runde“ eingetragen. Es handelt sich um eine seit mehr als 20 Jahren aus Professoren verschiedener Bonner Fachbereiche bestehende private Vortrags- und Diskussionsrunde. Wenn man als Lehrstuhlmitarbeiter für ein Manuskript, an dem Herr Huber arbeitete, das eine oder andere Buch besorgt und vielleicht auch über das Thema des Vortrages diskutiert hatte, wurde die Frage, wo denn der „Aufsatz“ veröffentlicht werde, nicht selten wie folgt beantwortet: „Das wird wahrscheinlich gar nicht veröffentlicht, das ist für meine Runde.“ Der auf einen Vortrag in dieser Runde zurückgehende Beitrag zur Auslegung der Gesetze bei Savigny ist dann aber doch in JZ 2003, 1 veröffentlicht worden. Dass Herr Huber einen großen Teil seiner Kindheit in Falkau und Hinterzarten im Hochschwarzwald verbracht hat, ist vielleicht mitausschlaggebend dafür, dass die Vorliebe für Skiabfahrten und anspruchsvolle Bergtouren auch durch ein erfolgreich verlaufenes Luftrettungsmanöver der österreichischen Bergrettung nicht getrübt wurde.

Claus-Wilhelm Canaris – der „Entdecker“ * Reinhard Singer I.

Erbe und Entdecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Feststellung von Lücken im Gesetz . . . . . . . . . . . 2. Gleichheitssatz und Grundrechtswirkungen im Privatrecht 3. Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht . . . . . . II. Mensch und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Besonderen zum Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . 2. Liberaler Geist und soziales Gewissen . . . . . . . . . . . . 3. „Kampf ums Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtstheorie und -philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Diskurs und Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Karriere und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Erbe und Entdecker Claus-Wilhelm Canaris wurde am 1. Juli 1937 im schlesischen Liegnitz geboren 1 und hat das erste Schuljahr in Königsberg verbracht, danach die Schule im oberbayerischen Miesbach besucht und später das Gymnasium in Düsseldorf, wo er schließlich 1957 das Abitur ablegte. Anschließend hat er Rechtswissenschaften, Philosophie und Germanistik in Paris, Genf und München studiert. Er hat beide juristische Staatsexamina in München abgelegt und wurde schon nach dem ersten Examen wissenschaftlicher Assistent

* Vortrag am 30. Januar 2009 – Humboldt-Universität zu Berlin. Einzelne Abschnitte entsprechen dem Text der Laudatio, die von den Herausgebern der Festschrift für ClausWilhelm Canaris (2007) diesem gewidmet wurde und in Band 1 dieser Festschrift abgedruckt ist (S. VII). 1 Über das Leben und wissenschaftliche Werk von Claus-Wilhelm Canaris informieren die Laudationes von Diederichsen, Einführung zum Symposion anlässlich des 60. Geburtstags von Claus-Wilhelm Canaris, in: Koller u.a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im Juristischen Denken (1998), S. 1–5, und Wünsch, Grazer Universitätsreden 50 (1993), S. 7–19. S. ferner die Anzeige zum 70. Geburtstag NJW 2007, 2025 sowie die biographischen Angaben auf der Internetseite: http://www.jura.uni-muenchen.de/personen/ canaris_claus_wilhel/vita_cwc/index.html (zuletzt abgerufen am 23.6.2010).

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bei Karl Larenz, dem seine herausragende Begabung im methodenrechtlichen Seminar aufgefallen war. Von Karl Larenz „erbte“ er das rechtstheoretische und methodologische Fundament seines Rechtsdenkens, und so war es nur folgerichtig, dass Canaris bald zu den vier namentlich hervorgehobenen „Gesprächspartnern“ gehörte, denen Larenz später sein Lehrbuch über die „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ ausdrücklich gewidmet hatte, neben Joachim Hruschka, Detlef Leenen und Jürgen Prölss. 1. Die Feststellung von Lücken im Gesetz Eine erste Frucht dieser Gespräche über grundlegende Fragen der Rechtstheorie, der Methode der Auslegung der Gesetze und der Rechtsfortbildung stellt die Dissertation über „Die Feststellung von Lücken im Gesetz“ 2 dar. Für einen damals gerade mal 26-jährigen Juristen handelt es sich um eine ungewöhnlich reife Arbeit, sicher und selbstbewusst im Urteil und von einer beeindruckenden Kraft zur Systembildung. Es ist eine Arbeit, die – wäre sie nicht als Dissertation konzipiert – auch (heute noch) als Lehrbuch zur Methodenlehre verwendet werden könnte und die Methodenlehre seines Lehrers gewiss in einem Punkt überträfe: in der Intensität und Präzision der Argumente. Die wichtigste „Entdeckung“ 3 von Claus-Wilhelm Canaris hat bis heute Gültigkeit, nämlich dass die Grundsätze der Feststellung von Lücken weitgehend auch deren Ausfüllung präjudizieren. Als Lücke definiert Canaris eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung. Da auch die übergesetzlichen allgemeinen Rechtsprinzipien als Bestandteile der Rechtsordnung anzusehen sind, erschließt sich Canaris ein reiches Arsenal an Argumenten, um Lücken aufzuspüren und lege artis zu schließen. Eine immense Bedeutung kommt dabei dem Gleichheitssatz zu, dessen Geltung Canaris aus der Rechtsidee ableitet und der als Maßstab dafür dienen soll, ob eine Norm des positiven Rechts analog anzuwenden ist oder nicht. Gleichheit als Kernelement der Gerechtigkeit – auf dieses Grundprinzip und seine Wurzeln in der aristotelischen Philosophie 4 kommt Canaris immer wieder zurück.5

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Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (1. Aufl. 1964, 2. Aufl. 1983). Zur begrifflichen Möglichkeit und Sinnhaftigkeit „juristischer Entdeckungen“ vgl. Dölle, Juristische Entdeckungen, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 42. DJT (1958), Band II, B 1–B 22.; er versteht darunter einen „schöpferischen Erkenntnisakt“, dem ein gewisses Maß an Spontanität und Wirkung eigen sei (B 3). 4 Aristoteles, Nikomachische Ethik (auf der Grundlage der Übersetzung von Eugen Rolfes, herausgegeben von Günther Bien, 4. Aufl. 1985), 5. Buch Rn. 1130b ff.; s. ferner etwa Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie (2. Aufl. 1959), S. 24: „Kern der Gerechtigkeit ist der Gedanke der Gleichheit“. 5 Canaris (Fn. 2), S. 57 und unten im Text unter I.2. 3

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Lassen wir Canaris einmal selbst zu Wort kommen, wie er die Zentralthese seiner Arbeit begründet.6 Ausgehend von einem konkreten Fall – das ist ganz typisch für seine Methode 7 – schildert er zunächst das Versagen des geltenden Rechts: „Ein Autofahrer fährt unter Beachtung aller Verkehrsregeln eine Straße entlang, als plötzlich aus einem Torweg ein spielendes Kind (unter 7 Jahren) 8 herausläuft. Um es nicht zu überfahren, reißt der Fahrer seinen Wagen scharf nach links und gerät dadurch auf einen Acker“. Wenn den Eltern nicht eine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorgeworfen werden kann, scheint es keine Ansprüche zu geben. Ansprüche aus unerlaubter Handlung scheiden aus, auch solche aus Geschäftsführung ohne Auftrag.9 „Soll nun aber dem Fahrer ein Ersatzanspruch verwehrt bleiben?“, fragt Canaris und appelliert zunächst an das Rechtsgefühl. Dann fährt er mit der Analyse fort: „Das Charakteristikum des Problems liegt nun darin, dass der Fahrer zwischen der Verletzung eines fremden höherwertigen und eines eigenen geringwertigeren Rechtsgutes zu wählen hat, und dass die Rechtsordnung ihn verpflichtet, sich für die zweite Möglichkeit zu entscheiden. Das aber ist der typische Fall einer Aufopferungslage: der Autofahrer musste seinen Wagen opfern, um das Kind zu retten. Es fragt sich nun weiter, ob das geltende Zivilrecht einen Aufopferungsanspruch kennt. Die einzige Vorschrift, die hier in Betracht kommen könnte, ist § 904 Satz 2 BGB. Sie ist zweifellos nicht unmittelbar einschlägig, doch bietet sich eine Analogie an: hier wie dort ist der Eigentümer rechtlich verpflichtet, einen Schaden hinzunehmen; hier wie dort geschieht dies zur Rettung eines höherrangigen Rechtsgutes; hier wie dort ist es daher naheliegend, zum Ausgleich für dieses Sonderopfer einen Ersatzanspruch zu gewähren. Ist also das Fehlen einer ausdrücklichen Anspruchsnorm eine Lücke? Bejaht man die Analogie zu § 904 Satz 2, so ist dies in der Tat der Fall, da dann der Nachweis der Planwidrigkeit gelungen ist. Jedoch lassen sich auch beträchtliche Unterschiede zwischen § 904 Satz 2 und dem vorliegenden Fall nicht leugnen …“. Das maßgebliche Gegenargument sieht Canaris schließlich in folgendem Einwand: „§ 904 Satz 2 ist nur im Zusammenhang mit § 228 BGB verständlich, und daher setzt er voraus, dass in die Rechtsgüter eines Unbeteiligten eingegriffen wird und die Gefahr nicht gerade von der beschädigten Sache selbst ausgeht. Letzteres aber ist hier der Fall, und dies dürfte in der Tat entscheidend gegen die Analogie zu § 904 sprechen“ 10.

Was folgt daraus für Canaris? Um eine Lücke festzustellen, genügt ihm nicht das psychologisch empfundene Defizit, dass ein Ersatzanspruch im gel-

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Canaris (Fn. 2), S. 74 f. Vgl. näher unten im Text III. 8 Nach der Reform des § 828 BGB sind nunmehr Kinder bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres nicht verantwortlich für Unfälle mit Kraftfahrzeugen. 9 Zu den denkbaren Ansprüchen vgl. die detaillierte Erörterung von Canaris, Notstand und Selbstaufopferung im Straßenverkehr, JZ 1963, 659–662. 10 Gegen die Analogie zu § 904 S. 2 BGB spricht wohl auch, dass ein Ausgleichsanspruch die Haftungsprivilegien des § 828 Abs. 2 und 3 BGB entwerten würde. 7

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tenden Recht fehlt. Entscheidend sind für ihn vielmehr die objektive Rechtsordnung, der Gleichheitssatz und das Ähnlichkeitsurteil. Bejahe man die Ähnlichkeit, liege eine Lücke vor, verneine man sie, so könne allenfalls ein rechtspolitischer Fehler vorliegen. Der Ähnlichkeitsschluss entscheide somit über die Abgrenzung zwischen Fehler und Lücke, und deshalb ist die Analogie für Canaris ein Verfahren zur Feststellung von Lücken, nicht nur ein Instrument zur Lückenschließung – wie bisher angenommen wurde. Das ist so eingängig und eindringlich dargelegt, dass man sich der Argumentation kaum verschließen kann. 2. Gleichheitssatz und Grundrechtswirkungen im Privatrecht Angesichts der zentralen Bedeutung des Gleichheitssatzes für die Lückenfeststellung bekommt man eine Ahnung, welche Wurzeln spätere Arbeiten haben, etwa die Studie über „Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz“, die Canaris aus seinem Habilitationsvortrag vor der Münchener Juristenfakultät entwickelt hat.11 Es spricht für die herausragende Bedeutung der Werke, dass sowohl die Lückenfeststellung als auch das Systemdenken 1983 in 2. Auflage erschienen sind. Die Beschäftigung mit dem Gleichheitssatz ist womöglich auch eine Wurzel für die Arbeiten über die Wirkungen der Grundrechte im Privatrecht, die Canaris in mehreren Vorträgen, u.a. auf der Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung 1983 12 und vor der Berliner Juristischen Gesellschaft 1998 13, entfaltet hat. Die wegweisende Erkenntnis besteht hier allerdings in einer anderen „Entdeckung“. Da die Grundrechte nach Wortlaut, Systematik, Geschichte und teleologischer Funktion nun einmal die „staatliche Gewalt“ (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) bzw. „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung“ (Art. 1 Abs. 3 GG) binden, also sich an den Staat und nicht an die Privatpersonen richten, folgt daraus geradezu zwingend, dass die tradierten Lehren von der unmittelbaren und mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht mit grundlegenden Rechtsnormen in Widerspruch geraten. Natürlich gelten die Grundrechte für die Rechtsnormen des Privatrechts – und zwar unmittelbar –, hingegen gelten sie eben nicht für Akte von Privatpersonen, weder unmittelbar noch mittelbar. Wie aber ist die wertungsmäßig durchaus einleuchtende Berücksichtigung grundrechtlicher Wertungen im Privatrecht zu erklären, also etwa der Vorrang der Meinungsäußerungsfreiheit beim Aufruf des Senatsdirektors Lüth

11 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (1. Aufl. 1969, 2. Aufl. 1983). 12 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), 201–246. 13 Canaris, Grundrechte und Privatrecht. Eine Zwischenbilanz (1999).

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zum Boykott eines neuen Films des Nazi-Regisseurs Veit Harlan 14 oder der Schutz der Selbstbestimmung vor unangemessen belastenden Verträgen, die der unterlegenen Partei von ihrem Partner in Konstellationen wie dem Handelsvertreter- oder Bürgschaftsfall aufoktroyiert wurden? 15 Canaris findet eine überzeugende Erklärung in der konsequenten Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG: Natürlich müssen die Urteile der Gerichte – unzweifelhaft Akte der Staatsgewalt – an den Grundrechten gemessen werden, so dass das vom Landgericht Hamburg ausgesprochene Verbot des Boykotts im Fall Lüth durchaus als Eingriff zu werten ist,16 der dem strengen Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips standhalten muss. Falls das Gericht den Boykottaufruf aber nicht untersagt hätte, stellte sich die Frage nach der Bedeutung der Grundrechte aus einer anderen Perspektive, nämlich ob die staatlichen Organe – Richter wie Gesetzgeber – verpflichtet sind, zum Schutze der Grundrechte einzugreifen. Die wegweisende „Entdeckung“ besteht hier darin, dass sich die Jahre zuvor vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitete Schutzgebotsfunktion der Grundrechte einerseits dazu eignet, auch der privaten Handlungsfreiheit Grenzen zu setzen, andererseits aber die Schwächen der unmittelbaren und mittelbaren Drittwirkung vermeidet.17 Das Gebot, die Grundrechte zu schützen, wendet sich selbstverständlich nur an den Staat, und es setzt voraus, dass ohne staatliche Intervention Grundrechte unangemessen beeinträchtigt werden. Im Fall Lüth wäre dies gewiss nicht der Fall gewesen, wohl aber, wenn ein Boykottaufruf nicht ideellen Zielen dienen würde. Beim Abschluss von Verträgen setzt die Annahme einer grundrechtlichen Schutzpflicht den Nachweis voraus, dass die Funktionsvoraussetzungen der Privatautonomie versagt haben. Das für Eingriffe geltende Übermaßverbot verwandelt sich so aus der Perspektive des staatlichen Unterlassens in ein Untermaßverbot. Dadurch ist – wie unmittelbar einleuchtet – die weiträumige Entfaltung der das Privatrecht konstituierenden Handlungs- und Vertragsfreiheit gesichert. Die Argumentation von Canaris ist später vom Bundesverfassungsgericht in den grundlegenden Urteilen zum Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter und insbesondere zur Bürgschaft vermögensloser Familienangehöriger aufgegriffen worden18 und entspricht heute weitgehend der Rechtspraxis im Zivilrecht.19

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BVerfGE 7, 198–230 („Lüth“). BVerfGE 81, 242–263 („Handelsvertreterentscheidung“); BVerfGE 89, 214–236 („Bürgschaftsentscheidung“). 16 Canaris (Fn. 13), S. 26, 31 f., 37. 17 Canaris (Fn. 13), S. 38 ff. 18 BVerfGE 81, 242, 254 ff. und BVerfGE 89, 214, 229 ff. 19 Vgl. z.B. die Rspr. zur Angemessenheitskontrolle von Eheverträgen bei struktureller Unterlegenheit eines Ehegatten (BVerfG, FamRZ 2001, 343, 346 ff.; BVerfG, NJW 2001, 2248; BGH, FamRZ 2004, 601) oder zu Schutzpflichten des Arbeitgebers bei der Kündi15

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3. Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht Die 1971 erschienene Monographie über die „Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht“ 20 ist aus der Habilitationsschrift über „Die Rechtsscheinhaftung im deutschen Privatrecht“ hervorgegangen, die vor über 41 Jahren im Sommersemester 1967 der Juristischen Fakultät in München vorgelegen hat. Als damals 30-jährigem Wissenschaftler ist Canaris ein wahrhaft „großer Wurf“ geglückt, indem er ein bis heute grundlegendes System der vielfältigen Formen des Vertrauensschutzes entfaltet und es dadurch überhaupt ermöglicht hat, dass dieses Rechtsprinzip bei der Auslegung und Fortbildung des Rechts operabel geworden ist. Es ist sein Verdienst, mit voller Klarheit herausgearbeitet zu haben, dass neben der Haftung aus Vertrag und Delikt noch eine dritte Spur zwischen Vertrag und Delikt bestehen müsse, deren tragender Rechtsgrund das gewährte und in Anspruch genommene Vertrauen verkörpere. Besonders fruchtbar war und ist der Nachweis des Vertrauensprinzips in dem bunten Spektrum an Präjudizien, in denen das unbefriedigende formale Recht unter Rückgriff auf den königlichen Paragraphen § 242 BGB, also unter Berufung auf Treu und Glauben, korrigiert wurde. Gemeint sind die Fälle, in denen jemand nach vielen Jahren die Ungültigkeit eines Rechtsgeschäfts, etwa eines Grundstückskaufvertrages oder einer Bürgschaft, geltend macht und – wenn er damit Erfolg hätte – Investitionen seines Geschäftspartners frustrieren würde, die dieser im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages getätigt hatte.21 Welch ungeheuren Fortschritt bedeutete es, dass statt konturloser Billigkeitsrechtsprechung nach Treu und Glauben plötzlich die Wirksamkeit eines rechtsethischen Prinzips nachgewiesen wurde, das klare Konturen besitzt und bestimmte Regeln entfaltet. Es besteht für mich kein Zweifel, dass die juristische „Entdeckung“ der „Vertrauenshaftung“ und ihrer Gesetzmäßigkeiten auf einer Stufe mit Rudolf von Jherings großer Entdeckung der culpa in contrahendo steht, und es ist gewiss kein Zufall, dass Canaris in einem vor einigen Jahren veröffentlichten Sammelband über „Zivilrechtliche Entdecker“ 22 zu den wenigen zeitgenössigung (BAGE 97, 92, 96 ff.); allg. zur Bedeutung der Grundrechte im Arbeitsrecht vgl. noch Singer, Die Grundrechte im deutschen Arbeitsrecht, in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht (2007), S. 245–264. 20 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971). 21 Vgl. nur RGZ 107, 357–365 („Anzahlungs-Fall“); BGHZ 16, 334–338 („KleinsiedlerFall“) sowie aus neuerer Zeit BGHZ 92, 164–176 („Neue Stadt-Fall“); BHGZ 132, 119, 128 f. („Blankobürgschafts-Fall“). – Zur Fruchtbarkeit des Vertrauensprinzips in diesem Zusammenhang vgl. auch Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (1993), S. 86 ff. 22 Hoeren (Hrsg.), Zivilrechtliche Entdecker 2001 (mit einem lesenswerten Beitrag von Ulrich Florian, dem ein Interview mit Canaris zugrunde liegt, S. 377–408); zu den „juristischen Entdeckungen“, die Hans Dölle 1957 dem 42. Deutschen Juristentag präsentierte, gehörte zwar Jherings culpa in contrahendo, nicht aber das damals in seiner fundamentalen Bedeutung noch gänzlich unentdeckte Vertrauensprinzip; die Existenz vorvertraglicher Pflichten begründete Dölle mit dem „sozialen Kontakt“ der Parteien (Fn. 2), B 1, 9.

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schen Wissenschaftlern gehört, die einen Platz in dieser „Hall of Fame“ einnehmen dürfen. Anerkennung und Berechtigung der Vertrauenshaftung ist bis heute umstritten geblieben. Diese bezieht sich vor allem auf die Begründung von Schutzpflichten mithilfe des Vertrauensgedankens – und hier wiederum insbesondere auf die Legitimation der culpa in contrahendo. Die Kritiker – insbesondere Köndgen 23, von Bar 24 und Picker 25 – glauben, dass Canaris mit einer petitio principii operiere: „Schutzwürdig sei das berechtigte Vertrauen, berechtigt das schutzwürdige Vertrauen“, laute die von Canaris verwendete tautologische Formel.26 Diese Kritik hat Canaris in einem großen Beitrag in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs in der ihm eigenen argumentativen Genauigkeit und Detailliertheit gewürdigt und zurückgewiesen.27 Soweit die Vertrauenshaftung an einen Rechtsschein anknüpfe wie bei den Rechtsscheintatbeständen des Vertretungsrechts oder etwa der Rechtsscheinhaftung des Handelsrechts, gehe es um eine Haftung, die sich mit dem Instrumentarium der Rechtsgeschäftslehre nicht bewältigen lasse, da es sich um deklaratorische Akte handele und nicht um konstitutive Willenserklärungen. Wer erkläre, dass er X bevollmächtigt habe, weise auf ein bereits getätigtes Rechtsgeschäft hin. Er erteile keine Außenvollmacht, sondern bestätige eine erteilte Innenvollmacht. Insofern kommt man in der Tat nicht umhin, das Vertrauen auf diesen Rechtsschein als zentrale Rechtfertigung für die Einstandspflicht des Verantwortlichen anzuerkennen. Diesen Gedanken entfaltet Canaris in einem imponierenden Streifzug durch das Bürgerliche Recht und Handelsrecht, das sich als wahre Fundgrube für Rechtsscheinstatbestände entpuppt: Das Schweigen des Handelsregisters, die Scheingesellschaft, der Scheinkaufmann, die Anscheinsvollmacht, der Einwendungsausschluss im Wertpapierrecht, das Schweigen im Handelsverkehr, insbesondere auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, sind die wichtigsten Beispiele. Der gleiche Gedanke erweist sich beim Vertrauen auf die Gültigkeit unwirksamer Rechtsgeschäfte als fruchtbar, bei der Erwirkung und Verwirkung von Rechten oder bei Instituten wie der Betriebsübung, die sich eben-

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Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag (1981), S. 98 ff. v. Bar, Vertrauenshaftung ohne Vertrauen, ZGR 1983, 476, 499 ff. 25 Picker, Positive Forderungsverletzung und culpa in contrahendo – Zur Problematik der Haftung „zwischen“ Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), 369, 418 ff.; ders., Vertragliche und deliktische Schadenshaftung, JZ 1987, 1041, 1045 f. 26 Leenen, Die Funktionsbedingungen von Verkehrssystemen in der Dogmatik des Privatrechts, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker (1990), S. 108, 113; ähnlich v. Bar, ZGR 1983, 476, 500. 27 Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris u.a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band I. Bürgerliches Recht (2000), S. 129–197. 24

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falls mit den Mitteln der Rechtsgeschäftslehre nicht befriedigend bewältigen lassen. Auch für die Schutzpflichten in contrahendo findet Canaris Anknüpfungspunkte im geltenden Recht, vor allem in den Tatbeständen der Erklärungshaftung (§§ 122, 179 BGB) und in der vereinzelten Ausformung von Schutzpflichten im BGB (§§ 307, 309 a.F.) und in Sondergesetzen (§§ 45 f. BörsG, 20 KAGG, 12 AuslInvestmG, alle a. F.). Angesichts der Fülle an Tatbeständen, die als Belege für die Existenz des Vertrauensprinzips im geltenden Recht dienen und sich praktisch im gesamten Zivilrecht nachweisen lassen, liegt der Einwand nahe, dass dem Prinzip Schärfe und Kennzeichnungskraft eines Leitprinzips mangele. Kritiker halten ihm seine Heterogenität und Ubiquität vor.28 „Darauf ist schlicht zu erwidern“, schreibt Canaris, „dass das der Preis hoher Abstraktion und anspruchsvoller Systembildung ist, wie sie nun einmal zu den Charakteristika – und in gewisser Hinsicht auch zu den spezifischen Vorzügen – deutschen Rechtsdenkens gehören. Demgemäß steht es insoweit z.B. um die Rechtsgeschäftslehre nicht besser; denn auch hier könnte man rügen, dass die Subsumierung von Autokauf und Eheschließung, Forderungszession und Hypothekenbestellung, Auslobung, Kündigung und Testament, Gesellschafterbeschluss und Tarifvertrag usw. unter den einen Oberbegriff des Rechtsgeschäfts ‚allzu Heterogenes umfasst‘ und die dogmatischen Gemeinsamkeiten dieser Rechtsakte gering seien“.29 Dass auf der anderen Seite der Vertrauensgedanke auch im Vertrags- und Deliktsrecht eine Rolle spielt, sei ebenfalls kein durchschlagender Einwand, weil ihm dort allenfalls ergänzende, nicht aber konstitutive und systemprägende Bedeutung zukomme wie bei den Instituten der Vertrauenshaftung.30

II. Mensch und Methode 1. Vom Besonderen zum Allgemeinen Die „Vertrauenshaftung“ ist zugleich Paradigma für Form und Methode seiner wissenschaftlichen Arbeit. Ausgehend von einem disparaten Gewirr von Präjudizien, Rechtssätzen und Topoi gelingt es Canaris mit schöpferischer Intuition, die prägenden Strukturen des Prinzips zu erkennen, diese mosaikartig zu einem Bild zusammenzufügen und in das Rechtssystem mit seinen festen Axiomen widerspruchsfrei einzuordnen. Er beherrscht Poppers Methode der Falsifizierung 31, ist ein Meister des wissenschaftlichen Diskur-

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Vgl. insbesondere Köndgen (Fn. 23), S. 98 und 102; Picker, AcP 183 (1983), 369, 427. Canaris, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000), S. 129, 194. 30 Canaris, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000), S. 129, 193. 31 Vgl. dazu aus rechtstheoretischer Perspektive Canaris’ Beitrag zur „Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien“, JZ 1993, 377–391. 29

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ses und der Rhetorik und mit der besonderen Gabe der Schreibkunst ausgestattet. Einige Kostproben haben Sie schon erhalten. Nachzutragen bleibt das Urteil von Rezensenten. Erwähnung verdient hier insbesondere das schmeichelhafte Urteil von Wilhelm Herschel, der nach der Lektüre der erwähnten Doktorarbeit zur Lückenfeststellung mit Lob nicht gegeizt hat. Der junge Autor – heißt es da – sei in der Lage, „seine Vorstellungen in zuchtvoller Gedankenarbeit zu einem hohen Maß von Klarheit zu entwickeln, so dass sie sich, nach einem Wort Goethes, von selber vortragen“32. Neben der mitreißenden Sprache, der Kreativität und Kraft zur Systembildung ist ein Markenzeichen des Arbeitsstils von Claus-Wilhelm Canaris die strenge Orientierung am praktischen Fall. Es ist kein Zufall, dass die zentrale methodische Entdeckung seiner Dissertation – wonach die Lückenfeststellung die Lückenschließung weitgehend präjudiziere – nicht aus abstrakten Gedanken abgeleitet wird, sondern gleichsam als – verallgemeinerte – Erkenntnis aus der Lösung eines konkreten Falles – dem Ausweichmanöver des Autofahrers.33 Diese induktive Methode 34 ist seine Methode der wissenschaftlichen Arbeit.35 Besonders reich und zugleich beeindruckend ist ihr Ertrag in der Arbeit über die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, in der Canaris mit allen Konventionen gebrochen und den Besonderen Teil dem Allgemeinen Teil vorangestellt hat. Diese Anordnung gehörte – wie er im persönlichen Gespräch verraten hat – zu den wenigen Punkten, in denen zwischen ihm und seinem Lehrer Dissens bestanden hat. Wie wichtig Canaris der einzelne Fall ist, demonstriert nicht nur die ungeheure Vielzahl an Urteilen, die verarbeitet wurden. Canaris gab ihnen stets schlagkräftige Namen – z.B. Absetzgleis-, Weinberg- oder Justizbediensteten-Fall –, so dass diese Fälle wie Bilder vor dem Auge des Lesers erscheinen und hin und her bewegt werden können, bis sich schließlich das Puzzle zusammenfügt zu einem geschlossenen Ganzen: einer Theorie der Vertrauenshaftung. Da es oft Nuancen sind, die über die Aussagekraft des Urteils entscheiden, zitierte Canaris – wenn möglich – die Urteile nach der WM, da diese Zeitschrift den zugrunde liegenden Sachverhalt am Ausführlichsten wiedergibt. Es versteht sich von selbst, dass ihm die Beherrschung der induktiven Methode auch bei seiner beratenden Tätigkeit als Gutachter von Nutzen ist und es beachtliche Synergieeffekte auch in umgekehrter Richtung gibt. Der

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Herschel, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, AuR 1966, 180. Oben im Text unter I 1. 34 So Canaris in der Einleitung seiner „Vertrauenshaftung“ (Fn. 20), S. 4. 35 Vgl. auch Schumann, Eigenständigkeit und Vielfalt der juristischen Hermeneutik, in: Heldrich u. a. (Hrsg.), Festschrift für Canaris zum 70. Geburtstag (2007), Bd. 2, S. 1367, 1400: „Juristische Methodenlehre lebt vom Fall. Nirgends deutlicher als in den Veröffentlichungen von Canaris kann man dies sehen“. 33

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Autor des Bankvertragsrechts, von Lehrbüchern zum Handels- und Wertpapierrecht und Verfasser zahlreicher wirtschaftsrechtlicher Beiträge ist seit langem als Berater, Gutachter und Schiedsrichter äußerst gefragt. Gegenwärtig ist er an dem spektakulären Toll Collect Großverfahren als einer von drei Schiedsrichtern beteiligt. 2. Liberaler Geist und soziales Gewissen Die Vertrauenshaftung ist nicht nur eine methodische und dogmatische Schatztruhe, sondern eröffnet auch tiefe Einblicke in den Charakter des Jubilars. Ich werde ja oft gefragt, wie Canaris so ist – als Mensch –, und verblüffe gelegentlich die Gesprächspartner mit meiner Beschreibung und meinen Eindrücken. Deshalb möchte ich den Blick auf einen Aspekt lenken, der leicht übersehen wird, der aber für meine Entscheidung, an seinem Lehrstuhl zu arbeiten und sich seiner Fürsorge anzuvertrauen, nicht unwichtig war. Dabei steht schon fast alles in seinen Büchern und vieles in der Vertrauenshaftung. Als „Kantianer“ ist Canaris durchaus ein unbeugsamer Verteidiger freiheitlichen Denkens. Die Privatautonomie und ihre Erhaltung ist ihm ein zentrales Anliegen. Als Student habe ich im Hörsaal erlebt, wie Canaris in den anfangs noch „wilden“ 70er Jahren klar Position bezog gegen die Frankfurter Schule, vor allem gegen Wiethölter, den er als „Apologeten der neuen Linken“ abkanzelte. Aber selbst im Banne der Studentenbewegung stehend, wäre ich später wohl nicht sein Schüler geworden, wenn ich hinter dieser schroffen Abgrenzung gegen radikale Versuche, die Gesellschaft zu verändern, die bei aller Radikalität in Worten und Taten auch einer romantisch verklärten Sehnsucht nach einer besseren Welt entsprangen, nicht den sensiblen und einfühlsamen Wissenschaftler entdeckt hätte. Wer die juristische Aufarbeitung des „Kleinsiedler-Falls“ 36 liest, fühlt förmlich das soziale Herz von Claus Wilhelm Canaris schlagen. Dass eine Familie – wohlgemerkt „Kleinsiedler“ – auf der Straße stehen würde, wenn ihr Hauskauf stur nach den Buchstaben des Gesetzes beurteilt würde, war für ihn nicht erträglich: „Kleinsiedler“ – man denkt unwillkürlich an Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“. Ich zitiere aus der Vertrauenshaftung: „Nicht nur, dass sich der Käufer, der inzwischen i.d.R. schon etliche Jahre älter ist, erneut allem Ärger eines Hausbaus – und zudem meist eines zwischenzeitlichen Umzugs in eine Mietwohnung! – ausgesetzt sieht, er wird vor allem regelmäßig auch ‚aus seinem Lebenskreis herausgerissen‘: er muss in eine neue Umgebung ziehen und hat daher nicht mehr die bisherigen Nachbarn, die bisherigen Einkaufsmöglichkeiten, den bisherigen Weg zur Arbeitsstätte, die bisherigen Sport- oder Erholungsmöglichkeiten, er muss vielleicht seine Kinder in eine andere Schule

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schicken, er verliert u.U. seinen in jahrelanger ‚liebevoller‘ Arbeit angelegten Garten usw. usw.“. Dann fährt Canaris fort: „All das sind soziale Fakten, an denen das Recht zumindest bei der Anwendung des § 242 BGB nicht einfach vorbeigehen kann …“.37 Hier weht nicht der „eisige Wind der Privatautonomie“, den vor Jahren einmal Heinrich Honsell bei den frühen Bürgschaftsentscheidungen des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs verspürt hat,38 sondern hier tropft unverkennbar jenes soziale Öl, das Otto von Gierke am Entwurf des BGB vor über 100 Jahren noch schmerzlich vermisste.39 Canaris kennt ja inzwischen durch die Laudatio anlässlich der Feier zum 70. Geburtstag diese spezielle Sicht auf ihn. Er sah sich in dieser Beschreibung auch durchaus getroffen, konnte aber seine Sorge, womöglich als Linksliberaler identifiziert zu werden, nicht völlig unterdrücken. Eine solche Zuschreibung wäre in der Tat ein Missverständnis, das der Klarstellung bedarf: Canaris ist ohne Zweifel – das sei noch einmal betont – stets als Verteidiger der Freiheit aufgetreten, himmelweit entfernt von sozialistischen Ideen und Experimenten, aber doch nicht minder zweifelsfrei auch als Liberaler mit sozialem Gewissen – eben als Christ, wie der im Auditorium anwesende Franz Bydlinski spontan wie treffend einwarf. Der eben zitierte Text gibt aber noch viel mehr her: Aus ihm spricht eine tiefe Sehnsucht nach Konstanz, nach Verlässlichkeit und Beständigkeit. Der Garten, der Weg zur Arbeit, das Haus, die Kinder – hier schreibt keiner, der heute in New York, morgen in Singapur einen Vortrag hält und dazwischen einen Fernsehauftritt genießt. „Kontinuität im Wandel der Rechtsordnung“ nannten wir die Schrift mit Beiträgen seiner Schüler, die wir ihm anlässlich des 65. Geburtstags gewidmet hatten. Wir hatten mit diesem Buchtitel nicht nur seine juristische, sondern auch seine menschliche Grundhaltung im Blick. Im Wort Vertrauen steckt ja als Begriffskern die Treue – und Treue kennzeichnet das Verhältnis von Canaris nicht nur zu seinen rechtsethischen Positionen, sondern erst recht zu seiner Familie, aber auch zu seinen Schülern. Womöglich ist diese Treue und Konstanz zu seinem beruflichen und familiären Umfeld auch einer der Gründe, warum Canaris sich trotz seiner durch Auslandsstudien dokumentierten Aufgeschlossenheit gegenüber ausländischer Rechtskultur nicht der Rechtsvergleichung zugewandt hat. Eine Aversion kann man ihm nicht unterstellen, da er sich durch-

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Canaris (Fn. 20), S. 292 f. Honsell, Zur Frage, ob sich vermögenslose, volljährige Kinder eines Hauptschuldners wirksam zur Übernahme einer Bürgschaftsverpflichtung von DM 350000 für diesen verpflichten können, JZ 1989, 495–496. 39 von Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889), S. 13: „In unserem öffentlichen Recht muß ein Hauch des naturrechtlichen Freiheitstraumes wehen und unser Privatrecht muß ein Tropfen sozialistischen Oeles durchsickern!“ – Zur sozialen Aufgabe des Privatrechts aus heutiger Sicht grdl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999). 38

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aus zum Nutzen der Rechtsvergleichung für die Rechtsfortbildung de lege lata bekennt, z.B. in seinem Beitrag zur Festschrift für Kitagawa über Theorienrezeption und Theorienstruktur.40 Methode seiner Wahl ist freilich die Dogmatik, die Kunst der Argumentation in einem axiomatischen System, und diese verteidigt er mit aller Entschiedenheit und Schärfe gegen den erhobenen Vorwurf der „Hohlheit“, den Zweigert/Kötz als profilierte Befürworter einer „funktionalen Rechtsvergleichung“ dem „dogmatischen Systemdenken“ unterstellen wollen.41 Die Konzentration von Canaris auf die Dogmatik des nationalen Rechts hat im Übrigen seiner großen Popularität in der ausländischen Rechtswissenschaft keinen Abbruch getan. Sichtbares Zeugnis der besonderen Wertschätzung sind nicht nur die verliehenen Ehrendoktorwürden durch die Universitäten Lissabon, Madrid, Graz, Athen und Verona, sondern auch zahlreiche Übersetzungen seiner Lehrbücher und Aufsätze.42 Diese haben nicht nur im europäischen Ausland, sondern auch vor allem in Asien und Südamerika ein breites Echo gefunden. 3. „Kampf ums Recht“ Es ist eben bereits angeklungen, dass sich Canaris in seinem Ringen um das richtige Recht durchaus kämpferisch zeigt und „kräftig austeilen“ kann. Exemplarisch steht dafür die Auseinandersetzung mit dem Heidelberger Rechtswissenschaftler Rolf Serick um die wissenschaftliche Urheberschaft eines Lösungsweges bei der Kollision eines verlängerten Eigentumsvorbehalts und dem (echten) Factoring. Nach der von Canaris entwickelten Barvorschusstheorie ist das Factoring-Institut schutzwürdig, wenn es die vom Kunden – dem Vorbehaltskäufer – zur Sicherheit abgetretenen Forderungen bezahlt und damit bevorschusst hat, weil dies wirtschaftlich genauso zu werten sei wie in dem Vergleichsfall, in dem der Kunde und Vorbehaltskäufer das 40 Canaris, Theorienrezeption und Theorienstruktur, in: Leser/Isomura (Hrsg.), Wege zum japanischen Recht, Festschrift für Zentaro Kitagawa zum 60. Geburtstag am 5. April 1992 (1992), S. 59, 93. 41 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Bd. I (3. Aufl. 1996), S. 32. 42 Übersetzte Monographien: „Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz“ (portugiesisch, japanisch und spanisch); „Handelsrecht“ (chinesisch); „Recht der Wertpapiere“ (spanisch); „Grundrechte und Privatrecht“ (portugiesisch). Der monographieähnliche Aufsatz über die „Wandlungen des Schuldvertragsrechts. Tendenzen zu seiner ‚Materialisierung‘“, AcP 200 (2000) 273–364, ist ins Chinesische übersetzt und im Peking University Law Journal 13 (2001), 36–81 veröffentlicht worden. Die Reform des deutschen Schuldrechts, das neue Kaufrecht und das neue Recht der Leistungsstörungen erschienen auf koreanisch (2002). Weitere Monografien in ausländischer Sprache: La riforma del diritto tedesco delle obbligazioni, I Quaderni della Rivista di diritto civile 3 (2003); Function, estructura y falsatión de las teorias juridicas (1995). Zu den zahlreichen fremdsprachlichen Aufsätzen vgl. die im Internet veröffentlichte Publikationsliste: http://www.jura. uni-muenchen.de/personen/canaris_claus_wilhel/publikationen_cwc/index.html (zuletzt abgerufen am 23.6.2010).

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Geld unmittelbar von seinem Schuldner erhalten hat.43 Zum selben Ergebnis ist wenig später mit im Wesentlichen übereinstimmender Begründung Serick gekommen,44 und der BGH ist ihm – Serick – gefolgt.45 Diese historische Entwicklung, bei der Canaris geistige Urheberschaft in Vergessenheit zu geraten schien, zeichnete Canaris in einem NJW-Aufsatz nach.46 Postwendend stellte Serick daraufhin seinerseits – nicht ohne Schärfe – klar, dass sich seine Position durchaus von der von Canaris unterscheide und für ihn die Rechtsnatur des Factoring entscheidend sei.47 Echtes Factoring sei typologisch Kauf, unechtes sei Darlehen, und nur beim Kauf sei der Factor schutzwürdig. Denn der Konflikt Warenlieferant/Geldkreditgeber sei – so die anerkannte Rechtsprechung des BGH 48 – zugunsten des Warenlieferanten zu entscheiden. Das war für Canaris endgültig die Steilvorlage, um mit allem Nachdruck klarzustellen, dass er mit derartigen „begriffsjuristischen Simplizitäten“ – die allerdings auch das Urteil des BGH enthält 49 – nicht in Verbindung stehen wolle.50 Serick, ein Begriffsjurist – damit war nicht nur ein sachlicher Unterschied, sondern auch ein Niveauunterschied kenntlich gemacht! Weitere leidenschaftliche Auseinandersetzungen pflegte Canaris mit den Kollegen Jürgen Schwabe, Thilo Ramm und Eberhard Wieser, die Einwände gegen die Drittwirkungslehre von Canaris 51 und die von ihm behauptete Verfassungswidrigkeit einer ganzen Reihe von Vorschriften des BGB 52 erhoben hatten 53 und sich dafür prompt scharfe Erwiderungen 54 einhandelten. Die Beispiele veranschaulichen eine weitere durchaus typische Parallele zu Rudolf von Jhering: Der „Kampf ums Recht“ ist auch für Canaris – um mit den Worten Jherings zu sprechen – „nicht etwas dem Recht Fremdes, sondern mit dem Wesen desselben unzertrennlich verbunden, ein Moment seines Begriffs“.55

43 Canaris, Bankvertragsrecht (1. Aufl. 1975), Anm. 605; ders., Verlängerter Eigentumsvorbehalt und Forderungseinzug durch Banken, NJW 1981, 249 f. und Befremdliches zur Barvorschußtheorie beim Factoring, NJW 1981, 1347, 1348. 44 Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung IV (1976), § 52 IV 3c. 45 BGHZ 69, 254, 258. 46 Canaris, NJW 1981, 249 f. 47 Canaris, NJW 1981, 794. 48 BGHZ 55, 34, 35; BHGZ 72, 308, 310. 49 BGHZ 69, 254, 257 f. 50 Canaris, NJW 1981, 1347, 1348. 51 Canaris, AcP 184 (1984), 201–246; dazu oben im Text unter I 2. 52 Canaris, JZ 1987, 993 ff. 53 Schwabe, Grundrechte und Privatrecht, AcP 185 (1985), 1–8; Ramm, Drittwirkung und Übermaßverbot, JZ 1988, 489–493; Wieser, Verstößt § 105 BGB gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot?, JZ 1988, 493–494. 54 Schwabe, AcP 185 (1985), 1, 9; Wieser, JZ 1988, 493, 494. 55 von Jhering, Der Kampf um’s Recht (1872), S. 9 (zit. nach dem von Hermann Klenner besorgten Nachdruck der Wiener Ausgabe 1992).

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Canaris’ Arbeits- und Denkweise, die Kreativität und Disziplin, Scharfsinn wie Fleiß erfordert, all diese Attribute, die sein wissenschaftliches Ethos auszeichnen, prägen ausnahmslos jedes seiner Werke. Stets springt die ungeheure Intensität ins Auge, mit der Canaris um das richtige Recht ringt. So ist das Bankvertragsrecht 56 von vorneherein nicht als ein Kommentar konzipiert, der die Ergebnisse der Rechtsprechung bloß sammelt und ordnet, sondern als ein Versuch, diesem Rechtsgebiet Strukturen zu verleihen und es systematisch weiterzuentwickeln. Das ehemalige „Kurzlehrbuch“ zum Handelsrecht ist deshalb längst zum Handbuch, zum in jeder Hinsicht „großen“ Lehrbuch 57 geworden. Und wer über den Bereicherungsausgleich in den berüchtigten Dreiecksbeziehungen oder die Grundgedanken der Deliktsund Gefährdungshaftung Aufklärung sucht, wird sie in dem zweiten Teilband des Besonderen Schuldrechts finden, der in der 13. Auflage noch den Namen des Lehrers trägt, aber fast vollständig aus der Feder von Claus-Wilhelm Canaris stammt.58 Für Studierende sind diese Lehrbücher gewiss nicht bei flüchtiger Lektüre zu konsumieren.59 Wer sich aber auf die beharrlich in die Tiefe dringende Entfaltung der den Gesetzen zugrundeliegenden Teleologie und das komplexe Zusammenspiel der rechtsethischen Prinzipien einlässt, wird sein Rechtsdenken schulen wie nirgendwo sonst. 4. Iustitia distributiva Eines der Meisterwerke aus seiner Feder ist die Schrift über „die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht“ 60. Mitten in der vor allem durch das Bürgschaftsurteil des Bundesverfassungsgerichts 61 angeheizten Debatte um den „gerechten Vertrag“ schlägt Canaris einen weiten Bogen 56

Canaris, Bankvertragsrecht (1. Aufl. 1975; 2. Aufl. 1981; 3. Aufl. Band 1, 1988). Vgl. Canaris, Handelsrecht (24. Aufl. 2006), Vorwort S. V. 58 Von grundsätzlicher Bedeutung sind auch die großen Aufsätze über den „Bereicherungsausgleich im Dreipersonenverhältnis“ Canaris, Der Bereicherungsausgleich im Dreipersonenverhältnis in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag (1973), S. 799–865 und Canaris, Die Gegenleistungskondiktion, in: Pfister/Will (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag (1991), S. 19–63, in dem Canaris ein Modell für Leistungsstörungen bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Austauschverträgen entwickelt hat, das weiterhin inspiriert, vgl. Singer, Selbstbestimmung, Vertrauensschutz und faktisches Synallagma bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung in Austauschverträgen, in: Beuthien u. a. (Hrsg.), Perspektiven des Privatrechts am Anfang des 21. Jahrhunderts, Festschrift für Dieter Medicus zum 80. Geburtstag am 9. Mai 2009 (2009), S. 487–511. 59 Wie sehr ihm das Verständnis der Studierenden am Herzen liegt, zeigen die „pragmatischen Ratschläge an den Studenten“ am Ende des Abschnitts über den – an Komplexität kaum zu überbietenden – Bereicherungsausgleich in Mehrpersonenverhältnissen, damit sich diese bei einfachen Fällen nicht „im Gestrüpp der Theorien“ verirren (Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, II 2 [13. Aufl. 1994], § 70 VI 5). 60 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht (1997). 61 BVerfGE 89, 214 – Vgl. dazu auch oben im Text I 2. 57

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von der Philosophie des Aristoteles 62 über die im Vertragsrecht der Gegenwart wirkenden Rechtsprinzipien bis hin zur Lösung konkreter Rechtsfragen wie dem Recht zur Lüge bei der Frage des Arbeitgebers nach der Schwangerschaft einer Bewerberin und deren Rechtsfolgen. Wenn Canaris aus dem Flötenbeispiel des Aristoteles, der bei der Verteilung der Flöten den bevorzugen will, der besser darauf spielen könne, anstatt sie dem zu geben, der die anderen an Adel oder Schönheit übertreffe, das Prinzip teleologischer Folgerichtigkeit ableitet,63 dann ist man wieder fasziniert von der meisterhaft beherrschten Kunst der Abstraktion. Man staunt förmlich, wie es Canaris gelingt, aus jenen Kriterien, die bei der Verteilung von Flöten gerechter Weise zur Anwendung kommen sollen, Prinzipien abzuleiten, die mit der allergrößten Selbstverständlichkeit auch die Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht prägen. Es leuchtet ein, dass der Reiche keine Flöten braucht, für Canaris ein Beleg für das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit. Es leuchtet ein, dass die Verteilung der Flöten in einem fairen Verfahren erfolgen muss – ein Beleg für das Prinzip der Chancen- und Verfahrensgerechtigkeit. Und wir stoßen wieder auf den sozialen Canaris, der bei allem Lobgesang auf das der Vertragsfreiheit immanente Leistungsprinzip erkennt, dass – ich zitiere – „Vertragsfreiheit, Markt und Wettbewerb unintelligente oder gar behinderte Menschen stark benachteiligen, obwohl diese keine Verantwortlichkeit für ihre Defizite trifft“.64 „Talent und Fleiß“ bleiben oft vergeblich, „wenn man zu arm ist, um sie hinreichend entwickeln und einsetzen zu können“.65 Der Markt bestrafe eben nicht nur den, der versagt, sondern allzu oft auch den, der einfach nur Pech gehabt hat. Das Gesamtbild ist somit auch unter dem Gesichtspunkt der Leistungsgerechtigkeit – ich zitiere erneut Canaris – „nicht frei von Schatten“.66 Canaris folgert daraus, dass das Vertragsrecht legitimerweise das Ziel verfolgen dürfe, besonders schutzbedürftige Personen in das Wirtschafts- und Arbeitsleben zu integrieren, z. B. Mütter kurz vor oder nach der Entbindung, Schwerbehinderte und resozialisierungsfähige Straftäter.67 Daran ändert auch sein Hauptergebnis – die Verfassungswidrigkeit des geltenden Mutterschutzrechts – nichts: Auch wenn es an einem tragfähigen Grund fehlen sollte, den Arbeitgeber – und nicht den Staat – mit den Kosten der Schwangerschaft zu belasten 68 – am Schutz der Betroffenen hält Canaris unverrückbar fest. 62 Aristoteles, Politik (in der Übersetzung von Eugen Rolfes, 4. Aufl. 1981), Drittes Buch, Kap. 12, 1282b, 30 ff.; s. a. oben im Text unter I 1. 63 Canaris (Fn. 60), S. 19. 64 Canaris (Fn. 60), S. 69. 65 Canaris (Fn. 60), S. 71. 66 Canaris (Fn. 60), S. 72. 67 Canaris (Fn. 60), S. 87 ff., 119 f. 68 Diesen Grundgedanken hat Picker aufgegriffen und – weit über die Intention von Canaris hinausgehend – geradezu verabsolutiert, um die verfassungsrechtliche Legitimation des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu erschüttern. Vgl. (Picker, Antidiskriminie-

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Die Rücksichtnahme auf jene, die in der Freiheit nicht so gut zurechtkommen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Canaris. Den Minderjährigen und Geschäftsunfähigen galt sein Mitgefühl. Klar, der blinde Passagier nach New York soll nicht das Flugticket bezahlen müssen! 69 Aber wer denkt schon an den Fall, dass ein „zu Unrecht Entmündigter oder inzwischen wieder Gesundeter vor Aufhebung der Entmündigung sich verlobt?“ Canaris schon, und das nicht nur, weil er an diesem Fall die zur Rechtsnatur des Verlöbnisses vertretene Vertragstheorie widerlegen kann, sondern weil es ihm ein Anliegen ist, dem Entlobten die Rechte zu erhalten, die das Verlöbnisrecht jenem gewährt, der die Trennung nicht zu vertreten hat.70 In seinem Bestreben, den Schwächeren zu schützen, scheut Canaris nicht davor zurück, eine Reihe von Vorschriften des BGB kurzerhand für verfassungswidrig zu erklären, weil sie dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot nicht standhielten.71 Auch hier geht es Canaris darum, die Rechte Minderjähriger und Entmündigter zu stärken, darüber hinaus aber auch die Rechte von Schuldnern, die exorbitant hohen Schadensersatzforderungen ausgesetzt und womöglich gezwungen sind, ein Leben lang „auf die Grenze des pfändungsfreien Existenzminimums gedrückt zu werden“.72 „Man denke etwa daran, dass ein steinreicher und glänzend verdienender Mensch durch ein Haustier eines wenig begüterten Menschen eine zu dauernder Berufsunfähigkeit führende Verletzung erleidet oder dass ein Bauer durch die Einleitung einer Flüssigkeit, deren Gefährlichkeit ihm unbekannt war, in ein Gewässer einem Großunternehmen einen Millionenschaden zufügt.“ 73 Weder die Ausgleichsfunktion noch die Präventionsfunktion fordern dies! Zu den Schwächeren gehörten auch die Bürger der DDR, als sie unmittelbar nach dem Beitritt mit einer neuen Rechtsordnung konfrontiert wurden und sich in dieser Welt „fremd und unsicher fühlten“. Der berühmte Satz von Bärbel Bohley „Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen“ wird von Canaris nicht rechthaberisch abgekanzelt, sondern nachdenklich verarbeitet, rungsprogramme im freiheitlichen Privatrecht, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004: Haftung wegen Diskriminierung nach derzeitigen und zukünftigen Recht, S. 7, 70 ff.; ders., Antidiskriminierung im Zivil- und Arbeitsrecht, ZfA 2005, 167, 177 ff.; kritisch dazu Singer, Vertragsfreiheit und Antidiskriminierung – zur rechtspolitischen, verfassungs- und europarechtlichen Kritik am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, in: Hanau/Thau/ H. P. Westermann (Hrsg.), Gegen den Strich, Festschrift für Adomeit (2008), S. 703, 706. 69 Canaris, Bereicherungsrecht und Minderjährigenschutz – Flugreisefall, JZ 1971, 560–563 (Anm. zum Flugreise-Fall BGHZ 55, 128). 70 Canaris, Das Verlöbnis als „gesetzliches“ Rechtsverhältnis, AcP 165 (1965), 1, 16. 71 Canaris, Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Recht der Geschäftsfähigkeit und im Schadensersatzrecht, JZ 1987, 993–1004; s. ferner Canaris, Die Verfassungswidrigkeit von § 828 II BGB als Ausschnitt aus einem größeren Problemfeld, JZ 1990, 679–681 (zur Verfassungswidrigkeit von § 828 II a. F.). 72 Canaris, JZ 1987, 993, 1001. 73 Canaris, JZ 1997, 993, 1001.

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weil er „ein essentielles Problem auf den Punkt bringt und an einem empfindlichen Nerv rührt“.74 Ein besonderes Anliegen ist ihm schließlich der Schutz der Religionsfreiheit. Ich zitiere aus dem schon erwähnten Vortrag vor der Vereinigung der Zivilrechtslehrer: „Auch müssen die betrieblichen Belange in besonderen Extremfällen unter Umständen ihrerseits den religiösen Bedürfnissen der Arbeitnehmer weichen, was bei einem Betrieb mit ganz überwiegend muslimischer Belegschaft in Betracht kommen mag; warum sollen nicht zum Beispiel die Arbeiten auf einer Baustelle an einem hohen islamischen Feiertag einmal ruhen?“ 75

III. Rechtstheorie und -philosophie Das philosophische Fundament, das von seinen – wie er selbst sagt – „philosophischen Leitsternen“ 76 Kant und Popper beeinflusst ist, ist in diesen grundsätzlichen Arbeiten allgegenwärtig. Seine Schrift über „Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht“, die aus einem Vortrag im Jahre 1993 vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hervorgegangen ist und die Form einer Monografie angenommen hat, ist dafür ein hervorragender Beleg. Weitere Arbeiten befassen sich vor allem mit wissenschaftstheoretischen Fragen, so die Aufsätze über „Theorienrezeption und Theorienstruktur“ 77 und „Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien“ 78, in denen er versuchte, eine Brücke zwischen dem vorwiegend intuitiven Umgang von Juristen mit Theorien und dem reflektierten Denken von Wissenschaftsphilosophen über Theorien zu schlagen, oder die Grazer Universitätsrede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde, in der Canaris der Frage nachging, ob es auf jede juristische Frage eine einzige richtige Antwort gibt.79 Dabei folgte er nicht der umstrittenen right answer thesis von Ronald Dworkin80, machte sich aber den von Dworkin vertretenen Richtigkeitsanspruch juristischer Urteile – hermeneutischen und ontologischen Einwänden zum Trotz – wenigstens in abgeschwächter Form zu Eigen. Wahrheit und Richtigkeit juristischer Urteile seien doch wenigstens „regula-

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Canaris, Konsens und Verfahren als Grundelemente einer Rechtsordnung – Gedanken vor dem Hintergrund der „Eumeniden“ des Aischylos, JuS 1996, 573–580. 75 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 239 f. 76 Canaris, Richtigkeit und Eigenwertung in der richterlichen Rechtsfindung, Grazer Universitätsreden 50 (1993), S. 23, 41. 77 Canaris (Fn. 40), S. 59–94. 78 Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, 377–391. 79 Canaris (Fn. 76), S. 22 ff. 80 Vgl. dazu insbesondere die Schrift Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen (1984) (Taking rights seriously [1977]), S. 144 ff., 448 ff.

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tive Ideen“ im Sinne Kants, also „Vorstellungen“, die zwar keine gültigen Antworten auf ontologische Fragen darstellen, aber – so fährt Canaris fort – „unser Denken und Handeln sinnvoll leiten“.81 In einem weiteren rechtstheoretischen Beitrag findet Canaris Argumente für eine Wiederbelebung der Anerkennungstheorie als Erklärungsversuch der Rechtsgeltung.82 Der entscheidende Gedanke besteht darin, dass demjenigen gegenüber, der sich der Anerkennung des Rechts verweigert, wegen des darin liegenden Selbstwiderspruchs eine Legitimation entbehrlich ist: volenti non fit inuria! Sofern aber der Rechtsverweigerer außer Betracht bleiben könne, genüge zur Legitimation der bei der Mehrheit der Rechtsunterworfenen unzweifelhaft bestehende „Grundkonsens“ mit der Rechtsordnung. Wichtige Impulse für die Rekonstruktion der Anerkennungstheorie verdankte Canaris dem griechischen Dichter Aischylos, dessen antikes Drama der „Eumeniden“ die Entstehung von Recht im Zusammenwirken von Konsens und Verfahren vor Augen führe.

IV. Diskurs und Dialog Wie war Canaris als Lehrer? Wir Schüler haben vor allem von seiner spontanen Diskursbereitschaft profitiert. Oft waren es plötzlich und unerwartet eröffnete Dialoge, die manchmal am Telefon stattfanden, manchmal spät abends oder womöglich am Sonntag im Seminargebäude am ProfessorHuber-Platz in München. Wenn der „Boss“, wie er von manchen Schülern in einer Mischung aus Ehrfurcht und Respektlosigkeit genannt wurde, eine schöpferische Pause einlegte und ins Plaudern geriet, dann haben wir unendlich viel gelernt. Trotz seiner vielfältigen Beanspruchungen konnte und kann jeder Schüler praktisch jederzeit mit einem Anliegen, der Bitte um Rat oder ein klärendes Gespräch auf ihn zukommen. Dann lässt er notfalls alles andere beiseite und nimmt sich mitunter stundenlang Zeit. Die nimmt er sich auch, wenn es darum geht, im Staatsexamen eine Arbeit, die seiner Ansicht nach 8 Punkte wert ist, gegen das Votum eines Kollegen, der 3 Punkte gegeben hat, so nachdrücklich zu verteidigen, dass am Ende die von ihm für richtig gehaltenen 8 Punkte stehen – und nicht ein Mittelwert. Man erkennt hier natürlich auch den unbeugsamen Vertreter der right answer thesis – hier zum Wohle der Studierenden. Natürlich haben wir alle Canaris als Lehrer im Hörsaal erlebt, wie er sich seinen Hörern zuwandte, nachdem er in aller Ruhe seinen zerknitterten Mantel zur Seite geräumt hatte, einen Mantel, dessen Form Peter Falk alias

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Canaris (Fn. 76), S. 41. Canaris, JuS 1996, 573–580.

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Inspector Colombo zum Kultstatus verholfen hat – manchmal ragte auch eine Gartenschere aus der Hosentasche! Dann wurde es still, und er konnte in aller Ruhe seine klaren Gedanken entwickeln, den Dialog mit den Begabten suchend und sie zum Denken ermunternd. Die Begabten lagen ihm lange vor den Exzellenzinitiativen dieser Tage besonders am Herzen. Viele Jahre betreute er die rechtswissenschaftlichen Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes, veranstaltete mit ihnen und den Assistenten Seminare, in denen auf hohem Niveau diskutiert wurde. Einige der jüngeren Schüler und etliche Doktoranden sind aus dieser Wissenschaftswerkstatt hervorgegangen.

V. Karriere und Kultur Seine wissenschaftliche und familiäre Heimat wurde München, die Stadt mit dem für ihn attraktivsten wissenschaftlichen und kulturellen Umfeld. Seine Wanderjahre als Hochschullehrer hielten ihn nicht lange fern. Nachdem er einen Ruf an die Universität Regensburg abgelehnt hatte, wurde er 1968 ordentlicher Professor in Graz, ein Jahr später in Hamburg und kehrte bereits 1972 wieder nach München zurück, nunmehr als Nachfolger seines Lehrers Karl Larenz. Rasch trug ihm sein fruchtbares Schaffen Ehrungen und Ämter ein. Er ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, des Center for Advanced Studies der Ludwig-Maximilians Universität, der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Salzburg, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, der Accademia dei Giusprivatisti Europei in Pavia, des Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti in Venedig sowie des Istituto Lombardo Accademia di Scienze e Lettere in Mailand. 1997 wurde er Research Fellow der Japan Society for the Promotion of Science, 1998 Honorary Fellow der Society for Advanced Legal Studies in London. Claus-Wilhelm Canaris erhielt den Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft – die wohl am Höchsten angesehene Auszeichnung, die ein Jurist als Wissenschaftler erhalten kann. Er wurde Ehrendoktor der Universitäten Lissabon, Madrid, Graz, Athen und Verona. Ihm wurden das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und der – sehr exklusive – Bayerische Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst verliehen. Auch von seinen Schülern 83 wurde Claus-Wilhelm Canaris mehrfach geehrt: mit einem Symposion zum 60. Geburtstag, das der „Einheit und 83 In alphabetischer Reihenfolge: Hans Christoph Grigoleit, Johannes Hager, Felix Christopher Hey, Michael Junker, Ingo Koller, Katja Langenbucher, Jörg Neuner, Jens Petersen, Reinhard Singer. – Als Habilitanden betreut Canaris gegenwärtig Mariette Auer und Carsten Herresthal.

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Folgerichtigkeit im Juristischen Denken“ 84 gewidmet war; einer kleinen Schrift der Schüler zum 65. Geburtstag, die den Blick auf die „Kontinuität im Rechtsdenken“ des Lehrers lenken sollte 85; und schließlich mit der zweibändigen Festschrift zum 70. Geburtstag 86, an der sich rund 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland beteiligt haben. Es war nicht nur eine historische Chance für Claus-Wilhelm Canaris, sondern auch eine weitere Würdigung seiner herausragenden Stellung in der deutschen Rechtswissenschaft und wohl eine glückliche Fügung für das deutsche Privatrecht, dass er im Jahre 2000 von der damaligen Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin in die Kommission zur Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts berufen wurde. Mit seiner rationalen Überzeugungskraft hat er den Inhalt der 2002 in Kraft getretenen fundamentalen Reform des BGB entscheidend und sichtbar geprägt. Dies gilt sowohl für die Regelebene als auch für die Gesetzesbegründung. Seine jüngeren Publikationen im Bereich des Schuldrechts setzen die systematische und teleologische Untermauerung des modernen Schuldrechts gleichsam aus authentischer Perspektive nachhaltig fort. Wer die Freude hat, in seiner repräsentativen Villa in München-Bogenhausen Gast zu sein, einen Steinwurf entfernt vom früheren Wohnsitz der Manns, erlebt kultivierte Gastfreundschaft und ist beeindruckt von dem intellektuellen Reichtum, aus dem seine Ehefrau Rena und er beständig schöpfen. Die Welt der Oper und des Bühnentheaters sind ihre Heimat. Zusammen mit Kunstgeschichte, Literatur und Philosophie bilden diese Kulturgüter das Fundament einer wahrhaft humanistischen Bildung, die in ihrer Breite und Tiefe der juristischen Bildung in nichts nachsteht. Für uns Schüler war es nicht immer einfach, das Gespräch auf diesem Niveau zu halten. Der Sorge, dass wir womöglich einer Art drittem Staatsexamen in den Prüfungsfächern Kunstgeschichte, Literatur und Musikwissenschaft unterzogen würden, wurden wir jedoch spätestens an jenem Abend endgültig enthoben, als sich Claus-Wilhelm Canaris auch als sportbegeisterter Fußball-Fan „outete“ und wir entspannt über die „Hand Gottes“ und die Mannschaftsaufstellung diskutierten – und nur am Rande über die Münchener Oper.

84 Koller/Hager/Junker/Singer/Neuner (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im Juristischen Denken. Symposion zu Ehren von Claus-Wilhelm Canaris (1998). 85 Hager/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Singer (Hrsg.), Kontinuität im Wandel der Rechtsordnung. Beiträge für Claus-Wilhelm Canaris zum 65. Geburtstag (2002). 86 Heldrich u. a. (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag (2007).

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Auch diese kleine Episode zum Schluss lenkt noch einmal den Blick auf den Menschen. Es ist nicht nur das faszinierende Profil des Wissenschaftlers, sondern auch die menschliche Ausstrahlung, von der eine besondere Anziehungskraft auf uns Schüler ausging und die für uns Antrieb war, mit diesem Gelehrten zusammenzuarbeiten und von ihm zu lernen.

Manfred Wolf * Thomas Pfeiffer I. II.

Zur Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wissenschaftler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forscher und Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Sachenrechtler . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertrags- und Schuldrecht . . . . . . . . . . . . c) Der Prozessualist . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Wegbereiter des Gemeinschaftsprivatrechts e) Kommentator, Lehrbuchautor, Generalist . . . III. Der Praktiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Zur Person Dieser Vortrag sollte eigentlich am 8. Juni 2007 stattfinden, und Manfred Wolf sollte dabei sein. Doch es ist anders gekommen. Eine Woche zuvor, während er zusammen mit seiner Frau Monika seine älteste Tochter und deren Familie in den USA besuchte, verstarb er in den frühen Morgenstunden des 1. Juni 2007 in Nashville, Tennessee, an einer Hirnblutung im Alter von nur 68 Jahren. Sicherlich, der Vortrag über das Leben und Werk von Manfred Wolf hätte auch am 8. Juni 2007, gleichsam als Nachruf, ohne Pietätsverstoß stattfinden können. Ich bin aber sehr dankbar, dass Sie, liebe Herren Kollegen Grundmann und Riesenhuber, meinen damaligen Wunsch respektiert haben, den Vortrag zu verschieben. Manfred Wolf wurde am 5. Januar 1939 im schwäbischen Ulm geboren. Nach Studium in Tübingen, München und erneut Tübingen absolvierte er 1962 das erste Staatsexamen in Tübingen. Als Referendar konnte er damals gleichzeitig „Verwalter“ einer Assistentenstelle an der Universität sein. Während seiner Assistententätigkeit bei Fritz Baur wird er 1965 bei Ludwig Raiser mit einer Arbeit über „Die dinglichen Gesamtrechte“ promoviert 1 * Vortrag am 1. Februar 2008 – Humboldt-Universität zu Berlin. 1 M. Wolf, Die dinglichen Gesamtrechte (1965).

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und besteht 1966 das zweite Staatexamen. Es folgt die Entscheidung für eine Habilitation. Die Arbeiten hieran führen ihn 1967/68 als Visiting Scholar nach Berkeley und dann wieder zurück nach Tübingen, wo er sich 1970 mit einer Schrift über „Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglichen Interessenausgleich“ habilitiert 2 und die Lehrbefähigung für Bürgerliches Recht und Prozessrecht erhält. Unter den seinerzeitigen Assistentenkollegen verband ihn zeitlebens vor allem mit Wolfgang Grunsky eine persönliche Freundschaft. Nach kurzer Anwaltstätigkeit und Lehrstuhlvertretungen in Berlin und Frankfurt wird er 1972 Ordinarius in Frankfurt und Inhaber des renommierten prozessrechtlichen Lehrstuhls von Gerhard Schiedermair, den zwischenzeitlich kurz Alexander Lüderitz innehatte. 1977 übernimmt er im weiteren Hauptamt die Tätigkeit eines Richters am OLG Frankfurt am Main.3 Der Frankfurter Universität bleibt er trotz der Rufe, die ihn aus Mainz und Bern erreicht haben, bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2004 treu. Seine Frau Monika hatte er schon in seiner Jugend in Ulm kennengelernt und kurz nach dem 1. Staatsexamen geheiratet. Er war Vater dreier Töchter, von denen eine ebenfalls Juristin ist, und Großvater von acht Enkelkindern. Die schwäbische Herkunft war bei ihm durchaus spürbar, zuerst durch eine leichte Färbung der Sprache. Auch die schwäbische Sparsamkeit war erkennbar; so fand das gemeinsame Lehrstuhlmittagessen mit den Assistenten stets in der Mensa statt, wohingegen wir damaligen Assistenten untereinander das Mittagessen durchaus öfter auch einmal beim Italiener um die Ecke einnahmen. Sparsamkeit war bei Manfred Wolf aber alles andere als Geiz. Davon zeugen zahlreiche Einladungen an seine Mitarbeiter, wie überhaupt seine Persönlichkeit durch eine souveräne Großzügigkeit gekennzeichnet war. Kleinkariertes Denken in jeder Form war seine Sache nicht; er reagierte darauf aber weder überheblich noch unfreundlich, sondern meist mit dem freundlichen Humor dessen, der sich seiner Sache auch innerlich sicher ist. Dieser Charakterzug ist wahrscheinlich eine wesentliche Grundlage seines Ranges als Wissenschaftler: Die typische schwäbische Hartnäckigkeit und Konsequenz machte sich bei ihm nicht in einer Tüftelei bemerkbar, die dem detailversessenen „Kleinklein“ verhaftet blieb. Hartnäckigkeit und souveräne Großzügigkeit gingen bei ihm eine glückliche Verbindung ein, die man erst erkennen konnte, wenn man ihn persönlich ein wenig besser kannte, und die auch sein wissenschaftliches Arbeiten kennzeichneten.

2 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970). 3 Die Jahresangaben zur OLG-Tätigkeit habe ich http://www.koeblergerhard.de/ juristen/tot/totwSeite307.html entnommen (zuletzt abgerufen am 30.6.2010).

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Ein kleiner Seitenblick mag diese kurze Beschreibung unterstreichen: Befragt, welche Berufsalternativen zu denen eines Professors für ihn in Frage gekommen wären, antwortete Manfred Wolf meist „Autorennfahrer“. Diese nicht etwa scherzhaft gemeinte Antwort deutet einerseits auf seine Herkunft aus dem Mutterland von Gottlieb Daimler und Carl Benz hin, charakterisiert ihn aber zugleich als jemanden, der den Blick für die großen Wegstrecken hat. Und nur nebenbei gesagt: Schnelle Autos und schnelles Autofahren waren eine ihn prägende Leidenschaft, ebenso wie das Sammeln alter Bücher und Jazzmusik, die er auch als begabter Klavierspieler pflegte.

II. Der Wissenschaftler 1. Der Lehrer Wenn ich an dieser Stelle zunächst über den Lehrer Manfred Wolf berichte, muss ich vorweg ein Geständnis machen: Ich habe bei meinem Lehrer Manfred Wolf während des Studiums nie eine Vorlesung gehört. Gleichwohl hat mich der Lehrer Manfred Wolf stets gefesselt, und zwar dadurch (oder: so sehr), dass ich an dreien seiner Seminare teilnahm. Schon in diesen drei Seminaren habe ich sehr viel über den Wissenschaftler Manfred Wolf erfahren können. Bereits die Themen der damaligen Seminare (Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts) lassen die Breite seiner akademischen Interessen und seines rechtswissenschaftlichen Denkens unschwer erkennen. Es ging einmal um Funktionen und Funktionswandel des Privatrechts, ferner um das Verhältnis von Zivilrecht und Steuerrecht und schließlich um das Verhältnis von Verfassung und Zivilprozessrecht. Alle drei Themen weisen ihn unmittelbar als juristischen Generalisten im positiven Sinne aus, der das Fach und seine Systemzusammenhänge im Ganzen im Blick hat. An kleinlichen Fächergrenzen macht ein solches Denken natürlich nicht halt: Das zeigt schon die Spiegelung des Prozessrechts an der Verfassung, weitaus mehr aber noch die damals akademisch noch in den Anfängen steckende Gesamtschau von Zivilrecht und Steuerrecht. Während die betont dogmatische deutsche Zivilrechtswissenschaft das Steuerrecht damals häufig als Rechtsmaterie geringen Ranges ansah, als ein bloßes Steuervermeidungsrecht, niederen ökonomischen Zwecken dienend, und durch jährlich wechselnde Einzelmaßgaben geprägt, hatte Manfred Wolf schon früh einen scharfen Blick für die innovative Kraft der Kautelarjurisprudenz und die oft prägende Rolle des Steuerrechts entwickelt – und es konsequent als Aufgabe der Wissenschaft identifiziert, die daraus folgenden Brüche in der Gesamtrechtsordnung zu erkennen und zu bewältigen. Dass es für Manfred Wolf selbstverständlich war, zu einer solchen Veranstaltung einen führenden

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Frankfurter Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 4 hinzuzuziehen, rundet dieses Bild ab. Faszinierend für mich war vor allem seine Fähigkeit, im Anschluss an mitunter ellenlange Referate von Kommilitonen in wenigen Sätzen, die maßgebenden Leitlinien eines ganzen Rechtsgebiets ebenso knapp wie präzise zusammenzufassen. So hat er beispielsweise mein eigenes Referat über verfassungsrechtliche Einflüsse auf die Beweislast im Arzthaftungsprozess 5 mit der Bemerkung zusammengefasst, über die Beweislast im Arzthaftungsprozess brauche man im Grunde lediglich wenige Punkte wissen, dass nämlich erstens die ärztliche Behandlung keinen Erfolg garantiere, so dass der bloße Kunstfehler eines Arztes dem Patienten nicht den Nachweis der Kausalität des Fehlers für den Misserfolg der Behandlung erspare, dass aber zweitens die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr bei Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers bejahe, und dass drittens die ärztliche Behandlung tatbestandlich als Körperverletzung behandelt werde, so ihr zwingend eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten vorausgehe, die wiederum der Arzt beweisen müsse. Schließlich könnten sich noch Beweiserleichterungen aus dem Unterlassen einer medizinisch gebotenen Dokumentation ergeben. Eigentlich hervorhebenswert finde ich dabei indessen, dass diese Punkte zugleich die zentralen Leitlinien des gesamten Arzthaftungsrechts zusammenfassen. Als Assistent bei Manfred Wolf zu arbeiten, war persönlich wie fachlich eine Freude. Mit seinem scharfen Blick für das Wesentliche und für die bei der Entscheidung von Rechtsfragen maßgebenden Interessenwertungen verfügte er wohl in ganz besonderem Maße über die bei vielen Hochschullehrern anzutreffende Fähigkeit, jederzeit, besonders gerne gleichsam „zwischen Tür und Angel“ (auf dem Gang des Frankfurter Juristischen Seminars), zivilrechtliche Grundsatzdiskussion zu entfachen. Ich selbst habe die Zeiten meiner durch Referendariat und Auslandsaufenthalt unterbrochenen Tätigkeit an seinem Lehrstuhl (1984–1986 und 1990–1993) als solche einer besonders großen Freiheit empfunden. Der größte Teil seiner früheren Assistenten hat, höchst erfolgreich, den Anwaltsberuf gewählt, andere sind in die Justiz oder die Verwaltung gegangen, drei Schüler haben sich in Deutschland habilitiert und arbeiten als Wissenschaftler (Jochen Marly, Jens Dammann sowie der Verfasser dieses Berichts), auch verschiedene ausländische Doktoranden haben in ihren Heimatländern diesen Weg eingeschlagen.

4 Herrn Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Dr. iur. Welf Müller, Frankfurt am Main. 5 Gegenstand dieses Referats war vor allem die in BVerfGE 52, 131 aufgeworfene Problematik.

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2. Forscher und Autor a) Der Sachenrechtler Kurz nach jenem Seminar, im Jahre 1984, wurde ich nach einem frisch bestandenen ersten Staatsexamen Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Manfred Wolf. Wenn ich dies anderen Juristen meines Alters berichtete, hörte ich als Antwort oft ein mit vermeintlicher Kennermiene formuliertes „Aha, der Sachenrechtler“. Das war vor allem ein Ausdruck des großen Bekanntheitsgrades, welches sein in der Reihe Grundrisse des Rechts publiziertes Kurzlehrbuch, das 23 Auflagen erreicht hatte, vor allem unter Studenten aufwies.6 Allerdings lag und liegt in dieser Apostrophierung eine fast schon irreführende Verengung des wissenschaftlichen Werkes von Wolf; schon damals lagen seine Arbeitsschwerpunkte sicherlich überwiegend außerhalb des Sachenrechts. Das ändert freilich nichts daran, dass das Sachenrecht auch einen bemerkenswerten Gegenstand innerhalb seines wissenschaftlichen Arbeitens bildet. Dies vermag seinem Werdegang nach kaum zu überraschen, war doch sein Lehrer Fritz Baur Autor des führenden großen Lehrbuchs zum Sachenrecht. Wissenschaftlich leuchtet das Sachenrecht bei Manfred Wolf erstmals in seiner Tübinger Dissertation mit dem Titel „Die dinglichen Gesamtrechte“ auf. Für mich selbst verbindet sich damit allerdings eine eher kuriose Geschichte: Als ich im Januar 1984 an meiner Examenshausarbeit arbeitete, hatte ich vom Hessischen Justizprüfungsamt einen rechtstechnisch höchst komplexen Fall zugeteilt bekommen. Dessen Gegenstand war das höchst verworrene Schicksal mehrerer Hypotheken und Grundschulden, die als Gesamthypothek bzw. Gesamtgrundschuld gleichzeitig auf zwei unterschiedlichen Grundstücken lasteten, von denen auch noch eines – mit zusätzlichen vollstreckungsrechtlichen Komplikationen – zwangsversteigert wurde. Kurz, es ging um Rechtsinstitute, von denen ich als Examenskandidat vorher nie etwas gehört hatte. Bei meinen Recherchen durchstöberte ich natürlich die umfänglichen Literaturauflistungen der maßgebenden Großkommentare, und auf einmal stach mir die Angabe „M. Wolf, Die dinglichen Gesamtrechte, Diss. 1965“ 7 ins Auge. Natürlich will man als Kandidat keinesfalls den Fauxpas begehen, ein einschlägiges Werk eines Autors der eigenen Universität unzitiert zu lassen. Denn es besteht ja die reale Gefahr, dass dieser ein Korrektor der Arbeit sein könnte. Dass Manfred Wolf Eitelkeiten solcher Art völlig wesensfremd waren, konnte ich damals noch nicht wissen. 6

Zuletzt M. Wolf, Sachenrecht (23. Aufl. 2007); das Buch wird fortgeführt von seiner Lehrstuhlnachfolgerin Marina Wellenhofer (zuletzt 24. Aufl. 2008); zitiert wird im folgenden Text stets die 23. Auflage. Zu nennen sind auch seine Kommentierung des Sachenrechts in Beuthien/Hadding/Lüderitz/Medicus/M. Wolf (Hrsg.), Studienkommentar zum BGB (1975, 2. Aufl. 1979). 7 M. Wolf (Fn. 1).

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Da die Arbeit weder im Frankfurter Juristischen Seminar noch an einer der Institutsbibliotheken vorhanden oder auffindbar war, bat ich also einen der Lehrstuhlassistenten ganz vorsichtig, ob er den Autor einmal nach der Dissertation fragen könne. Von der für Examenskandidaten typischen Ungeduld getrieben, ging ich zwei Tage später erneut zum Lehrstuhl von Manfred Wolf – und da der besagte Assistent gerade nicht in seinem Zimmer war, entschied ich mutig, nunmehr direkt zu fragen, und platzte bei dieser Gelegenheit in eine Besprechung von Manfred Wolf mit seinen Assistenten hinein, wobei mein Ansinnen bereits zu ihm vorgedrungen war. Er fragte mich freundlich, worum es in der Hausarbeit gehe, was ich kurz beantwortete. Und dann meinte er, er bringe mir die Dissertation gerne mit und fügte mit mildem Gesichtsausdruck hinzu: „Aber Sie werden nichts damit anfangen können“. Da hatte er allerdings vollständig Recht. Gegenstand seiner Dissertation ist nämlich die Frage, ob sich aus den einzelnen, im dritten Buch des BGB geregelten Fällen eines dinglichen Gesamtrechts an mehreren Gegenständen, namentlich der Gesamthypothek und dem Gesamtpfand, ein allgemeines Rechtsinstitut des dinglichen Gesamtrechts entwickeln lasse, eine These, deren Entwicklung und Untermauerung in seiner Dissertation mir in der Tat bei der Lösung meines Falles nicht helfen konnte. Die Arbeit las ich freilich damals gleichwohl vollständig, was sich nicht erst durch die ersparte Vorbereitung für diesen Vortrag lohnte. Die Dissertation von Manfred Wolf ist ein Werk von höchster rechtstechnischer Präzision, verbunden mit einer beeindruckenden Sinndichte. Sie zeigt ihn einerseits noch stark von komplexen Figuren technischer Dogmatik fasziniert, erweist ihn aber andererseits bereits als wissenschaftlichen Kopf, der das sinnhaft Gemeinsame in den Einzelerscheinungen des Rechts ergründet.8 In seinem Sachenrechtslehrbuch 9 wird dies trotz des Auftritts des Werkes als Grundriss noch deutlicher. Prägend für das Buch ist es zunächst, dass die Beschäftigung mit dem Sachenrecht aus seiner Funktion und Stellung in der Gesamtrechtsordnung heraus erfolgt. Diese generalistische Perspektive gilt vor allem für das Eigentum, dessen sachenrechtliche Erscheinungsform im BGB aus einem breiteren Verständnis heraus entwickelt wird, das insbesondere auch das verfassungsrechtliche Eigentum und das geistige Eigentum mit einbezieht. Selbstverständlich ist es, dass eigene Akzente dort gesetzt werden, wo der Verfasser sie für notwendig hält. So liegt es etwa bei der Grundstruktur der Sicherungsübereignung. Der BGH lehnt es bekanntlich ab, die Vorschrift des § 449 Abs. 1 BGB, wonach der Eigentumsvorbehalt im Zweifel eine auflösend bedingte Eigentumsübertragung bewirkt, auf die Sicherungsübereignung zu übertragen. Dem Sicherungsgeber steht hier nur ein

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Dazu auch M. Wolf, Beständigkeit und Wandel im Sachenrecht, NJW 1987, 2647–2652. Oben M. Wolf (Fn. 6).

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schuldrechtlicher Rückübertragungsanspruch zu. Grund hierfür soll es sein, dass der Gesetzgeber die Sicherungsübereignung nicht akzessorisch ausgestaltet habe.10 Das Lehrbuch von Wolf weist mit Recht darauf hin, dass diese Begründung nicht überzeugt und dass sich das Ergebnis des BGH vielmehr lediglich aus einer vertraglichen Interessenanalyse ergeben kann.11 Dieser Blick für die realen Parteiinteressen kommt auch durch strukturelle Besonderheiten seines Lehrbuchs zum Ausdruck. Die meisten Lehrbücher des Sachenrechts stellen die Grundpfandrechte in der Weise dar, dass sie zunächst die Hypothek als gesetzlichen Grundfall und alsdann die Grundschuld als abweichendes Rechtsinstitut behandeln. Anders das Lehrbuch von Wolf: Hier folgt die Struktur der praktischen Bedeutung.12 Zunächst werden die gemeinsamen Strukturen dargestellt. Dann folgen die Grundschuld und ihre Ausprägung als Sicherungsgrundschuld sowie schließlich die – in der Kautelarjurisprudenz kaum mehr vorkommende – Hypothek. Der Sinn für die reale Relevanz einer Rechtsfrage bildet zusammen mit seinem Blick für die Rechtsordnung als Ganze auch den Grund dafür, dass ein anderer Beitrag mit sachenrechtlichem Bezug aus der Feder von Wolf enorme Wirkung entfalten konnte, nämlich sein Aufsatz „Die Inhaltskontrolle von Sicherungsgeschäften“ in der 1981 erschienenen und von ihm mit herausgegebenen Festschrift für seinen Lehrer Fritz Baur,13 der erstmals AGB-Recht und dingliche Sicherungsklauseln in einer umfassenden Weise verbindet. Während der Zeit der großen Auseinandersetzung um dingliche Sicherungsklauseln in den achtziger und neunziger Jahren gibt es kaum eine einschlägige Entscheidung des BGH, die diesen Aufsatz nicht zitiert.14 Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat diese frühe und kaum anzweifelbare Einsicht, dass nämlich dingliche Sicherungsgeschäfte der Inhaltskontrolle unterliegen, bedauerlicherweise ignoriert und das AGB-Recht – statt, wie geboten, in den Allgemeinen Teil – in das Schuldrecht eingeordnet.15 Manfred Wolf war es auch, der den gebotenen Blick für die Funktion des Sachenrechts in der Gesamtrechtsordnung für ein anderes Feld eingefordert hat, nämlich für das der europäischen Rechtsharmonisierung. Schon sein Sachenrechtslehrbuch fordert den Blick über die Grenze ein, indem es eine Fülle rechtsvergleichender Hinweise gibt. Dann zeigt ein Aufsatz zum alten Problem der Kollision von verlängertem Eigentumsvorbehalt und Global10

BGH, NJW 1984, 1184. M. Wolf (Fn. 6), Rn. 768 im Einklang mit BGH, NJW 1991, 353. 12 Dazu M. Wolf (Fn. 6), Rn. 899. 13 M. Wolf, Die Inhaltskontrolle von Sicherungsgeschäften, in: Grunsky u. a. (Hrsg.), Festschrift für Fritz Baur (1981), S. 147–168. 14 BGHZ 124, 371; BGHZ 120, 300; BGHZ 98, 303; BGHZ 94, 105; BGH, WM 1997, 1197 = ZIP 1997, 1185; BGH, NJW 1997, 1570; BGH, NJW 1984, 1184. 15 Gegen M. Wolf/Pfeiffer, Der richtige Standort des AGB-Rechts innerhalb des BGB, ZRP 2001, 303–306. 11

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zession die Relevanz des EG-Rechts auch für das Sachenrecht auf.16 Ein Meilenstein der Diskussion ist jedoch 1990 ein Aufsatz zu den privatrechtlichen Wirkungen der 2. Bankrechtsrichtlinie 17, der unter anderem in der literarischen Diskussion erheblichen Einfluss entfaltet hat.18 b) Vertrags- und Schuldrecht Weitaus größere Bedeutung für das wissenschaftliche Werk von Manfred Wolf hat indessen das Vertrags- und Schuldrecht. Zuerst ist seine 1970 erschienene Habilitationsschrift „Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich“ zu nennen,19 auf der sein späteres wissenschaftliches Werk in vielfacher Hinsicht aufbaut. Die Kernthese der Arbeit führt die grundlegenden Überlegungen von Walter Schmidt-Rimpler zur Vertragsgerechtigkeit als Legitimation des Vertragsrechts weiter.20 Überzeugender als Schmidt-Rimpler sieht er aber durch den Vertrag keine Richtigkeitsgarantie, sondern lediglich eine Richtigkeitschance gewährleistet, deren Realisierung jedoch rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit voraussetze. Bürgerlich-rechtlicher Anker dieser Überlegungen ist eine ausdehnende Auslegung des § 123 BGB. Zugleich verbindet er das Prinzip der Entscheidungsfreiheit mit verfassungsrechtlichen Überlegungen und nimmt damit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sittenwidrigen Schuldnerüberforderung in ihrem Kern vorweg,21 die ihrerseits die Überlegungen von Wolf nur „gefiltert“ zur Kenntnis nahm.22 Freilich ist seine Konzeption derjenigen des Bundesverfassungsgerichts in einem zentralen Punkt weit überlegen. Mit dem Merkmal des strukturellen Ungleichgewichts stellt das Gericht nämlich auf ein Gleichheitskriterium ab,

16 M. Wolf/Haas, Das Prioritätsprinzip im Konflikt zwischen Waren- und Geldkreditgebern, ZHR 154 (1990), 64–93. 17 M. Wolf, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, WM 1990, 1941–1952. 18 Erkennbar inspiriert durch M. Wolf ist etwa die Habilitationsschrift von Peter v. Wilmowski, Europäisches Kreditsicherungsrecht – Sachenrecht und Insolvenzrecht unter dem EG-Vertrag (1996). 19 M. Wolf (Fn. 2). 20 Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941), 130–197. 21 Grundlegend die Bürgschaftsentscheidung vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214. 22 Für die vielfältigen Überlegungen in der Zivilrechtswissenschaft zur materiellen Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit bis zu dem Jahr 1985 tauchen in der Entscheidung nur in Gestalt eines Hinweises auf den Aufsatz von Jutta Limbach, Das Rechtsverständnis in der Vertragslehre, JuS 1985, 9–15, auf. Dort wiederum werden die Überlegungen aus der Habilitationsschrift von Manfred Wolf nicht unmittelbar verarbeitet, sondern in Gestalt der Weiterführung im Werk von M. Wolf, Rechtsgeschäftslehre, in: Athenäum Verlag (Hrsg.), Athenäum Zivilrecht I, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts (1972), S. 59, 123, zitiert.

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das für sich betrachtet irrelevant ist; maßgebend für die in den in Rede stehenden Fällen fragliche verfassungsrechtliche Gewährleistung der Handlungsfreiheit kann allein ein Freiheitskriterium sein, nämlich das der Entscheidungsfreiheit. Das Kriterium der Ungleichgewichtslage ist demgegenüber vor allem deswegen problematisch, weil das bloße Ungleichgewicht über eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nichts sagt, namentlich dann nicht, wenn der Wettbewerb Entscheidungsfreiheit trotz Ungleichheit gewährleistet.23 Es liegt auf der Hand, dass vor allem seine Arbeiten zum AGB-Recht hierauf fußen. Seine Überlegungen münden in den siebziger und frühen achtziger Jahren in eine Reihe von Aufsätzen, von denen – neben dem bereits erwähnten Beitrag zur Inhaltskontrolle von Sicherungsgeschäften – Arbeiten zum AGB-rechtlichen Verbot der Freizeichnung bei leichter Fahrlässigkeit 24 hervorzuheben sind.25 Auch allgemein vertragsrechtliche 26 sowie arbeitsrechtliche Arbeiten entstammen derselben Wurzel. In einem großen Aufsatz 1988 postuliert er eine Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, die sich im Kern an AGB-rechtliche Grundsätze anlehnt 27 und damit eine wesentliche Entscheidung der Schuldrechtsreform vorwegnimmt. Diese Linien seines wissenschaftlichen Werks führen zu großen Kommentierungen, wobei auf den Kommentator Manfred Wolf noch einmal gesondert einzugehen sein wird. Hervorzuheben an dieser Stelle ist aber einmal seine Kommentierung der allgemeinen Grundsätze des Kündigungsrechts (und des § 613a BGB) im Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz 28, zum anderen jedoch seine große Kommentierung weiter Teile des AGB-Rechts im AGB Kommentar von Wolf, Horn und Lindacher (jetzt Wolf, Lindacher und Pfeiffer).29 Ein solches Werk hier umfassend zu würdi-

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Vgl. etwa Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 195 (1995), 1, 28. M. Wolf, Freizeichnungsverbote für leichte Fahrlässigkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, NJW 1980, 2433–2440. 25 Außerdem etwa M. Wolf, Individualvereinbarungen im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, NJW 1977, 1938–1943; ders., Gesetz und Richterrecht bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, JZ 1974, 465–470. 26 M. Wolf, Selbstbestimmung durch vertragliches Abschlußrecht, JZ 1976, 41–45; ders., Gleichbehandlungsgrundsatz und privatrechtliches Teilhaberrecht, in: Baur u. a. (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag (1974), S. 597–619. 27 M. Wolf, Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen am Beispiel der Befristung einzelner Arbeitsbedingungen, RdA 1988, 270–276. 28 M. Wolf, Allgemeine Grundsätze des Kündigungsrechts und Kündigungsschutzrechts, in: Becker u. a. (Hrsg.), KR-Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht (1981), S. 73–251; (2. Aufl. 1984); in 3. Aufl. 1989 auch § 613a BGB. 29 M. Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.), Kommentar zum AGB-Gesetz (1984) (zusammen mit Norbert Horn und Walter Lindacher), Kommentierung der Einl. der §§ 1, 2, 8, 9–11; (2. Aufl. 1989); seit der 3. Aufl. 1994 auch die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche 24

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gen ist unmöglich. Welch ungeheuer souveräner Überblick über die gesamte Vertragsrechtsordnung dieser Publikation zugrunde liegt, erhellt vor allem der Umstand, dass Manfred Wolf von der ersten bis zur vierten Auflage nicht nur die Einleitung, die Vorschriften über den AGB-Begriff und die zentralen Einbeziehungsvoraussetzungen (früher §§ 1 und 2 AGBG, heute § 305 BGB) sowie die zentrale Vorschrift der Inhaltskontrolle im früheren § 9 AGBG, heute § 307 BGB, sondern vor allem auch die besonderen Klauselverbote in den §§ 308 und 309 BGB sowie den in die Kommentierung eingestellten und praktisch alle Vertragstypen umfassenden Klauselkatalog kommentierte. Die Breite der Arbeiten von Manfred Wolf im Vertragsrecht und Schuldrecht ist damit bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Neben anderen Werken 30 zählt im Soergel hierzu eine Kommentierung der Vorschriften über den Vertragsschluss (§§ 145–157 BGB) und die Bedingung (§§ 158–163 BGB) sowie eine Fülle von Vorschriften aus dem allgemeinen Schuldrecht, von denen ich selbst die Kommentierung der §§ 276 und 278 BGB besonders hervorheben möchte. Hinzu kommt noch die Betreuung der gesamten Kommentierung des allgemeinen Teils als Bandredaktor und Herausgeber.31 Welche Gedankenfülle in diesen Kommentierungen steckt, kann ich erneut nur andeuten. Ich erinnere mich aus meiner Assistentenzeit an lebhafte Diskussionen über die Frage, ob – und unter welchen Voraussetzungen – § 278 BGB analog auf ein Maschinenversagen entsprechend anwendbar sein kann 32 oder an die Frage, ob der für eine Seite offene und für die andere verdeckte Dissens der Vorschrift des § 154 oder derjenigen des § 155 BGB zuzuordnen ist.33 Angesichts dieser Breite seines vertragsrechtlichen Ausweises überrascht es nicht, dass der Beck-Verlag Manfred Wolf nach dem Tode von Karl Larenz die Übernahme des in der Grünen Reihe publizierten großen Lehrbuchs zum

Klauseln in Verbraucherverträgen; 4. Aufl. 1999. Das Werk wurde fortgeführt: M. Wolf/ Lindacher/ Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht (5. Aufl. 2009), mit der Kommentierung der §§ 307, 310 Abs. 1 BGB, einzelner Klauselwerke und der RL 93/13/EWG. Manfred Wolf verstarb während der Entstehung der 5. Auflage. Alle unter seinem Namen erschienen Teile stammen noch von ihm selbst; die Korrekturfahnen konnte er nur noch zum Teil selbst bearbeiten. 30 Heute kaum noch bekannt: M. Wolf, Die Privatautonomie, in: Athenäum Verlag (Hrsg.), Athenäum Zivilrecht I, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts (1972), 1. Kapitel, S. 20–58, ders., Rechtsgeschäftslehre, in: ebd., 2. Kapitel, S. 59–184; M. Wolf, Kommentierung der §§ 765–778, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Studienkommentar zum BGB (1975; 2. Aufl. 1979). 31 Soergel-M. Wolf, Kommentar zum BGB, Bd. II, Schuldrecht 1 (11. Aufl. 1986), Kommentierung der §§ 256–274, 276–278, 305–319, 420–432 (12. Aufl. 1990); ferner SoergelM. Wolf, Kommentar zum BGB, Bd. I (12. Aufl. 1988), Bandredaktion und Kommentierung der §§ 145–163 sowie HWiG (13. Aufl. Band 1, 1999; Band 2, 2000). 32 Dazu auch M. Wolf, Schuldnerhaftung bei Automatenversagen, JuS 1989, 899–902. 33 Zutreffend im letztgenannten Sinne Soergel-M. Wolf (Fn. 31 [1999]), § 155 BGB Rn. 5.

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Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts angetragen hat. Manfred Wolf hat sich dieser Aufgabe mit Energie angenommen und das Lehrbuch gründlich modernisiert.34 Dazu gehören vor allem die Darstellung des für das heutige Privatrecht prägenden Spannungsverhältnisses zwischen dem liberalen Prinzip der Privatautonomie und seinen sozialstaatlichen postmodernen Überwölbungen, sowie die breite Darstellung der europarechtlichen Grundlagen des Privatrechts, die Wolf ganz mit Recht zu den Lehren des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts zählt. c) Der Prozessualist Als Schüler von Fritz Baur war Manfred Wolf natürlich auch Prozessrechtler. Viel beachtet in den siebziger Jahren wurde vor allem seine Monographie mit dem Titel „Die Klagebefugnis der Verbände – Ausnahme oder allgemeines Prinzip“ eine Frage, die er bejahend beantwortet.35 Zunächst übernimmt er dann das von Kern begründete Beck’sche Lehrbuch zum Gerichtsverfassungsrecht. 1978 erscheint ein vergleichendes Lehrbuch zum Verfahrensrecht aller Verfahrenszweige, das leider nicht weitergeführt wurde.36 Das Gleiche gilt für die 1980 publizierten Grundbegriffe des Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit.37 Sein Prozessrechtsverständnis tritt dementsprechend vor allem durch sein Lehrbuch zum Gerichtsverfassungsrecht 38 sowie durch eine umfassende Kommentierung des Gerichtsverfassungsgesetzes im Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung zu Tage 39. Das Gerichtsverfassungsrecht entwickelt Manfred Wolf aus der Verfassung – und da primär aus dem Justizgewährungsanspruch der Parteien – heraus.40 Es steht in deutlichem Gegensatz zu einem Verständnis des Prozessrechts, wie es in dem berühmten Dictum von Friedrich Stein – das Prozessrecht sei technisches Recht in seiner

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Larenz/M. Wolf, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, Lehrbuch (8. Aufl. 1997; 9. Auflage 2004). 35 M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände – Ausnahme oder allgemeines Prinzip (1971); eine weitere Monographie: M. Wolf, Das Anerkenntnis in Prozessrecht (1969), war schon zwei Jahre zuvor erschienen. 36 M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht – Darstellung des Zivilprozesses mit vergleichender Betrachtung von Strafprozeß und Verwaltungsgerichtsprozeß (1978). 37 M. Wolf, Grundbegriffe des Rechts der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (Bearbeitung der 1. Aufl. 1973 von Fritz Baur, 2. Aufl. 1980). 38 M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (5. Aufl. 1975, Neubearbeitung der 4. Aufl. 1965 von Eduard Kern); ab 6. Aufl. 1987 unter dem Titel: Gerichtsverfassungsrecht aller Verfahrenszweige. 39 Münchener Kommentar – M. Wolf, ZPO, Band III (1992), Kommentierung von EGZPO, GVG, EGGVG (2. Aufl. 2001). 40 Zu dieser Orientierung an Leitlinien auch M. Wolf, Entwicklungstendenzen im Zivilverfahrensrecht, ZRP 1979, 175–181.

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allerschärfsten Ausprägung, wechselnden Zweckmäßigkeiten unterworfen, und der Ewigkeitswerte bar41 – zum Ausdruck kommt. Manfred Wolf hat dieses Verständnis nicht nur auf der abstrakten Höhe eines Lehrbuchs zugrunde gelegt, sondern auch in einzelnen prozessrechtlichen Publikationen durchgeführt. Hervorzuheben ist etwa sein Vortrag auf der Tagung der Prozessrechtslehrer 1986 in Regensburg, der sich mit der Abgrenzung des Tätigkeitsbereichs von Richter und Rechtspfleger unter dem Grundgesetz, namentlich unter dem Richtermonopol für die Rechtsprechung nach Art. 97 GG, befasst.42 Wolf entwickelt in diesem Vortrag ein Konzept des Rechtsprechungsbegriffs, das auf seine Funktion im materiellen Rechtsstaat gegründet ist. Rechtsprechung ist danach die Behandlung von Rechtsangelegenheiten unter höchstmöglichen Richtigkeitsgarantien. Das führt dazu, dass der Richter namentlich unter Art. 19 Abs. 4 GG immer das letzte Wort und dann das erste Wort haben muss, wenn die materielle Bedeutung der Sache von vornherein eine Klärung unter solchen Richtigkeitsgarantien verlangt. Dieses Verständnis öffnet für ihn 1991 auch den Weg des Gemeinschaftsrechts in das Prozessrecht in einem Beitrag, der erstmals versucht die Bedeutung der EG-vertraglichen Grundfreiheiten für das Zivilprozessrecht auszuloten.43 d) Der Wegbereiter des Gemeinschaftsprivatrechts Damit klingt erneut ein bereits erwähnter Aspekt des Werks von Manfred Wolf an, nämlich seine Funktion als Wegbereiter des Gemeinschaftsprivatrechts. Ende der achtziger Jahre beginnt Wolf, die zunehmende Durchdringung des Zivilrechts durch das EG-Recht als rechtliches Problem von grundlegender Bedeutung zu erkennen.44 Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Manfred Wolf war in den achtziger Jahren ein wissenschaftlich ausgereifter Ordinarius im fünften Lebensjahrzehnt, der sein Feld wissenschaftlich bereits bestellt hatte. Schon deshalb zeichnet es ihn gegenüber anderen Wissenschaftlern seiner Generation aus, dass er die bevorstehende Europäisierung früh erkannt hat und dass er auf sie nicht mit einer Abwehrhaltung, sondern mit einer spürbaren Akzentverschiebung in seinem Arbeitsschwerpunkt reagierte. Das gilt umso mehr, weil er von Hause aus (trotz 41 Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrecht (1821), Vorwort zur ersten Auflage, S. XIV. 42 M. Wolf, Richter und Rechtspfleger im Zivilverfahren, ZZP 99 (1986), 361–406. 43 M. Wolf, Abbau prozessualer Schranken im europäischen Binnenmarkt, in: Grunsky u.a. (Hrsg.), Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht – Tübinger Symposium zum 80. Geburtstag von Fritz Baur (1992), S. 35–67. 44 Die ersten Beiträge sind wohl: M. Wolf, Einheitliche Urteilsgeltung im EuGVÜ, in: Gottwald/Prütting (Hrsg.), Festschrift für Karl-Heinz Schwab zum 70. Geburtstag (1990), S. 561–574; ders., Auslegung und Inhaltskontrolle von AGB im internationalen kaufmännischen Verkehr, ZHR 153 (1989), 300–321.

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Forschungsaufenthalten bzw. Gastprofessuren in Berkeley, in Kobe/Japan, und in Gainesville/Florida) weder Internationalist noch Wirtschaftsrechtler war, also keinen dem EG-Recht nahe stehenden Arbeitsschwerpunkt aufweisen konnte. Großes Aufsehen erregte zunächst sein 1990 erschienener Aufsatz über die privatrechtlichen Wirkungen der zweiten Bankrechtsrichtlinie.45 Scheinbar auf ein sektorielles Spezialthema begrenzt, enthält der Beitrag eine These von enormer Sprengkraft für das Zivilrecht insgesamt. Angelpunkt seiner Überlegungen ist die Formulierung in den Erwägungsgründen der Richtlinie, dass künftig Banken bei grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistungen „unter denselben Bedingungen wie in ihrem Heimatland“ sollten tätig werden dürfen. Diese auf das Herkunftslandprinzip abstellende Erwägung hat nach Wolf, wenn man sie auf das Zivilrecht übertragen kann, grundstürzende Wirkung.46 Wolf leitete daraus her, Banken könnten „am IPR vorbei“ insbesondere zur Kreditsicherung sachenrechtliche Rechtsinstitute ihres Heimatlandes in das Zielland – gleichsam im Rahmen einer loi d’application immediate – exportieren. So müssten in Deutschland die englische floating charge oder das französische nantissement du fond de commerce anerkannt werden. Praktisch hat sich diese kühne Konzeption zwar nicht durchgesetzt. In der wissenschaftlichen Debatte hat sie jedoch deutliche Spuren hinterlassen.47 Ihr visionärer Rang zeigt sich darin, dass Wolf nur vorweg genommen hat, was der Europäische Richtliniengeber später in der E-Commerce-Richtlinie 48 angeordnet und alsdann nochmals in dem ersten Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie 49 versucht hat. Ein ebenso von großer Innovationskraft geprägter Schritt war es, dass Manfred Wolf in der dritten Auflage seines AGB-Kommentars 1994 eine Kommentierung der Klauselrichtlinie 93/13/EWG aufgenommen hat.50 Das ist zunächst deswegen verdienstvoll, weil es erstmals die spezifisch deutsche 45

M. Wolf, WM 1990, 1941–1952. Zu diesem Aspekt treffend die Beschreibung bei Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags (2003), S. 179. 47 S. zunächst M. Wolf (Fn. 18). Einen Überblick über die Fülle der höchst renommierten Autoren, die damals gegen die Position von Wolf Stellung bezogen hatten, findet sich etwa bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht (4. Aufl. 1996), S. 86. 48 Art. 3 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. 2000 L 178/1. 49 Ein Herkunftslandprinzip sah zunächst der Art. 16 des Vorschlags für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Ratsdokument Nr. 5161/05 v. 10.1.2005, vor. In der verabschiedeten Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006 L 376/36, ist ein solches Herkunftslandprinzip nicht mehr enthalten. 50 M. Wolf (Fn. 50). 46

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Technik, Normwerke durch eine Kommentierung zu erschließen, für eine privatrechtliche Richtlinie nutzbar macht. Für das Gemeinschaftsprivatrecht war diese Kommentierung aber auch deswegen ein so großer Durchbruch, weil ihre Aufnahme in einen in der Praxis verbreiteten Standardkommentar für ein breites Publikum erstmals unmissverständlich verdeutlichte, dass es im Bereich des umgesetzten Richtlinienrechts nicht mehr den Regeln der juristischen Kunst entspricht, den Blick auf die nationale Transformationsnorm zu beschränken. In einem zweiten Schritt folgt dann die Übernahme der Herausgeberschaft des Bandes zum verbraucherrechtlichen Sekundärrecht im Werk von Grabitz und Hilf zum Recht der Europäischen Union.51 e) Kommentator, Lehrbuchautor, Generalist Die Vielzahl der aus der Feder von Manfred Wolf stammenden Kommentierungen, zu denen noch die Lehrbücher des Allgemeinen Teils, des Sachenrechts und des Gerichtsverfassungsrechts sowie das nicht weiter geführte Verfahrensrecht aller Gerichtszweige wie der Grundriss der freiwilligen Gerichtsbarkeit zählen, ist beeindruckend. Ich habe bislang einige, aber noch keineswegs alle erwähnt und will noch einmal das Gesamtbild in den Blick nehmen: Das AGB-Recht, die Kommentierung des Vertragsrechts und Bedingung sowie die Gesamtredaktion des Allgemeinen Teils, die §§ 255–274 BGB, die §§ 276–278 BGB, die Gesamtschuldvorschriften, die Erbengemeinschaft, die Vermächtnisvorschriften und das gemeinschaftliche Testament im Soergel, das vollständige Sachenrecht und einige weitere Vorschriften (Vorlegung von Sachen §§ 809–811 BGB; Bürgschaftsrecht, §§ 765–778 BGB) im Studienkommentar zum BGB, die im Stile einer großen Monographie angelegten Grundsätze des Kündigungsrechts sowie § 613a BGB im Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und anderen kündigungsrechtlichen Vorschriften, das gesamte GVG nebst EGGVG und EGZPO im Münchener Kommentar zur ZPO, die Herausgeberschaft und die allgemeinen Grundsätze im Band Verbraucher- und Datenschutzrecht des Grabitz/ Hilf, Recht der Europäischen Union. Sicherlich gibt es wenige deutsche Hochschullehrer, die eine derartige Produktivität und eine vergleichbare fachliche Breite aufweisen wie Manfred Wolf. Seine Kommentierungen sind schnörkellos und frei von epischer Breite formuliert; ebenso sind sie frei von „Nachweishuberei“, aber natürlich nicht frei von den notwendigen Nachweisen; inhaltlich sind sie auf Leitgedanken, nicht auf die bloße (verbreitete) Kompilierung von Einzelfällen hin ausgerichtet und von einem treffsicheren Blick für Probleme sowie durch ihre eigenständige analytische Kraft geprägt. 51 Grabitz/Hilf (Hrsg.), Recht der Europäischen Union, Bd. III, Sekundärrecht – EGVerbraucher- und Datenschutzrecht, herausgegeben von Manfred Wolf ab 1999.

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Ihre Breite zeigt einen universellen Blick auf die Rechtswissenschaft, die ihn wie kaum einen anderen für eine weitere Aufgabe prädestiniert hat, nämlich die Übernahme der Herausgeberschaft der von Lindenmaier-Möhring begründeten Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, zu der es gehört, die gesamte Rechtsprechung des BGH vor ihrer Publikation zu verfolgen, rezensionswürdige Entscheidungen auszuwählen und geeignete Rezensenten zu finden. Manfred Wolf hat diese Aufgabe von 1991 bis zu seinem Tode 2007 getragen und das Werk von einem aussterbenden Loseblattfriedhof zu einem modernen Online-Produkt weiterentwickelt. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der so viele Entscheidungen des BGH in der gesamten Breite gelesen hat wie er. Und ohnehin hat er nie gezögert, sich auch mit Fragen zu befassen, denen er nicht von Hause aus nahe steht.52

III. Der Praktiker 1. Richter Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer war Manfred Wolf ab 1977 bis 1999 zugleich Richter am Oberlandesgericht Frankfurt. Nun kann ich sein Wirken als Richter aus eigener Anschauung nicht beurteilen. Allerdings ließ er seine Assistenten an seiner richterlichen Tätigkeit oft mittelbar teilhaben. Wenn ihn die Rechtsfragen eines Falles sehr beschäftigten, berichtete er – meist beim Mittagessen – darüber und ließ uns diskutieren, in aller Regel aber nur, um an unseren Reaktionen die Tragfähigkeit seiner Argumente zu prüfen. Intensiv konnten wir beispielsweise einen Fall erörtern, in dem es um die Haftung des Teppichbodenverlegers für eine Farbveränderung an dem von ihm gelieferten Teppich ging und der dann im folgenden Revisionsverfahren zu einer aus der Perspektive des alten Schuldrechtsrecht bedeutsamen Entscheidung des BGH führte.53 Der Kunde nahm den Teppichbodenlieferanten auf Gewährleistung in Anspruch und berief sich auf die damalige fünfjährige Verjährungsfrist für Arbeiten an Bauwerken nach § 638 a. F. BGB; der Teppichbodenlieferant wies demgegenüber auf die ihm drohende Regressfalle hin, wenn er seinen Lieferanten wegen der kurzen sechsmonatigen kaufvertraglichen Gewährleistungsfrist nach § 477 a. F. BGB nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Die Regressfalle drohte allerdings nur, wenn es sich um einen einheitlichen Werkvertrag und nicht etwa einen Typenkombination aus Kauf und Werkvertrag handelte, wenn außerdem auch das Verkleben des Teppichbodens als Arbeit an einem Bauwerk zu qualifizieren war und wenn

52 Paradigmatisch M. Wolf, Der Ausschluß vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlußgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785–1792. 53 BGH, NJW 1991, 2486 = LM Nr. 72 zu § 319 BGB mit Anm. Koeble.

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8. Teil: Privatrechtsdogmatik und System

eine teleologische Reduktion des § 638 BGB ausschied. Nach der Rechtsprechung des BGH lag es nahe, all dies zu bejahen, und die Revision des Teppichbodenverlegers blieb denn auch vergeblich.54 Rechtspolitisch waren wir uns freilich einig, dass dieses Ergebnis äußerst misslich war. Die inzwischen erfolgte Reform des Verjährungsrechts hat hier auch zum großen Teil,55 wenn auch nicht vollständig, Abhilfe geschaffen. Mein Eindruck aus den Berichten von Manfred Wolf über seine OLGTätigkeit ist nicht ohne Zwiespalt. Einerseits sah er es als Chance und Verpflichtung eines Hochschullehrers, zumal eines Prozessualisten an, in die richterliche Praxis hineinzuwirken und aus ihr zu schöpfen. Von vielen Kollegen seines Senats und des Gerichts, etwa von Katharina Deppert, der späteren Präsidentin des VIII. Zivilsenats des BGH, sprach er mit allergrößter Hochachtung. Spürbar war aber andererseits zugleich, dass er sich mitunter mehr Bereitschaft gewünscht hätte, eingefahrene Gleise zu verlassen, um zu einem interessengerechten Urteil zu gelangen. Schließlich hat aber die OLG-Tätigkeit bei ihm eines stark befördert, nämlich die Neugier auf die anwaltliche Tätigkeit. 2. Anwalt Anlässlich seines fünfundsechzigsten Geburtstags im Jahre 2004 hat sich Manfred Wolf für eine Emeritierung entschieden, nicht um der Wissenschaft adieu zu sagen oder gar den juristischen Teil seiner Vita activa abzuschließen, sondern um sich als Anwalt niederzulassen. Sehr häufig hat er schon als Hochschullehrer Seminare gemeinsam mit Anwälten, vor allem mit Wulf-H. Döser, angeboten und durchgeführt. Die richterliche Tätigkeit empfand er der Perspektive nach als derjenigen eines Wissenschaftlers sehr ähnlich; demgegenüber – so hat er es mir gegenüber formuliert – seien Anwälte die eigentlichen Praktiker. Die kautelarjuristische Gestaltung sei gegenüber der Lösung bereits abgeschlossener Rechtsfälle eine ganz andere Herausforderung an die juristische Gestaltungskraft. Schon in der Mitte seiner Tätigkeit als Hochschullehrer war er deshalb überzeugt, dass es eine große Bereicherung seiner akademischen Tätigkeit hätte sein können, wenn er einige Jahre hätte als Anwalt arbeiten können. Um die Stärke dieses Wunsches ermessen zu können, muss man bedenken, dass Manfred Wolf als ein im Jahre 1972 ernannter Ordinarius noch über das volle Emeritierungsrecht verfügte und deswegen bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres hätte im

54

Vgl. vorhergehende Fußnote. Das Regressproblem des Werkunternehmers war spätestens durch BGHZ 77, 215 bekannt; die Regierungsbegründung zur Schuldrechtsreform hatte auf diese Entscheidung ausdrücklich hingewiesen, BT-Drs. 14/6040, S. 88. 55

Manfred Wolf

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Amt verbleiben und alsdann alle Vorzüge einer solchen Emeritierung hätte in Anspruch nehmen können. Stattdessen zog er eine frühzeitige Emeritierung, rechtstechnisch also: die gewöhnliche Pensionierung mit Vollendung des 65. Lebensjahres, vor. Nach der Emeritierung konnte er seinen Wunsch einer Anwaltstätigkeit verwirklichen und wirkte, nicht nur gelegentlich, sondern noch einmal (unter Weiterführung aller Lehrbücher und Kommentierungen) mit voller Arbeitskraft als Of Counsel im Frankfurter Büro einer renommierten internationalen Kanzlei. Die große Freude, die ihm das bereitete, konnte man bei einem Besuch in seinem Büro spüren, und es wird berichtet, dass er schnell zu einem wichtigen Ratgeber vor allem für jüngere Anwälte wurde. Durch seinen frühen Tod wurde seine Anwaltstätigkeit jäh beendet.

IV. Fazit Wissenschaftlich prägend ist Manfred Wolf nach alledem vor allem dadurch, dass er bestimmte Entwicklungen früher erkannt hat als andere. Dazu zählen vor allem die Hinwendung zu den materiellen Voraussetzungen der Vertragsfreiheit und sein Blick für die europäische Durchdringung der Zivilrechtsordnung. Außerhalb seines wissenschaftlichen Werkes hat er früher und deutlicher als viele Kollegen gesehen, dass Rechtswissenschaftler, mehr als früher, nicht nur wie ein Richter, sondern auch wie ein Anwalt denken können müssen. Für mich persönlich werden vor allem die durch ihn verkörperte Verbindung von souveränem Weitblick, persönlicher Beharrlichkeit und akademischer Toleranz ein dauerndes Vorbild bleiben.56

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Nachruf: Pfeiffer, Manfred Wolf, NJW 2007, 2535–2536.

9. Teil Aus der Diskussion

Statt eines Diskussionsberichts Jan Thiessen In seiner Rezension zum ersten Band dieser Reihe bemerkt Thilo Ramm sehr kritisch, Berichte der Schüler seien „schwer von Nekrologen zu unterscheiden, zumal diese häufig auch von Schülern stammen“.1 Die Subjektivität der Beiträge war freilich als Vor- und Nachteil jeder oral history von den Veranstaltern2 und auch den Berichterstattern3 einkalkuliert. Über verlesene oder gedruckte Nekrologe wird zudem mit dem Verfasser nicht diskutiert; wer den Verstorbenen als solchen würdigt, muss sich keine unmittelbaren Nachfragen gefallen lassen – anders als die hiesigen Berichterstatter, die überdies zum Teil über lebende, zum Teil sogar anwesende Personen sprachen. Bei den Berichten der Schüler über ihre „Deutschsprachigen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ wurde kein Protokoll geführt. Statt eines Diskussionsberichts werden daher im Folgenden nur wenige Eindrücke aus dem Umfeld einiger der in Berlin gehaltenen Vorträge mitgeteilt. Auf das LehrerSchüler-Verhältnis, das der Veranstaltung ihr Format gab, werden aus verschiedenen Perspektiven Schlaglichter geworfen. Zudem soll es um Querverbindungen zwischen den einzelnen Schülerberichten gehen, gewissermaßen um ‚Diskussionen‘ über die Grenzen des einzelnen Vortrags hinweg. Dem Lebensweg der meisten Lehrer und dem Anteil an den Diskussionen entsprechend betrifft ein wesentlicher Teil des Beitrags die NS-Zeit. * Zunächst einige Äußerlichkeiten: Die meisten Veranstaltungen fanden in einem kleineren Saal, der gemeinsamen Bibliothek der wirtschaftsrechtlichen Lehrstühle, vor etwa 20 bis 30 Zuhörern statt. Nur einmal war in einen größeren Hörsaal auszuweichen, als Claus-Wilhelm Canaris über Karl Larenz 1 Ramm, Rezension zu: Stefan Grundmann/Karl Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), JoJZG 2008, 72, 73. 2 Vgl. die Einleitung der Herausgeber zu Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 3, 7. 3 Repräsentativ Hommelhoff, Marcus Lutter, in diesem Band, S. 96, 98; Habersack, Peter Ulmer, in diesem Band, S. 126, 127.

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9. Teil: Aus der Diskussion

sprach.4 Das Publikum bestand neben Angehörigen und Weggefährten der besprochenen Lehrer hauptsächlich aus aktiven und emeritierten Mitgliedern beider Berliner Fakultäten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und wohl zum geringsten Teil Studierenden. Eine Ausnahme bildete der Vortrag von Herbert Roth über den anwesenden Dieter Medicus 5 – hier wünschten sich manche Studierende gar ein gemeinsames Foto mit ‚dem‘ Medicus – und eben der Vortrag von Canaris über Larenz. Der Ablauf entsprach der Tradition akademischer Vorträge. Einer einleitenden Vorstellung des Referenten und seines Gegenstandes durch die Veranstalter folgte der Vortrag und anschließend eine von den Veranstaltern moderierte Diskussion. * Der erste Vortrag von Gerhard Kegel über Ernst Rabel 6 ließ trotz des hohen Alters des Referenten niemanden daran denken, dass dies Kegels letzter Vortrag sein würde. Der fast 94jährige hatte sein Manuskript vor sich, die Brille vorgeblich im Hotel vergessen, kommentiert mit dem abgewandelten Feuerlöscherwerbeslogan „Minimax ist großer Mist, wenn er nicht zu finden ist“. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Brille sich in der Innentasche des Jacketts befand und Kegel seinem Publikum in die Augen schauen wollte. Kegel sprach fast eine Stunde lang völlig frei, mit marginalen Erweiterungen gegenüber dem Manuskript, im doppelten Sinne also „by heart“. Die zögernden Zuhörer wollten – offenbar aus Rücksicht auf Kegels Alter – zunächst keine Fragen stellen. Kegels launige Antworten 7 auf einige der dann doch gestellten Fragen zeigten, dass diese Rücksicht völlig unangebracht war. So meinte Kegel, dass Rabel den heute allgegenwärtigen, bereits von Rabels Mitarbeiter Walter Hallstein angesprochenen „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ 8 als Kriterium, Methode oder Ziel der Rechtsvergleichung keinesfalls akzeptiert hätte und dass er – Kegel – im übrigen Hallsteins Untersuchungen zu den Aktien- und GmbH-Rechten der Gegenwart 9 für ausgesprochen langweilige Fleißarbeiten halte. Ein Emeritus im Publikum äußerte danach – weithin, wenn auch nicht für Kegel vernehmbar –, dass o tempora o mores zu Rabels Zeiten wohl kaum die Assistenten vor den Professoren Fragen gestellt 4

Canaris, Karl Larenz, in diesem Band, S. 263–307. H. Roth, Dieter Medicus (1929), in diesem Band, S. 338–353. 6 Kegel, Ernst Rabel, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 17–28. 7 Viele Kostproben des Kegelschen Sprachwitzes präsentiert Schurig, Gerhard Kegel (1912–2006), in diesem Band, S. 1–17. 8 Hallstein, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in den Auslandsrechten, verglichen mit dem deutschen Recht, RabelsZ 12 (1938/39), 341, 367. 9 Hallstein, Die Aktienrechte der Gegenwart. Gesetze und Entwürfe in rechtsvergleichender Darstellung (1931) sowie der in Fn. 8 genannte Beitrag. 5

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hätten; ein Einwurf, der die Fragelust der Studierenden bei einer als Ringvorlesung konzipierten Veranstaltung nicht eben gehoben haben dürfte. Bereits dieser erste Vortrag zeigte, dass von „Schüler“ im Sinne von famulus nicht die Rede sein konnte. Keiner der Schüler war eine devote Kopie des Meisters, was nicht ausschließt, dass ein gewisser Wissenschafts- oder Kommunikationsstil übernommen wird oder geflügelte Worte wie „wo liegt die praktische Spitze?“ vom Schüler (Günter Hager) dem Lehrer (Ernst von Caemmerer), vom Enkel (Martin Schmidt-Kessel) dem Schüler (Peter Schlechtriem) zugeschrieben wurden.10 Jeder war, ohne gegenüber dem Lehrer respektlos zu sein, er oder (in nur einem Fall 11) sie selbst 12 und daher gleichfalls tatsächlicher oder in einigen Jahren zumindest potentieller Gegenstand eines Schülerberichts. Die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts diskutierte und besonders nach dem ersten Weltkrieg durch die persönliche und materielle Abhängigkeit von einer Assistentenstelle potenzierte Sorge, ein formales Lehrer-Schüler-Verhältnis beeinträchtige die wissenschaftliche Unabhängigkeit der Schüler,13 erweist sich daher rückblickend zumindest für die heutige Zeit als unbegründet – nur wer später allein fliegen kann,14 findet einen verantwortungsvollen Fluglehrer15 und wird – wie es in den Berliner Habilitationsakten des 19. Jahrhunderts häufig hieß16 – „nostrifiziert“. Dass die Habilitation, dem nichtdeutschsprachigen Ausland ohnehin fremd 17, not10 Hager, Ernst von Caemmerer (1908–1985), in diesem Band, S. 308, 310; SchmidtKessel, Peter Schlechtriem (1933–2007), in diesem Band, S. 30, 38. 11 Kalss, Peter Doralt, in diesem Band, S. 184–218. 12 Vgl. aus historischer bzw. soziologischer Sicht jeweils ohne Einbeziehung von Juristen Baumgarten, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Natur- und Geisteswissenschaftler (1997), S. 93 ff.; Engler, „In Einsamkeit und Freiheit“? Zur Konstruktion der wissenschaftlichen Persönlichkeit auf dem Weg zur Professur (2001), S. 443 ff. 13 Fächerübergreifend hierzu Schmeiser, Akademischer Hasard. Das Berufsschicksal des Professors und das Schicksal der deutschen Universität 1870–1920. Eine verstehend soziologische Untersuchung (1994), S. 30 ff., 34 ff., 47 ff., 51 ff., dort S. 37 Fn. 14 und S. 54 Fn. 10 mit Hinweis auf die Verhandlungen des V. Deutschen Hochschullehrertages 1913 (1914), S. 77 f. bzw. des IV. Deutschen Hochschullehrertages zu Dresden am 12. und 13. Oktober 1911 (1912), S. 76. 14 Treffend Schurig (Fn. 7), S. 16 über Kegels Anspruch: „Habilitanden mussten ‚Selbstläufer sein‘.“ 15 Repräsentativ Canaris (Fn. 4), S. 263, 305: „Trotzdem habe ich nicht nur ‚handwerklich‘ viel von ihm gelernt, sondern bin in ganz wesentlicher Hinsicht von ihm geprägt worden (auch wenn er gewiss nur aktualisiert und verstärkt hat, was ohnehin meiner Grundhaltung entsprach).“ 16 Hierzu R. Schröder, Die Geschichte der Juristischen Fakultät zwischen 1810 und 1945, in: Grundmann u.a. (Hrsg.), Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin (2010), S. 3, 33. 17 Vergleichend zur Situation der Lehrenden und Forschenden die Beiträge bei Enders (Hrsg.), Academic Staff in Europe. Changing Contexts and Conditions (2001), dort kritisch zur Situation in Deutschland noch vor Einführung von W-Besoldung und Junior-

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9. Teil: Aus der Diskussion

wendig durch weniger abhängige Juniorprofessuren abzulösen sei,18 wurde durch die Schülerberichte jedenfalls nicht bestätigt.19 Überraschend war dennoch, wie selten – auch in der Diskussion – Berichterstatter und Publikum auf tatsächliche oder vermeintliche Schattenseiten eines langjährigen, bis zur Habilitation eben doch bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses zu sprechen kamen und wie wenig davon den Weg in die Schriftfassung fand. Lakonisch-ironische, rückblickend nachsichtige Äußerungen wie diejenigen von Klaus Adomeit über Hans Carl Nipperdey 20, Martin Schmidt-Kessel über Peter Schlechtriem 21, Ulrich Noack über Wolfgang Zöllner 22, Peter Hommel-

professuren Schimank, Unsolved Problems and Inadequate Solutions: The Situation of Academic Staff in German Higher Education, S. 115–136. 18 Zum Verhältnis zur Habilitation Federkeil/Buch, Fünf Jahre Juniorprofessur – Zweite CHE-Befragung zum Stand der Einführung, CHE-Arbeitspapier 90 (2007), 9, 29 ff. Ladeur, Die Wissenschaftsfreiheit der „entfesselten Hochschule“ – Umgestaltung der Hochschulen nach Ermessen des Staates?, DÖV 2005, 753, 761 stellt die Juniorprofessur in den Kontext einer Diversifizierung der Hochschulstrukturen und -aufgaben und prognostiziert, dass die Juniorprofessuren das traditionell einheitliche Bild des Forschers und Lehrers aufbrechen werden. 19 Dezidiert pro Habilitation Noack, Wolfgang Zöllner, in diesem Band, S. 70, 83: „Ein zentraler Ausweis des deutschen Rechtswissenschaftlers ist die Habilitation durch eine große Qualifikationsschrift. So klassisch sieht es Wolfgang Zöllner, er hat dies immer wieder, etwa in Berufungskommissionen, betont.“ 20 Adomeit, Hans Carl Nipperdey als Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 149, 154: „Im Kollegenkreis wurde gespöttelt, auf Nipperdeys Grabstein werde es heißen H.C.N., ‚diesmal wirklich er selbst‘. Aber gutes Delegieren ist auch eine Kunst, und an seiner geistigen Oberhoheit konnte es nie einen Zweifel geben.“ Darauf mit direktem Bezug zu Nipperdey Zöllner, Alfred Hueck. Rechtslehrer in Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bundesrepublik, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 131, 135: „Sie können generell davon ausgehen, dass da, wo Alfred Hueck draufsteht, auch ausschließlich Alfred Hueck drin ist.“ Ähnlich auch Noack (Fn. 19), S. 70, 92: „Eine Art kollektiver Rechtsfindung am Lehrstuhl hat es jedenfalls zu meiner Zeit (1982–1993) nicht gegeben. Die Mitarbeiter waren für die Fußnoten zuständig.“ 21 Schmidt-Kessel (Fn. 10), S. 30, 31: „große Dankbarkeit für die erfahrene fachliche Prägung und persönliche Bereicherung, für eine zwar nicht immer sorgenfreie aber doch schöne Lehrzeit am Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Freiburg“, S. 34: „Peter Schlechtriem war Direktor des Instituts, also Vorgesetzter und wissenschaftlicher Betreuer und scheute sich auch nicht, dies in den unangenehmen Situationen in klare Worte zu fassen.“ 22 Noack (Fn. 19), S. 70, 91: „Als starke Persönlichkeit ist Zöllner nicht pflegeleicht.“, allerdings nicht mit Blick auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis, dazu vielmehr: „Der Umgang am Lehrstuhl war von nachsichtiger Strenge, soll heißen, man konnte Fehler machen, aber nicht denselben zweimal. Niemals habe ich Zöllner laut werden hören; das hatte er nicht nötig.“

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hoff über Marcus Lutter 23 oder Mathias Habersack über Peter Ulmer 24 – die der Verehrung des Schülers für den Lehrer keinerlei Abbruch tun – sind die absolute Ausnahme. Dieses Schweigen muss nicht auf der von Ramm kritisierten Pietät eines „Nekrologs“25 beruhen; wahrscheinlicher ist, dass sich die Zeiten zu einem kollegialeren Umgang hin verändert haben.26 Die teilweise Anwesenheit der besprochenen Lehrer führte dazu, dass diese einerseits (sparsam) die auf sie bezogenen Äußerungen des Schülers kommentierten, andererseits in der Diskussion über ihre eigene Schülerzeit sprachen. Daher überraschte es nicht, dass etwa Karsten Schmidt – bei seiner Omnipräsenz als Autor, Herausgeber, Referent und Hochschulleiter ohnehin nicht als Objekt einer ‚Denkmalsenthüllung‘ vorstellbar – die begeisterte Würdigung durch Georg Bitter 27 „ganz unverdient“ nannte, die vielen abweichenden Ansichten in seinen beiden großen Lehrbüchern als keineswegs dem Streben nach „Genialität“, sondern nach systematisch stimmigen Antworten geschuldet erklärte und dann einen eigenen ad hoc-Schülerbericht über seinen Lehrer Peter Raisch vortrug. Mehrfach wurde der Zwiespalt deutlich, in welchem sich Schüler einer Schule befinden, die keine sein soll oder will. Herbert Roth betonte bereits in seinem Vortrag, dass Medicus keine Schule habe gründen wollen, und gestand doch die Voreingenommenheit des Schülers ein.28 Thomas Lobinger zitierte

23 Hommelhoff (Fn. 3), S. 96, 121: „Bei seinen Projekten erwartete Lutter kritisches Mitdenken und engagierte Zuarbeit – am liebsten rund um die Uhr. Berüchtigt waren seine Anrufe am späteren Abend zu Hause oder am Sonntagmorgen. Unvergesslich jener Anruf am Heiligen Abend, ein bestimmtes Aufsatzprojekt müsse unbedingt vor Jahreswechsel abgeschlossen sein. Nicht jede Ehefrau hat mit Duldergemüt ertragen, Weihnachten mit den Kindern allein feiern zu müssen. Aber es hat nicht geschadet; den Lehrstuhl und seine wechselnden Mannschaften hat es zusammengeschweißt – erstaunlicherweise nicht gegen den ,Chef‘, sondern mit ihm: als Führungskraft ist Marcus Lutter ein Naturtalent. Wir ‚Lutteraner‘ sind gehärtet; wer die letzte legale Knechtschaft auf deutschem Boden [die Leibeigenschaft in Schleswig-Holstein] überstanden hat, der weiß auch heute noch als Mitautor neben ihm mit Sentenzen wie ‚Vergällen der Lebensfreude‘ oder ‚Aufkündigung der Freundschaft‘ umzugehen: ‚gar nicht drum kümmern, nur der Erfolg zählt.‘“ 24 Habersack (Fn. 3), S. 126, 136: „Die Idee, dem Richtungswechsel des Lehrers in ZIP 1999 ein Plädoyer des Schülers für die Aufrechterhaltung der Doppelverpflichtungslehre gegenüberzustellen, hat Ulmer durch ein in zugleich freundlichen und bestimmten Worten auferlegtes ‚Schreibverbot‘ verworfen.“ Vgl. demgegenüber Bitter, Karsten Schmidt – Landschaftsbildner des Rechts –, in diesem Band, S. 160, 180. 25 Vgl. oben bei Fn. 1. 26 Vgl. demgegenüber noch die von Schmeiser (Fn. 13), S. 55 ff. zitierten, teils drastischen Äußerungen in Lebenserinnerungen von Medizinern am Ende des 19. und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 27 Bitter (Fn. 24), 160–183. 28 H. Roth (Fn. 5), S. 338, 345 f., 352. Ähnlich etwa Schlüter, Bundesverfassungsrichter a.D. Prof. Dr. Hans Brox, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 341, 353.

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9. Teil: Aus der Diskussion

in der Diskussion das Vorwort der Schüler-Festgabe, das auch für Werner Flume bestritt, Gründer einer Schule zu sein,29 und ließ dennoch in einem munteren Schlagabtausch mit Karl Riesenhuber keinen Zweifel daran, dass der Flume-Schule anzugehören ein prägender Teil seines Selbstverständnisses ist.30 Der fast hundertjährige Flume hatte sich übrigens verbeten, Gegenstand eines Schülerberichts zu sein, und die Veranstalter hatten diesen Wunsch zu Lebzeiten respektiert, ohne aber auf die Darstellung eines Flume verzichten zu können. Dies erklärt einerseits, dass ein Enkel anstelle eines Schülers betraut wurde, hat andererseits aber auch dazu beigetragen, dass die dramaturgisch reizvolle Idee der Veranstalter, Larenz und Flume in einem Termin zu behandeln, nicht verwirklicht wurde. Dennoch waren Larenz und seine Schule als Flume-Antipoden in der Diskussion zu Lobingers Vortrag31 präsent, da Lobinger darauf hinwies, dass die Kontroverse der Lehrer 32 – obwohl das Foto in diesem Band Flume vor den Lehrbüchern von Larenz zeigt – sich auf der Ebene der Schüler 33 und Enkel 34 als freundschaftlich aus29 So betonen Jakobs u.a. (Hrsg.), Festgabe für Werner Flume zum 90. Geburtstag (1999), Vorwort, „wie sehr Freiheit und Individualität die Beziehung zu dem Lehrer bestimmen, dem jede Schulenbildung fernlag“. Vgl. aber auch die aaO. zitierte Gedenkrede von Werner Flume in: Schön u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk (1997), S. 7 zu dem „besonderen Lehrer-Schüler-Verhältnis, bei dem es darum geht, wer in der Folge zu Lehre und Forschung berufen wird. [… D]er eigentliche Zauber der akademischen Lehre gilt dem besonderen akademischen Lehrer-Schüler-Verhältnis, der Verbindung des Lehrers mit denen, welche die Fackel weiterzutragen habe. Es ist ein Glück für den Schüler, auf den richtigen Lehrer zu treffen, aber ebenso ist es ein Glück für den Lehrer, die richtigen Schüler zu bekommen.“ 30 Ähnlich bereits das in Fn. 29 zitierte Vorwort der Schüler-Festgabe: „Das Glück, in Werner Flume ihren Lehrer gefunden zu haben, die Dankbarkeit dafür, seine Schüler geworden zu sein, die er ohne belehrende Worte bis in die Tiefe geprägt hat, vereinigt die Autoren der hier vorgelegten Arbeit.“ 31 Lobinger, Der Jahrhundertjurist: Werner Flume, in diesem Band, S. 322–336. 32 Vgl. aus der Fülle der Differenzen etwa jene über „Die rechtsgeschäftliche Begründung der Leistungsbeziehungen des Massenverkehrs“ Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band: Das Rechtsgeschäft (3. Aufl. 1979), § 8, 2 (S. 97 ff.), dazu einlenkend Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (7. Aufl. 1989), § 28 II (S. 534 ff.), oder zur ergänzenden Vertragsauslegung Flume aaO., § 16, 4b (S. 324) und Larenz aaO., § 29 I (S. 540). 33 Zum Bereicherungsrecht zwischen Jakobs und Canaris, vgl. die „Rezensionsrezension“ von Jakobs, Die Rückkehr der Praxis zur Regelanwendung und der Beruf der Theorie im Recht der Leistungskondiktion, NJW 1992, 2524–2529 zu Canaris, Der Bereicherungsausgleich bei Zahlung des Haftpflichtversicherers an einen Scheingläubiger, NJW 1992, 868–873 und Martinek, Der Bereicherungsausgleich bei veranlaßter Drittleistung auf fremde nichtbestehende Schuld, JZ 1991, 395-400; dazu die Erwiderungen von Martinek und Canaris, Noch einmal: Die Rückkehr der Praxis zur Regelanwendung und der Beruf der Theorie im Recht der Leistungskondiktion, NJW 1992, 3141–3143 bzw. NJW 1992, 3143–3145. 34 Zwischen Lobinger selbst und Singer, vgl. nur die Nachweise bei Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten. Zugleich ein Beitrag zur Korrekturbedürftigkeit der §§ 275, 311a, 313 BGB n.F. (2004), S. 301 f. Fn. 174.

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getragener Disput fortgesetzt habe. Den zentralen Gegensatz sah Lobinger im methodischen Verständnis: bei Flume in der historischen, bei Larenz in der philosophischen Fundierung, die sich bei Flume aber anders als bei Larenz nicht in abstrakten methodologischen Werken, sondern in der Anwendung auf bestimmte Rechtsprobleme niedergeschlagen habe; einem konträren Privatrechtsverständnis, das den Staat bei Flume als Verbund insbesondere wirtschaftlich gleich freier Individuen, bei Larenz hingegen als eine den Rechtssubjekten übergeordnete Instanz definiere. Ein Blick in die beiden Lehrbücher genügt:35 Die ersten 22 Seiten von Flumes „Rechtsgeschäft“ handeln über „Die Privatautonomie“,36 während Larenz – die Privatautonomie mehrfach erwähnend – mit dem Unterschied zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht beginnt und Privatautonomie als Prinzip erst 40 Seiten später auf zwei Seiten erörtert.37 In diesen Kontext passte es auch, dass Eberhard Schwark, Bonner Fakultätskollege Flumes, in der Diskussion den ‚privatautonomen‘ Flume als persönlich reizend, in der Sache hart bis verletzend, als eine streitbare Natur und darum als Persönlichkeit im Streit schilderte, dessen Lehre zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft 38 sich durchgesetzt habe,39 diejenige zur Bindung abzufindender Gesellschafter an eine Buchwertklausel 40 jedoch nicht.41 Beides ist jedoch Ausdruck der Privatautonomie, das Zusammenfinden mehrerer Rechtssubjekte zu einer „Gruppe“ ebenso wie die Unterschrift unter einen Gesellschaftsvertrag mit Buchwertklausel, welche die Erben hinnehmen müssen. Der Rahmen der Veranstaltung bot neben der Dokumentation der sonst nicht ohne weiteres zu ermittelnden Lehrer-Schüler-Genealogien und der manchmal überraschend großen oder kleinen Schulen Einblicke, die über die unmittelbare Lehrer-Schüler-Beziehung hinausgingen und auch Querverweise in die Wissenschaftscommunity zuließen. Als etwa Reinhard Singer hervorhob, dass Claus-Wilhelm Canaris als Bankrechtler keineswegs sein 35 Zum Kontext jüngst Kauhausen, Nach der ‚Stunde Null‘. Prinzipiendiskussionen im Privatrecht nach 1945 (2007), dort S. 179 ff., 184 ff. zu Flume und Larenz. 36 Flume (Fn. 32), § 1 (S. 1 ff.). Die zentrale Funktion der Privatautonomie für Flume betonte Larenz selbst, Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, in: Baltl (Hrsg.), Walter Wilburg zum 70. Geburtstag. Festschrift (1975), S. 217, 224. 37 Larenz (Fn. 32), § 1 I a (S. 1 ff.), § 2 II e (S. 40 ff.). 38 Flume, Gesellschaft und Gesamthand, ZHR 136 (1972), 177, 179, 193 ff.; ders., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Erster Teil: Die Personengesellschaft (1977), § 4 I (S. 54 ff.). 39 BGHZ 146, 341, 344. Kritisch zur rechtshistorischen Ableitung der Entscheidung demnächst HKK/Lepsius, §§ 705–740 BGB Rn. 38. 40 Flume, Die Abfindung nach der Buchwertklausel für den Gesellschafter minderen Rechts einer Personengesellschaft, NJW 1979, 902, 904; ders., „Hinauskündigung“ aus der Personengesellschaft und Abfindung, DB 1986, 629, 633 ff. 41 Zum Meinungsstand Münchener Kommentar-Ulmer/Schäfer BGB (5. Aufl. 2009), § 738 Rn. 42, 64.

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9. Teil: Aus der Diskussion

soziales Gewissen vergessen habe, und dies anhand von Canaris’ Beurteilung des „Kleinsiedler-Falls“ 42 illustrierte,43 löste der im gleichen Termin vorgestellte Franz Bydlinski 44 den scheinbaren Widerspruch zwischen Hochfinanz und Werksiedlung mit den Worten auf: „Er ist halt ein Christ“, im unnachahmlichen, kaum zu transliterierenden österreichischen Idiom mit besonders langem Vokal auf dem letzten Wort. Wenn ein eng verbundener Kollege 45 dies spontan anmerkt und ein Schüler dies als treffende Erklärung bestätigt,46 wird man darin mehr als einen schlagfertigen Zwischenruf sehen müssen und fragen dürfen, ob Canaris etwa in § 242 BGB, in dem von ihm seit jeher vertretenen einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnis,47 gesetzlich anerkannt in den von ihm beeinflussten §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB,48 oder in der Gleichstellung ideeller Zwecke in dem von Canaris in das BGB ‚hineingeretteten‘ § 284 BGB49 das Gebot der Nächstenliebe im Privatrecht ausgedrückt sieht. Rechtshistorisch und rechtsphilosophisch assoziiert diese Frage allerdings Samuel Pufendorf und Christian Wolff,50 während Canaris

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BGHZ 16, 334. Singer, Claus-Wilhelm Canaris – der „Entdecker“, in diesem Band, S. 364, 374 f. mit Blick auf Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 292 f. 44 Rummel, Franz Bydlinski – Im Dienste der Gerechtigkeit, in diesem Band, S. 18–29. 45 Die besonders enge geistige Verwandtschaft mit Bydlinski betont Canaris in seinen Dankesworten in: Koller u.a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im Juristischen Denken. Symposion zu Ehren von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris (1998), S. 187, 188 f. 46 Singer (Fn. 43), S. 375. In ähnlichem Sinne dezidiert Fleischer, Herbert Wiedemann, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 167, 174 f. mit Bezug auf Wiedemann, Rechtsethische Maßstäbe im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, ZGR 1980, 147–176; dens., Anmerkung zu BVerfGE 89, 214, JZ 1994, 411–413. 47 Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475, 479. Zum historischen Kontext dieses Konzepts Wiegand, Die Verhaltenspflichten. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte, in: Stolleis u.a. (Hrsg.), Festschrift für Sten Gagnér (1991), S. 547, 558 f. 48 Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499, 519 Fn. 182, 184 zur Einfügung der „Interessen“, um „Interessen aller Art einschließlich der Entscheidungsfreiheit“ zu schützen. Canaris (Fn. 4), S. 291 selbst führt § 241 Abs. 2 BGB auf Larenz’ „Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht“ zurück. 49 Dazu Canaris, JZ 2001, 499, 516 f. mit Fn. 165. 50 C. Wolff, Grundsätze des Natur und Völckerrechts (1754) = ders., Gesammelte Werke. I. Abteilung, Band 19 (1980), Vorrede S. 10 f. [unpaginiert], §§ 79, 82; zuvor Pufendorf, De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo (Einleitung zur Sitten- und Stats-Lehre oder Kurtze Vorstellung der Schuldigen Gebuehr aller Menschen und insonderheit der Buergerlichen Stats-Verwandten nach Anleitung Derer Natuerlichen Rechte), Caput VIII. De promiscuis officiis humanitatis (Das achte Capitel. Von der schuldigen Gebuehr derer Menschen gegen einander nach der dritten Regul: Daß einer den andern alles Liebes und Gutes erweisen solle), Caput IX. De officio paciscentium in genere (Das neunte Capitel. Von der schuldigen Gebuehr derer Menschen bey Aufrichtung ihrer Vergleiche 43

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Kant als seinen „philosophische[n] Fixstern“ 51 bezeichnet, den er freilich nicht uneingeschränkt als formal-freiheitsethisch gegen die vorausgegangene naturrechtliche „materiale Ethik sozialer Verantwortung“ 52 ausspielen lässt.53 Hiermit bezieht Canaris Position in einem lang andauernden Streit um die Kant-Deutung, den bereits Julius Binder, der Lehrer des Lehrers von Canaris, im Zuge seiner Hinwendung von Kant zu Hegel maßgeblich geprägt hat.54 Die von Singer als roten Faden in Canaris’ Werk erkannte „Rücksichtnahme auf jene, die in der Freiheit nicht so gut zurechtkommen“55 kontrastiert im übrigen deutlich mit dem Bericht von Herbert Roth über Medicus56, auch wenn beide insbesondere die Skepsis gegenüber zwingenden europarechtlichen Vorgaben teilen57 – wiederum ein Bezug zwischen den Schülerberichten, der in der Diskussion leider nicht vertieft wurde. * Ein Leitmotiv nahezu aller Vorträge und Diskussionen bestand in der Frage, wie es die „Deutschsprachigen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ mit dem Nationalsozialismus hielten. Nur für die ‚Jüngsten‘ konnte es bei dem Hinweis bleiben, dass diese in den Krieg hineingeboren wurden. Alle anderen, soweit sie nicht vertrieben worden waren, mussten sich einem ‚Ent-

insgemein), Lund 1673 (Leipzig 1691) = ders., Gesammelte Werke, Band 2. De officio (1997), S. 36 ff. (149 ff.), 38 ff. (152 ff.). Vgl. Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: ders. (Hrsg), Römisches Recht. Naturrecht. Nationales Recht (1998), S. 259*–316*, zuerst in: Behrends/Diesselhorst (Hrsg.), Libertas. Grundrechtliche und rechtsstaatliche Gewährungen in Antike und Gegenwart. Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Franz Wieacker (1991), S. 209–261; H. Hofmann, Recht und Staat bei Christian Wolff, JZ 2004, 637–643. 51 Canaris (Fn. 4), S. 263, 295 f. nennt daneben Platon. 52 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft. Vortrag gehalten vor der Juristischen Studiengesellschaft in Karlsruhe am 12. Dezember 1952 (1953), S. 18 = ders., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung (1974), 9, 11 f. 53 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273–364, besonders S. 282 ff., 287. Vgl. auch dens., Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht. Aktualisierte und stark erweiterte Fassung des Vortrags vom 2. Juli 1993, Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse (1997), S. 44 ff. 54 Binder Philosophie des Rechts (1925), S. 441 ff.; dazu mit vielen Nachweisen zum Forschungsstand Haferkamp, Positivismen als Ordnungsbegriffe einer Privatrechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts, in: Behrends/Schumann (Hrsg.), Franz Wieacker – Historiker des modernen Privatrechts (2010), S. 181, 202 ff. 55 Singer (Fn. 43), S. 364, 378 ff. 56 H. Roth (Fn. 5), S. 338, 348 ff. unter Hinweis besonders auf Dieter Medicus Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? Erscheinungsformen, Gefahren, Abhilfen (1994). 57 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 359 ff.

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nazifizierungsverfahren‘ stellen, das fast durchweg mit dem Spruch ‚entlastet‘ oder ‚Mitläufer‘ endete. So ist Thilo Ramms Verdikt, der erste Band dieser Reihe sei „dominiert“ von „geschönten und unterdrückten Lebensläufe[n]“,58 dem Hörer der dem Buch zugrunde liegenden Ringvorlesung zumindest insoweit unverständlich, als das Thema allgegenwärtig war. Dies galt bereits für den ersten – nach dem Emigranten Rabel 59 – für eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit relevanten Vortrag ErnstJoachim Mestmäckers über Franz Böhm.60 Mehr als die Schriftfassung ahnen lässt, zeigte Mestmäcker im Vortrag etwa, wie sehr ihn die redaktionelle Begleitung der Neuausgabe von Sinzheimers „Jüdische[n] Klassiker[n] der deutschen Rechtswissenschaft“61 bewegt und mit Böhm verbunden hat.62 So zitierte Mestmäcker jene Passage aus Böhms Geleitwort über die „geistigen Väter, vielleicht aber sogar selbst Gegner solcher Katastrophen“, die „als staats- und parteikommandierte Tempelpriester den Ausbruch [des Vulkans] rituell zu begleiten gezwungen werden oder sich veranlasst sehen“.63 In der Diskussion knüpfte sich daran eine Frage nach dem leider von Böhm gegenüber Mestmäcker nie erwähnten Zerwürfnis zwischen den Mitbegründern der Freiburger Schule:64 Walter Eucken hatte sich geweigert, wegen einer antisemitischen Publikation von Hans Großmann-Doerth 65 mit diesem weiter als Mitherausgeber der Schriftenreihe „Ordnung der Wirtschaft“ zusammenzuarbeiten.66 Da Großmann-Doerth zuvor Franz Böhm in einem Dienststrafverfahren verteidigt hatte, dem dieser wegen regimekritischer Äußerun-

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Ramm, Eine Insel der Seligen?, ZNR 2010, 107, 111. Hierzu Kegel (Fn. 6), S. 17, 18, 25. 60 Mestmäcker, Franz Böhm, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 31–54. 61 Sinzheimer Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft (1938; Neuausgabe 1953). 62 Mestmäcker (Fn. 60), S. 31, 37 f. 63 Böhm, Geleitwort zu Sinzheimer (Fn. 61), S. XX. 64 Für seine Auskunft und seinen Brief vom 16.01.2006 sei Ernst-Joachim Mestmäcker sehr herzlich gedankt. 65 Großmann-Doerth, Recht der deutschen Wirtschaftsordnung, in: Lammers/ Pfundtner (Hrsg.), Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates (vermutlich 1941), S. 30 f. 66 Hierzu Oswalt, Liberale Opposition gegen den NS-Staat. Zur Entwicklung von Walter Euckens Sozialtheorie, in: Goldschmidt (Hrsg.), Wirtschaft, Politik und Freiheit (2005), S. 315, 317 f.; ders., Offene Fragen zur Rezeption der Freiburger Schule, in: Goldschmidt/Wohlgemuth (Hrsg.), Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik (2008), S. 127 f.; Hollerbach, Hans Großmann-Doerth im Kontext der Freiburger Rechts- und Staatswirtschaftlichen Fakultät, in: Blaurock/Goldschmidt/Hollerbach (Hrsg.), Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft (2005), S. 19, 31, dort S. 106 auch der Brief Großmann-Doerths vom 20. März 1943. 59

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gen zur Judendiskriminierung ausgesetzt war,67 kannte Böhm aus eigener Anschauung die zwei Gesichter seines Kollegen.68 Als Synonym für die Verstrickung deutschsprachiger Zivilrechtslehrer in das NS-Regime gilt vielen Karl Larenz.69 Dies dürfte – da Claus-Wilhelm Canaris sich zur NS-Vergangenheit seines Lehrers zuvor nur knapp geäußert hatte 70 – zum großen Publikumsandrang bei Canaris’ Bericht 71 ebenso beigetragen haben wie die ganz anders motivierte Neugier der Studierenden auf den Mitgestalter der Schuldrechtsreform. In Erinnerung blieb nicht nur Canaris’ intensive Auseinandersetzung mit Larenz’ Schriften der 30er/40er Jahre,72 sondern ganz besonders Canaris’ eigene Wahrnehmung der Nachkriegs-, Wirtschaftswunder- und 68er-Zeit; bemerkenswert das Bekenntnis, einer ideologieskeptischen Generation anzugehören, der die geradezu ideologiesüchtigen 68er gefolgt seien.73 Der diesem Selbstzeugnis Canaris’ vorausgegangene Abschnitt über Larenz’ Schriften ist so umfangreich, dass Canaris aus Zeitgründen nicht alles vortragen konnte, aber darauf verwies, dass die Schriftfassung an dieser Stelle die deutlich distanzierenden Worte „Schaudern“, „Abscheu“ und „schändlich“ enthalte.74 Ausdrücklich betonte Canaris, dass ihm nicht nur das Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern auch die wissenschaftliche Redlichkeit gebiete, Larenz gerecht zu werden.75 Das Format der Veranstaltung als langfristig angelegte Ringvorlesung gestattete Canaris, in diesem Zusammenhang auf den drei Jahre zuvor gehaltenen Vortrag Wolfgang Zöllners über Alfred Hueck einzugehen. Zöllner hatte über sein Entsetzen gesprochen, das ihn bei der Lektüre von Larenz’ Schrift „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“ von 1937/38 erfasst habe, in welcher Larenz „die privatrechtliche Entrechtung der Juden aus seinen rechtsquellentheoretischen Erwägungen rechtfertigt“, was Zöllner als ähnlich unbegreifliche Entgleisung eines Schreibtischtäters bezeichnete wie Mord und Folter in Konzentrationslagern, begangen durch 67 Dazu Hollerbach (Fn. 66), S. 19, 28 unter Hinweis auf Baum, Leuchtende Spur. Das Leben Ricarda Huchs (1950), S. 392, 400. 68 Böhm verfasste auch den Eintrag für Großmann-Doerth in: Bayerische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Siebenter Band (1966), S. 155. 69 Zugespitzt Jakobs, Schlußwort, JZ 1994, 34: „Das Problem des Nationalsozialismus nach 1945 war nicht der tote Hitler, nicht jene führerlos gewordene Clique und Gefolgschaft. Das Problem des Nationalsozialismus nach 1945 war und ist – auf eine exemplarische Weise – Karl Larenz.“ Umfassende Analyse von Larenz’ zeitgenössischen Texten und der schon fast unübersehbaren Literatur dazu jüngst bei Hüpers, Karl Larenz – Methodenlehre und Philosophie des Rechts in Geschichte und Gegenwart (2010), S. 132 ff. 70 Canaris, Karl Larenz, JZ 1993, 404 f. 71 Canaris (Fn. 4), S. 263–307. 72 Canaris (Fn. 4), S. 263, 269 ff. 73 Canaris (Fn. 4), S. 263, 288 f. 74 Canaris (Fn. 4), S. 263, 273, 285. 75 Canaris (Fn. 4), S. 263, 270, 274 f.

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biedere Familienväter.76 Canaris kritisierte Form und Inhalt von Zöllners Umgang mit Larenz ungewöhnlich scharf und nahm davon – wie im Vortrag angekündigt – in der Schriftfassung nichts zurück.77 Der von Canaris eingeforderten Erklärung Zöllners ist hier nicht vorzugreifen. Canaris selbst belegt aber Zöllners Verdikt mit Larenz’ Text:78 Denn Larenz ‚konkretisierte‘ und reduzierte die Rechtsfähigkeit von Menschen als „Rassefremden“, indem er sie wegen Zugehörigkeit zu einer „Rasse“ diskriminierte und deswegen dem Richter sogar gestattete, sich über das ‚vormachtergreifliche‘ BGB (§ 1594) zu stellen.79 Larenz’ Differenzierung – hier die „abstrakte ‚Rechtsfähigkeit überhaupt‘“, dort die „konkrete Rechtsfähigkeit (als Rassegenosse oder Rassefremder)“ – gab Canaris Anlass, über den Missbrauch Hegels durch Larenz’ „konkretallgemeinen Begriff“ 80 zu sprechen.81 In die gleiche Richtung geht Canaris’ Querverweis 82 auf den Vortrag Joseph Georg Wolfs über Franz Wieacker 83 und dessen Aufspaltung des Eigentums in konkrete Einzelordnungen 84, die 76

Zöllner (Fn. 20), S. 131, 145. Canaris (Fn. 4), S. 263, 276 f. 78 Canaris (Fn. 4), S. 263, 278 f., 284 f. 79 Larenz, Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens (1938), S. 25 f., 52 f. Larenz hatte diesen Text nach eigener Auskunft (aaO. S. 5) zuvor im Referendarlager Jüterbog und im NSRB-Schulungslager Barsbüttel vorgetragen, zum Kontext solcher Indoktrinationsveranstaltungen, die auch Lehrende betraf, zeitgenössisch Wieacker, Das Kitzeberger Lager junger Rechtslehrer, DRW 1 (1936), 74–80 = ders., Zivilistische Schriften (1934–1942) (2000), S. 163–175 sowie jüngst monographisch Schmerbach, Das „Gemeinschaftslager Hanns Kerrl“ für Referendare in Jüterbog 1933–1939 (2008). 80 Larenz (Fn. 79), S. 43 ff.; ders., Zur Logik des konkreten Begriffs. Eine Voruntersuchung zur Rechtsphilosophie, DRW 5 (1940), 279, 289. Dass Larenz hier Hegel Gewalt antut, hat Wittmann, Feste feiern, RJ 8 (1989), 168, 172 ff. eindringlich dargelegt (gegen Diederichsen, Karl Larenz, in: C. H. Beck [Hrsg.], Juristen im Porträt, Festschrift zum 225-jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck [1988], S. 495, 497). 81 Canaris (Fn. 4), S. 263, 279, 295. 82 Canaris (Fn. 4), S. 263, 272 Fn. 35. 83 J. G. Wolf, Franz Wieacker (5. August 1908–17. Februar 1994), in: Grundmann/ Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 73, 76 f. 84 Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), S. 7: „Die fruchtbare Sprengwirkung, die der Einbruch einer konkreten Betrachtung unserer Lebensordnungen in dies [Pandekten-]System hervorruft, soll in dieser Schrift verdeutlicht werden.“ S. 10: „Es ist deutlich, daß eine Rechtstheorie zur Rechtswirklichkeit nicht mehr durchstößt und fruchtbare Ordnungsbegriffe nicht mehr bildet, solange sie die Streichholzschachtel, Schnellzugslokomotive, Erbhof und Industriegelände der gleichen Kategorie ‚Sache‘ zuweist und sie gleichen Obersätzen unterwirft, die sie eine Eigentumsordnung heißt, und erst im Detail der Kasuistik zuweilen das andersartige, Grundeigentum und Fahrnis, wieder trennt. Denn damit ist das Reich verlassen, in dem juristische Begriffsbildung wirksam ist: die Wirklichkeit der Rechtsgemeinschaft.“ S. 20: „Der Staat, den die siegreiche Bewegung geschaffen hat, mediatisiert oder zerschlägt die pluralistischen Herrschaftsträger [die großen Kapitalzusammenschlüsse] und eignet sich ihre Macht zu; aber er findet das ‚eigennützige und kluge Individuum‘ des klassischen Liberalismus nicht mehr vor, dem er unbeschränktes 77

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sogar in Hans Schultes Vortrag über Harry Westermann 85 anklang. Zugespitzt: Wenn Zivilrechtslehrer der NS-Zeit es „konkret“ werden ließen, führte dies zu einem Rechtsverlust,86 entweder an Rechtsfähigkeit (§ 1 BGB) oder an der Befugnis, „mit der Sache nach Belieben [zu] verfahren und andere von jeder Einwirkung aus[zu]schließen“ (§ 903 BGB), jenem „Palladium der liberalen Komponente von 1789“ 87. Die Frage, ob zu der späteren, von Canaris beschriebenen Abwendung Larenz’ von Hegel und dem „konkret-allgemeinen Begriff“ die Dissertation von Monika Frommel 88 beigetragen habe, wies Canaris zurück, zumal diese Abwendung bereits vor Frommels Buch zu beobachten gewesen sei.89 Das von Larenz und Canaris anstelle des „konkret-allgemeinen Begriffs“ favorisierte90 „bewegliche System“ Walter Wilburgs 91 ist freilich nicht minder missbrauchsanfällig. So wie unter den kon-

Eigentum zurückgeben könnte und wollte. Die bürgerliche Gesellschaft, deren Macht sich in freiem Besitze ausdrückte, ist zerfallen; ihre Verantwortlichkeit in der Ausübung freien Eigentums ist durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte beseitigt und darum die Wiedereinrichtung einer bindungslosen Eigentumsverfassung, auch unter Verbesserung der Spielregeln durch eine Beschränkung der Auswüchse, nicht möglich. So erwächst dem Staate im Besitze des Erbes der autonomen Wirtschaftskörper die Aufgabe, an die Stelle des Endkampfes der pluralistischen Mächte wieder eine lebende und gegliederte Gemeinschaftsordnung zu setzen. Er schwächt also die Bindungen des Eigentums nicht ab, aber er ersetzt sie durch die material gerechte gebundene Eigentumsordnung einer regenerierten Gemeinschaft.“ Mehr als vierzig Jahre später erklärte Wieacker seine damalige Position mit einer tiefen Verachtung der „Begriffsjurisprudenz“ und seiner Sozialisation im „Gerechtigkeitserlebnis […] eines praktisch besitzlosen, aber ökonomisch uninteressierten bürgerlichen Beamtenstandes“, Wieacker ‚Wandlungen der Eigentumsverfassung‘ revisited, Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 5/6 (1976/1977), 841, 849 ff. Näher Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo (2005), S. 21 ff, 120 ff. 85 Schulte, Harry Westermann, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 305, 311, 313 mit Bezug auf H. Westermann, Die Konstruktion des Rechts an der eigenen Sache im Gebiet des B.G.B. (1933), S. 26 f.; dens., Die Bestimmung des Rechtssubjekts durch Grundeigentum. Eine Darstellung der subjektiv dinglichen Rechte und Pflichten im Bodenrecht (1942); dens., Die Forstnutzungsrechte (1942), S. 2 ff. 86 R. Schröder, Das BGB im Dritten Reich, in: Diederichsen/Sellert (Hrsg.), Das BGB im Wandel der Epochen. 10. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ (2002), S. 109, 112 f., dazu der Diskussionsbeitrag von Diederichsen, in: Avenarius, Diskussion zu dem Referat von Herrn Schröder, aaO., S. 127, 128. 87 Wieacker (Fn. 84), S. 14. 88 Frommel, Die Rezeption der Hermeneutik bei Karl Larenz und Josef Esser (1981), S. 55 ff., 136 ff. Bemerkenswert ist, dass die Rezeption (durch Frommel) der Rezeption (durch Larenz) nun ihrerseits Gegenstand der Rezeption (durch Hüpers [Fn. 69], S. 219 ff.) geworden ist. 89 Canaris (Fn. 4), S. 263, 295 mit Fn. 123, 305. 90 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl. 1975), S. VII; Canaris (Fn. 4), S. 263, 296. 91 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950).

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kreten Bedingungen des „völkischen“ Staates die uneingeschränkte (abstrakte) Rechtsfähigkeit nur noch den „Rassegenossen“ zukommt, so lässt sich das „bewegliche System“ durch ein „völkisches“ Element in Richtung des Unrechts bewegen. Dies zeigte Wilburg selbst – zeitgleich zu der themenverwandten, im Vortrag von Johannes Köndgen92 besprochenen „Gefährdungshaftung“ Josef Essers93 – in seinen „Elementen des Schadensrechts“, indem er in sein Buch einige für sein Konzept weitgehend folgenlose NS-Platitüden aufnahm,94 und das, obwohl oder vielleicht gerade weil Wilburg den Nationalsozialisten suspekt war.95 Für Wilburg war dies ein ideologisches Feigenblatt, um die Grundsätze der ökonomischen Analyse des Rechts vorwegzunehmen: „als weiteres Element der Gedanke, daß die Volksgemeinschaft vor allem den zur Tragung des Schadens verpflichtet, der hierzu am leichtesten in der Lage ist, somit […] die wirtschaftliche Kraft des Haftenden oder die

92 Köndgen, Josef Esser – Grenzgänger zwischen Dogmatik und Methodologie, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 103, 109. 93 Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung. Beiträge zur Reform des Haftpflichtrechts und zu seiner Wiedereinordnung in die Gedanken des allgemeinen Privatrechts (1941). Bereits das von Esser vorangestellte und S. 131 f. aufgegriffene Zitat aus Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Vortrag gehalten am 5. April 1889 in der juristischen Gesellschaft zu Wien (1889), S. 15 beschwor den „Gemeinschaftsgeist“ und spricht für Köndgens (Fn. 92) Annahme, dass Essers „Pointierung der ‚sozialen Schadenverteilung‘ nicht nur der iustitia distributiva geschuldet, sondern auch ein Kind des Zeitgeistes war – eines Zeitgeistes, der bekanntlich dem Gemeinschaftsgedanken verpflichtet war“ – und dem Feindbild 19. Jahrhundert, vgl. Esser aaO., S. 50 ff., dort S. 61 mit aussagekräftigem Zitat von Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (1889), S. 261 f. Den zeitgenössischen Einfluss Gierkes betont auch Schulte (Fn. 85), S. 305, 310. 94 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts (1941), S. VII f.: „Der nationalsozialistische Staat wird mit dem Aufbau eines volksbürgerlichen Rechtes auch die Grundsätze über den Schutz gegen Unrecht neu gestalten. Er bietet damit die Möglichkeit, die Lehre des Schadensersatzes auf einen Weg zu führen, der aus alter Starrheit und Verworrenheit befreit. […] Wenn die hier unternommene Arbeit sich als nützlich zu erweisen hofft, so sieht sie die Möglichkeit hierzu in einer organischen Entwicklung, die die fruchtbaren, aber zerrissenen Ergebnisse der bisherigen Lehre zu einem neuen Ganzen fügt, und mit der Idee der Gemeinschaft im Sinne des nationalsozialistischen Pflichtgedankens verbindet. Der Gemeinschaftsgedanke gewinnt hierbei beherrschende, nach verschiedensten Seiten hin maßgebende Bedeutung. Er stellt vor allem die Entscheidung über eine Verantwortlichkeit als eine Frage dar, die nicht vom Standpunkt einzelner Personen, sondern in erster Linie aus dem Interesse der Gesamtheit zu lösen ist. Aber auch im Verhältnis der einzelnen zueinander erzeugt die Idee der Gemeinschaft Pflichten, die über die Rechtsauffassung des Individualismus weit hinausgehen.“ 95 Vgl. Steininger, Walter Wilburg als Lehrer und Forscher in der Erinnerung seiner unmittelbaren Schüler und das Bewegliche System im Gesamtgefüge der Wissenschaften, in: Bydlinski u.a. (Gesamtredaktion), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht (1986), S. 1, 10.

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Zumutbarkeit, sich gegen Haftung zu versichern“ 96, in heutiger Terminologie also der superior risk bearer oder der cheapest insurer 97. In der Hand desjenigen, der es mit der „Volksgemeinschaft“ ernst meint, wäre dies ein gefährliches Werkzeug, etwa: den Schaden trägt derjenige, der sich nach Ansicht der „Volksgemeinschaft als Rechtsgemeinschaft“ 98 am leichtesten entrechten lässt, gewissermaßen ‚the cheapest deprivee of legal and human rights‘. Hier wie dort bleibt dagegen als Ausweg der Hinweis Canaris’, dass ein „völkisches“ Argument, das etwa die Zugehörigkeit zu einer „Rasse“ als Differenzierungskriterium anerkennt, von vornherein unwissenschaftlich ist und somit nicht die juristische Methode als solche, sondern deren Anwender diskreditiert.99 Von seinen antisemitischen Äußerungen hat sich Larenz nie distanziert,100 wenngleich er 1942/43 unter der Überschrift „Sittlichkeit und Recht“ die Befehlsverweigerung gegenüber einem Tyrannen (Antigone/Kreon) oder Kriegsherrn (General York/Friedrich Wilhelm III.) als „tragischen Konflikt“ bezeichnete, den derjenige für sich hinreichend auflöst, der (in diesem Falle York) „vor seinem Gewissen besteht“.101 Mit Recht hebt Canaris jene – zumindest unter diesem Aspekt bisher weniger bekannten102 – Äußerungen von Larenz als „mutig“ hervor, ohne „Larenz zu einem geistigen Verbündeten des Widerstands gegen Hitler hochzustilisieren[103], zumal auch dieser Abschnitt wieder von ‚Blut‘, ‚Rasse‘ und ‚völkisch‘ durchsetzt ist“, und ohne sich ein „Urteil darüber an[zumaßen], was [Larenz] sich bei diesen Ausführungen letztlich gedacht haben mag“.104 Mutig (und gegenüber den Auftraggebern geradezu unverschämt) war dies deshalb, weil das Buch, das Larenz möglicherweise vor der Einberufung bewahrte, als hochoffiziöse kriegswichtige Publikation durch den Kieler Rektor Paul Ritterbusch initi-

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Wilburg (Fn. 94), S. 29, vgl. auch S. 36 f. Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (4. Aufl. 2005), S. 406 ff., 412 ff. 98 Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht. Zur Wandlung der Rechtsgrundbegriffe, in: Dahm u.a. (Hrsg.), Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), S. 225, 241 f. 99 Canaris (Fn. 4), S. 263, 279, 294. 100 Sehr kritisch hierzu Canaris (Fn. 4), S. 263, 273: „dramatisches Defizit“. 101 Larenz, Sittlichkeit und Recht. Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Rechtsdenkens und zur Sittenlehre, in: ders. (Hrsg.), Reich und Recht in der deutschen Philosophie, Erster Band (1943), S. 169, 409 [241] f. 102 Eingehend zu „Sittlichkeit und Recht“ (Fn. 101) und zur Rezeptionsgeschichte nun aber Hüpers (Fn. 69), S. 188 ff., 204 ff.; aus der rechtshistorischen Literatur hervorzuheben Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht (1974), S. 59 ff., allerdings ohne Bezug auf die von Canaris (Fn. 4), S. 263, 287 f. zitierten Passagen. 103 Anders Hüpers (Fn. 69), S. 184, 196, 198 f. 104 Canaris (Fn. 4), S. 263, 287 f. 97

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iert war und selbstverständlich der Zensur unterlag.105 Ob Larenz im Dezember 1942, als er das Vorwort schrieb,106 vom Stalingrader Kessel gerüchteweise gehört oder in Feldpostbriefen davon gelesen hatte 107 – im Wehrmachtsbericht war von Einkesselung noch nicht die Rede – und die Passagen gar nach Abnahme des Textes durch das Goebbelsministerium eingefügt hat,108 ist Spekulation, ebenso wie die vielleicht nicht ganz fern liegende Frage, ob Larenz hier sein in dogmatischen Fragen anerkannter „Spürsinn für ‚in der Luft liegende’ Tendenzen“109 half. Larenz verhielt sich als typischer Angehöriger der nationalkonservativen Weimarer Eliten, die an Hitler öffentlich110 erst zu zweifeln begannen, als sie erkannten, dass er sie nicht „herrlichen Zeiten“, sondern dem Abgrund entgegenführte.111 Untypisch verhielt sich Flume, der – so Lobinger in der bereits erwähnten Diskussion über methodologische Differenzen112 – anders als Larenz nie über Rechtsethik gesprochen, sondern sie gelebt habe, und zwar bereits 1933 im Angesicht der – so Lobingers Formulierung – „Fratze des Totalitarismus“, in Gestalt eines SA-Sturmführers, dem Flume öffentlich vorgehalten hatte, ein „Schwein“ sei, wer als früherer Assistent von Martin Wolff nun zum Boykott jüdischer Professoren aufrufe.113 Unausgesprochen wirkte Lobingers Hin-

105 Dazu Hausmann „Deutsche Geisteswissenschaft“ im zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ 1940–1945 (3. Aufl. 2007), S. 21, 114 mit Fn. 49; Hüpers (Fn. 69), S. 184 f. 106 Larenz (Fn. 101), Vorwort, unpaginiert. 107 Hierzu Ebert, Feldpostbriefe aus Stalingrad (2003), S. 339 ff. 108 In einem Separatabdruck beschreibt Larenz „Sittlichkeit und Recht“ (Fn. 101) als ein „vor etwa anderthalb Jahren abgeschlossene[s] Werk“, Larenz, Sittlichkeit und Recht bei Samuel Pufendorf, Zeitschrift für Deutsche Kulturphilosophie 10 (1944), 101*. 109 Canaris (Fn. 4), S. 263, 292. 110 Vgl. für den Beginn der NS-Zeit Larenz’ eigene Schilderung in Briefen an K. D. Erdmann, Wissenschaft im Dritten Reich (1967), S. 15 Fn. 18 und R. Dreier, Karl Larenz über seine Haltung im „Dritten Reich“, JZ 1993, 454, 455 f. 111 Vgl. Stolleis, Das Zögern beim Blick in den Spiegel. Die deutsche Rechtswissenschaft nach 1933 und nach 1945, in: Lehmann/Oexle (Hrsg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Band 1: Fächer – Milieus – Karrieren (2004), S. 11, 18 f.: „Es gab eine typische Verlaufskurve der Einstellung zum Regime. Zunächst sieht man eine Funktionselite, die halb erwünscht, ohne genau zu wissen, was sie sich wünscht, halb befürchtet, ohne zu ahnen, wie berechtigt die Befürchtungen sein würden, in eine politische Lawine gerät und mit ihr zu Tal fährt. […] Die Mehrzahl dachte bürgerlich und konservativ, und sie war bereit, mit dem neuen Regime zu kooperieren, wenn es weiter Erfolge aufweisen könne, wenn es sich bei der Verfolgung von Gegnern mäßigen und auch sonst die Verhältnisse nicht umstürzen würde. Auf dieser schwankenden Grundlage entwickelte sich das symbiotische Verhältnis zwischen der Staatsführung und den traditionellen Eliten.“ 112 Oben S. 413. 113 Vgl. Lobinger (Fn. 31), S. 322, 325 mit Fn. 12 mit Blick auf das am 28.5.1994 geführte Interview Flumes gegenüber Anna Maria Gräfin von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933 (1999), S. 232 f. Flume versuchte vergeblich, die als Habilitationsleistung gedachte Arbeit unabhängig vom Habilitationsverfahren zu publizieren, vgl. das Protokoll der Verlagskonferenz beim Verlag Walter

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weis auf jene Auseinandersetzung, die dazu beitrug, dass Flume erst 13 Jahre später, nach Ende des „Dritten Reichs“, habilitiert werden konnte,114 wie eine Antwort auf eine in der Diskussion nicht gestellte Frage nach Larenz’ „Sittlichkeit und Recht“. Eine der beeindruckendsten Schilderungen der Nähe des Lehrers zum NSRegime gab Peter Ulmer. In wenigen nüchternen Worten beschrieb Ulmer – wohl erstmals115 –, wie Wolfgang Hefermehl 1945 „bei Nacht und Nebel“ aus Berlin floh und sich in Hamburg incognito im Hinterzimmer von Philipp Möhring versteckte, bis er 1947/48 denunziert und entnazifiziert wurde, hierdurch seinen Namen zurückerhielt und wieder öffentlich seinen Beruf ausüben durfte.116 Ungewöhnlich war nicht die Flucht vor den sowjetischen Truppen, wohl aber das lange Untertauchen in Hamburg, denn – so der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard zu General Lucius D. Clay – „[i]n der britischen Zone kann ein Mann Ministerialdirektor werden, den wir nicht einmal als Briefträger einstellen könnten.“ 117 Wer so handelt wie Heferde Gruyter vom 9. Januar 1934, Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Dep. 42 (de Gruyter-Archiv), Nr. 62: „Angebote: […] Dr. Flume, Fak.Ass. (Bln.), Der Irrtum üb. d. Eigenschaften ds. Kaufgegenstandes (Mängelhaftung), etwa 250 Druckseiten); […] Beschlossen: […] ablehnen.“ Die Ablehnungsgründe sind nicht überliefert. Der Leiter der juristischen Verlagssparte Alexander Elster hatte fünf weitere Angebote vorgestellt, deren Druck vermutlich aus rein wirtschaftlichen Erwägungen gleichfalls abgelehnt wurde. „Eigenschaftsirrtum und Kauf“ wurde bekanntlich erst 1948 publiziert. 114 Hierzu Gräfin von Lösch (Fn. 113), S. 234; Lobinger (Fn. 31), S. 326. 115 Vgl. zuvor P. Ulmer, Wolfgang Hefermehl zum 95. Geburtstag, NJW 2001, 2776–2777, 2776: „Das Ende des Zweiten Weltkriegs zwang ihn zu einem grundlegenden beruflichen Neubeginn.“; Knopp, Gedenkworte, in: Akademische Gedenkfeier für Professor Dr. iur. Dr. iur. h.c. Wolfgang Hefermehl 18.9.1906–29.10.2001 (2003), S. 31, 33: „Die deutsche Katastrophe riß den Ministerialbeamten von einer scheinbar endgültigen Karriereschiene und warf ihn buchstäblich auf die Straße.“ Ergänzend ders., Wolfgang Hefermehl, in: C. H. Beck (Hrsg.), Juristen im Porträt, Festschrift zum 225-jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck (1988), S. 396–405, 397: „Versteck und schließliche Wanderung nach Westen gelingen. Unterschlupf wird das Städtchen Nordwalde bei Münster, die Heimat von Frau Hefermehl. Mit der Ministerialkarriere ist es aus. Dem Oberlandesgerichtsrat im Justizministerium des zerbrochenen Reiches wird nicht ohne Hohn eine hessische Inspektorenstelle angeboten.“ Bei Kisseler/Klamroth, Nachruf auf Prof. Dr. Wolfgang Hefermehl, WRP 2002, 64 beginnen die „ersten Jahre nach dem Krieg“ 1947 mit der Tätigkeit als Repetitor in Münster. 116 P. Ulmer, Wolfgang Hefermehl (1906–2001), in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 239, 241. 117 Protokoll der Beratung von General Clay mit den Ministerpräsidenten der US-Zone vom 23.02.1947, in: Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Band 2 (1979), S. 229. Formal sollte das Verfahren in der britischen Zone dem amerikanischen Verfahren angenähert sein, vgl. Sitzung des Zonenbeirats der britischen Zone vom 14./15.08.1946, in: Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Band 1 (1976), S. 667. Differenzierend Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949 (1991), S. 24 ff.

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mehl, weiß offenbar genau, wie schuldig er ist, und richtet sich selbst. Daran ließ die schonungslose Darstellung Ulmers keinen Zweifel. Wohl deshalb sah gerade bei diesem Schülerbericht niemand im Publikum Anlass für Nachfragen zur NS-Zeit; alles schien gesagt. Mit der Schriftfassung in der Hand ist nachzutragen, dass das scheinbar vollständige Verzeichnis von Hefermehls Schriften aus den Jahren 1937 bis 1975118 zwar die Arbeiten Hefermehls über die treuhänderische Zwangsverwaltung des „Feindvermögens“ nennt,119 aber drei Beiträge „Von Landgerichtsrat Hefermehl im Reichsjustizministerium“120 nicht enthält, die 1938 bzw. 1941 in der Zeitschrift „Deutsche Justiz. Amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege“ erschienen sind: „Das jüdische Unternehmen“121; „Die Ent118

Fischer u.a. (Hrsg.), Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht. Festschrift für Wolfgang Hefermehl zum 70. Geburtstag am 18. September 1976 (1976), S. 489, 489. 119 Krieger/Hefermehl, Behandlung feindlichen Vermögens, Kommentar [Loseblatt] zur Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens vom 15. Januar 1940 (RGBl. I 1940, S. 191) (ab 1940); Hefermehl, Die feindvermögensrechtlichen Verfügungsbeschränkungen (Diss. Berlin 1945). Die darin behandelten Verordnungen gelten auch in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als völkerrechtskonforme, auch in anderen kriegführenden Staaten übliche Vorkehrung, die selbst bei Vermögensbeschränkungen gegenüber ausländischen Juden nicht ohne weiteres Restitutionsansprüche begründe, hierzu BVerwG, VIZ 2000, 284, 285; ZOV 2006, 182; BVerwGE 128, 147. 120 Vgl. Hefermehls Eintrag im Personalverzeichnis des höheren Justizdienstes. Ein alphabetisches Verzeichnis der planmäßigen Beamten des höheren Justizdienstes mit Angaben über ihre Dienstlaufbahn. Bearbeitet im Büro des Reichsjustizministeriums (1938), S. 93: „Hefermehl, Wolfgang, * IX. 06, GA. 13. 10. 34, LGR Bln. 1. 12. 37.“ Daneben nennt das Verzeichnis Hefermehls Vater Karl. 121 Hefermehl, Das jüdische Unternehmen, DJ 1938, 988–991: „Die 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 (RGBl. I 1938, S. 627) hat durch die genaue Festlegung des Begriffs des jüdischen Gewerbebetriebs einem dringenden allgemeinen Bedürfnis Rechnung getragen. Abgesehen davon, daß es für jeden Volksgenossen von Wichtigkeit ist zu wissen, wann ein Gewerbebetrieb jüdisch ist, waren in mehreren jüngst erlassenen Gesetzen und Verordnungen, die der Ausschaltung des artfremden Einflusses in der deutschen Wirtschaft dienten, besondere Vorschriften für jüdische Gewerbebetriebe vorgesehen werden, deren unbeschränkte Durchführung kaum möglich war, solange nicht feststand, wann ein Gewerbebetrieb als jüdisch anzusehen ist. Die 3. Verordnung beschränkt sich nicht nur auf gewerbliche Betriebe von natürlichen Personen und Gesellschaften mit oder ohne Rechtsfähigkeit; sie gilt nach § 6 entsprechend auch für Vereine, Stiftungen, Anstalten und sonstige Unternehmen, die nicht Gewerbebetriebe sind. Sie enthält somit schlechthin eine für alle Rechts- und Verwaltungsgebiete geltende erschöpfende Festlegung des jüdischen Unternehmensbegriffs in seinem weitesten Sinne. Für die Ermittlung des jüdischen Charakters der in Gesellschaftsformen gekleideten Gewerbebetriebe geht die Verordnung von dem in § 5 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz für natürliche Personen festgelegten Begriff des Juden aus. […] Die Eigenschaft eines jüdischen Gewerbebetriebes richtet sich grundsätzlich danach, wieviel Juden den Organen der einzelnen Gesellschaften angehören. Diese Regelung des § 1 dürfte bereits in den meisten Fällen zur Feststellung des jüdischen Charakters eines Gewerbebetriebes ausreichen. Daneben bleibt von besonderer Bedeutung die in Anlehnung an § 15 AktG über das Wesen des Konzerns geschaffene Generalklausel des § 3, der vorsieht,

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judung der deutschen Wirtschaft“ 122 und „Zur Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben“ 123. Hefermehl erläuterte hier jeweils neue daß ein Gewerbebetrieb auch dann als jüdisch gilt, wenn er tatsächlich unter dem beherrschenden Einfluß von Juden steht. Durch diese Bestimmung können alle jüdischen Tarnungsmanöver, deren beliebteste Formen die Vorschiebung arischer Strohmänner zur Vortäuschung von Arisierung und die Ausnutzung besonderer Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts darstellen, in wirkungsvollster Weise vereitelt werden. […] Die Verordnung sieht die Eintragung der jüdischen Gewerbebetriebe in ein Verzeichnis vor, das von jedermann eingesehen werden kann (§§ 7, 15). Durch diese öffentliche Registrierung, die der Säuberung des Handels vom Judentum dient, besteht in Zweifelsfällen für jeden Volksgenossen die Möglichkeit, sich zu unterrichten, ob ein Gewerbebetrieb jüdisch ist. […] Die Entscheidung über die Eintragung in das Verzeichnis wird in einem besonderen Verwaltungsverfahren getroffen. Dieses Verfahren bietet die Garantie, daß vor der Eintragung in das Verzeichnis eine genaue Prüfung stattfindet, ob tatsächlich ein jüdischer Gewerbebetrieb vorliegt. Die Gefahr einer falschen Entscheidung, die in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Tragweite für einen nichtjüdischen Gewerbebetrieb einen fast unersetzbaren Schaden ersetzen würde, mußte soweit wie möglich ausgeräumt werden.“ 122 Hefermehl, Die Entjudung der deutschen Wirtschaft, DJ 1938, 1981–1984: „Die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12.11.1938 (RGBl. I 1938, S. 1580) und die dazu ergangene Durchführungsverordnung vom 23.11.1938 (RGBl. I 1938, S. 1642) sowie die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938 (RGBl. I 1938, S. 1709) verfolgen den Zweck, den jüdischen Einfluß auf die deutsche Wirtschaft völlig zu brechen und damit die Judenfrage auf wirtschaftlichem Gebiet endgültig zu lösen. Sie stellen zugleich den Abschluß eines im ganzen betrachtet einheitlichen und planmäßigen Gesetzgebungswerks mit dem Ziel der Gesamtentjudung der deutschen Wirtschaft dar. Durch die neuen Verordnungen werden daher die früher ergangenen Verordnungen und Anordnungen nicht bedeutungslos; sie erfahren vielmehr durch die neuen Bestimmungen eine wirkungsvolle Ergänzung und ermöglichen es, auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens jeden irgendwie spürbaren jüdischen Einfluß zu beseitigen. […] Die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938 (RGBl. I 1938, S. 414) legte den Juden für ihr Vermögen eine Anmelde-, Bewertungs- und Anzeigepflicht auf. Die Pflicht zur Anmeldung und Bewertung des Vermögens, der bis zum 30.6.1938 nachzukommen war, diente dazu, das jüdische Vermögen zu ermitteln und den Einfluß der Juden in der Wirtschaft festzustellen. Die Pflicht zur Anzeige jeder Erhöhung und Verminderung des Vermögens soll ermöglichen, die Bewegung des jüdischen Vermögens fortlaufend zu überwachen. […] Die Verordnung vom 3.12.1938 schafft nunmehr die Möglichkeit, den Einsatz des jüdischen Vermögens nach den Belangen der deutschen Wirtschaft auszurichten. Hierfür war es einmal nötig, jeden spürbaren jüdischen Einfluß, der den Zielen des Vierjahresplanes zuwiderläuft, zu beseitigen, andererseits das jüdische Vermögen für die Zwecke des Vierjahresplans auch positiv einzusetzen. […] Die Art. I und II geben eine Handhabe, unter bestimmten Voraussetzungen Entjudungen auch zwangsweise durchzuführen. Diese Maßnahme war vor allem deshalb nötig, weil die Inhaber jüdischer Gewerbebetriebe sich vielfach der Ausschaltung ihres Einflusses widersetzten und sich weigerten, ihren Betrieb in nichtjüdische Hände zu überführen. Bei Juden, die im Ausland wohnten, ließ sich eine Arisierung überhaupt nicht vornehmen.“ 123 Hefermehl, Zur Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben, DJ 1941, 422–423: „Obwohl heute die Entjudung der deutschen Wirtschaft im wesentlichen als abgeschlossen gelten kann, gibt es noch manchen Gewerbebetrieb, der zwar entjudet ist,

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Verordnungen zur „Arisierung“, die nur zum Teil in die Zuständigkeit des Justizministeriums fielen.124 Entgegen Peter Ulmers erleichterter, auf das Verzeichnis in der Festschrift gestützter Annahme125 lassen sich in diesen Aufsätzen leider viele „dem Zeitgeist Tribut leistende Äußerungen aus [Hefermehls] Feder […] feststellen“126, wie die hier in den Fußnoten zitierten Beispiele zeigen. Denn Hefermehl paraphrasierte nicht allein den Verordnungstext – bereits das wäre eine Verbeugung vor dem Zeitungeist –, sondern lieferte die Motive der Verordnungen nach. Wie Peter Hommelhoff in seiner Gedenkrede für Hefermehl andeutete, war Hefermehl „in unmittelbare, vielleicht zu große Nähe zu Franz Schlegelberger“ geraten, „zu diesem tragischen Staatssekretär im Justizministerium, einem der mörderischen Zentren der Macht“127 – Schlegelberger wurde im Nürnberger Juristenprozess zu dessen Inhaber jedoch in der Firma nach wie vor den Namen eines früheren jüdischen Inhabers oder Gesellschafters führt. Die im RGBl. I 1941, S. 177 verkündete Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben vom 27.3.1941 will diesem unerwünschten Zustand ein Ende bereiten. Von einem deutschen Kaufmann kann verlangt werden, daß er nicht unter dem Namen eines früheren jüdischen Inhabers oder Gesellschafters Handel treibt. Ein berechtigtes Interesse an der Beibehaltung von Firmen, in denen der Name eines Juden enthalten ist, kann nicht anerkannt werden. Der Grundsatz von der Erhaltung des Firmenwerts (§§ 22, 24 HGB) muß in diesem Falle zurücktreten.“ Hierzu die Berichtigung in DJ 1941, 445: „In dem Aufsatz von Landgerichtsrat Hefermehl ‚Zur Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben‘ (Dt. Just. Nr. 14 S. 422/3) lautet in Abschnitt III ‚Übergangsregelung‘ der erste Satz richtig wie folgt: ‚Da die Verordnung eine endgültige Ausmerzung der Namen früherer jüdischer Inhaber oder Gesellschafter aus Firmenbezeichnungen bezweckt, können Ausnahmen von der Verpflichtung zur Neubildung einer Firma nicht erteilt werden.‘“ In der Ursprungsfassung fehlte das Wort „nicht“. 124 Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938, RGBl. I 1938, S. 627; Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23. November 1938, RGBl. I 1938, S. 1642; Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben vom 27. März 1941, RGBl. I 1941, S. 177. 125 P. Ulmer (Fn. 116), S. 239, 245. 126 Mit ähnlichen Worten wie P. Ulmer, aber entgegengesetztem Ergebnis überlieferte ohne Bezug auf Hefermehls Schriften zur „Arisierung“ bereits Knopp (Fn. 115), S. 396, 397 eine Äußerung Hefermehls: „Er hat – auch gegenüber ‚kritischen‘ Studenten, viel später in Heidelberg – nie ein Hehl daraus gemacht, daß er dem deutschen Zeitgeist seinen Tribut zollte, ‚sich einreihte‘, wie er formuliert. Lange Jahre war er mit klassischer Ministerialarbeit befaßt: der Vorbereitung und Umsetzung des Aktiengesetzes von 1937. Der Krieg belastete ihn dann mit der Verwaltung beschlagnahmten Feindvermögens; zivilrechtlichen Aspekten dieses Gebietes galt auch seine Dissertation.“ 127 Hommelhoff, Gedenkworte, in: Akademische Gedenkfeier für Professor Dr. iur. Dr. iur. h.c. Wolfgang Hefermehl 18.9.1906–29.10.2001 (2003), S. 19, 20. Das Attribut „tragisch“ verwendet auch die Urteilsbegründung im Nürnberger Juristenprozess, siehe Fn. 128 a.E. Laut Kisseler/Klamroth, WRP 2002, 64 war Hefermehl im Justizministerium „u.a. persönlicher Referent des damaligen Staatssekretärs Schlegelberger.“ Der Geschäftsverteilungsplan des Reichs- und Preußischen Justizministeriums bei Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933–1940, (2001), S. 1149 ff. nennt andere Personen, die „Zur persönlichen Verfügung“ des Staatssekretärs standen, datiert insoweit allerdings vom 22.10.1934, als Hefermehl gerade erst in den Justizdienst eingetreten war, vgl. das Personalverzeichnis (Fn. 120).

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lebenslanger Haft verurteilt.128 Bei dem „Märzgefallenen“ Hefermehl – Parteimitglied als Referendar seit 1. Mai 1933129 – ging es anders als bei dem ‚Pg. wider Willen‘ Schlegelberger 130 zwar nicht um Euthanasie, Polenstrafverordnung und Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz, sondern ‚nur‘ um die wirtschaftliche Entrechtung von Juden. Aber auch diese hatte in Schlegelbergers Einflusssphäre im Justizministerium durchaus System. So entstand der Referentenentwurf zur GmbH-Reform von 1939 in der von Leo Quassowski geleiteten Abteilung V des Reichsjustizministeriums, der auch Hefermehl angehörte.131 In der Begründung zu § 139 GmbHG-E 1939, der den Ausschluss von Gesellschaftern einführen sollte, heißt es: „Der Ausschluß ist an keine weiteren Voraussetzungen [als den in der Person des Auszuschließenden liegenden wichtigen Grund] gebunden, so daß an sich auch ein Mehrheitsgesellschafter von einer Minderheit ausgeschlossen werden kann. Nur wird in einem solchen Falle die Abfindung des Ausscheidenden häufig Schwierigkeiten bereiten. Daß diese nicht immer unüberwindbar sind, hat sich verschiedentlich bei den Maßnahmen gezeigt, die zur Entjudung der deutschen Wirtschaft durchgeführt worden sind.“132 Die wirtschaftsrechtliche Abteilung verfügte für diese Fragen über einen ausgewiesenen Experten: Hefermehl, zuständiger Referent nicht nur für Handels-, Gesellschafts128 Hierzu zum Teil kontrovers Nathans, Franz Schlegelberger (1990), S. 78 ff.; Wulff, Staatssekretär Professor Dr. Dr. h.c. Franz Schlegelberger 1876–1970 (1991), S. 65 ff.; Wrobel, Schlegelberger und seine Biographen. Kritische Anmerkung zu zwei Sichtweisen einer Person, Ius Commune XX (1993), 273–289; Förster, Jurist im Dienst des Unrechts: Leben und Werk des ehemaligen Staatssekretärs im Reichsjustizministerium, Franz Schlegelberger 1876–1970 (1995), S. 156 ff.; Schädler, ‚Justizkrise‘ und ‚Justizreform‘ im Nationalsozialismus. Das Reichsjustizministerium unter Reichsjustizminister Thierack (1942– 1945) (2009), S. 49 ff. Das Urteil gegen Schlegelberger ist u.a. dokumentiert in: Zentral-Justizamt für die Britische Zone (Hrsg.), Das Nürnberger Juristenurteil (vollständige Ausgabe 1948), dort S. 144 das Resümee: „Schlegelberger ist eine tragische Gestalt. Er liebte das Geistesleben, die Arbeit des Gelehrten. Er verabscheute das Böse, das er tat, aber er verkaufte diesen Intellekt und dieses Gelehrtentum an Hitler für ein politisches Linsengericht und für die eitle Hoffnung persönlicher Sicherheit. Er ist nach Anklagepunkt 2 [Kriegsverbrechen] und 3 [Verbrechen gegen die Menschlichkeit] schuldig.“ 129 Bundesarchiv Berlin, NSDAP-Reichskartei Mikrofilm H 0014; NSDAP-Ortsgruppenkartei Mikrofilm H 0033. 130 Wulff (Fn. 128), S. 32; Förster (Fn. 128), S. 51. 131 Vgl. Geschäftsverteilungsplan des Reichs- und Preußischen Justizministeriums bei Gruchmann (Fn. 127), S. 1198 ff. Die Abteilung V war danach zuständig für Handels-, Verkehrs- und Wirtschaftsrecht, Vereinsrecht, öffentliches Recht und Völkerrecht. 132 Entwurf einer amtlichen Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, in: Schubert (Hrsg.) Entwurf des Reichsjustizministeriums zu einem Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1939, ZHR-Beiheft 58 (1985), S. 192, dort S. 84 ff. zur Entstehungsgeschichte des Entwurfs und der von Meyer-Cording verfassten, möglicherweise von Quassowski und Schlegelberger noch veränderten Entwurfsbegründung. Zu der zitierten Passage bereits Becker, Der Ausschluß aus der Aktiengesellschaft, ZGR 1986, 383, 385 f. Fn. 10, auch zu der in Fn. 136 zitierten Reichsgerichtsentscheidung und der Kritik von Masur.

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und Wirtschaftsrecht und für die „Behandlung des feindlichen Vermögens“, sondern eben auch für „Judengesetzgebung“.133 Der Entwurf wurde „wegen des Kriegszustandes“134 nicht Gesetz, aber die Rechtsprechung verwirklichte einmal mehr135, was der Entwurf gewollt hatte: 1942 erkannte das Reichsgericht 136 erstmals an, „daß die GmbH. auch ohne eine dahin gehende Sat-

133 Im Geschäftsverteilungsplan des Reichs- und Preußischen Justizministeriums bei Gruchmann (Fn. 127), S. 1199 f. sind für 1941 folgende Zuständigkeiten Hefermehls verzeichnet: „1) Wirtschaftsrecht, namentlich: Gewerberecht, Handwerksrecht, Kartellrecht, Preisrecht, Marktregelung, Vierjahresplan, Organisation der Wirtschaft, Reichswirtschaftsgericht, Judengesetzgebung […] 2) Behandlung des feindlichen Vermögens sowie Behandlung des norwegischen, niederländischen und belgischen Vermögens […] 3) Laufende Arbeiten auf dem Gebiete des Rechts des handelsrechtlichen Arbeitsvertrages, der Handlungsagenten und der Handelsmäkler 4) Schuldrechtliche Einzelsachen aus den Bezirken Dresden, Karlsruhe, München, Nürnberg, Oldenburg, Stuttgart, Zweibrücken 5) Mitarbeit an der Rechtserneuerung und den laufenden Arbeiten auf dem Gebiete des Rechts der Handelsgesellschaften […] 6) Mitarbeit an der Erneuerung des Rechts des Handelsstandes und der Handelsgeschäfte – ohne das Recht der Spediteure, Lagerhalter und Frachtführer –, des handelsrechtlichen Arbeitsvertrags, der Handlungsagenten und Handelsmäkler.“ Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt vor diesem Hintergrund die Bemerkung von Koppensteiner, Gedenkworte, in: Akademische Gedenkfeier für Professor Dr. iur. Dr. iur. h.c. Wolfgang Hefermehl 18.9.1906–29.10.2001 (2003), S. 37, 41: „In diesem Ministerium wurde, jedenfalls in den nationalsozialistisch aufgrund der Sache nicht oder kaum infizierten Abteilungen auf fachlich hohem Niveau gearbeitet.“ Darauf ist mit Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung (6. Aufl. 2005), S. 481 zu antworten: „Wenn eine Speise mit Cyankali oder E 605 versetzt ist, erscheint es zynisch, die Normalität und Frische der übrigen Zutaten hervorzuheben.“ 134 Vermerk aufgrund einer Entscheidung Schlegelbergers vom 14.11.1939, Schreiben vom 28. März 1940, Bundesarchiv R 3001 RJM Generalia Nr. 10658 (3510/1), Bl. 24 (29), 54 (59). 135 Hierzu Thiessen, Transfer von GmbH-Recht im 20. Jahrhundert – Export, Import, Binnenhandel, in: Duss/Linder u.a. (Hrsg.), Rechtstransfer in der Geschichte (2006), S. 446, 470 ff., 475 ff. 136 RGZ 169, 330, 333 ff. Eine „Konsequenz und […] praktische Durchführung einer verbrecherischen Irrlehre“ nannte dieses Urteil bereits der Rechtsanwalt beim Obersten Gerichtshof für die britische Zone Masur, Zum Ausschluß eines Gesellschafters einer GmbH aus wichtigem Grund, NJW 1949, 407; daran anknüpfend kritisch zur – bis heute andauernden – neutralen bis zustimmenden Zitierung in der Kommentarliteratur Löwer, Cessante ratione legis cessat ipsa lex. Wandlung einer gemeinrechtlichen Auslegungsregel zum Verfassungsgebot? Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 23. November 1988 (1989), S. 17 f., darauf soweit ersichtlich allein reagierend Hachenburg-Ulmer, GmbHG (8. Auflage 1992), Anh § 34 Rn. 2 Fn. 3; kürzer Ulmer/ Habersack/Winter-Ulmer, GmbHG (2006), Anh. § 34 Rn. 3 Fn. 4, der den Vorwurf Löwers zurückweist, in der Entscheidung sei ein „Dammbruch zu sehen, der den Weg für Unrecht freigab“, zumal der Ausschluss das Reich als Nachfolger des vertriebenen Gesellschafters getroffen habe. Unter rechtsstaatlichen Verhältnissen, aber mit Bezug auf einen Teil der dogmatischen Herleitung von RGZ 169, 330, 334 (keine stillschweigende Vereinbarung, aber Treupflicht, dazu zuvor RGZ 164, 257, 262, im Anschluss an die gleichfalls NS-lastige, nach 1945 ‚bereinigte‘ Abhandlung von F. Scholz, Ausschließung und Austritt eines Gesellschafters aus der GmbH [1942] sowie den Besprechungsaufsatz zu RGZ 169, 330 von

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zungsbestimmung die Möglichkeit haben muß, sich eines Gesellschafters zu entledigen, der aus einem in seiner Person liegenden Grunde völlig untragbar geworden ist“, und zwar in casu deshalb, weil sich durch die – von Hefermehl kommentierten – Verordnungen137 „die ablehnende Haltung des deutschen Volkes gegenüber dem Judentum erheblich verstärkt hat“. Der Auszuschließende müsse zuvor auch nicht angehört werden, „weil die Tatsache, daß M. ein Jude war, einwandfrei feststand“ und daran „auch seine Anhörung nichts ändern“ könne. Die vor 1945 zu große Nähe zur Politik kompensierte Hefermehl nach dem Krieg – wie viele andere seiner Generation – mit politischer Abstinenz und weitgehendem Schweigen über die Zeit vor 1945.138 Der Kontrast zwischen den wenig schmeichelhaften Umständen von Hefermehls Flucht und den späteren Insignien seines Erfolgs, dem notorisch bekannten silbergrauen Porsche samt teurem Führerschein139, wirkt fast ein wenig klischeehaft: die Tätergeneration, die sich im Wirtschaftswunderland behaglich eingerichtet hat, eine Vorwegnahme des SPIEGEL-Titels zum „unglaubliche[n] Wiederaufstieg der Deutschen nach 1945“ aus „Schutt und Schuld“140 und damit auch zum unglaublichen Wiederaufstieg der deutschsprachigen Zivilrechtslehrer.

dems., Ausschließung und Austritt aus der GmbH, DR 1942, 1667–1670) hat BGHZ 9, 157, 161, 163 = NJW 1953, 780, 781 den Ausschluss aus wichtigem Grund zugelassen; heute allgemein anerkannt. Aus hiesiger Sicht ist die RG-Entscheidung weder zitierfähig noch auch nur zitierbedürftig, Bork/Schäfer-Thiessen, GmbHG (2010), § 34 Rn. 56 Fn. 192. 137 Vgl. Fn. 121–123. Die Veröffentlichungen Hefermehls werden im Gegensatz zu den Verordnungen vom Reichsgericht nicht zitiert. 138 Hervorgehoben von Ulmer (Fn. 116), S. 239, 243. 139 Ulmer (Fn. 116), S. 239, 257; dazu bereits Knopp (Fn. 115), S. 396, 400 f. 140 Aus Schutt und Schuld. Der unglaubliche Wiederaufstieg der Deutschen nach 1945, DER SPIEGEL 20/2010, S. 154 ff. („Auferstanden aus Ruinen“); der Beitrag behandelt die Nachkriegsarchitektur.

10. Teil Schlaglichter der Entwicklung

Bemerkungen zu einem vielschichtigen Unterfangen Christine Windbichler I.

Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personenbezug in der Rechtswissenschaft 2. Zur Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . III. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Welche Vorstellungen die Herausgeber mit ihrer Vortrags- und Buchreihe „Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler“ verbunden haben, ist in der Einleitung zum ersten Band eindrücklich geschildert. Was davon erreicht ist, was nicht, welche zusätzlichen Perspektiven oder auch Fallgruben sich aufgetan haben, sollte erst nach Abschluss des gesamten Projekts, und auch dann aus einem gewissen Abstand heraus, diskutiert werden. Hier, gewissermaßen im Übergang vom ersten zum zweiten Band, gar dem Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, ist eher Raum für einige Bemerkungen des teilnehmenden Beobachters.

I. Personen 1. Personenbezug in der Rechtswissenschaft In vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen wird anhand von Personen und ihrem Werk in das Fach eingeführt. Nicht so in der Jurisprudenz; Einführungen in die Rechtswissenschaft hangeln sich nicht an Gelehrten entlang. Die Person tritt hinter die Theorie, das Argument, die höchstrichterliche Entscheidung oder die gesetzliche Vorschrift zurück. Juristische Monographien enthalten traditionell kein Namensregister, sehr zur Enttäuschung von Vertretern anderer Fachgebiete, die als Erstes dort zu suchen pflegen (wonach wohl). Juristische Dissertationen, die den Sachstand in der Form gliedern, dass sie die Auffassungen von A, dann B, dann C berichten, gelten als unsouverän und altbacken, es sei denn es findet sich eine besondere Begründung für dieses Vorgehen. Eine solche Begründung kann

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sein, dass man um bestimmte Personen und ihr Œuvre einfach nicht herum kommt. Zu den Mühen rechtswissenschaftlicher Ausbildung gehört es, zwischen deskriptiv-referierenden, pragmatisch-trivialen, exotisch-überoriginellen und analytisch-weiterführenden Literaturstimmen unterscheiden zu lernen. Sich an Namen zu halten, ist ein beliebtes Hilfsmittel. Rechtswissenschaft wird nicht nur von Menschen betrieben, sondern lebt insgesamt vom Diskurs. Die Rechtspraxis nimmt die Ergebnisse auf oder auch nicht; Wertschätzung der Gedankenschöpfer dürfte dabei die geringste der Triebkräfte sein. Ideengeschichte oszilliert zwischen dem signifikanten Einzelbild und der systematischen Betrachtung des Werkes (so für die Kunst- und Kulturwissenschaften Grundmann/Riesenhuber in der Einleitung zum ersten Band S. 4). Rechtswissenschaft gewinnt durch stets erneuerte Vergewisserung ihrer gedanklichen Quellen. Nicht nur im universitären Alltag ist das Ärgernis bekannt, dass aus guten Gründen ad acta gelegte Vorstellungen als neue Ideen präsentiert werden, nicht, weil ein neuer Aspekt, veränderte Umstände etc. hinzu gekommen wären, sondern aus schlichter Unkenntnis des Unterfutters. 2. Zur Auswahl Aus den subjektiven Elementen machen die Veranstalter der Ringvorlesung und Herausgeber der Sammelbände keinen Hehl. Ohne solch „liebende Willkür“ (K. Schmidt zur Auswahl der Juristischen Bücher des Jahres) wäre das Unternehmen nicht zu bewältigen. Die „gefühlte Spitzenqualität“ (Einleitung zum ersten Band S. 11 in Bezug auf Fakultäten) durfte sich entfalten. Der Leser mag den einen Porträtierten ideengeschichtlich weniger wichtig finden als den anderen und wieder andere schmerzlich vermissen. Auch die Art der Schilderung ist persönlich, einmal mehr anekdotisch-privat, einmal streng werkorientiert. Was aber macht den Rechtswissenschaftler bedeutend, wie misst man den „impact“? In Zeiten bibliometrischer Verfahren und standardisierter Indizes ist die Frage nach Werk und Wirkgeschichte keinesfalls altmodisch. Im Gegenteil, das vorliegende Projekt macht besonders deutlich, dass Publikations- und Zitationszahlen für die Rechtswissenschaft nicht taugen. Wenn ein Konzept sich durchsetzt, sei es in der Gesetzgebung, sei es in der Rechtspraxis, wird gerade nicht zitiert; die Akzeptanz ist oft genug umgekehrt proportional zur Vorstellung von individueller Autorschaft. In den Fußnoten ballt sich überdies häufig die Ablehnung, was immerhin „impact“ insofern beweist, dass eine Erwähnung der „a.A.“ für erforderlich gehalten wird. Die spezifisch juristischen Literaturgattungen und Publikationsformen, vor allem Kommentar und Festschrift, entziehen sich den bis jetzt entwickelten Zählmaschinen. Hinzu kommt die unmittelbare Bedeutung der Rechtspraxis. Rechtswissenschaftler stehen zwar in dem Ruf, den Gegenstand ihrer For-

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schung selbst zu produzieren; dem Anwendungsbezug kann und will sich aber auch der zivilrechtliche Reinraumtheoretiker nicht entziehen. In diesem Zwischenreich zwischen Theorie und Praxis bleibt nach wie vor die Einschätzung in der community als wichtigster Gradmesser. Ein Nebeneffekt der unbestreitbar praktischen digitalen Recherchemöglichkeiten ist zudem, dass Abwegiges am Sterben gehindert wird. Unverdrossen liefern Suchmaschinen den obsoleten Aufsatz und die Ausreißerentscheidung. Umso wichtiger ist die Sortierung von Hand, sei es in den Literaturhinweisen im Kommentar oder Lehrbuch, sei es in einem gezielten Projekt wie dem vorliegenden, die vorschlägt, wen und was zu lesen lohnt. Die Zeit, in Form von Lebenszeit, Kalenderzeit, historischen Ein- und Abschnitten, spielt ihre eigene Rolle. Die Bezeichnung „Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ bietet sich als Rückgriff auf die Konvention des Kalenders an. Inhaltlich reicht die erfasste Ideengeschichte deutlich zurück ins 19. Jahrhundert; und darüber, wann etwas distinkt Neues, etwa die Zeit nach Ende des Kalten Krieges oder ein Kristallisationspunkt der Europäisierung, anfängt, kann man füglich streiten. Das Datum der Jahrhundert-, für großräumig Denkende: Jahrtausendwende ist das nicht unbedingt. Das biographische Element, das in der Ausrichtung an Schüler-Lehrer-Beziehungen liegt, ist ein segensreicher Zufallsgenerator. Es treten Früherkenntnisse, Gleichzeitigkeiten und Rückgriffe zutage, die sonst kaum auffallen würden. Zeitbedingtheit und Zeitlosigkeit von juristischen Erwägungen werden in der Ideengeschichte deutlich.

II. Zivilrechtswissenschaft Eine Ideengeschichte des Zivilrechts findet keine fest gefügten Begriffe vor. Schon der erste Band zeigte die enge Verknüpfung, Überlappung, ja Identität von Zivil- und Wirtschaftsrecht. Nach Fikentscher ist der Markt ein Dialog über Werte; der Vertrag ist die Sprache. Die zunehmende Entfaltung zunächst des Kartell-, dann des Kapitalmarktrechts hat in eine Gemengelage von öffentlichem und Privatrecht geführt. Gleichwohl ist es den interessierten Zivilrechtlern, beispielhaft etwa Mestmäcker, eine Selbstverständlichkeit, sich mit dem Regulierungsrecht zu befassen. Öffentlichrechtliche Formen des Marktordnungsrechts sind vom Vertragsgeschehen untrennbar. Die Einheit von Privat- und Wirtschaftsrecht (vgl. Band 1, Einleitung S. 12) setzt sich fort in einer Erweiterung der Disziplin. Entsprechendes gilt für Methodenfragen. Internationalisierung und Rechtsvergleich, zunächst als Gelehrtenfach und sachgesetzlich in der Nähe des Internationalen Privatrechts verortet, werden zur selbstverständlichen Methode zum Zurechtfinden, sei es im Europäischen Mehrebenensystem, sei es in der vernetzten Weltwirtschaft. Außerjuristische Perspektiven, vor allem

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soziologische und ökonomische, dienen als verbindende Klammer und Vergewisserung, was Zivilrecht leistet, ist und sein kann. Unter den im vorliegenden Band porträtierten Zivilrechtlern findet sich kein einziger, den man als uneingeschränkten Verfechter „der“ ökonomischen Analyse des Rechts im Sinne von Posner und der Chicago-Schule („freshwater economics“) apostrophieren könnte. Das ist kein Mangel, im Gegenteil. Die Verzögerungselemente, die in der Rezeption von Nachbarwissenschaften liegen, mögen auch als Filter dienen. Gerade der methodenbewusste und -kritische Zivilrechtler prüft seine Bindung an außerjuristische Argumente, was für Töchter im Familienrecht zu anderen Ergebnissen führt als im Konzernrecht.

III. Perspektiven Eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen nimmt eine personenbezogene Perspektive ein. Die Bezeichnung „Zivilrechtslehrer“ und die Rolle der Schüler als Berichterstatter zeugt von forschungsnaher Lehre im akademischen Betrieb. Lehren im Sinne der Begriffs-, Theorie- und Systembildung werden normalerweise im Wege der wissenschaftlichen Publikation verkündet. Der Kunstgriff, Personen aus einem akademischen Näheverhältnis heraus über Personen berichten zu lassen, lässt die Bezüge zur Praxis, zum politischen und wirtschaftlichen Umfeld transparenter werden, ohne dass gleich kategorisiert werden müsste. Dass als berichtende Schüler nur solche in Betracht kamen, die selbst forschend aktiv geworden waren, versteht sich von selbst. Ohne eine solche Doppelrolle ist Ideengeschichte nicht zu schreiben. So mancher der bei den Vorträgen anwesenden Jahrhundert-Zivilrechtslehrer fühlte sich in die Rolle des Lernenden zurück versetzt; Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind ja bekanntlich nicht identisch. Hinzu kommt, dass im vorliegenden, dem zweiten Band mehrere laudierende Schüler des ersten Bandes nun als Lehrer porträtiert werden. Der Zuhörer, der einen (großen) Teil der Präsentierten und der Präsentierer wissenschaftlich und persönlich kennt, lernt gern dazu.

Skizzenartige Impressionen zu einem verdienstvollen Werk Martin Henssler / Clemens Höpfner I. II. III. IV. V.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die notwendige Subjektivität und Selektivität der Darstellung Eine Ideengeschichte in Einzelbildern? . . . . . . . . . . . . Die Methodenlehren des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . Die Rechtsmethoden im Arbeits- und Gesellschaftsrecht . . 1. Der Befund im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Befund im Handels- und Gesellschaftsrecht . . . . . . VI. Zivilrechtslehrer als Rechtspolitiker . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Die Idee ist zu loben. Ein Werk über die großen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts erlaubt es, die Entwicklung der Zivilrechtsdogmatik in diesem Jahrhundert zu personalisieren. Es öffnet damit auch den Blick auf die durch die jeweilige Lebensgeschichte geprägten persönlichen Überzeugungen, die hinter diesem Wirken steht. Zugleich erleichtert es das Verständnis der Entwicklungslinien des Zivilrechts, sofern sie tatsächlich von Rechtswissenschaftlern beeinflusst wurden. Mögen auch – worauf noch einzugehen sein wird – die Einschätzungen der Schüler der Gefahr „geschönter Geschichten“ ausgesetzt und mögen auch nicht alle Beiträge über den Verdacht einer gewissen Verklärung des Lehrers erhaben sein, so hat die Schülerperspektive doch den entscheidenden Vorteil, dass die Autoren aufgrund ihres Näheverhältnisses zu den akademischen Lehrern manch Insiderwissen verwerten konnten, das erst eine sachgerechte Einschätzung des Wirkens ihrer Lehrer erlaubt. Richtig gelesen ist damit jeder Beitrag für den Leser ein Gewinn, und gleiches gilt auch für das gesamte Werk, für das den Herausgebern Dank und Respekt zu zollen ist. Die folgenden bewusst skizzenartigen Überlegungen, um die uns die Herausgeber gebeten haben, verstehen sich daher nur als – ihrerseits sehr subjektive – Impressionen zweier interessierter Leser.

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II. Die notwendige Subjektivität und Selektivität der Darstellung Eine Darstellung prägender Persönlichkeiten einer Disziplin in einem bestimmten Zeitraum hat es nicht leicht, ist doch der Vorwurf der Subjektivität und der Selektivität nicht von der Hand zu weisen. Wenn es sich aber bei den darzustellenden Personen um führende Juristen handelt und bei dem ausgewählten Zeitraum um das von mehreren grundlegenden Regime- und Systemwechseln geprägte 20. Jahrhundert, und wenn die Texte überdies aus den Federn der jeweiligen Schüler stammen, ist in besonderem Maße Vorsicht geboten. Denn zum einen sind Juristen kraft ihres Amtes mit der jeweiligen Herrschaftsordnung eng verbunden und daher ein gegenüber wechselnden Zeitgeistern und Werteordnungen besonders anfälliger Berufsstand. Zum anderen belegt schon ein summarischer Blick auf Festschriften und vergleichbare Sammelbände 1, dass die kritische Würdigung des Wirkens ihrer Lehrer in vergangenen Epochen nicht zur Kernkompetenz der Schülerschar zu zählen ist. Die „Sozialisationskohorte“ der Wendeliteraten und ihre Verschweigungs- und Verteidigungsstrategien hat Bernd Rüthers bereits ausführlich aufgezeigt.2 Sie reicht zum Teil auch bis in das vorliegende Werk hinein.3 Angesichts dessen erscheint es notwendig, sich bei der Lektüre der doch so verschiedenen und vielfältigen Beiträge dieses Doppelbandes stets der doppelten Subjektivität bewusst zu sein, die sich zwangsläufig durch beide Bände zieht. Es geht zunächst und vor allem um die Subjektivität in der Darstellung der einzelnen Persönlichkeiten. Es ist eine schlichte Tatsache, dass biographische Texte notwendigerweise wertenden und zudem selektiven Charakter haben. Das beginnt bei der Auswahl der dargestellten Sachverhalte und endet bei der offenen Würdigung des Lebenswerkes. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass das menschliche Erinnerungsvermögen stets fehleranfällig ist. Der gute Biograph weiß selbstverständlich um die genannten Probleme. Seinem Streben nach Objektivität wird er dadurch gerecht, dass er so sauber wie möglich zwischen der Tatsachendarstellung und der Bewertung trennt sowie seine selektive Auswahl der geschilderten Geschehnisse offenlegt. Im Grunde eine journalistische Grundvoraussetzung, scheint dies in der heutigen Medienwelt jedoch nicht einmal mehr in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und den großen Tageszeitungen zu gelten. 1 Etwa die Festschrift zum 225jährigen Jubiläum des Beck-Verlags: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Hrsg.), Juristen im Portrait. Verlag und Autoren in vier Jahrzehnten (1988); vgl. dazu die Kritik in DER SPIEGEL Nr. 42/1988, S. 100 f. 2 Vgl. Rüthers, Geschönte Geschichten – Geschonte Biographien. Sozialisationskohorten, Wendeliteraturen (2001), passim. 3 Positiv hervorzuheben ist dagegen der Beitrag von Zöllner, Alfred Hueck – Rechtslehrer in Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bundesrepublik, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 131–147, insb. S. 138 ff.

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Was für den Einzelbeitrag gilt, gilt erst recht für den Sammelband als solchen. Dessen notwendige Subjektivität ist subtiler, aber kaum weniger stark ausgeprägt. Sie zeigt sich darin, welche Themen oder Personen ausgewählt wurden, ja mehr noch darin, wer in der Gesamtdarstellung fehlt. Es ist daher ganz richtig, wenn die Herausgeber in der Einleitung zum ersten Band sich zur „subjektiv gefärbten“ Selektivität bekennen. Man mag selbst manche Entscheidung anders fällen – letzten Endes ist dies die Auswahl der Herausgeber. Nur auf einen Punkt sei an dieser Stelle hingewiesen: Auffällig ist, dass Juristen aus der ehemaligen DDR gänzlich fehlen. Ob dies dem fehlenden Einfluss der Rechtswissenschaft in der DDR, der geringeren Bedeutung des Zivilrechts in einem planwirtschaftlichen System, dem Mangel an klugen Köpfen oder schlicht einer Wahrnehmungslücke der Herausgeber geschuldet sein mag, vermögen wir nicht zu beantworten.

III. Eine Ideengeschichte in Einzelbildern? Vor diesem Hintergrund ist eine vorsichtige Skepsis angebracht, ob es tatsächlich gelingen kann, durch Einzeldarstellungen eine „Ideengeschichte“ der deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaften aufzuzeigen, wie dies das Anliegen der Herausgeber ist. Denn wenn die Auswahl der Personen selektiv ist, dann ist es die Ideengeschichte – so sie sich denn tatsächlich daraus entwickeln sollte – ebenfalls. Ohnehin ergibt sich eine solche Ideengeschichte nicht aus den beiden vorliegenden Bänden. Denn darin stehen die Einzeldarstellungen ganz im Vordergrund. Es handelt sich, dies war den Herausgebern durchaus bewusst, gerade nicht um eine systematische Aufbereitung der großen Themen und wirkmächtigen Thesen des 20. Jahrhunderts. Diese aus den Einzeldarstellungen gedanklich miteinander zu verbinden, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede herauszuarbeiten, der schwierige Akt der Gesamtschau also, bleibt Aufgabe des Lesers, und es bleibt auch nach sorgfältiger Lektüre eine durchaus schwierige Aufgabe. Für viele Leser, auch für die Autoren dieses Beitrags, wird am Ende der Lektüre das Fazit stehen, dass es „die“ Ideengeschichte des Zivilrechts im vergangenen Jahrhundert nicht gibt. Dazu ist das Zivilrecht einfach zu breit gefächert, die Eigenständigkeit von Gebieten wie etwa dem Familienrecht, dem Mietrecht, dem Unternehmensrecht oder dem Arbeitsrecht derart ausgeprägt, dass Gemeinsamkeit nur schwer auszuspüren sind, zumal es den Generalisten, der sie aufzeigen könnte, längst nicht mehr gibt. Große, gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich wichtige Bereiche, wie das Familienrecht oder das Sachenrecht, werden nur durch Einzelpersonen wie Joachim Gernhuber und Fritz Baur repräsentiert, was die Beurteilung der ideengeschichtlichen Einordnung nicht erleichtert. Schon zwischen dem Gesellschaftsrecht und dem Arbeitsrecht, die viele Berührungspunkte aufweisen, lässt sich ein

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klares Auseinanderdriften feststellen. Gesellschaftsrechtler fühlen sich häufig von den Arbeitsrechtlern nicht verstanden und umgekehrt. Das gilt übrigens nicht nur für die Rechtswissenschaftler, sondern gleichermaßen für die rechtsprechende Gewalt und die entsprechend spezialisierten Beratungsberufe. An die Stelle der früheren rechtsgebietsübergreifenden Forschung und Lehrtätigkeit tritt heute eine derart hochentwickelte Spezialisierung in den einzelnen Teilbereichen, dass viele junge Kollegen gar nicht mehr den Versuch unternehmen, mehrere große Rechtsgebiete zu beherrschen. Eine ganzheitliche Betrachtung quasi aus der Vogelperspektive ist kaum mehr möglich und wenn, dann nur durch starke Komprimierung des Stoffes. Sehr deutlich zeigt sich dies gerade auf den Gebieten des Arbeitsrechts und des Wirtschaftsrechts. Früher war die Verbindung von Arbeits- und Wirtschaftsrecht geradezu klassisch, ja mehrere der gewürdigten Zivilrechtslehrer stehen für diese Kombination, genannt seien Alfred Hueck, Wolfgang Zöllner und Herbert Wiedemann. Heute gibt es kaum mehr Forscher und Institute, die in beide Rechtsgebiete zugleich hineinwirken. Hinzu kommt, dass die herkömmliche Einteilung der Rechtsordnung in öffentliches und privates Recht schon seit einiger Zeit einer moderneren und stärker an der Praxis orientierten Differenzierung nach Lebensgebieten gewichen ist, die – wie wiederum das Beispiel des Wirtschaftsrechts zeigt – wenig Rücksicht darauf nimmt, ob der Forschungsgegenstand zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist.4 Zu den Ursachen zählt sicherlich, dass die privatautonome Gestaltung des Rechtslebens immer stärker durch staatliche Schutzerwägungen zurückgedrängt wird. Gläubigerschutz und Anlegerschutz vollziehen sich nicht mehr allein durch vertragsrechtliche und gesellschaftsrechtliche Regeln wie etwa Informationspflichten, Kapitalschutzvorschriften und Haftungsrecht. Flankiert werden sie durch ein öffentlich-rechtliches Aufsichtsrecht. Das Kapitalmarktrecht steht geradezu paradigmatisch für diesen partiellen Bedeutungsverlust des Gesellschaftsrechts. Es ist das Verdienst von Einzelpersonen, namentlich Klaus J. Hopt, dass der Einfluss der Zivilrechtswissenschaft auch auf diese „fremden“ Gebiete erhalten geblieben ist.

IV. Die Methodenlehren des 20. Jahrhunderts Will man eine Disziplin hervorheben, die fächerübergreifend von ideengeschichtlicher Bedeutung ist, so kann dies also nicht ein bestimmtes Rechtsgebiet, sondern nur die Methodenlehre sein. Sie bietet sich für eine ideengeschichtliche Darstellung sogar besonders an, weil das 20. Jahrhundert mit 4 Vgl. nur K. Schmidt, Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, in: ders. (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung? (1994), S. 9, 12.

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seinen System- und Ideologiewechseln wie ein Katalysator wirkte für die drei Grundfragen der Jurisprudenz: Was ist Recht? Warum gilt es? Wie wird es richtig angewandt? 5 In der Ausnahmesituation nach einem Machtwechsel stellen sich diese Fragen in all ihrer Dringlichkeit. Die überkommenen Gesetze sind an die neuen Wertevorstellungen anzupassen. Die „Techniken“, die dann zum Zuge kommen, unterscheiden sich in der Regel nicht wesentlich von den Auslegungsmethoden und Rechtsanwendungsregeln, die wir heute kennen. Als Beispiel sei die verfassungskonforme Auslegung genannt.6 Sie dient heute dazu, ein Gesetz vor dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit und damit vor seiner Kassation zu „retten“. Der Gesetzgeber muss nicht eingreifen, sein Gebot wird „in schonender Weise“ auf das verfassungsrechtlich Zulässige zurückgestutzt. Die verfassungskonforme Auslegung wurde in Deutschland erstmals vom Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss von 1953 angewandt.7 Doch neu war sie nicht. Bereits im Nationalsozialismus hatten führende Rechtswissenschaftler gefordert: „Jede Auslegung muss eine Auslegung im nationalsozialistischen Sinne sein.“ 8 Und: „Grundlage der Auslegung … ist die nationalsozialistische Weltanschauung, wie sie insbesondere im Parteiprogramm und in den Äußerungen des Führers ihren Ausdruck findet.“ 9 Es sind also die gleichen Methoden, welche – die Rechtsordnung überdauernd – zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Während die genannte Auslegungsmethode im Nationalsozialismus zur Perversion der Rechtsordnung beitrug, war sie als verfassungskonforme Auslegung in der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie10 ein Eckpfeiler der effektiven Durchsetzung der Grundrechte. Ein weiterer Umstand lässt den Blick auf die Methodenlehre als lohnend erscheinen: Es sind – mit wenigen Ausnahmen 11 – die Zivilrechtler, die die Methodenlehre im 20. Jahrhundert geprägt haben und bis heute prägen. Allein aus dem vorliegenden Doppelband sind (in der Reihenfolge der Herausgeber) zu nennen: Franz Wieacker, Josef Esser, Franz Bydlinski, Karl Larenz, Claus-Wilhelm Canaris. Wolfgang Fikentschers fünfbändige verglei-

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Vgl. Rüthers/Fischer, Rechtstheorie (5. Aufl. 2010), S. VII. Vgl. näher dazu Höpfner, Die systemkonforme Auslegung (2008), S. 171 ff. 7 BVerfGE 2, 266, 282. Das Reichsgericht hatte demgegenüber eine solche Vorrangregel noch ausdrücklich abgelehnt, vgl. RGZ 9, 232, 234 f. 8 C. Schmitt, Nationalsozialismus und Rechtsstaat, JW 1934, 713, 717. 9 Dahm/Eckhardt/Höhn/Ritterbusch/Siebert, Leitsätze über Stellung und Aufgaben des Richters, DRW 1936, 123. 10 Ähnliches gilt für Österreich, wo die Pflicht zu verfassungskonformer Auslegung sogar ausdrücklich in der Vorläufigen Verfassung von 1945 verankert war. 11 Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken (1. Aufl. 1958); F. Müller, Juristische Methodik (1. Aufl. 1971); K. Röhl, Allgemeine Rechtslehre (1. Aufl. 1995). 6

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chende Darstellung der „Methoden des Rechts“ darf dabei nicht fehlen. Harry Westermann und Hans Brox führten die Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz fort und entwickelten sie (gemeinsam mit den Gebrüdern Reinicke) weiter zur Münsteraner Schule der Wertungsjurisprudenz.12 Aber auch Hans Carl Nipperdey, Helmut Coing und Werner Flume haben die Methodendiskussion und das Systemdenken durch wichtige Beiträge angereichert. Blickt man auf den gegenwärtigen Stand der gängigen Lehrbücher zur juristischen Methodenlehre, so fehlen in dieser Reihe allein Ernst A. Kramer und Bernd Rüthers. Immer noch ist die Methodenlehre also fest in zivilistischer Hand. Vielleicht mag dies mit eine Erklärung dafür sein, dass die Methodendiskussion sich in der Regel nicht in den luftigen Höhen der Rechtstheorie bewegt, sondern ihren Beitrag zur Lösung praktischer Fälle geben will. Deutlich zeigt sich daran: Die große Bedeutung der Methodenlehre liegt in ihrer Hilfsfunktion für Rechtspraxis. Sie ist vor allem ein solides Handwerkszeug für Juristen. Bei den dem öffentlichen Recht zugewandten Rechtswissenschaftlern sind demgegenüber eher die Rechtstheorie und die Rechtssoziologie verbreitet und zwar aktuell vor allem in den verschiedenen, auf Niklas Luhmann zurückgehenden, Ausprägungen einer „Systemtheorie“.13 Diese Ausprägungen haben freilich mit der Methodenlehre im klassischen Sinne, wie sie von den Zivilrechtlern bis heute angewandt und verfeinert wird, wenig gemein. Denn wer schon die „Rechtsanwendung“ an sich leugnet und meint, Recht würde aus sich selbst heraus entstehen,14 der kann auf „Rechtsanwendungsregeln“ von vornherein verzichten. Die Wahl der Methodenlehre als Ausgangspunkt für eine Würdigung der besprochenen Zivilrechtslehrer offenbart eine weitere Lücke in der Riege der in die beiden Bände aufgenommenen Personen. Die Wertungsjurisprudenz von Westermann, Brox und Rüthers, aber auch die „gesetzesfortbildende Wertjurisprudenz“15 der (wenn man so will) Münchener Schule von Larenz und Canaris wären, so sehr sie sich im Ausgangspunkt wie in Details auch unterscheiden mögen, ohne die Vorarbeiten der Interessenjurisprudenz völlig undenkbar. Hier wird ein Kapitel über Philipp Heck doch schmerzlich vermisst, dessen Aufsatz über „Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz“ in dem von ihm mitherausgegebenen Archiv für die civilistische 12 Vgl. Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe. Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Philipp Hecks (2001), S. 221 ff., 232 ff., 237 ff.; Rüthers, Methodenrealismus in Jurisprudenz und Justiz, JZ 2006, 53–60. 13 Vgl. aber auch Teubner, Recht als autopoietisches System (1. Aufl. 1989). 14 Vgl. zuletzt Grasnick, Pater Brown und die Kamele, myops 2010/Heft 9, 12: „Die Rechtsordnung, die gibt es gar nicht. So wenig wie die Ordnung überhaupt oder das Recht als solches.“ 15 So die Bezeichnung von Schoppmeyer (Fn. 12), S. 243.

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Praxis16 bis heute ein zwar „getarntes“, aber nichtsdestotrotz in seiner Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzendes Lehrbuch zur juristischen Methodenlehre ist.17 Viele seiner Thesen sind unverändert aktuell, etwa das Bild vom Richter als „Diener des Gesetzgebers“ oder seine Kritik an der objektiven Auslegungsmethode. Andere Aussagen bedürfen einer Anpassung an neue Gegebenheiten. Genannt sei nur die Überlagerung der nationalen Rechtsordnungen durch das Recht der Europäischen Union, die zahlreiche methodische Fragen aufwirft, etwa das Verhältnis von nationalem und europäischem Gesetzgeber oder die zulässige Reichweite der Rechtsangleichung durch die Judikative. Darauf eine Antwort zu geben, wird Aufgabe der Methodenlehre des 21. Jahrhunderts sein. Sie täte gut daran, wenn sie die bewährten und praxiserprobten18 Grundsätze der Interessen- und Wertungsjurisprudenz nicht leichtfertig über Bord wirft. Dabei mag so mancher Beitrag in den vorliegenden beiden Sammelbänden hilfreich sein.

V. Die Rechtsmethoden im Arbeits- und Gesellschaftsrecht Aber auch abseits des originär methodologischen Schrifttums lohnt es sich, einen Blick auf die konkrete Anwendung der Rechtsmethoden in den einzelnen Disziplinen zu werfen. Besonders ergiebig sind in dieser Hinsicht wiederum das Arbeits- und das Gesellschaftsrecht. Wie kein anderes Rechtsgebiet ist das Arbeitsrecht geprägt von Lücken in der Gesetzgebung. Der parlamentarische Gesetzgeber ist gerade in Fragen des kollektiven Arbeitsrechts regelungsscheu, vielleicht sogar partiell regelungsunfähig. So hat sich das Arbeitskampfrecht in Deutschland nahezu vollständig zu einem Regelungsprodukt des Großen und des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts entwickelt, die zwangsweise in eine Rolle als Ersatzgesetzgeber gedrängt wurden – und die ihre Rechtsetzungsmacht mitunter auch dankbar ausschöpfen. Hinzu kommt, dass das Arbeitsrecht mit inzwischen mehr als 20 Verordnungen und über 100 Richtlinien der Europäischen Union in besonderem Maße von der europäischen Rechtsvereinheitlichung betroffen ist. Nicht nur aufgrund der zum Teil befremdlichen Ergebnisse, sondern auch wegen der methodischen Beliebigkeit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stoßen die Urteile aus Luxemburg in der arbeitsrechtlichen Praxis und Wissenschaft in Deutschland oftmals auf große Skepsis und Kritik. 16

Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, AcP 112 (1914), 1–318. Zur Würdigung des Werks von Philipp Heck vgl. nur Schoppmeyer (Fn. 12), passim; Auer, Methodenkritik und Interessenjurisprudenz, ZEuP 2008, 517–533. 18 So auch die Einschätzung von Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1. Aufl. 1960), S. 58. 17

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Aber auch das Gesellschaftsrecht sieht sich den Europäisierungs- und Internationalisierungstendenzen kaum weniger stark ausgesetzt. Exemplarisch zu nennen ist nur die Rechtsprechung des EuGH zu den Auswirkungen der europäischen Niederlassungsfreiheit auf den internationalprivatrechtlichen Theorienstreit zwischen Sitz- und Gründungstheorie. Ausländische Gesellschaftsformen sind aus der kautelarjuristischen Praxis inzwischen nicht mehr hinwegzudenken. Auch das nationale Gesellschaftsrecht zeichnet sich durch eine sehr dynamische Rechtsentwicklung aus, die nur zum Teil durch den Gesetzgeber erfolgt ist. Prägnantestes Beispiel ist in diesem Zusammenhang sicherlich die Entwicklung der BGB-Gesellschaft von der traditionellen Auffassung des historischen Gesetzgebers über die Doppelverpflichtungstheorie bis hin zur Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit im Anschluss an die Gruppenlehre. Wie aber steht es vor diesem Hintergrund mit der Gesetzesbindung im Arbeits- und Gesellschaftsrecht? Üben sich die in diesen Bänden dargestellten Protagonisten dieser Rechtsgebiete in vornehmer Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber oder ergänzen und korrigieren sie das oft unvollständige und widersprüchliche Gesetz nach Art einer „kreativen Rechtsschöpfung“? 1. Der Befund im Arbeitsrecht Blicken wir zuerst auf das Arbeitsrecht. Festzustellen ist zunächst, dass der vorliegende Doppelband für das Arbeitsrecht bemerkenswert unergiebig ist. Als „reiner“ Arbeitsrechtler kann wohl nur Hans Carl Nipperdey bezeichnet werden, wobei dieser in seiner Doppelfunktion als Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht sowie – von 1954 bis 1963 parallel dazu – als Präsident des Bundesarbeitsgerichts in einer heute nicht mehr vorstellbaren Weise weit über die bloße Tätigkeit als Rechtslehrer hinaus wirkte.19 Daneben sind mit Alfred Hueck, Herbert Wiedemann und Wolfgang Zöllner weitere herausragende Vertreter dieser Disziplin portraitiert. Für sie ist und war das Arbeitsrecht aber stets nur eines von mehreren Forschungsgebieten. Gleiches gilt für Hans Brox, der das Arbeitsrecht vor allem didaktisch durch seine Lehr- und Handbücher zum Arbeitsrecht und zum Arbeitskampfrecht aufbereitete und voranbrachte. Eine Darstellung der prägenden Arbeitsrechtswissenschaftler aus der „Post-Nipperdey-Generation“ fehlt dagegen vollständig. Namen wie Franz Gamillscheg, Peter Hanau, Bernd Rüthers, Reinhard Richardi, Wolfgang Däubler oder Manfred Löwisch sucht man ver-

19 Vgl. den Beitrag von Adomeit, Hans Carl Nipperdey als Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 149–165.

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gebens.20 Will man den Einfluss der Arbeitsrechtswissenschaft auf die Rechtsfortbildung durch Gesetzgeber und Rechtsprechung und ihre Rechtsmethoden untersuchen, so muss man auf Quellen außerhalb des vorliegenden Doppelbandes zurückgreifen. Dies dürfte auch ein Beleg dafür sein, dass die „Vollblutarbeitsrechtler“ (um das unschöne Wort vom „Nur-Arbeitsrechtler“ zu vermeiden) von vielen Zivilrechtlern nicht mehr als Fachkollegen im engeren Sinne wahrgenommen werden. Das bedeutet zugleich, und das ist die schlechte Botschaft der beiden Sammelbände für die Arbeitsrechtswissenschaft, dass auch die „Ideen“ der Arbeitsrechtler nur noch begrenzt zur Kenntnis genommen werden. Berücksichtigt man, dass mit der Aufgabe der AGB-rechtlichen Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht durch § 310 Abs. 4 BGB das Arbeitsrecht für den AGB-Rechtler geradezu eine Fundgrube an aktuellem Fallmaterial bietet, ist dies bedauerlich. 2. Der Befund im Handels- und Gesellschaftsrecht Ergiebiger ist die Befassung mit dem Gesellschaftsrecht. Mit Werner Flume, Klaus J. Hopt, Alfred Hueck, Marcus Lutter, Karsten Schmidt, Eugen und Peter Ulmer, Harm Peter Westermann, Herbert Wiedemann, Wolfgang Zöllner sowie aus Österreich Peter Doralt sind die prominentesten und wirkmächtigsten Vertreter dieser Disziplin nahezu vollzählig vertreten. Von einer einheitlichen Methode der Rechtsanwendung kann bei ihnen freilich nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Die Bandbreite der methodologischen Überzeugungen reicht von einer im Ausgangspunkt strengen Gesetzesbindung bis hin zu einem klaren Bekenntnis zu einer schon fast freirechtlich anmutenden, schöpferischen Rechtsneuentwicklung. In der Hoffnung, die genannten Zivilrechtler mögen ihre exemplarische Nennung als Ausdruck großer Wertschätzung durch die Autoren dieses Beitrags verstehen und die mit einer Typisierung zwangsläufig einhergehende Vergröberungen und Unschärfen verzeihen, lassen sich Karsten Schmidt, Wolfgang Zöllner und Peter Ulmer als Beispiele für die Vielfalt der methodologischen Bekenntnisse nennen. Karsten Schmidt verdankt die Gesellschaftsrechtswissenschaft vielleicht gerade deshalb so viel, weil er stets wenig bereit war, die Verbindlichkeit von als unpassend empfundenen Wertungen des Gesetzgebers anzuerkennen. Auch nach Einschätzung seines Schülers Georg Bitter überschreitet Karsten Schmidt „manchmal ausdrücklich die Grenze des nach klassisch-konservativer Lesart für methodisch zulässig Erachteten“21, wobei sich die Frage stellt, ob Gesetzestreue schon ein Ausdruck von Konservativismus ist. Zwei Bei20 Die Herausgeber hatten an Portraits über Gamillscheg, Hanau und Löwisch gedacht; ihre Aufnahme ist aber am Verzicht der Schüler gescheitert. 21 Vgl. Bitter, Karsten Schmidt – Landschaftsbildner des Rechts –, in diesem Band, S. 161, 169.

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spiele – eines aus dem Handelsrecht und eines aus dem Gesellschaftsrecht – mögen als Beleg gelten: Zum einen der – rechtspolitisch uneingeschränkt begrüßenswerte – Versuch, das Handelsrecht schon de lege lata vom Sonderprivatrecht der Kaufleute zum Außenprivatrecht der Unternehmen fortzuentwickeln. Karsten Schmidt hält an seinem Vorschlag für das deutsche Recht ungeachtet der Tatsache fest, dass der Gesetzgeber dieses Konzept bei der Reform des Handelsrechts gerade nicht aufgegriffen hat.22 In Österreich dagegen gelang Karsten Schmidt mit seinem „Regelungsvorschlag“ der verdiente Durchbruch, als am 1. Januar 2007 das dortige Handelsgesetzbuch weitreichend reformiert wurde und seitdem als Unternehmensgesetzbuch (UGB) firmiert. Als weiteres Beispiel lässt sich die frühzeitige Forderung nach der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR nennen, mit der sich Karsten Schmidt letztlich durchsetzen konnte. Schmidt spricht selbst von einem „wissenschaftlich vorbereiteten, vom BGH akkreditierten Triumph der Rechtsfortbildung“.23 Der „Zustand geheuchelter Gesetzestreue“ der herrschenden Meinung war für ihn nur „schwer zu ertragen“.24 Ihn zu beenden, war nach seiner Auffassung primär Aufgabe der Rechtswissenschaft und – erst sekundär – der Rechtsprechung. Während also Karsten Schmidt – und vor ihm schon Werner Flume 25 – in Deutschland als tatkräftige Wegbereiter einer schleichenden, aber nichtsdestotrotz epochalen Rechtsfortbildung am Gesetzgeber vorbei gelten dürfen, mündeten die gleichen wissenschaftlichen Arbeiten in Österreich wiederum direkt in eine gesetzliche Neuregelung des Personengesellschaftsrechts: nach § 105 S. 3 UGB kann die österreichische OHG zu jedem erlaubten Zweck gegründet werden. Auf den Punkt gebracht hat Karsten Schmidt sein methodisches Grundverständnis in einem Vortrag an der Kölner Universität im Jahre 2009 mit der – wohl nur vordergründig ironisch gemeinten – These: „Gesetze sind Inspirationsquellen.“ Er sieht die Wissenschaft nicht dem Gesetzgeber untergeordnet, sondern diesem – mindestens – ebenbürtig.26 Dieses Grundverständnis wird die persönliche Lehre aus vielen mehr oder weniger missglückten Gesetzesnovellen der letzten Jahrzehnte sein. Als ein Gegenpol zu Karsten Schmidt kann Wolfgang Zöllner angesehen werden. Ulrich Noack weist zutreffend darauf hin, dass zu Zöllners Grundüberzeugungen die „Begrenzung und Kontrolle von Macht“ und der Grundsatz „Rechtsprechung statt Rechtserfindung“ gehören.27 So überrascht es 22

Vgl. K. Schmidt, Fünf Jahre neues Handelsrecht, JZ 2003, 585–597. K. Schmidt, Gesetzgebung und Rechtsfortbildung im Recht der GmbH und der Personengesellschaften, JZ 2009, 10, 13. 24 K. Schmidt, JZ 2009, 10, 13. 25 Flume, Gesellschaft und Gesamthand, ZHR 136 (1972), 177–207. 26 Vgl. auch K. Schmidt, JZ 2009, 10, 12. 27 Noack, Wolfgang Zöllner, in diesem Band, S. 71, 72. 23

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auch nicht, dass Zöllner sich in den 1990er Jahren als schärfster Kritiker der Hinwendung zunächst des mehrheitlichen Schrifttums und später auch des BGH zur Gruppen- und Akzessorietätslehre für die GbR hervorgetan hat.28 Auch in Bezug auf den Rechtscharakter des Handelsrechts bescheinigte Zöllner dem Werk Karsten Schmidts nicht nur eine „reiche Phantasie“,29 sondern kritisierte dessen Thesen gar als Aufforderung „zum Rechtsbruch und zur Rechtsbeugung“ 30. Anders als dieser nahm Zöllner das Wirken des Gesetzgebers, der allzu oft entgegen seinen eigenen Vorstellungen handelt – besonders prägnant bei der offenen Einschränkung der Privatautonomie durch das AGG –, in pessimistischem Gehorsam auf. Verdeckte Rechtsfortbildung kam für ihn nicht infrage, und auch die offene Rechtsfortbildung war wohl kein vorrangiges Grundanliegen des wissenschaftlichen Werkes Zöllners, auch wenn er sich engagiert an dem rechtspolitischen Diskurs um die jüngste Reform des GmbH-Rechts beteiligt hat.31 Wiederum einen anderen Weg hat Peter Ulmer eingeschlagen, der die Tradition seines Lehrers Wolfgang Hefermehl als „Meister des Kommentars“ 32 fortgeführt, ja wahrlich perfektioniert hat. Paradigmatisch dafür stehen die Kommentierung der §§ 705 bis 740 BGB über das Recht der GbR (in der 5. Auflage nunmehr gemeinsam mit Carsten Schäfer) oder der gemeinsam mit Hans Erich Brandner und Horst-Diether Hensen herausgegebene Kommentar zum AGB-Gesetz und dessen Fortführung in den §§ 305 ff. BGB. Diese verdienstvolle wissenschaftliche Tätigkeit erfordert nicht nur exzellente Kenntnis der Rechtswirklichkeit, sondern auch eine gewisse Bereitschaft zum uneitlen Pragmatismus. Die von ihm präferierte Rechtsfortbildung innerhalb eines scharfsinnig durchdachten dogmatischen Konzepts ist sicherlich der Grund, weshalb kaum ein anderer Gesellschaftsrechtler die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs derart stark beeinflussen konnte wie Peter Ulmer. So lässt sich auch die von ihm entwickelte und zwischenzeitlich vom BGH aufgegriffene Doppelverpflichtungslehre 33 als der Versuch einer als 28 Zöllner, Rechtssubjektivität von Personengesellschaften, in: Lange/Nörr/H. P. Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag (1993), S. 563–578; ders., Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft, in: Hönn/Konzen/Kreutz (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag (1998), S. 701–718. Späte Unterstützung erhielt Zöllner von Canaris, Die Übertragung des Regelungsmodells der §§ 125–130 HGB auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als unzulässige Rechtsfortbildung contra legem, ZGR 2004, 69–125. 29 Zöllner, Wovon handelt das Handelsrecht?, ZGR 1983, 82, 90. 30 Vgl. die Nachweise bei Bitter, Karsten Schmidt – Landschaftsbildner des Rechts –, in diesem Band, S. 161, 168. 31 Vgl. dazu Noack, Wolfgang Zöllner, in diesem Band, S. 71, 87. 32 So Peter Ulmer über Wolfgang Hefermehl, vgl. den Nachweis bei Habersack, Peter Ulmer, in diesem Band, S. 127, 133. 33 Vgl. nur P. Ulmer, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft – gesicherter Bestand des Gesellschaftsrechts oder methodischer Irrweg?, in: Jakobs u.a. (Hrsg), Festschrift für

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notwendig erkannten Rechtsfortbildung auf der Grundlage der Gruppenlehre verstehen34 und rechtfertigen, die sich gleichwohl nicht in einen klaren Widerspruch zum historischen Willen des Gesetzgebers setzen wollte. Peter Ulmer hat sich aber – so souverän wie pragmatisch – schließlich, nachdem die Schlacht entschieden war, doch mit der Akzessorietätslehre angefreundet.35 Drei einflussreiche Persönlichkeiten der Gesellschaftsrechtswissenschaft also, die gleichwohl für ganz unterschiedliche Wege der Einflussnahme auf die Rechtsentwicklung stehen.

VI. Zivilrechtslehrer als Rechtspolitiker Ein letztes Streiflicht dieser Skizze sei dem rechtspolitischen Wirken der Zivilrechtler gewidmet. Auch wenn in einigen der Beiträge der Einfluss auf die Gesetzgebung angesprochen wird, so ergibt doch das Gesamtbild, dass die große Mehrzahl der gewürdigten Persönlichkeiten sich primär als Rechtsdogmatiker und – wenn überhaupt – doch allenfalls ganz am Rande als Rechtpolitiker sah. Das unterscheidet die Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts deutlich von denen des 19. Jahrhunderts. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Zeit der großen Kodifikationen mit dem Inkrafttreten von BGB und HGB zunächst einmal vorbei war, so lässt sich doch feststellen, dass die Bereitschaft, sich im „Kampf um das bessere Recht“ zu engagieren und die Rolle als Mahner der Politik auf sich zu nehmen, geschwunden ist. Das Gefühl der Mitverantwortung für die ständige Verbesserung des Rechts könnte – des Eindrucks kann man sich nicht erwehren – noch stärker ausgeprägt sein. Die Nähe zur Politik haben nur sehr wenige der Zivilrechtslehrer gesucht, gar eigene Reformvorschläge hat kaum eine der gewürdigten Personen erarbeitet. Wenn es zu einer Mitarbeit an gesetzlichen Reformprojekten kam, dann eher wie bei der Schuldrechtskommission in speziell von der Ministerialverwaltung eingesetzten wissenschaftlichen Kommissionen. Man stand zwar bereit, wenn Politik und Ministerialbürokratie riefen, eigene Initiativen zu Reformvorschlägen blieben jedoch eine Seltenheit. Am ehesten lässt sich eine solche Mitverantwortung bei jenen Kollegen erkennen, die, wie Werner Flume, 12. September 1978 (1978), Bd. 2, S. 301–321; ders., Vertretung und Haftung bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in: Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer (1979), S. 785–808 und dazu Habersack, Peter Ulmer, in diesem Band, S. 127, 136. 34 Vgl. auch Habersack, Peter Ulmer, in diesem Band, S. 127, 135. 35 Vgl. P. Ulmer, Wege zum Ausschluß der persönlichen Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 1999, 509–517; ders., Gesellschafterhaftung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Durchbruch der Akzessorietätstheorie?, ZIP 1999, 554–565; vgl. dazu die Dissertation von Hasselmann, Die Lehre Ulmers zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Wandel der Jahrzehnte (2007) und die Darstellung von Habersack, Peter Ulmer, in diesem Band, S. 127, 136.

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namentlich Marcus Lutter, Peter Ulmer und Klaus J. Hopt, auch im Deutschen Juristentag bereit waren, in die Rolle des Beraters, aber auch des Kritikers der Politik zu schlüpfen. Insgesamt zeigen aber gerade die Diskussionen auf den Juristentagen, dass die Rechtswissenschaft ihre früher klar dominierende Rolle in der Rechtspolitik verloren hat, ihre Beiträge gar in vielen Abteilungen eher in den Hintergrund getreten sind. Das ist schade, denn der Juristentag als „Parlament des Rechts“ lebt von der gleichberechtigten Mitwirkung von Wissenschaft und Praxis an den ausgesprochenen Empfehlungen. Die Zurückhaltung der deutschen Zivilrechtslehrer gegenüber einem rechtspolitischen Engagement mag damit zusammenhängen, dass sie einen – im Vergleich zur Situation in vielen ausländischen Staaten – sehr ausgeprägten Einfluss auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ausüben. Die Kritik am schwindenden Rechtsgehorsam der Justiz gegenüber dem kodifizierten Recht trifft damit auch die Zivilrechtswissenschaft, die die Rechtsfortbildung schon von der Justiz einfordert und nicht darauf warten mag, bis die Mühlen der Legislative mahlen. Angesichts der Bereitwilligkeit der Rechtsprechung, ihre Rolle als Ersatzgesetzgeber zu übernehmen, drängt sich die Notwendigkeit, die Politik von Reformen zu überzeugen, vielfach nicht auf. Zudem zeigt die Erfahrung, wie schwierig es für die Wissenschaft ist, bei der Politik Gehör zu finden, und wie mühsam und langwierig die Realisierung von Reformvorschlägen de lege ferenda sein kann. Aus methodischer Sicht wäre freilich zu wünschen, dass die notwendige Kritik an der Rechtswirklichkeit in Reformvorschläge mündet, die deutlich zwischen dem nach der lex lata Machbaren und dem rechtspolitisch Notwendigen differenziert.

Dogmatik – Internationales – Wirtschaft Rüdiger Krause I. Dogmatik und Systematik: Wie in einem Brennglas sammeln sich in diesen Worten die Wesensmerkmale der deutschen Privatrechtswissenschaft. Die begriffliche Durchdringung eines Rechtsbereichs sowie die Zusammenfassung der sich auf ihn beziehenden Rechtssätze und lehrsatzmäßigen Aussagen zu einer geordneten Sinneinheit als Inhalt juristischer Dogmatik und Systematik 1 prägen als bleibendes Erbe der historischen Rechtsschule 2 das wissenschaftliche Werk zahlreicher deutschsprachiger Zivilrechtslehrer. Hiermit eng verbunden ist das Streben nach der Strukturierung der Rechtsgewinnung im Sinne einer methodengerechten Ableitung konkreter Rechtssätze aus den verschiedenen normativen Vorgaben. Die deutsche Privatrechtswissenschaft präsentiert sich demnach in erster Linie als „eingebettete“ Wissenschaft,3 die aus der Teilnehmerperspektive das vorhandene rechtliche Material als eine normative Gegebenheit auffasst und für die Anwendung in konkreten Entscheidungssituationen aufbereitet,4 nicht aber aus der Beobachterperspektive unter Zuhilfenahme außerrechtlicher Kategorien auf das Recht als bloße soziale Tatsache unter Ausblendung seiner Normativität blickt, wie es bei großen Teilen der rechtsbezogenen Forschung in den USA schon seit längerem auf der Agenda steht. 1 Zu den Merkmalen und Funktionen juristischer Dogmatik und Systematik Alexy, Theorie der juristischen Argumentation (1978), S. 307–334; Diederichsen, Topisches und systematisches Denken in der Jurisprudenz, NJW 1966, 697–705; ders., Auf dem Weg zur Rechtsdogmatik, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik (1999), S. 65–77; Rittner, Über die Notwendigkeit des rechtssystematischen Denkens, in: Ascheri u.a. (Hrsg.), Festschrift für Knut Wolfgang Nörr (2003), S. 805–825. 2 Zur Hinwendung der historischen Rechtsschule zu einem methodenbewussten und systematischen Vorgehen als Zeichen von Rechtswissenschaft grdl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (2. Aufl. 1967), S. 367–377. 3 Vgl. Rakoff, Symposium: Law, Knowledge, and the Academy, Introduction, Harv. L. Rev. 115 (2002), 1278–1287, 1279; in den deutschen Sprachraum eingeführt durch Fleischer, Gesellschaft und Kapitalmarktrecht als wissenschaftliche Disziplin, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft (2007), S. 49–76, 52. 4 Krawietz, Welche Methode lehrt die juristische Methodenlehre?, JuS 1970, 425–432, 430.

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Zu den herausragenden Vertretern dieses Denkstils gehören Karl Larenz und sein Schüler Claus-Wilhelm Canaris, in deren Nähe man freilich sogleich den Österreicher Franz Bydlinski, aber auch Dieter Medicus und Wolfgang Zöllner ebenso wie Werner Flume und Ulrich Huber ansiedeln muss. Gemeinsamer Nenner ist die Grundüberzeugung, dass der Prozess der Rechtsgewinnung unter Zurückdrängung richterlicher Eigenwertungen rational verlaufen kann und es die vornehmste Aufgabe der Rechtswissenschaft als Normwissenschaft ist, die hierfür maßgeblichen Kriterien herauszuarbeiten. Als Methodenlehrer sind ausdrücklich nur Larenz, Canaris und Bydlinski hervorgetreten, wobei Larenz mit seinem Standardwerk zur Methodenlehre der Rechtswissenschaft 5 jahrzehntelang praktisch eine Alleinstellung innehatte, das insbesondere von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als „book of authority“ angesehen wird,6 während Bydlinski mit seiner Trilogie 7 in Österreich eine ähnlich herausragende Stellung erobert hat. Gleichwohl liegt die Vorstellung, dass die Rechtsgewinnung in erster Line eine Erkenntnisleistung, nicht aber eine Willensleistung zu sein hat und dieser Anspruch trotz aller „Gewissheitsverluste“ einlösbar ist,8 auch dem Werk der anderen Zivilrechtslehrer zugrunde. Dieses Verständnis zielt in verschiedene Richtungen: Zum einen geht es um eine Abgrenzung zu einem primär problembezogenen Denken, das nicht die objektive Rechtsordnung und die aus ihr durch methodisches Vorgehen abzuleitenden Regeln, sondern den streitentscheidenden Richter und die aus dem konkreten sozialen Konflikt zu gewinnenden Sachargumente in den Mittelpunkt rückt, wie es zahlreiche dogmatikskeptische Strömungen kennzeichnet, für die stellvertretend der Gegenentwurf von Josef Esser 9 erwähnt sei, wie es tendenziell aber auch im Denken Franz Wieackers mit seiner Betonung der praktischen Vernunft als Maxime richterlichen Handelns 10 zum Ausdruck 5

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1. Aufl. 1960; 6. Aufl. 1991). Soweit der BGH eine Methodenlehre zitiert, nahm und nimmt er dabei nahezu ausschließlich auf das Werk von Larenz Bezug. 7 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1. Aufl. 1982; 2. Aufl. 1991); ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988); ders., System und Prinzipien des Privatrechts (1996). 8 Klassisch Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1966), S. 12–21. 9 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1956); ders., Möglichkeiten und Grenzen des dogmatischen Denkens im Zivilrecht, AcP 172 (1972), 97–130. Zu Esser siehe den Beitrag von Köndgen, Josef Esser – Grenzgänger zwischen Dogmatik und Methodologie, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 103–127. 10 Wieacker, Gesetzesrecht und richterliche Kunstregel, JZ 1957, 701–706; ders., Gesetz und Richterkunst (1957); ders., Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Bubner/Cramer/Wiehl (Hrsg.), Festschrift für Hans-Georg Gadamer, Band II (1970), S. 319–336. Zur Annäherung an das Konzept des social engineering ferner ders., Über 6

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kommt. Hiermit einher geht die Kritik an der ebenfalls von Esser popularisierten Lehre vom Vorverständnis,11 soweit man in ihr mehr als den Hinweis auf den unvermeidlichen hermeneutischen Zirkel im Sinne Gadamers12 sieht und sie stattdessen als Legitimation zu einem nicht mehr durch Begriff und System gebremsten Dezisionismus auffasst. Zum anderen hält man von allen Spielarten der modernen Rechtstheorie Abstand, die unter dem Einfluss von Wissenschaftsanalytik, kritischem Rationalismus und Sprachphilosophie die Möglichkeit, mit dem traditionellen Methodeninstrumentarium auf rationale Weise aus den Vorgaben der Gesamtrechtsordnung konkrete Regeln zu gewinnen, in Abrede stellt. Daher findet der vor allem in Österreich wirkmächtige Rechtspositivismus eines Kelsen mit seiner These, die Gerichte seien innerhalb des durch das höherrangige Recht vorgegebenen Rahmens zur willentlichen Rechtsschöpfung befugt,13 bei Bydlinski keinen Gefallen.14 Die Verfechter der herkömmlichen Sichtweise beharren vielmehr auf dem Charakter von Privatrechtswissenschaft als rationale geisteswissenschaftliche Disziplin, die auf der Grundannahme aufbaut, dass die Rechtsordnung einen über die einzelnen Gesetze hinausgehenden vernünftigen Sinnzusammenhang darstellt, und die sich deshalb zumindest in erster Linie als eine Lehre vom richtigen Verstehen und nicht vom richtigen Handeln begreift. Es gehört zu den Eigenheiten der deutschsprachigen Privatrechtswissenschaft, dass sie die von Flume einprägsam als „Findung“ und nicht als „Erfindung“ des Rechts qualifizierte Rechtsgewinnung 15 „applikativ“ mit stetem Blick auf die Bedürfnisse der gerichtlichen Praxis vornimmt. Dies gilt selbst dort, wo die Eigenheiten juristischer Theorien als gedankliche Bündelung des geltenden Rechtsstoffs zwecks besserer Erklärung rechtlicher Phänomene sowie als Instrument zur Lösung von Detailproblemen unter Rückgriff auf neuere Strömungen in der Wissenschaftstheorie ins Blickfeld geraten.16 Die klassische deutsche Zivilrechtswissenschaft und die Rechtspraxis teilen sich somit dasselbe Geschäft. Die Anwendungsbezogenheit trennt die Privatstrengere und unstrenge Verfahren der Rechtsfindung, in: H. Schneider/Götz (Hrsg.), Festschrift für Werner Weber (1974), S. 421–443. Zu Wieacker siehe den Beitrag von J. G. Wolf, Franz Wieacker (5. August 1908–17. Februar 1994), in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 73–86. 11 Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung (1970). 12 Gadamer, Wahrheit und Methode (6. Aufl. 1990), S. 250–323. 13 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre (2. Aufl. 1960), S. 346–352. 14 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (2. Aufl. 1991), S. 227–235. 15 Flume, Richter und Recht, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 46. DJT (1966), Bd. II, K 5–K 35, K 25. 16 Anschaulich Canaris, Theorienrezeption und Theorienstruktur, in: Leser/Isomura (Hrsg.), Festschrift für Zentaro Kitagawa (1992), S. 59–94; ders., Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, 377–391. Erhellend zum Verhältnis von Rechtsdogmatik und Rechtstheorie Jahr, Zum Verhältnis von Rechtstheorie und Rechtsdogmatik, in: ders./Maihofer (Hrsg.), Rechtstheorie (1971), S. 303–311.

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rechtswissenschaft von der Rechtstheorie,17 macht sie aber gerade hierdurch zumindest für die höchstrichterliche Praxis diskursiv anschlussfähig. Freilich formuliert sie umgekehrt auch Ansprüche an die Argumentationstiefe von Entscheidungen und trägt auf diese Weise zu einem im internationalen Vergleich wohl einmaligen Dialog zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bei, der im Sinne von Savignys verhindert, dass „die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem bloßen Handwerk herabsinkt“. Ein nicht gering zu schätzendes Nebenprodukt dieses Denkstils ist das klare Bekenntnis zu einer Ausrichtung der juristischen Ausbildung an einer rechtswissenschaftlichen Maßstäben genügenden strukturierten Fallbearbeitung, wie sie exemplarisch mit einem kaum zu überschätzenden Einfluss die aus der Feder von Medicus stammende, nach Anspruchsgrundlagen geordnete Gesamtdarstellung zum Bürgerlichen Recht 18 als Pflichtlektüre für Examenskandidaten zum Ausdruck bringt. Die Rechtsfindung wird für die Vertreter der traditionellen Sichtweise zwar grundsätzlich durch die klassischen Auslegungskriterien gesteuert. Spätestens in den hard cases, die sich infolge der Unbestimmtheit der Sprache nicht mehr unter schlichter Berufung auf den Wortlaut der normativen Prämissen bewältigen lassen und in denen es methodologisch zum Schwur kommt, zeigen sich freilich nicht unerhebliche Differenzen. So vertrauen Larenz, Canaris und Bydlinski auf das Zusammenspiel objektiver Rechtsprinzipen als Garanten für eine möglichst rationale Entscheidungsfindung und lassen insoweit Parallelen zur Sichtweise eines Dworkin 19 erkennen. Larenz entfaltet diese Prinzipien dialektisch im Wechselspiel von positivem Recht einerseits und Rechtsidee andererseits 20 und praktiziert damit hegelianisches Denken, auch wenn die anfängliche zentrale Bezugnahme auf Hegel bei der Arbeit am geltenden Recht 21 im Laufe der Zeit in den Hintergrund getreten ist.22 Canaris teilt einerseits diesen Standpunkt,23 beruft sich andererseits als philosophische Leitsterne aber auch auf Kant und Popper, um die These zu begründen, 17 Eindringlich Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Jestaedt/ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie (2008), S. 1–49, 3–25. 18 Medicus, Bürgerliches Recht (1. Aufl. 1968), nunmehr Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht (22. Aufl. 2009). Ferner Medicus, Anspruch und Einrede als Rückgrat einer zivilistischen Lehrmethode, AcP 174 (1974), 313–331. 19 Dworkin, Taking Rights Seriously (1977); ders., A Matter of Principle (1985); ders., Law’s Empire (1986). 20 Larenz, Richtiges Recht (1979), insbesondere S. 23–44. 21 Vgl. Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung (1927). 22 Bezeichnend die unterschiedliche Stellung der Lehre Hegels vom konkret-allgemeinen Begriff, die ursprünglich einen integralen Bestandteil der Methodenlehre von Larenz bildete (1. Aufl. 1960, S. 353–370), während sie später in einen bloßen Exkurs ausgelagert wurde (6. Aufl. 1991, S. 457–460). 23 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Studienausgabe) (3. Aufl. 1995).

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durch Urteilskraft zur richtigen Antwort auf eine juristische Frage gelangen zu können,24 und zieht zudem die von Aristoteles entwickelte Unterscheidung zwischen iustitia commutativa und iustitia distributiva als grundlegende Denkfiguren abendländischer Gerechtigkeitsvorstellungen heran, um ihre Bedeutung für konkrete Normen und Wertungen des geltenden Rechts auszuloten.25 Für Bydlinski ergeben sich pluralistische Prinzipienschichten durch Wiederbelebung eines „gemäßigten“ Naturrechtsdenkens, das allerdings nicht an die Natur des Menschen, sondern an die „Natur des Rechts“ anknüpft, zum einen deduktiv aus der Rechtsidee, zum anderen aus einer Gesamtschau von positivem Recht und Rechtsethik.26 Die Privatrechtsordnung erscheint bei diesen Zivilrechtslehrern letztlich als ein über die positiven Regelungen hinausgehendes axiologisches und teleologisches System, das zwar durchaus „bewegliche“ Teilbereiche im Sinne Wilburgs 27 enthält,28 das aber insgesamt bei aller „Offenheit“ für künftige Entwicklungen und Erkenntnisse eine gewisse Festigkeit aufweist, die es erlaubt, mit Rationalitätsanspruch unter Rückgriff im Wege prinzipienorientierten Vorgehens eindeutige rechtliche Aussagen zu gewinnen.29 Eine abweichende Herangehensweise prägt das Werk von Flume, der das Privatrecht anders als die soeben erwähnten Zivilrechtslehrer weniger als ein „Reich objektiver Ideen“ konzipiert, sondern als geschichtlich gewachsene Ordnung auffasst, die aus einer Vielzahl feinsinniger Verkörperungen des Rechtsgedankens besteht, die sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben und die es zu bewahren und behutsam fortzubilden gilt.30 Dementsprechend geht das Bestreben von Flume dahin, sowohl das römische Recht als auch den letztlich bis auf Savigny zurückgehenden reichhaltigen Schatz der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis für die Lösung privatrechtlicher Fragen nutzbar zu machen. In eine ähnliche Richtung hat sich auch der späte Huber entwickelt, der vor allem in seinem Werk zum früheren Leistungsstörungsrecht des BGB das Bewusstsein für die Einbettung der Kodifikation in den unaufhörlichen Strom des Rechts sowie dessen Mitgestaltung durch Rechtspraxis und Rechtswissenschaft schärft.31 24 Canaris, Richtigkeit und Eigenwertung in der richterlichen Rechtsfindung, in: Grazer Universitätsreden 50 (1993), S. 22–41. 25 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht (1997). 26 Bydlinski (Fn. 14), S. 299–389; ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988). 27 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950). 28 Vgl. Bydlinski, Die „Elemente“ des Beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts (2000), S. 9–29. 29 Am klarsten zum Ausdruck gebracht bei Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (2. Aufl. 1983). 30 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft (1. Aufl. 1965; 4. Aufl. 1992). 31 Huber, Leistungsstörungen, Band I und II (1999).

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Bemerkenswerterweise hat sich keiner der genannten Zivilrechtslehrer der in den Vereinigten Staaten von Amerika in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis so übermächtig gewordenen ökonomischen Analyse des Rechts geöffnet,32 obwohl deren Hauptprotagonist Posner 33 schon seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch in Deutschland bekannt geworden ist.34 Daran wird deutlich, dass ein solcher Versuch der Rückführung normativer Aussagen auf von der Rechtsordnung letztlich unabhängige wohlfahrtsökonomische Überlegungen und empirische Größen mit dem traditionellen deutschen Verständnis von Rechtswissenschaft als Normwissenschaft, die sich nicht zuletzt aus rechtsstaatlichen Gründen der Exegese autoritativer Texte und der Entfaltung rechtlicher Prinzipien verpflichtet weiß 35 und sich nicht als Erfahrungswissenschaft definiert, offenkundig nicht kompatibel ist. In dieser Divergenz des Rechtsdenkens kommen letztlich zwei grundsätzlich abweichende Antworten zum Ausdruck, die auf den Verlust des Glaubens an die begriffliche Geschlossenheit der Rechtsordnung gegeben werden können: In Deutschland die Abwehr des Angriffs der Freirechtsschule durch Interessenjurisprudenz und daran anschließende Wertungsjurisprudenz, nach der es möglich und sinnvoll ist, das Recht intern als ein umfassendes axiologisches System zu entwerfen; in den USA die nachhaltige Erschütterung des Vertrauens in die Erklärungskraft von Dogmatik durch den mit freirechtlichem Denken vergleichbaren Rechtsrealismus und der damit entstehenden Notwendigkeit, den freiwerdenden Raum durch externe Überlegungen zu füllen, wobei die Rechtsökonomie infolge der tiefen Verankerung der utilitaristischen Ethik in der angelsächsischen Welt fast schon zwangsläufig die Oberhand gewonnen hat. Dem europäischen Recht stehen die Vertreter der klassischen deutschen Privatrechtswissenschaft ebenfalls eher reserviert gegenüber.36 Dies dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass das Unionsrecht auf die Systematik des deutschen Zivilrechts grundsätzlich keine Rücksicht nimmt. Zudem sieht man angesichts des apodiktischen Begründungsstils des EuGH, der wenig mit der Argumentationskultur gemein hat, die man von der höchstrichterlichen Judikatur in Deutschland gewohnt ist, die Gefahr eines Recht32 Keine Erwähnung bei Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991); Larenz/Canaris (Fn. 23); nur knappe und zurückhaltende Bemerkungen bei Bydlinski (Fn. 14), S. 331–332. 33 Posner, Economic Analysis of Law (1. Aufl. 1972; 7. Aufl. 2007). 34 Frühe Auseinandersetzung bei Horn, Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts – Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der „Economic Analysis of Law“, AcP 176 (1976), 307–333. Siehe ferner den Sammelband von Assmann/Kirchner/Schanze (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Rechts (1978). Umfassend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip (3. Aufl. 2005). 35 Deutlich Larenz, Die Bindung des Richters an das Gesetz als hermeneutisches Problem, in: Forsthoff u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber (1973), S. 291–309. 36 Vgl. Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht? (1994), S. 29–31.

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sprechungspositivismus, der sich anstelle der herkömmlichen Dogmatik darin erschöpft, die Entscheidungen des EuGH weitgehend widerspruchslos hinzunehmen und lediglich ihre rechtlichen Folgen auszudeuten. Darüber hinaus scheint man unterschwellig zu empfinden, dass der Prozess der Dogmatisierung und Systembildung im europäischen Privatrecht auf ganz besondere Herausforderungen stößt, denen man mit einem Rekurs auf die traditionelle Hermeneutik nicht beikommen kann. Die Verwissenschaftlichung des Unionsrechtsprivatrecht wird daher erst von der nachfolgenden Zivilrechtslehrergeneration umfassend als Aufgabe wahrgenommen.37 In gegenständlicher Hinsicht kreisen die Ausführungen der genannten Zivilrechtslehrer um die zentralen Themen des allgemeinen deutschen Privatrechts. Fünf Schwerpunkte seien herausgegriffen: Im Vertragsrecht nehmen die Bedeutung der Privatautonomie und die seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vordringende „Materialisierung“ des Zivilrechts – eine bis in die Diskurstheorie von Habermas vorgedrungene 38 Begriffsbildung 39 – eine prominente Rolle ein. Als Verfechter des Grundprinzips der „Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“ 40 sind vor allem Flume, Medicus 41 und nicht zuletzt Zöllner 42 anzusehen. Das monumentale Werk von Flume zum Rechtsgeschäft als dem zweiten Band seines Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts liest sich geradezu als eine einzige Variation über das Grundthema der Privatautonomie mit ihrer Anerkennung des „selbstherrlichen“ Grundsatzes stat pro ratione voluntas. Gemeinsames Anliegen ist es, Freiheitsverlusten durch ausufernde Richtermacht entgegenzutreten, womit sich der Kreis zu den in der Methodenfrage vertretenen Positionen schließt, die nicht Selbstzweck sind,

37 Vgl. von Bar u.a. (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR), Vol. 1–6 (2009); von Bar/Zimmermann (Hrsg.), Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I u. II (2002), Teil III (2005); Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000); Riesenhuber, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts (2003); ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2006); Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts (2003); siehe auch Basedow, Anforderungen an eine europäische Zivilrechtsdogmatik, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik (1999), S. 79–100. 38 Habermas, Faktizität und Geltung (5. Aufl. 1997), S. 472–493. 39 Zu den verschiedenen Verwendungen des Begriffs „Materialisierung“ Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273–364, 276–292; Wiethölter, Materialization and Proceduralization in Modern Law, in: Teubner (Hrsg.), Dilemmas of Law in the Welfare State (1986), S. 221–249. 40 So die mittlerweile schon klassische Formulierung von Flume (Fn. 30), S. 1. 41 Medicus (Fn. 36). 42 Zöllner, Zivilrechtswissenschaft und Zivilrecht im ausgehenden 20. Jahrhundert, AcP 188 (1988), 85–100, 91–100; ders., Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 2–36.

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sondern ebenfalls der Absicherung von Freiheitsverbürgungen dienen.43 Indem die konkrete Rechtsfindung im Privatrecht in argumentative und rational diskutierbare Bahnen gelenkt werden soll, wird das richterliche Handeln entpolitisiert, was aber insofern von grundsätzlicher politischer Bedeutung ist, als hierdurch die Berechenbarkeit des Rechts und damit die freie Entfaltung der Bürger gefördert werden. Folgerichtig stößt die zunehmende grundrechtliche Aufladung des Zivilrechts wegen der mit ihr verbundenen Erosion genuin privatrechtlichen Denkens bei Medicus auf wenig Gegenliebe.44 In dieselbe Richtung argumentiert Zöllner, wenn er sich dezidiert für privatautonome Gestaltungsfreiheit unter Verwerfung einer offensiven Mobilisierung von Grundrechten im Schuldvertragsrecht sowie der Vorstellung von Ungleichgewichtslagen als Anknüpfungspunkt richterlicher Vertragskontrolle ausspricht.45 Zudem schlägt Zöllner den Bogen zu der auf Franz Böhm 46 zurückgehende und auch bei dessen Schüler Ernst-Joachim Mestmäcker durchschimmernde 47 Lehre von der Privatrechtsgesellschaft als grundlegendes Strukturmodell, die er freilich aus ihrer ursprünglichen, primär auf die Ordnung des Wirtschaftslebens bezogenen Funktion herauslöst und in den generellen Kontext von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Person als Kern einer freiheitlichen Ordnung stellt.48 Es ist deshalb konsequent, wenn insbesondere Zöllner die Bewahrung des Charakters des Privatrechts als Freiheitsraum der Gesellschaft zur staatsfreien Gestaltung ihrer rechtlichen Beziehungen anmahnt.49 Dieser Denkrichtung muss man – trotz anfänglicher Sympathie für eine gewisse Inhaltskontrolle von Verträgen bei einem „verdünnten“ Willenseinfluss 50 – letztlich auch Bydlinski zuordnen.51 43 Zum Beitrag des methodischen Denkens für die Legitimation von Entscheidungen siehe etwa Schünemann, Die Gesetzesinterpretation im Schnittfeld von Sprachphilosophie, Staatsverfassung und juristischer Methodenlehre, in: Kohlmann (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Klug, Band I (1983), S. 169–186, 173–174. 44 Medicus, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), 35–70. Noch dezidierter Diederichsen, Das Bundesverfassungsgericht als oberstes Zivilgericht – ein Lehrstück der juristischen Methodenlehre, AcP 198 (1998), 171–260. 45 Zöllner, AcP 188 (1988), 85–100, 91–100; ders., AcP 196 (1996), 1–36. 46 Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966), 75–151; zu Böhm siehe den Beitrag von Mestmäcker, Franz Böhm, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 31–54. 47 Vgl. Mestmäcker, Der Kampf ums Recht in der offenen Gesellschaft, Rechtstheorie 20 (1989), 273–288, 281–282. 48 Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat (1996); ders., Privatrecht und Gesellschaft, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft (2007), S. 53–74. 49 Zöllner, Die politische Rolle des Privatrechts, JuS 1988, 329–336. 50 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967), S. 106–108. 51 Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer „Privatrechtsgesellschaft“ (1994), ders., „Privatrechtsgesellschaft“ und Rechtssystem, in: K. Schmidt/Schwark (Hrsg.), Festschrift für Peter Raisch (1995), S. 7–23; krit. gegenüber einem extensiven Verbraucher-

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Aufgeschlossener gegenüber Materialisierungstendenzen zeigen sich dagegen Larenz 52 und vor allem Canaris, der – trotz einer prinzipiell positiven Stellungnahme zum Konzept der Privatrechtsgesellschaft 53 – die insbesondere vom BVerfG54 ursprünglich vertretene „Ausstrahlungswirkung“ der Grundrechte im Privatrecht durch ein umfassendes Konzept weiterentwickelt hat, das sich aus einer unmittelbaren Bindung des Privatgesetzgebers an die Grundrechte einerseits und einer auch gegenüber privatrechtlichem Handeln geltenden Schutzpflichtfunktion der Grundrechte andererseits zusammensetzt 55 und das einer grundrechtlich motivierten Inhaltskontrolle privatautonomer Verträge den Weg ebnet 56. Noch stärker kommen die Zweifel an der Bindungswirkung der formalen Einigung im Werk von Manfred Wolf zum Ausdruck, der schon frühzeitig die realen Grenzen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit sowie ihre Bedeutung für den Vertrag thematisiert hat 57 und später dann – neben Peter Ulmer 58 – zu einem der großen Kommentatoren des AGB-Rechts als ein zentrales Instrument zur Begrenzung von einseitig ausgenutzter Vertragsgestaltungsmacht aufgestiegen ist.59 Folgerichtig scheiden sich auch an der Vertragsabschlusskontrolle als negative Folie der Vertragsinhaltskontrolle die Geister: Während Zöllner 60 und tendenziell auch Bydlinski 61 den Kontrahierungszwang eher einschränkend handhaben wollen, kann sich Wolf 62 einen großzügigeren Einsatz dieses Instruments durchaus vorstellen. Vor allem die Sichtweise von Wolf lässt sich als Teil einer umfassenderen Strömung in der schutzrecht auch ders., Die Suche nach der Mitte als Daueraufgabe der Privatrechtswissenschaft, AcP 204 (2004), 309–395, 360–380. 52 Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts (7. Aufl. 1989), S. 45–48, 56–62. 53 Canaris, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Festschrift für Peter Lerche (1993), S. 873–891. 54 BVerfGE 7, 198 – Lüth. 55 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), 201–246; ders., Grundrechtswirkungen und Verhältnismäßigkeitsprinzip in der richterlichen Anwendung und Fortbildung des Privatrechts, JuS 1989, 163–172; ders., Grundrechte und Privatrecht (1999). Zur Unentrinnbarkeit der unmittelbaren Drittwirkung bei jeder Annahme einer Drittwirkung siehe aber Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), S. 490–491. 56 Vgl. BVerfGE 89, 212 – Bürgschaft; zust. Canaris, AcP 200 (2000), 273–364, 295–300. 57 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich (1970). 58 Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz (1. Aufl. 1977; 10. Aufl. 2006). 59 Wolf/Horn/Lindacher, AGB – Recht (1. Aufl. 1984), zuletzt Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB – Recht (5. Aufl. 2009). 60 Zöllner, Kontrahierungszwang und Vertragsfreiheit, in: Koziol/Rummel (Hrsg.), Festschrift für Franz Bydlinski (2002), S. 517–531. 61 Bydlinski, Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980), 1–46. 62 Wolf, Selbstbestimmung durch vertragliches Abschlussrecht, JZ 1976, 41–45.

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Privatrechtstheorie begreifen, die ihren Ausgang in der Vertragslehre von Walter Schmidt-Rimpler 63 genommen hat, der den Vertrag als Regelungsinstrument zum einen auf den Gedanken der Privatautonomie aufbaute, zum anderen aber auch die Idee der Vertragsgerechtigkeit einbezog und bei einem typischen Machtungleichgewicht der Parteien den Vertrag als richtiges Ordnungsmittel ablehnte.64 Noch prononcierter kommt diese Entwicklungslinie namentlich bei Ludwig Raiser 65 zum Ausdruck, der nicht nur als Ahnherr des AGB-Rechts angesehen werden kann,66 sondern der darüber hinaus schon frühzeitig die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen zum Anlass nehmen wollte, das Privatrecht stärker auf die Funktion der Sicherung realer Freiheitsräume auszurichten und insbesondere die Gewährleistung materieller Vertragsgerechtigkeit einzufordern.67 Schließlich gehört Konrad Zweigert 68 ebenfalls in diesen Zusammenhang, in dessen These von der Vertragsfreiheit als „Utopie“ verbunden mit dem an die Privatrechtswissenschaft gerichteten Postulat der Entwicklung von Kriterien und Verfahren für Vertragsgerechtigkeit 69 die „Materialisierung“ gipfelte. Soweit es um das hochkomplexe Thema der Störungen von Schuldverhältnissen als Hauptstück des allgemeinen und besonderen Schuldrechts geht, sind zunächst die Lehrbücher von Larenz,70 später dann auch von Medicus 71 zu nennen, die über Jahrzehnte hinweg starken Einfluss auf die nachwach63 Zu Schmidt-Rimpler siehe den Beitrag von Rittner, Walter Schmidt-Rimpler (1885– 1975), in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 261–284. 64 Schmidt-Rimpler, Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941), 130–197; klärend ders., Zum Vertragsproblem, in: Baur u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ludwig Raiser (1974), S. 3–26. 65 Zu Raiser siehe den Beitrag von Kübler, Ludwig Raiser, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 287–303. 66 Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935). 67 Vgl. Raiser, Vertragsfreiheit heute, JZ 1958, 1–8; ders., Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, in: von Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960 (1960), Bd. I, S. 101–134; ders., Die Zukunft des Privatrechts (1971). 68 Zu Zweigert siehe den Beitrag von Drobnig, Konrad Zweigert, in: Grundmann/ Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 89–101. 69 Zweigert, „Rechtsgeschäft“ und „Vertrag“ heute, in: von Caemmerer/Mentschikoff/ Zweigert (Hrsg.), Festschrift für Max Rheinstein, Band II (1969), S. 493–504. 70 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil (1. Aufl. 1953; 14. Aufl. 1987); Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band, Besonderer Teil (1. Aufl. 1956; 1. Halbband, 13. Aufl. 1986; 2. Halbband [Larenz/Canaris], 13. Aufl. 1994). 71 Medicus, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil (1. Aufl. 1981), nunmehr Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil (18. Aufl. 2008); Medicus, Schuldrecht II – Besonderer Teil (1. Aufl. 1983), nunmehr Medicus/Lorenz, Schuldrecht II – Besonderer Teil (15. Aufl. 2010).

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senden Juristengenerationen ebenso wie auf die Rechtspraxis ausübten. So sind verschiedene von Larenz einprägsam herausgearbeitete Rechtsfiguren wie etwa das Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht 72 oder der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 73 zum juristischen Allgemeingut geworden. Mit Flume hat der subjektive Fehlerbegriff als Ausprägung des Gedankens der Privatautonomie 74 bleibenden Einzug in das Kaufrecht gehalten. Die nachhaltigste und weit in das 21. Jahrhundert hineinragende Wirkung im allgemeinen Privatrecht haben freilich diejenigen Zivilrechtslehrer erzielt, die an der Schuldrechtsmodernisierung mitgewirkt haben. An erster Stelle ist hier Canaris zu erwähnen, der als Mitglied der von der seinerzeitigen Bundesministerin der Justiz eingesetzten Kommission zur Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts der Grundkonzeption des jungen Huber 75 und dessen Anlehnung an das Einheitskaufrecht in der Tradition von Rabel 76 zum Durchbruch verholfen hat 77 und dieses von ihm in seiner gegenwärtigen Gestalt geprägte Rechtsgebiet bis in die jüngste Zeit gleichsam authentisch interpretiert.78 Nicht zu übersehen sind freilich auch die Beiträge von Medicus in Gestalt von Vorarbeiten 79 sowie der Mitgliedschaft in der „Kommission Leistungsstörungsrecht“. Ferner ist das Opus Magnum des späten Huber zum ursprünglichen Leistungsstörungsrecht des BGB zu nennen,80 dessen Konzeption er in Abkehr von früheren Vorschlägen 81 wieder eine größere Stimmigkeit abgewinnen konnte, auch wenn das Werk infolge der Schuldrechtsreform unvollendet blieb und seine Wirkung – anders als die 72 Erstmals Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil (5. Aufl. 1962), S. 38–43. 73 Bereits Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil (1. Aufl. 1953), S. 139–141. 74 Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948), S. 109–129. 75 Huber, Leistungsstörungen, Kaufvertrag, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I (1981), S. 647–909, 911–949. 76 Zu Rabel siehe den Beitrag von Kegel, Ernst Rabel, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 17–28. 77 Vgl. Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499–524. 78 Siehe etwa Canaris, Grundlagen und Rechtsfolgen der Haftung für anfängliche Unmöglichkeit nach § 311a Abs. 2 BGB, in: Lorenz/Trunk/Eidenmüller (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich (2005), S. 11–38; ders., Die einstweilige Unmöglichkeit der Leistung, in: Baums u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber (2006), S. 143–163; ders., Die Bedeutung des Kriteriums der Unteilbarkeit der Leistung oder der Gegenleistung im modernisierten Leistungsstörungsrecht, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus (2009), S. 17–41. 79 Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I (1981), S. 479–550. 80 Huber (Fn. 31). 81 Vgl. Huber (Fn. 75).

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ebenfalls herausragende Kaufrechtskommentierung 82 – nur kurze Zeit umfassend entfalten konnte. Mit dem Stichwort der Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht verbindet sich eindeutig der Name Canaris, der seine Konzeption von einer „dritten Spur“ der Haftung zwischen Vertrag und Delikt aus zahlreichen verstreuten Einzelerscheinungen frühzeitig zu einem umfassenden System ausgebaut 83 und in späteren Beiträgen bekräftigt und konkretisiert hat 84. Zwar ist dieser Ansatz nicht unwidersprochen geblieben.85 Dennoch muss man ihn zu den wenigen privatrechtswissenschaftlichen Entwürfen rechnen, die „ihre Zeit in Gedanken erfasst“ und die Dogmatik des deutschen Zivilrechts dauerhaft verändert haben. Die Themenkreise Deliktsrecht und Schadensrecht führen zum einen wiederum zu Larenz, Canaris und Bydlinski. Als bleibendes Vermächtnis des frühen Larenz sei das von ihm entwickelte Verständnis der zuvor als Kausalitätsproblem klassifizierten Adäquanz 86 als eine Kategorie der objektiven Zurechnung eines Erfolgs im Schadensersatzrecht erwähnt.87 Für Canaris ist etwa auf die grundlegende Klärung von Fragen zu Schutzgesetzen und Verkehrspflichten in seinem Beitrag zur zweiten Festschrift für seinen Lehrer zu verweisen.88 Bydlinskis Untersuchungen zu Kausalitätsproblemen 89 haben auch die deutsche Diskussion nachhaltig befruchtet. Zum anderen ist an dieser Stelle Ernst von Caemmerer mit seinen zahlreichen Studien zum Delikts- und Schadensrecht,90 vor allem aber mit seinen „Wandlungen des

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Soergel-Huber, Kommentar zum BGB, Bd. II, §§ 433–454, 456–515 (11. Aufl. 1986 und 12. Aufl. 1991). 83 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971). 84 Z.B. Canaris, Täterschaft und Teilnahme bei culpa in contrahendo, in: Barfuß u.a. (Hrsg.), Festschrift für Hans Giger (1989), S. 91–122; ders., Die Schadensersatzpflicht der Kreditinstitute für eine unrichtige Finanzierungsbestätigung als Fall der Vertrauenshaftung, in: Horn/Lwowski/Nobbe (Hrsg.), Festschrift für Herbert Schimansky (1999), S. 43–66; ders., Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band I (2000), S. 129–197. 85 Vgl. von Bar, Vertrauenshaftung ohne Vertrauen, ZGR 1983, 476–512, 511–512; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft (4. Aufl. 1992), S. 132 f.; Picker, Positive Forderungsverletzung und culpa in contrahendo – Zur Problematik der Haftungen „zwischen“ Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), 369–520, 418–429. 86 Vgl. Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht (1904), S. 115–166. 87 Vgl. Larenz (Fn. 21), S. 81–85. 88 Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen/Paulus (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz (1983), S. 27–110. 89 Bydlinski, Mittäterschaft im Schadensrecht, AcP 158 (1959/1960), 410–430; ders., Probleme der Schadensverursachung nach deutschem und österreichischem Recht (1964). 90 Zusammengeführt in von Caemmerer, Gesammelte Schriften (hrsgg. von Leser), Band I (1968), Band III (1983).

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Deliktsrechts“ zu nennen,91 der bis heute gültigen Darstellung der Entwicklungen, die das Deliktsrecht in den ersten Jahrzehnten seit der Kodifikation des BGB erfahren hat. Wendet man sich abschließend dem Bereicherungsrechts zu, dem die deutsche Doktrin seit jeher eine im internationalen Vergleich herausragende Rolle zuerkennt, so ist es erneut von Caemmerer, dessen – seiner Neigung zum fallgruppenartigen Denken entsprechende – Konzeption einer Gliederung nach einzelnen Kondiktionsarten anstelle einer Einheitsformel 92 das Verständnis dieses Rechtsgebiets seit Jahrzehnten prägt. Allerdings ist es sogleich auch wieder Canaris, der insbesondere zur bereicherungsrechtlichen Bewältigung von Dreipersonenverhältnissen in seinem Beitrag zur ersten Festschrift für seinen Lehrer Grundlegendes beigetragen hat.93 Schließlich ist Flume anzusprechen, der durch eine Reihe von Aufsätzen ein umfassendes System des Bereicherungsrechts entwickelt hat, in deren Zentrum die von der gegenständlichen Betrachtungsweise von Caemmerers abweichende Orientierung des Bereicherungsanspruchs auf das Gesamtvermögen des Bereicherten und die Kritik an der Saldotheorie mitsamt seiner eigenen Lehre von der vermögensmäßigen Entscheidung stehen.94

II. Mit dem mehrfach erwähnten Namen von Caemmerer wird der Bogen zu internationalen Fragen geschlagen, die im wissenschaftlichen Werk der übrigen bislang genannten Zivilrechtslehrer – mit Ausnahme von Huber und Wolf – keinen größeren Niederschlag gefunden haben. Die große Tradition von Ernst Rabel hat von Caemmerer auf zweifache Weise fortgesetzt: Zum einen zeichnet sich seine Arbeitsweise durch eine umfangreiche Heranziehung rechtsvergleichenden Materials bei der Lösung von Sachproblemen des deutschen Rechts aus. Zum anderen hat er die Entstehung eines Einheitlichen Kaufrechts in Gestalt der Haager Kaufgesetze EAG und EKG von 1964 gefördert und deren weiteres Schicksal wissenschaftlich durch eine grundlegende Kommentierung begleitet,95 die trotz der Ablösung von EAG 91

von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: ders./Friesenhahn/Lange (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960 (1960), Bd. II, S. 49–136. 92 von Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, in: Dölle/Rheinstein/ Zweigert (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rabel, Band I (1954), S. 333–401. 93 Canaris, Der Bereicherungsausgleich im Dreipersonenverhältnis, in: Canaris/Diederichsen/Paulus (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz (1973), S. 799–865. 94 Zusammengeführt in Flume, Studien zur Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung (hrsgg. von Ernst) (2003). 95 von Caemmerer, in: Dölle (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht (1976), Art. 56–70 EKG.

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und EKG durch das UN-Kaufrecht (CISG) – alles dies ein wichtiges Betätigungsfeld auch für Huber – gedanklich fortwirkt. Das Erbe Rabels und von Caemmerers wurde von dessen Schüler Peter Schlechtriem weitergetragen und der folgenden Generation übermittelt. Das gilt zunächst für den Funktionalismus als Kern der modernen Rechtsvergleichung, der in Dogmatik und System nationalrechtlicher Provenienz wenig mehr als die „Verschlüsselung“ der eigentlichen Sachentscheidung sieht und der Schlechtriem methodisch in die Nähe von Esser geführt hat, wie überhaupt die Komparatistik einen Nährboden für dogmatikskeptische Strömungen bildet. Dies gilt weiter für das UN-Kaufrecht, an dessen Entstehung Schlechtriem beteiligt war und das er durch den maßgeblichen Kommentar zum CISG in deutscher 96 und englischer Sprache 97 weiter prägte. Mit Schlechtriem klingt schließlich das große Thema der über das Kaufrecht weit hinausgehenden Privatrechtsvereinheitlichung auf der europäischen Ebene an, das über seine maßgebliche Mitwirkung in der Study Group on a European Civil Code mittlerweile zum Draft Common Frame of Reference 98 als ein – freilich nicht unumstrittener 99 – akademischer Versuch geführt hat, einem offiziellen unionsrechtlichen Common Frame of Reference den Weg zu bahnen. Das Internationale ist – obgleich mit anderen Akzenten – auch das Betätigungsfeld von Gerhard Kegel. Im Vordergrund steht bei Kegel das Internationale Privatrecht, in dem er die kopernikanische Wende von der Begriffsjurisprudenz zur Interessenjurisprudenz eingeleitet hat 100 und das er mit einem kaum zu überschätzenden Einfluss jahrzehntelang durch eine einzigartige Mischung aus „praxisbezogener Theorie“ und „theoriebezogener Praxis“ im Wechselspiel von Standardkommentierung 101 und Standardlehrbuch 102 prägte. Daneben spielt freilich auch die Rechtsvergleichung eine bedeutsame Rolle.103 In beiden Bereichen vertritt Kegel eine Universaljurisprudenz. Verengungen auf den europäischen Rechtsraum waren seine Sache nicht. In gemeinschaftsrechtlich motivierten Sonderentwicklungen wie insbesondere 96 von Caemmerer/Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht – CISG – (1. Aufl. 1990), nunmehr Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht – CISG – (5. Aufl. 2008). 97 Schlechtriem/Schwenzer, Commentary on the UN Convention on the International Sale of Goods (CISG) (3. Aufl. 2010). 98 von Bar u.a. (Hrsg.) (Fn. 37). 99 Vgl. Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, 529–550. 100 Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, in: Gerwig u.a. (Hrsg.), Festschrift für Hans Lewald (1953), S. 259–288. 101 Soergel-Kegel, Kommentar zum BGB, Bd. IV bzw. 10, EGBGB (8. Aufl. 1955 bis 12. Aufl. 1996). 102 Kegel, Internationales Privatrecht (1. Aufl. 1960), nunmehr Kegel/Schurig (9. Aufl. 2004). 103 Vgl. Kegel, Vertrag und Delikt (2002).

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der Überlagerung des Kollisionsrechts durch Grundfreiheiten sah Kegel vielmehr eher eine Störung denn eine Bereicherung der gewachsenen Strukturen des Internationalen Privatrechts und betrachtete sie daher kritisch.

III. Die verschiedenen Bereiche des auf das Wirtschaftsleben bezogenen Rechts stehen seit jeher im Zentrum der deutschen Privatrechtswissenschaft. Dem allgemeinen Zivilrecht traditionell am nächsten ist das Handelsrecht. Insoweit hat sich vor allem Karsten Schmidt mit großer Innovationskraft hervorgetan und in seinem Lehrbuch zum Handelsrecht von Anfang an den frühen Vorstoß seines Lehrers Raisch in Richtung auf ein Verständnis dieses Rechtsgebiets als Außenprivatrecht der Unternehmen und nicht lediglich als Sonderprivatrecht der Kaufleute 104 zu einem umfassenden System ausgebaut,105 ohne sich von der Weigerung des Handelsrechtsreformgesetzgebers irritieren zu lassen, dieser Konzeption zu folgen.106 Vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten methodischen Grundüberzeugungen eines repräsentativen Teils der Privatrechtswissenschaft verwundert es nicht, dass diese These wegen ihrer Abkehr vom geschriebenen Recht auf den energischen Widerspruch nicht nur von Canaris, der in seinem Lehrbuch zum Handelsrecht dessen Konzeption mit seiner Orientierung an der Kaufmannseigenschaft treu geblieben ist,107 sondern insbesondere auch von Zöllner 108 sowie von Bydlinski 109 gestoßen ist. Wer heutzutage vom Handelsrecht spricht, muss schließlich Klaus J. Hopt erwähnen, dessen Forschungen ihren Schwerpunkt zwar im noch anzusprechenden Unternehmensrecht, Kapitalmarktrecht und Bankrecht haben, der mit seiner Standardkommentierung zum HGB diesen Bereich aber ebenfalls seit Jahrzehnten prägt.110 Das Gesellschaftsrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten – auch international 111 – zu einem der dynamischsten Rechtsgebiete entwickelt. Der

104 Vgl. Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts (1965), S. 21 f. 105 K. Schmidt, Handelsrecht (1. Aufl. 1980), S. 39–48 und passim. 106 K. Schmidt, Handelsrecht (5. Aufl. 1999), S. 47–61 und passim. 107 Canaris, Handelsrecht (24. Aufl. 2006), S. 8–16, 19–42. 108 Vgl. Zöllner, Wovon handelt das Handelsrecht?, ZGR 1983, 82–91. 109 Bydlinski, Handels- oder Unternehmensrecht als Sonderprivatrecht (1990), S. 26 f. 110 Erstmalig Baumbach/Duden/Hopt, HGB (24. Aufl. 1980), nunmehr Baumbach/ Hopt, HGB (34. Aufl. 2010). 111 Siehe die auch in Deutschland gerne zitierte Einschätzung von Buxbaum, New Owners and Old Managers: Lessons from the Socialist Camp, Del. J. Corp. L. 18 (1993), 867, 868: „hottest game in town“.

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deutschen Tradition entspricht das Denken in organisationsrechtlichen Strukturen, während sich das kapitalmarktrechtliche Denken erst im Laufe der Zeit Bahn gebrochen hat. Für dieses herkömmliche Verständnis stehen herausragend Marcus Lutter, Peter Ulmer und Wolfgang Zöllner, die zusammen mit Karsten Schmidt und Herbert Wiedemann 112 die heutige Gestalt des deutschen Gesellschaftsrechts und der Gesellschaftsrechtswissenschaft maßgeblich geprägt haben. Innerhalb dieses verbandsrechtlichen Ansatzes spielt das Herausarbeiten einer die einzelnen Gesellschaftsformen überwindenden Systematik schon seit einiger Zeit eine prominente Rolle. So hat sich vor allem K. Schmidt die Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht auf die Fahnen geschrieben und treibt sie mit starker Gestaltungskraft voran. Dementsprechend nehmen allgemeine Überlegungen zur Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht – dies ein wichtiges Thema auch für Harm Peter Westermann 113 mit seinem ausgewogenen Plädoyer für privatautonome Gestaltungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht in Kontrast zum späteren ordnungspolitisch motivierten Gegenentwurf von Reuter 114 –, zur Organisation-, Finanz- und Haftungsverfassung sowie zur Mitgliedschaft bei K. Schmidt regelmäßig rund ein Drittel seiner voluminösen Gesamtdarstellung des Gesellschaftsrechts ein, während die einzelnen Formen des Körperschaftsund des Personengesellschaftsrechts erst anschließend behandelt werden.115 Noch tiefgründiger hat Wiedemann rechtsformübergreifend erkenntnisleitende Strukturprinzipien und Wertungsprinzipien des Gesellschaftsrechts unter reichhaltiger Berücksichtigung auch rechtsvergleichenden Materials herausgearbeitet 116 und diesen Forschungsansatz viele Jahre später mit Fokussierung auf die Personengesellschaften fortgesetzt 117. Eine besondere Rolle nehmen die Grundlagenwerke von Flume zur Personengesellschaft als Gesamthandsgesellschaft 118 und zur juristischen Person 119 ein, in denen seine Verankerung in der rechtsgeschichtlichen Entwicklung sowie seine Einblicke für die wirtschaftliche Praxis in sehr eigenständiger Weise zusammenfließen.

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Zu Wiedemann siehe den Beitrag von Fleischer, Herbert Wiedemann, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 167–184. 113 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften (1970). 114 Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen (1973). 115 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht (1. Aufl. 1986; 4. Aufl. 2002). 116 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I (1980), S. 141–655. 117 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II (2004), S. 3–588. 118 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Erster Teil, Die Personengesellschaft (1977). 119 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Zweiter Teil, Die juristische Person (1983).

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Das Personengesellschaftsrecht befindet sich schon seit längerem im Windschatten des Kapitalgesellschaftsrechts. Die Internationalisierung dieses Bereichs ist wesentlich weniger weit vorangeschritten. Insbesondere das Unionsrecht verhält sich insoweit weitgehend abstinent. Von einer „Reform in Permanenz“, wie sie das Aktienrecht schon seit vielen Jahren über sich ergehen lassen muss, das schon aus diesem Grunde für ständig neuen Gesprächsstoff sorgt, ist das Personengesellschaftsrecht verschont geblieben. Die Dogmatisierung ist auf diesem Feld deshalb vergleichsweise weit vorangeschritten und erlaubt geschlossene Gesamtdarstellungen. Standardwerk war lange Jahre die Monographie zur offenen Handelsgesellschaft von Alfred Hueck,120 die später durch die umfängliche Kommentierung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts von Ulmer 121 abgelöst wurde. Als dogmatische Einzelfrage ragt der „Dreißigjährige Krieg“ um die Rechtsnatur der bürgerlichrechtlichen Gesellschaft als ein nur zwischen den Gesellschaftern bestehendes vertragliches Gebilde oder als ein auch im Außenverhältnis rechtsfähiger Verband hervor. Wenn im Gefolge der Gruppenlehre von Flume 122 und der darauf aufbauenden neuen Gesamthandslehre von Ulmer 123 und K. Schmidt 124 der BGH schließlich die Rechtssubjektivität der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts als solche anerkannt hat,125 handelt es sich dabei um eine Rechtsfortbildung, der sich zwar niemand Geringerer als Zöllner stets entgegengestemmt hat.126 Gleichwohl ist dies ein gelungenes Beispiel für den Dialog von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, der die deutsche Rechtskultur kennzeichnet und der allem Anschein nach im Gesellschaftsrecht besonders stark und fruchtbar ausgeprägt ist.127 Die 1892 ohne historische Vorbilder aus der Taufe gehobene und nur zweimal (1980 und 2008) größeren Veränderungen unterzogene GmbH ist ein deutsches Erfolgsmodell, das sich gegenüber ausländischen Rechtsformen, 120 A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft (1. Aufl. 1946; 4. Aufl. 1971). Zu Hueck siehe den Beitrag von Zöllner, Alfred Hueck – Rechtslehrer in Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bundesrepublik, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 149–165. 121 Münchener Kommentar-Ulmer, BGB (1. Aufl. 1980), teilweise nunmehr mit Schäfer (5. Aufl. 2009). 122 Flume, Gesellschaft und Gesamthand, ZHR 136 (1972), 177–207; ders. (Fn. 118), S. 54–62. 123 Seit der 1. Auflage (1980) Münchener Kommentar-Ulmer, BGB, § 705 Rn. 108–114. 124 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht (seit 1. Aufl. 1986), S. 157–160. 125 BGHZ 146, 341. 126 Zöllner, Rechtssubjektivität von Personengesellschaften?, in: Lange/Nörr/Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber (1993), S. 563–578; ders., Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft – ein Sachverstands- oder Kommunikationsproblem?, in: Hönn/ Konzen/Kreutz (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft (1998), S. 701–718. 127 Vgl. Röhricht, Von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, ZGR 1999, 445–478, 446–449.

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namentlich der englischen Limited Company, die als Folge der Judikatur des EuGH zur unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV (ex-Art. 43, 48 EG) unter Beibehaltung ihrer Rechtsform im Inland ihren tatsächlichen Verwaltungssitz haben kann,128 besser behauptet hat, als es zwischenzeitlich prognostiziert worden war. Seit den Tagen des Arbeitskreises GmbH-Reform, in dem sich Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts u.a. Lutter, Ulmer, Wiedemann und Zöllner zusammenfanden, hat es keine wichtige Entwicklung im GmbH-Recht gegeben, die von diesen Zivilrechtslehrern nicht vorbereitet oder doch aktiv begleitet worden ist. Erwähnt sei nur die Diskussion um das „Rätsel Vorgesellschaft“, bei der es wiederum Ulmer war, der durch seine Arbeiten 129 wesentlich dazu beitrug, dass sich der BGH zur Aufgabe des Vorbelastungsverbots und zu seiner Ersetzung durch eine Unterbilanzhaftung entschloss 130. Die Aktiengesellschaft ist zwar als Kapitalsammelbecken und Publikumsgesellschaft konzipiert, zeichnete sich in Deutschland aber doch lange Zeit durch eine gewisse Kapitalmarktferne aus. Dies hat sich mit dem rechtstatsächlichen Wandel in der Unternehmensfinanzierung von einer bankengestützten zu einer kapitalmarktbasierten Finanzierung grundlegend geändert, der die Aktiengesellschaft zum Hauptgegenstand der auf das Gesellschaftsrecht bezogenen deutschen und europäischen Regulierungsaktivitäten hat werden lassen. Eine zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Aufsichtsrat als dem wichtigsten Organ zur Sicherung von Aktionärsinteressen zu, der insbesondere von Lutter in allen denkbaren Facetten bis in die jüngste Gegenwart intensiv beleuchtet wird.131 Die Organisation, Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats führen zu dem weiter gefassten Forschungsfeld der Corporate Governance, das sich umfassend mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Leitung und Kontrolle von Unternehmen beschäftigt und das national wie auch international untrennbar mit dem Namen Hopt verbunden ist.132 Damit einher geht die Erweiterung des traditionellen verbandsrechtlichen Verständnisses des Gesellschaftsrechts um die kapitalmarktrechtliche Dimension, die wesentlich auf Hopt zurückzuführen ist, auf die aber auch Wiedemann schon frühzeitig aufmerksam 128 Die Entscheidungstrias lautet EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999, I-1459; EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 Überseering, Slg. 2002, I-9919; EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 Inspire Art, Slg. 2003, I-10155. 129 Vgl. Ulmer, Das Vorbelastungsverbot im Recht der GmbH-Vorgesellschaft – notwendiges oder überholtes Dogma?, in: Flume/Raisch/Steindorff (Hrsg.), Festschrift für Kurt Ballerstedt (1975), S. 279–301. 130 BGHZ 80, 129. 131 Siehe etwa Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat (1. Aufl. 1979; 3. Aufl. 2006); ders., Aufsichtsrat und Sicherung der Legalität im Unternehmen, in: Kindler u.a. (Hrsg.), Festschrift für Uwe Hüffer (2010), S. 617–625. 132 Siehe nur Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Hrsg.), Comparative Corporate Governance (1998).

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gemacht hat.133 Insbesondere kann Hopt für sich in Anspruch nehmen, die Wechselwirkung der innerhalb und außerhalb der Unternehmensorganisation angesiedelten Einflussfaktoren einschließlich der rechtsökonomischen Aspekte erstmals ins allgemeine Bewusstsein gerückt und hierdurch maßgeblich zur internationalen Anschlussfähigkeit der deutschen gesellschaftsrechtlichen Diskussion beigetragen zu haben. Dasselbe gilt für die Rückwirkung der kapitalmarkrechtlichen Perspektive auf die Herausbildung eines speziellen Organisationsrechts für börsennotierte Gesellschaften, das die Doppelrolle des Aktionärs als Verbandsmitglied sowie als Kapitalanleger aufnimmt und das zu einer Binnendifferenzierung des Aktienrechts führt, indem es mitten durch die Rechtsform der Aktiengesellschaft hindurch an die Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt anknüpft („Börsengesellschaftsrecht“). Teilaspekt der Corporate Governance-Debatte ist die vor allem in Deutschland heftig wogende Auseinandersetzung um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, an der sich Hopt, aber auch Lutter, Wiedemann und Zöllner sowie insbesondere Ulmer prominent beteiligt haben. Das Thema der Mitbestimmung lenkt den Blick auf das Arbeitsrecht, das man in einem gewissen Sinne zum Unternehmensrecht zählen kann, das aber noch weiter darüber hinausgreift und das in einem gewissen Spannungsverhältnis zum allgemeinen Privatrecht steht. Schon die Frage, ob das Arbeitsrecht jedenfalls im Ausgangspunkt zivilrechtlichen Denkformen zu unterwerfen ist und insbesondere dem Gedanken der Privatautonomie breiten Raum geben sollte oder ob es in der Rechtsordnung von vornherein eine Sonderstellung zu beanspruchen hat, ist Gegenstand fast schon weltanschaulich geführter Auseinandersetzungen.134 Die Verflochtenheit mit der sozialgeschichtlichen Entwicklung und der in keinem anderen Rechtsgebiet so manifeste Grad an Politisierung mitsamt seinen mächtigen und verfestigten Interessengruppen machen das Arbeitsrecht zu einer Materie, deren wissenschaftliche Durchdringung aus der Perspektive des allgemeinen Zivilrechts besondere Schwierigkeiten aufwirft. Es verwundert daher nicht, dass von den bedeutenden Privatrechtslehrern nur wenige dem Arbeitsrecht nähergetreten sind, das sich gegenüber dem Bemühen um eine konsistente Dogmatik und Systematik offenbar als besonders spröde erweist. Zu nennen sind hier vor allem Wiedemann und Zöllner, aus der Vorgängergeneration Alfred Hueck und Hans Carl Nipperdey,135 die allesamt noch eine Einheit der Privatrechtsordnung verkörpern bzw. verkörpert haben, die angesichts der 133 Wiedemann, Der Kapitalanlegerschutz im deutschen Gesellschaftsrecht, BB 1975, 1591–1598. 134 Vgl. einerseits Zöllner, Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976), 221–246; andererseits Gamillscheg, Zivilrechtliche Denkformen und die Entwicklung des Individualarbeitsrechts, AcP 176 (1976), 197–220. 135 Zu Nipperdey siehe den Beitrag von Adomeit, Hans Carl Nipperdey als Anreger für eine Neubegründung des Juristischen Denkens, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.),

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fortschreitenden Spezialisierung und Ausdifferenzierung freilich bedrohter denn je erscheint. Die Wirtschaft wird schon seit langem durch die Organisationsform des Konzerns geprägt, der mit seinem Spannungsverhältnis von Einheit und Vielheit das Gesellschaftsrecht stets aufs Neue herausfordert, wobei die Reaktionen der Zivilrechtslehre unterschiedlich ausfallen und in eine umfassende Untersuchung der Trennung von Herrschaft und Haftung – so der frühe Mestmäcker 136 –, in eine subtile Analyse der verschiedenen Problemfelder – so Wiedemann 137 – oder aber auch in eine engagierte Mitgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen – so zum österreichischen Recht Peter Doralt – münden können. Weiter hat die notorische Insolvenzanfälligkeit der GmbH bekanntlich dazu geführt, die Haftung des herrschenden Gesellschafters gegenüber Gläubigern im Geiste der Vorschläge des erwähnten Arbeitskreises GmbH-Reform zwischenzeitlich auf konzernrechtliche Überlegungen zu stützen.138 Zwar hat sich der BGH von dieser Konzeption mittlerweile wieder verabschiedet,139 wird von Zöllner aber an die Sinnhaftigkeit einer auch konzernrechtlichen Betrachtungsweise erinnert.140 Das andere Großthema ist das Konzernverfassungsrecht, dessen Herausbildung sich Lutter verschrieben hat, das aber immer noch auf seine Vollendung wartet.141 Größerer Erfolg war Lutter dagegen bei einem anderen, schon seit langem wohlwollend begleiteten und maßgeblich geförderten Projekt beschieden, nämlich der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), die aus der deutschen Perspektive untrennbar mit seinem Namen verbunden ist und zu der er nach ihrer Etablierung sogleich den Standardkommentar vorgelegt hat.142 Ob seinem Schüler Hommelhoff mit der Europäischen Privatgesellschaft (SPE) ein vergleichbarer Erfolg gelingt, wird die Zeit erweisen. Das moderne Gesellschaftsrecht wäre unvollständig, wenn es nicht auch den Marktaustritt durch Insolvenz sowie die Reorganisation von Unternehmen in den Blick nehmen würde. Es ist das bleibende Verdienst von K. Schmidt, das Insolvenzrecht aus der Ecke einer ausschließlich zivilprozessualen Deutung als Gesamtvollstreckung herausgeführt und Wege zu einem neuen unternehmensrechtlich geprägten Insolvenzrecht gewiesen zu

Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 103–127. 136 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre (1958). 137 Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988). 138 BGHZ 95, 330 – Autokran; BGHZ 115, 187 – Video; BGHZ 122, 123 – TBB. 139 BGHZ 173, 246 – Trihotel; BGHZ 176, 204 – Gamma. 140 Baumbach/Hueck-Zöllner, GmbHG (19. Aufl. 2010), SchlAnhKonzernR Rn. 153. 141 Vgl. Lutter, Das unvollendete Konzernrecht, in: Bitter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt (2009), S. 1065–1076. 142 Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar (2008).

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haben.143 Gesetzgeber und Rechtspraxis sind diesen Weg von einer statischen hin zu einer dynamischen Betrachtungsweise mitgegangen, so dass seine Konzeption das Gesicht des deutschen Insolvenzrechts dauerhaft verändert hat. Die bereits angesprochene kapitalmarktrechtliche Dimension des heutigen Gesellschaftsrechts ist Teil einer umfassenderen und noch lange nicht abgeschlossenen Debatte über die Architektur der Finanzmärkte, die über das Privatrecht hinausreicht und insbesondere auch die öffentlichrechtliche Finanzaufsicht auf deutscher und europäischer Ebene einschließt. Insoweit bahnbrechend ist das Wirken von Hopt, der den kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutz für die deutsche Diskussion entdeckte 144 und sich über Themen wie das Insiderrecht 145 oder das Übernahmerecht 146 zu einem Akteur entwickelt hat, der nicht nur auf der deutschen, sondern auch auf der europäischen Ebene zu maßgeblichem rechtsgestalterischen Einfluss gelangt ist. Damit hat Hopt zugleich das Bankrecht um wesentliche Aspekte bereichert. Während sich Canaris in seiner umfassenden Darstellung des Bankrechts noch auf das Bankvertragsrechts konzentriert hatte,147 hat sich Hopt dieses Rechtsgebiet vom kapitalmarktbezogenen investment banking her erschlossen, ohne indes das commercial banking zu vernachlässigen.148 Markt und Wettbewerb als Untersuchungsgegenstände sind schließlich die Domäne von Mestmäcker, der das Wettbewerbsrecht auf der deutschen und der europäischen Ebene seit Jahrzehnten herausragend prägt.149 Zu den zentralen Fragen dieses Rechtsgebiets zählt seit jeher das Spannungsverhältnis von Recht und Ökonomie, bei dem letztere durch den more economic approach der Europäischen Kommission zwecks Steigerung der Konsumentenwohlfahrt gegenwärtig die Oberhand zu gewinnen scheint. Die ordoliberale Schule, deren Erbe Mestmäcker – in der Tradition von Franz Böhm 150 und Heinrich Kronstein 151 stehend – fortführt, misstraut einer solchen 143

K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen (1990). Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken (1975). 145 Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing (1991). 146 Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Takeovers (1992). 147 Canaris, Bankvertragsrecht, in: Staub Großkommentar zum HGB (3. Aufl., Band III/3, 2. Bearb. 1981; 4. Aufl., Band 5, Erster Teil 1 2005). 148 Darstellung des Zahlungsgeschäfts in: Baumbach/Duden/Hopt, HGB (24. Aufl. 1980), nunmehr Baumbach/Hopt, HGB (34. Aufl. 2010). Darstellung des Kreditgeschäfts in: Hopt/Mülbert, Kreditrecht (1989). 149 Siehe nur Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1, Teile 1 u. 2, Band 2 (4. Aufl. 2007). 150 Zu Böhm siehe den Beitrag von Mestmäcker, Franz Böhm, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 31–54. 151 Zu Kronstein siehe den Beitrag von Biedenkopf, Heinrich Kronstein, in: Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, Band 1 (2007), S. 187–205. 144

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Anmaßung von Wissen. Ausdruck dieser Grundhaltung ist eine brillante Auseinandersetzung mit den Vorstellungen von Posner und von Hayek, in der sich Mestmäcker auf die Seite von Hayeks schlägt und damit auf die Seite, die dem Einzelnen Freiraum in dem Vertrauen gibt, dass eine Gesellschaft, deren Mitglieder über rechtlich klar definierte Ausgangspositionen und Instrumente verfügen, auf Dauer gegenüber einer Gesellschaft vorzugswürdig ist, in welcher der Staat zu wissen glaubt, auf welche Weise bestimmte ökonomische und soziale Zustände erreicht werden können.152 Hierdurch schließt sich der Kreis zu den eingangs skizzierten Grundpositionen der traditionellen deutschen Privatrechtswissenschaft, die sich gegenüber dem Steuerungsdenken unabhängig davon reserviert zeigt, ob es ökonomisch oder sozial motiviert ist, weil man als Hauptmotiv des Zivilrechts die Gewährleistung von Selbstbestimmung und daraus erwachsender Selbstverantwortung, also letztlich die Gewährleistung von Freiheit begreift.

152

Mestmäcker, A Legal Theory without Law (2007).

Vorsprung durch Technik: Die „deutschsprachigen Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts“ in rechtsvergleichender Perspektive Stefan Vogenauer I. Perspektivenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrecht und Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts zwischen internationaler Entwicklung und nationalem Sonderweg . . . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtslehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herkunft und persönliche Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufliche Werdegänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lehrjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lehrerjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtshonoratioren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wissenschaft vom Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wissenschaftlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Proaktiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Juristisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Praxisbezogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bilanz und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . .

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I. Perspektivenwechsel Den Herausgebern der beiden Bände über deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts ist es ein Anliegen, „ein Bild der deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaften hinauszutragen nach Europa und darüber hinaus“ (I 3 f.).1 Dazu haben sie 38 „Einzeldarstellungen“ eingeworben. Ergeben diese Skizzen in ihrer Zusammenschau das erhoffte Gesamtbild? Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass es „den“ deutschen Zivilrechtslehrer ebenso wenig gibt wie „die“ deutsche Wissenschaft vom Zivilrecht. Zu unterschiedlich sind die Persönlichkeiten, zu heterogen die thematischen Schwerpunkte, zu verschieden die methodischen Ansätze. Dennoch ist es möglich, die Gruppe als Ganze zu erfassen. Dabei hilft es, die Binnen1 Nachweise aus Grundmann/Riesenhuber, Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler: Eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen, 2 Bde (2007, 2010) erfolgen durch bloße Band- und Seitenangabe.

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perspektive zu verlassen. Der Blick von außen lässt das Gemeinsame, Verbindende eines Personenverbandes oft deutlicher erkennen, als es seinen Mitgliedern selbst möglich ist: „Um zu verstehen, worin da die Besonderheit unserer deutschen Verhältnisse besteht, ist es zweckmäßig, vergleichend zu verfahren und sich zu vergegenwärtigen, wie es im Auslande dort aussieht, wo in dieser Hinsicht der schärfste Gegensatz gegen uns besteht“.2 Deshalb sollen in diesem Beitrag die deutsche Zivilrechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts und ihre bedeutendsten Vertreter, so wie sie sich in den vorliegenden zwei Bänden präsentieren, mit den Augen des Auslands betrachtet werden. Auf diese Weise, so ist zu hoffen, treten ihre charakteristischen Merkmale deutlicher hervor. Die Zivilrechtslehrer einer bestimmten Epoche und ihre Wissenschaft lassen sich nur im historischen Kontext verstehen. Daher weise ich zunächst auf einige im internationalen Vergleich auffällige Besonderheiten der deutschen Rechtsentwicklung im 20. Jahrhundert hin (II.). Danach untersuche ich, wie sich die Portraitierten in ihren persönlichen und beruflichen Werdegängen sowie in ihrem Status innerhalb des Gesamtgefüges der Rechtsordnung von den Zivilrechtslehrern anderer Länder unterscheiden (III.). Schließlich unternehme ich den Versuch, einige charakteristische Eigenschaften der deutschen Zivilrechtsdogmatik herauszuarbeiten und diese den im Ausland anzutreffenden Erscheinungsformen zivilrechtlichen Schrifttums gegenüberzustellen (IV.). Dabei gehe ich stets von den vorstehenden 38 Kapiteln aus. Eine lückenlose Auswertung der reichhaltigen Literatur zur deutschen Zivilrechtslehre würde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Schließlich noch eine sprachliche Vorbemerkung: Im Folgenden verwende ich die Begriffe „deutschsprachig“ und „deutsch“ in der Regel synonym. Zum einen handelt es sich bei den vorgestellten Persönlichkeiten fast ausnahmslos um Deutsche. Zum anderen ist der Idealtypus der Zivilrechtswissenschaft im deutschsprachigen Raum gerade die spezifisch deutsche Ausprägung des Fachs. Bereits die österreichische, und stärker noch die schweizerische Wissenschaft vom Zivilrecht sind deutlich weniger „deutsch“.

II. Zivilrecht und Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts zwischen internationaler Entwicklung und nationalem Sonderweg In der Gesamtschau ergibt sich aus den Biographien der Zivilrechtslehrer eine Rechtsgeschichte, ja eine Wissenschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert en miniature. Es handelt sich, wie der Untertitel der beiden Bände verspricht, um eine „Ideengeschichte in Einzeldarstellungen“. So wie

2

Weber, Wissenschaft als Beruf (1919), S. 1.

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sich das Zusammenwirken der Berufsverläufe individueller Zivilrechtler auf die Entwicklung des Privatrechts auswirkt, so prägt auch die Rechts- und Wissenschaftsgeschichte eines Zeitraums die einzelnen Persönlichkeiten und ihre Karrieren. Insbesondere im Bereich der Wissenschaftsgeschichte scheint in den Berichten der Schüler vieles auf, das auch dem ausländischen Betrachter geläufig ist. Dazu gehört etwa die Expansion des Hochschulwesens seit den sechziger Jahren, vorstehend exemplifiziert durch die Karrierestationen an den Universitätsneugründungen Bielefeld (Mestmäcker, H. P. Westermann), Bochum (Lutter) und Regensburg (Medicus) und die politische Arbeit Raisers in der Wissenschaftlichen Kommission (I 290). Die Studentenunruhen des Jahres 1968 sind gleichfalls ein internationales Phänomen. Sie führen vielleicht nicht immer, wie etwa bei Flume, zu „massive[n] gesundheitliche[n] Beeinträchtigungen“ (II 326) oder gar, wie bei Fikentscher im scheinbar beschaulichen Tübingen, zu zwei Morddrohungen (I 227). Doch muss sicherlich auch in anderen Ländern der eine oder andere Dozent im Stile des Berliner Lehrstuhlvertreters U. Huber Studierwillige an Polizeikontrollen vorbei in den Hörsaal schleusen (II 358 f.) oder sich selbst, wie Hefermehl in Heidelberg, Einlass durch Bestechung studentischer Sitzblockierer mit Bonbons verschaffen (I 256). Eine weitere Entwicklung lässt sich geradezu als Produkt der Globalisierung und als Rezeption eines ausländischen (hier: anglo-amerikanischen) Modells deuten: die zunehmende Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs seit den neunziger Jahren mit ihrer Fixierung auf quantitative Kriterien und deren Maximierung. Von ihr bleiben die Portraitierten noch durchgehend verschont; sie bereitet erst der Schülergeneration Sorge (Lobinger zu Flume II 327). Im internationalen Vergleich wohl einzigartig ist dagegen die Anzahl grundlegender politischer und rechtlicher Zäsuren, denen sich die deutsche Zivilrechtswissenschaft und ihre Protagonisten im Verlauf des 20. Jahrhunderts ausgesetzt sehen. Rabel tritt seine erste Professur noch im Kaiserreich an (I 18); H. P. Westermann lehrt nach der Wiedervereinigung als Gastdozent in Leipzig (II 154). In den acht Jahrzehnten dazwischen kommen und gehen die „Weimarer Republik“, das „Dritte Reich“ und die „Bonner Republik“ bzw. die „Deutsche Demokratische Republik“. Keiner der portraitierten Zivilisten lebt lang genug, um als „Jurist unter fünf Reichen“ 3 tätig zu sein. Doch viele Karrieren erstrecken sich über die Abfolge von drei, wenn nicht sogar vier teils gänzlich andersartigen Gemeinwesen mit unterschiedlichen Territorien, Verfassungen und weltanschaulichen Grundannahmen. Über die Zeit vor 1918 ist in den vorstehenden Lebensbildern fast nichts zu erfahren. Sichtbar ist jedoch, wie nur einige Jahre später Inflation und

3

Vgl. Hartung, Jurist unter vier Reichen (1971).

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Aufrechnungsrechtsprechung des Reichsgerichts die Grundfeste des Zivilrechts erschüttern (Raiser I 300). Die „Wirtschaftslenkung durch Kartelle“ führt dazu, dass Deutschland in den zwanziger Jahren eines der am stärksten kartellmäßig durchorganisierten Wirtschaftssysteme Europas aufweist. Diese Erfahrung wird den Mannheimer Wirtschaftsanwalt Kronstein und den jungen Referenten im Kartellreferat des Reichswirtschaftsministeriums Böhm nachhaltig prägen (I 190, 194, I 31, 39). In Weimar etablieren sich Arbeitsund Wirtschaftsrecht als eigenständige Rechtsgebiete (Nipperdey, Hueck, Schmidt-Rimpler). Gegen Ende der Republik sehen wir verbissene Arbeitskämpfe und staatliche Zwangsschlichtung (Hueck I 142 f.) und spüren eine kühlere Haltung gegenüber dem Denken der Aufklärung und ihren Leitideen des „Individualismus“ und „Liberalismus“ (Larenz II 267 f.). Hier sind die Vorboten der nationalsozialistischen „Rechtserneuerung“ zu erkennen. Sie kommt in zahlreichen Beiträgen zur Sprache, denn immerhin die Hälfte der Portraitierten verbringt einen Teil ihres Berufslebens im „Dritten Reich“. Wir werden Zeuge, wie Rabel in seiner Berliner Wohnung vor der Emigration in die Vereinigten Staaten die mitzunehmenden Bücher aussortiert (I 24) und Kronstein, immerhin schon Mitte 30, an der Columbia University in New York neue juristische Qualifikationen erwerben muss (I 191). Nur am Rande ziehen die Namen mehrer jüdischer Emigranten vorbei, von denen einige sicherlich das Etikett eines „großen“ Zivilrechtslehrers erworben hätten, wären sie je nach Deutschland zurückgekehrt: Fritz Kessler, Max Rheinstein, Stefan Riesenfeld. Karrierebrüche und persönliche Tragödien treffen auch einige der Daheimgebliebenen. Der 55jährige Rosenberg wird im April 1933 gemäß dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangspensioniert (I 375). Dasselbe Schicksal trifft Hans Kelsen trotz Unterstützung seiner Fakultät durch den „Kölner Juristenbrief“, den Nipperdey als Dekan im Preußischen Kultusministerium persönlich überbringt (I 151). Die vorgesehene Habilitation Flumes lässt sich wegen der Zwangsemeritierung seines Mentors Fritz Schulz und eines offen ausgetragenen Konflikts mit einem SA-Mann zunächst nicht verwirklichen. Ähnlich ergeht es Raiser, dem wegen politischer Unzuverlässigkeit die venia legendi verweigert wird (I 288). Böhm, in dessen Haus der spätere Hitler-Attentäter Carl F. Goerdeler verkehrt, gerät ebenfalls mit einem Funktionär aneinander, als er sich für die Gleichberechtigung jüdischer Staatsbürger ausspricht. Ihm wird die Lehrerlaubnis entzogen (I 33, 41). Für andere eröffnet der „Wandel der Rechtsordnung“ Aufstiegschancen. Larenz übernimmt den Lehrstuhl des zwangspensionierten Gerhart Husserl und wird Teil der „Kieler Rechtsschule“ mit ihrer „Stoßtrupp-Funktion“ (II 270 f., 281). Die Eckhardtschen Richtlinien zur Studienreform von 1935 geben die Initialzündung für Wieackers nach dem Krieg erschienene „Privatrechtsgeschichte der Neuzeit“ (I 84). Hefermehl bereitet als junger Referent

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im Reichsjustizministerium gemeinsam mit Staatsskretär Franz Schlegelberger die Aktienrechtsreform von 1937 und während des Krieges die Gesetzgebung zur Verwaltung des Feindvermögens vor (I 240). Er ist Sekretär der handelsrechtlichen Fachsitzungen der Akademie für Deutsches Recht, die ein nationalsozialistisches „Volksgesetzbuch“ vorbereiten soll. In verschiedenen Ausschüssen der Akademie arbeiten mehrere der Portraitierten mit. Genannt werden Hueck, Nipperdey, E. Ulmer und Schmidt-Rimpler (I 151, 240, 266). Die Eigentumslehre wird im Bereich des „Bodenrechts“ (Wieacker I 76) und des Forstrechts (H. Westermann I 311) mit Bezug auf die „Volksgemeinschaft“ umgestaltet. Selbst jemand wie Hueck, der nach dem Urteil Zöllners ein „Ausharren in tunlichstem Anstand“ praktiziert und in der Vorlesung nicht vor regimekritischen Äußerungen zurückschreckt, kommt nicht umhin, durch die Forderung nach Einführung des „Führerprinzips“ und des „personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses“ im Arbeitsrecht zumindest verbale Konzessionen zu machen (I 141 f., 143, 146). Ähnliche „Anpassungsleistungen“ (Rüthers) mögen Juristen auch anderswo, sowohl zur selben Zeit 4 als auch in anderen Epochen, abverlangt werden. Die Konfrontation einer hochentwickelten Zivilrechtslehre liberaler Provenienz mit einer kruden, rassisch-völkischen Gemeinwohlideologie dürfte aber international ihresgleichen suchen. Die Erfahrungen der Zivilrechtslehrer in Krieg und Nachkriegszeit ähneln wieder, so ist zu vermuten, denen ihrer Kollegen im europäischen Ausland. Baur steht in Frankreich und Russland an der Front. Die Habilitation entsteht während des Heimaturlaubs (I 387). Der siebzehnjährige Fikentscher flieht aus französischer Kriegsgefangenschaft und geht als Knecht, Maurergehilfe und Holzfäller in die Landwirtschaft (I 223). Zu beklagen ist der Tod von Kindern und Geschwistern (Nipperdey I 151, Zöllner II 73) sowie der Verlust von Privatbibliotheken (Schmidt-Rimpler I 266 und wieder Nipperdey I 151). Immerhin gelingt es Zweigert, den Buchbestand des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Tübingen in Sicherheit zu bringen (I 91). Spezifisch deutsche Entwicklungen dagegen sind erneut in der „Stunde Null“ zu beobachten. Hefermehl taucht unter falschem Namen im Hinterzimmer des renommierten Anwalts Philipp Möhring unter (I 241). Ebenso wie andere große Zivilrechtslehrer (Hueck I 145, Nipperdey I 152) muss er sich später im Entnazifizierungsverfahren rechtfertigen. In Göttingen sitzt Raiser bei diesen Prozeduren auf der anderen Seite des Tisches (I 289). Böhm ist maßgeblich am Zustandekommen der völkerrechtlichen Wiedergut-

4 Vgl. nur Aubert (Hrsg.), Die Haltung der schweizerischen Richter und Rechtslehrer zur Zeit des Nazi-Regimes (2002).

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machungsabkommen sowie der deutschen Wiedergutmachungsgesetzgebung beteiligt (I 33 f.). Die so genannte „Naturrechtsrenaissance“ der Nachkriegszeit vertritt in den vorliegenden beiden Bänden Coing (I 60). Auf der anderen Seite des „eisernen Vorhangs“ setzt ein enormer Bedeutungsverlust der Rechtswissenschaft, ja des Rechts insgesamt ein. Das Ausmaß dieser Marginalisierung zeigt sich darin, dass unter den fast vierzig Portraitierten kein einziger ostdeutscher Rechtslehrer zu finden ist. Im Westen gelangt indes die Freiburger Schule des Ordoliberalismus mit Walter Eucken und seinen juristischen Mitstreitern Böhm und Kronstein ins Blickfeld. Sie helfen in Frankfurt gemeinsam mit Männern wie Oswald Nell-Breuning, die Wirtschaftsverfassung der jungen Bundesrepublik und das gedankliche Grundgerüst der sozialen Marktwirtschaft aufzubauen (I 32, 37–41, 189, 195). Die Frankfurter, zu denen auch Coing und Walter Hallstein gehören, sind darüber hinaus Vordenker der Römischen Verträge und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Kronstein I 199). In der jungen Bundesrepublik sind die Auswirkungen des Wirtschaftswunders spürbar. Der Steinkohlebergbau unterkellert das Ruhrgebiet – die Bergwerksgesellschaften vertrauen in den Schadenersatzprozessen auf Gutachten von H. Westermann (I 324). Gleichzeitig werden die Arbeitnehmerrechte stetig erweitert, nicht zuletzt durch die Verrechtlichung des Arbeitskampfs (Nipperdey I 154 f., 157 f.). Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 mit seinem Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer ist ein weiteres deutsches Spezifikum (Böhm I 49). Liberalkonservative Geister warnen schon in den fünfziger Jahren, der Wohlfahrtsstaat könne zur „Zwangsfürsorge“ und zur Beute der Interessengruppen werden (Böhm I 53). Weitgehend im Strom der europäischen Rechtsentwicklung verläuft aber die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie ist gekennzeichnet durch einen fundamentalen Wandel etablierter Rechtsgebiete, etwa des Familienrechts (Gernhuber I 362 f.), und eine rapide Auffächerung des Privatrechts in einzelne Spezialdisziplinen: das Recht des Wettbewerbs (Böhm I 41–45), der Urheber (E. Ulmer I 208), der Banken, der Börsengesellschaften, des Kapitalmarkts (Hopt II 238 und 240), der Konzerne (Wiedemann I 169), der Konzernverfassung (Lutter II 124), der Verbraucher (P. Ulmer II 140) und der „Alten“ (Gernhuber I 363). Eine ähnliche Ausdifferenzierung lässt sich in anderen modernen Rechtsordnungen beobachten. Das gilt auch für die wohl in allen Industriestaaten vernehmliche Klage über inflationäre und handwerklich schlechte Gesetzgebungstätigkeit und den damit nicht zufällig einhergehenden Aufstieg des Richterrechts – eine Entwicklung, auf die weniger unsere Portraitierten als ihre Schüler hinweisen (Wiedemann I 172, Rittner zu Schmidt-Rimpler I 283, Adomeit zu Nipperdey I 164, Zöllner zu Hueck I 137 f.). Im europäischen Kontext ist ferner die „Schuldrechtsmodernisierung“ am Beginn des 21. Jahrhunderts (Canaris II 384) zu sehen. Die Niederlande, Frankreich, Spanien und nicht zuletzt – wenn auch vor ande-

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rem Hintergrund – die ehemals sozialistischen Transformationsstaaten planen ähnliche Reformen oder haben sie bereits umgesetzt. Eine spezifisch nationale Note hat jedoch, wie auch die Herausgeber feststellen (I 10), die starke Methodenorientierung der deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaft der zweiten Jahrhunderthälfte. Dieses Interesse, das sich an den Arbeiten von Bydlinski, Canaris, Coing, Esser, Fikentscher, Larenz und H. Westermann ablesen lässt, wird – wenn überhaupt – höchstens in den Vereinigten Staaten geteilt. Hätte Radbruch recht mit seinem oft zitierten Bonmot, nur kranke Wissenschaften beschäftigten sich mit ihrer Methode,5 so wäre es um die deutsche Zivilrechtswissenschaft schlecht bestellt. Eine deutsche Eigenheit stellt zunächst auch die so genannte „Konstitutionalisierung“ des Privatrechts dar. Sie wäre ohne die im internationalen Vergleich lange bestehende Ausnahmestellung des Bundesverfassungsgerichts kaum denkbar. Hier sehen wir unter den großen Zivilrechtlern des 20. Jahrhunderts sowohl Vorreiter (Nipperdey I 159–161, Wolf II 392, 397 f.) als auch Skeptiker (Hueck I 146, Flume II 330 und 334). Auf der Zivilrechtslehrertagung 1959 in Bad Nauheim geraten Nipperdey und Flume wegen der BGHEntscheidung in Sachen Herrenreiter „heftig aneinander“ (I 272 Fn. 53). Im Gefolge der derzeitigen Aufwertung des Verfassungsrechts werden ähnliche Debatten künftig auch in Frankreich und im Vereinigten Königreich häufiger zu beobachten sein. Ähnlich verhält es sich mit einer verwandten Entwicklung, für die Canaris 2000 das Schlagwort der „Materialisierung des Privatrechts“ prägt (II 376) und die überzeugten Verfechtern der Privatautonomie (statt aller Flume II 330, Medicus II 348, 350) Bauchschmerzen bereitet. Wohl keine Entscheidung wird in diesen beiden Bänden häufiger zitiert als diejenige des Bundesverfassungsgerichts zum Bürgschaftsrecht vom 19. Oktober 1993,6 wohl keine Spezialgesetzgebung öfter als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006.7 In beiden Fällen ist der Tenor regelmäßig ablehnend.8 Auch diese Diskussionen finden in anderen westlichen Rechtsordnungen, die eine Balance zwischen liberalem Prinzip der Privatautonomie und sozialstaatlichem Denken suchen, ihre Entsprechung. Das auf Unionsrecht beruhende AGG weist bereits auf eine weitere Entwicklung hin, die spätestens seit den achtziger Jahren auf der Tagesordnung der Zivilrechtslehrer steht: die Europäisierung des Privatrechts und der damit einhergehende Komplexitätszuwachs. Heute muss jedes Rechtsgebiet „selbstverständlich auch mit seinen gemeinschaftsrechtlichen, rechtsvergleichenden und kollisionsrechtlichen Bezügen betreut“ werden (für das Gesell-

5 6 7 8

Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft (12. Aufl. 1969), S. 253. BVerfGE 89, 214. BGBl. I 2006, S. 1897. Ausnahme: Wiedemann zur Bürgschaftsentscheidung (I 175).

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schaftsrecht Fleischer zu Wiedemann I 173). Diese Entwicklung beschäftigt naturgemäß auch die Kollegen in anderen europäischen Rechtsordnungen. Doch nimmt die deutsche Rechtswissenschaft hier bei aller Skepsis, die gerade einige der Kerndogmatiker gegenüber manchem „schneidigen Rechtswissenschaftler der heute tonangebenden Generation“ (Noack zu Zöllner II 93) an den Tag legen (vgl. auch Roth zu Medicus II 352 sowie, zur Vergemeinschaftung des IPR, Schurig zu Kegel II 8 f.), eine Vorreiterrolle im Vergleich zu den insgesamt wohl zurückhaltenderen Zivilrechtslehrern Englands und Frankreichs ein. Beispielhaft genannt seien hier nur die Beiträge zur Europäisierung des Rechts von E. Ulmer (I 216), Schlechtriem (II 43–45), Lutter (II 100, 122–125), Hopt (II 244) und Wolf (II 393, 397).

III. Zivilrechtslehrer 1. Herkunft und persönliche Eigenschaften Im Gegensatz zur Richterschaft schenkt die Rechtssoziologie den Juraprofessoren eher wenig Aufmerksamkeit.9 Doch bedarf es keiner soziologischen Schulung, um in den deutschen Zivilrechtslehrern einen außerordentlich homogenen Berufsstand zu erkennen. In den beiden Bänden sind die Kinder von Pfarrern, Lehrern, Offizieren, Ärzten, Bürgermeistern und Verwaltungsbeamten versammelt. Vereinzelt findet sich unter den Vätern auch der Leiter eines mittelständischen Unternehmens (Hueck I 133, Rosenberg I 373) oder der Vorstand einer AG (Schlechtriem II 32, Zöllner II 72). Und in immerhin drei Fällen begegnen wir Dynastien von Juraprofessoren (P. Ulmer II 128, H. P. Westermann II 147, U. Huber II 355). Fast alle Portraitierten durchlaufen das humanistische Gymnasium, häufig in kleinstädtischer Umgebung. Unfehlbares Indiz für die Herkunft aus dem Bildungsbürgertum ist auch die in fast allen Biographien erkennbare Begeisterung und Begabung für Musik und die übrigen schönen Künste. Es handelt sich übrigens ausschließlich um Zivilrechtslehrer im echten Sinne des Wortes. Noch unter den Schülern findet sich mit Kalss nur eine Frau. Angehörige ethnischer Minderheiten sind, ausweislich der Photos, gar nicht vertreten. Und schließlich scheinen ein hohes Lebensalter und die damit verbundene lange Publikationstätigkeit fast eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Club der „Großen“ zu sein. Von den 16 im ersten Band erwähnten Professoren, deren Geburtsdatum vor 1914 liegt, werden vier über 70 Jahre und alle anderen mindestens 80 Jahre alt. Zum Vergleich: Die

9 Vgl. aber Klausa, Deutsche und amerikanische Rechtslehrer. Wege zu einer Soziologie der Jurisprudenz (1981).

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durchschnittliche Lebenserwartung eines im Jahre 1900 im Gebiet der späteren Bundesrepublik geborenen Jungen lag bei 46,4 Jahren.10 Der Leser auf der anderen Seite des Kanals fühlt sich unwillkürlich an das Wortspiel erinnert, mit dem die soziologische Homogenität der englischen Richterschaft kritisiert wird. Diese sei, so heißt es, nicht nur ihrer Herkunft nach solide „upper middle class“, sondern auch „male, pale and stale“. Die Parallele zu England deutet darauf hin, dass es sich bei diesen Merkmalen um allgemeine Phänomene von Eliten handelt. Ein Buch über die bedeutendsten Richter, Ministerialbeamten, Theaterregisseure oder Chefärzte des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum wiese eine ähnliche Zusammenstellung auf. Ebenso verhielte es sich mit einer Sammlung über die herausragenden französischen, englischen und italienischen Zivilrechtslehrer. Selbst in den Vereinigten Staaten fänden sich nur wenige Ausnahmen. Die fast verzweifelten Bemühungen der führenden Law Schools, diversity in den Fakultätskollegien herzustellen, geben davon ein beredtes Zeugnis. Eine weitere Eigenschaft dagegen fällt im Vergleich zu den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen sofort ins Auge. Die großen Zivilrechtslehrer sind, mit Ausnahme des jungen Rabel, ausschließlich in Deutschland lehrende Deutsche (oder in Österreich unterrichtende Österreicher). Undenkbar scheint hierzulande eine Karriere wie die der bereits erwähnten deutschen Emigranten in den USA oder ihrer nach England geflohenen Kollegen, zu denen etwa der Begründer des modernen englischen Arbeitsrechts, Otto Kahn-Freund (später Sir Otto), der große Handelsrechtler Clive Macmillan Schmitthoff (1903 als Maximilian Schmitthoff in Berlin geboren), der International-Privatrechtler Kurt Lipstein oder die Romanisten Fritz Schulz, Fritz Pringsheim und David Daube zählen.11 Diese Beispiele gelungener Integration deutscher Juristen in England und den Vereinigten Staaten verdeutlichen bereits, dass die größere Durchlässigkeit der anglo-amerikanischen Fakultäten sich nicht allein auf die sprachliche und in gewissem Umfang auch rechtliche Einheit der Rechtsordnungen des common law zurückführen lässt, aufgrund derer Kanadier in Neuseeland ebenso zwanglos wie Australier in England und Engländer in Malaysia unterrichten können. Maßgeblich scheint vielmehr die Erwartungshaltung an den deutschen Juraprofessor, als Generalist ausgewiesen zu sein. Institutionell lässt sie sich daran festmachen, dass herausragende Qualifikationen in einem so genannten „Nebenfach“ nicht genügen. So muss etwa der aufstrebende Gesellschaftsrechtler Lutter einen familienrechtlichen Aufsatz im AcP veröffentlichen, denn „ohne gewichtigen Ausweis im bürgerlichen 10 Statistisches Bundesamt, Generationensterbetafeln für Deutschland. Modellrechnungen für die Geburtsjahrgänge von 1871–2004 (2006). 11 Zu ihnen Beatson/Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted: German-speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain (2004).

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Recht ist an deutschen Universitäten kein Lehrstuhl im Zivilrecht zu erobern“ (II 101). An diesem Punkt scheint übrigens auch der alles überragende Systemgedanke in der deutschen Rechtswissenschaft auf, auf den später noch zurückzukommen sein wird. Die meisten meiner englischen Kollegen, die Vertragsrecht unterrichten, würden ohne weiteres zugeben, eher wenig vom Bereicherungs- und schon gar nichts vom Immobiliarsachenrecht zu verstehen. Diese gelten als mehr oder weniger eigenständige Rechtsgebiete, die kaum von rechtsordnungs-, gesamtprivatrechts- oder auch nur schuldrechtsübergreifenden Prinzipien gesteuert werden. Niemand erwartet von einem Deliktsrechtler Kenntnisse im Strafrecht, geschweige denn von einem Romanisten, dass er womöglich Familienrecht unterrichten kann. Für den Einheitsjuristen deutscher Prägung ist das undenkbar. Wie kann jemand einen Teil unterrichten, ohne das Ganze – einschließlich des öffentlichen Rechts – verstanden zu haben? In seiner Konsequenz führt das dazu, die Lehre nur denjenigen anzuvertrauen, die dieses Verständnis mit zwei Staatsexamina nachgewiesen haben, und das sind in aller Regel Deutsche. Die versprengten Österreicher, die sich an deutschen Fakultäten finden (vgl. etwa Bydlinskis vier Jahre in Bonn, II 21), bestätigen nur die Regel. Doch ist die Möglichkeit, die Mitglieder des Berufsstands aus dem eigenen Nachwuchs zu rekrutieren, auch ein Nachweis der Attraktivität der Zunft und der Qualität der juristischen Ausbildung. Anders als in anderen Rechtsordnungen, etwa in der Schweiz oder in England, stehen genügend hochqualifizierte einheimische Berufsanwärter zur Verfügung, und es ist nicht erforderlich, auf auswärtige Kräfte zurückzugreifen. Die Beiträge über die Zivilrechtslehrer gehen auch auf die persönlichen Charaktereigenschaften der Portraitierten ein. Hier lässt sich sinnvollerweise kein Gesamtbild der Zivilrechtswissenschaft erstellen. Auffällig ist immerhin, dass dem Leser fast ausschließlich freundliche, gütige, humorvolle, weise, großmütige und vornehme Gestalten entgegentreten. Mag auch der eine oder andere als „Charakterkopf“ (Schmidt-Kessel zu Schlechtriem II 34) nicht immer „pflegeleicht“ sein (Noack zu Zöllner II 91), so erscheint doch nur Rabel als eher unangenehmer Zeitgenosse, der, grundsätzlich „grantig“ (so Kegel I 24), seine Studenten im Seminar „buchstäblich klein“ macht (so Deutsch I 216). Eine vergleichbare Sammlung von Beiträgen über führende Zivilrechtslehrer in anderen Rechtsordnungen ergäbe vermutlich ein ähnliches Überwiegen positiver Charakterbilder. Die Autorenschaft der Schüler verstärkt hier ein generelles Problem der juristischen Zeitgeschichte: die fehlende Distanz des Forschers zum Objekt seiner Studien. Eine gewisse Tendenz zur hagiographischen Darstellung ist so wohl unvermeidbar. Ein amerikanischer Sammelband gleichen Zuschnitts enthielte jedoch vermutlich wesentlich ausführlichere Angaben über die politischen Neigungen der Zivilrechtslehrer. Ein in Critical Legal Studies geschulter Leser wird der

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Behauptung, das zivilrechtliche Schaffen eines Portraitierten sei „frei von ideologischen Einflüssen“, eher misstrauisch begegnen. Das gilt insbesondere, wenn sich diese „Absage an Ideologisches“ in einer „Skepsis gegenüber einer … Überfrachtung des Privatrechts mit sozial- oder wohlfahrtsstaatlichen Erwägungen“ zeigen soll (Roth zu Medicus II 349 f.). Zwar enthalten nur die Beiträge über Böhm (CDU) und Zweigert (SPD) Angaben zu einer Parteimitgliedschaft in der Nachkriegszeit (I 34 und 99). Insgesamt aber scheinen die großen Zivilrechtslehrer doch mehrheitlich eine eher antietatistische Grundhaltung zu vertreten. Die weiter oben geschilderten antiindividualistischen und gemeinwohlbezogenen Formeln der nationalsozialistischen Rechtslehre sind auf der Ebene grundlegender Aussagen über Funktion und Ziele des Privatrechts nicht mehr zu finden. Stattdessen stehen die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen im Vordergrund. Baurs „Überlegungen zum Eigentumsrecht verteidigen die klassische liberale Position“. Seine Perspektive widerstreitet „jedwedem radikalreformerischen Eifer“; „hoheitlichen Übergriffen und Regulierungen stand er eher skeptisch gegenüber“ (so Stürner I 391 f.). Schmidt-Rimpler „kämpfte – misstrauisch gegenüber allen Kollektiven und ihren Funktionären – leidenschaftlich für die Vertrags- und Gestaltungsfreiheit des Einzelnen“ (so Rittner I 273). Canaris ist laut Singer „ein unbeugsamer Verteidiger freiheitlichen Denkens. Die Privatautonomie und ihre Erhaltung ist ihm ein zentrales Anliegen“ (II 374). Ähnliches ist über andere zu lesen (vgl. nur Zöllner II 72, 77, 79 und Flume II 330). Diese Grundposition schlägt jedoch nicht in Marktradikalismus um. So bewertet Stürner die Ansichten Baurs als „liberal-konservativ und sozial engagiert zugleich“ (I 392). Canaris gilt Singer als „Liberaler mit sozialem Gewissen“, durch dessen Werk sich wie ein roter Faden die „Rücksichtnahme auf jene“ zieht, „die mit der Freiheit nicht so gut zurechtkommen“ (II 374, 380). Eine derart wertkonservative Einstellung – die Engländer würden hier vermutlich von conservatism with a small „c“ sprechen – ist wohl auch unter ausländischen Privatrechtlern vorherrschend. Insbesondere die englische Zivilrechtslehre ist noch weitaus stärker von Befürwortern einer umfassenden Privatautonomie geprägt. Verfechter sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Denkens gelten als Außenseiter. Im französischen Privatrecht dagegen sind die Vertreter eines „sozialen“ Denkens stärker sichtbar als in Deutschland. Die vorherrschende Linie, so scheint mir, ist aber auch dort die der Traditionalisten. 2. Berufliche Werdegänge a) Lehrjahre Die Karrieren der Portraitierten verlaufen, wie nicht anders zu erwarten, geradlinig, ja, „glatt und reibungslos“ (Zweigert I 92). Mit Ausnahme von Schlechtriem, der nach einer Ausbildung zum Schiffsbauer zunächst beginnt, Soziologie und Politische Wissenschaften zu studieren (II 32), ist Jura das

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Studium erster Wahl. Hinsichtlich der Studienorte gibt es vor dem Krieg eine Tendenz zugunsten Berlins und Leipzigs; danach erfreuen sich Tübingen, München, Heidelberg, Göttingen oder Bonn größerer Beliebtheit. Verhältnismäßig viele der zukünftigen Heroen des Zivilrechts ergänzen ihr Studium um einen Auslandsaufenthalt, obwohl dies unter ihren Zeitgenossen noch eher unüblich ist (Böhm, Canaris, Esser, Hopt, Schlechtriem, Zweigert). Und sie belegen Seminare. Dort werden die meisten der juristischen Talente von ihrem späteren akademischen Lehrer entdeckt, der ihnen die ersten Schritte auf der akademischen Karriereleiter ermöglicht. Charakteristisch Kegel: „Im Sommer 1932 besuchte ich Rabels rechtsvergleichendes Seminar. … Nach meinem Referat bot mir der Meister eine Assistentenstelle … an“ (I 17). Ganz ähnlich der Ablauf bei Böhm und Mestmäcker, Larenz und Canaris sowie Kronstein und Biedenkopf. An das unweigerlich „glänzend“ abgeschlossene Staatsexamen schließen sich, abgesehen von einigen Ausnahmen vor dem Krieg (etwa Larenz II 267), Referendariat und Assessorexamen an. Teils davor, teils währenddessen, teils danach erfolgt die Promotion, unweigerlich in den Rechtswissenschaften, wobei einige der frühen Dissertationen aus heutiger Sicht erstaunlich kurz geraten. Selbstverständlich legen die meisten unter den „Großen“ herausragende Arbeiten vor. Dass der Standard der juristischen Doktorarbeit in Deutschland nicht durchgehend auf diesem hohen Niveau ist, zeigt sich an den Massen an Doktoranden, die sie später selbst durch das Promotionsverfahren schleusen. Bei Fikentscher sind es 113 (I 236). Nipperdey, der die Auffassung vertritt, „ein 120-Seiten-Text, der Hand und Fuß hatte, ein ordentliches Literatur-Verzeichnis mit nachprüfbaren Zitaten brachte, dazu die Nervenprobe im rigorosum, das sei genug“, hinterlässt bei seinem Tod 194 unabgeschlossene Verfahren (I 163). Die eigentliche Qualifikationsarbeit ist daher die Habilitation, das im internationalen Vergleich einzigartige „zweite Buch“. Ausnahmen gibt es, soweit ersichtlich, nur bei Zweigert und Esser (I 92, 104 Fn. 3), in beiden Fällen wohl kriegsbedingt. Mentor während der Habilitationsphase ist regelmäßig der frühere Betreuer der Dissertation. An manchen Stellen dieser Werdegänge mag eine kurze Tätigkeit in einem der klassischen juristischen Berufe oder in der Industrie eingeschoben werden (Böhm I 31 f., Kronstein I 190, Hefermehl I 240, Brox I 343, Lutter II 99, von Caemmerer II 309, P. Ulmer II 138). Nicht selten erfolgen derartige Zwischenspiele unfreiwillig aufgrund politischer Entwicklungen oder Kriegswirren (Hueck I 133, Flume II 326, Esser I 104). Gelegentlich fügt sich eine Tätigkeit als Repetitor (H. Westermann I 306) nahtlos in die Dozentenkarriere ein. Der Habilitation folgen meist kurze Lehrjahre als Privatdozent und Lehrstuhlvertreter, dann aber in der Regel schnell der Ruf an eine neue Fakultät und die „ordentliche“ Professur auf Lebenszeit und mit Beamtenstatus. Aus rechtsvergleichender Perspektive ist an diesem Standardausbildungsweg einiges bemerkenswert. Erstens die Wahl der Studienorte, die eine im

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internationalen Vergleich erstaunliche Breite aufweist. Gewiss gibt es in der dezentralisierten deutschen Hochschullandschaft – auch schon vor der „Exzellenzinitiative“ – Zentren guter Forschung und Lehre. Die Verengung auf bestimmte Institutionen bei der Ausbildung und Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wie sie, mit all ihren Vor- und Nachteilen, in Oxbridge, Paris oder Yale und Harvard zu beobachten ist, bleibt jedoch aus. Zweitens die Beschränkung des Studienfachs, aufgrund derer unsere Zivilrechtslehrer, anders als ihre amerikanischen Kollegen, kein abgeschlossenes Studium oder gar einen PhD in einem anderen Fach, wie etwa den Politik-, Wirtschafts- oder sogar Naturwissenschaften vorweisen können. Es bleibt daher nicht aus, dass die späteren Interessenschwerpunkte der Rechtslehrer im Juristischen und nicht im Bereich des „law and …“ liegen. Gänzlich aus den Grenzen der Disziplin auszubrechen, wagt wohl nur Fikentscher mit seinen rechtsanthropologischen Forschungen in fortgeschrittenem Karrierestadium (I 231–233). Drittens die Rolle des Seminars bei der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hier erfährt der Student durch ein mehrwöchiges Projekt, ob er eine Neigung zu wissenschaftlicher Arbeit hat. Der Professor sieht, ob auch Talent vorhanden ist. Dieses Format fehlt in der Juristenausbildung anderer Rechtsordnungen. Entweder treffen Spitzenforscher und Studenten nur in der „großen“ Vorlesung aufeinander oder es findet, wie im anglo-amerikanischen Bereich, zwar Kleingruppenarbeit statt, die aber nicht das ausgearbeitete Forschungsprojekt des Studenten in den Mittelpunkt stellt. Viertens der Einfluss und die Bedeutung des akademischen Lehrers. Wer, wie Kegel, bereits während des Studiums einem „Meister“ auffällt, bei diesem promoviert, sich habilitiert und als Assistent zuarbeitet, kann gut und gerne sein gesamtes drittes Lebensjahrzehnt und länger in der Rolle des „Schülers“ zubringen. Selbst der eigenständigste und innovativste Jungwissenschaftler wird danach einen gewissen Einfluss nicht verleugnen können: „In meine eigene wissenschaftliche Arbeit hat er sich grundsätzlich nicht eingemischt“, schreibt Canaris über seinen Lehrer Larenz. „Trotzdem habe ich nicht nur ‚handwerklich‘ viel von ihm gelernt, sondern bin in ganz wesentlicher Hinsicht von ihm geprägt worden (auch wenn er gewiss nur aktualisiert und verstärkt hat, was ohnehin meiner Grundhaltung entsprach)“ (II 305). Die Schule von Ludwig Mitteis, so heisst es in dem Beitrag zu seinem Schüler Wieacker, „glaubte“ an Interpolationen des klassischen römischen Quellentexte (I 79). Wer keck von derartigen Orthodoxien abweichen und dem Lehrer widersprechende Ansichten zu Papier bringen will, der wird schon einmal durch ein „in zugleich freundlichen und bestimmten Worten auferlegtes ‚Schreibverbot‘“ eines Besseren belehrt (Habersack und P. Ulmer II 136). Schulmeinungen werden noch an die wissenschaftlichen „Enkel“ weitergegeben. Das zeigt das Beispiel Schlechtriems, der noch als etablierter Hoch-

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schullehrer das Photo seines Lehrers von Caemmerer auf dem Schreibtisch stehen hat und an dessen Institut die „inhaltliche Präsenz“ von von Caemmerers Lehrer Rabel „kaum zu überschätzen“ ist (II 32 f.). Eine derart ausgeprägte Schulenbildung gibt es wohl in keiner anderen Rechtsordnung. Nur am Rande sei erwähnt, dass, wenn auch nicht als formaler akademischer Lehrer, so doch als stilprägender Inspirator der älteren Portraitierten immer wieder der große Martin Wolff in Berlin ins Bild rückt (vgl. nur von Caemmerer II 309, E. Ulmer I 208 und 216, Raiser I 288 und 299, Hefermehl I 240; in den Portraits von Flume, Kegel und Zweigert ist er nicht genannt, doch sind auch sie Studenten im Berlin der Ära Wolff ). Dieser Gelehrte, der mangels überlebender Schüler keine Aufnahme in die beiden Bände finden konnte,12 ist vielleicht das wichtigste Bindeglied zwischen Spätpandektistik und moderner Wissenschaft vom Privatrecht, eine Art „Großvater“ der deutschen Zivilrechtsdogmatik des 20. Jahrhunderts. Auffällig ist fünftens der im internationalen Vergleich nicht übermäßig hohe Anspruch an die juristische Dissertation. In vielen anderen Ländern ist die Aufnahme eines zeitaufwendigen und eventuell mit hohen Gebühren verbundenen Promotionsstudiums gleichzeitig die endgültige Entscheidung für und die Investition in eine wissenschaftliche Karriere. Anders in Deutschland. Hier erleichtert die berechtigte Erwartung, eine solide Dissertation relativ zügig und womöglich auf einer Assistentenstelle finanziell abgesichert fertig stellen zu können, die Entscheidung für die Promotion. Damit entsteht eine weitere Chance, wissenschaftliche Neigungen und Talente auch (und gerade) bei denjenigen zu entdecken, die nach dem Examen eine Hochschullehrerkarriere gar nicht in Erwägung gezogen haben. Die niedrige Eingangsschwelle vergrößert also den Rekrutierungspool. Umso nötiger daher sechstens das Nadelöhr der Habilitation. Dieser „zentrale Ausweis des deutschen Rechtswissenschaftlers“ (Zöllner II 83) bewegt Männer wie Wieacker, E. Ulmer und Coing, mit 24, 25 bzw. 26 Jahren ihr zweites Buch zu schreiben. Dass die zweite Monographie oft ausbleibt, wo der institutionelle Druck fehlt, zeigt der Blick ins Ausland. Nie werde ich die Ermahnung meines britischen Lehrstuhlvorgängers Bernard Rudden vergessen, ein Wissenschaftler solle in seinem Leben zwei Bücher schreiben – eines mit 40, wenn er etwas verstanden, das andere mit 60, wenn er etwas zu sagen habe. Genauso war er auch verfahren. Sein Vorgänger, der ebenso renommierte Barry Nicholas, hatte sein erstes Buch ebenfalls erst im Alter von 43 Jahren publiziert.

12 Vgl. aber Hansen, Martin Wolff (1872–1953). Ordnung und Klarheit als Rechts- und Lebensprinzip (2009) und bereits Dannemann, Martin Wolff (1872–1953), in: Beatson/ Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted: German-speaking Émigré Lawyers in Twentiethcentury Britain (2004), S. 441–462.

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Siebtens das herkömmliche Fehlen von tenure tracks und Hausberufungen. Anders als im anglo-amerikanischen Bereich ist es nicht möglich, sich an ein und derselben Fakultät über verschiedene Karrierestufen vom junior Lecturer zum chaired Professor hochzuarbeiten. Nur ausnahmsweise ist es eine Option, als Wissenschaftler ohne Professorentitel eine Lebenszeitstelle innezuhaben, wie dies bei nicht wenigen hochangesehenen englischen Rechtslehrern des 20. Jahrhunderts der Fall war. b) Lehrerjahre Einmal auf einer ordentlichen Professur angelangt, gibt es für die Zivilrechtslehrer keine weitere „Beförderung“. Umso bedeutender die Zahl der „ehrenvollen“ Rufe, mit deren Hilfe die Reputation messbar ist und die selbst diejenigen, die ihre Karriere in weniger bedeutenden Fakultäten beginnen, an eine renommiertere Universität bringen. Unsere Portraitierten erreichten ihre Ziele im Vorkriegsberlin, im Frankfurt der fünfziger Jahre und später in Tübingen, München, Heidelberg, Köln, Bonn, Freiburg, Göttingen oder an einem der Max-Planck-Institute. Hier zeigt sich erneut die „breite Spitze“ der deutschen Hochschullandschaft, anders als etwa in Österreich (vgl. Bydlinski und Doralt) und Frankreich, wo alle Professoren nach gewissem Zwangsaufenthalt in der Provinz zurück in die Hauptstadt und dort an eine der beiden Spitzenfakultäten streben. Dass an deutschen Hochschulen Großes auch im Kleinen gedeiht, zeigen die Beispiele Rosenbergs in Gießen (I 374) und Huecks in Jena (I 134). Nur wenig erfahren wir über die Lehre der Zivilrechts„lehrer“. Der Hörsaal taucht in den meisten Beschreibungen lediglich als Ort der ersten Begegnung auf. Didaktisches Geschick ist keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Pantheon der Privatrechtler. Rabels Vorlesungen sind schlecht besucht (I 24), Larenz liest lediglich vom Blatt ab (II 304). Viele aber werden als interessante, charismatische, gar mitreißende Vortragende geschildert: Brox, Canaris, Doralt, Fikentscher, Flume, Gernhuber, Hefermehl, Kegel, Lutter, Medicus, K. Schmidt, P. Ulmer, H. und H. P. Westermann, Zöllner. Selbst wenn hier die eine oder andere verklärende Erinnerung der Schüler vorliegen sollte und vielleicht nur zehn der vierzig Portraitierten als herausragende Dozenten bezeichnet werden können, so wäre das noch immer eine wohl an keiner realexistierenden deutschen Jurafakultät je erreichte Quote. Aus der Forschung der vorgestellten Zivilrechtslehrer ragen vor allem die großen, stil- und epocheprägenden Lehrbücher heraus. Zu diesen „juristischen Klassikern“ (Fleischer zu Wiedemann I 181) gehören Nipperdeys Bearbeitung des Allgemeinen Teils von Enneccerus, der zwei- bzw. dreibändige „Allgemeine Teil“ Flumes, die Schuldrechtslehrbücher von Esser und Schlechtriem, die Darstellungen des Sachenrechts bei H. Westermann und Baur, das Familienrecht von Gernhuber, Coings „Erbrecht“, Kegels Lehr-

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buch zum IPR, das zweibändige Werk zum Arbeitsrecht von Hueck und Nipperdey sowie die beiden „blauen Wunder“ (II 178) K. Schmidts zum Handels- und Gesellschaftsrecht. Larenz publiziert im Zweijahrestakt Neuauflagen seines zweibändigen „Schuldrechts“ sowie des „Allgemeinen Teils“. Generationen von Studierenden, die sich mit Hilfe der zahlreichen Lehrbücher von Brox einen ersten Zugriff auf ein Rechtsgebiet verschafft haben, vertrauen bei der Examensvorbereitung auf das „Bürgerliche Recht“ von Medicus. Nahezu alle der Portraitierten sind Autoren eines erfolgreichen Lehrbuchs (Ausnahmen: Hefermehl I 246, P. Ulmer II 129) – es scheint fast, als ob dies das Hauptkriterium für die Aufnahme in das vorliegende Werk sei. Eine ähnlich zentrale Rolle kommt der Lehrbuchliteratur auch in anderen Ländern, vor allem in Frankreich zu. Um eine deutsche Besonderheit handelt es sich jedoch bei der Literaturgattung des Kommentars. Auch ihr widmen sich viele der vorgestellten Hochschullehrer. Einflussreiche BGB-Kommentierungen finden sich in der Nachkriegszeit vor allem im Soergel (vgl. nur Hefermehl I 247, Baur I 390, U. Huber II 359, Wolf II 396 und – zum EGBGB – Kegel II 6 f.) sowie im Erman (etwa Hefermehl I 247, Brox I 350, H. P. Westermann II 153). In den Nebengebieten treten viele der Portraitierten als Herausgeber wichtiger Kommentare hervor. Genannt seien nur Hueck (I 135 f.), Hefermehl (I 246 f.), Lutter (II 113 f.), P. Ulmer (II 129), Hopt (II 241) und Wolf (II 395). Neben ihrer publizistischen Tätigkeit schaffen sich viele unserer Großen eine „wissenschaftliche Infrastruktur“ oder bauen dieselbe aus (Fleischer zu Wiedemann I 173). Sie gründen angesehene Fachzeitschriften, etwa 1927 die RabelsZ, 1948 die RdA (Nipperdey), 1972 die ZGR (Lutter und Wiedemann) oder übernehmen deren Redaktion, wie Medicus beim AcP, K. Schmidt bei der ZHR und Hopt bei der ZGR. Die Einflussmöglichkeiten auf das eigene Teilrechtsgebiet steigen damit immens, doch ist derartiges agenda setting durch Herausgeberschaft keine deutsche Besonderheit. Ebenso verhält es sich mit der Einbindung in die Wissenschaftsverwaltung. Manchem Spitzenjuristen mag es gelingen, sich von „hochschulpolitischem Funktionärstum“ im allgemeinen (Zöllner II 75) und dem Dekanat im besonderen (Bydlinski II 21) fernzuhalten. Die Übernahme des Rektorats können jedoch viele nicht vermeiden (vgl. nur Mestmäcker II 54), und einige üben derart viele Funktionen und Ämter aus, dass sie sich auch als „Wissenschaftsgestalter“ verdient machen (Grundmann zu Hopt II 231, 256; vgl. auch Raiser I 289–291). Sinnbildlich für die wissenschaftliche Infrastruktur stehen die bedeutenden Institute, nicht nur diejenigen der Kaiser-Wilhelm-, später der MaxPlanck-Gesellschaft (Rabel, Coing, Zweigert, E. Ulmer, Fikentscher, Mestmäcker, Hopt), sondern auch solche an den Fakultäten, etwa das 1929 begründete Kölner Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht (das „Haus im Weyertal“: Nipperdey, Zöllner, Wiedemann), aus dem 1950 das Institut für

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internationales und ausländisches Privatrecht ausgegliedert wird (Kegel), das Freiburger Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (von Caemmerer, Schlechtriem) oder das Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht in Bonn (Lutter). Mit ihren Handbibliotheken, Seminarräumen und Mitarbeitern bieten sie im internationalen Vergleich einzigartige Arbeitsund Forschungsmöglichkeiten. Selbst wenn der Direktor nur 30 Minuten am Tag (Schlechtriem II 36 f.) oder zweimal in der Woche (Wiedemann I 182) vorbeischaut, schnurren diese gut geölten Forschungsapparate zuverlässig vor sich hin und tragen zur Steigerung der wissenschaftlichen Produktion bei. Sicher regieren nicht alle Direktoren diese Institute im Stile von „Renaissance-Fürsten“ (Gamillscheg über Nipperdey I 163). Doch der französische Rechtsprofessor, der an der Fakultät nur einen Spind sein eigen nennt, und der englische Kollege, dem noch nie eine Sekretärin zugearbeitet hat, blicken erstaunt auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Dazu gehören vor allem, auch an den gewöhnlichen Lehrstühlen, die studentischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter. Sie sind in vielerlei Hinsicht von Bedeutung. Selbstverständlich mehren die „Phalanx“ der Schüler (Engel zu Mestmäcker II 54) und die „Erfolge der Schule“ (Hommelhoff zu Lutter II 107) den Ruhm des Lehrers (nicht zuletzt durch Beiträge zu Büchern wie diesem). Folgerichtig zählen viele der abgedruckten Lebensbilder die Namen der Schüler penibel auf. Als „Mitglieder einer akademischen Familie“ (Habersack zu P. Ulmer II 144) tragen sie die Botschaft des Herrn auch im Sinne der oben erwähnten Schulenbildung in die folgenden Generationen. Viel wichtiger im wissenschaftlichen Alltag ist aber die Mitwirkung an der Forschung. Rabels „Recht des Warenkaufes“ entsteht so in „Teamarbeit des Chefs und der im Institut versammelten Jungelite“ (so Kegel I 20), Essers Schuldrechtslehrbuch wird Köndgen zufolge in der dritten und vierten Auflage „einem Team von Mitarbeitern überlassen“ (I 110), U. Huber hat als Assistent nicht unmaßgeblichen Anteil an Sericks „Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung“ (II 357), und über Nipperdey, der sich wohl nicht nur bei der Neuauflage seines Enneccerus „mancher Mithilfe durch jüngere Herren“ bedient, spotten die Kollegen, auf seinem „Grabstein werde es heißen H.C.N., ‚diesmal wirklich er selbst‘.“ (I 153 f.). Nun schreiben die meisten der vorgestellten Größen, wie ihre Schüler betonen, „jede Zeile selbst“ (Rittner zu Schmidt-Rimpler I 271; ähnlich Großfeld zu Fikentscher I 222, Noack zu Zöllner II 92 und Bitter zu K. Schmidt II 163). „Ich schwöre bei Gott“, berichtet Zöllner über seine Zeit bei Hueck, „dass ich … nicht einen einzigen Satz beitragen durfte“ (I 135). Die Portraitierten beuten ihre Mitarbeiter nicht aus (Lobinger zu Flume II 327), unterwerfen sie nicht der „Fußnoten-Knechtschaft“ (Hommelhoff zu Lutter II 105) und halten sich „fern von jener arbeitsteiligen, industriellen Großproduktion, wie sie von manchen Lehrstühlen kolportiert wird“ (Fleischer zu Wiedemann I 183). Die ständige Betonung, ja nachgerade Über-

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höhung der Tatsache, dass ein Forscher nur das publiziert, was er selbst geschrieben hat, deutet darauf hin, dass derartige Kolportagen zumindest bei den weniger Großen der Zunft nicht jeder tatsächlichen Grundlage entbehren. Vielen ausländischen Betrachtern wird diese Art wissenschaftlichen Arbeitens fremd erscheinen. Das gilt selbst für die in Deutschland als völlig legitim angesehene Inanspruchnahme wissenschaftlicher Hilfskräfte für eher mechanische Tätigkeiten. Bei nicht wenigen englischen Kollegen steht deutsche Literatur unter dem Generalverdacht, sie sei letztlich den dienstbaren Zuarbeitern des jeweiligen Autors zuzurechnen. Weniger bewusst ist den meisten ausländischen Betrachtern eine weitere, viel wichtigere Funktion, die die Mitarbeiter wahrnehmen. Sie stehen gleichsam als „Sparring-Partner“ zur Überprüfung neuer Ideen bereit. Wolf diskutiert mit seinen Schülern beim Mittagessen über die ihn gerade bewegenden Rechtsfragen (II 401). Wiedemann stellt seine Textentwürfe einmal wöchentlich in der bis zu vierstündigen Mitarbeiterbesprechung auf die Probe (I 182). Larenz findet stets, wenn er aus der Vorlesung kommt, einen Assistenten als Ansprechpartner vor (II 305). Und Lutters Assistenten, bei denen das Telefon durchaus auch am späten Abend, am Sonntagmorgen und am Heiligen Abend klingeln kann, sind aufgefordert, „mit dem Meister über dessen Rohmanuskript Abschnitt für Abschnitt zu diskutieren“ (so Hommelhoff II 105, 121). Je stärker sich unsere Lehrer etablieren, desto mehr übernehmen sie auch praktische Tätigkeiten. Brox und Zweigert als Richter am Bundesverfassungsgericht sowie Nipperdey als Gründungspräsident und Senatsvorsitzender des Bundesarbeitsgerichts sind sicherlich Ausnahmeentscheidungen, doch mehrere der vorgestellten Zivilrechtslehrer sind für einige Jahre als Richter im Nebenamt am Oberlandesgericht tätig (Esser, Hopt, Hueck, Wiedemann, Wolf). Eine derartige Möglichkeit und der damit einhergehende Praxisbezug besteht in vielen anderen Rechtsordnungen nicht. Durchaus üblich ist dort aber eine Tätigkeit als Gutachter und Schiedsrichter, wie sie auch die meisten der Portraitierten ausüben. So gibt es in den fünfziger und sechziger Jahren „wohl kaum große Rechtsstreitigkeiten insbesondere im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, aber auch im Handels- und Aktienrecht“, an denen Hefermehl nicht „maßgeblich als Gutachter oder Schiedsrichter beteiligt“ ist (so P. Ulmer I 245). Derartige Beschäftigungen bieten sich vor allem auch nach der Emeritierung an. Doch bleiben die meisten auch im Ruhestand weiterhin wissenschaftlich tätig. Die einzige Ausnahme ist Esser, der sich ganz aus der Forschungsdiskussion zurückzieht (I 105). Repräsentativer sind Figuren wie Schmidt-Rimpler, der kurz vor seinem Tod als 90jähriger an seiner Monographie zur Vertragslehre arbeitet (I 269), Rosenberg, der im neunten Lebensjahrzehnt „unermüdlich“ an der Neuauflage seines Lehrbuchs schafft (so Schwab I 377), Brox, der sich laut Schlüter bis zum Alter von 85 Jahren „mit eiserner Energie und Schaffens-

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kraft“ den Neuauflagen seiner Bücher widmet (I 348), und Hefermehl, der noch im Alter von 94 Jahren die Korrekturfahnen seines 1900 Seiten langen Kommentars durchgeht (I 242). 3. Rechtshonoratioren In Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung bezeichnet der Begriff der „Rechtshonoratioren“ eine Gruppe von Personen, die in einer Gesellschaft ein solches Maß an Einfluss und Prestige besitzt, dass sie den Stil des betreffenden Rechtssystems maßgeblich prägt und dort gewissermaßen den Ton angibt.13 Diese Stellung nehmen in Deutschland traditionell die Hochschullehrer ein. Dabei geht es weniger um eine Präsenz im öffentlichen Diskurs in der Rolle des Intellektuellen, wie sie etwa unter französischen oder amerikanischen Hochschullehrern nicht selten ist. Von den Portraitierten wirkt nur Raiser in vergleichbarer Weise in den allgemeinpolitischen Raum hinein (I 289–291). Das schließt nicht aus, dass auch andere Gelehrte engagierte öffentliche Stellungnahmen zu rechtspolitischen Fragen abgeben, wie an dem FAZ-Artikel von Lutter und Zöllner zum Strafverfahren „Mannesmann“ ersichtlich (II 112). Vorrangig aber zeigt sich die Prägung einer Rechtsordnung durch die Rechtswissenschaftler daran, wie stark diese die Rechtsprechung und die Gesetzgebung beeinflussen. Derartige Einwirkungen sind nicht immer offensichtlich, und die Einflusslinien können ganz unterschiedlich verlaufen.14 Jedenfalls bemisst sich die Bedeutung eines Zivilrechtslehrers auch danach, dass er möglichst alle Bereiche der „Trias Rechtswissenschaft, Rechtspraxis und breitere – gesetzgeberische – Verantwortung“ (Grundmann zu Hopt II 222) abdeckt. Fast alle Beiträge heben daher Fälle hervor, in denen sich eine Rezeption von Schriften der Portraitierten in der gerichtlichen Praxis nachweisen lässt (vgl. statt aller Wiedemann I 171, Rosenberg I 379 und 381, Bydlinski II 23 f. und 28 f., Schlechtriem II 35, Zöllner II 85, P. Ulmer II 138, H.P. Westermann II 153, Flume II 329 f., U. Huber II 356 und 359, Canaris II 369). So hat etwa der Rechtsprechungswandel zur Rechts- und Parteifähigkeit der Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts gleich mehrere Väter (Flume II 332, P. Ulmer II 135, K. Schmidt II 171). In einer kleinen Rechtsordnung wie Österreich kann die Bedeutung eines einzelnen Autors sogar dazu führen, dass er die Judikatur „manchmal geradezu monopolisiert“ und die gesamte

13 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1922); Rheinstein, Die Rechtshonoratioren und ihr Einfluß auf Charakter und Funktion der Rechtsordnungen, RabelsZ 34 (1970), 1–13. 14 Für einen analytischen Zugriff, vgl. Vogenauer, An Empire of Light? II: Learning and Lawmaking in Germany Today, Oxford Journal of Legal Studies 26 (2006), 627, 629–633.

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„Rechtskultur des eigenen Landes nachhaltig“ beeinflusst (Rummel zu Bydlinski II 23 f.). Auch im Deutschland der sechziger Jahre, in einer Zeit knapper Etats der Gerichtsbibliotheken, „gilt“ in der Praxis, was in Huecks Standardkommentaren zum Kapitalgesellschaftsrecht steht (so Zöllner I 136). Breiten Raum nehmen ferner Beispiele gelungener Einflussnahme auf die Gesetzgebung ein (vgl. statt aller Kronstein I 192, Kegel II 10 f., Bydlinski II 29, Lutter II 104, K. Schmidt II 169, Doralt II 190 f. und 196–198, Flume II 332). Derartige Einwirkungen können auf der Langzeitwirkung bahnbrechender Publikationen beruhen. So hinterlässt Hefermehls seit den fünfziger Jahren entfaltete Kommentierung der Generalklausel in § 1 UWG a.F. Spuren in der Neufassung des Gesetzes von 2004 (I 253). Ursächlich sein kann auch die unmittelbare Mitarbeit in politischen oder politikberatenden Gremien. Böhm setzt sein Motto, die „wahre Aufgabe bestehe darin, gute Theorie und gute Gesetzgebung zu verbinden: Sie sind Zwillinge“, als Bundestagsmitglied unter anderem bei der Ausarbeitung des GWB um (I 42, 43). Durch ihre Mitarbeit in den vom Bundesjustizministerium eingesetzten Kommissionen zur Überarbeitung des Schuldrechts, bzw. des Leistungsstörungsrechts, üben Schlechtriem, Medicus, U. Huber und Canaris maßgeblichen Einfluss auf das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz von 2001 aus, obwohl bei weitem nicht alle ihrer Vorschläge Umsetzung finden (II 40, 321, 359, 384). Gerade im Bereich des Wirtschafts- und Gesellschaftsrechts ist die Expertise der Zivilrechtslehrer in diversen Monopol-, Börsensachverständigen- und Übernahmekommissionen gesucht (Mestmäcker II 53, Hopt II 231, Doralt II 191). Doch die Gelehrten melden sich auch ungefragt zu Wort. Der Deutsche Rat für IPR etwa ist ein autonomes Organ der Wissenschaft, das sich selbst zum Ziel gesetzt hat, an der gesetzgeberischen Entwicklung des Kollisionsrechts mitzuwirken. Dazu unterbreitet er dem Justizministerium sachverständige Stellungnahmen. Nicht zuletzt aufgrund seiner Mitarbeit in diesem Gremium wird Kegel „zur treibenden Kraft der IPR-Reform von 1986“ (so Schurig II 10 und 17, vgl. auch Schlechtriem II 37). Schließlich beeinflussen die deutschen Rechtslehrer auch europäische und globale Rechtsvereinheitlichungsmaßnahmen und -vorhaben. Dazu gehören die Kodifikation der von U. Huber im Schrifttum vorgeschlagenen Kriterien der EU-Fusionskontrollverordnung (II 359) oder die Mitarbeit in der High Level Group zur Beratung der Europäischen Kommission im Bereich des Gesellschaftsrechts (Hopt II 256, Lutter II 113) sowie in Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der Grundregeln eines Europäischen Vertragsrechts, des Gemeinsamen Referenzrahmens (Schlechtriem II 42) und vor allem des UNKaufrechts (Rabel I 21, von Caemmerer II 316, Schlechtriem II 40 f.) Derartige Einflussnahmen auf Rechtsprechung und Gesetzgebung lassen sich auch in anderen Rechtsordnungen nachweisen. Sollte die derzeit in Frankreich diskutierte Reform des Schuldrechts tatsächlich wie geplant umgesetzt werden, so ginge sie maßgeblich auf Vorarbeiten der französischen

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Zivilrechtswissenschaft zurück.15 Im englischen Recht beruht der eine oder andere Gesetzentwurf ebenfalls auf Anregungen von Rechtslehrern. Gelegentlich ist ein Wissenschaftler als Law Commissioner sogar bei der Ausarbeitung eines Rechtsakts federführend. Bekanntes Beispiel ist der bedeutendste Gesetzgebungsakt der jüngeren Vergangenheit im Bereich des Vertragsrechts, der Contracts (Rights of Third Parties) Act 1999. Ihn verantwortete der Oxforder Professor für Handelsrecht, Andrew Burrows. Auch die Gerichte beider Länder folgen Vorschlägen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums. In Frankreich lässt sich die gewissenhafte Beschäftigung mit der Literatur zwar nicht aus den kryptischen Entscheidungsgründen der Obergerichte, wohl aber aus den vorbereitenden Schlussanträgen der Generalanwälte ersehen. Auch die englischen Richter haben seit einigen Jahrzehnten ihre traditionelle Zurückhaltung gegenüber dem Schrifttum überwunden und diskutieren es zunehmend in ihren Entscheidungsgründen.16 Dennoch ist der Einfluss der Rechtswissenschaft auf die Praxis wohl nirgends so stark wie in Deutschland. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sicherlich wirkt hier das Erbe des Gemeinen Rechts nach, einer Epoche, in der die Rechtsgelehrten ihr Studienobjekt zu höchster Perfektion entwickelten, während es gleichzeitig an einer umfassenden und modernen Kodifikation des Zivilrechts und an einer zentralen und leistungsstarken Rechtsprechungsinstanz fehlte. Es waren die Universitätslehrer, die sich um die Bewahrung und Pflege des Rechts kümmerten. Die Gerichte versandten die Akten komplizierter Fälle an die juristischen Fakultäten, deren Voten in der Praxis gewöhnlich als bindend angesehen wurden.17 Heute herrscht zwar Einigkeit, dass wissenschaftlichen Lehrsätzen keine bindende Kraft zukommt, sie also keine Rechtsquelle im formellen Sinne darstellen.18 Ebenso anerkannt ist aber, dass die Rechtswissenschaft zur Mitwirkung an der Regelbildung für die Rechtsanwendung legitimiert und berufen ist. Ein derartiges Verständnis ist in Rechtsordnungen, in denen das Privatrecht schon wesentlich länger für das gesamte Territorium kodifiziert ist (Frankreich) oder in denen schon seit Jahrhunderten eine stark zentralisierte Rechtsprechung besteht (England), schwächer ausgeprägt. In den Vereinigten Staaten übrigens, wo eine Bundeskompetenz für das Privatrecht fehlt und es kein oberstes nationales Gericht in zivilrechtlichen Angelegenheiten gibt, ist der Einfluss der Rechtslehre auf die Zivilrechtsentwicklung traditionell wesentlich stärker als in England. 15 Zum aktuellen Stand Vogenauer, Présentation de l’avant-projet, in: Cartwright/Vogenauer/Whittaker (Hrsg.), Regards comparatistes sur l’avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription (2010), S. 17–45. 16 Braun, Giudici e Accademia nell’esperienza inglese. Storia di un dialogo (2006). 17 Überblick bei Vogenauer, An Empire of Light? Learning and Lawmaking in the History of German Law, Cambridge Law Journal 64 (2005), 481–500. 18 Hierzu und zum Folgenden ausführlich Vogenauer, Oxford Journal of Legal Studies 26 (2006), 653–656.

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In Deutschland ist der Spielraum der Rechtswissenschaft für konstruktive Vorschläge zur Rechtsfortbildung noch immer verhältnismäßig groß. Nicht selten sieht der Gesetzgeber von einer verbindlichen Lösung einer durchaus bekannten Streitfrage mit dem ausdrücklichen Hinweis ab, die Lösung des Problems bleibe Rechtsprechung und Lehre vorbehalten. Aufgrund der fehlenden Bindungswirkung von Präjudizien hemmt auch das Richterrecht nicht die Entfaltung des rechtswissenschaftlichen Schrifttums. Anders als in England und den Vereinigten Staaten vermag die Rechtswissenschaft höchstrichterliche Urteile nicht nur von der Warte der Rechtspolitik, de lege ferenda, zu kritisieren. Sie kann vielmehr mit dem genuin juristischen Argument, die Rechtsprechung habe das Recht nicht korrekt erkannt, über das Richterrecht hinausweisende und sogar diametral entgegengesetzte Lösungsvorschläge vertreten. Schließlich wird die Rezeption wissenschaftlicher Lehren in der Praxis von einer Reihe institutioneller Faktoren begünstigt. Dazu gehören erstens das Monopol der Universitäten bei der Juristenausbildung, aufgrund dessen, im Gegensatz etwa zu England, alle Richter und die meisten der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Ministerialbeamten Absolventen eines rechtswissenschaftlichen Universitätsstudiums, also „gelehrte“ Juristen sind – ein Effekt, der durch die im internationalen Vergleich hohe Promotionsquote verstärkt wird; zweitens die starke fachliche Spezialisierung der Obergerichte; drittens die Vielzahl informeller Kontakte mit Richtern und Anwälten, die viele der Portraitierten in Seminaren und regelmäßigen Gesprächskreisen pflegen (vgl. nur Hefermehl I 256, Schmidt-Rimpler I 271, Bydlinski II 24, Schlechtriem II 35, Zöllner II 83 und 94, Lutter II 111 mit Fn. 68 und 115, P. Ulmer II 143 f., H. P. Westermann II 156, Doralt II 188 f.), oder auch mit Ministerialbeamten, die etwa im Bonn der fünfziger Jahre Schmidt-Rimpler in seinem Institut im Schloss „immer wieder neue rechtspolitische Fragen ins Haus“ bringen (so Rittner I 270); viertens die Praxis des Zivilverfahrens mit der umfassenden schriftlichen Aufbereitung des Streitgegenstands im Vorfeld der mündlichen Verhandlung und der regelmäßigen Verkündigung des Zivilurteils in einem gesonderten Termin, die den Richtern – anders als in England mit seiner traditionellen Konzentration des Zivilprozesses am sprichwörtlichen „Gerichtstag“ 19 – weiterführende Literaturrecherchen erlaubt; und fünftens die im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen hohe Anzahl juristischer Fakultäten und die damit einhergehende schiere Menge an Zivilrechtslehrern, die die Erarbeitung ständig neuer Lösungsvorschläge überhaupt erst ermöglicht. Die Rezeptionsfähigkeit dieser Lehrmeinungen wiederum wird durch einige Charakteristika der deutschen Rechtswissenschaft erhöht. Diese sollen im folgenden Abschnitt (IV.) etwas ausführlicher skizziert werden.

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Cohn, Der englische Gerichtstag (1956).

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Da es beim Begriff der Rechtshonoratioren aber nicht nur um Einfluss, sondern auch um Prestige geht, sei zuvor noch darauf hingewiesen, dass das Kollektiv der deutschen Rechtslehrer es nicht nur durch fachlich qualifizierte Arbeit versteht, sein Ansehen in der Fachöffentlichkeit aufrechtzuerhalten und seine Bedeutung herauszustreichen. Mit Hilfe ritualisierter Publikationsmechanismen feiert die Zunft sich gewissermaßen selbst: Viele der vorstehenden Beiträge nehmen Bezug auf Geburtstagsglückwünsche und Nachrufe, die in Fachzeitschriften erschienen sind, und kein Autor vergisst, die Anzahl der Festschriften zu erwähnen, die dem Portraitierten gewidmet sind. Nicht zuletzt im vorliegenden zweibändigen Werk drückt sich das Selbstverständnis einer Berufsgruppe aus, die sich, bei aller Bescheidenheit ihrer einzelnen Vertreter, ihres Status und ihres Stellenwerts voll bewusst ist.20 In England etwa wäre es undenkbar, dass sich die Zivilrechtslehrer eines bestimmten Jahrgangs auf über 700 Seiten ihre eigene „Festgabe“ darbieten, um den völligen Stillstand ernsthafter juristischer Forschung aufgrund einer drohenden Festschriftenflut zu verhindern.21 Im anglo-amerikanischen Raum war das Genre der juristischen Festschriften bis vor einem Vierteljahrhundert ohnehin fast unbekannt. Bis vor kurzem existierte nicht einmal ein englisches Wort zur Bezeichnung dieser Literaturgattung, und selbst nach Entstehen der Neuschöpfung „Essays in honour“ wird meist noch der Germanismus „the Festschrift“ verwendet.22 Nachrufe von Rechtswissenschaftlern erscheinen nicht in Fachzeitschriften sondern, wenn überhaupt, in Tageszeitungen, neben denjenigen von Politikern, Polospielern und Bienenzüchtern. Während in den juristischen Bibliotheken Englands ganze Regalmeter mit Biographien von Richtern oder berühmten Anwälten zu finden sind, gibt es dort nur ganz vereinzelt Lebensberichte von Rechtsgelehrten.23

20 Andere Bücher dieses Genres sind etwa Planitz (Hrsg.), Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen (1924–29); Hoeren (Hrsg.), Zivilrechtliche Entdecker (2001); Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert: Mit Beiträgen zur Entwicklung des Verlags C. H. Beck (2007). 21 Hadding, Statt eines Vorwortes, in: ders. (Hrsg.), Festgabe Zivilrechtslehrer 1934– 1935 (1999), S. VI („Festschriften – Flut – Alibi“). 22 Taggart, An Index to Common Law Festschriften: from the Beginning of the Genre up to 2005 (2005). 23 Parry, Is legal biography really legal scholarship?, Legal Studies 30 (2010), 208, 217. Vgl. etwa Twining, Karl Llewellyn and the Realist Movement (1973); Duxbury, Frederick Pollock and the English Juristic Tradition (2004); Lacey, The Life of HLA Hart: the Nightmare and the Noble Dream (2004). S. auch für die in England lehrenden deutschen Rechtsemigranten Beatson/Zimmermann (Hrsg.) (Fn. 11).

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IV. Wissenschaft vom Zivilrecht Fast alle der vorstehenden Beiträge gehen auf die wissenschaftliche Arbeitsweise der Zivilrechtslehrer ein. Bleiben dabei auch viele Gesichtspunkte unerwähnt, die die Autoren als selbstverständlich voraussetzen, so verraten die Berichte doch in ihrer Summe viel über den „Stil“ der deutschen Zivilrechtswissenschaft. Fünf Besonderheiten fallen aus vergleichender Perspektive vor allem ins Auge und sollen im Folgenden näher beleuchtet werden: 24 Die deutsche Zivilrechtswissenschaft ist vergleichsweise kritisch, proaktiv, juristisch, praxisorientiert und, nun ja, wissenschaftlich. 1. Wissenschaftlich „Rechtswissenschaft“ ist ein deutscher Begriff. Erst am Übergang zum 19. Jahrhundert verdrängt er ältere Bezeichnungen wie „Jurisprudenz“ und „Rechtsgelehrtheit“. In England und Frankreich sind Ausdrücke wie „legal science“ oder „science du droit“ bis heute Kunstwörter zum Zwecke der Übersetzung aus dem Deutschen. Die Lehre vom geltenden Recht wird dort normalerweise als „legal scholarship“ oder „la doctrine“ bezeichnet. Der deutsche Name ist Programm. Selbstverständlich fühlen sich auch die Rechtslehrer anderer Länder Werten wie Rationalität, Logik, Systematik, Abstraktion und Präzision verpflichtet. Und selbstverständlich werden diese Leitbilder selbst in Deutschland heute gerade von denjenigen, die sich wissenschaftstheoretisch mit ihnen auseinandersetzen, nicht mehr uneingeschränkt bejaht – zu deutlich ist geworden, dass es sich um letztlich unerreichbare Ideale handelt (vgl. etwa Esser I 122, Wieacker I 85, Canaris zu Larenz II 300 f., Schlechtriem II 46 f.). Dennoch ist die deutsche Rechtslehre diesen Idealen in den Niederungen des wissenschaftlichen Tagesgeschäfts in wesentlich stärkerem Maße verpflichtet als anderswo: Die deutsche Rechtswissenschaft ist „wissenschaftlicher“ als diejenige anderer Rechtsordnungen. Ihre Sprache ist von gnadenloser Präzision. Der ideale Schreibstil ist knapp, einfach und verständlich (Kegel II 17, von Caemmerer II 317, Medicus II 347). Nipperdey streicht regelmäßig die Nebensätze seiner Assistenten (I 163). Das führt zu Formulierungen von gewisser Sprödigkeit: „Die Willenserklärung als Sozialakt ist eine Handlung, die sich als Manifestation eines auf Erzielung eines Rechtserfolgs gerichteten Willens darstellt“ (Hefermehl I 248). In eine andere Sprache lässt sich das kaum übersetzen. Der französische Jurist bevorzugt eine elegantere Ausdrucksweise. Der englische formuliert weniger rigide und in gewisser Weise grobmaschiger, gelegentlich erlaubt er sich gar Ironie. In beiden Sprachen führt dies regelmäßig zu längeren Texten.

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Im Anschluss an Vogenauer, Oxford Journal of Legal Studies 26 (2006), 656–660.

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In der juristischen Terminologie Deutschlands regieren klare Begrifflichkeiten. Geschätzt ist die „Gabe, Probleme und ihre Lösungen in präzisen Formulierungen zu verdichten“, sie durch Schöpfung eines möglichst einprägsamen und durchsetzungsfähigen Terminus (etwa „Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht“ oder „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte“) nachgerade „auf den Begriff zu bringen“ (Canaris zu Larenz II 265 und 291, ähnlich Fleischer zu Wiedemann I 176). Ist ein Begriff einmal geprägt und allgemein konsentiert, so wird er stets und mit einer gewissen Unerbittlichkeit verwendet. Englische Juristen macht das misstrauisch, sind doch für sie „Begriffe viel eher wie menschliche Lebewesen, deren Persönlichkeiten sich nur durch Erfahrung kennenlernen lassen und die sich im Laufe der Zeit leicht ändern können“. In England ist man traditionell zufrieden, „einen Begriff mit nur annähernd bekannten Konturen zu benutzen, solange er nur geeignet ist, die begrenzten tatsächlichen Aufgaben zu erfüllen, deren Erfüllung gewünscht ist“.25 Französische Rechtswissenschaftler finden eine konsequent einheitliche Begriffsverwendung steril und schwerfällig. Sie bevorzugen aus stilistischen Gründen die Verwendung von Synonymen. „Es gibt ja“, so bemerkt bereits Otto Mayer bei dem Versuch, die französische Theorie des Verwaltungsrechts ins Deutsche zu übertragen,26 „eine solche eigentümliche Besonderheit der Denkweisen: was der Franzose mit glücklichem Instinkte zu schildern und anschaulich zu machen weiß, muß der Deutsche, um es voll zu beherrschen, in seine festen, scharf umrissenen Begriffe fassen; anders wird es bei uns nichts Rechtes.“

In Deutschland sind die Begriffe auch und gerade als konstituierende Bestandteile des juristischen Systems von Bedeutung. Otto Mayer fährt fort: „Die Verwandtschaft und die Gegensätze dieser Begriffe führen dann von selbst auch zu einem gewissen System der Darstellung, in welchem sie sich gegenseitig erläutern und begrenzen, gerade wie das bei unserer Behandlung des römischen Rechts sich herausgebildet hat.“

Derartig offen pandektistische Argumentationsmuster mögen der Vergangenheit angehören. Doch merken die Herausgeber dieser Bände zu Recht an, das Systemdenken bilde ein „Großthema“ der deutschen Wissenschaft vom Zivilrecht (I 10). So heißt es etwa bei Roth, dass Medicus (II 347) „stets den Systemgedanken betont: Nur das System könne den Überblick über ein Rechtsgebiet im Sinne eines umfassenden Verständnisses vermitteln. Für sein Rechts-

25 Lawson, A Common Lawyer Looks at the Civil Law (1953), S. 66 (meine Übersetzung). 26 Mayer, Otto Mayer, in: Planitz (Hrsg.), Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen (1924–29), S. 153, 162.

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denken prägend ist damit wohl die Verwendung des „starken Arguments“, das systembezogen gebraucht wird und somit letztlich zur Prinzipienbildung führen kann und muss.“

Zentraler Bestandteil des wissenschaftlichen Programms von SchmidtRimpler ist laut Rittner, dass er „stets die gesamte Rechtsordnung in den Blick“ fasst und „wie kaum ein anderer die Begriffe und das System des Rechts ernst“ nimmt (I 273): „Die allgemeinen Regeln, die [die positive Rechtsordnung] enthält, sollen, so lehrt er, von dem ‚zentralen Gerechtigkeitsgedanken‘ sowie den ‚Richtigkeitsideen‘, also geistigen Prinzipien, getragen sein. Die ‚Systembildung nach Lebensgebieten oder -sachverhalten‘ – wie z.B. in den angloamerikanischen Rechten üblich – ergäbe nämlich kein spezifisches System des Rechts“ (I 274 f.).

Die Vorstellung eines in sich widerspruchsfreien Systems, dessen Bestandteile von einem rechtsordnungsübergreifenden Prinzip abgeleitet sind, das über die Vermittlung von Prinzipien mittlerer Abstraktionshöhe den Inhalt einzelner Rechtssätze steuert, wird regelmäßig verspottet. Sie ist jedoch stets latent vorhanden, ja sie macht die Quintessenz der „Wissenschaftlichkeit“ der deutschen Zivilrechtswissenschaft aus. Schon der Begriff der „Rechtsdogmatik“, der sich ähnlich schwer übersetzen lässt wie derjenige der „Rechtswissenschaft“, legt die Vorstellung eines harmonischen Gebäudes aus Lehrsätzen nahe, deren grundlegender Wahrheitsanspruch nicht hinterfragt wird. So war etwa Rosenberg, glaubt man seinem Schüler Engisch (I 382), „durchaus ‚Dogmatiker‘. Und wenngleich er das praktische Ergebnis nicht aus den Augen ließ, war er doch kein Feind der viel verlästerten ‚konstruktiven‘ Jurisprudenz, da er es mit der Auffassung hielt, dass nur Konstruktion zu einer rechten Theorie und einem geschlossenen System hinführen können.“

Eher untypisch ist ein Autor wie Esser, der stärker assoziativ, aperçu- und sprunghaft als systematisch argumentiert und der an die Stelle von Ableitungsketten bewusst topische Annäherungsversuche und offenes Problemdenken setzt (I 107, 113, 119). Doch auch er erkennt „in bester konservativer Tradition“ die Ordnungsleistung dogmatischen Denkens im System an (so Köndgen I 122). Ähnlich Canaris, der sich im Anschluss an Larenz überzeugend von einem „scientistischen“ Wissenschaftsbegriff distanziert (II 300 f.), gleichzeitig aber genauso überzeugend auf Kritik, das von ihm entwickelte Prinzip der Vertrauenshaftung sei heterogen und ubiquitär, entgegnet (II 372), „dass das der Preis hoher Abstraktion und anspruchsvoller Systembildung ist, wie sie nun einmal zu den Charakteristika – und in gewisser Weise auch zu den spezifischen Vorzügen – deutschen Rechtsdenkens gehören“.

In der Tat spielt der Systemgedanke in anderen Rechtsordnungen eine weitaus geringere Rolle. Zwar versuchen englische Rechtswissenschaftler seit einigen Jahren, das Privatrecht in besser definierte Kategorien einzuteilen

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und sogar als einheitliches Ganzes zu erfassen.27 Der herkömmliche Ansatz jedoch bemüht sich eher um die pragmatische und sachgerechte Lösung von Lebenssachverhalten denn um randscharfe Klassifizierungen, ausgefeilte Differenzierungen, tragfähige Grundstrukturen und Ableitungen aus übergeordneten Prinzipien. Derartige Prinzipien sind im englischen Recht nicht so unbekannt, wie es in der Debatte um das Fehlen eines umfassenden Grundsatzes von Treu und Glauben (good faith) gelegentlich suggeriert wird. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit (freedom of contract oder party autonomy) etwa zieht sich durch das gesamte Vertragsrecht und wird verhältnismäßig konsequent umgesetzt. Doch fehlt es bereits an einer Entsprechung des Begriffs der „Privatautonomie“, der in Deutschland die Vertragsfreiheit auf der nächsthöheren Abstraktionsebene mit verwandten Phänomenen in Bezug setzt. In Frankreich ist begrifflich-systematisches Rechtsdenken wesentlich stärker ausgeprägt als in England. Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich jedoch häufig als bloßer rhetorischer Einstieg in eine letztlich flexibel gehandhabte und ergebnisorientierte Argumentation. An der deutschen Rechtswissenschaft stört anglo-amerikanische Beobachter vor allem, dass sie mit ihrer Betonung von Begrifflichkeiten und systematischen Zusammenhängen sowie mit ihrer prägnanten Sprache häufig den Blick auf die zugrundeliegenden rechtspolitischen Wertungen, die policy arguments, verstellt. Larenz zum Beispiel „nimmt den Leser nicht immer mit auf den Weg durch den Dschungel der Schwierigkeiten und Argumente, der oft vor der Erreichung eines einigermaßen abgesicherten Ergebnisses durchdrungen werden muss“ (so Canaris II 292). Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich ein weiterer Grundzug deutscher Wissenschaftlichkeit: die enorme Gründlichkeit und Ausführlichkeit in der Behandlung ihrer Forschungsgegenstände. Der Oxforder Großmeister der Politischen Theorie, Isaiah Berlin, teilt die Denker dieser Welt in einem berühmten Essay in „Igel“ und „Füchse“.28 Erstere wüssten alles über einen einzigen Gegenstand, letztere wenig über viele Gegenstände. Bei aller Vorsicht gegenüber holzschnittartigen Verallgemeinerungen lässt sich doch immerhin sagen, dass deutsche Rechtswissenschaftler nicht notwendig darauf programmiert sind, ihr Forschungsobjekt nur kurz zu beschnüffeln, einige Gedanken zu Papier zu bringen und sich schnell der nächsten interessanten Angelegenheit zuzuwenden. Sie gehen den Dingen auf den Grund. Wiedemann etwa wird laut Fleischer besser „nicht als Sprinter, sondern als Langstreckenläufer charakterisiert“. Er selbst spricht von persévérance (I 183). Rabel, so lesen wir bei Kegel, dekliniert seinen einmal gewählten Forschungsansatz in den vier Bänden seines Lehrbuchs zum IPR „mit eiserner Energie“ durch (I 23). 27

Dazu demnächst Flohr, Rechtsdogmatik in England. Berlin, The Hedgehog and the Fox: An Essay on Tolstoy’s View of History (1953); deutsche Übersetzung: Der Igel und der Fuchs. Essay über Tolstojs Geschichtsverständnis (2009). 28

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Schmidt-Rimpler wird von Rittner attestiert, er denke „jede Frage mit geradezu unerbittlicher Sachlichkeit zu Ende, wobei er auch stets die historischen, ökonomischen und politischen Aspekte voll“ berücksichtige (I 273). Bydlinski unternimmt es im Großkommentar, das allgemeine Schuldrecht „zum Teil in immer noch legendären, langen Fußnoten, erstmals grundlegend zu erörtern“ (so Rummel II 23). Kegel verarbeitet Schurig zufolge in seinem Lehrbuch sämtliche Rechtsprechung und Literatur „in geradezu beängstigender Weise akribisch und vollständig“, auch wenn sich eine Fußnote einmal über „18 eng bedruckte Seiten“ erstreckt (II 6 f.). Juristen anderer Länder, US-Amerikaner einmal ausgenommen, registrieren derartige Phänomene mit einer Mischung aus Bewunderung und Schrecken. Offenkundig bleibt der Zwang, als angehender deutscher Hochschullehrer in jungen Jahren zwei dicke Bretter zu bohren, nicht ohne Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Stil. Akribie und Liebe zum Detail gehen dabei schnell auf Kosten von Eleganz, Leichtigkeit und Esprit. 2. Kritisch Ein zweites Erkennungsmerkmal der deutschen Rechtswissenschaft ist ihre vergleichsweise kritische Haltung gegenüber dem geltenden Recht. „Recht“ ist nach dem vorherrschenden nicht-positivistischen Rechtsbegriff nicht nur das Gesetz. Daher gilt es vielen Rechtsgelehrten auch nicht von vornherein als unzulässig, Lösungsvorschläge zu entwickeln, die die vom Gesetzesrecht gesetzten Grenzen überschreiten: „Wer große Konzepte mit übergreifender Logik entwickelt, muss – um sein Modell stimmig zu halten – hier und da Korrekturen vornehmen“ (Bitter zu K. Schmidt II 168 f.). Auch hier klingt wieder der Systemgedanke an: Die „richtige“ Antwort ergibt sich aus dem System. Das System und die darin enthaltenen Regeln sind nicht unwandelbar. Sie in ihrer Ganzheit zu erkennen, zu verfeinern und weiterzuentwickeln, fühlt sich die Rechtswissenschaft berufen. Fügt sich eine gesetzliche Regelung nicht harmonisch in das System, wird sie passend gemacht. Dies gilt erst recht für das Richterrecht. Hier scheuen sich die Portraitierten nicht vor „herber Kritik“ von Gerichtsentscheidungen, wenn „die Erfüllung der Kontrollfunktion, die der Wissenschaft auferlegt ist“, es verlangt (Hommelhoff zu Lutter II 111). Wie weitgehend die Freiheiten sind, die sich die deutsche Rechtswissenschaft herausnimmt, verdeutlicht der Blick über die Grenzen. Das englische Recht ist noch immer von dem auf John Austin zurückgehenden positivistischen Rechtsbegriff geprägt. Danach kommt es nur dem parlamentarischen Souverän und den von ihm dazu ermächtigten Richtern zu, Recht zu setzen oder abzuändern. Der Rechtswissenschaft ist es somit versagt, das Gesetz sozusagen „von innen heraus“ zu kritisieren und gegebenenfalls zu neutralisieren. Es bleibt nur der rechtspolitische Zugriff, bei dem der Gesetzgeber zu

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Korrekturen aufgefordert wird. Hier liegt auch einer der Gründe für die extreme Zurückhaltung der englischen Rechtslehrer bei der Kritik der Gerichte, die erst seit einigen Jahren einer etwas rebellischeren Haltung zu weichen beginnt. Aufgrund der bereits erwähnten englischen Rechtsquellenlehre ist Richterrecht bindendes Recht. Abgeändert werden kann es nur vom Gesetzgeber oder den Obergerichten, nicht aber von der Rechtswissenschaft. Möglich ist wiederum nur eine Kritik de lege ferenda, mit rechtspolitischen Argumenten jenseits des geltenden Rechts. In Frankreich ist das Schrifttum gegenüber der Rechtsprechung ähnlich kritisch wie in Deutschland. Die dortigen Urteilsrezensionen sind ein zentrales Genre juristischer Literatur. Sie verbinden eine sorgfältige Exegese der Urteilsgründe mit deutlicher inhaltlicher Bewertung. Im Bereich des Gesetzesrechts dagegen hat der Primat der Politik im Recht, also die Herrschaft des Parlamentsgesetzes, jenseits des Rheins eine weitaus längere Tradition als in Deutschland. Sie lässt sich über den Code civil, die Revolution und JeanJacques Rousseaus Lehre von der volonté générale bis hin zu den absolutistischen Monarchen zurückverfolgen. Zwar ist der naive Glaube an die Vollkommenheit des Gesetzgebers seit Jahrzehnten verflogen. Klagen über die déscralisation de la loi nehmen zu.29 So ist es denn in der Tat „[z]ugespitzt und natürlich übertrieben“, wenn gesagt wird, dass „die französischen (Universitäts)Juristen als bloße Lakaien des Gesetzes, als Gesetzesdiener, eine nachgeordnete, eine funktionale, eine akzessorische Existenz führen“.30 Doch lässt sich nicht leugnen, dass die französische Rechtswissenschaft insgesamt eine größere Gesetzesgläubigkeit und -hörigkeit an den Tag legt als die deutsche. 3. Proaktiv Ein weiteres Markenzeichen der deutschen Rechtswissenschaft lässt sich vielleicht am besten mit einem Anglizismus bezeichnen. Sie ist „proaktiv“, das heißt sie geht über die bloß „reaktive“ Analyse, Systematisierung und Kritik des gegebenen Rechts hinaus und wirkt vorausschauend an seiner Gestaltung mit, insbesondere auch dort, wo neue Probleme auftreten und noch keine oder zumindest keine konsentierten Lösungen vorhanden sind. Mag sie auch die Ideologie der pandektistischen „Constructionsjurisprudenz“ überwunden haben, so wirkt sie doch „konstruktiv“ an der „Konstruktion“ des Rechts mit (vgl. II 498). Feststellen lässt sich daher für die meisten großen Zivilrechtslehrer ein „erfolgreiches Bestreben, den Rechtsfortbildungs-

29 Nachweise bei Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent (2001), Bd. I S. 301–310. 30 Kiesow, Rechtswissenschaft – was ist das?, JZ 2010, 585, 586.

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prozess aktiv und maßgeblich zu begleiten und zu gestalten“ (Habersack zu P. Ulmer II 131). „Jurisprudenz“, so Zöllner zum Einfluss Huecks auf die Praxis der sechziger Jahre, „wird unter solcher Meisterschaft nicht nur zur Kunst, vorauszusagen, wie die Gerichte entscheiden werden, sondern sie wird zur Kunst, diese Entscheidungen im Voraus zu beeinflussen“ (I 138). Derartige Lösungsvorschläge sind in der Regel keineswegs revolutionär. Huecks Ziel ist nach Zöllner nicht die „spektakuläre Veränderung der Rechtsordnung mit den Mitteln der Rechtswissenschaft“, sondern „der unspektakuläre Fortschritt bei der gerechten Konfliktlösung durch Auslegung und vorsichtige Heranziehung von Generalklauseln“ (I 146 f.). Selbst bei Nipperdey ist „bei aller fortschrittlichen Kühnheit aber auch das Bestreben, den soliden Bestand der Rechtsordnung zu wahren“, erkennbar (so Adomeit I 149). Ziel ist stets, „sich auf neuartige Fragestellungen selbst eine systemkonforme, weiterführende Antwort zu erarbeiten (P. Ulmer II 130).31 Und wenn Kegel das Verhältnis von Vertrag und Delikt hinterfragt, setzt er sich laut Schurig „über dogmatische Fesseln hinweg, ohne jedoch die Dogmatik zu missachten“ (II 14). Unwillkürlich fühlt sich der Leser an den Schlachtruf des frühen Jhering „durch das römische Recht über das römische Recht hinaus“ 32 erinnert. Ob spektakulär oder unspektakulär – Fesseln werden jedenfalls gelockert. Manchmal hat der Gesetzgeber ein Problem offenbar nicht in seiner „Totalität erkannt. Für die Rechtswissenschaft bleibt die Aufgabe unverändert gestellt, diese Lücke … zu schließen.“ Sie stellt sich dieser Herausforderung mit Freude: „Da wir uns … im Bereich der offenen Rechtsfortbildung bewegen, geht es jetzt erst richtig los“ (Hommelhoff zu Lutter II 108 f.). Wahre Meisterschaft zeigt sich nicht nur bei der Erarbeitung einzelner Lösungsansätze, sondern vor allem durch „Kraft zur Systembildung“ (Singer zu Canaris II 366 und ähnlich 373, Bitter zu K. Schmidt II 174). So schreibt Singer zur Entwicklung der Vertrauenshaftung: „Ausgehend von einem disparaten Gewirr von Präjudizien, Rechtssätzen und Topoi gelingt es Canaris mit schöpferischer Intuition, die prägenden Strukturen des Prinzips zu erkennen, diese mosaikartig zu einem Bild zusammenzufügen und in das Rechtssystem mit seinen festen Axiomen widerspruchsfrei einzuordnen“ (II 372). Große Rechtslehrer sind „Landschaftsbildner des Rechts“, die das Recht „gestalten“ (Bitter zu K. Schmidt II 161, 164). „Gestalten“, „beeinflussen“, das Recht „fortbilden“, das System „bilden“, „schöpferisch“ handeln. Die Wortwahl zeugt vom Selbstverständnis der Rechtswissenschaft als einer produktiven und rechtserzeugenden Kraft, die

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Meine Hervorhebung. von Jhering, Unsere Aufgabe, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 1 (1857), 41, 52. 32

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dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung den Weg weist. Die Lehre tritt mit offen normativem Anspruch auf. Erneut stoßen wir auf Relikte des „Professorenrechts“ im ius commune. Und wieder wirkt sich der nicht-positivistische Rechtsbegriff aus. Es geht nicht nur um eine Beschreibung dessen, was ist, sondern um eine Bestimmung dessen, was sein soll: „Die Wissenschaft des bürgerlichen Rechts darf aber nicht im Positivismus stecken bleiben. Sie hat sich auch mit dem Recht, das sein soll, mit der Frage nach dem gerechten Recht, dem Rechtsideal zu befassen“ (Nipperdey I 159). Die Arbeit des Rechtslehrers wird dadurch in gewisser Weise aufgeladen und überhöht: Sie „wird als öffentliches Handeln in die öffentliche Verantwortung eingebunden“ (Wolf zu Wieacker I 85) und erfolgt „[i]m Dienste der Gerechtigkeit“ (Rummel zu Bydlinski II 19); ja „Leitmotiv ist die ‚Herstellung von Gerechtigkeit unter und zwischen den Menschen‘“ (Noack zu Zöllner II 71). Dieses in gewisser Weise „altmodisch[e] Gerechtigkeitspathos“ (Köndgen zu Esser I 127) mit seiner Betonung des „zentralen Gerechtigkeitsgedanken“ (Schmidt-Rimpler I 275 und 278) erinnert unvermittelt an Ulpians berühmte Eingangsworte zu den Digesten,33 die die Juristen des Gemeinen Rechts gleich zu Beginn ihres Studiums in kompakten Sentenzen wie „Der Endzweck des Rechts ist die Gerechtigkeit, und die Rechtsgelehrten geben sich für Priester derselben aus“ 34 vermittelt bekamen. In anderen Rechtsordnungen interpretieren die Rechtslehrer ihre Rolle wesentlich zurückhaltender. Das gilt selbst für Frankreich, obwohl die aktuellen Vorschläge für eine Reform des Schuldrechts dort von einem erstarkten Willen der Zivilrechtswissenschaft zeugen, sich aktiv an der Umgestaltung der Kodifikation zu beteiligen. Insbesondere englische Professoren fänden es wohl vermessen, den Anspruch zu erheben, rechtsschöpferisch tätig zu werden. Ein Schweizer Zivilprozessualist, der sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem englischen Recht auseinandersetzte,35 konstatierte, dort sei die Lehre weit „entfernt, der Praxis die Wege zu bahnen und ihr die Fackel voranzutragen. … Die Doctrin (wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann) lebt ganz von der Gnade der Praxis, und begnügt sich, deren Erzeugnisse unter stereotype Rubriken und Titel einzuregistrieren.“

Noch im späten 20. Jahrhundert beklagen englische Juristen die traditionelle Rollenverteilung: Der Gesetzgeber und die Gerichte erzeugen das Recht, während „die Akademiker sich schlicht darüber informieren und es in 33

Dig. 1, 1, 1: ius est ars aequi et boni. Cuius merito quis nos sacerdotes appellet. Heineccius, Anfangsgründe des bürgerlichen Rechtes, nach der Ordnung der Institutionen (1786), § 18. 35 Rüttimann, Der englische Civil-Process mit besonderer Berücksichtigung des Verfahrens der Westminster Rechtshöfe (1851), S. VIII. Weitere Nachweise bei Vogenauer (Fn. 29), Bd. II, S. 923–929. 34

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einer halbwegs geordneten Form darstellen“.36 Die Vorstellung vom „pragmatischen“ Rechtsverständnis der Engländer mag ein Klischee sein. Tatsache aber ist, dass englische Juristen sich in der Regel nicht vorausschauend mit einem Problem befassen, das noch nicht zum Gegenstand eines konkreten Rechtsstreits geworden ist. Ein solches Problem ist eben bloß „akademisch“ (academic). Es wird erst angegangen, wenn es relevant wird (we’ll cross the bridge when we come to it). Solange etwas noch funktioniert, sollte man ohnehin nicht daran herumwerkeln (if it ain’t broke don’t fix it). Seit einigen Jahrzehnten beginnt die englische Rechtswissenschaft, ihr Selbstverständnis neu zu definieren. Kreativere Geister gewinnen an Einfluss.37 Doch noch immer schließt das englische Schrifttum ausführliche Analysen und Erörterungen des einschlägigen Gesetzes- und Fallrechts regelmäßig mit der zurückhaltenden Formulierung ab, man müsse abwarten, wie die Gerichte ein bestimmtes Problem lösen würden (it remains to be seen what the courts will do). Gelegentlich beklagen sich hohe Richter sogar darüber, dass die Literatur zu einem bestimmten Problem schlichtweg keine verwertbaren Lösungsvorschläge erarbeitet habe. Erst recht als anmaßend würde es wohl auch empfunden, erklärte sich ein englischer Rechtsgelehrter für die „Herstellung von Gerechtigkeit“ verantwortlich. Gerechtigkeit ist ein großes Wort. Ob sie wirklich ohne weiteres den „Endzweck des Rechts“ darstellt oder ob nicht doch die Rechtssicherheit der zentrale Rechtswert ist – schon darüber herrscht unter englischen Rechtslehrern keineswegs Einigkeit. Sie herzustellen, sind jedenfalls andere berufen. 4. Juristisch Befasst sich die deutsche Zivilrechtswissenschaft nach alledem also mit der Beschreibung, Analyse, Kritik und Weiterentwicklung des geltenden Rechts, so ist ihr Referenzpunkt eben dieses geltende Recht. Ihr Forschungsinteresse konzentriert sich auf juristische Fragestellungen im engeren Sinne. Typisch die Charakterisierung Hefermehls durch P. Ulmer, die Habersack zufolge ebenso auf Ulmer selbst zutrifft (I 246, II 133): „umstürzende Theorien waren seine Sache nicht; vielmehr wirkte er in erster Linie durch seine systematische Durchdringung und Fortentwicklung des geltenden Rechts unter souveräner Zusammenschau von Theorie und Praxis.“

Ähnliches erfahren wir über Zöllner („Mann des geltenden Rechts“, II 94), Baur (im Sachenrecht „mehr dogmenbildend gewirkt als spektakuläre Neu36

Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law (1987), S. 37 (meine Übersetzung). Überblick bei Vogenauer (Fn. 29), Bd. II, S. 1212. Ausführlich demnächst Flohr (Fn. 27). 37

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anstöße gesucht“, I 391) und Medicus, der der „Einbettung“ juristischer Argumente „in eine überhöhende Theorie“ skeptisch gegenüber steht: „Für ihn schrumpft Theoriebildung hauptsächlich auf die Aufgabe, das Bekannte formelhaft darzustellen, also auf die erklärende Funktion der Theorie“ (so Roth II 347 und 346). Nun lässt sich keineswegs eine generelle Theorieferne der Zivilrechtslehrer feststellen. Gerne greifen sie Anregungen anderer Disziplinen auf, zum Beispiel aus Philosophie (Larenz II 264, Canaris II 381), (Rechts-)Geschichte (Flume II 333), Wirtschaftswissenschaften (Böhm I 32, Hopt II 254), Soziologie (Esser I 124, Schlechtriem II 36, Hopt II 229 und 254) und Empirie (Mestmäcker II 61 f.). Einige der Portraitierten sind sogar primär für ihre Arbeit in einem der „Grundlagenfächer“ außerhalb der Zivilrechtsdogmatik bekannt (Wieacker, Coing, Rabel, Zweigert). Wirklich interdisziplinär arbeitet aber wohl nur Fikentscher (II 485). Die Zivilrechtslehrer „verteidigen“ also die Autonomie des Rechts (Lobinger zu Flume II 334; ähnlich Schmidt-Rimpler I 280; Mestmäcker II 61 und 63) auch dort, wo dies Kritikern als „binnenjuristisch und unterkomplex“ gilt (so Rezensenten von Bydlinksi II 25). Das Recht erscheint als prinzipiell geschlossenes, selbst-referentielles System (Luhmann). Dogmatische Gedankengebäude müssen sich kaum an außerrechtlichen Referenzpunkten messen. Mit gewisser Skepsis betrachten die Portraitierten etwa die ökonomische Analyse des Rechts (Medicus II 347, Mestmäcker II 67–71, vgl. auch Stürner zu Baur I 398; anders Schlechtriem II 36). Wenn sich die deutsche Rechtswissenschaft in erster Linie mit Recht beschäftigt, so ist dies für Beobachter aus anderen europäischen Rechtsordnungen kaum überraschend. Der Blick in die Vereinigten Staaten zeigt indes, dass es sich nicht um eine Selbstverständlichkeit handelt. An den dortigen Law Schools genießen seit einigen Jahrzehnten besonders diejenigen Wissenschaftler höchstes Ansehen, die sich aus den Niederungen des trivialen „black letter law“ emporschwingen und sich mit Law and Economics, Law and Literature, Law and Society und einem der anderen zahlreichen Law and’s befassen. Dabei bedienen sie sich häufig des Methodenarsenals der betreffenden Nachbarwissenschaft, in der sie meist auch ihren ersten Studienabschluss und ihre Promotion erworben haben. Ein großer Teil des rechtswissenschaftlichen Schrifttums in den USA ist also von Ökonomen, Empirikern, Soziologen, Politikwissenschaftlern etc. geschrieben, die das Recht aus der Außenperspektive betrachten. Das hat unter anderem zur Folge, dass der traditionell verhältnismäßig starke Einfluss der amerikanischen Zivilrechtswissenschaft auf die Praxis stetig zurückgeht.38

38 Vgl. nur Twining/Farnsworth/Vogenauer/Téson, The Role of Academics in the Legal System, in: Cane/Tushnet (Hrsg.), The Oxford Handbook of Legal Studies (2003), S. 920, 929–935.

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5. Praxisbezogen Schließlich ist die deutsche Rechtswissenschaft besonders praxisbezogen. Zwar ist sie, wie gesehen, dem Ideal strenger Wissenschaftlichkeit (und damit einer durchaus theoriebejahenden Grundhaltung) verpflichtet und scheut sich nicht, auch von der Rechtsprechung abweichende Lösungsvorschläge offensiv zu vertreten. Dabei beobachtet sie jedoch, anders als etwa das italienische Schrifttum,39 die Praxis der Gerichte stets „aufs sorgfältigste“ (Schwab zu Rosenberg I 378). Soweit wie möglich, werden Entscheidungen in das System des Zivilrechts integriert. Wissenschaftliche Arbeit erfolgt, wie in der bereits zitierten Passage über Hefermehl und P. Ulmer gesagt, „unter souveräner Zusammenschau von Theorie und Praxis“ (I 246, II 133). Im Bereich des Gesellschaftsrechts ist der „im internationalen Vergleich fast einzigartige Dialog zwischen Rechtswissenschaft und höchstrichterlicher Rechtsprechung“ (Habersack zu P. Ulmer II 132, ähnlich Wiedemann I 177 f.) besonders ausgeprägt. Dieses „Zusammenspiel zwischen Gesellschaftsrechtswissenschaft und Rechtsprechung“, ein „konstruktiver Dialog“, wird nicht zuletzt durch Entscheidungsrezensionen befördert, die darauf ausgerichtet sind, das in den „Urteilen angelegte Argumentationspotential herauszuarbeiten, bestätigend zu entfalten und kraftvoll fortzuführen“ (Hommelhoff zu Lutter II 111 und 115). Im Lichte einer feststehenden Gerichtspraxis wird dann auch gelegentlich eine zuvor vertretene Ansicht eher aufgegeben, als „besserwisserisch an ihr festzuhalten und sich hierdurch der Möglichkeit der konstruktiven Teilhabe an dem weiteren Rechtsfortbildungsprozess zu begeben“ (Habersack zu P. Ulmer II 132). Die deutschen Zivilrechtslehrer sind dogmatisch, aber nicht doktrinär. „Erstaunlich oft“ geht H. Westermann „über sehr prinzipielle Streitfragen hinweg mit dem schlichten Hinweis darauf, dass sie in der Praxis keine Bedeutung hätten“ (so Schulte I 328). Hier sucht niemand, wie in den Vereinigten Staaten, mutwillig die steile These und ruft immer und überall den nächsten Paradigmenwechsel aus. Gerade die Kommentarliteratur trägt maßgeblich zur Erdung der deutschen Rechtswissenschaft bei. Sie soll, wie im Falle von P. Ulmer, „wissenschaftlich und praktisch“ zugleich sein. Sie wendet sich „in erster Linie an die Gerichte und die beratende Praxis“, mit der sie den „wissenschaftlichen Dialog“ sucht (II 130). Stets erkennbar ist dabei ein „Bemühen um praxistaugliche Lösungen“ (P. Ulmer zu Hefermehl I 249). Ähnlich verhält es sich nach Ansicht Schurigs mit der Kommentierung des IPR im Soergel: „praxisbezogene Theorie und theoriebezogene Praxis sind das Erfolgsgeheimnis Kegelscher Rechtswissenschaft“ (II 6). Laut Schlüter hat auch der Lehrbuchautor Brox (II 347 f.) 39 Braun, Professors and Judges in Italy: It Takes Two to Tango, Oxford Journal of Legal Studies 26 (2006), 665, 678 f., 681.

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„bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten immer eine Verbindung zur Rechtspraxis gesucht. Farbloses Theoretisieren ist ihm fremd. Rechtsdogmatik ist für ihn kein Selbstzweck. Ihre Aufgabe erblickt er primär darin, den Rechtsstoff so aufzuarbeiten und zu ordnen, dass der Rechtspraxis eine dem Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung erleichtert wird. Auf Grund seiner jahrelangen richterlichen Tätigkeit ist er mit der Rechtswirklichkeit und den praktischen Schwierigkeiten der Rechtsanwendung bestens vertraut.“

V. Bilanz und Ausblick Ist die Kompromissbereitschaft, die in diesem letzten Zitat zum Ausdruck kommt, die Erklärung für den Einfluss der deutschen Rechtswissenschaft auf Gesetzgebung und Rechtsprechung? Theoretisieren ja, aber nur solange es praktisch verwertbar ist? Rückgriff auf außerjuristische Fragestellungen, ohne die Autonomie des Rechts in Frage zu stellen? Das Recht gestalten, dabei aber systemkonform bleiben? Die Praxis kritisieren, ohne den Dialog mit ihr abreißen zu lassen? Sicher, das alles ist wichtig und in dieser Kombination international einzigartig. Grundvoraussetzung und Ausgangspunkt ist aber der Vorsprung durch Technik, den die Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts aufgrund der in ihren Lebensbildern zum Ausdruck kommenden Ausbildungs-, Rekrutierungs- und Karrierestrategien erlangten und durch den sie bei der Lösung der besonderen rechtlichen Herausforderungen ihrer Epoche eine maßgebliche Rolle spielen konnten. Wird sich dieser Vorsprung auch im 21. Jahrhundert halten lassen? Mit der Europäisierung des Rechts geht eine Europäisierung der Rechtswissenschaft einher. Dabei treten unterschiedliche Wissenschaftsstile miteinander in Wettbewerb. Viele deutsche Juristen sähen gerne, dass sich ihr Ideal von Rechtswissenschaft durchsetzt. Diese Hoffnung ist vergebens. Die Erfahrung der Rechtsvergleichung zeigt: Ein Modell, das über Jahrhunderte gewachsen ist und das, wie dieser Beitrag zu zeigen versucht hat, in einem bestimmten gesellschaftlichen und institutionellen Kontext gute Dienste leistet, lässt sich nicht ohne weiteres in eine Rechtsordnung verpflanzen, die ganz andere Parameter aufweist. Den deutschen Zivilrechtslehrerinnen und -lehrern muss indes nicht bange sein. Sätze wie „Die Willenserklärung als Sozialakt ist eine Handlung, die sich als Manifestation eines auf Erzielung eines Rechtserfolgs gerichteten Willens darstellt“ (II 496) haben wohl keine Zukunft. An handwerklich sauber arbeitenden, kritischen, vorausschauenden, am geltenden Recht arbeitenden und praxisorientierten Rechtsgelehrten wird aber auch weiterhin Bedarf bestehen.

Personenregister * Abbe von Zeis, Ernst, Band 1: S. 134 Abs, Hermann Josef, Band 1: S. 34 Adenauer, Konrad, Band 1: S. 33, 34, 199; Band 2: S. 289 Aderhold, Lutz, Band 2: S. 156 Adomeit, Klaus, Band 2: S. 24, 25, 410, 478, 502 Adorno, Theodor W., Band 1: S. 163 Ahlmann, Wilhelm, Band 2: S. 271 f., 280 Aischylos, Band 2: S. 382 Akerlof, George, Band 2: S. 222 Albers, Elfriede, Band 1: S. 222 Albert, Hans, Band 2: S. 24 Alexy, Robert, Band 1: S. 125; Band 2: S. 27 Alpmann, Josef, Band 2: S. 149 Aristoteles, Band 1: S. 161; Band 2: S. 25, 379 Arndt, Adolf, Band 1: S. 48 Arndt, Karl, Band 1: S. 96 Assmann, Heinz-Dieter, Band 2: S. 235 Auf der Heyde, Jörg, Band 2: S. 157 Augustus, Band 1: S. 81 Austin, John Langshaw, Band 2: S. 265, 500 Bachmann, Werner, Band 2: S. 41 Bachof, Otto, Band 1: S. 227 Ballerstedt, Kurt, Band 1: S. 272; Band 2: S. 137, 149 Bar, Christian von, Band 2: S. 42, 44, 371 Baring, Arnulf, Band 1: S. 165 Bärmann, Johannes, Band 2: S. 100 f. Bartholomeyczik, Horst, Band 1: S. 265 Barz, Carl Hans, Band 2: S. 114 Basedow, Jürgen, Band 2: S. 55 Batiffol, Henri, Band 2: S. 3 Baum, Harald, Band 2: S. 231, 243 f., 258 *

Erstellt von Alexander Jüchser.

Baumbach, Adolf, Band 1: S. 136, 240, 249, 254; Band 2: S. 88 Baums, Theodor, Band 2: S. 359 Baur, Fritz, Band 1: S. 11, 13, 298, 385–398; Band 2: S. 387, 391, 397, 439, 477, 483, 487, 488, 504, 505 Beale, Joseph H., Band 1: S. 23 Beckenbauer, Franz, Band 2: S. 157 Becker, Michael, Band 2: S. 55 Beckerath, Erwin von, Band 1: S. 270 Beethoven, Ludwig van, Band 1: S. 113; Band 2: S. 98, 224 Behrens, Peter, Band 2: S. 55 Beitz, Berthold, Band 1: S. 290 Benda, Ernst, Band 1: S. 344 Benisch, Werner, Band 2: S. 359 Benz, Carl, Band 2: S. 389 Berg, Fritz, Band 1: S. 42 Berge, Irmgard van den, Band 1: S. 224, 231, 236 Berle, August, Band 1: S. 226; Band 2: S. 58 Berlin, Isaiah, Band 2: S. 499 Bettermann, Karl August, Band 2: S. 358 Betti, Emilio, Band 1: S. 65 Beuthien, Volker, Band 2: S. 346 Bieberstein, Wolfgang Freiherr Marschall von, Band 2: S. 226, 310 Biedenkopf, Kurt, Band 1: S. 9, 161, 188, 225; Band 2: S. 98, 484 Billmann, Ulla, Band 1: S. 241 Binder, Julius, Band 1: S. 144; Band 2: S. 264, 271, 287, 415 Bingen, Hildegard von, Band 1: S. 225 Bismarck, Otto von, Band 1: S. 157 Bitter, Georg, Band 2: S. 180, 183, 411, 445, 489, 500, 502 Blaurock, Uwe, Band 2: S. 310 Blomeyer, Arwed, Band 1: S. 96

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Personenregister

Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Band 2: S. 294 Böckler, Hans, Band 1: S. 152 Bohley, Bärbel, Band 2: S. 380 Böhm, Franz, Band 1: S. 6, 7, 8, 9, 12, 31–54, 188, 189, 191, 192, 195, 199, 203, 204, 225, 302; Band 2: S. 76, 253, 416 f., 458, 471, 476, 477, 478, 483, 484, 492, 505 Böhmer, Gustav, Band 1: S. 127 Böhmer, Werner, Band 1: S. 344 Bombiero-Kremenac´, Julius, Band 2: S. 189 Borchardt, Knut, Band 1: S. 224, 234 Börner, Bodo, Band 2: S. 359 Bosch, Friedrich Wilhelm, Band 1: S. 99 Bötticher, Eduard, Band 1: S. 373, 375, 378, 381; Band 2: S. 81 Brahms, Johannes, Band 2: S. 224 Brandeis, Louis Dembitz, Band 1: S. 229 Brandner, Hans Erich, Band 2: S. 140, 447 Braun, Gabriele, Band 2: S. 59 Braun, Johann, Band 1: S. 162 Brecher, Fritz, Band 1: S. 267 Broda, Christian, Band 2: S. 197 Brox, Hans, Band 1: S. 5, 11, 13, 307, 308, 341–353; Band 2: S. 442, 444, 484, 487, 490, 506 Bruckner, Anton, Band 1: S. 18; Band 2: S. 224 Brünneck, Wiltraut Rupp von, Band 1: S. 344 Brünning, Heinrich, Band 1: S. 140 Bruns, Josef, Band 1: S. 265 Bulla, Gustav-Adolf, Band 1: S. 158 Bürgers, Tobias, Band 2: S. 150 Burrows, Andrew, Band 2: S. 493 Busek, Erhard, Band 2: S. 190 Buxbaum, Richard, Band 1: S. 230; Band 2: S. 228, 243 Bydlinski, Franz, Band 1: S. 10, 107; Band 2: S. 19–29, 375, 414, 441, 452, 453, 454, 455, 458, 459, 462, 465, 479, 482, 487, 488, 491, 492, 494, 500, 503, 505

Caemmerer, Ernst von, Band 1: S. 36, 96; Band 2: S. 32 f., 34, 40, 309–321, 409, 462 ff., 484, 486, 489, 492, 496 Calabresi, Guido, Band 1: S. 9 Calvinos, Italo, Band 1: S. 180 Canaris, Claus-Wilhelm, Band 1: S. 10, 11, 107, 123, 161, 175, 246, 252; Band 2: S. 27, 48, 157, 240, 305, 365–385, 407 f., 413 ff., 417 ff., 441, 442, 452, 453, 454, 461, 462, 463, 465, 471, 478, 479, 483, 484, 485, 487, 491, 492, 496, 497, 498, 499, 502, 505 Canaris, Rena, Band 2: S. 384 Cappelletti, Mauro, Band 1: S. 64 Cardozo, Benjamin, Band 1: S. 123, 176, 229 Caspar, Matthias, Band 2: S. 144 Cavers, David F., Band 2: S. 11 Ceconi, Maria Antonia, Band 1: S. 31 Celan, Paul, Band 2: S. 289 Chamberlin, Edward, Band 2: S. 57 Churchill, Winston, Band 1: S. 243 Clark, Charles E., Band 1: S. 226 Clay, Lucius D., Band 2: S. 423 Clement, Wolfgang, Band 1: S. 335 Coase, Ronald, Band 2: S. 222 Coetzee, John Maxwell, Band 1: S. 180 Coing, Helmut, Band 1: S. 9, 10, 12, 57–70, 187 f., 192, 199, 226; Band 2: S. 442, 478, 479, 486, 488, 505 Conrad, Hermann, Band 1: S. 269, 356 Cooter, Robert D., Band 1: S. 232, 234 Cujas, Jacques, Band 1: S. 68 Currie, Brainerd, Band 2: S. 11 Curtius, Ernst Robert, Band 1: S. 64 Dahm, Georg, Band 2: S. 271 Daimler, Gottlieb, Band 2: S. 389 Dammann, Jens, Band 2: S. 390 Daube, David, Band 2: S. 481 Däubler, Wolfgang, Band 2: S. 444 Däubler-Gmelin, Herta, Band 2: S. 384 David, Carl-Heinz, Band 1: S. 307 David, Réné, Band 2: S. 226 de Josselin de Jong, Pieter E. (d. J.), Band 1: S. 231 de Maizière, Ulrich, Band 1: S. 58 Deppert, Katharina, Band 2: S. 402

Personenregister

Derridas, Jaques, Band 1: S. 119 Descartes, René, Band 1: S. 242 Deutsch, Erwin, Band 1: S. 219; Band 2: S. 482 Di Fabio, Udo, Band 1: S. 164 Diederichsen, Uwe, Band 1: S. 175; Band 2: S. 292 Dieterich, Thomas, Band 1: S. 156 Dietz, Rolf, Band 1: S. 142, 151, 168, 171; Band 2: S. 84 Dölle, Hans, Band 1: S. 92, 267, Band 2: S. 317 Dohnanyi, Klaus von, Band 1: S. 21 Dönhoff, Marion Gräfin, Band 1: S. 291 Doralt, Peter, Band 2: S. 185–218, 445, 470, 487, 492, 494 Döser, Wulf-H., Band 2: S. 402 Dreher, Meinrad, Band 1: S. 282 Dreier, Ralf, Band 2: S. 271 ff., 280, 290 Drexl, Josef, Band 1: S. 230 Drobnig, Ulrich, Band 2: S. 42, 55 Dubischar, Roland, Band 1: S. 107 Dürig, Günther, Band 1: S. 160, 227, 335, 392 Dworkin, Ronald, Band 1: S. 114, 175; Band 2: S. 381, 454 Ebbinghaus, Auguste Martha, Band 1: S. 134 Eckardt, Ulrich, Band 1: S. 243 Ehard, Hans, Band 2: S. 423 Ehrenberg, Victor, Band 1: S. 274 Ehrenzweig, Albert Armin, Band 2: S. 11 Eickmann, Dieter, Band 2: S. 150 Eisenberg, Rebecca, Band 1: S. 183 Ellger, Reinhard, Band 2: S. 55 Ellscheid, Robert, Band 2: S. 149 Emmerich, Volker, Band 2: S. 54 Engisch, Karl, Band 1: S. 107; Band 2: S. 25, 293, 498 Enneccerus, Ludwig, Band 1: S. 6, 150, 159, 163, 360; Band 2: S. 311 ff., 487 Erhard, Ludwig, Band 1: S. 43, 44, 154, 161, 201; Band 2: S. 53, 289 Erman, Walter, Band 1: S. 247, 350, 368; Band 2: S. 148, 149, 150 Ernst, Wolfgang, Band 2: S. 324 Eschenbach, Christoph, Band 2: S. 98

511

Esser, Josef, Band 1: S. 10, 11, 12, 13, 103–127, 227, 228; Band 2: S. 24, 303, 420, 441, 452 f., 464, 479, 484, 487, 489, 490, 496, 498, 503, 505 Eucken, Walter, Band 1: S. 32, 38, 189, 225; Band 2: S. 58, 416, 478 Falk, Peter, Band 2: S. 382 Fallada, Hans, Band 2: S. 374 Fechner, Erich, Band 2: S. 75 Fenn, Herbert, Band 2: S. 165 Ferid, Murad, Band 1: S. 223 Fettweis, Karola, Band 2: S. 355 Fezer, Karlheinz, Band 1: S. 242, 254 Fikentscher, Adrian, Band 1: S. 224 Fikentscher, Ellen, Band 1: S. 222 Fikentscher, Erich, Band 1: S. 222 Fikentscher, Wolfgang, Band 1: S. 10, 11, 12, 221–236; Band 2: S. 225 f., 435, 441, 475, 477, 479, 484, 485, 487, 488, 489, 505 Fischer, Josef, Band 1: S. 18 Fischer, Otto, Band 1: S. 373 Fischer, Robert, Band 2: S. 81, 114, 133, 152 Flechtheim, Julius, Band 1: S. 288 Fleischer, Holger, Band 2: S. 225, 480, 487, 488, 489, 497, 499 Flick, Friedrich, Band 2: S. 149 Flick, Otto Ernst, Band 2: S. 149 Flume, Werner, Band 1: S. 12, 160, 246; Band 2: S. 12, 23, 135, 163, 171, 266 f., 323–336, 412 f., 422 f., 442, 445, 446, 452, 453, 455, 457, 461, 463, 466, 467, 475, 476, 479, 483, 484, 486, 487, 489, 491, 492, 505 Fraenkel, Eduard, Band 1: S. 75 Frank, Hans, Band 1: S. 37, 151 Frank, Jerome, Band 1: S. 226, 229 Frankenstein, Ernst, Band 1: S. 23 Freytag, Gustav, Band 1: S. 261 Friedrich Wilhelm III, Band 2: S. 287, 421 Friesenhahn, Ernst, Band 1: S. 152 Frommel, Monika, Band 2: S. 419 Fuchs, Maximilian, Band 2: S. 346 Furtwängler, Wilhelm, Band 1: S. 145, 146, 150

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Personenregister

Gadamer, Hans-Georg, Band 1: S. 117, 123, 182; Band 2: S. 305, 453 Gaius, Band 1: S. 180 Gamillscheg, Franz, Band 1: S. 163; Band 2: S. 444, 489 Gans, Eduard, Band 1: S. 162 Ganskes, Joachim, Band 2: S. 114 Gardner, Earl Stanley, Band 1: S. 5 Geiler, Karl, Band 1: S. 33 Genzmer, Erich, Band 1: S. 58 Gerhardt, Walter, Band 1: S. 272 Gernhuber, Joachim, Band 1: S. 11, 13, 228, 355–370; Band 2: S. 150, 223, 439, 478, 487 Gessler, Ernst, Band 1: S. 243, 249 Gierke, Julius von, Band 1: S. 310 Gierke, Otto von, Band 1: S. 77, 263, 310; Band 2: S. 135, 375 Gilmore, Grant, Band 1: S. 24 Gitter, Wolfgang, Band 1: S. 361 Globke, Hans, Band 2: S. 289 Glockner, Hermann, Band 2: S. 272 Gmür, Rudolf, Band 1: S. 225, 307 Goerdeler, Carl F., Band 1: S. 41; Band 2: S. 476 Goethe, Johann Wolfgang von, Band 1: S. 24, 213; Band 2: S. 373 Goldschmidt, Nils, Band 2: S. 162 Göppert, Heinrich, Band 1: S. 267, 271 Grabitz, Eberhard, Band 2: S. 400 Graefe, Albrecht von, Band 1: S. 262 Greenes, Graham, Band 2: S. 186 Greiffenberg, Horst, Band 2: S. 59 Grillparzer, Franz, Band 2: S. 186, 194 Gröner, Helmut, Band 2: S. 59 Großfeld, Bernhard, Band 1: S. 308; Band 2: S. 226, 489 Großmann-Doerth, Hans, Band 2: S. 310, 416 f. Gründgens, Gustav, Band 1: S. 150 Grundmann, Stefan, Band 2: S. 230, 258, 488, 491 Grunewald, Barbara, Band 1: S. 355; Band 2: S. 156 Grunsky, Wolfgang, Band 2: S. 388 Guardini, Romano, Band 2: S. 223 Günther, Eberhard, Band 1: S. 199

Gursky, Karl Heinz, Band 2: S. 150 Gürtner, Franz, Band 1: S. 25, 144 Haar, Brigitte, Band 2: S. 55, 59, 231, 258 Häberle, Peter, Band 1: S. 125 Habermas, Jürgen, Band 1: S. 124, 125, 164, 177 f.; Band 2: S. 305, 457 Habersack, Mathias, Band 2: S. 360 f., 411, 485, 489, 502, 504, 506 Hachenburg, Max, Band 2: S. 130, 137, 145 Hadding, Walther, Band 2: S. 240 Hager, Günter, Band 2: S. 409 Hahne, Peter, Band 1: S. 164 Hallstein, Walter, Band 1: S. 8, 9, 33, 191, 199, 225, 226, 271, 356; Band 2: S. 100, 310, 408, 478 Hambuger, Ludwig, Band 1: S. 226 f., 228 Hamilton, Alexander, Band 1: S. 172 Hanau, Hans, Band 2: S. 91, 139, 444 Hand, Learned, Band 1: S. 229 Harlan, Veit, Band 2: S. 369 Hart, Herbert Lionel Adolphus, Band 1: S. 114 Hartmann, Nicolai, Band 1: S. 61; Band 2: S. 299 Happ, Wilhelm, Band 2: S. 156 Haubrich, Band 1: S. 152 Haupt, Günter, Band 1: S. 137 Hausdörfer, Katharina, Band 1: S. 265 Hausmann, Helmut, Band 1: S. 197 Haydn, Joseph, Band 1: S. 395 Hayek, Friedrich August von, Band 1: S. 38, 280; Band 2: S. 66, 472 Heck, Philipp, Band 1: S. 6, 9, 107, 119, 123, 124, 127, 175, 207 f., 209, 210, 211, 213, 214, 215, 218, 276, 328, 329, 331, 332, 333, 334, 347, 390; Band 2: S. 285, 324, 442 Heckschen, Heribert, Band 2: S. 156 Hedemann, Justus Wilhelm, Band 1: S. 120, 150, 151, 153, 270 Hedinger, Lily, Band 1: S. 207, 218 Hefermehl, Wolfgang, Band 1: S. 12, 239–259, 307; Band 2: S. 128, 131, 133, 423 ff., 447, 475, 476 f., 484, 486, 487, 488, 490, 491, 492, 494, 496, 504, 506

Personenregister

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Band 1: S. 109, 161, 162, 175; Band 2: S. 12, 264 f., 268 f., 272, 279, 287, 291, 295 f., 305, 307, 419, 454 Heil, Henning, Band 2: S. 144 Heimpel, Erika, Band 2: S. 356 Hein, Jan v., Band 2: S. 231, 258 Heine, Heinrich, Band 1: S. 132 Heinemann, Andreas, Band 1: S. 230 Heinemann, Gustav, Band 1: S. 152, 290 Heinsheimer, Karl, Band 1: S. 208 Hellwig, Konrad, Band 1: S. 378, 379, 381, 382 Henkel, Konrad, Band 1: S. 187 Hensen, Horst-Diether, Band 2: S. 140, 447 Hergenröder, Curt W., Band 2: S. 80 Hermann, Elke, Band 1: S. 160 Hermeling, Band 2: S. 362 Herschel, Wilhelm, Band 1: S. 171; Band 2: S. 373 Heusinger, Bruno, Band 1: S. 290 Heymann, Ernst, Band 1: S. 91 Hilf, Meinhard, Band 2: S. 400 Hindenburg, Paul von, Band 1: S. 140 Hippel, Ernst von, Band 1: S. 152 Hippel, Fritz von, Band 1: S. 104 Hippel, Thomas von, Band 2: S. 231, 258 Hirschman, Albert Otto, Band 2: S. 65 Hirte, Heribert, Band 2: S. 361 Hitler, Adolf, Band 1: S. 25, 139, 140, 141, 144; Band 2: S. 287, 421, 422 Hobbes, Thomas, Band 1: S. 40, 161 Hoeninger, Heinrich, Band 1: S. 32 Hoffmann, Werner, Band 2: S. 192 Hofmannsthal, Hugo von, Band 1: S. 132 Hölder, Eduard, Band 1: S. 374 Hollstein, Thorsten, Band 1: S. 149, 159 Holmes, Oliver Wendell, Band 1: S. 226, 229, 233 Hommelhoff, Peter, Band 2: S. 225, 256, 410, 426, 470, 489, 500, 502, 506 Honsell, Heinrich, Band 2: S. 375 Hoppmann, Erich, Band 2: S. 59 Hopt, Klaus J., Band 1: S. 12, 173; Band 2: S. 55, 221–259, 440, 445, 449, 465, 468 f., 471, 478, 480, 484, 490, 491, 492, 505

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Hopt, Maria, Band 2: S. 221 Hopt, Theo, Band 2: S. 221 Hopt-Nguyen, Nhu Dung, Band 2: S. 222, 224, 258 Horn, Norbert, Band 2: S. 395 Hruschka, Joachim, Band 2: S. 366 Huber, Ernst Rudolf, Band 2: S. 271 f., 355 Huber, Eugen, Band 1: S. 264 Huber, Ulrich, Band 1: S. 189, 190, 361; Band 2: S. 45, 48, 134, 165, 355–362, 452, 455, 461 f., 463, 475, 480, 488, 489, 491, 492 Huber-Simons, Tula, Band 2: S. 355, 361 Huch, Ricarda, Band 1: S. 31, 33 Hueck, Alfred, Band 1: S. 9, 12, 131–147, 150, 151, 154, 158, 168, 171, 178, 223, 224, 225, 240, 246; Band 2: S. 74, 84, 88, 168, 276, 417 f., 440, 444, 445, 467, 469, 476, 477, 478, 479, 480, 484, 487, 488, 490, 492, 502 Hueck, Eugenie, Band 1: S. 133 Hueck, Götz, Band 2: S. 83 Humboldt, Wilhelm, Band 2: S. 305 Hume, David, Band 1: S. 38, 229 Husserl, Gerhart, Band 2: S. 281 f., 476 Ihrig, Hans-Christoph, Band 2: S. 144 Immenga, Ulrich, Band 2: S. 54 Immermann, Karl Lebrecht, Band 1: S. 132 Isay, Rudolf, Band 1: S. 271 Jabloner, Clemens, Band 2: S. 20 Jacobi, Ernst, Band 1: S. 133 Jaeger, Ernst, Band 1: S. 375, 377 Jäger, Lorenz, Band 1: S. 342 Jakobs, Horst Heinrich, Band 2: S. 275, 277, 327 Jaspers, Karl, Band 1: S. 229, 288 Jauernig, Othmar, Band 1: S. 256 Jessen, Jens Peter, Band 2: S. 271 f. Jhering, Rudolf von, Band 1: S. 9, 23, 77, 229, 235, 246, 328, 331; Band 2: S. 370, 377, 502 Jones, Gareth, Band 2: S. 40

514

Personenregister

Juenger, Friedrich, Band 2: S. 11 Justinian, Band 1: S. 79, 80, 165 Kahn-Freund, Otto, Band 2: S. 481 Kalss, Susanne, Band 2: S. 193, 409, 480 Kann, Richard, Band 1: S. 377 Kant, Immanuel, Band 1: S. 161, 229; Band 2: S. 65, 267 f., 295, 381 f., 415, 454 Kapp, Wolfgang, Band 1: S. 139 Karampazos, Antonius, Band 2: S. 156 Karas, Anton, Band 2: S. 186 Käser, Jörg, Band 1: S. 21 Kaser, Max, Band 1: S. 10, 225; Band 2: S. 340 Kaskel, Walter, Band 1: S. 288 Kastner, Walther, Band 2: S. 187 f., 189, 197, 200 Kaufmann, Arthur, Band 2: S: 268 f. Kaufmann, Erich, Band 1: S. 223, 288 Kauper, Paul, Band 1: S. 224 Kegel, Gerhard, Band 1: S. 7, 91, 152; Band 2: S. 3–17, 148, 253, 408, 464 f., 480, 482, 484, 486, 487, 488 f., 492, 496, 499, 500, 503 Keller, Gottfried, Band 1: S. 35, 236 Kelsen, Hans, Band 1: S. 151, 162; Band 2: S. 24, 453, 476 Kern, Eduard, Band 2: S. 397 Kessler, Friedrich, Band 1: S. 24, 96, 216, 288; Band 2: S. 476 Kindermann, Reinhard, Band 2: S. 157 Kipling, Rudyard, Band 1: S. 217 Kipp, Theodor, Band 1: S. 70, 150, 284, 288 Kitagawa, Zentaro, Band 2: S. 376 Klein, Franz, Band 2: S. 197, 199 Knetsch, Hildegard, Band 1: S. 59 Knieps, Günter, Band 2: S. 59 Knobbe-Keuk, Brigitte, Band 2: S. 327 Knopp, Werner, Band 1: S. 242, 254 Knorr, Henning, Band 2: S. 59 Knust, Ida-Maria, Band 1: S. 353 Koch, Eckart, Band 2: S. 55 Koch, Hans-Joachim, Band 2: S. 27 Koenigs, Irmgard, Band 1: S. 91

Kohler, Josef, Band 1: S. 25, 263 Kolb, Richard, Band 1: S. 33 Kolle, Gert, Band 1: S. 217 Köndgen, Johannes, Band 2: S. 371, 420, 489, 498, 503 König, Detlef, Band 2: S. 44, 310 Koppensteiner, Hans-Georg, Band 1: S. 242 Körber, Torsten, Band 2: S. 150 Kötz, Hein, Band 1: S. 93; Band 2: S. 376 Koziol, Helmut, Band 2: S. 21, 22 Kraakman, Reinier H., Band 2: S. 244 Kraft, Julius, Band 1: S. 104 Kramer, Ernst A., Band 1: S. 333; Band 2: S. 442 Kraus, Karl, Band 2: S. 185 Krejci, Heinz, Band 2: S. 91 Krelle, Wilhelm, Band 1: S. 272 Kreuzer, Karl F., Band 1: S. 310 Krieger, Gerd, Band 2: S. 105 Kroner, Richard, Band 2: S. 272 Kronstein, Heinrich, Band 1: S. 8, 9, 12, 187–205, 225, 226, 227, 228, 230; Band 2: S. 99, 471, 476, 478, 484, 492 Kropff, Bruno, Band 1: S. 243 Krull, Band 2: S. 147 Kruse, Jörn, Band 2: S. 59, 134 Kübler, Friedrich, Band 1: S. 361; Band 2: S. 235 Kulms, Rainer, Band 2: S. 55 Kunkel, Wolfgang, Band 1: S. 10, 58, 81; Band 2: S. 326 Lambert, Band 1: S. 93 Lange, Hermann, Band 1: S. 361 Larenz, Karl, Band 1: S. 10, 11, 107, 109, 127, 145, 175, 246; Band 2: S. 12, 27, 263–307, 366, 383, 396, 407 f., 412 f., 417 ff., 441, 442, 452, 454, 459, 460, 461, 462, 476, 479, 484, 485, 487, 488, 490, 496, 497, 498, 499, 505 Lautmanns, Rüdiger, Band 1: S. 118 Leber, Georg, Band 1: S. 162 Leenen, Detlef, Band 2: S. 366 Lehmann, Heinrich, Band 1: S. 150, 151, 152, 160, 240, 250, 360; Band 2: S. 311 ff.

Personenregister

Leipold, Dieter, Band 1: S. 395 Lenel, Otto, Band 1: S. 76, 81 Lent, Friedrich, Band 1: S. 136, 223, 377 f. Leser, Hans G., Band 2: S. 310 Levi, Ernst, Band 1: S. 288 Levi-Strauss, Claude, Band 2: S. 198 Leyser, Wilhelm, Band 1: S. 68 Lieb, Manfred, Band 2: S. 91 Limbach, Jutta, Band 1: S. 277 Lindacher, Walter F., Band 2: S. 395 Lipstein, Kurt, Band 2: S. 481 Liszt, Franz von, Band 1: S. 263 Llewellyn, Karl N., Band 1: S. 123, 226, 229 Löbbe, Marc, Band 2: S. 144 Lobinger, Thomas, Band 2: S. 411, 412 f., 422, 475, 489, 505 Locke, John, Band 1: S. 50 Lorenz, Stefan, Band 2: S. 353 Lorenz, Werner, Band 1: S. 219 Loritz, Karl-Georg, Band 2: S. 80 Löwisch, Manfred, Band 2: S. 48, 444 Lüderitz, Alexander, Band 2: S. 6, 388 Lüer, Hans Jochem, Band 2: S. 13 Luhmann, Niklas, Band 1: S. 115, 125, 127; Band 2: S. 54, 442, 505 Lüke, Gerhard, Band 1: S. 36 Lüth, Erich, Band 2: S. 368 f. Lutter, Marcus, Band 1: S. 12, 173, 335; Band 2: S. 84, 97–125, 183, 194, 224 f., 360, 411, 445, 449, 466, 468, 469, 470, 475, 478, 480, 481, 484, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 494, 500, 502, 506 Lutter, Rebbecca, Band 2: S. 101 Maduro, Poiares, Band 2: S. 215 Mager, Ernst-Günther, Band 2: S. 83 Mannheim, Karl, Band 1: S. 104, 116 Marly, Jochen, Band 2: S. 390 Martinek, Michael, Band 1: S. 160, 361 Marx, Karl, Band 1: S. 38, 40, 50, 52, 157 Masuch, Andreas, Band 2: S. 144 Mayer, Heinz, Band 2: S. 20 Mayer, Otto, Band 2: 497 Mayer-Maly, Theo, Band 1: S. 150

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McKnight, Lee, Band 2: S. 59 Means, Gardinger Coit, Band 2: S. 58 Medicus, Dieter, Band 1: S. 11, 12, 13, 228, 358, 359; Band 2: S. 28, 339–353, 408, 411, 415, 452, 454, 457, 458, 460, 461, 475, 479, 480, 483, 487, 488, 492, 496, 497, 505 Mehren, Arthur von, Band 1: S. 97 Meier, Georg, Band 1: S. 288 Mendelssohn Bartholdy, Felix, Band 2: S. 73 Menuhin, Yehudi, Band 1: S. 146 Fn. 9 Merkt, Hanno, Band 2: S. 231, 241, 258 Mertens, Hans-Joachim, Band 1: S. 172 Mestmäcker, Ernst-Joachim, Band 1: S. 7, 9, 12, 36, 189, 192, 199, 225; Band 2: S. 53–69, 149, 151, 231, 253, 416, 435, 458, 470, 471 f., 475, 484, 488, 489, 492, 505 Meyer, Otto, Band 1: S. 181 Mezger, Edmund, Band 1: S. 223 Michalek, Nikolaus, Band 2: S. 197 Michalski, Lutz, Band 2: S. 155 Micheler, Eva, Band 2: S. 193 Miegel, Meinhard, Band 1: S. 188, 189 Mitteis, Ludwig, Band 1: S. 18, 20, 79; Band 2: S. 485 Mitterand, Francois, Band 1: S. 183 Mohnen, Heinz, Band 1: S. 154 Möhring, Philipp, Band 1: S. 241, 243, 256, 261, 423, 477 Molitor, Erich, Band 2: S. 46 Möller, Hans, Band 1: S. 37 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de, Band 1: S. 160 Möschel, Wernhard, Band 2: S. 54 Möslein, Florian, Band 2: S. 259 Mosler, Hermann, Band 1: S. 199; Band 2: S. 128 Mozart, Wolfgang Amadeus, Band 2: S. 224 Mülbert, Peter, Band 2: S. 230, 240, 258 Müller, Gebhard, Band 1: S. 344, 387, 388 Müller, Horst, Band 2: S. 32, 99 Müller, Jürgen, Band 2: S. 59

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Personenregister

Münchhausen, Karl Friedrich Hieronymus von, Band 1: S. 114 Mutter, Stefan, Band 2: S. 156 Napoleon, Band 2: S. 287 Nell-Breuning, Oswald von, Band 1: S. 37; Band 2: S. 478 Netzer, Günter, Band 2: S. 157 Neu, Werner, Band 2: S. 59 Neumann, Dirk, Band 1: S. 154 Neumann, Franz L., Band 1: S. 154 Neumann, Fritz, Band 1: S. 37 Neumann, Karl-Heinz, Band 2: S. 59 Niboyet, Jean P., Band 1: S. 23 Nicholas, Barry, Band 2: S. 486 Nickisch, Arthur, Band 1: S. 135, 154 Niedermeyer, Hans, Band 2: S. 328 Niedermeyer, Hermann, Band 1: S. 80 Nietzsche, Friedrich, Band 1: S. 119 Nipperdey, Hans Carl, Band 1: S. 9, 12, 39, 135, 142, 146, 149–165, 171, 240, 241; Band 2: S. 74, 310, 410, 442, 444, 469, 476, 477, 478, 479, 484, 487, 488, 489, 490, 496, 502, 503 Nipperdey, Thomas, Band 1: S. 150 Nitschke, Manfred, Band 1: S. 307 Noack, Ulrich, Band 1: S. 168; Band 2: S. 410, 446, 480, 482, 489, 503 Noelle-Neumann, Elisabeth, Band 1: S. 203 Nordemann, Wilhelm, Band 1: S. 217 Nörr, Knut Wolfgang, Band 1: S. 45, 361 Nowotny, Christian, Band 2: S. 193, 206 Oetker, Hartmut, Band 1: S. 149 Ogorek, Regina, Band 2: S. 25 Olshausen, Eberhard von, Band 2: S. 327 Oppenheim, Saul Chesterfield, Band 1: S. 224 Orwell, George, Band 2: S. 88 Ovesny-Straka, Regina, Band 2: S. 192 Paefgen, Walter G., Band 2: S. 155 Papier, Hans-Jürgen, Band 2: S. 149 Patzschke, Martha, Band 1: S. 271 Paulus, Gotthard, Band 2: S. 32 Pentz, Andreas, Band 2: S. 144

Pestalozzi, Johann Heinrich, Band 1: S. 35, 40 Peter, Hedwig, Band 1: S. 374 Petersen, Jens, Band 2: S. 352 Pfeiffer, Thomas, Band 2: S. 390, 395 Picasso, Pablo, Band 2: S. 179 Picker, Eduard, Band 2: S. 327, 371 Picot, Gerhard, Band 2: S. 173 Pistor, Katharina, Band 2: S. 233, 258 Platon, Band 1: S. 161; Band 2: S. 295, 298, 305 Pleyer, Clemens, Band 2: S. 228 Plum, Maria, Band 2: S. 355 f. Pöggeler, Wolfgang, Band 1: S. 361 Pöhl, Karl Otto, Band 1: S. 197 Popper, Karl, Band 2: S. 269, 296, 299, 372, 381, 454 Posner, Richard, Band 1: S. 9; Band 2: S. 66, 436, 456, 472 Pospísˇil, Leopold, Band 1: S. 231 Potthoff, Heinz, Band 1: S. 142 Pound, Roscoe, Band 1: S. 123, 229 Preis, Ulrich, Band 1: S. 149 Priester, Hans Joachim, Band 2: S. 183 Pringsheim, Fritz, Band 1: S. 75, 76, 79, 86; Band 2: S. 481 Prosser, William, Band 2: S. 5 Pufendorf, Samuel, Band 2: S. 414 Putzo, Hans, Band 1: S. 164 Quassowski, Leo, Band 1: S. 240, 427 Raape, Leo, Band 2: S. 17 Rabel, Ernst, Band 1: S. 6, 7, 8, 12, 17–28, 90, 96, 127, 173, 209, 210, 215, 216, 288; Band 2: S. 3, 4, 10, 15, 16, 17, 28, 33, 38, 309, 311, 318, 408, 416, 461, 463 f., 475, 476, 481, 482, 484, 486, 487, 488, 489, 492, 499, 505 Radbruch, Gustav, Band 1: S. 100; Band 2: S. 268 f., 479 Raisch, Peter, Band 2: S. 163, 181, 182, 411, 465 Raiser, Konrad, Band 1: S. 96 Raiser, Ludwig, Band 1: S. 6, 8, 11, 12, 13, 127, 227, 277, 278, 287–303, 390, 392; Band 2: S. 90, 107, 387, 460, 476, 477, 486, 488, 491

Personenregister

Ramm, Thilo, Band 1: S. 158; Band 2: S. 377, 407, 411, 416 Rau, Johannes, Band 1: S. 162 Rauch, Karl, Band 1: S. 267, 268 Rawls, John, Band 1: S. 126 Rebmann, Kurt, Band 2: S. 153 Rehbinder, Eckard, Band 2: S. 155 Rehfeldt, Bernhard, Band 2: S. 90 Rehme, Paul, Band 1: S. 264 Reich, Norbert, Band 1: S. 162 Reichert, Jochem, Band 2: S. 144 Reimer, Eduard, Band 1: S. 209 Reinicke, Dietrich, Band 1: S. 347; Band 2: S. 442 Reinicke, Gerhard, Band 2: S. 442 Renner, Viktor, Band 1: S. 387, 388 Reuter, Dieter, Band 1: S. 361; Band 2: S. 55, 151, 152, 466 Rheinstein, Max, Band 1: S. 17, 96, 288; Band 2: S. 33, 228 f., 476 Richardi, Reinhard, Band 1: S. 171; Band 2: S. 83, 331, 444 Rid, Max, Band 2: S. 173 Rieble, Volker, Band 1: S. 149 Riesenfeld, Stefan, Band 1: S. 171, 265, 268, 271; Band 2: S. 476 Riesenhuber, Karl, Band 2: S. 258, 412 Riezler, Erwin, Band 1: S. 103, 116 Rilke, Rainer Maria, Band 1: S. 132; Band 2: S. 290 Ritterbusch, Paul, Band 2: S. 421 Rittner, Fritz, Band 1: S. 268, 282; Band 2: S. 478, 483, 489, 494, 498, 500 Röhm, Ernst, Band 1. S. 141 Rosenberg, Leo, Band 1: S. 11, 13, 373–383; Band 2: S. 476, 480, 487, 490, 491, 498, 506 Roth, Herbert, Band 2: S. 346, 408, 411, 415, 480, 483, 497, 505 Roth, Markus, Band 2: S. 231, 242, 247, 258 Rothfels, Hans, Band 2: S. 223 Rothoeft, Dietrich, Band 1: S. 108 Rottmann, Band 1: S. 168 Rousseau, Jean-Jacques, Band 1: S. 161, 501 Rückert, Joachim, Band 1: S. 159 Rudden, Bernard, Band 2: S. 486

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Rummel, Peter, Band 2: S. 492, 500, 503 Rupp, Hans, Band 1: S. 91; Band 2: S. 12 Rüßmann, Helmut, Band 2: S. 27 Rüthers, Bernd, Band 1: S. 125, 160, 308, 312, 314, 331, 348, 349; Band 2: S. 134, 275, 277 f., 283, 285, 293 f., 301 f., 438, 441, 444, 477 Sachsen, Moritz von, Band 1: S. 240 Sanders, Pieter, Band 2: S. 123 Sasse, Christoph, Band 2: S. 226 Sauermann, Helmut, Band 1: S. 37 Savigny, Friedrich Carl von, Band 1: S. 20, 23, 69, 119, 124, 145, 229, 274, 329; Band 2: S. 266, 362, 454, 455 Schäfer, Carsten, Band 2: S. 137, 144, 447 Schäfer, Franz, Band 1: S. 288 Schapp, Jan, Band 1: S. 307, 315, 332, 333 Schauer, Martin, Band 2: S. 193 Scheler, Max, Band 1: S. 61, 114 Schelsky, Helmut, Band 2: S. 226, 288 Scheuner, Ulrich, Band 1: S. 154 Scheying, Robert, Band 1: S. 361 Schiedermair, Gerhard, Band 2: S. 388 Schiemann, Gottfried, Band 1: S. 361; Band 2: S. 346 Schilken, Eberhard, Band 1: S. 395 Schiller, Friedrich, Band 1: S. 35; Band 2: S. 98 Schiller, Karl, Band 2: S. 53 Schilling, Wolfgang, Band 2: S. 131, 143 Schilt, Paula, Band 1: S. 305 Schima, Hans, Band 2: S. 187 Schlechtriem, Peter, Band 2: S. 31–49, 310, 409, 410, 464, 480, 482, 483, 484, 485 f., 487, 489, 491, 492, 494, 496, 505 Schlegelberger, Franz, Band 1: S. 144, 241, 243, 245, 249, 250; Band 2: S. 426 f., 477 Schleicher, Kurt Ferdinand Friederich Hermann von, Band 1: S. 141 Schlüter, Wilfried, Band 2: S. 490, 506 Schmid, Carlo, Band 1: S. 387 Schmidt, Eberhard, Band 1: S. 216

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Personenregister

Schmidt, Eike, Band 1: S. 108, 110 Schmidt, Harry, Band 2: S. 144 Schmidt, Karsten, Band 1: S. 246; Band 2: S. 122, 141, 161–183, 411, 445 f., 447, 465, 467, 470, 487, 488, 489, 491, 492, 500, 502 Schmidt, Marek, Band 2: S. 55 Schmidt, Richard, Band 1: S. 375, 378 Schmidt, Rudolf, Band 1: S. 152 Schmidt-Kessel, Martin, Band 2: S. 409, 410, 482 Schmidt-Ott, Band 1: S. 79 Schmidt-Rimpler, Hermann, Band 1: S. 262 Schmidt-Rimpler, Walter, Band 1: S. 9, 12, 13, 261–284; Band 2: S. 394, 460, 476, 477, 478, 483, 489, 490, 494, 498, 500, 503, 505 Schmidt-Syaßen, Inga, Band 2: S. 182 Schmitt, Carl, Band 1: S. 35, 37, 40, 140, 144, 151 Schmitthoff, Clive Macmillian (Maximilian Schmitthoff), Band 2: S. 481 Schmölder, Günter, Band 1: S. 281 Schmoller, Gustav, Band 1: S. 38 Schneider, Erich, Band 2: S. 63 Schneider, Hans, Band 2: S. 357 Schneiderhahn, Wolfgang, Band 1: S. 168 Scholl, Hans, Band 2: S. 288 Scholl, Sophie, Band 2: S. 287, 288 Schollmeyer, Friedrich, Band 1: S. 374 Scholz, Franz, Band 2: S. 150 Schön, Wolfgang, Band 2: S. 183 Schönke, Adolf, Band 1: S. 377 Schreuer, Hans, Band 1: S. 266 Schröder, Hort, Band 1: S. 227 Schuhmacher, Kurt, Band 1: S. 152 Schulte, Hans, Band 2: S. 419, 506 Schulz, Fritz, Band 1: S. 80; Band 2: S. 325, 326, 333, 476, 481 Schurig, Klaus, Band 2: S. 480, 492, 500, 502 Schwab, Karl Heinz, Band 1: S. 391; Band 2: S. 490, 506 Schwabe, Jürgen, Band 2: S. 377 Schwark, Eberhard, Band 2: S. 235, 413 Schwarz, Andreas Bartelan, Band 1: S. 75

Schweitzer, Heike, Band 2: S. 54 Schwenzer, Ingeborg, Band 2: S. 40, 41 Schwerin, Claudius von, Band 1: S. 75 Schwind, Fritz, Band 2: S. 228 Searle, John, Band 2: S. 265 Seiter, Hugo, Band 2: S. 81, 91 Serick, Rolf, Band 2: S. 356, 357, 376 f., 489 Seuffert, Lothar, Band 1: S. 373 Sherman, John, Band 1: S. 195 Siebert, Wolfgang, Band 1: S. 240 Sieber-Wilke, Ruth, Band 1: S. 132 Sieg, Karl, Band 2: S. 358 Simitis, Spiros, Band 2: S. 89 Simon, Dieter, Band 2: S. 25 Simon, Helmut, Band 1: S. 344 Singer, Reinhard, Band 2: S. 413, 415, 483, 502 Sinzheimer, Hugo, Band 1: S. 37, 142, 155; Band 2: S. 416 Smend, Rudolf, Band 1: S. 288, 289, 297 Smith, Adam, Band 1: S. 38, 52, 157, 280; Band 2: S. 56, 58, 63 Soergel, Hans Theodor, Band 1: S. 247, 248; Band 2: S. 6, 359 Sölle, Dorothee, Band 1: S. 150 Sombart, Werner, Band 1: S. 38 Sophokles, Band 2: S. 287 Späth, Lothar, Band 2: S. 94 Spinozas, Baruch, Band 1: S. 329 Staff, A. von, Band 1: S. 377 Stammler, Rudolf, Band 1: S. 263, 264, 273; Band 2: S. 264 Staub, Hermann, Band 1: S. 6, 246; Band 2: S. 129 ff. Steffek, Felix, Band 2: S. 144 Stein, Friedrich, Band 1: S. 379, 381; Band 2: S. 397 Steindorff, Ernst, Band 1: S. 225; Band 2: S. 11, 223, 224, 228, 252 Steinitzer, Erwin, Band 2: S. 58 Stifter, Adalbert, Band 2: S. 319 Stigler, Georg, Band 2: S. 57 Stillfried, Georg, Band 2: S. 192 Stimpel, Walter, Band 2: S. 94, 111, 131, 143 Stracca, Benvenuto, Band 2: S. 170

Personenregister

Strasser, Gregor, Band 1: S. 141 Strauss, Richard, Band 1: S. 145 Struck, Gerhard, Band 1: S. 108 Stumpf, Hermann, Band 1: S. 153 Stürner, Rolf, Band 2: S. 483, 505 Stutz, Ulrich, Band 1: S. 268 Taschner, Hans Claudius, Band 2: S. 310 Tegge, Andreas, Band 2: S. 59 Teubner, Gunther, Band 2: S. 229 Thomasius, Christian, Band 1: S. 263 Tieves, Johannes, Band 2: S. 144 Tillich, Paul, Band 1: S. 104 Tilmann, Wilfried, Band 1: S. 242 Titze, Heinrich, Band 1: S. 288 Toebelmann, Klaus, Band 2: S. 327 Tries, Hermann-Josef, Band 2: S. 144 Tuhr, Andreas von, Band 2: S. 267 Uhlenbruck, Wilhelm, Band 2: S. 175 Ulen, Thomas, Band 1: S. 179 Ulmer, Elisabeth, geb. Linser, Band 2: S. 128 Ulmer, Eugen, Band 1: S. 9, 12, 97, 207–219, 223, 240; Band 2: S. 128, 147, 445, 477, 478, 480, 486, 488 Ulmer, Jorinde (geb. Heygster), Band 2: S. 145 Ulmer, Peter, Band 1: S. 242; Band 2: S. 91, 122, 127–145, 147, 171, 183, 411, 423 ff., 445, 446 f., 449, 459, 466, 467, 468, 469, 478, 484, 485, 487, 488, 489, 490, 491, 494, 502, 504, 506 Ulmer, Richard, Band 1: S. 207, 213 Ulpian, Band 2: S. 503 van Ruisdael, Jacob Isaacksz, Band 2: S. 149 Veelken, Winfried, Band 2: S. 54 Viehweg, Theodor, Band 1: S. 107, 123 Vinnius, Arnold, Band 1: S. 68 Wach, Adolf, Band 1: S. 378, 379, 382 Wacke, Andreas, Band 2: S. 346 Wahl, Eduard, Band 1: S. 17, 96 Walker, Wolf-Dietrich, Band 1: S. 348, 351 Weber, Friedrich, Band 1: S. 175

519

Weber, Harald, Band 2: S. 152 Weber, Max, Band 1: S. 10, 157, 184, 296; Band 2: S. 307 Weber, Werner, Band 1: S. 270 Weizsäcker, Carl Christian von, Band 2: S. 59 Wellenhofer, Marina, Band 2: S. 230, 258 Welzel, Hans, Band 1: S. 154 Wengler, Wilhelm, Band 1: S. 99; Band 2: S. 17 Werner, Karl, Band 2: S. 358 Wessels, Johannes, Band 1: S. 347 Westermann, Harm-Peter, Band 1: S. 164, 308; Band 2: S. 95, 147–159, 445, 466, 475, 480, 487, 488, 491, 494 Westermann, Harry, Band 1: S. 11, 13, 229, 241, 305–338, 343, 346, 347, 390; Band 2: S. 147 f., 419, 441, 477, 478, 479, 484, 487, 506 Westermann, Pauline, (geb. Schildt), Band 2: S. 148 Weyers, Hans-Leo, Band 1: S. 108, 110 Weyersberg, Band 1: S. 226 Weyhenmeyer, Stefan, Band 2: S. 59 Wieacker, Franz, Band 1: S. 10, 12, 67, 73–86; Band 2: S. 302 f., 326, 418, 441, 452, 476, 477, 485, 496, 503, 505 Wieacker, Johann, Band 1: S. 74, 313 Wieck, Reinhard, Band 2: S. 59 Wiedemann, Gerhard, Band 2: S. 144 Wiedemann, Herbert, Band 1: S. 9, 12, 167–184; Band 2: S. 114, 122, 171, 225, 440, 444, 445, 466, 468, 469, 470, 478, 480, 487, 488, 489, 490, 491, 496, 499, 506 Wiener, Robert, Band 1: S. 193 Wiese, Günther, Band 1: S. 160 Wieser, Eberhard, Band 2: S. 377 Wiesner, Georg, Band 2: S. 144 Wiethölter, Rudolf, Band 1: S. 35, 125; Band 2: S. 6, 14, 374 Wilburg, Walter, Band 1: S. 123; Band 2: S. 20, 21, 28, 44, 296, 419 f., 455 Wilde, Günther, Band 1: S. 256 Wilhelm, Jan, Band 2: S. 327 Wilhelmi, Rüdiger, Band 2: S. 155 Williamson, Oliver E., Band 2: S. 247

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Personenregister

Windscheid, Bernhard Joseph Hubert, Band 1: S. 313 Winner, Martin, Band 2: S. 190, 193, 206 Winter, Martin, Band 2: S. 144 Witte, Eberhard, Band 2: S. 59 Wolany, Josef, Band 1: S. 265, 268 Wolf, Erik, Band 1: S. 144; Band 2: S. 158 Wolf, Joseph Georg, Band 2: S. 418 Wolf, Manfred, Band 1: S. 391; Band 2: S. 387–403, 459, 463, 479, 480, 488, 490, 503 Wolf, Monika, Band 2: S. 387, 388 Wolff, Christian, Band 2: S. 286, 414 Wolff, Martin, Band 1: S. 23, 24, 25, 36, 150, 207, 209, 210, 214, 215, 216, 218, 240, 254, 284, 288, 289, 292, 293, 294, 295, 299, 300, 302, 390; Band 2: S. 10, 309, 311, 318, 422, 486 Wymeersch, Eddy, Band 2: S. 228

Yntema, Hessel E., Band 1: S. 224 York von Wartenburg, Johann David Ludwig, Band 2: S. 287, 421 Zacharias, Karl Salomo, Band 2: S. 98 Zahn, Franz Ludwig, Band 1: S. 74 Zahn, Maria, Band 1: S. 74 Zöchling, Hans, Band 2: S. 192 Zöllner, Ursula, Band 2: S. 74, 92, 94 Zöllner, Wolfgang, Band 1: S. 132, 135, 150; Band 2: S. 71–95, 112, 122, 168, 169, 276 f., 410, 417 f., 440, 444, 445, 446 f., 452, 457, 458, 459, 465, 466, 467, 468, 469, 470, 477, 478, 480, 482, 483, 486, 487, 488, 489, 491, 492, 494, 502, 503 Zweigert, Konrad, Band 1: S. 8, 9, 12, 63, 64, 89–101; Band 2: S. 12, 376, 460, 477, 483, 484, 486, 488, 490, 505 Zweigert, Kurt, Band 1: S. 90

Bildnachweis Mit Ausnahme der unten aufgeführten Bilder stammen alle aus Privatbesitz bzw. aus dem Verlagsarchiv. Verlag, Herausgeber und Autoren danken den Familien und Freunden der Zivilrechtslehrer für die Erlaubnis zum Abdruck ihres Bildmaterials. Wir danken den Verlagen C. H. Beck, München, Carl Heymanns, Köln, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, für die Erteilung einer Abdruckgenehmigung für die nachstehend verwendeten Bilder. S. 126 Peter Ulmer: Habersack/Hommelhoff/Hüffer/Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag, Berlin (De Gruyter Rechtswissenschaften), 2003 (ISBN 978-3-89949-041-1). S. 220 Klaus J. Hopt: Grundmann/Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag, Unternehmen, Markt und Verantwortung, Bd. 1, Berlin/New York (Walter de Gruyter), 2010 (ISBN 978-3-89949-628-4). S. 262 Karl Larenz: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München (C. H. Beck), 1973 (ISBN 3-40609264-0). S. 308 Ernst von Caemmerer: Ficker/König/Kreuzer/Leser/von Bieberstein/Schlechtriem (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, Tübingen (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]), 1978 (ISBN 3-16-640422-8). S. 338 Dieter Medicus: Schiemann/Wacke/Beuthien/Fuchs/Roth (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus zum 80. Geburtstag, Perspektive des Privatrechts am Anfang des 21. Jahrhunderts, Köln (Carl Heymanns), 2009 (ISBN 978-3-452-27073-3). S. 364 Claus-Wilhelm Canaris: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. 1, München (C. H. Beck), 2007 (ISBN 978-3-406-56170-2). Wir danken Marcus Gloger/JOKER:Fotojournalismus, Bonn, für die Erteilung einer Abdruckgenehmigung für das Bild von Werner Flume (S. 322). Für den Fall, dass trotz sorgfältiger Recherchen nicht alle Inhaber von Rechten an den abgedruckten Bildern ermittelt wurden, bitten wir die Rechteinhaber, sich zur Klärung etwaig bestehender Ansprüche an den Verlag zu wenden.