Deskriptive Psychologie 9783787325801, 9783787305650

Den Plan, seine Untersuchungen zur Deskriptiven Psychologie in einem umfassenden Werk zur Darstellung zu bringen, hat Br

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Deskriptive Psychologie
 9783787325801, 9783787305650

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FRANZ BRENTANO

Deskriptive Psychologie

Aus dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von RODERICK M. CHISHOLM

und WILHELM BAUMGARTNER

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 349

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

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© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1982. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­ papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in www.meiner.de Germany.

INHALT

Einleitung der Herausgeber Vorwort der Herausgeber

IX

XXIII

Franz Brentano

Deskriptive Psychologie Erster Teil. Die Aufgabe der Psychognosie I. Psychognosie und Genetische Psychologie

II. Elemente des Bewußtseins . . . . . . . . A. Einheit, nicht Einfachheit des Bewußtseins B. Ablösbare und Distinktionelle Teile C. Ein fiktives Beispiel . . . . . . . . . . . . D. Distinktionelle Teile im eigentlichen Sinne 1. Sich durchwohnende Teile . . . . . . 2. Logische Teile . . . . . . . . . . . . . 3. Teile des intentionalen Korrelatenpaares 4. Die primäre und die sekundäre psychische Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . E. Distinktionelle Teile im modifizierenden Sinne 111. Das richtige Verfahren des Psychognosts A. Einleitung B. Das Erleben C. Das Bemerken D. Das Fixieren E. Induktive Verallgemeinerung F. Deduktive Verwertung G. Psychognosie als Vorbedingung der Genetischen Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 10 10 12 14 20 20 20 21 22

25 28 28 29 31 65 71 74 76

VI

Inhalt

Zweiter Teil: Übersicht über die Psychognosie

79

I. Die Bestandteile des menschlichen Bewußtseins

79

II. Psychische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zwei Hauptklassen der psychischen Akte: Fundamentale und Suprapanierte Akte . . . . . . . . C. Die Natur der fundamentalen psychischen Akte D. Die primären Objekte der fundamentalen psychischen Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwei sich durchwohnende Teile: Räumlichkeit und Qualität . . . . . . . . . 2. Die Momente der Qualität . . . . . . . . . 3. Ist Zeitlichkeit ein dritter Teil? . . . . . . . 4. Weitere Teile der fundamentalen psychischen Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Andere Meinungen . . . . . . . . . 6. Weitere Klassen der fundamentalen Akte . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 83 84 84 88 88 89 92 98 100 102

III. Der allgemeine Charakter der Sensationen A. Räumlichkeit . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeines über Kontinua 3. Anwendung auf das räumliche Kontinuum B. Von dem Raumerfüllenden 1. Hell und Dunkel 2. Kolorit und Nicht-Kolorit 3. Zusammenfassung

104 ·104 104 105 113 115 115 117 120

Anhang I. Innere Wahrnehmung

121

Anhang II. Deskriptive Psychologie oder beschreibende Phänomenologie . . . . . . . . . . . .

129

I. Begriff der deskriptiven Psychologie

129

II. Entstehung der deskriptiven Psychologie

130

III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . .

130

Inhalt

VII

Anhang III. Vom Inhalt der Empfindungen

134

Anhang IV. Psychognostische Skizze

146 146

I. Einleitung

II. Von den seelischen Beziehungen

147

Anhang V. Psychognostische Skizze. Andere Bearbeitung I. Psychognosie II. Psychologie

154 154 156

Anhang VI. Perzipieren, Apperzipieren, deutlich Apperzipieren, kopulativ Apperzipieren, transzendent Apperzipieren

162

Anmerkungen der Herausgeber

165

Namen- und Sachverzeichnis

.

178

EINLEITUNG

Im Vorwort seiner Abhandlung Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis (1889) betonte Brentano, seine dort niedergelegten Erörterungen über Ethik gehörten "zum Gedankenkreise einer ,Deskriptiven Psychologie', den ich, wie ich nunmehr zu hoffen wage, in nicht ferner Zeit seinem ganzen Umfang nach der Öffentlichkeit erschließen kann" 1• Leider hat er selbst nichts unter dem Titel "Deskriptive Psychologie" veröffentlicht; viele seiner Schriften und Diktate über diesen Gegenstand sind indes in den verschiedenen posthumen Werken in der Philosophischen Bibliothek erschienen 2 • Brentano hielt auch Vorlesungen über dieses Thema an der Universität Wien. Drei verschiedene Kollegmanuskripte sind erhalten. Das erste Kolleg hielt er 1887/88 unter dem Titel "Deskriptive Psychologie"; das zweite, 1888/89 hieß "Deskriptive Psychologie oder beschreibende Phänomenologie". (Obwohl der Ausdruck "Phänomenologie" im Titel stand, ist er anscheinend in den Vorlesungen selbst nicht gebraucht worden). Das dritte Kolleg, gehalten 1890/91, war einfach mit "Psychognosie" überschrieben. Aus ihm ist der Hauptteil dieses vorliegenden Bandes entnommen. Die folgenden Stücke bilden den Anhang: (I) Die Beschreibung der "Inneren Wahrnehmung" aus den Vorlesungen von 1887/88; (li) die generelle Abhandlung über "Deskriptive Franz Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, hrsg. v. Oskar Kraus, Hamburg: Meiner, 5 1969, S. 3. 2 Siehe insbesondere Band II der zweiten Auflage der Psychologie vom empirischen Standpunkt, Von der Klassifikation der psychischen Phänomene, hrsg. v. 0. Kraus, Leipzig: Meiner, 1925 (unveränderter Nachdruck Hamburg: Meiner, 1971); Band III der Psychologie (Vom sinnlichen und noetischen Bewußtsein, hrsg. v. 0. Kraus, Leipzig: Meiner, 1928, 2. Auflage Hamburg: Meiner, 1968 mit einer neuen Einleitung von F. Mayer-Hillebrand, unveränderter Nachdruck 1974); Grundzüge der Asthetik, hrsg. v. F. Mayer-Hillebrand, Hamburg: Meiner, 1959; Untersuchungen zur Sinnespsychologie, hrsg. v. R. M. Chisholm und R. Fabian, Hamburg: Meiner, 2 1979. 1

X

Einleitung der Herausgeber

Psychologie", entnommen dem Kolleg von 1888/89; (III) "Vom Inhalt der Empfindungen" aus den Veranstaltungen von 1887/88; (IV) "Psychognostische Skizze" I aus dem Jahr 1901; (V) "Psychognostische Skizze" II, ebenfalls von 1901; (VI) ein undatiertes Manuskript, etwa auch um diese Zeit verfaßt, "Perzipieren und Apperzipieren" 3 • Der Einfluß, den dieses Werk auf die nachfolgende Philosophie, insbesondere auf die Arbeiten von Husserl, Marty, Meinong, Twardowski und deren Schüler ausgeübt hat, ist schwerlich zu überschätzen. Die Kommentierung hier ist jedoch restringiert auf die Sicht Brentanos und verfolgt nur den Zweck, dem Leser das Verständnis der schwierigen Stellen zu erleichtern. Detaillierte Erläuterungen bestimmter Passagen erfolgen in Fußnoten. Die Teile des menschlichen Bewußtseins

Die Vorlesungen von 1887/88 und von 1888/89 befaßten sich weitgehend mit Problemen der Sinnespsychologie. Das Kolleg von 1890/91 jedoch, unser Haupttext, hat die Natur der deskriptiven Psychologie als solche sowie die Formulierung einer Lehre psychischer Kategorien zum Gegenstand. In einer Publikation von 1895 gab Brentano über die Natur der deskriptiven Psychologie diese Erklärung ab: "Meine Schule unterscheidet eine Psychognosie und eine genetische Psychologie (in entfernter Analogie zur Geognosie und Geologie). Die eine weist die sämtlichen letzten psychischen Bestandteile auf, aus deren Kombination die Gesamtheit der psychischen Erscheinungen wie die Gesamtheit der Worte aus den Buchstaben sich ergibt. Ihre Durchführung konnte als Unterlage für eine Characteristica universalis, wie Leibniz und vor ihm Descartes sie ins Auge gefaßt haben, dienen. Die andere belehrt uns über die Gesetze, nach welchen die Erscheinungen kommen und schwinden. Da die Bedingungen wegen der Anhang VI ist unter Ps 29 im Nachlaß Brenranos verzeichnet. Der volle Titellautet dort: "Perzipieren, Apperzipieren, deutlich Apperzipieren, kopulativ Apperzipieren, transzendent Apperzipieren". 3

Einleitung der Herausgeber

XI

unleugbaren Abhängigkeit der psychischen Funktionen von den Vorgängen im Nervensystem großenteils physiologische sind, so sieht man, wie hier die psychologischen Untersuchungen mit physiologischen sich verflechten müssen. Eher konnte einer von der Psychognosie vermuten, daß sie vom Physiologischen ganz absehen und darum auch aller instrumentalen Hilfsmittel entraten könne. Aber schon die eben erwähnte Analyse der Empfindungen, sei es auf dem Gebiete des Gehörs, sei es auf de111 des Gesichts oder gar der niederen Sinneserscheinungen (einem Gebiete, wo sie bisher äußerst unvollkommen geführt worden ist), kann ihre wesentlichsten Erfolge nur mittels sinnreich erdachter instrumentaler Hilfsmittel erzielen; und diese Arbeit ist eine psychognostische" 4 • Was sind die letzten psychischen Bestandteile des Bewußtseins? Für Philosophen von heute mag Brentanos Gebrauch der terminiwie "Teil" und "Element" etwas fremd klingen; denn er sagt ohne Zögern, psychische Akte seien Teile des menschlichen Bewußtseins. Wie könnte ein Akt des Denkens ein "Teil" des Bewußtseins sein? Es ist wichtig, im Auge zu behalten, daß nach Brentano Prädikate ("rot") immer durch konkrete Bezeichnungen ("ein Rotes") ersetzt werden können: Statt des Ausdrucks "Eine Rose ist rot" können wir sagen "Eine Rose ist ein Rotes". Der erste Ausdruck kann anscheinend eine Relation herstellen zwischen einer Rose und einem abstrakten Objekt, das eine Eigenschaft ist (wie z. B. bei der Aussage "Eine Rose exemplifiziert Röte"). Der zweite Ausdruck scheint dagegen eine Relation zwischen zwei Dingen - einer Rose und einem Rot-Ding- zu sein. Welche Beziehung besteht zwischen den beiden Dingen? Brentano erklärt sie durch den Hinweis auf Teil und Ganzes. Wenn wir von einer Rose korrekterweise aussagen können, sie sei ein rotes Ding, dann, so meint er, sind beide, Rose und rotes Ding, Teile des selben Dinges. Oder wenn wir von einer Person sagen, sie sehe, können wir dies auch so formulieren: "Eine Person ist ein Sehendes". Auch in diesem Falle beziehen wir konkrete Dinge aufeinander. Und wiederum haben wir es, nach Brentano, mit Meine letzten Wünsche für Österreich, Stuttgart: Cotta, 1895, s. 84f. 4

XII

Einleitung der Herausgeber

der Relation von Teil und Ganzem zu tun. "Eine Person ist ein Sehendes" besagt, nach Brentanos letztgeäußerter Sicht, nicht, daß eine Person und ein Sehender Teile desselben Dinges sind, wohl aber, daß eine Person ein Teil eines Sehenden ist. Die Person - oder das Selbst - ist eine letzte einheitliche Substanz, die ein Teil des Akzidenz Sehender sein kann. Das Selbst jedoch hat keine Teile. Und somit dürfen die Teile des Bewußtseins nicht mit den Teilen des Selbst oder der Seele identifiziert werden. Brentano unterscheidet zwei verschiedene Arten von Teilen voneinander - ablösbare und bloß distinktionelle. Für gewöhnlich nehmen wir an, daß Teile wirkliche Ablösbarkeit (oder Abtrennbarkeit) exemplifizieren. Wirkliche Ablösbarkeit wird illustriert durch die Teile eines physischen Gegenstands. Man kann z. B. eine Tischplatte in die linke und rechte Hälfte unterteilen. Man kann die Teile separieren voneinander, und beide Teile können für sich bestehen. Ablösbare Teile sind exemplifiziert im Bewußtsein durch Sehen und Hören oder durch Sich-Erinnern und Verlangen: Bewußtsein kann andauern, nachdem einer aufhört zu sehen oder zu hören oder sich zu erinnern oder Verlangen zu haben. Dieses Faktum faßt Brentano in die Worte, daß der Denkende weiterexistieren kann, nachdem irgendeiner dieser Teile von ihm separiert worden ist. Ferner unterscheidet Brentano zwischen gegenseitiger und einseitiger Ablösbarkeit. Diese Unterscheidung ist von fundamentaler Bedeutung für seine Theorie des Selbst und seine Theorie der Substanz. Betrachten wir eine Person, die sieht und hört. Das Sehen und das Hören stehen in Beziehung durch gegenseitige Ablösbarkeit: Beides ist von der Art, daß eines der beiden fortbestehen kann, wenn das andere aufhört zu sein. In dieser Hinsicht sind Sehen und Hören - der Sehende und der Hörende - ähnlich den beiden Hälften der Tischplatte: die eine Hälfte kann für sich fortbestehen, wenn die andere zerstört ist. Einseitige Abtrennbarkeit wird am Beispiel der Relation vom Denkenden zum Sehenden, vom Empfinden und Bemerken, sowie vom Vorstellen und Begehren aufgezeigt. Die jeweils ersten Glieder der drei Paare können ohne die zweiten bestehen, die zweiten jedoch nicht ohne die ersten.

Einleitung der Herausgeber

XIII

Psychische Akte können nach Brentano mit den ablösbaren Teilen des Bewußtseins identifiziert werden. Wir können "in einem gewissen Sinne" auch von einer anderen Art von Teilen sprechen, bloß distinktioneilen Teilen. Man könnte sagen, diese Teile seien gedanklich unterscheidbar, nicht aber realiter. Als Beispiel führt er die "durchwohnenden Teile" an. Diese sind uns vermittelt zum einen durch die Objekte der Wahrnehmung. So sind Räumlichkeit und Qualität durchwohnende Teile der primären Objekte der Empfindung. Wir erhalten sie auch durch einen Urteilsakt, wie z. B. "Es gibt eine Wahrheit". Die durchwohnenden Teile dieses Urteilsaktes sind seine bejahende Qualität, sein Gerichtetsein auf das Objekt Wahrheit, seine Evidenz, sowie seine apodiktische Modalität. Für den Ausdruck durchwohnende Teile verwendet Brentano auch "concrescente Teile". Er bemerkt, daß "ein allgemein üblicher wissenschaftlicher Terminus fehlt". Man könnte auch "innere Natur" oder "integraler Bestandteil" dafür sagen. Wenden wir uns nun der allgemeinen Konzeption des Bewußtseins zu, wie sie Brentano 1890/91 entwickelt hat. Die intentionale Beziehung Jeder psychische Akt ist intentional dadurch, daß er auf ein Objekt gerichtet ist. Die Lehre von der Intentionalität, wie sie hier niedergelegt wird, ist im wesentlichen die der ersten Ausgabe der Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874). Das intentionale Objekt ist stets "immanent"; es ist etwas Nicht-Reales oder Unwesenhaftes; aber es kann als existentund existent an sich - bezeichnet werden in dem Maße als es ein Denkender als ein intentionales Objekt hat. Es ist ein nicht-reales Korrelat eines Denkens, das es als sein Objekt hat. Die Intention als Beziehung enthält ein Korrelatenpaar, von dem "das eine allein real, das andere dagegen nicht Reales ist". Beispiele solcher Paare sind: Sehen und Gesehenes; Vorstellen und Vorgestelltes; Wollen und Gewolltes; Lieben und Geliebtes; Leugnen und Geleugnetes. Brentano bemerkt: "So wenig ein gewesener Mensch, so wenig ist ein gedachter etwas Reales. Der gedachte Mensch hat darum auch keine eigentliche Ursache und

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Einleitung der Herausgeber

kann nicht eigentlich eine Wirkung üben, sondern indem der Bewußtseinsakt, das Denken des Menschen gewirkt wird, ist der gedachte Mensch, sein nichtreales Korrelat, mit da". Später wies Brentano diese Lehre von der intentionalen Inexistenz oder dem geistigen Inhaben zurück. Nach seiner späteren Sicht ist der Satz "Es gibt ein Gedachtes" eine uneigentliche Formulierung von "Es gibt ein Denkendes"; Aussagen, die sich scheinbar auf immanente Objekte beziehen, sind tatsächlich Aussagen lediglich über den Denkenden, von dem ausgesagt werden kann, er habe jene Objekte. Unwesenhafte Entitäten gibt es nicht. Es gibt nur entia realia5 • Phänomene des Intentionalen sind nach Brentanos Einteilung: Vorstellen; Urteilen; Gemütsbewegungen bzw. Lieben und Hassen. Jeder psychische Akt schließt die Vorstellung eines Objekts ein. Die Gegenstände der Vorstellungen sind normalerweise individuelle Dinge oder entia realia (z. B. Pferde, Bäume, Einhörner). Aber auch gewisse Un-Dinge (wie Wahrheit, immanente Objekte) können Objekte der Vorstellung sein. Wie gesagt, können nach Brentanos Spätphilosophie ausschließlich individuelle Dinge, Konkreta, entia realia, die als solche qualifiziert sind, Gegenstände des Vorstellens sein. Das Urteil besteht im Bestätigen oder Verwerfen des Gegenstands einer Vorstellung. Es ist ein "supraponierter" psychischer Akt, der notwendig einen andern psychischen Akt zur Voraussetzung hat, - den des Vorstellens. Da jedes Urteil entweder Bestätigung oder Verwerfung ist, sind Urteile stets entweder affirmativ oder negativ. Und da das Objekt eines Urteils dasselbe ist wie das der Vorstellung, das dem Urteil zugrunde liegt, kann das Urteilsobjekt ein individuelles Ding sein oder ein ens reale. Deshalb muß das Urteilsobjekt nicht eine propositionale Entität sein, wie sie beispielsweise in den Sätzen "Es gibt Pferde" oder "Es gibt keine Drachen" zum Ausdruck kommt. Wenn, um beim Beispiel zu bleiben, jemand glaubt, daß es Pferde gibt, dann konstituiert Pferd das Objekt eines affirSiehe Wahrheit und Evidenz, Hamburg: Meiner, 1974; und Die Abkehr vom Nichtrealen, Hamburg: Meiner, 1966 (übernommen vom Francke-Verlag, Bern, 1966). 5

Einleitung der Herausgeber

XV

mativen Urteils. Das Objekt ist dann kein Un-Ding wie etwa in den Aussagen über ;,Das Sein der Pferde" oder "daß es Pferde gibt". Und wenn er glaubt, daß es keine Drachen gibt, dann ist Drache das Objekt eines negativen Urteils; das Objekt ist also kein Un-Ding wie wenn man vom "Nichtsein von Drachen" spräche oder in der Aussage, "daß es keine Drachen gibt". Es gibt zwei verschiedene Modi von Urteilen, assertorische und apodiktische. Wenn beispielsweise jemand urteilt, daß runde Vierecke unmöglich seien, dann verwirft er runde Vierecke apodiktisch. Des weiteren können wir Urteile, die evident sind, von solchen unterscheiden, die nicht-evident oder blind sind. Brentano nimmt an, daß es zwei Dimensionen von Gemütsbewegungen gibt - er nennt sie "Lieben" und "Hassen". (Andere mögliche Paare dieser Sphäre sind "Gefallen" und "Mißfallen" bzw. "positive" und "negative Interessephänomene" .) Emotive Phänomene haben mit dem Urteil gemein, daß sie entweder positiv oder negativ sind; ferner, daß sie, wie das Urteil, Vorstellungen zur Voraussetzung haben: Das Objekt einer gegebenen Emotion ist das Objekt der korrespondierenden Vorstellung. Lieben und Hassen gleichen auch darin dem Urteil, daß auch sie suprapanierte Akte sind; denn sie sind notwendig von der Art, daß' sie einen anderen Akt zur Voraussetzung haben. Jeder Akt des Denkens hat nach Brentano sich selbst als "sekundäres Objekt". Wenn ich einen Berg denke, dann ist der Berg das "primäre Objekt" meines Denkens; und mein Denken eines Berges ist das "sekundäre Objekt" meines Denkens, bzw., wie Brentano es auch nennt, Objekt meiner "inneren Wahrnehmung". Er schreibt: "So gewiß es ist, daß kein Bewußtsein überhaupt ohne intentionale Beziehung ist, so gewiß ist es, daß es außer dem, worauf es primär gerichtet ist, sich selbst nebenher zum Objekte hat. Es gehört dies wesentlich zur Natur jedes psychischen Aktes". Er illustriert es mit dem Beispiel: "Das Empfinden der Farbe und das Mitempfinden dieses Empfindens gehen auf verschiedene Objekte". Jedes assertorische Urteil, das evident ist, hat als sein Objekt etwas, das Objekt der inneren Wahrnehmung oder des sekundären Bewußtseins ist. Und jedes Objekt der inneren Wahrnehmung kann Objekt eines evidenten Urteils sein. Wenn ich einen

XVI

Einleitung der Herausgeber

Berg denke, dann kann ich mit Evidenz - und deshalb mit Wahrheit- darüber urteilen, daß ich einen Berg denke.

Wahrnehmung Wahrnehmungen sind fundamentale psychische Akte. Damit unterscheiden sie sich von den supraponierten Akten, z. B. den Urteilen, die andere psychische Akte zur Voraussetzung haben. Wahrnehmungen sind diejenigen Akte, "welche sinnliche Phänomene zum primären Objekt haben, oder, was dasselbe sagen will, sie enthalten als primäre Beziehung ein Vorstellen von konkret sinnlichem Inhalt". Der Akt der Wahrnehmung jedoch ist nicht nur Vergegenwärtigung oder Vorstellung. Er hat auch Urteilscharakter; denn er involviert eine instinktive oder "blinde" Annahme des Objekts. Und er ist oft emotiv, dann nämlich, wenn er Liebe oder Haß zu einem Objekt enthält. Die Ob;ekte der Wahrnehmung sind individuelle Dinge. "Das, was wir empfinden, ist ein Konkretum; eine qualitativ und räumlich spezifizierte Einheit, welche nur durch die Vereinigung dieser Spezificationen individuell ist" 6 • In dem hier vorliegenden Text sind diese individuellen Dinge, also die Objekte der Wahrnehmung, intentionale Objekte. Sie existieren als unwesenhafte Korrelate der Empfindung. Das Empfinden ist etwas Reales, der Gegenstand des Empfindens ist etwas Nicht-Reales. Nach Brentanos späterer, der reistischen, Sicht von Intentionalität gibt es nichts Unwesenhaftes. Danach existieren die individuellen Dinge, die Objekte der Sensation, nicht. Ein Beispiel: "Das Objekt seiner Furcht ist ein gewisses individuelles Ding, aber dieses individuelle Ding existiert nicht". Aus der Tatsache, daß ich einen roten Fleck wahrnehme, folgt, daß es für mich evident ist, daß ich einen roten Fleck wahrnehme; daraus folgt aber nicht, daß der rote Fleck existiert. Wahrnehmung nennt Brentano manchmal auch "äußere Wahrnehmung", um sie von der inneren Wahrnehmung abzuheben. Es sei vermerkt, daß dieser Gebrauch der Wahrnehmung 6

Untersuchungen zur Sinnespsychologie, 2. Auf!., S. 167.

Einleitung der Herausgeber

XVII

in der gegenwänigen Philosophie nicht mehr gebräuchlich ist. Brentano gebraucht "sehen" und "hören" im Sinne von Wahrnehmung eines sichtbaren bzw. hörbaren Inhalts. Aus seiner reistischen Sicht von der Existenz sinnlich wahrnehmbarer Inhalte kann er somit sagen: Aus der Tatsache, daß ich einen farbigen Fleck sehe oder eine bestimmte Note höre, folgt nicht, daß der Fleck oder die Note existiert. Jedes Objekt meiner Sinne hat räumliche und qualitative Bestimmungen. Brentano sagt dafür auch, daß jedes sinnlich wahrnehmbare Objekt eine wahrnehmbare Qualität beinhaltet, die einen wahrnehmbaren Raum ausfüllt. Im Hinblick auf die Darstellung räumlither Merkmale ist Brentano also "Nativist" und nicht "Empirist". Die Streitfragen zwischen Nativismus und Empirismus hat er viel detailliener in seinen Vorlesungen von 1888/89 über Deskriptive Psychologie zur Diskussion gestellt~.

Von der Qualität der Objekte der Wahrnehmung wird gesagt, sie habe zwei "Momente". Das eine davon hat damit zu tun, was Brentano als Distinktion von Kolorit und Nicht-Kolorit bezeichnet. Das andere steht in Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Helligkeit und Dunkelheit. Die Unterscheidung von Kolorit und Nicht-Kolorit wird für den Gesichtssinn veranschaulicht durch die Unterscheidung von chromatischen und nicht-chromatischen Farben. Nach Brentano gibt es drei einfache oder elementare chromatische Farben (Rot, Blau, Gelb) und zwei einfache oder elementare nicht-chromatische Farben (Schwarz und Weiß). Alle anderen Farben sind Mischungen aus elementaren Farben. Er beschreibt die Natur der relevanten Mischung wie die Natur der Raumvorstellung. Analoge Überlegungen gelten für die anderen Sinne. So gilt fürs Hören, daß Kolorit in der Tonhöhe sich zeigt. Und bei den anderen Sinnen zeigt es sich in Geschmack und Geruch. Das zweite "Moment" der Qualität ist die Distinktion von Helligkeit und Dunkelheit. Anders als andere Wahrnehmungspsychologen beschränkt Brentano diese Distinktion nicht auf den Gesichtssinn. Sie hat eine Analogie zum Hörsinn - man - Seine Sicht ist sehr ähnlich der von C. Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung, Leipzig: 1873.

XVIII

Einleitung der Herausgeber

vergleiche die Unterscheidung von Hoch und Tief-, und sie hat eine weitere Analogie, die es uns ermöglicht, die sog. "niederen" Sinne in einem einzelnen dritten Sinn zu vereinen. Proterästhese

Die Frage, ob temporale Dimensionen in analoger Weise gegeben sind wie räumliche Dimensionen, führt zu Brentanos Lehre von der "Proterästhese oder ursprüngliche Assoziation". Diesen Ansatz stellte er in seinen Vorlesungen von 1887/88 mit den Bemerkungen vor: "Da ich von dem Inhalt der Empfindung sprach, verstanden Sie wohl alle so ziemlich, was ich meinte: jetzt, wo ich von dem der ursprünglichen Assoziation spreche, muß ich fürchten, daß schier keiner meiner Zuhörer weiß, worauf ich eigentlich ziele. In der Tat kommt der Ausdruck in keinem Handbuch oder Lehrbuch der Psychologie vor und die damit bezeichnete Tatsache selbst, wird, scheint mir, in keinem, das mir untergekommen, in ihrer wahren Eigenheit erfaßt und gedeutet. Ich selbst habe nie etwas darüber publiziert, und so wird die Lehre in mündlichem Vortrage auf gewissen Kathedern, die Schüler von mir inne haben, vertreten." Nach Brentano ist die Quelle unseres Zeitbegriffs eben diese Erfahrung der Proterästhese oder ursprünglichen Assoziation. Proterästhese muß, darauf insistiert er, von Wahrnehmung unterschieden werden. Aber sie ist ein Phänomen, das jede Wahrnehmung begleitet. Beispiele dafür sind das Hören einer Melodie; das Sehen von etwas, das in Bewegung ist; das Sehen von etwas in Ruhestellung. In jedem Falle erfahren wir ein Nacheinander: im ersten Fall, daß eine Note vor der anderen Note erklingt; im zweiten Fall, daß das sich bewegende Objekt jetzt an einem Ort sich befindet und darauf an einem anderen Ort; und im dritten Fall, daß ein und derselbe Gegenstand genau dort bleibt, wo er schon war. Die Erfahrung einer solchen Sukzession führt eine, wie man sie etwas irreführend nennen könnte, Vergangenheitsempfindung mit sich. Die Dauer einer Proterästhese ist nuf' sehr kurz. In einer einzelnen Beobachtung "sehen" wir einen Teil der

Einleitung der Herausgeber

XIX

Kreisbewegung eines Sekundenzeigers an einer Uhr, wir sehen jedoch nicht die gesamte Kreisbewegung, und wäre die Bewegung nicht ausreichend schnell, sähen wir sie überhaupt nicht. So kurz solche Beobachtungen auch sein mögen, - wir sind durch sie in die Lage versetzt, die Begriffe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bilden, den Begriff von Vorher und Nachher und den Begriff eines zeitlichen Kontinuums, das sich unbegrenzt in zwei Richtungen erstreckt. So schreibt Brentano in den hier vorliegenden Schriften: "Die anschauliche Zeitstrecke der Proterose8 enthält die Relation von früher und später. Alles übrige, auch die Zukunft, ergibt sich daraus in unanschaulicher Weise". Aber die unanschaulichen Bestimmungen sind "ausreichend zur Bildung von unanschaulichen Vorstellungen". Stellen wir uns einmal die Proterästhese vor, die beim Hören der ersten Noten - sagen wir a, b, c und d- einer Melodie mit einhergeht. Einige haben gesagt, das Bewußtseinsfeld sei zeitlich ausgedehnt etwa in der Weise, wie von einem Gesichtsfeld ausgesagt werden könne, es sei räumlich ausgedehnt. Nach dieser Sicht kann, geradeso wie ein roter Fleck auf der linken Seite eines Wahrnehmungsfeldes und ein blauer Fleck auf der rechten sein kann, so kann auch die Note c im Teil des gegenwärtig sichtbaren Feldes sein, währendbin einemvergangenenTeil ist und a in einem Teil, der weiter zurück in der Vergangenheit liegt. Ergibt es aber einen Sinn von Note b zu sagen, sie sei vergangen? Wenn b nicht mehr im gegenwärtigen Teil ist, können wir nicht sagen, daß b in einemvergangenenTeil ist. Wenn wir Zeit so auffassen wie Brentano, können wir nicht sagen, der Bereich des Bewußtseins oder das Objekt der Wahrnehmung hätten (jetzt) eine zeitliche Ausdehnung9 • Von den früheren Noten, die von der Proterästhese aufgenommen wurden, kann man sagen, sie seien uns "als vergangene Zu Unterschied und Vern·andtschaft der Begriffe Proterose, Proterästhese und Proteeästhesie siehe S. 85f, 88f, 92, 95, 96f. 9 Jeder Gegenstand aber ist temporal in der Weise, daß er entweder existiert hat oder existieren wird. In Brentanos Worten: Alles, was existiert, existiert als temporale Grenze. 8

XX

Einleitung der Herausgeber

gegeben". Zu der Zeit, in der d gehört wird, ist uns c als vergangen gegeben, b ist uns als zeitlich weiter zurückliegend als c gegeben und a als noch weiter zurückliegend als b gegeben. Aber keine hat das Attribut, vergangen zu sein. Wenn irgendetwas ein Attribut hat, dann existiert dies jetzt, und man kann nicht sagen, es habe Existenz in der Vergangenheit. Wie gebrauchen wir nun das Wort "vergangen", wenn wir sagen, eine Note ist uns als vergangen gegenwärtig? Brentano spricht von "jener eigentümlichen Modifikation, wodurch das, was früher als gegenwärtig sich darbot, als vergangen geschaut und beurteilt wird". Mit anderen Worten, das Adjektiv "vergangen" sollte nicht so betrachtet werden, als drücke es ein echtes Attribut aus. Es sollte vielmehr "ein modifizierendes Attribut" ausdrücken. Was aber ist ein modifizierendes Attribut? Wenn wir von etwas sagen, es sei ein "rechtmäßiger oder künftiger König", implizieren wir nicht, daß das Ding ein König ist; unsere Adjektive sind also nur modifizierend"10 • Andere ähnliche modifizierende Adjektive sind "abgesetzt", "verstorben", "sogenannt", "ehemalig". Solche Adjektive haben die Eigenschaft, dem, was man mit dem Substantiv "Köaig" verbindet, etwas abzusprechen. Daraus ist ersichtlich, daß "vergangene" Funktionen modifizierende Adjektive sind. Wenn wir von jemandem sagen, er sei "ein ehemaliger König", implizieren wir nicht, daß er ein König ist: "Ein gewesenes N ist kein N. Es ist modifiziert". In der vorliegenden Schrift steht ein weiteres Beispiel: ",Gewesen' verhält sich zu ,Ton' nicht wie eine determinierende bereichernde, sondern [wie] eine modifizierende Bestimmung. Ton ist in gewesenem Ton nicht eigentlich, sondern modifiziert enthalten ... ". Wenn das Subjekt unseres obigen Beispiels eine Wahrnehmung macht, welche die Note b als ihr primäres Vgl. Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. lll, Vom sinnlichen und noetischen Bewußtsein, Hamburg: Meiner, 1974, S. 46. Marty's posthume Schrift "Von den logisch nicht begründeten synsemanrischen Zeichen", ursprünglich erschienen in Band 62 und 63 der English Studies, 1928, wiederabgedruckt in Otto Funke, Grundlagen zur Bedeutungslehre, Leipzig: Reisland, 1928, ist eine detaillierte Srudie solcher modifizierender Adjektive. 10

Einleitung der Herausgeber

XXI

Objekt hat, so macht es auch die Erfahrung einer Proterästhese, die als ihr primäres Objekt nicht die vergangene Note a, sondern die vergangene Wahrnehmung von a hat. Während so das sekundäre Objekt der Wahrnehmung eine gegenwärtige Wahrnehmung ist, ist das primäre Objekt der Proterästhese eine vergangene Wahrnehmung. Das bedeutet, daß das primäre Objekt der Proterästhese eine modifizierte intentionale Relation ist, - eine intentionale Beziehung, die vergangen ist. Vorp modifizierenden Attribut der Vergangenheit wurde angenommen, daß es quantitativ ist und Abstufungen hat.. Später hat Brentano diese Sicht verworfen, wonach Proterästhese immer ein modifizierendes Attribut mit sich bringt, und ersetzte sie durch ein Konzept der temporalen Modi des Bewußtseins 11 • Die Unzertrennlichkeit von Wahrnehmung und Proterästhese betonte er weiterhin. Kirchberg am Wechsel 1. September 1981

Roderick M. Chisholm Brown University W i/heim Baumgartner Universität Würzburg

Zu dieser späteren Konzeption siehe insbesondere die Anmerkung 6 zu Seite 19. Edmund Husserl übt Kritik an Brentanos früher Fassung unseres Zeitbewußtseins. Vgl. Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, Den Haag: Nijhoff, 1966, S.1~18. Husserl erwähnt dabei nicht Brentanos spätere Auffassung, wonach unser Bewußtsein von Zeit seine Quelle in Vorstellungsmodi hat. Siehe dazu 0. Kraus, "Zur Phänomenagnosie des Zeitbewußtseins", Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 75, 1930, S.1-22. Dieses Papier von Kraus war initiiert worden durch Veröffentlichung von Husserls "Vorlesung zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins" in Husserls Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. IX, 1928, S. 367-489 durch Martin Heidegger. Brentanos Vorlesungen waren der Anstoß für Husserls Arbeit auf diesem Gebiet, wie Husserl bemerkt. Siehe Husserl, Gesammelte Werke, Husserliana, Bd. X, Den Haag: Nijhoff, 1966, S. XV. 11

VORWORT

Vorliegende Texte beruhen auf Transkripten von Manuskripten aus Brentanos Hand. Für den Hauptteil der Abhandlungen konnten die handschriftlichen Aufzeichnungen B.'s herangezogen werden, so daß die Authentizität gewährleistet ist. Dazu muß angemerkt werden, daß die z. T. bruchstückhafte Original- und Transkriptfassung durch Einfügungen in eckigen Klammern lesbarer und hoffentlich - auch verständlicher wurde. Andererseits sind Stellen, die im Sinne des gesamten Textes Wiederholungen darstellen, oder die unleserlich waren, mit [... ] gekennzeichnet. Bei der Durchnumerierung der Kapitel, Abschnitte und Aufzählungen wurde darauf geachtet, die Unterteilung B.'s selbst möglichst beizubehalten, sie aber zu vereinheitlichen. Differierende Orthographie (und Interpunktion soweit nötig) wurden heutigem Usus angepaßt. Für ihre Arbeit am Manuskript sei Frau Helga Kiesler Dank gesagt.

FRANZ BRENTANO DESKRIPTIVE PSYCHOLOGIE

ERSTER TEIL

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DIE AUFGABE DER PSYCHOGNOSIE

I. PSYCHOGNOSIE UND GENETISCHE PSYCHOLOGIE 1. Die Psychologie ist die Wissenschaft vom Seelenleben des Menschen, d. i. von jenem Teil des Lebens, welcher in innerer Wahrnehmung erfaßt wurde. Sie sucht die Elemente des menschlichen Bewußtseins und ihre Verbindungsweisen (nach Möglichkeit) erschöpfend zu bestimmen und die Bedingungen anzugeben, mit welchen die einzelnen Erscheinungen ursächlich verknüpft sind. Das Erste ist Sache der Psychognosie, das Zweite fällt der genetischen Psychologie anheim. 2. Der Unterschied beider Disziplinen greift tief und macht sich insbesondere in zwei sehr wesentlichen Beziehungen geltend: a) Die Psychognosie, könnte man sagen, ist reine Psychologie, während die genetische Psychologie nicht unpassend als physiologische Psychologie zu bezeichnen wäre. b) Jene gehört zu den exakten Wissenschaften, während diese in allen ihren Bestimmungen wohl für immer auf den Anspruch der Exaktheit verzichten muß. Beides läßt sich mit wenigen Worten dartun. 3. Ich sage also, die Psychognosie, und sie allein sei reine Psychologie zu nennen. Was das heißt und warum es richtig ist, mag folgende kurze Betrachtung darlegen. 4. Erfahrungsgemäß sind das menschliche Bewußtsein und seine verschiedenen Erscheinungen in ihrem Auftreten an gewisse physiologische Vorgänge gebunden, welche wir als chemisch-physische Prozesse zu begreifen gelernt haben. Wenn es also, wie wir sagten, Sache der genetischen Psychologie ist, uns mit den Bedingungen bekannt zu machen, unter welchen die einzelnen Erscheinungen eintreten, so ist es klar, daß die genetische Psychologie nirgend voll und eigentlich ihre Aufgabe

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Die Aufgabe der Psychognosie

lösen wird ohne Mitangabe chemisch-physischer Prozesse und Namhaftmachung anatomischer Gebilde. 5. Anders die Psychognosie. Sie lehrt nichts über die Ursachen, welche das menschliche Bewußtsein erzeugen und welche machen, daß eine gewisse Erscheinung jetzt eintritt, jetzt unterbleibt oder verschwindet: sie geht auf nichts anderes aus als uns einen allgemeinen Begriff von dem gesamten Bereich menschlichen Bewußtseins zu geben, indem sie die sämtlichen Grundbestandteile angibt, aus welchen alles, was irgendwann von einem Menschen innerlich wahrgenommen wird, sich zusammensetzt, und die Verbindungsweisen, welche zwischen diesen Teilen möglich sind, aufzählt. Die Psychognosie wird darum, auch zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet, in keinem Lehrsatze einen physisch-chemischen Prozeß irgendwie erwähnen. Denn so unzweifelhaft derjenige recht hat, der in solchen Vorgängen Vorbedingungen des Bewußtseins sieht, so entschieden muß man dem widersprechen, der infolge einer Gedankenverirrung behauptet, daß unser Bewußtsein in sich selbst als ein chemisch-physischer Vorgang zu betrachten, daß es selbst aus chemischen Elementen zusammengesetzt sei. 6. Die chemischen Elemente sind Stoffe, unanschaulich in sich selbst und nur in Rücksicht auf mannigfache direkte und indirekte Wirkungen auf unser Bewußtsein relativ zu charakterisieren. Die Elemente des Seelenlebens, d. h. die verschiedenen einfachsten Bestandteile, sind dagegen sämtlich anschaulich in unserem Bewußtsein enthalten. Indem die Psychognosie sie uns aufzählt, wird sie darum mit keinem Wort das physiologische, das physisch-chemische Gebiet zu berühren haben. 7. Und Ähnliches gilt dann selbstverständlich auch da, wo sie von den Verbindungsweisen der Elemente des Bewußtseins spricht, die den Verbindungen, welche die Chemie namhaft macht, so fremd sind wie das, was die einen in Verbindung setzen dem, was die andem in Beziehung setzen. 8. Die Psychognosie ist also in diesem Sinne reine Psychologie und dadurch von der genetischen Psychologie wesentlich verschieden.

Psychognosie und Genetische Psychologie

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9. Noch einen andem bedeutenden Unterschied hob ich hervor. Ich sagte, die Psychognosie sei eine exakte, die genetische Psychologie dagegen in allen ihren Bestimmungen eine inexakte Wissenschaft. 10. Was meine ich damit, was ist unter einer exakten Wissenschaft im Gegensatz zu einer nichtexakten zu verstehen? 11. Man hat manchmal von exakter Wissenschaft im Gegensatz zu einer sogenannten spekulativen Wissenschaft gesprochen, indem man mit dem letzteren Namen insbesondere die kühnen Konstruktionen gewisser Männer beehrte, welche eine kaum entschwundene Vergangenheit als Wunder philosophischer Genies anstaunte. Man würde mich sehr mißverstehen, wenn man in unserem Fall an diesen Gegensatz dächte. Nein, jener Ausdruck "spekulative Wissenschaft" mißbraucht den Ausdruck Wissenschaft gröblich. Ein SCHELLING'sches, HEGEL'sches System ist allen wissenschaftlichen Charakters bar und ledig. 12. Meine Unterscheidung ist eine ganz andere. Es gibt Wissenschaften, welche ihre Lehrsätze ganz scharf und präzis formulieren können. Andere, welche genötigt sind, sich mit etwas unbestimmten, verschwommenen Formeln zu begnügen. Ein Mathematiker sagt nicht: die Winkelsumme eines Dreieckes hat häufig oder gewöhnlich, sondern es hat immer und ausnahmslos zur Winkelsumme 2 R. So spricht auch die Mechanik scharf und exakt, wenn sie uns das Gesetz der Trägheit und so manchen an dem Grund- oder Lehrsatz aufstellt. Anders dagegen z. B. die Meteorologie, wenn sie uns selbst von sehr einfachen Dingen wie von der relativen Temperatur eines Sommer- oder Wintermonates berichtet. "Oft", "meist", "durchschnittlich" sind Wörtchen, durch welche sie die Schärfe ihrer Behauptungen abschwächen muß, um nicht ihrer Wahrheit etwas zu vergeben. Sie ist eben nicht imstande, die Bedingungen, welche auf die meteorologischen Vorkommnisse einen Einfluß üben, sämtlich zu ermitteln und in Rechnung zu bringen und so kommt sie denn auch zu einem oft innerhalb weiter Grenzen schwankenden Resultate. 13. Ähnlich, wollte ich sagen, geht es nun auch der

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genetischen Psychologie, und sie findet sich insofern gegenüber der Psychognosie im Nachteile. 14. Denn die Lehrsätze der Psychognosie sind scharf und genau. Sie mögen da und dort noch eine Lücke zeigen- das tut ja auch die Mathematik - sie mögen da und dort an ihrer Richtigkeit noch Zweifel gestatten- und gewiß werden wir viele Versuchungen zu irrigen Ansichten kennen lernen und manchmal bedeutende Forscher sich in ihren Behauptungen widersprechen (bekämpfen) hören: -aber sie gestatten und fordern eine präzise Fassung: wie z. B., daß die Erscheinung von violett = rotblau sei, obwohl mancher unschlüssig sein mag, ob er sich hier lieber BRüCKE oder HERING anzuschließen habe. 15. Anders die genetische Psychologie. Die Gesetze des Werdens, die sie aufstellt, gelten nicht so streng allgemein, daß sie nicht mehr oder minder häufig eine Ausnahme erlitten. Wie die Meteorologie muß die genetische Psychologie um wahr zu sprechen die Präzision eines jeden Satzes durch ein "häufig, meist" u. dgl. verringern 1• 16. Diesen Charakter tragen denn auch ganz offenbar die Gesetze für das psychische Werden, welche man ohne Mitangabe der physiologischen Vorbedingungen aufgestellt hat, wie z. B. gewisse sogenannte Gesetze der Ideenassoziation, von welcher schon die antike Mnemonik Gebrauch machte. 17. ~fan hat da von einem Gesetz der Ähnlichkeit und wiederum von einem Gesetz der Kontinuität gesprochen, nach welchem ein Gedanke den andern wieder erwecke. Sehr häufig geschieht es, anderemale aber geschieht es nicht, und wo es geschieht, da geschieht es in so mannigfach verschiedener Weise, daß eine bestimmte Voraussage sich nicht darauf gründen läßt. Uoh. MüLLERc sagt: daß die Gesetze einander selbst widersprechen.) Dies kommt daher, weil die nächsten Vorbedingungen der Wiederkehr der Gedanken gar nicht oder jedenfalls nicht erschöpfend in den Gesetzen namhaft gemacht werden. 18. Mehr Hoffnung auf volle Exaktheit knüpft sich an die Aufstellungen der genetischen Psychologie da, wo physiologische Vorbedingungen mit angegeben werden. Aber leider sind wir vorderhand und wohl für immer außerstande, di~ unmittelbaren physiologischen Antezedentien eines psychischen Vorgan-

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ges zu bestimmen, geschweige, daß wir dies in erschöpfender Weise zu tun vermöchten. Und so bleibt denn auch dann noch der Mangel an Exaktheit unvermeidlich bestehen. Beispiel: Reizung einer Stelle der Retina mit einem Lichtstrahl von bestimmter Schnelligkeit der Schwingungen erzeugt die Erscheinung von Blau. Aber nicht immer, nämlicht nicht bei a) Farbenblindheit, b) Unterbrechung der Leitung, Durchschneidung des Nervs, c) Besiegtwerden im Wettstreit, d) Verdrängtwerden durch eine Halluzination. (Und wer vermöchte zu behaupten, daß nicht noch andere Störungen Ausnahmen hervorrufen, indem sie einen anomalen Zustand der nächsten physiologischen Vorbedingungen erzeugen, während unser Satz nur der entfernteren Vorbedingungen Erwähnung tut.) 19. Wie an diesem Beispielließe sich an jedem anderen Satze der genetischen Psychologie die notwendige Inexaktheit, die ihr allgemein anhaftet, dartun. 20. Also um abzuschließen, Sie verstehen jetzt genugsam die zwei Unterschiede, die - wie ich sagte - den Sätzen der Psychognosie und denen der genetischen Psychologie einen wesentlich anderen Charakter geben, a) insofern die eine reine Psychologie ist, die andere psychophysisch, b) insofern die einen exakte Sätze sind, die andern wohl niemals den Charakter der Exaktheit gewinnen werden. 21. Wir haben also die Psychologie in Psychognosie und genetische Psychologie geschieden. Und wir haben uns die Bedeutung dieser Scheidung klargemacht, indem wir auf zwei wesentliche Unterschiede beider Disziplinen hinwiesen, a) darauf, daß die Psychognosie reine Psychologie, die genetische physiologische Psychologie ist, b) darauf, daß die Psychognosie zu den exakten Wissenschaften gehört, während die genetische Psychologie unfähig ist und wohl für immer sein wird, ihre Lehrsätze anders als in der ungenauen Weise inexakter Wissenschaften zu formulieren. Das Mißverständnis, als ob ich sie dadurch in ihrer wissen-

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schaftliehen Berechtigung antasten und etwa als einen Tummelplatz willkürlicher Spekulationen bezeichnen wollte, habe ich dabei aufs deutlichste ausgeschlossen. 22. Auch für den Fongang der psychologischen Forschungen wird die Scheidung der beiden Disziplinen förderlich sein, namendich wenn sich ihre natürliche Ordnung klar macht. Scheidung und Ordnung der Schwierigkeiten sind ja das, wodurch ihre glückliche Überwindung wesendich bedingt wird. Als DESCARTES seine glänzende Laufbahn eröffnete, vertiefte er sich in ernste Überlegungen über die Methode, deren Ergebnisse er in dem Discours de la methode niederlegte. Vier Hauptregeln werden hier für die Forschung aufgestellt und zwei von ihnen tun nichts als die Notwendigkeit der Zeneilung der Schwierigkeiten und die Inangriffnahme der einzelnen in bestimmter und so weit als möglich durch die Natur selbst vorgezeichnete Ordnung zu empfehlen. Die Psychologen, indem sie gewöhnlich bis auf den heutigen Tag die der psychognostischen und die der genetischen Psychologie zufallenden Fragen nicht scheiden, vielmehr sie mannigfaltig vermengen, haben entschieden diesen Regeln DESCARTES' entgegen gehandelt. Und es dürfte dieser schwere Verstoß gegen die Methode nicht unwesendich dazu beigetragen haben, die Fonschritte der Psychologie zu verlangsamen oder ganz zu vereiteln. Welches, nachdem wir die Disziplinen geschieden haben, ihre natürliche Ordnung sei, leuchtet wohl ohne viel Nachdenken ein. Die Psychognosie ist der natürlichen Ordnung nach die frühere. Ähnlich wie auf mineralogischem Gebiet die Orognosie und Geognosie der Geologie vorangehen und auf dem näherliegenden Gebiet des menschlichen Organismus die Anatomie überhaupt der Physiologie vorangeht, ähnlich wird der Psychognosie nach dem Begriffe, den wir früher bestimmten, vor · der genetischen Psychologie ihre Stelle anzuweisen sein. 23. Immerhin soll damit nicht behauptet sein, daß nicht auch einmal bei psychognostischen Forschungen psychogenetische Kenntnisse dienlich werden. Im Gegenteil werden solche sehr häufig zu Hilfe herangezo-

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gen werden können. Gibt es doch keine zwei Wissenschaften, zwischen denen keine reziproken Dienstleistungen vorkämen. Blicken wir z.B. auf das Gebiet der Sinne. a) Schon die Erweckung der Sinneserscheinung, sie zu studieren, geschieht nach Gesetzen der genetischen Psychologie. Was für ein Hemmnis wäre es für die Psychognosie der Sinne, wenn der Psychognost sie nicht benützte, um die zu analysierende Sensation aufzurufen. . b) Und nicht bloß zur Erweckung, auch zum längeren Festhalten der Erscheinung wird er sie benützen, da sie spnst für eine sorgfältige Beobachtung und verlässige Analyse zu flüchtig vorüberginge. c) Noch mehr ! um gewisse Eigentümlichkeiten einer Erscheinung zu bemerken, ist es sehr wesentlich, daß man sie mit andern vergleicht, die in gewisser Beziehung ihr ähnlich, in anderer von ihr verschieden sind. Man muß also solche Erscheinungen zusammen oder rasch nacheinander sich vorzuführen suchen, muß psychognostisch experimentierend die Erscheinungen variieren lassen. Daß dabei ein Mehr oder Minder von Kenntnissen der genetischen Psychologie benützt wird, ist einleuchtend. d) Vielfach kann auch die Psychognosie hier Kenntnisse der genetischen Psychologie in der Weise benützen, wie es z.B. HELMHOLTZ3 tat, als er die Natur der Klangfarben untersuchte. (Nämlich Anwendung von Resonatoren, die auf besondere Töne gestimmt, dieselben, wo sie in einem Schall undeutlich enthalten waren, heraushören ließen.) Freilich konnte einer auf diesen Versuch hin zunächst noch zweifeln, ob das betreffende Klangphänomen wirklich die Obertöne enthalte oder nur als Wirkung von gleichzeitigem Einfluß verschiedener Schallwellen zu betrachten sei, von welchem jede für sich einen jener Töne in die Erscheinung gerufen haben würde. Aber HELMHOLTZ gelang es nachträglich, durch scharfe Konzentration der Auftnerksamkeit die Töne, deren Existenz in dem Klang er nun vermuten durfte, wirklich herauszuhören. Der genetische Versuch hatte die richtige Hypothese an die Hand gegeben und dies war hier wie so oft die wesentlichste Erleichterung der Entdeckung der Wahrheit.

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e) bei Vokalen.~ f) Herstellung einfacher Geschmäcke und Gerüche sind gar wesentlich zur Klassifikation dieses so unklaren Gebietes. Wenn wir auf sie hoffen dürfen, so nur unter Benützung von genetischen Gesetzen. g) Noch in einer anderen Weise mag auf dem Gebiet der Psychognosie die Kennmis von Sätzen der genetischen Psychologie und oft in weitem Umfang nutzbar werden, nämlich da wo bei der Forschung schwierig zu analysierender Erscheinungen der Faden der Analogie uns leitet. In je mehr verwandten Punkten die Analogie einen Anhalt gewinnt, umso wahrscheinlicher (unbedenklicher) dürfen wir ihrer Führung vertrauen. Da wird dann jede Kenntnis eines verwandten Momentes, auch wenn es nicht selbst dem Gebiet der Psychologie angehört, von Wert se..in. h) Wiederum in Fällen, wo es sich auf dem Siiihesgebiet um psychognostische Messungen handelt - und wir werden sehen, wie solche zum Ausbau der Psychognosie Bedürfnis sind - wird man nicht wohl hoffen können, zum Ziele zu kommen, wenn man nicht Kenntnis der genetischen Psychologie zu Hilfe nimmt. Ich deute dies hier nur an; da die eingehende Untersuchung, ob und wie etwa in den großen Verlegenheiten, die hier entstehen, die genetische Psychologie Hilfe leisten kann, hier verfrüht sein würde. Alles das, was ich bis jetzt ausführte, bezog sich speziell auf Dienste, welche die genetische Psychologie der Psychognosie auf dem Sinnesgebiete leisten kann. Auf andern Gebieten dürften die Hilfsleistungen geringer, aber doch keineswegs verschwindend sein. So z.B. dient die Erweckung, dient das Festhalten einer Sinneserscheinung nicht bloß zu ihrer Beobachtung, sondern auch zur Beobachtung anderer Erscheinungen, die damit in regelmäßigem Zusammenhang auftreten. Und weiter wird von einer sehr allgemeinen Bedeutung für psychognostische Untersuchungen die Berücksichtigung von genetischen Gesetzen sein, welche sich auf die Bedingungen beziehen, unter welchen wir geneigt sind, uns über unsere inneren Erscheinungen zu täuschen. Denntrotz der Evidenz der

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inneren Wahrnehmung mißdeuten wir sie oft aufs Gröblichste, z.B. ZöLLNER'sche Figuren; Perspektive. Gleiches [halten wir] für ungleich, Ungleiches für gleich, Vielheit für eine Einheit (wie z.B. zwei phänomenal nicht unbeträchtlich von einander abstehende Linien trotz des Zwischenraums, der sie trennt, für eine u.dgl.). Diese Bemerkungen, - so manche andere auch noch hinzuzufügen wäre,- mögen genugsam unser Wort bewähren, daß die Psychognosie mannigfach mit Vorteil Kenntnisse der genetischen Psychologie verwerte. 24. Immerhin, wie hoch man sie auch anschlage, unvergleichlich höher sind doch die Dienste, welche die Psychognosie der genetischen Psychologie leistet. Wie gesagt, was ein Physiologe ohne anatomische, das ist ein genetischer Psychologe ohne psychognostische Kenntnisse. Und doch in was für einer kläglichen Unkenntnis der Psychognosie findet man oft die Forscher, die sich an genetisch psychologische Untersuchungen heranwagen, welches denn auch zur Folge hat, daß alle ihre Bemühungen scheitern. Da macht einer z.B. Untersuchungen über die Ursachen der Gedächtniserscheinungen, ohne auch nur die hauptsächlichsten charakteristischen Eigentümlichkeiten derselben zu kennen. Wie z.B. jene eigentümliche Modifikation, wodurch das, was früher als gegenwärtig sich darbot, als vergangen geschaut (und beurteilt) wird. Er behandelt es, als gelte es der Erklärung einer völlig gleichen oder nur etwa schwächeren Erscheinung. Ein anderer beschäftigt sich mit der Genesis von Irrtum und Wahn. Aber er hat sich in gar keiner Weise klar gemacht, was denn ein Urteil und was die Evidenz eines Urteils und was ein Schluß und seine einleuchtende Folgerichtigkeit ist. Und indem er die normalen Zustände in ihren wesentlichsten Eigentümlichkeiten verkennt, kann er sich einbilden, er habe sie und die Abweichungen von ihnen genugsam in ihren genetischen Gesetzen begriffen, wo er an die tiefgreifendsten Unterschiede zwischen den einen und anderen Zuständen mit keinem Worte noch gerührt hat. Eine Vervollkommnung der Psychognosie wird darum einer der wesentlichsten Schritte zur Anbahnung einer wahrhaft wissenschaftlichen genetischen Psychologie sein.

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II. ELEMENTE DES BEWUSSTSEINS

A. Einheit, nicht Einfachheit des Bewußtseins 1. Wir haben die Psychologie in Psychognosie und genetische Psychologie geschieden und von beiden eine kurze Begriffsbestimmung gegeben, auf Grund deren wir die natürliche Ordnung der beiden Disziplinen bestimmen konnten. 2. Es ergab sich die Psychognosie als die der natürlichen Ordnung nach frühere. So unzweifelhaft die Psychognosie mehrfach bei ihren Fortschritten Wahrheiten der genetischen Psychologie zu Hilfe nimmt, so kommen diese Dienstleistungen doch nicht in Vergleich gegen die Abhängigkeit, in welcher wir die genetische Psychologie von der Psychognosie finden, indem sie durchgängig psychognostischer Kenntnisse zur Unterlage bedarf. 3. In dieser wichtigen Folgerung erwies sich also unsere Begriffsbestimmung als ausreichend. Dagegen dürften, damit sie auch in jeder anderen Beziehung genüge, noch gewisse Erläuterungen unentbehrlich sein. 4. Wir sagten, die Psychognosie suche die Elemente des menschlichen Bewußtseins und ihre Verbindungsweisen zu bestimmen, darin liegt eingeschlossen, daß das Bewußtsein etwas sei, was aus einer Vielheit von Teilen bestehe. 5. Dies scheint im Widerspruch mit einer alten Lehre, daß die Seele etwas streng Einheitliches und völlig Einfaches sei. Freilich sind wir jedenfalls nicht die Ersten, welche dies leugnen, und schon David HUME bestritt die Behauptung als etwas, was der klarsten und unmittelbarsten Erfahrung entgegen sei. Wenn gewisse Philosophen sich selbst als etwas Einfaches wahrzunehmen versicherten, so wolle er, sagt er, nicht leugnen, daß das bei ihnen seine Richtigkeit habe. Aber von sich und von Jedermann (diese Spezies von Metaphysikern allein ausgenommen) sei er überzeugt, daß sie nichts seien als ein Bündel von verschiedenen Vorstellungen, die mit unsäglicher Schnelligkeit aufeinander folgten und in beständigem Flusse und ununterbrochener Bewegung seien. Indem wir von "Elementen" des

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Bewußtseins sprechen, scheinen wir seiner Absicht beizutreten. 6. Aber doch bin ich weit davon entfernt, in dem, was HUME hier sagt, einen vollkommen genauen und korrekten Ausdruck des wahren Sachverhaltes zu finden. a) Einmal ist es nicht richtig, daß unser Bewußtsein aus lauter Vorstellungen besteht. b) Und dann ist jedenfalls der Ausdruck "Bündel"5 eine für das wahre Verhalten sehr wenig treffende Bezeichnung. Zum "Bündel", wenn man es genau nimmt, gehört ein Strick oder Draht oder sonst etwas, was zusammenschnürt. Daß etwas solches oder auch nur Analoges beim menschlichen Bewußtsein sich zeige, davon kann gar keine Rede sein. Aber nehmen wir den Ausdruck etwas lockerer, fassen wir ihn nur als Bezeichnung für eine Vielheit von nebeneinander befindlichen Dingen, von welchen eines an dem andern hafte oder auch nur sich mit ihm berühre: so müssen wir HUME's Schilderung als ein wesentlich entstellendes Bild des Bewußtseins verwerfen. c) Kein Nebeneinander. d) Keine Vielfalt von Dingen, sondern aufs Unzweideutigste ein einziges Ding, welches das Ganze eines wirklichen menschlichen Bewußtseins umfaßt. Man hat dies schon oft mit aller Schärfe nachgewiesen. Unter andern finden Sie einen ausführlichen Nachweis davon in meiner Psychologie vom Empirischen Standpunkt in dem Kapitel von der Einheit des Bewußtseins. Ich will hier meinen Nachweis nur auf wenige Bemerkungen beschränken. Wenn man behauptet, daß unser gegenwärtiges Bewußtsein nicht zu einem Ding gehöre, sondern auf eine Vielheit von Dingen sich verteile, so heißt dies, daß es nicht ganz in einem Realen oder in einem Kollektiv von Realen bestehe. Das ist aber in keiner Weise denkbar. Ich schaue ein Bild, da habe ich eine Vorstellung (Empfindung) von verschiedenen Farben. (Unmöglich, daß ein Ding das eine, ein anderes das andere, ein drittes das dritte sehe, denn welches [wäre ein] Bemerken der Ordnung?) Ich sehe und höre und erkenne den Unterschied.

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Ich stelle etwas vor und urteile darüber. Ich ziehe einen Schluß. Ich denke etwas und will etwas. Ich begehre etwas um seiner selbst und etwas anderes als Mittel. Also [handelt es sich] entschieden [um] eine Einheit der Realität, welche das ganze gegenwärtige Bewußtsein umfaßt. 7. So wenig glücklich darum aber auch HUME unser Bewußtsein mit einem Bündel verglichen hat, in einem hat er unzweifelhaft reeht: Es bietet sich unserer inneren Wahrnehmung nicht als etwas Einfaches dar, sondern zeigt sich zusammengesetzt aus vielen Teilen. Einheit der Realität ist etwas anderes als Einfachheit der Realität.

B. Ablösbare und distinktioneile Teile 1. Ja wenn diese Teile auch nie als ein Nebeneinander erscheinen wie Teile eines räumlichen Kontinuums, so gilt doch von vielen unter ihnen, ähnlich wie von Teilen eines solchen Kontinuums, daß der eine von dem andern in gewisser Weise in Wirklichkeit losgelöst werden kann, indem er, der früher mit ihm als zur selben realen Einheit gehörig bestanden, dann noch besteht, wenn der andere aufgehört hat zu existieren. a) [Beispiele von beiderseitiger] wirklicher Abtrennbarkeit: Sehen und Hören, je Teile des Sehens und Teile des Hörens, sehen und sich erinnern, gesehen zu haben. b) [Beispiele] einseitiger Abtrennbarkeit: Sehen und Bemerken, Vorstellen und Begehren, Sehen einer besonderen Farbe und Vorstellen des Begriffs, Begriff und Urteil, Prämissen und Schluß usw. 2. Es ist also kein Zweifel: unser Bewußtsein ist zusammengesetzt und läßt Teile unterscheiden, von welchen, sei es

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gegenseitig, sei es einseitig, in Wirklichkeit der eine von andern ablösbar ist. 3. Auch mögen sich solche Teile innerhalb ihrer wieder in in Wirklichkeit von einander ablösbare Teile unterscheiden lassen, ehe man zu Teilen kommt, bei welchen eine solche beiderseitige oder einseitige Abtrennbarkeit nicht mehr stattfinden kann, und man könnte diese Elemente des menschlichen Bewußtseins nennen. 4. Indes, auch bei diesen letzten wirklich ablösbaren Teilen kann in gewissem Sinn noch von weiteren Teilen gesprochen werden. 5. Wer an Atome glaubt, der glaubt an Körperchen, die nicht in kleinere Körper auflösbar sind. Aber auch bei ihnen mag er von Hälften, Vierteln etc. sprechen: Teilen, die nicht wirklich ablösbar, aber doch unterscheidbar sind. Wir mögen sie im Unterschied von andern disti_nktionelle Teile nennen. Auch in dem menschlichen Bewußtsein gibt es nun außer ablösbaren auch bloß distinktionelle Teile. Und indem das Unterscheiden weitergeht, als die wirkliche Ablösbarkeit, könnte man von Teilen, resp. von Elementen der Elemente sprechen. 6. Obwohl das irgendwann wirkliche Bewußtsein eines Menschen zu einer einzigen Realität gehört, so ist, sagten wir, damit nicht gesagt, daß es ob dieser Einheit etwas Einfaches sei. Von räumlich auseinandertretenden Teilen zeigt allerdings die innere Wahrnehmung nichts. Aber dennoch ist es unzweifelhaft zusammengesetzt aus vielen Teilen, von welchen die einen wie z.B. Sehen- Hören gegenseitig, andere, wie z.B. das Sehen, vom Bemerken des Gesehenen, wenigstens einseitig ablösbar sind. Diese Teile, fanden wir, haben oft wieder Teile, welche ähnlich wirklich von einander abgelöst werden können. Ist dies bei gewissen Teilen nicht mehr der Fall, so könnte man solche nicht weiter teilbare Teile/Elemente des menschlichen Bewußtseins nennen. 7. Aber, sagten wir, auch bei den letzten wirklich ablösbaren Teilen, könne in einem gewissen Sinn noch von weiteren Teilungen gesprochen werden, welche nicht durch wirkliches Ablösen, sondern durch Unterscheidung gefunden würden. Ich nannte sie, im Unterschied von den wirklich ablösbaren, distinktioneHe Teile. Und erläuterte den Begriff an den Teilen,

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welche nach dem Atomisten die kleinsten abtrennbaren Körperehen besitzen. 8. Solche bloß distinktioneile Teile gebe es nun auch im menschlichen Bewußtsein, also auch hier in gewissem Sinne Teile der Elemente. Und wenn einmal wie von Teilen, so möge man ohne Widerspruch in letzter Instanz auch von Elementen der Elemente sprechen (nämlich von letzten bloß distinktioneilen Teilen der letzten ablösbaren Teile). 9. Dies bedarf auch einiger Aufklärung. Denn solcherlei distinktioneile Teile, wie (wenn es Atome gibt) die obere und untere Hälfte oder die 4 Vierteile eines Atoms, können im Bewußtsein nicht unterschieden werden. Es erscheint ja nicht räumlich ausgedehnt. Aber wie der Umstand, daß keine räumlich ablösbaren Teile, nicht ausschloß, daß [es] irgendwelche ablösbaren Teile [gibt], so auch die Tatsache, daß keine bloß distinktioneilen räumlichen Teile, nicht, daß [es] irgendwelche distinktioneile [gibt]. Wie dies denkbar sei, zeige ich Ihnen (glaube ich) am einfachsten, indem ich mir für einen Augenblick eine Fiktion erlaube. C. Ein fiktives Beispiel

1. Der Mensch hat eine angeborene Neigung, seinen Sinnen zu vertrauen, er glaubt an die wirkliche Existenz von Farben, Tönen und was sonst eine sinnliche Vorstellung enthalten mag. Man hat ja darum von äußerer Wahrnehmung gesprochen, die man in ihrer Verlässigkeit der inneren zur Seite stellte. Dieses Vertrauen hat der Erfahrenere und insbesondere der wissenschaftlich Aufgeklärte nicht mehr. Wir wollen nun aber für einen Moment zu dem naiven Ausgangsstadium unseres Urteilens zurückkehren und fingieren: das sei wirklich, was eine sog. äußere Wahrnehmung, also z.B. eine Gesichtswahrnehmung, uns vorstellt. Aus welchen Teilen würde sich diese Wirklichkeit zusammengesetzt zeigen? 2. Nun, vor allem aus räumlichen Teilen, die dann wohl auch, vielfach wenigstens, von einander ablösbar sein möchten.

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Offenbar aber auch noch aus Teilen ganz anderer Art. Nehmen wir an, wir fänden in dem durch die Anschauung umfaßten Raume zwei blaue, einen grauen und einen gelben Fleck. Die beiden blauen Flecke wären von einander verschieden, und jeder von ihnen wäre verschieden von dem gelben. Aber doch bestände zwischen dem Verhälmis der zwei blauen zu einander und dem einen der blauen zu dem gelben ein wesentlicher Unterschied. Wir sagen, zwischen den zwei blauen finde sich eine örtliche Differenz, zwischen den blauen und gelben aber eine örtliche und eine qualitative Differenz, so daß also hier zweierlei Differenzen sind, während dort neben einem Verhälmis der Differenz auch ein Verhältnis der Übereinstimmung [besteht]. Wir werden also bei dem blauen Fleck ein zweifaches zu unterscheiden haben, die besondere Örtlichkeit und die besondere Qualität, d.i. die besondere Farbe. Es sind also eine Besonderheit der Farbe und eine Besonderheit des Orts in ihm zu unterscheiden. Und somit sind sie in ihm wirklich enthalten, sind distinktioneHe Teile von ihnen. Gehen wir weiter! Vergleichen wir den grauen Fleck mit dem gelben einerseits und mit einem blauen andererseits, so werden wir hier wie dort jene doppelte Differenz finden, welche wir auch zwischen dem blauen und gelben bemerkt hatten, die örtliche und die qualitative. Es mag aber geschehen, daß, wenn wir eine der helleren Nuancen von Grau vor uns haben, daß wir zwischen ihm und dem Blau eine Differenz finden, die wir nicht zwischen dem Grau und Gelb zu entdecken vermögen; und welche wir eine Differenz der Helligkeiten nennen. Die gegebene Nuance von Grau stellen wir diesem Gelb in der Helligkeit gleich, während wir sagen, daß sie sich von dem gegebenen Blau in Ansehung der Helligkeit unterscheide. Da hätten wir also noch ein drittes, welches sich in jedem der drei Flecken unterscheiden ließe, und als ein distinktioneHerTeil von ihm zu bezeichnen wäre: a) örtliche Besonderheit, b) Besonderheit der Helligkeit, c) Besonderheit der Qualität. 3. Vielleicht sagt einer hier: "Ich gebe zu, daß du hier mit Recht von Teilen sprichst. Aber warum rechnest du sie zu den

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distinktioneBen und nicht vielmehr zu den ablösbaren Teilen? Der blaue Fleck kann fortbewegt werden, ohne aufzuhören blau zu sein, er verliert also seine gegebene örtliche Besonderheit, während seine qualitative Besonderheit unverändert besteht. Oder der blaue Fleck kann sich verfärbend in einen roten verwandeln, während seine örtliche Bestimmtheit unverändert sich erhält. Also sollte man nicht sowohl von distinktioneBen als von wirklich ablösbaren Teilen sprechen". 4. Diese Bemerkung ist irrig. Sie müssen aber, - wenn diese Betrachtungen Ihnen bis jetzt fremd waren, recht achtsam sein, um die Falschheit der Behauptung deutlich zu erkennen. Wenn wir zwei Flecken vor uns haben, die der Helligkeit, der Qualität nach und vielleicht noch in andern Stücken übereinstimmend, nur dem Orte nach verschiedef} sind, so erscheinen sie trotz so vielfältiger Übereinstimmung ,~ls zwei. Und zwar reden wir nicht bloß von zwei örtlichen Bestimmtheiten, sondern auch von zwei individuell verschiedenen Qualitäten, zwei individuell verschiedenen Helligkeiten. In der Tat, wäre es individuell, also in vollem Sinn des Wortes ein und dasselbe Blau, welches hier und dort wäre, wie könnte das eine fortbestehen, während das andere sich z.B. in Rot verwandelt. Die örtliche Differenz hat also die zwei im übrigen gleichen Flecken individualisiert. Wenn nur die örtliche Besonderheit geändert wird, was ist die Folge? Kann noch individuell dasselbe Blau fortbestehen?Offenbar nicht. Somit besteht nicht mehr dasselbe individuelle Blau, das vorher die örtliche Besonderheit an sich hatte, jetzt von ihm abgelöst fort, sondern es besteht ein individuell anderes, nur der Art nach ihm gleiches, in Wirklichkeit aber so wahrhaft von ihm verschiedenes, wie zwei gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten bestehende Blau in Wirklichkeit von einander verschieden, das eine also nicht das andere ist. Somit hat sich dieses einzelne Blau in Wirklichkeit von diesem einzelnen Ort unablösbar bewiesen. Und ähnlich wie dieses individuelle Blau von diesem individuellen Ort, ist auch diese individuelle Helligkeit nicht '\on

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diesem individuellen Blau ablösbar, obwohl vielleicht dieses Blau in allmählicher Umwandlung in ein Braun oder in eine andere Farbe übergeführt werden kann, während die Helligkeit gleich bleibt. Eine gleiche Helligkeit ist eben nicht individuell und wirklich dieselbe. Auf solche Art also ergibt sich, daß wir, wenn wir mit Recht bei einem farbigen Fleck von Helligkeit, Qualität und örtlicher Besonderheit als von drei Teilen sprachen, dies doch nur im Sinne von bloß distinktionellen, nicht aber von wirklich ablösbaren Teilen geschehen durfte. 5. Wir haben also an den von uns als wirklich fingierten Inhalt unserer Gesichtsempfindung rein distinktionelle Teile gefunden, welche nicht räumlich nebeneinander treten, vielmehr ganz anders verbunden, sich sozusagen wechselseitig durchdringen. Helligkeit, Qualität und örtliche Besonderheit. Ich will Ihnen nun zeigen, wie in dieser fingierten Wirklichkeit noch weitere distinktionelleTeile gefunden werden könnten, deren Verbindung wiederum einen ganz abweichenden Charakter tragen würde. 6. Wenn ich einen blauen und einen gelben Punkt vor mir habe, so finde ich sie wie dem Ort und der Helligkeit, so auch der Qualität nach verschieden. Aber dies nicht so, daß ich sie doch zugleich der Qualität nach in einer gewissen Übereinstimmung fände. Es dürfte dies sofort jedem von Ihnen offenbar werden, wenn er an einen Schall denkt und ihn mit dem blauen und gelben Punkt vergleicht. Blau und Gelb zeigen sich im Unterschied von jenem Schall sofort qualitativ verwandt und übereinstimmend, insofern sie farbig sind. Wir konstatieren also hier der Qualität nach und also demselben Stücke nach, was wir früher als einheitlichen Teil distinktioneil absonderten, einerseits eine Differenz, andererseits eine Übereinstimmung. Wir sagen, die zwei Qualitäten stimmen darin überein, daß sie Farben sind, unterscheiden sich aber dadurch, daß die eine eine blaue, die andere eine gelbe Farbe ist. Wir haben also, was die Qualität selbst anlangt, sowohl Übereinstimmung als Verschiedenheit, also teilweise Übereinstimmung, teilweise Verschiedenheit.

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Und was sind das für Teile, die hier zur Sprache kommen? Gewiß, wenn im früheren Fall, [dann] auch jetzt wieder nur distinktioneile Teile. Eine Farbe im allgemeinen, welche weder gelb und blau noch irgendwie sonst qualitativ genauer bestimmt ist, kann es ja nicht geben. Und ebensowenig kann es geschehen, daß eine Farbe als Farbe individuell dieselbe bleibt, während sie aufgehört hat gelb zu sein und statt dessen blau ist. 7. Hier also, wie dort, handelt es sich um rein distinktioneile Scheidung von Teilen. Es ist aber doch zugleich unzweifelhaft, daß es sich hier um eine Verbindung von Teilen handelt, welche einen wesentlichen andern Charakter trägt. Da wo wir Qualität und örtliche Besonderheit unterscheiden, handelt es sich um zwei spezifische Bestimmtheiten verschiedener Gattung, welche, sich eigentümlich einander durchdringend, gegenseitig zu ihrer Individualisierung beitragen. Hier dagegen handelt es sich um zwei Bestimmtheiten, von welchen die eine über die andere untergeordnet das Ding s.z.s. von derselben Seite (nur die eine minder, die andere mehr) bestimmen, mit andern Worten um das, was man im strengen Sinn eine logische Gattungsbestimmtheit und eine logische spezifische Differenz nennt. Dabei ist das eigentümlich, daß auch distinktioneil nur eine einseitige Ablösbarkeit gegeben ist. Denn wenn Röte so viel ist wie rote Farbe, also Farbe die Gattungsbestimmtheit, Rot die spezifische Differenz ist, so ist's offenbar, daß zwar die Gattungsbestimmtheit Farbe dinstinktionell abtrennbar ist von rot, die spezifische Differenz rot aber nicht ebenso von Farbe, daß vielmehr die Differenz der ganzen Speziesbestimmtheit (Gattung und Differenz zusammengefaßt) gleich ist. 8. Also mehrere, wesentlich verschiedene Klassen rein distinktioneHer Teile haben wir an der von uns fingierten unserer Gesichtswahrnehmung entsprechenden Wirklichkeit nachgewiesen. 9. Ehe wir daran gehen, das menschliche Bewußtsein bezüglich der Frage nach den distinktioneilen Teilen zu prüfen, wollen wir ähnlich, wie wir fingierten, es sei unsere Empfindungsvorstellung getreues Abbild einer Wirklichkeit, nun auch

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noch einen Augenblick fingieren, es gelte dasselbe von einer Vorstellung, die manche zur Empfindungsvorstellung selbst rechnen, während sie tatsächlich vielmehr eine Vorstellung der ursprünglichen Assoziation genannt zu werden verdient. Erläuterungen an einem gesprochenen Wort, ja einer gesprochenen Silbe, an einer melodischen Sukzession, an einer Anschauung von Bewegung. Das Besondere ist hier, daß gewisse Qualitäten so oder anders näher bestimmt nicht wie in der Empfindung, sondern in der Art verändert auftreten, daß sie als vergangen und mehr und mehr vergangen vorgestellt werden. Denken wir, der Vorstellung entspräche eine Wirklichkeit, so wäre sie kein Ton, sondern ein gewesener Ton, keine Farbe, sondern eine gewesene Farbe, keine örtliche Besonderheit, sondern eine gewesene örtliche Besonderheit u.dgl. "Gewesen" verhält sich zu "Ton" nicht wie eine determinierende bereichernde, sondern eine modifizierende Bestimmung. Ton ist im gewesenen Ton nicht eigentlich, sondern modifiziert enthalten und kann darum auch nicht durch ein eigentliches, einfaches Distinguieren (Bemerken), sondern nur durch ein modifizierendes Distinguieren daraus gewonnen werden. Wollen wir "Ton" darum einen distinktioneilen Teil nennen von "gewesenem Ton" so in einem beträchtlich abweichenden und minder eigentlichen Sinne. 6 10. Und so hätten wir denn in den von uns unsernsinnlichen Vorstellungen entsprechend als wirklich fingierten Gegenständen distinktioneHe Teile von sehr verschiedenem Charakter namhaft gemacht. Vor allem können wir die distinktioneilen Teile in zwei Klassen scheiden: (i) distinktioneHe Teile im eigentlichen Sinne und (ii) durch modifizierende Distinktion zu gewinnende Teile. Dann wieder [können wir] zwei verschiedene Klassen von eigentlich distinktionellen Teilen [unterscheiden], von welchen wir die einen - da ein allgemein üblicher wissenschaftlicher Terminus fehlt- sich durchwohnende Teile, die andern logische Teile nennen mögen. 11. Diese Betrachtung dürfte uns dartun, daß, wenn beim menschlichen Bewußtsein nicht (wie bei einem etwa bestehenden Atom) rein distinktioneHe räumliche Teile vorkommen können, doch distinktioneHe Teile anderen und vielleicht

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mannigfach verschiedenen Charakters noch immer denkbar sind. In Wahrheit finden sich denn auch im menschlichen Bewußtsein distinktioneHe Teile, welche zu den verschiedenen Klassen, die wir eben zusammengestellt, gehören; ja sie zeigen sich von noch mannigfaltigerer Art.

D. Distinktionelle Teile im eigentlichen Sinne 1. Sich durchwohnende Teile

1. Die folgenden sind sich durchwohnende Teile im Urteilsakt "Es gibt eine Wahrheit": a) bejahende Qualität, b) das Gerichtetsein auf das Objekt "Wahrheit", c) Evidenz, d) die apodiktische Modalität,daß eine Wahrheit ist, wird als notwendig wahr erkannt. Denn wäre es falsch, daß es eine Wahrheit gibt, so wäre es wahr, daß es keine Wahrheit gibt, also gäbe es eine Wahrheit und doch auch keine Wahrheit, was widerspricht. Es ist dies nicht dasselbe wie "Evidenz", denn "ich bin" ist mir evident, doch leuchtet es nicht als notwendige Wahrheit ein. 2. Da hätten wir also in einem Akte 4 einander durchwohnende Besonderheiten und vielleicht würden wir in demselben Akte noch eine größere Zahl sich durchwohnender distinktioneHer Teile zu entdecken vermögen. Doch zu unserem Zweck genügen auch diese. 2. Logische Teile 1. Zum Beispiel, in einer Bejahung, daß sie ein anerkennendes Beurteilen 8 und im Urteilen, daß es eine urteilende, intentionale (Bewußtseins-)Beziehung ist. Es trifft auch hier zu, was wir früher als allgemeine Eigenheit für alle logischen Teile hervorhoben, nämlich daß die distinktioneile Abtrennbarkeie nur eine einseitige ist. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Empfinden,

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Sehen, Rotsehen; d.h., Empfinden, sehendes (farbenempfindendes) Empfinden, und rotsehendes Sehen (rotempfindendes Farbenempfinden). 2. Diese zwei Klassen distinktioneHer Teile im eigentlichen Sinn waren alte Bekannte. Es kommen aber auf dem Gebiet des Bewußtseins noch zwei andere hinzu. Die eine ist die psychische Beziehung, welche für jedes Bewußtsein wesentlich ist, die andere die untrennbare Verbindung der primären und concomitierenden psychischen Beziehung. 3. Teile des intentionalen Korrelatenpaares 1. Vor allem also ist es eine Eigenheit, welche für das Bewußtsein allgemein charakteristisch ist, daß es immer und überall, d.h. in jedem seiner ablösbaren Teile eine gewisse Art von Relation zeigt, welche ein Subjekt zu einem Objekt in Beziehung setzt. Man nennt sie auch "intentionale Beziehung". Zu jedem Bewußtsein gehört wesentlich eine Beziehung. 2. Wie bei jeder Beziehung finden sich daher auch hier zwei Korrelate. Das eine Korrelat ist der Bewußtseinsakt, das andere das, worauf er gerichtet ist. Sehen und Gesehenes, Vorstellen und Vorgestelltes, Wollen und Gewolltes, Lieben und Geliebtes, Leugnen und Geleugnetes usw. Bei diesen Korrelaten zeigt sich, wie schon ARISTOTELES 9 hervorhob, die Eigentümlichkeit, daß das eine allein real, das andere dagegen nichts Reales ist. So wenig ein gewesener Mensch, so wenig ist ein gedachter etwas Reales. Der gedachte Mensch hat darum auch keine eigentliche Ursache und kann nicht eigentlich eine Wirkung üben, sondern indem der Bewußtseinsakt, das Denken des Menschen gewirkt wird, ist der gedachte Mensch, sein nichtreales Korrelat, mit da. Trennbar sind die Korrelate nicht von einander, außer [wenn sie] distinktioneil [sind]. Und so haben wir denn auch hier zwei rein distinktioneHe

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Teile des Korrelatenpaares, von welchen der eine real ist, der andere nicht. 3. Erläuterungen des Ausdrucks Objekt: etwas innerlich Gegenständliches ist gemeint. Draußen braucht ihm nichts zu entsprechen. Zur Verhütung von Mißverständnissen mag man es "inwohnendes" "immanentes" Objekt nennen. Es ist dies etwas a) allgemein und b) ausschließlich dem Bewußtsein eigenes. Gibt es, wie wir gemeiniglich glauben, eine bewußtlose Körperwelt mit sinnlichen Qualitäten, oder statt ihrer mit einer Masse, von was immer für einer uns unanschaulichen Beschaffenheit gewisse Räume erfüllend, so hat sie gewiß an mancherlei andern Relationen, von Teil und Ganzem, von Übereinstimmung und Verschiedenheit, von Ursache und Wirkung u.dgl. Anteil. Aber schlechterdings hat sie nicht an solcher intentionalen Relation teil. Daher "psychische Relation". Dies bringt offenbar in das Gebiet des Bewußtseins eine gewisse Verwicklung, welche in den von uns betrachteten sinnlichen Phänomenen nicht gegeben war. 4. Die primäre und die sekundäre psychische Beziehung 1. Und noch größer wird die Verwicklung durch das zweite Moment, welches wir für das Bewußtsein als allgemeine Tatsache namhaft machten, nämlich die der untrennbaren Verbindung einer primären und concomitierenden psychischen Beziehung. Jedes Bewußtsein, primär auf was immer für ein Objekt gerichtet, geht nebenher auf sich selbst. Im Vorstellen der Farbe also zugleich ein Vorstellen dieses Vorstellens. Schon ARISTOTELES [betont], daß in dem psychischen Phänomene selbst das Bewußtsein von ihm mitbeschlossen sei. 10 2. In neuer Zeit [haben das] manche geleugnet. Man sehe oft etwas und habe kein Bewußtsein davon, daß man es sehe. Man denke etwas und habe kein Bewußtsein davon, daß man es denke.

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So mache man einen Schluß und könne die Prämissen nicht angeben, noch sonst irgendwie von dem Vorgang Rechenschaft geben. 3. Ja manche [gehen] noch weiter. Sie zitieren (wie z.B. Albert LANGE) beifällig einen Ausspruch GOETHE's: "Er habe nie an Denken gedacht". Wonach man wohl annehmen muß, sie meinten, wir hätten nie und in keinem Falle eine solche sekundäre Beziehung des Bewußtseins mit der primären geeinigt. 4. Indes, was die Bemerkung GOETHES betrifft, so wäre sie, wenn man sie wörtlich nehmen wollte, eine so offenbare Absurdität, daß auch die größte Ehrfurcht vor ihm nicht ausreichen würde, uns zur Zustimmung zu bewegen. Er hat nie an Denken gedacht? sagt er uns. Denkt er denn nicht selbst in diesem Augenblick daran, oder spricht er davon, ohne daran zu denken? Und sprach ohne zu denken, was er sprach, sooft er im Faust oder wo immer sonst des Denkensund Erkennens und Irrens Erwähnung getan. Nein, eine solche Albernheit dürfen wir gewiß in GOETHE nicht hineininterpretieren. Er mochte vielleicht sagen wollen, daß er nie über das Denken nachgedacht habe, oder daß er nie das gegenwärtig sich in ihm abspielende Denken beobachtet habe, was alles unserer Aufstellung nicht entgegen wäre. Ein Mathematiker, der in seine Rechnung vertieft ist, wendet seine ganze Aufmerksamkeit den Zahlenverhältnissen zu, er beobachtet gewiß nicht sein Denken, da er es vielmehr nur nebenher mit wahrnimmt. 5. Und so löst sich denn überhaupt auf das Leichteste jeder Schein, als ob bei irgendwelcher psychischen Betätigung die sekundäre psychische Beziehung entfalle, wenn man nur bedenkt, daß es etwas anderes ist, mit ins Bewußtsein fallen und im Besondern bemerkt und in der Art deutlich erfaßt zu werden, daß eine zutreffende Bestimmung und Beschreibung möglich wird . . Wer eine Lerche im Blau des Himmels sieht, bemerkt sie darum noch nicht und so wird er, wenn er auch sein Sehen der Lerche mitempfindet, ebensowenig sein Sehen der Lerche bemerken; würde er aber einmal die Lerche nicht bloß sehen, sondern auch bemerken, so würde er gewiß zugleich bemerken,

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daß er sie sieht. Wenn einer ein menschliches Gesicht sieht, sieht er alle Züge und Farben, die es enthält, kann aber darum keineswegs alle in treffender Beschreibung namhaft machen. Und wenn er davon ein Porträt macht, hält er es vielleicht für sehr gut getroffen, während er tatsächlich etwas geliefert hat, was in Farben und Formen von dem Original so verschieden ist, daß niemand die Person zu erkennen vermag. Etwas anderes also ist sehen und sich klar sein über das Gesehene und so denn auch etwas anderes das Sehen mitempfinden und sich klar sein über dieses mitempfundene Sehen. Wenn einer einen Begriff denkt, so hat er unleugbar alle die darin beschlossenen Merkmale mitgedacht; aber deutlich bemerkt hat er sie daran vielleicht so wenig, daß er unfähig ist, ihn zu definieren, ja eine falsche Definition als zutreffend gelten läßt, bis er aufmerksam gemacht wird auf das, was daran fehlt. Und so kann es denn auch sehr begreiflicher Weise geschehen, daß einer Schlüsse zieht und durchaus nicht imstande ist von dem Denkprozeß genau und fehllos Rechenschaft zu geben. PLA TON konnte es begegnen, daß er ganz allgemein die Schlüsse den Prozessen der Wiedererinnerung unterordnen wollte, mit denen sie doch so wenig wahre Ähnlichkeit besitzen. Deswegen hat er sie doch gezogen, wie wir sie ziehen und, wie wir, auch nicht in der Art unbewußt, daß die primäre Beziehung des Denkens nicht mit einer sekundären auf das Denken selbst gerichteten verbunden gewesen wäre. 6. Also die von ARISTOTELES schon geltend gemachte Tatsache besteht zu Recht, wie auch immer Einzelne an ihr irre geworden sind, und es ist an ihr kein Zweifel möglich. So gewiß es ist, daß kein Bewußtsein überhaupt ohne intentionale Beziehung ist, so gewiß ist es, daß es außer dem, worauf es primär gerichtet ist, sich selbst nebenher zum Objekte hat.n Es gehört dies wesentlich zur Natur jedes psychischen Aktes. 7. Und aus dieser tatsächlichen Doppelbeziehung ergibt sich nun das Ganze jener größeren Verwicklung, von der ich sprach, und welche uns das Bewußtsein an distinktionellen Teilen noch reicher erscheinen läßt, als die zuvor von uns studierten sinnlichen Phänomene. a) Man bemerkt leicht, daß man hier etwas anderes vor sich

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hat, als bei der Verbindung logischer Teile. Kein Teil ist hier Gattungsbestimmtheit, zu welcher die Differenz hinzukäme. b) Aber auch von dem Verhalten der sich durchwohnenden Teile ist das Verhalten dieser Teile wesentlich verschieden. Wenn wir beim Urteilsakt "Es gibt eine Wahrheit" mehrere sich durchwohnende Teile unterschieden, wie z.B. Bejahung und Evidenz, so gehörten doch alle zur Beziehung aqf dasselbe Objekt, auf Wahrheit als Wahrheit. Ganz anders ist es hier. Das Empfinden der Farbe und das Mitempfinden dieses Empfindens gehen auf verschiedene Objekte. Dadurch ähnelt der Fall dem gewisser ablösbarer Teile, die wir früher auf psychischem Gebiet unterschieden wie z.B. Sehen und Hören und gleichzeitiges Sehen von verschiedenen Teilen desselben Bildes. Während bei diesen nur wirkliche Ablösbarkeit [möglich ist, so dort nur] distinktionelle. Und darum konnten wir vielleicht nicht unpassend wie jene als wirklich ablösbare, diese als unablösbare (distinktionelle) psychische Teile bezeichnen. 8. Das also waren die vier Gattungen von distinktioneilen Teilen im eigentlichen Sinne, die, wie wir sagten, das Gebiet des Bewußtseins aufweist: (1) sich durchwohnende, (2) logische, (3) die Teile des intentionalen Korrelatenpaares, (4) bloß distinktionelle Teile der psychischen Diploseenergie, [primäre und sekundäre psychische Beziehung], wobei dahingestellt [sei], ob sie nicht wieder von zweifacher Klasse [ist].

E. Distinktionelle Teile im modifizierenden Sinn 1. Es bleibt uns nun noch übrig, von den durch modifizierende Distinktion zu gewinnenden Teilen zu sprechen, die auf dem Gebiete des Bewußtseins sich finden. 2. Da wir für die logischen Teile, die sich auf dem Gebiet des

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Bewußtseins finden, Beispiele gaben, führten wir unter anderem folgendes an: Empfinden, Sehen, Rotsehen. Und bemerkten dabei, daß auch in ihnen das Eigentümliche aller logischen Teile sich zeigte, nämlich die bloß einseitige distinktionelle Ablösbarkeit der Gattungsbestimmtheit. Die Differenz setze sie immer voraus, schließe sie ein, und sei so inhaltlich gleich den Spezies. 3. So richtig die Bemerkung war, könnte einer doch versucht sein, sie für unrichtig zu erklären. Das Empfinden, könnte er sagen, differenziert sich als ein Empfinden von Farbe, Schall usw. Das Sehen, d.i. das Empfinden von Farbigem als ein Sehen von Blau, Rot, Gelb u.s.f. Es differenzieren sich also diese Akte nach den Objekten und den Differenzen der Objekte wie Farbe, Blau, Rot. Die Objekte aber enthalten nicht die Gattungsbestimmtheit Empfinden, Sehen. Also haben wir hier einen Fall, wo logische Teile gegenseitig ablösbar sind. 4.Die Widerlegung liegt darin, daß nicht Farbe die Differenz ist, welche Sehen von andern Arten des Empfindens scheidet, sondern Farbempfindung, denn wäre Farbe die Differenz des Sehens, so müßte das Sehen ein farbiges Empfinden, also selbst farbig sein, was nicht richtig ist. Und ähnlich ist es dann nicht richtig, daß Rot die Differenz ist, welche das Rotsehen von andern Arten des Sehens scheidet, sonst müßte das Rotsehen etwas Rotes sein. 5. Aber wenn der Einwand auf einem Irrtum beruhte, so rührte er darum doch an etwas Wahres. Schon ARISTOTELES sagt, das Sehende sei gewissermaßen gefärbt. 12 Wenn das Sehende eigentlich "gefärbt, farbig" wäre, wenn es eigentlich die Farbe in und an sich hätte, so wäre bei dem Sehen als farbigem Empfinden wirklich Differenz von Gattungsbestimmtheit wie umgekehrt distinktioneil trennbar. Aber es ist nur "gewissermaßen" gefärbt, die Farbe ist nicht eigentlich in ihm und kann darum nicht als eigentlicher distinktionellerTeil vom Sehen bezeichnet werden. Aber indem sie doch wenigstens "gewissermaßen" in ihm ist, zeigt sich, daß hier etwas vorliegt, wie wir es bei dem Phänomen

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des vergangeneo Tons konstatierten, in welchem der Ton gewissermaßen lag. Und wie dieser, so wird darum die Farbe aus dem Sehen durch modifizierende Distinktion als Teil gewonnen werden können. Darum ist Farbe auch offenbar in gewisser Weise einfacher als Sehen der Farbe, wie das Phänomen Ton einfacher ist als das des vergangeneo Tons. 6. Und was von dem realen Glied der intentionalen Beziehung gilt, das gilt auch von seinem nicht realen Korrelat. "Gesehene Farbe" enthält gewissermaßen Farbe in sich, nicht als dinstinktioneller Teil im eigentlichen Sinn, sondern als ein durch modifizierende Distinktion daraus zu gewinnender Teil. 7. Hier haben wir also den Nachweis der Existenz auch solcher distinktioneHer Teile auf dem Gebiet des Bewußtseins. Es können als solche Teile bezeichnet werden die Objekte im Akt und in seinem intentionalen Korrelat. 8. Unddaranschließen sich dann weiter noch die Teile dieser Teile als uneigentliche distinktioneHe Teile; z.B., wie Laut als Teil eines als vergangen sinnlich vorgestellten Lautes. 9. [Es besteht die] Notwendigkeit, in der Psychognosie auch auf die rein distinktioneilen Elemente zurückzugehen, a) sonst [gibt es] keine deutliche Beschreibung, b) sonst [entsteht] eine unsägliche Vervielfältigung, bei welcher [man] an kein Ende [kommt]. [Es gäbe] unzählige Namen (soviel Punkte in dem Sehfelde, soviel Namen hier allein, wenn nicht mehr), c) insbesondere auch noch dies: das Unterscheiden eines rein distinktioneilen Teils macht das Wesen besonderer abtrennbarer Teile aus. Diese sind so vielfach wie die unterschiedenen distinktionellenTeile und sind durch sie zu definieren. Somit ist klar, daß die vollständige Übersicht über die wirklich ablösbaren Teile von der Übersicht über die rein distinktionellen untrennbar ist.

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III. DAS RICHTIGE VERFAHREN DES PSYCHOGNOSTS A. Einleitung 1. Wenn auch die Psychognosie, mit der genetischen Psychologie verglichen, die ungleich leichtere Aufgabe hat, so bleibt sie doch, sagten wir, an und für sich eine schwierige. Zeichen genug [ist] der Zustand, in welchem sie sich noch heute findet. Einesteils zeigt sie die beträchtlichsten Lücken. Viele Fragen werden gewöhnlich ganz unberührt gelassen, geschweige, daß man sie in wahrhaft wissenschaftlicher Weise in Angriff nähme. Und in andern, die man eingehend behandelt, findet man schier überall einen Kampf aller gegen alle, wenn nicht gar einen Kampf derselben gegen sich selbst. 2. Wo sovielein ihrem Unternehmen scheiterten, wie sollten wir nicht mit einer gewissen Besorgnis an die Sache herantreten? Jedenfalls wird es gut sein, wie einer, der eine gefährliche Seereise beginnt, sich nach Möglichkeit darüber zu orientieren, wo etwa die Klippen, wo die Sandbänke sind, an denen wir stranden können. 3. Damit der Psychognost seine Absicht erreiche, hat er ein Mehrfaches zu leisten. a) Er muß erleben, b) er muß bemerken, c) er muß, was er bemerkt, fixieren um es zu sammeln, d) er muß induzierend verallgemeinern; 4. er muß, wo die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit der Vereinigung gewisser Elemente aus den Begriffen selbst erhellt, diese allgemeinen Gesetze intuitiv erfassen; 5. er muß- können wir endlich hinzufügen- was er auf dem einen oder andern Weg von allgemeinen Gesetzen gewonnen, deduktiv verwerten, wodurch er manche die Elemente betreffende Frage, die sonst kaum beantwortet werden könnte, zu lösen vermag. 6. Wir wollen jeden der bezeichneten Punkte etwas erläutern und zeigen, inwiefern es mehr oder minder zu besorgen ist, daß Unvollkommenheiten der Psychognosie aus ihm ihren Ursprung nehmen.

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B. Das Erleben 1. Also, vor allem, der Psychognost muß erleben, d.h. seine innere Wahrnehmung muß, wenn nicht zugleich, doch sukzessiv, eine Fülle von Tatsachen des menschlichen Bewußtseins erfassen, wenn ihm nicht das zu seinen Forschungen notwendige empirische Material fehlen soll. 2. Bei diesem Erleben, Erfahren, ist zunächst kein Irrtum möglich. Dagegen Unvollständigkeit wegen engerer Beschränkung des eigenen Lebens gegenüber dem Kreis allgemein menschlicher Erfahrungen. 3. Nicht jede solche engere Beschränkung muß indes der Vollständigkeit der Psychognosie Eintrag tun, denn sonst, wie könnte oder möchte auch nur der Einzelne alles Menschenmögliche selbst in seinem lnnern erfahren? a) Die komplizierteren Zustände braucht einer nicht alle zu erfahren, um alle Elemente zu erfahren; b) auch von diesen aber bJ"aucht er die ablösbaren sicher nicht alle zu erfahren, um sie mit zu überblicken, wenn er nur die rein distinktioneilen Elemente dieser ablösbaren Elemente sämtlich in seinem Bewußtsein birgt. Ich muß nicht jedes einfache Urteil gefällt, jeden Wunsch gehegt haben, um den zu verstehen, der sie mir ausspricht. Wenn ich sie erlebte, würde ich sie als Psychognost gar nicht besonders registriert haben, sondern- da ich ja sonst in nutzlose Weitschweifigkeit, ja ins Endlose geriete in der Charakteristik der Klassen, zu denen sie gehören -, mit umfassen; c) ja noch weiter können wir gehen! Sogar von den rein distinktionellen Elementen kann man sagen, daß sie in dem innern Leben eines Psychognosten nicht alle vorhanden sein müssen, damit er schier ebenso gut, wie wenn dies der Fall wäre, die Aufgabe ausführen könnte. Z.B. bei räumlichen Elementen. Erläuterung: keine unendliche Raum- wie keine unendliche Zeitanschauung. Aber [das hieße,] unsere begrifflichen Bestimmungen erweitern ins Unendliche. Es verschlüge wenig, wenn der

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anschauliche Teil bei einem Menschen enger [wäre] als beim anderen. d) Dagegen gibt es allerdings andere Fälle, wo der Mangel gewisser Erscheinungen in der Tat eine Unvollständigkeit psychognostischer Kenntnisse nach sich zieht; so der Mangel des Geruchs, der Mangel des Gehörs, Gesichts, ja auch teilweiser Mangel, wie beim Rotblinden oder bei denjenigen, welche keine Farbenunterschiede im engem Sinn, sondern die Welt wie im Kupferstich sehen. · 4. Auf solche Fälle rudimentären Seelenlebens beschränkt sich also wesentlich die Gefahr, daß wegen Mangels genügenden Erfahrungsmaterials der Psychognost seine Aufgabe nicht werde lösen können. 5. Sie sind nicht selten. Man gibt an, unter 12 [gebe es] durchschnittlich einen, welcher nicht alle Farben sehe. Doch [das ist] ungenau; es variiert bei verschiedenen Völkern. Bei manchen [ist] die Zahl zu hoch gegriffen, bei andern (nordischen) freilich noch zu niedrig. 6. Jedenfalls aber [besteht] keine allgemeine Gefahr. Und der Einzelne kann leicht den Zweifel ausschließen, ob nicht etwa auch er dazu gehöre, um sich dann mutig ans Studium der Psychognosie zu machen. 7. Und- füge ich bei- sollte einer sich bewußt sein, daß er wirklich an einer solchen elementaren Beschränktheit leide - so soll er dann nicht verzagt von dem Studium der Psychognosie sich zurückziehen. Das weiteste Feld bleibt ihm mit der ganzen Menschheit gemein, und wenn ihm in seinen psychognostischen Kenntnissen keine andere Lücke bliebe als die, welche aus der besagten Quelle mit Notwendigkeit sich ergibt: er dürfte mit Fug und Recht sich für denjenigen halten, der unter allen Menschen, die gelebt haben und - darf ich sagen - die je leben werden, noch weitaus der kenntnisreichste Psychognost sein würde. 8. Fälle wie Laura BRIDGMAN 13 [sind] zum Glück selten. Seltener noch [ist], daß danntrotzdes Hindernisses eine reichere seelische Entwicklung eintritt. Dann kann allerdings an eine Psychognosie nicht gedacht werden. Wenn aber wie bei Laura doch eine seelische Entwicklung stattfindet, so bliebe auch dann

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für psychognostische Studien noch immer das weiteste und dankbarste Feld. 9. Also der erste Punkt ist der am wenigsten folgenschwere; a) kein Irrtum [ist involviert], b) wo Unvollständigkeit [besteht], [ist sie] doch nur auf einem engumgrenzten Gebiete und ohne allzuschweren Nachteil für alles Übrige. 10. Weit mehr Nachteile werden im Allgemeinen der Psychognosie in Rücksicht auf das zweite geforderte Moment erwachsen. C. Das Bemerken

1. Wir sagten: zweitens, der Psychognost muß bemerken. Man kann, wir haben es schon früher erwähnt und jeder kann sich tausendfach von der Wahrheit überzeugen, recht wohl etwas erleben, ohne es doch zu bemerken, indem es in der Mannigfaltigkeit dessen, was gleichzeitig in unsere innere Wahrnehmung fällt, zwar enthalten und wahrhaft mit wahrgenommen ist, aber uns in gar keiner Weise auffällt. Und so ist es denn für die Zwecke, die der Psychognost verfolgt, schier so gut wie nicht vorhanden. 2. Der Psychognost also muß nicht bloß die Erscheinungen des menschlichen Bewußtseins in weitem Umfang erleben, er muß auch das Einzelne, was er erlebt, und die wesentlichenTeile dieses Einzelnen, in genügendem Umfang bemerken, soll nicht sein Werk mit wesentlicher Unvollkommenheit behaftet bleiben. 3. Ein Irrtum allerdings wird auch hier, wie vieles und wichtiges ihm unbemerkt entgehen mag, nicht die unvermeidliche Folge sein. So wenig in dem Nichterleben psychischer Vorgänge ein Irrtum involviert war, so wenig in dem Nichtbemerken. Und ein irriges Bemerken gibt es so wenig, als überhaupt die innere Wahrnehmung je von der Evidenz entblößt ist. Aber Unvollständigkeit selbst in sehr wesentlichen Beziehungen, viel wesentlicher als wenn wir nie von Farbe oder Ton etwas erfahren, kann sich leicht an das Nichtbemerken knüpfen.

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4. Vielleicht wundert sich mancher über das, was ich hier sage. Der Wegfall gewisser wichtiger Klassen von Erlebnissen wegen rudimentärer Sinnestüchtigkeit ist begreiflich und führt zu einer rudimentären Psychognosie, aber sollte der Mangel des Bemerkens ähnliche, ja noch größere Mängel herbeiführen? Sollten um seinetwillen wichtigere Klassen von Bewußtseinselementen zeitlebens von unserer Erkennmis ausgeschlossen bleiben? Ja wenn eine gewisse Art von Element ein einzigesmal in unserem Bewußtsein aufträte! Aber so ist's ja doch nicht. Sie finden sich alle beständig, oder doch von Zeit zu Zeit wiederkehrend in unserer Wahrnehmung vor. Und wenn sie das einemal so auftreten, daß sie nicht leicht bemerkt werden, so erscheinen sie ein andermal unter so günstigen Bedingungen, daß sie uns sofort auffallen. Wie z.B. der schwarze Punkt in unserem Sehfeld, wenn die Lerche im Blau des Himmels schwebt, schlecht merklich sein mag: aber ein andermal sehen wir ein (dasselbe) Schwarz wie auf der Scheibe lang und breit vor uns, und diesmal entgeht das Element unserem Bemerken nicht. 5. Aber wer so denkt, ist im Irrtum. Es ist nicht bloß nicht außer aller Wahrscheinlichkeit, sondern es ist, wie mir scheint, streng erweisbar, daß unser Bewußtsein Elemente umschließt, die niemals von uns bemerkt werden und die auch von den künftigen Psychognosten keiner je bemerken wird. Und wir dürfen hinzufügen, daß es Elemente sind, deren Erkenntnis für uns von unvergleichlich größerem psychologischen Interesse wäre, als die aller Farben- und Tonphänomene zusammengenommen, wie dies wohl sicher von dem Element gesagt werden kann, welches unser Bewußtsein individualisiert. Doch das sei hier nur erwähnt, später werden wir, eingehender davon handelnd, das, was Ihnen jetzt notwendig etwas dunkel erscheinen muß, klären. 6. Es sind auch nicht allein die Fälle, in welchen etwas, was in unseren Erfahrungsbereich fallend schlechterdings unbemerkbar ist, welche die Vollständigkeit der Psychognosie beeinträchtigen. Ich muß vielmehr sagen, daß sehr vieles in unserem Bewußtsein sich vollzieht, und wieder und wieder darin auftritt, was, obwohl es nicht zu dem schlechterdings Unbemerkbaren

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gehört, und was doch faktisch von den allermeisten, und auch von Psychognosten, die mit Eifer die Erscheinungen zu analysieren suchten, nie im Leben bemerkt worden ist. Wir werden im Verlauf unserer Betrachtungen häufig genug Gelegenheit haben, das Gesagte zu bestätigen. Es knüpft sich also eine unbestreitbare Gefahr großer Unvollständigkeit der Psychognosie an die Tatsache, daß man unter Umständen das Einzelne, was man erlebt, nicht bemerkt. 7. Gegenüber dieser Gefahr erhebt sich nun die Frage, wie man sich bestmöglichst vor ihr schützen werde? Und wie man es insbesondere vermeiden könne, daß man nicht fort und fort in der größten Unsicherheit lebe, die wesentlichsten Stücke übersehen und so die allermangelhafteste Aufzählung der psychischen Elemente gegeben zu haben. 8. Die Frage hängt eng zusammen mit der anderen, unter welchen Bedingungen das Bemerken eintrete? Und unter welchen nicht? Hier haben wir aber eine psychogenetische Frage vor uns und eine exakte und erschöpfende Beantwortung ist für uns unmöglich. Immerhin werden wir uns schon beträchtlich gefordert sehen, wenn wir auch nur in inexaktererWeise einige darauf bezügliche Bestimmungen geben, welche im Durchschnitt der Fälle sich wahr erweisen. Ja so unbefriedigend sie für unser theoretisches Interesse sind und so wenig sie praktisch für den einzelnen Fall eine untrüglich sichere Folge gestatten, so dürfen wir doch behaupten, daß sie bezüglich unserer praktischen Zwecke im Verlauf längerer Dauer und öfterer Wiederholung der Versuche uns im wesentlichen den Mangel exakterer Kenntnis ersetzen. 9. Vor allem müssen wir sorgen, daß wir uns genau klar halten, worauf die Untersuchung abzielt. Wir fragen nach Bedingungen des Bemerkens und verstehen dabei unter dem Bemerken ein inneres Wahrnehmen, und zwar ein explizites Wahrnehmen von solchem, was implizite in der Wahrnehmung unseres Bewußtseins beschlossen war. 10. Etwas was nicht implizite von uns wahrgenommen würde, kommt in unserem Bewußtsein nicht vor. Aber explizite ist es darum noch durchaus nicht wahrgenommen. Eine gewisse Verdeutlichung des Unterschieds scheint wünschenswert.

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Die Wahrnehmung ist eine Anerkennung. Und ist das Anerkannte ein Ganzes, was Teile hat, so sind die Teile in gewisser Weise sämtlich mitanerkannt. Denn würde einer von ihnen geleugnet, so träte dies in Widerspruch mit der Anerkennung des Ganzen. Aber deshalb ist doch der einzelne Teil noch nicht ausdrücklich (für sich) und im Besondern anerkannt und überhaupt beurteilt. Der Vergleich mit dem, was wir bei der Verneinung finden, mag dies noch mehr ins Licht setzen. Bei der einfachen Verneinung von etwas ist der Teil nicht ebenfalls Gegenstand einer Verneinung. Ja so wenig, daß er nicht einmal implizite mitverneint ist. Implizite ist dagegen alles mitverneint, was zum Umfang des Begriffs gehört. Daß aber dies nicht implizite alles beurteilt ist, liegt auf der Hand. Und somit sieht man, was für ein wichtiger Unterschied zwischen dem Zustand des bloß impliziten und expliziten Beurteilens besteht. 11. Man spricht manchmal von Bemerken und Wahrnehmen auch in der Art, daß man darunter ein Prädizieren versteht, und zwar bald ein negatives, bald ein affirmatives. Z.B. Wahrnehmen einer Verschiedenheit, Bemerken eines Unterschieds. Wahrnehmen oder bemerken, daß das eine das andere ist. Indem ich hier von Bemerken spreche, habe ich nur einfache anerkennende Urteile im Auge; doch will ich nicht leugnen, daß auch solche negative und affirmative Prädikationen vielfach aufs Innigste mit den Akten des Bemerkens, von welchen wir allein hier handeln, verbunden sind und nicht minder untrüglich sind als diese. 12. Noch in bezugauf einige andere Begriffe, welche sich mit dem des Bemerkens, wie wir ihn hier brauchen, berühren, möchte ich ein Wort zur genaueren Bestimmung des Verhältnisses beifügen. Ich meine die Begriffe: Auffallen, sich merken, aufmerken 14 •

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13. "Bemerkt werden" ist, nach dem, wie wir "bemerken" bestimmten, nicht dasselbe wie auffallen. Dieses ist ein Gemütszustand; "befremdet sein", "sich verwundern" sind Ausdrücke von ähnlicher Bedeutung, vielleicht nur mit einiger Steigerung. Das ist richtig, daß sie oft im Zusammenhang miteinander stehen. Eine Veränderung führt oft zum Bemerken der Unterschiede des frühern und spätern Zustandes. Und eine Veränderung fällt auch oft auf. Das neue, das die Gewohnheit Durchbrechende, Außerordentliche ist ja das Auffallende. Aber sie sind darum nicht eins. Auch das wäre irrig, wenn man meinte, um bemerkt zu werden, müßte etwas uns zunächst aufgefallen sein. Im Gegenteil fällt uns nichts auf, was wir nicht bereits bemerken. Dagegen kann das Auffallen des Bemerkten uns allerdings zu einer eingehenderen Beschäftigung mit dem Bemerkten führen und dadurch der Anlaß für mancherlei neues explizites Wahrnehmen werden. 14. Ein Irrtum wäre es auch, "bemerken" mit "sich merken" zu verwechseln. Das letzte ist ein sich Einprägen, ein dafür Sorgen, daß man später noch über das jetzt Erkannte verfügt. Davon haben wir später zu handeln. Mit dem "Bemerken" selbst ist's nicht notwendig verbunden. Es könnte etwas bemerkt werden, ohne daß man es sich besonders einzuprägen Sorge trägt, und es könnte, obwohl recht wohl bemerkt, später ganz unserer Kenntnis verloren sein. Auch darin zeigt sich die Differenz. Man kann sagen, sich "gut merken". Es gibt hier Stufen. Beim Bemerken nicht. Hier liegt immer Evidenz vor, und sie hat keine Grade. 15. Auch vom Aufmerken ist das Bemerken verschieden, obwohl es in naher Beziehung zu ihm steht. Von einem Aufmerken sprechen wir, wo wir begierig sind, etwas was gegenwärtig in uns geschieht oder eben geschehen wird, zu bemerken und wohl auch es uns zu merken, und wo wir von dieser Begierde getrieben werden dafür günstige innere Dispositionen zu schaffen; also man kann sagen, wo wir darauf aus sind, zu bemerken.

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(Dabei wird freilich das Bemerken in weiterem Umfang genommen.) Manche haben einfach sagen wollen, es sei die Begierde (oder der Wille) zu bemerken. Aber das ist nicht genügend. Begierig könnte man sein, hundert neue Eindrücke, welche jetzt zu erwarten wären, sämtlich zu bemerken, aber aufmerken würde man darum noch nicht auf sie. Ja es ist unmöglich, da die Dispositionen, welche man treffen würde, die einen zu bemerken, das Bemerken der andem erschweren würde, und alles s.z.s zu einem Zustand voller Zerstreuung führte. Es gibt auch ein Objekt, Aufmerksamsein wider Willen, nB. gegen den actus imperatus, nicht elicitus. Abgesehen, daß nicht jede Begierde "Willen" ist. 16. Indes ist die Beachtung dessen, was wir tun, wenn wir aufmerken, und der Fälle, unter welchen es von Erfolg ist oder nicht, gewiß von höchster Wichtigkeit. Nicht zwar, als ob die Aufmerksamkeit unentbehrliche Vorbedingung des Bemerkens wäre. Wie sollte es zum Bemerken kommen? Die Begierde zu bemerken gehört zur Aufmerksamkeit, ist aber jedenfalls nicht die unmittelbar vorbereitende Disposition oder jedenfalls nicht das Ganze derselben, und wenn darum unabhängig von der Begierde die wesentlichen nächsten Bedingungen sich zusammenfinden, so wird das Bemerken statthaben ohne vorhergehendes Aufmerken. Aber da wir beim Aufmerken Bedingung setzen wollen und großenteils mit Erfolg, so werden wir hier doch wichtige Beobachtungen machen können. 17. Auch die Fälle, wo wir darauf ausgehen, daß andere etwas innerlich bemerken, s.z.s für sie aufmerken und ihre eigene Aufmerksamkeit wecken und lenken, kommen ähnlich in Betracht. 18. Ja diese Fälle sind wohl am allermeisten instruktiv. Wir wissen, wenn wir andere anleiten, genau, wohin wir steuern, und werden darum (eine gleiche Anlage bei ihnen und uns selbst vorausgesetzt) viel leichter unser Ziel erreichen. Es wird ähnlich sein, wie in andern Fällen, wo wir andern eine Entdeckung offenbaren, es gelingt dies ungleich leichter als das forschende Neuentdecken. 19. Sehen wir also, wie wir es machen, wenn wir andere dazu

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führen wollen etwas zu bemerken (und untersuchen wir, wann es gelingt, wann nicht). 20. Doch natürlich kommen hier nicht alle Fälle schlechtweg in Betracht, in welchen wir jemanden etwas bemerken lassen wollen. a) Vor allem nicht die, wo es sich nicht um ein Bemerken in dem von uns näher bestimmten Sinn handelt, sondern z.B. um das Bemerken einer Verschiedenheit, d.h. um ein Bemerken, daß eines nicht das andere ist (eine negative Prädikation) oder auch um das Bemerken, daß etwas etwas anderes ist (positive Prädikation), außer etwa, insofern vielleicht, als solche Erkennmisse mit jenem einfachen Wahrnehmen, worum es sich uns handelt, irgendwie verflochten sein sollten. b) Ferner werden wir auch nicht von dem sprechen, was wir vorbereitend zum Bemerken beitragen, indem wir die Erscheinung, welche oder an welcher etwas bemerkt werden soll, selbst erwecken. Die Erscheinung sei vorhanden, was können wir tun, damit sie bemerkt werde? 21. Wir können hier entferntere und nähere Momente unterscheiden. Zunächst von den ersteren. (Besser vielleicht umgekehrt!). a) Vor allem werden wir nicht ohne Unterschied bei jedweder Art von Individuen jedweden solchen Versuch wagen. Wie wir nie bei einem Tier darauf ausgehen werden, ihm die Besonderheit gewisser Urteile, welche man evident nennt, bemerklich zu machen, obwohl die Tiere auch evidente Urteile zu haben scheinen: so auch nicht bei einem ganz kleinen Kinde, einem Geistesschwachen, der an Ideenflucht leidet, oder einem Wahnsinnigen. Wir werden uns mit der Hoffnung auf Erfolg wohl an normale und hinreichend gereifte, also von Natur geeignete menschliche Individuen heranmachen. b) Ferner, wir werden, wenn es sich um solches handelt, was einigermaßen schwieriger zu bemerken ist, Sorge tragen, die natürlichen Dispositionen ausbildend zu vervollkommnen, was insbesonders durch Übung im Bemerken geschieht. Und zwar kann man sowohl im allgemeinen durch Übung seine

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Fähigkeiten zu bemerken vervollkommnen, als im besondern für gewisse Gebiete, denen sich die Aufmerksamkeit zuwendet. Einer, der sich viel mit psychognostischen Studien befaßt hat, wird leichter dazu zu führen sein, etwas schwierig zu Bemerkendes zu bemerken, als ein Neuling. Hat einer sich damit abgegeben, aber vor langer Zeit, während ein anderer sich fort und fort mit psychologischen Beobachtungen beschäftigt, so ist er ceteris paribus diesem gegenüber im allgemeinen im Nachteile. Daß es aber nicht bloß im allgemeinen, sondern noch im besondern für spezielle Gebiete eine Übung gibt, welche die Leichtigkeit im Bemerken mehrt, ist auch durch vielfache Versuche dargetan. Besonders auf den Gebieten der Sinne hat man da merkwürdige Tatsachen konstatiert. Nicht bloß für jeden einzelnen Sinn, auch für jedes Teilgebiet eines Sinnes gibt es eine besondere Ausbildung im Bemerken durch Übung. Z.B. an der Stelle des deutlichsten Sehens an seitlichen Stellen des Auges (Damen); bei dem "Hautsinne" hat man mit Zirkelspitzen Versuche gemacht, die Unterschiede wurden, wenn die Übung an derselben Stelle der Haut gemacht wurde, bald viel deutlicher. NOLTEMANN fand seine Unterschiedsempfindlichkeit an manchen Stellen nach kurzer Zeit verdoppelt, ja sogar vervierfacht. Dabei war an andern Stellen seine Geschicklichkeit dadurch fast unverändert geblieben. Doch nicht an allen. Merkwürdiges Verhalten der homologen Glieder. Übungen am linken Oberarm waren Mitübungen der betreffenden Hautpartie des rechten u.dgl. Dagegenamselben Arm keine Mitübung außer in etwa bei ganz benachbarten Stellen. Übungen am kleinen Finger der linken Hand waren für die Haut am Unterarm ohne allen merklichen Einfluß. Unter solchen Umständen ist es natürlich, wenn man 1 wo es sich um schwierig zu Bemerkendes handelt, die Übung in passender Weise zu erwecken sucht. Ins Unendliche wird man dabei nicht zu gehen brauchen. Im Gegenteil hat man wenigstens auf eben den Sinnesgebieten bemerkt, daß nach relativ kurzer Zeit der Vorteil, den die

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Übung gewährt, bereits nahezu sein Maximum erreicht hat. Dagegen bedarf sie von Zeit zu Zeit der Auffrischung. Wichtiger fast noch als die Übung im Bemerken ist die Sorge dafür, daß keine Übung im Nichtbemerken bestehe. Wie beim Vaterunser eine Gewohnheit besteht, nicht zu assoziieren, so kann auch für gewisse Fälle eine Gewohnheit, auf ein Phänomen nicht aufmerksam zu sein, sich bilden, sondern sich mit seiner Aufmerksamkeit etwas andereQl zuzuwenden. Solche Gewohnheiten werden eine Art zweiter Natur, erscheinen mächtig wie ein absolutes unabänderliches, angestammtes Gesetz und wo es gelingt, sie zu besiegen, geschieht es schwer und allmählich. Z.B. Gewohnheit für die meisten, nur auf das an der Stelle des deutlichsten Sehensund das in der Entfernung, für die sie akkomodieren, aufmerksam zu sein. Daher [haben) manche die allergrößte Schwierigkeit, Doppelbilder zu bemerken. Wie bringt man es fertig? · Noch eine Vorbereitungsweise hängt mit der vorübenden Gewohnheit zusammen. Die Gewohnheit wirkt am stärksten in gleichen oder sehr ähnlichen Verhälmissen. Man versetze also den, welcher etwas schwierig zu Bemerkendes bemerken soll, in Bedingungen, wo er durch Gewohnheit zum Bemerken geneigt ist: [... ] Auf- und Abgehen im Studierzimmer, Augen aufreißen, den Kopf erheben, die Ohren spitzen, die Muskelgefühle im gewohnten Raum zur gewohnten Zeit etc. c) Daß zum Bemerken, und namentlich dem durch Absicht zu erreichenden der Zustand des Wachens dem des Schlafes vorzuziehen ist, bedarf keiner Erwähnung. Man bemerkt wohl vieles schlafend, im Traum; und was man so bemerkt, ist sogar für den Psychologen interessant. Aber neue psychognostische Entdeckungen hat wohl keiner schlafend gemacht. Und überhaupt keiner der nicht mit Absicht und nach vorbedachtem Plan sich zu einem Bemerken geführt hat.

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d)

e)

f)

g)

Die Aufgabe der Psychognosie Schwäche der Willensmacht ist für den Schlaf charakteristisch, für die Glieder und für die inneren Operationen. Viel weniger im Halbschlaf (Somnambulismus) nach Außen und nach Innen. Hier kann man die Träume vielfach beeinflussen und die Aufmerksamkeit des Träumenden lenken. Doch im Verhältnis zum wachen Zustand, immer noch mangelhaft. Ebenso ist offenbar der Zustand der Frische dem Zustand der Erschöpfung und Ermüdung vorzuziehen. Man kann nicht recht aufmerken, wenn man zu sehr ermüdet ist, bei zu lange fortgesetzter Aufmerksamkeit ist man trotz gesteigerter Übung unfähiger als je, noch etwas, namendich etwas schwierig zu Bemerkendes zu bemerken. Eine andere Bedingung, auf die selbstverständlich zu sehen ist, ist das Vorhandensein einer geeigneten Gemütsverfassung. Affekt, Angst, Zorn und andere leidenschaftliche Erregungen verwirren alles, was man innerlich unternimmt, um etwas schwierig zu Bemerkendes zu bemerken. Dies ist etwas, was, da diese Phänomene selbst studiert werden müssen, der Psychologie besondere Schwierigkeiten schafft. Wir werden darauf zurückkommen. Auch weiter noch wird es zur entfernten Vorbereitung gehören, möglichst alles Zerstreuende auszuschließen, um, wie man sagt, die Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu konzentrieren. Dies hängt mit der Enge des Bewußtseins zusammen. Wir werden sehen, daß daraus für besondere Fälle besondere Schwierigkeiten, weil der Ausschluß nicht möglich ist, [entstehen]. Aber auch noch ein anderes wichtiges Hindernis ist oft aus dem Wege zu räumen. Bestehende Vorurteile müssen zerstört werden. Sonst bringt man es manchmal nicht dahin, jemanden etwas bemerken zu lassen, obwohl man in allen andern Beziehungen die Bedingungen so günstig gestaltet als nur möglich. Das Bemerken ist suspendiert, wie bei manchem schon die Einsicht in den Satz des Widerspruchs, wenn er sich durch Paralogismen verwirren läßt.

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Erläuterung: Zenonische Argumente u. dgl. HEGEL, TRENDELENBURG I;. 22. Die auffallendsten Beispiele sind mir begegnet. GOMPERZ 16 : Evidenz. 23. Bedeutendes leistet hier die "Gewohnheit eingewurzeltes Vorurteil". Beispiele: (1) Daß das Urteil eine zweite Beziehung [ist], grundverschieden von der des Vorstellens. Mittel, das ich ergriff: [um] vqr allem nachzuweisen, daß die hergebrachte Auffassung schlechterdings unhaltbar [ist]. Und daß überhaupt gar kein Unterschied zwischen dem Fall des Glaubens und Vorstellensohne Glauben angegeben werden könnte, wenn [es] nicht eine zweite grundverschiedene Beziehungsweise [gäbe]. (2) Daß das "ist" des Existentialsatzes von identischer Leistung wie das der Kopula [ist]. Das Gegenteil behauptet die hergebrachte Lehre; man bildet sich so viel darauf ein, die Äquivokation erkannt zu haben. Wenn man nun sogar zeigt, daß das Urteil: "Irgend ein Baum ist" gleich ist dem Urteil: "Es gibt einen Baum"; ebenso, daß "irgend ein Baum ist grün" = "es gibt einen grünen Baum", so traut man nicht und suspendiert die längste Zeit sein Urteil; man bemerkt nicht, man leugnet sogar oft noch fort und fort, was man so einfach bemerken zu müssen scheint. 24. Zu den auf Gewohnheit ruhenden Vorurteilen zu rechnen, aber besonders namhaft zu machen, sind Irreführungen durch sprachliche Ausdrücke. 1- Es ist merkwürdig, wie oft sie bedeutende Forscher hinderten, relativ Einfaches zu bemerken. (1) Wenn die Sprache denselben Ausdruck gebraucht, vermutet man, der Gewohnheit nach, denselben Vorgang ausgedrückt. Infolge davon kam HOBBES dazu zu glauben, weil das "ist" der affirmativen Kopula bei dem Ausdruck der negativen wiederkehrt und nur ein "nicht" beigefügt wird, es sei auch hier die affirmative Kopula vorhanden; alle negativen Urteile seien affirmative, nur mit anderer Materie, also den ganzen Gegensatz .zwischen der Beziehungsweise beim Affirmieren und Negieren zu verkennen.

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Ja noch SIGWART stößt sich daran, daß die sogenannte negative Kopula immer zusammengesetzter sei als die affirmative, und will, dadurch verwirrt, nicht zugeben, vermag also wohl faktisch nicht zu bemerken, daß im Leugnen eine ebenso einfache, nur entgegengesetzte Beziehung wie beim Glauben vorliegt. (2) Daß das logische 0 negativ und infolge davon das logische A affirmativ [sei]. (Vielleicht noch bestärkend: Alles und Nichts scheinen Gegensätze; also wo die Sprache "alle" anwendet, scheint sie ein positives, affirmatives Urteil auszudrücken.) Widerlegung durch den Existentialsatz. Vorher aber [verhalten sich manche] schier starr, wenn man sagt, jener Satz [sei] positiv, dieser negativ; sie bemerken nichts von der betreffenden Beziehungsweise, indem sie irrtümlich die entgegengesetzte vorhanden glauben. (3) Neulich im Kolleg ist mir dies begegnet bei A ist A; trotzaller Erörterung erhielt ich Briefe unter Berufung auf die innere Wahrnehmung, während tatsächlich das Bemerken des Richtigen durch die aus sprachlichen Ausdrücken erwachsenen Vorurteile (wohl auch direkte (spezielle) gewohnheitsmäßig eingewurzelte Vorurteile) bei ihnen unterblieben war. (4) Selbst schon dadurch schafft die Sprache oft ein Vorurteil, wenn das Bemerken störend im Wege steht, daß in ihr ein Namen für eine gewisse Tatsache mangelt, z.B. für das Analogon der Evidenz bei gewissen Gemütstätigkeiten. 25. Ebenso kann man auf Gewohnheit die Vorurteile zurückführen, welche in psychologischen Beobachtungen nicht ungeübte Forscher daran hindern, zu bemerken, daß sie in Schwarz eine positive Farbenerscheinung, ja überhaupt nur eine positive Erscheinung vor sich haben. Oder, daß Violett oder Orange, das eine Rot und Blau, das andere Rot und Gelb in sich haben, also Mischphänomene sind. Mehrere Einwirkungen pflegen mehrere Phänomene zu erregen, z.B. ein Stich in den Finger und ein Druck an die Schulter; eine eines von ihnen. Indem sie sich nun gewöhnt haben, solches überall anzunehmen, widerstrebt es ihnen, Violett und Orange für Doppelphänomene zu nehmen, weil durch einfache Sinneswellen von

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gewisser Länge, einfaches Licht bei der Zerteilung des Strahles im Prisma [sich ergibt]. FICK hielt eher Gelb für Rotgrün als Violett für Rotblau (im Zusammenhang der YOUNG-HELMHOL TZ'schen Hypothese). HELMHOLTZ selbst dagegen zeigt einmal nicht übel Lust, während er Violett für ein einfaches Phänomen erklärt, Weiß phänomenal für aus vielen Farben bestehend zu betrachten, nur daß nicht jeder sie so wie er herauszuanalysieren vermöge. (Populäre Vorträge).U 26. Wir sehen bereits wie vielfach der Gewohnheit entsprungene Vorurteile hinderlich werden, die Tatsachen, wie sie sind, zu bemerken. Und doch haben wir nur relativ weniges berührt. Jeder Irrtum, der aus vorschneller Induktion entspringt, entspringt eigentlich einer durch Gewohnheit gebildeten Neigung. Denn sie drängt das Neue wie das Alte zu beurteilen. So gehört denn hierher auch z.B. die Verirrung HERBART's, der meinte, kein kategorisches Urteil habe andere als hypothetische Geltung, und auch wenn es affirmativ sei, sei das Subjekt nie darin mitbejaht. Er hatte dies bei vielen, die er für affirmativ hielt, so gefunden. (KANT scheint ihm darin vorangegangen, [siehe sein] F[ehlen bezüglich des] Ontologischen Arguments). 19 Nun glaubte er, es sei so bei allen. Also: Cassius ist gestorben, Brutus lebt - nur hypothetisch, das Subjekt nicht mitbejaht! Merkwürdig gewiß, daß ein Denker wie HERBART die wahre Beschaffenheit des Akts nicht bemerkt! Nicht bemerkt, was so leicht zu bemerken scheint! Und daß viele seiner Schüler noch heute Vertreter derselben Irrlehre sind. 27. Möglich [ist's] indes, daß es nicht einfach eine unvollständige Induktion war, der HERBART das Vorurteil erzeugte, das ihn so auffallend beirrte. Vielleicht ist die Genesis etwas komplizierter: a) Befund bei allen allgemeinen sogenannten affirmativen Urteilen. b) Glauben, daß das Allgemeine das partikuläre einschließe. c) Hieraus Schluß, daß kein affirmatives Urteil anders als hypothetisch [sei], also das Subjekt nicht mitbejaht [ist]. Und dann [wäre das] natürlich in keinem kategorischen

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Urteil überhaupt [der Fall]. HERBARTwar nun ganz der Mann, Deduktionen auch dem stärksten Schein gegenüber zu vertrauen (hat er doch um ihretwillen die Bewegung, das Werden, das Ichalles für nicht wirklich vorhanden erklärt). Und so hemmte sie ihn denn auch in der Zustimmung zu dem, was schier jeder Vorurteilslose aufs Leichteste bemerken wird. Die letzten Wurzeln waren dann nur frühere Irrtümer, namentlich über den affirmativen Charakter der Urteile "A". Und so führen sie wieder auf den täuschenden Einfluß von Gewohnheiten zurück, wie wir zuvor zeigten. 28. Immerhin ist Gewohnheit zwar die Mutter vieler aber nicht aller Vorurteile. Viele entspringen ganz oder teilweise anderen Quellen. a) Instinktiver Drang zu unmittelbarem Urteilen; ja auch in Fällen, wo keine Gewohnheit- wie äußere Wahrnehmung, Gedächmis. b) Auch die Lästigkeit und Langsamkeit umständlicher Vorsichtsmaßregeln verleitet zu Überstürzungen des Urteils. Und auch auf solche Weise gebildete Urteile haben oft in auffallender Weise sich mächtig erwiesen, das Bemerken von dem, was relativ leicht zu bemerken war, zu verhindern. Beispiel: LANGE's Bericht über seine Experimente mit dem blinden Fleck. Er sehe nach einiger Zeit des Wettstreits an der Stelle des blinden Flecks nichts, der Sinn sei offenbar von seinem Fehlschluß zurückgekommen, werde sich klar, daß dort ebensowenig eine Farbe wie nach hinten. Diese Angabe [ist] entschieden falsch. Ausfüllung mit dem andern Sehfeld. Mein Experiment mit dem Nachbild. LANGE hatte also nur nicht bemerkt; warum nicht? Er hatte sich nicht gedacht, daß es denkbar sei, daß [es] eine andere Farbe als die beiden streitenden [gebe]. Diese sah er nicht. So war er überzeugt, daß keine vorhanden und bemerkte nichts von dem, was so einfach zu bemerken war. Andern, welche von vornherein es unglaublich finden, daß, wo gar keine empfindliche Stelle der Retina sei, ein Farbenphänomen auftreten könne - und wieder außer Acht ließen, daß ja das andere Augen wegen der Identität der Stellen suppliere behaupteten und behaupten gar, es gebe gar nie eine Ausfüllung

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des blinden Flecks. Da auch sie nicht lügen, das Gegenteil aber gewiß ist, so dürfen wir nur schließen, daß sie sie nie bemerkt haben. Es sind darunter Männer (Naturforscher), die sich sonst als tüchtige Beobachter bewähren, auch in psychologischen Analysen geübt: so mächtig hat sich hier das durch Überstürzung gebildete Vorurteil dem Bemerken hinderlich erwiesen. 29. Wie die entgegengesetzte Überzeugung hinderlich ist, so auch schon eine überwiegend starke Meinung, es sei nicht. Man hält sich nicht gern damit auf, durch genaue Prüfung sich zu überzeugen, ob nicht doch vorhanden sei, was man ziemlich sicher leugnen zu dürfen glaubt. 30. Dagegen ist eine richtige Vermutung oder auch eine Überzeugung, die man von andersher geschöpft hat, daß eine gewisse Tatsache hier im Bewußtsein gegeben sei, gewiß oft dem Bemerken sehr förderlich geworden. Man wird daraufhin die Bestätigung durch direkte Beobachtung doch nicht gern entbehren wollen. Wie ein Astronom, wenn er die Stellung eines Sterns, den Eintritt einer Finsternis berechnet hat. So wirkt es oft in vorzüglicher Weise vorbereitend, wenn eine solche Überzeugung andersher gegeben wird. (HELMHOLTZ's Heraushören der Obertöne, w. die Klangfarbe, z.B. bei der Urteilsbeziehung oder bei den Evidenz-Konsequenzen.) Nur freilich kann es dann auch (einzelne Male) vorkommen, daß einer sich einbildet zu bemerken, ohne es wahrhaft dazugebracht zu haben, wie ja schon mancher behauptete, bemerkt zu haben, was gar nicht vorhanden war, oder was zwar vorhanden sein mag, aber von ihm so wenig bemerkt werden konnte, als es je von einem andem bemerkt werden wird. Doch davon und wie dies geschehen könne, später. 31. Wir haben eben von der Beseitigung der Vorurteile gegen die zu bemerkende Tatsache (und von der Erweckung einer ihr günstigen Vermutung) gesprochen. Wir müssen jetzt noch ein Wort über die Erweckung des guten Willens zu bemerken beifügen. Es hängt dieser Punkt eng mit dem vorigen zusammen. Mancher hat eine gewisse theoretische Abneigung gegen eine

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Tatsache, welche bemerkt werden soll. Er wünscht, sie sei nicht, denn sie paßt nicht in seine Hypothese. Solche Wünsche sind mächtig, nicht die Tatsachen zu beseitigen, aber sie nicht so leicht merklich zu machen. 32. Seltsame Schauspiele zeigt die Geschichte der Wissenschaft. Die royal society und LEIBNIZ, NEWTON selbst und HUYGHENS, BILLROTH und PASTE UR und KOCH. Könnte man sein theoretisches Interesse völlig läutern, oder könnte man ihm zeigen, wie sich an die Tatsache neben unangenehmen auch ihm theoretisch angenehme Konsequenzen knüpfen, oder könnte man die irrigen Hypothesen, um deretwillen er abgeneigt ist die Tatsache zu sehen, wie sie ist, ihm von anderer Seite vorher minder wertvoll machen, so wäre er ungleich besser disponiert. Ich glaube gefunden zu haben, daß in den psychognostischen Fragen bedeutende Forscher, die sonst durch Unbefangenheit ausgezeichnet, in einzelnen Fällen dadurch wesentlich gehemmt werden. a) Auffallend z.B. [ist], daß bei der Frage, ob bei Mischungen gewisser Farben (monocular oder binocular, direkt oder durch negative Nachbilder oder wie immer) das Resultat einen Stich in die oder jene Farbe habe, die Forscher gewöhnlich zu bemerken oder nicht zu bemerken behaupteten, je nachdem dies oder jenes ihren Hypothesen günstiger wäre. b) Angst vor MEINONG's Rückfall betreffs der Evidenz. 20 33. Neben dem guten Willen, insofern kein theoretisches Widerstreben, könnte auch noch genannt werden die Erwekkung des energischen Eifers zu bemerken, die Erweckung der Hoffnung und des Mutes zu bemerken. (Doch dies ohne Turbulenz der Leidenschaften. NEWTON, der die Rechnungen nicht durchführen kann, welche zeigen, daß nach den neuen Daten seine Hypothesen haarscharf mit den Tatsachen zusammenstimmen.) Mancher [meint]: "Es läßt sich nichts ausmachen; der sagt das, jener das, der findet diese Grundeinteilung, jener jene richtig". Dies hindert das ernste Inangriffnehmen und das geduldige Vorbereiten. Die Zeit scheint mir gekommen und reiche Ausbeute•.

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34. Auf der andern Seite [sieht man] ein Anspornen zur Anstrengung, nicht bloß durch Hervorheben der Wichtigkeit, sondern auch der Schwierigkeit. Denn der Leichtsinn wird ebensowenig alle Sorgfalt üben als die Verzweiflung. (Wie schwierig waren die Fortschritte in der Naturwissenschaft bei jeder Entdeckung.) Hier aber [sieht man] auch die Abneigung! Denn öfter als anderwärts ging hier sehr Wesentliches, was gefunden, wieder ganz verloren. 35. Wieder [sei auf] eines [hingewiesen], was wir zu der entfernteren Bedingung rechnen können, auf welche man zum Behuf des Gelingens zu achten hat. Es ist, daß man möglichst für das Bemerken Zeit zu gewinnen sucht. Dauert die Erscheinung kurz, so muß man zum Voraus soviel als möglich allerhand Präparative bereitstellen. Dies a) weil diese Vorbedingung Zeit kostet, b) weil vielleicht das Bemerken Zeit braucht. (1) [Die] Entstehung jeder psychischen Funktion erfordert eine gewisse Zeit, wie z.B. der Wechsel psychischer Zustände, der Gedanke eines zeitlichen Verlaufes; (indes könnte vielleicht gleichzeitig mit der Erscheinung, welche ja auch entsteht, einmal das Bemerken entstehen; wie die Wahrnehmung der Gesamtheit des aktuellen Bewußtseins mit diesem). Fraglich [ist], ob [dies] in jedem Sinne richtig [wäre). Wie soll man sich die Entstehung eines unmittelbaren Axioms, oder auch die Einsicht in einen Schlußsatz denken? [Durch] allmähliches Anwachsen der Intensität? [Dies wäre eine) irrige Auffassung. (2) Manches Bemerken scheint anderes Bemerken (einzuschließen oder) vorauszusetzen. Wie z.B. das Bemerken eines durchwohnenden Teils, ein Bemerken des Konkretums, dessen Teil er ist, und das eines logischen Teils (der Gattungsbestimmtheit) das Bemerken des betreffenden logischen Ganzen. Bedenken: "Die Differenz bei Violett [ist] vielleicht kon' Meine Schrift: "Über die Gründe der Entmutigung auf philosophischem Gebiete". 21

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fus, ja Helligkeit und Ort [sind] beigemischt, wie bei Tönen. Dann [wäre dies] aber zugleich wohl in der Gattung [der Fall]". Indes auch hier könnte einmal das eine und andere Bemerken gleichzeitig statthaben. (Ähnlich wie die Lust oder der Widerwille bei dem Auftreten einer gewissen sinnlichen Qualität gleichzeitig mit dieser, und ein Urteil mit der Vorstellung, die ihm zu Grunde liegt, wie ja auch die innere Wahrnehmung mit der Vorstellung und dem Objekt) [auftritt]. (3) Von mehreren Tönen wird der stärkere gern für den früheren gehalten. Man könnte dies so erklären: [Es bedarf] kürzerer Zeit zum Bemerken; also jedes von beiden [wird erst] eine Zeit nach dem Auftreten des zu Bemerkenden [bemerkt]. Indes vielleicht genügt es auch hier, wenn man nur annimmt, daß zum "Sich merken" und Bestimmen diese Zeiten und Unterschiede der Zeiten nötig seien. 36. NB. Da es im Allgemeinen unleugbar ist, daß man bemerken kann ohne zu bestimmen: [So gibt es] Schwierigkeit in manchen Fällen zu erkennen, ob man bloß nicht bestimmt hat, oder ob man auch nicht bemerkt hat, weil man nicht bestimmen kann, ob man das und das bemerkt, ohne das Bemerkte zu bestimmen. Doch dann ist jedenfalls ein solches Bemerken etwas, was nicht zu psychognostischen Zwecken verwendbar ist, also für unsern Fall uns ganz gleichgültig [sein kann], ob man so oder anders ihn auffaßt. 37. Und dasselbe werde ich dem erwidern, der einwendet, manches, was ich als Hindernis für das Bemerken bezeichnet, sei vielleicht nur fürs Bestimmen (vielleicht ebensowenig zu beweisen als zu widerlegen). Es mag sein, macht aber bei unserer praktischen Absicht keinen Unterschied. 38. Endlich noch eines, was zu der entfernteren Vorbereitung zu rechnen ist. Man tut gut, den, welcher etwas schwierig zu Bemerkendes bemerken soll, vorher mit dem Gegenstand, welchen er bemerken soll, wenigstens im Allgemeinen bekannt zu machen, wenn er etwas dem Gegenstand gleiches, oder sehr Ähnliches anderwärts leichter bemerken kann, z.B.

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einen Ton, die Klangfarbe eines Instruments; die Evidenz wird einer leichter bemerken, wenn er schon andersher im allgemeinen die Besonderheit kennt, als wenn [er] sie das erstemal bemerkt. Beim Bemerken der als richtig charakterisierten Gemütsbewegung unterstützt das vorgängige Bemerken des Analogons der Evidenz. Dienergie. Manchmal [ist somit etwas]leichter als sonst bemerklich. MILL bemerkt sie nur bei den Gedächtniserscheinungen, wegen des Unterschiedes der Zeiten, welcher einen besonderen Gegensatz zwischen dem einen und andern Korrelat schafft. Ich habe dies öfter erfolgreich benützt, um sie anderwärts bemerklich zu machen. 39. Wir haben die hauptsächlichen Momente angegeben, durch welche wir in schwierigen Fällen bei anderen das Bemerken in entfernterer Weise vorbereiten. Jetzt wollen wir die Momente namhaft machen, die, wo wir den genügend Vorbereiteten zum wirklichen Bemerken führen wollen, in Betracht kommen. 40. Wir können zweierlei Mittel unterscheiden, von welchen das eine darin besteht, daß wir ihn zu gewissen Vergleichungen eranlassen, das andere darin, daß wir in seinem Bewußtsein etwas erwecken, was durch Gesetze der Assoziation das Bemerken hervorzurufen geeignet scheint. 41. Zunächstvon dem Vergleichen. Was ich hier meine, wird am besten durch Beispiele verständlich werden. a) Gesetzt ich habe eine Farbe vor mir, welche sich dem reinen Blau nähert, aber doch etwas ins Rote spielt. Und ich wolle jemanden, der zunächst nichts von dieser Eigenheit bemerkt, dahin führen, sie zu bemerken, so mag ich auf folgendem Weg meine Absicht erreichen: Ich zeige ihm ein reines und, wollen wir sagen, ebenso gesättigtes stark beleuchtetes Blau, vertausche es mit dem rötlichen, und lasse ihn die Eindrücke vergleichen. Die Verschiedenheit wird er dann häufig leicht erkennen, und der Grund der Verschiedenheit, der einzig und allein in der Rötlichkeit des einen Eindrucks liegt, wird von ihm bemerkt werden. b) Auch wenn ich die beiden Farben an einander angrenzen lasse, wird ihm vielleicht die Verschiedenheit sofort hervor-

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treten, wenn ich die Grenze gerade durch die Stelle des deutlichsten Sehens laufen lasse. Und der Unterschied wird dann von ihm bemerkt (rötlich). Nur um eines zufälligen Umstandeswillen erscheint diese Methode weniger empfehlenswert. [Es handelt sich um einen] simultanen Kontrast, dadurch daß Erscheinungen beiderseits geändert, und so nicht eigentlich die Rötlichkeit in der vorigen Erscheinung bemerkt [wird], sondern in einer andern. Dort freilich [bemerkt man sie], wenn [die Farben] unmittelbar nacheinander [folgen], auch sukzessiver, [und] sogar kräftiger, aber allmählich zu etwas Beträchtlichem wachsend, während das simultane im ersten Moment am stärksten [ist]. Man schaue länger! Dann beginnt die simultane Lichtinduktion; die Erscheinungen trüben sich und nähern sich immer mehr. Der simultane Kontrast hindert nicht, sondern fördert das Bemerken. Denn Blau [ist] etwas anders als rötlich Blau. Diese Differenz addiert sich zu der ursprünglich gegebenen und läßt diese leichter und mit ungeschwächter Sicherheit erkennen. Denn wäre nicht ursprünglich eine Differenz vorhanden, so würde kein simultaner Kontrast statthaben. Antwort: Dann ist es ein Erschließen, dies kein Bemerken. Ja der Schluß, daß vorhanden, wäre zwar richtig, der Schluß, daß bemerkt, aber ein Fehlschluß. Also [ist] der simultane Kontrast unleugbar eine Störung. Sehen wir von ihm ab, so wäre aber auch diese Weise des Vergleichens vollkommen geeignet zu nennen. In der Tat würde das Vergleichsverfahren wesentlich dasselbe sein. Hier wie dort haben wir mehrere Erscheinungen vergleichen lassen, welche zunächst als Ganzes bemerkt werden, und von welchen die einen einen Teil enthalten, die andern nicht enthalten, und dadurch verschieden sind. So wird der Teil bemerkt. Genauer untersucht erscheint indes der Prozeß bei dem

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zweiten Verfahren etwas verwickelter, als ich ihn hier beschreibe. Die zwei Farbenerscheinungen, die ich nebeneinander habe, sind verschieden nicht darum allein, weil die eine rötlich ist, die andere nicht, sondern auch darum, weil sie verschieden lokalisiert sind. Es wäre für das Herbeiführen des Bemerkens der Rötlichkeit besser, wenn dieser zweite Grund der Verschiedenheit nicht bestände. Immerhin wird der Übelstand dadurch gemildert, daß [er) ins Unmerkliche (Infinitesimale] angenähert [wird und] daß gleiche und größere Unterschiede der örtlichen Bestimmtheit ohne Differenz [sind), welche durch Rötlichkeit besteht. Am vollkommensten überwunden freilich [wird er) erst, mehrmals der Versuch wiederholt [wird), und abwechselnd von dem nebeneinander gelegten, das eine rechts, das andere links und umgekehrt [betrachtet wird], wodurch das Verfahren der Sukzession mit hinzugenommen [wird]. Wir haben also ein verwickelteres Vergleichsverfahren, welches teils Übereinstimmungen, teils Differenzen hervortreten läßt. NB. Und ein solches verwickelteres Verfahren liegt eigentlich auch in dem zuerst erwähnten Vergleichen vor. Denn auch hier sind, genau besehen, mehrere Gründe der Verschiedenheit: Die Rötlichkeit, die Zeitdifferenz in der Anschauung, da das eine Gedächmisphänomen (Phänomen der ursprünglichen Assoziation) [modifiziert], oder wenn beide [vorliegen], das eine mehr modifiziert. Auch hier [gibt es] Milderungen, zum einen die infinitesimale zeitliche Differenz, zum andern das Vorhandensein gleicher und größerer Zeitdifferenzen ohne Unterschied der Rötlichkeit. Noch vollkommener wird das Hindernis unscheinlich gemacht durch Wiederholung in umgekehrter zeitlicher Ordnung. c) Ein ganz ähnliches Vergleichsverfahren führt nun in vielen anderen Fällen zum Ziele.

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Um die Eigentümlichkeit der Evidenz, welche gewisse Urteile vor andern als blinde auszeichnet, bemerken zu lassen, stellen wir z.B. evidente und blinde Urteile zusammen. Zunächst werden die Urteile, welche die Evidenz als eine der sie durchwohnenden Teile enthalten oder nicht enthalten, als Ganzes bemerkt; ihre Verschiedenheit wird erkannt und der Grund ihrer Verschiedenheit schließlich in dem Besitz oder Mangel der zu bemerkenden Eigenheit gefunden. Dabei darf man aber, will man des Erfolges möglichst sicher sein, noch weniger als in den zuvor betrachteten Fällen sich damit begnügen ein evidentes Urteil mit einem nicht evidenten vergleichen zu lassen. Denn die beiden Urteile mögen noch viele andere und sehr beträchtliche Differenzen zeigen, [seien sie] auf verschiedene Objekte gerichtet, vielleicht apodiktisch -- nicht apodiktisch, vielleicht affirmativ-- negativ, vielleicht unmirtelbar als Folgerung auf Grund einer anderen Annahme angenommen. Die Verschiedenheit wurzelt darum nur teilweise in dem Besitz und Mangel der Evidenz und weist darum nicht explizit, sondern sehr implizit (konfus) auf sie hin. Explizit wird der Hinweis erst durch ein zusammengesetztes Vergleichsverfahren, welches die einzelnen Mitdifferenzen unschädlich macht, indem die Besonderheit des Unterschiedes der Evidenz sich gleichmäßig erhält in allem Wechsel der materiellen, modalen und qualitativen Momente, so wie auch des Moments von Unmirtelbarkeit oder Abhängigkeit des Urteils und was sonst noch mithereinfließt. d) Ganz Ähnliches gilt bei dem Bemerklichmachen der Modalität, d.h. des apodiktischen Charakters, der gewissen Urteilen eignet, andern fehlt. e) In diesen Beispielen handelte es sich um eine Art privaten Gegensatz; nur auf der einen Seite war ein positives Moment; auf der andern sein Mangel. In andern Fällen, wo man es mit einem positiven Gegensatz zu tun hat, ist das Verfahren immer noch wesentlich dasselbe.

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Und die zwei positiven unterscheidenden Momente werden dann ebenso wie in jenem Fall, das Positive und der Mangel des Positiven, bemerklich. - Ob leichter, ob schwerer, das wird von den besonderen Umständen abhängen, von welchen einer der wichtigeren auf Grund der vorgängigen Erörterungen sofort einleuchten wird: die größere oder geringere Mannigfaltigkeit der vergleichenden Prozesse, welche gefordert werden. Ein sehr einfacher Fall z.B. ist der, wo die affirmative Qualität eines Urteiles bemerklich gemacht wird durch Gegenüberstellung eines negativen, wenn man Materie usw. unterschiedslos denkt. Die beiden Qualitäten werden zugleich bemerkt. f) Und hiermit ist dann das Bemerken der Qualität im allgemeinen gegeben oder doch jedenfalls sehr leicht gemacht. Stellen wir diese beiden, in Anschauung der Qualität verschiedenen Urteile, mit solchen, welche in anderer Hinsicht verschieden sind, in Anschauung der Qualität aber dem einen oder andern gleichen, zusammen, so springt es sofort in die Augen, daß die zwei affirmativen in einer andern Hinsicht verschieden sind als das affirmative vom betreffenden negativen. Ja ohne dies zeigt sich wie der privative auch der positive Gegensatz sofort in dem Moment, wo die zwei Gegensätze gleichzeitig bemerkt werden. Und kein Gegensatz ohne Einheit der Gattung. NB. Es ist jetzt noch nicht an der Zeit, eingehender von dem Verhältnis des Gegensatzes zu sprechen, doch mag hier soviel gesagt sein, daß nicht überall, wo bei einer Verschiedenheit auf beiden Seiten positive unterscheidende Momente sind, ein positiver Gegensatz gegeben ist. Man denke z.B. folgenden Fall, es werde ein blindes Urteil apodiktisch gefällt, wie: ,Es muß einen dreidimensionalen Raum geben' und ein evidentes bloß assertorisch gefällt, (wie: ,Ich denke, ich bin'). Unterscheidende positive Momente sind hier auf beiden Seiten, da das erste Urteil apodiktisch ist, das zweite evident ist. Aber wir haben hier darum doch nicht einen positiven, sondern zwei private Gegensätze. So schließen denn auch apodiktisch und evident sich nicht durchgehend aus, und gehören nicht zu einer

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Gattung, sondern bestimmen das betreffende Kompositum sich durchwohnender Teile in ganz verschiedener Hinsicht. Ganz anders [verhält es sich] in dem eben von uns besprochenen Falle von affirmativer und negativer Qualität. g) Die Beispiele, die ich gegeben habe, um das vergleichende Verfahren, jene eigentümliche Zusammenstellung von Differenzen, anschaulich zu machen, durch welche das implizit wahrgenommene explizite bemerklich wird, könnten natürlich ins Endlose vermehrt werden. Wenn wir das Gebiet der Farben nehmen, so kann hier nicht bloß, wie ich früher zeigte, ein Stich ins Rote, der unbemerkt geblieben, durch Vergleichung merklich gemacht werden; auch die Unterschiede von hell und dunkel und der Unterschied der Gattung Helligkeit gegenüber der Gattung der Farbenqualität kann so merklich gemacht werden. h) Auf dem Gebiet des Schalles wird bei in allen anderen Beziehungen gleichen Schallerscheinungen der Gegensatz von laut und leise und mit ihm die Besonderheit der Gattung Intensität gegenüber andern Seiten der Tonerscheinung merklich hervortreten. Und ebenso der Unterschied der Tonhelligkeit (oder Tonhöhe) gegenüber der Tonqualität im engeren Sinn, wenn der Ton C mit C, mit dem eingestrichenen C und zweigestrichenen C verglichen wird und wenn umgekehrt von einem in Töne der Skala unauflösbaren Geräusch gezeigt wird, wie es der Höhe nach mit einem gewissen Tone der kontinuierlichen Skala gleich ist, höher als der eine und tiefer als der andere, muß er mit irgend einem Punkte der Höhe nach genau zusammenstimmen und doch qualitativ von ihm verschieden sein. 42. Doch ich glaube, es sind der Beispiele genug, eine weitere Häufung könnte nicht wesentlich mehr das Verständnis von dem fördern, was ich meinte, wenn ich sagte, daß die eine Art und Weise, wie wir jemanden dazu führten etwas implizite Gegebenes ausdrücklich zu bemerken, darin bestehe, daß wir ihn zu gewissen, dazu geeigneten Vergleichungen veranlaßten. 43. Wenn wir an die Vorgänge denken, welche in dem psychischen Leben jedes gereiften Individuums prähistorisch

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genannt werden müssen, an die Vorgänge meine ich, durch welche wir dazu geführt wurden, in dem Komplex unseres Bewußtseins zuerst gewisse einzelne Teile explizite zu bemerken, so dürfen wir, glaube ich, mit Zuversicht behaupten, daß sie auch in solchen Vergleichungen bestanden haben. Die Differenzen wurden freilich nicht künstlich absichtlich zusammengestellt, aber sie fanden sich von selbst zusammen, indem durch einen neuen Eindruck, bei einer im übrigep. beharrenden Bewußtseinslage, ein partieller Wechsel eintrat, wie z.B. bei der neuen Erregung eines Sinnes oder des Teils eines Sinnesfeldes. Sofort trat eine Verschiedenheit hervor und das, worin die Verschiedenheit gründete, sei nun auf beiden oder nur auf einer Seite etwas positiv Unterscheidendes zu finden, erhob sich zu relativ explizitem Bewußtsein. Daher mochte es selbst noch eine große Mannigfaltigkeit unterschiedener Elemente in sich bergen. Die partielle Veränderung bei voller oder wenigstens annähernder Ruhe anderer Teile war es also, was zuerst in dieses Chaos das Licht brachte, das uns zur Unterscheidung besonderer Momente führte. Dem ersten Bemerken folgte dann in rascher Folge noch ein weiteres und abermals weiteres Bemerken nach, teils durch ähnliche spontane Zusammenstellung von Differenzen, teils durch die Begierde zu bemerken begünstigt, welche nach dem, was wir früher sagten, durch das Neue, das die Gewohnheit durchbrechende Auffallende, Erstaunliche hervorgerufen wird. Das kaum zum Leben erwachte Kind schaut voll Staunen in die Welt und jeder Blick ist sozusagen eine Frage. Bei so an einem bemerkten Teil gefesselten theoretischen Begehrens bleiben zeitweise alle anderweitigen Vorgänge außer Betracht, und die Unterschiede auf dem engeren Gebiete wirken, als wenn sie für sich allein wären und führen zu einer in die feineren und feineren Teile vordringenden Analyse. Und so wächst lawinenartig rasch die Menge des Bemerkbaren und wirklich Bemerkten, und wir vermehren es bald ohne, bald mit einer gewissen Absichtlichkeit, ehe wir noch irgendwie daran denken, zu den letzten Elementen des Bewußtseins vordringend, eine Psychognosis aufzubauen. Die Vergleichung war aber schon damals das wesentlichste Vehikel des Fortschritts. Dies genügt gewiß, die hohe Bedeutung dieses Moments darzutun.

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44. Es bleibt uns noch übrig die Weise klarzulegen, wie die Assoziation dazu benützt wird, einen zum Bemerken zu führen. 45. Sie haben alle gewiß von Assoziation der Ideen, und von Gesetzen der Ideenassoziation gehört; vielleicht auch gefunden, daß die Psychologen in ihrer Bestimmung voneinander abweichen. Man hat ein Gesetz der Ähnlichkeit, ein Gesetz der Kontiguität, ein Gesetz des Kontrastes u.dgl. aufgestellt. Andere haben das eine oder andere, z.B. das Kontrastgesetz, bestritten. Manche sprachen (wie z.B. J.St. MILL) auch von einem Gesetz der Assoziation desselben an dasselbe, und meinen, daß dies bei der Assoziation durch Kontiguität jedesmal involviert sei. 46. Fragt man: Was assoziiert werde? So glauben viele, daß es immer nur Vorstellungen vom Charakter der Empfindung seien, indem, wenn man die betreffenden Empfindungen schon früher einmal gehabt, diese später, nur meist abgeschwächt, wiederkehrten. 47. Das ist aber ganz falsch. Zwar gibt es wohl auch solche: im Traum, oder im Fieber. Mit Recht weist johannes MüLLER darauf hin, daß nicht bloß Vorstellungen vom Charakter der Empfindung, sondern auch Begriffe assoziiert werden. Mit dem Namen Farbe, mit dem Namen 5 usw. assoziieren wir eine Vorstellung, welche den Empfindungen heterogen, welche ein Begriff ist. 48. Und so sind auch im übrigen die gangbaren Lehren nicht tadelfrei. Einige Bestimmungen sind aufgenommen, die nicht richtig sind. Wie z.B. das Gesetz der Assoziation desselben an dasselbe, z.B. J.St. MILL und, wenn ich mich recht entsinne, schon vor ihm HAMIL TON. Es müßte denn einer es so verstehen, daß dasselbe begrifflich und in konkreter Anschauung aneinander [assoziiert wird]. Das aber ist MILL's Meinung nicht; er glaubt an keine allgemeinen Begriffe, kennt nur allgemeine Namen. Er mißdeutet den eigentümlichen Eindruck, den wir haben, wenn uns etwas bekannt vorkommt. Und andererseits erweisen sich die Bestimmungen trotzdem als zu eng, indem sie Fälle wie die, wo wir Ideen verknüpfen, die wir nie verknüpften, aber sie

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doch nur verknüpfen, weil wir früher analoge Verknüpfungen herstellten, nicht unter sich befassen, z.B. im Witz. 49. Das treffendste Wort über die Ideenassoziation hat gewiß ARISTOTELES gesprochen, da er sie der allgemeinen Tatsache der Gewohnheit subsumierte, die nicht bloß auf dem Gebiet der Vorstellung, sondern bezüglich jeder Weise des psychischen Verhaltens sich geltend macht. Eine gewisse Betätigung hinterläßt eine gewisse Dispositiop. zu ähnlicher Betätigung unter ähnlichen Umständen, d.i. was wir meinen, wenn wir sagen, daß man sich etwas angewöhne. In Betreff dieser Angewöhnung sind nur zweierlei Gesetze zu unterscheiden. Die einen beziehen sich auf die Begründung und den Fortbestand der Disposition [a], die andern auf ihre Betätigung [b]; ad a) Wiederholte gleiche oder ähnliche Akte verstärken die Disposition der Gewohnheit. Es mag aber auch geschehen, daß ein einziger ausgezeichneter (energischer) Akt hinreicht, eine starke Gewohnheit zu begründen (ARISTOTELES). Entgegengesetze Akte, ja auch der bloße Mangel an Übung führen zu einer Schwächung ja vielleicht zum vollen Verlust der Disposition. So sprechen wir von frischem Gedächmis u.dgl. ad b) Die Betätigung der Disposition wird im allgemeinen umso vollkommener sein, je mehr die neuen Umstände in allen wesentlichen Beziehungen den alten gleichen. Habe ich, da ich früher einen Gedanken hegte, ihn, indem ich ihn z.B. in einen Plan verwob, mit vielerlei anderen Momenten in Beziehung gebracht, und finden sich diese anderen Momente einmal sämtlich wieder in meinem Bewußtsein vor, so ist dies eine vervielfältigte günstige Bedingung zur Wiedererweckung jenes Gedankens. 50. Wenden wir uns von diesen allgemeinen Betrachtungen über Assoziation zu unserem Fall, so ist es wohl sofort einleuchtend, wie die Assoziation dazu führen kann, etwas zu bemerken. a) Wie für eine andere Betätigung, so kann man sich auch für ein Bemerken eine günstige Gewohnheit begründen.

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b) Wenn wir von einem Ganzen, das wir vorstellen, einen besonderen Teil nicht bloß implizite, sondern explizite vorstellen, so werden wir wohl dieses explizite Vorstellen immer auch bemerken. Ist nun die explizite Vorstellung an irgend etwas assoziiert, und zwar so, daß sie dadurch erweckt wird, so wird ein Bemerken mit aufgerufen. c) Die Begriffe werden aus konkreten Anschauungen gewonnen und haben, wenn wir sie später nochmals denken, immer konkrete Anschauung zur Unterlage. Ist nun in irgend einem Fall eine konkrete Anschauung gegeben und zwar ein Gegenstand, mit welchem wir uns aufmerksam beschäftigen, und wird durch irgend ein Mittel, welches die Ideenassoziation an die Hand gibt, der Begriff aufgerufen, so ist es wahrscheinlich, daß die erwähnte Anschauung für ihn als Unterlage genützt wird und so der betreffende Zug in der Anschauung bemerkt wird. Oder wenn dies zunächst nicht geschehen sein sollte, so ist es doch wahrscheinlich, daß dies alsbald wenigstens nachträglich geschieht. 51. Was wir da von Einflüssen der Gewohnheit auf das Bemerken sagten, findet sich auch durch die Tatsachen bewährt. a) Wenn jemand eine Gewohnheit hat, auf eine gewisse Sache zu achten, so bemerkt er sie sofort und beim ersten Blick, während ein anderer sie vielleicht erst spät herausfindet. b) Wir sagten aber, daß wegen der Frische der Begründung eine Gewohnheit oft momentan besonders stark sei. Und so finden wir denn, daß, wenn z.B. jemand vorübergeht, von dem vor ein paar Augenblicken die Rede war, er wahrscheinlicher als sonst bemerkt werden wird. Oder, wenn unmittelbar zuvor von einem Geldstück gesprochen worden wäre, und es läge zufällig eines auf dem Wege vor mir, so würde ich es leichter als sonst bemerken. c) Denken wir daran, wie wir es machen, wenn wir nach etwas suchen. Wir halten die begriffliche Vorstellung, die wir von ihm haben, fort und fort uns gegenwärtig, und indem wir es oder etwas ähnliches nun irgendwo und irgendwie zu Gesicht bekommen, fällt es uns sofort auf und wir bemerken, was wir sonst nicht bemerkt haben würden.

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d) Wie die Assoziation das Bemerken begünstigt, zeigen besonders deutlich sogenannte Phantasievorstellungen, wie meinethalben die Töne, welche wir uns vermöge unserer Einbildungskraft vorführen, wenn wir im Geiste irgend eine Melodie ersinnen oder uns wiederholen. Es sind das schwache Tonempfindungen, welche auf subjektivem Wege entstehen. Sie sind so schwach, daß, wenn wir einen Ton auch noch so leise mit der Stimme anschlagen, es einen ungleich lauteren Eindruck macht als der lauteste Ton, den wir bloß phantasierten. Manche wollen darum gar nicht glauben, daß hier wirkliche Töne in der Phantasie vorhanden seien, denn, meinten sie, so schwache Erscheinungen würden nicht bemerkt werden können. Sie sind es aber doch und mischen sich in eigentümlicher Weise mit Geräuschen, die von außen kommen. Wagengerassel, Taktschläge der Stöße der Eisenbahn. Bemerken wir sie, während wir andere so schwache Töne nur mühsam oder gar nicht bemerken würden, so muß dies wohl auf den erleichternden Einfluß der Assoziation, der sie ihre Entstehung verdanken, zurückgeführt werden. 52. Die einfachste Weise, wie wir die Assoziation dazu benützen, einen etwas bemerken zu lassen, ist, daß wir es ihm namhaft machen. 53. Je genauer wir es tun, umso wahrscheinlicher wird es von Erfolg sein. Vermögen wir es nicht genau, so werden wir doch schon Erhebliches erreichen, wenn wir die Aufmerksamkeit durch Bestimmung eines engem Gebietes mit dem nächst Verwandten oder Angrenzenden beschäftigen. Es wird ihr dann leichter gelingen, in der früher angegebenen Weise durch Vergleichungen zum letzten Ziele zu gelangen. 54. Da aber die sprachlichen Assoziationen nicht die einzigen sind, so ist es klar, daß auch durch die Erweckung von anderem, was nach irgendwelcher Gewohnheitsbeziehung mit diesem und ähnlichem Bemerken zusammenhängt, sich nützlich erweisen kann. 55. Auch beim Aufmerksammachen durch Nennen, ist das, was unmittelbar an dem Namen assoziiert wird, oft etwas inhaltlich anderes als das, was bemerkt werden soll, wenn es auch mit ihm konvertibel ist, daran assozziert sich dann erst das

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zu Bemerkende in seiner eigentlichen Vorstellung. Dies wird deutlicher werden durch das, was wir alsbald über das "Bestimmen" sagen werden. 56. Und da nach den Gesetzen der Gewohnheit ein assoziatives Moment (assoziativer Anhalt) mit einem andern unterstützend zusammenwirken kann, so mag es in schwierigen Fällen dienlich sein, von verschiedenen Seiten her die Anregungen zu geben. Dies fühn nicht zu einer zerstreuenden Vervielfältigung, sondern zu einer vollkommeneren Konzentration des Blicks auf den Punkt, in dem sozusagen alle die Radien zusammenlaufen. 57. So kann denn auch dem assoziativen Moment die Wichtigkeit gewiß nicht abgesprochen werden. Immerhin bleiben jene Vergleichungen, von welchen wir früher gesprochen, das bei weitem wesentlichere Mittel (ohne sie würde es zu gar keinem Bemerken von besonderen Momenten in dem konfusen Komplex unseres Bewußtseins gekommen sein). 58. Das also ist das Wenige, was wir von den Gesetzen wissen, wonach das Bemerken eintritt und das ist im Wesentlichen die Weise, wie wir ihrer Kenntnis uns bedienen um die psychognostischen Probleme zu lösen. 59. Wollen wir dies in höchstmöglicher Vollständigkeit erreichen, so müssen wir natürlich in geordneter Weise vorgehen. Wir werden das Bewußtsein in verschiedene Teilgebiete scheiden, das eine um das andere der Reihe nach vornehmen, nur etwa dann über die Grenze blickend, wenn es gilt, Momente von dorther zu den uns so wichtigen Vergleichen und Analogien heranzuziehen. Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Teil konzentrieren, werden in ihm wieder Teile unterscheidbar werden. Und aufs Neue wiederholt sich dann der Prozeß der Ordnung und sukzessiv die Reihe durchlaufenden Konzentration bis die nicht weiter teilbaren Elemente erreicht sind. 60. Aber wird dies Verfahren, mit voller Sorgfalt geübt, wirklich durchwegs von Erfolg gekrönt sein? Oder werden nicht Fälle bleiben, in welchen trotz aller unserer Bemühungen das Bemerken mißlingt? Leider ist das Letztere unzweifelhaft.

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61. Wir können die Fälle, wo trotz aller aufgebotener Sorgfalt das Bemerken mißlingt, in 4 Klassen scheiden. Die erste, wo die von uns bezeichneten Momente, welche als nächste Mittel zum Bemerken dienen, schlechterdings unanwendbar sind. Insbesondere müssen wir hier an das Prinzip der Vergleichung denken; denn die Hilfsmittel der Assoziation können erst in Tätigkeit treten, wenn früher schon das Prinzip der Vergleichung zu einem gleichen oder, wenn dies genügen sollte, wenigstens höchst ähnlichen Bemerken geführt hatte. Nun setzt aber das Vergleichen, wie wir es beschrieben haben, voraus, daß wir privativen oder positiven Gegensätzen, zu dem, was wir bemerken sollen, in unserem Bewußtsein begegnen. Das nun ist keineswegs von vornherein als sicher zu erwarten. Was steht im Weg, daß nicht ein gewisses Element in der Art allgemein in den Erscheinungen unseres Bewußtseins besteht, daß jede daran partizipiert und von ihm wie ein durchwohnender Teil vom andern durchdrungen ist? Sollte dies der Fall sein, so wird es also schlechterdings unmöglich sein, diesen Teil explizit zu bemerken. Man könnte einwenden, diese Gefahr scheine doch ausgeschlossen, denn wir hätten in der Tat anschauliche Vorstellungen, deren Inhalte gar nichts miteinander gemein hätten, wie z.B. sogenannte physische Phänomene im Gegensatz zu psychischen. Jene enthalten nichts als Qualität in einer gewissen Helligkeit, Intensität und das sie individualisierende Moment der örtlichen Bestimmtheit; diese dagegen nichts von allem eben Genannten außer in ganz uneigentlicher Weise. Aber diese privativen Gegensätze dienen allerdings dazu, das Psychische, welches jetzt im Inhalt unseres Gesamtbewußtseins liegt, von jenen sogenannten physischen Phänomenen zu unterscheiden und als etwas Besonderes bemerkbar zu machen. Aber zu einer weiteren, in die Teile des Psychischen einführenden Analyse genügt es nicht. Dazu sind dann die privativen Gegensätze im Vorstellen, Urteilen, Wollen usw. die einzig dienlichen Hilfsmittel. Wenn nun in diesen allen irgendwelches Element konstant sich erhaltend unveränderlich gemeinsam gegeben wäre, so wäre es nicht möglich, einen Vergleich anzustellen, der uns dazu

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führte, es zu bemerken. Wir würden hier hoffnungslos von jedem Versuche abstehen müssen. Ich habe schon erwähnt, daß wir Anhaltspunkte dafür haben, anzunehmen, daß wirklich ein solcher unbemerkbarer Teil in uns vorhanden ist. Wir erfassen uns selbst nicht wie in einem abstrakten Begriff, sondern wie in einer konkreten, individuellen Anschauung und sind doch außerstande von dem individualisierenden Moment Rechenschaft zu geben. Die Sachlage würde sich sofort ändern, wenn uns ein Einblick in ein fremdes Seelenleben gegeben würde. Soviel von der ersten Klasse. 62. Eine zweite Klasse von Fällen findet sich da, wo es sich um Größen handelt, welche einer stetigen Abnahme und Zunahme fähig sind. Es zeigt sich nämlich hier, daß mit der Abnahme der Größe das Bemerken schwieriger wird, ja daß es uns ganz und gar unmöglich wird, das, was der Größe nach unterhalb einer gewissen Grenze liegt, zu bemerken. Es zeigt sich dies a) bei räumlichen Größen, räumlichen Schwellen; b) bei der Intensität-wie immer man ihre Natur begreifen mag. Erscheinungen von sehr schwacher Intensität werden weniger leicht, und solche von allzu schwacher gar nicht bemerkbar sein. lntensitätsschwelle. c) Ähnliches gilt von qualitativen Momenten wie Stich ins Rot u.dgl. - wie immer man zunächst über ihre Natur denken mag. Auch hier wird man umso leichter übersehen, je schwächer das Moment ist. Wenn [es] allzu schwach [ist], so [ist es] unmerklich. d) Wir haben, sagten wir früher, bei den psychischen Phänomenen keine räumlichen Größen. Aber doch eine analoge Zusammensetzung von stetig zusammenhängenden Teilen. Dem gesehenen Raum z.B. entspricht Stück für Stück ein Teil des Sehens. Wir können also auch hier von größeren und kleineren Teilen sprechen. Die kleineren werden weniger oder gar nicht mehr merklich sein, und zwar wird die Grenze der Unmerklichkeit der Grenze beim gesehenen Raum korrespondieren. e) Ähnliches gilt bezüglich der Schwäche.

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f) Und [es gilt] bezüglich der qualitativen Momente, von welchen ich zuvor sprach. Noch in einer anderen Weise zeigt sich aber, wo es sich um Größen handelt, welche einer stetigen Zu- und Abnahme fähig sind, eine Schwierigkeit und eine Schranke für das Bemerken. Wir bedürfen, sagten wir, zum Bemerken der Vergleichung von Differentem. Auf dem Gebiet, von welchem wir jetzt sprechen, werden nun diese Differenzen Größen sein, was anderwärts nicht der Fall ist; z.B. die Differenz von Bejahung und Verneinung, die Differenz von evident und blind, die Differenz von psychischen und physischen Phänomenen, die Differenz von Farbe und Ton. Und zwar [haben wir es zu tun mit] stetigen Größen mit unendlich vielen unendlich kleinen Teilen. Werden nun die Größenunterschiede der Differenzen gleichgültig sein? Oder werden uns die größeren Differenzen besser und die sehr kleinen vielleicht gar nicht dienen? Wir erwarten gewiß das letztere, und dieses wird auch durch die Erfahrung bewährt. Also, wo die Differenzen sehr klein sind, sind sie zum Bedarf des Bemerkens nicht ausreichend. (Vielleicht ist es so auf dem Gebiet der Farbe mit den lntensitätsdifferenzen, wenn sie nicht gar völlig fehlen.) Die Intensität wird darum von ausgezeichneten Forschern bei der Farbe geleugnet. Doch mit Unrecht, der Vergleich mit andern Sinnesgebieten hilft und zeigt, daß immer sogar eine hohe Intensität vorhanden [ist]. Auch die Zeit ist eine stetige Größe. Und die Schwierigkeit, von welcher wir schon früher gesprochen, nämlich eine sehr kurze Erscheinung zu bemerken, hängt mit dieser Stetigkeit zusammen. Unterhalb einer gewissen Grenze der Dauer des Bestandes wird die Erscheinung dann schlechterdings unmerklich sein. Auch diesen Fall können wir darum noch mit zur zweiten Klasse rechnen. 63. Die dritte Klasse von Fällen, wo etwas unbemerkbar ist, umfaßt die, wo etwas unmerklich ist wegen unvermeidlicher Störungen der Aufmerksamkeit bei der Analyse. Wir rechnen

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dahin a) Phänomene höchster Ermüdung, b) Phänomene höchster Aufregung, rasenden Zorn u.dgl., c) Phänomene, wo, so wenig aufgeregt sie sind, die Aufmerksamkeit doch absorbiert und darum für die psychognostische Analyse nicht frei ist, z.B. mathematische Berechnung u.dgl., zerstreuende Komplikation. Surrogat: Srudium im Gedächtnis. 64. Eine vierte Klasse endlich bilden die Fälle unüberwindbarer individueller Unfähigkeit, a) angeborener Mangel an Begabung, b) (vielleicht) erworbene Unfähigkeit. Wenn es wirklich wahr sein sollte, daß die Gewohnheit, in gewissen Fällen etwas nicht zu bemerken, so weit ausgebildet werden kann, daß sie zur zweiten Natur und gänzlich unausrottbar wird, so gehört dieser Fall hierher. HELMHOL TZ z.B. meint es. Und es ließe sich, abgesehen von Erfahrungen, welche HELMHOL TZ dafür erbringen zu können glaubt, auch deduktiv zu Gunsren dieser Annahme argumentieren; wenn anders einmal so viel als annehmbar zugestanden wird, daß auf diese Weise eine zeirweilige gänzliche Unfähigkeit des Bemerkens gebildet wird. Wie soll die Fähigkeit wieder erworben werden, da jeder neue Versuch ein neues Nichtbemerken und dadurch eine verstärkte Gewohnheit im Nichtbemerken mit sich führt? Nur erwa von der Zeit- einer langen Enthaltung von jedem Versuch- scheint noch Hilfe kommen zu können. Aber ein so langes Enthalten ist nicht überall statthaft. (Immerhin ist das Argument vielleicht nicht so stringent als es scheint.) Wenn bei den neuen Versuchen, aufmerksam zu sein, auch das Bemerken mißlingt, so kann man doch vielleicht, da der Prozeß des Aufmerkens ein komplizierter ist, vielleicht in einigen Punkten über die ungünstige Gewohnheit triumphiert haben und von da aus fonschreitend schließlich in jedem Stück wieder die erforderliche Fähigkeit zurückerlangen. Als das Wesentliche erscheinen darum (worauf auch H. alles Gewicht legt) allein die Erfahrungen. - Ob diese in gewissen Beziehungen für alle Menschen eine schlechthin unbesiegbare Unfähigkeit durch

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Gewöhnung erweisen, wollen wir hier noch nicht untersuchen. Bei Einzelnen [ist das] gewiß [der Fall]. Zu den unbesiegbaren Hindernissen, welche durch Gewohnheit entstehen, gehören auch die Vorurteile, die man sich unausrottbar in den Kopf gesetzt hat. 65. So viel vom Bemerken, wo, wie wir sehen, Unvollständigkeit und insofern Unvollkommenheit der Psychognosie herrscht aber noch immer (für sich genommen) keine Quelle von Irrtum, da es kein falsches Bemerken gibt. Anderes gilt von dem, was wir als eine dritte Aufgabe der Psychognosten bezeichnet haben.

D. Das Fixieren 1. Wir sagten: Damit der Psychognost seine Absicht erreiche, habe er ein Mehrfaches zu leisten, a) müsse er erleben, b) müsse er bemerken, c) müsse er, was er bemerkt, fixieren, um es zu sammeln; d) müsse er generalisieren, e) müsse er depriosieren, erkennen, f) müsse er deduzieren. Wir gehen nun zur Erörterung des dritten Punktes über. 2. Das Einzelne, was wir bemerken, hat für sich allein wenig Bedeutung. Um das Bemerkte nutzbar zu machen, müssen wir diese Erkennmis mit andern in Verbindung bringen. Und zwar a) mit andern eigenen Erkenntnissen der Zukunft wie der Vergangenheit; b) mit fremden, zu deren und zu eigenem Gewinn. 3. Dazu ist es nötig, das einzelne Bemerkte sich merken und andern anzuzeigen, damit sie sich es merken. Andern bezeichnen wir es, indem wir es in irgendwelche Sprache kleiden und ihm es so mitteilen, daß nun auch er, und zwar bleibend, Kenntnis davon besitzt (wovon wir vielleicht besser zunächst absehen): uns merken wir es, indem wir es unserer Erinnerung einprägen oder aufzeichnen, es in eine uns bleibende Erkenntnis verwandeln.

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4. Nichts, was wir nicht bemerken, prägt sich explizit in unsere Erinnerung ein. Aber, daß wir etwas bemerken, ist für sich allein noch nicht hinreichende Bedingung, es dem Schatze unserer Erkenntnisse dauernd einzuverleiben. 5. Man wird sich sofort davon überzeugen, wenn man bedenkt, daß z.B. schon die Unterscheidung der Gesichtsanschauung als Ganzes in der Gesamtheit unseres Bewußtseins ein Bemerken ist. Das Ganze einer Gesichtsanschauung hält man aber meist nach einem flüchtigen Blick sicher nicht in der Erinnerung fest, nicht einmal für die nächsten Momente. Ähnliches kann lOOOfach auch bei Einfacherem geschehen. Zum "Sich merken" gehören also noch besondere Bedingungen: Die Wiederholung des Eindrucks. Die lebhafte Beschäftigung mit ihm, wenn er uns auffällt, die die Erscheinung mit mannigfachen Fäden fest an anderes knüpft, was dann zu seiner Wiedererweckung den Anlaß gibt, ist dafür förderlich. Die Mnemonik spricht darüber mancherlei. Wir wollen nicht dabei verweilen. Nur ein Moment müssen wir, wegen seiner besonderen Wichtigkeit, hier eingehender besprechen, nämlich daß, wenn wir uns etwas merken, dies nicht immer dadurch geschieht, daß wir es selbst, sondern auch oft dadurch, daß wir ein Äquivalent dafür, etwas, was seine Stelle vertritt, unserer Erinnerung einprägen. 6. Eine solche Stellvertretung ist in vielen Fällen rätlich, ja in anderen unbedingt geboten, indem es oft schwer, oft geradezu unmöglich sein würde a) denselben Vorstellungsakt ad libitum wiederzuerwecken oder b) wenn wiedererweckt, ihn sicher und genau als denselben wiederzuerkennenn. [... ] 7. Aber ist eine solche Stellvertretung denn wirklich möglich? Wie soll man sie sich denken? Am einfachsten und anschaulichsten zeigt man dies durch Beispiele. 8. Wir haben gesagt, der Psychognost müsse, was er bemerkt, fixieren, um es zu sammeln.

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Und wir haben kurz auf die verschiedenen Mittel hingewiesen, die er anwenden müsse, um es zu erreichen. Insbesondere davon [war die Rede], daß er manchmal statt einer Vorstellung, die er in sich selbst nicht wohl zu fixieren vermöchte, einer stellvertretenden Vorstellung sich bedient. 9. Eine solche wird darum nicht möglich sein, weil gewisse Vorstellungen in einem eigentümlichen Verhältnis zu andern stehen. Sie sind von ihnen verschieden, weisen aber doch auf sie hin. Sie sind, ich möchte sagen, mit ihnen konvertibel; was unter die eine fällt, gehört auch unter die andere. Und sie stimmen vielfach in den sehr wesentlichen Leistungen, wenn nicht vollkommen, doch in beträchtlicher Annäherung mit ihnen überein. Vieles, was sich der einen assoziiert, assoziiert sich auch der andern. Wenn ich die Platte eines runden Tisches von oben betrachte, beurteile ich den Gegenstand, der mir so erscheint, als rund; und wenn ich etwas seitlich stehend darauf schaue, tue ich dasselbe. Ich weiß eben, daß eine und dieselbe Gestalt, von verschiedenem Standpunkt betrachtet, verschiedene Vorstellungen erzeugt; und somit sind die Vorstellungen eines Gegenstandes, welcher unter entsprechenden Umständen den einen dieser Eindrücke macht, und die eines Gegenstandes, welcher unter entsprechenden Umständen den andern macht, konvertibel. Ähnlich ist's, wenn ich einen senkrechten Gegenstand mit senkrechter und schiefer Kopfhaltung anschaue. Ich habe sehr verschiedene Vorstellungen; das zweitemal reizt er Netzhautstellen, die, wenn sie ebenso gereizt worden wären, während ich den Kopf senkrecht hielt, mich dazu bestimmt hätten, ihm eine schiefe Stellung zuzuschreiben. Nun aber, da ich mir bewußt bin, den Kopf schief zu halten, glaube ich ihn in derselben Stellung wie im vorigen Falle. Die Vorstellungen eines Gegenstandes, welche unter gewissen Umständen den einen, und eines Gegenstandes, welcher unter entsprechenden Umständen den andern Eindruck macht, sind konvertibel. Die mannigfachsten Assoziationen knüpfen sich so gemeinsam an beide. Selbst das Wohlgefallen oder Mißfallen, welches sich an die

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Erscheinung knüpft, wird bis zu einem gewissen Grad erwas Gemeinsames (der schiefe Eindruck bei schiefer Kopfhaltung stört nicht, wie er bei der senkrechten stören würde). Wir haben von einem berühmten Komponisten (R. FRANZ) einen Bericht, welcher, wenn wir nicht annehmen wollen, daß er sich ganz unpassend und verkehrt ausgedrückt habe, ein besonders merkwürdiger Fall wäre, welcher zeigte, wie weit (manchmal) inhaltlich ganz verschiedene Vorstellungen in solchen Beziehungen, in welchen man es am wenigsten glauben möchte, Ähnliches zu leisten vermögen. 10. Unanschauliche Vorstellungen vertreten anschauliche. 11. Andere ~fale geschieht es, daß Vorstellungen andere vertreten, deren Inhalt zu dem ihren in einem mehr äußerlichen Verhältnis steht. a) Konvertibilität. Übereinstimmung in den wesentlichen Leistungen [bei] perspektivischer Verschiebung (Kopfhaltung R. FRA:-IZ). b) Unanschauliches vertrin anschauliches Negatives u.a. c) Kausative und affektive relative Bestimmungen [vertreten] komparative relative Bestimmungen. d) Wir erzeugen solche Vorstellungen mit klarer Absicht, wenn wir definieren. e) Wir erzeugen sie andermals ohne explizites (deutliches) Bewußtsein von dem, was in uns vorgeht. f) Wir erzeugen sie für Individuelles wie für Allgemeines. g) Wir haben viele von demselben. h) Sie sind oft viel zusammengesetzter als die Vertretenen. Und wir sind uns über ihren Inhalt nicht klar. i) Wir sind uns über ihr inhaltliches Verhältnis zu einander nicht klar, so wie auch zur vertretenen Vorstellung, [wenn wir z.B.] ::-.:eigung zu identifizieren [haben]. k) Hierdurch [entstehen] irrige ~1einungen, psychognostische Fehler, z.B. besonders bei der Klasse der Phantasievorstellungen verschiedener Begriffe. I) Bei der absichtlichen Definition bestehen bekanntlich oft ~länge!.

m; Bei den ohne explizites Bewußtsein erzeugten stellvertretenden Vorstellungen natürlich ebenso. n) Infolge davon [entstehen] mancherlei weitere Verirrungen.

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o) Besondere Gefahr [besteht] bei genetischen Bestimmungen aus der lnexaktheit der genetischen Gesetze. p) Besondere Gefahr [besteht] bei komparativen Bestimmungen (1) nicht Bemerktes als nicht vorhanden [zu erachten]. MILL's richtige Bemerkung: es sei mehr als Ausdruck einer Wahrnehmung, wenn man sage: "Hier ist eine Rose"; es sei dies auch Vergleich. (2) Leichtigkeit sich beim Messen zu irren, [wenn man z.B.] (Gleichmerkliches [für] gleich [erachtet).-- FECHNER's psychophysische Maßbestimmungen). 22 Ebenso Heterogenes wie Raum und Zeit, Längen- und Tonund Farbendistanzen [können und müssen wir berücksichtigen], ebenso Gewohnheitseinflüsse, Ermüdungseinflüsse, Aufmerksamkeitsgrade überhaupt, wovon früher [die Rede war). Alliierung von Unterschieden (örtlich und intensiv und qualitativ verschiedene Phänomene), einen Zoll als Zuwachs zu einem und zu hundert Zoll [zu sehen); Ähnliches vielleicht anderwärtsY q) Gewohnheitsmäßiger Drang ohne klares Bewußtsein der Anhaltspunkte und der Wahrscheinlichkeit der Vereinigung. r) Besonders wichtige stellvertretende Vorstellungen sind Wort und Schriftsprache. Aufzeichnung ist die sicherste Vermittlung für die Zukunft (obwohl immer ein gewisses Gedächtnis dabei beteiligt) und ferner ist die Sprache Mittel des Verkehrs mit andern. s) [Es besteht also die] Notwendigkeit der Psychognosie, sprachlich zu bestimmen. 12. Wir sehen, wie mannigfach die Gefahren der Unvollkommenheit und des Irrtums sind! Besonders hat man sich zu hüten: a) vor vorschnellem Leugnen wegen Nichtbemerken; b) vor falschen Maßbestimmungen; c) vor Verv.rechslung dessen, was stellvertretend mit dem Vertretenen und umgekehrt. (Ähnlich wie der Fehler der Äquivokation) und dessen, was,

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stark assoziien, mit einem unter Umständen (sogar sehr mittelbar) Assoziienen verwechselt. ARISTOTELES' Kugel, Beurteilung der Tiefen beim Sehen; d) vor einem vorschnellen Drang gedächtnismäßig d.i. gewohnheitsmäßig zu benennen, ohne Untersuchung der besonderen Bedingungen, welche den Drang erzeugen; z.B. weiß, weil am hellsten; e) vor den nachteiligen Folgen, welche an Unvollkommenheiten der Sprache sich zu knüpfen drohen: (1) Äquivokation, (2) Undeutlichkeit des Begriffs, (3) Ungeeignetheit des Begriffs zur Stellvenretung, indem [er] nicht wahrhaft konvenibel [ist]. Keine vollkommene Sprache, ja vollkommene Wissenschaft überhaupt (BENTHAM, COMTE) ohne vollkommene Psychognosie. (Man bedenke den Unterschied römischer und arabischer Ziffern in der Schriftsprache der Arithmetik. Vorzüge, welche das dodekadische System haben würde). 13. Statt eigentlicher Meßbestimmungen (bei stetiger Mannigfaltigkeit) scheint Notwendigkeit der Beschränkung auf Zählung gleichmerklicher Unterschiede von fixen Punkten, oder auf Bestimmung des Punktes im Verhältnis zu einer allgemeinen und konstanten Neigung zu bestehen, z.B. mittleres Grau. [Gibt es in der Wahrnehmung von mittlerem Grau eine] unmittelbare Evidenz? Gewiß nicht, aber [eine] faktisch annähernde Konstanz. Allgemeinheit - woher stammt sie wohl? [Es besteht] irgendwelcher Zusammenhang mit der "Eben-merklichkeit". (Daher [kommt] auch [das] Zusammenstimmen; [aber ich warne vor der] Unzulässigkeit, hieraus ein Argument für die Gleichheit des Gleichmerklichen zu machen, wie man meinte). [Ein] fixer Punkt ist auch der gegenwänige Moment für die Zeit. Fixe Punkte [gibt es] auch von [der] Stelle des deutlichen Sehens. (Vielleicht [ist es eine] segensreiche Einrichtung, daß in dieser Beziehung nicht die ganze Netzhaut gleich ist. Fixe Linien bei der Netzhaut [sind] die horizontale und [die]- annäherndvertikale. [Sie laufen] durch die Stelle deutlichsten Sehens; [dazu besteht eine] besondere Leichtigkeit, die betreffenden Bewegun-

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gen des Auges auszuführen wegen des Muskelapparates). Fixe Punkte [werden bestimmt] durch psychophysische Genese z.B. Abmessungen mit Zirkel, Zahl der Schwingungen, Thermometer (im Durchschnitt) u.dgl. [Ich verweise auf ihre] Unvollkommenheit, die darin liegt, daß dies nicht die eigentlichen Maßbestimmungen sind, auf Grund deren die einfach~ten genetischen Gesetze aufgestellt werden. [Ferner besteht ein] Mangel an rein psychologischem Charakter in diesem lü~­ kenhaften Stadium; eigentlich gegen den Geist der PsychognosJe. Nicht ausgeschlossen [sei], daß auf Grund vieler Erfahrungen die wahren Maßverhältnisse sich verraten werden nach dem Prinzip der größeren Wahrscheinlichkeit der einfacheren Hypothese. 14. Soviel vom Dritten, welches, wie wir früher gesagt, der Psychognost zu leisten hat, indem er das, was er bemerkt, fixieren muß, um es zu sammeln.

E. Induktive Verallgemeinerung 1. Als viertes machten wir namhaft, daß er induzierend verallgemeinern müsse. 2. Hier ist es nicht notwendig, eingehend zu verweilen. Es gilt hier, was bei andern induktiven Wissenschaften gilt. 3. Natürlich ist Vorsicht geboten ehe man die Behauptung aufstellt, daß etwas allgemein nicht vorhanden sei, weil die Erfahrung es uns nirgends habe bemerken lassen. a) Schon früher [wurde] gesagt, daß ein Einzelner in seinen Erfahrungen defekt sein könne, aber auch daß daran sich nicht eine unheilbare Unsicherheit knüpfe. b) Ebenso [wurde gesagt], daß unser Bemerken defekt sein könne; ja es bei allen Menschen vielfach sei. Indem wir aber die Bedingungen des Bemerkens etwa kennenlernten, müssen wir nicht fürchten, daß solche Unsicherheiten allenthalben und unheilbar bestünden. Vielfach werden wir zu sicherer Behauptung berechtigt sein: (z.B. daß [es] keine dritte Qualität außer Bejahung und Verneinung [gibt]. Daß [es] keine Farbe außer Rot, Gelb, Blau,

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etwa Grün, Weiß, Schwarz und ihren Mischungen [gibt]). Aber Vorsicht [ist] geboten. Und bleiben irgendwo Chancen, daß noch anderes, was nur weder von uns noch andern bemerkt [wurde], so verfahren wir richtiger, wenn wir sagen: "so weit man bemerken kann oder bemerken konnte", kommt anderes nicht vor. 4. Bei den Eigentümlichkeiten, welche bei gewissen Elementen des Seelenlebens bemerkt werden, muß man möglichst zu verallgemeinern suchen, damit die Induktion ihre Aufgabe erschöpfend löse, d.h. wir müssen konstatieren, welcher der höchste allgemeine Begriff ist, an welchen sie sich als Art- oder Gattungseigentümlichkeit knüpft. Sonst wäre es, wie wenn ein Mathematiker statt des Satzes von der Winkelsumme der Dreiecke drei Sätze, je einen für die Rechtecke, Spirzecke und Stumpfecke aufführen wollte. Also z.B. wenn ein wirklich trennbares Element des Seelenlebens der Empfindung oder an einem gewissen phänomenalen Punkt lokalisierten Rot und in ihr sich Qualität und örtliche Bestimmtheit als einander durchwohnende Teile des Inhalts erkennen lassen; und wenn man Ähnliches bei der Empfindung eines Blau usw., kurz allgemein auf dem Gebiet des Gesichtssinnes findet, so ist dieser Charakterzug mit dem wirklich trennbaren Farbenelement überhaupt in Verbindung zu bringen. Ähnlich [ist es] vielleicht bei Schall, Geruch, Geschmack, Wärme etc. Wenn nun dies vielleicht an dem Sinneselement überhaupt [so ist], dann ist dies auszusprechen. 5. Aber Vorsicht! [Es ist fraglich], ob Örtlichkeit im selben Sinn, ob Qualität im selben Sinn, oder nur analog [gebraucht werden darf] wie z.B. Helligkeit wirklich nur analog [ist], wenn Farbe und Ton [im selben Sinn analog gesehen werden dürfen]; oder [ob] Sättigung [analog gesehen werden kann], wenn wir etwa sagen wollten, das Geräusch sei ein ungesättigter Schall im Gegensatz zu einem Schall, welcher Ton der Skala ist. 6. Wenn das letztere der Fall ist, [so ist] doch auch dies als allgemeiner Zug zu betrachten, daß ein Analogon vorliegt und es ist wichtig, dies hervorzuheben. Und ähnlich sind überhaupt die Analogien ebenso wie die generellen Allgemeinheiten zu suchen. [Es sei verwiesen auf die ] große Bedeutung, welche die

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Erkenntnis der Analogien auf den verschiedenen Gebieten haben. (Werden sie nicht namhaft gemacht, so ist dies eine Unvollständigkeit der Psychognosie, welche gewöhnlich mit andern Unvollständigkeiten im Zusammenhang [steht]). Durch ihre Erkenntnis wird alles durchsichtiger, leichter zu fassen und zu behalten. (Indem sich daraufhin die Gesamtanschauung vereinfacht, indem sie so einen einheitlicheren, gleichförmigeren Charakter bekommt, leisten sie [die Analogieq] nicht unwesentliche Dienste.) Auch für die genetische Psychologie [ist sie] wichtig. NB. Wertvoll ist es hier sogar, wenn bloß Hypothesen, auf Grund deren, was sonst wenig analog erschiene, in Analogie erscheint, wenn anders dieselben, mit den bekannten psychognostischen und psychogenetischen Gesetzen in Einklang [stehen], wirkliche Wahrscheinlichkeit besitzen. Bei einem so interessanten Gebiete ist auch eine bloße Wahrscheinlichkeitserkenntnis, wenn sie wenig oder keine Aussicht hätte, je volle Gewißheit zu werden, von Wert. 7. Er [der Psychognost] muß, wo die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit der Vereinigung gewisser Elemente aus den Begriffen selbst erhellt, diese allgemeinen Gesetze intuitiv erfassen. Solcher Fälle gibt es eben nicht wenige, teils solche, wo es sich um rein distinktionelle, teils solche, wo es sich um abtrennbare Elemente handelt. Z.B. ist die Eigentümlichkeit der Evidenz nirgend außerhalb des Urteils zu finden. Und so wenig sie außerhalb des Gebietes des Urteils [ist], so wenig kann sie jeder Art von Urteilen eigen sein. Es gibt bejahende Urteile, deren Materie einen, vielleicht versteckten, Widerstreit der Bestimmungen enthält. Sie sind nie evident. Es besteht schlechthinige Unvereinbarkeit. Dagegen haben wir z.B. hinsichtlich der örtlichen Bestimmtheit einen merkwürdigen Fall notwendiger Verbindung zu konstatieren. Jeder andere Punkt eines phänomenalen Raumes hat eine andere örtliche Spezies; er ist räumlich spezifisch verschieden von jedem andern, der irgendwie, und wäre es auch noch so wenig von ihm absteht. Er mag vielleicht einmal auch bestehen, wenn ein anderer, der jetzt mit ihm besteht, nicht phänomenal gegeben ist und auch jeder dieser örtlich spezifisch gleichen fehlt.

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Aber er kann phänomenal nicht für sich allein bestehen, es müssen immer unzählig viele andere zugleich gegeben sein, mit welchen er ein Kontinuum von mehreren Dimensionen bildet. Er mag vielleicht ein Endpunkt sein, aber sicher nicht ein Endpunkt nach jeder Richtung. Er hat die Eigenheit einer Grenze, die nie etwas für sich ist, noch sein kann. [Ich verweise auf] Absurditäten bei SUAREZ24 • Also ein gewisser Fall von Untrennbarkeit [ist konstatiert]. Ähnliches gilt von den zeitlichen Spezies. Solche Fälle, wo die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit gewisser Verbindungen von Elementen des Seelenlebens unmittelbar aus den Begriffen einleuchtet, sind also wirklich vorhanden. Und es verschlägt nichts dagegen, daß hier wie anderwärts die Tatsache der apriorischen Evidenz in Abrede gestellt worden ist; ja daß achtbare Forscher Theorien aufstellten, welche in ihren Fundamenten selbst Annahmen machten, welche diesen Axiomen widersprachen. Z.B. Punktualisten. FECHNER's philosophische Atomenlehre.'-5 Natürlich [ist] aber auch hier Vorsicht geboten, denn ebenso oft, wenn nicht öfter, ist es geschehen, daß einer etwas für ein unmittelbares Axiom erklärte, was es in keiner Weise ist, indem ein Drang der Gewohnheit oder was immer sonst ihn verleitete. Soviel also in Kürze vom fünften Punkt.

F. Deduktive Verwertung 1. "Er [der Psychognost] muß, was er auf dem einen oder andern Weg (induzierend oder intuitiv) von allgemeinen Gesetzen gewonnen, deduktiv verwerten." Hiedurch, sagten wir, vermöge er manche die Elemente betreffende Frage, die sonst kaum beantwortet werden könnte, zur Lösung zu führen. Ein einfaches Beispiel ergibt sich in Zusammenhang mit dem, was wir eben über den Charakter der örtlichen Bestimmtheit bemerkten. Wir können daraus erschließen, daß die Inhalte der Sinnesempfindungen in Wahrheit Kontinua sind, (obwohl bei keinem

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angehbaren Punkt sicher ist, daß hier keine Lücke [besteht], die nur zu klein ist, um bemerkt zu werden). So [ist dies] ein gewisser Ersatz für die Mängel des Bemerkens, wenn auch kein vollkommener. Ein anderes Beispiel ergibt sich im Rückblick auf einen früher erwähnten Fall, [der] Individualität des Inhalts der innern Wahrnehmung. Es leuchtet nun von vornherein ein: Wie [es] keine Spezies ohne Differenzen [gibt, so] kein Individuum ohne individualisierende Differenz. Ein individuell auftretendes Phänomen, ein individueller Inhalt, muß ein individualisierendes Moment in sich haben. Wir vermögen es aber nicht zu bemerken. So steht seine Existenz rein deduktiv fest. Und unter Benützung induktiv gewonnener Kenntnisse, welche uns für die Erklärung einer so auffallenden Erscheinung Anhaltspunkte geben, sind wir imstande, noch weitere Folgerungen anzuknüpfen, wie z.B. die auf die Konstanz des individualisier[enden] Elements, auf seine Unterschiedslosigkeit in den Phänomenen, welche das Gedächtnis bewahrt, nach denen wir frisch erleben. 26 Ich begnüge mich mit dem Wenigen. Die kommenden Ausführungen werden diesen sechsten Punkt, wie die früheren, reicher illustrieren. 2. Hiemit ist die Aufzählung dessen, was der Psychognost zu leisten hat, um seine Absichten zu erreichen, wesentlich erschöpft. Wir haben, glaube ich, dadurch einen tieferen Einblick in die eigentümlichen Schwierigkeiten der psychognostischen Forschungen gewonnen als ihn die bloße Tatsache der großen mannigfachen Gesetze der Meinungen zu geben vermochte. Wir haben die Quellen der Unvollkommenheiten und Irrtümer im allgemeinen namhaft gemacht. Auch die Methode, welche wir anwenden müssen, um sicher und erfolgreich die Irrtümer zu vermeiden und die Wahrheit zu entdecken, wurde, einigermaßen wenigstens, charakterisiert. So treten wir wesentlich gefördert an unsere Aufgabe heran. Freilich mit dem Bewußtsein, daß unsere Aufgabe eine schwierige sei, welche Geduld, Übung, Umsicht, kurz die angestrengteste Achtsamkeit erheischt.

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Dies darf in Anbetracht des besonderen Wertes der Erkenntnisse, nach welchen wir hier ringen, nicht abschrecken.

G. Psychognosie als Vorbedingung der genetischen Psychologie 1. Dies gibt ihr [der Psychognosie] einen vorzüglichen Wert. Ja, wenn wir einen Augenblick verweilen, um uns den Wert unserer Disziplin klar zu machen, so zweifle ich nicht, daß wir sagen müssen, der Hauptwert der Psychognosie bestehe darin, daß sie für die genetische Psychologie die Basis lege. Was ist alles von der abhängig? Logik, Ethik, Ästhetik, Nationalökonomie, Politik, Soziologie. 2. Doch [ist es) nicht [so), als ob ihr nicht auch schon in sich ein hoher Wert zukäme, a) theoretisch: (1) Sie macht uns bekannt mit den Gebilden unseres eigenen Selbst, (2) und darin [mit] dem Edelstein und Höchsten, was das Reich der Erfahrung aufweist. (3) Sie spricht uns von Dingen, die uns anschaulich sind, wie sie wirklich existieren. Und [sie] unterscheidet sich dadurch wesentlich von der gesamten Naturwissenschaft. Erklärung. AMPERE: "Wie sollte ich ein Land voll Blumen und lebendiger Wässer meiden, wie die Bäche und Haine lassen für Wüsten, welche durch jene mathematische Sonne versengt werden, die das hellste Licht auf die Gegenstände nur wirft, um sie welken zu machen, sie auszutrocknen bis zur Wurzel ... " NB. Die ganze Naturwissenschaft schier wie die Mathematik ist nur als Instrument, beeinflussender Faktor für Psychisches von wesentlichem Interesse. [Das gilt auch für) Medizin- ja selbst Geologie und Astronomie [wegen der) Dunkelheit der Materie in sich. b) Praktisch[en Wert zeigt sie in ihren) charakteristica univer-

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salis (LEIBNIZ). [Dies kommt auch zum Ausdruck im Brief] DESCARTES' an pere MERSENNE*.

• "Und wenn Einer erklärt hätte, von welcher Art jene einfachen Ideen sind, die sich im Vorstellungsvermögen der Menschen befinden und aus denen alles zusammengesetzt ist, was diese denken, und wenn die ganze Welt davon Kennmis genommen hätte - so würde ich schließlich auf eine Universalsprache zu hoffen wagen, die leicht zu erlernen, leicht zu sprechen und leicht zu schreiben wäre, und, was besonders wichtig ist, die das Urteil unterstützte, indem sie alle Dinge so deutlich darstellte, daß Täuschung nicht möglich wäre ... Ich glaube, daß die Sprache möglich und die Wissenschaft zu finden ist, von der sie abhängt; sicherlich könnte mit ihrer Hilfe auch ein Ungebildeter über die Wahrheit der Dinge besser urteilen als bislang irgendein Philosoph. Aber hoffe nicht, daß Du diese Sprache jemals in Gebrauch sehen wirst; dies setzt große Veränderungen in der Welt voraus, und es wäre nötig, die ganze Welt in ein irdisches Paradies zu verwandeln, was freilich nur in den Fabeln vorkommt." Descartes a Mersenne, 20 November 1629; Oeuvres de Descartes, AT I, 81; übersetzt von M. Gebauer.

ZWEITER TEIL

ÜBERSICHT ÜBER DIE PSYCHOGNOSIE

I. DIE BESTANDTEILE DES MENSCHLICHEN BEWUSSTSEINS 1. Der Psychognost, sagten wir, forscht nach den Bestandteilen des menschlichen Bewußtseins; er sucht seine Elemente und deren Verbindungsweisen nach Möglichkeit erschöpfend zu bestimmen. 2. Hierin liegt, daß das Bewußtsein nichts Einfaches ist. Und so ist es unleugbar. Wenn manche dagegen die Einheit des Bewußtseins geltend machten, so ist dieser Einwand nichtig. Nicht als ob die Einheit des Bewußtseins vernünftig bestritten werden könnte: aber, wie schon ARISTOTELES sagt, Einheit ist nicht dasselbe wie Einfachheit. 3. Wir haben gesehen, wie in einem doppelten Sinn Teile im menschlichen Bewußtsein unterschieden werden können. a) Bei den einen handelt es sich um solches, wovon das eine von dem andern wirklich ablösbar ist, b) bei den andern um solches, wovon das eine vom andern unterschieden werden könne. (Wirklich ablösbare-bloß distinktioneHe Teile.) 4. Die wirklich ablösbaren waren teils gegenseitig, teils einseitig ablösbare Teile. Auch fanden wir, daß sie oft selbst wieder Teile enthalten, welche wirklich ablösbar sind. Ist dies bei gewissen Teilen nicht mehr der Fall, so kann man solche, im Sinne wirklicher Ablösung nicht weiter teilbare Teile, Elemente des menschlichen Bewußtseins nennen. 5. Die bloß distinktionellen Teile waren ebenfalls mannigfach. Wir unterschieden vor allem zwei Klassen. a) Distinktionelle Teile im eigentlichen Sinn, b) durch modifizierende Distinktion zu gewinnende Teile. Zu den ersten gehören (1) sich durchwohnende (concrescente Teile), (2) logische Teile,

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(3) bloß distinktioneHe Teile der psychischen Dienergie, (4) die Teile des intentionalen Korrelatenpaares. Als durch modifizierende Distinktion zu gewinnende Teile konnten bezeichnet werden: (1) die Objekte im Akt und in seinem intentionalen Korrelat, (2) die Teile dieser Teile (also der Objekte) in mannigfacher Art. 6. Wie unter den wirklich ablösbaren Teilen so enthalten auch unter den bloß distinktioneilen einige im Unterschiede von andern nicht weiter Teile in sich, sind also letzte rein distinktioneHe Elemente. 7. Wir haben gesehen, daß der Psychognost, der die Elemente im Sinne der letzten wirklich ablösbaren Teile erforschen will, nicht umhin kann, auch nach den Elementen im Sinne der letzten distinktioneilen Teile zu fragen. a) Sonst wäre keine deutliche Beschreibung möglich; b) eine unsägliche Vervielfältigung der Bestimmungen würde eintreten. So viel Punkte im Sehfeld, soviel Namen [gäbe es] hier allein, wenn nicht mehr. c) Das Unterscheiden eines rein distinktioneilen Teils macht das Wesen besonders abtrennbarer Teile aus.· 8. Das war es, was ich kurz in Erinnerung bringen mußte, ehe ich es versuchen konnte sie [die Untersuchung] weiter zu führen. 9. Die nächste Frage ist die nach der Ordnung der Darlegung bei der nunmehr zu beginnenden Übersicht. 10. Ich könnte mit einem Register der bloß distinktioneilen Elemente beginnen und dann zur Ausführung der wirklich ablösbaren Elemente mich wenden, bei ihrer Beschreibung die bloß distinktioneBen Elemente benützend. 11. Indes glaube ich nicht, daß sich diese Ordnung empfiehlt. Wenn wir auch darauf verzichten, alles was wir in der gedrängten Übersicht vortragen, mit den Beweisen zu verbinden, so möchte ich doch die Darlegung nicht so einrichten, daß alles ganz haltlos dastünde, und so würde es, was das Register der bloß distinktionellen Elemente betrifft, zunächst jedenfalls sein. Es würde einem in keiner Weise anschaulich, wie dieses Register der distinktioneilen Elemente wirklich für das mensch-

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liehe Bewußtsein (abgesehen von etwaigen Mängeln, die der Schwierigkeit der Frage und der Unfertigkeit der heutigen Forschung zuzuschreiben [sind]) zutreffend und erschöpfend ist. Damit dies vermieden werde, müssen wir Gebiet um Gebiet durchwandern, in welchem die bloß distinktioneBen Teile sich finden, und diese Gebiete werden gewiß wirklich ablösbareTeile sein. 12. Die wirkliche Ablösbarkeit, sagten wir, ist oft eine einseitige. Dann ist der eine Teil vom andern unabhängiger als umgekehrt. Es erscheint naturgemäß, mit den unabhängigeren und unabhängigsten Teilen zu beginnen. 13. Dennoch werden wir mit der Beschreibung des unabhängigsten Gebiets nicht beginnen, ja wir werden uns von derselben ganz und gar enthalten, nur etwa von einigen negativen und relativen Bestimmungen abgesehen. 14. Die Verwunderung, die diese Bemerkungen erwecken [mag], wird vielleicht sofort weichen, wenn ich sage, daß der unabhängigste von den wirklich ablösbaren Teilen des menschlichen Bewußtseins derjenige von ihnen ist, welcher das Bewußtsein individualisiert. 15. Schon frühere Erörterungen haben uns dazu geführt, die Tatsache zu erwähnen. Erwägen wir noch einmal kurz das damals Gesagte. Denn die Sache ist wichtig; Folgerungen von der höchsten Bedeutung selbst für die Metaphysik knüpfen sich daran. Und auch in sich selbst ist sie von höchstem Interesse. [Ich füge deshalb eine] kurze Erörterung [an]. 16. Einige negative und relative Bestimmungen, sagte ich, könnten wir davon geben. So z.B., daß es nicht räumlich ist, daß es nicht wechselt im Bereich unseres Gedankens. Beweis: Wegen der inneren Wahrnehmung müßte der Raum, den es uns zeigte, wirklich von ihm erfüllt sein. Aber dann [gäbe es] gewiß bald einen andern rapiden örtlichen Wechsel mit dem Leib. Und dann [gäbe es] beträchtliche Differenzen mit sicherer Merklichkeit. Somit [gäbe es] auch nicht [Bestimmungen von] Länge, Breite, Tiefe, rund oder eckig u.dgl. Ebenso sicher [wäre der Raum] ohne Farbe und andere sinnliche Qualitäten (und ohne Maße).

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Einwand: [Wenn er nur] unmerklich klein [wäre]? Antwort: Wenn [der Raum] unmerklich klein [wäre], dann [wäre] auch das Erfüllende unmerklich, also [wäre] das Ganze psychisch. 17. Relativ aber können wir von ihm [dem Bewußtsein] sagen, daß es in jedem menschlichen Bewußtseinsakte implizite gegeben ist und ihn individualisiert. 18. Es besteht aller Wahrscheinlichkeit nach fort, wenn wir schlafen oder in Ohnmacht liegen, ob rein für sich, oder mit andern psychischen Teilen wie Sensationen u.dgl. [zusammen, ist] vielleicht nicht sicher zu entscheiden. Tatsache [ist], daß wir, wenn wir erwachen, uns oft keines Traumes erinnern.- Einzelne erklären, in ihrem Leben hätten sie keinen Traum gehabt, und wollen kaum glauben, was man ihnen davon erzählt. Aber andererseits [ist es] gewiß, daß wir manchmal, obwohl wir uns keines Traums erinnern, dennoch geträumt haben, und von dem Traum deutliche Zeichen geben. DESCARTES und LEIBNIZ haben sich darum nicht gescheut, sogar auf das Entschiedenste zu behaupten, daß immer etwas wie Sensation, Traum vorhanden sei. Ob sie ein Recht dazu haben? Es scheint, daß es, wenn wir ermüden, eine Art Abnahme der psychischen Akte gibt. Warum [soll es] dann unmöglich [sein], daß zeitweise wenigstens nur etwa jenes konstante individualisierende Moment, welches wir in sich selbst nicht positiv bestimmen können, allein übrig bleibt? 19. Doch was hier das richtigere oder wahrscheinlichere ist, hat der Psychognost als solcher nicht zu untersuchen. 20. Ob [es] ohne intentionale Beziehung zu sich selbst [ist]? Es scheint diese vielleicht zu bejahen! Denn sonst wäre es nicht in unserem Bewußtsein mitbeschlossen ([als] ein sich durchwohnender Teil mit zwei andern). Nicht unwahrscheinlich, (wenn nicht sicher) [ist es], daß [das individualisierende Moment] wie auch anderes [intentional wirkt], sonst [gäbe es] keine Dienergie. 21. Doch bezüglich eines so dunkeln Elements muß der Psychognost sich bescheiden. Seine Sache ist getan, wenn er das geheimnisvolle Element als wirklich vorhanden dargetan hat.

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22. So viel von der fundamentalen Realität, von welcher alles, was sonst zum Seelenleben des Menschen gehört, ablösbar ist, und von der alles, was zu unserem Selbst gehört, individualisiert wird. 23. Blicken wir auf die andern in Rücksicht auf wirkliche Ablösbarkeit zu unterscheidenden Teile, welche wir psychische Akte nennen wollen.

II. PSYCHISCHE AKTE

A. Einleitung In bezug auf die psychischen Akte wollen wir a) vor allem namhaft machen, was ihnen gemeinsam ist, b) dann, in welche Hauptklassen sie zerfallen. Hinsichtlich der ersten Frage [kann ich mich] kurz [fassen]; denn das meiste, wenn nicht alles, [habe ich] schon gelegentlich erörtert: (1) Sie involvieren die individualisierende Realität (ähnlich wie die logischen Differenzen die Gattung). (2) Sie sind wie sie ohne Ort, räumliche Ausdehnung etc. (3) [Sie sind] wie sie ohne Farbe etc. (4) Sie haben intentionale Beziehung. (5) Sie haben Dienergie, primäre - sekundäre Beziehung. (6) Die sekundäre Beziehung ist ein Vorstellen und ein Urteilen, Glauben, welches einfach assertorisch [ist], aber evident. Man hat als allgemein behauptet, daß auch ein Lust- oder Unlustgefühl, ohne dies aber streng zu erweisen oder vielleicht auch nur wahrscheinlich zu machen, [assertorisch evident sei]. Ja so gewiß (augenscheinlich) es manchmal vorkommt, so gewiß (wahrscheinlich) dürfte es schier sein, daß [dieses Kriterium] in andern Fällen fehlt. (Es müßte [denn] einer sagen, [es handele sich um eine] unmerklich kleine Intensität). Auch muß man nicht glauben, daß die evidente Perzeption immer den Charakter der Apperzeption (d. Bemerkens: zusammenhängend mit apercevoir LEIBNIZ') trägt.

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B. Zwei Hauptklassen [der psychischen Akte]: Fundamentale und suprapanierte Akte !.Hinsichtlich der zweiten Frage, in welche Klassen die psychischen Akte zerfallen, so sind vor allem zwei Hauptklassen zu unterscheiden a) fundamentale, b) suprapanierte Akte. Von diesen stehen die letzteren zu den ersteren in ähnlichem Verhältnis, wie diese zum psychischen Substrat. Beispiele: (1) Vorstellen des allgemeinen Begriffs Farbe, oder Bläue, oder Helligkeit. (Zugrunde liegt die Anschauung eines Konkreten, so und so örtlich bestimmten, so und so großen, durch diese oder jene Gestalt umgrenzten Farbenphänomens). (2) Wunsch, eine Reise zu machen, (zugrunde [liegt die] Vorstellung der Reise), (3) Glaube, daß keine Zwei der andern ungleich, (zugrunde: Vorstellung einer Zwei, welche einer andern ungleich), (4) unanschauliche Vorstellung eines schwarzen Schimmels (sinnliche Anschauungen eines schwarzen, eines weißen und Anschauungen anderer Momente, deren nähere Bestimmung wir einer späteren Untersuchung vorbehalten). 2. Unter den suprapanierten Akten sind manche, welche relativ zu andern wieder fundamental genannt werden können, z.B. Vermutung zu Furcht oder Hoffnung, Glauben an die Unmöglichkeit bei Verzweiflung. !\"B. Furcht [ist] keine einheitliche Gattung, wohl aber ein einheitlicher ablösbarer Teil (oder wovon abtrennbar). Zunächst fassen wir sie alle in der zweiten Hauptklasse als suprapanierte psychische Akte zusammen. C. Die Natur der fundamentalen

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1. Betrachten wir diejenigen psychischen Akte, welche als fundamentale zur ersten Hauptklasse gehören, so sind sie

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durchwegs solche Akte, welche sinnliche Phänomene zum primären Objekte haben, oder, was dasselbe sagen will, sie enthalten als primäre Beziehung ein Vorstellen von konkret sinnlichem Inhalte. Beispiel: Jede Sinnesempfindung, sei es eine sog. objektive oder eine subjektive wie Halluzination oder Mitteldinge wie gewisse Illusionen. Zu den objektiven [Sinnesempfindungen] gehören wie die unmittelbar erregten, [so die] von einem innerlich oder äußerlich gelegenen peripheren Nervenende [erregten], auch die Reflexempfindungen. Und wie die [Sinnesempfindungen] von dem peripher Enderregten, [so gehören] auch [diejenigen hierher], die durch Reizung der Nerven an einer mittleren Verlaufsstelle [entstanden sind] (das Mäuschen beim nervus ulnaris des Amputierten). Auch die sogenannten Nachbilder sollte man alle oder doch größtenteils hieher rechnen. [Es gibt den] Nachweis, wie die negativen Nachbilder vom peripheren Endorgan oder jedenfalls von einer Stelle, welche eine Station auf dem Weg zum zentralen Terminus ist, erregt werden, (wenn nicht, [wie nach EBBINGHAUS, ein] früheres positives Nachbild das stärkere negative verdrängt). Gewiß wird auch ein Teil der positiven Nachbilder nicht minder fern von einer Stelle her wie das zentrale Ende erregt als das negative. Die andern [werden] vielleicht von einer Zwischenstation [erregt]. Ein weiteres Beispiel ist jede Proterästhese, d.i. jede einer sinnlichen Empfindung zugehörige Proterose. [Dies geschieht beispielsweise durch] Gesichtsanschauung von Ruhe oder Bewegung oder Verfärbung, [durch] sog. Hören von einem Worte, einer Silbe, einer Reihenfolge von Gesungenem oder durch ein musikalisches Instrument erweckte Klänge. Die große Ähnlichkeit und die enge genetische Verbindung mit den betreffenden Empfindungen machte, daß sie lange allgemein mit Sensationen konfundiert wurde, und noch heute werden vielfach ihnen zugehörige Momente zu den Momenten der Sensationen gerechnet. Wie ARISTOTELES, so sprachen noch LOCKE und LEIBNIZ

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und Physiologen und Psychologen der Gegenwart von Empfindung der Bewegung. 2. In der Tat werden wir zeigen, daß die Sensation nichts für sich ist, daß sie nur ist als Grenze einer Proterose, freilich als Grenze nicht wie ein terminus intra, sondern wie ein terminus extra. 3. Zu ihrer allgemeinen Charakteristik [seien] folgende Bemerkungen [gemacht]. a) Solche, welche die Beziehung zum primären, b) solche, welche die Beziehung zum sekundären Objekt angehen. 4. Die Beziehung zum primären Objekt scheint durchwegs eine doppelte zu sein: (1) ein Vorstellen, (2) ein blind assertorisches Anerkennen. 5. Das Letzte könnte Bedenken erregen. Es ist richtig, nicht wenn manchmal auch dies, sondern nur wenn immer und wenn es sich unabtrennbar erweist. ARISTOTELES scheint dafür [zu sein]. Wahrheit, Falschheit [schreibt er] der Sensation zu. Bei dem Z weifingerexperimenrl- hält der [eine] Sinn die Behauptung aufrecht, selbst da der andere widerspricht. Dagegen spricht aber als ein sehr bestechendes Argument: die Überzeugung, welche die wissenschaftlich Gebildeten heutzutage zu erlangen pflegen, daß Farben, Töne etc. in Wirklichkeit nicht existieren. Auch weniger Aufgeklärte unterliegen doch nicht mehr jeder Täuschung der Perspektive der Spiegelung, der Lichtbrechung im Wasser usw. Durch die Erfahrung klüger geworden, beurteilen sie die Außenwelt auf sinnlichen Eindruck hin jetzt anders als früher, verwerfen als falsch was sie früher wohl für wahr gehalten haben würden. Daß sie es auch jetzt noch für wahr hielten, könnte einer nur sagen, wenn er meinte, daß sie es zugleich für wahr und für falsch hielten, was doch ein starkes Paradoxon [darstellt]! Wenn nun dieses Argument stichhaltig befunden wird, so gehört der Glaube an das sinnliche Phänomen, wo er sich findet, nicht unablösbar zum fundamentalen psychischen Akt, sondern ist als besonders suprapanierter Akt zu fassen. 6. Indes ist das Argument so zwingend nicht als es momentan erscheinen mag.

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a) Es ist kein stärkerer Gegensatz zwischen Anerkennen und Verwerfen, als zwischen Lieben und Hassen. Wenn es also geschehen kann, daß man dasselbe zugleich liebt und haßt, so scheint es von vornherein nicht ausgeschlossen, daß man auch dasselbe zugleich anerkennt und verwirft. Jenes aber scheint richtig, beim Widerstreit von Affekt und höherer Gemütsbewegung. b) Viele (z.B. auch HELMHOL TZ) sprechen vom Fortbestan~ optischer Täuschungen, auch nachdem der Irrtum eingesehen [wurde]. (Möge der instinktive Drang zum Glauben durch Gewohnheit begründet oder angegeben sein). Die Einsicht wird freilich bei dem Vernünftigen prädominieren. Er wird sein Handeln danach einrichten. Doch kommt es auch vor, daß sie bei momentaner geringerer Unachtsamkeit vom instinktiven Irrtum wieder verdrängt und sozusagen wie die höhere Gemütstätigkeit von dem Affekt überwunden und mit fortgerissen wird. c) [Man kann dies damit vergleichen], wie allgemeine Begriffe geleugnet werden, obwohl man sie explizit denkt und somit evident bemerkt, doch falsch beurteilt. Was insbesondere zu Gunstendes in dem fundamentalen Akt enthaltenen Glaubens an das primäre Objekt spricht, sind die Überlegungen, zu welchen die Frage nach dem Ursprung des Glaubens an eine Außenwelt den Anlaß geben. Sie scheinen dahin zu führen, daß man nicht etwa ursprünglich ohne solchen Glauben war, ihn erst später gewann, indem man fand, daß sich auf Grund solcher Hypothesen der gesetzliche Zusammenhang zwischen der Aufeinanderfolge unserer psychischen Erlebnisse am besten begreifen lasse, sondern daß man sofort hier, wie beim Gedächmis, vertraute. So scheint der Glaube in den fundamentalen sinnlichen Akten ursprünglich involviert. Und da sie selbst, so sehr sich unser Seelenleben über sie hinaus durch supraponierte Akte entwickelt und bereichert, in ihrer Natur unverändert bleiben, so möchte man daraus folgern, daß immer und bei uns allen, jener erste niedere Glaube nicht ausgerottet, sondern nur durch höhere Urteilsakte, welche als durch

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Schlüsse gewonnene Einsichten oder ähnlich wie diese motiviert auftreten, überwunden und in gewissem Sinn niedergehalten, unterdrückt, in ihrem Einfluß kontrariert sind (des alten Einflusses beraubt sind). d) Daß man meinen kann, man habe den Glauben nicht, darf nicht beirren, denn (1) der Glaube ist vielfach nicht explizit; (2) das Scheinargument, welches oben erwähnt, mag zu der Behauptung führen, wie Scheinargumente zur Leugnung allgemeiner Begriffe führen, obwohl der Leugner sie explizit denken, und so wie andere zu allgemeinen Urteilen - Schlüssen verwenden kann. So mag denn die alte Meinung des ARISTOTELES auch heute noch sich als das wahrscheinlich Richtige empfehlen. Völlig gesichert erwiesen möchte ich sie dagegen auf Grund der eben geführten Erörterung nicht nennen. Denn auch eine andere Auffassung bleibt irgendwie denkbar: nämlich die, daß zwar ursprünglich mit der Sensation der instinktive Glaube an das primäre Objekt verbunden gewesen, aber nur als ein zweiter suprapanierter Akt, der, damals kausal, daraus entspringe; später aber trete er nicht ebenso als Wirkung ein, indem er durch andere Faktoren gehemmt werde. 7. Nur die Erfahrung kann entscheiden. Ich habe mich schon dahin ausgesprochen, daß sie mir von ARISTOTELES richtig aufgefaßt zu sein scheint. Die Tatsachen stimmen. Und auch das Einfachste der Anschauung empfiehlt [er].

D. Die primären Objekte der fundamentalen [psychischen] Akte

1. Zwei [sich] durchwohnende Teile: Räumlichkeit und Qualität 1. Die pnmaren Objekte der fundamentalen Akte (also der Empfindungen und Proterästhesen) haben eine Reihe von auffallenden Eigenschaften gemeinsam, welche sie von denen

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anderer psychischer Akte unterscheiden. Ich bemerkte, sie seien Konkreta aus sich durchwohnenden Teilen. Diese Konkreta weisen sämtlich folgende Momente auf, deren Wesen und gegenseitiges Verhältnis sich uns vielfach am besten bei der Betrachtung des Speziellen aufklären wird. Denn von manchen hat der Laie eine sehr konfuse Auffassung und nur unter Aufgebot aller Hilfsmittel der Induktion und Intuition und Deduktion vermögen wir uns in manches ein.e deutlichere Einsicht zu verschaffen. 2. Zunächst führe ich sie nur der Reihe nach auf. Alle primären Objekte der fundamentalen Akte sind a) räumlich oder raumähnlich spezifisch bestimmt. (Einer ihrer durchwohnenden [Teile] ist örtliche Bestimmtheit oder [ihr] Analogon). b) Sie haben eine zweite spezif[ische] Bestimmtheit, welche mit der räumlichen als sie durchwohnender Teil verbunden den Ort (oder das Analogon des Orts) einnimmt, den Raum (oder das Analogon) füllt. Man nennt sie bei den Empfindungen (und wohl auch bei der Proterose) Qualitäten (Farbe im weitesten Sinne, Ton oder [sein] Analogon). 2. Die Momente der Qualität 1. Innerhalb dessen, was man im weiteren Sinn Qualität (oder Analogon der Qualität) nennt, lassen sich dann wieder zwei Momente unterscheiden, a) Helligkeit oder Dunkelheit (oder [deren] Analogon). b) Sättigung oder Ungesättigtheit (oder [deren] Analogon). Statt Sättigung könnte man auch sagen Kolorit, Sonanz, indem man Ausdrücke, welche zunächst auf einem engeren Empfindungsgebiet gebräuchlich wurden, verallgemeinerte. Denn der Gegensatz von Sättigung und Ungesättigtheit zeigt sich auf dem Gebiet der Gesichtsempfindung als der von Farbigkeit im engeren Sinne zu sogenannter Farblosigkeit von Gesichtserscheinungen - schwarz, weiß, grau. Und ähnlich [zeigt er sich] auf dem Gebiet der Gehörsempfindung als der [Gegensatz] von Sonorem, Klanghaftern und Klanglosem, Tonlosem - Knall und anderer Geräusche.

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Wir werden sehen, daß Analoges auf allen Sinnesgebieten sich zeigt. 18 2. In Betreff dieser zwei Momente (Helligkeit und Sättigung) erhebt sich die Frage: Sind sie zwei verschiedene sich durchwohnende Teile, wie Ort und Qualität? Oder sind einige wie z.B. das (Un)-Gesättigte nur in besonderer Weise ausgezeichnete Spezies derselben Gattung? [... ] a) wie z.B. wenn einer meinte, das Gesättigte erregte (allein oder) andere Affekte als die Ungesättigten, b) oder wenn ein anderer sagte: die Bestimmungen bzw. Unterschiede der Helligkeit und Koloritheit, Sättigungslosigkeit verhielten sich zu einander wie Bestimmungen der Lage eines Punktes nach Höhe, Breite, Tiefe (Mehrheit von Koordinaten, während der Raum doch einer Gattung [zugehört]). (Man könnte z.B. die Farbenhelligkeit mit der Höhe, den Unterschied von Kolorit oder Ungesättigtheit bei gleicher Helligkeit mit zeitlichen Abständen vergleichen). Die völlig Ungesättigten hätten das Ausgezeichnete, daß sie sozusagen der geraden Linie der hellsten und dunkelsten Farbenqualität angehörten. 3. Wir wollen die Frage hier noch nicht entscheiden, indem wir von ihrer Entscheidung unabhängig bereits zu erkennen vermögen, daß wir wegen des doppelten Gegensatzes von Helligkeit und Dunkelheit, Sättigung und Ungesättigtheit jedenfalls kein Recht haben zu sagen, daß wir vorderhand mehr als zwei allgemeine Momente aufgefunden hätten. Denn wäre die Farbenhaftigkeit eine besondere Gattung, so hätte sie in der Farblosigkeit keinen positiven, sondern einen privativen Gegensatz; ähnlich wie die Evidenz beim Urteil in der Blindheit. Wir aber haben es hier nur mit der allgemeinen Charakteristik zu tun. Da bleiben uns also zunächst nur Ort und Qualität. Dazu scheinen aber dann noch zwei weitere zu kommen, nämlich Intensität und Reinheit oder Gemischtheit (Qualität, Einfachheit oder Multiplizität oder [deren] Analogon). 4. Indes bestehen über das Wesen der einen und andern mannigfache Meinungen. Wie z.B. hinsichtlich der Reinheit oder Gemischtheit, welche man bei Farben unterscheidet, von

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bedeutenden Forschern behauptet wird, daß eigentlich alle Farben gleich einfach seien, aber die einen seien sozusagen Eckfarben, die andern Kanten, Oberflächen- und innerliche Zwischenfarben. Weiß

Rot

Schwarz

5. Bei den Tönen wieder wird behauptet, es sei uns die Fähigkeit zu zweifachem, dreifachem und noch mehrfachem Sinnesfeld mit gleicher Ortsspezies gegeben, oder vielmehr, es bestände kein Widerstreit bei der Erfüllung des Orts, sondern Durchdringlichkeit, der Raum sei zweimal, ja n-mal gefüllt und die eine Füllung sei, als ob die andere nicht bestände. (So daß [es] verschiedene Qualitäten sich durchwohnender Teile, wie Ort und Qualität [gäbe]). 6. Danach wäre Multiplizität hier und dort (bei Gesicht und Gehör) etwas ganz Verschiedenes, beiderseits aber kein besonders durchwohnender Teil. 7. Diese Auffassungen sind nun vielleicht unhaltbar. Wir werden indes, glaube ich, deutlich erkennen, daß wir auch nach der richtigen Auffassung um des Unterschiedes der Einfachheit oder Multiplizität willen keinen dritten durchwohnenden Teil

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anzunehmen haben. Und ebenso wird sich vielleicht hinsichtlich der lntensitärl 0 herausstellen, daß wir sie nur infolge von konfusem Vorstellen für einen besonders durchwohnenden Teil des primären Objekts zu halten versucht sind. Die Versuchung dazu ist immerhin etwas, was in charakteristisch analoger Weise bei allen bekannten Gebieten der fundamentalen Akte sich wiederfindet. (Kurze Erläuterung im Hinblick auf unmerklich kleine Teile). 3. Ist Zeitlichkeit ein dritter Teil? 1. Bisher also [haben wir] immer erst zwei sich durchwohnende Teile, welche allgemein das primäre Objekt jedes fundamentalen Aktes enthält: Ort und Qualität (oder [deren] Analogon). Und dabei scheint es sein Bewenden zu haben, es müßte denn etwa die Zeitbestimmtheit als ein dritter genannt werden können. 2. Tatsächlich findet es sich bei der Proterästhesie, sie zeigt eine vergangene Zeitstrecke. Wenn auch die Sensation sie zeigt, so haben wir in der Tat hier eine neue allgemeine Eigentümlichkeit aller fundamentalen Akte. 3. [Wir betrachten fünf Argumente) dafür. (1) Zeigt uns die Proterose Vergangenheit, so scheint's der Sensation Gegenwart. Gegenwart scheint aber ebenso eine Zeitspezies, wie irgendwelche vergangenen Zeitpunkte. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. (2) Die Sensation steht mit der Proterose in kontinualern Zusammenhang [wegen des] terminus extra [und der] abschließenden Grenze. Sie scheint als solche der Gattung zugehören zu müssen. (3) Nehmen wir zwei Fälle gleichmäßiger kontin[uierlicher] zeitlicher Variation, die sich aber dadurch unterscheiden, daß die eine doppelt so geschwind als die andere verläuft, so finden wir dasselbe Quantum von Zeitspezies, einmal dem halben, einmal dem doppelten Quantum von Spezies der zweiten Variablen zugeordnet. [Das ist] etwas, was oft Verwunderung erregte, ja vielfach wie ein Widerspruch betrachtet worden ist. (Man meinte, es

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seien hier zwei, einer dritten gleiche, Größen unter sich ungleich.) Ein Widerspruch liegt nun hier nicht vor, aber freilich etwas, bei dessen unvorsichtiger Beschreibung man sich aufs leichteste in Widersprüche verwickelt. Wir werden an anderer Stelle von der Eigenheit der Kontinua zu sprechen haben, unter welchen neben der Zeit vornehmlich der Raum eine hervorragende Stelle einnimmt und dann in die Frage etwas mehr Licht zu bringen suchen. Aber auch jetzt schon leuchtet ein, daß, wo die gleiche Menge von Spezies einer Gattung, jede nur einmal vertreten, bald eine kleinere, bald eine größere Menge von Spezies einer andern Gattung zugeordnet wird, der Zuordnungsmodus und Kontinuitätsmodus ein anderer sein muß. Bei der langsameren Veränderung erscheint das Kontinuum zeitlich gedehnter, bei der rascheren ist jede jeder zeitlich genähert. Sie sind sozusagen mehr zusammengedrängt. Indem das ganze Quantum von Spezies das einemal doppelt so viel erfüllt, zeigt sich dasselbe bei der Hälfte, bei dem Hundertsten usw. Die Weise der Zuordnung, welche macht, daß das Ganze doppelt so viel Zeit ausfüllt, zeigt dasselbe bis zum Infinitesimal. Jede Farbenspezies leistet irgendwie das Doppelte. Wie nun die Koordinationsweise in bezugauf jeden Punkt der Vergangenheit eine unveränderte ist, so auch in bezugauf den Punkt der Gegenwart. Das [ist] jetzt, wo uns die Sensation die Vereinigung zeigt, [so] wie bei vergangenen Momenten die Proterose. Zeigt sie uns nun auch für die Gegenwart einen andern Zuordnungsmodus des in der Zeit variierenden Moments zu dem, was mit ihm verbunden ist, also zum Jetzt, so muß dies ebenso den allgemein zeitlichen Charakter tragen wie jeder vergangene Moment; die Sensation zeigt, wenn nicht Differenzen des Vor und Nach, doch Differenzen des zeitlichen Situiertseins und dies genügt, um zu beweisen, daß bei ihr ebenso wie bei der Proterose eine Zeitbestimmung einen durchwohnenden Teil bildet. (4) Wenn zwei von einander durch einen endlich großen Unterschied verschiedene Spezies im Raume verwirklicht aneinander grenzen, so fallen die Grenzen zusammen. (In diesem Sinn [sind] zwei, ja mehr gerade Linien zwischen zwei

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Punkten möglich). Ähnliches gilt bezüglich der Zeitgrenze. Und offenbar nicht bloß von einer Zeitgrenze, welche in der Vergangenheit oder Zukunft liegt, sondern auch von der Gegenwart. Im Augenblick des Wechsels sind beide wirklich und der plötzliche Wechsel fällt in die Gegenwart. Wo aber Wechsel [ist), da [ist] Zeitlichkeit. Also ist, wie in der Proterose, in der Sensation zeitliche Bestimmtheit gegeben. Also [ist) auch hier noch jener besondere durchwohnende Teil [feststellbar ]. (5) Noch einen fünften Grund kann man dafür erbringen, daß auch die Sensation, welche uns keine Vergangenheit zeigt, doch die Grenze der Vergangenheit mit deutlich homogenem (zeitlichem) Charakter zeigen muß. Wie die Sensation, so zeigt uns auch die innere Wahrnehmung/ 1 was sie zeigt, nicht als vergangen. Manchmal aber scheint sie uns deutlich den Zusammenhang mit der Vergangenheit zu verraten. Da, meine ich, wo sie uns ein Wirken und Gewirktwerden zeigt. [Z. B. bei] Prämissen - Konklusio, Motivierung des Begehrens u. dgl. Dies Wirken und Gewirktwerden heißt nicht soviel wie Nacheinander schlechtweg (oder regelmäßig Nacheinandersein oder notwendig Nacheinandersein), wohl aber scheint die Vorstellung zeitlicher Kontiguität darin zu liegen; nur zeitlich Angrenzendes erzeugt zeitlich Angrenzendes, das Frühere das Spätere. Somit scheint sich in dem, was die innere Wahrnehmung hier zeigt, die zeitliche Kontiguität und Kontinuität bemerklich zu machen. Somit scheint es deutlich zeitlichen Charakter zu tragen. Das Gleiche gilt aber dann gewiß von jedem andern Fall innerer Wahrnehmung und wiederum dann wohl auch unzweifelhaft von dem (primären) Objekt der Sensation. 4. Diese Argumente sind wohl geeignet, Eindruck zu machen. Doch bleibt ein Bedenken. Ein gewesenes N ist kein N. Es ist modifiziert. Ein gegenwärtiges N ist ein N, es hat also jedenfalls keine modifizierende Zeitbestimmung. Hat es eine bereichernde? Wodurch unterscheidet es sich von N für sich? Ist das wahreN nicht eo ipso ein gegenwärtig bestehendes N? Es scheint hier nichts Ähnliches zu finden, wie bei andern bereichernden Attributen.

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5. Vielleicht ist es denn doch möglich, die Argumente zu lösen, wenn man nur festhält, was ja unzweifelhaft festzuhalten ist, daß die Sensation, (insbesondere die, auf welche wir eine besondere Aufmerksamkeit richten), wie wir schon sagten, nicht losgelöst von der Proterose vorkommt. 6.a) Gegenwart faßt man oft weiter, oft enger. Im engsten Sinne ist sie aber nur Punkt. Selten [wird sie jedoch] so gebraucht. Nur so aber [kommt sie] hier in Betracht. Und da könnte es eine Art Nullpunkt sein. Hüben und drüben [wären] modifizierende Bestimmungen. Hier jedenfalls [haben wir] keine modifizierende. Warum dann nicht? [Haben wir] überhaupt keine? So daß der Gegenstand [hier] real, dort nicht real [ist]? b) Schon das eben Gesagte dürfte zeigen, daß dies Argument auf zweifelhafter Grundlage [steht]. Man erwäge auch noch [das] Anwachsen einer Intensität vom Nullpunkt oder irgendwelches andere kontinuierliche Wachstum von Null an. Dieselbe Formel der Variation kann maßgebend sein, und doch [ist] ein Punkt als Grenze Null. 7. Diese beiden Argumente also hätten sich einer Entgegnung, Abwehr fähig gezeigt. Aber wie steht es mit den drei andern? Ich bekenne, daß ich wenigstens keinen Weg des Entkommens entdecke. 8. So bleibt nichts übrig als zu sehen, ob nicht das Gegenargument einer Lösung fähig ist. Vielleicht bietet sie sich in folgender Weise. Geben wir zu, der äußere Grenzpunkt, bis zu welchem die vergangene Zeit sich erstreckt, enthalte für sich genommen keine modifizierende und keine bereichernde Bestimmung, so daß man es in gewisser Weise wirklich hier mit einer Art Nullpunkt zu tun habe, so bleibt es doch wahr, daß dieser Punkt als Grenze nicht für sich besteht. Er besteht nur als Grenze. Und die Weise, wie das Begrenzte dadurch begrenzt wird, scheint dabei nicht ganz indifferent sein zu können, so wenig als wenn es sich um einen Punkt in der Proterose handelt, welche eine bestimmte modifizierende Zeitspezies enthält. Erläuterung durch einen Vergleich: a) Ein Körper wird geradlinig emporgeworfen. Wir haben

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einen höchsten Punkt; zeitlich eine Art Nullpunkt des Steigens und Fallens, aber das ist doch kaum Ruhepunkt zu nennen, denn bis zu ihm und von ihm an herrscht Bewegung (ein Punkt, der als Grenzpunkt zwei Bewegungen abgrenzt, eine aufsteigende und eine sinkende). b) Derselbe Körper, welcher geradlinig emporgeworfen wurde, mit gleicher Anfangsgeschwindigkeit bei doppelter Masse der Erde. Wir hätten auch jetzt einen höchsten zu erreichenden Punkt. Er wäre eine Art zeitlicher Nullpunkt des Steigensund Fallens. Dabei [ergibt sich eine] Differenz vom vorigen Fall. a) [Der Körper fliegt] nicht so hoch. b) Die Ab- und Zunahme der Geschwindigkeit der Bewegung [ist] durchwegs eine raschere, so daß der Kontinuitätsmodus des Nullpunkts der Bewegung ein wesentlich anderer ist. 9. Dies also dürfte hier die richtige Vermittlung zwischen Pro und Contra sein. 10. Wenn wir nun aber hienach nicht wohl sagen dürfen, daß die Zeitbestimmtheit die Sensation und ihr primäres Objekt nichts angingen, so gilt dies doch sofort, wenn wir uns erlauben, die Sensation von dem Zusammenhang mit der Proterose fiktiv losgelöst für sich zu betrachten. Es i:;t dann das Zeitliche vollständig ausgeschlossen. [Eine] Erläuterung durch den Vergleich mit der emporgeworfenen Kugel [macht dies klar]. Im Moment höchster Höhe isoliert würde sie ruhen. Nichts von der herabfallenden Bewegung zeigte sich mehr an ihr und natürlich wären alle Unterschiede des Modus des Herabfallens, der Sukzessionsweise, der einzelnen Geschwindigkeitsstadien usf. zugleich mit außer Betracht gesetzt. (Ähnlich [ist es] bei gleicher Tangentialkraft, [auch bei] Kreisbewegung bei doppelt so fernem Zentrum. Plätze der Attraktionskraft [wären] aufgehoben: mit gleicher Geschwindigkeit [bewegte sich die Kugel] in gerader Richtung; der Krümmungsmodus des großen Kreises gegen den kleinen [wäre] ohne Einfluß.) 11. So werden wir denn, wenn wir Sensation und Proteeästhesie gesondert behandeln, nur bei der Proteeästhesie von der

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Zeitlichkeit als einem durchwohnenden Teil zu sprechen haben. 12. Allerdings könnte einer sagen, es sei dies doch keine volle Rechtfertigung. Wir fehlten eben, indem wir die Sensation gesondert behandelten. Wir hätten selbst zugestanden, es sei eine Fiktion, deren wir uns dabei bedienten; hierin liege, daß eine Fälschung resultiere. Allein die Fiktion scheint mir von völlig unschuldiger Art. Da sie mit vollem Bewußtsein geschieht, kann sie nicht zu Irnümern führen. Wie vieles fingiert nicht ähnlich der Mathematiker! Uns knüpft sich daran ein großer Vorteil der Darstellung, indem wir infolge davon mit dem Einfacheren beginnen. Wir wollen die Elemente des Seelenlebens angeben. Was könnte man bei Kontinuierlichem anderes so nennen als die einzelne Grenze? Wenn man dies nicht zuläßt, muß man sagen, es gibt hier kein Element, sondern nur solches, was mit fortgesetzter Verkleinerung sich ins Unendliche eines Elements annähert? 13. Der praktische Vorteil, von dem ich hier spreche, tritt noch mehr in seiner ganzen Bedeutung hervor, wenn man folgende Frage in Erwägung zieht: [Ist] jenes Analogon eines Konkretum von Qualität und Örtlichkeit, welches wir bei der sensitiven Proterose als primäres Objekt bezeichneten, in erschöpfender und völlig zutreffender Weise bezeichnet, wenn man sagt, es bestehe in gewesenen Konkretis von Qualität und örtlicher Bestimmtheit? Wenn man den Tatbestand genau erforscht, wird man Gründe finden dies zu verneinen. Man wird finden, daß nur als primäres Objekt die Proteeästhesie nicht sowohl direkt eine vergangene Qualität und eine vergangene örtliche Bestimmtheit derselben, als vielmehr ein vergangenes Empfinden der Qualität mit ihrer Örtlichkeit gegeben ist. Im Falle von Bewegung, Wechsel, ist einer vielleicht geneigt, sich darüber zu täuschen; im Falle der Ruhe dagegen dürfte es, glaube ich, jeder, wenn er sich sorgfältig prüft, zu bemerken imstande sein, daß ihm eigentlich nicht direkt die Qualität als vergangen erscheint, sondern sein Empfinden. (Beim Gesicht [ist dies] mehr [der Fall] als beim Gehör, weil

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da mehr merkliche Unruhe [zu bemerken ist]. Man schaue auf seine Hand und erkenne, daß sie ruhe]. Es schließt sich also scheint's das primäre Objekt der Proterästhesie als Fortsetzung eigentlich nicht sowohl an das primäre Objekt der Sensation als vielmehr an etwas an, was zum sekundären Objekt gehört, nämlich an die intentionale Beziehung zum primären Objekt, die wir Empfindung nennen. Zeigt die Sensation als sekundäres Objekt ein gegenwärtiges, so zeigt uns die Proterästhesie als primäres ein vergangenes Empfinden, welches in seinem Objekt mit dem primären Objekt der vorausgegangenen Sensation zusammenstimmt. Wir sehen also, die Verwirklichung und die Abweichung des primären Objekts der Proterose von dem der Sensation für sich genommen, ist eine sehr beträchtliche und genau scharf zu markierende, was alles diese, wenn auch nur fiktiv isolierende Betrachtung der Sensation für sich zu empfehlen dient. [... ] Die Frage, [ob Zeitlichkeit als drittes primäres Objekt hinzuzurechnen sei], ist vielleicht heute noch nicht spruchreif. 14. Erlauben wir uns nun um solcher Gründe willen Sensation und Proterästhesie als verschiedene fundamentale Akte zu scheiden, so bleibt als gemeinsam charakterisierend in Ansehung des primären Objektes nur die Vereinigung von Qualität und örtlicher Bestimmtheit, oder von Analoga dieser beiden, als sich durchwohnende Teile zurück. 4. Weitere Teile der fundamentalen psychischen Akte 1. Im Hinblick auf diese Mehrheit von Teilen im primären Objekt vermögen wir nun gewisse frühere Bestimmungen über die Beziehungen zum primären Objekt, welche in den fundamentalen Akten gegeben sind, zu ergänzen. 2. Wir haben schon früher als gewiß oder überwiegend wahrscheinlich festgestellt, daß jeder fundamentale psychische Akt mindestens zwei intentionale Beziehungen zum primären Objekt habe: Vorstellen und Glauben. So ergeben sich also hier in gewisser Weise zwei Teile. 3. Infolge der eben geführten Untersuchung, welche uns im primären Objekt jedes fundamentalen psychischen Akts eine

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Mehrheit sich durchwohnender Teile erkennen ließ, müssen wir jetzt sagen, daß er noch weiter eine Vielheit sich durchwohnender Teile unterscheiden läßt. Den Teilen der intentionalen Objekte entsprechen nämlich Teile der darauf bezüglichen psychischen Akte. Wenn sich also z.B. beim Sehen im Objekt önliche Bestimmtheit und Farbe durchwohnen, so sind dem entsprechend in ihm das Onsehen und Farbsehen als sich durchwohnende Teile zu unterscheiden. Wie örtliche Bestimmtheit und Farbe verschiedene Gattungen sind, so auch Sehen der önlichen Bestimmtheit und Sehen der Farbe. 4. Hieraus erklän sich ein [scheinbares) Paradoxon, welches bei der Sensation und anderen psychischen Akten eine Verletzung der Gesetze, welche für das Verhälmis der logischen Teile gelten, nachzuweisen scheint. Sehen = Empfinden von Farbe. Rotsehen - - Blausehen. Hier Rotsehen - - Don Rotsehen. Hier Blausehen - - Dort Blausehen. (Die letzte Differenz schließt die früheren Differenzen nicht ein.) Die Lösung liegt darin, daß es sich hier nicht um aufeinanderfolgende spezifische Differenzen derselben Gattung, sondern um verschiedene sich durchwohnende Teile handelt. 5. So viel also über das, was allen fundamentalen psychischen Akten hinsichtlich ihrer Beziehung zum primären Objekt gemeinsam eigen ist. Wir mußten hier etwas länger verweilen. Umso kürzer mögen wir uns über das aussprechen, was die fundamentalen Akte in ihrer Beziehung zum sekundären Objekte anlangt. Wir brauchen nur zu sagen, daß hier gilt, was schon allgemein für alle psychischen Akte bemerkt wurde, nämlich daß sie mindestens eine zweifache Beziehung zum primären Objekte aufweisen. (1) Vorstellen, (2) Nicht-evidentes assenorisches Glauben. Alles übrige, was hier zu sagen wäre, ergibt sich von selbst hieraus in Verbindung mit den eben von uns gewonnenen Resultaten. Wir brauchen es nicht ausdrücklich im Einzelnen namhaft zu machen ...

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5. Andere Meinungen 1. Sind die angegebenen Bestimmungen wirklich alle universell für die fundamentalen Akte? Ja, so gewiß, als nur Sensationen und Proterästhesien zu diesen gehören, und dieser Punkt scheint mir vollkommen gesichert, wenn auch keineswegs einmütig anerkannt. a) Kantianer (verweisen auf] apriorische Anschauungen eines unendlichen Raumes und einer unendlichen Zeit. Ferner (verweisen sie auf] a priorische allgemeine Begriffe: Sein, Nichtsein, Notwendigkeit, Möglichkeit, Substanz und Inhärenz, Ursache und Wirkung u.dgl. Manche [führen die] angeborenen Gottesbegriffe [an]. b) Empirische Vorstellungen der Phantasie [seien] wesentlich anders als die Empfindungen ([die] zu unterscheiden [sind] von phantastischen Sinneserscheinungen, Halluzinationen). Ferner [glauben viele, daß] auch das Vorstellen von allgemeinen der Erfahrung entnommenen Begriffen nur in dem Erwerb von den Sensationen und Proterästhesien dependent [sei]; nicht aber [glauben sie, daß dieses Vorstellen] in dem Bestand [davon dependent sei] wie sekundäre von fundamentalen Akten. c) Manche haben auch von dem Bestehen eines Willens ohne Vorstellen gesprochen; natürlich (wären] Sensation und Proterose als seine Fundamente dann noch weniger gefordert. 2. Aber alle diese Meinungen sind falsch. Ich würde meinem früher ausgesprochenen Vorsatz untreu, wenn ich sie eingehend widerlegte. Doch scheinen ein paar kurze Bemerkungen nicht wohl zu umgehen sein. 3. [Apriorische Begriffe haben wir nicht.] (1) Unendliche Raumanschauung, reine Raumanschauung-haben wir gar nicht. Wir haben nur eine mit Qualitäten verbundene konkrete Raumanschauung, nämlich in. der Ausdehnung unserer phänomenalen Sinnesfelder. Für die Farben [ist] ein anderer Teil als für die Töne [zuständig] und für diese [wiederum ein anderer] als für die Gerüche usw.; sonst [hätten wir] abstrakte Raumbestimmungen. Dabei dienen die abstrakten räumlichen Relationsbegriffe in Ver-

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bindung mit Zahlengrößen und negat[iven] Bestimmungen ausreichend zur Bildung von unanschaulichen Vorstellungen von Räumen beliebiger, ja unendlicher Größe. (2) Ähnlich ist's mit der Zeit. Die anschauliche Zeitstrecke der Proterose enthält die Relation von früher und später. Alles übrige, auch die Zukunft ergibt sich daraus in unanschaulicher Weise. Wiederum ähnlich [ist's] mit den angeblich a priorischen oder angeborenen Begriffen. (3) Der Gottesbegriff. (4) Sein = Existenz. Korrelat zu Wahrheit des anerkannten Urteils. (5) Nichtsein = Korrelat zu Wahrheit des negativen Urteils. (6) Notwendigkeit und Unmöglichkeit [als] Korrelat zu Wahrheit apodiktisch affirmativer und negativer Urteile. (7) Daraus [folgt] dann [ihre] Unmöglichkeit. (8) Substanz und Inhärenz [als] Verhälmis sich durchwohnender Teile, von welchem der eine als der hauptsächliche betrachtet wird [z.B. beim] Blick auf die physischen Konkreta [oder beim] Blick auf das Ich. (Insbesondere vielleicht hier, weil die Individualität [der Substanz als solche bestehen bleibt], während Akzidenzien [auftreten oder wegfallen]. (9) Ursache und Wirkung. Fälle von Motivierung usw. 4. Wahre Natur der allgemeinen Begriffe. Der Irrtum DESCARTES' und LOCKE's rächte sich durch nominalistischen Rückschlag. BERKELEY, HUME, CONDILLAC, MILL usf. 5. Wahre Natur der PhantasiebilderY a) [Sie haben einen] anschaulichen Kern. b) Ergänzende und berichtigende Bestimmungen [sind bei ihnen] produktiv vorhanden. 6. Wille ohne Vorstellung [ist] eine handgreifliche Absurdität oder ein äquivoker Gebrauch des Namens Wille, ähnlich wie man wohl auch im gemeinen Leben manchmal sagen hört: "es will umfallen", "es will sich nicht biegen lassen", "es will nicht brechen" u.dgl., und viel häufiger hört man von einem "Streben" u.dgl. (Tendenz) in Anwendung auf leblose Dinge sprechen: "Der Stein strebt nach der Tiefe", "der Pfeil strebt nach dem Ziele",

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"die Kraft versagt", "der bewegte Körper hat die Tendenz sich geradlinig fortzubewegen" u.dgl. Das alles sind Allegorien, seien sie in der Zeit einer vitalistischen Weltanschauung, wie sie noch die kleinen Kinder haben, entstanden, seien sie auch mit dem Bewußtsein der metaphorischen Anwendung gebraucht (wie chemische Affinität, Wahlverwandtschaft, Kampf ums Dasein bei Pflanzen, natürliche Zuchtwahl u.dgl.). Es blieb einem Philosophen vorbehalten, die Absurdität zu begehen, deren weder der Fetischist, noch derjenige sich schuldig macht, welcher mit dem Bewußtsein der Metapher den Ausdruck Willen auf nicht Vorstellendes anwendet, nämlich das Bestehen eines Willens im eigentlichen Sinn ohne Vorstellung zu lehren. 7. Ergebnis: Es bleibt bei unserer früheren Aufstellung. [Es gibt] keine fundamentalen psychischen Akte außer Sensation und die zugehörige Proterästhesie. Kein [fundamentaler psychischer Akt] also [besteht], welcher nicht die angegebenen Charakterzüge an sich trüge. 6. Weitere Klassen der fundamentalen Akte 1. Die fundamentalen Akte scheiden sich in mehrere Klassen. Diese können von verschiedenen Gesichtspunkten aus gebildet werden. :\1an kann sie einteilen einmal in Rücksicht auf Übereinstimmung oder Verschiedenheit im primären Objekt und dann in Rücksicht auf Übereinstimmung oder Verschiedenheit im sekundären Objekt. 2. In der ersten Beziehung ist von vorzüglicher Wichtigkeit die Scheidung in Sensation und Proterästhesie, die wir bereits kennen lernten. 3. Aber auch noch eine andere Scheidung könnte in. der ersten Beziehung als eine allgemein durchgreifende vorgenommen werden. Nämlich die nach dem primaprimären Objekt wenn ich mir den Ausdruck erlauben darf. Bei der Sensation mit dem primären Objekt einfach zusammenfallend, ist dasselbe bei der Proterästhesie von ihm verschie-

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den, und nur in der uneigentlichen Weise in ihm enthalten, wie die durch modifizierende Distinktion zu gewinnenden Teile (zu unterscheidenden Teile) in ihrem Ganzen. Z.B. [ist] bei Proteeästhesie des Gesichts [das] Gesehenhaben von einem farbigen Objekt das primäre Objekt; das betreffende farbige Objekt das primoprimäre. Die Haupteinteilung der fundamentalen Akte nach dem primaprimären Objekte scheidet sich nach der Zahl (Unte~­ schieden) der Sinne; oder was dasselbe sagt, nach den Unterschieden der Gattungen der sinnlichen Qualitäten oder wie es HEL:\-1HOL TZ genannt hat, nach den Modalitäten der primaprimären Objekte. Offenbar kreuzt sich diese Einteilung mit der vorigen. 4. In Beziehung auf das sekundäre Objekt ist von vornehmster Bedeurung die Einteilung in rein noetische Akte und epithymetische Akte, d.i. Akte mit dem Charakter der Affekte: Es sind solche, in welchen das Subjekt zum sekundären Objekt nicht bloß vorgestellt (vorstellend) und evident erkennend, sondern auch durch eine Gemütsbewegung in intentionaler Beziehung steht. Wir haben schon bemerkt, daß dies nicht allgemein der Fall ist. Auch steht von vornherein wenigstens nichts im Wege anzunehmen, daß diese Einteilung mit den beiden früher angegebenen sich kreuzt. Z.B. [sind] sowohl Sensation als Proteeästhesie teils noetische Akte, teils Affekte; wie ähnlich sowohl Gehörs- als Gesichts- als Geruchsempfindungen usf. teils noetische Akte, teils Affekte [sind]. 5. Jedenfalls dürfte es aber geeigneter erscheinen, bei der Gliederung der Betrachtung vor allem die Einteilungen bezüglich der Unterschiede der primären Objekte maßgebend zu machen, und von diesen wieder zunächst die [Einteilung] in Sensation und Proteeästhesie [maßgebend zu machen]. 6. Indem wir also sie vor allem zugrunde legen, sprechen wir, nachdem wir den allgemeinen Charakter der fundamentalen Akte festgestellt [haben], zunächst von dem allgemeinen Charakter der Sensationen.

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Übersicht über die Psychognosie III. DER ALLGEMEINE CHARAKTER DER SENSATIONEN

A. Räumlichkeit 1. Einleitung 1. Die Sensationen unterscheiden sich von den Proterästhesien vor allem durch die Verschiedenheit der primären Objekte. Wenn wir von den fundamentalen psychischen Akten sagten, gemeinsam sei ihnen, daß ihr primäres Objekt ein Konkretum sei aus Örtlichkeit und etwas was den Ort einnehme, oder ein Analogon solchen Konkretums, so gilt von der Sensation durchwegs das erste Glied dieser Disjunktion. 2. Betrachten wir von den beiden sich durchwohnenden Teilen, die allgemein zu jedem primären Objekt einer Sensation gehören, zunächst den ersten. Jedes primäre Objekt einer Sensation also zeigt sich räumlich. Was damit gesagt ist, ist leicht durch Beispiele verständlich zu machen. Wenn ich die Augen öffne, so zeigt sich mir gewöhnlich eine große Mannigfaltigkeit von Sichtbarem. Ich sehe manchmal Helles und Dunkles, Rotes und Blaues und Gelbes und Weißes usf. Ein andermal ist die Mannigfaltigkeit geringer, und ich könnte mir den Fall denken, daß alles, was ich sähe, gleich hell, und gleich farbig mir erschiene. Denke ich nun aber so alle Verschiedenheiten so weit nur möglich aufgehoben, so blieben doch notwendig gewisse Differenzen zurück, ja diese würden geradezu unendlich viele sein, obwohl sämtliche als spezifische Unterschiede einer Gattung sich erweisen. Diese Gattung ist die Räumlichkeit. Statt dieses Beispiels hätte ich eines aus jedem anderen Sinnesgebiete benützen können. Wenn ich statt Gesichtserscheinungen Temperatur- oder Geruchs- oder Gehörserscheinungen hätte und alle Differenzen möglichst ausgeglichen dächte, so blieben noch immer gewisse Differenzen zurück, welche spezifische Unterschiede der Gattung Örtlichkeit wären. Und wenn ich von Örtlichkeit bei Farben- und bei Geruchsund Tonerscheinungen spreche, so tue ich es nicht, indem ich

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den Ausdruck äquivok gebrauche, sondern in vollkommen gleichem Sinne. 3. So bekannt uns die Gattung der Räumlichkeit ist und so leicht wir einander verstehen, wenn wir von dem Namen Gebrauch machen, so wird es doch geboten sein, ein wenig bei der Betrachtung seiner Eigenheiten zu verweilen. 4. Die Räumlichkeit ist eine Gattung, deren Spezies nur als Grenzen Bestand haben können (sowohl in Wirklichkeit als iJ;l der Anschauung) und zwar als Grenzen, welche etwas, was drei Dimensionen hat, begrenzen, selbst aber ohne Dimensionen (Ausdehnung) sind. Man nennt Grenzen, welche keine Dimensionen (Ausdehnung) haben, Punkte im weitesten Sinne des Wortes (in welchem man ebensogut von Zeitpunkten wie von Raumpunkten, wiederum von Punkten des anschaulichen Vorstellens einer ausgedehnten Größe sprechen könnte). 2. Allgemeines über Kontinua

1. Grenzpunkt und Kontinuum sind untrennbare Begriffe. Jedes Kontinuum besteht aus nichts als Grenzpunkten. Und jeder Grenzpunkt ist nichts außer in Kontinuität mit einer Unzahl anderer Grenzpunkte. Dabei ist auch das merkwürdig, daß jeder Grenzpunkt von jedem andern des Kontinuums nicht bloß spezifisch verschieden ist, sondern auch spezifisch absteht. D.h. daß sein spezifischer Unterschied von ihm eine Größe und zwar eine bestimmte endliche Größe hat, und daß sie doch zusammen eine Kontinuität bilden, welche vielleicht nirgend eine Lücke aufweist. 2. Paradoxa! a) Aus lauter Nullen eine Größe! b) Jedes von jedem abstehend, und doch alle zusammenhängend! [Eine] Aufhebung [dieser Paradoxa könnte gelingen, wenn man zeigte,] wie so etwas möglich und wirklich ist im Hinblick auf die (kontinuale) Zahlenreihe. (Die irrationalen und transzendenten Zahlen einbegriffen). Erklärung: Nicht [wie] aus lauter Nichts etwas, wohl aber

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wie aus Einheiten eine Vielheit [entsteht], obwohl keine Einheit Vielheit ist [, kann gezeigt werden]. Auch das ist merkwürdig, daß nicht bloß jedes Kontinuum in unendlich viele Punkte [zerfällt], sondern auch jeder für sich abtrennbare Teil (ja sogar unabtrennbare, wie z.B. Flächen, Linien, welche selbst nur Grenzen [sind]). Kann etwas mehr sein als das schlechterdings Unendliche? Oder ist das Ganze nicht größer als der Teil? 3 . .\1öglichkeit durchgängiger paarweiser Zuordnung der Punkte eines beliebig kleinen Teils einer Dimension, zu denen des Ganzen mit gegenseitiger Erschöpfung. Veranschaulichung von konzentrischen Kreisen. Ahnlieh ist nachgewiesen, daß die Zuordnung zwischen den Punkten einer Linie und einer Fläche möglich ist usw. 4. Auch die .\föglichkeit besteht, die Punktmenge eines Kontinuums und die Gesamtmenge der ganzen Zahlen sich eindeutig paarweise in gegenseitig erschöpfender Weise zuzuordnen. Ich erwähne dies nur beiläufig, da die Tatsache uns eigentlich hier gleichgültig sein kann. Auch dürften die meisten von Ihnen, nach dem, was sie alles eben von möglicher paarweiser Zuordnung gehön, es ohnehin kaum mehr zu bezweifeln geneigt sem. Doch ist es von gewissen Forschern, welche sich emsig auf diesem Gebiete beschäftigt, wie insbesondere von CANTOR, geleugnet worden. Mit Unrecht. Der einfachste Beweis dafür liegt darin, daß bei durchgeführter gedachter Halbierung einer Linie, zwischen den Punkten in der gesamten Punktreihe, zu welcher man gelangte, nirgends ein Abstand bestehen würde, welcher nicht kleiner als jeder angehbare sein würde; er hätte also keine endliche, also gar keine Größe. Vielmehr [hätte er] volle Stetigkeit. Somit [ist] die Punktmenge eines Kontinuums zuzuordnen einer Menge von Einheiten, welche ausdrückbar [ist] durch die Formel: 1 + 2 + 4 + 8 .... in inf. Und von einer solchen Menge ist leicht zu zeigen und wird allgemein zugestanden, daß sie einer Menge von Einheiten, welche ausdrückbar [ist] durch die Formel

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1 + 1 + 1 ... in inf. paarweise eindeutig zugeordnet werden kann. Die Irrationalität verliert im Unendlichen ihre Bedeutung (wie Transzendentalität usw.). 5. Und was antwonen wir hienach auf die erhobenen Fragen und Anrufe des Staunens? Kann etwas mehr sein als das schlechterdings unendlich Viele oder ist das Ganze nicht größer als der Teil? Die richtige Antwon ist, daß unendliche Vielheiten von Punkten keine Zahlen sind, obwohl sie allerdings Größen sind; da sie nicht gezählt, sondern nur in anderer Weise gemessen werden können. Diese Messung besteht nicht in paarweiser Zuordnung, sondern sie ergibt sich in Rücksicht auf die spezifischen Abstände der äußersten Grenzen (äußersten paßt nicht bei den Krummen), innerhalb deren das von ihnen gebildete Kontinuum oder die von ihnen gebildeten Kontinua (wenn Unterbrechungen, Lücken) gelegen sind. Z.B. die Raumpunktmenge in einem Kubikschuh ist zweimal kleiner als die in zwei Kubikschuhen. Ferner [ist] die Raumpunktmenge eines Kubus, abgesehen von den Grenzflächen kleiner als mit diesen, weil die sämtlichen noch übrigen Grenzen nicht so weit von einander abstehend [sind]. Doch die Annäherung [ist] größer, als daß das Verhälmis durch irgendwelchen Bruch, wo Zähler und Nenner endliche Vielheiten [sind], ausdrückbar wäre. Auch besteht keine wirkliche Abtrennbarkeit. ([Die] Frage [ist], ob [es] auch nur in der Vorstellung [so ist]). 6. Es knüpft sich hieran unter anderem die wichtige Konsequenz, daß alle unendlichen Punktmengen verschiedener Gattung kein Größenverhälmis haben, weder gleiche noch ungleiche Mengen sind. 7. Ferner, daß von unendlichen Mengen ganz abstrakt genommen ganz dasselbe gilt; sie sind weder gleich noch ungleich. Daher hat HELMHOL TZ beim Quadrat Benanntes mit Benanntem multipliziert; Obj[ektion]: Kann man nicht sagen: Zwischen 0 und 5liegen halb so viele Zahlen als zwischen 0 und 10, weil die Grenzen doppelt so weit abstehen? Antwon: Ja! Aber das sind dann schon benannte Zahlen; denn es handelt sich um Mengen von

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Ziffern (endlichen Zahlenspezies), nicht Mengen beliebiger Einheiten. 8. Das alles, was wir hier erönenen, galt von den Punkten und von den Kontinua im allgemeinen. Es wird nötig sein, noch etwas Weiteres über die Kontinua im allgemeinen beizufügen, um es dann auf das Räumliche, womit wir es jetzt speziell zu tun haben, anzuwenden und auch seine besonderen Eigentümlichkeiten besser zu begreifen. 9. Ich erwähne also, vor allem, daß es Kontinua per se und Kontinua per accidens gibt. Jene sind Kontinua im eigentlichen Sinn. Ein Beispiel wird sofort den Unterschied klar machen. Denken wir uns dts Phänomen eine gleichmäßige rote Scheibe. Ein Kontinuumper se bilden hier die önlichen Spezies; ein Kontinuum per accidens ist die sie bedeckende rote Farbe. Wir haben hier nicht unendlich viele Farbenspezies (wie unendlich viele räumliche Spezies) verwirklicht; vielmehr nur eme. 10. Ferner scheiden sich die Kontinuapersein notwendige und nicht notwendige Kontunia per se. Ein notwendiges ist z.B. eine Zeit. Die zeitlichen Spezies können nicht anders existieren denn als Zeitpunkt eines Kontinuums. Ein nicht notwendiges wäre z.B. ein kontinuierlich ansteigender Ton; denn die einzelnen Tonspezies existieren zwar hier als Grenzen eines Kontinuumsper se; sie könnten aber auch jede für sich allein als bloßes Kontinuum per accidens existieren. Ein anderes Beispiel eines nicht notwendigen Kontinuums per se wäre der Fall, wo eine kontinuierliche Folge von Farben in einer Ebene gegeben wäre und zwar so, daß jede Farbenspezies in einem Punkt venreten wäre. Blau

Rot

Weiß

Schwarz

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Ob so etwas vorkommen kann, wollen wir hier nicht untersuchen. 11. Im Hinblick auf Beispiele wie die angeführten ist es auch leicht, sich den Unterschied von Doppelkontinua (und überhaupt vielfacher Kontinua) gegenüber einfachen Kontinua klar zu machen. Der Fall, wo ein Ton unverändert in der Zeit fortklingt, ist der Fall von einem einfachen. Der Fall, wo er kontinuierlich ansteigt, ein Fall von einem Doppelkontinuum. Nehmen wir an, er verändere sich in der Zeit kontinuierlich, nicht bloß der Qualität, sondern auch der Eigenheit nach, wie z.B. wenn die Intensität eine solche wäre, so könnte man von einem dreifachen Kontinuum per se sprechen. Ähnliches gilt von dem Beispiel der Farben. 12. Bei allen solchen vielfachen Kontinua ist aber eines das primäre, welches die Kontinuität der andern erst möglich macht. Wie z.B. bei dem ansteigenden Ton die Zeit, bei der variierenden Farbe der Raum. 13. An den Unterschied, ob ein Kontinuum primäres oder sekundäres, knüpfen sich eine Reihe wichtiger Eigentümlichkeiten, auf welche wir aber besser später eingehen werden 33 • 14. Ein anderer wichtiger Unterschied der Kontinua ist der, daß manche nur eine, andere mehrere Dimensionen haben. Die Tatsache ist Ihnen allen wohlbekannt und sehr geläufig. Sie werden kaum verlangen, daß ich Ihnen den Begriff definiere und die Unterschiede durch Beispiele erläutere. Dennoch träfe mich ein gerechter Vorwurf, wenn ich es unterließe, hier einiges zur Verdeutlichung und zum Ausschluß gewisser Irrtümer, die manchmal begangen werden, beizufügen. Denn oft geschieht es, daß man auch von Seiten wissenschaftlicher Forscher (Psychologen, Physiologen, ja Mathematiker) den Namen der Dimension mißbraucht, indem man, wo etwas aus mehreren durchwohnenden Teilen besteht, deren jeder eine besondere Kontinuitätper se zeigt, deshalb das Ganze als ein Kontinuum von mehreren Dimensionen bezeichnet. Das ist durchaus verwerflich und muß zu einer Begriffsverwirrung führen. Z.B. wenn man, indem man einem Räumlichen als solchem drei Dimensionen und der Zeit eine zuschreibt, einem Körper, der eine Zeit lang besteht, vier Dimensionen zuschreiben will.

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Auf dieselbe Art könnte man einer in der oben beschriebenen Weise mit Farben überzogenen ebenen Fläche vier Dimensionen zuschreiben, indem zwei der Ebene vermöge des Wechsels der räumlichen, zwei wegen des Wechsels der Farbenspezies zukämen. Man hat es hier mit Spezies verschiedener Gattungen zu tun; man hat also hier zwei Kontinua per se von je zwei Dimensionen; um von [einem) vierdimensionalen Kontinuum zu sprechen, müßten die sämtlichen variierenden Spezies von einer Gattung sein. Wo es sich um wirkliche Mehrheit von Dimensionen handelt, sind die Abstände in der einen und andern Dimension der Größe nach vergleichbar, gleich oder größer oder kleiner; bei jener angeblichen Mehrheit von Dimensionen eines Kontinuums gilt dies nicht. Sie haben, weil die Abstände verschiedenen Gattungen angehören, nach dem früher Erörterten kein Größenverhälmis. 15. Da solche Irrtümer in Anschauung der Bestimmung der Zahl der Dimensionen begangen werden, so will ich es nicht unterlassen, einige kurze scharf bezeichnende Definitionen dafür zu geben. Um sie verständlich zu machen, erinnere ich daran, daß jedes Kontinuum aus Kontinua besteht, welche durch innere Grenzen zusammenhängen. a) Sind nun diese inneren Grenzen durchwegs nur (einzelne) Punkte, so hat das Kontinuum eine Dimension: Wir mögen es eine Linie im weitesten Sinne des Wortes nennen, d.h. in ähnlich weitem Sinn, wie wir den Ausdruck Punkt gebrauchen, indem wir ihn auf Zeitliches wie Räumliches, überhaupt ohne Unterschied der Gattung des Kontinuums, dessen ausdehnungslose Grenze wir dadurch bezeichnen wollen, ven1renden. (Kontinuum erster Potenz.) b) Finden sich im Kontinuum durchwegs (und allenthalben) auch innere Grenzen, welche selbst Kontinua von einer Dimension sind, so hat das Kontinuum zwei Dimensionen. Wir können es eine Fläche nennen im weitesten Sinne des Wortes. (Kontinuum zweiter Potenz.) c) Finden sich in ihm durchwegs auch innere Grenzen, welche Kontinua von zwei Dimensionen sind, so hat das Kontinuum

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drei Dimensionen. Wir können es einen dreidimensionalen Raum nennen, mit entsprechender Erweiterung des Begriffes. (Kontinuum dritter Potenz.) d) Finden sich in ihm durchwegs innere Grenzen, welche Kontinua von n-1 Dimensionen sind, so hat das Kontinuum n-Dimensionen. (Kontinuum n-ter Potenz.) 16. Hieran knüpft sich die Erörterung einer weiteren wichtigen Unterscheidung der Kontinua nämlich in gerade und ungerade, Ausdrücke, die vielfach nicht recht verstanden werden, (abgesehen davon, daß man für das, was ich hier "gerade" nenne, in manchen Fällen den Ausdruck "eben" vorzuziehen pflegt~. Statt der folgenden verwickelten Bestimmungen scheint für genügend und vorzuziehen: Ein Kontinuum ist ein gerades, wenn bei ihm zwischen je zwei innern Grenzpunkten ein dritter liegt. a) Ein eindimensionales Kontinuum ist gerade, wenn bei ihm zwischen je zwei Punkten ein dritter liegt. (Ein gerades Kontinuum erster Potenz oder eine gerade Linie im weitesten Sinne.) b) Ein zweidimensionales Kontinuum ist ein gerades, bei welchem zwischen je zwei eindimensionalen innern Grenzen (welche sich nicht wie Teile ein und derselben geraden Linie verhalten) eine dritte liegt. ([Wir haben hier z.B.] ein gerades Kontinuum zweiter Potenz [oder] ein planimetrisch ebenes Kontinuum im weitesten Sinne.) c) Ein dreidimensionales Kontinuum ist ein gerades, bei welchem zwischen je zwei zweidimensionalen innern Grenzen, welche sich nicht wie Teile einer Ebene verhalten, eine dritte liegt. (Ein gerades Kontinuum dritter Potenz oder ein stereometrisch ebenes Kontinuum oder ein ebener Raum im weitesten Sinne.) d) Ein n-dimensionales Kontinuum ist ein gerades, bei welchem zwischen je zwei n-1 dimensionalen innern Grenzen, welche 'iich nicht wie Teile eines geraden Kontinuums n-ter Potenz verhalten, eine dritte liegt. (Ein gerades Kontinuum n-ter Potenz, ein ebener n-dimensionaler Raum im weitesten Sinne.) 17. Und nun nach so vielen wichtigen Unterscheidungen,

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welche die Kontinua im allgemeinen angehen, schließlich noch eine. Die Gattungen, deren Spezies Kontinua bilden können, sind von zweifacher Klasse; bei den einen sind gewisse Spezies natürliche Extreme; bei andern gibt es solche natürlichen Extreme nicht. Dies hat zur Folge, daß es in den einen natürliche Maxima von Ausdehnung gibt, Größen, deren Überschreitung schlechterdings eine Absurdität involvierte; während bei andern ein Wachsen der Ausdehnung über jede gegebene Grenze hinaus denkbar erscheint. Z.B. Helligkeit der Farben. Schwarz, Weiß. Anders [ist es] bei der Zeit, bei einer räumlichen Linie. NB. Hier könnte einer fragen, ob man sagen dürfe, daß der Abstand von Schwarz zu Weiß und die Größe des ganzen Helligkeitskontinuums kleiner und unvergleichlich kleiner als z.B. eine unendliche Zukunft sei. Dafür [spräche]: jenes hat Anfang und Endpunkt, ist also eine endliche, das andere eine unendliche Größe. Aber nein! Nach früher [Gesagtem gilt]: Abstände in verschiedenen Gattungen, Punktmengen verschiedener Gattung haben kein Größenverhältnis. · In der Tat wäre auch eine paarweise Koordination von Helligkeitsmöglichkeiten und der unendlichen Zukunftsspezies möglich. Z.B. in der ersten Stunde Abnahme von Weiß bis mittlerem Grau, in der zweiten bis zur Mitte des Abstandes von mittlerem Grau zu Schwarz usw. in infinitum. So veranlaßt uns der eben angegebene eigentümliche Unterschied zwischen Gattungen von Kontinua keineswegs die früher notwendig befundenen Aufstellungen zu widerrufen oder einzuschränken. Wenden wir uns nun von diesen allgemeinen Betrachtungen über die Kontinua denen zu, welche uns zunächst angehen, den räumlichen, um von dem Gefundenen Anwendung auf sie zu machen.

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3. Anwendung auf das räumliche Kontinuum 1. Wir schieden die Kontinua in Kontinua per se und Kontinua per accidens. Das räumliche Kontinuum ist immer Kontinuum per se und der räumliche Punkt ist Punkt eines Kontinuums per se. 2. Wir schieden die Kontinua in notwendige und nicht notwendige. In dem eben Gesagten liegt schon, daß das räumliche Kontinuum zu den ersteren gehöre. 3. Wir sprachen von Doppelkontinua und vielfachen Kontinua überhaupt. Und wir sagten, daß in solchen Fällen ein Kontinuum den Charakter des primären, die andern den von sekundären trügen. Das Raumkontinuum im primären Objekt unserer Sensationen mag vielleicht auch in Doppelkontinua vorkommen. Es hat aber dann immer den Charakter des primären Kontinuums, das andere oder [das] in anderen von den sekundären. Ich spreche jetzt nur von dem, was in der Sensation gegeben ist, abstrakt gedacht von der Proterästhesie. In ihr komplizieren sich die Verhältnisse, indem das Kontinuum der Zeit auftritt, welches nie sekundäres Kontinuum ist. Wie sich infolge davon im Phänomen die örtliche Bewegung die Verhältnisse gestaltet, [ist eine andere Frage]. 4. Wir haben die Kontinua nach den Zahlen der Dimension unterschieden. Die räumlichen Kontinua sind bekanntlich teils ein-, teils zwei-, teils drei-dimensional. Dabei ist aber zu beachten, daß die ein- und zwei-dimensionalen, ähnlich wie die Punkte, nur als Grenzen möglich sind; für sich sind sie nichts. Sie sind alles, was sie sind, nur im Zusammenhang mit der dritten Dimension, also mit dem physisch Räumlichen. Wenn wir früher sagten, ein Raumpunkt bestehe nie ohne Kontinuum, so müssen wir dies noch dahin näher bestimmen, daß er nie ohne Zusammenhang mit dreidimensionalen Räumen bestehe. Was von der Wirklichkeit gilt, gilt auch von der Anschauung. (Korrelate können auch hier nicht ohne einander sein.) Wenn also in unserer sinnlichen Anschauung irgendwo nur zwei Dimensionen vorhanden scheinen, so ist dennoch mit Bestimmtheit zu behaupten, daß noch eine dritte da ist, die nur

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vielleicht unmerklich ist. (Sei es weil [sie] klein, sei es weil [sie] konstant [ist] oder aus was immer für einem Grunde.) 5. Wir haben die Kontinua geschieden in gerade und ungerade. Was die räumlichen Grenzen anlangt, welche Kontinua sind, so sind sie gewiß oft ungerade. Aber was gilt vom dreidimensionalen Raum? Er ist immer und notwendig ein gerades Kontinuum, ein stereometrisch ebenes Kontinuum oder wie man sich gewöhnlich ausdrückt, ein ebener Raum. Das früher Erönene enthebt mich der abermaligen Erönerung dieses vielfach mißverstandenen, und manchmal auch von Ignoranten verlachten Ausdrucks. Wäre er kein ebener Raum, so würde es zwischen zwei Punkten keine gerade Linie geben können. Es war ein Fehler von HELMHOL TZ, den Begriff der Geraden zu ändern. HELMHOLTZ: "Die Gerade [ist) das Kürzeste zwischen zwei Punkten". 34 a) Infolge davon [gäbe es] eine dreifache Geometrie: Euklidische, Übereuklidische, Untereuklidische: (Eigentlich nicht [eine] dreifache, sondern unendlich viele über- und untereuklidische.) [Seine Definition ist] sehr unpraktisch, da die alte hätte bleiben können. b) [Sie ist] inkonsequent: Da er selbst von "ebenem dreidimensionalen Raum" im Gegensatz zu "krummen" dreidimensionalen Räumen spricht. c) Die "Gerade" hätte an verschiedenen Stellen möglicherweise sehr verschiedene Lagenverhältnisse der Teile (Gestalt). Sie wäre gar nicht mehr zum grundlegenden Maß geeignet. Wir müßten doch auf die "Gerade" in dem Sinne, daß zwischen je zwei Punkten ein dritter [liege), zurückgehen. ARISTOTELES: Die Gerade [ist) das geeignete Maß für sich und die Krumme. 6. Wir haben endlich die Kontinua geschieden in Kontinua, bei welchen gewisse Spezies in weitest denkbarem Abstand von einander entfernt sind, und andere, bei welchen eine Erweiterung der Abstände ins Unendliche denkbar ist. Zu welchen gehön die Gattung des Raums, die in den primären Objekten unserer Sensationen auftritt?

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Ich antworte: zu der zweiten. In keiner Dimension, in keiner Richtung gibt es da ihrer Natur nach extreme Spezies. Doch dies möge nicht mißverstanden werden. Faktisch bestehen letzte Spezies (extreme), die unsere Anschauung nicht zu überschreiten vermag. Aber die Unüberschreitbarkeit ist keine, die auf der Natur der Gattung, sondern nur auf der faktischen Beschränkung unseres Anschauungsvermögens, unserer Sinnesfelder beruht. Der Mangel an Beschränktheit auf Grund des Gattungsbegriffes selbst ist einerseits ebenso gewiß als das Bestehen der Beschränktheit auf Grund gewisser Schranken unseres Bewußtseins andererseits. Man hat sich, weil das erste nicht besteht, vielfach eingebildet, auch das letzte bestehe nicht, entweder wir hätten eine unendliche a priorische Raumanschauung oder die Phantasie habe die Gabe, anschaulich zu erweitern: Farbenbilder nach hinten u.dgl. Nein! Nicht einmal mit Farbe [ist) das Sinnesfeld der Töne zu füllen u.dgl. Wenn alle unsere Nerven zugleich entsprechend gereizt [sind], haben wir eine endliche Raumanschauung, in welcher jeder Punkt, den wir überhaupt je anschaulich vorzustellen vermögen, mit enthalten ist. 7. Endlich ist das Kontinuum real; [es ist] nicht wie das Zeitkontinuum bloß durch Reales, welches nicht selbst mehr an den Spezies der Zeit teil hat, abgegrenzt. Wir haben bis jetzt von der Räumlichkeit in dem primären Objekt gesprochen. Sprechen wir jetzt von dem, was der Ort einnimmt. B. Von dem Raumerfüllenden 1. Hell und Dunkel 1. Der Unterschied von Hell und Dunkel ist durchgängig. 2. Er ist oft in identischem, oft in nur analogem Sinne zu verstehen. Man kann sagen, diese Farbe ist heller als jene, dieser Ton ist heller als jener, aber nicht diese Farbe ist heller als jener Ton oder umgekehrt. Auch kühl ist heller als warm. 3. Wo es keine Einheit der Gattung für Hell und Dunkel gibt,

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Übersicht über die Psychognosie

[gibt es keinen] gemeinsamen Begriff, sondern nur gleiche Verhälmisse. 4. Dementsprechend [gilt], daß dann die Differenzen keine Abstände, keine Größen sind. In diesem Sinne spricht HELMHOLTZ von zwei Graden von Differenzen/5 [das ist ein] tiefstgreifender Unterschied. Sonst widerspräche HELMHOL TZ sich selbst, da er ganz richtig sagt: [es sind] keine Übergänge denkbar, absurd [ist] ein Mittleres zwischen Farbe und Ton, d.h., daß wenn etwas zwischen Farbe und Ton oder daß etwas dem einen und andern näher steht; also [daß] kein Abstand, keine Größe, wie z.B. zwischen hohen und tiefen Tönen [besteht], wo kontinuierliche Vermittlung vorliegt. 5. Nach der Zahl der Gattungen für Hell und Dunkel bestimmen wir die Zahl der Sinne. 6. Denken wir einen phänomenalen Raum erfüllt von zwei sensiblen Qualitäten, von welchen die eine heller als die andere, beide gemischt [sind] und so ein feines Gemenge [entsteht], daß kein Teilchen für sich merklich, während das Ganze merklich ist, so werden wir ihm eine mittlere Helligkeit zuschreiben. Denken wir ihn uns ähnlich erfüllt mit zwei sensiblen Qualitäten, von welchen die eine in anderem Sinne hell als die andere [ist] etc., so werden wir dem Ganzen nicht eine mittlere Helligkeit zuschreiben, es würde vielmehr nur von einer Vereinigung von zwei Qualitäten gesprochen werden können, von welchen wir geneigt sein könnten zu glauben, daß sie, sich durchdringend, den ganzen Raum durchwohnen. Das Vorhandensein der einen würde auch dem Erkennen der andern Helligkeit kein Hindernis sein. Höchstens die Schwächung, welche die Erscheinung durch die angenommenen Lücken erfährt. 7. Bei den Erscheinungen des Gesichtssinns haben wir Extreme von Helligkeit und Dunkelheit, Schwarz-Weiß. Dies läßt vermuten, daß [es] ähnlich überall [dort ist], wo es sich um Helligkeit und Dunkelheit handelt. Da muß es denn auffallen, daß bei den Tönen das Gegenteil der Fall scheint. Ins Unendliche höhere und tiefere scheinen ohne Absurdität denkbar, wenn auch für uns nicht hörbar, und nicht in der Phantasie (subjektive Empfindung) anschaulich

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produzierbar; man fällt unvermerkt in Wiederholungen der früheren Oktave. An und für sich aber scheinen diese ins Unendliche steigen und sinken zu können. Aber genauere Untersuchung deckt hier eine seltsame Täuschung auf. Die Abstände der Oktaven sind nicht gleich. In einer gewissen Mitte sind sie am größten, ja sie nehmen in einer Weise nach oben und unten ab, daß, ins Unendliche fortgesetzt, kein unendlicher Abstand resultieren würde. Somit steht nichts im Wege, das anzunehmen, was die Analogie erheischt, ja es findet eine Art Bekräftigung. Und so dürfen wir, glaube ich, mit großer Zuversicht behaupten, daß es eine allgemeine Tatsache für alle Gattungen von Helligkeit ist, daß sie natürliche Extreme haben (obwohl sie vielleicht in unserer Erfahrung nicht und gewiß wenigstens nicht rein für sich merklich gegeben [sind]). 2. Kolorit und Nicht-Kolorit Wir betrachten jetzt den Unterschied von koloriert (farbig) und nicht koloriert (farblos), klanghaft und klanglos, und analoge (Sättigung und Geräusch). a) Das was bei den primären Objekten der Gesichtsempfindung den Raum erfüllt, zeigt nicht bloß den Unterschied von Hell und Dunkel, sondern auch noch andere [Unterschiede] bei gleicher Helligkeit: farbig, farblos, rotfarbig, blaufarbig usw. Wie verhalten sie sich zu hell und dunkel? Man nennt sie [diese Unterschiede] auch oft qualitative Unterschiede. b) Darnach scheint es, als habe man es mit einer Gattung zu tun. Die Spezies stehen dann in mannigfach verschiedener Richtung von einander ab. Wir hätten in der Gattung etwas, was sich in der Gesamtheit seiner Spezies wie ein Kontinuum von mehreren Dimensionen darstellt (sich darstellen ließe). c) Aber diese Auffassung ist bedenklich. (1) Schon der gemeine Sprachgebrauch unterscheidet farbig und farblos, dies wie etwas Privatives. So ist es nicht bei einer Einheit der Gattung, [welche] mehrere Dimensionen [hat], sondern eher bei evidentem und blindem

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Glauben und Anerkennen. (2) Es müßte in dem mehrdimensionalen Kontinuum die eine Achse besonders ausgezeichnet sein. Das aber scheint seltsam und die Auszeichnung läßt sich ungezwungen wohl nur so begreifen, daß man sagt, es präsentiere dort jede Spezies nur eine Helligkeitsstufe, nichts weiter, hier aber sei noch etwas anderes dabei. d) Ließ sich die oben besprochene Ansicht kaum halten, so könnte ein anderer meinen, es werde wohl die richtige sein, außer der Räumlichkeit durchwegs noch zwei durchwohnende Teile anzunehmen. (1) Qualität in dem Sinn der Gattung, deren Differenzen Hell und Dunkel, (2) die Qualität im Sinne der Gattung, deren Differenzen Blau, Rot, Gelb, Schwarz etc. e) Aber auch das wäre wohl ein Irrtum. (1) Darnach wäre dieselbe Helligkeit oder Dunkelheit in allen Farben, dieselbe Farbe in allen Helligkeiten und Dunkelheiten denkbar. Es scheint aber eine Farbe, wenn rein, nur eine Helligkeit [zu sein]. (2) Insbesondere reines Weiß und reines Schwarz in verschiedener Helligkeit [anzunehmen] wäre handgreiflicher Unsinn, ferner, daß zwei oder drei oder n andere Spezies hell wie weiß, so dunkel wie schwarz [seien]. Dies [ist] nur [möglich], weil reine Helligkeit- Dunkelheit [angenommen wird]. (3) Somit ist auch diese zweite Auffassung zu verwerfen. f) Und um nicht länger bei der Vorführung und Kritik unhaltbarer Meinungen zu verweilen, [sage ich] (1) die einzig richtige Ansicht ist wohl die, daß zwei Gattungen zu unterscheiden [sind], die eine ist Helligkeit und Dunkelheit; sie ist in jeder Gesichtserscheinung; die andere ist die Koloriertheit, die Sättigung, oder wie man sie nennen mag, welche bald vorhanden, bald fehlt, ähnlich wie die Evidenz beim Urteil. (2) So erscheinen die gebräuchlichsten Ausdrücke, farbig farblos, recht geeignet und zeigen, wie sich die richtige Auffassung selbst den Nichtpsychologen im Laufe der Erfahrung aufdrängte (wenn auch nicht klare Rechen-

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schaft [darüber gegeben wird]). (3) Vielleicht fragt einer, wie [kann es] dann weißliches Gelb und nichtweißliches Gelb [geben]? [Und] ist weißliches Rot hell [in dem Sinne] wie reines Gelb, da doch alles Helle als hell weiß erscheint? Doch diese Frage wird sich ohne Widerspruch mit dem Gesagten erledigen, wenn wir uns die wahre Natur der multipeln Qualitäten klargemacht haben. Von dieser ap späterer Stelle. 36 g) Ich habe früher gelegentlich eine andere Auffassung erwähnt. Darnach hätte ein Unterschied der Gefühle (Affekte) nicht dem primären Objekte der Sensation Anlaß gegeben, sie in farblose und farbige zu scheiden. [So ist es] gewiß nicht! Mächtige Gefühle knüpfen sich auch an Schwarz-Grau als Trauerfarbe etc., [wenn sie] zu Gefühlseffekten benützt (wird]; schwarze Reinheit [hat] besondere Gefühlswirkung [und ebenso ist es] in den Kombinationen von andern [benachbarten dunklen Farbtönen]. h) Wir wollen die eine Gattung die Farbenhelligkeit (Gesichtsmodalität), die andere, welche nur manchmal [bei]-gesellt ist, die Farbigkeit (Gesichtskolorit) oder Farbenqualität (Kolorit) im engeren Sinne nennen. i) Wiederum drängt sich die Vermutung auf, daß es bei dem anderen Sinn analog sein werde. Und in der Tat, wenn wir auf das Tongebiet blicken, so zeigt es nichts, was widerspräche ... Wir können sagen, daß es auch beim Gehörsinn sei, wie wir es beim Gesichtssinn gefunden: Einmal eine Gattung, deren Differenzen die Unterschiede von Helligkeit und Dunkelheit s.g. Höhe- Tiefe [seien] und diese sei durchwegs gegeben. Dann eine zweite Gattung analog der auszeichnenden Eigentümlichkeit der Farben im engeren Sinn: Klänge im engeren Sinn. Dies [ist] nicht [so] bei den völlig ungesättigten Geräuschen. NB. Wie eine Farbenspezies rein, nur in einer Helligkeit vorkommt, so eine Tonspezies rein (wohl) nur in einer Höhe.

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Übersicht über die Psychognosie

Einwand: [Es gibt] viele C, höhere- tiefere. Wir scheinen dem eben Ausgeführten zu widersprechen. Antwort: Auch von Hellblau und Dunkelblau spricht man. (Einmischung von Weiß (oder Grau) oder Schwarz). Wie innig solche Einmengungen bei Tönen möglich sind, zeigen Vokale u.a. Klangfarben. Bei der tieferen Oktave merkt man die Verhüllung der Töne durch eine Art Tonschwarz, bei den hohen durch ein Tonweiß. Daraus [ist] erklärlich als notwendige Folge das Zusammenschrumpfen der Oktave in Tiefe und Höhe (wie bei den Farbenabständen). Denkbar von vornherein wären mittlere ungesättigte einfache Helligkeiten zwischen den Extremen. Auch sie könnten den kolorierten Qualitäten der Töne beigestellt sein und so geringere Sättigung der höheren und tieferen sich erklären, wenn man annähme, daß dann die beigemengte ungesättigte Helligkeit mit der Annäherung an die Extreme quantitativ zunähme. k) Ist es nun bei den Tönen wie bei den Farben, so ist es wohl nicht kühn, wenn wir sagen, mit hoher Wahrscheinlichkeit lasse sich behaupten, daß dies eine allgemeine Tatsache für alle Sinnesgebiete [sei]. 3. Zusammenfassung 1. Das, was in der Sensationr den Raum erfüllt, das was den Ort einnimmt, was mit der örtlichen Bestimmtheit als anderer durchwohnender Teil verbunden ist, ist also immer etwas, was einer Gattung von Hell und Dunkel angehört und häufig etwas, was eine gewisse Sättigung (Kolorit) hat, worunter ein dritter durchwohnender Teil zu verstehen ist. Auch hier ist der Begriff kein einheitlicher, es besteht nur ein Analogon bei den verschiedenen Sinnen. 2. Mit diesen drei durchwohnenden Teilen ist nun aber, wie mir scheint, die Zahl der durchwohnenden Teile im primären Objekt der Empfindung jedenfalls erschöpft. Wir haben keinen Grund, einen vierten anzunehmen.

ANHANG I

INNERE WAHRNEHMUNG ..

Kann denn eine psychische Tätigkeit von uns ausgeübt werden, ohne daß sie in unsere innere Wahrnehmung fällt? Manche haben dies behauptet. (Philosophie des Unbewußten.) Andere, und die [sind) achtbar, [haben dies) geleugnet. Aber jene Ansicht [ist) nicht in der Art falsch, daß sie nicht doch an eine Wahrheit gerührt härte. (Nur [hat) die Philosophie des Unbewußten [das) nicht als die erste [getan]). Alles Psychische fällt zwar unter die innere Wahrnehmung. Aber nicht alles wird darum bemerkt. Es wird implizite, aber nicht explizite vorgestellt und wahrgenommen. Erläuterung: Distinktes Vorstellen und sich Beschäftigen [ist] nicht [etwas] Zweites, Losgelöstes; [ist) aber in manchem Betracht so gut wie ein Losgelöstes, dienend als Basis, besonders [für] Urteile [und] Gemütsbewegungen. Ein anderes Mal [ist das Vorstellen) indistinkt. Hier [sei] nur so viel [gesagt), um verständlich zu machen, um was es sich handelt, und zu überzeugen, daß wirklich eine solche Tatsache vorkommt, aber nicht mit der Wahrnehmung gegeben ist. Beispiel: ein kleiner Fleck wie eine Lerche [wird) nicht bemerkt, aber gesehen, [wird) auch als Teil des Empfindungsinhalts, [als] Gegenstand der innern Wahrnehmung nicht bemerkt. Dieser Umstand [ist] nun ein zweiter Grund der möglichen Unvollkommenheit der deskriptiven Psychologie trotz der Evidenz der innern Wahrnehmung. Denn zur Beschreibung genügt offenbar nicht, daß implizite wahrgenommen [wird], es muß bemerkt sein. Dies [gelingt) aber nur unter gewissen Bedingungen ([bei] Aufmerksamkeit, ein[em] etwas unsicher umgrenzten Begriff); in gewissen Fällen [ist das Bemerken] schwer oder sogar gar nicht erreichbar. • Aus den Vorlesungen 1887/88.

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Anhang I

1. Gewisse Teile (logische, metaphysische) [werden] nur [bemerkt], wenn [diese Bedingungen] bald gegeben [sind], bald nicht oder bald mit dieser, bald mit jener Differenz verbunden [sind]; z.B. [wird] Farbe und blau nicht in besonderm Unterschied bemerkt, wenn blau die einzige Farbe [ist]. Ebenso [wird] die Intensität der Töne nicht [bemerkt], wenn alle gleich laut [sind]. Nicht bloß die Gattung und die Differenz der bestehenden Intensität, sondern auch die Intensität im Unterschied von den Qualitäten wird gar nicht bemerkt werden. Wenn [sie] wirklich unbemerkt [wäre], würde nur zu folgern sein, daß [sie] entweder a) wirklich nicht vorhanden oder b) zwar vorhanden aber vollkommen oder nahezu konstant [sei]. Und die letztere Annahme wäre dann die ungleich wahrscheinlichere. 2. Noch eine andere Klasse von Fällen völliger Unmerklichkeit eines wahrgenommenen Teils (qualitative Unmerklichkeit eben darum, indem gesagt [wird] "nahezu") [sei angeführt:] a) Kleinheit der räumlichen Ausdehnung nach HUME's Skrupel;Js b) Kürze der Zeit (wenigstens praktisch [so gut] wie unmöglich, wenn auch theoretisch möglich). Gott könnte einen Menschen im Zustand der Aufmerksamkeit auf einen gewissen Teil oder Zug schaffen. Auch ist immer der Gegenstand, der distinkt wahrgenommen [worden ist], vom ersten Moment an [bemerkt]; c) sehr schwacher Grad von Intensität; d) sehr schwacher Grad von jener qualitativen Besonderheit, welche man einen "Stich ins Rote" usw. nennt. Analoges wohl bei allen Empfindungskreisen [... ] ; e) sehr kleine Unterschiede in räumlicher, zeitlicher Größe, Abstände der Intensität und der Grade des Stiches ins Rote, Höhe, Helligkeit usw., "Schwellen". 3. [Es gibt] noch andere Fälle, wo das Bemerken teils unmöglich gemacht, teils erschwert [wird]. Dahin gehören Fälle, wo eine Vielfalt von Differenzen in verschiedenen Beziehungen zusammentreffen.

Innere Wahrnehmung

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Daß zu dem, was durch viele Differenzen von einem andern verschieden ist, wirklich ein Unterschied besteht, wird zwar allerdings leichter erkannt, als wenn nur einer vorhanden wäre; namentlich wenn keine an und für sich sehr bedeutend [ist. Das kann zu) Verschleierung [führen]: Also z.B. [von) Stärke und Höhe und Qualität (Klangfarbe), aber [von dem], worin ein Unterschied zwischen ihnen besteht, weniger; namentlich, wenn außer ihm andere Punkte [bestehen), worin sehr bedeutende Unterschiede [sich finden], z.B. [ein] Intensitätsunterschied bei verschiedenen hohen Tönen; Höhe bei Tönen verschiedener Klangfarbe ([man hat sich] oft um zwei Oktaven geirrt); Helligkeit bei verschiedenen Farben z.B. wenn Grau so hell wie reines Rot, reines Gelb, Intensität verschiedenartiger Gerüche, Geschmäcke; Intensität von Wärme und Kühle, Temperatur und Berührung und Geschmack und Ton. [Es gibt einen) Streit, ob lntensitäten bei verschiedenen Qualitätskreisen, ja bei verschiedenen Spezies von Qualität überhaupt gleich sein könnten oder so wenig wie Größe von Zeit und Raum. Gewiß [ist dieser Streit ein] Zeichen der Größe der Schwierigkeit, welche aus solchem Umstande für die Bemerkung entspringt. Die Schwelle jedenfalls [ist) beträchtlich höher. [Es besteht die] Neigung, den höheren Ton für lauter zu halten und umgekehrt. NB. Zu den verschleiernden Bedingungen können auch begleitende Gefühle und Mitempfindungen gehören. 4. Ein anderer Fall besonderer Schwierigkeit, welcher hervorgehoben zu werden verdient, ist: Wir haben mehrere Phänomene derselben Gattung und bemerken einen Unterschied zwischen der ersten und zweiten, und zwischen dem zweiten und dritten dieser Unterschiede nun besteht selbst wieder ein Verhältnis der Übereinstimmung oder des Unterschieds. Und auch dies kann oft bemerkt werden und wird bemerkt. Aber meist [ist die Sache] viel schwieriger, z.B. ob Tonhöhedifferenzen mit einem dritten mittleren Ton übereinstimmen oder [von ihm] verschieden sind. Noch mehr, ob bei vier Tönen

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Anhang I

Differenzen zwischen je einem und dem andern Paar [bestehen]. Ähnliches [gilt] auf allen Gebieten. In manchen Fällen könnte das nun einfach die Folge davon sein, daß, obwohl die ersten Fundamente alle sehr verschieden, die Verhälmisse wenig versenieden [sind], so daß der Unterschied unter der Schwelle [liegt]. Aber in andern [Fällen] genügt's nicht. Vielmehr scheint's Folge der notwendig größeren Komplikation, einer gewissen Zerteilung der Aufmerksamkeit, welche das Bemerken erschwert. 5. Wieder ein Fall, wo das Bemerken oft außerordentlich erschwert, ja geradezu unmöglich gemacht wird, ist der der Absorption der Aufmerksamkeit durch etwas anderes. Jeder weiß, daß oft ein Gegenstand, wie man sagt, die Aufmerksamkeit von einem andern abzieht, so daß von ihm wenig oder nichts mehr bemerkt wird. Mit Gewalt wendet man dann wohl einmal wieder die Aufmerksamkeit zu ihm zurück; wendet sie aber eben damit von jenem ab. Ihrer Natur nach sind sie von der Art, daß man gar nicht oder doch nur sehr unvollkommen auf beide zugleich aufmerksam sein kann. Ein solches Verhälmis der Inkompatibilität der Aufmerksamkeit kann nun auch zwischen Phänomenen bestehen, welche gleichzeitig auftreten, und deren eines von der Art ist, daß es das Interesse mehr auf sich zieht. In Folge davon wird nun das andere oft gar nicht bemerkt und kann auch oft nicht bemerkt werden, trotz aller Mühe, die man sich gibt (indem man durch Schlüsse dazu geführt wurde, seine Existenz zu vermuten). Der blinde Fleck [ist] vor MARIOTTE nicht bemerkt worden. 6. Manchmal mag der Umstand, daß der eine mehr als der andere das Interesse auf sich zieht, von Natur gegeben sein; manchmal mag es auch aus der Gewohnheit entspringen. Bei einem Musiker werden interessante Töne, bei einem Maler Farben die Aufmerksamkeit mehr (leichter) absorbieren. Gewohnheitsmäßige Vernachlässigung des Bemerkens eines gewissen Phänomens kann es, wie viele berühmte Psychologen und Physiologen lehren, ganz und gar unmerklich machen (HELMHOLTZ' Lokalzeichen). Merkwürdig [ist], daß sie doch

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zugleich als Zeichen maßgebend werden sollen. Aber dies Paradoxon wenigstens [ist] kein Grund der Verwerfung. Wenn nicht dieser, [so sind doch] andere Fälle sicher, wo Zeichen, welche uns sehr Interessantes kund tun, während sie an und für sich wenig Anziehendes haben, unbemerkt blieben und doch die betreffende Belehrung geben, z.B. Empfindungen, welche uns über die Lage unserer Glieder belehren. [Aber darüber gibt es) selbst unter den Forschern Streitigkeiten, und [sie führen] Experimente [durch] (wie Enthäutung), um indirekt Kenntnis zu gewinnen. Natur und Gewohnheit wirken oft zusammen. Und wer möchte leugnen, daß sie es zu einer völlig unbeweglichen Schwierigkeit des Bemühens bringen können? 7. Ein anderes häufiges Hindernis des Bemerkens ist das Vorurteil, daß etwas nicht vorhanden [sei], z.B. beim Schwarz, daß keine Empfindung (weil kein Erreger) [bestehe]; bei dem blinden Fleck, wo manche Forscher dahin gelangt sein wollten, sozusagen wahrzunehmen, daß eine Lücke [bestehe], also zu erkennen, daß sie dort nichts empfinden. [... ] Ein sehr kompliziertes Vorurteil [besteht in der Annahme, daß ein einfacher Name einen einfachen Begriff vertrete]. Man meint nun, die Vorstellung selbst müsse einfach sein und bemerkt nichts von ihrer Komplikation. So bei Rot, Grün etc., [oder] bei Gott, wo manche meinten, [er sei] ein einfacher Begriff, weil [man die] Vorstellung eines einfachen Wesens [mit ihm verknüpfe]. [Es besteht ein] Vorurteil über die Natur der Urteile auf Grund des sprachlichen Ausdrucks. 8. Wir haben gesehen, wie es Fälle gibt, wo die Gewohnheit die Schwierigkeit des Bemerkens steigert. Es gibt andere, wo die Neuheit besondere Schwierigkeiten mit sich bringt. In der Neuheit [liegt ein] besonderer Reiz. Etwas, was die Natur besonders durch Aufmerksamkeit absorbiert, tut sie darum oft besonders stark beim Reiz der Neuheit. Erst beim öfteren Erfahren gelingt es, das dadurch Verdunkelte zu entdecken. Das Bemerken macht Fortschritte und erfaßt die unbedeutenden Momente.

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Insbesondere fehlt bei der Neuheit auch die Übung des Bemerkens, und es ist entschieden, daß durch sie die Fähigkeit wächst (WEBER'sche Versuche). Dasselbe Individuum [hat] andere Resultate bei häufiger Wiederholung (NB. gerade dieser Spezialität) und bemerkt Unterschiede, die ihm früher unmerklich (waren]. 9. Eine andere Erschwerung liegt in der Ermüdung. (Man könnte daraus schließen, daß Ermüdungsphänomene besonders schwer zu studieren [seien]). 10. Ähnliches gilt gewiß von Stimmungen der Leidenschaft, welche mit analysierender Beobachtung unverträglich [sind], z.B. Zorn. (Studium im Gedächmis; aber [dies ist] um so weniger ein Ersatz für das analysierende Bemerken in der Gegenwart, als da, wo nicht bemerkt wird, schlechter behalten [wird]). So [ist] wohl auch noch anderes [bestellt]! An alles das knüpfen sich nicht bloß Mängel der deskriptiven Psychologie, insofern Lücken [bestehen], sondern auch Gefahren von Irrtümern, insofern man sich oft [dazu] verführen läßt, das Nichtbemerkte zu leugnen. a) Wir sahen HUME bei den kleinen Teilen der Ausdehnung. b) Wir sahen [dies] bei Schwarz. c) Wir finden tausendfach, daß man für gleich erklärt (und verwechselt), wo ein Unterschied nicht bemerkt [wird], (obwohl er nichts weniger als unmerklich klein [ist]), z.B. [bei] äquivalenten Vorstellungen der Empfindungsinhalte. d) Oft leugnet man, daß nur indirekt verglichen [werden kann], weil von dem Vermittelnden das Bewußtsein nichts bemerkt. Und in Folge davon [entsteht] eine Zuversicht, wie sie sonst nicht bestehen würde. e) Besonders häufig sind die Fälle, wo man Phänomene für gleich hält, während sie sehr ungleich und nur einander äquivalente Zeichen für ein und dasselbe Dritte sind, das vorzüglich interessiert, z.B. [bei] Beschauung eines Gegenstands bei schräger Haltung des Kopfs. Die Vertikallinien scheinen noch vertikal, die Horizontallinien horizontal gesehen zu werden; das Gesichtsbild [scheint] unverändert, während [es] doch beträchtlich anders [ist]; aber gewisse Muskelempfindungen (oder was sonst noch dazu kommen

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möge), [geben] ein äquivalentes Zeichen für die Lage des Objekts, oder [auch die] Berührung der Stirne mit der Hand. Vermeintlich erscheinen Fingerspitzen und Hand mit derselben örtlichen Bestimmtheit. Vielleicht aber [ist es] richtiger, daß so verschiedene Eindrücke, wie wenn die Hand weit weggestreckt und Stirn und Fingerspitze gedrückt werden, aber jedesmal [Eindrücke] gewisser anderer Empfindungen [sind] und den einen äquivalente Zeichen für eine objektive Lokalisation [sind]. Wiederum [verhält sich das nur] vermeintlich [so]: An zwei zusammengepreßten Fingerspitzen [ist] eine nahezu unterschiedslose Empfindung zu haben. [Dies ist unser]·erster Eindruck, weil [wir es mit] zwei auf einen Gegenstand weisenden [Empfindungen zu tun zu haben glauben und] dies gewohnheitsmäßig. Experiment des ARISTOTELES mit den Kügelchen. [Es gibt eine] mögliche Umgewöhnung bei lang gekreuzten Fingern. Die Täuschung [wird nur] gehoben. NB. In allen solchen Fällen verknüpfen sich mit einem Fürgleichhalten von Ungleichem leicht ein Verschiedenhalten von Gleichem, z.B. vom Eindruck des schräggestellten Bildes oder vom Eindruck der gepreßten gleichen Fingerspitze, wenn [er] an verschiedenen Orten [geschieht]. (Hat man doch manchmal gesagt, der Nerv empfinde immer den Ort des peripheren Endes, also sehr verschiedene Empfindungen, je nach der Stellung.) [... ] Noch ein Nachteil knüpft sich [daran], daß, wie wir ausführten, nicht alles, was in die innere Wahrnehmung fällt, deshalb auch schon bemerkt wird. Wäre jenes [der Fall], so [hätten wir] alles zugleich. Nun aber - bei der hohen Verwicklung [und der] reichen Mannigfaltigkeit [haben wir] nur eins nach dem andern. Unmöglichkeit einer Aufmerksamkeit auf alles. Somit [ist] Durchmusterung Stück für Stück [angezeigt, eine] Sammlung des Gefundenen im Gedächmis und induktive Konstatierung der Vollständigkeit. Es ist klar, daß hier ein Irrtum, man habe bereits die erschöpfende Analyse, nicht ausgeschlossen [ist]. Die Evidenz der innern Wahrnehmung jedenfalls garantiert nicht dafür.

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[Wir haben] die Gründe kennen gelernt, welche die deskriptive Psychologie schwierig machen. (1) Die Versuchungen der Verwechslung und Konfusionen sehr verschiedener Erscheinungen. (2) Das Nichtbemerken, (welches auch besonders beiträgt, jene Versuchungen zu steigern und zu mehren). Es kommt dazu ein drittes, welches sich an die Aufgabe knüpft, Meßbestimmungen zu geben. Wie unvollkommen wäre die leibliche Anatomie ohne sie. Ähnliches nun von der deskriptiven Psychologie, welche sozusagen ,Anatomie der Seele' [ist]. [... ]

ANHANG ll

DESKRIPTIVE PSYCHOLOGIE ODER BESCHREIBENDE PHÄNOMENOLOGIE .. I. BEGRIFF DER DESKRIPTIVEN PSYCHOLOGIE 1. Ich verstehe darunter eine analysierende Beschreibung unserer Phänomene. 2. Unter Phänomene aber [verstehe ich] das, was von uns wahrgenommen wird, und zwar im strengen Sinn der Worte wahrgenommen wird. 3. Dies ist zum Beispiel bei der Außenwelt nicht der Fall. 4. Um Phänomen zu sein, muß etwas in sich sein. Mit Unrecht stellt man Phänomen in Gegensatz zum an sich Seienden. 5. Dagegen kann etwas Phänomen sein, ohne ein Ding an sich zu sein, wie zum Beispiel das Vorgestellte als solches, das Gewünschte als solches. 39 6. Wenn man sagt, Phänomene seien Gegenstände der inneren Wahrnehmung, so sagt man die Wahrheit, obwohl das "innere" eigentlich überflüssig ist. Alle Phänomene sind innere zu nennen, weil sie alle zu einer Realität gehören, sei es als Bestandteile, sei es als Korrelate. 5. Wenn man die Beschreibung der Phänomene deskriptive Psychologie nennt, so hebt man besonders die Betrachtung der psychischen Realitäten hervor. Zu ihr kommt dann als zweiter Teil der Psychologie die genetische Psychologie hinzu. 6. In diese muß die Physiologie mächtig eingreifen, während die deskriptive Psychologie von ihr relativ unabhängig ist. 7. Die deskriptive Psychologie ist der frühere Teil. Sie verhält sich zur genetischen ähnlich wie Anatomie zur Physiologie. 8. Wert der deskriptiven Psychologie. a) [Sie ist) Grundlage der genetischen Psychologie. b) [Sie hat einen Wert] in sich selbst wegen der Würde des psychischen Gebiets. [... ] • Aus den Vorlesungen 1888/89.

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II. ENTSTEHUNG DER DESKRIPTIVEN PSYCHOLOGIE 1. Es wäre ein Irrtum, wenn man glaubte, man könne, weil unsere Phänomene teils real, teils nicht real [sind), die Einteilung so treffen, daß man zuerst von der einen, dann von der anderen handle. Die Erkennmis der Korrelativa ist eins. 2. Wollen wir das psychische Gebiet beschreiben, so müssen wir zeigen, wie im allgemeinen die Gegenstände unserer psychischen Tätigkeiten und die Unterschiede der Beziehungsweisen zu verstehen sind. 3. Es genügt die Ordnung nach Up"terschieden der Gegenstände. Und wir werden dabei nur auf die Gegenstände der Vorstellungen Rücksicht zu nehmen haben. 4. Die Ordnung wird Angliederung sein: a) Beschreibung der Gegenstände unserer Empfindungen, b) unserer ursprünglichen Assoziationen, c) unserer supraponierten Vorstellungen, d) der Vorstellungen unserer inneren Wahrnehmung. III. ZUSAMMENFASSUNG 1. Ich habe in Kürze dargelegt, was ich unter deskriptiver Psychologie verstehe, und wie sie sich zur genetischen Psychologie und zur Psychologie überhaupt verhalte. Daran schlossen sich einige Bemerkungen über den Wert der deskriptiven Psychologie und ihre Schwierigkeit. Auch erklärte ich mich über die Weise, wie ich die Sache behandeln, und insbesondere auch, wie ich dabei die Vorlesungen des vorigen Jahres berücksichtigen wolle. 2. Die deskriptive Psychologie, sagten wir, setze sich zur Aufgabe die analysierende Beschreibung unserer Phänomene, d.h. unserer unmittelbaren Erfahrungstatsachen oder, was dasselbe sagt, die Gegenstände, welche wir in unserer Wahrnehmung erfassen. Heute, wo wir unsere Aufgabe in Angriff nehmen, müssen wir vor allem eine Einteilung geben, welche für die Ordnung der Untersuchungen maßgebend werden kann. Unter Wahrnehmung verstehen wir nur die, welche wahrhaft und eigendich den Namen verdient, und das ist nur diejenige,

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welche man, im Gegensatz zu der sogenannten äußeren Wahrnehmung, innere Wahrnehmung zu nennen pflegt. Die Gegenstände der inneren Wahrnehmung sind wahrhaft und an sich, z.B. unser Denken, unsere Freude, unser Schmerz ist an sich. Man irrt darum, wenn man oft Phänomene in Gegensatz stellt zu einem an sich Seienden. Vielmehr wird dazu, daß etwas Phänomen sei, vor allem erforderlich sein, daß es an sich sei. Dagegen ist es allerdings nicht notwendig, daß etwas, was Phänomen ist, ein Ding an sich ist. Bei gar vielem, was zu den Phänomenen gehört, ist dies nicht der Fall. Die Realitäten, die in unsere Wahrnehmung fallen, sind psychische, d.h. sie zeigen eine intentionale Beziehung; eine Beziehung auf ein immanentes Objekt. Diese Realitäten sind nicht möglich ohne ein Korrelat; und dieses Korrelat ist nicht real. 3. Das Gebiet, das wir beschreiben sollen, zeigt also reale und nicht-reale Phänomene. Und daraus, so könnte einer vielleicht meinen, ließe sich ein Einteilungsgrund für Untersuchungen entnehmen. Wir könnten etwa zuerst von den realen und dann von den nichtrealen Phänomen (oder auch umgekehrt) sprechen. Aber man erkennt alsbald, daß dies untunlich ist. Die Erkenntnis von Korrelativen ist eine [Erkenntnis]. 4. Die Sache muß also ganz anders angegriffen werden. Wenn wir verschiedene psychische Tätigkeiten samt ihren Korrelaten unter sich vergleichen, so finden wir, daß unter ihnen ein Unterschied besteht entweder hinsichtlich des Gegenstands, auf welchen sie sich beziehen, oder hinsichtlich der Weise, wie sie sich auf ihn beziehen- in welchem Fall die Verschiedenheit wieder mehr oder minder tiefgreifend sein kann und mancherlei untergeordnete Gesichtspunkte auseinandertreten läßt. Im allgemeinen sind diese zwei Gesichtspunkte erschöpfend; nur kann es dabei auch vorkommen, daß gleichzeitig in der einen und andern Hinsicht Unterschiede gegeben sind. Beispiele: stelle ein Dreieck vor, wünsche das Glück eines Freundes. 5. Wollen wir aber eine psychische Tätigkeit beschreiben, so werden wir ihren besonderen Gegenstand und die Weise, wie

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Anhang II

[sie] sich auf ihn bezieht, beschreiben müssen. Und wollen wirwie die deskriptive Psychologie es will - im allgemeinen eine Beschreibung des Gebiets unserer psychischen Tätigkeit geben, so werden wir zeigen müssen, wie im allgemeinen die Gegenstände unserer psychischen Tätigkeiten und im allgemeinen die Unterschiede der Beziehungsweisen sind, in welchen wir zu ihnen psychisch treten. Es scheint also, wir müssen, eins um das andere, den Unterschied der Gegenstände und den Unterschied der Beziehungsweisen bei der Ordnung unserer Untersuchungen maßgebend machen. 6. Indes, wenn wir genauer zusehen, so finden wir, daß die Ordnung auch der Unterschiede der Gegenstände für sich allein genügt. Und zwar darum, weil die psychischen Beziehungen und ihre Unterschiede selbst auch zu den Gegenständen zählen. Und somit kann eine Ordnung nach Gegenständen für das Ganze vollkommen ausreichen. 7. Wir werden dabei nur auf die Gegenstände der Vorstellungen Rücksicht zu nehmen haben; denn nichts kann Gegenstand einer psychischen Tätigkeit sein, ohne zugleich Gegenstand einer entsprechenden Vorstellung zu sein. 8. Dieses vorausgeschickt, ordnen wir unsere Beschreibung in folgender Weise: a) geben wir eine analysierende Beschreibung der Gegenstände unserer Empfindungen, b) unserer ursprünglichen Assoziationen (oder auch unserer sinnlich anschaulichen Gedächmisvorstellungen), c) unserer suprapanierten Vorstellungen (abstrakten Vorstellungen (Begriffe)), d) die Vorstellungen unserer inneren Wahrnehmung.

Die Vorstellungen innerer Wahrnehmung Eine andere Frage, die man aufwerfen kann, ist, ob die Vorstellungen vom eigenen Hören, Sehen u.dgl., die wir haben, wenn wir Töne, Farben usw. empfinden, ebenfalls zum Gebiet der Empfindungen gehören.

Deskriptive Psychologie

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ARISTOTELES sprach von eine[r Wahrnehmung Ev 1taQEQyqJ]. Und auch heute dürften manche geneigt sein zu sagen, daß, wenn man einen Ton hört, das eigene Hören mitempfunden werde. Indes erweist sich diese begleitende Vorstellung des Hörens selbst als eine Vorstellung der inneren Wahrnehmung und mehr mit den andern Vorstellungen innerer Wahrnehmung, wie z.B. vorn eigenen Urteilen, Wollen usw. verwandt, als mit den Empfindungsvorstellungen von Farben und Tönen. Man hat nun freilich auch die übrigen Vorstellungen der inneren Wahrnehmung Vorstellungen des innern Sinnes genannt. Und wenn Sinn und Empfindung korrelativ gebraucht werden und sinnliche Vorstellung gleich ist mit Empfindungsvorstellung, so würde dies dahin deuten, daß man sie alle zu den Empfindungsvorstellungen rechnen wolle. Allein dies hieße denn doch etwas kühne Folgerungen ziehen und bei der Mehrzahl wenigstens die Absicht mißdeuten. Der Ausdruck "Sinn" unterliegt gar mancherlei Äquivokationen. (Kunstsinn, Scharfsinn). Warum sollte der nicht auch hier in einer besonderen und höchstens analogen Bedeutung genommen sein? Immerhin sei es der Deutlichkeit wegen ausdrücklich gesagt, daß wir die Vorstellungen, die wir bei der inneren Wahrnehmung unseres Urteilens, Wollens usw. haben, aber auch überhaupt von den Empfindungen ausschließen. Wir haben für sie- wie wir uns erinnern - eine besondere Klasse der (inneren) W ahrnehrnungsvorstell ungen unterschieden. Empfindungen [... ]

Genug der Illustration der Empfindung durch positive und negative Beispiele. Wünscht einer auch noch in anderer Weise eine Bestimmung des Begriffs, so können wir ferner als richtig angeben: Empfindung sei eine fundamentale Vorstellung realen psychischen Inhalts. [... ]

ANHANG III

VOM INHALT DER EMPFINDUNGEN"'

1. Wir beginnen unsere psychologischen Analysen mit der Beschreibung des Inhalts der Empfindungen. 2. Hier wird es vor allem notwendig sein, den Begriff der Empfindungen zu erklären, und damit das zunächst ins Auge gefaßte Gebiet deutlich zu bestimmen. 3. Dies Bedürfnis ist um so offenbarer, als man bei einiger Achtsamkeit leicht bemerken kann, daß man mit "Empfindung" einen mehrfachen Begriff verbindet. Man sagt a) ich empfinde eine Farbe, einen Ton; b) ich empfinde Sehnsucht, ein Verlangen, Freude, Leid darüber. Im letzten Fall hätte man auch sagen können: ich sehne mich, ich verlange, ich freue mich darüber, es tut mir leid. Man bezeichnet also mit Empfinden eine Gemütstätigkeit. Nicht so im ersten [Fall]. Davon, ob die Farbe mir Wohlgefallen oder Mißfallen erregt, mich interessiert oder mir gleichgültig ist, ist nicht die Rede. Aber sie erscheint mir; ich habe davon eine sinnliche Vorstellung. Das ist ein wesentlich anderes Verhalten der Seele. Die Gemütstätigkeit wie die Vorstellung ist auf etwas intentional gerichtet. Aber die Weise ist eine ganz andere. Dort Liebe oder Haß; hier keines von beiden: sondern Vorstellen. 4. Wie wenig man sich trotzdem des großen Unterschieds zwischen den zwei Bedeutungen klar zu sein pflegt, zeigen Fälle, worin wir das Wort Empfinden einheitlich für beides setzen, z.B. "Ich empfinde einen Schmerz im Fuße". Hier handelt sich 's um den Ausdruck einer sinnlichen Vorstellung von einer gewissen Qualität, welche im Fuß lokalisiert wird, zugleich aber gewiß um den Widerwillen, der sich an ihre Erscheinung knüpft (und der eine Gemütstätigkeit ist und nicht im Fuße lokalisiert erscheint). • Aus den Vorlesungen 1887/88.

Vom Inhalt der Empfindungen

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Es ist ein ähnlicher Doppelgebrauch und eine ähnliche Vermischung wie bei dem Wort "fühlen", nur daß hier die eine (erste) Bedeurung nicht so weit reicht (greift) wie die entsprechende von "Empfinden". 5. Wenn wir jetzt von Empfindung sprechen, so nehmen wir den Ausdruck im ersten Sinne. Wenn wir also von Inhalt der Empfindung reden, so meinen wir damit den Inhalt gewisser Vorstellungen. 6. Aber von welchen Vorstellungen! [Ich verweise auf] die gebrauchten Beispiele. "Ich empfinde eine Farbe, einen Ton" reichen zur Verdeutlichung nicht aus. Denn einmal erschöpfen die Vorstellungen von Farben und Tönen das Gebiet nicht; und dann ist nicht jede Vorstellung von Farbe oder Ton eine Empfindung. Man verlangt also eine Verallgemeinerung und Präzision. 7. Wir könnten sagen: Empfindung sei eine sinnliche Vorstellung. Aber auch dieser Ausdruck ist nicht von Zweideutigkeit frei. Man wendet ihn auf einen weiteren, bald auf einen engeren Kreis von Erscheinungen an. 8. So könnte es zweifelhaft scheinen, ob die Vorstellung des Sehens selbst, die wir haben, während wir die Farbe empfinden, zu den sinnlichen Vorstellungen gerechnet werde. Manche haben es getan, und dementsprechend auch von einem innern Sinn gesprochen, den sie dem äußern gegenüberstellten. [... ] 9. Wiederum könnte zweifelhaft scheinen, ob die Vorstellung eines Tons in einer Melodie, einer Farbe, welche mir als jüngst vergangen erscheint, zu den sinnlichen Vorstellungen gezählt werde oder nicht. (Phänomen der ursprünglichen Assoziation). Viele werden [dies] bejahen. Aber auch hier überschritte der Ausdruck "sinnliche Vorstellung" die Grenze des Gebiets, das wir abstecken wollen. Auch wird man gemeiniglich kaum sagen, daß man ein Phänomen von einem Ton, welcher als vergangen erscheint, empfinde. 10. Wie sollen wir also das, was wir unter Empfindung verstehen, unzweideutig feststellen? Viele greifen zu dem Mittel einer Bestimmung durch die erregende Ursache, so z.B. FICK: 40 "In dem Bewußtsein des Subjekts, dessen Sinnesnervenenden

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Anhang III

gereizt werden, tritt der Zustand ein, den wir eine ,Empfindung' nennen"; etwas was, wie er hervorhebt, "lediglich Gegenstand der innern Anschauung" ist. Ja es geschieht dies so allgemein, daß SULL Y in seinen "Outlines ofPsychology" (1885) geradezu erklärt: Die Bedeutung von "Empfindung kann, da sie ein elementares geistiges Phänomen ist, nicht anders als durch Beziehung zu den Nervenprozessen, von welchen man sie abhängig weiß, klar gemacht werden. Demgemäß wird eine Empfindung gemeiniglich definiert als ein einfacher geistiger Zustand, welcher aus der Reizung des äußern oder peripherischen Endes eines nach innen leitenden oder sensitiven Nerven resultiert. So gibt die Reizung eines Punkts der Haut durch Druck oder Reibung oder der Retina des Auges durch Licht Anlaß zu einer Empfindung". Auch LOTZE spricht ungefähr in derselben Weise. 11. Aber [dazu habe ich] Bedenken. a) Ich möchte als solches nicht geltend machen, daß hier nur eine Umschreibung gegeben werde, nicht Bestimmungen, welche das Wesentliche der Empfindungsvorstellung selbst enthalten. Mittelbar könnte sie doch dienen, indem sie die illustrierenden Fälle beliebig vervielfältigen ließe. Selbst bei der deskriptiven Psychologie, welche sich mit der Frage der Genesis ex professo nicht befaßt, wäre sie aus dem Grund nicht eigentlich zu beanstanden. b) Dagegen scheint sie, [diese Bestimmung] zu eng. Die Reizung des peripheren Endes jedenfalls, wie auch zugestanden wird, [ist] nicht unmittelbarer Reiz. [Die] Reizung der Nerven [tritt auf] während des Verlaufs, [Beispiel:] Subjektive Empfindungen; Halluzinationen. Offenbar [sind dies], in sich selbst genommen, homogene, ja ununterschiedbar gleiche Erscheinungen. Gemeiniglich [zählt man sie] darum zu den Empfindungen. Und mit recht; besonders vom deskriptiven Standpunkt [sind sie] keine andere Klasse. Man müßte also zur Erweiterung etwas einfügen. Etwa: " ... welche aus der Reizung des peripheren Endes eines sensitiven Nervs oder aus einem Prozesse im Gehirne

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resultiert, welcher von derselben Art ist, wie derjenige, welcher die Reizung des peripheren Endes veranlaßt". Aber damit wäre eine sehr dunkle Bestimmung gegeben. Denn unsere Kennmis reicht nicht aus, das unmittelbare physiologische Antecedens oder das physiologische Substrat (wie manche sich ausdrücken) der Empfindung mit Sicherheit zu bezeichnen. 12. Vielleicht sagt einer: So werde ich mir in anderer Weis~ helfen: Ich amplifiziere durch einen andern Zusatz," ... welcher aus der Reizung des peripheren Endes eines sensitiven Reizes resultiert, oder den aus solchen Reizen resultierenden verwandt, seinem Charakter nach ähnlich, homogen ist; nicht weiter von ihnen absteht, als sie unter einander". 13. Bedenken [bleiben bestehen]. a) Die Bestimmung ist offenbar etwas schwer nachfühlbar, aber darum noch nicht absolut verwerflich. b) Bedenklicher sind andere Mängel, die auch ihr noch anhaften. Es ist als sicher zu betrachten, daß, wenn durch eine Nervenreizung Bewußtsein in uns erregt wird, sogleich im ersten Moment des Bewußtseins eine Vielheit von psychischen Beziehungen gegeben ist. Außerdem [enthält] die Empfindung auch Lust oder Unlust, ferner eine Erkennmis der Empfindung und eine Vorstellung der Empfindung sowohl [wie Vorstellung] dieser Erkenntnis. Somit scheint jenes Moment des Bewußtseins, welches in diesem verwickelteren Zustand gerade die Empfindung ist, nicht genügend charakterisiert. Es ist fraglich, ob dem Übel genugsam abgeholfen wäre, wenn man unterscheidend einfügte: "was zunächst dadurch erregt wird". Dieses ,zunächst' könnte kein zeitliches sein, und so würde die Erklärung immer subtiler. c) Auch gegenüber Phänomenen der ursprünglichen Assoziation wäre die Abgrenzung zu beanstanden. Gewöhnlich dürften zwar diese Phänomene nicht als erste, sondern als sekundäre Folgen jener Reizungen zu betrachten sein, welche von den peripheren Enden kommend ein Bewußtsein erregen. Aber gewisse abnorme Fälle legen nahe zu glauben, daß

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auch das Gegenteil vorkommen kann. [Es gibt] Fälle "doppelten Bewußtseins": Die Dame fährt in dem Satze fort, den sie vor Monaten begonnen [hat]. 14. Nur ganz kurz sei zugleich bemerkt, daß bei der Definition, wie SULL Y sie von der Empfindung gibt (und dasselbe gilt bei der von LOTZE), noch etwas anderes besondern Anlaß zum Bedenken gibt. Beide sagen (wie auch manche andere), eine Empfindung sei ein einfacher geistiger Zustand. Und SULL Y begründet gerade hiermit seine Behauptung der Unmöglichkeit einer andern, etwa analytischen, Definitionsweise. Aber es ist sehr fraglich, oder vielmehr, wie wir sehen werden, durchaus unrichtig, daß irgend eine Empfindung in wahrem und vollem Sinne einfach genannt werden könne. Jede gibt vielmehr Gelegenheit, eine Mehrheit von Teilen zu unterscheiden. Doch dies werden wir später erst eingehender nachweisen. [... ] 15. Einen andern Weg zur Verdeutlichung und Umgrenzung des Begriffs der Empfindung schlägt der Physiologe PREYER ein •. Obwohl er die Empfindung nicht für etwas schlechthin Einfaches ausgibt, [sondern sie] "möglichst einfach" [verstanden haben will], so sagt doch auch er: "Was eine Empfindung ist, läßt sich nicht definieren". Und dann fügt er bei: "Man kann sie den Inhalt einer Wahrnehmung nennen". "Dieser Ausdruck ist gleichbedeutend mit dem KANT's, daß die Empfindung die Materie der Wahrnehmung oder die Materie der sinnlichen Erkennmis sei." Aber seine Harmonie mit KANT dauert nicht lange, indem er weiter erklärt, daß nicht die Empfindung dem Ding an sich korrespondiere, wie KANT willkürlich behauptet habe, sondern daß sie es selbst ist. Doch das gehe den Metaphysiker, nicht den Psychologen an. 16. Auch wir wollen auf die metaphysische Frage nicht eingehen. Aber als Psychologen die Erklärung prüfend, können wir uns unmöglich damit zufrieden geben. "Inhalt der Wahrnehmung" soll gleichwertig mit Empfindung sein? Was für Wahrnehmungen sind gemeint? Man spricht (und KANT insbesondere sprach) von äußern und ' Preyer: Elemente der reinen Empfindungs/ehre.

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innern. Soll alles das, was Gegenstand einer äußern oder innern Wahrnehmung ist, Empfindung genannt werden? Das wäre ja viel zu weitgehend. Empfindung und Inhalt der Empfindung - alles würde konfundiert. Oder sollen wir den Begriff der Wahtnehmung auf das beschränken, was allein eigentlich den Namen verdient, auf die sogenannte innere Wahrnehmung? Dann würde jedes Urteil, Begehren, Entschließen, Zweifeln, Folgern, Sich-erinnern - alles eine Empfindung sein: das aber allem Sprachgebrauch und auch dem entgegen, was die folgenden Erörterungen der zitierten Abhandlung PREYER's verlangen. Denn da dreht sich alles um die Erscheinungen von Farben, Tönen und dgl., ihre Qualität, ihre Intensität und ihre Kombinationen. Die Bestimmung ist also ganz unzutreffend zu nennen. 17. Welche andere aber können wir als zutreffender an die Stelle setzen um das allgemein zu bezeichnen, dessen Inhalt wir jetzt zu analysieren haben? Ich will eine geben, welche ich für fehlerfrei halte, wenn ihr auch das lnconveniens anhaftet, daß erst spätere Untersuchungen sie in dem einen oder andern Punkt bewähren müssen: Eine Empfindung, sage ich, ist eine fundamentale Vorstellung von realen physischen Phänomenen (Gegenständen). 18. Die einzelnen Termini bedürfen einer kurzen Erklärung. 19. ,Physisches Phänomen' (Gegenstand) steht im Gegensatz zu psychischem [Phänomen]. 20. ,Real' schließt alle Modifikationen, wie sie durch negative [Formulierungen, z.B.] durch "falsch", "unmöglich", aber auch durch "gewesen", "zukünftig" hervorgebracht werden, aus, somit auch die Phänomene der ursprünglichen Assoziation. 21. ,Fundamentale' [Vorstellungen] stehen im Gegensatz zu suprapanierten Vorstellungen, wie sie die sogenannten abstrakten Vorstellungen sind, wie wir später eingehend zu erörtern haben werden. 22. Alle allgemeinen Vorstellungen gehören zu den supraponierten. Jeder Inhalt einer Empfindung ist individuell.

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23. Auch alle unanschaulichen Vorstellungen gehören zu den supraponierten. 24. Natürlich auch alle widersprechenden. Im Inhalt einer Empfindung ist nie ein Widerspruch oder Widerstreit. Um noch etwas mehr ·den allgemeinen Charakter der Empfindungen [zu besprechen sei noch angefügt, daß] mannigfach das Gegenteil behauptet [wird]. Die Herbartianer [sagen, es gebe ein] Ding mit mehreren Eigenschaften (Qualität, Intensität). Noch mehr [treffe dies zu] bei anderem, was sie zwar nicht zu den Empfindungen rechnen, was aber doch wahrhaft dazu gehört, z.B. Ort mit Ausdehnung. Auch Physiologen [behaupten Ähnliches], z.B. das scheinbar bewegte Ufer [sei in Wirklichkeit] doch bleibend, oder die Bäume im Hintergrund [scheinen] in der Eisenbahn [sich] vorwärts [zu bewegen] und nach hinten zu verschwinden. [Meine] Antwort [lautet, daß es sich hierbei] a) [um] keine Empfindung [handelt und] b) kein Widerspruch im Phänomen [besteht], sondern zwischen zwei Urteilen oder zwischen ihm und einem Urteil. [Als] Beispiel [werden auch] die ZöLLNER'schen Linien vor und nach der Durchstreichung [angeführt]; und doch [hat] keine Verschiebung [stattgefunden, was deutlich wird durch eine] Verdunkelung, so daß die Querlinien verschwinden. [Meine] Antwort [lautet wieder, daß es sich hierbei] a) [um] keine Empfindung [~andelt und] b) kein Widerspruch im Phänomen [besteht], sondern in den Maßbestimmungen, welche wir treffen. [... ] [Wenn als] Beispiel [angeführt wird], dasselbe Wasser [sei] zugleich der einen Hand kalt, der andern warm, [so gebe ich zur] Antwort: Die Temperaturempfindung zeigt nur verschiedene Temperaturphänomene, die, örtlich verschieden, wie sie sich bieten, Widerspruch zur Erscheinung bringen. Es ist wie weiß und schwarz nebeneinander. Dagegen mögen wir uns allerdings zu widersprechenden Annahmen verleiten lassen. Man sieht also, die auch von Physiologen so oft gemachte Behauptung, Empfindung enthalte oft Widerspruch, ist nur

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Folge davon, daß sie solches, was nicht Empfindung [ist], mit Empfindung konfundieren. 25. Solche Konfusion zeigt sich bei ihnen auch anderwärts. a) Ich erinnere hier vor allem ganz kurz noch einmal an die Verwechslung, wo sie von Lust- und Schmerzempfindung sprechen. b) Dann aber weise ich auf die Fälle hin, wo sie von einer Bewegungsempfindung sprechen. c) Wiederum muß ich auf den Fall verweisen, wo sie - wie FECHNER z.B. es tut, von einer Unterschiedsempfindung sprechen,41 [d.h.] seine Unterscheidung zwischen: Unterschiede von Empfundenem und empfundener Unterschied. (Hier treten sie als Unterschiede ins Bewußtsein; dort bestehen sie zwischen den Empfindungen, werden aber nicht als Unterschiede aufgefaßt). Gegen die Scheidung an und für sich ist gewiß nichts einzuwenden. Wohl aber gegen die Subsumtion der Wahrnehmung [und der] Erkennmis eines Unterschieds unter die Empfindung. Was ist unter diesem Empfundenen [als] Unterschied zu denken? Die erkannte Tatsache, daß das eine nicht, das andere ist? Hier liegt ein negatives Urteil vor oder ein affirmatives mit negativem Prädikat, beides durch keine Empfindung. Oder fassen wir die Sache anders: Es gibt gewisse positive Bestimmungen, welche sich ausschließen, einander widerstreiten, so daß man aus der Teilnahme an der einen ersieht, daß es nicht an der andem teilhat. Was an dem andern teilhat, kann nicht mit ihm identisch, muß von ihm different sein. [Handelt es sich um eine] differentia (specifica), so kann nicht dieselbe Fläche demselben Teile nach schwarz und weiß und grün und rot zugleich sein. Diese [positiven Bestimmungen sind] also Unterschiede oder Gegensätze. FECHNER braucht den Ausdruck "Kontrastempfindung". Wer sie als solche irgendwo erfaßt, hat der nicht vielleicht etwas, was man "empfundene Unterschiede" nennen könnte? [Er hat es nicht], auch nicht,

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wenn man dem Begriff der Empfindung treu bleibt. Es liegt hier immer ein negatives Urteil vor, ja ein Urteil, welches als unmöglich verwirft. Darauf erscheinen die betreffenden Momente als unvereinbar, als Differenzen, welche die eine als mit der andem nicht identisch kennzeichnen, dagegen abgrenzen. HERTLING42 [verweist darauf, daß] bei jeder Gleichheit [zu beachten ist] (1) eine (wenigstens individuelle) Verschiedenheit, (2) ein Moment, welches gemeinsam ist, eine Übereinstimmung im allgemeinen. Das Erste kann nicht empfunden werden wegen der Negation, das Zweite [nicht] wegen der Allgemeinheit. NB. Ähnliches (oder mehr) wäre geltend zu machen, wenn man von einer Empfindung von Gleichheit sprechen wollte. d) Wiederum liegt oft eine Konfusion und Verwechslung vor, wenn man von einem "Raumsinn" spricht, den wir hätten. In gewissem Sinn mag es ja richtig sein, daß wir Raumempfindungen haben, ja vielleicht, daß alle Empfindungen Raumempfindungen sind, insofern alles Empfundene lokalisiert erscheint. Diese Raumempfindung ist dann zugleich auch eine Qualitätsempfindung, Farben[empfindung], Wärmeempfindung oder dgl. und vielleicht noch anderes mehr. Dagegen reden viele so, als ob sie eine eigentümliche Klasse von Empfindungen hätten, welche Raumempfindungen seien und nichts weiter. Dies aber ist falsch. Man verwechselt eine supraponierte Vorstellung mit einer fundamentalen und eine allgemeine mit einer individuellen . (Ein Raum, von der qualitativen Differenzierung abgesehen, ist etwas Unbestimmtes, Allgemeines, [etwas] noch entgegengesetzter Differenzen Fähiges. Aber [es ist] unmöglich, ihn sich anschaulich vorzustellen, ohne erfüllende Qualität mit vorzustellen. Manchmal denkt man bei Raumsinn auch an noch anderes; man meint dabei die Feinheit des örtlichen Unterscheidungsvermögens. "Der Raumsinn der Zunge ist feiner

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als der des Rückens" u.dgl. "Der Raumsinn vervollkommnet sich durch Übung" u.dgl. Es ist klar, nach der früheren [Bestimmung], daß man es bei der Betätigung dieses sogenannten Sinnes nicht mit einem "Empfinden" in eigentlicher Bedeutung zu tun hat. e) Ebenso verwirrend ist der Ausdruck Zeitsinn. Eine Zeitempfindung kann es nicht geben. Nicht einmal als Ingredienz, wie die Räumlichkeit, kann das Zeitliche Bestimmtheit eingehen. (Vielmehr [ist es) Sache der ursprünglichen Assoziation; [es ist] nicht "real"). Und doch deutlicher ist's, daß sich's für die Tätigkeit des sogenannten Zeitsinns nicht um Empfindung im eigentlichen Sinn handelt, wenn man sieht, daß man dabei an eine Fähigkeit, Zeiten richtig zu bemessen, denkt. ([Dies ist ein] Fakt; auch bei gewissen Geisteskranken, wenn sie zwischen längst Vergangenern und gestern Geschehenem nicht unterscheiden können; [man sagt,) sie hätten den Sinn für Zeiten verloren). Es handelt sich um ein Analogon des Augenmaßes. f) Daß man bei Ausdrücken wie Kunstsinn, Sinn für Wissenschaft, Politik u. dgl. nicht an eine Empfindung in der von uns umschriebenen Bedeutung zu denken hat, ist klar. Es handelt sich dabei um Lust oder Talent zu richtigem Urteil oder [um] beides. g) Aber auch wenn man von Farbensinn sprechen hört, muß man nicht glauben, daß es immer mit einer Empfindung im wahren Sinn des Wortes zu tun habe. Es kann Gefühl für Kolorit, Farbenharmonie gemeint sein. Andere Male dagegen bezieht es sich wohl auf die Empfindung selbst. So, wenn ich von einem Rotblinden sage, er habe einen unvollkommenen Farbensinn. Es will das sagen, daß er gewisser Farbenempfindungen nicht fähig sei, die bei andern vorkommen. Nur muß man sich beimAusdruck Farbenempfindungnicht darüber täuschen, daß hier Ähnliches wie bei "Raumempfindung" gilt. Wie man keine reine Raumempfindung hat, so auch keine reine Qualitätsempfindung. Auch sie wäre etwas unbestimmtes Allgemeines; während jede Empfindung bestimmtes Individualisiertes zeigt. Wie die Raumempfin-

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Anhang III

dung zugleich qualitativ, so muß die Qualitätsempfindung zugleich lokal determiniert sein. 26. Noch ein Fall sei erwähnt, wo man oft Empfindung mit solchem, was nicht Empfindung ist, konfundiert. Man spricht von Sinnestäuschungen. Und mancher meint dabei wohl, das Vermögen der Empfindung sei es, was hier einer Täuschung unterliege. Aber [das ist] unmöglich, da alle Täuschung, d.h. aller Irrtum, in ein Urteil sich findet; die Empfindung aber ist Vorstellung! Aktiv mag sie täuschen; einer Täuschung unterliegen [kann sie] nicht. Die Empfindung mag Vorstellung von etwas sein, was nicht wirklich existiert. Aber das ist keine Täuschung. Eine Empfindung, die gemeiniglich als Zeichen von etwas genützt wird, mag einmal auftreten, ohne daß dies besteht. Aber das ist höchstens aktive Täuschung. Aber vielfach [ist man sich darin] nicht klar. Zeichen [dafür sind] der Pleonasmus, [die] Urteilstäuschung. 27. Dies dürfte [genug sein] gegenüber den Äquivokationen [, um sie] in dem Gebrauche des Worts Empfindung und des Wortes Sinn (welcher in so enger Beziehung zu ihm steht) zu schützen. 28. In dem, was wir da ausführten[, ist] noch eine besondere Eigenheit der Empfindungsinhalte involviert, die wir jetzt ausdrücklich und schärfer hervorheben wollen. Wir haben gesagt, jeder Empfindungsinhalt sei individuell, bestimmt. Diese Bestimmtheit besitzt er dadurch, daß er in eigenrümlicher Weise konkret ist. Er wächst aus einer Mehrheit von Teilen, die wir in gleicher oder analoger Weise bei jedem Inhalte einer Empfindungsvorstellung, so verschieden sie auch sein mögen, wtederfinden. Ich habe an diese Teile schon im Vorausgehenden gerührt, ohne doch Vollständigeres darüber zu berichten, wie wir es jetzt tun wollen. Und so sage ich denn: Jeder Inhalt einer Empfindung zeigt sich als ein Konkretum: a) Aus einer örtlichen Eigenrümlichkeit, einer Räumlichkeit von drei Dimensionen.

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b) Aus einer Qualität, die in keinem Teile der Räumlichkeit fehlt, wenn sie auch an verschiedenen Stellen variieren mag. In Betreff ihrer wird zu untersuchen sein, ob sie nicht selbst noch ein Konkretum aus mehreren [Teilen enthält, z.B.] Helligkeit (Höhe); Qualität im engern Sinn; ferner, wie der Unterschied von Sättigung (Rundung) und von Glanz und Schimmer u.dgl. sich dazu verhält. c) Aus einer Helligkeit (oder einem Analogon derselben, wie der Höhe des Tones), wovon dasselbe gilt, was von der Qualität gesagt-wurde. d) Aus einer Intensität, die auch vielleicht mannigfach variierend an keinem Teile des Empfindungsraums fehlen kann. Hiermit [will ich mich] jetzt begnügen, ohne zu behaupten, daß [die Fragen] erschöpfend [behandelt seien].

ANHANG IV

PSYCHOGNOSTISCHE SKIZZE*

I. EINLEITIJNG

1. Jeder von uns erscheint sich selbst in persönlicher Einheit und Besonderheit; was diese Einheit und Besonderheit ausmacht, nennen wir unsere Seele. Diese Seele zeigt sich in mannigfacher Tätigkeit; sie beginnt und hört auf in einer Weise tätig zu sein, während sie in anderer Weise unverändert tätig bleibt; sie wird als tätig gewirkt und ist als tätig wirksam, also wesenhaft [wahrgenommen]. Wir sprechen in dieser Beziehung von einer Mehrheit von Seelentätigkeiten. Indem sie tätig ist, hat sie etwas zum Gegenstand. DESCARTES hat dieses Zum-Gegenstande-Haben als Denken (im allgemeinsten Sinne), andere haben es als Bewußtsein (im allgemeinsten Sinne), wieder andere als geistiges Gegenwärtig-Haben, geistiges Inhaben, wieder andere als intentionale Beziehung und noch andere noch anders bezeichnet. Wir wollen es der Kürze und Deutlichkeit Rechnung tragend Gegenständlichhaben und das Korrelat Gegenständlichsein nennen. Es besteht darin die spezifisch seelische Beziehung, die Seelen-Beziehung xaT' t;oxiJv. 2. Hiernach ist klar, daß unser Wissen von der Seele, von der Seelentätigkeit und von der Seelenbeziehung zum Bereich einer Wissenschaft gehört. Und man kann hiernach die Psychologie recht wohl als die Wissenschaft von der Seele, aber ebenso gut als die Wissenschaft von den seelischen Tätigkeiten und wieder als die Wissenschaft von den seelischen Beziehungen definieren. Am deutlichsten definiert man sie als die Wissenschaft von der Seele, den seelischen Tätigkeiten und den seelischen Beziehungen. Die Definition als die Wissenschaft von den seelischen Beziehungen ist, da man sie nicht genügend von den seelischen Tätigkeiten schied (Leugnung der Allgemeinheit ihres Bestan' Entwurf einer Psychognosie, begonnen am 4. September 1901 und beendet am 7. September 1901. Aus dem Nachlaß. Registriert als Ps 86.

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des; Widerlegung), kaum jemals in klarer Weise aufgestellt worden. Die Definition als Wissenschaft von der Seele ist in neuerer Zeit als "metaphysisch", was so viel sagen soll, als durch keine Erfahrung gerechtfertigt, oder gar als "scholastisch" gebrandmarkt worden. Man hat aber doch nur seiner eigenen Unfähigkeit Ausdruck gegeben, der wirklichen Erfahrung analytisch gerecht zu werden. 3. Die Psychologie zerfällt naturgemäß in zwei verschiedene Disziplinen, Psychognosie und genetische Psychologie. 4. Merkmale der Psychognosie: a) tiefgreifende Differenzen zur genetischen Psychologie, b) relative Selbständigkeit der Psychognosie, Priorität; annähernd rein psychologischer Charakter ihrer Sätze; Exaktheit. c) Selbständiger Wert, d) Schwierigkeit: [ihre] Unmerklichkeit; Mißdeutlichkeit; Beschränkung auf eine Person; daher [hat sie] nur analoge Gültigkeit für andere; Messungsschwierigkeit. Wie [gelangt man dabei zur] Vollständigkeit? 5. Methode [der Psychognosie]: a) Ordnung, b) psychol[ogische] Mikroskopie, c) Analogie, d) deduktiver Ersatz, e) genetisch-psychol[ogische], physiologische und physikalische Hilfsmittel; f) dies auch zur Vollständigkeit des Überblicks: nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu; Eingangspforten; g) Zählung der 'ebenmerklichen Differenzen; Deutung des WEBER'schen Gesetzes. [... ] II. VON DEN SEELISCHEN BEZIEHUNGEN 1. Sie scheiden sich nach den Gegenständen und nach den verschiedenen Weisen der Beziehung zum gleichen Gegenstand. 2. Von den verschiedenen Weisen der Beziehung:

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a) Die Beziehungen sind vielheitlieh oder einheitlich. b) Die Beziehungen sind explizit oder implizit. [... ] c) Die Beziehungen sind kompliziert oder einfach. Es will dies nicht sagen, daß sie bald eine, bald mehrere seien (das würde keinen Grund zu einer Klassenbildung geben, oder nur etwa unter a) zu subsumieren sein); ich denke hier vielmehr an Fälle, wo gewisse Beziehungen von anderen Beziehungen untrennbar sind: entweder gegenseitig oder einseitig. (Gegenseitig wie: Vorstellen von Korrelativen, evidentes Anerkennen von Korrelativen u.dgl.; einseitig wie: Urteilen und Vorstellen, sich über etwas freuen und es für wahr halten; und wieder innerhalb des Urteilens Prädizieren oder Absprechen und einfaches Anerkennen des Subjekts; sowie Schliessen und Urteilen der Prämissen; und innerhalb des Gemütsbeziehens: Begehren um eines anderen willen und Begehren dieses anderen). d) Die Beziehungen sind Vorstellens-, Urteilens- und Gemütsbeziehungen, von welchen die zwei letzteren zu Untereinteilungen Anlaß geben, nach den verschiedenen Gegenständen: Die Gegenstände sind teils Phänomene, teils begriffliche Gegenstände. (Konzeptualismusfrage; Widerlegung . des Nominalismus). e) Sie sind ferner teils physische, teils psychische. f) Sie sind endlich teils absolute, teils relative. [Sie sind] multiple Beziehungen (deren eine von der anderen unzertrennlich ist) in Sein und Denken und Erkennen. 3. Die Weise des Vorstellens unterliegt keinen weiteren Untereinteilungen; nur [eine] Kreuzung mit: vielheitlieh und einheitlich; kompliziert und einfach; explizit und implizit [ist möglich]. [Als] Einwände dagegen [werden vorgebracht, die Vorstellung könne] a) allgemein und bestimmt, b) deutlich und undeutlich, c) eigentlich und uneigentlich, d) anschaulich und unanschaulich [sein]; [sie beinhalte] e) Sensation und Phantasie, [sowie] f) Intensität.

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4. Dagegen hat man viele Unterteilungen der Urteils- und der Gemütsbeziehungen. 5. Urteilsbeziehungen: a) Bejahen und Verneinen (Behaupten und Leugnen); b) Setzen oder einfaches Leugnen und Prädizieren oder Absprechen; c) unmittelbares Urteilen und Schließen; d) unmotiviert und motiviert urteilen (wozu auch das [gehört, was wir] aus dem Begriff erkennen); e) apodiktisch und assertorisch [urteilen]; f) evident und blind [urteilen]; g) Zeitdifferenzen. Bei allen Urteilen [ist] ein zeitlicher Modus [involviert], bei vielen ein vielheitlicher, wie sie selbst dann vielheitlieh sind. 6. Die Unterschiede des Überzeugungsgrades beruhen auf Unterschieden der Objekte. [Es bleibt die Frage], ob [es] sonst Intensitätsunterschiede [gibt] und worin sie bestehen. 7. Die Unterschiede der sog[enannten] Qualität [beruhen] auf Unterschieden der Qualität bei unbestimmtem Gegenstande. 8. Die Unterschiede der Relation [beruhen] auf Unterschieden der Objekte und dem, was wir über die Einfachheit und Kompliziertheit gesagt haben. 9. Die Unterschiede von direktem und indirektem Urteil beruhen auf Unterschieden der Objekte; z.B. Gott ist; es ist wahr, daß Gott ist (= wer urteilt, Gott sei, urteilt richtig). 10. Die KANT'sche Einteilung in analytische und synthetische [ist] konfus. Nachweis ihrer Mängel. 43 [Dagegen ist eine] Rückführung [dar]auf, [was] aus den Begriffen evident [ist] und nicht, [nötig]. Klassen der aus den Begriffen evidenten [Urteile sind] a) [die] Leugnung des Kontradiktorischen. Hierin [liegt] das prinzipium indiscernibilium. Hierin [liegt] das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten; [... ] b) [die] Leugnung der Vereinigung positiver Gegensätze; c) [die Leugnung] des Überbestimmten; d) [die] Leugnung des Unbestimmten; e) [die] Leugnung, daß [es] ein Urteil [gibt], welches nicht bejahend oder verneinend; apodiktisch oder assertorisch;

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vergangen, gegenwärtig, oder zukünftig [ist]; f) [die] Leugnung, daß Gutes schlecht, daß Wahres falsch [ist]. Anm.: Kontrad[iktionen sind]: [der] pos[itive] Ausschluß des Dritten. [Ein] Urteil [ist] bejahend oder verneinend. Gemütsb[eziehungen sind] Liebe oder Haß. Zeit [ist entweder] Vergangenheit [oder] Gegenwart [oder] Zukunft. [Urteile sind] apodiktisch oder assertorisch. Größe [ist] discretum oder continuum. 11. Perzipieren oder Apperzipieren läuft auf implizit oder explizit, vielheitlieh oder einheitlich zurück. 12. Unterscheiden (gegenseitig absprechen). 13. Disjunktiv urteilen geht zurück auf Unterschiede des Objekts. A oder B ist = eines von A und B ist. 14. Zählen (vide den früheren Aufsatz "Von der Zahl"). 44 15. Gemütsbeziehungen: Sie sind abgesehen von Unterschieden durch Kreuzung der Einteilung in Vorstellen, Urteilen und Gemütsbeziehung mit anderen Gesichtspunkten der Einteilung (wie explizit und implizit etc. etc., s.o.) Unterschiede, die durch die Unterschiede der Gegenstände gegeben sind schon durch den Umstand, daß bald ein reines Vorstellen, bald ein Vorstellen und Beurteilen des Objekts, auf welches sie sich beziehen, gegeben ist und wo dies, das Urteil, mannigfachen spezif[ischen] Unterschieden unterliegt [und so] sehr mannigfaltig [ausfällt]. So z.B. [bei] einfacher Liebe und Freude oder Hoffnung oder Sehnsucht oder [bei einfachem] Willen. 16. Es kommen dazu aber noch andere exclusive Spezifizierungen [der Gemütsbeziehungen]. a) Lieben und Hassen [ist] analog [dem] Bejahen oder Verneinen. b) Einfaches Lieben oder einfaches Hassen und Vorziehen oder Nachsetzen. (Amor cui et cuius und bloßer amor cuius). c) Um seiner selbst willen - um eines anderen willen [lieben], (analog unmittelbar urteilen und schließen). d) Motiviert lieben - unmotiviert lieben (analog motiviert und unmotiviert urteilen). Motiviert [ist etwas] oft auch durch Vorstellen, aber nicht immer. Wenn ich apperzipiere, so wird nicht durch Vorstellen motiviert, aber es ist doch ein motiviertes Urteil. Ich sehe den Baum und apperzipiere mein

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Sehen; so merkt man, daß das Sehen die Apperzeption in mir bewirkt, sie ist aber durch den Bestand des andern motiviert, nicht durch den Begriff. Wenn ich motiviert das Mittel liebe, ist es nicht durch den Begriff motiviert, sondern durch das Urteil. e) Als richtig charakt[erisiert] - oder nicht als richtig charakt[erisiert]. ([Es besteht eine] Analogie zu dem, was in Fällen von Evidenz aus den Begriffen vorliegt; natürlich nicqt ein Analogon des Einsehens, aber [ein] Analogon des als Richtig-erkennbar-Seins. Die als richtig char[akterisierte] Liebe ist als richtig kenntlich. So ist auch das (evidente] Urteil als richtig kenntlich). Darf man etwa sagen: Analogon des als seiend berechtigt erkennbaren Seins ist das als gut berechtigte Liebbarsein, welches dann dazu führt, daß es als ein als Gutes, richtig Liebbares, erkannt werden kann? NB. ,Als gut berechtigt liebbar' ist dann ein Analogon des ,für existierend haltbar'. 45 17. Wille ist in seiner Besonderheit auf Unterschiede der Gegenstände und die dem Gemütsakte zugesellten Urteilsbeziehungen zurückzuführen. Es scheint das Wollen immer ein mittelbares Lieben (durch mein Handeln [etwas] verwirklichenwollend lieben). 18. Ähnliches gilt dann natürlich vom Wählen, wo [die] Unvereinbarkeit der Realisierung [einer Wahl] durch mein [als richtig charakterisiertes] Lieben [aufgezeigt wird]. 19. Reue, Vorsatz - haben besondere Abhängigkeit von Zeitdifferenzen im zugrundeliegenden Vorstellen und Urteilen. 20. Intensität der Gemütsbeziehungen. 21. Wenn man vom Inhalt einer Vorstellung, eines Urteils, einer Gemütsbeziehung spricht, so denkt man daran, was darin beschlossen ist. Natürlich ist das ganze Vorgestellte selbst in sich beschlossen und zwar explizit, aber vieles andere [einzeln] Vorgestellte implizit (Bemerken des Baumes, impl[iziert das Bemerken] der Blätter). Ebenso das Geurteilte. Aber in ihm sind ([neben] anderen implizit Geurteilten) auch das Vorgestellte als solches; somit gehört dies zum Inhalte des Urteils; ferner, wenn apodiktisch geurteilt wird, auch das assertorisch Geurteilte. Ferner, wenn evident [geurteilt wird], auch das blinde (hier ist

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nur ein Teil des Inhalts entfallen, nämlich die Sicherheit). Zum Inhalt des negativen Urteils: ,A ist nicht', gehört: ,AB ist nicht'. Zum Inhalt des affirmativen Urteils: ,AB ist', gehört: ,A ist'. Das Zeitmoment differenziert den Inhalt des Urteils; das Motiviertsein trägt dazu bei; das prädizierende Urteil scheint mit einem setzenden den gleichen (oder äquivalenten?) Inhalt zu haben, wenn man nicht vorzieht zu sagen, beim präzidierenden Urteil hätten zwei Urteile einen, jenem ihnen äquivalenten setzenden Urteil, gleichen Inhalt. (Es gibt einen roten Stein - ein Stein ist rot). Ähnlich beantwortet sich die Frage nach dem Inhalt von Gemütsbeziehungen. 22. Hinsichtlich der Einteilung der Seelischen Beziehungen nach der Verschiedenheit ihrer Gegenstände wurde bereits gesagt, daß sie zunächst in zwei Klassen zerfallen: a) in Beziehungen zu Phänomenen, b) in Beziehungen zu begrifflichen Gegenständen. 23. Weiter [wurde gesagt), daß die Beziehungen zu Phänomenen sich scheiden in Beziehungen a) zu physischen, b) zu psychischen Phänomenen. 24. Hier ist nun zu beachten, daß sich physisches und psychisches Phänomen auch in einem Gegenstande konfundieren können. 25. Ja, Ähnliches muß auch für Phänomen und begrifflichen Gegenstand zugegeben werden; für eine Apperzeption kann sich der Gegenstand aus Phänomen und Begrifflichem zusammensetzen. 26. Um die Klassifikation zu vervollständigen, füge ich bei, daß die Beziehungen zu [physischen) Phänomenen sich scheiden können nach qualitativen und örtlichen Differenzen, sowie, daß die Qualitäten teils generisch, teils spezifisch sind, während die örtlichen nur einmaliger Differenzierung unterliegen. Die qualitativen Differenzen werden daher mit Recht als die vornehmeren betrachtet und vor allem bei der Klassifikation maßgebend gemacht. 27. Die physischen Phänomene erscheinen auch als dauernd oder sich verändernd mit mehr oder minder Geschwindigkeit und in ihren zeitlichen Bestimmungen, allerdings innerhalb sehr enger Grenzen, als gegenwärtig oder mehr oder minder vergan-

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gen differenzien, was damit zusammenhängt, daß sie alle nicht bloß vorgestellt, sondern auch anerkannt psychisch in uns vorhanden sind. Doch das ist etwas, was für physische wie psychische Phänomene in gleichem Maße gültig ist. 28. Nach den Gattungen der physischen Phänomene scheiden sich die Sinnesgebiete [... ]. 29. Die Beziehungen zu psychischen Phänomenen unterscheiden sich nach den Differenzen der psychischen Akte. W\r [... ] sehen, daß diese teils sinnliche, teils übersinnliche sind; ferner, daß die sinnlichen teils Perzeptive, teils .1\pperzeptive sind; wiederum, daß die Perzeptiven teils Sensationen im engeren Sinne, teils Affekte sind; und dann, daß die übersinnlichen psychischen Akte primär teils auf anschaulich - teils auf prädikativ einheitliche Gegenstände gehen; ferner, daß sie sich auf dieselben teils rein vorstellend, teils uneilend, teils durch Gemütsbeziehungen richten, während sie sekundär reine Denkbeziehungen zeigen. Man könnte sie hiernach auch in reine Denk- und Gemütstätigkeiten scheiden. 30. Hieraus ergibt sich dann die ganze Mannigfaltigkeit aller unserer psychischen Phänomene. [... ]

ANHANG V

PSYCHOGNOSTISCHE SKIZZE. ANDERE BEARBEITUNG • I. PSYCHOGNOSIE

1. Die Seele des Menschen. [Siehe Psychognostische Skizze, Anhang IV]. 2. Wert der Wissenschaft von der Seele [Ihr Bereich ist die] ganze Innenwelt. Von hier aus [erreicht man die] Sicherung der Außenwelt. Die Logik, Ästhetik, Ethik, Pädagogik, Politik und praktische Dependenz [gehen von hier aus]. Die Unsterblichkeitsfrage, [das Erfassen] Gott[es] in Analogie zur Seele, die Begriffe Ursache, Wirkung (Zweck, Mittel) [erlangen] hier ihre Klärung. Unmitt[elbare] evidente Apperzeption [können wir] einzig von seelisch Wesenhaftem (u.s. unwesenhaften Korrelaten) [haben]. Die [Annahme der] Außenwelt [ist] zunächst hypothetisch. [Es ist die Frage,] in welchem Sinne ihre Erkennmis auf äußerer, in welchem sie vielmehr auf innerer Erfahrung ruht. 3. Methode Im allgemeinen [ist sie] die der Naturwissensch[aft mit] Erfahrung [als Grundlage]. Aber damit [ist] wenig gesagt. Wie verschieden [sind doch] die Methoden der verschiedenen Zweige der Naturwissenschaft! Jeder muß mit der Besonderheit und den besonderen Schwierigkeiten des Gegenstandes rechnen. 4. Welches [sind] die Schwierigkeiten hier? a) Unterschied von Perzeption und Apperzeption: Einschließlich Apperzipiertes ist nicht wirklich apperzipiert. Perzipiertes als solches ist nicht apperzipiert. Bedingungen des Apperzipierens [sind zu berücksichtigen]. Was immer zusammen ist, ist nicht gesondert apperzipierbar. [Die] Lokalisation der Sinne [ist zu beachten]. (Gehörgefühle). Das Tier apperzipiert nicht gesondert von stark Assoziiertem. [Man beachte die] Unapperzipierbarkeit kleinerer Teile des Sinnesfeldes [, die zu klein sind,] als [daß dar] auf eine ' Aus dem Nachlaß. Registriert unter Ps 86 (wie Anhang IV).

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b)

c)

a)

b) c) d) e)

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Nervenerregung kommt. Auch Größeres [ist] noch unmerklich klein. [Es handelt sich um ein] vergleichendes Verfahren zur Apperzeption der Merkmale. [Die] Unmöglichkeit der Apperzeption der Seele (dessen, was mein und dein unterscheidet) [stellt eine weitere Schwierigkeit dar]. ZUSATZ: Schwierigkeit der Vollständigkeit: Beachtung der Quellen in der Wahrnehmung, [im] Empfinden und Bemerken; unbemerktes Empfinden; unbemerkter Affekt; unbemerkte Verhältnisse; Merkmale (nicht unbemerkter Begriff); Unapperzipierbarkeit der Merkmale des psychischen Aktes, seiner Seiten im Akt selbst; Mißdeutlichkeit. Beschränkung des direkten Erfahrungsgebietes auf eine Person; Daltonismus 46 etc.; Stärkung des Seelenzustandes durch das Forschungsstreben; Unverträglich[keit des] Zorns etc. Folgen [sind] bloß analoge Gültigkeit der Seelenerkenntnis (Autognosie) für jeden anderen. Verwicklung; Abhängigkeit von physiolo[gischen] Prozessen; die Physiologie [erklärt] die verwickeltsten Naturerscheinungen; zurückgebliebener Zustand der Gehirnphysiologie. 5. Methodische Mittel Ordnung: Vom Einfacheren zum Komplizierteren; Scheidung von Psychognosie (Analyse der Phänomene des menschlichen Geistes) undgeneti[scher] Psychologie; Begriff der einen und anderen; tiefgreifende Differenzen [beider]; schier rein psych[ischer] Charakter der Sätze; schiere Unabhängig[keit] von Physiologie. [... ]. Wir [beschäftigten uns] hier nur [mit] Psychognosie. Die Aufgabe [ist] groß genug und der Wert [ist] nicht bloß als Grundlage der anderen, sondern auch in sich [zu sehen]. [Es sei verwiesen auf die] große praktische Bedeutung der Logik, Ethik, sodann auch [auf die] nur für sie näheren method[ischen] Regeln, außer der eben erwähnten. Psychol[ogische] Mikroskopie; Analogie, z.B. Helligkeit; gut und wahr; Rückblick auf Früheres; häufiges Zurückkommen, größere Übersichtlichkeit; Fixierung des Phänomens durch phys[iologische] Mittel;

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f) Erschließen des definitiv Unbemerkten und Unbemerkbaren; Beispiel: Klanganalyse, Vokale, Seele; Empfindungskontinuität. II. PSYCHOLOGIE 1. Die Psychologie ist die Lehre von der Seele. 2. Als solche hat sie vor allem die Aufgabe, die Seelenerscheinungen zu analysieren, um zu den Teilen zu gelangen, aus welchen sich alle menschlichen Seelenerscheinungen zusammensetzen und jeden von ihnen nach der Mannigfaltigkeit seiner Merkmale zu bestimmen. Hiermit mag sie etwa auch noch die Feststellung der Verträglichkeit oder Unvereinbarkeit, Trennbarkeit oder Untrennbarkeit gewisser Teilerscheinungen verbinden. Diesen Teil der Psychologie nennen wir Psychognosie. Dann hat sie das Gesetz darzulegen, nach welchem die Seelenerscheinungen entstehen und vergehen. Auch die Frage, ob, wenn die Seelenerscheinungen, auch die Seele selbst aufhöre, mag sich hieran anschließen, sowie die nach dem Anfang oder der Anfangslosigkeit, dem Ende oder der endlosen Fortdauer derselben und eventuell die nach der Weise ihres Bestehensund ihrer Lebensbetätigung nach der Auflösung des Leibes. Diesen Teil der Psychologie nennen wir genet{ische] Psychol[ogiej. 3. Unterschiede zwischen beiden Man erkennt leicht, daß die beidenTeile der Psychologie sich natürlich scheiden. Der erste ist annähernd unabhängig vom zweiten, während dieser durchwegs den ersten, oder gewisse Wahrheiten, die ihm zugehören, voraussetzt. (Völlige Unabhängigkeit besteht nirgends, auch nicht für die Mathematik gegenüber der Mechanik und für diese gegenüber der Optik). [... ] So ist denn die Anwendung von gewissen Mitteln zur Erweckung bestimmter zu beobachtender ps[ychischer] Phän[omene] bei der Analyse unentbehrlich. Die Sätze der genet[ischen] Psych[ologie] haben einen psycho-physischen Charakter; die Sätze der Psychognosie einen angenähert rein psychischen. Ich sage "angenähert"; denn ein phys[isches] Moment ist nicht auszuschließen; handelt es sich doch um die

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psych[ischen) Erscheinungen innerhalb des diesseitigen Lebens. Im Jenseits mögen sie beträchtlich andere sein. Die Sätze der genet[ischen] Psychol[ogie] sind, man kann sagen, durchwegs unexakt. Sie gelten nur für den Durchschnitt der Fälle. Irgendwelche Ausnahme bleibt möglich. Die Sätze der Psychognosie sind ganz ausnahmslos gültig. 4. Ist die Psychognosie die Lehre von den Elementen des Seelenlebens? Die Bestimmung ist nur dann richtig, wenn man gewisse Ausdrücke in freier Weise, in uneigentlichem Sinn anwendet. Denn vor allem steht Leben hier im Sinne von: Phänomene der lebenden Seele. Und dann ist unter "Element" nicht durchwegs ein letzter, unteilbarer Teil zu verstehen. Ein solcher findet sich zwar vielleicht in jeder psych[ischen] Erscheinung, aber jedenfalls sind außer ihm auch andere da, welche ins Unendliche teilbar sind. Auch noch aus einem anderen Grunde erscheint der Ausdruck "Element" hier in uneigentlichem Sinne gebraucht. Es lassen sich nämlich in den psych[ischen] Komposita nicht gegenseitig vollständig ablösbare Teile unterscheiden; vielmehr ist ein Teil vollständig ab lösbar, die anderen aber von diesem gar nicht ablösbar; es kann nur das Ganze auf den einzig ablösbaren mehr und minder und im äußersten Fall vollständig reduziert werden. (Vgl. mit einem Relativum, wie z.B. ein einem anderen gleichfarbigen und dem farbigen, welches es selbst an sich ist). Dagegen sind die Teile, bis zu welchen die Analyse des Psychognosten zurückgeht, in gewisser Weise ein Äußerstes und Erstes, nämlich ein Erstes, zur Beschreibung des Gesamtcharakters eines Seelengebietes Unentbehrliches. So muß man z.B. die Seele als Sehendes eines Objektes von der Ausdehnung des Gesichtsfeldes unterscheiden, nicht aber weiter jedes Trillionstel dieses Sehenden, welches auf je ein Trillionstel dieses Feldes gerichtet ist. Mit dem Rückgang auf jenen Teil ist genug getan; er aber war unentbehrlich. 5. Wert der Psychognosie a) in sich; b) für die genet[ische] Psychol[ogie]; c) für die Metaphysik (Theologie und Kosmologie); d) für die Ethik;

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e) für die gesamte theoretische und praktische Philosophie; f) DESCARTES' und LEIBNIZ' characteristica universalis. 6. Die Psychognosie [als] eine Erfahrungswissenschaft Es gibt Wissenschaften, die, nach der sententia communis wenigstens, völlig a priori sich aufbauen. Die Psychognosie vermag das jedenfalls nicht. Auch sie muß von unmittelbar Evidentem ausgehen. Aber das sind unmittelbar evidente Tatsachen, nicht apodiktischen, sondern rein assertorischen Charakters. Es sind das die Tatsachen, auf denen in ihrer Weise jede Erfahrungswissenschaft ruht. Denn jede muß von Tatsachen ausgehen, die unmittelbar evident sind. Solche besitzen wir aber nur in der Wahrnehmung unserer psychischen Zustände, d.i. in der Erkenntnis dessen, was uns psychisch erscheint. Es ist wahr, daß wir von Natur geneigt sind, auch anderes als unmittelbar sichere Tatsache anzunehmen. Wie einer sich selbst als Sehenden, so erkennt er immer auch ein Gesehenes, und zwar nicht bloß als von ihm Gesehenes (denn als solches ist es notwendiges Korrelat seiner selbst als eines Sehenden), sondern als Wirkliches, z.B. als ein räumlich ausgedehntes Rotes, unmittelbar an. Aber indem er das tut, urteilt er blind. Unmittelbar evident ist die Existenz jenes wirklich Roten nicht; vielmehr nur die seiner selbst als eines jenes Rote Sehenden und jenes Roten als einer von ihm gesehenen [Existenz]. (So verurteilt der Forscher bei näherer Erwägung durch ein evidentes Urteil jenes blinde als logisch unberechtigt, ohne es aber darum zu beseitigen). Ein solches Korrelatenpaar liegt uns in jeder unmittelbar evidenten Erfahrung vor, ein Paar, dessen eine Hälfte ein wesenhaftes, dessen andere ein unwesenhaftes Etwas ist. Das Wesenhafte ist unsere in Relation gesetzte Seele; das Unwesenhafte deren Korrelat; etwas, worauf unsere psychische Tätigkeit gerichtet ist, als solches. 7. Vielteiligkeit der psychischen Erscheinungen und Vielheit ihrer Korrelate Alles Psychische, was wir apperzipieren, ist zusammengesetzt. Es ist ein Akzidens, welches die Seelensubstanz einschließt oder eine Mehrheit von Akzidenzien derselben Substanz, deren jedes sie enthält. Jedes Seelenphänomen hat mehrere Korrelate, ein primäres Objekt und ein sekundäres, welches letztere das gegenständlich gegebene Phänomen selbst ist.

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8. Klassifikation der psychischen Erscheinungen unter psychognost[ischem] Gesichtspunkt Die psychischen Erscheinungen zerfallen in massige [zusammengesetzte] und letzteinheitliche. Jene werden auch sensitive, diese intellektive genannt. Sie zerfallen ferner, je nach der Beziehungsweise zum primären Objekt in vorstellende, urteilende und emotionelle. Streng genommen sind alle psychischen Erscheinungen massig, wegen der Kontinuität, die ihnen als Zeitlicherscheinenden zukommt. Aber von dieser Kontinuität abgesehen, kommt dem begrifflich Denkenden als solchem keine Kontinuität zu, wohl aber dem Sehenden als solchem, Hörenden als solchem und dgl. In bezug auf das sekundäre Objekt sind alle psychischen Erscheinungen urteilend oder emotionell in einer Weise, die immanenter die des Urteilens einschließt. 9. Klassifikation der sensitiven Erscheinungen in Sensationen und Affekte Sie sind entweder Sensationen oder Affekte. Bei jenen ist das primäre wie das sekundäre Objekt blind anerkannt (und so immanenter vorgestellt); bei diesen ist das eine wie andere in einer nicht als richtig charakterisierten Weise gemütlich [qua Gemütsvorstellung] erfaßt (und so immanenter blind anerkannt und immanenter vorgestellt). Der Umstand, daß alle sensitiven Objekte anerkannt erscheinen (wirklich oder immanenter) gibt ihnen den Charakter des als existierend Erscheinenden. Der Umstand, daß alle Affektobjekte emotionell erfaßt erscheinen, gibt ihnen den Charakter von angenehmen oder unangenehmen. 10. Klassifikation der Sensationen Alle Sensationen zeigen räumlich Qualitatives. Als räumlich zeigen die Objekte ins unendlich gehende Unterschiede, welche aber alle koordiniert [sind]. Als qualitativ zeigen sie sich entweder genere verschieden wie Farbiges und Tönendes oder nur specie verschieden wie Rotes und Blaues. Nach den Gattungen der Qualität unterscheiden sich die Sensationsgruppen der Sinne. 11. Gemeinsame Eigentümlichkeiten der Sensationsgruppen der Sinne Bei jeder Sinnesempfindung, welchem Sinn immer sie ange-

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Anhang V

höre, ist das primäre Objekt räumlich ausgedehnt. Hat es in seiner Ausdehnung unmerklich kleine Lücken, so erscheint es verdünnt. Wir sprechen von geringerer Intensität. Die Lückenlosigkeit ist das Maximum der Intensität. Wie unmerklich kleine absolute, so können unmerklich kleine relative Lücken bestehen, wie z.B. beim Wechsel von Blau und Rot in unmerklich kleinen Teilen; dann sprechen wir von Mischqualitäten. Ferner ist, wie zwischen hoch und tief bei Tönen, zwischen hell und dunkel bei Farben ein Gegensatz. Der eine ist dem andern analog, und ein solches Analogon findet sich auf jedem Sinnesgebiet. Wiederum besteht wie zwischen gesättigter und ungesättigter Farbe, auch zwischen Klang und Geräusch ein Unterschied. Der eine ist dem andern analog, und auch ein solches Analogon besteht auf jedem Sinnesgebiete. Wenn ich sagte, zwischen hell und dunkel bestehe ein Gegensatz, so war das ungenau gesprochen. Er besteht eigentlich nur zwischen schwarz und weiß als Extrem des Dunklen und Extrem des Hellen. Alles andere ist ja minder sowohl hell als dunkel. Dabei erscheint Grau als Mischung von Schwarz und Weiß und ist heller oder dunkler grau je nach dem Mischungsverhälmis von beiden. Für eine völlig gesättigte Farbe, z.B. reines Rot, besteht ein Abstand von Schwarz und ein Abstand von Weiß und zwischen dem einen und andem ein Verhälmis. Dieses Verhältnis ist das Maß seiner Helligkeit oder Dunkelheit. Es sei z.B. 3 : 2, so ist dann reines Rot von gleicher Helligkeit wie ein Grau, in welchem Schwarz und Weiß wie 3:2 gemischt sind. Alles reine Rot hat diese Helligkeitsstufe. Sprechen wir von Hellrot oder Dunkelrot, so wird das durch Beimischung von anderen Farben (gesättigten und ungesättigten) erklärlich. In Analogie dazu ist ein absolutes Tonhell und Tondunkel zu denken. Jenem nähern sich die höchsten Töne der Tonleiter, diesem die tiefsten, und augenscheinlich unterscheiden sich diese von Tönen in mittlerer Lage durch geringere Sättigung, nähern sich auch immer mehr einander an, was darauf hinweist, daß, wie Hellrot von Dunkelrot, auch die, welche in verschiedenen Höhenlagen sich durch die Beimischung von anderen Tönen, insbesondere absolutem Tonhell (sozus[agen] Tonweiß) und absolutem Tondunkel (sozusagen Tonschwarz), unterscheiden. Zwischen Qualitäten desselben Sinnes ist, wie der Tonsinn beweist, ein so

Psychegnostische Skizze

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allmählicher Übergang von einfacher zu einfacherer Qualität möglich, daß er uns wie kontinuierlich erscheint, indem die Sprünge unmerklich sind. Wenn das bei dem Gesichtssinn nicht ebenso der Fall ist, so ist das auf unvollkommenere Ausbildung zurückzuführen. Wir sind alle für so viele Farben blind, daß die Abstände der gegebenen reinen Farben sehr merklich sind. Der Abstand der reinen gesättigten Töne der Helligkeit nach ist null oder sehr klein, verglichen mit dem ihrer Helligkeit von der des reinen Tonweiß oder Tonschwarz. Der Abstand der reinen gesättigten Farben ihrer Helligkeit nach dürfte auch null sein, oder er ist doch jedenfalls sehr klein, verglichen mit dem Abstand einer jeden von Weiß einerseits und Schwarz andererseits. [... ]

ANHANG VI

PERZIPIEREN, APPERZIPIEREN, deutlich Apperzipieren, kopulativ Apperzipieren, transzendent Apperzipieren "' 47 1. Wo etwas vorgestellt wird, wird apperzipiert. Ein Perzipieren ohne irgendwelche Apperzeption gibt es nicht. 2. Wird ein Ganzes apperzipiert, so wird nicht immer jeder Teil im besonderen apperzipiert. Er ist aber doch dann im apperzipierten Objekt inbegriffen. Man sagt dann, er sei perzipiert ohne apperzipiert zu sein. 3. Manchmal wird nicht bloß das Ganze, sondern in einer besonderen Apperzeption auch ein Teil apperzipiert. Das eine wie andere Objekt wird dann erfaßt, aber nicht das eine als Teil des andern erfaßt. 4. Aber auch das geschieht manchmal. Dann sagen wir, das Ganze werde nicht bloß dem Ganzen nach, sondern auch noch, insofern es einen Teil enthalte, apperzipiert oder es werde diesem Teile nach deutlich apperzipiert. 5. So kann es denn auch noch vielen andem Teilen nach, ja nach einer Vielheit von Teilen, die zusammen dem Ganzen gleich ist, apperzipiert sein. Es ist dann durchwegs etwas verdeutlicht apperzipiert. Doch bleibt es noch immer mangelhaft deutlich apperzipiert, wenn apperzipierte Teile Teile enthalten, welche bloß perzipiert oder zwar apperzipiert, aber nicht als Teile der Teile apperzipiert sind. 6. Ähnlich wie durch Apperzeption besonderer Teile eines Kontinuums als Teile desselben das Kontinuum verdeutlicht werden kann, kann auch durch Apperzeption besonderer logischer Teile eines logischen Ganzen als Teile desselben dieses verdeutlicht werden. 7. Und auch hier ist dieser Fall von dem andern zu unterscheiden, wo sowohl das logische Ganze als der betreffende logischeTeil im Besandem noch apperzipiert wird, aber nicht als logischer Teil dieses Ganzen. • Aus dem Nachlaß. Registriert als Ps 29.

Perzipieren, Apperzipieren

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8. Der logische Teil hat freilich in diesem Falle das Eigene, daß er, wenn nicht als Teil dieses Ganzen, doch als Teil irgendwelches logischen Ganzen kenntlich bleibt. Daher die unmittelbare Einsicht, daß es z.B. keine Farbe geben könne, welche nicht irgendwie näher differenziert wäre. 9. Zu diesen logischen Teilen gehören nun auch die relativen und kollektiven Bestimmungen im allgemeinen. Wie ein Rotes kann auch ein Röteres als ein minder Rotes und ein zum Teil Röteres, zum Teil minder Rotes erfaßt werden. 10. Die logischen Teile der Relativa und Kollektiva können allgemeiner und minder allgemein sein. Gleich rot einem gleich Roten, gleich groß einem gleich Großen sind beide nicht so allgemein als irgendwie gleich einem irgendwie Gleichen. 11. ARISTOTELES war, scheint es, der Meinung, eine so weitgehende Abstraktion lasse sich nicht vollziehen. Vielmehr sei bei solchem Gebrauche des Wortes "gleich" nicht Synonymie, sondern Analogie gegeben. 12. Allein, was heißt Analogie? ARISTOTELES selbst sagt es: Gleichheit von Verhälmissen, welche in der einen wie anderen Gattung bestehen. Hier ist doch gewiß von Gleichheit in einheitlichem Sinne gesprochen. Sage ich, ein Bejahendes verhalte sich zu einem Verneinenden wie ein Liebendes zu einem Hassenden, so nenne ich das Liebende als zum Hassenden sich verhaltend gleich dem Bejahenden als zum Verneinenden sich verhaltend, also das eine in etwa gleich dem andern und umgekehrt. 13. Und so scheint denn die Abstraktion eines einheitlichen Begriffes "gleich", welcher für jede jener Gattungen transzendent ist, möglich zu werden. Derselbe wird auch in vielen anderen uns gegebenen Gattungen anwendbar sein. 14. Und dasselbe gilt dann ebenso von vielen anderen relativen Begriffen, z.B. Ganzem und Teil. 15. Interessant ist die Frage, ob es auch von den sog[enannten] psychischen Beziehungen gilt, obwohl diese keine eigentlichen Relationen sind. Wenn dies [so ist], können sie auch auf Körper und auf Gott synonym angewandt werden. Richtiger dürfte es sein, daß für uns wenigstens solche Abstraktion unmöglich [ist], und daß wir darum Körpern z.B. nur Analoga zuschreiben können. Ebenso dann Gott.

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Anhang VI

Vielleicht ist es darum auch richtiger zu sagen, solche Körper (und Topoidevon n Dimensionen) und auch Gon würden nicht sowohl "persönlich" als "Persönlichem analog" zu nennen sem.

ANMERKUNGEN DER HERAUSGEBER

1. B. bemängelt die "Unvollkommenheit der bisherigen Untersuchungsmethoden" und fordert, auf dem Gebiet der Farben wie auf dem der Töne die "Einheit der Gattung" zu sehen, der "überall derselbe Sinn" zukomme. Bei Farben wie bei Tönen sind uns gegeben: "der Gegensatz von Hell und Dunkel"; bzw. "Hoch und Tief"; "Sättigung und Ungesättigtheit"; "Mischungen"; "vielleicht Stufen der Mischung"; "vielleicht gleiche spezifische Helligkeit"; "Intensität"; (Psychognostische Skizze (1901), aus Ps 86, 14-16). 2. Johannes Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen, 2 Bde., 1833/40. 3. H. Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundklasse für die Theorie der Musik, Braunschweig: Vieweg, 4. Auf!. 1877, S. 113-193. 4. Im Zusammenhang mit Vokalen spricht Brentano von der "Verschmelzung" beim Hören solcher Töne, auch bei Umlauten wie ä und ö. " ... hier ist die Verschmelzung so innig, daß viele gar nicht ahnen, daß es eine Vielheit von Nebentönen ist". Untersuchungen zur Sinnespsychologie, Hamburg: Meiner, 2. Auf!. 1979, S. 218f. 5. Siehe D. Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, 1. Buch, 4. Teil, 6. Abschnitt, Hamburg: Meiner, 1973, S. 327. 6. Später verwarf Brentano die "Modifikationstheorie" der Proterästhese. Vergangene Erfahrungen, die in der Proterästhese enthalten sind, sind entia irrealia. Und doch bilden sie ein Kontinuum, das von entia realia - wirklichen Dingen, die keine solchen modifizierenden Attribute haben - begrenzt wird. Wie aber können so heterogene Dinge wie entia realia und entia irrealia ein Kontinuum bilden, so "daß Nichtreales von Realem weniger verschieden wäre als Nichtreales von Nichtrealem; ja unendlich von ihm verschieden" wäre? (Brentano an Marty, 1894, zitiert in Kraus: "Zur Phänomenognosie des Zeitbe\\-ußtseins". Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 75, 1930, 1-22; das Zitat steht auf S. 7). Farben und Töne können, da sie verschiedene Spezies sind, kein Kontinuum bilden. Nochmals die Frage, wie DingeiReales und Nicht-Dinge/Nicht-reales ein Kontinuum bilden können: Die "Modifikationstheorie" läßt uns in der Tat mit unserem Problem, so wie es Brentano sah, allein. Sätze, die modifizierende Ausdrücke wie "ein künftiger König" oder "falsches Gold" enthalten,

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Anmerkungen der Herausgeber

können in Sätze umformuliert werden, die diese Ausdrücke nicht enthalten. Dann besagt "ein künftiger König", daß von der Person, die in Rede steht, angenommen wird, sie sei ein König; und "falsches Gold" sagt uns, daß besagter Gegenstand nicht Gold ist, obgleich angenommen werden könnte, er sei Gold. Wenn "vergangen" und "künftig" als modifizierende Ausdrücke angesehen werden, sollten wir, wie Brentano vorschlägt, versuchen, die Sätze, in denen sie erscheinen, in ähnlicher Weise zu umschreiben. Wir werden sehen, daß wir damit nicht vorankommen: siehe Brentanos Brief an Marty vom März 1906, der abgedruckt ist in Die Abkehr vom Nichtrealen, Hamburg: Meiner, 1966, s. 160-165. Überlegen wir eine andere Möglichkeit: Zeitliche Unterschiede innerhalb der Erfahrung sollte man nicht als Unterschiede in den Objekten sehen, deren wir gewahr sind, sondern als Unterschiede in der Art und Weise, wie wir der Objekte gewahr sind. (Dies erinnert an Kants "Kopernikanische Wende" und an die Lehre von der Zeit als "Form der inneren Anschauung". - Doch kann Brentano schwerlich als Anhänger Kants bezeichnet werden. - Der letztgenannte Punkt ist offensichtlich avisiert in Brentanos Doktrin, gemäß der dasjenige, was real ist, genau mit demjenigen koinzidiert, was zeitlich ist oder "in der Zeit"). Es werden also im voraus zeitliche Modi des Bewußtseins angenommen. Brentano dachte zunächst, daß sich solche temporale Modi vornehmlich auf Urteile anwenden lassen. Es ist eine Sache, einen Gegenstand als jetzig (d.h. einfach); eine andere Sache, ihn als vergangen; und wieder eine andere, ihn als zukünftig anzuerkennen. Brentano nahm jedoch nicht nur drei Modi temporalen Urteils an, vielmehr nahm er an, es könne ein Kontinuum temporaler Urteile geben, das zum Ausdruck kommt, wenn man beispielsweise etwas "als vergangen und mehr und mehr vergangen" beurteilt. Das Urteil ist jedoch nicht die einzige intentionale Haltung, die auf Vergangenes und Künftiges gerichtet sein kann. Was wir vergangene oder künftige Ereignisse nennen, können auch Gegenstände der Emotion - von Liebe oder Haß- sein, ohne dadurch Gegenstände des Urteils zu sein. Und sie können einfach Objekte des Denkens sein, ohne dadurch geliebt oder gehaßt, anerkannt oder vetworfen zu werden. Dies bringt Brentano zur Sicht in seiner Spätphase: Der Umstand, daß es temporale Unterschiede innerhalb der Erfahrung gibt, ist eine Funktion nicht so sehr von verschiedenen temporalen Modi des Urteils, vielmehr von temporalen Modi der Vorstellung. Es ist eine Sache, wenn z.B. eine Note als gegenwärtig, eine andere, wenn sie als vergangen vorgestellt wird. Die Urteile, die wir fällen, sind Funktion der Vorstellungen, die den Urteilen zugrunde liegen. Wir könnten über Vergangenes und Künftiges nicht Urteile aussprechen, hätten wir nicht diese temporalen Modi der

Anmerkungen der Herausgeber

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Vorstellung. Das Gleiche gilt auch für die Gemütsbewegungen. Die angemessene Beschreibung der Proterästhese ist demnach: "Indem was vorerst als gegenwärtig gegeben war, mehr und mehr vergangen erscheint, werden nicht andere Obiekte als seiend anerkannt, sondern dasselbe Objekt in anderer Weise, mit einem andern Modus des Anerkennens, anerkannt". (Philosophische Untersuchungen zu Raum, Zeit und Kontinuum, Hamburg: Meiner, 1976, S. 96; vgl. Vom sinnlichen und noetischen Bewußtsein, Hamburg: Meiner, 1974, S. 45-52). Die temporalen Modi des Urteils sind Funktion der temporalen Modi der Vorstellung. Jemand urteilt in einem temporalen Modus, wenn er anerkennt, was in dem entsprechenden tempqralen Modus vorgestellt wird. 7. Das apodiktische Urteil "Es gibt eine Wahrheit" wäre ein affirmatives apodiktisches Urteil. Nach Brentanos Spätphilosophie sind apodiktische Urteile allesamt negativ. Manchmal sagt er, apodiktische Urteile seien diejenigen Urteile, die entweder etwas als notwendig anerkennen oder etwas als unmöglich verwerfen. Er definiert apodiktische Urteile aber nicht dadurch, daß er auf Notwendigkeit und Unmöglichkeit verweist. Vielmehr definiert er Notwendigkeit und Unmöglichkeit durch den Verweis auf das Konzept eines apodiktischen Urteils. Ein apodiktisches Urteil ist nach Brentano ein Urteil, das motiviert ist. "Motiviert ist ein Urteil, wenn es unmittelbar von einem anderen psychischen Phänomen verursacht wird und wir diese Verursachung wahrnehmen. Bei den apodiktischen Urteilen handelt es sich um eine Motivierung durch die Vorstellungsmaterie. Wenn diese Art der Marivierung nicht vorhanden ist, so spricht man von assertorischen Urteilen. Assertorisch deutet also eine bloße Privation an, die Monvierung durch das Vorstellungsmaterial ist nicht gegeben". (Die Lehre vom richtigen Urteil, Hamburg: Meiner, 1956, S. 128f.). Im typischen Fall eines apodiktischen Urteils erwägt man einen bestimmten, aus Komponenten zusammengesetzten Inhalt, z.B. einen Gegenstand, der rund und viereckig ist. Das Denken dieses Inhalts bringt einen unmittelbar dazu, ihn zu verwerfen: Man bemerkt, daß das Denken dieses Inhalts Ursache seiner Verwerfung ist. Und die Verwerfung ist unmittelbar evident. (Siehe dazu Die Lehre vom richtigen Urteil, S. 168). Man verwirft apodiktisch, daß es runde Vierecke gibt: "Runde Vierecke sind unmöglich". So sagt Brentano in Die Abkehr vom Nichtrealen; S. 219f.: "Wo apodiktische Evidenz, besteht immer evidente Wahrnehmung der Kausalität, also ein mehrfaches evidentes Wahrnehmen". Wenn der Denkinhalt unmittelbar bewirkte, daß der Inhalt angenommen wird, und wenn man diese Ursächlichkeit bemerkte, dann wäre

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das apodiktische Urteil affirmativ und man könnte sagen, dieser Gegenstand unseres Denkens sei notwendig. Nun fällen wir aber nach dem späteren Brentano keine solchen affirmativen apodiktischen Urteile, obgleich wir solche fällen könnten. Urteile der Möglichkeit zählen auch zur Klasse der apodiktischen Urteile. Wenn wir urteilten, A sei möglich, verwerfen wir apodiktisch Aussagen, die A (berechtigterweise) verwerfen. Brentano berücksichtigt also Kants Kategorie der problematischen Urteile nicht, die nicht apodiktisch sind und gleichwohl Urteile der Möglichkeit und Unmöglichkeit mit umfassen. Einige Bemerkungen Brentanos legen nahe, seine Theorie der modalen Urteile als expressiv zu bezeichnen; denn sie weist Ähnlichkeiten auf zu den expressiven Theorien des ethischen Urteils, wie sie Mitte dieses Jahrhunderts aufgestellt wurden. Eine expressive Theorie der Ethik besagt, daß Sätze, die ostensiv ein ethisches Charakteristikum von etwas prädizieren (etwa: "Lust ist in sich gut", oder "Stehlen ist verwerflich"), eine gewisse Geisteshaltung zum Ausdruck bringen, aber über die Welt eigendich nichts aussagen. Ethiker, die einer emotiven Theorie der Ethik das Wort reden, halten dafür, daß eine Geisteshaltung, die in ethischen Statements zum Ausdruck kommt, weder wahr noch falsch, weder korrekt noch inkorrekt sind. Brentano jedoch insistiert darauf, daß die apodiktischen Urteile, im Modalsatz formuliert, entweder korrekt oder nicht korrekt sind. Aussagen, die solche Urteile zum Ausdruck bringen, können wahr oder falsch sein. Unsere apodiktischen Urteile sind allesamt negativ; sie sind alle Verwerfungen. Bei der Diskussion des Ontologischen Arguments von Anselm und der Idee Gottes meint er jedoch, daß, könnten wir eine adäquate oder vollständige Idee von Gott haben, dann hätte das Haben einer solchen Idee eine apodiktische Anerkennung zur Folge. "Für uns genügt hier die Feststellung, daß das ,Gott ist' wirklich eine an und für sich unmittelbar einleuchtende Wahrheit wäre für den, dem die adäquate Vorstellung Gottes zu Gebote stünde". (Vom Dasein Gottes, Hamburg: Meiner, 1968, S. 58). Dies wäre aber auch ganz klar die einzige Möglichkeit für ein korrektes affirmatives apodiktisches Urteil. (Siehe Kastils Fußnote 11 auf Seite 533 in Vom Dasein Gottes). Brentanos Nachweis eines notwendig existierenden Wesens bringt keine notwendigen Sätze als Konklusion hervor. Jeder Nachweis ist eine reductio ad absurdum: Eine Prämisse besagt, daß es kontingente Dinge gibt; eine andere, daß es ohne notwendig existierendes Wesen keine kontingenten Dinge gebe; und die assertorische Konklusion ist, daß es ein notwendig existierendes Wesen gibt. 8. "Erkenne ich z.B. einen Spatzen an, so auch einen Vogel, weil

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Vogel logischer Teil des Spatzen ist, und einen Schnabel, weil er physischer Teil des Spatzen ist". (Wahrheit und Evidenz, Hamburg: Meiner, 1974, S. 99). Denken ist also ein logischer Teil von Empfinden; Empfinden ist ein logischer Teil von Sehen; Sehen ist ein logischer Teil von Rotsehen. In seinem Würzburger Metaphysikkolleg sagte B. über logische Teile: "Das logische Ganze ist ein Individuum einer Gattung. Ein logischer Teil ist jeder Teil seiner Definition, also Gattung, Differenz, weitere Differenz (Differenz der Differenz) u.s.f. bis zur niedrigsten Allgemeinheit". Es ist bezeichnend für logische Teile, "daß die distinktionelle Abtrennbarkeit nur eine einseitige ist". (Das unveröffentlichte Würzburger Metapysikkolleg ist im Brentano-Nachlaß an der Brown-University, Providence, R.l., USA, unter der Reg. No. M 96 I und II). Kann man nun die Konzeption der durchwohnenden Teile auf die der logischen Teile zurückführen? Wenn wir von der Räumlichkeit oder Qualität einer Wahrnehmung sprechen, reden wir nicht von den Subspezies der Wahrnehmung oder vom Genus, unter die sie fällt. Die Konzeption. der logischen Teile wird auf andere Weise im Bereich der Wahrnehmung illustriert. Rotsehen z.B. hat Sehen als logischen Teil; Sehen hat Empfinden als logischen Teil; und Empfinden hat Denken als logischen Teil. Analog ist Urteilen logischer Teil von Anerkennen. Die affirmative Qualität wäre jedoch durchwohnender Teil von Anerkennen. "Logische Teile" scheinen angebracht für Spezies und Genera, nicht für individuelle Dinge; und "durchwohnende Teile" für individuelle Dinge und nicht für Spezies und Genera. 9. Brentano bezieht sich hier offensichtlich auf Metaphysik, 1021a, 30. 10. Aristoteles, :tEQL 1j!UXT];, III, 2, 425b, 12: 'E:tEl ö' atoöavoflE"tU ön ÖQÖ>flEV xal axoUOflEV ... Da wir aber wahrnehmen, daß wir sehen und hören ... 11. Was meint Brentano, wenn er sagt, daß jeder psychische Akt sich zum sekundären Objekt hat? Diese Frage hat er im Detail erörtert (in der ersten Ausgabe der Psychologie vom empirischen Standpunkt, Buch II, Kapitel 3 = Bd. I der Ausgabe 1973, S. 199-201); es bleiben allerdings gewisse Schwierigkeiten für die Interpretation. Die plausibelste Erklärung scheint zu sein: Jeder psychische Akt ist von der Art, daß er, wenn er auftritt, für das Subjekt evidentermaßen auftritt. Brentano sagt aber auch, daß nichts evident ist für ein Subjekt, es sei denn, das Subjekt urteilt darüber mit Evidenz. So schreibt er in der vorliegenden Schrift, Evidenz sei "nirgend außerhalb des Urteils zu finden". Brentano würde nicht bestätigen, daß jeder psychische Akt von einem evidenten Urteil begleitet ist zu dem Zweck, daß dieser Akt sich ereignet; denn dies hätte - da das evidente Urteil dann selbst ein psychischer Akt wäre - einen

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Anmerkungen der Herausgeber

infiniten Regreß zur Folge. Und einen solchen Regreß gibt es nach Brentano nicht. Er betont vielmehr, daß die Reihe mit ihrem ersten Glied zu Ende kommt. Er formuliert seine Lehre vom sekundären Bewußtsein überdies für gewöhnlich nicht mit Bezug auf Evidenz, sondern in Sätzen wie: "Im Vorstellen der Farbe [ist] also zugleich ein Vorstellen dieses Vorstellens". "Das Empfinden der Farbe und das Mitempfinden dieses Empfindens gehen auf verschiedene Objekte". Doch auch diese Sätze legen die Gefahr eines Regresses nahe. Brentano will aber nicht sagen, daß jedes Vorstellen Objekt eines anderen Vorstellens sei, oder daß jedes Empfinden Objekt eines anderen Empfindens sei. In welchem Sinne kann nun von diesen Akten ausgesagt werden, sie hätten sich selbst als primäre Objekte? Da Brentano nicht sagt, daß jeder psychische Akt das primäre Objekt eines evidenten Urteils sei, bleibt die Frage: In welchem Sinne kann dann von jedem psychischen Akt ausgesagt werden, er sei für das Subjekt evident- wenn Evidenz nirgends aus der Empfindung zu finden ist? Die Antwort- die Brentano nie explizit gibt- könnte so aussehen: Wenn ein psychischer Akt statthat, kann er für das Subjekt evident sein im folgenden erweiterten Verständnis des Wortes "evident": Jeder psychische Akt ist notwendig von der Art, daß jemand, der diesen Akt vollzieht und gleichzeitig urteilt, daß er ihn vollzieht, dann mit Evidenz urteilt, daß er ihn vollzieht. Wenn man nun sagt, das Empfinden einer Farbe ist stets begleitet vom Mitempfinden dieses Empfindens, sagt man: Das Empfinden der Farbe ist notwendigerweise von der Art, daß, wenn jemand so empfindet und zugleich urteilt, daß er so empfindet, er dann mit Evidenz urteilt. In diesem Sinne kann Brentano sagen, daß jede "psychische Tätigkeit in unsere innere Wahrnehmung fällt". (Hier in Anhang I). Alles Psychische ist notwendig von der Art, daß, wenn es vorkommt, und wenn man zugleich urteilt, daß es vorkommt, man dann mit Evidenz urteilt. Und wenn Brentano hinzufügt, daß "aber nicht alles [Psychische] darum bemerkt" wird, dann erinnert er uns, daß etwas Psychisches vorkommen kann, ohne daß man urteilt, daß es vorkommt. Es sei noch angemerkt, daß er "Bewußtsein im engeren Sinn" mit dem "Bemerkten" (Psychognostische Skizze II = Anhang V) identifiziert. So kann nur im erweiterten Verständnis von Bewußtsein gesagt werden, daß jeder psychische Akt Objekt des Bewußtseins ist. Man vergleiche Brentanos Diskussion dieser Frage im Kapitel "Von der psychischen Beziehung auf etwas als sekundäres Objekt" in Psychologie vom empirischen Standpunkt, Band II, S. 138-142. 12. Vgl.TIEQl 1jlUXfi~, III, 2, 425b, 22: "Enl'lE xai TO OQWV EOTLV w~

Anmerkungen der Herausgeber

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XEXQOO!lCltlataL. -.:o yaQ atoöT]n'jQtoV ÖExnx6v -.:oii atm'iT]-.:oü ävEu rijt; ÜAT]\; [xaatov: Ferner ist auch das, was sieht, gleichsam gefärbt, weil nämlich jedes Sensorium dazu imstande ist, den wahrnehmbaren Gegenstand ohne dessen Materie (in sich) aufzunehmen. Das Problem scheint hier folgendes zu sein: Wenn ein Rotsehender ipso facto rot wäre, wäre rot die spezifische Differenz, die Rotsehen von Sehen abgrenzt, und Sehen wäre die spezifische Differenz, die Rotsehen von Rot abgrenzt. Aber eins von diesen zweien muß falsch sein. 13. Laura Bridgman (1829-1889) verlor im Alter von zwei Jahren als Folge von Scharlachfieber Gesichts- und Hörsinn. Die systematische Erziehung, die sie am Perkins-Institut für Blinde in Boston erhielt, zog die Aufmerksamkeit vieler Psychologen des 19. Jahrhunderts auf sich. 14. Nach Brentanos früherer Konzeption lassen sich Urteile unterteilen in solc:he, die einen gewissen Inhalt anerkennen und in solc:he, die ihn einfach verwerfen oder leugnen. Aber gemäß seiner späteren Urteilslehre kann die Anerkennung von der einen oder anderen von zwei zusätzlichen Stellungnahmen begleitet sein, wovon die eine von einem bereits anerkannten Inhalt etwas weiterhin bejaht, die andere etwas von dem anerkannten Inhalt verneint. Die beiden Ausdrücke "Anerkennen" und "Verwerfen" sind zu ergänzen durch die Ausdrücke "Zuerkennen" und "Absprechen". "Zuerkennen" kann etwa wiedergegeben werden als "etwas von etwas aussagen", "Absprechen" als "etwas von etwas verneinen". Diese Aussagen bringen zum Ausdruck, was Brentano "Doppelurteile" nannte. Es sind dies Urteile, "die etwas anerkennen und anderes ihm zu- oder absprechen". (Psychologie vom empirischen Standpunkt, Band II, S. 194). Ich fälle ein Doppelurteil, wenn ich (1) ein einfaches ("thetisches") affirmatives Urteil ausspreche, z.B.: "Es gibt ein S", und ich (2) diese Affirmation ergänze, sei es durch ein weiteres Zuerkennen ("und überdies ist es ein P") oder durch ein Absprechen ("und überdies ist es kein P"). Wenn ein I-Urteil ("Ein S ist P") als Doppelurteil interpretiert wird, dann hat derjenige, der urteilt, (1) einS anerkannt und (2) P von S ausgesagt. Und wenn ein 0-Urteil ("lrgendein S ist nicht P") von jemandem als Doppelurteil aufgefaßt wird, dann hat er (1) einS anerkannt und (2) P von S negiert. Nach diesem Konzept ist das 0-Urteil ein affirmatives Urteil, da es S anerkennt. Brentano konzediert freilich, daß es teilweise negativ ist dadurch, daß es "eine Art Absprechen ist, bei welchem das, dem etwas abgesprochen wird, anerkannt wird". (Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. III, S. 9). Das I-Urteil fällt in dieser Interpretation mit dem zusammen, was Aristoteles Kombinationen oder Urteile der Synthesis nannte. Und das 0-Urteil scheint damit zu koinzidieren, was er Diairesis von Subjekt und Prädikat genannt hat.

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Anmerkungen der Herausgeber

Brentano scheint im Falle des I-Urteils zwei unterschiedliche Synthesis-Konzepte heranzuziehen. Zum einen drückt die Synthesis ein zwiefältiges Urteil aus - (1) ein einfaches Anerkennen und (2) ein Zuerkennen oder ein Absprechen. Zum andern findet die Synthesis gänzlich innerhalb des Bereiches der Vorstellungen statt, und das Urteil ist einfachhin Affirmation des Resultats. (Siehe dazu Anton Marty, Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie, Halle: Niemeyer, 1908, S. 341 ff., sowie seine Gesammelten Schriften, Band II, Teil 1, Halle: Niemeyer, 1918, S. 22i ff. und 309 ff.; ferner Kastils Anmerkungen zur Kategorien/ehre, Hamburg: Meiner, 1974, S.371) 15. Vgl. dazu Brentanos 10. Habilitationsthese, abgedruckt in: Über die Zukunft der Philosophie, Hamburg: Meiner, 2. Aufl. 1968, S. 138 u. 139; F. Brentano, Geschichte der griechischen Philosophie, Bern: Francke, 1963, S. 134-138. Zur Behandlung des Paralogismus bei Hege! siehe die Jubiläumsausgabe von H. Glockner, Bd. 19, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann, 1965, S. 577-579. Siehe dazu auch die Darstellung und Kritik von Hegels Schlußlehre durch Trendelenburg in: Logische Untersuchungen, Leipzig: Hirzel, 1862, S. 326--359. Zum Stichwort Paralogismus siehe ders., Erläuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik, Berlin: Bethge, 1842, S. 67-69. 16. Brentano bezieht sich hier wahrscheinlich auf die Lehre von der "Noologie", wie sie in Heinrich Gomperz' Weltanschauungs/ehre, Band II, Jena: Diedrichs, 1908, S. 42-53 entwickelt wurde. 17. Dies ist ein Verweis auf seine Analyse der traditionellen A-, E-, Iund 0-Urteile. Vgl. die Psychologie vom empirischen Standpunkt, Band II, S. 44-63. Das einfachste ist das I-Urteil ("Er urteilt, einige S sind P"). Es ist, wie einfache thetische Affirmationen, ein Anerkennen, beinhaltet aber im Unterschied zu diesem eine Verknüpfung zweier Termini. Wir können das I-Urteil entweder als komplexes thetisches Urteil oder als Doppelurteil auffassen. Im ersten Falle kann es ausgedrückt werden: "Er anerkennt ein S, das ein P ist". Die Formulierungen "S, das P ist" und "P, das S ist" sind gegenseitig austauschbar. So sagt Brentano, es bestehe kein signifikanter Unterschied zwischen den Subjekten und Prädikaten in diesen Urteilen. Im zweiten Falle hat das I-Urteil die Formulierung: "Er anerkennt ein S und prädiziert ein P davon". Das 0- Urteil ("Er urteilt, einigeS sind nicht P") ist ein Doppel urteil, das ein Absprechen beinhaltet. Anders ausgedrückt heißt es: "Er ist ein Anerkennender von jemandem, der zurecht P von S negiert". Wenn negative Termini gestattet sind, kann das 0-Urteil konstruiert werden und zwar nicht als Doppel urteil, sondern als thetisches Anerkennen: "Er erkennt ein S an, das ein non-P ist".

Anmerkungen der Herausgeber

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Das E- Urteil ("Er urteilt, keine S sind P") stellt, wie die thetische Verneinung, eine Verwerfung dar. Im Unterschied zu dieser beinhaltet es indes eine Verknüpfung zweier Termini ("Er verwirft S, die P sind"). Es scheint unmöglich, A-Urteile ("Er urteilt, alle S sind P") ohne den Gebrauch negativer Termini zu interpretieren. Wenn solche Termini gestattet sind, können wir sagen, das A-Vrteil gleiche dem E-Urteil darin, daß es eine Verwerfung ist, die eine Verknüpfung zweier Termini beinhaltet. Darin, daß einer der beiden Termini negativ ist, unterscheidet es sich vom E-Urteil. "Er verwirft S, die non-P sind". Oder: "Er verwirft S-das-non-P-ist". Diese Verdeutlichung geht davon aus, daß es nicht möglich ist, auf negative Termini in Brentanos Urteilstheorie zu verzichten. Nach herkömmlicher Darstellung sind A-Urteil und I-Urteil affirmativ, E-Urteil und 0-Urteil negativ, A- und E-Urteil allgemein, I- und 0-Urteil partikulär. Brentano zufolge aber urteilt man affirmativ, wenn man etwas anerkennt, und negativ, wenn man etwas verwirft. Davon ausgehend kann er sagen, daß die Allgemeinurteile, A und E, negativ sind und die Partikularurteile, I und 0, affirmativ. J.P.N. Land bemerkte zu Brentanos Psychologie, daß wir, wenn wir einen Satz von der Form ,Jedes S ist P" gebrauchen, damit für gewöhnlich die Existenz von S voraussetzen. O.P.N. Land, On a Supposed lmprovement in Formal Logic, Abhandlungen der Kgl. Niederländischen Akademie der Wissenschaften, 1876). Brentano konzedierte diesen Punkt und meinte, daß "die Vieldeutigkeit sprachlicher Wendungen mit sich bringt, [daß in einem Satz von kategorischem Bau] eine Vielheit von Urteilen enthalten ist". (Wahrheit und Evidenz, S. 42). Ein Satz ,Jedes S ist P" kann dann zwei Urteile zum Ausdruck bringen: (1) die thetische Affirmation eines Sund (2) die Verwerfung von S, die nicht P sind. 18. Zu Fick und Young-Helmholtz siehe A. Fick, "Die Lehre von der Lichtempfindung" in L. Hermann, Handbuch der Physiologie, Band II, Leipzig: F.C. Vogel, 1879, 139-234. Fick stellt "Youngs Theorie der Farbenempfindung" S.194ff. zur Diskussion. 19. Siehe Brentano über Kants Theorie des Urteils und Kants Beurteilung des Ontologischen Arguments in Vom Dasein Gottes, s. 33 ff. Nach Herbart ist das Urteil "Irgendein Mensch ist krank" nur hypothetisch, weil es die stillschweigende Voraussetzung enthalte, daß "es einen Menschen gibt". Dazu siehe Psychologie vom empirischen Standpunkt, Band II, S. 57 f.; ferner Kraus' Anmerkungen dazu, ebd. S.283-289. 20. Meinong hielt es für möglich, daß ein Urteil evident und falsch sein könne. Siehe seinen Beitrag "Zur erkennmistheoretischen Würdi-

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Anmerkungen der Herausgeber

gung des Gedächmisses" in Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, Band X, 1866, S. 7-33; wiederabgedruckt in Band II der Meinong-Gesamtausgabe, hrsg. v. R. Kindinger und R. Haller, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 1971, S. 185-213. Brentano hielt Meinongs Ausführungen "für widersinnig"; siehe Wahrheit und Evidenz, S. 69. 21. Dieser Beitrag erschien ersnnals 1874; er ist wiederabgedruckt in Über die Zukunft der Philosophie, Hamburg: Meiner, 1968, S.83-100. 22. Siehe G.T. Fechner, Elemente der Psychophysik, Zwei Theile, Leipzig 1860. Hier: Nachdruck Amsterdam: Bonset, 1964, Er6ter Theil, S. 71 ff. Fechner gebraucht dort nicht den Ausdruck Gleichmerklichkeit, sondern "Methode der eben merklichen Unterschiede". Zur Stellung Brentanos zu Fechner, zu anderen Psychologen und zur Psychologie seiner Zeit siehe L. Pongratz, Problemgeschichte der Psychologie, Bem und München: Francke, 1967, bes. S. 124 ff., 136 f., 163 f. 23. Z.B. Untersuchungen zur Sinnespsychologie, S. 176-208. 24. Siehe dazu Psychologie vom empirischen Standpunkt, II,

s. 272ff.

25. Brentano bezieht sich hier wohl auf Fechners Elemente der Psychophysik, II, S. 38lff., bes. 392 f., wo dieser die Frage nach dem "Sitz der Seele" diskutiert. 26. über die Beurteilung des Selbst, des Bewußtseins und der Individuation in Brentanos Spätphilosophie siehe seine Kategorien/ehre, S.145-165. 27. Aristoteles, Problemata, XXXV, 10; 965a, 36-40. Vgl. Sinnespsychologie, S. 226, wo vom Zweifingerexperiment die Rede ist, ohne daß Aristoteles genannt wird. 28. Sättigung und Kolorit werden behandelt in den Untersuchungen zur Sinnespsychologie, S. 66 f. und 215-217. 29. E.G. Boring: The Physical Dimensions of Consciousness, New York & London: The Cenrury Co., 1933, p.24. 30. Brentanos Begriff der Intensität unterscheidet sich beträchtlich von dem anderer Psychologen seiner Zeit. Die meisten verstanden den Terminus so, daß die Unterschiede in der Helligkeit einer Gesichtsempfindung identifiziert wurden mit den Unterschieden in der Intensität dieser Empfindung. In diesem Sinn könnte man sagen, die Intensität einer Empfindung sei eine quantitative Größe, die funktional vom äußeren Stimulus abhängig sei. Wenn aber Unterschiede in der Intensität durch reine Einbildungskraft bemerkt werden können, sollten solche Unterschiede nicht durch Bezug auf äußere Stimuli gekennzeichnet werden. Wir können jedoch von intentionalen Quantitäten sprechen:

Anmerkungen der Herausgeber

1i5

Die Intensität einer Empfindung kann größer sein als die einer anderen. Und wenn von einer Sache gesagt werden kann, sie sei größer als eine andere, dann muß, strikt gesprochen, die zweite Sache in einem Teil der ersten gleich sein. !'l:ach Brentanos Konzeption der Intensität ist die Intensität einer gegebenen Qualität eine Funktion der Quantität wahrnehmbaren Raumes, der erfüllt ist mit dieser Qualität. Sobald eine Qualität an Intensität verliert, dabei aber ihre Ausdehnung beibehält, haben nichnnerk.liche Teile des Wahrnehmungsfeldes innerhalb des Gebiets dieser Ausdehnung an Qualität verloren. Gewinnt die Qualität an Intensität, haben mehrere Teile des Wahrnehmungsfeldes innerhalb dieses Gebiets diese Qualität übernommen. Somit ist Intensität eine hergeleitete Größe: Die Größe der Intensität einer gegebenen Qualität ist eine Funktion derjenigen ::\Ienge von Raum, welcher mir jener Qualität erfüllt ist. Das Konzept des Bemerkens ist, wie gesagt, wesendich für diese Theorie: Wenn eine Qualität an Intensität verliert, bemerken wir die Orte, die nun nicht mehr von jener Qualität erfüllt werden, nicht. Intensität kann also den verschiedenen Sinnesfeldern im gleichen Sinne zugeschrieben werden, nicht bloß analog. Und in jedem Sinnesfeld können Intensitätsunterschiede auf räumliche Unterschiede zurückgeführt werden. Somit verschwindet Intensität als eigenständige Kategorie. Brentanos Theorie von der Intensität hat zur Folge, daß das Gesichtsfeld keine Grade der Intensität aufweist. (Darin gleichen sich Brentanos und Herings Sicht). Denn es gibt keine "phänomenal leeren Stellen;, im Gesichtsfeld. (Untersuchungen zur Sinnesps)'chologie, S. 74). Der Gesichtsraum ist stets durchgängig gefüllt. Verlieren die exrernalen Stimuli ihre Funktion, und das Subjekt bleibt bei Bewußtsein, wird es zumindest die "Farbe" schwarz erleben. Es sei betont, daß Brenrano nicht sagt, visuelle Phänomene entbehrten der Intensität. Vielmehr meint er, das Gesichtsfeld manifestiere stets den höchsten Grad der Intensität. Dieser Umsrand ist seiner ::\leinung nach konsistent mir der Aussage über die relativen lntensirären verschiedener Farben für das Gesichtsfeld: Obgleich jede Stelle im Wahrnehmungsfeld die gleiche Intensität hat, kann eine gegebene Stelle eine größere Intensität von beispielsweise Röte entfalten als eine andere Stelle. Von Farben ist lediglich Grau nicht Gegenstand der Intensitätsgrade. 31. Brentano stellt die innere Wahrnehmung der \'erursachung in der Kategorienlehre,S. 185-190, zur Diskussion. 32. Phantasie behandelt Brentano en derail in Grundzüge der Ästhetik, Hamburg: ~1einer, 1969, S. 65-8-. 33. Zur Distinktion primärer und sekundärer Kontinua siehe

176

Anmerkungen der Herausgeber

Philosophische Untersuchungen zu Raum, Zeit und Kontinuum,

S. 28-35 und Untersuchungen zur Sinnespsychologie, zweite Ausgabe, 5.198-204. 34. H. Helmholtz, Populäre wissenschaftliche Vorträge, Drittes Heft, Braunschweig: Vieweg, 1876, S. 25 ff. Zu Brentanos Konzept der "geraden Linie" siehe "The Brentano-Vailati Correspondence", hrsg. von R.M. Chisholm und M. Corrado, Topoi, Band I, 1981. 35. H. Helmholtz, Die Tatsachen in der Wahrnehmung, Berlin: Hirschwald, 1879, S. 8 f.: "Zwischen den Sinnesempfindungen kommen zwei verschiedene Grade des Unterschieds vor. Am tiefsten ist der Unterschied zwischen Empfindungen, die verschiedenen Sinnen angehören, wie zwischen blau, süß, warm, hochtönend; ich habe mir erlaubt, diesen als Unterschied in der Modalität der Empfindung zu bezeichnen. Er ist so eingreifend, daß er jeden Übergang von einem zum anderen, jedes Verhälmis größerer oder geringerer Ähnlichkeit ausschließt. Ob z.B. Süß dem Blaue oder Rot ähnlicher sei, kann man gar nicht fragen. Die zweite Art des Unterschieds dagegen, die minder eingreifend, ist die zwischen verschiedenen Empfindungen desselben Sinnes; ich beschränke auf ihn die Bezeichnung eines Unterschieds der Qualität. J.G. Fichte faßt diese Qualitäten je eines Sinnes zusammen als Qualitätenkreis, und bezeichnet was ich eben Unterschied der Modalität nannte, als Unterschied der Qualitätenkreise". 36. Siehe Untersuchungen zur Sinnespsychologie, S. 70-72; 90-92. 37. Der Darstellung der Sensation ("Der allgemeine Charakter der Sensation") folgt ein "Nachweis, wie sich die einzelnen Thesen begründen an ausgewiesenen Beispielen". Diese Beispiele beinhalten spezifische Fragen der Wahmehmungspsychologie. Da Brentanos Bemerkungen dazu sehr fragmentarisch sind, und da die meisten dieser Fragen ausführlich in den Untersuchungen zur Sinnespsychologie behandelt werden, wurden sie im vorliegenden Text nicht mit aufgenommen. 38. Brentano bezieht sich wahrscheinlich auf Hume's Diskussion "Über die unendliche Teilbarkeit (unserer Vorstellungen) von Raum und Zeit" in: Traktat über die menschliche Natur, I, 2, 1-2. 39. Brentano macht hier zwei recht unterschiedliche Aussagen über Phänomene. Die eine ist, daß jedes Phänomen eine Entität an sich ist; das Sein der Phänomene ist nicht eine besondere Art des Seins. Die andere besagt, daß Phänomene nicht Dinge an sich sind; denn sie sind intentionale Objekte und sind als solche unwesenhafrige Korrelate gewisser Dinge an sich. Deshalb sind Phänomene eine besondere Art des Seienden, obgleich sie nicht eine besondere Art des Seins haben. 40. So z.B. A. Fick in L. H'!rmann, Handbuch der Physiologie, Ill, 1,

Anmerkungen der Herausgeber

177

S. 161 und J. Sully, Outfines of Psychology, Second Edition, London: Longmans Green, 1885. 41. G.T. Fechner, Psychophysik, Zweiter Theil, S. 82-88: "Unterscheidung von Empfindungsunterschieden und Contrastempfindungen". 42. G.v. Hertling, De Aristotelis notione unius, Diss. bei Trendelenburg, Berlin: 1865. Brentanos Einfluß auf diese Arbeit und auf Herding insgesamt siehe G.v. Hertling, Erinnerungen aus meinem Leben, 2 Bde., Kempten: Kösel, 1919/20, Bd. 1, passim, bes. S. 50, 74, 161 f., 164 f. 43. Siehe z.B. Versuch über die Erkenntnis, Hamburg: Meiner, 1970, s. 7-45; 154f. 44. Im Nachlaß befinden sich zwei Manuskripte "Von der Zahl", beide datiert 1901, unter der Numerierung Meg 2a und Meg 2b. Unter Meg 2 ist ein drittes Manuskript, wahrscheinlich auch aus dem Jahr 1901, registriert. Es ist überschrieben "Von der Zahl und dem analytischen Charakter der algebraischen Wahrheiten". 45. Vgl. dazu Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Hamburg: Meiner, 1969, S. 19 und Grundlegung und Aufbau der Ethik, Bern: Francke, 1952, S.144 u. 146f. 46. Rotblindheit; benannt nach dem englischen Physiker J. Dalton, der diese Krankheit an sich selbst beschrieb. 47. Brentano behauptet hier, daß intentionale Beziehungen nicht "Relationen im eigentlichen Sinne" sind. Diese Ansicht vertritt er auch in der Klassifikation der psychischen Phänomene (1911), Band II der Psychologie vom empirischen Standpunkt. Siehe auch den Anhang dazu, bes. S. 133-138. Später jedoch (1915) verteidigt er die Ansicht, daß intentionale Relationen paradigmatische Fälle von Relationen und deswegen Beziehungen im eigentlichen Sinn sind. Siehe Kategorien/ehre, s. 166-176.

NAMEN- UND SACHVERZEICHNIS

Abbild 18 Abneigung - theoretische 45 -\bsprechen 148, 150, 171, 172 Abstände - zeitliche 90 Abstraktion 163 Achtsamkeit 75, 134 Adjektiv - modifizierendes XX - absprechendes XX Ähnlichkeit/Ähnliches 4, 54, 72, 85, 128 Aquivokation 41, 69, 70, 101 t, 133, 144 Ästhetik 76, 154 Affekt 87, 103, 153, 155, 159 Affinität -chemische 102 Akt - epithymetischer 103 - psychischer XIII, 24, 80, 82, 83, 98 f, 153, 155, 169, 170 - fundamentaler psychischer XVI, 84-88, 92, 98, 100, 102, 104 - suprapanierter psychischer XIV, 84,86,88 - noetischer 103 Akzidenz XII, 101, 158 Allegorie 102 Ampere, A. ~1. 76 Analogie,Analogon 8, 42, 49, 72 f, 89, 91, 92, 97, 104, 117, 119, 122, 133, 145, 147, 150, 151, 154. 155, 160, 163

Analyse 63, 127, 129, 134, 156, 157 Anatomie 128, 129 Anerkennen 34, 63, 87, 166 bis 169, 171 - assertorisches 86 -blindes 86, 117f, 159 -evidentes 103, 117 f, 148 - unmittelbares 158 Angrenzendes - zeitliches 94 ..\nnahme 74 Anschauung 88, 115 - innere 136, 166 - konkrete 58, 62 - sinnliche 84 - Raumanschauung 29 - Zeitanschauung. 29 Apperzeption!Apperzipieren X, 83, 150 f, 154 f, 158, 162 - deutliche X, 162 - einschließliehe 154 -kopulative X, 162 - transzendente X, 162 - unmittelbar evidente 154 -wirkliche 154 Arisroteles 21, 22, 24, 26, 57, 70, 79, 85, 86, 88, 114, 127, 133, 163, 169, 174 Arithmetik 70 [70 Assoziation 19, 49, 5~1, 67 -ursprüngliche 19, 51, 130, 132, 135, 137, 13~ 143 Attribut XX - bereicherndes 94 - modifizierendes XX, 165 Auffassung 89

Namen- und Sach\·erzeichnis Aufmerksamkeit/Aufmerken 36, 38, 39, 40, 63, 64, 69, 95, 121, 122, 124, 125, 127 Ausdehnung 105, 126 Außenwelt 86, 87, 129, 154 Axiom 47, 74 Begabung - mangelnde 64 Begehren/Begierde 36, 94, 139, 148 Begriff 24, 34, 70, 73, 87, 88, 101, 125, 150 - allgemeiner 56 - relativer·relationaler 163 Behauprung 71 Bejahen 34, 63, 163 Bemerken 19, 23, 28, 31, 33, 34f,36-45,47-51,54-66, 71, 72, 83, 121, 122, 124, 126, 151, 155, 170, 175 - analysierendes 126 -erschwertes 124-126 - evidentes 87 - ~lißlingen des 61-64 - Unsicherheit des 7, 71 - Nicht-, unmerkliches 31, 33, 39, 43, 64, 69, 122, 124-128, 156 Bentham, J. 70 Beobachrung 45 Berkeley, G. 101 Beschreibung 24, 27, 80, 121, 129, 130, 157 - analysierende 129, 130, 132 Besonderheit - persönliche 146 bestimmen 48 Bestimmtheit -individuelle 144 - örtliche 61, -2-:"4, 99, 120,

1r

179

- spezifische 89 Bestimmung 19, 60, 80 - berichtigende 101 - determinierendeibereichernde XX, 19 -ergänzende 101 -modifizierende XXf, 10, 95 - negative 101 -positive 141 - sprachliche 69 Bewegung 44 Bevmßtsein X, XIII, 2, 12, 21, 22, 29, 31, 40, 49, 55, 61, 66, 68, 126, 135 f, 146, 166, 170 - ablösbare Teile des XII, XIII, 12-16, 20, 25, 27, 29, 79-81, 83, 84, 157 -Akt des 21, 82 - Bestimmungen des 81 f - distinktioneile Teile des XII, XIII, 13, 14, 15, 17-21,24,25, 27, 29, 73, 79-81 -doppeltes 138 - durchwohnende (concrecente) Teile des XIII, 19, 20, 25, 47, 54, 72, 79,88 f, 90,91 f, 94, 97, 99, 101, 104, 169 - Elemente des 79-81 - Einheit des 10, 11, 13, :"9 - Feld des XIX - Individualisierung des 81, 82 f - logische Teile des 19, 20, 25, 4-, 79, 99, 169 - ~iodi des XXI - Objekte des 22 - primäres 23 - Schranken des 115 - sekundäres 23, 170 Beziehung 122, 130, 159, 1-:- absolute 148 - einfache 148 - einheitliche 148 - explizite 148

180

Namen- und Sachverzeichnis

noch Beziehung - implizite 148 -intentionale XIII, XXI, 20, 21, 22, 24, 82, 98, 103, 131, 134, 146, 166, 177 - multiple 148 - physische 148 -primäre 23, 25, 83, 85, 86 -psychische 132, 148 - relative 148 -seelische 146, 147 f, 152 - sekundäre 23, 26, 83, 86 Billroth, Th. 46 Boring, E. G. 174 Breite 81, 90 Bridgman, L. 30, 171 Brücke, E. 4 Cantor, G. 106 characteristica universalis X, 76 f, 90, 158 Chisholm, R. :\1. IX, 176 Comte, A. 70 Condillac, E. B. de 101 Corrado, :\1. 176 Dalton,J. 177 Daltonismus 155 Dauer 63 Deduktion 44, 89 deduktiv 74, 75, 147 deduzieren 65 Definition 24, 68 Denken 146, 153, 169 - begriffliches 15 9 - primäres Objekt des XV - sekundäres Objekt des XV -Tätigkeit des 153 depriosieren 65 Descartes, R. X, 6, 77, 82, 101, 146, 158 Dienergie 49, 82, 83 -psychische 80

Diesseits 15 7 Differenz/Besonderheit 15, 25, 26, 47f, 50, 51, 55, 63, 169 - der Helligkeit 15, 16, 16 - der Intensität 63 - ebenmerkliche 14 7 -entgegengesetzte 142 -individualisierende 75 - logische 83 -örtliche 15, 16, 17 -qualitative 15, 16, 17, 142, 152 -spezifische 18, 99, 141, 171 - zeitliche 9 3 Dimension 105, 109 f Ding 165 - an sich 129, 130, 138 Diploseenergie 25 Disjunktion 104 Disposition 36, 57 - günstige 35 - natürliche 37 Distinktion - modifizierende 27, 103 Drang 70 - gewohnheitsmäßiger 69 - instinktiver 44, 87 Dunkel(-heit) XVII, 89, 115 f, 118, 119, 160, 165 Ebbinghaus, H. 85 Eigenschaft 8 8, 140 Einbildungskraft 59 Eindruck 67 - sinnlicher 86 Einfachheit 90 Element 74, 157 - individualisierendes . ) Empfindung X, XVI, 11, 19, 25, 26, 56, 72, 85, 88, 89, 97, 98, 116, 122, 125, 130, 132-145, 155, 156, 169, 170 - Gebiet der 89

~amen-

und Sachverzeichnis

noch Empfindung - Gegenstand der XVI - Inhalt der 121, 126, 134, 135, 139 f, 144 f - Mitempfindung der 170 -Teile der 138 Entdeckung 36 Enthaltung 64 Entia (ir)realia 165 Entmutigung 47 Entwicklung - seelische 30 Erfahrung 29, 71, 76, 86, 88, 100, 118, 125, 147, 154, 155, 165, 166 -Tatsachen der 130 - unmittelbar evidente 158 Erfahrungswissenschaft 158 Erfassen - intuitives 28 Erinnerung 65 f Erkennmis 65, 66 Erleben 28, 29, 31, 33, 65 Ermüdung 126 Erscheinung 37, 42, 47, 50, 63, 67 f, 75, 128, 135 - psychische 157-159 - sensitive 159 Erschließen 15 6 Ethik 76, 154, 155, 157, 168 evident XVI, 37 Evidenz 8, 9, 20, 25, 35, 41, 42, 46, 49, 52, 70, 73, 90, 118, 121, 127, 151, 169, 170 - apodiktische 167 - apriorische 74 - unmittelbare 70, 158 Existenz 75 Existentialsatz 41, 42 existieren 7 6 Experiment 12 7 experimentieren 7

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Fähigkeit 37 f, 64 Falschheit 86 Farbdistanz 69 Farbe 14, 18, 19,44,46,49,54, 63, 71 f, 86, 91, 99, 108, 110, 116, 118, 119, 124, 160, 165, 170 - chromarische XVII - gesättigte 161 ~ nicht chromarische XVII Farbempfindung 26, 143 - erscheinung 42, 51, 139 - helligkeit 90, 112, 123, 160 - intensität 139 - kombination 139 - losigkeit 89, 90 - mischung XVII, 46 - phänomene 32, 44 - qualität 90, 139 -sinn 143 - spezies 93, 108, 110, 119 Farbenelement 72 - vorstellung 133, 135 Farbigkeit 89, 90 Fechner, Th. 69, 74, 141, 174,

177

Fichte, J. G. 176 Fick, A. 43, 135, 173, 176 Fixieren 28, 65, 66, 71, 155 Fleck - blinder 44, 45, 124 Franz, R. 68 Freude 150 Funke, 0. XX Furcht 84 Ganzes -und Teil Xlf, 22, 34, 50, 58, 103, 107, 157, 162 f, 169 Gattung 18,25,26,47, 83, 84, 90,92,9~ 103,110,112, 11~ 123, 163, 165, 169 Gedächmis 44, 49, 57, 64, 69,

182

S"amen- und Sachverzeichnis

noch Gedächmis -5, 126, 12" - phänomen 51 - vorstellungen 132 Geduld -5 Gefühl 119 Gegenwart 92, 93, 94, 166 Gegenstand 146 - begritflicher 148, 152 -phänomenaler 148 Gegensatz 141, 160, 165 - privativer 90 Gehör 91, 9"", 119 - Empfindung des 89, 103 Gemütsakte 151 Gemütsbewegung XV, 103,121, 166, 167 -höhere 87 Gemütsbeziehung 148, 150, 151, 153 Gemütsempfindung 103 Gemütstätigkeit 42, 134, 153 Gemütsvorstellung 159 Gemütszustand 35 Geologie 6 Geometrie 114 Gerade 114 Geräusch 12, 89 Geruch 100 Gesetz 28 -allgemeines 73, 74 - genetisches 69 Gesicht 72, 91, 97 Gesichts- anschauung 85 -bild 126 - empfindung 89, 103 - erscheinung 89, 104, 116, 118 - feld 91, 100, 115, 15- sinn X\1I. 116, 119 Gestalt 6Gewohnhrit 39. 41, 43,44,5~

58, 64f, 69, 74, 87, 124, 125, 127 - günstige 57, 64 Gewünschtes 129 Glauben 84, 87, 88, 98 - assertorisches 41, 42, 83 - blindes 11 7 - evidentes 83, 117 f - instinktives 88 Gleichheit 142, 163 Goethe,]. W. von 23 Gomperz, H. 41, 172 Gott 154, 163 f, 168 Grenze 50, 62, 74, 86, 92, 93, 95, 97, 105, 107 - innere 110, 111 - räumliche 114 Grenzfläche 107 Größe 63 Gut 155 Haller, R. 174 Hamilton, W. 56 hassen 87, 134, 150, 166 Heidegger, ~1. XXI Hegel, G. W. F. 3, 41, 172 Helligkeit XVII, 15, 16, 48, 61, 72,89,90,115-120,122,145, 155, 160 f Helmholtz, H. 7, 43, 45, 64, 87, 103, 107, 114, 116, 124, 165, 173, 176 Herbart, J. F. 43, 44, 173 Hermann, L. 173 Hering,E. 4,175 Hertling, G. von 142, 177 Hobbes, Th. 41 Höhe 90, 165 Hörsinn XVII Hoffnung 84, 150 Hume, D. 10, 11, 12, 101, 122, 126, 165, 176 Husserl, E. X. XXI

l'amen- und Sachverzeichnis Huyghens, Ch. 46 Hypothese 7, 46, 71, 73, 154 Ideen - assoziation 57, 58 - verknüpfung 56 f Individualität 101 Individualisierung 18, 32 Induktion 28, 43, 71, 89 induktiv 75, 127 Inhaben - geistiges 146 Inhärenz 10 1 Inhalt - realer psychischer 133 Innenwelt 154 Intensität 47, 61, 63, 90, 92, 109, 12~ f, 140, 145, 160, 174 f intentionale Beziehung siehe Beziehung, intentionale Intentionalität XIII, XIV, XVI Interesse 124-126, 134 - theoretisches 3 3, 46 intuitiv 73 Irrtum 31,35,41,43,44,65,69, 8 7 , 126, 127 Jenseits 157 Kampf ums Dasein 102 Kam, I. 43, 138, 149, 166, 173 Kastil, :\. 168, 172 Kausalität 167 Kennmis 75 Klangfarbe 7, 45, 49, 123 Koch, R. 46 Kolorit X\11, 89, 90, 117, 118, 120 Konfusion 141, 142, 144 Konklusion 94, 168 Konkretum 47, 89, 97, 101, 104, 144 f

183

Konstanz 70 Kontiguität 94 - Gesetz der 56 Kontinuität - Gesetz der 4 - smodus 93 Kontinuierliches 97 Kontinuum 74, 93, 94, 106, 108, 110, 112f, 117f, 158, 162, 165, 176 -Doppel- 109, 11.3 - dritter Potenz 110 - erster Potenz 11 0 -gerades 111, 114 - per accidens 108, 113 - per se 108, 113 -primäres 109, 113 - räumliches 113 - reales 115 -sekundäres 109, 113 - ungerades 114 -zweiter Potenz 110 Kontrast - empfindung 141 - Gesetz des 56 - simultaner 50 Konvertibilität 67, 68 Kopemikus, K 166 Kopula 41, 42 - affirmative 41 f - negative 41 f Korrelat XIII, 21, 27, 101, 131, 158 - distinktionelles 21 f - intentionales 80 - nicht reales 21 - notwendiges 158 - reales 22 - unwesenhaftes 154 korrelativ 133 Kosmologie 157 Kraus, 0. XXI, 173

Kamen- und Sachverzeichnis

184

Länge 81 Land,]. P. !\'. 173 Lange, A. 23, 44 Leibniz, G. W. X, 46, 77, 82, 83, 85, 158 Leidenschaft 126 Leugnen 41, 42, 69, 88, 126, 149f,171 Lieben 87, 134, 150, 166 -mittelbares 151 - motiviertes 150 - richtig charakterisiertes 151 - um eines andern willen 150 - um seiner selbst willen 150 - unmotiviertes 150 Locke, J. 85, 101 Logik 76, 154, 155 Lokalisation 12 7 Lokalzeichen 124 Lotze, R. H. 136, 138 Lust 83, 141, 143 124 A. X, XX, 10, 172

~1ariorte, ~1arty,

E.

~1aß;~1eß

- bestimmung 69, 70, 128, 140 - verhältnisse 71 ~1aterial

- empirisches 29 ~1athematik 4, 23, 76, 156 ~1athematiker 97 mathematische Berechnung 64 ~1echanik 3, 156 ~1edizin 76 ~1einong, A. X, 173 f ~1einung 90 ~1erklichkeit 81 -Eben- 70 ~1ersenne, ~1. 77 ~1etaphysik 81, 138, 157, 169, 174 ~1eteorologie 3

Mikroskopie - pychologische 147, 155 Mill, J. St. 49, 56, 69, 101 Mischphänomen 42 Mischungsverhältnis 160 Mißfallen 67, 134 Mitempfinden 23-25 Mirteilen 65 Mirtel 151 Mnemonik 66 Modifikationstheorie 165 modifiziert 94, 139, 165 f ~1otivieren 94, 150 f, 152, 167 Müller, J. 4, 56, 165 ~1ultiplizität 90, 91 1\'achbild 44, 46, 85 - negatives 85 - positives 85 I\ acheinander 94 1\'ame 56, 59 - allgemeiner 56 - einfacher 125 1\'ationalökonomie 76 1\'atur 125 - wissenschaft 76, 154 1\'egation siehe Leugnen Neigung 43, 68 1\'euentdeckung 36 1\'ewton, J. 46 Nichterleben 31, 32 Nichtreales 165 Noltemann 38 Notwendigkeit 167 Nullpunkt 95 f Oberton 45 Objekt (der Wahrnehmung) XVI, XVII, XXI, 22 - immanentes 131 - intentionales 99, 176 - primäres 85-89, 92, 96-98, - 102f, 104, 114, 117, 120, 158,

Namen- und Sachverzeichnis noch Objekt 159, 170 - primaprimäres 102 f -sekundäres 86, 98, 102, 103, 158, 159, 169 Örtlichkeit 72, 97, 104, 144 Ontologisches Argument 43, 168 Optik 156 Ordnung 60 - natürliche 6, 10 - der Untersuchung 130, 132, 147, 155 Ort 48, 90, 91, 140 Ortsspezies 91, 108 Pädagogik 154 Paradoxon . 86, 105, 125 Paralogismus 40 f, 172 Pasteur, L. 46 Perzipieren X, 150, 153, 154, 162 Phänomen 42, 43, 69, 75, 129, 130, 131, 176 - elementares geistiges 13 6 - nicht reales 131 -physisches reales 61, 63, 131, 139, 152 f, 158 -psychisches 22, 61, 63, 139, 152 f, 156, 157 -sinnliches 24, 85, 86 Phänomenologie - beschreibende IX, 129 Phantasie 59, 68, 100, 116, 175 - bilder 101 - vorstellung 59, 68 Philosophie - praktische 15 8 - theoretische 15 8 Physiologie XI, 6, 9, 129, 140, 155 physiologisches Antecedens 137

185

Platon 24 Pleonasmus 144 Politik 76, 154 Pongratz, L. J. 174 Prädizieren 34, 168 - negatives 34, 37 - positives 34, 3 7 Prämisse 23, 94, 148 Preyer, W. 138 Privation 167 Proterästhese XVIII, XIX, XXI, 85, 88, 96, 97 f, 102 f, 165, 167 Proteeästhesie XIX, 92, 98, 100, 104, 113 Proterose XIX, 85, 86, 89, 92-98, 100, 101 Psychognosie X, XI, 1-9, 10, 27, 28, 46, 55, 65, 70, 147, 154-159, 165 - M:erkmale der 14 7 - M:ethode der 147, 154, 155 - praktischer Wert der 76 f, 155 f, 157 f - Schwierigkeit der 154 -theoretischer Wert der 76, 155 f, 157 f - Unvollständigkeit der 28, 30, 31, 33, 73, 75, 121 Psychognost 28, 29, 66, 73, 75, 76, 157 - Aufgabe des 75, 82 Psychologie 147, 156 Psychologie, deskriptive IX, XVII, 129, 136 - Aufgabe der 130 -Begriff der 127 - Entstehung der 130 - M:ängel der 126, 147 -Wert der 129 Psychologie - empirische X, XIII, 11 - genetische 1, 3-9, 10, 28, 33,

186

Kamen- und SachYerzeichnis

noch Psychologie _ 73, 76, 129, 147, 155, 156 f - physiologische 5 - reine 1, 5 psychophysisch 5, 69, 71 Punkt 106, 108 -menge 106, 107, 112 - reihe 106 - zuordnung 106 f Qualität Qualitatives 88, 89, 90, 97, 116, 123, 140, 145, 159, 176 - enkreise 176 - erfüllende 142 - Gattungen der 159 - ~lomente der 89 - räumliche 159 - sensible 116 - sinnliche 81, 103, 160 Räumlichkeit 88, 104 f, 118, 143, 144f Raum 82, 109, 113 f, 120, 176 - anschauung 100, 115 - bestimmung 100 - erfüllendes 82, 116 - phänomenaler 73, 116 - punktmenge 107 -sinn 142 f - vorstellung X\11 Reales XIII, XVI, 11, 21, 165, 166 Realität 12, 13, 18, 19, 129 - fundamentale 83 - individualisierende 83 - psychische 129, 131 reductio ad absurdum 168 Reinheit 90 reistisch XVI Reizung - sensitive 136 f Relation 163

- sbegriffe 100 f, 163 Reue 151 Sättigung 89, 90, 118, 120, 145, 165 - slosigkeit 90, 165 Schall 72 Schelling, F. W. 3 Schluß 9, 23, 43, 50, 88, 150 Schmerzempfindung 141 scholastisch 14 7 Schriftsprache 69, 70 Schwelle 122 Seele 10, 146, 154, 156, 157, 158 - nbeziehung 146 - nerscheinung 156 - nleben 30, 62, 72, 83, 87, 97, 157 - ntätigkeit 146 Sehfeld 32, 44 Sehnsucht 150 Seiendes 17 6 - an sich 129, 130 Selbst XII, 44, 76, 83 Sensation 82, 85, 86, 88, 92-98, 100, 102-104, 114, 120, 153, 159, 176 - Klassifikation der 159 - Objekt der 94, 98 Sigwart, Ch. v. 42 Sinn(e) XVII, 14, 38, 55, 86, 103, 116, 133 - äußerer 135 - innerer 135 - selement 72 - sempfindung :-4, 85, 133, 176 - serscheinungen 7, 8 - sgebiet 8, 55, 90, 153, 160 - spsychologie X, 176 Sonanz 89 Soziologie 76

Kamen- und Sachverzeichnis Spezies 117, 165, 169 - örtliche 73 Sprache 41, 42, 65, 70 sprachlicher Ausdruck 41, 42, 125 sprachliche Bestimmung 69 sprachlicher Gebrauch 139 Stellvemerung 66, 68 Srumpf, C. XVII Suarez, F. 74 Subjekt 43, 103 Substanz XII, 101, 158 Substrat, psychisches 84 Sully, J. 136, 138, 177 Synonymie 163 Synthesis 171 f Tätigkeit, psychische 121, 131 f, 158 Täuschung 117, 144 -aktive 144 - optische 87 Tatsache 45 f, 46, 57, 58, 74, 82, 88 - evidente 158 Teil und Ganzes siehe Ganzes und Teil Theologie 157 Tiefe 81, 90, 165 Ton 19, 48, 49, 54, 56, 59, 63, 72, 86, 89, 100, 108, 116, 123, 124, 160, 165 - distanz 69 - empfindung 59 - erscheinung 139 - gesättigter 161 - helligkeit 54 -höhe XVII - phänomen 32 - qualität 54 - spezies 108, 119 - verschmelzung 165 - vorstellung 133, 135

187

Traum 82 Trendelenburg, A. 41, 172 Twardowski, L X übereinstimmung 15, 17, 22, 51, 142 übersichtlichkeit 155 überzeugung 45 übung 37, 38, 75, 126 Umsicht 75 Unapperzipierbares 154, 155 Unbestimmtes 142 Unbewußtes 121 Ungesättigtheit 89, 165 Unlustgefühl 83 Unmerklichkeit 122, 161 Unmöglich(keit) 101, 142, 167 Unsterblichkeitsfrage 154 Unterscheidungsvermögen 142, 150 Untersuchungsmethode 165 Unvereinbarkeit 73 Unwesenhatres 158 Ursächlichkeit 167 Ursache und Wirkung 21, 22, 94, 101, 154 Urteil(en) XN, 9, 25, 29, 34, 37, 41,44, 48, 52, 61, 73, 83, 90, 118, 121, 125, 133, 139, 140, 148, 150, 151, 152, 159, 166, 169, 171, 172 f, 174 - affinnatives/anerkennendes/assertorisches/bejahendes XN f, 20,25,34,41,42,43,52,53, 73, 101, 141, 148, 149, 150-152, 167, 171 - allgemeines 43 -analytisches 149 -apodiktisches XV, 52, 53, 149 f, 167, 168 - blindes 52, 53, 63, 149, 151 f, 158 - disjunktives 150

188

Namen- und Sachverzeichnis

noch Urteil(en) -evidentes 37, 52, 53, 63, 149 151, 158, 169, 170 -explizites 34, 52 - expressives 168 - hypothetisches 43 - implizites 34, 52 - kategorisches 43 - korrektes 168 - logisch unzulässiges 158 - modales 168 - mögliches 168 -motiviertes 149, 150, 167 - negatives/leugnendes/verneinendes XV, 41, 42, 52, 53, 101, 141 f, 148, 149, 150, 152, 167, 168, 171 - nicht korrektes 168 - partikuläres 43 -prädizierendes 152 - richtiges 143 - sakte 87 - sbeziehung 148, 149, 151 - setzendes 152 - squalität 52, 53, 54 - synthetisches 149 - unmittelbares 44, 159 -unmotiviertes 149, 150 - unterscheidendes 150 -zeitlicher ~odus des 149, 166 Vailati 176 Verallgemeinern/Generalisieren 28, 65, 71 - induzierend- 71 Vergangenheit 92, 93, 94, 166 Vergleichen 49, 51, 61, 126 Verhalten - psychisches 57 - seelisches 134 Verlauf, zeitlicher 47 Vermutung 84

- günstige 45 - richtige 45 Verneinen 34, 63, 163, 171 Verschiedenheit 142 Verstehen 29 Verursachen 167, 175 Verwechslung 128, 140 Verwerfen 87, 166, 167, 168, 171 Verwetten, deduktives 28 Verzweiflung 84 Vorsatz 151 Vorsicht 72 Vorstellung/Vorstellen XIV, 11, 1~ 22, 41,48, 56, 5~ 60, 61, 67 f, 83, 84, 86, 98, 100, 101, 121, 125, 132, 133, 144, 148, 150, 151, 162, 170, 172 - abstrakte 132, 139 - allgerneine 142 - anschauliche 61, 68 - begleitende 133 - begriffliche 58 - der Vorstellung 170 - des Gedächmisses 132 - distinkte 121 - explizite 58, 121 - fundamentale 133, 139, 142 -immanente 159 -implizite 58, 121 - indistinkte 121 - individuelle 142 - innerer Wahrnehmung 130, 132f - konfuse 92 - Objekte der XIV - sakt 66 - sinhalt 135 - sinnliche 14, 19, 134, 135 - squalität 134 - stellvertretende 67, 68, 69 - suprapanierte 130, 132, 139 f, 142

Namen- und Sachverzeichnis noch Vorstellung/Vorstellen :. ._ temporaler Modus der 166 - unanschauliche 68, 139 - widersprechende 140 Vorurteil 40--45, 65, 125 - slosigkeit 44 Wählen 151 Wahlverwandtschaft 102 wahr 155 Wahrheit 20, 86, 156 Wahrnehmung/Wahrnehmen XVI, XXI, 32, 34, 37, 70, 129, 130f, 139, 141, 155, 169 -äußere XVI, 14, 44, 131 - distinkte 122 - evidente 167 -explizite 33, 121 -implizite 33, 121 - innere IX, XV, XVI, 1, 8, 12, 14, 2~ 31, 33, 42, 48, 81, 94, 121, 127, 129, 130, 131, 133, 158, 170, 175 - Objekte der XVI, XVII, XXI, 22 - sbestimmung 139 - sfeld XIX - sinhalt 138 - spsychologie 176 Wahrscheinlichkeit 69, 71, 73 - serkennmis 73 Weber, E. H. 126 Weltanschauung, vitalistische 102 Werden 44 Wesenhaftes 15 8 - seelisches 154 Widerspruch 34, 92 f, 140 Wiederholung 126 Wille/Wollen 36, 40, 45, 46, 61. 100, 101, 133, 150, 151

189

Wirkung und Ursache siehe Ursache und Wirkung Wirkliches 158 Wissenschaft 70, 146, 158 -exakte 3 - Geschichte der 46 - induktive 71 - inexakte 3, 5 - spekulative 3 - von der Seele 14 7 Wohlgefallen 67, 134 Wort 69 Wunsch 29, 84 Young, Th. 43, 173 Zahl 177 Zeit 47, 48, 70, 93, 101, 108, 112, 113, 166, 176 - bestimmung 93, 96 - differenz 151 -grenzen 94 - moment 152 - punkte 92, 108 -sinn 143 - spezies 92, 108 - strecke 92 Zeitlichkeit 92, 94, 96 f, 98, 166 Zöllner,]. K. F. 9, 140 Zorn 64, 126 Zuchtwahl, natürliche 102 Zuerkennen 171 Zukunft 92, 94, 101, 166 - sspezies 112 Zuordnungsmodus 93 Zusammenhang, kontinualer 92 Zuversicht 126 Zweck und Mittel 154 Zweifingerexperiment 86, 174