Der Wille zur Demokratie: Traditionslinien und Perspektiven [1 ed.] 9783428488018, 9783428088010

«Wenn man sich in den Kampf begibt für die Demokratie, so ist man nicht mehr Rebell, als der Logos gebietet, daß man es

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Der Wille zur Demokratie: Traditionslinien und Perspektiven [1 ed.]
 9783428488018, 9783428088010

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CARSTENS I SC&ÜTER-KNAUER (Hrsg.)

Der Wille zur Demokratie

Beiträge zur Sozialforschung Schriftenreihe der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e. V. Kiel Herausgegeben von Prof. Dr. Wilfried Röhrich

Band9

Der Wille zur Demokratie Traditionslinien und Perspektiven

Herausgegeben von

Uwe Carstens Carsten Schlüter-Knauer

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Förderung der Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein, Frau Heide Simonis.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der Wille zur Demokratie : Traditionslinien und Perspektiven I hrsg. von Uwe Carstens ; Carsten Schlüter-Knauer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Beiträge zur Sozialforschung ; Bd. 9) ISBN 3-428-08801-8

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0175-6087 ISBN 3-428-08801-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Für Wilfried Röhrich

Wenn man sich in den Kampf begibt für die Demokratie, so ist man nicht mehr Rebell, als der Logos gebietet, daß man es sei. (Ferdinand Tönnies)

Vorwort Die vorliegende Schriftenreihe der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e. V. ist einem großen Namen verpflichtet. Mit Ferdinand Tönnies (1855 - 1936) begann in Deutschland die einzelwissenschaftliche Soziologie und damit eine neue Epoche sozialwissenschaftlicher Erkenntnis. Tönnies' Soziologie vereint typologisches Denken und historische Wirklichkeitsauffassung; sie wurde primär von Hobbes und Marx beeinflußt, präludiert Max Weber und diagnostiziert bereits eine Dialektik der Aufklärung. Durchdrungen ist Tönnies' Werk von einem tiefgreifenden sozialen und politischen Engagement, das mit seinen Grundanforderungen fiir verantwortliche Wissenschaft koinzidiert. Beide sind nachhaltig begründungspflichtig, das Kriterium aufgeklärter und aufklärender Öffentlichkeit. letztlich der Gelehrtenrepublik gibt den Unterschied zu einem Meinen, das sich häufig sogar mit der Autorität der Wissenschaft versehen politisch maskiert. Insofern ist es aber auch konsequent, wenn Tönnies dem Werturteilsstreit in der Sozialwissenschaft an Max Webers Seite beitritt -aber eben anders als manche der heutigen Adepten Webers. die die gegen den Obskurantismus gerichtete politische Wendung der Werturteilsfreiheitsmaxime nicht verstehen wollen und sie als Dogma auslegen. Nicht will Tönnies den Streit in der demokratischen Öffentlichkeit autoritativ aussetzen, aber die Stimme des sozial engagierten Wissenschaftlers soll dort auch vernehmlich zu hören sein. Und so mischte Tönnies sich ein: zog gegen den seinerzeit modischen Sozialdarwinismus in Gestalt der Deszendenztheorie zu Felde. unterstützte die Hamburger Hafenarbeiter in ihrem großem Streik zum Ausgang des 19. Jahrhunderts publizistisch und praktisch und stand fest gegen die Hitlerei, im Reichsbanner. mit Artikeln und Reden, und auch noch nach der Machtübergabe an die Nazis u.v.a.m. In diesem Verständnis ist seine theoretische Grundlegung der Frage nach den Bedingungen der Sozialform "Gemeinschaft" und nach der Genese und Wirkungsweise der Sozialform "Gesellschaft" sowie nach den Möglichkeiten einer neuen Kulturordnung in seinem Früh- und Hauptwerk "Gemeinschaft und Gesellschaft" zutreffend als seine "politeia" charakterisiert worden.

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Vorwort

Wenn das hier vorgelegte Buch nun einem sozial engagierten Politikwissenschaftler. nämlich Wilfried Röhrich - der auch der Herausgeber der Schriftenreihe der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft "Beiträge zur Sozialforschung" ist -zum sechzigsten Geburtstag gewidmet wird. ja einer der Bände in dem Festschriftprojekt zu seinen Ehren ist. so ist das im Tönniessehen Sinne konsequent: "Wenn man sich in den Kampf begibt für die Demokratie, so ist man nicht mehr Rebell. als der Logos gebietet daß man es sei". schrieb Tönnies im Septemberl878 an seinen in Berlin lehrenden Freund. den schleswig-holsteiner Pädagogen und Philosophen Friedrich Paulsen. Den beiden Herausgebern ist es eine Freude. sich zu Wilfried Röhrichs Schülern rechnen zu dürfen. Über den Jubilar und seine Verdienste sprechen sich die hier präsentierten Grußworte und die Laudatio, vorgetragen während der wissenschaftlichen Matinee am 17. April 1997 im Senatssitzungssaal der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. präzise aus. Nur soviel wollen wir noch sagen: Der Jubilar wirkte mit seinen vielen Schriften nicht nur durch die Praxis. die eingreifende Theorie immer schon selbst ist er hat sich explizit in vielen populären Arbeiten an eine breite Öffentlichkeit gewandt und ist also Tönnies' Idee, Wissenschaft und Politik unter dem Kriterium der Öffentlichkeit verantwortlich zu verbinden. gefolgt. Dieses Buch gehört nun in das Festschriftprojekt für Wilfried Röhrich. Bescheiden begonnen. entfaltete es eine beachtliche Eigendynamik: und aus diesem Grunde addiert es sich den beiden bereits vorliegenden Publikationen [Carsten Schlüter-Knauer (Hrsg.): Die Demokratie überdenken. Festschrift fiir Wilfried Röhrich. Berlin 1997: Landeszentrale für Politische Bildung Schleswig-Holstein (Hrsg.): Die schwierige Demokratie. Eine Matinee mit Vorträgen von Hans Herbert von Arnim und Johan Galtung, Redaktion Anna-Doris Lükewille I Rüdiger Wenzel. Kiell997 =Labskaus. 1997, Nr. 8] als die Dritte im Bunde. Fast alle Beiträge lagen bereits weit vor dem entscheidenden Datum, dem 24.12.1996. vor. Inhaltliche Überlegungen einer systematischen Gliederung begründen die jeweils gesonderte Publikation. obgleich Zuordnungen auch Herausgeberwillkür bleiben. Alle drei Publikationen aber gehören vom Anlaß her und inhaltlich eng zusammen und wollen als gemeinsame Festgabe verstanden werden. Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren fur ihre Geduld und all den vielen. die zum Gelingen des Projektes beitrugen, fiir ihre Hilfe, insbesondere der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e.V., die den Band mit ihrer Infrastruktur unterstützte und in deren Schriftenreihe er nun auch erscheint, sowie

Vmwort

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dem Verlag Duncker & Humblot und seinem Verlagsleiter, Prof. Dr. Norbert Simon, der bereits "Die Demokratie überdenken" verlegte. zu der sich jetzt "Der Wille zur Demokratie" gesellt. Unser ganz besonderer Dank gilt Bärbel Carstens für ihren unermüdlichen Einsatz bei der redaktionellen Betreuung dieses Bandes. Kiel, im Frühjahr 1998 Uwe Carstens und Carsten Schlüter-Knauer

Inhaltsverzeichnis Uwe Carstens und Carsten Schlüter-Knauer Einleitung. Retroperspektiven der Demokratie ...................................................... 13 1. Der Anlaß und der Festakt

Gise/a Böhrk Grußwort der Ministerin flir Bildung, Wissenschaft. Forschung und Kultur ......... 23 Ruprecht Haensel Grußwort des Rektors der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ....................... 25 Bernhard Sehrna/tz Grußwort des Dekans der Philosophischen Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel ................................................................................................. 27 Dieter S Lutz Demokratie und Weltinnenpolitik. Laudatio flir Wilfried Röhrich anläßlich seines 60. Geburtstages .......................................................................................... 29 Wilfried Röhrich Demokratie und Verantwortung. Ein Wort des Dankes ......................................... 37 2. Politische Theorie und Politische Philosophie

Erhard F orndran Grenzen der Begründung demokratischer Grundannahmen................................... 43 Edgar Weiß Diskursethische Aspekte zur Demokratietheorie.. .. ... .. .. .. ........ .. ... .. .. ... .. .. ........ .... .. . 79 Jochen Warpenberg Mut-Maßungen über das Politische ....................................................................... 93 Anja Rüdiger Die paradoxe Demokratie. Postmarxistische Demokratietheorie mit Derrida ........ 99 Hero Tsioli Jenseits der politischen Verformung. Identität und Identifizierung in einem demokratischen Integrationsprozeß ....................................................................... 125 Waller Reese-Schäfer Was bleibt nach der Dekonstruktion? Zur postmodernen Politiktheorie............... 143

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Lutz Meyer Der Kommunitarismus. Eine konservativ-linksliberale Schönwettertheorie ......... 161 Corne/ius Bickel Ferdinand Tönnies und Charles Taylor. Der Soziologe und der Philosoph zu Fragen des Menschen- und Gesellschaftsbildes .................................................... 181 Wolfgang Kersting Neuhegelianismus und Weimarer Staatsrechtslehre. Zum kommunitaristischen Etatismus Hermann Hellers ................................................................................... 195 Rainer Waßner Zur Philosophie des Staates. Zwei Reden Ernst Cassirers aus seiner Hamburger Zeit ..................................................................................................... 219 Bettina Wahrig-Schmidt Politik als Spiel? Nicht-mechanische Metaphorik und politische Repräsentation bei Thomas Hobbes ............................................................................................... 235

3. Politische Integrations- und Transformationsforschung Carsten Schlüter-Knauer und Ralf Fechner Der Weltfriede als Ziel politischen Gestaltens. Ferdinand Tönnies und die Weltinnenpolitik ................................................................................................... 253 Wolfgang W Mickel Europäische Integrationspolitik. Elitenkonzept oder demokratische Herausforderung fiir alle? ..................................................................................................... 269 Klaus Busch Integrationstheorien in Interaktion. Ein synoptischer Ansatz ............................... 285 Winfried Böttcher Identität und Demokratisierung. Zum zukünftigen Europa der Regionen ............. 315 Uwe Carstens Das Weltflüchtlingsproblem ................................................................................. 331 Ernst Kuper Transnationale Parteienbünde zwischen Partei- und Weltpolitik .......................... 341 Ra/ph Uhlig "Organisation Potentia". Vom gescheiterten Versuch einer internationalen Nachrichtenagentur (1905) ................................................................................... 365 Marcia Maibach Nationale Mobilisierung in postkommunistischen Übergangsgesellschaften: Das Beispiel Jugoslawien ...................................................................................... 381 Wolfgang Eichwede Rußland im Wandel. Föderation der starken Hand oder Demokratie? .................. 395

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4. Politische Soziologie und Kulturkritik- Zu Aporien und Optionen einer politischen Gesellschaft Hans-Werner Prahl Unmögliche Politik in der "grauen Gesellschaft" .................................................. 413 Karl-Rudo/f Fischer Mehr Demokratie möglich machen- die Verfassungsreform in Schleswig-Holstein von 1990 ............................................................................... 421 Hans-Peter Barteis Aus 1989 lernen. Anmerkungen zur Parteiendemokratie, zu Links und Rechts und zum Sozialismus ............................................................................................ 425 Gabriefe Schreib Die Psychose unserer Zeit. Jenseits der Demokratie lauert der Wahn................... 439 Thieß Petersen Karl Marx' anthropologisch orientierte Kritik der Industriegesellschaft ............... 451

Wilfried Röhrich: Buchpublikationen ........................................ ,................................ 4 71 Autorenverzeichnis ...................................................................................................... 4 73

Einleitung Retroperspektiven der Demokratie

Von Uwe Carstens und Carsten Schlüter-Knauer Der "Wille zur Demokratie" zeigt auf eine tiefe Wunde: die Übergabe der politischen Macht an die Nazis durch die 'demokratischen' Eliten der Weimarer Republik bis auf die Repräsentanten aus SPD und KPD, die Abschaffung der Souveränität des Volkes durch dessen Vertreter, die faktische Akzeptanz des mörderischen Regimes durch sehr große Teile der Bevölkerung, aus der sich dann die "willigen Vollstrecker" rekrutierten. Der Wille zur Demokratie war dort schwach ausgeprägt, wo sie nicht erkämpft wurde etwa gegen frühere Kolonialherren, wo nicht auch Angehörigen vormals herrschender Klassen ihre Köpfe vor die Füße gelegt wurden. Die Erinnerung solcher Kämpfe mag in den alten westlichen Demokratien auch heute noch - wie in der 'grande nation' - zu einem höchst lebendigen politischen Bürgerselbstbewußtsein beitragen. So erschreckend fiir feine Gemüter solch demokratische 'Zivilisation' war und ist so haben ihre Blutopfer, hat ihr terreur doch ganz andere Dimensionen gehabt, als sie dort durchgesetzt wurden, wo man die 'Kultur' und die Innerlichkeit machtgeschützt pflegte. Und in den gegenwärtigen Identitätsdiskussionen in Verbindung mit agonalen Politikkonzepten findet sich. wie verschieden auch immer. die Reflexion der Kampfseite der Demokratie, damit auch ihr stetes Risiko sowie - konstitutiv - die Möglichkeit ihrer ständigen inhaltlichen Neupositionierung. Das ist der starke Widerspruch zu vulgärökonomischen. geschichtsphilosophischen Theoremen, die - von einer Koinzidenz der Ordnungsformen ausgehend - Demokratie gleichsam zur bloßen Begleiterscheinung von Marktwirtschaft reduzieren: der Histomat-Theologie auf kapitalistisch. Systematisch gesehen, aber auch im realen Kern stützt Demokratie sich nur auf sich selbst: und 'sich' heißt hier, auf nichts anderes als die Subjekte. die fiir sie einstehen wollen und fiir sie zu kämpfen bereit sind. Außer im Willen dieser Subjekte. im schärfsten Falle fiir sie auch die Waffen zu fuhren und ihr Leben einzusetzen, hat sie keine Autorität in der Welt. Hierin terminiert schon Machiavellis demokrati2 Carstcns I Schlütcr· Knaucr

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sehe Bürgertugend, virtu. in der Bereitschaft. letztlich das republikanische politische Gemeinwesen mit dem Leben zu verteidigen. eine Linie, die sich, so John Pocock. als atlantisches politisches Denken fortsetzt und das aktivische Konzept eines 'civic humanism' beinhaltet. Die Stärke und die Schwäche zugleich der Demokratie - gleich welcher ernsthaften demokratischen Konzeption - sind exakt dieser aktivische Kern und die Unumgänglichkeit seiner Bejahung: nicht zwingend ein jederzeitiges, aber auf jeden Fall ein letztes Bürgerengagement eng verwandt dem Bürgerstatus der genuinen französischen Republik. Hier konnte für den Bürgerstatus nicht nur der Ort und erst recht nicht das Blut. an das sich in Gestalt des ius sanguinis so viele deutsche Konservative immer noch gern hängen. sondern nachdrücklich auch das tatsächliche republikanische Engagement entscheidend sein. Und welthistorisch war und ist eine demokratische Regierungsform, erst recht eine demokratische Lebensform das eher Unwahrscheinliche und Prekäre. manchem gar inzwischen ein 'Standortrisiko'. Der Wille zur Demokratie ist deshalb keine Apologie voluntaristischer BeliebigkeiL sondern er ist grundsätzlich die sich von 'demokratischer' Fürstenherrschaft unterscheidende Möglichkeitsbedingung von Demokratie. Wenn ultima ratio der Demokratie das tatsächliche Engagement ist. dann sind die Traditionslinien. d. h. dessen Verankerung in Lebenspraxen. ebenso wichtig wie systematische Orientierungen und internationale Perspektiven. ohne die in der Weltgesellschaft wiederum die Frage nach der Fortexistenz der Demokratie und des Bürgerengagements - das eben ist der Wille zur Demokratie - nicht gestellt werden kann. Legitimationsanforderungen und die unter den Bedingungen der Säkularisierung eingeschränkten Letztbegründungsmöglichkeiten demokratischer Grundannahmen untersucht eingehend Erhard Forndran. In diesem vorgeblichen Manko kann aber auch die Stärke westlicher Demokratien gesehen werden, die sich immer wieder auf Deliberationen stützen müssen, was wieder auf ihren aktivischen Kern verweist. der sich in solchen Prozessen regenerieren kann. ja regenerieren muß. Hierbei sind systematisch-universalistische Begründungsversuche aber dann unproblematisch. wenn sie nicht mit totalisierendem Anspruch zu Herrschaftsdogmen erhoben werden. Sie verdanken sich sozialisierten Subjekten, tradierten demokratischen Praxen und unterscheiden sich insofern politisch-kulturell. Deshalb können auch sie immer nur in spezifischen Kontexten aufgenommen. verändert und eventuell neu systematisiert werden. Edgar Weiß' Unternehmen. die Diskursethik unter demokratietheoretischem Aspekt auszuloten. schließt an diese von uns als Stärke und Schwäche

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der deliberativen Demokratie zugleich bestimmte Szene an. Mit Hannah Arendts Aufwertung der Meinung wird gegenüber den auch in der Politik doch immer wieder auftretenden Wahrheitsansprüchen die demokratische Qualität, ja der Vorrang des andauernden Streites, dieser immer währenden Auseinandersetzungen auch im Anschluß an den griechisch orientierten Republikanismus Dolf Sterobergers von Jochen Warpenberg skizziert. Das ist im Kern paradoxe Demokratie, die sich material immer in jeweils hegemonialen Meinungen repräsentieren muß und damit zugleich ihre Unabschließbarkeit dokumentiert. Diese häufig als 'Offenheit' emphatisch begrüßte Struktur verweist aber so ineins auf den perennierenden Mangel ihrer unmöglich vollständigen Realisierung. Dies ist das Thema von Anja Rüdiger. Den damit einhergehenden grundsätzlich agonalen Charakter der Demokratie müssen, soll sie nicht mißverstanden werden, die an ihr interessierten politischen Subjekte nüchtern und verantwortlich zugleich bedenken. Sogar der Konsens über die Art, in Demokratien Dissense haben zu können. und worüber Dissense zulässig sind, wird selbst immer wieder strittig sein. Ein solches Bewußtsein hat, wie wir eingangs erinnerten. auch ganz praktische Vorteile. weil die stete Aktualisierung des aktivischen Kerns von Demokratie deren Verteidigung offenbar nahelegt Der heutigen Identitätsdiskussion geht in diesem Zusammenhang Hero Tsioli am Beispiel der Romiosyni nach, womit sie einen, dem westlichen Modus politischer Vergesellschaftung fremden Weg aufzeigt, der eher an gemeinschaftlichen Zusammenhängen festhält die sich territorialstaatlichen Mustern nicht einfügen. Walter Reese-Schäfer diskutiert danach demokratietheoretische Defizite postmoderner Politiktheorie. die er in deren mangelnder normativer Trennschärfe und einer Ästhetisierung des Politischen sieht. Durch Rückbezug auf die Phronesis und die modernere reflektierende Urteilskraft sowie die Überantwortung an die tradierte Instanz des individuellen Gewissens könnten diese Mängel systematischer und vor allem pluralismustheoretisch fundierter politischer Urteilsbildung nicht ausgeglichen werden. Eine klassisch ideologiekritische Einlassung zu in seinen Augen überspannten. d. h. politisch gefährlichen Kontextualisierungen des Kommunitarismus hingegen. die die stete Reflexion ihres Spannungsverhältnisses mit systematischen Überlegungen vermissen ließen, zu denen sie sich gleichsam parasitär verhielten, findet sich bei Lutz Meyer. Cornelius Bickel dagegen hebt in der mit zehn Jahren Verspätung in Deutschland angekommenen Kommunitarismusdiskussion die von Charles Taylor thematisierten Konzepte des westlichen Selbst hervor und bietet einen Anschluß an Überlegungen Ferdinand Tönnies' zum gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Menschentypus und den diese Typen auszeichnenden Willensdispositionen. Tönnies' republikanisches Credo wiederum ist dabei in ei2*

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nem Gemeinschaftsbezug des politischen Körpers zu sehen. der ein praktischer Maßstab ist. keine ideologische Seinsunterstellung' Der Kommunitarismus ist so neu also nicht. seine Themen wurden bereits in einer politischen Soziologie theoretisch bedacht. die die Moderne auch in ihrer Ambivalenz, also damit nicht unter ideologische Postulate restringiert betrachten will - womit sich aber auch seine Relevanz erweist. Aber nicht nur Ferdinand Tönnies' Arbeiten sind hier belangvoll. Wie Wolfgang Kersting an kommunitaristischen Elementen bei Hermann Heller zeigt. ist die zwar sehr elaborierte staatstheoretische Diskussion in der Weimarer Republik auch an solchen Themen orientiert. Zu einem demokratischen Kampfwillen in Deutschland hat das über Protagonisten wie Heller und Hans Kelsen hinaus allerdings leider wenig beigetragen. Schon der liberale Neukantianer Ernst Cassirer, dem Rainer Waßner seinen Beitrag widmet, macht in diesen Umständen nachhaltig klar. daß die res publica als Verfassungsrahmen des politischen Kampfes die zentrale Voraussetzung von Pluralität und Gespräch ist - und daß die demokratische Republik vor allem vom tatkräftigen Willen der Republikaner zu ihr abhängt. 'Die Männer sind der Staat': das ist die Quintessenz der letzten Rede des Nikias bei Thukydides. Bettina Wahrig-Schmidts Beitrag über den Thukydides-Übersetzer Thomas Hobbes führt die Erinnerung mit sich. daß Politik eine Überlebensnotwendigkeit darstellt. der politische Körper, dessen Metaphorik sie untersucht, konstituiert ist durch die politischen Subjekte. die Hobbes zwar einerseits. wie Platon, ihrer politischen Subjektivität enteignet. deren Subjektivität andererseits geradezu paradoxal aber nicht bedeutungslos wird. sondern sich überhaupt erst durch die Möglichkeiten des nun politisch pazifizierten Wettkampfs wirklich entwickeln kann. Daß Politikwissenschaft gerade heute. unter den Bedingungen der Weltgesellschaft. als Überlebenswissenschaft zu denken ist. es sich also um Weltpolitik demokratischer politischer Vergesellschaftung handeln muß. wenn die Demokratie inskünftig eine politische Bedeutung haben solL arbeiten mit Ferdinand Tönnies und insofern auch mit Hobbes Carsten Schlüter-Knauer und Rolf Fechner heraus. Und unter den heutigen Bedingungen der sogenannten "Globalisierung", die in Teilen eher einer Entnationalisierung gleichkommt, ist das zwingend die Frage nach der demokratischen Qualität supranationaler Zusammenschlüsse, auf die Jean-Marie Gm!henno kürzlich mit dem Fanfarenstoß des "Endes der Demokratie" nachdrücklich aufmerksam machte. Das entwickelste Projekt hierfür im Rahmen der sogenannten Triade von APEC, EU und NAFT A ist zweifelsohne die EU, weswegen wir unser interna-

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tionales Kapitel mit der Frage Wolfgang Mickels fortsetzen, ob die europäische Integration, deren strittige Reichweite und Problematik Klaus Busch uns im Rahmen theoretischer Erörterungen systematisch-synoptisch faßlich macht, als demokratisches Projekt oder als Elitenveranstaltung vorzustellen ist. Eine Frage, die Winfried Böttcher sogleich mit dem Horizont einer europäischen Bürgeridentität facettiert. die insbesondere auf der 'Mesoebene' zu gewinnen sei, wenn sie ihre Identität primär regional aus dem aktivischen und partizipatarischen Kern des Bürgerseins beziehe. Kants Frage nach der modernen Hospitalität taucht als Weltflüchtlingsproblem sodann bei Uwe Carstens in engem Anschluß daran auf, weil an dieser sachlichen Problematik die In- und Exklusionen zur Zeit massiv gebildet werden. Ernst Kuper und Ralph Uhlig gehen weiter historischen Orientierungen des europäischen Projekts bzw. seiner Ideale in Gestalt der Idee der Organisation internationaler Öffentlichkeit nach, in welcher eine europäische Bürgeridentität über die 'Mesoebene' hinaus erst Kontur gewinnen könnte. wobei der lokale Bezug deswegen wichtig ist, weil in ihm Partizipation nachvollziehbar organisiert werden kann. Das unterscheidet Böttchers Ansatz nachhaltig von mehr rhetorischen Projekten, ja der gesamten Eurorhetorik Identität bleibt komplex, verschiedene Identitäten müßten auch bei dieser Verankerung stetig balanciert werden. Kuper zeigt insbesondere die historische Ausbildung transnationaler politischer Verbindungen, die zur Interessenaggregation funktionsfähig von Nöten wären, um ein Europa zu organisieren, das eben nicht allein eine Veranstaltung der Eliten, sondern auch der Bürger wäre. Daß europäische Öffentlichkeit hierfür wünschenswert, aber sehr schwierig herzustellen ist wenn denn überhaupt das dokumentiert Uhlig am Beispiel der "Organisation Potentia". Den Zerklüftungen, die in Europa selbst Nationalstaaten eigen sind. der inneren Konstruktion von Alterität zwecks Exklusion und Inklusion. geht Marcia Maibach nach. Dies sind Prozesse. die in modifizierter Form auch Rußland betreffen. und die Frage nach den Möglichkeiten der russischen Demokratie, die Wolfgang Eichwede stellt ist zentral für den Kontinent die EU und die Chancen der Regierungsform Demokratie in der Welt deren Legitimation seit einigen Jahren nicht nur wegen der eingebauteQ und normativ gewollten Präferenz für Gegenwartsinteressen in Abrede gestellt wird. sondern insbesondere auch wegen der politischen Konstruktion von Alterität mit dem Anspruch des asiatischen Weges. All diese Fragen finden sich in modifizierter Form auch auf der Mikroebene. Aber was heißt 'Mikro'? Wenn wir von Gesellschaften sprechen? Aristoteles beginnt die Vergemeinschaftung mit der Familie. Eine Grundaporie der

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modernen westlichen Gesellschaften ist nicht nur die Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen, sondern auch, daß die Familien nicht mehr zu ihrer Fortsetzung neigen. Kompetetive Orientierungen egozentrierter Subjekte begünstigen offenbar demographische Selbstmordprogramme. Politisch müssen die westlichen Gesellschaften aber mit den Optionen ihrer Subjekte leben lernen. Hans-Werner Prahl diskutiert vor diesem Hintergrund politische Vorschläge, die Zukunftsfähigkeit der westlichen Gesellschaften etwa durch Einschränkung des Kreises politischer Subjekte zu wahren, exakt also die sogar aufs Wahlrecht durchschlagende Konstruktion von Alterität zum Zweck politischer Steuerung. Die Verbreiterung der Möglichkeiten für Partizipation hingegen hat Karl-Rudolf Fischer zum Thema, wenn er die erweiterten plebiszitären Optionen in der für die ostdeutschen Länderverfassungen beispielgebenden Refonn der schleswig-holsteinischen Landessatzung darstellt. Hier finden die Überlegungen Winfried Böttchers regionalen Anschluß: es wird über erweiterte Partizipationschancen gerade auf die Überwindung des Phänomens der "Zuschauerdemokratie" (Rudolf Wassermann) gesetzt und darauf. demokratische Integration über die Verstärkung des aktivischen Elements der Bürgerdemokratie zu unterstützen. Die Zukunft der Massenparteien sei durch die Tradierung des Rechts-Links-Schemas und die Herstellung politischer Identität durch dieses Mittel nicht mehr problemadäquat zu sichern. Parteirefonn und -Modernisierung müßten deshalb, so Hans-Peter Bartels, mehr als bloß rhetorische Topoi werden. Die Verschränkung von Fiktionalität und Realität, Ferdinand Tönnies' Charakteristik der modernen Gesellschaft, wird Gabriete Schreib zum Grundproblem politischen Handelns, dessen Kontinuität und Erfahrungskern - eine Voraussetzung demokratischer Bürgeraktivität-inder bewußtseinsfragmentierenden Mediengesellschaft gerade prekär seL in der die Künstlichkeil derart zur zweiten Natur gerinne, daß sie sich vollkommen undurchsichtig werde und pathogene Effekte hervorrufe. Zur emphatisch herbeigewünschten Infonnationsgesellschaft fast aller westdeutschen Politiker wird damit ein politikwissenschaftlicher Kontrapunkt gesetzt. Karl Marx, den Ferdinand Tönnies 1887 als den in ökonomischer Perspektive "merkwürdigsten und tiefsten Sociai-Philosophen" ansieht erhält das letzte Wort. Denn seine von Thieß Petersen komprimierten philosophisch-anthropologischen Orientierungen bieten z. B. eine kulturkritische Theorie der Bedürfnisse. die politischen Gesellschaften gut anstünde, welche den "Grenzen des Wachstums" hauptsächlich rhetorisch Rechnung tragen.

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Grußworte, Laudatio und Dankeswort, die wir aus der Dokumentation der wissenschaftlichen Matinee am 17. April 1997 zu Wilfried Röhrichs Ehren übernommen haben. geben die Maßstäbe für unser Buch als politisch-praktische, interdisziplinäre. historische. weltgesellschaftliche sowie intra- und intergenerative Perspektiven und stellen damit gleichzeitig die Arbeitsansätze des Jubilars nachhaltig vor. Deshalb stehen sie hier allen Beiträgen voran.

1. Der Anlaß und der Festakt

Grußwort der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur Von Gisela Böhrk Ich bin Ihrer Einladung zu dieser akademischen Feierstunde anläßlich des 60. Geburtstages des Direktors des Instituts für Politische Wissenschaft der Kieler Universität sehr gern gefolgt und gratuliere Ihnen. lieber Herr Röhrich. sehr herzlich zu diesem 'runden' Ehrentag. Das eindrucksvolle Programm der heutigen Veranstaltung soll mir zugleich Mahnung zur Kürze sein. Deshalb ist von mir eine 'große' Rede weniger gefragt. Aber dennoch: Die Liste Ihrer Aktivitäten. lieber Herr Professor Röhrich, ist beeindruckend lang, und die Namen der Organisationen und Institutionen, die sich darauf finden, sind anspruchsvoll und ehrwürdig zugleich. Deshalb ist die schleswig-holsteinische Landesregierung froh und stolz darauf. daß Sie auch uns als Partner- wie etwa beim Philosophiekongreß des damaligen Ministerpräsidenten Bjöm Engholm - und als Ratgeber zur Seite standen. Auch damit haben Sie sich in besonderer Weise um die Förderung der politischen Kultur in Schleswig-Holstein verdient gemacht. Aber worum haben Sie sich nicht alles verdient gemacht? Ich will hier nicht Ihre wissenschaftlichen Meriten aufzählen. Sie sind nicht nur ein Forscher. ein Wissenschaftler. ein Lehrer. Ihre wissenschaftlichen Untersuchungen bestechen durch die Schärfe der Reflexions- und Urteilskategorien. ihre abgerundeten Ergebnisse und ihre präzise formulierten Programme für die künftige Forschung. Sie sind zugleich jemand, dem die gesellschaftliche Relevanz und die Verpflichtung von Wissenschaft vor Augen steht, und jemand, der das Hochhaus unserer Landesuniversität nicht mit einem Elfenbeinturm verwechselt. Mit Ihren vielfaltigen Verpflichtungen in der ganzen Republik, in wissenschaftlichen Gesellschaften und für vielfaltige Auftraggeber haben Sie das Ansehen unserer Universität gemehrt und den Namen Schleswig-Holsteins weit über die Landesgrenzen hinausgetragen.

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Gisela Böhrk

Wilfried Röhrich ging und geht es darum. die breite Vielfalt der politikwissenschaftlichen Problemfelder herauszuarbeiten: sowohl in der Lehre als auch in seinen Werken zur Politischen Theorie und Ideengeschichte, zur Politischen Soziologie, zur vergleichenden Systemanalyse und zur Internationalen Politik. Ihre Erfolge. lieber Herr Röhrich. sind Ihnen Ansporn und Motivation. Dieses eindrucksvolle Wirken belohnt sich für Sie. da bin ich ganz sicher. selbst und aus dem Fortgang der Dinge heraus. Aber dennoch entbindet uns dies nicht davon. Ihnen öffentlich Dank abzustatten. Wie überhaupt nicht ein zu retrospektiver Eindruck entstehen soll. Im Gegenteil: Auf die Politik wie auf die Politikwissenschaft kommen aus meiner Sicht fundamentale Herausforderungen zu: Der Wandel der Aufgabenstellung des Nationalstaates verlangt eine grundlegende- um nicht zu sagen: radikaleUmstrukturierung der Politik. Anthony Giddens wies kürzlich darauf hin, daß dabei die Macht politischer Entscheidungen nicht etwa völlig verlorengeht, sondern sich gleichzeitig nach unten und nach oben verlagert. Wir müssen daher zeitgleich einerseits dezentrale Mechanismen neben andererseits supranationalen politischen Strukturen ins Auge fassen. Überkommene politische Gegensätze werden noch stärker in Frage zu stellen sein. neue Debatten, Diskussionseberren und Gesprächszusammenhänge werden möglich und auch nötig. Daher will ich Ihren 60. Geburtstag zum Anlaß nehmen, Ihnen im Namen des Landes Schleswig-Holstein nicht nur für die bisher geleistete Arbeit zu danken. Vielmehr will ich Ihnen auch für die Zukunft alles Gute wünschen: Auf daß wir auch künftig auf Ihren Rat, Ihre Kompetenz, Ihr Engagement setzen können. Die Herausforderungen werden immer wieder neue sein. Deshalb: ad multos annos!

Grußwort des Rektors der Christian-Aibrechts- Universität zu Kiel Von Ruprecht Haensel Ich freue mich. daß Sie von nah und fern den Weg zum heutigen Festakt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gefunden haben. Am 24. Dezember 1996 habe ich Ihnen. Herr Kollege Röhrich. zu Ihrem 60. Geburtstag die Glückwünsche des Rektorats ausgesprochen und für die kommenden Jahre erfolgreiches Schaffen bei bester Gesundheit gewünscht. Soweit ich das sehen kann. sind - Gott sei Dank - dazu alle Voraussetzungen gegeben. Heute sollen Sie mit der Festschrift "Die Demokratie überdenken" geehrt werden, welche durch die große Zahl illustrer Autoren Ihre enge Zusammenarbeit mit Kollegen anderer Universitäten und Forschungseinrichtungen dokumentiert. Es handelt sich bei den Beiträgen zu dieser Festschrift nicht nur um gelehrte akademische Betrachtungen zum Thema. der Beitrag von Björn Engholm und das lnterYiew mit Valentin Falin stellen auch unmittelbare Beziehungen zur politischen Praxis her. Wie Sie sehen. habe ich Ihnen. lieber Kollege Röhrich. eines voraus: Ich habe die Festschrift bereits durchbHittern dürfen und beim Durchblättern großen Appetit auf die Vorträge von drei der Autoren bekommen, die heute zu uns sprechen werden. Die wichtige Frage ist nun, inwieweit sich aus der wissenschaftlichen Analyse von Ereignissen in der Vergangenheit Rezepte für Handlungen in der Zukunft ableiten lassen. Als Physiker und Rektor kann ich nur bescheidene Anregungen für die weiteren Jahre Ihrer akliven Tätigkeit an der ChrislianAibrechts-Universität zu Kiel geben (32 Jahre' haben Sie ja schon hinter sich): Nutzen Sie die reichen Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit, welche Ihnen unsere Universität bietet: Politik unterliegt natürlich verschiedenen Einflüssen. vor allem auch Entwicklungen in der Wirtschaft und diese wiederum den Forschungs- und Entwicklungs-Aktivitäten im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich. Dabei sollten Entwicklungen in der

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Ruprecht Haensel

Technik nicht immer nur als "Technikfolgen" mit deutlich negativem Unterton beschrieben werden. Hierzu biete ich Ihnen meine Zusammenarbeit an: ad multos annos!

Grußwort des Dekans der Philosophischen Fakultät der Christian-Aibrechts-Universität zu Kiel Von Bernhard Schmaltz Im Namen der Philosophischen Fakultät darf ich Ihnen, lieber Herr Röhrich, zum runden Geburtstag die besten Grüße übermitteln, verbunden mit allen guten Wünschen für viele weitere Jahre in Gesundheit, Schaffenskraft und Schaffensfreude. Geht man die Fächergliederung der Christian-Albrechts-Universität durch, dann ist ja wohl nicht unbedingt in vorderer Reihe der Dekan der Philosophischen Fakultät zu erwarten. Und doch habe ich gerne zugesagt, hier ein paar Worte zu sprechen. Eine äußerliche Legitimation besteht natürlich darin, daß Sie, lieber Herr Röhrich, auch Mitglied dieser Fakultät sind. Und dies hat selbstverständlich einen tieferen Grund. Denn Politische Wissenschaft ist nur denkbar vor dem Hintergrund der Geschichtswissenschaften, die ihrerseits im Kontext des breiten Fächerspektrums an Kulturwissenschaften zu sehen sind, wie sie in unserer Philosophischen Fakultät gebündelt sind. Natürlich ist damit nur eine Quelle benannt aus der sich die Politische Wissenschaft speist, andere Disziplinen sind ebenso unverzichtbar. Doch liegt darin, wie mir scheint, der fruchtbare Ansatz: über die Grenzen der Fakultäten und Disziplinen hinweg, über die Spezialistischen Fachrichtungen hinaus den Diskurs zu suchen und zu pflegen, um daraus Anregungen, vielleicht gar neue Ansätze zu entwickeln. Kurz gesagt: 'Philosophen' können von Politikwissenschaftlern und Politikern lernen und Gleiches gilt sicherlich auch umgekehrt. Es gibt noch einen weiteren Grund. der mich veranlaßte, das Angebot eines Grußwortes zu nutzen. Denn insbesondere beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses Ihrer Festschrift.fühlte ich mich auch als Altertumskundler angesprochen. Themen der Politischen Wissenschaft. Themen der Demokratie -wie lassen sie nicht zwangsläufig an die Griechen denken, denen wir diese Erfindung der Demokratie verdanken. Oder war es ein eher beiläufiges oder gar zufälliges

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Darauf-Stoßen im unruhigen späten 6. Jh. v. Chr.. ein tastendes Erproben von Möglichkeiten. die sich damals in Reaktion auf die voraufgegangenen Zeiten der Aristokratie und Tyrannis quasi von selbst anboten? Wie dem auch sei, wichtiger als darüber zu spekulieren scheint mir, darauf zu sehen, was die Griechen. genauer gesagt: die Athener. daraus gemacht haben. Und da scheint es bemerkenswert zu sein, daß nach wenig mehr als einem Jahrhundert, nach knapp vier Generationen, nach einem fast unerwarteten außenpolitischen Erfolg gegen die Perser. nach einer Phase der Euphorie und Selbstüberschätzung unter Perikles und nach einem ersten totalen Krieg mit Sparta, wie ihn Thukydides beschrieben hat - daß Athen sich dann im Sturz zu besinnen beginnt, so ernsthaft daß ein Redner wie Lysias - ein Wahlathener, kein Vollbürger- zu Beginn des 4. Jh. in einer Gerichtsrede darauf abhebt daß man als Mitglied einer Gemeinschaft nicht nur Rechte wahrnehmen, nutzen kann, daß man vielmehr ebenso Pflichten hat Pflichten für die Gemeinschaft für den Nachbarn. Wir würden heute zusammenfassend wohl von Verantwortungsbewußtsein sprechen, doch ein solches Wort oder einen äquivalenten Begriff kennt Lysias bezeichnenderweise nicht, so beredt er auch den Sachverhalt schildert. Es bedurfte eben weiterer geschichtlicher Erfahrung, um Verantwortungsbewußtsein zu lernen, als Begriff und als gelebte Realität. Und wie wir heute wieder sehen, muß man dieses Verantwortungsbewußtsein stets von neuem lernen. Der Blick zurück in die Geschichte - ist er nur ein nostalgisches Sich-Erinnern? Ein wehmütiges Kramen in der Vergangenheit ein bloßes Zitieren eben der Alten Griechen? Ich denke, die Chance ist weitaus größer, ist zukunftsorientiert. Wie es im Titel der Festschrift heißt: "Die Demokratie überdenken" die Geschichte, unsere eigenen Wurzeln zu überdenken und gerade jene, die ein bißchen weiter zurückreichen. dies birgt die Chance in sich, kritisch analysierend Prozesse zu begreifen. Und diese geistige Auseinandersetzung schärft den Blick. weitet den Horizont für die Probleme der Gegenwart. fördert Flexibilität des Denkens für die Zukunft. Auch vor diesem Hintergrund wünsche ich als Dekan der Philosophischen Fakultät Ihnen, verehrter Herr Röhrich, noch viele Jahre fruchtbaren Diskurses.

Demokratie und Weltinnenpolitik Laudatio für Wilfried Röhrich anläßlich seines 60. Geburtstages Von Dieter S. Lutz Erlauben Sie mir bitte eine Vorbemerkung: eine Laudatio1 halten zu dürfen, ist immer eine ehrenvolle Angelegenheit zeichnet sie doch auch denjenigen aus, der sie hält. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Laudatio einem Kollegen gilt, der einen so unangefochtenen Ruf als Wissenschaftler genießt wie Wilfried Röhrich, der ferner zu den Großen seines Faches gehört und für den viele eben dieser Großen gerne schreiben, wie die Festschriften zu seinem 60. Geburtstag belegen2 . Aus der Pflicht wird überdies eine Kür. und zur Ehre gesellt sich noch die Freude, wenn die Laudatio einem Freund. einem guten Freund gilt, mit dem man gemeinsam gelehrt und publiziert hat, mit dem man die Begeisterung für das Fach teilt und mit dem man sich quasi schicksalhaft verbunden fühlt, weil beider Geburtstage auf Weihnachten fallen. Die Frage, warum gerade ich die Laudatio halten darf, ist mit letzterem beantwortet: In diesem Fall - und ausschließlich nur in diesem - bin ich durch Geburt prädestiniert. Nach diesem - neudeutsch gesprochen: outing - unseres kleinen Geheimnisses kann ich mich nunmehr also an die Laudatio selbst wagen: Wilfried Röhrich wurde am 24. Dezember 1936 in Darmstadt geboren. Wie gesagt: zu Heiligabend. Nach dem Studium der Politischen Wissenschaft, der Soziologie und der Philosophie in Frankfurt am Main und in Berlin wurde er 1962 Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Politische Bildung der Universität Frankfurt am Main. 1964 promovierte er an der Philosophischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Von 1964 bis 1966 war er 1 Laudatio aus Anlaß des 60. Geburtstages von Professor Dr. Wilfried Röhrich und der Überreichung der Festschrift "Die Demokratie überdenken" am DoiUJerstag, den 17. April 1997, im Auditorium Maximum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 2 Siehe auch Carsten Schlüter-Knauer (Hrsg.): Die Demokratie überdenken. Festschrift für Wilfried Röhrich, Berlin 1997. 3 Carstcns I Schlüter-Knaucr

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Wissenschaftlicher Asssistent am Seminar für Wissenschaft und Geschichte der Politik der Christian-Albrechts-Universität. 1970 habilitierte er als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel. Nach einer zwischenzeitlichen Gastdozentur an der Staatlichen Fachhochschule für Sozialwesen in Kiel und der Vertretung eines Lehrstuhls für Politische Wissenschaft an der Universität Harnburg wurde Wilfried Röhrich 1973 zum Professor für Politische Wissenschaft an der Universität zu Kiel berufen und 1979 zum Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Kiel ernannt. Aus der Vielzahl seiner inner- und außeruniversitären Aktivitäten und Mitgliedschatten nenne ich stellvertretend den Ständigen Ausschuß für Lehre und Studienreform beim Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und sein Amt als Vizepräsident der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft in den Jahren 1981 bis 1991 . Wilfried Röhrichs sowohl zahlreiche als auch überragende Verdienste als Hochschullehrer. Wissenschaftler und Publizist in einer Laudatio zu würdigen. ist kein leichtes Unterfangen. Als ich zur Vorbereitung auf diese Rede seine vielen Veröffentlichungen bei uns zu Hause auf dem Fußboden gestapelt hatte und sie dort - wie es jeder vernünftige und seriöse Wissenschaftler erst einmal tut - tagelang umkreiste und beäugte und sie mal so, mal so sortierte, meinte mein zehnjähriger Sohn voller Mitgefühl: "Sag doch einfach. Wilfried Röhrich ist ein wissenschaftlicher Riese!" Nun will ich es mir nicht ganz so einfach machen. auch würde die Bescheidenheit des Jubilars ein solches Votum zurückweisen. und doch bestätigt sich wieder einmal. daß ein Körnchen Wahrheit in dem steckt. was des Volkes Stimme mit dem Satz umschreibt: "Kindermund tut Wahrheit kund". Also nochmals: Die große wissenschaftliche Leistung des Jubilars, die sich in seinen zahlreichen Werken und Kompendien widerspiegelt, läßt sich an dieser Stelle auch nicht annähernd umreißen. Ich verweise deshalb auf die vielen Rezensionen seiner Veröffentlichungen. sei es in wissenschaftlichen Zeitschriften wie der Politischen Vierteljahresschrift oder in Tages- und Wochenzeitungen wie Zeit. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Parlament, Tagesspiegel und vielen mehr. Ich selbst will mich - besser: ich muß mich - auf einige wenige Aspekte beschränken. Wilfried Röhrich ist erstens und vor allem Politikwissenschaftler im besten Sinne des Wortes. d. h. in der vollen Tiefe und Breite des Faches. Nicht etwa aus der Not heraus. weil es an der Kieler Universität nur zwei hauptamtliche

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'Politikprofessoren' gibt, sondern aus voller Überzeugung, ja Begeisterung und wissenschaftlicher Neugier vertritt er in Vorlesungen und Seminaren die Politische Theorie und Ideengeschichte ebenso wie die Vergleichende Regierungslehre oder die Internationalen Beziehungen. Dies ist heute ganz gewiß - leider - keine Selbstverständlichkeit mehr. Nebenbei bemerkt: Wen wundert es. daß die Studierenden gerne seine Lehrveranstaltungen besuchen. Wer wie Wilfried Röhrich Interesse, Neugier und Begeisterung ausstrahlt, wirkt ansteckender als jede noch so ausgeklügelte, aber fragwürdige und letztlich seelenlose Didaktik. Was auf die Lehre zutrifft, gilt bei Wilfried Röhrich auch für die Forschung. In seinen wissenschaftlichen Publikationen hat er sich stets der Neigung von uns Jüngeren entzogen, sich auf Paradigmen oder Spezialgebiete festzulegen. Die Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen, ist ihm deshalb fremd. Entsprechend reichen seine Forschungsinteressen und die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Projekte von den politischen Denkern der Geschichte über Deutschlands Gegenwart bis zur Weltinnenpolitik der Zukunft. Stellvertretend nenne ich seine weithin beachteten Bücher "Denker der Politik" sowie "Die verspätete Demokratie" sowie "Gesellschaftssysteme und internationale Politik". 3 Wer die Tiefe und Breite des Spektrums der Arbeiten des Jubilars an erster Stelle nennt. muß sofort als zweites Merkmal die Interdisziplinarität seiner Arbeiten und seiner Arbeitsweise betonen. In Übereinstimmung mit Kurt Lenk nämlich, der heute im übrigen unter uns ist. versteht Wilfried Röhrich die politikwissenschaftliche Disziplin als "integrierend-synoptisch". 4 Erlauben Sie bitte, daß ich an dieser Stelle den Jubilar selbst aus seinem grundlegenden und viele Generationen von Studierenden prägenden Werk "Politik als Wissenschaft" von 1986 zitiere, das in einer ersten Auflage bereits 19785 erschienen ist: "Unsere Disziplin ist integn·erend-synoptisch, weil sie bei ihrem Erkenntnisprozeß - ihrem Erkenntnisinteresse entsprechend - zur kritischen Überprüfung auch das Material und die Ergebnisse verwandter Wissenschaften kritisch heranzieht - Wis3 Siehe Wilfried Röhrich: Denker der Politik. Zur Ideengeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Opladen 1989; ders.: Die verspätete Demokratie. Zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1983; ders. (mit Koautoren): Gesellschaftssysteme und internationale Politik. Sozialökonomische Grundrisse, Stuttgart 1976. 4 Kurt Lenk: Politische Wissenschaft. Ein Grundriß, Stuttgart 1975, S. 14. 5 Siehe Wilfried Röhrich: Politik als Wissenschaft. Eine Einführung, München 1978.

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Dieter S. Lutz senschaften, die, wie die Politikwissenschaft, die Soziologie, die Ökonomie, die Staats- und Rechtslehre, die Sozialpsychologie und die Verhaltenswissenschaften, wechselseitig - und sich wechselseitig kritisierend - zu 'Hilfswissenschaften' werden können. Dies bedeutet nicht, daß die Politikwissenschaft eine Integrationswissenschaft darstellt, die ausgewählte Gegenstandsbereiche anderer Disziplinen unter der übergeordneten Fragestellung des Politischen in sich vereint; vielmehr verkörpert die Politikwissenschaft eine Spezialdisziplin und eine eigenständige Teildisziplin im Rahmen der ihr verwandten (Sozial-)Wissenschaften. Als solche umfaßt sie (sozial-)wissenschaftliche Forschungsgebiete, die systematisch aufeinander bezogen werden müssen. Hier ist an erster Stelle die politische Ökonomie hevorzuheben, aber auch die politische Soziologie und die politische Psychologie sind unabdingbar."6

Der dritte Aspekt, den ich erwähnen wilL ist mir persönlich sehr wichtig, erklärt mit meine Nähe zum Jubilar und zu seiner Arbeitsweise und Arbeitsabsicht Wer, wie ich, seit mehr als 20 Jahren Friedensforschung betreibt, weiß, daß z. B. Frieden und Sicherheit keine Selbstläufer sind, daß es den Ewigen Frieden Kants wohl nie geben wird, daß Frieden vielmehr immer wieder aufs neue Tag für Tag errungen und ausgestaltet werden muß. Der bittere Beigeschmack der Sisyphusarbeit bleibt gleichwohl; ebenso die Erkenntnis der doch starken Begrenztheit des tatsächlichen Einflusses von Wissenschaft auf die Politik, selbst eines Institutes wie des Hamburger Friedensforschungsinstituts, das in vielfältiger Weise Zugang zur Politik besitzt. Verheerend allerdings wäre es, aus dieser so beschriebenen Realität heraus den Schluß zu ziehen, Wissenschaft nur noch im akademischen Elfenbeinturm und für den akademischen Elfenbeinturm zu betreiben. Die Versuchung allerdings ist groß! Um so wichtiger sind Wissenschaftler und Hochschullehrer wie Wilfried Röhrich, die - Frau Ministerin Böhrk hat ebenfalls darauf hingewiesen - nicht müde werden, wieder und immer wieder gerade das Gegenteil zu betonen und von Kollegen und Kolleginnen ebenso wie von den Studierenden einzufordern: Politikwissenschaft - so Röhrich - muß als eine "engagierte Wissenschaft" begriffen werden, die in mehrfacher Weise in die politische Realität einbezogen ist. 7 Sie muß ferner - nicht zuletzt Hans Jonas und dessen

6 Wilfn.ed Röhrich (unter Mitwirkung von Wolf-Dieter Narr): Politik als Wissenschaft. Ein Überblick, Opladen 1986 (2 . völlig neu überarbeitete Auflage des gleichnamigen Titels von 1978), S. 23. 7 Wilfried Röhrich: Politik als Wissenschaft. Ein Überblick, S. 22 f.

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"Prinzip Verantwortung" folgend8 den.9

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auf die politische Praxis orientiert wer-

Ich gestehe, daß es diese und ähnliche Aussagen und Forderungen sind, die mich selbst in meinen eigenen Arbeiten stark beeinflussen, mitunter auch 'bei der Stange halten'. Wegen der Kürze der Zeit kann ich bedauerlicherweise nicht auf alle Aspekte eingehen, welche die Arbeiten und das Wirken des Jubilars kennzeichnen. Einen vierten Aspekt will ich allerdings doch noch streifen: Eingangs habe ich unter Verweis auf die Breite des