Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Sammelband der Gutachten von 1998 bis 2007 9783110505405, 9783828204232

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Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Sammelband der Gutachten von 1998 bis 2007
 9783110505405, 9783828204232

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
I. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
II. Vorwort des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie
III. Gutachten 1998 bis 2007
Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998. Thema: „Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“
Gemeinsame Stellungnahme der Wissenschaftlichen Beiräte beim BMF und BMWi vom 2. Oktober 1998. Thema: „Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer“
Gutachten vom 18. und 19. Dezember 1998. Thema: „Neuordnung des Finanzierungssystems der Europäischen Gemeinschaft“
Brief vom 19. und 20. Februar 1999 an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Werner Müller. Thema: „Wechselkurszielzonen“
Gutachten vom 15. und 16. Oktober 1999. Thema: „Offene Medienordnung“
Gutachten vom 26. und 27. Mai 2000. Thema: „Aktuelle Formen des Korporatismus“
Gutachten vom 01. Juli 2000. Thema: „Reform der europäischen Kartellpolitik“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Werner Müller vom 16. Dezembert 2000. Thema: „Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“
Gutachten vom 6. Juli 2001. Thema: „Wettbewerbspolitik für den Cyberspace“
Gutachten vom 12. Januar 2002. Thema: „,Daseinsvorsorge‘ im europäischen Binnenmarkt“
Gutachten vom 28729. Juni 2002. Thema: „Reform des Sozialstaats für mehr Beschäftigung im Bereich gering qualifizierter Arbeit“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement vomf 10711. Oktober 2002. Thema: „Personal-Service-Agenturen (PSA)“
Gutachten vom 15716. November 2002. Thema: „Die Hartz-Reformen - ein Beitrag zur Lösung des Beschäftigungsproblems?“
Gutachten vom 11. Oktober 2003. Thema: „Tarif autonomie auf dem Prüfstand“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement vom 6. Dezember 2003. Thema: „Europäische Verfassung“
Gutachten vom 16. Januar 2004. Thema: „Zur Förderung erneuerbarer Energien“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement vom 17. Januar 2004. Thema: „Ausbildungsplatzabgabe“
Gutachten vom 24. April 2004. Thema: „Keine Aufweichung der Pressefusionskontrolle“
Gutachten vom 18. März 2005. Thema: „Alterung und Familienpolitik“
Gutachten vom 8. Juli 2005. Thema: „Zur finanziellen Stabilität des Deutschen Föderalstaates“
Gutachten vom 21. Januar 2006. Thema: „Der deutsche Arbeitsmarkt in Zeiten globalisierter Märkte“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 18. März 2006. Thema: „Mindest- und Kombilöhne“
Gutachten vom 12713. Mai 2006. Thema: „Mehr Wettbewerb im System der Gesetzlichen Krankenversicherungen“
Gutachten vom 16. September 2006. Thema: „Mehr Vertragsfreiheit, geringere Regulierungsdichte, weniger Bürokratie“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 20. November 2006. Thema: „Wettbewerbsverhältnisse und Preise der deutschen Energiewirtschaft“
Brief ari den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 24. Januar 2007. Thema: „Gesundheitsreformgesetz“
Gutachten vom 24. März 2007. Thema: „Patentschutz und Innovationen“
Gutachten vom 12. Mai 2007. Thema: „Öffentliches Beschaffungswesen“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 7. Juli 2007. Thema: „Gesetzentwurf Wagniskapitalbeteiligung (WKBG) und Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG)“
Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 17. Dezember 2007. Thema: „Schuldenbegrenzung nach Artikel 115 GG“
Anhang 1: Satzung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft
Anhang 2: Chronik - Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (Gründung: 23.1.1948)

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Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Sammelband der Gutachten von 1998 bis 2007

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

Sammelband der Gutachten 1998 bis 2007

Herausgegeben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

LUCIUS L U C I U S

« Stuttgart, 2 0 0 8

Bisher erschienen folgende Einzelbände: 1.

Band: Gutachten 1948 bis Mai 1950

2.

Band: Gutachten vom Juni 1950 bis November 1952

3.

Band: Gutachten vom Dezember 1952 bis November 1954

4.

Band: Gutachten vom Januar 1 9 5 5 bis Dezember 1 9 5 6

5.

Band: Gutachten vom Januar 1 9 5 7 bis März 1961

6.

Band: Gutachten vom April 1961 bis März 1966

7.

Band: Gutachten vom Juni 1966 bis Dezember 1972

8.

Band: Gutachten vom März 1973 bis November 1 9 7 5

9.

Band: Gutachten vom November 1 9 7 6 bis November 1 9 7 7

10.

Band: Gutachten vom Dezember 1978 bis Februar 1 9 8 0

11.

Band: Gutachten vom Januar 1981 bis Juni 1983

12.

Band: Gutachten vom Dezember 1984 bis Dezember 1986

13.

Band: Gutachten vom Juni 1 9 8 7 bis März 1990

14.

Band: Gutachten vom Juni 1990 bis Juli 1992

15.

Band: Gutachten vom August 1994 bis Juni 1 9 9 7

15.

Band: Gutachten vom August 1 9 9 4 bis Juni 1 9 9 7

16.

Band: Gutachten vom Februar 1998 bis Juli 2 0 0 0

17.

Band: Gutachten vom Dezember 2 0 0 0 bis Dezember 2 0 0 6

(Die Bände 1 - 1 4 sind vergriffen)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.ddb.de abrufbar © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH · Stuttgart · 2 0 0 8 Gerokstraße 51 · D - 7 0 1 8 4 Stuttgart · www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: TZ-Verlag & Print GmbH, Roßdorf Printed in Germany ISBN 9 7 8 - 3 - 8 2 8 2 - 0 4 2 3 - 2

Inhaltsverzeichnis I.

Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats

II.

Vorwort des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie

IX

XIII

III. Gutachten 1998 bis 2007 Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998 Thema: „Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung" 1941 Gemeinsame Stellungnahme der Wissenschaftlichen Beiräte beim BMF und BMWi vom 02. Oktober 1998 Thema „Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer"

2001

Gutachten vom 18. und 19. Dezember 1998 Thema „Neuordnung des Finanzierungssystems der Europäischen Gemeinschaft"

2005

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Werner Müller vom 19. und 20. Februar 1999 Thema „Wechselkurszielzonen"

2043

Gutachten vom 15. und 16. Oktober 1999 Thema „Offene Medienordnung"

2047

Gutachten vom 26. und 27. Mai 2000 Thema „Aktuelle Formen des Korporatismus"

2077

Gutachten vom 01. Juli 2000 Thema „Reform der europäischen Kartellpolitik"

2105

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Werner Müller vom 16. Dezember 2000 Thema „Reform der gesetzlichen Rentenversicherung"

2115

V

Gutachten vom 06. Juli 2 0 0 1 Thema „Wettbewerbspolitik für den Cyberspace"

2117

Gutachten vom 12. Januar 2 0 0 2 Thema „,Daseinsvorsorge1 im europäischen Binnenmarkt"

2163

Gutachten vom 28./29. Juni 2 0 0 2 Thema „Reform des Sozialstaats für mehr Beschäftigung im Bereich gering qualifizierter Arbeit"

2185

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement vom 10./11. Oktober 2 0 0 2 Thema „Personal-Service-Agenturen"

2241

Gutachten vom 15./16. November 2 0 0 2 Thema „Die Hartz-Reformen - ein Beitrag zur Lösung des Beschäftigungsproblems?"

2245

Gutachten vom 11. Oktober 2003 Thema

„Tarifautonomie auf dem Prüfstand"

2263

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement vom 6. Dezember 2003 Thema

„Europäische Verfassung"

2296

Gutachten vom 16. Januar 2 0 0 4 Thema

„Zur Förderung erneuerbarer Energien"

2299

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement vom 17. Januar 2 0 0 4 Thema

„Ausbildungsplatzabgabe"

Gutachten vom 24. April 2 0 0 4 Thema „Keine Aufweichung der Pressefusionskontrolle"

2313

2317

Gutachten vom 18. März 2 0 0 5 Thema „Alterung und Familienpolitik" VI

2337

Gutachten vom 8. Juli 2005 Thema „Zur finanziellen Stabilität des Deutschen Föderalstaates"

2385

Gutachten vom 21. Januar 2006 Thema „Der deutsche Arbeitsmarkt in Zeiten globalisierter Märkte"

2429

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 18. März 2006 Thema „Kombi- und Mindestlöhne"

2463

Gutachten vom 12./13. Mai 2006 Thema „Mehr Wettbewerb im System der Gesetzlichen Krankenversicherung"

2465

Gutachten vom 16. September 2006 Thema „Mehr Vertragsfreiheit, geringere Regulierungsdichte, weniger Bürokratie"

2485

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 20. November 2006 Thema „Wettbewerbsverhältnisse und Preise der deutschen Energiewirtschaft"

2497

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 24. Januar 2007 Thema „Gesundheitsreformgesetz"

2505

Gutachten vom 24. März 2007 Thema „Patentschutz und Innovationen"

2507

Gutachten vom 12. Mai 2007 Thema „Öffentliches Beschaffungswesen"

2539

VII

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 7. Juli 2007 Thema „Gesetzentwurf Wagniskapitalbeteiligung (WKBG) und Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG)"

2567

Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 17. 12 2007 Thema „Schuldenbegrenzung nach Artikel 115 GG"

2575

Anhang 1: Satzung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft

2579

Anhang 2: Chronik - Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (Gründung: 23.1.1948)

2582

VIII

I. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Professor Axel Börsch-Supan, Ph.D. (seit 1999) Professor für Volkswirtschaftslehre, insbes. MakroÖkonomik und Wirtschaftspolitik Direktor des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel, Universität Mannheim (Vorsitzender) Professor Dr. Christoph Engel (seit 1997) Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgüter (Stellvertretender Vorsitzender) Professor Dr. Wernhard Möschel (seit 1987) Professor für Bürgerliches Recht, (Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Tübingen (Vorsitzender 1.5.2000 - 30.4.2004) Professor Dr. Dr. h.c. mult. Horst Albach (1967 - 2003) Professor em. für Betriebswirtschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin Professor Dr. Hermann Albeck (seit 1987) Professor em. für Volkswirtschaftslehre an der Universität Saarbrücken Professor Dr. Peter Bernholz (seit 1973) Professor em. für Nationalökonomie, insbesondere Geld- und Außenwirtschaft, an der Universität Basel Professor Dr. Norbert Berthold (seit 1995) Professor für Volkswirtschaftslehre an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität in Würzburg Professor Dr. Charles B. Blankart (seit 1993) Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin Professor Dr. Dres. h.c. Knut Borchardt (seit 1970) Professor em. für Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre an der Universität München Professor Dr. Friedrich Brey er (seit 2000) Professor für Volkswirtschaftslehre insbesondere Wirtschafts- und Sozialpolitik, an der Universität Konstanz Professor Dr. Claudia M. Buch (seit 2004) Professor für Wirtschaftstheorie, insbesondere Geld und Währung, an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen IX

Professor Dr. Ernst Dürr (seit 1974) Professor em. für Volkswirtschaftslehre an der Universität ErlangenNürnberg Professor Dr. Dr. h.c. Gérard Gäfgen (1970 - 2005) Professor em. für Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz Professor Dr. Hans Gersbach (seit 2005) Professor für Makroökonomie und Wirtschaftspolitik am Center of Economic Research at ΕΤΗ der Universität Zürich Professor Dr. Dr. h.c. mult. Herbert Giersch (1960 - 2007) Professor em. für Nationalökonomie, insbesondere für Wirtschaftspolitik, an der Universität Kiel Professor Dr. Jürgen von Hagen (seit 2001) Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn; Direktor am Institut für Internationale Wirtschaftspolitik Professor Dr. Dres. h.c. Heinz Haller (1965 - 2004) Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftstheorie an der Universität Zürich Professor Dietmar Harhoff, Ph.D. (seit 2004) Professor für Betriebswirtschaftslehre Vorstand des Instituts für Innovationsforschung, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Lud-wig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Dr. h.c. Herbert Hax (1985 - 2005) Professor em. für Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln Professor Dr. Dr. h.c. Martin Hellwig (seit 1995) Professor für Volkswirtschaftslehre Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Ge-meinschaftsgütern Professor Dr. Dr. h.c. Helmut Hesse (seit 1972) Präsident der Landeszentralbank in der Freien Hansestadt Bremen, in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt i.R. Hono-rarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Göttingen Professor Dr. Otmar Issing (seit 1980) Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank i.R., Frankfurt/Main Professor Dr. Eckhard Janeba (seit 2007) Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim Professor Dr. Dres. h.c. Norbert Kloten (1967 - 2006) Präsident der Landeszentralbank in Baden-Württemberg i.R. Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen X

Professor Dr. Günter Knieps (seit 1997) Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft und Regionalpolitik; Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Professor Dr. Dr. h.c. mult. Wilhelm Krelle (1973 - 2004) Professor em. für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Bonn Professor Dr. Dr. h.c. Ernst-Joachim Mestmäcker (1960 - 2006) Professor em., ehem. Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg Professor Dr. Manfred J. M. Neumann (seit 1992) Professor em. für Wirtschaftliche Staatswissenschaften, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Universität Bonn Professor Dr. Manfred Neumann (seit 1977) Professor em. für Volkswirtschaftslehre an der Universität ErlangenNürnberg Professor Regina T. Riphahn, Ph.D. (seit 2007) Professor für Statistik und empirische Wirtschaftsforschung FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg Professor Dr. Albrecht Ritsehl (seit 2004) Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin; Economic History Department, London School of Economics Professor Dr. Dr. h.c. mult. Helmut Schlesinger (seit 1994) Präsident der Deutschen Bundesbank i.R. Honorarprofessor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Professor Dr. Dr. h.c. Hans Schneider (1968 - 2003) Professor em. für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität zu Köln Professor Dr. Monika Schnitzer (seit 2001) Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Dr. h.c. Horst Siebert (seit 1985) Präsident des Instituts für Weltwirtschaft i.R., Professor für Theoretische Volkswirtschaftslehre an der Universität Kiel Professor Dr. Olaf Sievert (seit 1985) Präsident der Landeszentralbank in den Freistaaten Sachsen und Thüringen, Leipzig i.R., Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes

XI

Professor Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn (seit 1989) Präsident des Ifo-Instituts München Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München Professor Dr. Manfred E. Streit (seit 1989) Professor, Em. Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena Professor Dr. Roland Vaubel (seit 1993) Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim Professor Achim Wambach, Ph.D. (seit 2006) Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität zu Köln Professor Dr. Christian Watrin (seit 1971) Professor em. für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Köln Professor Dr. Carl Christian von Weizsäcker (seit 1977) Professor em. für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans F. Zacher (seit 1968) Professor em. für öffentliches Recht an der Universität München, em. Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht in München Ruhende Mitgliedschaften Professor Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz (seit 1992) Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim; Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim Professor Dr. Eberhard Wille (seit 1983) Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Universität Mannheim

II. Vorwort des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie

Am 23. Januar 2008 jährte sich die Gründung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zum sechzigsten Mal. In diesen 60 Jahren hat der Beirat mit insgesamt 146 Gutachten die Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland beraten. Eine stolze Zahl, doch nicht nur auf die Quantität kommt es hier an, die Qualität der Gutachten war es, mit denen der Beirat einen wertvollen Beitrag für die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik geleistet hat. Die Wirtschaftsminister als unmittelbare Adressaten der Beratung und der Beirat waren sich dabei über die wesentlichen Ziele und Instrumente der Wirtschaftspolitik weitgehend einig. Ludwig Erhard hat sie in seinem 1957 erschienen Buch „Wohlstand für alle" folgendermaßen formuliert: es gelte „alle einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Energien auf die Mehrung des Ertrags der Volkswirtschaft zu richten", um so „immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen." Wettbewerb war für ihn „das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstandes". Die weltweiten und nationalen Rahmenbedingungen, unter denen die Wirtschaftspolitik agiert, und die spezifischen Herausforderungen haben sich seither zum Teil deutlich geändert, die grundlegende Zielsetzung für mehr Wachstum und das Bekenntnis für den Wettbewerb als zentrales Element der Sozialen Marktwirtschaft ist aber über die Jahre hinweg gültig geblieben. Mehr Wachstum, sowohl quantitativ als auch qualitativ, mehr Beschäftigung und damit auch mehr Wohlstand für alle ist auch heute noch die oberste Zielsetzung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie. Der Beirat hat dabei entscheidend mitgeholfen. Seine Berichte waren stets eine Spiegel ihrer Zeit. Ein Blick auf die in diesem Band gesammelten insgesamt 30 Gutachten aus den Jahren 1998 bis 2007 verdeutlicht dies. Die Gutachten geben die Fragestellungen und Problemfelder der vergangenen zehn Jahre wider, mit denen die Wirtschaftspolitik konfrontiert war. Mit acht Gutachten zu wettbewerbspolitischen Themen setzte der Beirat seine ordnungspolitische Tradition auch in den vergangenen zehn Jahren fort. Europäische Aspekte spielten dabei eine wichtige Rolle. Einen breiteren Raum als in früheren Dekaden nahmen in den XIII

vergangenen zehn Jahren arbeitsmarkt- und sozialpolitische Themen bei den Gutachten des Beirats ein. Es war die Zeit, in der wichtige Reformen des Arbeitsmarktes und des Sozialversicherungssystems anstanden und der Beratungsbedarf der Wirtschaftspolitik entsprechend groß war. Zudem war von Ende 2002 bis Ende 2005 das neu zugeschnittene Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit für die Arbeitsmarktspolitik zuständig. Der Beirat hat mit jeweils sechs arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Gutachten Antworten auf Fragen zu diesen höchst bedeutsamen Themenkomplexen geliefert. Der Beirat ist in seiner Beratungstätigkeit völlig unabhängig. Das bedeutet konkret, dass der Beirat bei der Wahl seiner Themen ebenso wie bei der Wahl seiner Mitglieder frei ist. Die Mitgliedschaft im Beirat ist unbefristet. Seine Gutachten und Briefe werden ohne Ausnahme veröffentlicht, entweder als Einzelgutachten im Internet und als BMWi-Dokumentation, als broschürter Sammelband mehrerer Gutachten, oder als bibliophiler Leinenband zu bestimmten Anlässen, wie beispielsweise das dieses Jahr zu begehende sechzigjährige Jubiläum. Meine Vorgänger im Amt des Bundeswirtschaftsministers konnten ebenso wie ich bei der Verfolgung ihrer wirtschaftspolitischen Ziele immer wieder auf den Sachverstand des Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zurückgreifen. Dafür und für ihr großes Engagement in einer Funktion, die sie ehrenamtlich ausüben, danke ich den Mitgliedern des Beirats und insbesondere den in der Zeit von Jahresbeginn 1998 bis Jahresende 2007 amtierenden Vorsitzenden, Professor Dr. Manfred J.M. Neumann (von 1996 bis 2000), Prof. Dr. Wernhard Möschel (von 2000 bis 2004) und Prof. Axel Börsch-Supan (seit 2004). Berlin, im Januar 2008

XIV

Michael Glos

III. Wortlaut der Gutachten Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998 Thema: Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft hat sich in mehreren Sitzungen, zuletzt am 2 0 . und 2 1 . Februar 1 9 9 8 , mit dem Thema

Grundlegende Reform der gesetzlichen

Rentenversicherung

befaßt und ist dabei zu der nachfolgenden Stellungnahme gelangt.

I. Anlaß des Gutachtens (1) Die gesetzliche Rentenversicherung, ein Kernstück des deutschen Sozialstaates, treibt in die Krise, wenn nicht eine grundlegende Reform vorgenommen wird. Demographische und wirtschaftliche Veränderungen setzen das überkommene System der Umlagefinanzierung hohen Gefahren aus, die es nicht unbeschadet überstehen kann. Dieses Gutachten diskutiert diese Gefahren und entwickelt Strategien zu ihrer Abwendung.

1. Aktuelle Probleme (2) Schon in den letzten Jahren sind mehrere Probleme zusammengetroffen, die für sich die gesetzliche Rentenversicherung in Schwierigkeiten bringen. Die hohe Arbeitslosigkeit in den alten und insbesondere in den neuen Bundesländern führt zu einer Verminderung der Beitragszahlungen und zu ihrer Verlagerung auf die Bundesanstalt für Arbeit. Die Bundesanstalt übernimmt bis zu 8 0 Prozent der Beiträge, die bei Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses angefallen wären. Wenn die Sozialhilfe an die Stelle der Arbeitslosenunterstützung tritt, entfallen Beiträge zur Gänze. Der Versuch, einen Teil der Arbeitslosigkeit durch Frühverrentung aufzufangen, hat das Problem noch verschärft. Er hat eine doppelte Belastung der Rentenversicherung mit sich gebracht, weil einerseits Beiträge entfielen und andererseits zusätzliche Rentenansprüche entstanden. (3) Ein zweites Problem, das der Rentenversicherung zu schaffen macht, ist die Tendenz zur Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, die mehr und mehr zu beobachten ist und die Beitragsbasis erodiert. Statt unbefristeter und dauerhafter Beschäftigung werden befristete Beschäftigungsverhältnisse gesucht, statt Vollzeitarbeit Teilzeitarbeit und statt Teilzeit1941

Gutachten vom 2 0 . und 2 1 . Februar 1 9 9 8

arbeit geringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit einem Monatseinkommen von nicht mehr als 6 2 0 D M , die nicht versicherungspflichtig sind. Viele bislang abhängig Beschäftigte wechseln in die Selbständigkeit, um dem Zugriff des Sozialstaates zu entkommen. Nicht selten handelt es sich dabei um eine Scheinselbständigkeit. Die Ausweichreaktionen, die von den Sozialabgaben hervorgerufen werden und zu Finanzierungsproblemen bei der Rentenversicherung führen, gehen bis hin zu einem Verzicht auf reguläre Beschäftigung. Weitere Belastungen für die Rentenversicherung entstanden durch die deutsche Vereinigung und die Zahlung von Renten an Personen, die keine Beiträge entrichtet haben. Auch die großzügige Behandlung neuer Mitglieder, die Rentenanwartschaften für vergleichsweise geringe Beiträge erwerben konnten, hat zur Verschärfung der Problemlage beigetragen. Hier sind insbesondere Selbständige zu nennen, die rückwirkend freiwillig Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Wer von dieser Anfang der siebziger Jahre eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, dem erwuchsen bis zu dreimal so hohe Ansprüche als anderen aus der Zahlung von Pflichtbeiträgen.

2. Gefahren in Sicht: Das langfristige Problem (4) Die heutigen Schwierigkeiten der Rentenversicherung markieren den Beginn einer Entwicklung, die aus demographischen Gründen in den kommenden Dekaden noch erheblich an Brisanz gewinnen wird. Eine an kurzfristigen Wahlerfolgen orientierte Politik breiter politischer Gruppierungen neigt nicht dazu, das demographische Problem in seinen wahren Dimensionen aufzuzeigen. Dabei ist es mit hoher Sicherheit prognostizierbar. Wegen der Zunahme der Lebenserwartung, vor allem aber wegen der auch im internationalen Vergleich äußerst niedrigen Geburtenrate wird sich die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung bis in die dreißiger und vierziger Jahre des nächsten Jahrhunderts in extremem Maße zu Lasten der Rentenversicherung verschieben. Die Zahl der Alten relativ zu den Jungen wird sich, grob gesagt, verdoppeln. Im Rahmen des Umlageverfahrens erfordert dies eine Systemanpassung, die im Vergleich zu dem Zuwachs der Renten und Beiträge, der sich bei einer stabilen Bevölkerungsstruktur ergeben hätte, einen Kompromiß finden muß zwischen den Extremen einer Halbierung der Renten bei gleichen Beiträgen und einer Verdoppelung der Beiträge bei gleichen Renten. Ein solcher Kompromiß ist mit den Rentenreformgesetzen von 1 9 9 2 und 1 9 9 9 gesucht worden. Das ist positiv anzumerken. Der Beirat warnt aber vor der Auffassung, es sei durch solche und ähnliche Reformen 1942

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

möglich, die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu bewahren. Er plädiert in diesem Gutachten dafür, das Umlagesystem durch grundlegende Reformen in Richtung auf ein kapitalgedecktes System zu verändern. Nur solche Reformen sind in der Lage, den Zielkonflikt zwischen auskömmlichen Renten und niedrigen Beiträgen zu entschärfen. Auf diese Weise würden die dem Wirtschaftsstandort Deutschland und seiner marktwirtschaftlichen Ordnung drohende Gefahren abgewendet, soweit sie aus den Problemen der Rentenversicherung resultieren. (5) Deutschland hat ohnehin ein vielschichtiges Standortproblem. Die Abgabenlast ist insgesamt zu hoch, das Steuersystem ist übermäßig progressiv, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist nicht weit genug vorangeschritten, die Risikokapitalmärkte sind unterentwickelt, und ein Übermaß staatlicher Regulierung behindert die Entfaltung privater Initiative. Der Beirat hat diese Probleme in mehreren Gutachten identifiziert und energische Reformen gefordert. 1 Die demographisch bedingten Schwierigkeiten der Rentenversicherung treten zu den genannten Problemen hinzu. All das zusammengenommen ist verantwortlich für den Attentismus der Investoren, die fehlende Dynamik der Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit, die in Deutschland herrscht. Wer für die Zukunft eine hohe Belastung des Arbeitsmarktes durch überbordende und kaum noch beherrschbare Sozialabgaben befürchtet, der wird sich hüten, heute Entscheidungen zu treffen, die sein Kapital für lange Zeit von der Funktionsfähigkeit dieses Marktes abhängig machen. Nur eine illusionsfreie Analyse der Probleme und mutige Schritte zu ihrer Lösung sind geeignet, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen und die Weichen für mehr wirtschaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung zu stellen.

3. Die gesetzliche Rentenversicherung im Blickpunkt (6) Das Gutachten konzentriert sich auf das demographische Problem der Alterssicherung, und es beschränkt sich dabei auf die gesetzliche Rentenversicherung. Von der gesetzlichen Rentenversicherung werden etwa 80 Prozent der Erwerbspersonen erfaßt. Versicherungspflichtig sind Arbeiter und Angestellte, soweit ihr Monatseinkommen über der Mindestgrenze von 6 2 0 D M in den alten Bundesländern und 5 2 0 D M in den neuen Bundesländern liegt. Die gesetzliche Rentenversicherung zahlt Z u nennen sind u.a. folgende Gutachten der letzten J a h r e : Wagniskapital, Anstehende

große

Steuerreform,

1 9 9 6 ; Ordnungspolitische samtwirtschaftliche

November

Orientierung

Orientierung

Lohn- und Arbeitsmarktprobleme

für die Europäische

bei drohender

April 1 9 9 7 ;

1 9 9 6 ; Langzeitarbeitslosigkeit, finanzieller

Januar

Union, August 1 9 9 4 ; GeÜberforderung,

in den neuen Bundesländern,

Juli 1 9 9 2 ;

Juli 1 9 9 1 . 1943

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

eine Altersrente, eine Witwen- und Waisenrente sowie eine Rente wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit. Sie finanziert sich überwiegend durch Beiträge, die an die Bruttoarbeitsentgelte der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer geknüpft und je zur Hälfte von den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern aufzubringen sind. Derzeit liegt der Beitragsatz bei gut 20 Prozent des Bruttoentgelts. Ein Bundeszuschuß, der gut ein Fünftel der Gesamtausgaben von derzeit etwa 370 Mrd. D M deckt, dient der Finanzierung von Leistungen, die als versicherungsfremd angesehen werden, so zum Beispiel Kriegsfolgelasten, Kosten des Vorruhestandes, Anrechnungszeiten oder Krankenversicherungsbeiträge der Rentner. (7) Der Beirat stellt, wie die öffentliche, vor allem die politische Diskussion, die Situation der gesetzlichen Rentenversicherung in den Vordergrund. Das entspricht der zentralen Bedeutung, die der Rentenversicherung für die Alterssicherung in Deutschland zukommt. Die Alterssicherung ist jedoch ein sehr vielgestaltiges Phänomen und erschöpft sich nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die knappschaftliche Rentenversicherung, die Beamtenversorgung und die für gewisse Gruppen von Selbständigen eingerichteten Versorgungssysteme werden hier nicht betrachtet, wenngleich sie großenteils von den gleichen Problemen betroffen sind wie die gesetzliche Rentenversicherung. Die knappschaftliche Rentenversicherung für die abhängig Beschäftigten im Bergbau wird partiell durch eine Umlage, größtenteils aber durch einen steuergetragenen Bundeszuschuß finanziert. Die Pensionen der Beamten, Richter, Soldaten, Abgeordneten und Mitglieder der Regierungen des Bundes und der Länder werden direkt aus dem Staatshaushalt, also mit Steuermitteln finanziert. Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst sind hingegen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Gleiches gilt für Handwerker, insoweit sie der Versicherungspflicht unterliegen. Für gewisse Gruppen von Selbständigen sind verschiedene Systeme von Sockelfinanzierungen eingerichtet, die eine Grundsicherung bieten, die Vollsicherung jedoch der Eigenverantwortung der Betroffenen überlassen. Die Alterssicherung der Landwirte ist ein eigenständiges Sicherungssystem, das eine Teilsicherung bietet. Für freie Berufe haben die Länder zum Teil berufsständische Versorgungswerke eingerichtet, die unterschiedlich ausgestaltet sind. Die Probleme, die in diesem Gutachten angesprochen werden, bedürfen einer Lösung grundsätzlich für alle Bereiche rechtlich vorgeschriebener Alterssicherung. Jedoch ist offenkundig, daß die Lösungen bereichsspezifisch gesucht und unter Rücksicht auf die bereits vorhandenen Regelungen gestaltet werden müssen. Wenn sich die verantwortlichen Politiker entschließen, die Empfehlungen dieses Gutachtens in die Tat umzuset1944

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

zen, wird die Zeit gekommen sein, den Blickwinkel der Analyse über den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung hinaus auszudehnen.

Π. Die Krise und Wege, sie zu bewältigen (8) Die wichtigste Ursache der künftigen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung ist der ausgeprägte Geburtenrückgang, der in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren begann. Die deutsche Geburtenrate, die im letzten Jahrhundert im internationalen Vergleich sehr hoch war, gehört heute neben jener von Italien, Japan und Spanien zu den niedrigsten der Welt. Zehn Deutsche haben im Durchschnitt nicht einmal mehr sieben Nachkommen. Hinzu kommt ein erheblicher Anstieg der Lebenserwartung, wie er einem allgemeinen internationalen Trend entspricht. Noch vor 25 Jahren lag die durchschnittliche Lebenserwartung der westdeutschen Bevölkerung bei 70,5 Jahren. Heute beträgt die gesamtdeutsche Lebenserwartung 76,2 Jahre, was dem Durchschnitt in der Europäischen Union von 77 Jahren nahe kommt. Auch wenn man eine erhebliche Zuwanderung unterstellt, wird sich der langanhaltende Geburtenrückgang im Verein mit der Erhöhung der Lebenserwartung im Hinblick auf die Finanzierung der Renten in einer erheblichen Verschlechterung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung niederschlagen. Deutschland „ergraut".

1. Die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur (9) Legt man die mittlere Prognose variante des Statistischen Bundesamtes zugrunde, so wird die Anzahl der Personen im Erwerbsalter noch einige Zeit annähernd konstant bleiben, doch spätestens ab dem Jahre 2020 wird sie deutlich abnehmen, und im Jahr 2040 wird sie um 30 Prozent niedriger sein als heute. Gleichzeitig wird sich die Anzahl der Personen im Rentenalter stark vergrößern. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die zu erwartende Entwicklung der deutschen Bevölkerungsstruktur. Im Jahr 1996 lag das durchschnittliche Rentenzugangsalter für die Alters- und Erwerbsunfähigkeitsrente bei knapp 60 Jahren. Der auf dieses Alter bezogene Altenquotient - das Verhältnis der Personen mit 60 und mehr Jahren zu den Personen von 20 bis 59 Jahren - betrug in diesem Jahr 37 Prozent. Er wird nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in mehreren Schüben bis auf gut 68 Prozent im Jahre 2035 ansteigen. Eine ähnliche Entwicklung, wenngleich auf niedrigerem Niveau, zeigt die Tabelle für den Fall eines auf das Alter von 65 Jahren bezogenen Altenquotienten. Die Zahl der Alten wird sich in Relation zur Zahl der Jungen in dem genannten Zeitraum fast verdoppeln. Erst nach dem Jahre 2040 könnte 1945

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

sich die Altersstruktur nach derzeitigen Erkenntnissen wieder etwas verbessern. Das Statistische Bundesamt ist bei seiner Projektion davon ausgegangen, daß es von 1 9 9 5 bis zum Jahr 2 0 4 0 eine Nettozuwanderung von insgesamt 11,1 Millionen Personen aus dem Ausland geben wird, was einer Zuwanderung von durchschnittlich knapp 2 5 0 Tausend Personen pro Jahr entspricht. Außerdem unterstellt das Amt, daß die Lebenserwartung in Westdeutschland ab dem Jahre 2 0 0 0 konstant bleibt und sich die Lebenserwartung in Ostdeutschland bis zum Jahr 2 0 3 0 an das westdeutsche Niveau angleicht. Beide Annahmen mag man im Hinblick auf die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung für optimistisch halten.

Tabelle 1: Die voraussichtliche Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland Statistisches Bundesamt Jahr

1996 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

Gesamtbevölkerung

Altenquotient

Mio. 82,8 83,7 83,8 83,4 82,5 81,2 79,5 77,4 75,1 72,4

Interministerielle Arbeitsgruppe Gesamtbevölkerung

(* 60) Prozent

Altenquotient (a 65) Prozent

Mio.

Altenquotient (* 60) Prozent

Altenquotient 65) Prozent

37,0 41,5 43,5 44,1 46,8 51,6 60,1 67,9 68,5 67,8

24,6 26,0 30,3 31,0 31,7 33,6 37,4 43,8 49,2 48,8

82,8 82,2 81,8 81,0 79,9 78,4 76,6 74,3 71,7 68,8

37,0 40,8 44,5 44,8 47,9 53,1 62,6 73,2 76,6 76,4

24,6 25,7 29,6 32,2 32,5 35,1 39,3 46,8 54,6 56,2

67,9 69,7

47,6 47,1

77,6 80,2

55,0 55,1

Quellen: Statistisches Bundesamt, Achte koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Variante 2, Wiesbaden 1994; Interministerielle Arbeitsgruppe, Bevölkerungsprognose, Variante A, Bonn, 1996; Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1997, Wiesbaden; eigene Berechnungen. Legende: Der Altenquotient ist als Relation der Anzahl der Personen mit einem Lebensalter von 60 und mehr Jahren (alternativ: 65 und mehr Jahren) zur Anzahl der Personen mit einem Lebensalter von 2 0 bis 59 (bzw. 64) Jahren definiert. Für das Jahr 1996 sind die tatsächlichen Bevölkerungszahlen verwendet worden (Statistisches Jahrbuch 1997). Die Projektionen des Statistischen Bundesamtes und der interministeriellen Arbeitsgruppe enden mit dem Jahr 2040. Die in der Tabelle ausgewiesenen Werte für die Jahre 2 0 4 5 und 2 0 5 0 sind daraus abgeleitete Projektionen des Beirats. 1946

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

(10) Eine interministerielle Arbeitsgruppe 2 hat kürzlich eine alternative Bevölkerungsprognose erstellt, die auf deutlich pessimistischeren Erwartungen basiert. So wird angenommen, daß die Nettozuwanderung bis zum Jahr 2040 nur bei ca. 7 Millionen Personen liegen wird, daß die Lebenserwartung der westdeutschen Bevölkerung bis zum Jahr 2030 um 3 Jahre steigen wird und daß sich die Lebenserwartung der ostdeutschen Bevölkerung bis zum Jahr 2040 allmählich an jene der westdeutschen Bevölkerung annähern wird. Auch die Implikationen dieser Annahmen sind in der Tabelle dargestellt. Man sieht, daß sich der Altenquotient (in beiden Abgrenzungen) nach dieser Rechnung bis zum Jahr 2035 mehr als verdoppeln wird. Der auf ein Alter von 60 Jahren definierte Quotient könnte sich also bis zum Jahr 2035 von derzeit 37 Prozent auf 77 Prozent erhöhen statt nur auf gut 68 Prozent, wie es sich aus der Projektion des Statistischen Bundesamtes ergibt.

2. Die Politik der Mangelverwaltung (11) Der Beirat hat bereits 1980 in seinem Gutachten „Wirtschaftspolitische Implikationen eines Bevölkerungsrückgangs" auf diese bedrohliche Entwicklung aufmerksam gemacht. Der damals schon sichtbare Trend hat sich inzwischen weiter verfestigt und auch zu Maßnahmen geführt. Mit dem Rentenreformgesetz von 1992 und dem jüngst beschlossenen Rentenreformgesetz 1999 wurden die Rentenansprüche gekürzt, um die Beitragsbelastung vorerst in Grenzen zu halten. Ohne diese Reformen würde der Beitragsatz von derzeit 20 auf etwa 40 Prozent im Jahre 2036 ansteigen. Die Rentenreformgesetze ermöglichen es nach den Berechnungen des Beirats, den Beitragsatz im selben Jahr auf etwa 30 Prozent zu begrenzen. Die Entlastungen, die das Rentenreformgesetz von 1992 brachte, basieren im wesentlichen auf der Einführung der sogenannten „nettolohnbezogenen Rente". Die Kernidee war, zur Indexierung des Rentenniveaus statt des durchschnittlichen Bruttolohnes den durchschnittlichen Nettolohn nach Abzug aller Abgaben zu wählen. Da zu den Abzügen vom Bruttolohn auch die Beiträge zur Rentenversicherung gehören, hat man auf diese Weise ein System geschaffen, bei dem sich zukünftige Erhöhungen des Beitragsatzes automatisch in einer Rentenkürzung niederschlagen. (12) Weitere Entlastungen soll neben der Erhöhung des steuerfinanzierten Bundeszuschusses auch die allmähliche Erhöhung des Rentenzugangsalters bringen. Wie die Tabelle 1 zeigt, würde eine Erhöhung des 2

Ressortarbeitskreis des Bundesministeriums des Inneren, Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 2040, Variante A, unveröffentlichtes M a n u s k r i p t , Bonn 1996. 1947

G u t a c h t e n v o m 20. u n d 21. Februar 1998

durchschnittlichen Rentenzugangsalters von 60 auf 65 Jahre den Anstieg des Altenquotienten bis zum Jahr 2035 zwar um 19 Prozentpunkte verringern. Die Reform von 1992, ergänzt durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996, sah jedoch eine wesentlich moderatere Änderung vor. Und zwar wird nur das gesetzliche Alter für den Erstbezug der Altersrente, das im Falle langjähriger Beitragszahlungen derzeit 63 Jahre bei Männern und 60 Jahre bei Frauen beträgt, auf 65 Jahre erhöht. Wenngleich auch das durchschnittliche Zugangsalter bei der Erwerbsunfähigkeitsrente, das derzeit bei 52 Jahren liegt, aufgrund einer Einengung der Berechtigungskriterien etwas zunehmen dürfte, 3 wird das im Hinblick auf Erwerbsunfähigkeits- und Altersrente zu berechnende durchschnittliche Rentenzugangsalter aufgrund dieser Maßnahmen wohl nur geringfügig zunehmen. Schätzungen lassen einen Anstieg von derzeit 59,7 Jahren auf nicht mehr als etwa 62 Jahre erwarten. (13) Das Rentenreformgesetz 1999 wurde aus der Erkenntnis geboren, daß die 1992 beschlossenen Korrekturen nicht ausreichen würden, die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung zu lösen. Das neue Gesetz schreitet deshalb auf dem schon 1992 begonnen Weg einer Minderung des Rentenanstiegs weiter voran. Durch Einbau eines Demographiefaktors in die Rentenformel, der die laufende Erhöhung der Lebenserwartung berücksichtigt, soll die Standardrente, also die Rente, die ein durchschnittlicher Beitragzahler nach 45 Beitragsjahren erhält, bis zum Jahr 2030 allmählich von bisher 70 Prozent auf 64 Prozent des durchschnittlichen Nettoverdienstes abgesenkt werden. Außerdem sieht das neue Gesetz eine Erhöhung des Bundeszuschusses vor. Die dazu nötige Steuererhöhung soll eine Beitragsentlastung von rd. einem Prozentpunkt ermöglichen. Insgesamt soll mit diesen Maßnahmen erreicht werden, daß der Beitragsatz, der derzeit 20,3 Prozent beträgt, bis zum Jahr 2030 bei Werten unter 23 Prozent stabilisiert wird. 4 Nach den Berechnungen des Beirats wird man im Jahr 2030 eher mit Werten von etwa 25 bis 27 Prozent rechnen müssen, und in den folgenden Jahren wird der Beitragsatz sogar noch weiter ansteigen. Der Spitzenwert wird im Jahr 2036 mit etwa 28 bis 31 Prozent erreicht werden. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die zu erwartende Entwicklung. 3

Bei der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente wird es in Z u k u n f t nicht m e h r auf die Arbeitsmarktsituation a n k o m m e n , und ein frühzeitiger Rentenzugang wird zu Rentenabschlägen bis zu 1 0 , 8 % führen. Den zu e r w a r t e n d e n A u s w i r k u n g e n dieser Neuregelungen steht freilich entgegen, d a ß die A b s c h a f f u n g der F r ü h v e r r e n t u n g den Anreiz erh ö h e n wird, in den G e n u ß einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu k o m m e n .

4

Die E r w a r t u n g e n der Bundesregierung stützen sich auf Berechnungen der von ihr eingesetzten Kommission „Fortentwicklung der Rentenversicherung". Die Berechnungsgrundlagen standen dem Beirat nicht zur Verfügung. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Eckpunkte für die Rentenreform '99, Bonn 1997.

1948

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

Abb. 1: Die Entwicklung des Beitragsatzes der gesetzlichen Rentenversicherung Quellen: Eigene Berechnungen; Statistisches Bundesamt, Achte koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Variante 2, Wiesbaden 1994; Interministerielle Arbeitsgruppe, Bevölkerungsprognose, Variante A, B o n n , 1996. Legende: Die Entwicklung der Beitragsätze w u r d e auf der Basis der Bevölkerungsprojektionen des Statistischen Bundesamtes (Variante 2) und der interministeriellen Arbeitsg r u p p e (Variante A) für ein reines Umlageverfahren berechnet. Die Finanzierungslast für das hier modellierte Umlagesystem setzt sich aus den K o m p o n e n t e n der reinen Altersrente, der Hinterbliebenenrente und der Erwerbsunfähigkeitsrente z u s a m m e n . Der U m f a n g dieser versicherungskonformen Renten liegt ungefähr in der gleichen H ö h e wie die Beitragse i n n a h m e n . Die M o d e l l r e c h n u n g unterstellt, d a ß die d a r ü b e r hinausgehenden u n d großenteils als versicherungsfremd zu bezeichnenden Leistungen über den Bundeszuschuß und sonstige Einnahmen gedeckt werden. Das in den Rechnungen a n g e n o m m e n e Zugangsalter f ü r die Altersrente steigt von derzeit 6 3 J a h r e n bis z u m Jahr 2 0 0 4 auf 65 Jahre; das Rentenniveau sinkt von 70 % des N e t t o l o h n s im J a h r e 2 0 0 0 auf 64 % im Jahre 2 0 3 0 . Die Z a h l der Rentenbezieher wegen Erwerbsunfähigkeit wird als Anteil der Bevölkerung im Alter von 5 3 bis unter 65 J a h r e n bestimmt. Wegen der Neuregelung der Erwerbsunfähigkeitsrente im Rentenreformgesetz 1 9 9 9 wird unterstellt, d a ß der Anteil der Erwerbsunfähigen bis z u m J a h r 2 0 1 0 u m ein Drittel (von 12,9 % auf 8,6 % ) abgesenkt werden k a n n . Die Z a h l der W i t w e n - und Waisenrenten ist in Relation zu den jeweiligen Altersrenten berechnet (63,9 %); die Witwen- u n d Waisenrente erreicht ein Niveau von 73,4 % der durchschnittlichen Altersrente. Für den gesamten Z e i t r a u m w u r d e n k o n s t a n t e Erwerbsq u o t e n für M ä n n e r (88 % ) und Frauen (68,5 % ) unterstellt. Der Wert für M ä n n e r ergab sich im Mittel der J a h r e 1 9 8 7 bis 1 9 9 6 für das frühere Bundesgebiet. Die Frauenerwerbsq u o t e entspricht dem höchsten in diesem Z e i t r a u m f ü r Gesamtdeutschland verzeichneten Wert. Sofern die derzeit noch sehr h o h e ostdeutsche F r a u e n e r w e r b s q u o t e auch weiterhin fällt, impliziert die A n n a h m e einer k o n s t a n t e n gesamtdeutschen Q u o t e , die dem im ganzen horizontalen Trend der letzten J a h r e entspricht, einen Anstieg der westdeutschen Frauenerwerbsquote. Die durchschnittlichen Steuersätze und Beitragsätze z u m restlichen Sozialversicherungssystem w u r d e n auf dem Stand von 1 9 9 7 eingefroren.

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Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

(14) Berechnungen über so lange Zeiträume sind zwangsläufig mit einem erheblichen Unsicherheitsfaktor belastet. Die Berechnungen des Beirats sind Status-quo-Prognosen, die neben den Details der gesetzlichen Rentenreformen 1992 und 1999 vor allem die vergleichsweise sicher prognostizierbaren demographischen Daten aus bereits vorliegenden offiziellen Schätzungen berücksichtigen. Der Beirat wagt keine Prognose der Entwicklung der aggregierten Erwerbsneigung und der Arbeitslosenquote. Möglicherweise wird eine Zunahme der Erwerbsneigung bei abnehmender Arbeitslosigkeit den Anstieg des Beitragsatzes vorübergehend bremsen. Möglicherweise, und dafür spricht leider vieles, muß man sich aber auch darauf einstellen, daß angesichts der wachsenden Soziallasten immer mehr Menschen der Rentenversicherung den Rücken zukehren, indem sie sich der Freizeit, Hausarbeit, Schwarzarbeit, Teilzeitbeschäftigung und selbständigen Beschäftigung zuwenden. In diesem Fall würde der Anstieg des Beitragsatzes noch stärker ausfallen, als es in der Abbildung dargestellt ist, zumal auch krisenhafte Selbstverstärkungseffekte nicht ausgeschlossen werden können. Um eine Dramatisierung der Gefahren für die Rentenversicherung zu vermeiden, geht der Beirat bei der Berechnung der Reformszenarien in Kapitel V von der für die Rentenversicherung optimistischeren Bevölkerungsprojektion des Statistischen Bundesamtes aus. Die Reformempfehlungen des Beirats gewinnen noch an Nachdruck, wenn man statt dessen die Projektionen der interministeriellen Arbeitsgruppe zugrundelegt. (15) Die Rentenreformpolitik der letzten Jahre sucht kurzfristige Linderung für eine sich stetig verschärfende Finanzierungskrise, ohne damit das Fundament eines dauerhaft stabilen Rentensystems legen zu können. Schon heute ist absehbar, daß im Laufe der Zeit immer wieder neue, gravierendere Einschnitte in das Rentensystem nötig sein werden, wenn man sich nicht auf eine grundlegende Reform des Systems verständigt. Die Belastung mit versicherungsfremden Leistungen, die Überalterung der Bevölkerung und die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses schaffen zusammen eine gefährliche und nur noch schwer beherrschbare Gemengelage. Es droht die Gefahr, daß entweder die Beitragsätze das für die Wirtschaft erträgliche Maß übersteigen oder daß die Renten in die Nähe der Sozialhilfesätze gedrückt werden. Das hat nicht nur problematische Anreizwirkungen zur Folge, sondern unterminiert die Glaubwürdigkeit des gesamten Systems. Informierte Beitragzahler suchen schon heute private Wege für eine Verbesserung ihrer Absicherung im Alter. Lebensversicherungen und Aktien gehören zu den Anlageformen, die von dem fortschreitenden Verlust an Glaubwürdigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung profitieren. Weniger gut informierte Beitragzahler, 1950

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

die sich auf die Stabilität des Systems verlassen, bleiben der Entwicklung schutzlos ausgeliefert. Nicht nur das Vertrauen in die Rentenversicherung, sondern auch das Vertrauen in den Staat wird gefährdet. Die bisherigen Reformgesetze laufen auf eine Politik der Mangelverwaltung hinaus. Es zeugt von einem Mangel, wenn die zum Aufkommen der Rentenversicherung beitragenden Beschäftigten und auch der zur Finanzierung beisteuernde Staat sich überfordert sehen, die Rentenlast zu tragen. Und der Mangel wird auch nur verwaltet, wenn im Rahmen eines Umlageverfahrens die Rentenformel immer wieder von neuem geändert wird. Bestenfalls ist damit zu erreichen, daß die Last der fehlenden Mittel in einer von den gesellschaftlichen Kräften politisch ausgehandelten Weise zwischen Rentnern und Beitragszahlern aufgeteilt wird. Ansätze zur Überwindung des Mangels liefern die Reformgesetze nicht.

3. Ein Ausweg aus der Krise (16) Der hauptsächliche Fehler der Politik der Mangelverwaltung liegt in der Vernachlässigung der ökonomischen Möglichkeiten einer Vergrößerung des Sozialprodukts und eines Belastungsausgleichs im Zeitverlauf, wie sie durch eine Systemänderung realisierbar werden. Heute sind die Renten hoch, und die Beiträge sind vergleichsweise niedrig, so erdrückend sie auch manchem erscheinen mögen. Morgen wird es umgekehrt sein. Die Renten werden im Verhältnis zu den Lohneinkommen absinken, und der Beitragsatz wird auf ein Niveau ansteigen, das die Wirtschaft kaum noch wird verkraften können. Eine rationale Politik sollte versuchen, eine Verstetigung der Beiträge zu erreichen. Ein Teil der Last, die unweigerlich auf die Rentner, die Beitragzahler und die Steuerzahler zukommen wird, muß schon heute geschultert werden, um zu verhindern, daß sie die deutsche Volkswirtschaft morgen erdrückt. Daß es volkswirtschaftlich möglich sei, zukünftige Lasten in die Gegenwart zu verlagern, wird häufig mit dem Hinweis auf die problematische, wenngleich eingängige These bestritten, nach der aller Sozialaufwand stets nur aus dem Sozialprodukt der laufenden Periode finanziert werden könne. Diese These ist falsch und irreführend. Sie ist falsch, weil sie die Möglichkeit vernachlässigt, im Ausland akkumulierte Ersparnisse zu verbrauchen. Und sie ist irreführend, weil sie darüber hinwegtäuscht, daß sich die Last des Sozialaufwandes auf dem Wege über eine Vergrößerung des zukünftigen Sozialproduktes, die durch Ersparnis und Kapitalbildung induziert wird, leichter tragen läßt. Die Sozialpolitiker sollten endlich Abstand von dieser fehlerhaften Einschätzung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten nehmen. 1951

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

(17) Ein Teil der hohen Rentenlast, die im dritten und vierten Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts anfällt, kann schon heute getragen werden, wenn mehr gespart und weniger konsumiert wird. Eine Rentenreform, die es schafft, die gesamtwirtschaftliche Ersparnis zu erhöhen und den privaten Konsum zurückzudrängen, wird die Kapitalbildung verstärken. Der schneller anwachsende Kapitalstock wird auf Dauer zu einem größeren Sozialprodukt führen, aus dem dann der Sozialaufwand leichter finanziert werden kann. Wenn die Ersparnis im Inland investiert wird, erhöht sie die Produktivität der inländischen Arbeit und die verdienten Kapital- und Lohneinkommen. Wenn sie im Ausland investiert wird, erhöht sie die Kapitaleinkommen der Inländer, die ebenfalls Teil des Sozialprodukts sind. Über das Sozialprodukt hinaus kann im Ausland investiertes Kapital auch selbst zur Finanzierung des Sozialaufwandes verbraucht werden. In Kapitel VI wird der Einfluß auf die gesamtwirtschaftliche Kapitalbildung näher untersucht. Es ist richtig, daß sich bei schrumpfender Bevölkerung auch die Verwertungsbedingungen eines gegebenen Kapitalstocks verschlechtern werden. Die Ertragsrate des Kapitals ist um so niedriger, je geringer die Zahl der Arbeitskräfte ist, die als Komplemente des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks für den Produktionsprozeß zur Verfügung stehen. Insofern könnte die demographische Verwerfung ein Problem für das deutsche Sozialsystem bleiben. Dennoch kann nur von der Verstärkung der Kapitalbildung eine nachhaltige Entlastung erwartet werden. Die Verbesserung der Kapitalausstattung der deutschen Arbeitsplätze wird es möglich machen, ein höheres Sozialprodukt zu erwirtschaften, als es angesichts der verminderten Erwerbsbevölkerung sonst möglich gewesen wäre. Sie wird die Produktion pro Arbeitsplatz vergrößern und die Möglichkeit bieten, die Erwerbsquote trotz hoher Löhne zu steigern. (18) Sofern das zusätzliche Kapital im Ausland investiert werden soll, bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit, den demographischen Problemen durch die Wahl bevölkerungsreicher Länder auszuweichen, die jetzt erst am Beginn ihrer wirtschaftlichen Entwicklung stehen. Zwar leiden fast alle OECD-Länder unter ähnlichen, wenn auch im allgemeinen weniger gravierenden demographischen Problemen wie Deutschland. Doch ist das Wachstum der Weltbevölkerung im ganzen ungebrochen. Ein weltweiter Mangel an attraktiven Investitionsstandorten, die einen Schutz vor einer Entwertung des Kapitals durch schrumpfende Bevölkerung bieten, ist auf absehbare Zeit wahrlich nicht zu befürchten. Schon in der unmittelbaren Nachbarschaft Deutschlands bieten sich solche Standorte. Die Kapitalarmut und das niedrige Lohnniveau in den ehemaligen Ostblockländern versprechen noch für Jahrzehnte exzellente Verwertungsbedingungen für deutsches Investitionskapital, die die These 1952

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

von der Übersättigung der Welt mit Kapital ad absurdum führen. Wenn die Gefahr einer Übersättigung jemals gedroht haben sollte, so ist sie spätestens durch den Fall des Eisernen Vorhangs gebannt worden. Es ist im übrigen auch nicht zu befürchten, daß Auslandsinvestitionen unbeherrschbare Risiken mit sich bringen würden. Die Vielfalt der weltweiten Investitionsstandorte erlaubt eine weit bessere Streuung der Risiken, als sie bei einer Beschränkung auf nationale Kapitalanlagen möglich wäre. In Abschnitt 4 von Kapitel IV wird der Risikoaspekt im Detail erörtert. (19) Der Beirat empfiehlt, das System der deutschen Rentenversicherung unverzüglich in Richtung eines kapitalbildenden Systems zu entwickeln, um so die zukünftige Finanzkraft des Versicherungssystems und mit ihm die Kraft der Volkswirtschaft zu stärken. Aus grundsätzlichen ordnungspolitischen Erwägungen sollte das Kapitaldeckungssystem nicht staatlich, sondern privatwirtschaftlich organisiert werden. Nur auf diese Weise läßt sich das Kapital vor den Eigengesetzlichkeiten politischer Entscheidungsprozesse schützen, die das Augenblicksinteresse der aktiven Interessengruppen über das langfristige Gemeinwohl stellen. Und nur so läßt sich der Wettbewerb der Versicherungsträger für den Zweck der Maximierung der Anlagerendite verwerten. Allerdings ist trotz der privatwirtschaftlichen Lösung ein gesetzlicher Versicherungszwang und eine Regulierung der Versicherungsträger zum Schutze der Versicherten erforderlich. Nähere Ausführungen zu diesem Problemkreis finden sich in Abschnitt 6 von Kapitel IV. (20) Angesichts der Größe der drohenden Gefahren und der Sicherheit, mit der sie jetzt schon vorhergesehen werden können, ist es erforderlich, die nötigen Reformen in Richtung auf eine Kapitaldeckung möglichst frühzeitig einzuleiten. Das Rentenreformgesetz 1999 eröffnet keinen Weg in diese Richtung, denn es beschränkt sich bei der gesetzlichen Rentenversicherung auf Änderungen im Rahmen des überkommenen Systems der reinen Umlagefinanzierung. Die vorgesehenen Änderungen werden zwar Entlastung bringen. Doch weil sie keinerlei Ansätze für eine Vorverlagerung der in der Zukunft anfallenden Lasten beinhalten, liefern sie keinen Beitrag zur Lösung der Probleme, die ab dem Jahr 2020 drohen. Diese Probleme gilt es bereits jetzt in den Blick zu nehmen, denn je länger man damit wartet, desto schwieriger wird es sein, eine dauerhaft tragfähige Lösung zu finden. Das gegenwärtige System der dynamisierten Rente mit ausschließlicher Umlagefinanzierung läßt sich bei einer schrumpfenden Bevölkerung auf die Dauer nicht durchhalten. Es wird durch ein kapitalgedecktes System ergänzt oder ersetzt werden müssen, weil es auf längere Sicht zu niedrige Renten liefert oder zu hohe Beitragsätze erfordert, die die Realkapitalbildung, die Beschäftigung und den Lebensstandard negativ beeinflussen. 1953

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

Dies alles heißt nicht, daß nicht auch andere, flankierende Maßnahmen zur Lösung des Rentenproblems erwägenswert sind. Zu diesen Maßnahmen gehören eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, um die Arbeitslosigkeit zu senken, eine Reform des Bildungswesens, die einen früheren Berufseinstieg erlaubt, eine gezielte Einwanderungspolitik, die das Erwerbspersonenpotential stärkt, und auch familienpolitische Maßnahmen, die auf eine Erhöhung der Geburtenraten abzielen. Diesen Politikbereichen wendet sich der Beirat hier aber nicht zu, weil sie primär von anderen Zielen als dem Ziel der Rentensicherung bestimmt werden. Das gilt insbesondere für die Einwanderungspolitik. Die ökonomischen, soziologischen und politischen Probleme der Einwanderung sind so vielschichtig, daß die durch sie erzielbare Entlastung bei der Rentenversicherung daneben verblaßt.

4. Warum eine Grundrente keine Lösung ist (21) Verschiedentlich wurde in den letzten Jahren vorgeschlagen, die gesetzliche Rentenversicherung in ein System der steuerfinanzierten Grundrente umzuwandeln, bei dem alle Staatsbürger ungeachtet ihrer Einkommen den gleichen Rentenanspruch haben. Der bekannteste solcher Vorschläge stammt vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn. Der Vorschlag sieht eine für alle Bürger gleiche Grundrente in Höhe von 55 Prozent des Volkseinkommens pro Kopf vor. Auf der Basis der Einkommen von 1996 handelt es sich dabei um einen Betrag von rd. 1.500 D M pro Monat. Das entspricht dem Durchschnitt der derzeitigen gesetzlichen Altersrente zuzüglich des von der Rentenversicherung getragenen halben Beitrags zur Kranken- und Pflegeversicherung. (22) Der Beirat kann die Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente nicht unterstützen, weil sie keinen Beitrag zur Lösung der demographisch bedingten Krise der Rentenversicherung und zum Abbau der Fehlanreize leisten würde, die von dieser Versicherung ausgehen. Die Reform würde nicht für einen Belastungsausgleich in der Zeit sorgen, was eine wichtige Zielsetzung des in diesem Gutachten unterbreiteten Vorschlags ist. An die Stelle der bisherigen Beiträge treten Steuern, die wiederum aus dem Sozialprodukt der laufenden Periode gezahlt werden. Die dringend notwendige Vorsorge für zukünftige Lasten durch den Aufbau eines zusätzlichen Kapitalstocks findet nicht statt. Im Gegenteil: Da die Menge der Anspruchsberechtigten auf die Gesamtheit aller Staatsbürger ausgedehnt wird, kommt es sogar zu einer zusätzlichen Belastung der zukünftigen Generationen von Erwerbstätigen.

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Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

(23) Das Hauptproblem der Grundrente liegt in den massiven wirtschaftlichen Fehlanreizen auf dem Arbeitsmarkt, die sie induzieren würde. Zwar hat auch das jetzige Rentensystem solche Fehlanreize zur Folge, doch wegen der annähernden Beitragsäquivalenz halten sie sich in Grenzen. Wie in Abschnitt 3 von Kapitel III noch gezeigt wird, kann im jetzigen System immerhin etwa die Hälfte der Beiträge als kapitalmarktäquivalente Sparleistung angesehen werden. Nur die andere Hälfte hat den Charakter einer Lohnsteuer, die unerwünschte Ausweichreaktionen in Form einer Verminderung des Arbeitsangebots und einer Abwanderung in die Schwarzarbeit zur Folge hat. Die totale Entkoppelung von Abgaben und Rentenansprüchen, die den Kern des Grundrenten-Vorschlages ausmacht, würde selbst ohne eine Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten zu einer starken Zunahme der effektiven Steuerbelastung führen und deshalb die steuerlichen Fehlanreize verstärken. Eine solche Reform ist das Gegenteil dessen, was Deutschland braucht, um wieder zu einem wettbewerbsfähigen Standort zu werden. Das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, bei den Steuern könne man andere Bemessungsgrundlagen finden, die weniger Ausweichreaktionen als eine Steuer auf Lohneinkommen zur Folge haben, überzeugt nicht. Zur Wahl stehen im wesentlichen die Mehrwertsteuer und Steuern auf Unternehmertätigkeit und Vermögen. Letztere würden eher noch problematischere Ausweichreaktionen bewirken als eine Lohnsteuer, weil Kapital und Unternehmen international mobiler sind als Arbeit. Und eine Mehrwertsteuer ist großenteils ohnehin nichts anderes als eine versteckte Lohnsteuer. M a n käme also vom Regen in die Traufe. Im übrigen würde der von der Europäischen Gemeinschaft gesetzte Spielraum für Mehrwertsteuererhöhungen bei weitem nicht ausreichen, um die benötigten Finanzierungsmittel beizubringen. M a n bräuchte eine Mehrwertsteuererhöhung von 15 bis 2 0 Prozentpunkten, um die Grundrente zu finanzieren. (24) Es ließe sich zwar eine Variante des Grundrenten-Vorschlags konstruieren, bei der die Grundrente auf das Sozialhilfeniveau gesenkt wird. Reformalternativen mit einer solchen Implikation hält der Beirat aber nicht für erwägenswert. Alle von ihm untersuchten Reformszenarien respektieren den Zeitpfad der Rentenansprüche, wie sie durch das Rentenreformgesetz 1 9 9 9 definiert wurden. Es sollte zu denken geben, daß man in Schweden, wo bislang ein Rentensystem mit einer starken Grundrentenkomponente realisiert war, gerade beschlossen hat, sich von der Grundrente abzuwenden. Dort ist geplant, die Beitragsäquivalenz des Rentensystems zu stärken und außerdem eine partielle Kapitaldeckung in Höhe von 2 , 5 Beitragspunkten einzuführen. 1955

G u t a c h t e n vom 2 0 . und 21. Februar 1998

IQ. Umlagefinanzierung versus Kapitaldeckung: grundsätzliche Erwägungen (25) Auch in Deutschland sind Reformen in Richtung auf eine Kapitaldeckung das Gebot der Stunde, denn nur so läßt sich trotz der anstehenden demographischen Verwerfungen eine zeitliche Glättung der Beitragsbelastung erreichen und die Finanzierungsbasis verbreitern. Um die Notwendigkeit dieser Reformen zu verstehen, ist es nützlich, das Kapitaldeckungssystem und das Umlagesystem zunächst einem grundlegenden Vergleich zu unterziehen. Das ist die Aufgabe dieses Kapitels. Das danach folgende Kapitel IV wird sich dem speziellen Problem des Übergangs vom Umlage- zum Kapitaldeckungssystem zuwenden.

1. Sparillusion und Eigentumsrecht (26) Aus der Sicht des einzelnen Beitragzahlers ist der Unterschied zwischen einem kapitalgedeckten Versicherungssystem und einem Umlagesystem nicht offenkundig. In beiden Fällen wird ein Beitrag gezahlt, der einen späteren Rentenanspruch sichert. Im deutschen Umlagesystem gibt es eine annähernde Korrespondenz zwischen individuellen Beitragszahlungen und Rentenhöhe. Wer stets doppelt soviel einzahlt wie ein anderer seiner Generation und im Hinblick auf die versicherten Lebensrisiken das gleiche Schicksal erfährt, erhält fast doppelt so viel Rente. Diese Korrespondenz begründet einen eigentumsähnlichen Rechtsanspruch auf ein Renteneinkommen, der dem Anspruch gegen einen kapitalgedeckten Wertpapierfonds auf den ersten Blick nicht unähnlich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Standpunkt in mehreren Urteilen bekräftigt. 5 Beitragsfundierte Rentenanwartschaften können in der Bundesrepublik als Eigentum im Sinne des Art. 14 des Grundgesetzes angesehen werden. Gerade der Umstand, daß die Höhe des Rentenanspruchs von der eigenen Leistung abhängt, muß nach der Auffassung des Gerichts als „tragender Grund des Eigentumsschutzes" angesehen werden. Dabei ist es nicht erforderlich, daß Anspruch und Eigenleistung einander entsprechen, doch, so das Gericht: „Je höher ... der einem Anspruch zugrunde liegende Anteil eigener Leistung ist, desto stärker tritt der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug und mit ihm ein tragender Grund des Eigentumsschutzes hervor."

5

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Urteil v o m 28. 2. 1980, Bd. 53, S. 2 5 7 . Siehe dazu auch das Urteil vom 16. 7. 1985, ebenda Bd. 69, S. 2 7 2 ff und S. 3 0 1 .

1956

Grundlegende R e f o r m der gesetzlichen Rentenversicherung

(27) Die Ähnlichkeit zwischen einer Sparleistung und einer Beitragszahlung beschränkt sich freilich auf die rechtliche Interpretation des Anspruchs gegen die Rentenversicherung, der durch die Beitragszahlung entsteht. In ökonomischer Hinsicht liegen zwischen dem Umlage- und dem Kapitaldeckungssystem Welten. Im Kapitaldeckungssystem führt die individuelle Sparleistung zu einem Mehrangebot auf den Kapitalmärkten, das sich auf dem Wege über Zinssenkungen in eine zusätzliche Kapitalbildung und wirtschaftliches Wachstum überträgt. Im Umlagesystem wird demgegenüber nur eine Zahlung von den Erwerbstätigen zu den Rentnern bewirkt. Der mit dieser Zahlung erworbene Anspruch ist nicht durch einen realen Kapitalstock fundiert, sondern richtet sich gegen zukünftige Generationen von Erwerbstätigen. Die Ersparnis im Umlageverfahren ist eine bloße mikroökonomische Illusion. Die Sparillusion des Umlageverfahrens wiegt die Generation der Beitragzahler in der trügerischen Sicherheit, Vorsorge für das Alter getroffen zu haben, obwohl sie in Wahrheit doch bloß die Generation der Rentner unterstützt hat. Damit ein Umlageverfahren dauerhaft funktioniert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Die arbeitende Generation muß die Rentner finanzieren, und sie muß Kinder großziehen. Die Zahlungen an frühere Rentner begründen zwar grundsätzlich den Anspruch auf eine eigene Rente, aber erst die Investition in die Erziehung und Ausbildung der Kinder schafft die Möglichkeit, diese Rente auch wirklich zu beziehen. Nur von der Anzahl und Schaffenskraft der Kinder hängt es ab, ob einmal genug Beiträge zur Finanzierung der Renten zusammenkommen werden. Die demographischen Probleme, die die deutsche Rentenversicherung in die Krise treiben, zeigen diese Zusammenhänge in aller Klarheit. Sie entlarven die Sparillusion.

2. Anwartschaften als implizite Staatsschuld (28) Die Unterschiede zwischen einem Kapitaldeckungssystem und einem Umlagesystem werden besonders deutlich, wenn man von der Neugründung eines Rentensystems ausgeht und die dabei entstehenden Zahlungsströme der beiden alternativen Systeme im Zeitablauf vergleicht. Obwohl ein solcher Vergleich nur einen hypothetischen Charakter haben kann und den historischen Gegebenheiten nicht vollends gerecht wird, ist er für ein tieferes Verständnis unerläßlich. (29) Wird ein Kapitaldeckungsverfahren eingeführt, so zahlt die erste Generation der Erwerbstätigen während ihres gesamten Arbeitslebens Sparbeiträge, die am Kapitalmarkt angelegt werden, und erst wenn diese Generation in das Rentenalter eintritt, beginnen die Auszahlungen an 1957

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

eben diese Generation. Das gesparte Kapital samt Zins und Zinseszins steht für die Rentenzahlung zur Verfügung, wobei unterschiedliche Lebensdauern nach versicherungsmathematischen Grundsätzen durch einen interpersonellen Risikoausgleich abgesichert werden können. Jede nachfolgende Generation verhält sich ähnlich. In jedem Fall wird die Rente aus der eigenen Ersparnis finanziert, und es finden keinerlei Transferzahlungen zwischen den Generationen statt. (30) Wird das Umlageverfahren eingeführt, so werden die von den Erwerbstätigen eingesammelten Beiträge statt für den Aufbau eines Kapitalstocks sofort für die Zahlung von Renten verwendet. Die erste Rentnergeneration kommt deshalb in den Genuß von Leistungen, obwohl sie selbst noch keine Beiträge entrichtet hat. Wenn danach die erste Generation der Beitragzahler in das Rentenalter kommt, so muß sie sich wegen des fehlenden Kapitalstocks ebenfalls von einer nachrückenden Generation neuer Beitragzahler finanzieren lassen. Ähnlich ist es bei allen weiteren Generationen. Wie es auch im vorindustriellen Familienverbund der Fall war, zahlen die Jungen an die Alten und begründen dadurch einen Rentenanspruch gegen die nächste Generation der Jungen. Der Rentenanspruch kann wie im deutschen System durch formelle Anwartschaften gesichert werden, deren Höhe proportional zur Höhe der eigenen Beiträge ist. Die Einführungsgeneration erhält die Anwartschaften geschenkt, alle anderen Generationen müssen sie durch Beiträge zur Abgeltung der Anwartschaften der jeweils vorangehenden Generation erwerben. Die Anwartschaften, die ursprünglich auf die Gewinne der Einführungsgeneration zurückzuführen sind, werden von Generation zu Generation neu geschaffen und in einer wachsenden Wirtschaft mit zunehmendem Volumen vorangewälzt. (31) Im Lichte der Eigentumsinterpretation ist es nicht unbillig, den Wert der zu einem Zeitpunkt bestehenden Anwartschaften als eine implizite Staatsschuld zu interpretieren, denn ein Gläubiger des Staates hat ähnliche Ansprüche wie jemand, der sich durch bereits gezahlte Beiträge eine Rentenanwartschaft gesichert hat. Natürlich hat die Ähnlichkeit Grenzen, weil der Rechtsanspruch, der sich mit einer Anwartschaft verbindet, sehr viel weniger scharf definiert ist als der Anspruch auf Rückzahlung einer expliziten Staatsschuld. Aber die Unterschiede sind gradueller, und nicht prinzipieller Natur, denn die RückZahlungsverpflichtung ist auch im Falle einer expliziten Verschuldung nicht wirklich sicher definiert. Zwei dramatische Geldentwertungen in der jüngeren deutschen Geschichte und langwährende Inflationsperioden in anderen Ländern zeigen dies in aller Deutlichkeit. Die implizite Staatsschuld in Form der Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung liegt heute in der Bun1958

Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung

desrepublik bei gut 10 Billionen Mark, beträgt also etwa das Fünffache der expliziten Staatsschuld 6 . Es steht außer Frage, daß diese implizite Staatsschuld in einem juristischen Sinne nicht mit der expliziten Staatsschuld gleichzusetzen ist. Der Zuwachs der expliziten Staatsverschuldung wird gemäß Artikel 115 des Grundgesetzes auf das Volumen der öffentlichen Investitionen begrenzt, und der Vertrag von Maastricht bezieht seine Konvergenzkriterien auch nur auf die explizite Verschuldung. Der impliziten Verschuldung in Form der Anwartschaften in der Rentenversicherung werden demgegenüber keine verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzt. Angesichts der ökonomischen Nähe beider Verschuldungsformen ist aber gerade das ein Problem. Die implizite Staatsschuld ist eine Schuld, die nicht durch öffentliches Vermögen gedeckt ist.

3. Umverteilung zwischen den Generationen im Umlagesystem (32) Auf den ersten Blick mag es scheinen, als sei das Umlagesystem dem Kapitaldeckungssystem überlegen, weil die erste Generation Gewinne erzielt und die nachfolgenden Generationen stets durch Rentenanwartschaften für ihre Beiträge kompensiert werden. Dieser Schein trügt jedoch, weil die Nachfolgegenerationen barwertmäßig in der Regel weniger an Rente erhalten, als sie an Beiträgen leisten mußten. Die Renten sind in einer wachsenden Wirtschaft zwar absolut größer als die früheren Beiträge, mit denen man sie erwarb. Immerhin hat auch das Umlageverfahren bislang eine positive reale Rendite auf das eingezahlte Kapital geliefert. Die Renten sind aber kleiner, als sie im Falle einer Anlage der Beiträge am Kapitalmarkt gewesen wären. Insofern entsteht in Gegenwarts- oder Barwerten gerechnet ein Verlust. Das Umlageverfahren bietet keinen Weg, Ressourcen aus dem Nichts zu schaffen. Es ist ein Nullsummenspiel zwischen den Generationen. Der Gegenwartswert der Nettoverluste aller Nachfolgegenerationen gleicht gerade dem Wert der Anwartschaften, die der ersten Generation geschenkt wurden, und zu jedem Zeitpunkt gleicht der Gegenwartswert der danach noch anfallenden Verluste dem Wert der dann vorhandenen 6

Dieser Wert ergibt sich unter der Annahme eines Realzinssatzes von 4 %, einer Wachstumsrate des realen Lohnsatzes von 2 % und der Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes (vgl. Abb. 1). Der Wert wird durch die Komission „Fortentwicklung der Rentenversicherung" bestätigt: „Es wäre ein Kapitalstock in einer Größenordnung von 10 Billionen DM erforderlich, um die gegenwärtigen Renten und Rentenanwartschaften abzusichern ..." Bundesministerium für Arbeits- und Sozialordnung, Eckpunkte für die Rentenreform '99, Bonn 1997, S. 23. 1959

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

Anwartschaften. Würde das System einmal ersatzlos beendet, so könnte die letzte Generation ihre Anwartschaften nicht mehr realisieren, obwohl sie selbst Beiträge entrichtet hat. Sie müßte den gesamten Verlust tragen, den sie sich sonst mit allen ihr nachfolgenden Generationen hätte teilen können. (33) Es ist nicht einfach, das Ausmaß der Umverteilung zwischen den Generationen empirisch zu ermitteln. Das gilt insbesondere für die Einführungsgewinne. Die deutsche Rentenversicherung wurde 1889 als beitragsfinanzierte Invalidenversicherung eingeführt, die zwar sofort mit der Rentenauszahlung begann, jedoch bereits in den ersten zehn Jahren ein Vermögen in Höhe des Siebzehnfachen der jährlichen Renten akkumuliert hatte. Die dem ersten Weltkrieg folgende Inflation vernichtete das in Staatspapieren angelegte Vermögen, und so blieb anschließend nichts anderes übrig, als das System über Umlagen zu finanzieren. Die Weltwirtschaftskrise und der zweite Weltkrieg verhinderten, daß nochmals eine Kapitalbasis geschaffen werden konnte. Als im Jahre 1957 die dynamisierte Altersrente eingeführt wurde, die wir noch heute haben, blieb auch kein anderer Weg, als die so definierte Anspruchsausweitung auf dem Umlagewege zu decken. Politisch begründete Einführungsgewinne entstanden nicht nur mit der Dynamisierung im Jahr 1957, sondern auch später verschiedentlich, als es sukzessive zu einer Ausweitung der Anspruchstatbestände kam. Besonders große, aber weniger gut begründete Gewinne wurden den Selbständigen gewährt, die Anfang der siebziger Jahre rückwirkend einzahlen durften und auf diese Weise vergleichsweise hohe Ansprüche erwarben. Unvermeidliche Einführungsgewinne entstanden mit der deutschen Vereinigung, bei der die Rentner der neuen Bundesländer in das bundesdeutsche Rentensystem integriert wurden. (34) Den Einführungsgewinnen stehen barwertmäßig gleich hohe Verluste der Nachfolgegenerationen gegenüber, die großenteils noch gar nicht realisiert wurden. Das wichtigste Indiz für diese Verluste ist die Differenz zwischen der Kapitalmarktrendite und der Beitragsrendite im Umlageverfahren. Die durchschnittliche Beitragsrendite gleicht der Wachstumsrate der Beitragsumme, denn nur in dem Maße, wie die Beitragsumme in der Rentenphase über der Beitragsumme in der Einzahlphase liegt, kann der einzelne Beitragzahler mit einer Rente rechnen, die seine Beiträge übersteigt. Die Höhe der Renditedifferenz hängt von den jeweiligen historischen Bedingungen ab, jedoch haben umfangreiche empirische Untersuchungen für viele Länder und Zeitperioden gezeigt, daß ein Umlageverfahren mit einer Kapitalmarktanlage im allgemeinen nicht Schritt halten kann. Nur in begrenzten Zeiträumen hat man Gegenteiliges beob1960

Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung

achtet. Auf längere Sicht pflegt der Zins die Wachstumsrate des Sozialprodukts und damit auch die Wachstumsrate des Beitragsvolumens zu übersteigen. Das muß aufgrund elementarer ökonomischer Gesetzmäßigkeiten auch langfristig so sein. 7 (35) Die in Deutschland seit der Einführung der dynamisierten Rente geltenden Verhältnisse werden in der folgenden Abbildung 2 dargestellt, die die reale Lohnsummenwachstumsrate mit der realen interne Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung und dem realen Zins für zehnjährige Staatsanleihen („Marktzins") vergleicht. Die interne Rendite der Rentenversicherung ist jene Verzinsung, die ein wohldefinierter Beispielsrentner in Form einer Altersrente, einer Erwerbsunfähigkeitsrente und einer Witwenrente erwirtschaftet. Es handelt sich dabei um eine mathematische Erwartungsgröße, weil die Erwerbsunfähigkeits- und die Witwenrente nur mit gewissen Wahrscheinlichkeiten gezahlt werden. Der Beispielsrentner tritt im Alter von zwanzig Jahren in die Rentenversicherung ein, bezieht ein durchschnittliches Einkommen und arbeitet dann fortwährend bis zum Rentenbeginn. Er ist mit einer drei Jahre jüngeren Frau verheiratet. Beide haben eine durchschnittliche Lebenserwartung, wobei die auf den Überlebensfall bedingte Lebenserwartung der Frau jene des Mannes erheblich übersteigt. Die Annahmen über die Wahrscheinlichkeiten, die Lebensdauern und das Alter bei Erwerbsunfähigkeit entsprechen den Anteils- und Durchschnittswerten, wie sie sich in der achten koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes finden. (36) In der Abbildung werden Alterskohorten unterschieden, die in den Jahren seit Gründung der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1957 bis zum Jahre 2 0 1 5 die Erwerbstätigkeit aufnehmen. Die erste Kohorte, die die Erwerbstätigkeit 1957 begann, bezieht ihre reguläre Altersrente ab 7

Ergäbe sich nämlich ein Renditevorsprung zugunsten des Umlageverfahrens - läge also der Zinssatz unter der Wachstumsrate des Sozialprodukts - , so würde die Wirtschaft zu einer übermäßigen Kapitalbildung mit astronomisch hohen Bodenpreisen und Aktienkursen neigen. Bodenpreise und Aktienkurse spiegeln die Gegenwartswerte von erwarteten Pachterträgen und Dividenden wieder, und der theoretische Gegenwartswert von Erträgen, die dauerhaft schneller wachsen als der Zinsfaktor, mit dem sie diskontiert werden, ist unendlich. In einer Welt, in der die Wachstumsrate des Sozialprodukts den Zins übersteigt, wäre es im übrigen auch nicht nötig, Steuern zu erheben. Die Staatsverschuldung wäre hier das Finanzierungsmittel der ersten Wahl. Selbst wenn die öffentlichen Ausgaben und die Zinsen auf die anwachsende Staatsschuld stets nur durch neue Verschuldung gedeckt würden, käme es doch nicht zu einem Anstieg der Staatsschuldenquote. D a s Sozialprodukt liefe den Schulden immer wieder davon. Dies alles würde dazu führen, daß sich eine Überschußnachfrage nach Krediten entwickelte, die zu einem Zinsanstieg führte und damit diesen unnatürlichen Zustand beendete. Die Realität ist von einer solchen Schlaraffenlandwelt sehr weit entfernt. 1961

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998

Quellen: Eigene Berechnungen; OECD, Main Economic Indicators, verschiedene Jahrgänge (Zinsen langjähriger Staatsanleihen); Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1997, Tabelle 23.12 (Preisindex); Statistisches Bundesamt, Achte koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung; Statistisches Bundesamt, Sterbetafel 1994/96 (Früheres Bundesgebiet); VDR, Rentenversicherung in Zeitreihen 1997 (Löhne, Beitragsatz); DIW, Vierteljährliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Bruttolohn- und Gehaltsentwicklung 1996 und 1997). Legende: Die interne Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung für den Beispielsrentner ist derjenige reale Zinsfuß, den dieser Rentner bei einer Kapitalmarktanlage auf seine Beitragszahlungen erhalten müßte, um eine Rente wie im Umlageverfahren zu erwerben. Zum Renditevergleich wurden die 50-jährigen vorwärtsgerichteten geometrischen Mittel der Realzinsen für langjährige Staatsanleihen und des jährlichen realen Lohnsummenwachstums verwendet. Für die Jahre ab 1998 wurde ein konstanter Realzins von 4 % und ein konstantes Wachstum des Lohnsatzes von 2 % unterstellt. Der (männliche) Beispielsrentner ist im Prinzip von seinem 20. bis 64. Lebensjahr erwerbstätig. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 16,6% wird er jedoch mit 53 Jahren erwerbsunfähig. Vom 65. bis zum 75. Geburtstag bezieht er eine Altersrente (=Lebenserwartung zu Beginn der Erwerbstätigkeit mit zwanzig Jahren). Nach seinem Tod erhält seine drei Jahre jüngere Witwe, die ihn mit einer Wahrscheinlichkeit von 81 % überlebt, noch für 13 Jahre eine Witwenrente (=bedingte Lebenserwartung für den Fall, daß die Witwe das Alter von 72 Jahren erreicht hat) in Höhe von 60 % der Altersrente ihres Mannes.

dem Jahr 2002. Sie ist in der Lage, eine reale Rendite von etwa 2,8 Prozent zu erwirtschaften. Aber spätere Kohorten erzielen wegen der fortschreitenden Verschlechterung der Altersstruktur nur geringere Renditen. Personen, die im Jahr 2000 die Erwerbstätigkeit beginnen, können nur noch mit einer Rendite von etwa 1,6 Prozent rechnen. Im ganzen folgt der 1962

Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung

Zeitpfad der internen Rendite der realen Wachstumsrate der Lohnsumme, die die theoretisch richtige Erklärungsgröße für diese Rendite ist. Die reale Wachstumsrate der Lohnsumme wird in dem Diagramm als ein über die jeweils kommenden fünfzig Jahre geometrisch gemittelter Durchschnittswert dargestellt, wobei bis 1 9 9 7 der tatsächliche Wachstumsverlauf und danach eine Prognose für die Berechnungen herangezogen wird. Die Prognose geht davon aus, daß der reale Lohnsatz jährlich um 2 Prozent ansteigt. Bei einer konstanten Bevölkerungsstruktur hätte dies zur Folge, daß auch die reale Lohnsumme um diesen Prozentsatz wächst und daß die in der Abbildung ausgewiesene Rendite im Zeitablauf gegen 2 Prozent konvergiert. Da sich die Bevölkerungsstruktur aber für die Rentenversicherung immer mehr verschlechtert, fallen beide Größen. Die Rendite der Beispielsrentner, die der Rentenversicherung ab dem Jahr 1 9 9 0 beitreten, also ab 2 0 3 5 eine Rente beziehen, liegt nicht einmal mehr bei 2 Prozent. Hätte der Beispielsrentner 1 9 5 7 die Erwerbstätigkeit begonnen und hätte er seine Vorsorgeaufwendungen steuerfrei revolvierend in zehnjährigen Staatsanleihen anlegen und sich die angesparten Beträge dann zu versicherungsmathematisch fairen Konditionen verrenten lassen können, so hätte er eine sehr viel höhere Rendite als im Umlageverfahren erwirtschaftet. Anhaltspunkte dafür gibt die obere Kurve der Abbildung 2 , die die über fünfzig Jahre geometrisch gemittelte interne Rendite zehnjähriger Staatsanleihen für alternative Jahre der Erstanlage angibt. Wiederum konnten dabei tatsächliche Zahlen nur bis einschließlich 1 9 9 7 verwendet werden. Für die Zeit danach gehen die Rechnungen von einer jährlichen Rendite in Höhe von 4 Prozent aus. Werden die jeweils besten Anlagemöglichkeiten auf den Kapitalmärkten gesucht, so ließen sich noch höhere Renditen erwirtschaften. Der Vergleich mit der Rendite der Staatsanleihen mag aber genügen, um den Renditenachteil des Umlageverfahrens zu verdeutlichen. (37) Der Renditenachteil, den die Rentenversicherung im Vergleich mit einer Kapitalmarktanlage mit sich bringt, kann wie eine Steuer, die den Beitragspflichtigen auferlegt wird, interpretiert werden, denn nur ein Teil der Beiträge erwirbt Ansprüche, wie sie aus einer Kapitalmarktanlage resultieren. Der Rest wird zur Finanzierung der Altlasten benötigt. Definiert man jenen Teil der Beiträge, der kapitalmarktäquivalente Ansprüche erwirtschaftet, als „Sparanteil" und den Rest als „Steueranteil", so lassen sich diese Anteile unmittelbar aus den Informationen errechnen, die für die Abbildung 2 verwendet worden sind. Das Ergebnis der Rechnungen wird in der Abbildung 3 dargestellt, die sich wiederum auf den definierten Beispielsrentner bezieht und unterschiedliche Eintritts1963

Gutachten vom 20. und 21. Februar 1998 Anteil de« Beitrags

100,0% 90,0%

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Brief an den Bundesminister Michael Glos vom 2 0 . November 2 0 0 6

fikate kostenlos zuteilt und gleichzeitig durch Regulierung dafür sorgt, dass diese Zertifikate einen positiven Marktwert haben, so darf man sich nicht wundern, dass die Unternehmen entsprechende Gewinne ausweisen. Dass das Zertifikatsregime für eine Erhöhung der Strompreise sorgt, entspricht im übrigen der Vorstellung, die bei der Einführung dieses Regimes Pate stand, dass nämlich aus umweltpolitischen Gründen ein sparsamerer Umgang mit Energie aus fossilen Trägern geboten sei und die Verteuerung dieser Energie dazu beitragen würde. Beschwerden darüber, dass die Marktpreise der Zertifikate in die Strompreise eingehen, stehen im Widerspruch zu den mit der Einführung des Zertifikatsregimes verfolgten Zielen. Der Glaube, man könne die gewünschten Anreizeffekte erzielen, ohne dass die Marktpreise der Zertifikate in die Strompreise eingehen, entspricht der Vorstellung, man könne sich den Pelz waschen lassen, ohne dabei nass zu werden. Die Einführung des Zertifikatsregimes hat Einfluss auf die „Merit Order" der Stromerzeugung. Bei der Verwendung von fossilen Brennstoffen sind die Kosten der erforderlichen Zertifikate als Teil der Grenzkosten der Stromerzeugung zu berücksichtigen. Da die Stromerzeugung aus Kohle deutlich C0 2 -intensiver ist als die Stromerzeugung aus Gas, kann dies dazu führen, dass je nach Höhe des Zertifikatspreises die Grenzkosten der Stromerzeugung bei Kohle höher oder niedriger liegen als bei Gas. Im Gleichgewicht allerdings pendelt sich der Zertifikatspreis selbst so ein, dass es für die Unternehmen keine Rolle spielt, ob sie die letzte Einheit mit Kohle oder mit Gas erzeugen, da beide dieselben Kosten haben. In diesem Fall geht die ohne staatliche Regulierung bestehende Differentialrente der Stromerzeugung aus Kohle anstelle von Gas weitgehend in den Wert der Zertifikate ein. Dieser Zusammenhang gilt auch bei vollkommenem Wettbewerb und zwar unabhängig davon, ob die Zertifikate den Unternehmen kostenlos überlassen wurden oder nicht. Die Menge der zur Verfügung stehenden Zertifikate ist so begrenzt, dass eine spürbare Knappheit an Zertifikate besteht und der Marktpreis der Zertifikate positiv ist. Der Marktwert, d.h. die Opportunitätskosten der für die Erstellung letzten Einheit Strom - aus Kohle oder aus Gas - erforderlichen Zertifikate ist ein Element der Grenzkosten der Stromerzeugung und würde daher auch bei vollkommenem Wettbewerb in den Strompreis eingehen. Von interessierter Seite wird gelegentlich die Behauptung in die Diskussion geworfen, die Stromwirtschaft könne die Kosten der C0 2 -Emissionszertifikate nur deshalb überwälzen, weil es in der Stromwirtschaft keinen Wettbewerb gebe. Diese Behauptung ist falsch. Ein alle Unternehmen eines Sektors betreffender Kostenfaktor wird bei intensivem Wett2502

Wettbewerbsverhältnisse und Preise der deutschen Energiewirtschaft

bewerb ebenso überwälzt wie bei Vorhandensein von Marktmacht. Der Überwälzungsgrad ist bei Wettbewerb sogar höher, denn bei Wettbewerb werden Kostenerwägungen nicht durch Marktmachteffekte verwässert; so wird beispielsweise bei konstanten Grenzkosten und linearer Nachfrage eine Kostensenkung im Wettbewerb zu 100 Prozent weitergegeben, im Monopol dagegen nur zu 50 Prozent. Unternehmen der Exportwirtschaft sehen die Zusammenhänge anders; bei ihnen ist allerdings zu berücksichtigen, dass ihre Wettbewerber vielfach in Ländern sitzen, in denen es keine dem C0 2 -Zertifikatsregime vergleichbaren Regelungen gibt. Im Wettbewerb mit diesen dürfte es in der Tat schwer fallen, die Kosten der C0 2 -Emissionszertifikate auf die Abnehmer zu überwälzen; dies jedoch ist ein ganz anderes Thema als die Überwälzbarkeit von Kosten, die alle Anbieter im Markt gleichermaßen betreffen. In diesem Zusammenhang stimmt der Vorschlag bedenklich, dass Kosten- und Kostenbestandteile, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen würden, beim Vergleich von Entgelten und Kosten nicht berücksichtigt werden dürfen. Die Nachhaltigkeit, mit der in der öffentlichen Diskussion zur Frage der Überwälzbarkeit der Zertifikatskosten ökonomisch falsche Aussagen verbreitet werden, gibt zu der Befürchtung Anlass, dass diese Regelung die Grundlage für mancherlei Missbrauch der Missbrauchsaufsicht liefern wird - mit allen Unwägbarkeiten der dann erforderlichen Gerichtsverfahren. Ob die Strompreisentwicklung der letzten zwei Jahre tatsächlich als Missbrauch marktbeherrschender Stellungen anzusehen ist, und insbesondere, ob die Strompreise deutlich über den Grenzkosten der Stromerzeugung liegen, lässt sich von Seiten des Beirats nicht beurteilen. Dazu ist auf die seit einiger Zeit laufenden Untersuchungen des Bundeskartellamts zu verweisen. Führen diese Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass ein Missbrauch vorliegt, und wird dieser Befund auch gerichtlich bestätigt, so erübrigt sich eine Gesetzesänderung. Sollte ein Missbrauch jedoch nicht nachzuweisen sein, so wäre zu prüfen, ob dies nicht auch daran liegen könnte, dass gar kein Missbrauch vorliegt. So schmerzhaft hohe Preise für die Abnehmer auch sein mögen und so sehr man die Gewinne der Stromerzeuger für anstößig halten mag, hohe Preise und hohe Gewinne für sich genommen sind noch kein Grund, von Staats wegen einzugreifen. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die Entwicklung der Strompreise, die seit einiger Zeit die Öffentlichkeit erregt, nicht nur Deutschland betrifft. Ähnliche Preisentwicklungen sind in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beobachten. Die Großhandelspreise für Strom sind im Querschnitt der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union so 2503

Brief an den Bundesminister Michael Glos vom 20. November 2006

hoch miteinander korreliert, dass auch hier ein gesamteuropäischer Marktzusammenhang nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden kann. Der Markt für C0 2 -Emissionszertifikate ist selbst ein europaweiter Markt, der kaum durch ein deutsches Unternehmen manipuliert werden kann. Die Parallelität der Strompreisentwicklungen in verschiedenen Ländern lässt zumindest Raum für die Vermutung, dass die von den deutschen Verbundunternehmen durchgesetzten Strompreiserhöhungen nicht einfach die Marktmacht dieser Unternehmen reflektieren, sondern wie die Strompreiserhöhungen in anderen Ländern auch als natürliche Reaktionen der Stromwirtschaft auf die Erhöhungen der Primärenergiepreise anzusehen sind. Sehr geehrter Herr Minister Glos, der Beirat verkennt nicht, dass die hohen Kosten der Energieversorgung die Abnehmer, Unternehmen wie Verbraucher, vor ernsthafte Probleme stellen. Diese Probleme sind aber nicht zu lösen, indem man die betreffenden Preise mit einem Kostenstandard zu kontrollieren versucht. Größere Wirkungen sind von strukturellen Maßnahmen zu erwarten, die von der Frage ausgehen, welche Fehlentwicklungen zu der heutigen, als misslich empfundenen Situation geführt haben. Zu denken wäre an den wettbewerbsrechtlichen Umgang mit den bestehenden horizontalen und vertikalen Marktstrukturen, den Modus der Regulierung des Netzzugangs und die Ausgestaltung des C0 2 -Zertifikatsregimes. Diese Themen sprengen den Rahmen dieses Briefes. Der Beirat hielte es aber für besser, dass man auch diese Themen in die Diskussion über die Wettbewerbsprobleme der Energiewirtschaft einbezieht und eine Gesamtbetrachtung der zugrunde liegenden Strukturen und ihrer Bedeutung für das Zusammenspiel von Märkten und Preisen vornimmt.

Mit stets freundlichen Grüßen verbleibe ich Ihr Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D. Vorsitzender des Beirats

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Brief ari den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos vom 24. Januar 2007 Thema: Gesundheitsreformgesetz Sehr geehrter Herr Bundesminister, im Februar 2 0 0 7 soll der Deutsche Bundestag das Gesundheitsreformgesetz verabschieden. Es trägt den Titel „Wettbewerbsstärkungsgesetz". Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass jene Gesetze, welche die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs schützen sollen, nämlich das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG), auf das Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr anwendbar sind. Der Beirat warnt eindringlich vor dieser Schutzlücke. Im Jahre 2 0 0 0 hatte der deutsche Gesetzgeber § 69 Sozialgesetzbuch V verabschiedet. Danach sollten die Rechtsbeziehungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern (wie zum Beispiel den Arzneimittelherstellern, Apothekern, Ärzten und Krankenhäusern) sich ausschließlich nach öffentlichem Recht richten. In einem Urteil vom März 2 0 0 6 hat das oberste Gericht in Zivilsachen, der Bundesgerichtshof, endgültig entschieden: § 69 SGB V enthält nicht lediglich eine Rechtswegezuweisung an die Sozialgerichte, sondern eine echte Bereichsausnahme von GWB und UWG. Diese Gesetze hindern gesetzliche Krankenkassen nicht mehr daran, im Bereich der Einzelverträge Kartelle zu bilden, Leistungserbringer zu diskriminieren, die Zugänge zum Markt zu sperren oder sonst unlauteren Wettbewerb zu treiben. Zur gleichen Zeit fiel auch der Schutz des Wettbewerbs durch die Regeln des europäischen Gemeinschaftsrechts weg. Abweichend von den sonst beachteten methodischen Standards entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften: Gesetzliche Krankenkassen in Deutschland sind nicht nur im Aktivgeschäft mit ihren Versicherungsnehmern keine Unternehmen, sondern auch bei ihrer Beschaffungstätigkeit gegenüber den Leistungserbringern. Sie fallen damit mangels Unternehmenseigenschaft weder unter das Kartellverbot noch unter das Missbrauchsverbot der Artikel 81 und 82 des EG-Vertrages. Auf die Anwendung dieser Vorschriften hat der deutsche Gesetzgeber keinen Einfluss. Damit ist eine Schutzlücke entstanden. Die beabsichtigte Gesundheitsreform 2 0 0 7 soll die Wettbewerbskräfte innerhalb des deutschen Gesundheitssystem stärken; die einschlägigen Gesetze zum Schutz des Wettbewerbs sind jedoch auf nationaler wie auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene für die gesetzlichen Krankenkassen außer Kraft gesetzt. 2505

Brief an Bundesminister Michael Glos vom 24. Januar 2007

Überdies sieht das Reformgesetz von 2007 vor, dass die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen grundsätzlich im Wege von Ausschreibungen beschaffen sollen. Die Absicht, die Kosten des deutschen Gesundheitswesens mittels Ausschreibungen im Griff zu halten, ist gewiss begrüßenswert. Die Nichtanwendbarkeit der Wettbewerbsgesetze führt jedoch zu dem großen Risiko, dass durch die Art des Verfahrens monopolistische Strukturen auf der Anbieterseite befördert werden. Es würden dann kurzfristige Kostenvorteile mit langfristig kostentreibenden Strukturnachteilen erkauft. Wir halten aufgrund dieser Schutzlücke Ihr Einschreiten für unerlässlich: • Die wettbewerbspolitisch beste Lösung wäre es, § 69 SGB V ersatzlos zu streichen. • Helfen würde auch eine Klarstellung durch den Gesetzgeber, dass die Norm, falls man an ihr festhalten will, lediglich eine Zuweisung des Rechtsweges an die Sozialgerichte enthält und keine Bereichsausnahme von den Wettbewerbsgesetzen. • Nicht zu empfehlen wäre der Versuch, für die erwähnten Ausschreibungen der Kassen ein Sonderkartellrecht zu schaffen. Sehr geehrter Herr Minister: Ihr Ministerium hat innerhalb der Bundesregierung die Zuständigkeit für Novellierungen des GWB. Es verteidigt insoweit eine stolze Tradition. Der hier geschilderte Rechtszustand bedarf dringend einer Korrektur: Er steht in krassem Widerspruch zum Anspruch eines „Wettbewerbsstärkungsgesetzes" und der Absicht, auch langfristig im Gesundheitswesen die Kosten zu senken.

Mit stets freundlichen Grüßen verbleibe ich Ihr Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D. Vorsitzender des Beirats

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Gutachten vom 24. März 2007 Thema: Patentschutz und Innovationen Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat sich in mehreren Sitzungen, zuletzt am 24. März 2007, mit dem Thema

„Patentschutz und Innovation" befasst und ist dabei zu der nachfolgenden Stellungnahme gelangt.

I

Anlass des Gutachtens

Patente haben Konjunktur. Sie sind kein trockenes Thema mehr, das allenfalls ein paar technische Spezialisten interessiert. Wirtschaftspolitiker werden nicht müde, Patentstatistiken zu zitieren und intellektuelles Eigentum als Baustein der Wissenschaftsgesellschaft zu rühmen. In Beiträgen zur Managementliteratur werden Patente zu bisher unerkannten Rembrandt-Gemälden hochstilisiert, deren Entdeckung Unternehmen Millioneneinnahmen verspricht. 147 Mehr Patente werden zum Rezept für mehr Innovation. Und wer ist schon gegen mehr Innovation? Patente haben in den letzten Jahren in der öffentlichen Diskussion hauptsächlich aus zwei Gründen Aufmerksamkeit gefunden. Zum einen wird häufig auf die Verletzung der Schutzrechte deutscher Unternehmen in anderen Ländern (namentlich China) verwiesen. Zum anderen ist - insbesondere im Kontext der Diskussion um Patentschutz für Software - auf die potenziell innovationshemmende Wirkung von Patenten hingewiesen worden. 148 Beide Sorgen bedürfen einer detaillierten Betrachtung. Es ist richtig, dass Imitation Innovationsanreize senken kann. Es besteht in der Tat die Gefahr, dass deutsche Unternehmen (und insbesondere Mittelständler), die sich in China oder anderen Ländern schneller Imitation ausgesetzt sehen, ihre Innovationsbemühungen einschränken werden. Dieses Problems nimmt sich die Politik bevorzugt an, und Patentschutz wird als Teil einer Lösung des Problems verstanden. Hierbei wird Wissen als öffentliches Gut betrachtet, dessen Bereitstellung aufgrund der Möglichkeit der Imitation nicht ausreichend erfolgt. Die Rechtsordnung beantwortet diesen Sachverhalt mit der Schaffung eines Ausschlussrechts: der imitative Wett1 4 7 Vgl. „Rembrandts in the Attic" von Rivette/Kline ( 2 0 0 0 ) . 1 4 8 Dies w a r vor allem ein Anliegen der Open-Source-Bewegung. Sie hat auf die Gefahr von „Trivialpatenten" aufmerksam gemacht. 2507

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bewerb wird beschränkt, um innovativen Wettbewerb zu befördern. Der Konflikt zwischen underproduction im Falle fehlenden Schutzes und underutilization im Falle vorhandenen Schutzes wird im Grundsatz zugunsten der Wissensproduktion aufgelöst. In welchem Umfang solche Ausschlussrechte tatsächlich diese Leistung erbringen, ist bis heute eine hochkontrovers gebliebene Frage. Sie wird sich nicht für alle Zeiten, für alle Rechts- und Wirtschaftsordnungen, für alle Branchen, für alle gewerblichen Schutzrechte einheitlich beantworten lassen. Den Vorteilen von Patenten - die Korrektur eines Mangels an Ausschlussrechten, der gesamtwirtschaftlich für zu geringe Innovationsanreize sorgt - stehen aber Kosten gegenüber. Mit den vom Staat erteilten Ausschlussrechten kann Wettbewerb auch missbräuchlich behindert werden. Produktive, auch weitere innovative Tätigkeiten können ganz unterbleiben, weil es nicht gelingt, Lizenzen für alle patentierten Elemente zu erwerben, die für die Leistungserbringung erforderlich sind. Wenn missbräuchliche Nutzungen nicht verhindert werden, können die volkswirtschaftlichen Kosten der Patente deren Nutzen überwiegen. Der Beirat wendet sich in diesem Gutachten primär dieser zweiten, von der Politik häufig übersehenen Frage zu und gibt Empfehlungen, wie die innovationsfördernde Wirkung des Patentsystems erhalten und gestärkt werden kann. Patente sind heute ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftslebens geworden. Der Beirat diskutiert ihr Für und Wider nicht, als stünde ihre völlige Abschaffung zur Debatte. Der Beirat mahnt jedoch an, dass jede Ausweitung des Patentsystems sehr sorgfältig zu prüfen ist, denn die Dichte von Schutzrechten kann exzessiv werden.149 Vor allem darf das Patentsystem nicht in ein Instrument des allgemeinen Investitionsschutzes umfunktioniert werden.150 Für eine mehr oder minder schleichende Ausweitung des Patentsystems gibt es gute empirische Belege, die im Gutachten vorgestellt werden. Zu den hier diskutierten Fehlentwicklungen gehören das 1 4 9 Vgl. das Beiratsgutachten Mehr ger

Bürokratie.

Vertragsfreiheit,

geringere

Regulierungsdichte,

weni-

(http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Service/publikationen,did=

177992.html). 1 5 0 Ähnliches kann über andere Schutzrechte gesagt werden. Ein interessantes Beispiel einer übermäßig optimistischen Einschätzung von Schutzrechten durch die Politik ist die Direktive zum Schutz von Datenbanken. Im Jahr 1 9 9 6 unternahm die Europäische Union den ungewöhnlichen Schritt, eine völlig neue Art von Schutzrechten zu schaffen (vgl. Directive 9 6 / 9 / E C of the European Parliament and of the Council of 11 M a r c h 1 9 9 6 ) . Die Einführung erfolgte in großer Eile und ohne jegliche wissenschaftliche Analyse, die einen innovationsfördernden Effekt der neuen Schutzrechte nahegelegt hätte. Sämtliche Untersuchungen, die bisher den Einfluss der Direktive auf die Schaffung von Datenbanken betrachtet haben, kommen zu einer negativen Einschätzung ihrer Wirkung. 2508

Patentschutz und Innovationen

starke Wachstum der Patentanmeldungen und -erteilungen bei gleichzeitig relativ geringem Zuwachs der FuE-Aufwendungen; die sinkende Qualität der Patentanmeldungen; die immer stärker werdende Vernetzung von Patentrechten, die zu sogenannten Patentdickichten führt; sowie das Nachlassen der Qualitätskontrolle durch die Einspruchsmechanismen an den Patentämtern. Der Beirat hält diese Entwicklungen für steuerbar, da Wirtschaftspolitik und Patentämter über vielfältige Möglichkeiten verfügen, auf das Verhalten der Beteiligten Einfluss zu nehmen. Daher spricht sich der Beirat dafür aus, die beschriebenen Entwicklungen zu unterbinden und wo nötig rückgängig zu machen. Ein ausuferndes Patentsystem würde nach Auffassung des Beirats Innovation und Wettbewerb in Europa behindern; in den USA kann man diese Wirkung bereits beobachten. Im Gutachten stehen die Probleme des Europäischen Patentsystems im Vordergrund, da rein nationale Entwicklungen in diesem Feld zunehmend von koordinierten europäischen Verfahren und Institutionen abgelöst werden. Adressaten dieses Gutachtens sind somit nicht ausschließlich die deutsche Wirtschaftspolitik, sondern alle europäischen Institutionen, die maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung des Europäischen Patentsystems ausüben. Der Beirat erinnert daran, dass das gesamtwirtschaftliche Ziel des Patentsystems - die Förderung von Innovationen - im Vordergrund stehen sollte.

II. Zentrale Elemente von Patentsystemen Ein Patent erlaubt es seinem Inhaber, andere Parteien von der Nutzung des patentierten Gegenstandes auszuschließen. Dieses Ausschlussrecht gilt grundsätzlich nur territorial - um Schutz in einem bestimmten Land zu erhalten, wird ein Patent eines zuständigen Patentamtes benötigt. In der Regel werden Anmelder Patentrechte zunächst bei einem nationalen Patentamt beantragen. Innerhalb des ersten Jahres nach der Erstanmeldung (des Prioritätsjahres) kann eine Patentanmeldung an andere nationale oder regionale Ämter weitergeleitet werden. Das Europäische Patentamt (EPA) bietet Patentanmeldern seit 1978 ein harmonisiertes Anmelde- und Prüfungsverfahren für die Länder an, die dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) beigetreten sind. Sofern das EPA das Patent gewährt, hat der Anmelder das Recht, es in den von ihm benannten EPÜ-Ländern in Kraft treten zu lassen.1S1 Nationale Patentanmeldungen können 151 Ein großer Teil der beim EPA eingehenden Anmeldungen wird zum Ende des Prioritätsjahres eingereicht, nachdem zuvor eine nationale Erstanmeldung erfolgt ist. Die Publikation der Anmeldung und des Rechercheberichts des EPA erfolgt 18 Monate nach Prioritätsdatum, somit meist etwa 6 Monate nach Anmeldung am EPA. 2509

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innerhalb des Prioritätsjahres auch unter dem Patent Cooperation Treaty (PCT) beim World Intellectual Property Institute (WIPO) eingereicht werden. Die Anmelder können dann innerhalb von 30 Monaten nach dem Prioritätsdatum diejenigen PCT-Staaten benennen, in denen sie Patentschutz beantragen wollen. Zu diesem Zeitpunkt tritt die Patentanmeldung dann in die regionale oder nationale Phase und wird vom jeweiligen Patentamt bearbeitet. Ein Patent ist nur in seltenen Fällen gleichbedeutend mit einem ökonomischen Monopol, denn für die Erstellung eines bestimmten Produktangebots gibt es häufig mehrere technische Ansätze, die als Substitute verstanden werden können. Jedoch erhöhen Patente regelmäßig die Kosten für Wettbewerber und haben daher eine Schutzwirkung für den Patentinhaber. Schon die Notwendigkeit, Patentrecherchen durchzuführen, um Patentverletzungen zu vermeiden, erhöht die Kosten der Wettbewerber. Fast alle Patentsysteme sind heutzutage Prüfungssysteme, d.h. die Erteilung des Patentes wird an das Erfüllen bestimmter inhaltlicher Kriterien geknüpft. Der Prüfungsvorgang wird von Mitarbeitern des jeweiligen Patentamts vollzogen, wobei sich zwischen diesen Ämtern durchaus unterschiedliche Bewertungen der Patentierbarkeit ergeben können. Die am Europäischen Patentamt anzuwendenden Kriterien der Prüfung lauten i) Neuheit (EPÜ Art. 54), ii) erfinderische Tätigkeit (EPÜ Art. 56) und iii) gewerbliche Anwendbarkeit (EPÜ Art. 57). Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Sie gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Und sie gilt als gewerblich anwendbar, wenn ihr Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann. Das erste und dritte Kriterium lassen sich in der Praxis häufig besonders leicht erfüllen. Das zweite Kriterium, das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit, wird somit zum oft wichtigsten Kriterium der Prüfung. Vollzogen wird die Prüfung durch einen Vergleich der in der Anmeldung beschriebenen Erfindung mit dem Stand der Technik. Der Stand der Technik wird durch den Prüfer (oder andere Fachexperten) recherchiert und üblicherweise in einem Recherchebericht für Patentanmelder und Öffentlichkeit zusammengefasst. Im Recherchebericht wird auch angegeben, welche Ansprüche der Patentanmeldung durch den Stand der Technik bereits vorweggenommen wurden. Wichtige Elemente des Patentsystems sind somit i) die Recherche, ii) die eigentliche (materielle) Prüfung, iii) Institutionen zur Überprüfung der 2510

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Prüfungsentscheidung innerhalb des Patentamtes und iv) die jeweils zuständigen Gerichte, vor denen Patentverletzungsklagen oder aber Patentnichtigkeitsklagen verhandelt werden. In Abb. 1 werden diese vier Elemente der Patentsysteme in den USA und in Europa dargestellt und hinsichtlich wichtiger Charakteristika miteinander verglichen. Recherche. Nach Einreichung einer Patentanmeldung an einem nationalen oder dem Europäischen Patentamt 1 " erfolgt zunächst eine Prüfung des Patents im Hinblick auf rein formale Kriterien. Danach wird ein Recherchebericht erstellt, der den Stand der Technik zusammenfasst. In den USA hat der Anmelder die Pflicht, den ihm bekannten Stand der Technik anzugeben. Um sich abzusichern, geben Anmelder in den USA relativ umfangreiche Listen von möglichen Beiträgen zum Stand der Technik ab. Teilweise erschweren sie dem Prüfer damit auch die Prüfungsaufgabe und reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass ein der Anmeldung schädlicher Stand der Technik entdeckt wird. In Europa sind die Recherchen darauf ausgerichtet, eine relativ knappe Darstellung des Stands der Technik zu erstellen. 153 Hinweise auf existierenden Stand der Technik durch den Anmelder können vom Prüfer aufgenommen werden. Dies geschieht jedoch nur selten (in etwa 7 Prozent aller Fälle). Der Recherchebericht liegt üblicherweise etwa 6 Monate nach Einreichen der Anmeldung am EPA vor. Prüfung. Am Europäischen Patentamt muss der Anmelder innerhalb von 6 Monaten nach Vorliegen des Rechercheberichts die Prüfung beantragen (EPÜ Art. 94). Tut er dies nicht, weil beispielsweise der Recherchebericht gezeigt hat, dass die Erfindung nicht hinreichend über den Stand der Technik hinausgeht, so gilt die Anmeldung als zurückgezogen. In der eigentlichen Prüfungsphase werden Patentanmeldungen, wie erwähnt daraufhin untersucht, ob die zugrunde liegenden Erfindungen neu sind, einen erfinderischen Schritt vollziehen und gewerblich nutzbar sind. Kritische Ansprüche werden vom Prüfer ggf. aus dem Patent gestrichen oder im Wortlaut verändert. Der „Verhandlungsprozess" zwischen Prüfer und Anmelder kann sehr lange dauern und vom Anmelder hinausgezögert werden, um z.B. Marktentwicklungen in der endgültigen Patentformulierung berücksichtigen zu können. Im Durchschnitt dauert die gesamte

1 5 2 Die meisten Anmeldungen werden direkt am jeweiligen nationalen Amt vorgenommen. Der Anmelder kann dann zunächst den nationalen Recherchebericht abwarten, um dann zu entscheiden, ob eine relativ teure Anmeldung am EPA verfolgt werden soll. Praktiker weisen darauf hin, dass die nationalen Ämter in Europa indirekt mit dem Europäischen Patentamt in Konkurrenz stehen und im Wettbewerb für die Ämter Anreize entstehen, bei der Patentvergabe anmelderfreundlich zu agieren. 1 5 3 Vgl. Michel/Bettels ( 2 0 0 0 ) für eine Diskussion der unterschiedlichen Vorgehensweisen. 2511

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Patentbearbeitung (von Anmeldung bis Erteilung bzw. Zurückweisung der Anmeldung) am EPA 4,2 Jahre. Wenn der Prüfer das Patent in der vom Anmelder vorgesehenen Form nicht akzeptiert, kann es zu einer Zurückweisung der Anmeldung kommen, oder der Anmelder zieht seinerseits die Anmeldung zurück. Prüfungen am Europäischen Patentamt sind in den letzten 25 Jahren trotz steigender Anmeldungszahlen mit einer fast konstanten Quote der Patenterteilung verbunden gewesen (etwa 67 Prozent). 154 Damit ist das Europäische Patentamt selektiver als das US-Patentamt, bei dem eine Erteilungsquote von über 90 Prozent besteht. i J 5 1 5 6 Kontrollinstanzen. Wie am Deutschen Patent- und Markenamt DPMA beinhaltet das System am Europäischen Patentamt ein Einspruchsverfahren, das es dritten Parteien erlaubt, vom EPA erteilte Patente anzufechten. Dieses Verfahren erlaubt eine nachgelagerte Kontrolle der Patenterteilung. Da das Einspruchsverfahren nicht unerhebliche Kosten (zwischen 5 . 0 0 0 € und 1 5 . 0 0 0 € ) für den Angreifer verursacht, werden vornehmlich besonders wichtige Patente angegriffen, deren Wegfall dem Angreifer einen entsprechend hohen Nutzen verspricht. 157 Diese werden dann im Einspruchsverfahren einer intensiven zweiten Prüfung unterzogen. Der gesamtwirtschaftliche Vorteil einer solchermaßen veranlassten Kontrolle sollte nicht gering geschätzt werden. Für wertvolle Patente ist eine genaue Abgrenzung des Patentschutzes besonders wichtig, um Wohlfahrtsverluste zu vermeiden. Von den Angreifern werden häufig Informationen zur Verfügung gestellt, die dem Patentamt bei der ersten Prüfung nicht zugänglich waren. Historisch betrachtet sind knapp 8 Prozent der am EPA gewährten Patente im Einspruchsverfahren angegriffen worden. In manchen Industriezweigen (z.B. Kosmetik, waschaktive Substanzen) liegt die Einspruchshäufigkeit bei über 15 Prozent. Das Verfahren hat spürbare Kontrolleffekte - etwa ein Drittel der angegriffenen Patente wird gänzlich widerrufen, ein weiteres Drittel wird im Schutzumfang

1 5 4 Vgl. Harhoff/Wagner ( 2 0 0 6 ) . 1 5 5 Diese Quote gilt nach Korrektur für sogenannte continuations.

Im US-amerikanischen

Patentsystem haben die Prüfer nur stark eingeschränkte Möglichkeiten, eine Patentanmeldung endgültig zurückzuweisen. Anmelder können eine Verfahrensfortführung (continuation

oder continuation

in parts) beantragen, mit der die Patentanmeldung in

veränderter F o r m , aber mit dem Prioritätsdatum der ursprünglichen Anmeldung wieder in den Prüfungsprozess gelangt. Quillen und Webster ( 2 0 0 1 / 2 0 0 2 ) machen darauf aufmerksam, dass das USPTO in seinen Statistiken die zurückgezogene Erstanmeldung und die nachfolgenden continuations

als unabhängige Patentanmeldungen ausgewie-

sen haben. 1 5 6 Vgl. Quillen/Webster ( 2 0 0 1 / 2 0 0 2 ) . 1 5 7 Ein Einspruch gegen eine Patenterteilung stellt für Wettbewerber des Patentinhabers ein öffentliches Gut dar. Einsprüche sind somit mit den üblichen Problemen öffentlicher Güter konfrontiert. 2512

Patentschutz und Innovationen

eingeschränkt. Diese relativ weit reichenden Korrekturen finden im USSystem nicht statt. Zwar existiert eine Kontrollinstanz (reexamination), allerdings ist ihre Wirksamkeit stark eingeschränkt.158 Ein Einspruchsverfahren (post-grant review) nach europäischem Vorbild wird derzeit in verschiedenen Reformvorhaben diskutiert.159 Ein Nachteil des europäischen Einspruchsverfahrens ist jedoch seine Dauer - erstinstanzlich dauert die Klärung des Einspruchs ca. 2 Jahre. Schließt sich eine Beschwerde des Patentinhabers oder des Einsprechenden an, verlängert sich das Verfahren durchschnittlich um weitere 2 Jahre. Für eine schnelle Klärung ist das Verfahren daher oft nicht attraktiv. Zudem wird es immer weniger genutzt (vgl. Abschnitt III). Mit dem Einspruchsverfahren kann ein Angreifer außerdem nur einzelne Patente angreifen. Da Patentanmelder verstärkt dazu übergehen, mehrere relativ ähnliche Patentanmeldungen einzureichen, können sie die Kosten des Einsprechenden durch Aufbau eines Patentportfolios erhöhen. Patentgerichtsbarkeit· Nach der Patenterteilung (und etwaigem Einspruchsverfahren) kann der Anmelder das vom EPA gewährte Patent in den von ihm gewählten EPÜ-Unterzeichnerstaaten validieren und in ein nationales Patentrecht umwandeln lassen. In den jeweiligen Ländern muss für das Aufrechterhalten des Patents eine jährliche Gebühr gezahlt werden, die im Laufe der Zeit ansteigt. Die Aufrechterhaltungsgebühren fließen jeweils zur Hälfte dem nationalen Amt und dem EPA zu. Patentverletzungsfälle müssen vor den nationalen Gerichten geklärt werden. Eine übergeordnete europäische Gerichtsbarkeit mit Zuständigkeit für die vom EPA erteilten Patente gibt es derzeit nicht. Genaue Angaben für die Häufigkeit von Klagen vor nationalen Gerichten gibt es nicht. Schätzungen zufolge liegt die Häufigkeit in Deutschland bei etwa 1 Prozent (bezogen auf die Zahl der gültigen Patente). Die gerichtliche Überprüfung mag auf den ersten Blick nachrangig erscheinen. Immerhin werden ja nur wenige Patente Gegenstand einer Verletzungs- oder Nichtigkeitsklage. Da diese Patente aber häufig besonders wertvoll sind und von den Urteilen Signalwirkungen für andere Patentanmeldungen ausgehen, spielt das Gerichtssystem eine besonders wichtige Rolle.160 Diese Beobachtungen haben unter Umständen für die zukünftige Ausgestaltung eines harmonisierten Patentgerichtswesens in Europa Bedeutung. Der Wunsch nach Vereinheitlichung ist an sich verständlich. Das Europäische Patentamt entscheidet zwar einheitlich über die Anmeldun158 Unterschiede zwischen reexamination und Einspruchsverfahren werden ausführlich von Graham et al. (2003) dokumentiert und analysiert. 159 Vgl. Hall/Harhoff (2004). 160 Vgl. Graham/Harhoff (2005). 2513

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gen und - im Wege des Einspruchsverfahrens - über die Gültigkeit der erteilten Patente. Die anschließende gerichtliche Kontrolle im Wege des Nichtigkeitsverfahrens liegt aber bei den Gerichten der Mitgliedstaaten. Deshalb kann es geschehen, dass ein Patent, das das EPA erteilt hat, in einigen Ländern von den Gerichten aufgehoben wird, in anderen Ländern dahingegen Bestand hat. 161 Für die Analyse der Patentgerichtsbarkeit in den USA sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung. In US-amerikanischen Verfahren trägt jede Seite ihre eigenen Kosten, unabhängig davon, wie der Prozess ausgeht. Außerdem können die Parteien die Kosten der jeweils anderen Seite massiv beeinflussen. Daher ist - ungeachtet der Charakteristika des Streitfalls - eine gütliche Einigung für den Beklagten häufig sinnvoller als ein Durchfechten des Streitfalls. Eine gerichtliche Überprüfung der Gültigkeit der betroffenen Patente findet dann aber nicht mehr statt. Zweitens sind maßgebliche Entscheidungen, beispielsweise zugunsten der Ausdehnung der Patentierbarkeit auf Software und Geschäftsmodelle, durch den United States Court of Appeals for the Federal Circuit erfolgt, der im Jahr 1982 als zentrale Instanz für Berufungsverfahren im Patentbereich geschaffen worden war. Die Entscheidungen dieses Gerichts haben häufig weit reichende Ansprüche von Patentanmeldern und -inhabern unterstützt und so mittelbar die Patenterteilungspraxis des amerikanischen Patentamtes „aufgeweicht". Diese vergleichenden Betrachtungen legen nahe, dass das europäische Patentsystem gegenüber dem der USA durchaus institutionelle Vorteile aufweist. Kritik richtet sich jedoch auf die besondere Konstruktion des europäischen Patentsystems. 162 Die Europäische Patentorganisation (EPO) ist eine durch das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) geschaffene zwischenstaatliche Organisation. Die Organe der Europäischen Patentorganisation sind das Europäische Patentamt und der Verwaltungsrat. Die EPO hat die Aufgabe, europäische Patente nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) zu erteilen. Die Aufgabe wird vom Europäischen Patentamt durchgeführt und vom Verwaltungsrat überwacht. Das Europäische Patentübereinkommen spezifiziert die Kriterien für eine Patenterteilung sehr abstrakt. Die Europäische Patentorganisation hat somit erhebliche Freiräume in der Festlegung der tatsächlichen Erteilungspraxis.

161 Vgl. Straus (2000, 405). 162 Vgl. Schneider in STOA (2007), S. 47ff. 2514

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Das Europäische Patentamt umfasst u.a. die folgenden Organisationseinheiten: eine Eingangsstelle für die formale Prüfung eingereichter Patentanmeldungen, Rechercheabteilungen für die Ermittlung des Stands der Technik, Prüfungsabteilungen für die Sachprüfung der Anmeldungen, Abteilungen zur Bearbeitung von Einsprüchen gegen Patenterteilungen, eine Rechtsabteilung sowie die technischen und juristischen Beschwerdekammern und eine Große Beschwerdekammer, die über Rechtsfragen entscheidet. Die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts sind Gerichten gleichgestellt und genießen eine gewisse Unabhängigkeit. Das EPA wird von einem Verwaltungsrat überwacht (EPÜ Art. 4(3)), der das zweite Organ der EPO darstellt und aus den von den Vertragsstaaten Vertretern und deren Stellvertretern besteht (EPÜ Art. 26(1)). Üblicherweise entsenden die Vertragsstaaten neben Vertretern von Ministerien die Leiter und Präsidenten der jeweiligen nationalen Patentämter in den Verwaltungsrat. Die durchschnittlichen Kosten 163 für ein direkt am EPA angemeldetes europäisches Patent beliefen sich im Jahr 2005 auf 32.000€. Davon stellten die Gebühren des EPA mit 4 . 6 0 0 € nur 14 Prozent der Gesamtkosten dar. Die Kosten der Vertretung vor dem EPA beliefen sich auf ca. 31 Prozent der Gesamtkosten, die Validierung in den Vertragsstaaten nach der Erteilung des Patents durch das EPA auf ca. 22 Prozent. Den größten Kostenanteil machten die nationalen Verlängerungsgebühren in den Vertragsstaaten und die verbundenen Anwaltskosten aus - sie betrugen ca. 10.000€ (32 Prozent der Gesamtkosten). Etwa die Hälfte dieser Kosten waren Jahresgebühren, von denen EPA und nationale Ämter jeweils die Hälfte erhalten. Eine europäische Recherche wurde mit einer Gebühr von 6 9 0 € , die Prüfung selbst mit 1.430€ belegt. Die Erteilungsgebühr belief sich auf 7 1 5 € . Ein Großteil der Einnahmen des Patentamtes ist somit an Erteilung und Verlängerung gekoppelt, die arbeitsintensiven Prozesse von Recherche und Prüfung selbst werden dahingegen aus den nachgelagerten Einnahmen quersubventioniert. Da die im Verwaltungsrat vertretenen Institutionen jeweils die Hälfte der in ihrem Land anfallenden Verlängerungsgebühren vereinnahmen, gibt es auch für die Mitglieder des Verwaltungsrates starke Anreize zugunsten einer erteilungsfreundlichen Patentpolitik.

III. Fehlentwicklungen im Europäischen Patentsystem 163 Vgl. http://www.european-patent-office.org/epo/new/costs_ep_2005_de.pdf. (letzter Abruf am 27.3.2007). Alle Kostenangaben stammen aus dieser Darstellung des EPA. 2515

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Ebenso wie in den Vereinigten Staaten haben Patentanmeldungen und -erteilungen am Europäischen Patentamt sehr viel schneller zugenommen als die FuE-Aufwendungen in den OECD Staaten (vgl. Abb. 2). Zwischen 1990 und 2 0 0 0 stieg die Zahl der jährlichen Anmeldungen am EPA von 70.955 auf 145.241 (mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 7,4 Prozent), während die realen Aufwendungen für FuE (bezogen auf das Jahr 1995) in den OECD Staaten von $398 auf $555 Milliarden anstiegen, also mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 3,4 Prozent. Die Zahl der Anmeldungen wächst also mehr als doppelt so schnell wie das Wachstum der FuE-Aufwendungen. 164 Weitere Steigerungen sind für die nächsten Jahre prognostiziert worden. 165 Verschiedene Studien haben gezeigt, dass diese Entwicklung nicht auf eine erhöhte Produktivität im Erfindungsprozess, sondern auf Veränderungen des Verhaltens der Patentanmelder zurückgeht. 166 Parallel zur Zunahme der Zahl der Patentanmeldungen sind diese erheblich komplexer geworden. In den Jahren von 1980 bis 2 0 0 0 ist die durchschnittliche Zahl der Ansprüche in EPA-Patentanträgen von 10,1 auf 16,9 angewachsen (vgl. Abb. 3). Auch dieser Effekt führt zu einer erheblichen Mehrbelastung der Patentämter. 167 Ein Beispiel für eine systematische Überflutung der Patentämter mit einer extrem hohen Zahl von Ansprüchen wird in Kasten 1 als Fall 1 vorgestellt. Die eingereichten Anmeldungen sind zunehmend untereinander vernetzt. Anmelder gehen verstärkt dazu über, Bündel von relativ ähnlichen Anmeldungen einzureichen, um ihre Patentportfolios aufzubauen. Während üblicherweise aus einer Prioritätsanmeldung an einem nationalen Patentamt eine Patentanmeldung am EPA abgeleitet wird, ist die Zahl von EPAAnmeldungen mit Bezug auf eine gemeinsame Priorität stark angestiegen (vgl. Abb. 4). In einigen Industrien (Telekommunikation, Informationstechnologie) beruhen inzwischen fast 20 Prozent der Anmeldungen auf

1 6 4 Die Entwicklung ist teilweise auf die starke Zunahme von Sekundäranmeldungen (innerhalb des Prioritätsjahres) zurückzuführen. Die Zunahme der Patentanmeldungen geht vornehmlich auf große Patentanmelder zurück - so merkt das D P M A in seinem Jahresbericht 2 0 0 4 an, dass Patentanmelder im Jahr 1 9 9 4 mindestens 1 3 8 Anmeldungen aufweisen mussten, um zu den 5 0 wichtigsten Patentanmeldern a m D P M A zu zählen. Im Jahr 2 0 0 4 lag der Mindestwert bereits bei 3 2 9 Anmeldungen. 1 6 5 Vgl. EU Observer, „Europe faces surge in patent applications"

(http://euobserver.

c o m / 9 / 2 2 7 3 1 , letzter Abruf a m 1 5 . 3 . 2 0 0 7 ) 1 6 6 Vgl. insbesondere Hall und Ziedonis ( 2 0 0 1 ) . 1 6 7 Eine genaue Beschreibung und Analyse dieser Entwicklung wird von Archontopoulos et al. ( 2 0 0 6 ) vorgelegt. 2516

Patentschutz und Innovationen

gemeinsamen Prioritäten. 168 Die Beschreibung von Fall 2 im folgenden Kasten erläutert diesen Effekt anhand eines Extrembeispiels. In diesem Beispiel kann der Anmelder mit mehrfachen EPA-Anmeldungen die Kosten eines Angriffs auf sein Patent (bspw. im Einspruchsverfahren) stark erhöhen. Unter Umständen kann er - in der Sprache der Praktiker - ein komplexes „Minenfeld" von sehr ähnlichen Anmeldungen erstellen. Zudem ist die Qualität der eingehenden Patentanmeldungen gesunken. Im Verlauf der Recherchen am EPA wird ein Maß für die Qualität von Patentanmeldungen generiert. In den Rechercheberichten des EPA werden die Patent- und Nichtpatentdokumente genannt und klassifiziert, die den Stand der Technik beschreiben. Der Anteil der Anmeldungen, denen laut Rechercheberichten wichtiger Stand der Technik entgegensteht, die also von den Prüfern kritisch betrachtet werden, ist kontinuierlich gestiegen (vgl. Abb. 5). Die Qualität der im Patentamt ankommenden Anmeldungen ist also stetig schlechter geworden. 169

168 Der in Abb. 4 dargestellte Effekt beruht etwa hälftig auf dem verstärkten Auftreten von sogenannten Teilungsanmeldungen, die im Laufe des Prüfungsverfahrens entstehen, und auf der Zunahme von. Anmeldungen am EPA, die schon zum Anmeldungszeitpunkt auf gemeinsame Prioritäten zurückgehen. Beide Entwicklungen spiegeln strategisches Verhalten der Anmelder wieder. 169 Guellec und Pottelsberghe (2007, 164) kommentieren diese Entwicklung im Detail: „(...) This increase in X and Y citations is probably the consequence of the new patent strategies that consist in inventing around, creating patent thickets (...) which finally end up in a snowball effect: more and more applications are applied with a clear inflation in the number of claims." 2517

Gutachten vom 24. März 2007

Kasten 1 - Extremfäile von Anmeldungsverhalten Fall 1 - W 0 2 0 0 5 / 0 5 1 4 4 4 A2 Die Anmeldung gehört zu einer Gruppe von 7 PCT-Einreichungen 170 , die sich durch eine besonders hohe Zahl von Ansprüchen auszeichnen. Die PCT-Anmeldung W 0 2 0 0 5 / 0 5 1 4 4 4 A2 hat 19.368 Ansprüche, W O 2005/046746 A2 10.247 Ansprüche und W O 2005/046747 A2 1.738 Ansprüche. Alle anderen Anmeldungen in dieser Gruppe haben mehr als 1.000 Ansprüche. Aufbauend auf den 7 WO/PCT-Anmeldungen, hat der Anmelder mehr als 50 USPTO-Anmeldungen eingereicht. Die Zahl der Ansprüche wurde jeweils massiv reduziert (ca. 100 Ansprüche per USPTOAnmeldung). Im Fall der Anmeldung US2005/0182468 wurde der Anmelder vom USPTO aufgefordert, eine Gebühr von 1.3 Millionen US$ für zusätzliche Ansprüche zu zahlen. Der Anmelder reduzierte die Zahl der Ansprüche dann von 13,305 auf weniger als 70. Das EPA hat die Bearbeitung der Anmeldung W 0 2 0 0 5 / 0 5 1 4 4 4 mit einer „no search decision" abgelehnt. Der Antragsteller kann jedoch die sich aus diesem Antrag ergebenden Prioritätsrechte aufrecht erhalten, bis eine Verringerung der Zahl der Ansprüche erfolgt ist und eine Recherche durch das EPA beginnen kann. Der Antragsteller kann diese Situation ausnutzen, etwa um den Such- und Prüfprozess zu verzögern oder um spätere Teilungen der Anmeldung zu ermöglichen. Außerdem stellt die Anmeldung einen potenziellen Ausgangspunkt für spätere Klagen gegen andere Anmelder oder Wettbewerber dar, die in ihren Anmeldungen einen bestimmten kritischen Anspruch (in 19.368 Ansprüchen verborgen) nicht beachtet oder entdeckt haben. Fall 2 - US19920991074 In diesem Fall wurden auf der Grundlage der Prioritätsanmeldung USI9920991074 (Set Top Terminal for Cable Television Delivery Systems, 91 Ansprüche, 183 Seiten Umfang) am USPTO 7 Anmeldungen am EPA eingereicht, die alle zu einer Patenterteilung führten. Der Anmelder teilte außerdem seine Anmeldungen, was zu 16 weiteren Teilungsanmeldungen führte. Diese Teilungsanmeldungen wurden in drei Fällen wieder geteilt. Insgesamt wurden somit aus einer Prioritätsanmeldung insgesamt 26 EPA-Anmeldungen erzeugt, von denen 18 bisher zu einer Patenterteilung führten.

170 Vgl. Abschnitt 2 zu PCT-Anmeldungen. 2518

Patentschutz und Innovationen

Die tatsächliche Patenterteilungsrate am Europäischen Patentamt, also der Anteil der Patentanmeldungen, die zur Erteilung des Patentschutzes führten, lag im Zeitraum von 1978 bis 1995 (Anmeldejahre) trotz der steigenden Zahl von Anmeldungen und trotz der sinkenden Qualität der Anmeldungen fast konstant bei ca. 67 Prozent.171 Kritik an diesen Zahlenverhältnissen kommt nicht nur von Praktikern innerhalb und außerhalb des EPA172, sondern sogar vom Vorsitzenden des Verwaltungsrats des EPA, der dazu rät, Patentanmeldungen häufiger als bisher zurückzuweisen.173 Eine aktuelle Studie (Friebel et al. 2006) der Motivationsstrukturen im EPA nennt eine Reihe von Faktoren, die zu Verzerrungen im Entscheidungsverhalten zugunsten einer Patentgewährung führen. Dazu gehören ein Mangel an Kontrollen durch Vorgesetzte ebenso sowie die Vernachlässigung des Mehraufwands für ein Zurückweisen der Anmeldung im Controlling des Amtes.174 Während eine Zurückweisung den Aufwand für die Bearbeitung eines Falles um 70 Prozent erhöht, wird sie in der Leistungsbewertung wie eine weniger arbeitsintensive Patentgewährung behandelt. Leider können auch die Kontrollinstanzen des EPA diese Effekte nicht vollständig korrigieren. Die Analyse der Häufigkeit von Einspruchsverfahren am EPA zeigt, dass die Zahl der angestrengten Verfahren relativ zur Gesamtzahl der gewährten Patente in den letzten zwanzig Jahren in den meisten Technikfeldern um etwa 50 Prozent gesunken ist (vgl. Abb. 6). Die Häufigkeit von Einsprüchen ist in allen Technikfeldern zurückgegangen. Der Rückgang ist in den Bereichen der Elektro- und Informationstechnik am stärksten ausgeprägt. Die Kontrollfunktion des Einspruchsverfahrens ist also erheblich schwächer geworden. Daraus folgt: die Wirtschaftspolitik kann sich nicht damit beruhigen, dass es ja das Einspruchsverfahren gibt. Wenn unberechtigt ein Patent erteilt worden

171

Eine exakte Ermittlung der Patenterteilungsrate ist schwierig, da die lange Prüfungsdauer am EPA dazu führt, dass für viele Anmeldungen noch kein Prüfungsergebnis vorliegt. Vgl. die ausführliche Darstellung in Guellec und Pottelsberghe ( 2 0 0 7 , 1 7 4 ) .

172

Guellec und Pottelsberghe ( 2 0 0 7 ) ist ein Beitrag aus der Perspektive eines früheren sowie des jetzigen Chefökonomen am EPA. Hagel ( 2 0 0 4 ) bezieht eine kritische Position aus der Sicht eines Anmelders.

173

Interview mit Roland Grossenbacher: " ( . . . ) We should grant fewer patents ( . . . ) . It is about changing a mindset. We have sent out a message that it's good to grant patents but we never speak about the need to reject applications. Examiners need to be more like judges. They are not there simply to grant patents to 'customers'."

http://www.

managingip.com/includes/magazine/PRINT.asp?SID=6483868cISS=224128cPU. 1 7 4 Vgl. Tab. 2 3 in Friebel et al. ( 2 0 0 6 ) sowie die Ausführungen auf S. 93ff. 2519

Gutachten vom 2 4 . M ä r z 2 0 0 7

ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es bestehen bleibt. Aktuell wurden im Jahr 2003 59.992 Patente durch das EPA gewährt und nur 2.634 Einsprüche eingelegt. Damit war die Einspruchstätigkeit an einem historischen Tiefpunkt angekommen.175

IV. Erklärungsansätze Die beschriebenen Fehlentwicklungen lassen sich zum Teil gut im Licht der modernen theoretischen Literatur interpretieren, selbst wenn zu konstatieren ist, dass eine umfassende theoretische Durchdringung des Patentsystems noch aussteht.176 Erste modelltheoretische Untersuchungen, die den Ausgleich zwischen statischen und dynamischen Aspekten des Patentschutzes abbilden, sind in den 60er Jahren vorgenommen worden. So zeigt Nordhaus in einem theoretischen Modell, dass die optimale Dauer des Patentschutzes von den technologischen Eigenschaften des Forschungsprozesses und den Nachfrageparametern abhängt. In einer kurzen Ergänzung legt Nordhaus auch die Grundlagen für ein vertieftes Verständnis der Breite des Schutzumfangs. Dieser Dimension des Patentschutzes wird dann in den 80er Jahren weitere Bedeutung beigemessen. Dabei wird die Überlegung aufgegriffen, dass einige Patente einen sehr engen Schutzbereich aufweisen, während andere „breite Wirkung" haben und auch eine Vielzahl technischer Varianten der Erfindung vor Imitation schützen. „Patentbreite" ist vor allem eine Folge der rechtlichen Ausgestaltung des Patentsystems. Neuartige chemische Substanzen erhalten üblicherweise einen sehr breiten Schutz, wohingegen in vielen Bereichen der Mechanik eine legale Umgehung einer Erfindung (invent around) relativ leicht möglich ist. In den meisten Branchen erhöht ein Patent die Kosten der legalen Umgehung nur um einen Bruchteil der Kosten einer

1 7 5 Die Einspruchshäufigkeit ist in den Folgejahren marginal gestiegen und betrug im Jahr 2 0 0 4 5 . 6 % und 2 0 0 5 5 . 3 % (Einsprüche bezogen auf die im Zeitraum gewährten Patente). Die erteilten Patente können in den einzelnen EPÜ-Ländern auch noch im Nichtigkeitsverfahren angegriffen werden. Solche Verfahren sind jedoch um ein Vielfaches teurer als ein Einspruchsverfahren und werden daher seltener initiiert. 1 7 6 Das Patentrecht wird gelegentlich mit Argumenten begründet, die auf den Einzelerfinder zugeschnitten sind. Wir vernachlässigen diese Begründungen hier. In der Erfindungswirklichkeit

ist das ein seltener Fall. In der H a n d eines Einzelerfinders ist ein

M o n o p o l recht viel weniger problematisch als in der H a n d von Unternehmen. Denn der Einzelerfinder verdient gerade und nur dadurch Geld, dass er die Erfindung als solche kommerzialisiert. Er kann sie normalerweise nicht mit einer Stellung auf Produktmärkten verbinden, die auf der Erfindung aufbauen. 2520

Patentschutz und Innovationen

eigenen Erfindung. 177 Die von FuE-Managern wahrgenommene Effektivität des Patentschutzes weist erhebliche Variation über Industriezweige auf. Lediglich in der Pharmazeutik und Chemie wird Patentschutz als besonders effektiv angesehen. In den ersten theoretischen Modellen zur Frage der Patentbreite wurde diese mit den Kosten gleichgesetzt, die für eine legale Umgehung eines Patents erforderlich sind. In einer inzwischen sehr umfänglichen Literatur wird die Abwägung zwischen Dauer des Patentschutzes und Patentbreite ausgiebig diskutiert. Breite und kurzlebige Patente empfehlen sich aus theoretischer Sicht, wenn Patentbreite die Innovationsneigung stärker befördert, als die Dauer des Patentschutzes dies tut. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ohnehin zu erwarten steht, dass mittelfristig eine neue Technologie zur Verfügung steht, deren Leistungsfähigkeit auch vor Auslaufen des Patentschutzes die patentierte Erfindung dominiert. Diese Überlegungen gelten aber nur dann, wenn Patentrechte und Erfindungen nicht sequenziell aufeinander aufbauen und keine starken Beziehungen (kontemporär) untereinander aufweisen. In der Innovationsforschung wird ein solches Szenario gelegentlich mit dem Begriff der „diskreten Technologie" belegt. Als diskrete Technologien werden Bereiche bezeichnet, in denen schon eine Erfindung bzw. ein Patentrecht Grundlage für ein neues Produkt sein kann. Als Beispiel seien pharmazeutische Produkte genannt, die häufig durch wenige Patente (z.B. Stoffpatente auf die molekulare Struktur eines Präparats) geschützt sind. Es gibt derzeit keine Hinweise, dass im Bereich diskreter Technologien besonders schwerwiegende Probleme aufgetreten sind. Diese sind vielmehr mit der intertemporalen und kontemporären Interaktion mehrerer Patentrechte verbunden. Durch das Ineinandergreifen zahlreicher Patentrechte, die in der Hand unterschiedlicher Eigentümer sind, können Transaktionskosten und strategisches Verhalten stärker zur Geltung kommen und negative wirtschaftliche Effekte hervorrufen. Die industrieökonomische Literatur 178 hat sich in den 90er Jahren dem wichtigen Problem sequenzieller Erfindungen zugewandt. Erfindungen bauen häufig aufeinander auf - der erste Erfinder auf einem neuen Forschungspfad eröffnet mit seinem Beitrag die Möglichkeit für weitere Verbesserungen und Modifikationen der ursprünglichen Erfindung. Folgeerfindungen oder Anwendungen können aber oft von größerem 177 Vgl. Levin et al. (1987). Ähnliche Ergebnisse sind mit den Daten der Community Innovation Survey (CIS) für verschiedene europäische Länder nachgewiesen worden. Vgl. Gottschalk et al. (2002). 178 Vgl. zusammenfassend Scotchmer (2004). Eine frühe Analyse sequenzieller Erfindungen wird in von Weizsäcker (1980) vorgenommen. 2521

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sozialen Nutzen sein als die Ersterfindung. So ist die „Entzifferung" von Gensequenzen per se gesamtwirtschaftlich nur von geringem Interesse, wohingegen ihre Verwendung in neuen Medikamenten großen wirtschaftlichen Nutzen stiften kann. Erhält der Ersterfinder zu starken Patentschutz, so müssen Folgeerfinder Lizenzen für die Nutzung der Ersterfindung erwerben. Wenn Lizenzierung - wie empirisch vielfach beobachtet - mit hohen Transaktionskosten einhergeht, können Folgeerfindungen verzögert auftreten oder ganz ausbleiben. Die optimale Ausgestaltung des Patentschutzes in sequenziellen Prozessen dieser Art wird nach wie vor kontrovers diskutiert. In vielen Technologien tritt inzwischen das Phänomen auf, dass ein Produkt oder Herstellungsprozess zahlreiche (oft mehrere hundert) Patentrechte nutzt und vielfach auch ungeklärt ist, ob eine Verletzung von Patentrechten eines Rivalen vorliegt oder nicht. Shapiro hat jüngst den Sprachgebrauch der Praxis aufgegriffen und spricht von „Patentdickichten" 179 . In vielen Branchen kann ein Unternehmen am Markt nur bestehen, wenn es strategisch in den Aufbau eines Patentportfolios investiert, um bei Lizenzverhandlungen über Tauschmasse zu verfügen. Selbst staatlich finanzierte Forschungsinstitute gehen manchmal so vor. Die Komplementarität zahlreicher Patentrechte kann zu Hold-up-Situationen führen und aus Sicht der betroffenen Unternehmen defensives Patentieren - den Aufbau umfangreicher Patentportfeuilles - sinnvoll erscheinen lassen, um bei Rechtsstreitigkeiten oder Kreuzlizenzierungsverhandlungen eine attraktive Verhandlungsposition zu erreichen. So werden in der Halbleiterindustrie drohende Konflikte dadurch entschärft, dass sich die wichtigsten Patentinhaber per Kreuzlizenzierung gegenseitig Nutzungsrechte für die Patente der Konkurrenten einräumen. Um Asymmetrien im Umfang und in der Bedeutung der Patentportfeuilles auszugleichen, werden häufig außerdem Lizenzzahlungen vereinbart. Parteien mit einem umfangreichen Patentportfolio können in diesem Prozess darauf hoffen, nur geringe Zahlungen leisten zu müssen oder sogar Lizenzeinnahmen erzielen zu können. Empirische Studien haben gezeigt, dass diese Motivation für die Patentierung in den letzten 20 Jahren erheblich an Bedeutung zugenommen hat.180 Eine damit verwandte theoretische Einordnung der Beobachtungen wird von Heller und Eisenberg (1998) vorgenommen. Sie argumentieren, dass das Patentwesen zur Bildung von anti-commons geführt hat. Der Begriff bezeichnet eine Situation, in der die Nutzung wertvoller Ressourcen blo-

179 Vgl. Shapiro (2001). 180 Vgl. Hall und Ziedonis (2001). 2522

Patentschutz und Innovationen

ckiert ist, weil die Zustimmung einzelner Inhaber von Abwehrrechten nicht zu erlangen ist. Dazu kommt es, wenn die einzelnen Elemente zueinander komplementär sind und es für die Elemente keine erschwinglichen oder hinreichend wirksamen Substitute gibt. Vernetzte Patente haben diese Wirkung. Jeder einzelne Inhaber eines Teilrechts hat Verhinderungsmacht. Er kann damit drohen, sein Vetorecht auszuüben, falls er nicht einen besonders großen Teil des Ertrags erhält. Besonders wirksam wird die Drohung, wenn die meisten anderen Teilrechtsinhaber bereits zugestimmt haben. Deshalb hat jeder einen Anreiz, seine Zustimmung so spät wie möglich zu erteilen. Die Entwicklung neuer Technologien wird blockiert. Es ist festzuhalten, dass schlecht voneinander abgegrenzte Patentrechte sehr hohe Transaktionskosten verursachen können. In diesem Fall können Patentrechte Innovationen massiv behindern. Verkürzt gesprochen kann ein Patentsystem, das auf die Produktion möglichst vieler Patentrechte ausgerichtet ist, seinen zentralen Auftrag - Anreize für Innovation zu stärken - nicht mehr erfüllen. Vielmehr wird es zum Innovationshemmnis.181 Eine Rückbesinnung auf hohe Qualitätsstandards bei Recherche und Prüfung in den Patentämtern ist daher dringend zu fordern - höhere Anforderungen an die Patentierbarkeit würden die Zahl marginaler Patente - also auf Patente, die auf einem geringen erfinderischen Schritt beruhen - verringern, die Komplexität des Patentdickichts reduzieren und die Nutzung solcher Patente für strategische Zwecke einschränken.

V. Patentdickichte und Wettbewerbspoiitik Aus den oben beschriebenen Entwicklungen ergeben sich auch wichtige Implikationen für die Wettbewerbspolitik. Die Federal Trade Commission (FTC) hat eine detaillierte Untersuchung der Wettbewerbseffekte von Patenten durchgeführt182. Die Untersuchung wurde motiviert durch die Beobachtung der US-Wettbewerbsaufsicht, dass intellektuelles Eigentum und Patente in einer zunehmenden Zahl von Wettbewerbsfällen eine wichtige Rolle spielten. Das ist nicht verwunderlich. Das Auftreten von Patentdickichten impliziert eine zusätzliche Nachfrage nach Patentrechten und kann - so die FTC-Studie - für Wettbewerb und Innovation negative Konsequenzen mit sich bringen. Solange die Patentämter nicht mit rigo-

181 Eine detaillierte Begründung dieser Zusammenhänge wird in der Studie der Federal Trade Commission (2003) gegeben. 182 Vgl. die Studie der Federal Trade Commission (2003). 2523

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rosen Prüfungsstandards und einer Senkung der Erteilungswahrscheinlichkeit reagieren, steigt die Nachfrage nach Patentrechten weiter.183 Appelle an das Wohlverhalten der Unternehmen richten hier nichts aus. Unternehmen im Wettbewerb müssen ihre Patentierungsstrategie letztlich auf das Verhalten der Rivalen abstimmen. Es wird also keine endogenen Kontrollmechanismen geben, die der Erhöhung der Zahl der Patente bei gleichzeitiger Reduzierung der Qualität Einhalt gebieten können. Gleichzeitig werden die Akteure aber neue Vertragsformen, neue Arrangements, neue Institutionen schaffen, um sich irgendwie in einer Welt der Patentdickichte zu behaupten. Um die Kosten für mögliche Auseinandersetzungen um intellektuelles Eigentum zu begrenzen, werden die Akteure auf kooperative Verhaltensweisen wie Kreuzlizenzierung oder Patentverbünde (patent pools) zurückgreifen. Die zunehmende Verwendung dieser Instrumente ist bereits empirisch belegt worden.184. Solche Vorgehensweisen können sehr wohl wettbewerbsfördernde Wirkung entfalten. Patentpools und Lizenzierung können beispielsweise Sperrpositionen bei sich blockierenden oder sich ergänzenden Patenten überwinden. Die Kooperation zwischen den Parteien kann zeit- und kostenraubende Verletzungsstreitigkeiten vermeiden helfen. In Patentverbünden können außerdem Transaktionskosten erheblich reduziert werden, da die Technologienutzer nur noch einen Lizenzvertrag mit dem Patentverbund abschließen. Beide Vorgehensweisen werden von Wettbewerbshütern aber mit begründeter Skepsis betrachtet. Mit geschickt konstruierten Kreuzlizenzierungsverträgen lässt sich in einem Oligopol eine perfekte kollusive Lösung realisieren - dies gehört längst zu den anerkannten Einsichten der industrieökonomischen Forschung und der Rechtsprechung.185 Mit Patentverbünden (wie mit Lizenzinstrumenten) lässt sich außerdem der Eintritt in Märkte beschränken, wenn neu eintretenden Unternehmen die Nutzung des intellektuellen Eigentums verwehrt oder nur zu prohibitiven Bedingungen erlaubt wird. Eine ökonomische Bewertung von Kreuzlizenzierung und Patentverbünden ist aus theoretischer Sicht zunächst recht einfach - sofern die lizenzierten bzw. in den Pool eingebrachten Schutzrechte komplementär zu-

1 8 3 Eine empirische Bestätigung des Zusammenhangs zwischen Patentnachfrage

und

Erteilungswahrscheinlichkeit findet sich bei Sanyal und Jaffe ( 2 0 0 5 ) . Die Verfasser zeigen, dass eine Erhöhung der Erteilungswahrscheinlichkeit die Patentnachfrage (Zahl der Anmeldungen) steigen lässt. 1 8 4 Vgl. Hall und Ziedonis ( 2 0 0 1 ) sowie Lerner und Tiróle ( 2 0 0 4 ) . 1 8 5 Vgl. Scherer ( 1 9 8 0 , S. 1 7 3 ) . 2524

Patentschutz und Innovationen

einander sind, gibt es keinen Grund für wettbewerbsrechtliche Bedenken. In diesem Fall werden die Puzzlestiicke, die für die Durchführung von Innovationen erforderlich sind, lediglich in relativ effizienter Weise zusammengefügt. Sind die in den Patentverbund eingebrachten Erfindungen dahingegen Substitute, so besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb eingeschränkt wird und der Verbund zur Durchsetzung kollusiver Lösungen verwendet werden kann. In diesen Fällen muss durch die Wettbewerbsbehörden gewährleistet werden, dass Eintritt in den Markt nicht durch opportunistische Lizenzierung oder restriktive Handhabung von Patentverbünden reduziert oder gänzlich ausgeschlossen werden kann. Allerdings zieren sich die Aufsichtsbehörden in Europa, sich damit zu beschäftigen, ob komplementäre oder substitutive Beziehungen zwischen Schutzrechten vorliegen. Die Problematik wird in einem Umfeld umso brisanter, in dem die Unternehmen systematisch Patentportfolios aufbauen, in denen eine Vielzahl sehr ähnlicher Patentrechte enthalten ist und auch marginale Variationen geschützt sind. Es kann nicht angehen, dass die Wettbewerbsbehörden in diesem Umfeld auf das Patentamt als Quelle des Übels verweisen, ansonsten die Begegnung mit Patenten aber eher scheuen. Die Wettbewerbsaufsicht muss sich - trotz vieler Vorbehalte - in einem solchen Kontext auch wieder mit einem besonders unbeliebten, weil schwer handhabbaren Instrument, der Zwangslizenzierung, beschäftigen. Intellektuelles Eigentum kann nicht außerhalb der Wettbewerbsordnung stehen - es muss sich einfügen. In Fällen, in denen die vorgelagerten Institutionen versagen, muss die Wettbewerbsaufsicht einschreiten.

VI. Geplante Veränderungen im Europäischen Patentsystem In den kommenden Jahren werden unter Umständen neue Institutionen im Europäischen Patentsystem eingeführt, deren Ausgestaltung einen starken Einfluss auf das Verhalten der Anmelder und der europäischen Ämter nach sich ziehen dürfte. Dabei sind insbesondere das Londoner Protokoll und das Europäische Patentstreitübereinkommen (EPLA) zu nennen. Diese Neuerungen führen - so sie wie derzeit vorgesehen oder in ähnlicher Form umgesetzt werden - zu einer Reduzierung der Kosten der Patentierung sowie möglicherweise zu einer erleichterten Durchsetzung von Patentrechten auf europäischer Ebene. Der Beirat erwartet, dass die Nachfrage nach Schutzrechten infolge der Einführung dieser Neuerungen zunehmen wird. Eine Abschätzung des Nachfrageeffekts ist derzeit schwierig - die Kostenreduktion durch das Londoner Protokoll 2525

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dürfte jedoch erheblich sein. 186 Unter diesen Umständen ist es besonders wichtig, dass die Prüfung von Patentanmeldungen ausreichend stringent erfolgt und nicht fragwürdige Ausschlussrechte schafft, die nur geringe oder keine Anreizwirkung für Innovationen entfalten, gleichzeitig den Wettbewerb aber einschränken oder Transaktionskosten verursachen.

186 Vgl. hierzu die vom EPA veröffentlichten Kostenabschätzungen auf http://patlaw-reform.european-patent-office.org/london_agreement/_pdf/london_agreement_en.pdf. Der Kostenreduktionseffekt ist besonders groß für umfangreiche Anmeldungen mit relativ vielen Ansprüchen, da die Übersetzungskosten bisher stark vom Umfang der Patentschrift abhängig waren. 2526

Patentschutz und Innovationen

Kasten 2 - Gemeinschaftspatent und Londoner Protokoll Seit 1974 hatte die Europäische Kommission den Plan verfolgt, ein Gemeinschaftspatent mit Gültigkeit im gesamten EU-Raum einzuführen. Derzeit sind die vom Europäischen Patentamt erteilten Schutzrecht« nur in den jeweils designierten Zielländern gültig und unterliegen dort den - durchaus unterschiedlichen - nationalen Patentgesetzen. Die Konzeption des Gemeinschaftspatents beinhaltete den Plan, Patentanmeldungen für den gesamten EU-Raum in einer geringen Zahl von Amtssprachen einzureichen und prüfen zu lassen. Außerdem sollte ein Europäisches Patentgerichtssystem geschaffen werden. Die Pläne zur Einführung des Gemeinschaftspatents sind jedoch in eine Sackgasse geraten, da kein Übereinkommen bezüglich der Sprachregelung für Gemeinschaftspatente gefunden werden konnte. Im September 2006 hat die Kommission daher ihre Bemühungen um das Gemeinschaftspatent in der bisher vorgeschlagenen Form aufgegeben. In ihrer Mitteilung COM(2006) 502 hat die Kommission stattdessen erstmals das Londoner Protokoll unterstützt. Das Londoner Protokoll basiert auf Artikel 65 des Europäischen Patentübereinkommens, der den Unterzeichnerstaaten das Recht einräumt, die Forderung nach Übersetzung eines europäischen Patents in die jeweilige Sprache fallen zu lassen. Das Londoner Protokoll tritt in Kraft, sobald acht EPÜ-Unterzeichnerstaaten - darunter Deutschland, Großbritannien und Frankreich - das Protokoll ratifizieren oder ihm beitreten. Im Juli 2006 hatten 10 Staaten (Dänemark, Deutschland, Island, Lettland, Monaco, Slowenien, Schweiz, Niederlande, Schweden und Großbritannien) ihren Beitritt erklärt bzw. das Protokoll ratifiziert. Die Französische Nationalversammlung und der Französische Senat haben die Ratifizierung durch Frankreich empfohlen. Die Unterzeichner erklären sich damit einverstanden, dass europäische Patente nicht mehr in die jeweilige Landessprache übersetzt werden müssen, um in diesem Land Gültigkeit zu haben.

Hinsichtlich des Europäischen Patentstreitübereinkommens weist der Beirat darauf hin, dass die Einführung einer zentralisierten Patentgerichtsbarkeit in den USA mit einer erheblichen Erweiterung des patentierfähigen Stoffumfangs verbunden gewesen ist (vgl. Abschnitt 3). Bei der Ausgestaltung des EPLA muss darauf geachtet werden, dass die politisch gewollten Anforderungen an die Patentfähigkeit nicht durch das harmonisierte EPLA-System unterlaufen werden. Allerdings würde von der Kostenreduktion für Streitfälle auch die Möglichkeit von Nichtigkeitsklagen 2527

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betroffen sein. Bei aller Harmonisierung ist jedoch immer zu bedenken: Zentralisierung erhöht das Risiko einer Potenzierung von Fehlern. Kasten 3 Das Europäische Patentstreitübereinkommen (European Patent Litigation Agreement - EPLA) Das EPLA schafft ein optionales Gerichtssystem und sieht die Einrichtung einer neuen internationalen Organisation, der Europäischen Patentgerichtsbarkeit (EPG) vor. Die EPG würde als Organe den Europäischen Patentgerichtshof (EPGh mit einem Gericht erster Instanz und einem Berufungsgericht) sowie einen Verwaltungsausschuss aufweisen. Das Gerichtssystem soll die Sprachenregelung des Europäischen Patentamtes anwenden, d.h. Fälle am EPGh werden in einer der drei offiziellen Sprachen des EPA verhandelt. Die Fälle werden von drei oder fünf Richtern gehört, wobei zumindest ein Richter technisch und mindestens zwei Richter juristisch qualifiziert sein müssen. VII. Empfehlungen Das europäische Patentsystem hat bisher die extremen Fehlentwicklungen des US-Systems vermeiden können. 187 Andererseits sind die hier dokumentierten Trends ein klares Zeichen, dass das Europäische Patentsystem an einem Scheideweg angekommen ist. Mit dieser Einschätzung steht der Beirat nicht allein.188 Innovation und Produktivitätswachstum basieren auf Kreativität und neuen Ideen, nicht auf Papierkonstrukten, die von findigen Experten beim Patentamt eingereicht werden. Ausschlussrechte, 187 Z u m US-System beispielhaft die Stellungnahme von Robert Barr vor der Federal Trade Commission. Barr war zum Zeitpunkt der Aussage Chief Patent Counsel bei Cisco: „ (...)But in my experience at Cisco and my prior experience representing a variety of companies, the negative effects of stockpiling patents, the consequences of innocent infringement through independent development, the cost of proving noninfringement or invalidity through patent litigation and the exploitation of the patent system as a revenue generating tool in its own right have hindered true innovation and outweighed the benefits." Vgl. www.ftc.gov/opp/intellect/barrrobert.doc (Abruf am 9. 5. 2005). 188 Eine im Tenor ähnliche Bestandsaufnahme wird von Guellec und van Pottelsberghe (2007) durchgeführt. Friebel et al. (2006, 119) merken in einer umfangreichen Studie zu den Anreizen im Prüfungsverfahren am Europäischen Patentamt an: "(...) The biggest risks for the future operation of the EPO that we identified are the feedback effects from the patent system of potential shifts in the quality of patent examination outcomes - possibly even creating a vicious circle of downward spiraling quality and increasing workload - and the detrimental effects on staff recruitment and retention. Such potential negative effects on the ability of the EPO to fulfill its mission have direct bearing on the intellectual property protection system as a whole and its role in promoting innovation and economic growth in Europe and beyond." 2528

Patentschutz und Innovationen

mit denen Wettbewerb behindert werden kann, liefern keinen Beitrag zu mehr Forschung und Innovation. Vor dem Hintergrund der hier beschriebenen Entwicklung spricht sich der Beirat dafür aus, gewerbliche Schutzrechte in der wirtschaftspolitischen Diskussion auf ihren ökonomisch begründbaren Kern zurückzuführen. In wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik bedeutet dies eine - gemessen am gegenwärtigen Rechtszustand - Begrenzung ihrer Reichweite und eine sorgfältigere Prüfung der von den Anmeldern beantragten Rechte. Patente dürfen nicht zur Massenware werden - ihre Erteilung muss an strenge Kriterien gebunden bleiben, damit eine innovationsfördernde Wirkung überhaupt auftreten kann. Außerdem sollten Kontrollmöglichkeiten für dritte Parteien gestärkt und Anreize im Patentsystem, die zu einer quantitätsorientierten Patentgewährungspolitik führen, beschränkt werden. Die GovernanceStruktur des Patentsystems muss neu überdacht werden. Die Empfehlungen sind in den folgenden Abschnitten im Detail aufgeführt. • Governance und Anreize im Patentsystem • Die Patentprüfung wird quersubventioniert durch Verlängerungsgebühren. Daraus entsteht unmittelbar ein finanzieller Anreiz zugunsten einer anmelderfreundlichen Gewährungspolitik. Zwar begünstigen geringe Anmeldekosten kleine und mittlere Unternehmen - ein unter Umständen gewünschter Effekt. Dieser lässt sich jedoch auch anders erzielen. Auch die relativ hohen Verlängerungsgebühren haben für sich betrachtet positive Effekte, da sie verhindern, dass Ausschlussrechte ungenutzt über lange Zeit existieren. Die Zuweisung der Verlängerungsgebühren an das Patentamt kann jedoch auch Fehlanreize zugunsten einer Einnahmenorientierung erzeugen, die beseitigt werden sollten. • Genau zu beleuchten ist auch die Governance-Struktur des EPA. Dessen höchste Entscheidungsinstanz ist der Verwaltungsrat. Solange die nationalen Ämter, die im Verwaltungsrat vertreten sind, die Hälfte der Verlängerungsgebühren erhalten, haben diese nur geringe Anreize, für eine restriktivere Patentgewährung zu votieren. • Die Kriterien für die Erteilung von Patenten sollten konsequent angewendet und bei Bedarf verschärft werden. Patente sollten Innovationen unterstützen, aber nicht Investitionen absichern. Die operative Umsetzung dieser Aufgabe fällt den Patentämtern zu, beispielsweise durch Erhöhung der Anforderungen an den erfinderischen Schritt einer Erfindung. Es ist hier nicht notwendig, den Gesetzgeber zu bemühen.

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• Die Anreize für die Mitarbeiter des EPA müssen neu ausgerichtet werden. Solange die Zurückweisung einer Patentanmeldung mehr Aufwand für den Prüfer bedeutet als eine Patentgewährung, aber keine angemessene Anerkennung in der Leistungsbewertung erfolgt, läuft das EPA Gefahr, eine mengenorientierte Erteilungspolitik zu unterstützen. • Die Transparenz über die Vorgehensweise der Patentämter muss erhöht werden. Die Aufklärungsaufgabe der Patentämter kann nicht in der Glorifizierung von Patentrechten bestehen. Die nationalen Patentämter und das EPA sollten den nationalen Parlamenten bzw. dem Europäischen Parlament regelmäßig über die Entwicklung der Qualität der Anmeldungen, die Stringenz ihrer Prüfung und die Ergebnisse der Patentprüfungen Bericht erstatten. • Die Gebührenstruktur am EPA sollte darauf abgestellt werden, dass exzessiv hohe Zahlen von Ansprüchen und andere die Transparenz senkende Strategien der Anmelder mit Gebührenzahlungen an das EPA sanktioniert werden können. Diese Maßnahmen würden für weniger voluminöse Anmeldungen sorgen und den Prüfungsaufwand senken. • Patentämter sollten größere Freiräume für die eigenständige Korrektur von Fehlentscheidungen erhalten. Es ist sachwidrig, dass das EPA auf die Intervention dritter Parteien angewiesen ist, wenn es selbst feststellt, dass es eine Fehlentscheidung getroffen hat. 189 Der Präsident des EPA sollte in die Lage versetzt werden, während der Einspruchsfrist die Erteilung von Patenten durch die Beschwerdekammern überprüfen zu lassen. • Kontrollmechanismen wie das Einspruchsverfahren und Nichtigkeitsklagen müssen gestärkt und für einsprechende Parteien wieder attraktiver gemacht werden. Das kann durch Straffung des Verfahrens geschehen, was allerdings eine entsprechende Ressourcensteuerung des EPA zugunsten einer zügigen Bearbeitung von Einspruchsfällen voraussetzt. Weiterhin ist zu prüfen, ob Einsprüche gegen mehrere Patente mit identischen oder sehr ähnlichen Ansprüchen (vgl. Fall 2 in Kasten 1) gebündelt in einem Verfahren und somit kostengünstig für den Angreifer behandelt werden können. • Wenn die Konkurrenten in einem Patentpool oder durch Kreuzlizenzen miteinander verbunden sind, gibt es niemanden mehr, der einen Anreiz hätte, Einspruch zu erheben. Deshalb fehlt dem Patentsystem gerade dort das Korrektiv, wo es besonders dringend gebraucht würde: in Pa189 Sogeschehen im Fall des „Edinburgh-Patents" EP 0695351. Vgl. http://www.europeanpatent-office.org/news/pressrel/pdf/backgr_3_d.pdf (letzter Abruf am 12.1.2007). 2530

Patentschutz und Innovationen

tentdickichten. Bei der Gestaltung der Rechtsordnung sollte die Einrichtung von Substituten in Erwägung gezogen werden, etwa in Form eines Ombudsmanns im Europäischen Patentamt mit einem eigenen Klagerecht, nach dem Vorbild der Vertreter des öffentlichen Interesses in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit ( § 3 6 VwGO). • Ausgestaltung des materiellen Patentrechts • Die Ausweitung des Schutzumfangs von Patenten ist an einen klaren Nachweis einer innovationsfördernden Wirkung zu knüpfen; in anderen Gebieten ist der Schutzumfang so zurückzuführen, dass das Ausweisen von Ausschlussrechten ohne Anreizwirkung zugunsten von Innovationen vermieden wird. • Je mehr verschiedene Nutzer auf die patentierte Erfindung angewiesen sind, umso problematischer wird die Gewährung des Schutzrechts. Patente sollten deshalb normalerweise nicht „breit" vergeben werden. Je stärker sich die Erfindung einem Forschungsergebnis der Grundlagenforschung annähert, desto problematischer wird das Schutzrecht. Einen Patentschutz für bloße Ideen darf es ebenso wenig geben wie einen Schutz für die Aufklärung von Tatsachen, etwa von Gensequenzen. Das europäische Patentsystem muss dem Drängen widerstehen, den Schutz auf solche Gegenstände auszudehnen. • Die Harmonisierung der Patentgerichtsbarkeit in Europa sollte nach Kosten-Nutzen-Aspekten betrachtet werden. Die Kosten der Divergenz können u.U. sehr klein sein. Eine fragmentierte Patentgerichtsbarkeit, in der es ein sehr strenges nationales Gericht gibt, hat unter Umständen auch Vorteile. • Harmonisierung mit den USA ist mit großer Vorsicht zu betrachten. Das Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums im Rahmen der W T O (TRIPS) dient als warnendes Beispiel. Die USA haben in diesem Abkommen ihre überzogene Vorstellung von einem Patentschutz für alle Bereiche der Technik durchgesetzt. • Weil das Patent niemals eine perfekte Lösung darstellt, sollte der Gesetzgeber alternative Lösungen erproben und erleichtern. Insbesondere sollte der institutionelle Rahmen für open source-Lösungen verbessert werden. Eine aktuelle Studie der Kommission bewertet sie volks- und privatwirtschaftlich positiv.190 • Wettbewerbspolitik und -aufsieht

190 Vgl. http://ec.europa.eu/enterprise/ict/policy/doc/2006-ll-20-flossimpact.pdf. 2531

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• Die Abstimmung zwischen Patentsystem und Wettbewerbsaufsicht sollte verbessert werden. Die Zahl der Wettbewerbsfälle, in denen intellektuelles Eigentum eine zentrale Rolle spielt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter zunehmen. Sofern weiterhin schlecht abgegrenzte Patentrechte zu wettbewerbsrechtlichen Problemen führen, sollte gegebenenfalls auch von dem Instrument der Zwangslizenz wieder häufiger Gebrauch gemacht werden. • Die Wettbewerbsaufsicht muss neue Kompetenz im Umgang mit Patenten und anderen Schutzrechten entwickeln. Zur Beherrschung von Patentdickichten müssen Lösungen gefunden werden, die die Transaktionskosten der beteiligten Unternehmen gering halten, ohne gleichzeitig kollusive Praktiken zu begünstigen. Den Firnen in einem Patentpool wird oft auferlegt, durch private Unternehmen die Komplementarität der gepoolten Patente prüfen zu lassen. Diese Überprüfung muss objektiviert werden. Der Beirat betont, dass die Qualitätsvorteile, die die europäischen Patentinstitutionen derzeit gegenüber anderen Regionen, insbesondere den USA, haben, bewahrt und ausgebaut werden müssen. Einer Harmonisierung der Patentsysteme auf dem niedrigen Qualitätsniveau der Patentprüfung in den USA muss entschieden widersprochen werden. Ein solcher Schritt würde die europäische Wirtschaft einem System aussetzen, das Innovation behindert und nicht unterstützt. Die Diskussion lässt sich mit einem sehr weitsichtigen Satz aus der Feder von William D. Nordhaus abschließen: „(...) Die beste Vorgehensweise zur Vermeidung von Missbrauch ist sicherzustellen, dass triviale Erfindungen erst gar keinen Patentschutz erhalten." 191

Berlin, den 24. März 2007 Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D. Das Gutachten wurde vorbereitet von folgenden Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

191 Vgl. Nordhaus (1972, S. 430f., eigene Übersetzung). Im englischsprachigen Original: „(...) The best way to prevent abuse is to ensure that trivial inventions do not receive patents." 2532

Patentschutz und Innovationen

Prof. Dietmar Harhoff, Ph.D. (Federführung) Professor für Betriebswirtschaftslehre Vorstand des Instituts für Innovationsforschung, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Christoph Engel (Stellvertretender Vorsitzender) Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück Prof. Dr. Wernhard Möschel Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrechtan der Universität Tübingen

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Patentschutz und Innovationen Abbildung 1 Vergleich von Elementen der Patentsysteme des EPA und des USPTO System

Prüfung

Recherche

Europä• Stand der Tech- • Erteilungswahrscheinlichkeit ca. nik wird von isches Patentamt EPA-Personal 67 Prozent erstellt • Prüfer oft mit (EPA) • vom Anmelder Universitätsbenannter Stand ausbildung und Promotion der Technik • Verfahrensdauer: wird in gerinetwa 4 Jahre gem Umfang berücksichtigt United States Patent and Trademark Office (USPTO)

• Stand der Technik wird hauptsächlich vom Anmelder beschrieben • inflationäre Zahl von Referenzen

Gerichtssystem

Kontrollinstanzen

• Erteilungswahrscheinlichkeit >90 Prozent • Prüfer häufig mit Fachhochschulausbildung • Verfahrensdauer: etwa 2-2,5 Jahre

Quelle: eigene Darstellung, Daten aus Hall und Harhoff

• Einspruch • national fragund Bementiert • durchschnittschwerde • p=7,9 Prozent liche Kosten (historisch) ca. € 3 0 0 . 0 0 0 • etwa ein • p=0,9 Prozent Drittel widerrufen, ein Drittel eingeschränkt • Re-Examina- • durchschnitttion liche Kosten • p