Design und Transformation: Wie wir unsere Zukunft nachhaltig gestalten 9783839465332

Transformation ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit: Die Umwandlung und Umgestaltung vieler Bereiche des Lebens, vor al

223 132 2MB

German Pages 154 Year 2023

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Design und Transformation: Wie wir unsere Zukunft nachhaltig gestalten
 9783839465332

Table of contents :
Inhalt
Über dieses Buch
Eins: Design und Transformation, Design als Transformation
Zwei: Design als Transformation der Produktwelt
Drei: Transformationen im Designdiskurs
Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis
Fünf oder ein Nachwort: Designpraxis und ökonomische Zwänge
Biografische Notiz
Bibliografie

Citation preview

Markus Caspers Design und Transformation

Design Band 59

»If it was possible to design our way into difficulty, it is possible to design our way out.« (John Thackara)

Markus Caspers (Dr. phil.) ist Professor für Design und Medien an der Hochschule Neu-Ulm. Er forscht und publiziert zu den Themen Stilgeschichte, Popkultur, Semiotik und Design.

Markus Caspers

Design und Transformation Wie wir unsere Zukunft nachhaltig gestalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Markus Caspers Korrektorat: Markus Caspers Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839465332 Print-ISBN 978-3-8376-6533-8 PDF-ISBN 978-3-8394-6533-2 Buchreihen-ISSN: 2702-8801 Buchreihen-eISSN: 2702-881X Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/ vorschau-download

Inhalt

Über dieses Buch .................................................. 9 Eins: Design und Transformation, Design als Transformation Aspekte einer veränderten Disziplin ...............................13 Evolution, Revolution, Transformation..................................... 16 Gesteuerte und steuernde Transformationen.............................. 17 Transformation und Transition ........................................... 19 Teil des Problems oder Teil der Lösung? .................................. 21

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt Funktion und Form ................................................. 27 Das alte Design ......................................................... 28 Funktion und Distinktion ................................................ 29 Design als Beruf und Praxis ............................................. 30 Design als Verkaufsförderung und Distinktion ............................ 32 Design als Problemlösungstechnik ....................................... 35 Zwischen Gebrauchsform und Wareninszenierung........................ 38 Kritik der Warenästhetik: Form ohne Funktion............................ 40 Die Kritik von heute besehen ............................................. 41 Design für die zehn Prozent ............................................. 43 Transformation mit und durch Design im Kapitalismus? .................. 44 Die Kritik am Funktionalismus: Funktion ohne Ästhetik ................... 45 Transformation Design als neuer Funktionalismus? ...................... 47 Soziale Determiniertheit und Determinierung ............................ 49 Design als semantischer Transporter .................................... 52

Erinnerung und Imagination ............................................. 54 Design als Sinnspeicher ................................................. 57 Nostalgie und Simulakren ................................................ 61 Projektion, Spekulation, Vision........................................... 63 Konklusion: Den sozialen Aspekt von Design transformieren.............. 66

Drei: Transformationen im Designdiskurs Ästhetik und Erkenntnis ........................................... 75 Von der Objektästhetik zur Atmosphäre ...................................77 Körper und Wahrnehmung als transformative Größe...................... 79 Design als ästhetische Arbeit............................................. 81 Designtheorie als ästhetische Theorie ................................... 82 Design als neue Erkenntnis .............................................. 84 Denken Designer:innen anders? ......................................... 86 Vom Impliziten und vom Basteln ......................................... 90 Design Thinking: Design ohne Designer? ................................ 95 Human-Centred Design: Vom Objekt zum Prozess ........................ 101 Erfahrung und Erlebnis: Experience Design ..............................105 Gestalten für die Gemeinschaft: Social Design und Service Design ........108

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis Nachhaltigkeit und Zukunft ....................................... 115 Der Lebensstil als Ankerpunkt von Transformation ....................... 116 Erlebnisgesellschaft und Erlebnisdesign ................................. 118 Design als praktisch gewordene Sozialwissenschaft......................120 Design als Transformation oder Transitionsprozess ..................... 123 Elemente des Transition Design Framework ..............................126 Vorstellung der Zukunft: Design Futuring.................................128 Transformation Design als Haltung ..................................... 130 Was könnte Transformation Design sein? ................................ 131 Elemente eines transformativen Designprozesses....................... 133 Ein vorsichtiges Fazit .................................................. 135

Fünf oder ein Nachwort: Designpraxis und ökonomische Zwänge Realität und Anspruch .............................................139 Biografische Notiz ................................................143 Bibliografie .........................................................145

Über dieses Buch

Transformation ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit: Die Umwandlung und Umgestaltung vieler Bereiche unseres Lebens, vor allem unser Verhalten und unser Umgang mit Ressourcen, sind angesagt. Kann Design einen Beitrag dazu leisten? War Design nicht immer schon prädestiniert für Transformationen, egal welcher Art? Oder muss Design ebenfalls transformiert werden, damit es an den Transformationsprozessen der Zukunft nicht nur irgendwie beteiligt wird, sondern diese gestalten kann? Dieses Buch möchte zeigen, aus welchen Perspektiven heraus der Begriff Transformation Design nicht nur dem Zeitgeist geschuldet, sondern für sinnhafte Lösungen drängender Aufgaben essentiell ist. Es spürt den Traditionslinien transformativer Ansätze im Design seit 1920 nach und fragt, ob aus diesen etwas für die Zukunft zu lernen ist. Diskutiert wird, wie die Prozesse des Transformation Design aussehen können, um eine zukunftsfähige Disziplin zu projektieren. Damit verbunden ist die Frage nach Formen und Bildern einer positiv konnotierten Zukunft, die jenseits dringend anstehender existentieller Probleme auch Antworten auf die Frage nach neuen Lebensstilen und damit Produktund Dienstleistungsnutzungen jenseits der Product-Lifecycle- und Konsumismus-Ideologie geben können. Das Buch gliedert sich in fünf Teile: In Teil Eins wird der Begriff Transformation erläutert und eingegrenzt. Begriffe und Theoreme, die das ›alte‹ Design und seine Theorien kennzeichnen, werden im Kapitel Zwei hinsichtlich ihrer Zukunfts- und Transformationsfähigkeit diskutiert und hinterfragt. Im Teil Drei spielen neuere Designtheoreme und Praktiken eine Rolle, die (nicht nur, aber be-

10

Design und Transformation

sonders) mit der Digitalisierung von Lebens- und Arbeitswelten, aber auch mit der Digitalisierung von Design zu tun haben. Im Kapitel Vier geht es dann um Perspektiven für Transformation Design als einer Disziplin, die nachhaltige und gesellschaftlich sinnvolle Produktion und Konsumtion ermöglicht. Den Abschluss bildet eine Reflexion über Anspruch und Alltag der Designpraxis heute.

Ressourcenknappheit, Endlichkeit des ökonomischen Wachstums, der Klimawandel, aber auch die digitale Transformation mit ihren disruptiven Effekten machen einen Wandel in der Designpraxis und beim Nachdenken über Design notwendig. Der Anspruch auf sinnvolle, nachhaltige und gesellschaftszentrierte Designlösungen erfordert ein Herangehen an Probleme, das sich vom produktzentrierten Design, dessen Ressourcenverbrauch und seiner direkten Vermarktbarkeit lösen muss. Die grundsätzlichen Fragen an das Design lauten also: Inwieweit ist Design verantwortlich für den Zustand der Welt und ist es fähig, als transformierte Praxis der Umweltgestaltung unser Leben zu transformieren?

Eins: Design und Transformation, Design als Transformation Aspekte einer veränderten Disziplin

Eine zunehmende Komplexität kennzeichnet unsere Wahrnehmung der Welt und das Handeln in ihr. Diese höhere Komplexität resultiert weniger aus der Menge und dem Charakter tatsächlicher Sachverhalte, sondern aus einer veränderten Wahrnehmung offener und sich immer weiter verästelnder Problemstellungen und möglicher Lösungen. Globale Entwicklungen, sogenannte Megatrends, und globale Probleme stehen in Wechselwirkung zueinander und erfordern eine veränderte Herangehensweise in vielen Bereichen: Die Digitalisierung und die mit ihr einhergehenden Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten, ein weltweiter Waren-, Daten- und Geldverkehr, eine verschärfte Ressourcenknappheit, die Herausforderungen des Klimawandels mit allen Begleiterscheinungen wie transkontinentaler Migration, einem Anstieg des Meeresspiegels, die Vernichtung von Biotopen durch Raubbau, daraus resultierende Pandemien und Klimaveränderungen u.v.m. stellen die Menschheit vor immense Probleme, die nur durch eine Transformation althergebrachter Handlungsweisen in neue Prozesse und Handlungsmuster gelöst werden können. Fragen der Partizipation hinsichtlich ökonomischer, politischer und soziokultureller Problemstellungen erfordern eine gegenüber früheren Top-Down-Ansätzen veränderte Vorgehensweise bei der Planung, Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen, bei der Informationsverbreitung und bei den Entscheidungspro-

14

Design und Transformation

zessen. Die digitale Revolution mit ihren disruptiven Effekten auf althergebrachte Industrien und Wertschöpfungsketten macht ein Umdenken in vielerlei Hinsicht notwendig. Diese erhöhte Komplexität, diese Prozesse und Entwicklungen zusammengenommen haben nicht nur zu einem veränderten Nachdenken über Planungsund Gestaltungsprozesse geführt, sondern zur Perspektive einer oder mehrerer Transformationen, also eines grundlegenden Wandels unserer (westlichen, kapitalistischen) Lebensweise. Sowohl die Ausgestaltung des Wandels als auch dessen projektiertes Ergebnis können mit dem Terminus »Transformation Design« belegt werden. Der Begriff Transformation Design wurde 2004 geprägt, als das British Design Council ein Gremium installierte, das auf Anfrage der damaligen britischen Regierung die Kommunikation und die Dienstleistungsangebote von kommunalen bis hin zu überregionalen Behörden hinsichtlich eines einfachen, niederschwelligen und barrierefreien Zugangs zu Institutionen, Verfahren und Vorgängen erarbeiten sollte.1 Dieses Designgremium mit dem Akronym RED erarbeitete theoretische und praktische Positionen zu einem Designkonzept und einer Designpraxis, die Transformation Design genannt wurde. Im Unterschied zum traditionellen Designverständnis ist das Transformation Design im RED-Strategiepapier dadurch gekennzeichnet, dass es keine kreative Autorenschaft mehr gibt, dass es vorrangig um das Gestalten von Verhalten (und nicht von Formen) geht, dass Design-Projekte als infinit betrachtet werden und dass Design zwischen professionellen Designern und Amateuren, den Usern, ausgehandelt wird.2 Dem alten, objekt- und vermarktungsfixierten Design musste dieses Strategiepapier wie eine Kampfansage vorkommen, während sich das neue, integrative, partizipative und auf soziale Wertschöpfung bedachte Design in zivilgesellschaftlichen Projekten, bei NGOs und Reallaboren ausprobierte. Gemäß der berühmt gewordenen Definition von Herbert Simon lässt sich Design als eine Tätigkeit beschreiben, »die vorgefundene 1

Burns et al.: Transformation Design (RED Paper 02). London 2006. http://w

2

Burns et al. 2006, S. 26f.

ww.designcouncil.org.uk/RED/transformationdesign

Eins: Design und Transformation, Design als Transformation

Zustände in erwünschte umwandelt«.3 Es könnte daher naheliegen, Transformation Design nur als weiteres Label zu verstehen, mit dem bekannte Designprozesse als notwendig und zeitgemäß beschrieben werden. Dagegen lässt sich einwenden, dass Design als Überbegriff für verschiedenste Gestaltungs- und Transformationsleistungen und -prozesse ein Jahrhundert nach seiner begrifflichen Installation ein sehr vager Begriff geworden ist, der sich seit Beginn seiner Präsenz fortlaufend sowohl erweiterte als auch verfeinerte: Industrial Design, Grafikdesign, Transportation Design, Editorial Design, Fotodesign, Fashion Design, Web Design, Interface Design, Game Design, Experience Design (um nur ein paar zu nennen) sind Disziplinen, die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aus dem Kanon der Designpraxis als eigenständig herausgebildet haben. Gleichermaßen sind Disziplinen und Forschungsansätze wie Social Design, Service Design, Innovation Design, Speculative Design, Design Futuring und Design Fiction entstanden, die sich jenseits des objekt- und marktfixierten Designbegriffs etabliert haben. In ähnlicher Weise wie die vorgenannten Disziplinen beschreibt Transformation Design einen Ansatz, der die seit Jahrzehnten etablierten Designfelder überschreitet und erweitert: Transformation Design ist einerseits die Beschreibung eines Arbeitsfeldes, aber auch eines Arbeitsprozesses innerhalb der Disziplin. Transformation Design transformiert gegebene Zustände in andere und erreicht das dadurch, dass es den herkömmlichen Gestaltungsprozess ebenfalls transformiert. Transformation Design ist also Anspruch und Verfahren in einem; es ist Heuristik und Praxis zugleich – einer der Gründe, warum man von Transformation Design als neuer Disziplin sprechen kann.4

3

»Everyone designs who devises courses of action aimed at changing existing situations into preferred ones.« Simon, Herbert: Sciences of the Artificial. Cambridge. 1996, S. 111

4

Burns et al. 2006, S. 22

15

16

Design und Transformation

Evolution, Revolution, Transformation Transformationen sind Umwandlungsprozesse, die verschiedene Bereiche ökologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Lebenszusammenhänge betreffen und diese neu ausrichten und strukturieren. Die bisherigen, technisch-ökonomischen bzw. ›industriellen‹ Revolutionen waren in gewisser Weise ungeplant und maßgeblich durch die Eigendynamik der technologischen Entwicklungen und/oder ökonomischer Voraussetzungen bestimmt. Demgegenüber sind Transformationen gesellschaftlicher Natur und bis zu einem gewissen Grad geplant. Bereiche, die als transformationswürdig erkannt oder als dringend veränderbar identifiziert werden (z.B. Energie, Transport und Verkehr, soziale und politische Teilhabe, Politik im weiteren Sinn), können einem Transformations- oder Transitionsprozess unterzogen werden. Dieser Prozess verlangt, soll er erfolgreich sein und von einer Mehrheit akzeptiert werden, größtmögliche Transparenz, Kommunikation, Diskussion und Einbeziehung aller Stakeholder. Die Tragweite der industriellen, hier vor allem der digitalen Revolution haben Wissenschaftler mit einem Übergang in ein neues Erdzeitalter, dem Anthropozän verglichen5 , die damit einhergehenden, sogenannten disruptiven Effekte betreffen nahezu alle wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Bereiche. Diese Umwälzungen machen ein planvolles Vorgehen bei vielen Prozessen und anstehenden Veränderungen notwendig – nicht zuletzt im Hinblick auf die limitierten ökologischen Ressourcen6 . Wie Harald Welzer schreibt, geht es dabei vor allem um die Transformation mentaler Infrastrukturen7 , also die Transformation der Einstellun5

Z. B. Cruzen und Stoermer, die 2000 den Begriff »Anthropozän« vorgeschlagen haben; s.a. Stengel, van Looy, Wallaschkowsky (Hg.): Digitalzeitalter, Digitalgesellschaft. Wiesbaden. 2017, S. 2 ff

6

Rockström et al.: Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity. In: Ecology and Society Vol. 14, No.2, Art. 32, Stockholm 2009

7

Welzer, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt. 2013, S. 65 f

Eins: Design und Transformation, Design als Transformation

gen bzw. der ›mindsets‹ von Menschen, denn eine Reduktion von Energie und Material allein wird nicht reichen, um diese Veränderung dauerhaft zu gestalten. Es kommt auf eine veränderte Sicht auf Konsum, auf Lebensstil, auf symbolische Marker bei möglichst vielen Menschen an. Gesellschaftlicher Wandel beginnt mit verändertem Habitus einzelner Menschen. Transformation Design steht also vor der Aufgabe, die Umwelt zu gestalten, indem unter Einbeziehung möglichst vieler Stakeholder und Verwendung möglichst weniger Ressourcen sinnvolle Arte- und Mentefakte entstehen, die der Objektlogik des ausgehenden Holozäns eine attraktive Prozessund Kommunikationslogik, eine neue Sinnhaftigkeit des Gebrauchs im Anthropozän entgegensetzen.8

Gesteuerte und steuernde Transformationen Wie bereits skizziert, lassen sich Transformationen als Umwandlungsprozesse lesen und verstehen, die große Lebenszusammenhänge neu ausrichten und strukturieren. Als einer der ersten Verweise auf solche tiefen Umstrukturierungen kann The Great Transformation von Karl Polanyi gelesen werden9 . Polanyi beschreibt darin am Beispiel Englands die Transformation einer ständischen, agrarisch und merkantilistisch verfassten Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert zum marktliberalen Kapitalismus. Dieser Prozess ist für Polanyi kein rein ökonomischer, sondern bringt politische und soziale Veränderungen mit sich: Die wirtschaftsliberale Ideologie als Treiber der Transformation macht die menschliche Arbeitskraft, die natürlichen Ressourcen, den Boden und das Geld zu Waren;

8

Sinnigerweise heißt der Studiengang an der Willem de Kooning Academy Rotterdam »Lifestyle Transformation Design«; http://www.wdka.nl/stories /lifestyle-transformation-design

9

Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt. 1987 (1944); Kollmorgen, R., Wagener, H.-J.; Merkel, W. (Hg.): Handbuch Transformationsforschung. Wiesbaden. 2015

17

18

Design und Transformation

der sich angeblich selbst regulierende Markt befördert Ausbeutung und Desintegration. Ökonomisches Handeln dissoziiert sich von den gesellschaftlichen Zielen, in die es ursprünglich und zum Nutzen der meisten eingebettet war. Diese Entwicklung findet laut Polanyi einen traurigen Höhepunkt in den wirtschaftlichen und politischen Katastrophen der ersten Hälfte des 20ten Jahrhunderts, in Weltwirtschaftskrise, Faschismus und Krieg. Transformation wird von Polanyi als ein spezifischer Typ sozialen Wandels definiert, dem ein intentionaler Umwälzungsprozess zugrunde liegt und der darüber hinaus eigendynamische Komponenten aufweist, ohne mit sozialem Wandel direkt identisch zu sein. Der Begriff Transformation ist in der Vergangenheit hauptsächlich zur Benennung sozialwissenschaftlicher, häufig auch politikwissenschaftlicher Konzepte herangezogen worden, um gesellschaftliche und politische Entwicklungen zu rekonstruieren und erklärbar zu machen, oder um große Umwälzungsprozesse wie bspw. den Übergang von sozialistischen Gesellschaftsordnungen in marktwirtschaftliche nach dem Zerfall des Ostblocks zu steuern und zu begleiten. »Unter Transformation wird in diesem Zusammenhang generell der substanzielle Wandel von Sozialsystemen verstanden. Er kann spontan in einem Evolutionsprozess erfolgen, oder aber durch das Wirken intentional handelnder Akteure eingeleitet werden.«10 Im Zuge der globalen Krisen gegen Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Begriff der Transformation auch von anderen Disziplinen, nicht zuletzt vom Design, aufgegriffen und diskutiert worden. Damit einher ging und geht die Frage nach dem Designbegriff innerhalb eines gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses: Ist Design eine sozialwissenschaftlich definierte Planungsmethode gesellschaftlichen Wandels oder ist Design eine integrale, den menschlichen Alltag mitgestaltende Praxis? Ist Design Treiber der Veränderung oder Begleiter verändernder Praktiken? Kann es beides sein?

10

Kollmorgen et al. 2015, S. 14

Eins: Design und Transformation, Design als Transformation

Für beide Positionen gibt es Diskurse, Methoden und historische Herleitungen: Vom Design Methods Movement der 1960er Jahre über die Systemtheorien des Designs als Planungswissenschaft ohne ästhetischen Impuls bis zu neuen Formen und Disziplinen wie Service Design und Social Design reichen die Traditionslinien des Transformation Design. Als wäre das nicht vielfältig genug, existieren je nach Kultur- und Sprachraum zwei ähnliche, manchmal synonym verwendete, mitunter jedoch inhaltlich divergierende Begriffe, Transformation Design und Transition Design.

Transformation und Transition Transformation und Transition werden als Beschreibungen komplexer gesellschaftlicher Prozesse häufig gleichlautend verwendet, gleichwohl sind es konkurrierende Begriffe. Im anglo-amerikanischen Sprachraum hat sich »Transition« im akademischen Diskurs (auch und gerade in Kombination mit Design) durchgesetzt11 , obwohl eine der frühesten Definitionen des Transformation Design aus Großbritannien stammt. Dabei ist häufig nicht ganz deutlich, ob es eine Differenzierung zum Transformationskonzept gibt oder ob diese überhaupt notwendig erscheint. Wollte man versuchen, die Begriffe inhaltlich und funktional voneinander zu differenzieren, könnte man Transformation als Wandel globaler Umweltbedingungen, als fundamentalen Wandel durch menschliche Eingriffe in Umwelt und Natur definieren. Transformationen sind grundlegend, langfristig, umfassend; sie betreffen ganze Gesellschaften.12 Etymologisch lässt sich Transformation als ›Umwandlung‹ belegen. Heuristisch sind das ›Was?‹ eines Transformationsprozesses und seine Resultate von Interesse; man kann auch von einer (im Verhältnis zur Transition) eher vertikalen

11

Kollmorgen et al. 2015

12

Hölscher et al.: Transition versus transformation: What’s the difference? E nvironmental Innovation and Societal Transitions Volume 27, June 2018, Pages 1–3 (https://doi.org/10.1016/j.eist.2017.10.007)

19

20

Design und Transformation

Perspektive auf die Prozessstufen sprechen (z.B. bei der Transformation von der Regierungsform Autokratie zur Demokratie). Transformation wird als notwendige Setzung (normativ) gesehen, um aktuelle Zustände in nachhaltige zu überführen und umzuwandeln. Für die Disziplin Design ließe sich Transformation Design als ›umwandelndes Design‹, als ›Design für den Perspektivwechsel‹ oder in ›Design als Umwandlungsvorgang‹ übersetzen. Transition kann etymologisch von ›überschreiten‹ bzw. ›hinübergehen‹ hergeleitet werden. Transition beschreibt einen Wandel durch Übergänge von Zuständen politischer und/oder technokratischer Art; aber auch den Wandel in gesellschaftlichen Subsystemen (z.B. bei Mobilität, Energie, Stadtplanung). Transition hat dabei den Fokus auf soziale, technologische und institutionelle Eingriffe und Austausch.13 Heuristisch ist das ›Wie?‹ von Zustand A zu Zustand B von Interesse (z.B. bei der Umstellung eines ÖPNV auf emissionsfreie Beförderung). Im Unterschied zur vertikalen Perspektive der Transformationsforschung kann man die Transitionsforschung als eher horizontal beschreiben, als eine an der Bewegung, am Prozess des Wandels und seiner Gestaltung interessierte Disziplin. Transition Design ließe sich dann als ›Designen im Übergang‹ oder ›Designen für Übergänge‹ verstehen. (Es gibt allerdings auch die Position, Transitionen seien Phasen innerhalb einer Transformation.14 ) Als eine vorläufige, offene Zusammenfassung lässt sich formulieren: Transition und Transformation sind verschiedene Prozesse; Transformation impliziert einen tiefgreifenden Wandel, dessen Ergebnis und Ende nicht eindeutig zu bestimmen sind; Transition setzt bei angepeilten und definierten Zielen an, die mit Hilfe gesteuerter Prozesse erreicht werden können.

13

Hölscher et al. 2018

14

Kollmorgen, Raj: Gesellschaftstransformation als sozialer Wandlungstyp: eine komparative Analyse. Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst soFid, Politische Soziologie 2006/1, 9–30.

Eins: Design und Transformation, Design als Transformation

Teil des Problems oder Teil der Lösung? Seit seiner Entstehung in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts war Design eine Produktions- und Kulturtechnik, die sich vorzugsweise am Einzelobjekt abarbeitete. Ob Einrichtungsgegenstände, technische Produkte wie Haushaltsgeräte oder Fortbewegungsmittel, ob Kleidung oder Informationsgestaltung auf Druckerzeugnissen – Design bedeutete, Objekten mit Gebrauchs-, Nutzen- oder Informationsfunktion eine zeitgemäße Form zu geben; häufig unter wechselnden Imperativen wie dem Funktionalismus, dem Konsumismus, dem Wechsel der Moden etc. Da diese Dinge (auch nichtobjekthafte Artefakte wie z.B. Erscheinungsbilder für Marken oder Dienstleistungen, zeitbasierte und audiovisuelle Medien) immer für öffentliche Räume und Zusammenhänge gestaltet und dort wahrgenommen wurden, damit auch immer schon zur sozialen Distinktion beitrugen, hatte Design von Anfang an eine soziale Dimension, die jedoch erst mit der Aneignung designter Gegenstände durch bestimmte Nutzer- oder Käufergruppen bestimmt wurde. Im Konzeptions-, Gestaltungs- oder Produktionsprozess kamen die Adressaten der designten Objekte selten vor.15 Der Primat des Designs lag auf der Wahrnehmung der ästhetischen Attraktoren, die für Kaufimpulse und stilistische Vergänglichkeit sorgten. Das Telos des Designs zwischen 1900 und 2000 war ein marktgetriebenes: Konsum, Absatz- bzw. Marktanteilsteigerung, ästhetische Alterung durch Anpassung der Produktform an Lifestyles und die Generierung derselben.16 Deshalb kann man mit Ernst Ulrich von 15

Die Marktforschung amerikanischer Provenienz seit den späten 1920er-Jahren kann als Beispiel für ein präfiguriertes ›Einbinden‹ von Konsumenten gesehen werden, das sich nicht den tatsächlichen Bedürfnissen widmet, sondern Modifikationen an der Produktausstattung. Nicht der Mensch, sondern das Produkt und sein Marketing stehen im Mittelpunkt.

16

Was oft vergessen wird: es gäbe kein Design ohne die Abnehmer von Waren; d.h. erst durch eine Lohnentwicklung zum Ende des 19. Jahrhunderts, durch die mit einem halben Jahrhundert Verspätung gegenüber dem Beginn der industriellen Revolution Arbeiter und Angestellte in Stand gesetzt werden, Waren zu kaufen bzw. sich mit neuen Objekten auszustatten, kann sich die

21

22

Design und Transformation

Weizäcker die Frage stellen, ob Designer:innen Teil der ökologischen Lösung oder eher Teil des ökologischen Problems sind. Die Antwort von Weizsäckers lautet: »Typically, they are rather part of the problem«.17 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Nathan Shedroff in der Forderung nach einem nachhaltigen Designbegriff, wenn er seinem Buch den Titel Design Is The Problem gibt, weil bspw. nur ein Bruchteil der produzierten Güter länger als sechs Monate überlebt und der überwiegende Teil der Entstehungs- und Folgekosten herausgerechnet, externalisiert wird.18 Das Design hat sich deswegen berechtigter Kritik zu stellen gehabt, doch erst die digitale Revolution im ausgehenden 20ten Jahrhundert und eine parallel sich entwickelnde Konsum- und Wachstumskritik in Verbindung mit den bereits genannten Globalisierungstrends haben die Rolle des Designs in vielerlei Hinsicht problematisiert. Dazu gehören die Einbeziehung der User und Stakeholder in den Prozess des Designs; dazu gehört die Frage nach der sozialen Tragweite von Designlösungen; dazu gehören Fragen der Nachhaltigkeit, des Konsumverzichts und natürlich Fragen der Bedienbarkeit und des Verlustes von physischen Erfahrungen bei digitalen Produkten und Dienstleistungen. All diese Trends zusammen genommen haben die Rolle des Designs (als Produktform), des Designens (als Prozess des Entwerfens) und der Designer:innen (als Entwurfsexpert:innen unter anderen Expert:innen) problematisiert. Daraus haben sich neue Ansätze des Designs ergeben, die unter dem Label Transformation Design zusammengefasst werden können und sich mal mehr, mal weniger mit den sozialen Aspekten eines bewussten ästhetischen Eingriffs in die Umwelt beschäftigen. Gestaltung der Produkte zu einem unabdingbaren Bestandteil des Produktions- und Distributionsprozesses entwickeln. Dazu Piketty, Thomas: Das Kapital im 21. Jahrhundert. München. 2018, S. 24f. 17

Schmidt-Bleek, F. und Tischner, U.: Produktentwicklung – Nutzen gestalten – Natur schonen. Wuppertal Institut, Wuppertal 1995, S. 5

18

Shedroff, Nathan. Design is the Problem: The Future of Design Must be Sustainable. New York. 2009, S. XXVII; zum Begriff der Externalisierung: Lessenich, Stephan: Neben uns die Sintflut. Wie wir auf Kosten anderer leben. München. 2016

Eins: Design und Transformation, Design als Transformation

Beim Social Design, das in diesem Zusammenhang oft genannt und manchmal synonym zum Transformation Design verwendet wird, ist eine Identifikation mit klassischem Design oft schwierig, weil die Form ganz am Ende eines Diskurses oder Partizipations- und Planungsprozesses steht, der für das gesamte Verfahren wichtiger ist als das sinnlich wahrnehmbare Ergebnis. Demgegenüber möchte dieses Buch den Designcharakter im Transformation Design betonen, also die sinnlich wahrnehmbaren Formen, in denen Problem, Prozess, Lösung und Nutzen aufgehoben, transformiert und materialisiert sind. Unser Handeln und unser Denken sind von Bildern geprägt, die uns vorausträumen und ahnen lassen, wie wir leben können und wollen. Design ist eine Technik, ein Ansatz, der nicht nur Lösungen in einem technischpragmatischen Sinn schafft, sondern über die Formen die Geschichte des Prozesses und den Zustand der Gesellschaft vermittelt, in der ein designtes Artefakt entstand. Wollen wir ein positives Bild der Zukunft haben, das jenseits von Apokalypsen und Dystopien liegt, dann muss das Design dieses Bild entwickeln.19 Betrachtet man Design nicht bloß als willfährige Technik des entwickelten Warentauschs, sondern als grundlegende Technik der Weltverbesserung, dann sollte Design sui generis transformativ sein20 . Ist dem Design diese transformative Potenz in den vergangenen Jahrzehnten möglicherweise abhandengekommen, indem es zur zwar überall sichtbaren, letztlich aber ökonomisch determinierten, servilen Praxis wurde? Transformation Design kann auch als Versuch verstanden werden, dem Design die gesellschaftliche Kraft wiederzugeben, die es zu Beginn und in seinen ›heroischen Phasen‹ 19

Das meint Fry mit »Design Futuring« (Fry, Tony: Design Futuring. Sustainability, Ethics and New Practice. Oxford. 2009). Die letzte Epoche, die ästhetisch und technologisch wirkmächtig eine positive Zukunftsvision zeichnete, waren die Jahre des ›Space Age‹ 1965 bis 1972.

20

In diesem Sinne ist wohl auch Michael Erlhoffs Einlassung zum Transformation Design zu verstehen. Erlhoff, Michael: Owls to Athens, or: The discrete Charm of Transformation Design. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016

23

24

Design und Transformation

hatte: Als Versuch, Ideenfindung, Konzeption, Gestaltung und Produktion als einen am Gemeinwohl orientierten Gesamtprozess zu verstehen und zu praktizieren, heute ergänzt um partizipative Strategien und ein iteratives und agiles Projektmanagement, um die aus Arroganz und Gestalterhybris gemachten Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Dabei argumentiert das Transformation Design mit der Fähigkeit von Design, soziale, ökonomische, ökologische und politische Systeme überschauen und vernetzen zu können. Transformation Design basiert auf der Einsicht in die Notwendigkeit des Wandels sozioökonomischer Systeme; die Perspektive ist eine nachhaltige Zukunft. Transformation Design muss also existierende Lebensstile zugunsten nachhaltiger, lokaler, am Miteinander und an der Natur orientierter Lebensstile hinterfragen. Zu den neuen Parametern einer nachhaltigeren Lebensführung zählen bspw. eine »kosmopolitische Ortsverbundenheit«21 und die Wertschätzung des Alltags und seiner Potenziale zur Transformation durch Design. Der althergebrachte Impetus des Designs, im Sinne der Marktfähigkeit ›neue‹ Objekte zu entwickeln, würde in Zukunft durch ›andere‹ und ›sinnvolle‹ Objekte und Prozesse ersetzt werden müssen.

21

Sachs, Wolfgang: Planet Dialectics: Exploration in Environment and Development. London. 1999, S. 105–107; Manzini, Ezio: A Cosmopolitan Localism: Prospects for a Sustainable Local Development and the Possible Role of Design. In: Hazel Clark and David Brody (Hg.): Design Studies: A Reader. New York. 2009, S. 448

Die Designgeschichte und die mit ihr verknüpften Theorien sind häufig durch Dichotomien und Antagonismen gekennzeichnet, durch gegensätzliche Positionen und Perspektiven innerhalb eines Feldes. Dieser Teil des Buchs streift die wichtigsten Ansätze der historischen und jüngeren Designtheorie und klopft sie auf eine fruchtbare Diskursivität für die heutige Designpraxis, aber auch für die Designwissenschaft im Sinne transformatorischer Ansätze ab. Dabei steht vor allem die soziale Funktion von Design im Mittelpunkt, die in der Vergangenheit häufig nur ex negativo, d. h. als fehlendes Bewusstsein für die Folgen von Entwurfspraxis, diskutiert wurde. Zeitgemäßes Design sollte sich seiner sozialen Potenz bewusst sein.

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt Funktion und Form

Design hat eine gut belegte Geschichte; zahlreiche und vielfältige Theorien zur Praxis der Umweltgestaltung sind in den vergangenen 150 Jahren als normative Manifeste und rekonstruierte Ideengeschichten formuliert und diskutiert worden. War in der Vergangenheit die Dichotomie von Funktion und Form des Objekts bestimmend, so haben wir es bei den aktuellen Diskursen mit dem Verhältnis von Planung und Bedienung durch Menschen zu tun – mit dem Effekt, dass die Form als ästhetisches Surplus zugunsten von Erlebnis- und Bedienkategorien zu verschwinden scheint. Mit ›Design‹ innerhalb digitaler Infrastrukturen und Dienstleistungsangeboten ist viel weniger, manchmal gar keine offensichtliche Gestaltung mehr gemeint, sondern reines Planungs- und Entwurfsdenken. »Design ist unsichtbar«, hatte bereits Lucius Burkhardt formuliert1 und bezog sich damit auf eine notwendige Umdeutung von Design von der Objektfixierung hin zur Umgebung und Gesamtsituation. Das Verhältnis von Form und Gebrauchswert, von ästhetischer Arbeit und Funktion bestimmt nicht nur historisch den Diskurs im Design, sondern bleibt als Aufgabe der Disziplin Design bestehen. Ein Automobil mit neuer Karosserieform als Attraktor (bei nur marginal veränderter Technik) ist so fragwürdig wie eine designte Dienstleistung, die ich nur als verbesserte technische Schrittfolge digitaler Prozesse erfahre – aber wo beginnt 1

Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012

28

Design und Transformation

Design, wo hört Planung auf und umgekehrt? Wie stark ist also das Kompositum ›Design‹ gegenüber der ›Transformation‹?

Das alte Design Wenn man in Europa von Design spricht oder über Design nachdenkt, ist mit dem Begriff eine spezielle, historisch gut belegte Kulturtechnik impliziert, die den Prozess und die Praxis des integralen Entwerfens von Funktionen und Formen enger beschreibt und praktiziert, als im Englischen der Begriff ›design‹ bedeutet: Dort sind damit ›der Entwurf‹ oder ›Entwurfshandeln‹ im allgemeineren Sinn umschrieben. Der Entwurf kann sich auf alles beziehen, von der mathematischen Formel über die politische Agenda oder den Plot eines Romans bis zur Mannschaftsaufstellung im Sport2 . Design im engeren und spezialisierten (eher europäischen) Rahmen dagegen ist eine Tätigkeit, die vorzugsweise in industriellen Zusammenhängen Objekte, Ideen und Systeme als nützliche oder sinnvolle, weil in eine dezidierte Form gebrachte Objekte entwirft und für die Produktion bzw. Distribution optimiert. Design als Kulturtechnik kann also bedeuten: Entwurfshandeln, Problemlösungsstrategie und Eingriff in die Natur, die dadurch in eine menschliche Welt transformiert wird. Es kann auch bedeuten: Die Tätigkeit und der Prozess, um Werkzeuge in kulturell formierte und kulturell formende, gestaltete Artefakte umzuwandeln. In dem ersten, weiten Sinn ist Design daher eine Praxis so alt wie die Menschheit; im zweiten, engeren Sinn lässt sich diese Praxis als spezialisierte, dann industrialisierte Technik beschreiben, die umfassend geworden ist. Design heute umspannt ein Feld, dass selbst Designer:innen (meist in einer speziellen Disziplin ausgebildet und beruflich unterwegs) kaum noch übersehen können. Bis 1980 war es möglich, Design in fünf Großdisziplinen zu unterteilen (Grafik-/Kommunikations-, Industrie-/Produkt-, Textil/Mode-, Foto-/ Video-, Interior-/Messe-/Set-Design) und die Prozesse und Produkte miteinander zu vergleichen; der Output war haptisch, analog, 2

Simon, Herbert: The Sciences of the Artificial. Cambridge. 1996, S. 199

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

finit und begrenzt. Heute (2023) sind die analogen Designobjekte zu Marginalien geschrumpft oder zu nostalgischen Techniken und Stilistiken avanciert; Designer:innen arbeiten mit digitalen Werkzeugen an digitalen Produkten und Services, die veränderbar, sofort verfügbar, unendlich reproduzierbar, skalierbar und verlustfrei kopierbar sind, um nur einige Kriterien zu nennen. Design als Begriffszusatz für spezialisierte Leistungen ist vor allem in der IT- und IM-Branche selbstverständlich geworden; Berufsbilder sind entstanden, die mit der immer noch gefühlten künstlerischkreativen Ausbildung der klassischen Designer nichts mehr zu tun haben. Design ist überall und gleichzeitig verflüchtigt es sich, weil die Prozesse stärker in den Vordergrund rücken als die wahrnehmbaren Designobjekte. Mit dieser Vielfalt und dieser Entgrenzung muss sich heute beschäftigen, wer über eine Zukunft des Designs und eine Zukunft, in der Design eine Rolle spielt, nachdenkt. Dabei geraten die klassischen Dichotomien ins Wanken und müssen einer Überprüfung unterzogen werden.

Funktion und Distinktion Von Anfang an ist dem Design eine Dialektik eingeschrieben: Einerseits bleibt der Werkzeugcharakter der Artefakte erhalten (Funktionalität, Nutzen, Gebrauchswert); andererseits wird über die Form nicht bloß die utilitäre Funktion brauchbar gemacht und kommuniziert, sondern Distinktion hergestellt. Die Form der Objekte kann nie zum Verschwinden gebracht werden; ihre gesellschaftliche Potenz ebenfalls nicht. In den hoch entwickelten und reichen Industrienationen hat der differentielle Charakter der Distinktion seit dem Umschlagen von einem Verkäufer- in einen Käufermarkt für das Design an Bedeutung gewonnen – viele Produkte verdanken ihre Existenz und ihren Markterfolg allein distinktiven Aspekten. Zudem verlagerten sich mit der digitalen Revolution viele Produkte vom rein physischen Objekt in ein teilweise oder gänzlich virtuelles, nur per Interface oder am Computer zu bedienendes und erlebbares Produkt. Die vormalige Aufgabe des Designs, Werkzeuge und notwendige, wenigstens aber nützliche Dinge in eine der jeweiligen

29

30

Design und Transformation

Gesellschaft angemessene Form zu bringen, ist unscharf geworden. Funktion, Notwendigkeit und Nutzen sind unter den oben geschilderten Bedingungen kapitalistisch organisierter Gesellschaften Auslegungssache; die Dinge als physische Artefakte verschwinden zugunsten digitaler Produkte, deren Charakteristik meist nicht der persönliche Besitz, sondern der Zugang zum System ist. In extrem ausdifferenzierten Gesellschaften gibt es keinen vorherrschenden Stil mehr, der etwas über den Stand der Produktivkräfte oder die gesamtgesellschaftliche Ideologie aussagt, sondern zahlreiche Milieus, Szenen und Gruppen, die sich über die Auswahl der genutzten Artefakte, die damit gemachten Erlebnisse und deren jeweilige Ästhetik voneinander abgrenzen3 . Hier hat Design als normativästhetische, ordnende oder orientierende Kraft, die eine Vision oder zumindest einen schichtenübergreifenden Zeitgeist transportiert (wie noch das Space-Age-Design der späten 1960er Jahre, aber auch der Punk der späten 1970er Jahre), ausgespielt. Design ist stattdessen ubiquitär, wahllos, marktkonform, und somit sogar irgendwie demokratisch – im Sinne von jedem zugänglich – geworden. Diese Marginalisierung von Design bei seiner gleichzeitigen Überpräsenz ist Symptom (aber möglicherweise auch eine der Ursachen) einer wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Entwicklung, die zu den globalen, uns alle betreffenden Herausforderungen geführt hat.

Design als Beruf und Praxis Design hat eine enorme begriffliche Verbreiterung und praktische Diversifikation erfahren, gleichzeitig scheint Design in der Wahrnehmung auf Einzelergebnisse im Sinne von Objekten bzw. Produkten verengt zu sein – als Faszinosum dieser Branche wird immer wieder die Arbeit an kollektiv wahrgenommenen Artefakten angegeben, die in ihrer Wirkmächtigkeit (Auflage, Produktionslaufzeiten, Verkäufe, Besprechungen, Auszeichnungen) und dem Grad 3

Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt. 1992; SINUS-Institut: https://www.sinus-institut.de/sinus-loesun gen/sinus-milieus-deutschland/

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

der Selbsteinschreibung der Handelnden (vor allem, aber nicht allein, der Designer:innen) direkt hinter der ›Kunst‹ rangieren.4 Welchen Unterschied macht das Additiv Transformation gegenüber dem althergebrachten Designbegriff – eingedenk verschiedener Praxisformen, theoretischer Unterfütterungen und historischer Einlassungen, die es zum traditionellen Design gegeben hat? Dazu soll eine kurze historische Betrachtung des Berufs dienen. Design als Begriff für eine anerkannte berufliche, planerischkonstruktiv und gestaltend die Umwelt verändernde Praxis ist seit den 1910er Jahren nachweisbar. Die Berufsbezeichnung ›Industrial Designer‹ wurde 1914 beim U.S.-Patentamt eingetragen, aber erst seit den späten 1920er Jahren werden Beruf, Praxis und Gestaltungsergebnis regelmäßig als ›Design‹ bezeichnet. In diese Zeit fallen die Gründung von Raymond Loewys Büro für Industrial Design in New York (1929), die Gründung der Art & Color Section bei General Motors unter Harley Earl (ebenfalls 1929; die erste Designabteilung bei einem Automobilhersteller) und die Gründung des ersten Berufsverbands amerikanischer Designer 1927.5 Da in den Vereinigten Staaten ab 1930 die Automobilindustrie und die Konsumgüterindustrie boomen und die Hersteller sowohl eigene Designabteilungen aufbauen, aber auch externe Studios beauftragen, erlebt der Beruf des Industrial Designers eine erste Hochphase. Die Praxis des Gestaltens von Automobilen (nicht exklusiv, aber prioritär) wird ›Styling‹ genannt, auch, um sich vom Beruf und der Praxis des Engineering Designers, also der Konstrukteure/Ingenieure zu unterscheiden6 . Daran lässt sich erkennen, dass der Begriff Design im englischen Sprachraum von Beginn an weiter gefasst ist als im deutschen. Design bezeichnet dort den formenden Eingriff, sowohl planerisch-konstruktiv als

4

Eine Beobachtung, die ich in meinen langjährigen Tätigkeiten als Designer, als Studienberater und als Hochschullehrer für Gestaltungsfächer immer wieder gemacht habe. Hier ist eine ›Entzauberung‹ im Sinne Max Webers durchaus angebracht.

5

Caspers, Markus. Designing Motion. Automobile Designers 1880–1980. Basel. 2016, S. 40 f

6

Caspers 2016, S. 28

31

32

Design und Transformation

auch gestaltend, während hier der Begriff des Gestalters, Formgestalters oder der Formgebung viel enger greift. Es ist daher kein Zufall, dass viele Theorien zum Potenzial des Designs aus dem anglo-amerikanischen Kulturraum von einem weiteren Designbegriff ausgehen als europäische, speziell deutschsprachige Einlassungen. Der Berufsstand der Designer:innen speist sich ab 1880 aus mehreren Quellen, die mal mehr, mal weniger in der Ausbildung und der Berufspraxis miteinander verbunden werden7 : Es sind die Musterzeichner:innen und Kopist:innen, die für Dekore, Ornamentik und Oberflächengestaltung zuständig waren und das Design in Richtung Grafikdesign, Textildesign und Interior Design weiterentwickeln. Es sind das Holz- und das Metallhandwerk, die technisch-funktionales Knowhow liefern und das Design zu dem machen, was später Produkt- und Industriedesign genannt wird. Und es sind die Architekt:innen, die mit ihrer Entwurfspraxis und dem Denken in größeren räumlichen Zusammenhängen das Design einerseits professionalisieren und nobilitieren, gleichzeitig aber dieses auch der Architektur als Krone der Schöpfung einzuverleiben versuchen8 (u. a. dadurch, dass viele Architekt:innen die Innenausstattung und das Mobiliar ihrer Gebäude gleich mit entwerfen). Mit der Architektur im Rücken wird Design mal zur holistischen Umweltgestaltung (wie im Bauhaus), mal zur Unterkategorie eines normativen Entwurfsdenkens (wie im Rationalismus der HfG Ulm).

Design als Verkaufsförderung und Distinktion Das Berufsfeld Design wendet sich seit seiner Entstehung einer in ihren Produktvarietäten und deren jeweils produzierter Anzahl scheinbar unerschöpflichen Waren-, Dienstleistungs- und Markenwelt zu und gestaltet in granularer Differenzierung unendlich viele Objekte, die jedes für sich in einem Konkurrenzzusammenhang stehen, aber in keinem aufeinander abgestimmten Funktions- oder 7

Für die Situation in Deutschland: Buchholz, Kai u. Theinert, Justus: Designlehren. Wege deutscher Gestaltungsausbildung. Stuttgart. 2007

8

Etwa im ersten Bauhaus Weimar 1919.

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Prozesszusammenhang. Die marktliberale Doktrin der ›Freedom of Choice‹ vertraut den Mechaniken des Marktes und betrachtet ein Entwurfsdenken, dass sich an gesellschaftlich sinnvollen und nachhaltigen Zielen orientiert, als hemmend und bevormundend. Dies ist im Zusammenhang mit und in Abgrenzung von aktuellen Designphilosophien wie dem Transformation Design wichtig zu erwähnen, denn die Objektfixierung, ja der Warenfetisch können als Ursachen und Folgen einer aus dem Ruder gelaufenen Wachstumsund Konsumideologie gesehen werden, dem ein ganzheitliches und auf die Bezüge und Beziehungen zwischen Menschen achtendes Designverständnis, für das Objekte funktionale Mittler, aber keine Werte an sich sind, entgegensteht. Die Entstehung des Designs ist nicht von der industriellen und kapitalistischen Logik der Produktion und des Verkaufs zu trennen. Seit den ersten großen Leistungsschauen industrieller Warenproduktion, den Weltausstellungen ab 1852, diente die industrielle Gestaltung der Konkurrenzfähigkeit mit den Produkten anderer Nationen und der Erzielung eines Wettbewerbsvorteils auf dem eigenen Markt. Diese Vermarktungslogik erfuhr einen ungeheuren Schub gegen Ende der 1920er-Jahre in den USA. Unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise erkannten die großen Unternehmen der Konsumgüterbranche die Möglichkeiten des Marketings und des Designs. Warenform und Wareninszenierung wurden von da an zu essenziellen Strategien der Absatzförderung. Damit begann eine Designpraxis, die im Sinne schneller Wechsel und Anpassungen an einen Zeitgeschmack die äußere Hülle oder Oberfläche der Produkte und Medien umgestaltete, ohne den funktionalen Kern bzw. den Produktnutzen anzutasten: Styling. Nach Europa gelangt das Styling als Praxis und als ideologischer Begriff erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In der Folge des Einzugs der amerikanischen Produktkultur und dadurch konkurrierender Gestaltungsethiken polemisieren Gestalter:innen, die dem Bauhaus und dem funktionalistischen Gestaltungsbegriff der ›Guten Form‹ nahestehen, gegen das Styling als »oberflächlich moderne Formge-

33

34

Design und Transformation

bung«, als »gefällige modische Form«, die »primitive Gefühlsmotive und Wunschträume« zur Ursache habe bzw. bediene.9 Impliziert ist in dieser Kritik neben der Verachtung für die schnellen, gefälligen Formen häufig genug die Verachtung für den Geschmack (oder nicht vorhandenen Geschmack) der Konsument:innen, die auf das Styling hereinfallen und sich verführen lassen. Dieser moralisierende, paternalistische Blick spiegelt zwei Design-Dilemmata wider, die bis in die Gegenwart reichen: Erstens die Frage nach der Ästhetik der Form als probates Medium für Affekte, Emotionen und als Mittel zur Erzielung von Distinktionsgewinnen; zweitens die Frage nach einer Geschmacksbildung der User:innen und deren Einfluss auf die Formfindung. Auf diese Fragen hat es noch keine abschließende oder eindeutige Antwort gegeben; das ›sozialistische‹ Design aus der DDR glich sich entweder dem erzieherischen Programm der Guten Form des Westens an oder folgte einer gemäßigten Styling-Praxis10 . Die Funktionsform Ulmer Prägung fand sich entweder in hochwertigen und damit teuren Konsumgütern, oder in Objekten, die kollektiver Benutzung vorbehalten waren (Kantinengeschirr, Büromöbel, Arbeitsgeräte). In beiden Fällen dienten die Objekte damit der Distinktion qua Form: Das Weniger-ist-mehr der hellgrauen Stereoanlage belegte nicht nur das ökonomische Kapital, sondern auch die Geschmacksbildung bzw. das kulturelle Kapital ihrer Besitzer; so wie der Kunststofffön aus ostdeutscher Produktion das ältere Bakelitmodell gleicher Provenienz in seiner Zeitlichkeit deklassierte und auf einem planwirtschaftlichen Nachfragemarkt neben dem ökonomischen vor allem das soziale Kapital seiner Benutzer demonstrierte. Dem sozialen Impetus des Designs muss sich jeder neue oder dezidiert andere Designansatz stellen: So lange sich Gesellschaft ausdifferenziert und in Milieus und Szenen abbildet, geschieht diese Abbildung mit Hilfe von ästhetischen Markern. Dies zu ignorieren, wäre töricht; es unterbinden zu wollen, totalitär. Die ästhetische 9

Max Bill und Wilhelm Braun-Feldweg; zitiert nach Erni, Peter: Die Gute Form. Baden. 1983, S. 56

10

Selle, Gert: Design-Geschichte in Deutschland. Produktkultur als Entwurf und Erfahrung. Köln 1987

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Aneignung als Mittel sozialer Differenzierung ist offensichtlich unabhängig von der Designsprache und vom intendierten Designethos – jede Form wird von den Usern zum Sprechen gebracht und benutzt. Der Vorwurf an das Styling, Affekte anzusprechen und für Projektionen ein Vehikel zu sein, geht ins Leere; der historische Versuch, über eine reduzierte Formgestaltung Bedeutungen unliebsamer Art zu negieren oder zu neutralisieren, kann als gescheitert gesehen werden. Mit der Hilfskategorie des Geschmacks wurden normative ästhetische Setzungen installiert, die vor allem der Distinktion Vorschub leisten. Der Vorwurf an die Styling-Praxis, eine immer schneller sich drehende Austauschmechanik im Sinne des Konsums und der Entsorgung zu befördern, indem die ästhetischen Marker auch als Verfallszeichen einer Mode oder eines Trends gelesen werden können, bleibt dennoch bestehen und bleibt gleichzeitig ambivalent, so lange nicht geklärt wird, wie ein ästhetisch anspruchsvolles Design aussieht, das für lange Zeit valent bleibt.

Design als Problemlösungstechnik Herbert Simons Theorie des Designs als »Science of the Artificial« von 1969 kommt dem heutigen ins Soziale reichenden Designbegriff auf den ersten Blick sehr nahe und wird oft zitiert11 . Für den Sozialund Wirtschaftswissenschaftler Simon ist Design eine anthropologische Disposition, die für alle Lebensbereiche Gültigkeit beanspruchen kann und keine auf die bessere Vermarktbarkeit von Objekten fixierte Gestaltung. Design heißt für Simon Entwurf; nicht im gestalterischen Sinn, sondern als generelle kognitive Leistung. Seine Definition »Everyone designs who devises courses of action aimed

11

In der Anthologie von Jonas et al. in vier Beiträgen ((Jonas, W., Zerwas S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016)); Mareis widmet Simon ein ganzes Kapitel, in dem allerdings nur ein einziges Kapitel von Simons 230 Seiten starkem Buch eingehend betrachtet wird (Mareis, Claudia: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960. Bielefeld. 2011).

35

36

Design und Transformation

at changing existing situations into preferred ones«12 beschreibt einen sehr weiten Begriff von Planung, Konstruieren und Problemlösen, der die traditionelle (europäische) Auffassung von Design als Formgebung hinter sich lässt. Was einerseits eine Entgrenzung des Designbegriffs darstellt, die den Blick auf das Grundsätzliche richtet, ist bei Simon andererseits eine formallogische Aufgabe für Ingenieure und Planer. Hier zeigt sich eine kulturelle Differenz zwischen formallogischem Problemlösen auf der einen, und gestaltendem, die ästhetische Wahrnehmung fordernden Bearbeiten der Umwelt auf der anderen Seite.13 Simon ist ein hellsichtiger Systemtheoretiker, aber als Designtheoretiker nur dann fruchtbar, wenn man den Designprozess zuallererst als kühlen Entscheidungsfindungsprozess betrachtet, in dem man möglichst viele Störfaktoren aussiebt und sowohl die Anzahl der Ziele als auch die Anzahl der Einflussfaktoren minimiert14 . Horst Rittel und Marvin Webber haben vier Jahre nach Simon mit ihrem für die Designtheorie ebenso einflussreichen wie verzögert wirkenden Aufsatz zu Planungsproblemen15 die Opposition von »tame problems« und »wicked problems« etabliert und damit für das Social Design und das Transformation Design Felder und Strategien benannt, die herkömmliche Designaufgaben überschreiten und in der Politik oder in der Verwaltung Lösungswege erfordern, die eher aus dem Bereich des designerischen Problemlösen bekannt

12 13

Simon, Herbert: The Sciences of the Artificial. Cambridge. 1996, S. 111 »Simon’s ›Science of Design‹ thus frames design as a logical search for satisfactory criteria that fulfill a specific goal.« (Huppatz, DJ: Revisiting Herbert Simon’s »Science of Design«. In: DesignIssues Vol. 31, No. 2, 2015 (MIT 2015) S. 34). Huppatz weist auch darauf hin, dass Simons Forschung in großem Maße von militärischen und dem Militär nahestehenden Institutionen gefördert wurde, denen im Kalten Krieg an schnellen, mathematisch kalkulierten und von menschlichen Emotionen befreiten Entscheidungen gelegen war; nicht zuletzt mit Hilfe von Computerprogrammen.

14

Simon im 6. Kapitel zur Repräsentation von Organisationen; Simon, Herbert: The Sciences of the Artificial. Cambridge. 1996, S. 142 f

15

Rittel, Horst W. J. and Webber, Melvin M.: Dilemmas in a General Theory of Planning. In: Policy Sciences 4. Amsterdam. 1973, S. 155–169

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

sind (und die man heute Design Thinking nennen würde). Rittel und Webber halten gesellschaftliche Probleme nicht für naturwissenschaftlich-technisch lösbar, sondern nur auf sozialer Ebene. Ihr Vorgehen ist sowohl deduktiv als auch iterativ: Vom Großen zum Kleinen tastet man sich in Verästelungen weiter, gewahr werdend, dass sich mit der Lösung eines Problems nur die nächste Aufgabe, nämlich die Lösung der damit verbundenen, nächsten Probleme auftut. Die Aufgabe ist im Grunde nie abgeschlossen, sie wird nur komplexer. Rittel und Webber sind davon überzeugt, dass wicked problems nur durch Intuition und Kommunikation angegangen werden können; eine Lösung im Sinne klassischer Finalität gibt es nicht: Lösungen sind nicht nach einem »falsch-richtig«-Paradigma einzuordnen, sondern nach »gut oder schlecht«16 . Den Ansätzen von Simon wie von Rittel und Webber ist ein problematisches Verhältnis zum Design nach europäischem Muster zu eigen; weniger als ideologische Gegenposition, sondern schlicht im Fehlen einer Definition, was an Design noch ästhetische Einflussnahme sein kann. Gestaltung als Organisation ästhetischer Marker oder Formulierung eines Styles ist, wenn sie überhaupt problematisiert wird, nachrangig. Rationalität in der Planung statt intuitiver Kreation; die Ablösung der Künstler-Designer:innen und ihre Ersetzung durch Entwurfsplaner:innen; so lassen sich die Ansätze von Simon und Rittel/Webber überspitzt zusammenfassen. Sie schließen sich an Strömungen wie das britische Design Methods Movement der 1960er-Jahre (Bruce Archer, John Christopher Jones, Christopher Alexander) und das Systemdesign bzw. die naturwissenschaftlich inspirierte Designlehre der HfG Ulm zwischen 1959 und 1964 an (z. B. bei Thomas Maldonado oder Gui Bonsiepe). Auch Horst Rittel, Mathematiker und Systemtheoretiker, war vor seiner Professur in Berkeley einige Jahre Dozent an der HfG Ulm. Für die Diskussion um den Anspruch und die Möglichkeiten von Transformation Design bleibt die Definition von Design als prioritär nicht ästhetisch gestaltendes Entwurfsdenken zwar ein Bestandteil des Begriffsumfangs, aber dieser allein reicht kaum hin,

16

Rittel und Webber 1973, S. 162

37

38

Design und Transformation

um im emphatischen Sinn von Design sprechen zu können.17 Aktuell geblieben ist der Stakeholder-Ansatz, mit dem ›wicked problems‹ durch die Mit- und Einsprache vieler Beteiligter zu einem für alle tragbaren Kompromiss entwickelt werden können; ein Ansatz, der in der politischen Aufbruchphase der 1970er- und 1980er-Jahre auf fruchtbaren Boden fiel. Ein Nachhall von Simons und Rittels Ideen findet sich darüber hinaus in bestimmten Aspekten des Design Thinking; außerdem eine mehr oder weniger stark in die Lehre implementierte Entwurfsprogrammatik und die Entkopplung des Objekts von seiner Form – zumindest theoretisch. Denn in der Praxis bleibt Design objektbezogen und objektverhaftet, dem Konsum verpflichtet und den irrationalen Ansagen des Marktes ausgeliefert. Ungeachtet der Diskrepanz von Anspruch und ökonomischer Wirklichkeit der Designpraxis bleibt bei den Überlegungen von Design als Planung und Entwurf eine wichtige Komponente außen vor: die Form. Sie ist nicht bloß die sinnlich erfahrbare Hülle oder das informative Interface, sondern ein polyvalenter Bedeutungsträger. Die Bearbeitung von Problemfeldern verlangt eine Überschreitung des Status quo; dies bedingt eine überzeugende Form, die ein Begreifen und Aneignen möglich und erfolgreich macht.

Zwischen Gebrauchsform und Wareninszenierung Die Geburt des Designs verdankt sich unter anderem dem Missverhältnis von Dekor und angestrebter Funktion auf dem ersten Höhepunkt der Industrialisierung zur Zeit der Weltausstellungen zwischen 1850 und 1900.18 Überbordender Kitsch, vorgegaukelte Materialqualitäten und Formen, die den Gebrauch konterkarieren, 17

Felicidad Romero-Tejedor formuliert eine ähnliche Kritik an Rittels Planungsdenken, das ohne Gestaltung auskommt und für Designer eigentlich nichts bringt. Romero-Tejedor, Felicidad: Horst Rittels Planungsdenken: Ein Modell für Design? In: Öffnungszeiten 29/2015. Kassel. 2015, S. 72–84

18

Auf die historischen Ursachen dieser Gestaltungsmisere werde ich im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehen, dazu ausführlich Selle 1990 und Buchholz 2007

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

führen durch die mediale Kritik und den ausbleibenden Erfolg am Markt zu einer ersten Bestimmung dessen, was wir heute als Design bezeichnen, auch wenn die Ergebnisse disparat erscheinen. Die englische Arts & Crafts-Bewegung konzentrierte sich auf Materialgerechtigkeit, handwerkliche Güte und Langlebigkeit; der Deutsche Werkbund stellte programmatisch die industrielle Fertigung, konstruktive Eleganz und die schlichte Form in den Vordergrund. Doch mit dem Durchbruch der Professionalisierung und Industrialisierung der Wareninszenierung (Verpackung, Werbung, Präsentation19 ) in den späten 1920er Jahren gewinnt die Form an Bedeutung und wird das, was später als Warenästhetik bezeichnet wird, zum Angriffspunkt für die Kritiker und zum Dreh- und Angelpunkt für Marktstrategen und Designer. Die Sinnkrisen des Designs hängen immer mit der wirtschaftlichen Einbettung desselben zusammen. Die erste Sinnkrise vor dem Beginn des ›heroischen‹ Designs war um 1890 durch Überproduktion, Konkurrenz auf den Weltmärkten, Billigmaterialien und sinnentleertem Dekor gekennzeichnet bzw. hervorgerufen. Die zweite Sinnkrise beginnt in den späten 1920er Jahren, als in den USA das Industrial Design als strategische Größe in der Produktentwicklung und im Marketing erkannt und eingesetzt wird. Die Einsicht in den Distinktionscharakter der Form einerseits und der Wunsch nach der Teilhabe an Zeitgenossenschaft geben dem amerikanischen Design eine markante Stilistik, das Streamline Design. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mischt sich das Streamline Design mit biomorphen Elementen und Versatzstücken aus einer eher nüchternen Designsprache zu einer Stilistik, die heute häufig als Midcentury Modernism20 bezeichnet wird. Jenseits der Stilistik stehen in der De19

Dazu gehört die Gründung multinationaler Werbeagenturnetzwerke, bspw. die 1883 in den USA gegründete Dorland Agency, die 1905 nach London expandiert und für deren Berliner Büro (eröffnet 1928) auch der Bauhausabsolvent und -lehrer Herbert Bayer arbeitet; Raymond Loewys Agentur RLA ist seit 1929 neben Produktdesign auch im Bereich Packaging Design (z.B. Lucky Strike Zigaretten) und Store Design (Macy’s, Bonwit-Teller) tätig.

20

Bradbury, Dominic: Midcentury Modernism Complete. New York. 2014

39

40

Design und Transformation

signpraxis und -theorie der 1950er Jahre jedoch andere Fragen auf der Tagesordnung: In den USA ist es die Doktrin der Planned Obsolescence und der jährlichen Modellwechsel in der Automobilindustrie, die dazu führen, dass die Designpraxis des Stylings als Technik der Verschleierung in Verruf gerät – und mit ihr das Design als Ganzes. Die Warenform ist dort nur noch ein Teil einer komplexen Verpackungs- und Inszenierungstechnik (Packaging Design, Advertising Design, Visual Merchandising, Store Design), die als Tauschwertbeschleuniger den Nutzen bzw. den Gebrauchswert in den Hintergrund drängen. Den jährlichen Karosserieänderungen bei den amerikanischen PKW entsprechen keine technischen oder funktionalen Neuerungen, die eine modifizierte Form erforderten. Zudem übernehmen die Produkte immer mehr die Funktion von Distinktionsobjekten ohne direkten Nutzen, was als Folge des zunehmenden Wohlstands in den Nachkriegsjahren interpretiert werden kann.

Kritik der Warenästhetik: Form ohne Funktion Vor diesem Hintergrund fragen sich Designer und Kritiker, welche Funktion das Design haben kann und haben soll. Die erste profunde Kritik gilt in den späten 1950er Jahren den Werbe- und Marketingstrategien der US-Konzerne21 . 1971 erscheinen zwei sehr unterschiedliche, in ihrer Fundamentalkritik am Design jedoch verbundene Werke: In Deutschland Kritik der Warenästhetik von Wolfgang Fritz Haug und in den USA Design for the Real World von Victor Papanek. Haug geht das Problemfeld der Warenästhetik mit der Warenund Mehrwerttheorie von Karl Marx aus dem Kapital22 an: Um Waren zu tauschen, muss ein Akteur eine Ware übrighaben, der andere Akteur muss sie brauchen können; oder anders formuliert, das nichtbrauchende Haben trifft auf das nicht-habende Brauchen. Um den Wert der jeweiligen Waren zu bemessen, hilft der Vergleich mit einer sogenannten dritten Ware, das sind bereits bekannte Tauschverhältnisse. Aus dieser dritten Ware entsteht das Geld, das als Wert21

Packard, Vance: The Hidden Persuaders. New York/London. 1957

22

Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Köln. 2005 (1872)

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

ausdruck eine selbstständige Gestalt annimmt und die unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eigenen und dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von Kauf und Verkauf zertrennt.23 Nun findet eine Abstraktion statt: Ware wird gegen Geld getauscht, der Mittler des Tauschs, das Geld, bekommt einen eigenen Stellenwert. Der Käufer hat ein Bedürfnis, die Ware hat für ihn einen Gebrauchswert; sein Mittel ist das Geld als Tauschwert. Doch für den Verkäufer ist der Gebrauchswert bloßes Mittel, um den Tauschwert in Form von Geld zu verselbstständigen. Die Warenproduktion dient in der Folge nicht der Herstellung von Gebrauchswerten, sondern dem Verkauf von Waren. Der Gebrauchswert wird mitproduziert, aber nur in dem Maße, wie die Kunden bereit sind, die Ware überhaupt zu kaufen. Deswegen wird, so Haug, bei der Warenproduktion nicht nur der Gebrauchswert, sondern auch die Erscheinung des Gebrauchswerts erzeugt: der Schein, mit den Mitteln des Ästhetischen erzeugt, soll dem potenziellen Käufer ein Gebrauchswertversprechen geben, das für den Produzenten den Zweck erfüllt, durch den Kauf an Geld zu kommen, nicht, den Gebrauchswert zu erfüllen. Das Sinnliche wird zum Träger einer ökonomischen Funktion, zur Faszination. »Wer die Erscheinung beherrscht, beherrscht vermittels der Sinne die faszinierten Menschen«,24 lautet Haugs Fazit.

Die Kritik von heute besehen Mit Blick auf die Rolle der Digitalisierung und den Datenkapitalismus der Jetztzeit, die Konjunktur von Digital Start-ups, Onlinetools und Apps, auf das Experience Design und verwandte Spielarten lohnt sich der Blick auf Haugs damalige, radikale Analyse des Wirtschaftssystems: »Der Kapitalismus basiert auf einem systematischen quidproquo: alle menschlichen Ziele – und sei es das nackte Leben – gelten dem

23

Haug, Norbert Fritz: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt. 1971, S. 14

24

Haug 1971 S. 17

41

42

Design und Transformation

System nur als Vorwände und Mittel […]. Der Standpunkt der Kapitalverwertung als Selbstzweck, dem alle Lebensanstrengungen, Sehnsüchte, Triebe, Hoffnungen nur ausbeutbare Mittel sind, Motivationen, an deren Ausforschung und Indienstnahme eine ganze Branche der Sozialwissenschaften arbeitet, dieser Verwertungsstandpunkt, der in der kapitalistischen Gesellschaft absolut dominiert, steht dem, was die Menschen von sich aus sind und wollen, schroff gegenüber. Was, ganz abstrakt gesprochen, die Menschen mit dem Kapital vermittelt, kann nur etwas Scheinhaftes sein.«25 Man denke an Online Partner- und Datingportale, Wohnungs- und Karrierebörsen, an Fitness- und Selbstoptimierungstools, Social Networks etc., aber auch an Convenience Food und Lieferservices, an die aufwendige Konstruktion von Marken mit dem Erscheinungsbild als einzigem Produktunterschied, an das Design von Automobilen als Statusmarker, an die Rolle der Influencer als neue digitale Verkäufer und vieles mehr. Haug erörtert auch die Modellierung von Körpern als Mittel zur Optimierung von Verkauf und Marktfähigkeit, eine Tendenz, die 1970 nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betraf, heute aber von vielen Jugendlichen und Erwachsenen verinnerlicht wurde und mit den Social Media zu einem selbstverständlichen Teil der Selbstinszenierung und -vermarktung geworden ist. Haugs neomarxistische Generalkritik am Konsumismus der 1960er Jahre bleibt aktuell und virulent unter dem Gesichtspunkt eines dauerkriselnden Kapitalismus und vieler Fragen, wie ein Wirtschaftssystem der Zukunft aussehen könnte, das nicht auf Akkumulation, Beschleunigung, Entfremdung und Ausbeutung von Ressourcen, Produzenten und Kunden angelegt ist. Weder in der Designausbildung noch in der Designtheorie wird die Frage nach den Wertverhältnissen und Tauschmotiven thematisiert – die Rolle des Designs als Tauschwertbeschleuniger wird umgangen, verschoben oder als erledigt abgetan. Transformation Design als ganzheitliche Herangehensweise muss daher nach Analysetools für und Eingriffsmöglichkeiten in ökonomische Prozesse fragen bzw. diese entwickeln.

25

Haug 1971 S. 57

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Design für die zehn Prozent Zeitgleich zu Haugs Kritik erschien in den USA ein Buch, das den industriell-designerischen Komplex von innen heraus fundamental ob seiner Sinnlosigkeit, seiner Anbiederung an ökonomische Strukturen und seines affirmativen Charakters wegen kritisierte: Design for the real World. Der Designer Victor Papanek klagte den damals wie heute vorherrschenden Lifestyle des schnellen Konsums, des Wegwerfens, des Designs für die wohlhabenden 10 % der (Welt-)Bevölkerung und die Ignoranz für die restlichen 90 % an. Die veränderte Sicht auf die Dinge war bei Papanek Erfahrungen geschuldet, die er in Entwicklungsländern gemacht hatte, aber auch seinem Engagement im Bereich des Social Design und dem Design für Menschen mit Einschränkungen. Diesen Nutzern und den ihnen zugehörigen Bereichen, in denen gutes Design Not tut, stellt er die westliche Überflussgesellschaft mit ihren manchmal bloß komischen, oft aber absurden, verschwenderischen und zynischen Designlösungen entgegen. Design arbeitet laut Papanek nicht für wahrhaftige Bedürfnisse, nicht für eine reale Welt und die wirklichen Erwartungen der Menschen, sondern für erfundene und eingeflüsterte Wünsche, für Pseudo-Nutzen und Statusfunktionen. Papanek optiert demgegenüber für einen umfassenden Designbegriff, der durch seine Umfänglichkeit Lösungsvorschläge für die komplexen Probleme der Menschheit bereitzustellen vermag. Nur wenn Design als ganzheitliche Strategie verstanden wird, kann es sich von den modischen Verlockungen lösen und an zufriedenstellenden Lösungen arbeiten: »Any attempt to separate design, to make it a thing-by-itself, works counter to the fact that design is the primary underlying matrix of life.«26 Papanek argumentiert als Designer und kritisiert das Design aus dem Design-Alltag heraus; er kennt die Logik des Auftraggeber-Designer-Komplexes. Wenn Designer ins Spiel kommen, ist es für grundsätzliche Fragen meistens schon zu spät, denn die Notwendigkeiten und Abhängigkeiten der Industrie sind andere als die Bedürfnisse der User. Papanek unterscheidet daher zwischen 26

Papanek, Victor: Design for the Real World. London. 2019, S. 3

43

44

Design und Transformation

»people’s wants« und »people’s needs«27 : Während erstere schwankend, durch Werbung manipulierbar und Status kommunizierend sind, soll es dem Design um die »needs« gehen, die notwendigen Bedürfnisse und die sinnvollen, nützlichen Aspekte eines Produkts, das keinen Status konnotiert. An seinen Ausführungen werden jedoch die Schwierigkeiten einer Transformation durch und mit Design deutlich: Zum einen, weil die Probleme und ihre möglichen Lösungen seit einem halben Jahrhundert bekannt und benannt sind, sich im Produktions- wie im Konsumtionsverhalten aber keine Änderungen ergeben haben. Zum anderen, weil die Macht der Lebensstile, also der ästhetischen Markierung als Distinktion, eine vordem nie dagewesene Potenz erreicht hat.

Transformation mit und durch Design im Kapitalismus? Jede Transformation beginnt mit der veränderten Einstellung der Menschen gegenüber eingeübten und lieb gewordenen Handlungsmustern und Routinen. Diese Änderung der mentalen Infrastruktur auch und gerade mittels eines veränderten und verändernden Designs wird eine Herausforderung für Transformation Design sein. Die Dialektik von Bedürfnis und Befriedigung oder von Brauchen und Haben ist Grundlage des Wirtschaftssystems Kapitalismus; die Frage ist, ob Design nur als industrielle Technik der Ästhetisierung (und damit der Erzeugung von Gebrauchswertversprechen) gesehen werden kann, oder ob sich eine emanzipative Sinnlichkeit im und durch Design bilden könnte. Die sozialen Implikationen der Form wurden in den 1960er und 1970er Jahren fast durchgehend kritisch als normativ oder affirmativ-repressiv gesehen; die soziale Grundierung von Ästhetik und Gebrauch ist jedoch auch sinnstiftend und emanzipativ – diese Dialektik muss transformatives Design berücksichtigen. Design als Styling, als Verkleidungstechnik zur Umsatzmaximierung und als Antrieb zum Erneuern und Wegwerfen ist selbst

27

Papanek 2019, S. 219 f, S. 231

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

›verwerflich‹ und keine zukunftsfähige Option. Für ein transformatives Design besteht die schwierige Aufgabe, ästhetische Mittel zu erarbeiten, um die User für nachhaltige und zukunftsfähige Produkte zu begeistern, ohne Kurzzeiteffekte zu designen, die zur bestehenden Ex-und-hopp-Mentalität beitragen. Dazu gehört jedoch die Akzeptanz jeder Form als Zeichen im gesellschaftlichen Raum; eine Funktion, die nicht bloß auffällige Statusobjekte betrifft, sondern jedes Objekt – sei es designt oder nicht. Die Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte bestehen darin, Hunderten von Millionen Menschen, die mittlerweile nicht mehr in Armut leben, in ihrem eigenen Interesse und ohne Bevormundung Dinge und Services zur Verfügung zu stellen, mit denen die Stufe des unreflektierten Wegwerfkonsums übersprungen und direkt die Stufe des nachhaltigen, sinnvollen Konsums erreicht werden kann.28

Die Kritik am Funktionalismus: Funktion ohne Ästhetik Neben dem Vorwurf der ästhetischen Beliebigkeit und Unmotiviertheit gab ab den frühen 1960er Jahren auch den Vorwurf, ein bestimmtes Gestaltungsethos und die Schulen, die es lehrten und praktizierten, seien nur noch an Praktikabilität, Funktionalität und utilitaristischem Nutzen interessiert, so dass sie darüber die Nutzer und ihre Vorstellungen und Motivationen vollkommen vergessen hätten. Alexander Mitscherlichs Veröffentlichung Die Unwirtlichkeit unserer Städte und Theodor W. Adornos Vortrag Funktionalismus heute, beide 1965 erschienen, klagten einen zur ökonomischen Rentabilität verkümmerten Zweckrationalismus im Bauen und im Design an,

28

Laut der schwedischen NGO Gapminder hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt (»Stufe 1«), zwischen 1975 und 2015 von zunächst 50 % auf knapp 12 % reduziert; damit verbunden ist ein Anstieg der Bevölkerung, die auf »Stufe 3« lebt und sich in bescheidenem Rahmen Konsum und Dienstleistungen leisten kann, auf 2,5 Mrd. Menschen. http:// www.gapminder.org

45

46

Design und Transformation

der die Menschen deformiert und sie in einer verödeten, trostlosen Welt zurücklässt.29 Der in den Aufbaujahren verständliche Anspruch, das Leben vieler Menschen mit möglichst zweckmäßigen und technisch sinnvollen, rationell erstellten Gebrauchsgütern zu versorgen, war in den Augen vieler Kritiker bereits 1965 ein Status quo des nur noch aufs Funktionieren reduzierten Lebens geworden. Der historische Hintergrund des funktionalen Bauens und Entwerfens, nützliche und sinnvolle Dinge in Zeiten des Mangels für bedürftige Nutzer zu gestalten (etwa die Projekte von Hannes Meyer in den späten 1920er Jahren), hat im Wiederaufbauboom der Nachkriegsjahre an Überzeugungskraft verloren. Im Unterschied zu nicht-funktionalen Objekten wie z.B. Objekten der Kunst und dekorativen Artefakten – die streng genommen auch eine Funktion haben, aber nicht im Sinne eines Nutzen- oder Werkzeugcharakters – sind designte Dinge in der Regel zu etwas nützlich. Der Werkzeugcharakter, selbst wenn er im Objekt nur noch trüb durchschimmert, ist eine Bedingung für designte Artefakte. Mit Funktionalismus ist in Design und Architektur meist eine Gestaltungsdoktrin – oder positiver formuliert – ein Ethos gemeint, das in den 1920er Jahren vor allem in Europa entwickelt wurde, in den 1950er Jahren weltweite Akzeptanz erfuhr und Wirkung entfaltete. Ironischerweise ist der Begriff Funktionalismus auch als Stilbegriff etabliert, obwohl dies historisch gerade nicht intendiert war und in der Dichotomie ›Funktion – Form‹ die letztere im funktionalistischen Duktus nur so weit relevant ist, als die praktischen Zwecke die Form bestimmen bzw. diese aus den ersten quasi ›natürlich‹ hervorgeht. Den Versuch einer Neubestimmung dessen, was in der Nachkriegsära und Wirtschaftswunderzeit notwendig und sinnvoll sein könnte, unternahm die Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG) ab 1955. An der HfG Ulm wurde ein Designbegriff entwickelt und vermittelt, der aufs gesellschaftliche Ganze zielte und dabei die Form als Zeichenträger in den Hintergrund rücken ließ. Das Ulmer Systemdesign präsentiert sich als ein vordergründig holistisches 29

Adorno, Theodor W.: Funktionalismus heute. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt. 1981, S. 121 ff

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

System, in dem die einzelnen Teile einer Entwurfslinie oder eines Designprojekts aufeinander bezogen sind und dadurch einen Zusammenhang herstellen; dieser Zusammenhang ist aber einer, der durch die mathematische Einfachheit und Präzision seiner Formen vor allem eine »Objektivität und Kälte übergeordneten Funktionierens«30 transportiert. Der Mensch kommt als ein an die rationalen und technischen Zwecke der Welt angepasster Mensch vor; diese Anpassung wird vom Design nach allen Regeln der Naturwissenschaften und positivistischer Gesellschaftswissenschaften vorgenommen. »In dieser ausschließlichen Rationalität drückt sich verinnerlichte Zustimmung zu Lebens- und Entwurfsbedingungen aus, die in Ulm auch überwunden werden sollten im Sinne eines humanen Umweltentwurfs. Dieser Versuch verfällt dem Widerspruch zwischen funktionaler Optimierung und Entsinnlichung der Systeme.«31

Transformation Design als neuer Funktionalismus? Was davon ist heute noch aktuell, nachdem die Funktionalismuskritik der 1960er-Jahre und die darauffolgende Designpraxis von Pop bis zum postmodernen Memphis mit dem harten Neo-Funktionalismus Schluss machte? Die Planungslogiken, die hinter dem rationalistischen Ansatz á la Ulm stecken, sind, wie weiter oben ausgeführt, keineswegs mit dem Ende der HfG Ulm verschwunden. Der Mythos der Beherrschbarkeit der Welt durch die Beherrschung der Entwurfstechnik verbirgt sich in den Überlegungen von Simon und vielen Theoretikern der Human-Computer Interaction (HCI) und des Usablity Design32 . Die Reduktion ästhetischer Entscheidungen auf zweckrationale

30

Selle, Gert: Design-Geschichte in Deutschland. Produktkultur als Entwurf und Erfahrung. Köln. 1987, S. 268

31

Selle 1987, S. 268 f

32

Bardzell, J. and Bardzell, S: Humanistic HCI. San Rafael, CA. 2015

47

48

Design und Transformation

Entscheidungen ist Folge einer »rücksichtslosen Vernunft«33 , die vorgibt, zum Besten des Menschen zu arbeiten, aber den sinnlichen Kern des Menschlichen ausklammert. Auch wenn man zugute hält, dass das funktionalistische Design versuchte, der Marktmechanik des Mehr-und-günstiger eine Gestaltung entgegenzusetzen, die auf beiden Seiten – Produzent und Konsument – ein Mehr an Gebrauchswert und ein Weniger an Form als die bessere, langlebigere und nachhaltigere Lösung versprach, so muss man auch sehen, dass die Dialektik der sogenannten Funktionsform nicht ausgehebelt wurde: durch die Verneinung der ästhetischen Attraktoren wurde eine noch schärfere Distinktion erzeugt als bei konkurrierenden Styling-Produkten (etwa bei der Produktsprache der Firma Braun). Was lässt sich also von der Kritik am Funktionalismus lernen, was lässt sich als funktionalistischer Kern des Designs in die heutige Zeit retten? Funktionalismus ist, neben der Kennzeichnung einer designhistorischen Epoche, ein Begriff, der ein wissenschaftliches Paradigma kennzeichnet, nämlich den Übergang vom Denken in Substanzen und Entitäten zu einem strukturalen Denkansatz, in dem Funktionalismus eine systemische Vernetzung verschiedener Funktionsaspekte ist34 . Auf ein designtes Artefakt bezogen hieße das, neben seiner technisch-utilitären Funktionsfähigkeit, seiner nachhaltigen Produktion und Distribution auch seine kommunikative oder distinktive Potenz, sein emotives Potential, seine Fähigkeit über die Form nachhaltige Bindung und Freude der Benutzung zu erzeugen in den Entwurf einzubeziehen. Der historische Funktionalismus ist ein ›Ismus‹, eine Ideologie, die die Zwecke verallgemeinert und den Menschen zu seinem angeblich eigenen Wohl unter diese einordnet. Darin liegt die Gefahr jedes zweckrationalistischen Entwurfsdenkens, die Hybris der Designer:innen, besser zu wissen, was für Menschen gut ist, als die Menschen das selbst wissen. Wenn es um die Profession des Entwerfens und Gestaltens angeht, mag das zutreffen; auch im Transformation Design sollte Design 33

Selle, Gert: Design-Geschichte in Deutschland. Produktkultur als Entwurf und Erfahrung. Köln. 1987, S. 270

34

Rölli, Marc: Design als soziales Phänomen. Wider das funktionalistische Paradigma. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016, S. 29

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

als professionelle Entwurfsleistung ablesbar sein. Die Gefahr einer funktionalistischen Hybris bleibt jedoch bestehen, ja wird sogar größer, wenn das Design nur noch einen Teil des Transformationsprozesses ausmacht und die Vorstellungen über ein gutes Leben oder richtiges Verhalten angesichts der Herausforderungen der Zukunft auseinanderdriften. So sehr reine Zweckmäßigkeit trostlos ist und den Menschen versklavt, so sehr muss sich Design hüten, in die Falle paternalistischer Arroganz abzugleiten.

Soziale Determiniertheit und Determinierung Bisher ist nur kurz angeklungen, was sowohl in der ästhetischen Seite des Entwurfs als auch in der funktionalen Komponente neben der ontologischen Basis des Designs enthalten ist: Die soziale Funktion des Designs. Der Mensch lebt in einer von ihm geschaffenen Dingwelt, die ihm als Werkzeug, aber auch als Kultur- und Wissensspeicher dient.35 Die Dinge werden somit automatisch zum Zeichen ihres Gebrauchs und ihrer Gebraucher. An die Funktionsbedeutung, das Denotat, heftet sich eine soziale Bedeutung, ein Konnotat: Jedes Objekt wird zum Zeichen seiner zeitlichen und soziokulturellen Verortung. Diese Funktion ist in den 1960er Jahren von Roland Barthes und Umberto Eco herausgearbeitet worden; Barthes hat dies prototypisch in den Mythen des Alltags (1957) und vielen darauf folgenden Arbeiten getan36 , Eco einige Jahre später (und mit vielen Referenzen zu Barthes) in der Einführung in die Semiotik (erstmalig 1968 erschienen). Dort findet sich das erhellende Beispiel der Bedeutung einer Sitzgelegenheit im kultursemiotischen Sinn: »Ein Stuhl sagt mir vor allem, dass ich mich draufsetzen kann. Aber wenn der Stuhl ein Thron ist, dient er mir nicht nur zum

35

Banz, Claudia: Zwischen Widerstand und Affirmation. Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016, S. 11

36

Hier wären vor allem die Elemente der Semiologie (im Original 1963) zu nennen: Barthes, Roland: Elemente der Semiologie. Frankfurt. 1982

49

50

Design und Transformation

Sitzen; er ist dazu da, sich mit einer gewissen Würde auf ihn zu setzen und bekräftigt den Akt des ›Mit Würde Sitzens‹ mittels einer Reihe von Nebenzeichen, die Majestät konnotieren […]. Diese Konnotationen ›majestätischer Würde‹ sind in dem Maße funktional, dass – wenn überhaupt vorhanden – man die Funktion des ›Bequem Sitzens‹ vernachlässigen kann. […] So dehnt sich unter dieser Perspektive die Bezeichnung ›Funktion‹ auf alle kommunikativen Bestimmungen des Gegenstandes aus, vorausgesetzt, dass im Gemeinschaftsleben die ›symbolischen‹ Konnotationen des Gebrauchsgegenstands nicht weniger ›nützlich‹ sind als seine ›funktionellen‹ Denotationen.«37 Die Soziologie ist, beginnend mit Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute (1899) und Georg Simmels Philosophie der Mode (1905) zu ganz ähnlichen Ergebnissen gekommen: Den Status des Mangels oder der Lebensnotwendigkeit verlassend, treten die utilitaristischen Funktionen der Dinge zugunsten ihrer sozialen bzw. semiotischen Funktion in den Hintergrund. Kleidung wärmt und schützt, aber vor allem distinguiert sie. Das Auto transportiert nicht mehr nur, es schafft Distinktionsgewinne (oder auch -verluste) gegenüber den Nachbarn und Kollegen. Der Laptop oder das Tablet dienen nicht mehr allein der Arbeit, sondern der Markierung technischer Versiertheit und Zeitgenossenschaft gegenüber Auftraggebern oder Auftragnehmern. Für die Kombination ökonomischer Theorie und kultursemiotischer Einsichten mit der klassischen soziologischen Forschung steht exemplarisch Pierre Bourdieu, der mit der Studie Die feinen Unterschiede eine auf Feldforschung basierende, umfassende Theorie der Distinktion entwickelt hat. Nach dieser Theorie lässt sich Gesellschaft anhand von Objekten (also designten Artefakten) und Kapitalformen (die das ökonomische Kapital um soziales, kulturelles und symbolisches Kapital ergänzen) segmentieren; diese Segmentierung lässt viel feinere Unterschiede zu als die bis dahin vorherrschende Stratifikation in Einkommen, Bildungsstand, Lage,

37

Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München. 1991, S. 311

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Schicht oder Klasse.38 Menschen suchen sich in Korrelation mit und in Abhängigkeit von bestimmten Kapitalniveaus Gegenstände als Objektivierung ihres sozialen Status; die designten Gegenstände dienen sich wiederum zur Affirmation oder Distinktion einer sozialen Gruppe an. In der Vergangenheit ist die soziale Funktion der Distinktion nur bestimmten Spielarten des Designs vorgeworfen worden, z.B. der Styling-Praxis. Aber jede Form, jedes Objekt trägt Distinktionspotenzial in sich – es ist dem Artefakt als Produkt gesellschaftlicher Arbeit eingeschrieben. Es gibt keine Formen, die ›nichts wollen‹, wie das möglicherweise den Promotern von neusachlichem Bauhaus-Design, der Guten Form oder dem Ulmer Systemdesign vorschwebte. Nur in einer (dystopisch gesehen) gleichgeschalteten oder (utopisch im Sinne der Kritischen Theorie gesehen) befreiten Gesellschaft ohne Zwänge39 wäre Distinktion nicht mehr existent, wäre Bedeutungsvielfalt aufgrund mangelnder Oppositionen ausgeschaltet oder sie verlöre den Zeichencharakter. Im Hier und Jetzt lässt sich der distinktive Charakter der Objekte zwar bis zu einem bestimmten Grad steuern (durch Werbung, Inszenierung, Influencer), aber er kann auch eine ungeplante Richtung einschlagen. Ob vorsätzlich aufgeladen oder bewusst reduziert, die Form der Dinge (das beinhaltet auch virtuelle Artefakte, zeitbasierte Medien etc.) verknüpft sich für die User und die Betrachter durch Habitus und wahrgenommene Routinen mit einem erst konnotativen, später oft zum Denotat werdenden Signifikat, das als Distinktion oder Identität zu einem Set anderer Lebensstile ins Verhältnis gesetzt wird. Spätestens hier wird deutlich, welche zentrale Rolle das Lebensstil-Konzept bei einer Transformation von und durch Design spielen muss: Zwischen den Polen vollkommener ästhetischer Anbiederung (gern als Human Centred euphemisiert) und vollkommener Ignoranz gegenüber der sozialen Funktion der Form muss ein Weg 38

Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt. 1987

39

Adorno, Theodor W.: Funktionalismus heute. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt. 1981, S. 122

51

52

Design und Transformation

gefunden werden, gestaltete Umwelt als solche erkennbar und von designenden Gruppen oder Einzelpersonen autorisiert erscheinen zu lassen. Der ästhetische Verfall der Form liegt nicht in der Form, sondern in einem mittlerweile fast zur zweiten Natur gewordenen Ennui der User und medialen Influencer, der bei Lichte betrachtet nichts anderes ist als der zur sinnlichen Ermüdung umgebogene Habitus des ständigen Austauschs von Waren und Services. Die Ideologie der sogenannten Designklassiker ist ja nicht auf intrinsische Formgenügsamkeit gebaut, sondern auf Distinktionsgewinne für die, die ökonomisches Kapital in kulturelles umwandeln wollen und können.

Design als semantischer Transporter Die Erweiterung des Designbegriffs in theoretischer Hinsicht einerseits und die Entwicklung der Produktkultur unter dem Aspekt der digitalen Transformation haben das Design von der Konzeption und Gestaltung physischer Artefakte zur Konzeption und Gestaltung digitaler Bedienoberfläche und den mit dieser Bedienung verbundenen Leistungen und notwendigen Kommunikationsabsichten verschoben. Diese Verschiebung ist von Klaus Krippendorff als »semantic turn«, als ein Paradigmenwechsel vom designten Objekt hin zum Design von Sinn und Bedeutung, bezeichnet worden. Design wird fluid und virtuell, beinhaltet Konstruktionen wie Marken (Brands) und findet auf Interfaces (Schnittstellen für die Bedienung, Benutzeroberflächen) statt. Die designten Artefakte werden versprachlicht, sie werden laufend re- und dekonstruiert. Die Sinngebung und Kommunikation durch und mit Design kann als momentan letzte Stufe der Designentwicklung begriffen werden, die im Industriezeitalter mit dem Objekt und seiner gestalteten Form begann und sich im postindustriellen Zeitalter zum Prozess der menschbezogenen Gestaltung und Bedeutungserzeugung gewandelt hat.40 Das setzt laut Krippendorff ein »Verstehen zweiter Ordnung« voraus, ein im Diskurs und der Kommunikation mit den 40

Krippendorff, Klaus: Die semantische Wende. Basel. 2013, S. 38

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Stakeholdern erarbeitetes Verständnis für Nutzen, Anwendung und Bedeutung der designten Lösung (Verstehen erster Ordnung wäre die herkömmliche Designauffassung vom Problemerkennen und -lösen mit Hilfe von Materialkunde, Ergonomie etc.).41 Für Krippendorf ist die Semantik, der Bedeutungsaspekt der Artefakte, die zentrale Kategorie; es handelt sich allerdings um eine intrinsische Design-Grammatik, die die Objekte mit Metaphern, mit »Affordances« und »Signifiern« ausstattet42 , damit sie möglichst eindeutig und widerspruchsfrei bedient werden können. Design ist eine eigene Sprache dahingehend, dass es pragmatische, grammatikalische und semantische Beziehungen innerhalb des gestalteten Objekts (von der Oberfläche des Betriebssystems über Schiebetüren bis zum Bedienpanel der Werkzeugmaschine) gibt, die auf eine möglichst gute Les- und Bedienbarbarkeit durch den Menschen hin entworfen wurden (Human Centredness), aber jegliche symbolische oder konnotative Bedeutungszuschreibung als außerhalb des Systems und des Designs liegend ignorieren. Menschbezogenheit oder Menschzentriertheit sind Perspektiven innerhalb des Designprozesses, die zwar die Richtung des Entwurfs von der Sicht des Ingenieurs zur Erwartungshaltung des Users umkehren, aber damit ist nichts über die Einbettung des Produkts in Kontext, Umwelt, soziale Beziehungen etc. gesagt bzw. gewonnen. Im Sinne einer wirklich anthropologischen Dimension des Designs als grundlegender menschlicher Praxis greift das offensichtlich zu kurz, denn wir müssen verstehen und erklären können, wie und warum Menschen bestimmte Objekte und Systeme mehr wertschätzen als andere und wie Objekte gestaltet sein könnten, damit der Kreislauf des Austauschs im Sinne einer Transformation verlangsamt oder gestoppt wird. Die Zeiten, in denen der Hausrat im Laufe einer Generation nur um wenige Dinge erweitert wurde (oder kaputte Dinge ersetzt wurden), um dann der nächsten Generation in toto übergeben zu werden, sind vorbei. Heute findet

41

Krippendorff 2013, S. 265 f

42

Ganz ähnlich argumentiert Norman in: Norman, Donald: The Design of Everyday Things. Cambridge. 2013

53

54

Design und Transformation

man ein solches traditionelles Verhalten (Tradition heißt ja: Weitergabe) als zeitgeistiges Symptom der Oberschicht, wo die Weitergabe einzelner Dinge schon wieder Luxus geworden ist, denn man hätte es eigentlich nicht nötig. Ein Hersteller von Luxusuhren bspw. wirbt damit, dass man ein Modell seiner Marke »niemals ganz für sich alleine besitzt«, sondern für die Weitergabe an die nächste Generation in Ehren hält.43 Das Beispiel zeigt verschiedene Facetten eines notwendig umfänglichen Designdiskurses auf, denn neben dem Objekt Armbanduhr, der Funktion und Gestalt, sind offensichtlich viel mehr Faktoren am Phänomen Armbanduhr beteiligt, ohne deren Erklärung wir dem Objekt eben nicht beikommen.

Erinnerung und Imagination Design macht die Welt zu einer menschlichen Welt; daher sind die affektiven Bindungen an Objekte, mit denen wir das gute Leben, schöne Momente, liebgewordene Menschen und als glücklich erfahrene Situationen verbinden, immaterielle Ergebnisse des Designprozesses und der Nutzung. Diese Kopplung geschieht unweigerlich und kann jedes Objekt betreffen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass wir eine große affektive Bindung zur Waschmaschine im Keller haben, ist es nicht ausgeschlossen, dass anderswo damit das gute Leben verbunden wird. Die alte Kaffeemühle, ein Set Trinkgläser, Stofftiere, der dänische Stuhl und der Plattenspieler mit Holzzarge aus den 1960er Jahren, die analoge japanische Spiegelreflexkamera und das 10-Gang-Sportrad aus Italien sind Dinge, die neuerdings innerhalb des metropolitanen Lifestyles an affektiver Bedeutung gewinnen. Das dahinter liegende Phänomen ist längst wieder ein Geschäftsmodell und Markt geworden, das sich ›Vintage‹ oder ›Retro‹ nennt und auf Nostalgie setzt. Das Retrodesign ist eine eigene, produkt- und branchenübergreifende Stilistik. Und selbst da, wo sich das Design nicht selbst als Retro deklariert, sind oft genug Anleihen in anderen Epochen und bei historischen Stilistiken zu erkennen, wie die Produktgestaltung der Hardware von Apple 43

https://www.patek.com/en/company/news/generations-campaign

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

beweist, die sich zwischen 1995 und 2005 ungeniert am Design der Firma Braun aus den Jahren 1960 bis 1975 bediente. Die Affiziertheit mit bekannten Formen oder Versatzstücken davon, die ein Aufgehobensein versprechen, gehört zum Design von Anfang an, denn neben modernistischen und avantgardistischen Entwürfen hat es immer schon nostalgische und sich an der Vergangenheit orientierende Formen gegeben. Gegenüber einem unüberschaubaren Meer von »Total Design«44 stechen die Formen aus einer bekannten, oft als sinnvoll erlebten oder auch nur imaginierten ›guten alten Zeit‹ heraus und gewinnen an Bedeutung; als Distinktionsmerkmal, aber auch als sinnstiftende und Halt versprechende Objekte in einer als überkomplex empfundenen Gegenwart. Dazu gehört, dass plötzlich Dinge und die mit ihnen verbundenen Prozesse als sinnvoll und erfüllend betrachtet werden, die durch neuere Designlösungen viel einfacher, schneller, effektiver zu haben wären: Das gilt für die Siebträger-Espressomaschine wie für den Plattenspieler, das Oldtimerfahrzeug und die analoge Kamera. Wir haben es offensichtlich nicht nur mit Formen zu tun, die affizieren, sondern im Gebrauch, in der Funktion und ihrer Sperrigkeit, in ihrer Imperfektion liegt der Reiz und die Bindung. Die Kennerschaft, die nötig ist, eines der genannten Objekte so zu bedienen, dass ihre Funktion Spaß macht und befriedigt (die User Experience), verleiht den Bedienenden ein Surplus an Affektion mit dem Objekt, die es sonst nicht geben würde und die es zur Zeit der ursprünglichen Nutzung vielleicht so auch gar nicht gab: nur im Vergleich mit einem zeitgenössischen Pedelec kann das Krachen der Ritzelschaltung Freude bereiten. Friedrich Heubach spricht in diesem Zusammenhang von mentalen Bedürfnissen, die bei der Aneignung vieler industrieller Produkte im Vordergrund stehen.45 Er nennt diese imaginär-symbolischen Funktionen »heraldisch«, da sie wie einst Wappen und Embleme, »die anschauliche Artikulation eines Selbstverständnisses einerseits 44

Kries, Mateo: Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung. Berlin 2010

45

Heubach, Friedrich Wolfgang: Produkte als Bedeutungsträger: Die heraldische Funktion von Waren. In: Eisendle, R., Miklautz, E. (Hg.): Produktkulturen. Dynamik und Bedeutungswandel des Konsums. Frankfurt/New York. 1992, S. 177 ff

55

56

Design und Transformation

und eine demonstrative Identitätsbestimmung andererseits«46 ermöglichen. Der Symbol- oder Distinktionswert liegt nicht in einer den Dingen intrinsisch eingeschriebenen Symbolik, sondern erst im Verhalten zu den Dingen, in ihrer Aneignung werden die Bedeutungen produziert, die dann als Symbole realisiert werden: »Sie (die Dinge; A. d. V.) können dies nur, weil im Umgang mit diesen Dingen dieselben Prinzipien – als konkrete Formalia von Verhalten und Erleben – wirksam sind, welche auch – als allgemeine Kriterien von Einstellung und Haltung – für das Bild des Individuums von sich und der Welt regulativ sind.«47 Heubach nennt das den »imaginativen Gebrauchswert«, der sich auch ohne einen geplanten industriell-warenästhetischen Eingriff herausbildet. Empirisch lässt sich explorieren, dass es in jeder gesellschaftlichen Gruppe bzw. in jedem Milieu ein Set von Objekten gibt, das neben einer Identifikation mit eben jener Gruppe vor allem mentale Gebrauchswerte transportiert.48 Im Hinblick auf die Transformation von Lebensstilen ist damit ein wichtiger Punkt berührt: Offensichtlich gehören imaginative Gebrauchswerte zu unserer Individualisierung, unserer Sozialisation und Identifikation mit Milieus und deren Lebensstilen. Eine Antwort zukünftiger Designpraxis auf diese Herausforderung könnte sein, die Dinge so zu gestalten, dass genügend Freiräume zur nachträglichen Bearbeitung gegeben und damit individuelle oder gruppenspezifische Modifikationen möglich sind. In Zeiten einer hyperaktiven Digitalisierung aller Lebensbereiche werden sinnlich-haptisch erfahrbare Objekte eine ganz neue Erfahrungsqualität erlangen; das Experience Design bemüht sich heute schon,

46

Heubach 1992, S. 178

47

Heubach 1992, S. 179

48

In Heubachs zitierter Studie geht es um drei Objekte (Fahrrad, Clogs, Latzhose) aus der damals sogenannten Alternativszene der frühen 1980er Jahre, denen gemein ist, dass sie von den Probanden als »nicht eindimensional, die Eindeutigkeit aufhebend und dazwischen seiend« und damit Autonomie und Freiheit erlaubend erlebt und beschrieben werden. Heubach 1992, S. 184

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Erfahrungskorridore und -atmosphären zu erzeugen, die den Verlust oder die Minimierung sinnlicher Erfahrung ausgleichen sollen. Aus den nostalgischen Strömungen im Alltag und im Design lässt sich ablesen, was als Überforderung, aber auch als Unterforderung in die aktuellen Systeme designt wurde. Denn das Credo ›keep it simple‹ kann in Zeiten, in denen alles auf größtmögliche Effizienz und Glätte der Bedienung angelegt ist, zu einem Pejorativ mutieren. Zu viel Einfachheit führt zu Automatismen, Unachtsamkeit, Distanz. Nachhaltigkeit kann auch sinnvoll-sinnlichen Kontakt mit den Dingen meinen, wenn sie dazu da sein sollen, lange mit uns zu leben.

Design als Sinnspeicher Bisher ist vom designten Objekt oder der designten Dienstleistung die Rede gewesen, von den funktionalen Dichotomien dieser Artefakte und ihren sozialen Wirkzusammenhängen. Eine Größe fehlt bis jetzt: Die User und ihr lebensweltlicher, leiblicher Umgang mit dem Artefakt, das dadurch erst im gesellschaftlichen wie im individuellen Gebrauch sein designtes Potential funktional entfaltet. Der im vorherigen Abschnitt erläuterte imaginierte Gebrauchswert stellt den Konnex zwischen Nutzern und Objektbedeutungen her, die erst durch bestimmte Nutzergruppen und ihre Form der Nutzung gebildet werden. Die Nutzer (bspw. ein Milieu oder eine Szene) kombinieren verschiedene Artefakte und imaginieren damit einen Lebensentwurf, der vor allem für die Gruppe dieser speziellen Nutzer, im Wechselspiel dann aber auch für andere, ablesbar wird. Werte werden über Objekte abgebildet. Aber man kann noch einen Schritt weiter gehen und fragen, ob und wie die Funktion und der Gebrauch von Artefakten durch die Dialektik von gesellschaftlicher und individueller Nutzung konstituiert werden und die Nutzer damit zur Basis einer designwissenschaftlichen Theoriebildung machen. Gerd Selles Standardwerk Design-Geschichte in Deutschland (1987/1990) heißt im Untertitel »Produktkultur als Entwurf und Erfahrung«. Ausgehend von Situationen und Objekten, die den in den beiden vorherigen Abschnitten geschilderten nicht unähnlich

57

58

Design und Transformation

sind, spürt Selle den Empfindungen nach, die uns beim Anblick von oder dem Umgang mit alten, aus dem Lebensalltag verschwundenen und dem Gebrauch entzogenen Objekten beschleichen. Sie machen uns den Unterschied zwischen den glatten, neuzeitlichen Produkten des Industriedesigns und den ebenfalls industriell hergestellten, doch seltsam altertümlich anmutenden Geräten des frühen 20. Jahrhunderts deutlich – sei es als nostalgisches Zurücksehnen, sei es als ein Schaudern ob der Mühen und Nöte, die mit dem Objekt einhergingen. »Im Akt der Berührung des Gegenstands wird dem dunkel erinnernden Subjekt ein Augenblick der Nähe zu seiner kulturellen Herkunft gewährt. Indem der Leib der Dinge sinnend und genießend wahrgenommen wird, kehrt individuelle und kollektive Gebrauchserfahrung an noch erinnerbare Ursprünge zurück und wird die Spanne von Modernisierung durchmessen, die ein kultureller ›Fortschritt‹ umgreift, wird ›Altes‹ und ›Neues‹ unwillkürlich verglichen oder in Beziehung zueinander gebracht.«49 Selle beschreibt ein gesellschaftlich wie individuell bestimmten Wechselverhältnisses von Gebrauch und Kultur, ohne dessen Erläuterung und Verdeutlichung eine Geschichte oder eine Kritik von Design leblos bleibt – im Anschauen der Objekte erschließt sich nur ein winziger Teil von ihnen. Die körperliche Erfahrung mit den Dingen als Gebrauchsobjekten droht mit der Ablösung von mechanisch zu bedienenden Hebeln, Kurbeln, Schaltern, Tastern etc. in Zeiten der durchgreifenden Digitalisierung vollkommen verloren zu gehen – was Selle 1990 beschreibt, bezieht sich noch auf ein gemäßigtes, meist elektronisch unterlegtes Bedienelemente-Design, das heute selbst schon nostalgisch wirkt (beim Anblick von Walkmans, frühen Disc-Playern oder Videorecordern) und als analog bezeichnet würde. »Über das Schalten und Knipsen als geschrumpfte Verrichtungstätigkeit ist das Bewusstsein, ›Herr der Dinge‹ zu sein, einerseits

49

Selle, Gert: Design-Geschichte in Deutschland. Produktkultur als Entwurf und Erfahrung. Köln. 1987, S. 10

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

aufgebläht, andererseits der Bewährung enthoben. Schließlich ist der Knopfdruck nicht nur zum Handlungssymbol des komfortablen, gegenstandsfremden und funktionsunverständigen Gebrauchs aufgestiegen, sondern zur bedrohlichen Geste der Selbst-Auslöschung der gesamten Industriekultur.«50 Selle geht es aber nicht bloß um die Anerkennung eines nostalgischen Werts alter Gegenstände und ihrer Funktion als kritische Zeugen gegenüber heutigen Designlösungen, sondern Selle will den Komplex »Produktkultur« für den Designdiskurs fruchtbar machen. Das versucht er an anderer Stelle51 , indem er drei Ebenen der Produktkultur bestimmt: die gesellschaftlich-epochale Industriekultur, die sozialen Umgangs- und Deutungsmuster und schließlich die individuelle Auslegung durch die Gebraucherbiografien.52 Selle nennt das »Produktkultur als gelebtes Ereignis« (so der Titel des Aufsatzes); gemeint ist eine Aneignung von Gebrauchsgeschichten und -praktiken durch die Subjekte. Für die Konzeption und Produktion von designten Artefakten mag diese Erkenntnis erst einmal nutzlos sein: wie ließe sich Produktkultur als Aneignung durch die Nutzer in die Objekte hinein designen? Aber mit Blick auf veränderte Nutzererlebnisse, auf ein langes Gebrauchen und Umgehen mit den Dingen im Spiegel anstehender Transformationen gewinnt Selles Theorie Kontur. Die erste Ebene der Produktkultur wird durch den historischen Stand der Werkzeugentwicklung definiert; es handelt sich um den ›Gesamtgebrauchswert‹ aller Instrumente der Naturbeherrschung. Damit ist all das gemeint, was zu einem bestimmten Zeitpunkt technisch und stilistisch avanciert ist. Die Zweite Ebene beschreibt den kollektiven Zugriff auf die erreichbaren Werkzeuge und die kollektiven Ausdrucksformen ihres Gebrauchs: Was fängt wer mit den Dingen an und wie formt sich ein kollektives Umgehen damit? Auf der dritten Ebene geht es um das je individuelle

50

Selle 1987, S. 12

51

Selle, Gerd: Produktkultur als gelebtes Ereignis. In: Eisendle, R., Miklautz, E. (Hg.): Produktkulturen. Dynamik und Bedeutungswandel des Konsums. Frankfurt/New York 1992

52

Selle 1992, S. 161

59

60

Design und Transformation

Einfügen des Gegenstands in den Alltag, in die unverwechselbar einmalige Erfahrungsbiografie, in der Gebrauchswert des Objekts ein persönliches Lebensmittel wird.53 Die habituelle Aneignung und gleichzeitige Formung durch die Dinge macht das besondere Verhältnis zwischen Mensch und Objekt aus. Wir begegnen dem heute, wenn in der Wohnung alter Menschen Dinge stehen, die von dem jüngeren Besucher als verbraucht, verschlissen, überholt etc. wahrgenommen werden und die Frage nach deren Wert auftaucht. Doch die Großeltern wollen die Filterkaffeemaschine nicht durch eine Siebträgermaschine ersetzen, weil die neue, eigentlich aber technisch viel ältere italienische Espressomaschine nicht über den angedachten Erinnerungs- und Erfahrungsschatz der zwanzig Jahre alten Kaffeemaschine mit Papierfiltern verfügt. Den Nutzern mag die alte Maschine Trost spenden und neben dem Kaffee auch die Gewissheit eintröpfeln, dass sich nicht alles so schnell drehen muss und die Verheißung der Moderne auch darin bestand, auf Knopfdruck eine Funktion zu verrichten (und nicht durch altmodisches Regeln, Pegeln, Überwachen).54 Die Dialektik der Produktkultur besteht einerseits im Neubewerten von ›neuen‹ Produkten mit alten Technologien (getreu dem Motto eines Warenhauses, dass es sie noch gibt, die guten Dinge…) und dem Fortbestehen einer Fortschrittstechnologie, die ins Hintertreffen gerät ob ihrer simplistischen Produkt- und Bedienlogik. Vorläufig formuliert hieße die Schaffung einer zukunftsfähigen Produktkultur, eine sinnvolle Nutzung durch Aneignung und Individualisierung von Habitus zu erzeugen, die zu einer langen Bindung zwischen Objekt und Nutzern führen.

53

Selle 1992, S. 163

54

Interessanterweise wird im Haushalt älterer Menschen von jüngeren Familienmitgliedern häufig nur gebrauchswertorientiert argumentiert; es soll schön praktisch sein, wohingegen man selbst als jüngerer Mensch ganz auf Distinktion setzt. Dieses Missverhältnis und Missverständnis gilt es im Sinne einer Transformation von Lifestyles ebenfalls zu hinterfragen.

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Nostalgie und Simulakren Produkte als gesellschaftliche Artefakte sind Ideenspeicher und Speicher sozialer Zusammenhänge und Handlungen. Diese ideelle Aufladung kann vorwärtsgewandt sein (wie im Rocket Design der 1950er-Jahre und im Space Age-Design der Jahre 1965–1973), sie kann (und ist es meistens faktisch) aber auch retrospektiv sein. Diese Retrospektive wiederum lässt sich lebensbiografisch fassen, sie lässt sich jedoch auch gesamtgesellschaftlich, historisch und ideologisch, als Suchen und Finden nach der ›guten alten Zeit‹ beschreiben – und dann beginnt es häufig unangenehm zu werden. Die Zeit, nach der gesucht wird, bietet sich in der Rückschau als eine Konstruktion dar, die nur übriglässt, was ins Bild passt. Die Sehnsucht nach einer Zeit, in der das Leben überschaubar war, weil es bereits gelebt wurde oder weil es medial als überschaubar und handhabbar gezeigt wurde, affiziert Menschen offensichtlich nicht nur in Umbruchund Krisenzeiten55 . Darauf haben die Warenproduzenten schon sehr früh reagiert. Schon in den 1920er- und 1930er-Jahren begann in den USA eine Verklärung vorindustrieller Fertigungstechniken, Lebensformen und Produkte, die sich dann im Design von Möbeln und Textilien für den Hausgebrauch niederschlug.56 Ein regelrechter Nostalgie-Boom kam in den mittleren 1970er Jahren auf, als der Fortschrittsoptimismus ökonomisch und gestalterisch zu Ende war und eine Besinnung auf die Vergangenheit stattfand. Damit begann auch die Produktion nostalgischer Neuware, Objekte, die im Stile von oder in Erinnerung an zurückliegende Epochen gestaltet und produziert wurden. Postmoderne Denker wie Gilles Deleuze, Jacques Derrida, vor allem aber Jean Baudrillard haben den Begriff des Simulakrums in den philosophischen und medientheoretischen Diskurs eingebracht, als Beschreibung eines Objekts oder eines Verfahrens, das eine Wiederholung ist, aber keine Kopie, denn es gibt kein Original. So verschwimmen die Grenzen zwischen Vor- und 55

Hepper, Erica & Ritchie, Timothy & Sedikides, Constantine & Wildschut, Tim: Odyssey’s End: Lay Conceptions of Nostalgia Reflect Its Original Homeric Meaning. Washington, D.C. 2012

56

Woodham, Jonathan M.: Twentieth Century Design. Oxford. 1997, S. 206 ff

61

62

Design und Transformation

Abbild, die Bezüge zwischen Original und Imitation, die zu Zeichen gewordenen Objekte haben kein Referens mehr. Als Konstruktion einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, ist Nostalgie für Simulakren wie geschaffen, denn sie erlauben, Marksteine zu setzen und Lücken zu schließen, damit ein konsistentes Geschichts-, Lebens- oder Weltbild entstehen kann. Englischer Cottage-Style der 1970er Jahre, der Shabby Chic und ›Scandi-Hype‹57 unserer Tage sind Beispiele für Simulakren, die Nostalgie bedienen. In Großbritannien hat sich nach 1975 eine Heritage Industry gebildet und ist zu einem Exportfaktor geworden.58 Kulturelles Erbe wurde seit den neoliberalen 1980er-Jahren als vermarktbares Produkt gesehen, das sich nach Belieben variieren und reproduzieren ließ59 . Als Folge wurde seitdem das immaterielle kulturelle Erbe von Staaten oder Kulturgemeinschaften geschützt, um die Vermarktung, wenn auch nicht zu unterbinden, so doch in nachverfolgbare Bahnen zu lenken. Das Nostalgische als Kultur selbstermächtigter User oder als Simulakrum für nimmersatte Konsumenten – die Sehnsucht nach überschaubaren und sicher geglaubten Verhältnissen muss in einer Transformation von und durch Design mitgedacht werden, so lange die Lebensverhältnisse nicht von sich aus in bestimmten Bezügen sicher sind. Design muss den Usern etwas anbieten, das über das Funktionale hinausgeht. Dieses Surplus stellt sich auf verschiedene Weise ein: Im Objekt, das über sein Da-Sein und seine lange Verweildauer im Umfeld von Menschen als individueller Zeitspeicher dient (die Uhr der Großeltern, die primär als Erinnerungsstück an diese Menschen betrachtet wird und nicht gebrauchswertorientiert als Zeitanzeige); oder im Objekt, das über die Form Lebensstile konnotiert, die als beglückend oder tröstlich empfunden werden (der Entwurf einer berühmten Designer:in aus einer als stilistisch 57

Damit soll der Kult um skandinavisches Design, skandinavischen Lebensstil im Allgemeinen und der ›Hygge‹-Boom im Besonderen umschrieben werden.

58

Woodham, Jonathan M.: Twentieth Century Design. Oxford. 1997, S. 217

59

Ob englischer Country-Style oder skandinavisches Midcentury-Design: der Mythos von ›kultureller Essenz‹ hat Unternehmen, Märkte und Medien entstehen und florieren lassen.

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

herausragend empfundenen Epoche). Die Verortung und Verdinglichung von Lebensgefühl und Hoffnung in Objekten ist nicht per se regressiv, sie kann auch positiv und utopisch sein.

Projektion, Spekulation, Vision In der Vergangenheit war das Design ein probates Mittel, um das Leben mit Vorgriffen auf die Zukunft auszustatten – denn Zukunft konnte zwischen 1900 und 1970 sowohl als eine individuell wie auch gesamtgesellschaftlich positive Zukunft ersehnt und begriffen werden. Das amerikanische Streamline Design der 1930er- und 1940erJahre gab den Menschen designte Objekte, die auf ein Leben jenseits des Jetzt verwiesen und damit die Hoffnung verbanden, dass es für alle besser werden würde. Getreu Raymond Loewys MAYA-Formel (Most Advanced Yet Acceptable) waren die tatsächlich realisierten Entwürfe des Streamline Designs mit dem Alltag kompatibel; die wenigsten Menschen hatten damals wie später die Möglichkeit, ihr komplettes Umfeld im futuristischen Stil einzurichten und bereits in der Gegenwart mit einem Fuß in der Zukunft zu leben. Dafür waren die Futurama und Motorama Shows von General Motors die medial wirkmächtigen Instrumente, um den amerikanischen Traum als nahe Zukunft im Rocket Age und Space Age zu aktivieren. Das Design war das Instrument, um Ideen in Form zu bringen, die als Zukunft, als Projektion erkannt und akzeptiert würden. Vieles blieb reine Form, weil die Technik noch nicht reif war oder schlicht nicht existierte: Flugautos, Autos mit Atomantrieb, computergesteuerte Küchen, Unterwasserstädte, Weltraumsiedlungen. Design ist ein Produkt dieser industriellen Moderne bzw. Spätmoderne und zugleich Produzent der Objekte dieser Epoche.60 Die Entwürfe zielten nicht immer, aber häufig nicht bloß auf ein futuristisches Styling existierender Techniken, sondern oft auch auf 60

»Design is both the product of and the producer of modernism.« Tonkinwise, Cameron: Design for Transitions – from and to what? Conference Paper, RISD 2015; http://www.cd-cf.org/articles/design-for-transitions-fro m-and-to-what/

63

64

Design und Transformation

ganze Sets von neuen Umgebungen, die nicht nur ein Umdenken, sondern auch habituelles Umsteuern nötig machten. Design bot Visionen und Versionen einer fernen Zukunft, aber auch Projektionen der Gegenwart in eine nahe Zukunft. Diese teilweise naive, teilweise technologiefixierte, teilweise aus dem Konkurrenzdenken der politischen Blöcke hervorgegangene Funktion des Designs ist, bedingt durch verschiedene Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, ins Stocken geraten. Die Studie Grenzen des Wachstums des Club of Rome 1972 versetzte der naiven Fortschrittsgläubigkeit einen Dämpfer. Ehedem so genannte Zukunftstechnologien wie die Atomkraft wurden zunehmend kritisch gesehen. Nach dem Zerfall des Ostblocks wurden gesellschaftliche Alternativen zur kapitalistisch organisierten Konsumgesellschaft häufig als totalitär und planwirtschaftlich diskreditiert; die Kombination aus staatlich diktiertem Erscheinungsbild und staatlich gelenkter gesellschaftlicher Entwicklung der ehemaligen kommunistischen Staaten hat jede Form eines emanzipativ gedachten ›neuen Menschen‹ und seine designerischen Entsprechungen erledigt. Das Space Age hat mit dem Ende der Apollo-Missionen seine Strahlkraft eingebüßt. Während die Science Fiction mit futuristischen, gesellschaftlich aber dystopischen Settings im Film enorm erfolgreich ist, haben utopische Gesellschaftsentwürfe kaum Publikum oder versickern in einem privaten, digital-technischen Optimierungsglauben und Konsumverhalten.61 Design hat aber nach wie vor das Potenzial, Bilder einer zukünftigen Welt zu liefern, die als erstrebenswerte Option in weiteren Schritten durch Handlungen verwirklicht werden kann; oder wie Damian White formuliert: »material propositions provide the basis for doing politics.«62 Design, als anthropologische Disposition gesehen, erlaubt dem Menschen Dinge vorzustellen, 61

White, Damian: Critical Design and the Critical Social Sciences: or why we need to engage multiple, speculative critical Design Futures in a post-political and post-utopian Era (2015) https://thefuturebydesignatrisd.wordpres s.com/2015/02/17/critical-design-and-the-critical-social-sciences/#_edn6

62

White 2015; ganz ähnlich Banz: »Social Design benennt somit eine neue alte Form der Heterotopie: Wandel der Gesellschaft durch Gestaltung.« Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016, S. 8

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

bevor er sie realisiert; das macht uns zu Menschen.63 Design als Methode der Transformation von Ideen in Modelle und Prototypen ist also in besonderer Weise geeignet, nicht nur in die Zukunft zu denken, sondern in sie zu sehen. Man kann sogar noch weiter gehen und Design als Erkenntnismodell begreifen, das Wissen mit Hilfe visueller Repräsentationen produziert, ohne die eine Bewertung des Wissensstandes oder der erhofften Lösungen gar nicht möglich wäre. Das wird vielleicht nirgendwo so deutlich wie im Transportation Design und in der Architektur, wo Konzepte, Szenarios, Visionen produziert wurden und werden, um die Verbindung von gesellschaftlicher Produktivkraft, gesellschaftlichem Wandel und erstrebten oder vorhergesagten Transformationen deutlich zu machen – als tatsächliche Bewegung (von der Reise ins All bis zu beweglichen Ansiedlungen auf der Erdoberfläche) oder als ›vertikale‹ gesellschaftliche Utopie eines guten Lebens für alle. Allerdings sind diese Visionen seit 1975 aus bereits dargelegten Gründen seltener geworden – die gesellschaftliche Strahlkraft scheint dahin; stattdessen dominieren Visionen einer digital-neuronal vernetzten, hybriden Mensch-Maschine (Androiden, Cyborgs; vorgetragen von den Vertretern der Singularitätsdoktrin), deren Bild eher einem global vernetzten Echtzeitrechner in Menschengestalt gleicht, der sich nicht fortbewegt, sondern in Salzlake floatet. Das Thema berührt aber viel mehr als nur die gesellschaftliche Erwünschtheit oder Akzeptanz von Visionen – Design ist nicht nur eine Kulturtechnik, die (wie andere gesellschaftliche Wissensproduzenten auch) mögliche Versionen von Zukunft formuliert, sondern es präsentiert diese möglicherweise überzeugender, weil das Visualisieren zum Kerngeschäft von Design gehört. Design ist in nuce eine visionäre Tätigkeit, die über ihre spezifische Wahrnehmung und Aneignung von Welt mit Hilfe nonverbaler, meist visueller Modelle Lösungen erarbeitet, auf die andere Disziplinen gar nicht kommen oder für deren Repräsentation sie viel zu lange brauchen würden. Designer sind Übersetzer in eigener Sache, solange sie im Designprozess involviert sind und Übersetzer der Ideen für ihre Anspruchs63

Fry, Tony: Design Futuring. Sustainability, Ethics and New Practice. Oxford. 2009, S. 2

65

66

Design und Transformation

gruppen und Stakeholder. Diese Fähigkeit zur externen Repräsentation war immer schon eine Schlüsselkompetenz des Designprozesses, wird aber für Projekte in der Kontexttransformation (z.B. im Social Design) zu einer essentiellen Strategie, da allen Beteiligten (und damit auch Laien) die Möglichkeit zur Bewertung und Mitsprache auf Basis von Visualisierungen und anderen ästhetischen Repräsentationen gegeben werden kann. Die Transformation des Designs von der Gestaltung marktfähiger und damit immer auch in ästhetischer Konkurrenz befindlicher Einzelobjekte zu einer Gestaltung von Gesamtsystemen und kooperierender Subsysteme im Sinne von Burckhardt64 , die sich auch im Bereich des Social Design verorten lassen, macht die ästhetische Erfahrbarkeit von Entwürfen umso wichtiger: Die Welt wird zuerst als Material erfahren, Entscheidungen werden leichter getroffen, wenn sie entlang sinnlich wahrnehmbarer Repräsentationen argumentiert werden können.

Konklusion: Den sozialen Aspekt von Design transformieren Historisch war Design immer schon im Spannungsfeld zwischen Entwurf und Planung einerseits, Form und Ästhetik andererseits verortet, abhängig davon, ob die Problemlösung und der Innovationsaspekt prioritär funktional oder als sinnlich erfahrbare Gestaltungleistung artikuliert werden sollten. Dieser Diskurs war und ist nicht bloß ein historischer, sondern auch ein kultureller, denn die semantischen Kerne des Begriffs Design sind dies- und jenseits des Atlantiks bzw. zwischen Europa und der anglo-amerikanischen Welt verschieden. Die im Design angelegte Dichotomie von Funktion (ursprünglich als Werkzeugcharakter gedacht) und Formgebung mit Symbolcharakter ist ebenfalls historisch und kulturräumlich verschieden bewertet und in der Praxis realisiert worden: stärker einem utilitaristischen und zweckrationalistischen Impetus folgend im Europa der 1920er- und 1950er-Jahre (Bauhaus, 64

Burckhardt, Lucius: Das unsichtbare Design. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012, S. 34 (2012b)

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

CIAM, HfG Ulm). Stärker auf die Form als Träger symbolischer – genauer genommen ökonomisch getriebener, gesellschaftlich wirkmächtiger – Bedeutungen setzend war die Styling genannte Gestaltungsideologie U.S.-amerikanischer Provenienz. Die StylingIdeologie als Motor für Verkaufsförderung und Warenfetisch war den Vertretern des Funktionalismus ein Dorn im Auge. Doch diese Kritik war blind für den ideologischen Charakter ihres eigenen, mittleren Geschmacks und der als Optimum propagierten, moderaten Zweckform. Die vermeintliche Diskriminierung, Verblendung und Distinktion durch gestylte Produkte gilt indes auch für jegliche Produktgestaltung, die den Namen Design trägt. In praktischer Hinsicht führten Ende der 1950er-Jahre die Notwendigkeit von Entwurfsleistungen einerseits und die Planlosigkeit der gestalterischen Praxis andererseits zu neuen Theorieansätzen für Planungs- und Entwurfsmethodiken. Dabei blieb der gestalterische Aspekt weitgehend auf der Strecke, was den kulturellen Verortungen dieser Diskussionen geschuldet sein mochte (amerikanischer Pragmatismus, Empirismus und Logik). Design als von jeder Formensprache befreite Entwurfstechnik wurde zu einer Planungstechnokratie weiterentwickelt mit Auswirkungen bis in die Jetztzeit (Design Thinking als Technik und Methode für jegliche Aufgaben jenseits des Designs). Im Alltag der Warenproduktion, der Inszenierung und Vermarktung ist evident, dass die gestalterische Potenz des Designs vor allem als Tauschwerterhöhung eingesetzt und deshalb als Warenästhetik beschrieben und kritisiert werden kann. Die Designer:innen sind von der Gesamtkonzeption meist ausgeschlossen und werden erst konsultiert, wenn die Rahmendaten eines Objekts längst feststehen. Design wurde aus dieser Perspektive heraus der Verschwendung und Sinnentleerung geziehen und ein Kurswechsel in Richtung Sinnhaftigkeit, Bedürfnisrealismus und Ökologie gefordert, wie bspw. durch Papanek. Seine Kritik, bereits vor einem halben Jahrhundert formuliert, hat an Aktualität nichts eingebüßt. Darüber hinaus zeigt sich ein ›Theory-Practice Gap‹ ganz besonderer Art, nämlich die Entkoppeltheit der Designwis-

67

68

Design und Transformation

senschaft von der ökonomischen Basis der Designpraxis65 . Für die grundlegenden Aufgaben werden Designer:innen meist gar nicht herangezogen, weil ihre Kompetenzen dafür als nicht ausreichend, nämlich nur auf das Ästhetische fokussiert eingeschätzt werden. Gleichzeitig wird das Vorgehen von Designer:innen als zu weitgehend, nämlich als zu kritisch eingeschätzt. Echtes designerisches Denken (nicht gleichzusetzen mit dem Buzzword Design Thinking) ist radikal, es geht an die Wurzel der Aufgabenstellung und der damit verbundenen Probleme und Lösungsansätze. Das macht vielen Unternehmen und Auftraggeber:innen Angst. Dies wird sich erst ändern, wenn Design nicht länger als verkaufsfördernde Dekoration und Kosmetik, sondern als Grundlagenarbeit verstanden und anerkannt wird; wenn Design ein reguläres Fach im Bildungskanon ist, wie das Nigel Cross gefordert hat: »Design in general education is not primarily a preparation for a career, nor is it primarily a training in useful productive skills for ›doing and making‹ in industry. It must be defined in terms of the intrinsic values of education.«66 Design, Designtheorie und Designwissenschaft müssten also (wieder) ökonomisch denken – nur anders, als das in den 1970er Jahren geschah und jedwede Ästhetisierung als Schein desavouiert wurde; sondern eher in Richtung einer ökonomischen Ästhetik, wie sie Wolfgang Welsch und Gernot Böhme gefordert haben.67 Die Marginalisierung des Designs lässt sich nicht mit Konferenzbeiträgen verhindern, sondern nur mit einer grundlegenden Debatte und einer Theorie vom Design als Praxis der Tauschwertgenerierung

65

Das mag wiederum damit zu tun haben, dass nur wenige erfahrene Designpraktiker:innen wissenschaftlich arbeiten und wenige Designtheoretiker:innen tiefe praktische Erfahrungen haben.

66

Cross, Nigel: Designerly Ways of Knowing: Design Studies Vol 3, no 4, October 1982, S. 223

67

Dazu ausführlicher in Kap. 4.2; Böhme, Gernot: Atmosphäre. Frankfurt. 1995, Welsch, Wolfgang: Zur Aktualität ästhetischen Denkens. In: Ästhetisches Denken. Stuttgart. 2003, S. 42–78 (2003a)

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

und als Funktiv der Distinktion – damit sind Wertschöpfungsmodelle und Lebensstile gemeint und angesprochen, deren Kritik eine fundamentale ist und über die Community der Designer:innen und Designwissenschaftler:innen weit hinaus geht. Wenn die Designgeschichte etwas gezeigt hat, dann, dass reine Funktionalität trostlos und jeder Versuch, die Form zum Verschwinden zu bringen, zwecklos ist. Planerischer Zweckrationalismus führt zur Anästhesie, nicht zur Kühlung überhitzter Symbolfunktionen. Sobald ein Objekt in den Gebrauch übergeht, wird es ein Zeichen; seine Form, ob designt oder vorgefunden, birgt das Potenzial zur Distinktion, d.h. zur Markierung sozialer Positionen. Die Distinktionsaspekte sind von der Designtheorie lange vernachlässigt und vorwiegend von der Soziologie aufgearbeitet worden; es hilft dabei wenig, Designtheorie auf eine intrinsische Grammatik oder Semantik zu beschränken, um ›gutes‹ Design zu erzeugen, das verstanden wird (Krippendorff, Norman68 ) und die gesellschaftlichen Bedeutungen außen vor zu lassen.69 Eine solche intrinsische Designgrammatik ist möglicherweise für das Design von Usability und User Experience zum Erzeugen kohärenter und sinnvoller systeminhärenter Bedienabläufe geeignet, sie ignoriert aber den sozialen Anspruch gestalteter Objekte. Zweifelsfrei erkenn- und bedienbare Not-AusSchalter und Fluchttüren in öffentlichen Gebäuden sind überlebenswichtig, das Leben ist jedoch reicher und ambig – und es sollte auch so designt werden. Hier tut sich die Zwickmühle auf zwischen der Wertschätzung von nicht gebrauchswertgerechten Gegenständen oder Abläufen, die 68

Dazu ausführlich im Kapitel »Human-Centred Design – vom Objekt zum

69

Eine Spätfolge der US-amerikanischen deskriptiven Linguistik, die in der

Prozess« Nachfolge von Bloomfield (1936) ›meaning‹ zu einem Reservat alles Außersprachlichen, nicht exakt Beschreibbaren machte. Berühmt geworden ist Chomskys Formulierung von 1957, für die Generierung einer Grammatik brauche es keine Bedeutung, man müsse ja auch die Haarfarbe des Sprechenden nicht kennen, um eine Grammatik zu erstellen. In: Helbig, Gerhard: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Leipzig. (1973) 1986, S. 238

69

70

Design und Transformation

von den Usern affektiv aufgeladen werden, und wohlmeinend designten Systemen, die diese Affiziertheit nicht evozieren und darum aber auch nicht gebraucht und nicht genutzt werden. Die Vielfalt der Uservorstellungen abzubilden bei gleichzeitiger Reduktion überflüssiger symbolischer Marker oder einfach nur ornamentaler Designelemente, die aber einen direkten Zusammenhang zum Lebensstil herstellen, an dessen Konstruktion sich Menschen abarbeiten: das ist die große Aufgabe des Designs der näheren Zukunft. Es gilt, eine Transformation einzuleiten von wahllos wie bewusst gekauften, dem Ensemble der Lifestyle-Objekte hinzugefügten Gegenstände und Services, hin zu einer Produktion und Konsumtion von sinnvollen, also auch sinnlich vollen Objekten, die uns eine Dekade und nicht nur eine Saison begleiten. Das zu fordern ist wohlfeil, so lange nicht ein gesellschaftlicher Trend zu einem solchen Lifestyle als zukunftsweisend erkannt und durchgesetzt wird. Die Entwicklung einer nicht bloß industrielldeskriptiven, sondern individuellen Produktkultur und ebensolchen imaginativen Gebrauchswerten (wie bei Selle und Heubach) ist, wie die Forschung gezeigt hat, nicht an jeweils aktuelle, trendige, stylische Marktinnovationen gebunden – das gibt Anlass zur Hoffnung. Design leistet eine lange unbemerkt gebliebene und als selbstverständlich begriffene Transformationsarbeit als externe Repräsentationstechnik; das ist zur Kommunikation von Zielen und Ergebnissen notwendig und es gehört zum Kern seiner sinnlichen Kultur. Damit ist Design fähig zu ideologischer Beeinflussung wie zur sinnhaften Projektion einer Zukunft mit verschiedenen Lebensstiloptionen. Seine Modelle und seine Realisationen repräsentieren gesellschaftliche Ideen, die in die Zukunft weisen können (wie das zwischen 1900 und 1970 geschah) oder den Status Quo festschreiben. Insbesondere in der Architektur als städtebaulicher Großprojektion zeigt sich seit den 1990er-Jahren ein fataler Hang zur Regression, zu Nostalgie und Simulakren – ob neo-neoklassizistische Townhouses in Gated Communities oder Imitationen eines fast einhundert Jahre alten International Style – dessen Motor ein ökonomisch motiviertes Sicherheits- und Akkumulationsdenken ist, das sich mit geborgten Identitäten zu tarnen versucht. Idealerweise sollte

Zwei: Design als Transformation der Produktwelt

Design jedoch keine Simulakren erzeugen, sondern es sollte wahrhaftig und realitätsbezogen sein. Und idealerweise sollten nicht nur kleine, dafür ökonomisch umso potentere Gruppen ein gesellschaftliches Gesamtbild bestimmen können, sondern Design sollte den Status Quo verlassen und Bilder einer erstrebenswerten Zukunft für alle generieren.

71

Die Designtheorie und die Designpraxis haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immens verändert. Neue Tätigkeitsfelder, neue Praktiken haben sich durch die Digitalisierung und die durch sie entstandenen Produkte, Medien und Kanäle herausgebildet und etabliert, die von den alten Designfeldern kaum noch abgebildet werden können. Was an diesen neuen Designbereichen ist Design im genuinen Sinn? Welche Rolle spielt die Ästhetik im Design digitaler Systeme? Fest steht, dass das Verhältnis von Design als praktisch gewordenem Denken und von Design als Formgebung einer Transformation unterliegt.

Drei: Transformationen im Designdiskurs Ästhetik und Erkenntnis

Historisch folgte auf die Kritik an der Ästhetik designter Objekte (Kritik der Stylingpraxis durch den Rationalismus in den 1950er Jahren; Kritik der Warenästhetik in den 1960er- und 1970er-Jahren) eine kritische Rehabilitierung des Ästhetischen in den 1980er und 1990er-Jahren, einerseits durch die Soziologie und die Anerkennung ästhetischer Marker in der Alltagskultur (als Lebensstile), andererseits durch die Philosophie in der Nutzbarmachung des Ästhetischen im postmodernen Denken. Wolfgang Welsch hat sich 1989 mit dem Konzept des »ästhetischen Denkens« in die Diskussion um Postmoderne und Ästhetisierung der Alltagswelt eingeschaltet. Ausgangspunkt seiner Rede vom ästhetischen Denken ist eine ästhetisch konstituierte Welt, die gleichzeitig einen Gegenentwurf zur rationalistisch verkürzten Weltsicht der Technokratie darstellt. In der sinnlichen Aneignung und dem Vertrauen auf die durch Wahrnehmung gewonnenen Daten gewinnen wir eine Erfahrungswahrheit, die eine sichere Orientierung in der Welt erlaubt und gegen sowohl eine funktionalistische Anästhetisierung wie auch gegen die Überwältigung durch ein Zuviel an ästhetischen Markern wappnet. Das reflexive Moment im ästhetischen Denken ermöglicht Selbstkritik und dient als Seismograph gegen das Zuviel und das Zuwenig an Erfahrungsmöglichkeit. Denn nicht bloß als Gegenpol, sondern auch als Fluchtpunkt der Ästhetisierung macht Welsch die Anästhetisierung aus; eine »Blindheit«, durch den Entzug wie durch die Überdosis von Sinnlichkeit hervorgerufen; technokratische

76

Design und Transformation

Zerstörung von Wahrnehmung und warenästhetische Blendung. Ästhetisches Denken und ästhetische Erfahrung ermöglichen dagegen Wirklichkeitskompetenz: »Gegen systematische Anästhetik hilft nur gezielte Ästhetik.«1 Die zukünftige Herausforderung sieht Welsch in der Technologie, die das Design vom klassischen ›form follows function‹-Dogma entbindet und sich die Gestaltung von Benutzeroberflächen und Software zur Aufgabe macht. Als Ausblick postuliert Welsch eine Designauffassung, die sich nicht im Objektdesign erschöpft, sondern die Prägung von Verhaltensformen einschließt, d.h. ein Design, das von der Objektgestaltung zur Rahmengestaltung übergeht, um auf die ökologischen und globalen ökonomischen Herausforderungen reagieren zu können; in Bourdieu’scher Terminologie: Design, das eine Veränderung des Habitus ermöglicht und als Herausforderung annimmt. Was Welsch hier fordert, ist ein transformatives Design avant la lettre: »Es gilt – postmodern wie ökologisch – die Rahmen-Bedingungen unserer Lebensverhältnisse zu verändern.« (Herv. i. O.)2 . Das notwendige Abrücken vom Anthropozentrismus, die Beachtung der Außenfolgen menschlichen Handelns als Entsprechung auf die ökologischen Herausforderungen machen ein ökologisches Design notwendig. Anders gesagt, sinnliche Erkenntnis und ästhetisches Denken sind befähigt, uns aus dem Kreis der rationalistischen Katastrophenlogik ausbrechen zu lassen und nach alternativen Lebensund Umweltformen zu suchen. Die Mittel dazu sind Veränderung der Bezugsrahmen und eine nichtlineare bzw. heterogene Gestaltung, die sich in unterschiedliche soziale und kulturelle Kontexte einbinden lässt.

1

Welsch, Wolfgang: Zur Aktualität ästhetischen Denkens. In: Ästhetisches Denken. Stuttgart. 2003, S. 68 (2003a)

2

Welsch, Wolfgang: Perspektiven für das Design der Zukunft. In: Ästhetisches Denken. Stuttgart. 2003, S. 218 (2003b)

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Von der Objektästhetik zur Atmosphäre Während Wolfgang Welsch die Notwendigkeit von Ästhetik und ästhetischem Denken als transformative Kraft im postmodernen Anpassungs- und Überlebensprozess betont und dabei sowohl auf den altgriechischen Begriff der ›aisthesis‹ wie auf die Philosophie der Moderne und Postmoderne rekurriert, hat fast zeitgleich (1991) Gernot Böhme den Begriff ›Atmosphäre‹ in die Diskussion um die Rehabilitierung der Ästhetik (nicht nur für das Design) eingebracht. Laut Böhme muss die Umweltproblematik auch in ästhetischer Hinsicht hinterfragt werden; die Frage nach dem Sich-Befinden ist für ihn eine ästhetische. Jede Gestaltung von Umwelt, jegliche Formation der Oberfläche der Welt geht in unser Befinden ein. In kritischer Würdigung von Haugs Thesen zur Warenästhetik (auf die sich übrigens auch Welsch bezieht) versteht Böhme die Ästhetisierung des Realen als einen Prozess der Verdrängung, als Dominanz des Scheins gegenüber dem Sein. Dieses Sein gilt es durch eine ökologische Naturästhetik zurückzugewinnen, die als volle Sinnlichkeit »das Affektive, die Emotionalität und das Imaginative«3 aufnimmt. Das primäre Thema von Sinnlichkeit ist nicht die Dingwelt, die man wahrnimmt, sondern laut Böhme das, was man empfindet, die Atmosphären; verstanden als eine raumzeitliche, körperliche Erfahrung, die uns affiziert. Diese Affekte hat die traditionelle philosophische Ästhetik beiseitegeschoben, sie ist aber das, was heute der Fall ist, im Guten wie im Schlechten. Denn die Erfahrung von Leiblichkeit, die von Atmosphären erzeugt wird, kann emanzipativ und regressiv zugleich sein; sie kann wach machen und sie kann einlullen. Insofern ist die Arbeit der Designer:innen eine weitreichende und verantwortungsvolle. »Design als ästhetische Arbeit, als Produktion von Oberflächen und Formen entscheidet heute darüber mit, in welcher Weise sich der Mensch leiblich erfahren kann und in welcher Weise er sich durch die Strategien der Designer erfahren soll.«4

3

Böhme, Gernot: Atmosphäre. Frankfurt. 1995, S. 15

4

Böhme 1995, S. 18

77

78

Design und Transformation

Das Dilemma des Ästhetischen, bei Welsch als Antagonismus von Anästhetik und emanzipativer Ästhetik benannt, sieht auch Böhme. Die Atmosphären sind einerseits das Ganze, das sich aus einzelnen gestalteten Objekten und deren Aura konstituiert, gleichzeitig sind es Überwältigungssituationen, die sich dem Verwertungsinteresse des Kapitalismus verdanken. Es ist Böhme wichtig darauf hinzuweisen, dass Ästhetik heute eine Ästhetik des Designs (im weitesten Sinne) ist, und dass die Kunst ihre Exklusivstellung zur Generierung ästhetischer Erfahrungen ab- und aufgegeben hat. Die Kunst ist nur noch eine Form ästhetischer Arbeit.5 Insofern ist Böhmes Ansatz der Atmosphäre für die Designtheorie im Allgemeinen bedeutsam und für das Transformation Design im Besonderen fruchtbar. Erfahrung und Wahrnehmung brauchen zwei Seiten: die Erfahrenden und das Erfahrene bzw. die Wahrnehmenden und das Wahrgenommene. Böhme spricht von einer »gemeinsamen Wirklichkeit«, die sich durch beide Seiten in und als Atmosphäre herstellt, von einer »synthetischen Funktion«, hergestellt aus der Sphäre der Anwesenheit des Wahrgenommenen (Objekte, Interfaces, Medien) und der Wirklichkeit der Wahrnehmenden (User) in ihrer Leiblichkeit6 . Böhme definiert ästhetische Arbeit als Herstellung von Atmosphären durch Arbeit am Gegenstand7 . Diese Arbeit trägt ihren Beitrag zur Ästhetisierung der Realität bei und ist vielschichtig; es sind die mehr oder weniger bekannten Diversifizierungen dessen, die wir als Design im Gesamten bezeichnen. Das akkumulierte Wissen von dieser Arbeit ordnet Böhme dem ›tacit knowlege‹ zu, dem impliziten Wissen, das die ästhetische Theorie erst noch erkunden und fruchtbar machen muss. Es steht außer Frage, dass die ästhetische Arbeit auch zu einer ästhetischen Vermüllung der Umwelt beiträgt: Fahrstuhlmusik, Duftschwaden in Verkaufsräumen, Dauerbeleuchtung des öffentlichen Raums, die Dekoration des eigenen Körpers und ganzer Innenstädte: das ist die eine Seite, die als Stimulanz und Treibstoff dafür eingesetzt wird, dass der Laden läuft, Kaufanreize geschaffen, 5

Böhme 1995, S. 16

6

Böhme 1995, S. 34

7

Böhme 1995, S. 35 f

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Produkte im Markt lanciert, unzulängliche Angebote erträglich werden sollen. Der simplifizierenden Kritik am Verblendungscharakter der Warenästhetik setzt Böhme die Anerkennung der ästhetischen Bedürfnisse des Menschen als ein Grundbedürfnis und das Scheinen als ein Grundzug der Natur entgegen.8 Böhme regt eine neue Kritik der Ästhetik an, die in Anlehnung an und Erweiterung von Haugs Kritik der Warenästhetik eine »Kritik der ästhetischen Ökonomie« sein sollte.9 Denn die ästhetische Inszenierung der Alltagswelt, das, was Matteo Kries und andere als Total Design beschreiben, ist eine Form der Ausübung ökonomischer Macht.

Körper und Wahrnehmung als transformative Größe Ästhetische Arbeit macht im entwickelten Kapitalismus einen großen Teil der gesamtgesellschaftlichen Arbeit aus; diese Arbeit dient nicht mehr nur der Herstellung von Waren, sondern ihrer Inszenierung: Werbung suggeriert Lebensstile. Aber die simple Gegenüberstellung von Tauschwert und Gebrauchswert trifft heute nicht mehr. Es ist ein spezifischer Gebrauchswert entstanden, den Böhme als »szenischen Wert« zur Erzeugung von Atmosphären beschreibt, im Kleinen und Privaten wie im Großen und Öffentlichen. Eine Welt mit Objekten, die nur am Gebrauchswert orientiert wären, wäre ebenso furchtbar, weil entsinnlicht und entmenschlicht wie eine im ästhetischen Schein sich erschöpfende Showdarbietung des Lebens. Es ist ein legitimes Bedürfnis von Menschen, durch Gestaltung ihrer Umwelt Atmosphären zu erzeugen und sich selbst in Szene zu setzen, ungeachtet eines Lebenszusammenhangs, der durch eine Verschwendungsökonomie gekennzeichnet ist, wie Böhme den postindustriellen Gesellschaften des Westens unterstellt: Eine Luxusproduktion, die am Eigentlichen, den wirklichen Bedürfnissen, vorbeigeht (wie schon Papanek formulierte). Dagegen will Böhme die Wahrnehmung verteidigen. Das leibliche Erspüren von Atmosphären ist das Ziel, sowohl beim Herstellen als beim 8

Böhme 1995, S. 41

9

Böhme 1995, S. 45

79

80

Design und Transformation

Rezipieren. Eine emanzipative ästhetische Erziehung müsste leisten, dass überbordende Ästhetisierung und damit schon wieder anästhetisch werdender Schein erkannt und vernachlässigt, dafür ein Sinn für erkennende und aufklärerisch wirkende ästhetische Erfahrung gebildet werden können. Das Missverhältnis zwischen einem Wirtschaftssystem, das nur durch Wachstum stabil bleibt und deshalb Begehren erzeugen muss und einem nicht entfremdeten Leben, das sich auf seine Bedürfnisse konzentrieren kann, ohne jeder Verlockung anheim zu fallen, bleibt der zentrale Punkt auch beim Design. Es soll aus verschiedenen Gründen ästhetisch attraktiv sein und gleichzeitig der plumpen Anmache entsagen – diese Aufgabe lässt sich vielleicht besser lösen, wenn in größeren Rahmen gedacht wird, in situativen Kontexten, in Atmosphären, in denen das einzelne designte Objekt nur als ein Baustein dient; noch besser, die Handlungsräume werden menschlich gestaltet und von den Usern mit Objekten markiert. Design hat eine ästhetische Seite: es handelt sich um die sinnlich wahrnehmbare Seite der gestalteten Objekte, die das Design seit seiner Entstehung geprägt und gesellschaftlich und kulturell haben wirkmächtig und diskursiv werden lassen. Es ging vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute um die Formgestaltung, um die unabdingbare, unvermeidbare Frage, wie etwas aussehen, sich anfühlen, klingen, im weitesten Sinne erscheinen soll, das auch zu etwas nutze ist; also darum, wie eine Synthese von Funktion (utilitaristisch und sozial bzw. symbolisch funktional) und jeweils kohärenter Form gestaltet werden kann. Diese ästhetische Seite des Designs wird von der Theorie merkwürdig unauffällig behandelt. Natürlich hat es in der Geschichte des Designs Versuche gegeben, über Formalisierungen und exakte Berechnungen (z.B. Birkhoffs Schönheitsformel, von Bense in den 1950er-Jahren wieder in die Diskussion gebracht10 ) den Informationsgehalt von Objekten, ihre Schönheit im allgemeinen Sinn, zu beschreiben. Es gibt unzählige Kataloge, die Designobjekte in stilistische und/oder historische Kategorien sortieren, um anhand ästhetischer Marker eine Einteilung vornehmen zu können. Historische Versuche, über formal ›reduzierte‹ Gestaltung zu 10

Kebeck et al.: Experimentelle Ästhetik. Wien. 2011

Drei: Transformationen im Designdiskurs

einer vermeintlich ›reineren‹ Form vorzudringen wie in der HfG Ulm, zeugen von dem letztlich zum Scheitern verurteilten Versuch, Design ohne Ästhetik zu denken oder die ästhetische Seite vor Zuschreibungen verschiedenster Art bewahren zu können. Wenn es um Transformation geht, darf die Frage nach der ästhetischen Seite der gestalteten Umwelt nicht unterschlagen werden, auch wenn die Ära der Einzelobjekte, der Künstler-Designer:innen, des Designs als Verkaufsargument mit ästhetischem Surplus u.v.m. an ein Ende gekommen scheint.

Design als ästhetische Arbeit Doch das ist nur eine Seite der Ästhetik, die Seite der designten Artefakte. Es gilt, eine zweite Perspektive einzunehmen, die beim Wahrnehmen, beim sinnlichen Erkennen und der freud- oder sinnvollen Nutzung der designten Artefakte fundamental zum Tragen kommt. Gelungene Wahrnehmung ist der Ausgangspunkt und der Dreh- und Angelpunkt für Design – beginnend bei den Designer:innen und endend bei all denen, die designte Artefakte nutzen und sich in einer designten Welt bewegen – also allen Menschen. Die Verengung der Design-Ästhetik auf den Abbildcharakter der Objekte rückt manche davon in die Nähe von Kunstwerken, was ihrem Marketing vielleicht gut tut, aber in der Sache vollkommen fehlgeht: Dadurch werden die Objekte zu Fetischen, denn eine Betrachtung, die für Kunst gut ist und Kontemplation und Reflexion einschließt, funktioniert bei Dingen, die zum Gebrauch bestimmt sind, nur bedingt. Die auf Abbilder fixierte und inszenierte Ästhetisierung von Design leitet die Wahrnehmung in einen bloß auf Repräsentationswerte gerichteten Distinktionsabgleich. Transformation Design sollte die menschliche Basis für Wahrnehmung abrufen und schulen – gelungene Wahrnehmung ist ein Erkenntnisakt und die erste Stufe emanzipatorischen Handelns

81

82

Design und Transformation

und Orientierung in der Welt11 . Show-Design, das auf Oberflächenästhetik und Distinktionsästhetik baut, umgeht absichtlich diese Emanzipationsdispositive. Transformation durch Design würde bedeuten, den Menschen sinnliche Erkenntnis qua Ästhetik zu vermitteln – nicht nur über die Form, sondern über den Gebrauch, die Aneignung, die Lebensdauer. Mit zunehmender Digitalisierung, Entkörperlichung und Entmaterialisierung der Artefakte ist das eine herausfordernde Aufgabe, für deren Begreifen und Anwenden zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Konzept der User Experience entwickelt wurde. Aus dem Human Centred Design müsste ein Body Centred Design werden.

Designtheorie als ästhetische Theorie Bei aller Rationalität, die der Begriff Planung impliziert, bei aller Kognitionstheorie, mit der Entwurfsprozesse analysiert werden können, sollte nicht vergessen werden, dass wir bei jeder Designleistung über einen Eingriff und eine Umformung der menschlichen Umwelt sprechen, mithin über die Möglichkeiten und Fähigkeiten einer gelungenen Wahrnehmung. Design ist von Konstruktion und Planung durch Ästhetik unterschieden – diese Ästhetik ist nicht bloß ein überzeugendes Argument für neue Lösungen, sondern auch Ziel jeder sinn- und genussvollen Nutzung. Ästhetik, begriffen als umfassende Wahrnehmungstätigkeit mit Erkenntnischarakter und Reflexionspotential ist der Schlüssel zu emanzipierten Menschen, die sich nicht auf Rollen wie ›Konsument:in‹ oder ›User‹ reduzieren lassen (deskriptiv-normativ und biografisch-lebenspraktisch). Nicht bloß das Werkzeug, sondern das gestaltete Artefakt zeichnet den Menschen aus.12 Ein Designansatz, der allein durch seine Praxeologie versuchte, zu neuen Lösungen zu kommen, ohne das 11

Holzkamp, Klaus: Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Frankfurt. (1973) 1986, S. 56 ff und S. 295 ff

12

Feige, Daniel Martin: Design. Eine philosophische Analyse. Berlin. 2018, S. 79

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Zutun von Ästhetik-Profis – also Designer:innen – kann in diesem emphatischen Sinn nicht als Design verstanden werden. Ästhetik als ein Gesamt von Anschauung und Wahrnehmung, Sinnlichem und daraus resultierendem Diskurs, ist das unterscheidende Kriterium zwischen einer gestalterisch überzeugenden Lösung und einer pragmatischen Entscheidung aus der Notwendigkeit heraus. Theodor W. Adornos Einlassungen zum Funktionalismus, mittlerweile ein halbes Jahrhundert alt, lassen sich wie eine ästhetische Theorie des Designs als einem Mittel zur Freiheit lesen. Das Nützliche, das Adorno dort als Wesenskern des Funktionalismus benennt, darf nicht plump mit den Ergebnissen rein planerischer Design-Prozesse identifiziert werden; aber ein Design ohne Gestaltung, auf pure Usability getrimmte Objekte nähern sich dem an, was er als ein Moment des Entstellten beschreibt: »Aber alles Nützliche ist in der Gesellschaft entstellt, verhext. Dass sie die Dinge erscheinen lässt, als wären sie um der Menschen willen da, ist die Lüge; sie werden produziert um des Profits willen, befriedigen die Bedürfnisse nur beiher, rufen diese nach Profitinteressen hervor und stutzen sie ihnen gemäß zurecht. Weil das Nützliche, den Menschen zugute Kommende, von ihrer Beherrschung und Ausbeutung Gereinigte das Richtige wäre, ist ästhetisch nichts unerträglicher als seine gegenwärtige Gestalt, unterjocht von ihrem Gegenteil und durch es deformiert bis ins Innere.«13 Der auf einer Tagung des Deutschen Werkbundes 1965 gehaltene Vortrag richtete sich aus Adornos Perspektive an Architekten und Stadtplaner; Design hätte er vermutlich unter das Großgebilde der Architektur subsummiert. Was er dem Funktionalismus vorwirft, das Eintönige, Dürftige, borniert Praktische, mag in gewisser Hinsicht auch für Designansätze gelten, bei denen die Form der Zusammenarbeit und die Praxis der Ideengewinnung bzw. die Realisation im Vordergrund steht gegenüber einer gestalteten Setzung. Partizipative, soziale Projekte haben oft darunter zu leiden, dass 13

Adorno, Theodor W.: Funktionalismus heute. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt. 1981, S. 123 f

83

84

Design und Transformation

von vielen Stakeholdern nicht bloß der industriellen oder professionalisierten Form ein Grundmisstrauen entgegengebracht wird, sondern der »Form an sich«, wobei damit immer das Missverständnis einhergeht (auch bei Menschen vom Fach), es gäbe Dinge ohne Form und die Form sei per se korrumpiert. Das Ergebnis ist dann eine Form, die keine sein will und für alle sichtbar daran leidet, weil keine Einsicht in die soziale Funktion vorliegt. Das Missverständnis über das Gestalten im Design ist daher ein Doppeltes, das Resultat identisch: ein Negieren des Gestaltungsanspruchs negiert Design im emphatischen Sinn. Martin Feige folgert: »So wie man einem Künstler beziehungsweise einer Künstlerin vorwerfen muss, dass er oder sie glaubt, durch ihre Kunst die soziale Welt zu verbessern, so muss man einem Designer beziehungsweise einer Designerin vorwerfen, dass sie oder er nicht glaubt, immer schon die soziale Welt durch das Gestalten mitzugestalten.«14 Design ohne Ästhetik wird auch soziale Praxis, aber eine zweifelsohne wichtige soziale Arbeit ist deswegen noch kein Design. Design als soziale Praxis darf den Anspruch integraler Gestaltung – dem Neuen eine wahrnehmbare Form des Gebrauchs zu geben – nicht aufgeben, wenn es nicht Gefahr laufen will, zur Planungstechnik degradiert und instrumentalisiert zu werden.

Design als neue Erkenntnis Der Versuch einer Formalisierung von Design als schwer zu bestimmender intuitiver, kreativer, ästhetischer Arbeit ist spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nachweisbar: Ausbildungsinstitute wie die HfG Ulm, aber auch die Theorieansätze des britischen Design Methods Movement versuchten in den 1960er Jahren, das Design zu verwissenschaftlichen und den Nimbus der künstlerischen Tätigkeit genialischer Gestalter:innen zu objektivieren. Dennoch blieben

14

Feige, Daniel Martin: Zur Dialektik des Social Design. Hamburg. 2019, S. 34

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Leerstellen bzw. zeigten sich die Grenzen einer naturwissenschaftlichen oder technisch-rationalistischen Formalisierung. Die Wege des Wissens und die Art der kreativen Verknüpfung und Restrukturierung von Problemstellungen und möglichen Lösungsansätzen im Design sperrten sich herkömmlichen Theorien. Erkennt man an, dass hochkomplexe Problemstellungen nicht mit einfacher Deduktion zu lösen sind, liegt die Frage nah, welchen besonderen Kern das designerische Denken ausmacht, das heute von einer florierenden Beratungsindustrie unter dem Titel Design Thinking vermarktet wird. Dieser Kern eines ergebnisoffenen, potenziell innovativen und sinnlich erfahrbaren Lösungsdenkens scheint eine der großen Herausforderungen nicht nur für das eigentliche Design darzustellen, sondern wird als Chance und Ausweg aus dem unidirektionalen und verbürokratisierten Denken in Organisationen jedes Typus gepriesen. Dies ist eine Hauptlinie aktueller Designdiskurse und -praktiken. Die zweite Hauptlinie lässt sich als Zentrierung der Gestaltung auf die Nutzer:innen und sonstigen Beteiligten, kurz Stakeholder genannt, beschreiben. Die Digitalisierung hat, nicht ausschließlich, aber doch nachhaltig, das Entwurfsdenken auf ein größtmögliches Anwendungs- und Nutzerverständnis gelenkt. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, erschien zu Beginn digitaler Anwendungen notwendig, weil viele Interfaces, Programme und Bedienoberflächen von Programmier:innen und IT-Entwickler:innen mit deren jeweiliger Perspektive und aus deren Vorverständnis heraus ›designt‹ waren, ohne dass Designer:innen beteiligt waren. Menschzentriertheit oder Nutzerzentriertheit – die Human Centredness – ist eine auf die jeweiligen Nutzer eines Systems gerichtete Designperspektive. Mit den meisten Aufgaben und Problemstellungen, ob wirtschaftlich oder politisch, sind jedoch immer auch gesellschaftliche und kulturelle Implikationen verknüpft; konfliktarme Lösungen sind nur unter Beteiligung möglichst vieler Stakeholder zu erreichen. Die Kommunikation der Diskussion und der Entscheidungsfindung, die Mediation aller Beteiligten, die Erarbeitung von Lösungen mit möglichst hoher Akzeptanz, all das wird heute als Designkompetenz betrachtet und eingefordert. Eine eingehende Betrachtung dieser beiden Aspekte, designerischem Denken und

85

86

Design und Transformation

nutzerzentriertem Entwerfen, ist angebracht. Zum einen, weil beide Perspektiven innerhalb und außerhalb der Designpraxis zu Geschäftsmodellen mit enormem Potenzial gewachsen sind; andererseits, weil beiden Perspektiven affirmative wie emanzipatorische Aspekte innewohnen. Design Thinking und Nutzerzentriertheit lassen sich rein ökonomisch denken und vermarkten; Sinnhaftigkeit und Bedienfreundlichkeit als Teil einer nachhaltigen Entwurfshaltung, Offenheit und Erweiterbarkeit von Objekten und Systemen könnten positive Ergebnisse dieses Denkens sein.

Denken Designer:innen anders? Für die Erörterung der diskursiven Traditionslinien, die für das Transformation Design essentiell sein könnten, stößt man unweigerlich auf die erkenntnistheoretische Frage, ob Design als Praxis, als Wissenschaft oder als etwas davon Verschiedenes, als Besonderes, als etwas ›Drittes‹ betrachtet werden kann15 . Ist Design erkennende Praxis, oder praktisch gewordene Erkenntnis? Anders formuliert: Denken Designer:innen anders? Ist die praktische Weltaneignung durch Artefakte und Prototypen eine Form der Wissensaneignung und Wissenskumulation, die von den Natur- und Geisteswissenschaften zwar unterschieden, aber dennoch erkenntnistheoretisch als gleichwertig zu sehen ist? Diese Fragestellung impliziert weitere Fragen, die den Charakter oder die »Natur« des Design und der Designpraktiker:innen betreffen: Wenn diese über eine spezielle Fähigkeit verfügen, Probleme zu sehen, neu zu ordnen und anders zu lösen, ist diese Fähigkeit immer schon vorhanden oder erlernt? Die erste Prämisse würde bedeuten, dass man jede Form von Design Thinking für Nicht-Designer:innen obsolet nennen könnte, denn nur Designer:innen könnten dann

15

Cross, Nigel: Designerly Ways of Knowing: Design Studies Vol 3, no 4, October 1982, S. 221–227

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Design Thinking, das diesen Namen wirklich verdient, betreiben.16 Ist Design als allgemeine Problemlösungsstrategie erlernbar, dann bleibt es die Antwort auf die sinnlich erfahrbare Lösung schuldig, es sei denn, die Design Thinking-Noviz:innen haben unvermittelt auch noch ihre Fähigkeit zum Gestalten entdeckt oder sie sind mit dem Denken zufrieden und verzichten auf die Form, in der sich das Denkergebnis manifestiert.17 Vor diesem Hintergrund möchte die vorliegende Arbeit einige Gedanken entwickeln, die in kritischer Würdigung der verschiedenen Theorien dem Design als ästhetischer Praxis verpflichtet bleibt; das ist eine wichtige Prämisse, möglicherweise auch eine entscheidende Einschränkung. Nigel Cross hat 1982 in einem Aufsatz die Rolle des Designs in der Bildung und Ausbildung problematisiert und mit Designerly Ways of Knowing überschrieben18 . Cross entwickelt die These von einem dritten Bereich der Bildung, der sich von Naturwissenschaften einerseits, den Geisteswissenschaften und den ›Schönen Künsten‹ andererseits absetzt. Design soll als Tätigkeit verstanden werden, deren zentrales Anliegen der Entwurf und die Verwirklichung neuer Dinge ist, als eine Sprache, deren Kern das Herstellen von Modellen ist (im Unterschied zu den auf Zahlen und Formeln basierten Naturund den auf Lesen und Vergleichen basierten Geisteswissenschaften). Daraus skizziert Cross einen eigenen Weg des Designs mit eigenen Wissensobjekten, Wissenszugängen und Herangehensweisen19 – im Grunde genommen fordert er eine eigene DesignEpistemik und Design-Heuristik. Mit Blick nicht nur auf die Designausbildung, sondern auch auf Curricula an Schulen (mit ›Design‹ als allgemeinbildendem Fach) wird eine Designlehre projektiert, die auf das Allgemeine, Grundsätzliche des Problemerkennens und 16

Polemisch formuliert: Vieles, was heute als ›Design Thinking‹ vermarktet wird, verhält sich zu genuinem Design wie ein Malkurs von Bob Ross zur zeitgenössischen Kunstproduktion.

17

Auf die bewusst in Kauf genommenen Mehrdeutigkeiten des »Design Thinking« als neue betriebswirtschaftlich-strategische Methode und als Geschäftsmodell gehe ich weiter unten dezidiert ein.

18

Cross 1982

19

Cross 1982, S. 221

87

88

Design und Transformation

-lösens zielt und nicht auf spezialisierte Designkenntnisse, die von erfahrenen Praktiker:innen an Lernende weitergegeben werden. Dieser Gedanke ist von zentraler Bedeutung für ein alternatives Designverständnis, das nicht in den Untiefen zeitgeistig-ästhetischer oder technologischer Gadgetry stranden will und eine Alternative zum betriebsblinden Produzieren um des Produzierens Willen sein möchte. Bildung sei nicht die Vermittlung von spezialisierten Fertigkeiten, sondern die Fähigkeit, das Ganze zu sehen.20 Cross benennt und betont die Unterschiede der Wissensbereiche: (Natur-)Wissenschaftler:innen gehen analytisch vor, konzentrieren sich auf das Aufspüren von Regeln, suchen nach Strategien, die problemgerichtet sind, während Designer:innen synthetisieren, nach mehreren möglichen Lösungen suchen und so lange ausprobieren, bis sie eine befriedigende Lösung gefunden haben. In Anbetracht der Tatsache, dass komplexe Designaufgaben immer »wicked problems« bzw. »ill-defined problems« sind21 , bei denen nie alle Informationen zur Verfügung stehen und wir es mit einem Strauß von Anforderungen und Erwartungen seitens der Stakeholder zu tun haben, besteht die Aufgabe und die Fähigkeit der Designer:innen darin, innerhalb kurzer Zeit akzeptable Lösungen zu finden und dazu unter Umständen die Problemstellung zu verändern: »changing the problem in order to find a solution is the most challenging and difficult part of designing«.22 Die abgeschlossenen Versuchsanordnungen oder »puzzles«, wie Cross sie nennt, lassen Naturwissenschaftler:innen analytisch nach einer Lösung suchen, die so lange dauert, bis sie widerspruchsfrei gefunden ist. Die Aufgaben der Designer:innen sind anders strukturiert und ihre Herangehensweise ist es auch: Es geht um Muster, Ordnungen und Skizzen möglicher Lösungen, mit deren Hilfe die abstrakten Anforderungen der Nutzer in anschauliche Modelle transformiert werden können. Cross spricht von einem Code, der es Designer:innen erlaubt, diese Aufgabe auszuführen; Design-Erkenntnis sei in diesen

20

Cross 1982, S. 222

21

Cross bezieht sich ausdrücklich auf Rittel und Webber.

22

C. Jones zitiert nach Cross 1982, S. 224

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Codes verankert.23 Aber auch in den Ergebnissen dieser Arbeit, in den Designobjekten, steckt Erkenntnis und Wissen: Designer:innen sind in die materielle Welt, in die Objektwelt eingebettet, sie sind Schöpfer, Verwalter und Interpreten dieser Welt. Aus der Anschauung, der Handhabung, dem Benutzen der Artefakte lassen sich unendliche Mengen an Wissen herauslesen; umgekehrt haben Designer:innen aber auch die Fähigkeit, Wissen in die Artefakte einzuschreiben. Diese nonverbalen Codes sind Kern und Ausdruck eines metaphorischen Verständnisses, das Designer:innen haben und ihnen eine ganz eigene Kommunikation zwischen Objekten und Nutzeranforderungen ermöglicht, gleichzeitig erlauben sie ein lösungsorientiertes Umgehen mit unstrukturierten, komplexen Aufgaben. Nonverbales Denken und Kommunizieren wird von Cross schließlich als Voraussetzung und Ziel einer Design-Bildung verstanden, die sich innerhalb des etablierten Bildungskanons als grundlegende Fähigkeit versteht, Probleme zu erkennen und lösungsorientiert zu arbeiten. Was lässt sich aus diesen Überlegungen für die Projektion und das Verständnis von einer Disziplin ›Design‹, verstanden als Transformation Design, in kritischer Würdigung übernehmen? Zum einen scheint eine Grundfrage des Designs die nach der Fähigkeit oder Disposition zu sein, die Welt anders wahrzunehmen und zu ordnen. Zum anderen geht es um den Anspruch, diese Disposition nicht dahingehend zu verkürzen, dass post factum ein ästhetisches Make-up appliziert wird, sondern fundamental, integral und partizipativ Prozesse zu entwickeln, die aus vorgefundenen, problematischen Verhältnissen erwünschte, zumindest optimierte machen, und das unter Einbeziehung sinnlich wahrnehmbarer Marker und Codes. Die Fähigkeit dazu lässt sich erlernen und trainieren, wie Cross mit Studien belegt.

23

Cross 1982, S. 224

89

90

Design und Transformation

Vom Impliziten und vom Basteln Gute Designlösungen für komplexe Problemstellungen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass mit der Bestandsaufnahme ein Reframing vorgenommen wurde, also von den betreuenden Designer:innen die ursprünglichen Fragen neu gestellt und der Horizont für Lösungen verschoben und erweitert wurde. Diese Leistung, die landläufig als Intuition beschrieben wird, beschäftigt die Designtheorie schon länger; es geht um den Unterschied analytischen, systematischen Denkens und einem eher als ganzheitlich zu beschreibenden, synthetisierenden, aber auch improvisierenden Denken im Design. Damit einher ging ein Paradigmenwechsel von linguistisch-strukturalistisch definierten Gesellschafts- und Handlungstheorien hin zu konstruktivistischen Erklärungsmodellen, die sich auf praktisches Handeln, körperzentrierte Wahrnehmung und implizites Wissen stützen; der sogenannte Practice Turn. Eine für diesen Paradigmenwechsel entscheidende These formulierte Michael Polanyi in den 1960er-Jahren mit der Theorie des »tacit knowing« bzw. des »impliziten Wissens«24 . Polanyi versuchte zu verstehen und zu erklären, wie ein Wissen entstehen kann, dass sich seiner selbst nicht bewusst ist; ein Wissen, dass sich durch die Mitteilung offenbart, von dem wir aber nicht wissen, wie und dass wir es überhaupt mitteilen können.25 Was ist darunter zu verstehen? Expert:innen verschiedener Metiers haben z.B. gelernt, den gefühlvollen Umgang mit einem Werkzeug auf das zu bearbeitende Material zu projizieren, laut Polanyi wird dadurch »der Widerstand in der Hand zum Gefühl für die Spitze selbst«.26 Polanyi schließt in seine Theorie Mentefakte bzw. komplexe gedankliche Konstrukte mit ein. Seine These lautet, dass jede wissenschaftliche Theorie auf vorgängigem, implizitem Wissen basiert. Mit dem Hinweis auf das

24

Polanyi, Michael: Implizites Wissen. Frankfurt. 1985 (1966). Das Buch basiert auf Forschungen und Überlegungen, die Polanyi bereits in den späten 1950er Jahren angestellt hatte.

25

Polanyi 1985, S. 14

26

Polanyi 1985, S. 21

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Paradoxon, dass die Suche nach der Lösung eines Problems widersinnig ist – entweder weiß man, wonach man sucht: dann gibt es kein Problem, oder man weiß es nicht, dann darf man keine Lösung erwarten – schlägt Polanyi im Rekurs auf Platon das Wiedererinnern als Lösung vor.27 Er spricht von der »Andeutung eines Verborgenen, ein implizites Vorwissen von noch unentdeckten Dingen«, die letztlich dafür sorgen, dass menschliche Geschichte eine Geschichte von Problemerkennung und Problemlösung ist, obwohl es die gemäß dem Platon’schen Gedanken gar nicht geben dürfte. Implizites Wissen heißt, Probleme zu erkennen, dem Problem nachzugehen und sich vom Orientierungssinn leiten zu lassen und die noch unbestimmten Implikationen der Entdeckung richtig zu antizipieren28 . Implizites Wissen ist erworben und erprobt; es ist eine Tiefenschicht menschlicher Erkenntnis, die aus Erfahrungen gebaut ist, die wiederum im Hinblick auf einen größeren Zusammenhang gemacht und gespeichert wurden, ohne dass man nachträglich genau angeben könnte, woher sie stammen. Ohne dieses Tiefenwissen gäbe es keine Hypothesen, keine Problemlösen, keine Prototypen. Polanyi schreibt implizites Wissen niemandem diskret zu oder spricht es ab; jede/r ist fähig dazu, jede/r arbeitet damit auf verschiedenen Levels: vom »verständigen« Gebrauch eines Werkzeugs beim Handwerk, der intuitiven Fokussierung auf die Komposition beim Musizieren bis zum Formulieren von »vorausgeträumten« Hypothesen in der Wissenschaft. In der Ausbildung von Lehrern und Studierenden haben sich Konzepte des Tacit Knowing mittlerweile etabliert und zu neuen Lern- und Lehrformen geführt.29 Für die Designpraxis bedeutet die wissenschaftliche Anerkennung und Erforschung des impliziten Wissens, dass Designer:innen im Prozess der Problemlösung eine Sonderstellung eingeräumt werden müsste; denn 27

Polanyi 1985, S. 28f

28

Polanyi 1985, S. 30

29

Vollmers, B. Implizites Wissen (Tacit Knowing) als phänomenologische Theorie – Konsequenzen für eine kompetenzorientierte Lehrerausbildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1–11. (2014); Schön, Donald A.: The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. Aldershot. 1991

91

92

Design und Transformation

diese Fähigkeit (sofern bewusst, reflektiert und kommunizierbar) einer ›anderen‹, aber anerkannten Heuristik, wäre eine notwenige Ergänzung expliziter Wissensformen. Wenn die Formen des Wissenserwerbs, der Wissenskumulation in Artefakten und des ›doing‹ im Design andere sind als in den Wissenschaften; wenn es ein implizites Wissen gibt, das sich auf einer sprachlich-kognitiven Stufe schwer vermitteln lässt, sondern vor allem im Machen verwirklicht und dort auch weitergegeben werden kann – dann liegt die Vermutung nahe, dass Design eine Praxis ist, die sich dem sperrt, was man als technokratisches Planungsdenken beschreiben könnte. Gelungene Design-Praxis erkennt die Potentiale, die von anderen nicht gesehen oder nicht sinnvoll in Beziehung gesetzt werden können und macht sie nutzbar. Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss hat in den 1960er Jahren unter dem Schlagwort des »Wilden Denkens« eine Theorie des Wissens und Handelns formuliert, die den etablierten Wissenschaften und dem Logos die Welt des improvisierten Werkens, das »Basteln«, und den Mythos als Welterklärungsmodell gegenüberstellte. Das wilde Denken mit seinen Mythen und Riten dient dazu, spezielle »Beobachtungs- und Denkweisen zu erhalten, die einer bestimmten Art von Entdeckungen angemessen waren«30 : die Ausbeutung der sinnlich wahrnehmbaren Welt in Begriffen des sinnlich Wahrnehmbaren. Was die Mythen in Relation zur modernen Wissenschaft sind, ist für Lèvi-Strauss die Praxis des Bastelns im Verhältnis zur Naturwissenschaft und Technologieanwendung heute. Etymologisch lässt sich ›bricoler‹ als ein Abkommen vom Weg, eine Umgehung, eine geänderte Richtung übersetzen31 . Blitzschnell, intuitiv, ›tacit‹, muss beim ›bricoler‹ eine Entscheidung getroffen werden, wie es weitergeht: bei der Fortbewegung genauso wie beim Konstruieren. Der Bastler geht jedes Projekt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an (Werkzeuge, Materialien, Kenntnisse); er improvisiert dort, wo der Ingenieur nicht weiterkommen würde, weil diesem ein ganz bestimmtes Objekt, ein Werkstoff, ein Verfahren nicht zur Verfügung stehen. Die Elemente des Bastlers sind »also nur zur 30

Levi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt. 1973, S. 29

31

Lèvi-Strauss 1973, S. 29

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Hälfte zweckbestimmt: zwar genügend, dass der Bastler nicht die Ausrüstung und das Wissen aller Berufszweige nötig hat; jedoch nicht so sehr, dass jedes Element in einem genauen und fest umrissenen Gebrauch gebunden wäre.«32 Schon hier lässt sich fragen, ob es nicht auch die ureigene Methode des Designs ist, immer und überall nach Möglichkeiten zu suchen, nach Lösungen, die ein unerwartetes Hindernis umgehen bzw. produktiv einhegen? Und das mit Mitteln, die niemals nur für dieses eine Problem gemacht sind, weil Designer:innen sonst keine Aufgabe zu Ende bringen könnten? Ein weiterer Aspekt von Lévi-Strauss’ Analogie ist die Einführung des Begriffs ›Zeichen‹ für die Ergebnisse der Bastelei. Der Ingenieur versuche, die Zwänge des jeweiligen Zustands der Zivilisation (den Stand der Produktivkräfte) zu überschreiten bzw. einen Durchgang zu finden, er arbeite mit Begriffen. Der Bastler bleibt aus bereits erwähnten Gründen unterhalb dieser Schwelle und arbeitet mit Zeichen. Das Zeichen ist konkret, es verweist auf etwas Weltliches. Der Ingenieur, formuliert Lévi-Strauss, befrage das Universum, während der Bastler sich »an eine Sammlung von Überbleibseln menschlicher Produkte richte, d.h. an eine Untergruppe der Kultur.«33 Man darf den Begriff des Ingenieurs, den Lévi-Strauss hier dichotomisch gegenüber dem Bastler verwendet, nicht im berufswörtlichen Sinn verstehen34 , sondern es geht um Expert:innen in Opposition zu Bastlern, was dem grundsätzlichen Antagonismus im Denken wohl näher kommt: (Natur-)Wissenschaft vs. praktischem Handeln aus Gründen der Weltaneignung. Da es Lévi-Strauss um eine Rehabilitation des mythischen, wilden Denkens geht, wertet er dieses nicht gegen die Wissenschaft ab, im Gegenteil: Vom Erkenntnisinteresse her wollen beide Lager Ähnliches. Bastelei findet mit bereits produziertem, vorgefundenem Material statt, das reorganisiert wird; die Bastler arbeiten mit Signifikanten (Formen, Oberflächen, Materialien, Verbindungen). Diese Signifikanten sind, anders als die vorbestimmten Signifikate, flottierende Bilder, die sich gegen andere austauschen lassen und Allianzen mit anderen 32

Lèvi-Strauss 1973, S. 30

33

Lèvi-Strauss 1973, S. 32

34

Lèvi-Strauss 1973, S. 33

93

94

Design und Transformation

Bildern oder Zeichen bilden. Das abstrakte wissenschaftliche Denken arbeitet mit Signifikaten, die nach einer Verwirklichung als Zeichen erst noch streben. Die Bastelei ›spricht‹ nicht nur mit den Dingen, sondern auch mittels der Dinge, weil sie über die Urheber Aussagen macht – man könnte ergänzen, den Stand der Produktivkräfte und die jeweilige Form der Weltaneignung in die Bastelei einschreibt. Die Form der Reflexion, die zur Bastelei führt und aus ihr hervorgeht, nennt Lévi-Strauss intellektuell; wie auch schon andere Autoren (z.B. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno35 ) ausgeführt haben, lässt sich der Mythos als Beginn von Aufklärung lesen. Das mythische Denken, führt er aus, erarbeitet Strukturen, indem es Ereignisse und Überreste von Ereignissen ordnet; im Unterschied zur Wissenschaft, die ihre Strukturen selbst herstellt und ständig neue Ereignisse erzeugt. Beide Wege seien gleichermaßen gültig, schreibt Lévi-Strauss, die Beschränktheit einer aufs Quantitative fixierten Naturwissenschaft benennend, denn das mythische Denken sei befreiend, weil es gegen den »Un-Sinn« (sic!) der Wissenschaft protestiere.36 Ganz einfach herunter gebrochen kann man das wilde Denken als Design Thinking bezeichnen: als eine Fähigkeit, Dinge, Materialien, Formen und Verbindungen so miteinander zu verknüpfen, dass etwas Sinnvolles und Nützliches dabei herauskommt. Bastler:innen erschaffen auf ihre Lebenswirklichkeit und Bedürfnisse angepasste Prototypen mit Hilfe von Operationen, die heute und auf die Zukunft gerichtet in einem neuen Licht erscheinen. Lokaler Bezug, persönliche Sinnstiftung, experimentelles Vorgehen und Wiederverwendung von Materialien sind Kennzeichen von »Indigenous Wisdom«37 mit der nicht-industrielle, Ökosystembasierte Gesellschaften identifiziert werden. Für die Forschung zum Transition Design und Transformation Design gewinnt diese 35

Horkheimer, Max, Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt 1969

36

Levi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt. 1973, S. 36

37

Papanek, Victor: The Green Imperative: Ecology and Ethics in Design and Architecture. London. 1995; Orr, David W.: The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intention. Oxford. 2004

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Herangehensweise an die Umgestaltung des menschlichen Lebensraums an Bedeutung38 , wenn es darum geht, vorhandene in gewünschte Umgebungen umzuwandeln, wie man in Anlehnung an Simon formulieren könnte.

Design Thinking: Design ohne Designer? Wie und wo lässt sich das, was man als den Kern der designerischen Aktivität identifizieren möchte, erkenntnistheoretisch und wissenschaftstheoretisch verorten? Von der Annahme und Begründung einer anthropologisch zu fassenden Disposition zum Gestalten der vorgefundenen Umwelt in eine gewünschte, bis zur intrinsischen Motivation und noch etwas unklaren Bestimmung dessen, was man das implizite designerische Denken und Wissen (die »designerly ways of knowing« nach Cross) nennen könnte, gibt es verschiedene Theorielinien, die sich entweder mehr auf ein planerisches Entwurfsdenken konzentrieren (Simon, Rittel) oder sich dem designerischen Denken als Sonderweg der Erkenntnisgewinnung und Wissenskultur widmen (Polanyi, Cross; Lévi-Strauss). Das, was seit dem Beginn der Etablierung von Design als wissenschaftlicher Ausbildung geforscht und gelehrt wird, ließe sich also im weitesten Sinn mit Nachdenken über Design, designerischem Denken und Wissen, Denken mit und durch Design etc. umschreiben – auf Englisch: Design Thinking. Doch Design Thinking als Label bedeutet gleichzeitig mehr, es bedeutet anderes und auch viel weniger. Wann der Begriff Design Thinking zum ersten Mal als terminus technicus genutzt wurde, ist nicht eindeutig zu beantworten39 – es 38

Irwin, T.; Tonkinwise, C.; Kossof, G.: Transition Design. An Educational Framework for Advancing the Study and Design of Sustainable Transitions. Pittsburgh. 2015 (2015a)

39

Mareis verortet die erstmalige Verwendung des Begriffs Design Thinking mit einem Design-Symposium in Delft 1991: Mareis, Claudia: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960. Bielefeld. 2011, S. 186 ff; Dorst (2011) und Vinsel (2017) sehen Rowes Buch von 1987 als Initial des Begriffs: Dorst, Kees:

95

96

Design und Transformation

lässt sich jedoch eine Linie von Herbert Simons Sciences of the Artificial (1969) über Robert McKims Veröffentlichung Visual Thinking (1972) bis zur Veröffentlichung des Buchs Design Thinking des Architekten und späteren Dekans der Designfakultät von Harvard, Peter Rowe, von 1987 ziehen. Von Harvard scheint der Begriff für die Entwurfsmethodik in Architektur und Stadtplanung nach Stanford gelangt zu sein, wo ihn der Design-Dozent und Gründer der Designagentur IDEO, David Kelley, zu einer monetarisierbaren Planungsmethodik für alle Geschäfts- und Lebensbereiche umdeutete bzw. erweiterte.40 Das Institut für Produktdesign der Stanford University ging eine Kooperation mit dem Hasso Plattner Institut ein und gründete eine d.school genannte Abteilung, die ganz im Zeichen des Design Thinking steht und erklärtermaßen Design Thinking als Königsweg jeder Ausbildung und jedes Berufsfeldes sieht41 . In den vergangenen Jahren ist neben einer erfolgreichen, ökonomisch motivierten Popularisierung des Design Thinking als Management-, Motivationsund Marketingtool auch eine Reihe kritischer Einwände gegen das Design Thinking vorgebracht worden – nicht nur im akademischen Rahmen, sondern auch von Designern, die sich fragen, was Design Thinking mit ihrer Ausbildung, ihrer Praxis und ihren Kenntnissen eigentlich zu tun hat. Damit ist auch die paradoxe Situation, in der sich das Design Thinking befindet, benannt: Lassen sich designerische Besonderheiten, hier das Wissen oder Denken, auf andere Felder und Berufe übertragen und wenn ja, was bleibt dann vom Design übrig? Und wenn Design eine spezielle Form der Wissensproduktion ist, die auf ›tacit knowing‹, ›designerly ways of knowing‹ etc. baut und ihre eigene Epistemologie und Praxeologie hat, ist dann Design Thinking für Nicht-Designer:innen nicht als performativer Widerspruch zu betrachten? The Core of Design Thinking and its Application. In: Design Studies Vol. 32, No. 6, S. 521-532. Amsterdam. 2011; Vinsel, Lee: Design Thinking is Kind of Like Syphilis – It’s Contagious and Rots Your Brains. In: https://sts-news.medium.com/design-thinking-is-kind-of-like-syphilisits-contagious-and-rots-your-brains-842ed078af29 (2017) 40

Vinsel 2017

41

Dazu kritisch: Vinsel 2017, aber auch Mareis 2011, S. 186 ff

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Die Herangehensweise von Designer:innen an die ihnen gestellten Aufgaben wurde in den vergangenen Jahren verstärkt von anderen Disziplinen wie der IT und der Betriebswirtschaft übernommen und auf Methodenkits, Toolboxes und einfache Definitionen verkürzt, wohingegen im klassischen Design eher breite, bewusst unscharfe Beschreibungen und verschiedene Perspektiven bevorzugt werden.42 Der Designtheoretiker Kees Dorst hat versucht, die Reichhaltigkeit des Designprozesses auf ein bewusst karges (»sparse«) Konzept herunter zu brechen und trotzdem wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen43 . Im Rekurs auf die Logikkonzeption von C.S. Peirce mit den drei heuristischen Varianten Abduktion, Deduktion und Induktion sieht Dorst im Prinzip der Abduktion ein sinnvolles Verfahren, mit dem sich aus der Kombination von Objekten und ihrer Funktion (bzw. der Praxis ihrer Nutzung) Werte erzeugen lassen. Deduktion und Induktion erlauben zwar Hypothesen und Verifikation bzw. Falsifikation, sind aber nicht für spekulativ-produktive Verfahren geeignet. Die komplexe kreative Aufgabe einer parallelen Entwicklung von Artefakten (Objekten, Systemen, Dienstleistungen) und ihrer Funktionsweise (das ›Wie‹) ist für Dorst die Herausforderung schlechthin im Designprozess44 (er nennt das »Abduktion-2«). Um diese Aufgabe zu bewältigen, bedarf es eines Rahmens (»frame«), der das ›Wie‹ und den zu bestimmenden Wert miteinander verknüpft. Ist der Rahmen durch Induktion gefunden, können Designer:innen zum Prinzip der einfachen Abduktion greifen und ein Objekt konzipieren, das die Gleichung vervollständigt. Daraufhin wird mit Hilfe der Deduktion überprüft, ob Objekt und Funktionsweise wirklich einen Wert erzeugen. Ist das nicht der Fall, müssen neue Kombinationen gefunden und getestet werden, der Prozess beginnt von Neuem usw. Dorst unterscheidet dieses Vorgehen von der herkömmlichen Problemlösung (Abduktion-1), bei der nur eine Unbekannte vorkommt (meistens das Objekt), während die Abduktion-2 mit zwei 42

Dorst, Kees: The Core of Design Thinking and its Application. In: Design Studies Vol. 32, No. 6, S. 521–532. Amsterdam. 2011, S. 521

43

Dorst 2011, S. 521 ff

44

Dorst 2011, S. 525

97

98

Design und Transformation

Unbekannten arbeitet und über die Klammer bzw. den Rahmen eine Eingrenzung stattfindet. Diese Eingrenzung, das »Framing«, kann als Kern des kreativen Prozesses definiert werden, der darin besteht, scheinbar paradoxe Situationen und Probleme durch eine Verschiebung des Wert- oder Bezugsrahmens aufzulösen. Dorst erklärt das am Beispiel eines innerstädtischen Problems: Das Ausgehviertel einer Metropole ist nachts ein Besuchermagnet, aber mit der hohen Frequentierung durch junge Menschen gehen auch Frustration, Vandalismus und Kriminalität einher. Die Verwaltung reagiert mit Überwachung und erhöhter Polizeipräsenz, was an der Situation nichts ändert, sondern die Probleme eher verschärft: ein klassisches ›wicked problem‹. Den Bezugsrahmen der Überwachung ersetzen die hinzugerufenen Designer durch einen neuen Rahmen und einen neuen Wert: Das Resultat bzw. der Wert sollte ›eine gute Zeit haben‹ sein, der passende Rahmen dazu lautet: Bedingungen schaffen wie auf einem gut organisierten Musikfestival. Statt Polizeipräsenz und Videoüberwachung schlagen die Designer:innen als Maßnahmen eine bessere ÖPNV-Anbindung und -Taktung vor, außerdem die Gestaltung von Nebenstraßen als Rückzugs- und Erholungsräume mit Bänken und Brunnen, ferner die Präsenz von speziellen Guides im Alter der Besucher, die den Gästen auf Fragen Auskunft geben und für ein Gefühl der Sicherheit sorgen, ohne martialisch als Polizei aufzutreten45 . Abgerundet wird das ganze durch eine App, auf der verschiedene Services abrufbar sind und die bei der zeitlichen, räumlichen und sozialen Orientierung hilft. Es mag Designer:innen nicht gefallen, dass die ihnen von außen zugeschriebenen und gleichzeitig zum Selbstbild und Selbstverständnis gehörenden Fähigkeiten zum Problemlösen, die häufig intuitiv (tacit) zum Einsatz kommen, nun als offener Quellcode, der allen zur Verfügung steht, produktiv gemacht werden. Es bleibt tatsächlich zu fragen, ob die abduktive Gleichung von Dorst, wenn sie bloß intensiv genug von Nicht-Designer:innen trainiert wird, zu signifikant anderen, besseren, kreativen Lösungen führt. »Frame

45

Dorst 2011, S. 529

Drei: Transformationen im Designdiskurs

creation as a core practice that is particular to the designing disciplines«46 mag ein Prinzip designerischen Denkens sein, aber ob dieses Denken in Bildern und Metaphern sich vollzieht, ob es assoziativ und aleatorisch geprägt ist, wird nicht problematisiert. Die Ergebnisse einer auf »frame creation« basierten Design Thinking-Praxis von Nicht-Designer:innen bleiben spekulativ. Theorien zum Kompetenzerwerb im Design sind durchaus problematisch zu sehen; sei es als Erfahrungsstufenmodell, sei es als genereller Glaube an ›das Kreative‹ im Menschen, das vorhanden ist, verschüttet, gefördert und erlernt werden kann.47 Ob kritische Betrachtung oder affirmative Lobpreisung: Design Thinking scheint ein Phänomen zu sein, dass jenseits des DesignAnteils vor allem auf veränderte Management-, Marketing- und Monetarisierungsmodelle hinweist. Wenn Design Thinking als neuer Königsweg zum kreativen, Probleme identifizierenden und Lösungen erarbeitenden Denken stilisiert wird, das jedem offensteht, dann könnte man versucht sein, ›klassisches‹ Design für überflüssig zu halten.48 Es ist an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen worden, dass Design Thinking aus der Agenda neoliberaler Ideologie stammt, die es mit dem Thinking nicht so ernst meint bzw. darunter eine positivistische, affirmative Pseudo-Intellektualität und naive »Post-It-Kreativität« meint, die für mehr Effizienz, neue Absatzmärkte und Produkte sorgen soll.49 Design Thinking hätte zu einer Aufwertung der Rolle und Verantwortlichkeiten von Designer:innen führen sollen, stattdessen wird Design Thinking von 46

Dorst 2011, S. 531

47

Mareis, Claudia: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Designund Wissensdiskursen seit 1960. Bielefeld. 2011, S. 160

48

Dahingehend äußern sich bspw. Petra und Ulrich Kern, wenn sie eine Polarisierung des Berufsbilds ›Designer:in‹ prognostizieren, aufgeteilt in prekäre Entwurfsarbeit, die in Konkurrenz zu automatisierten, digitalen Entwurfsprozessen steht, und ›originellen Top-Designern‹, die als ganzheitlich denkende Berater und Entwerfer gefragt sind. Kern, Petra, und Kern, Ulrich: Die Zukunft ist nicht von gestern … aber vielleicht eines Tages die Designer/innen? In: Öffnungszeiten, 30/2016, S. 16–29. Kassel. 2016

49

Vinsel 2017; Mareis 2011, S. 186 ff

99

100

Design und Transformation

Betriebswirtschaftlern und Managementberatern unter Umgehung von Design-Spezialist:innen auf alles ›angewendet‹.50 Prototypisch für den Einsatz von Design Thinking als Methode (toolkit) mag hier die US-amerikanische Professorin für Betriebswirtschaft Jeanne Liedtka stehen, die Design Thinking zunächst als »social technology« und als einen Weg der partizipativen Einflussnahme aller Stakeholder auf Entscheidungsprozesse beschreibt; am Ende geht es jedoch darum »…(to) bring new value to some set of shareholders we care about«51 . Man könnte spätestens hier argumentieren, dass Design Thinking jenseits der Nomenklatur gar nichts mit Design zu tun hat und deswegen die ganze Diskussion obsolet sei, aber so einfach ist es nicht: Erstens stellt Design Thinking eine Weiterentwicklung des (amerikanischen) Konzepts vom Design als Planungsdenken dar; zweitens zeigt es, wohin ein Designansatz, der sich vom Gestalten befreit, bewegen kann, nämlich zum scheinbaren Lösen von Problemen, die durch Design Thinking erst als solche identifiziert wurden. Die Entstehung des Design Thinking markiert den Übergang vom objektgetriebenen, haptischen Design zu nicht-objekthaften, digitalen Produkten und Services. Auch diese mussten in eine benutzbare Form gebracht, designt werden, was zu Beginn durch Techniker:innen, Programmierer:innen und IT-Entwickler:innen erfolgte, bis in den 1990er Jahren neue Designbereiche entstanden, die sich ansatzweise auch der Formgestaltung annahmen. IT-Designer haben mit Designtheorie in der Regel nichts am Hut, ihre Praxis läuft unter dem Radar. Das ist ein Grund dafür, warum Informationstheoretiker, Psychologen und Technikphilosophen die

50

Wood, John: Collective Metamorphosis: A Combinatorial Approach to Transformations Design. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016, S. 249

51

Interview mit Liedtka auf https://thinkers50.com/blog/conversation-jeann e-liedtka/

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Theorie des digitalen Designs schreiben und ehemalige Hoheitsgebiete des Designs, wie die Ästhetik, gleich mit abhandeln.52

Human-Centred Design: Vom Objekt zum Prozess Bis vor ein paar Jahren konnte der Begriff Human-Centred Design bei vielen Designer:innen für hochgezogene Augenbrauen sorgen, weil er für die Designwelt einerseits eine Tautologie zu bezeichnen schien (für wen gestalten Designer:innen, wenn nicht für Menschen?) und weil er andererseits von Spezialist:innen gebraucht wurde, die nichts mit Design zu tun hatten, sondern eher mit Computern, Software und Betriebssystemen. Das hat sich dahingehend geändert, dass Human-Centred Design mittlerweile zum Standardrepertoire der meisten Entwurfsprozesse gehört und mit einer eigenen ISO-Norm (ISO 9241–210) manifest wurde53 . »Humancentered design is a philosophy. It means starting with a good understanding of people and the needs that the design intended is to meet.«54 Vielen Designer:innen alten Schlags mag diese Definition als Selbstverständlichkeit erscheinen, die man nicht zur Philosophie überhöhen muss – tatsächlich stammt die Definition von einem

52

Eine der wenigen Ausnahmen sind Jeffrey und Shaowin Bardzell, die als Geisteswissenschaftler eine ›kritische Theorie‹ der HCI anmahnen. Bardzell, J. and Bardzell, S: Humanistic HCI. San Rafael, CA. 2015

53

Die Norm definiert »human centred design as an approach to systems design and development that aims to make interactive systems more usable by focusing on the use of the system and applying human factors/ergonomics and usability knowledge and techniques« unter Zuhilfenahme von sechs Prinzipien: »1. Explicit understanding of users, tasks and environments; 2. Involvement of users throughout design and development; 3. User-centred evaluation driven/refined design; 4. Iterative process; 5. Consideration of the whole user experience; 6. The adoption of multidisciplinary skills and perspectives«. (International Organization for Standardization Genf. 2010)

54

Norman, Donald: The Design of Everyday Things. Cambridge. 2013, S. 9

101

102

Design und Transformation

Psychologen, Don Norman. Aber mit einer zunehmenden technischen Komplexität vieler Produkte zeigte sich (und zeigt sich noch), dass die Schwierigkeiten der User beim Umgang oder Erfassen dieser Komplexität einer technischen Sicht der Entwickler:innen geschuldet war, die den Erfahrungs- und Erwartungshorizont der User schlichtweg ausgeblendet oder als nicht bedenkenswert weggeschoben haben. Und noch ein Umstand verdient Beachtung: Vergleichbar mit vielen Produkten aus der Frühzeit der Industrialisierung bzw. aus der Anfangszeit einer bestimmten Produktgattung (z.B. des Automobils) wurde die Form dieser Objekte Jahrzehnte lang häufig nicht von Designer:innen, sondern von Konstruktionsund Fertigungsabteilungen bestimmt. Für Produkte und Systeme der digitalen Revolution gilt das ebenso: am Erscheinungsbild des Betriebssystems PC DOS der frühen 1980er Jahre hatten keine Designer:innen mitgearbeitet. An dessen Bedienung hatten sich die User zu gewöhnen; der ›Metacode‹ war der der Entwickler:innen, nicht der von Usern ohne Programmierkenntnisse. Das Konzept des Human-Centred Design kann man daher im Zusammenhang mit den Versuchen der Informationstechnologie sehen, eine Theorie der Mensch-Maschine-Bedienung und der Mensch-Maschine-Beziehung zu entwickeln. Während die HCI (Human-Computer Interaction) seit den frühen 1980er-Jahren an der damals relativ überschaubaren Schnittstelle von ComputerInterfaces und deren Benutzern forschte, wurde mit der Zeit eine Erweiterung unabdingbar, sowohl aus technischer wie aus verhaltenspsychologischer und designerischer Sicht. Aus einer auf den Computer bezogenen Technikwissenschaft wurde im Laufe vieler Jahre eine Theorie und Wissenschaft von der Beziehung zwischen Menschen, Bedienkontexten, Software- und Hardwareumgebungen.55 Das Konzept des Human-Centred Design bzw. menschzentrierten Designs will Produkte, Systeme und Dienstleistungen intuitiv machen, indem die User in den Planungs- und Designprozess einbezogen und deren Bedürfnisse, Wünsche und

55

https://www.interaction-design.org/literature/topics/human-computer-in teraction

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Erfahrungen abgefragt und integriert werden. Unter der Voraussetzung, dass die Planung wirklich frei erfolgt, die Designer:innen keine limitierenden Vorgaben haben und der Ausgang der Untersuchungen offen sein darf, könnte das Human-Centred Design ein emanzipatorisches Element haben, wenn es um die ›needs‹ der User geht und nicht um die ›wants‹. Doch in der Praxis stellt sich der menschenzentrierte Ansatz oft nur als weitere Methode heraus, dem marktzentrierten Denken von Unternehmen eine zwar menschlich scheinende, aber eigentlich nur besser auf den Markt passende Facette zu geben, indem man z.B. versucht, teure Flops zu vermeiden: Laut einer Studie der MIT Business School scheitern 70–80 % aller Produktneueinführungen nicht an unzureichender Technik, sondern fehlendem Verständnis für die Nutzeranforderungen.56 In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Recherchetools innerhalb des Human-Centred Designs etabliert, die zum großen Teil aus dem Repertoire der Psychologie bzw. der Marktforschung stammen. Ähnlich wie beim Design Thinking hat sich eine ganze Subindustrie aus Beratern, Agenturen und anderen Dienstleistern auf das Thema fokussiert, denn das Human-Centred Design scheint wie Design Thinking ein Megatrend der Unternehmensstrategie für die nächsten Jahre zu sein (ähnlich dem Megatrend Markenbildung in den 1980er und 1990er Jahren). Jenseits dieser Verwertungsstrategien bleibt die Bedeutung beider Terme auch für ein transformatives Design bestehen: Was ist der Kern designerischen Denkens und Handels und worauf sollte Design abzielen, auf Verwertung oder Bedeutsamkeit? Klaus Krippendorff versteht menschzentriertes Design als komplementär zur Bedeutung, die die designten Objekte für die NutzerInnen haben: »Menschen können die physikalischen Eigenschaften von Dingen weder sehen noch auf sie reagieren. Sie handeln stets in Übereinstimmung mit dem, was die Dinge für sie bedeuten.«57

56

Giacomin, Joseph: Human Centred Design of 21st Century Automobiles. In: ATA Ingegneria dell’Autoveicolo (Ed. Nov. 2012) Torino. 2012

57

Krippendorff, Klaus: Die semantische Wende. Basel. 2013, S. 75

103

104

Design und Transformation

Im Zentrum jeder Designaktivität soll daher die Identifizierung der Bedeutungsinhalte stehen, die ein Produkt, ein System oder eine Dienstleistung für die Nutzer haben könnte. Das wiederum impliziert eine Entwurfspraxis, die sich zuerst auf Fragen der Motivation, des Diskurses und des Lernens konzentriert, bevor es an die Umsetzung geht. Um einer zu technischen Definition des Human-Centred Design zu entgehen und das Ziel intuitiver Benutzerführung bzw. Gebrauch nicht aus den Augen zu verlieren, wurden die Konzepte der ›Persona‹ (prototypische User) und der ›User bzw. Customer Journey‹ (die ›Reise‹ der User von der ersten Bekanntschaft mit einem System bis zu seiner Nutzung und danach) weiterentwickelt und ins Zentrum des Human-Centred Design-Prozesses gestellt. Als Entwicklungsmodell ist menschenzentriertes Design heute eine komplexe Form der Marktstrategie, die Unternehmen neue Bedeutungen und Lebensstile vorschlägt und schnell auf Kommentare und Rückmeldungen reagieren kann.58 Das Paradigma des Human-Centred Design hält aber auch interessante Fragestellungen jenseits seiner Intentionen bereit: Wenn jegliche Steuerung, Bedienung und Nutzung intuitiv erfolgen soll, bleibt kein Platz mehr für Expert:innen: Jeder Mensch kann dann all das bedienen und steuern (möglicherweise nicht strategisch oder kreativ, zumindest aber operativ), wozu es eine Generation vorher noch speziell ausgebildetes Fachpersonal brauchte. Im designerischen Workflow sind Grafik- und Bildbearbeitungsprogramme, Apps für Webseitengestaltung u.v.m. schon so intuitiv designt, dass für ihre Beherrschung keine spezialisierten Designer:innen mehr vonnöten sind, sondern die User nach kurzer Einführung und mit Hilfe der mitgelieferten Templates selbst ›designen‹ können. Das ist einerseits partizipatorisch und emanzipatorisch positiv gedacht, gleichzeitig aber droht dadurch der Verlust von Legitimierung und kulturellem Kapital denen, die Zeit, Arbeit und Erwartungen in eine Ausbildung zur Spezialist:in gesteckt haben. Ein Gutteil des heutigen Retrotrends zu analoger Technik verdankt sich der Ablehnung von zu einfacher, intuitiv zu bedienender, zeitgenössischer 58

Giacomin, Joseph: Human Centred Design of 21st Century Automobiles. In: ATA Ingegneria dell’Autoveicolo (Ed. Nov. 2012) Torino. 2012

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Technik; die Distinktionsgewinne im Privaten sind der Ausgleich für deren drohenden Verlust im Professionellen. Das Berufsbild und die Aufgabe von Designer:innen werden möglicherweise immer weniger mit der ästhetisch wahrnehmbaren Seite von Design zu tun haben, sondern mit dem Denken – aber auch das wird ihnen streitig gemacht von anderen Disziplinen.

Erfahrung und Erlebnis: Experience Design Das Ziel einer erfolgreichen Mensch-Maschine-Interaktion (HCI) war zunächst die Usability, die gute Bedienbarkeit des Systems. Dieses Konzept entwickelte sich in den 1990er Jahren über das Paradigma subjektiven Empfindens und der subjektiven Befriedigung (satisfaction) zum Experience Design weiter: Das Interface Design mit dem Schwerpunkt des Gebrauchsaspekts einer MenschMaschine-Beziehung wurde zum Interaction Design mit dem Ziel, den Umgang und die Arbeit mit dem digitalen System nicht nur erfolgreich, sondern befriedigend zu machen. Damit wurde die Tür zu menschlichen Erlebnisräumen und zu komplexeren Verhaltensbeschreibungen aufgestoßen, in die nicht mehr die Programmiertechnik, sondern die Psychologie vordringen konnte: das Experience Design59 (abgekürzt UX-Design für User Experience Design). Getrieben wurde der Prozess in erheblichem Umfang von der Entwicklung des »ubiquitous computing«, der fortschreitenden Digitalisierung von Systemen und der Hybridisierung von ehedem klassischen Geräten mit Computertechnologie (z.B. Küchengeräte mit Display und Steuer- bzw. Speicherfunktionen; mobile Spielekonsolen, Smartphones). Das Eindringen der Computertechnik in die Sphäre der Consumer-Produkte machte ein Um- und Weiterdenken der HCI notwendig: Funktion und Effizienz waren ein unhintergehbarer Standard, aber erfolgreich wurden Produkte erst durch das Design einer gelungenen User Experience:

59

Bardzell, J. and Bardzell, S: Humanistic HCI. San Rafael, CA. 2015, S. 80

105

106

Design und Transformation

»I would argue that only the most puritan will regard productivity as a value in itself. Productivity is a means, sometimes important, sometimes not. With its strong focus on effectiveness and efficiency, HCI was about to take the same false turn as economics took. Experience, however, reminds us of all the things beyond performance.«60 Was Marc Hassenzahl anspricht, ist ein zunächst emanzipatorisches Grundgerüst der UX, das aber, im Design wie im Kapitalismus, auch als Strategie für Market Share verstanden werden kann und wird. Das immer wieder bemühte Beispiel für ein erfolgreiches Experience Design ist das iPhone des Unternehmens Apple, mit dessen Erscheinen im Jahr 2007 Designprozess und Designergebnis nun zweigeteilt wurden in eine unscheinbare, unspezifische Hülle (klassisches Produktdesign) und in das Multilayer-Design der Software: Neben dem (Grafik-)Design der Oberfläche, der Icons und Apps war das Experience Design mit Benutzerführung und einer gegenüber anderen zeitgenössischen Produkten sehr einfachen, intuitiven Bedienung für die Disruption im Segment der Mobiltelefone und den Aufstieg des vormals eher kleinen Hardwareherstellers Apple zum zeitweise wertvollsten Unternehmen weltweit verantwortlich. Das iPhone ähnelte in seiner minimalistischen Objektform bei gleichzeitiger digitaler Multifunktionalität dem schwarzen Obelisken in Stanley Kubricks Film 2001 – A Space Oddity, von dem man formal auch nur erahnen kann, dass es sich um einen Transformator humanoider Intelligenz handelt. Mit dem iPhone begann die Ära des miniaturisierten ›mobile device‹, das zum zentralen Objekt unserer Existenz im 21. Jahrhundert geworden ist (und das Automobil als Objekt des 20. Jahrhunderts in dieser Funktion abgelöst hat). Begründer einer Experience Design-Abteilung bei Apple war 1993 Don Norman, einer der Pioniere der HCI-Forschung, dessen Einfluss mutmaßlich Apples Erfolg im Musikgeschäft mit der Entwicklung des iPods begründet hat (dessen Erfolg wiederum das nötige Kapital für die Entwicklung des iPhone ermöglichte).

60

Hassenzahl, Marc: Experience Design. Technology for All the Right Reasons. San Rafael, CA. 2010, S. 61

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Experience Design wird mitunter als Methode oder Subdisziplin für ein transformatives Designverständnis gesehen, weil die Perspektive der Human Centredness, kombiniert mit dem Ansatz eines subjektiven Erlebens, das Produkte und Dienstleistungen sinnvoller und angenehmer macht, emanzipatorische Potenziale ermöglichen soll.61 Man muss dem Experience Design zugute halten, dass es die Erwartungen an ein Produkt oder System und seine Nutzung in verschiedene Stadien und Zeiträumen in die Designüberlegungen einbezieht und damit Fragen nach Haltbarkeit, Nutzungsdauer, Zufriedenheit etc. in den Designprozess integriert. Diese Parameter können selbstverständlich auch im Sinne oberflächlicher gadgetry oder ästhetischer Überwältigungsstrategien eingesetzt werden – das hängt letztlich vom Kontext und der Intention der das Projekt in Auftrag gebenden Organisation ab. Die Frage nach der Bedeutung von Ästhetik innerhalb der User Experience ist von der neueren Forschung zum Experience Design aufgegriffen worden (Ästhetik spielte anfangs für die HCI keine Rolle) und rückt das Experience Design damit immerhin in die Nähe des traditionellen Designverständnisses. Designer:innen wundert es nicht, sondern sie wussten es schon vorher: gutes Design schafft Vertrauen. Am Experience Design lässt sich der Paradigmenwechsel im Design gut verfolgen. Die klassische Designausbildung kann hier kaum noch etwas anbieten; stattdessen ist die Psychologie zur Kerndisziplin geworden, der sich Konzeption, Programmierung und Design unterordnen. Das Experience Design wird dort wichtig, wo leibliche Erfahrung, sinnliches Unterscheidungsvermögen, Körperwahrnehmung immer mehr verloren gehen, nämlich bei digitalen Produkten, Dienstleistungen und Systemen. Die Experience im Umgang mit Produkten oder Services löst primäre sinnliche Welterfahrung ab: Das Bestellen und Liefern von Lebensmitteln oder Speisen wird dem eigenen Zubereiten und Genuss derselben gleichgestellt oder durch sie extrapoliert; virtuelle Showrooms und Konfiguratoren mit Augmented Reality behaupten eine bessere Experience mit Mode 61

MFA Interaction Design/School of Visual Arts; https://interactiondesign.sv a.edu/events/transformational-design-a-new-operational-framework-an d-model-for-experience-design

107

108

Design und Transformation

als die schlecht beleuchtete Umkleidekabine oder das überfüllte Möbelhaus; Rundgänge durch Räume (für Autos wie Gebäude) mit errechneten Perspektiven suggerieren das bessere, weil von allem Kontext gereinigte Ergebnis, das als Erlebnis verkauft wird. Andere Systeme schaffen neue Expert:innen mit eigenen Institutionen (wie im Sport die E-Games). Lassen sich HCD und UXD noch als allgemeingültige Prinzipien des Designens begreifen und beschreiben, so wird das mit einigen Design-Bereichen schwieriger, die zwischen designerischem Spezialistentum und Anwendungsgebieten flottieren. Auf der Suche nach höheren Ordnungen des Verstehens und Agierens jenseits von intuitiver Kreativität hat die Designforschung Anleihen bei anderen Wissenschaften wie der Soziologie, vor allem aber der Psychologie gemacht. Daraus sind Designbereiche oder Subdisziplinen/Labels geworden, die sich in verschiedener Hinsicht mit sozio-ökonomischen und soziokulturellem Wandel beschäftigen.

Gestalten für die Gemeinschaft: Social Design und Service Design Der Begriff des Social Design ist nicht einheitlich definiert, rekurriert jedoch auf einen Wandel der Gesellschaft durch Gestaltung62 . In den 1990er Jahren wurden die Grundlagen für eine Revision des Designbegriffs hinsichtlich einer sozialen Extension u.a. durch Nigel Whiteleys Buch Design for Society gelegt63 , das ähnlich wie Papaneks Abrechnung den Fokus des Design zu justieren versuchte: Impliziert ist im »Design für das Soziale« sowohl eine Abkehr von der Objektfixierung des Entwerfens als auch die Frage nach den Folgen des Entwurfs und seines Konsums für die Welt. Dabei zeigt sich eine Verschiebung vom Objekt und seiner Beschaffenheit hin

62

Banz, Claudia: Zwischen Widerstand und Affirmation. Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016

63

Whiteley, Nigel. Design for Society. London. 1993

Drei: Transformationen im Designdiskurs

zu Prozessen, Systemen und Nutzungspraktiken, die die designten Arte- und Mentefakte in gewisser Weise verflüchtigen. In der Literatur zum Social Design lässt sich kaum ein wirklicher Kern des Begriffs ausmachen, der das Social Design vom Transformation Design unterscheiden ließe. Das Social Design wird, das ist immerhin eine pragmatische Engführung, eher mit nicht ökonomisch getrieben Projekten verknüpft: Die von den deutschen Behörden 2020 in Auftrag gegebene COVID-19-App wäre ein Social Design-Projekt, während Apps, die von Start-ups entwickelt werden und auf einem wie auch immer gearteten ›Social‹-Aspekt basieren (Digitalisierung von ehemals personalen Dienstleistungen, Nutzung durch viele, die für die Nutzung mit persönlichen Daten bezahlen), dem Social Innovation Design zugerechnet würden (im Falle der Covid-Pandemie wäre hier die Luca-App zu nennen). Social Innovation Design sieht sich als Ideenlieferant für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und daraus resultierenden neuen Angeboten und Services.64 Service Design wird häufig in direkter Nähe zum Transformation Design verortet, da es um die Umgestaltung von Prozessen zum Nutzen aller geht; Designer werden als unerlässliche Akteure für den Blick von außen nach innen betrachtet. Ziel sei, so Daniela Sangiorgi, eine erreichbare und bessere Zukunft für alle Beteiligten anzustreben. Das theoretische Fundament ist in diesem Fall die Handlungstheorie von Kurt Lewin, definiert als demokratischer Mitbestimmungsprozess, der dazu da ist, praktisches Wissen zum Nutzen lohnender menschlicher Zwecke zu entwickeln65 . Wenn Nutzungen bewusst offengehalten werden, der Designprozess von vielen beeinflusst und nachträglich verändert werden kann und soll, dann wird eine Materialisation von Social Design auf die Grundzüge des Entwurfs und seiner Planung reduziert. Neben der berechtigten Frage, an welcher Stelle Designer:innen mit ihrer Expertise zur Form64

Beuker, Nicolas: Transformation Design: A Piecemeal Situation Change. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 (2016a), S. 41

65

Sangiorgi, Daniela: Transformative Services and Transformation Design. International Journal of Design, 5(2), S. 29–40. 2011

109

110

Design und Transformation

gebung zum Zuge kommen sollen, erwächst noch eine zweite, damit verbunden Problematik: Die ästhetische Flüchtigkeit bzw. Immaterialität dieser Designs. Aus verschiedenen Gründen sind Objekte wichtig für die Wahrnehmung, An- und Wiedererkennung von Orten, Situationen und Ereignissen. »Die durch das Design geschaffene Dingwelt besitzt eine anthropologische und existentielle Dimension. Dinge sind ein Speicher unserer Kultur, unseres Wissens, unserer Werte. Sie liefern uns eine Orientierung in der von uns geschaffenen Welt und sichern unser Überleben in der natürlichen Umwelt.«66 Wenn also die Dingwelt Orientierung liefert und diese Dinge designt wurden, wie kann eine Transformation des temporären Erwerbs von ständig neuen Dingen zum Verharren mit den alten Dingen oder einem Leben ohne physisch existente Objekte (HCI, UX) möglich sein? Man könnte argumentieren, dass virtuelle Objekte nachhaltiger seien als physisch reale, immerhin müssen sie nicht aus Werkstoffen unter Einsatz hoher Energieressourcen produziert und distribuiert werden – Lieferketten fallen weg, die Wertabschöpfungen reduzieren sich. Was vor einigen Jahren als sinnvolle Alternative formuliert wurde, erweist sich heute bei Lichte besehen als nicht stimmig: die Blockchain-Technologie, der Bitcoin-Hype und der pausenlose Datentransfer weltweit verbrauchen Energie in ungekanntem Maß. Digitale Produkte sind per se weder klimaneutral noch ressourcenschonend, weder nachhaltig noch langlebig. Der historische Begriff von Sozialität war an Entitäten und übergeordnete gesellschaftliche Institutionen geknüpft: Sozialstaat, sozialer Wohnungsbau, Sozialleistungen etc. Das Soziale war das in gewissem Sinn normative, verpflichtende Gemeinschaftliche. Der englische Begriff ›social‹ meint erstens auch anderes, zweitens hat die neoliberale Ära seit dem Ende der 1970er Jahre den normativen Aspekt des Sozialen entwertet und pejorativ verschoben.

66

Banz, Claudia: Zwischen Widerstand und Affirmation. Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016, S. 11

Drei: Transformationen im Designdiskurs

Soziale Netzwerke sind auf Algorithmen basierte virtuelle Treffpunkte hyperindividualisierter Subjekte, die mittels Microtargeting einzeln adressiert werden können – jeder ist seine eigene Zielgruppe geworden. Der Begriff des Social Design oszilliert also zwischen gesellschaftlich oder gemeinschaftlich definierten Aufgabenstellungen und einer Ideenfindung und Produktentwicklung für ›social machines‹ und ›social networks‹, die ökonomisch definiert sind. Beide Auslegungen des Social Design beinhalten den Entwurf, die Planung und Organisation von Dienstleistungen mit dem Ziel, diese benutzerfreundlich, effizient und angenehm für die User, außerdem produktiv und erfolgreich für die Anbieter zu machen – gleichzeitig war das die Triebfeder für den Neologismus Transformation Design durch die Designer:innen des RED-Projekts. Diesseits und jenseits ökonomisch getriebener Strukturen erarbeiten das Service Design und das Social Design Dienstleistungen und Angebote, die sowohl standardisiert als auch individualisiert werden können; das kann dadurch geschehen, dass Nutzung und Besitz einer Sache getrennt und dadurch Verbrauch und Material gesenkt werden. Darunter fallen vernetzte Mobilitätsangebote oder die Kombination bzw. Wahlmöglichkeit von Erwerb oder Sharing eines Fahrzeugs. Dienstleistungen im weiteren Sinn sind auch alle staatlichen oder halbstaatlichen Agenturen, mit denen Bürger:innen zu tun haben. Die Umgestaltung des Top-Down-Verhältnisses von Behörden zu Bürgern hin zu einem partizipativen Verhältnis zwischen Dienstleistern und Kunden (wie bei Daniela Sangiorgi ausgeführt67 ) steht dabei im Fokus. Die Ausgestaltung digitaler Prozesse als nutzerfreundliches Dienstleistungsangebot, das Vertrauen schafft und zum sinnvollen Abbau von Bürokratie beiträgt, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Service Design. Schaut man sich bspw. die deutsche digitale Steuererfassungsplattform ELSTER an, versteht man jedoch auch, dass Design im herkömmlichen Sinn bei der Konzeption und Umsetzung nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat.

67

Sangiorgi, Daniela: Transformative Services and Transformation Design. International Journal of Design, 5(2), S. 29–40. 2011

111

112

Design und Transformation

Das frühe Social Design wie im Bauhaus unter Hannes Meyer oder den großen Siedlungsprojekten der 1940er bis 1970er Jahre weltweit ist ob seines paternalisierenden, funktionalistischen Ansatzes zurecht in die Kritik geraten. Die Dysfunktionalitäten des historischen Funktionalismus müssen in vielen Fällen heute durch Social Design repariert werden. Was historisch fehlte, Stakeholder-Partizipation und Folgenabschätzung, fehlt heute mitunter an Gestaltungsabsicht und Erkennbarkeit. Die Paradoxien sozialer Gestaltung sind nicht so einfach aufzulösen68 . Wie weiter oben erläutert wurde, ist jedes Designresultat sozial in dem Sinn, dass es an der Gestaltung der Kultur und der Gesellschaft Teil hat. Design bietet Orientierung, erlaubt Zuschreibungen und verleiht Wirkmacht. Ein beträchtlicher Teil dieser Potenz resultiert aus seinen ästhetischen Qualitäten. Emphatisch könnte man Social Design als Strategie gegen die Verwahrlosung durch das Total Design betrachten – Total Design ist schuld an der Misere, die Social Design nun zu lösen versucht.69 Lautet die Strategie nun, die Dinge anders zu betrachten und zu benutzen, ganzheitlich, sinnstiftend, nachhaltig, aisthetisch? Eine Neujustierung des Verhältnisses von System und Usern möchte das Society Centred Design liefern, das die radikale Ichbezogenheit des Human-Centred-Ansatzes durch eine gesellschaftliche Perspektive abfedert. Denn die Menschbezogenheit lässt in vielen Fällen eine Folgenabschätzung vermissen, die danach fragt, ob ein System Vereinzelung und Desozialisierung fördert, oder ob ein Unternehmen nicht von vornherein soziale Aspekte in das System hineindesignen kann. Das kann als externer Mehrwert geschehen (Unterstützung sozialer Aktivitäten und Gruppen, Anstrengungen hinsichtlich Klimaneutralität o.ä. durch das Unternehmen) oder als Aufforderung an die User, zu ihrem eigenen Besten eine Pause einzulegen, einen ressourcenschonenderen Weg einzuschlagen u.v.m.

68

Geiger, Annette: Social Design – ein Paradox? In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016, S. 67

69

Geiger 2016, S. 62

Nachdem einige Positionen aus der Vergangenheit und der Gegenwart des Designdiskurses dargelegt wurden, soll es im vierten Teil um eine Darstellung dessen gehen, was Transformation Design ausmacht bzw. welche Merkmale einen Designprozess kennzeichnen, der den Namen transformativ oder transitorisch verdient. Vorab soll jedoch die Bedeutung des Konzepts der Lebensstile als Dreh- und Angelpunkt eines zeitgemäßen Designverständnisses erläutert und diskutiert werden – ohne Anbindung an die gesellschaftliche Wirklichkeit lässt sich Design nicht denken. Im Anschluss daran werden zwei Modelle für transformative Designprozesse vorgestellt.

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis Nachhaltigkeit und Zukunft

Design war von Beginn an auf die ästhetische Formulierung von Positionen zur Konstruktion und Vervollkommnung von Lebensstilen ausgerichtet. Proportional zu den prosperierenden Gesellschaften des entwickelten Westens, der Ausdifferenzierung von Gesellschaft und dem damit verbundenen Ideal der Individualisierung haben sich designte Produkte und Leistungen zu Markern und Inhalten von Lebensstilen entwickelt. Ging es zu Beginn der Industrialisierung und den Anfängen des Designs noch um die Ausgestaltung klassenoder lagenspezifischer Lebensstile, so ist mit zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung und Auflösung starrer Stilensembles dem Design die Aufgabe zugewachsen, Möglichkeiten der individuellen Ausgestaltung eines Lebensstils zu eröffnen. Die Fokussierung neuer Design-Studiengänge auf die Transformation von Lifestyles und der Frage nach den Möglichkeiten der Veränderung dieser Lebensverhältnisse in Richtung Reduktion, Nachhaltigkeit, Sinnhaftigkeit trägt dieser problematischen Rolle von Design Rechnung. Antworten sind ohne ein Verständnis und eine Diskussion soziologischer Theorien zum Lebensstil und zum sozialen Wandel nicht zu erwarten. Wie hat sich also das Design in der entwickelten Moderne und der Spätmoderne im Hinblick auf Tendenzen der Individualisierung, der Ausdifferenzierung und der Entdifferenzierung (Tendenzen, die wiederum im Zusammenhang mit einer Theorie der

116

Design und Transformation

Lebensstile gesehen werden können) verändert? Sind die Voraussetzungen des Transformation Design überhaupt realisierbar ohne ein Verständnis der Dialektik von Distinktion und Identifikation?

Der Lebensstil als Ankerpunkt von Transformation Der Begriff Lebensstil ist zuerst von Max Weber im Zusammenhang mit dem Begriff der Lebensführung formuliert und als Unterscheidungskriterium zwischen Klassen, Ständen und Parteien eingeführt worden.1 Lebensführung ist bei Weber ein zentraler Begriff, den er bereits in der Protestantischen Ethik verwendet und darauf hinweist, dass Gruppen zur Abgrenzung von anderen und zur Identifikation ihrer selbst die Lebensführung methodisch ordnen, konstruieren und stilisieren, um sich erkennbar zu machen und einander zu erkennen2 . In den Lebensstil fließen soziale und kulturelle Erfahrungen als Orientierungsmuster ein, ökonomische Ursachen sind durch Beruf, Status und Einkommen präsent, die Politik wirkt zusätzlich auf das Leben der Menschen ein. Der Lebensstil kann insofern schon bei Weber prototypisch als strukturierende Struktur im Sinne von Bourdieus zentraler Kategorie des ›Habitus‹ begriffen werden, als Prinzip des Eingeschriebenen-Einschreibenden und Vermittler zwischen Struktur und Praxis der Lebensstile3 . Lebensstile sind eine soziale Realität, sie sind in ständiger Konstruktion und Dekonstruktion begriffene Differenzierungsmodelle. Deshalb sind sie essentielle Untersuchungskomplexe für eine designwissenschaftliche Analyse, weil sie als kohärente Muster und Verhaltensweisen, ergänzt durch kohärente Sets von Objekten und

1

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen. 1980 (1921), S. 538 f

2

Weber, Max: Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus. Weinheim. 1996 (1904/1920)

3

Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt. 1987, S. 279; Weymann, Ansgar: Sozialer Wandel. Theorien zur Dynamik der modernen Gesellschaft. Weinheim. 1998, S. 53

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

in Anspruch genommenen Dienstleistungen, untersucht und begriffen werden können (neben ihrer Aussagekraft für ökonomisch getriebene Untersuchungen zur Verfasstheit von Gesellschaft und ihrer Segmentierung, wie z.B. die Marktforschung nach SINUSMilieus). Der Prozess der Modernisierung hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen qualitativen Schub entwickelt, der als radikal und universal beschrieben werden kann: Es sind nicht bloß die historischen Sozialformen und Bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge, die mit zunehmender funktionaler Differenzierung und Prosperität abnehmen, sondern Lebensführung, Werte und Sinn können als persönliche Option, aber auch als Zwang zur Identitätsfindung bzw. -konstruktion begriffen werden. An die Stelle traditionaler Bindungen und Sozialformen (soziale Klasse, Kleinfamilie) treten Instanzen und Institutionen, die den Lebenslauf des Einzelnen prägen und ihn damit zur permanenten Entscheidungsfindung und Wahloption von Moden und Märkten zwingen. Individualisierung ist Chance und Drohung gleichzeitig; von den einen bewusst oder unreflektiert als Stilisierungsoption ergriffen, von anderen als Druck zur Ausgestaltung eigener Lebenswelten empfunden, zu der sie nicht fähig oder willens sind. Biographien werden selbstreflexiv, das einzelne Leben scheint sich ins Unendliche erweitern zu lassen, da erst einmal kaum Grenzen für die Gestaltung des Lebens gesetzt sind. Dieses Feld der Möglichkeiten, zu denen zum Beispiel gehört, dass sich Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Ethnie, Stand und sozioökonomischer Lage für ein Designstudium und für die Ausübung dieses Berufs entscheiden können, ist Teil des Individualisierungskonzepts – es muss notwendiger Weise vom Transformation Design problematisiert werden, wenn es darum geht, die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben aller zu definieren, das nicht auf unendlicher Stilisierung und dem damit einhergehenden Konsum basieren soll. Lebensstile sind beobachtbare Phänomene, Objekt- und Handlungskomplexe; es handelt sich um Sets kohärenter Verhaltensund Konsumweisen. Lebensstile sind keineswegs bloß äußerliche Zeichen, die beliebig getauscht oder eben weggelassen werden

117

118

Design und Transformation

könnten, weil hinter der Fassade das wahre Leben läuft. Bereits Thorstein Veblen und Georg Simmel haben um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts mit ihren Analysen zur Stilistik der »leisure class« und zur Mode4 dargelegt, dass sich die Insignien gesellschaftlicher Lagen bzw. Klassen lesen, systematisieren und erklären lassen; als sowohl nach innen wie nach außen gerichtete Zeichen von (größtenteils geborgten) Lebensstilen und Mechaniken der Aneignung und Entledigung von stilistischen Markern (wie in der Mode), die sich top-down von den herrschenden zu den beherrschten Klassen bewegen. Beides, die Identifikation mit bzw. die Distinktion von gesellschaftlichen Gruppen und Milieus mit Hilfe vestimentärer und anderer Codes, sowie der ewige Kreislauf von Mode als Zeichen weniger und kleiner Einflussgruppen bis zur Street Fashion für alle, sind 120 Jahre nach Veblen und Simmel noch genauso virulent, nur ungleich differenzierter und quantitativ mächtiger. Designwissenschaftler:innen oder Kassierer:innen, Verwaltungsbeamt:innen wie Lagerist:innen sind diesen mächtigen kulturellen Mechanismen nicht bloß ausgesetzt, sondern gestalten sie aktiv mit und arbeiten an der jeweiligen Erkennbarkeit der Person, an der stilistischen Außenerscheinung einer sowohl geforderten wie ertragenen Individualisierung, die niemand der erwähnten Personen widerstandsbzw. umstandslos aufgeben oder unwidersprochen ändern würde. Eine selbstreflexive Lebenspraxis, ein sich selbst bewusst gewordener Habitus, der den Sinn und die gesellschaftliche Position bzw. das soziale Feld, in dem man sich befindet, jenseits von Symbolen verortet, sind aber fähig, den Gebrauch der Dinge zu hinterfragen.

Erlebnisgesellschaft und Erlebnisdesign Gerhard Schulze hat unter dem Begriff »Erlebnisgesellschaft« eine Reihe von Entwicklungen zusammengefasst, die seit den 1980erJahren den Übergang in die postindustrielle bzw. spätmoderne 4

Veblen, Thorstein: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt 1986 (1899); Simmel, Georg: Philosophie der Mode. Berlin. 2018 (1905)

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

Gesellschaft kennzeichnen; als bezeichnendes Kriterium hat er das Erlebnis und damit verknüpfte Strategien wie eine umfassende Ästhetisierung beschrieben. Mit dieser ist die veränderte Perspektive von Menschen gemeint, die sich von einer Überlebensorientierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Erlebnisorientierung gewandelt hat. Dadurch gewinnt die Handlungsform des Wählens gegenüber der Form des Einwirkens an Geltung; wir stehen einer Unzahl an konsumistischen Wahloptionen gegenüber (›freedom of choice‹), doch die Gebrauchswertunterschiede sind bedeutungslos. »Unsere objektive Lebenssituation, soweit sie in Verfügungschancen über Gegenstände und Leistungen besteht, zwingt uns dazu, ständig Unterscheidungen nach ästhetischen Kriterien vorzunehmen. Erleben wird vom Nebeneffekt zur Lebensaufgabe.«5 Die Unsicherheit, die der spätmoderne Zwang zur Individualisierung mit sich bringt (dazu gehört auch die Forderung nach unbedingter Kreativität in allen Lebensbereichen – beruflich wie privat6 ), gebiert und perpetuiert Formen der Beeinflussung wie Werbung, aber auch Stil- und Lebensratgeber, die einem ästhetischen Anlehnungsbedürfnis entgegenkommen, das sich laut Schulze in Mentalitäten, Gruppenbildungen, typischen Handlungssträngen und neuen Formen der Öffentlichkeit niederschlägt7 . Die Ästhetisierung des Alltagslebens greift auch nach existentiellen Problemdefinitionen. Während um 1900 die Orientierung an äußeren Lebensbedingungen vorherrschte, die Not eine alltägliche Bedrohung und auch Erfahrung war, resultierte aus den Reglementierungen und Einschränkungen, die zum existentiellen Halt beitragen sollten, eine stärkere gesellschaftliche Bindung als heute. Die innenorientierte Problemdefinition der Jetztzeit ist durch Erlebnisorientierung geleitet. Was früher ein ›Luxusproblem‹ war, ist

5

Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt. 1992, S. 55

6

Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität. Frankfurt 2012

7

Schulze 1992, S. 62

119

120

Design und Transformation

heute sozialer Standard: Überfluss ist zur alltäglichen Erfahrung geworden, die Auswahl von Erlebnisangeboten Normalität. Mit einer Zunahme von Erlebnisangeboten steigt auch die Möglichkeit einer Enttäuschung8 . Eine Strategie gegen vermeintliche Enttäuschung und Verunsicherung besteht in der Ästhetisierung und Marginalisierung, z.B. in der Aufbereitung schrecklicher Ereignisse als Nachricht mit Unterhaltungswert, eingebettet in die ›News‹, einem Potpourri von Unterhaltung mit disparatem Informationswert und Relevanz. Eine zweite Strategie der Enttäuschungsvermeidung sieht Schulze in der Marginalisierung von Not und Umweltrisiken; auch hier geht es um das Erleben, nicht um die Einsicht des Überlebens: »Wir sind jedoch als Kollektiv unfähig gewesen, wieder hinter die Innenorientierung zurückzugehen zu einer auf Bedingungen des Überlebens gerichteten Orientierung, die der objektiven Situation angemessen wäre.«9

Design als praktisch gewordene Sozialwissenschaft Das Transformationsdesign wird den Hang zu Ästhetisierung und Marginalisierung nicht so einfach produktiv umleiten können, aber es muss sich der Relevanz und Macht dieser Strategien, die nicht nur individualpsychologische, sondern gesamtgesellschaftlich wirksame und ökonomisch-politisch instrumentalisierte Strategien sind, bewusst sein. »Offenbar vermögen wir nicht, unsere normale existentielle Problemdefinition vorwegnehmend zu ändern – erst müssen sich, wie schon beim Übergang von der Knappheitsgesellschaft zur Überflussgesellschaft, die objektiven Verhältnisse in einem Ausmaß wandeln, das die Anpassung kognitiver und gesellschaftlicher Strukturen unvermeidlich macht.«10

8

Schulze 1992, S. 66

9

Schulze 1992, S. 70

10

Schulze, 1992, S. 70

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

In eine ganz ähnliche Richtung geht die Analyse von Harald Welzer, der von »Cultures of external Supply« spricht, in denen Befriedigung vorwiegend durch Konsumangebote realisiert und dadurch die Menge an verfügbaren Angeboten, Bedürfnissen und weggeworfenen Objekten ständig erhöht wird. Die Produkte erlangen Macht über die Benutzer, weil die Resilienz stetig vermindert wird – Scheinbefriedigung, Angst vor Enttäuschung, Überforderung durch Wahlmöglichkeiten, Unfähigkeit zum Entscheiden. Transformation Design muss bzw. will die menschliche Autonomie wieder herstellen11 , die nur scheinbar aus der Fähigkeit zum unbegrenzten Wählen entspringt. »Mit Bezug auf die Autonomie der Bedürfnisproduktion in der Marktwirtschaft ist es daher keineswegs abwegig, wenn man zu der Einschätzung gelangt, wir lebten in einer Gesellschaft der Maßlosigkeit und der Selbstüberbietung, in der die Bedürfnisbefriedigung qua Selbstbedienung erfolgt.«12 Das in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften vorhandene Spannungsverhältnis von Identität und Differenz, dessen Polarität unaufhebbar ist – keine Identität ohne Distinktion – wird durch Produkte, Dienstleistungen und den damit verknüpften Markenkonstrukten bedient und befördert13 . Doch diese Funktion ist nicht so einfach aufzulösen und auch nicht so eindimensional, wie man das vielleicht gerne hätte: Die kommunikative Funktion von Konsumgütern äußert sich darin, dass jeder Mensch durch das Medium der Dinge zu Menschen spricht. Die Dinge formen unsere Persönlichkeit und gehen eine Verbindung mit uns ein; wir sind in den Dingen und die Dinge sind in uns14 . Das ist eine Auflösung des Objekt-Subjekt-Verhältnisses bzw. des Technik-Mensch-Antagonismus, die zur Aufgabe einer gesellschaftlichen Transformation werden; zur Infragestellung und Veränderung unseres Verhältnisses 11

Welzer, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt. 2013, S. 198

12

Hellmann, Kai-Uwe: Soziologie der Marke. Frankfurt. 2003, S. 359

13

Hellmann 2003, S. 378

14

Hellmann 2003, S. 380f

121

122

Design und Transformation

zu den Dingen. Denn die meisten ›Dinge‹ sind gestaltete Produkte, gestaltete und gebrandete Interfaces, Objekte und Dienstleistungen, die unverzichtbare, zumindest aber integrale Bestandteile unseres Habitus, unserer Verhaltensweisen und unserer sozialen Differenzierung und Positionsbestimmung im sozialen Feld sind. Designte Systeme designen Verhalten und Kultur. Lebensstile stehen in einem Konkurrenzverhältnis; da sie zu ihrer Kennzeichnung und Selbstvergewisserung gestaltete Objekte brauchen (von der Kleidung über die Wohnungseinrichtung bis zur Urlaubsreise, zum Online-Finanzdienstleister und dem Betriebssystem am Rechner), werden Objekte des Alltags sowohl unreflektiert als auch ostentativ als Zeichen eines Lebensstils eingesetzt und gedeutet. Diese Funktion ist zunächst ›neutral‹ dahingehend, dass sich mit dem Akt der Wahl noch keine stilistische Präferenz verbindet – der erste Akt ist ein grundsätzlicher der Herstellung von Bedeutungsunterschieden durch die Opposition von Elementen innerhalb einer Menge von Objekten, die gemeinsam geeignet sind, einen Lebensstil zu definieren. Erst auf einer zweiten Ebene werden die stilistischen Marker bedeutsam, die eine homogene bzw. kohärente Welt bilden. Dabei sind wir heute von einer simplen, formalen Homogenität weit entfernt: Anders als noch in den 1960er Jahren propagiert, sind Wohnungseinrichtungen heutzutage nicht mehr aus einem Guss, sondern aus einem Mix zusammengesetzt, der Objekte aus verschiedenen Epochen und Stilistiken miteinander verbindet, weil die Normativität der Großstile von damals (modernsachlich; traditionell-rustikal; verspielt-nostalgisch) einer Normativität des kreativen Mixes oder des ›Boho-Style‹ gewichen ist. Egal, ob man diese geborgte Kreativität der ästhetischen Stilisierung als Rückzug ins Private deutet oder als eskapistisch-externalisierte Distinktion (die Öffentlichkeit braucht, ohne diese wirklich herzustellen), die Ausgestaltung von Lebensstilen ist nolens volens die Endstation aller Designbemühungen. Das galt für das Wirken der HfG Ulm wie für die heutige Produktion. Jeder Gestaltungsimpetus muss sich dieser Perspektive stellen. Die aktuelle Total DesignProduktion tut dies, indem sie partikularisch nach Marktinteressen gestaltet und damit einem imaginierten Auswahlcredo huldigt, während viele alternative Ansätze sich in einem theoretischen Dis-

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

kurs verfangen, der mit der Wirklichkeit der Produktions- und Gestaltungsbedingungen kaum etwas zu tun hat. Transformation Design muss einerseits ermöglichen, Lebensstile abzubilden bzw. zu deren Generierung beizutragen und andererseits die Austauschbarkeit der Objekte zugunsten einer Wertschätzung und Langlebigkeit umzugestalten. Allein, die Lebensstile bilden sich nicht nach Maßgabe des Designs, aber auch nicht ohne dieses. Ähnlich dem Konzept des Habitus als leibgewordener Geschichte auf dem sozialen Feld sind die designten Artefakte zum Leib gehörende Objekte und die Geschichte und die Gesellschaft konstituierenden Objekte. In dieser Dialektik muss Designtheorie denken, besser noch, in ihr sollte Designpraxis arbeiten.

Design als Transformation oder Transitionsprozess Eingangs dieses Buches wurden die Unterschiede von Transformation und Transition diskutiert: Transformation wurde als tiefgreifender Wandel, dessen Ausgang unbestimmt ist, beschrieben; Transition als Wandel durch stufenweise Übergänge, die in Grenzen steuerbar sind. Für die Designpraxis lässt sich daraus folgende Unterscheidung formulieren: Transformation im Design ist eine epistemologische Perspektive auf eine Disziplin, von deren Neuausrichtung wir überzeugt sind und in diesem Geiste Designaufgaben angehen und Design denken. Transition Design ist ein im Vergleich dazu relativ gut strukturierbarer Prozess, der sich modellhaft konstruieren und darstellen lässt. Transformation als große Perspektive, Transition als naheliegende Aufgabe – so könnte man die folgenden Ausführungen auf den Punkt bringen. Als Beispiel für ein konzises Modell des Transition Design hinsichtlich Auftrag, Ausbildung, Anwendung und Zielen soll das »Transition Design Framework« von Irwin, Tonkinwise und Kossoff dienen.15 In der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Modell wer15

Irwin, T.; Tonkinwise, C.; Kossof, G.: Transition Design. An Educational Framework for Advancing the Study and Design of Sustainable Transitions. Pittsburgh. 2015 (2015a)

123

124

Design und Transformation

den einige Punkte deutlich werden, die eine neue Designauffassung auszeichnen und den Paradigmenwechsel vom objekthaften Industrial Design zu einem gesellschaftlich wirkenden »Design der Zusammenhänge und Beziehungen«16 kennzeichnen. Folgt man den Autor:innen, dann lässt sich der Beginn des Designs um 1850 als Versuch lesen, ehemals traditionale Gesellschaften durch die Umgestaltung der Lebenswelt in universelle, rationale Lebensmodelle zu überführen. Dies war ein letztlich anmaßender und überheblicher Ansatz, der auf Ressourcen und Bedingtheiten von Lebenswelten nicht achtete; die Implementierung neuer Lebensstile bzw. Lifestyles und deren Transformation wurden ohne Umweltkosten und Ressourcenbewusstsein initiiert. Die Bewusstwerdung geschieht erst in den 1990er Jahren mit dem Beginn des Sustainable Design und der Diskussion über eine nachhaltigere Lebensweise. Auf einer höheren Ebene will nun das Transition Design Ansätze für eine veränderte Rahmensetzung bei Problemen liefern, die in komplexen Ökosystemen mit soziomateriellem Wandel entstehen.17 Denn spätestens mit Rittels und Webbers Konzept der »wicked problems« in der Planungstheorie18 steht die Erkenntnis, dass lineare und unidirektionale Lösungsansätze nicht greifen, wenn vertrackte Gemengelagen mit mehreren Ebenen, verselbständigten Entstehungsgeschichten und Stakeholdern mit verschiedenen Interessen zu bearbeiten sind. Transition Design hat aber mit der Bearbeitung von Ökosystemen solcher ›verfahrener Verfahren‹ zu tun. Designer:innen kommt dabei als Komplexität verstehenden und bearbeitenden Praktiker:innen eine besondere Rolle zu. Daraus haben sich neue Praxisfelder und Subdisziplinen des Designs ergeben: Interaction Design, Experience Design, Partizipatorisches 16

Jonas, Wolfgang: Social Transformation Design as a Form of Research Through Design (RTD): Some historical, theoretical, and methodological remarks. In: Jonas, W., Zerwas S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016

17

Irwin, T.; Tonkinwise, C.; Kossof, G.: Transition Design. An Educational Framework for Advancing the Study and Design of Sustainable Transitions. Pittsburgh. 2015 (2015a)

18

Siehe oben im Kapitel ›Design als Probemlösungstechnik‹.

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

Design, Service Design, Design für Soziale Innovation, Transformation Design, Transition Design. Allen Disziplinen ist dabei gemeinsam, dass sie sich vom Entwurf diskreter Einheiten entfernt haben zugunsten der Gestaltung von Beziehungen (relationships), wechselseitigen Eingriffen/Einwirkungen (interactions) und Erfahrungen/Ereignissen (experiences). Von der individuellen Schöpfung hat sich Design zu einer kollaborativen, inter- und transdisziplinären Arbeit gewandelt, die verschiedene Akteure, Stakeholder und Nutzer einbezieht. Dabei ist Design zu einer ganzheitlichen und systemischen Arbeit geworden und hat das reduktionistische, mechanische Weltbild hinter sich gelassen.19 Irwin et al. entwickeln ihr Konzept des Transition Design als vorerst letzte Stufe einer vierstufigen Designentwicklung, die vom Design ›Erster Ordnung‹ (Grafikdesign, Visuelle Kommunikation) über die ›Zweite Ordnung‹ (Industrie-/Produktdesign) zur ›Dritten Ordnung‹ (Handlungen und Interaktionen) und schließlich zur Stufe der komplexen Systeme und Umgebungen reicht. Die letzte Stufe bzw. ›Vierte Ordnung‹ schließt alle vorhergehenden ein.20 Design agiert nicht länger als solitäre Leistung, die in den Markt katapultiert wird, sondern als Netzwerklösung, die gesellschaftliche Gegebenheiten – im weitesten Sinn Lifestyles – mitdenkt. Voraussetzung für ein Gelingen der Designvorhaben ist ein tiefes Verständnis für gesellschaftliche Prozesse: »The transition to sustainable futures calls for new ways of designing that are based upon a deep understanding of how to design for change and transition within complex systems.«21 Als Einflüsse für ein neues Denken im Design benennen die AutorInnen unter anderem das ›Futuring‹, die radikale und zwingende Entwicklung von Szenarien für eine nachhaltige Zukunft; ferner die Einbeziehung indigenen Wissens als Strategie für einen 19

Irwin, T.; Tonkinwise, C.; Kossof, G.: Transition Design. An Educational Framework for Advancing the Study and Design of Sustainable Transitions. Pittsburgh. 2015 (2015a), S. 3

20

Irwin et al. 2015, S. 3, mit einem Verweis auf Buchanan 2001und Jones 2014.

21

Irwin et al. 2015, S. 16

125

126

Design und Transformation

nachhaltigen Umgang mit der Welt. Außerdem fordern sie einen »kosmopolitischen Lokalismus«, die Rückführung von Lebensstilen auf die jeweils regionalen Gegebenheiten bei gleichzeitiger globaler Vernetzung der Akteure; sie postulieren eine Theorie der Bedürfnisse, die die vorherrschenden Theorien der Wünsche und ihrer Befriedigung ersetzen soll (angelehnt an die Unterscheidung der »needs« und »wants« von Papanek); und schließlich bedarf es der Erarbeitung alternativer Wirtschaftstheorien, die nicht auf die Erzeugung von Profiten für wenige, sondern auf die Erfüllung der Bedürfnisse von allen gerichtet sind.

Elemente des Transition Design Framework Irwin, Tonkinwise und Kossoff definieren vier stratifikatorische Felder, deren Vorhandensein und Zusammenwirken als notwendig für Transition Design angesehen wird:

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

Abbildung 1: Transition Design Framework von Irwin, Tonkinwise, Kossof

127

128

Design und Transformation

Dazu gehören • •





Visionen für Übergänge, die mit Theorien sozialen, technologischen und kulturellen Wandels rückgekoppelt werden können; Theorien gesellschaftlichen Wandels, die kulturell, ethnisch und ökonomisch diverse Systeme mitdenken und Methoden für Wandel und Übergänge erarbeiten; die Ausbildung einer Haltung und eines Bewusstseins (nicht nur) für Designer:innen, die in Annäherung an den Wandel eine offene und ganzheitliche Weltsicht entwickeln, diese weitergeben und in ihre Arbeit implementieren; neue Wege des Entwerfens, die auf Partizipation, Transdisziplinarität, Reframing von Problemlagen basieren und zu Lösungen führen, die zukunftsfähig und nachhaltig sind.

Die Autor:innen sprechen dezidiert von einem Ansatz der Formalisierung des Transition Design, und nicht von einem fertig definierten Prozess. Die vier Kernfelder lassen sich dementsprechend als Fragen verstehen, die sich ein auf die Zukunft gerichtetes, nachhaltiges Design beantworten sollte. In Verbindung mit den Feldern stehen Perspektiven, die den Designprozess, die ausführenden Designer:innen und die Gesellschaft, in der sie arbeiten, kennzeichnen.

Vorstellung der Zukunft: Design Futuring Ohne eine Vorstellung davon, wie wir in Zukunft leben können und leben wollen, ist Transition Design nicht denkbar. Designer:innen müssen also futuristische Vorgriffe machen und Szenarien entwerfen, die in der Zukunft realisiert sein könnten. Wie der Designtheoretiker Damian White bemerkt, ist es erstaunlich, welche Summen in die Konstruktion futuristischer (und meistens dystopischer) Welten im Film und in Computerspielen investiert werden, während die Ausarbeitung zukunftsfähiger und gesellschaftlich

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

wertschöpfende Designmodelle marginal bleibt22 ; nichtsdestotrotz gilt es, spielerische, kritische spekulative Designkonzepte zu entwickeln, die den Status Quo hinterfragen und verlassen. Speziell zum Thema Zukunft gibt es verschiedene Ansätze und theoretische, aber auch praktische Konzepte. Das sogenannte »Speculative Design« lässt sich bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen, als Designkollektive Entwürfe für eine zukünftige Welt erarbeiteten, die damals technologisch nicht realisierbar waren oder/und als radikale Ideen für eine andere Sicht auf die Dinge und eine Kritik am Bestehenden gut sein sollten23 . Der spekulative Ansatz bietet aber sowohl als ›Mikro-Design‹ wie als ›Makro-Strategie‹ Potenziale. Fiona Raby und Anthony Dunne erarbeiten seit mehreren Jahrzehnten Designkonzepte und Mock-ups, die sie als »Critical Design« bezeichnen und damit eine Entwurfspraxis meinen, die mit Mitteln des Designs den gesellschaftlichen Nutzen und individuellen Gebrauch von Objekten, Prozessen und Systemen hinterfragen; ihre Arbeiten lassen sich oft als Konzeptkunst verstehen und als Designmodelle. An Formen und Objekte heftet der Mensch Bedeutungen und Sinn; eine designerische Vorstellung von erstrebenswerten »Futures« muss im weitesten Sinn über Bilder erfolgen: Modelle, Mockups, Renderings, Visualisierungen jeglicher Art. Eine bloß geplante Zukunft findet keine Akzeptanz, insbesondere dann, wenn sie mit tiefgreifenden Veränderungen und Verhaltenswechseln verknüpft ist. Transformation Design und Transition Design müssen deshalb auch Gestaltungspraxen bleiben. Diese Praxis ist aber eine mit veränderter Richtung: Design Futuring bedeutet für Tony Fry, die Ausrichtung des Designs auf Objekte, Märkte und Funktionen zu überprüfen, weil uns diese Ausrichtung keine Zukunft lässt: je erfolgreicher Menschen waren, ihre Umwelt nach ihren Bedürf-

22

White, Damian: Critical Design and the Critical Social Sciences: or why we need to engage multiple, speculative critical Design Futures in a post-political and post-utopian Era. https://thefuturebydesignatrisd.wordpress.co m/2015/02/17/critical-design-and-the-critical-social-sciences/#_edn6

23

Einen guten Überblick geben Mitrovic, Auger, Hanna, Helgason (Hg.): Beyond Speculative Design: Past, Present, Future. Split. 2021

129

130

Design und Transformation

nissen zu designen, umso weniger nachhaltig wurde die Welt.24 Soll es eine Zukunft geben, muss zukunftsfähiges Design anders denken; in Beziehungen und Verästelungen, abwägend, welche Veränderungen das designte Objekt seinerseits designt. Design ist Einflussnahme auf die Welt, die sich dadurch weiter verändert; es ist nicht mit der scheinbar finiten Objektproduktion getan. Diese zweite Transformationsebene von Design fehlt bislang.

Transformation Design als Haltung Transition Design bereift den Wandel als Kernthema seines Handelns. Gesellschaftlicher Wandel in seinen vielen Facetten (ökonomisch, technologisch, ökologisch, kulturell etc.) wird bislang vom Design bestenfalls intuitiv und/oder marktkonform als Mode adressiert, nicht als erwünschte gesellschaftliche Bewegung in Richtung Nachhaltigkeit. Die historisch bedingte Praxisfixierung des Designs muss durch Design-Theorie und Designforschung ergänzt werden. Wandel als Kernthema erfordert auch einen Wandel in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Transitionen im Hinblick auf einen transdiziplinären Ansatz zur Erforschung und Steuerung. Die häufig nicht abgefragten und nur rudimentär artikulierten Überzeugungen und Haltungen von Designer:innen beeinflussen jeden Designprozess hinsichtlich der Problemstellung und den möglichen Lösungen. Diese Haltungen und Überzeugungen sollten sich einerseits kritisch reflektieren und eine ganzheitlichere Sicht auf die Dinge und die ›wicked problems‹ entwickeln. Der Nimbus von Design als ästhetischer Selbstverwirklichungspraxis, die Chimäre von Gestaltung als Heilung hässlicher Narben, die Industrie und Kapitalismus geschlagen haben, die Vorstellung von genialischen Künstlertypen, die als gefragte Spezialisten zum Einsatz kommen hat sich erledigt. Design ist nicht nur Teamarbeit, sondern Designarbeit wird inter- und transdisziplinäre Teamarbeit werden, die Einsprüche von

24

Fry, Tony: Design Futuring. Sustainability, Ethics and New Practice. Oxford. 2009

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

vielen Seiten berücksichtigen muss, wenn das Ergebnis ein akzeptiertes sein soll. Von Designer:innen wird die Fähigkeit verlangt und vorausgesetzt, sich in verschiedene Ökosysteme einzufügen und von marktbasierten Produkten bis zu Zukunftsszenarien Dinge zu entwerfen, die auf Lebensqualität und Auskommen gerichtet sind.

Was könnte Transformation Design sein? Zuerst einmal sollte sich Transformation Design als Design begreifen. Das klingt tautologisch, aber wie weiter oben gezeigt wurde, bezeichnet das Suffix ›Design‹ heute viele Praxen, die mit Gestaltung nicht mehr oder kaum noch in Berührung kommen. Design im emphatischen Sinn würde bedeuten, sich in der Tradition einer phänomenologischen und strukturalistischen Erkenntnistheorie zu sehen und die sinnliche Wahrnehmung, das wilde Denken, aber auch das ›tacit knowing‹ zur Grundlage des Denkens und Handelns zu machen. Oder anders gesagt: wer dem eigenen Körper und der Wahrnehmung als Erkenntnisinstanz vertraut, ist stark gegen Ideologien (die den Körper negieren müssen, um blinde Zwecke zu installieren). Transformation Design sollte ein Design sein, das als solches erkannt wird: als besonders in seiner Unaufgeregtheit, als sinnvolle Setzung. Transformation Design ist auch nur Design, vulgo: Umweltgestaltung; damit das Resultat und das Produkt gesellschaftlicher Prozesse, die nach Formen suchen, in denen die Lösungsansätze temporär verwirklicht werden sollen. Transformation Design wird die Kategorien von ›guter‹ Gestaltung oder Stil verschieben bzw. irgendwann durch andere Taxonomien ersetzen, die sinnhaft, erfüllend oder gutes Leben ermöglichend heißen. Diese Taxonomien sollten nicht eindeutig mit Stilistiken verknüpft sein, so dass sich neue Lifestylematrizen nicht wie bisher über Ausschlussprinzipen bilden, sondern viele Artefakte als gemeinsame Schnittmenge haben. Impliziert ist damit, Formen zu generieren, die eben nicht oberflächlich modisch/vergänglich sind, sondern stylish in einem nachhaltigen Sinn. Das Ensemble der Dinge wird demnach erzählen, welcher Lifestyle dahintersteht: Sustainability oder Consumerism? De-Growth, Kreislaufwirtschaft oder Wachs-

131

132

Design und Transformation

tumspotenziale? Teilen und Weitergeben oder Wegwerfen und billig neu kaufen? Transformation Design sollte Design als sozialen Fakt begreifen. Fast alles, was Design ausmacht, liegt jenseits des Designs. Es liegt in uns bzw. dem sozialen Miteinander: Lebensstile, Abgrenzung, Einbindung, Zeitgenossenschaft, Nostalgie etc. werden über designte Objekte angezeigt. Design ist gesellschaftliche, nonverbale Kommunikation mit Hilfe ästhetischer Marker; Design ist die ästhetische Spur gesellschaftlicher Fakten. Ein Design, dass sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der jeweiligen Stakeholder orientiert, wird anders aussehen als das von Kapitalinteressen und deren Institutionen bejubelte und musealisierte Design der vergangenen Jahrzehnte. Transformation Design kann also Punk sein und aus den vorhandenen Resten etwas Neues entwickeln, es kann auch mit avanciertesten Technologien neue Wege sinnvollen Gebrauchens erarbeiten. Sinnvolles Gebrauchen heißt nicht nur Nutzen, sondern Freude und soziales Potenzial. Transformation Design bedeutet, das Lebensnotwendige und das zum Überleben verbleibende (das, was früher einmal das Existenzminimum hieß) abhängig vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft zu definieren und zu gestalten. Welche Erfahrungen, Erlebnisse, welche ›Experiences‹ sollen designte Objekte und Systeme bei Usern generieren helfen und wie lassen sich diese Erfahrungen eruieren und in die Objekte hinein designen? Das meint auch, die Menschen als nicht vollständig berechenbare User, nicht bloß als verdinglichte Consumer in die Planung und Gestaltung einzubeziehen. Andere Formen der Planung, des Researchs sind nötig, um zu nicht schon vorgefertigten oder von bestimmten Stakeholdern gewünschten Ergebnissen zu kommen. Transformation Design sollte Wünsche und Nutzen hinterfragen, die Werbung und Marketing über die jetzigen Produkte und Leistungen versprechen. Dazu gehört auch das Hinterfragen eigener Bedingungen, also der Transformationen, die die digitale Revolution mit sich bringt: Was geht verloren und sollte bewahrt werden, was gewinnen wir?

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

Elemente eines transformativen Designprozesses Versucht man, Prozessfaktoren für transformatives Design hinsichtlich des Ziels zu benennen, könnte eine modellhafte Visualisierung etwa so aussehen:

Abbildung 2

© 2022 Markus Caspers

Ausgehend von einem ›Mindset‹ und einem Anspruch, der nicht nur Designer:innen, sondern alle Stakeholder betrifft (User, Produzent:innen, Kommunikator:innen etc.), soll transformative Gestal-

133

134

Design und Transformation

tung sowohl nutzerzentriert als auch gesellschaftlich zentriert handeln: Im Sinne der User partizipativ und inklusiv; sozial wertschöpfend und reflektiert (im Unterschied zu persuasiver Designinszenierung, zu entfremdenden oder hyperindividualisierten Lösungen). Transformatives Design sollte im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung nicht nur des Designs, sondern jeglicher Produktion von Objekten und Systemen sowohl für Gruppen wie für Individuen entstehen. Die Nutzen- und Sinnbestimmung sollte von Usern definiert werden, nicht allein von den Produzenten. Eine gesellschaftliche Folgenabschätzung gehört dazu. (Im Unterschied zu rein marktgetriebenen Nischen- und Me-too-Produkten,die auf kurzfristige Kaufkraftabschöpfung abzielen.) Transformatives Design muss sich einer transformativen ›Aisthesis‹ bedienen, d.h. der Potenziale sinnlicher Erkenntnis, die den Umgang mit und das Erlebnis von Objekten und Systemen sinnvoll macht. Diese Aisthesis ist prozessorientiert (Nutzerprozesse, Experiences); sie ist an nachhaltigen Lifestyles orientiert und nutzt diese bzw. unterstützt bei deren Generierung und Durchsetzung (im Unterschied zu Objektfetischisierung, zu Kurzzeiterlebnissen und Stand-aloneLösungen). Transformative Gestaltung muss ästhetisch positioniert sein, zum sinnvollen Nutzen herausfordern. Sie sollte idealerweise für User adaptierbar sein und Entwicklungspotentiale für veränderte Anforderungen bereitstellen (im Unterschied zu kurzlebiger Sensation, zu Moden; gleichzeitig nicht dem Mainstream angepasst bzw. diesen bildend, ästhetisch und praktisch nicht abgeschlossen). Transformative Gestaltung sollte sich am Begriff der ›Techne‹ orientieren, einer ganzheitlichen Sicht von Ressourcen, Technologien, Möglichkeiten und Grenzen einer Umgestaltung der Umwelt. Für den Umgang mit Ressourcen bedeutet das: er sollte nachhaltig und Ressourcen schonend (Long Lifecycle) sein, substituierend statt kumulativ; zukunftsorientiert (im Unterschied zu einem schnelllebigen, austauschbaren, ressourcenintensiven, rein mehrwertorientierten Consumer Design und Total Design). Für die Produktivkräfte und den Stand der Technologie bedeutet es, dass Technik und Gestaltung dem Problem angemessen sind und nicht State-of-the-Art als Selbstzweck (im Unterschied sowohl zu

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

technologisch armen bzw. unangemessenen Lösungen, wie zu technologisch pseudo-progressiven, aber irreführenden Designs). Das Ziel transformativen Designs muss eine nachhaltige Nutzung innerhalb nachhaltiger Lifestyles sein. Das bedeutet, dass sich das Konzept des ›Mehrwerts‹ verändert von einem rein ökonomisch definierten Mehrwert zu einer sozialen Wertschöpfung, die ökonomisch werterhaltend und kulturell wertsteigernd wirkt (im Unterschied zu in Kauf genommenen Wertverlust und kultureller Ausbeutung). Das schließt einen veränderten Nutzungskreislauf ein, der sich durch längere Lebensdauer, ständige Transition und Transformation auszeichnet und theoretisch ein Open End durch Open Source bedeutet (im Unterschied zur geplanten Obsoleszenz, zu abgeschlossenen Systemen, zu vorschneller technischer und ästhetischer Alterung). Diese Gestaltung ist am tatsächlichen Alltag und Leben der Menschen interessiert, auf gesellschaftlichen Konsens bauend, nicht bevormundend (und damit unterschieden von produzenten- bzw. marktorientierter Produktentwicklung, die Hierarchien affirmiert).

Ein vorsichtiges Fazit Designte Objekte und Systeme formen das Verhalten der Menschen und die Beschaffenheit der Umwelt; die Objekte werden von Menschen geformt und genutzt, die bereits innerhalb dieser Welt leben und sie weiter verändern möchten. Es gibt also keine unidirektionale Kausalität des Designs, die uns schlussfolgern ließe, man müsse bloß das Design ändern, um das Verhalten der Menschen und den Zustand der Welt hinsichtlich eines bestimmten Zustands zu verändern. Gleichwohl gelingen Transformationen nicht, wenn sich der Lebensstil von uns allen und der damit verknüpfte Wirtschaftsstil nicht ändern. Angesichts der globalen Herausforderungen muss die ursprüngliche Bedeutung von ›Lebensstil‹ und ›Lebensführung‹ als einer programmatischen, nach außen sichtbaren und dadurch sozial wirksamen, ästhetischen Stilisierung des Lebens vom Haben zum Sein, vom ständig Neuen zum Erneuerten und Erneuerbaren gehen. Die gleiche Denkbewegung und den gleichen Habitus müssen Un-

135

136

Design und Transformation

ternehmen entwickeln; d.h. sie müssen von Akkumulation, Steigerung, Wachstum und Verbrauch zu Kreislauf, Konzentration auf Wesentliches und Wertbeständigem zum sinnvollen Gebrauchen umsteuern. Dazu ist die Verankerung von Transformation Design als strategisches Denken von Anfang an und in jeder Stufe aller Prozesse nötig. Das ist leicht dahin geschrieben; es wird dauern, bis es realisiert ist. Transformation Design hat die Aufgabe, nicht nur zu entwerfen (wie das Design vordem), sondern die Entwürfe müssen begründet und kommuniziert werden, um Akzeptanz zu erreichen. Das ist die vielleicht wichtigste Änderung, die man mit ›mindset‹ und ›stance‹, mit einer Haltung von Designer:innen beschreiben kann. Die Transformation ist nicht bloß äußerlich, sondern beginnt im Wahrnehmungs- und Designprozess, sie bestimmt die Entstehung, die Kommunikation und die erfolgreiche Nutzung nachhaltiger Systeme. Seit Papanek und Haug ist Design kaum noch in kritischer Hinsicht ökonomisch gedacht worden, sondern Design wurde wissenschaftstheoretisch als dritter Weg der Erkenntnis positioniert, um aus einer Profession und Praxis eine ernst zu nehmende Disziplin zu machen. Das war nötig und notwendig, um die Sinnhaftigkeit von gestaltender Planung und Umweltveränderung heuristisch und epistemisch zu unterfüttern. Parallel dazu ist der Anteil unreflektierter Designarbeit im ökonomischen Zusammenhang von Kapitalismus und Konsumgesellschaft jedoch ins Unermessliche gestiegen; die Attraktivität des Berufs verdankt sich allein dieser Außenwirkung des formgestaltenden Eingriffs, nicht der Reflexivität der Arbeit. Die Ausdifferenzierung von Lebensstilen – Lifestyles – als warenästhetisch verkürzte Materialisationen einer Lebensführung, die die alten Stratifikationen von Gesellschaft abgelöst hat (Klasse, Schicht, Lage), ist die Herausforderung, an der sich Transformation durch Design abzuarbeiten hat. Dabei darf Design nicht in die alten Muster von Attraktivität durch zeitgeistige Formgestaltung zurückfallen, sondern sollte die Form als Teil der Sinnfindung konzipieren. Die alte Forderung designkritischer Autor:innen aus den 1970er Jahren, Designer:innen von Anfang an in den Konzeptions- und Produktionsprozess einzubinden, gewinnt neue Aktualität; allerdings müssen sich Designkollektive heute mit

Vier: Ansätze für ein transformatives Designverständnis

Gesellschaftstheorie, Wirtschaftstheorie und Zukunftsforschung beschäftigen, um sinnvolle Arbeit zu leisten. Diese Arbeit steht vor der Herausforderung, avancierteste Technologien und Erkenntnisse ebenso einzubinden wie Rückgriffe aus unbeleuchteten bzw. ›stillen‹ Lebenssituationen und Alltagsreservaten einzubinden. Designer:innen sollten dahin schauen, wo Menschen sich verwirklichen und einer (in ihrem Sinn) nicht entfremdeten Arbeit nachgehen: dazu gehören Hobbies, Freizeit, Sport oder Kunst. Welche Geräte, in welchem Innovationsgrad, werden dort auf welche Weise benutzt? Viele werden repariert, gehütet und gepflegt, aber nicht, um sie bloß aufzubewahren, sondern um ihren Gebrauchswert zu erhalten (Produktkultur). Auch dort kann sich zeitgemäßes Design Anregungen für transformatives Verstehen holen.

137

Fünf oder ein Nachwort: Designpraxis und ökonomische Zwänge Realität und Anspruch

Die Frage nach einem neuen Designansatz wie dem Transformation Design ginge ins Leere, wenn damit nur eine designinterne Diskussion angestoßen würde, die sich epistemologisch oder heuristisch möglicherweise von bestehenden Ansätzen unterscheidet, aber in der Praxis bzw. Alltag genauso funktioniert wie alles andere. Und Alltag im Design bedeutet Business, das ist nun mal die Praxis des Designs im kapitalistischen Verwertungszusammenhang. Wie kommt Design zustande? In den allermeisten Fällen dadurch, dass Auftraggeber (externe wie unternehmensinterne) an Designer:innen mit einer Aufgabe, manchmal einem Problem herantreten und eine Lösung präsentiert haben möchten. Diese Aufgabe ist in den meisten Fällen relativ eng vordefiniert: Es gibt ein Briefing, das ein Ergebnis langer Entscheidungsprozesse im Unternehmen oder der jeweiligen Organisation ist, um bspw. ein neues Produkt (als Line Extension, als Diversifikation, als …) am Markt zu platzieren oder, mindestens genauso häufig, ein existierendes Produkt zu überarbeiten, um es im Sinne seines Lifecycles zu aktualisieren oder gemäß einer schärferen oder neuen Zielgruppendefinition oder Marktsegmentanalyse zu lancieren. Die in nahezu allen wissenschaftlichen Einlassungen zum Prozess des Designens idealisierte Beschreibung des Vorgehens und designerischen Denkens greift in geschätzten 90 % aller Designaufgaben gar nicht. In diesem Alltag sind Designer:innen erst am Schluss in die Produktentwicklung, in die Produktausstattung oder die Produkt-

140

Design und Transformation

inszenierung involviert, weil die vorgeblich objektiven Vorgaben aus dem Markt kommen: Marktanteile, Konkurrenzprodukte, Preispolitik etc. Der Markt bestimmt, ob und wann und wie designt wird.1 Es gibt Menschen und Theorien, die das völlig in Ordnung und nachgerade natürlich finden, weil der Markt alles abbilde, was in einer Gesellschaft an Gütern, Werten und Inhalten getauscht wird. Man kann aber auch, wie weiter oben im Buch dargelegt, fragen, ob der Markt die Bedürfnisse der Menschen, die in dieser Logik nur Konsumenten und Zielgruppen sind, realistisch abbildet oder ob Produktentwicklung im engen und Problemlösungen im weiten Sinn unter Marktverhältnissen nur eine verzerrte Wiedergabe von menschlichen Vorstellungen sind. Die Mehrheit aller existierenden Produkte und Dienstleistungen existieren, weil sie durch spezielle, dem Markt inhärente Mechaniken produziert wurden, nicht, weil sie notwendig, sinnvoll, nützlich oder attraktiv wären. Die scheinbare Vielfalt, die ein Sammelsurium von Artefakten, Systemen und Services ist, die an Menschen vorbei konzipiert, designt, produziert und distribuiert wurde, wird nachträglich als Auswahl verklärt, die nun wirklich keinen Wunsch offenlasse. Und der Erfolg mancher Dinge, der ja angeblich der Sache recht gibt, basiert auf immensen Adaptationsleistungen der User, die schließlich mit irgendetwas zurechtkommen müssen; anders ist der Erfolg (im Sinne von Marktanteil) vieler Betriebssysteme und ihrer Oberflächen, hochverarbeiteter Nahrungsmittel, Transportmittel, Telekommunikations- und Finanzdienstleistungen u.v.m. nicht zu erklären. Mit dem Beginn der Industrialisierung, und damit auch dem Beginn des Industrial Design als eigener Stufe im Prozess der Produktentwicklung, ist das Prinzip der Differenzierung eingezogen: Das gesamte Potential möglicher Käufer:innen wird segmentiert in Geschlecht, Alter, Klasse und das Warenangebot daraufhin ausgerichtet2 . Aus einer betriebswirtschaftlich-behaviouristischen Perspektive mag 1

Dazu auch Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012, S. 21

2

Forty, Adrian: Objects of Desire. Design and Society since 1750. London. 2005, S. 62f. Im Jahr 1895 hatte das amerikanische Versandunternehmen Montgomery Ward bereits 131 verschiedene Taschenmesser im Angebot.

Fünf oder ein Nachwort: Designpraxis und ökonomische Zwänge

das als sinnvoll erachtet und als käuferzentriert bezeichnet werden. Man kann sich fragen, warum es ein Jahrhundert gedauert hat, bis die Idee des Human-Centred Design geboren wurde, aber auch, was Design vorher war und bzw. heute noch ist: Technology Centred? Market Centred? Was kann ein menschzentriertes Design unter kapitalistischen Bedingungen leisten? So lange in der Kategorie Produkt gedacht wird, was unter Marktgesichtspunkten zu geschehen hat, ist jedes menschzentrierte Design eine Optimierung für den Markt, nicht für Menschen. Marketing und Werbung entwickeln Antworten auf Fragen und Nutzen, die sie selbst definiert haben, um bei den Verbrauchern (und nicht bei den Menschen) ein Schein-Bewusstsein zu erzeugen, dass dafür sorgt, fremde Nutzen als die eigenen zu akzeptieren – ein klassischer Fall von Verblendung und Fremdbestimmung.3 Durch den Einsatz von Design Thinking-Techniken werden vielleicht neue Gaga-Tiefkühlpizzen designt4 ; oder Start-ups, deren Gründer vordem Mitarbeiter von Consulting-Firmen waren, designen Geschäftsmodelle, die darin bestehen, Lebenszusammenhänge verkürzt, digitalisiert und als neue Lösung eines angeblichen Problems zu monetarisieren5 . Die Menschzentriertheit dieser Geschäftsmodelle ist weiterhin

3

Löbach, Bernd: Design aus Sicht des Theoretikers – gegen die totale Vermarktung des Lebens. In: ders.: Kritische Designtheorie. Cremlingen. 2001, S. 92 ff (2001a); Löbach, Bernd: Entwerfen – eine ideologiekritische Betrachtung. In: ders.: Kritische Designtheorie. Cremlingen. 2001 (2001c), S. 198; Papanek, Victor: Design for the Real World. London. 2019, S. 54ff. In seiner Arbeit über die Ideologie und Praxeologie des Design Thinking am Beispiel einer Berliner Agentur beschreibt Tim Seitz den Zirkelschluss ähnlich: »Design Thinking sucht also nach Lösungen für Probleme, die es selbst kreiert«. Seitz, Tim: Design Thinking und der neue Geist des Kapitalismus. Soziologische Betrachtungen einer Innovationskultur. Bielefeld. 2017, S. 74

4

Mglw. als Vorgriff auf die vielbeschworene ›Industrie 4.0‹ mit Hilfe von userzentrierten Onlinetools.

5

Um beim Thema Nahrung und Essen zu bleiben: Das schwedische Unternehmen HelloFresh, ein Rezept-, Einkaufs- und Lieferservice für Essen, das man dann zuhause zubereitet, schreibt auf seiner Website: »HelloFresh is at the forefront of disrupting a multitrillion dollar industry at the very be-

141

142

Design und Transformation

Konsumentenzentriertheit; der Mensch ist lediglich eine dinglich verkürzte Variante aus Sicht des Marktes. Welzer beschreibt diese (Design-)Haltung als »Antworten auf Fragen, die nie gestellt wurden und auch gar nicht gestellt werden müssen«6 . Objekte und Produkte sind integrale, basale Bausteine und Mittel, um viele (allerdings bei weitem nicht alle) Handlungen auszuführen und sinnvoll zu machen in Bezug auf erfolgreiches, sinnstiftendes, sozial eingebettetes und erinnertes Handeln. Aber die Objekte sind nie die Handlung, auch wenn im Alltag die Objekte als Zeichen für Handlungen erscheinen. Lebenszusammenhänge sind Tätigkeiten, Atmosphären, Gefühle und Empfindungen, die sich der Objekte bedienen, aber niemals in Objekten erschöpfen. Das versuchen die Produkte aber zu suggerieren: ›Ich bin genug, um einen Lebenszusammenhang darzustellen – kauf mich.‹ Wie sonst sollte der bedingte Gebrauchswert eines Dings seinen potenziellen Käufer:innen vermittelt werden als über Glücks- und Erfolgsversprechen, die nur eintreten, wenn Produkt X oder Service Y erworben werden? Um es kurz zu machen: Eine Transformation von Lebensstilen, eine Transformation unseres Konsumverhaltens muss zwangsläufig am Design, aber auch an der Nutzung, am Erwerb und am Austausch von Produkten und Services ansetzen. Mit Lucius Burckhardt kann man der Meinung sein, dass Design sich vor allem mit der Beeinflussung »kooperierender Subsysteme«7 zu befassen habe, damit es erfolgreich im Sinne akzeptierter und sinnvoller Nutzung wird. Diese Aufgabe, die Designer:innen in aller Regel gerne annehmen würden, steht aber noch aus, denn bis heute werden Gestaltungspraktiker vor allem als »von Verantwortung befreite Ideenlieferanten« eingesetzt, wie Lucius Burckhardt ebenfalls treffend bemerkt hat.8 ginning of its online transition.« https://www.hellofreshgroup.com/websit es/hellofresh/English/100/investor-relations.html 6

Welzer, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt. 2013, S. 196

7

Burckhardt, Lucius: Das unsichtbare Design. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012 (2012b), S. 34

8

Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012 (2012a), S. 21

Biografische Notiz

Meine praktische und theoretische Auseinandersetzung mit Design ist von zwei Menschen im Besonderen gefördert und geprägt worden. Ihr Wirken liegt lange zurück, aber sie sollen nicht vergessen werden: Thomas Leich hat mich im Kunstunterricht kritisch und herausfordernd mit Design als Praxis bekannt gemacht und begeistert. Werner Durth hat mir an der Universität mit seinen Seminaren zur Umweltgestaltung einen gesellschaftswissenschaftlichen und ganzheitlichen Blick auf Architektur und Design vermittelt, der mich stark geprägt hat. Ich möchte damit aus Sicht von Lernenden wie von Lehrenden den ›Impact‹ guter Lehre betonen.

Bibliografie

Adorno, Theodor W.: Funktionalismus heute. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt. 1981 Banz, Claudia: Zwischen Widerstand und Affirmation. Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016 Bardzell, J. and Bardzell, S: Humanistic HCI. San Rafael CA. 2015 Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt 2010 Barthes, Roland: Elemente der Semiologie. Frankfurt 1982 Baudrillard, Jean: Die Agonie des Realen. Berlin 1978 Bies, Michael: 1962. Claude Lévy-Strauss und das wilde Basteln. In: Zanetti, Sandro (Hg.): Improvisation und Invention. Momente, Modelle, Medien. Zürich, Berlin. 2014, S. 205–216 Beuker, Nicolas: Transformation Design: A Piecemeal Situation Change. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 (2016a) Beuker, Nicolas: Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünfte. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Frankfurt. 1995 Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt. 1987 Bradbury, Dominic: Midcentury Modernism Complete. New York. 2014 Brock, Bazon: Avantgarde und Mythos. Möglichst taktvolle Kulturgesten vor Venedigheimkehrern. In: Kunstforum International, Bd. 40/1980, S. 86ff. Köln. 1980

146

Design und Transformation

Buchholz, Kai u. Theinert, Justus: Designlehren. Wege deutscher Gestaltungsausbildung. Stuttgart. 2007 Bürdek, Bernhard E.: Design. Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung. Basel. 2005 Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012 (2012a) Burckhardt, Lucius: Das unsichtbare Design. In: Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft & Pädagogik. Berlin. 2012 (2012b) Burns, Cottam, Vanstone, Winhall: Transformation Design (RED Paper 02). London 2006. http://www.designcouncil.org.uk/RED/t ransformationdesign Caspers, Markus. Designing Motion. Automobile Designers 1880–1980. Basel. 2016 Cross, Nigel: Designerly Ways of Knowing: Design Studies Vol 3, no 4, October 1982, pp. 221–227 Cross, Nigel: Designerly Ways of Knowing: Design Discipline Versus Design Science. Design Issues: Volume 17, Number 3. Cambridge/Mass. 2001 Dorst, Kees: The Core of Design Thinking and its Application. In: Design Studies Vol. 32, No. 6, S. 521–532. Amsterdam. 2011 Dunne, Anthony: Hertzian Tales. Electronic Products, Aesthetic Experience, and Critical Design. Cambridge. 2008 Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München. 1991 Ehn, Pelle et al. (Hg.): Making Futures. Cambridge. 2014 Eisendle, R., Miklautz, E. (Hg.): Produktkulturen. Dynamik und Bedeutungswandel des Konsums. Frankfurt/New York. 1992 Erlhoff, Michael: Owls to Athens, or: The discrete Charm of Transformation Design. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 Erni, Peter: Die gute Form. Baden. 1983 The European Commission: Umsetzung eines Aktionsplans für designorientierte Innovation. Brüssel. 2013. https://ec.europa.eu/gr owth/industry/innovation/policy/design_en Ewenstein, Boris und Whyte, Jennifer: Wissenspraktiken im Design. Die Rolle visueller Repräsentationen als »epistemische Objekte«.

Bibliografie

In: Mareis et al. (Hg.): entwerfen, wissen, produzieren. Designforschung im Anwendungskontext. Bielefeld. 2010, S. 47–80 Feige, Daniel Martin: Design. Eine philosophische Analyse. Berlin. 2018 Feige, Daniel Martin: Zur Dialektik des Social Design. Hamburg. 2019 Forty, Adrian: Objects of Desire. Design and Society since 1750. London. 2005 Fry, Tony: Design Futuring. Sustainability, Ethics and New Practice. Oxford. 2009 Frayling, Christopher: Research in Art and Design. Royal Collage of Art Research Papers, 1–1994/4 (London) Gabo, Naum: Gestaltung? In: Bauhaus 4/1928, S. 2–7. Dessau. 1928 Geiger, Annette: Social Design – ein Paradox? In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016 Giacomin, Joseph: Human Centred Design of 21st Century Automobiles. In: ATA Ingegneria dell’Autoveicolo (Ed. Nov. 2012) Torino. 2012 Hassenzahl, Marc: Experience Design. Technology for All the Right Reasons. San Rafael, CA. 2010 Haug, Norbert Fritz: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt. 1971 Helbig, Gerhard: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Leipzig. (1973) 1986 Hellmann, Kai-Uwe: Soziologie der Marke. Frankfurt. 2003 Hepper, Erica & Ritchie, Timothy & Sedikides, Constantine & Wildschut, Tim: Odyssey’s End: Lay Conceptions of Nostalgia Reflect Its Original Homeric Meaning. Emotion (Washington, D.C. 2012). 12. 102–19. 10.1037/a0025167. Heubach, Friedrich Wolfgang: Produkte als Bedeutungsträger: Die heraldische Funktion von Waren. In: Eisendle, R., Miklautz, E. (Hg.): Produktkulturen. Dynamik und Bedeutungswandel des Konsums. Frankfurt/New York 1992, S. 177 – 197 Hoffmann-Axthelm, Dieter: Sinnesarbeit. Nachdenken über Wahrnehmung. Frankfurt/New York. 1987 Holzkamp, Klaus: Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Frankfurt. (1973) 1986

147

148

Design und Transformation

Hölscher et al.: Transition versus transformation: What’s the difference? Environmental Innovation and Societal Transitions Volume 27, June 2018, S. 1–3 (https://doi.org/10.1016/j.eist.2017.10.0 07) Horkheimer, Max, Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt. 1969 Hugentobler, Hans Kaspar et al. (Hg.): Designwissenschaft und Designforschung. Ein einführender Überblick. Luzern. 2008 Huppatz, DJ: Revisiting Herbert Simon’s »Science of Design«. In: DesignIssues Vol. 31, No. 2, 2015 (MIT 2015) Irwin, T.; Tonkinwise, C.; Kossof, G.: Transition Design. An Educational Framework for Advancing the Study and Design of Sustainable Transitions. Pittsburgh. 2015 Jaspersen, Thomas: Produktwahrnehmung und stilistischer Wandel. Frankfurt/New York. 1985 Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 Jonas, Wolfgang: Social Transformation Design as a Form of Research Through Design (RTD): Some historical, theoretical, and methodological remarks. In: Jonas, W., Zerwas S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 Junge, Matthias: Kultursoziologie. Eine Einführung in die Theorien. Konstanz. 2009 Kebeck, Günther, Schroll, Henning: Experimentelle Ästhetik. Wien. 2011 Kern, Petra, und Kern, Ulrich: Die Zukunft ist nicht von gestern … aber vielleicht eines Tages die Designer/innen? In: Öffnungszeiten, 30/2016, S. 16–29. Kassel. 2016 Kollmorgen, Raj: Gesellschaftstransformation als sozialer Wandlungstyp: eine komparative Analyse. Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst soFid, Politische Soziologie 2006/1, 9–30. Kollmorgen, Raj, Wagener, Hans-Jürgen; Merkel, Wolfgang (Hg.): Handbuch Transformationsforschung. Wiesbaden. 2015 Kraus, Tabea: Design in gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Handlungsmöglichkeiten des Designs in transdisziplinären

Bibliografie

Projekten zur Förderung einer sozialökologischen Gesellschaftstransformation. Schwäbisch-Gmünd. 2015 Kries, Mateo: Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung. Berlin. 2010 Krippendorff, Klaus: Die semantische Wende. Basel. 2013 Law, Effie L.C. et al.: Understanding, Scoping and Defining User eXperience: A Survey Approach. CHI 2009, April 4–9, 2009, Boston, MA. Lessenich, Stephan: Neben uns die Sintflut. Wie wir auf Kosten anderer leben. München. 2016 Levi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt 1973 Löbach, Bernd: Design aus Sicht des Theoretikers – gegen die totale Vermarktung des Lebens. In: ders.: Kritische Designtheorie. Cremlingen. 2001 (2001a) Löbach, Bernd: Entwerfen – eine ideologiekritische Betrachtung. In: ders.: Kritische Designtheorie. Cremlingen. 2001 (2001c) Manzini, Ezio: A Cosmopolitan Localism: Prospects for a Sustainable Local Development and the Possible Role of Design. In Hazel Clark and David Brody (eds), Design Studies: A Reader. New York. 2009 Mareis, Claudia/Joost, Gesche/Kimpel, Kora (Hg.): entwerfen, wissen, produzieren. Designforschung im Anwendungskontext. Bielefeld. 2010 Mareis, Claudia: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960. Bielefeld. 2011 Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Köln. 2005 (1872) Meyer, Hannes: Bauen. In: Bauhaus 4/1928, S. 12–14. Dessau. 1928 Mitrovic, Ivica; Auger, James; Hanna, Julien; Helgason, Ingi (Hg.): Beyond Speculative Design: Past, Present, Future. Split. 2021 Moholy-Nagy, Laslo: Vision in Motion. Chicago. 1946 Norman, Donald: The Design of Everyday Things. Cambridge. 2013 Orr, David W.: The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intention. Oxford. 2004 Packard, Vance: The Hidden Persuaders. New York/London. 1957 Papanek, Victor: The Green Imperative: Ecology and Ethics in Design and Architecture. London. 1995

149

150

Design und Transformation

Papanek, Victor: Design for the Real World. London. 2019 Piketty, Thomas. Das Kapital im 21. Jahrhundert. München. 2018 Poerschke, Ute: Hannes Meyer – Connecting Ethics and Poetics, McGill University 2007 – 1/8 (Conference Paper; http://www.ar ch.mcgill.ca/theory/conference/papers.htm) Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Frankfurt. 1987 Polanyi, Michael: Implizites Wissen. Frankfurt. 1985 Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität. Frankfurt. 2012 Rerich, M./Voß, G.: Vexierbild täglicher Ungleichheit. Die Bedeutung alltäglicher Lebensführung für die Sozialstrukturanalyse. In: Hradil, Stefan (Hg.): Zwischen Bewusstsein und Sein. Die Vermittlung »objektiver« Lebensbedingungen und »subjektiver« Lebensweisen. Opladen. 1992, S. 251–266 Richardson, Irwin, Sherwin: Design and Sustainability. A Scoping Report. Commissioned by the British Design Council, DEFRA and DTI. UK Design Council. 2005 Rittel, Horst W. J. and Webber, Melvin M.: Dilemmas in a General Theory of Planning. In: Policy Sciences 4 (1973), S. 155–169 Amsterdam Rölli, Marc: Design als soziales Phänomen. Wider das funktionalistische Paradigma. In: Banz, Claudia (Hg.) Social Design. Bielefeld. 2016 Rockström et al.: Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity. In: Ecology and Society Vol. 14, No.2, Art. 32, Stockholm. 2009 Rosenberg, Daniel: Transformational Design. A mindful Practice for Experience-driven Design. Cambridge. 2015 Romero-Tejedor, Felicidad u. Jonas, Wolfgang (Hg.): Positionen zur Designwissenschaft. Kassel. 2010 Romero-Tejedor, Felicidad: Horst Rittels Planungsdenken: Ein Modell für Design? In: Öffnungszeiten 29/2015. Kassel. 2015, S. 72–84 Sangiorgi, Daniela: Transformative Services and Transformation Design. International Journal of Design, 5(2), S. 29–40. (2011)

Bibliografie

Scheffler, Tanja: Kollektiv Bauen. Hannes Meyer im Bauhaus Dessau. Bauwelt 25/2015, S. 2–3 Schmidt-Bleek, F. und Tischner, U.: Produktentwicklung – Nutzen gestalten – Natur schonen. Wuppertal Institut, Wuppertal. 1995, S. 5 Schön, Donald A.: The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. Aldershot. 1991 Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt. 1992 Seitz, Tim: Design Thinking und der neue Geist des Kapitalismus. Soziologische Betrachtungen einer Innovationskultur. Bielefeld. 2017 Selle, Gert: Design-Geschichte in Deutschland. Produktkultur als Entwurf und Erfahrung. Köln. 1987 Selle, Gert: Produktkultur als gelebtes Ereignis. In: Eisendle, R., Miklautz, E. (Hg.): Produktkulturen. Dynamik und Bedeutungswandel des Konsums. Frankfurt/New York. 1992, S. 159–175 Shedroff, Nathan: Design Is The Problem. The Future Of Design Must Be Sustainable. New York. 2009 Simmel, Georg: Philosophie der Mode. Berlin. 2018 (1905) Simon, Herbert: The Sciences of the Artificial. Cambridge. 1996 (3rd ed.) Sommer, B. und Welzer, H.: Transformation Design: A social-ecological Perspective. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 Steen, Marc: The Fragility of Human-Centred Design. Amsterdam 2008 Steffen, Dagmar: Praxisintegrierende Designforschung und Theoriebildung. Wuppertal 2011 (Diss.) urn:nbn:de:hbz:468-20130118124233-9 Stephan, Peter F.: Designing »Matters of Concern« (Latour): A Future Design Challenge?. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 Stengel, O., van Looy, A., Wallaschkowsky, S. (Hg.): Digitalzeitalter, Digitalgesellschaft. Wiesbaden. 2017

151

152

Design und Transformation

Tonkinwise, Cameron: Design for Transitions – from and to what? Conference Paper, RISD 2015; http://www.cd-cf.org/articles/de sign-for-transitions-from-and-to-what/ Veblen, Thorstein: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt. 1986 Verbeek, Pieter Paul: What Things do. Philosophical Reflections on Technology, Agency, and Design. Pennsylvania. 2005 Vollmers, B. Implizites Wissen (Tacit Knowing) als phänomenologische Theorie – Konsequenzen für eine kompetenzorientierte Lehrerausbildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1–11. (2014) Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen. 1980 (1921) Weber, Max: Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus. Weinheim. 1996 (1904/1920) Welsch, Wolfgang: Zur Aktualität ästhetischen Denkens. In: Ästhetisches Denken. Stuttgart. 2003, S. 42–78 (2003a) Welsch, Wolfgang: Perspektiven für das Design der Zukunft. In: Ästhetisches Denken. Stuttgart. 2003, S. 201–218 (2003b) Welzer, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt. 2013 Weymann, Ansgar: Sozialer Wandel. Theorien zur Dynamik der modernen Gesellschaft. Weinheim. 1998 White, Damian: Critical Design and the Critical Social Sciences: or why we need to engage multiple, speculative critical Design Futures in a post-political and post-utopian Era (2015) https://th efuturebydesignatrisd.wordpress.com/2015/02/17/critical-desi gn-and-the-critical-social-sciences/#_edn6 Whiteley, Nigel. Design for Society. London. 1993 Wood, John: Collective Metamorphosis: A Combinatorial Approach to Transformations Design. In: Jonas, W., Zerwas, S., von Anshelm, K. (Hg.): Transformation Design. Perspectives on a New Design Attitude. Basel. 2016 Woodham, Jonathan M.: Twentieth Century Design. Oxford. 1997

Architektur und Design Daniel Hornuff

Die Neue Rechte und ihr Design Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft 2019, 142 S., kart., 17 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4978-9 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4978-3

Bianca Herlo, Daniel Irrgang, Gesche Joost, Andreas Unteidig (eds.)

Practicing Sovereignty Digital Involvement in Times of Crises January 2022, 430 p., pb., col. ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-5760-9 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5760-3

Christoph Rodatz, Pierre Smolarski (Hg.)

Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität. Beiträge zu einem Public Interest Design 2021, 234 S., kart. 29,00 € (DE), 978-3-8376-5784-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5784-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Architektur und Design Tim Kammasch (Hg.)

Betrachtungen der Architektur Versuche in Ekphrasis 2020, 326 S., kart., 63 SW-Abbildungen 30,00 € (DE), 978-3-8376-4994-9 E-Book: PDF: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4994-3

Christophe Barlieb, Lidia Gasperoni (Hg.)

Media Agency – Neue Ansätze zur Medialität in der Architektur 2020, 224 S., Klappbroschur, 67 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4874-4 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4874-8

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Elena Beregow, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Annekathrin Kohout, Nicolas Pethes, Miriam Zeh (Hg.)

POP Kultur und Kritik (Jg. 10, 2/2021) 2021, 176 S., kart. 16,80 € (DE), 978-3-8376-5394-6 E-Book: PDF: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-5394-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de