Der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem und türkischem Recht [1 ed.] 9783428545490, 9783428145492

Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Schuldrechtsmodernisierung 2002 den § 313 BGB, die Geschäftsgrundlage geregelt. Der

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Der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem und türkischem Recht [1 ed.]
 9783428545490, 9783428145492

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Schriften zum Internationalen Recht Band 201

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem und türkischem Recht

Von

Nurten Ince

Duncker & Humblot · Berlin

NURTEN INCE

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem und türkischem Recht

Schriften zum Internationalen Recht Band 201

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem und türkischem Recht

Von

Nurten Ince

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-14549-2 (Print) ISBN 978-3-428-54549-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84549-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Mein Vater und besonders meine Mutter haben mich sehr ermutigt, im Ausland zu promovieren. Leider konnte mein Vater meinen Abschluss nicht mehr erleben – ich bin mir sicher, es hätte ihn glücklich gemacht. Deshalb widme ich diese Arbeit in Dankbarkeit sowohl meinem Vater als auch meiner geliebten Mutter und gleichzeitig besten Freundin, da beide mir den Sinn für die Gerechtigkeit und Güte vermittelt haben.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014 von der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Sie wurde im September 2013 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von September 2013. Nach dem September 2013 erschienene Werke in der türkischen Literatur wurden nicht berücksichtigt. In der Anfangsphase der Arbeit im Jahre 2010 war im türkischen Rechtssystem der Wegfall der Geschäftsgrundlage noch nicht kodifiziert. Als der türkische Teil dieser Arbeit fertiggestellt wurde, kodifizierte 2012 der türkische Gesetzgeber das Institut. Dadurch wurde es nötig, die Arbeit der neuen Rechtslage anzupassen. Auch nach der Kodifikation sind die in dieser Arbeit kritisierten Punkte weiterhin diskussionswürdig. Mein ganz besonderer Dank gebührt meinem hochverehrten, überaus liebenswürdigen Doktorvater Herrn Prof. Dr. iur. Dr. h. c. (SZTE) Detlev W. Belling, M.C.L. (Univ. of Ill.), sowohl für die Anregung für das Thema als auch für die engagierte Betreuung meines Promotionsvorhabens. Herr Prof. Dr. iur. Belling hat auch die menschliche Seite der Betreuung nie außer Acht gelassen. Seine informativen und auch anregenden Lehrveranstaltungen haben mein juristisches Denken maßgeblich geprägt. Mein besonderer Dank gilt auch Frau Prof. Dr. iur. Dorothea Assmann für die Übernahme des Zweitgutachtens und dessen zügige Erstellung. Die Arbeit wurde durch ihre Kritiken und Anregungen äußerst bereichert. Außerdem möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. iur. Belling und Herrn Prof. Dr. iur. Karl Riesenhuber für unsere gemeinsamen Veröffentlichungen im Rahmen des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahres 2014 herzlich bedanken. Da meine Dissertation ein rechtsvergleichendes Thema behandelt, wurde diese nach der Begutachtung (bewertet mit summa cum laude) von Herrn Prof. Dr. iur. Belling in die Türkei gesendet und dort zwischen dem 14. 10. 2013 und 05. 02. 2014 von Frau Doç. Dr. iur. Herdem Belen gelesen. Dafür bedanke ich mich bei ihr. Die Promotion wurde durch ein großzügiges Stipendium finanziell unterstützt, wofür ich mich bei dem türkischen Bildungsministerium herzlich bedanken möchte. Hier gilt mein besonderer Dank Frau Hülya Yıldırım, Mitarbeiterin der Botschaft der Republik Türkei, Abteilung für Bildungswesen, die trotz ihres großen Arbeitspensums mir vom ersten Tag meiner Ankunft in Deutschland an bei allen meinen Problemen und Sorgen mit Rat und Tat zur Seite stand. Für die großzügige Beteiligung an dem Druckkostenzuschuss möchte ich dem Verein der Freunde und Förderer der Juristischen Fakultät der Universität Pots-

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Vorwort

dam e.V. und dessen Vorsitzendem Herrn Prof. Dr. iur. Eckart Klein meinen herzlichen Dank aussprechen. Ich fasse diesen Zuschuss als Ansporn auf, mich für die Förderung der Zusammenarbeit zwischen der Universität Potsdam und meiner türkischen Universität einzusetzen, was ich sehr gerne anstreben werde. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof Dr. iur. Dr. h. c. (Univ. Athen) Dr. h. c. (Univ. Istanbul) Philip Kunig. Für meine Zeit nach der Promotion hat er mir durch seine Ratschläge und seinen enormen Kenntnisstand bezüglich der kulturellen und wissenschaftlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer beiden Länder einen hilfreichen Einblick vermittelt, was ich bei meiner Zukunftsplanung gern in Betracht ziehen werde. Außerdem möchte ich mich bei ihm für seine Unterstützung in der Endphase meiner Promotion sehr bedanken. Frau Prof. Dr. iur. Ays¸e Nuhog˘lu und Herrn Prof. Dr. iur. Feridun Yenisey an der Bahçes¸ehir Universität Berlin herzlichen Dank für die angenehme Arbeitsatmosphäre. Bei Herrn Dr. iur. Bilgütay Kural möchte ich mich herzlich bedanken, da er es mir ermöglicht hat, an der Humboldt-Universität als Dozentin für Fremdsprachenrecht Vorlesungen zu halten. Vielen Dank auch für die gute Zusammenarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Bahçes¸ehir Berlin. Außerdem möchte ich Frau Karin Buttke, Herrn Dr. iur. Johann Hinrich Gerhard und Frau Dr. iur. Eda Tekin meinen besten Dank aussprechen. Weiterhin möchte ich mich für die profunde und vielseitige wissenschaftliche Ausbildung bei meinen akademischen Lehrern an der Marmara Universität bedanken. Last but not least danke ich allen Freunden, die mich unterstützt haben. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, meine Eltern zu erwähnen, die mir immer mit ihrer ganzen Kraft zur Seite standen. Mein ganz besonderer Dank gilt dem Verlag Duncker & Humblot für die Annahme der Dissertation ins Verlagsprogramm; bei der netten Belegschaft, besonders bei Frau Regine Schädlich möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit herzlichst bedanken. Berlin, im Dezember 2014

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Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Kapitel 1 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

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§ 1 Die Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht . . . . . . . 28 A. Frühere Lehren und ältere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Die Entwicklung in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Grundsätze der clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Clausula rebus sic stantibus im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 c) Bewertung der Clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Laesio enormis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Windscheids sog. Lehre der Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Die Lehre Windscheids und das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 d) Bewertung der Voraussetzungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4. Oertmanns sog. Geschäftsgrundlagenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Bewertung der Lehre von Oertmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5. Die Entwicklung der objektiven Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Locher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Krückmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 c) Kritik und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Die Ablehnung der Voraussetzungslehre Windscheids . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Die Ablehnung der Clausula-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Lösung über die wirtschaftliche Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Wachsende Bedeutung des Unzumutbarkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . 47

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Inhaltsverzeichnis 5. Die Übernahme der Geschäftsgrundlagenlehre Oertmanns . . . . . . . . . . . 48 6. Die Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Äquivalenzstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Zweckstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 7. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. Ergebnis der früheren Lehren und der Rechtsprechung des Reichsgerichts . 53 B. Lehren und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . 54 I. Ansichten in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Grundsätze der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage . . . . 54 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Wieacker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Lehmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4. Kegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Grundsätze der „großen“ und „kleinen“ Geschäftsgrundlage . . . . . . . 60 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5. Schmidt-Rimpler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 6. Flume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 7. Beuthien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 8. Köhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 9. Medicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 10. Brox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 11. Nicklisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhaltsverzeichnis

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b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 12. Fikentscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 13. Koller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 14. Chiotellis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Subsidiarität der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Vorrang des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Vorrang gesetzlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Definition der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Oertmanns Geschäftsgrundlagenverständnis als Ausgangspunkt . . . . 83 b) Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Kriterien der Rechtsprechung zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Risikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Äquivalenzstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Die DDR als Beispiel für die Bedeutung der Geschäftsgrundlagenproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Zweckstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6. Bewertung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Ergebnis der Lehren und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 § 2 Kodifikation des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 A. Gesetzliche Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Rechtslage vor der Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Vorarbeiten bis zur Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

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Inhaltsverzeichnis 2. Der Weg zur Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . 102 a) Gutachten aus dem Jahre 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Ansicht von Horn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Ansicht von Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Abschlussbericht der Kommission aus dem Jahre 1992 . . . . . . . . . . . 104 c) Diskussionsentwurf (DiskE) aus dem Jahre 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Kritik an § 307 BGB-DiskE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Befürworter des Diskussionsentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Die Kodifizierung des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Übernahme des § 307 BGB-DiskE in § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Fassung des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Zur Begründung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 A. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Begriff der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Definition der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Arten der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Objektives und subjektives Geschäftsgrundlagenverständnis innerhalb des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Keine Unterteilung in „große“ und „kleine“ Geschäftsgrundlage . . . 115 3. Wegfall (§ 313 Abs. 1 BGB) und Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt und Geschäftsgrundlage . . . . . . . . 117 II. Anforderungen an die schwerwiegenden Veränderungen (§ 313 Abs. 1 BGB) und wesentlichen Vorstellungen (§ 313 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . 118 1. Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Auswirkung des Vertragstypus und der Vertragsdauer auf die Erheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Zeitpunkt des Störungseintrittes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Die Berücksichtigung subjektiver Interessen durch das Unzumutbarkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Die Notwendigkeit des Unzumutbarkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. (Un-)Definierbarkeit des Unzumutbarkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . 125

Inhaltsverzeichnis

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4. Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Risikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Vertragliche Risikovereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Vertragliche Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (2) Das Verhältnis des § 313 BGB zu Vertragsklauseln . . . . . . . . 129 bb) Typische und gesetzliche Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Charakteristika des Vorhersehbarkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit an die Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Inhalt und Reichweite des Zurechenbarkeitskriteriums . . . . . . . . 137 bb) Die Anwendbarkeit des § 313 BGB in Fällen des Verzugs . . . . . 138 d) Weitere Wertungspunkte und Gesamtabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 B. Anwendungsbereich des § 313 BGB und die Abgrenzung zu anderen Instituten . 139 I. Anwendungsbereich des Geschäftsgrundlageninstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Anwendbarkeit auf Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Anwendbarkeit innerhalb (teil-)erfüllter Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Anwendbarkeit auf einseitige Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Abgrenzung und Konkurrenzverhältnis zu anderen Rechtsinstituten . . . . . . 143 1. Abgrenzung zu § 275 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Zweckstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Das Verhältnis von § 275 Abs. 2 BGB zu § 313 BGB . . . . . . . . . . . . 150 aa) Fälle, die nur unter § 313 BGB fallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Fälle, die nur unter § 275 Abs. 2 BGB fallen . . . . . . . . . . . . . . . . 151 cc) Abgrenzung im Konkurrenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (1) Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (2) Vorrangigkeit des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (3) Wahlrecht des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (4) Abgrenzung über die vertragliche Risikostruktur . . . . . . . . . . 155 (5) Gleichrangigkeit zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (6) Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

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Inhaltsverzeichnis 3. Abgrenzung zu § 275 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Ansichten über das Verhältnis zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Vorrangigkeit des § 275 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 cc) Gleichrangigkeit beider Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Anwendbarkeit des § 313 BGB oder des § 275 Abs. 3 BGB in Fällen des Glaubens- und Gewissenskonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Anwendbarkeit des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Anwendbarkeit des § 275 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Kritik gegen Abgrenzungskriterium des Gewissensbegriffs . . . . . 165 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Das Verhältnis von § 313 BGB zu § 314 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Ansichten in Bezug auf das Konkurrenzverhältnis des § 313 BGB zu § 314 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Relativer Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund . . . . . . . 168 bb) Absoluter Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund . . . . . . 169 cc) Kein Rangverhältnis der beiden Institute zueinander . . . . . . . . . . 170 dd) Vorrang des § 313 BGB vor § 314 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Das Verhältnis in Bezug auf die Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Gegner des Fristerfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Befürworter des Fristerfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Abgrenzung zu § 119 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Fälle, die nur unter §§ 119 ff. BGB fallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Fälle, die nur unter § 313 Abs. 2 BGB fallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Konkurrenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Vorrangigkeit des § 313 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Vorrangigkeit des § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 dd) Sphärengedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6. Abgrenzung § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Das Verhältnis von § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB zu § 313 BGB . . . 187 aa) Vorrangigkeit des § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Vorrangigkeit des § 812 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Kein Konkurrenzverhältnis zwischen § 313 BGB und § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

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dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 § 4 Rechtsfolgen der Störung der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 A. Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Verhältnis Anpassung und Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Vorrangigkeit der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Gleichrangigkeit der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Vorteile und Befürworter einer Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . 198 2. Nachteile und Gegner einer Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 III. Prozessuale Durchsetzung der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Analoge Anwendung der Stufenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4. Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 IV. Aktivlegitimation bei Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 V. Der maßgebende Zeitpunkt für die Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 B. Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Rücktritt/Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 III. Aktivlegitimation bei Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Kapitel 2 Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

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§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht . . . . . . . . . . 231 A. Ein Querschnitt der Geschichte des türkischen Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

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Inhaltsverzeichnis B. Theorien zum Wegfall der Geschäftsgrundlage vor der Kodifikation im Jahr 2012 234 I. Lösung über den Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. für Werkverträge . . . . . . . . . . . . 234 1. Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Anwendbarkeit des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. auf nachträgliche Änderungen in anderen Vertragsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 aa) Pro Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Contra Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Gegenwärtige Bedeutung der Erhöhung der Festpreisregelung bei Werkverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Lösung über die Grundsätze des sogenannten Grundlagenirrtums . . . . . . . . 245 1. Voraussetzungen und Rechtsfolge des Grundlagenirrtums . . . . . . . . . . . 245 2. Anwendung des Grundlagenirrtums auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Pro Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Contra Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Türkische Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Gegenwärtige Bedeutung des Grundlagenirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Lösung über die Übervorteilung nach türkischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Anwendbarkeit der Übervorteilung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Pro Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Contra Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Gegenwärtige Bedeutung der Übervorteilung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 IV. Lösung über die Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Lösung über die anfängliche Unmöglichkeit nach Art. 20 tOR a. F. . . . 269 a) Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Analoge Anwendung des Art. 20 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Lösung über die nachträglich zu vertretende Unmöglichkeit nach Art. 96 tOR a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Inhaltsverzeichnis

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b) Analoge Anwendung des Art. 96 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Lösung über die nachträgliche (nicht zu vertretende) Unmöglichkeit nach Art. 117 tOR a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Analoge Anwendung des Art. 117 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (1) Pro Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (2) Contra Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4. Gegenwärtige Bedeutung der Unmöglichkeit für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 V. Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben auf Fälle geänderter Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Befürwortende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Ablehnende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 4. Gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 VI. Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Begriff und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Die Anwendung befürwortende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Die Anwendung ablehnende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Gegenwärtige Bedeutung der Rechtsmissbrauchstheorie (Art. 2 Abs. 2 tZGB) für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . 293 VII. Vertragsergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) Vertragsergänzung als Lösung für die Fälle der veränderten Umstände 294 b) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4. Gegenwärtige Bedeutung der Vertragsergänzungstheorie für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

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Inhaltsverzeichnis VIII. Analoge Anwendung verschiedener gesetzlicher Regelungen als Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Befürworter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Gegenwärtige Bedeutung analoger Anwendung verschiedener gesetzlicher Regelungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . 303 IX. Ungerechtfertigte Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 a) Die Anwendung der ungerechtfertigten Bereicherung befürwortende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3. Gegenwärtige Bedeutung der Theorie über ungerechtfertigte Bereicherung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

§ 2 Kodifikation des Art. 138 tOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 A. Gesetzliche Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . 309 I. Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 II. Vorarbeiten bis zur Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 2. Der Weg zur Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . 311 a) Entwürfe zur Kodifikation der Geschäftsgrundlagenproblematik . . . . 311 aa) Kritik an Entwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Kodifizierung des Art. 138 tOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 § 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . 320 A. Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 I. Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Definitionen und Arten der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 2. Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt und Geschäftsgrundlage . . . . . . . . 323 II. Änderung der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Außerordentliche Veränderungen der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 a) Erforderlichkeit einer sozialen Katastrophe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 aa) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (1) Eine „soziale Katastrophe“ voraussetzende Ansicht . . . . . . . 324 (2) Eine „soziale Katastrophe“ ablehnende Ansicht . . . . . . . . . . 325 bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Inhaltsverzeichnis

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cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Dauerhaftigkeit der Veränderung der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 aa) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (1) Keine Anpassung bei nur kurzfristigen Veränderungen . . . . . 330 (2) Anpassung auch bei vorübergehenden Veränderungen . . . . . 330 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 a) Schweres Ungleichgewicht zwischen den Leistungen . . . . . . . . . . . . 332 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 bb) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 (1) Befürworter der Ruin-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 (2) Gegner der Ruin-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Offenes Missverhältnis zwischen den Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . 337 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 bb) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (1) Eine befürwortende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (2) Eine ablehnende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3. Auswirkung des Vertragstypus und der Vertragsdauer auf die Erheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 III. Unvorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Charakteristika der Unvorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 IV. Nichterfüllung des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 1. Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 a) Befürworter einer Nichterfüllung als Voraussetzungskriterium . . . . . 352 b) Gegner einer Nichterfüllung als Voraussetzungskriterium . . . . . . . . . 354 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 V. Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Inhalt und Reichweite des Zurechenbarkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Ansichten der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 aa) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 bb) Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

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Inhaltsverzeichnis 2. Anwendbarkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Fällen des Verzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 a) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 VI. Risikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 1. Vertragliche Risikovereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 a) Vertragliche Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 b) Verhältnis des Art. 138 tOR zu Vertragsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. Typische und gesetzliche Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 B. Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 A. Anpassung des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Verhältnis zwischen Anpassung und Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . 380 1. Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 a) Vorrangigkeit der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 b) Keine Vorrangigkeit der Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 II. Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 1. Eine Neuverhandlungspflicht befürwortende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . 382 2. Eine Neuverhandlungspflicht ablehnende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 III. Aktivlegitimation bei Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 1. Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 IV. Maßgebender Zeitpunkt für die Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 1. Befürwortende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 2. Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 B. Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 I. Rücktritt vom Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 II. Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 1. Kündigung aus einem wichtigen Grund im türkischen Rechtssystem . . 391 a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 b) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

Inhaltsverzeichnis

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2. Verhältnis zwischen Art. 138 tOR und der Kündigung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Kein Rangverhältnis zwischen beiden Instituten . . . . . . . . . . . . . . . . 394 b) Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 III. Aktivlegitimation bei Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 C. Anpassungs- und Vertragsaufhebungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 I. Zwingende gerichtliche Klärung des Art. 138 tOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 II. Keine zwingende gerichtliche Klärung des Art. 138 tOR . . . . . . . . . . . . . . . 398 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 D. Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

Kapitel 3 Vergleich zwischen dem deutschen und dem türkischen Geschäftsgrundlageninstitut

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§ 1 Vergleich der historischen Entwicklungen der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 § 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR . . . . . . . . . . . . . . . 418 § 3 Vergleich der tatbestandlichen Voraussetzungen und des Anwendungsbereichs zwischen beiden Rechtssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 A. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 I. Begriff der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 II. Änderung der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. Anforderungen gem. § 313 BGB und gem. Art. 138 tOR . . . . . . . . . . . . 433 2. Die Erheblichkeit als Voraussetzung nach deutschem und türkischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 III. Nichterfüllung der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 IV. Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 V. (Un-)Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 VI. Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 VII. Risikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 B. Zusammenfassung der Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 C. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 D. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 I. Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 II. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund . . . . . . . . . 454 III. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456

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Inhaltsverzeichnis IV. Ungerechtfertigte Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 E. Zusammenfassung der Abgrenzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

§ 4 Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 A. Anpassung des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 I. Zeitpunkt der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 II. Neuverhandlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 III. Prozessuale Durchsetzung der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 B. Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 I. Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . 465 II. Rücktritt/Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 III. Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 IV. Anpassungs- und Vertragsaufhebungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABGB Abs. AcP a. F. Alt. Art. AT AÜHFD BAG BATI˙DER BB Bd. BeckRS BGB BGB-DiskE BGB-KE BGBl. BGE BGH BGHZ BMJ BT-Drucks. C. DB DDR DJT DStR DtZ E. f. (ff.) FamRZ FS gem. GewO HD h. M. HPD I˙BD ˙IÜHFM

andere Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) alte Fassung Alternative Artikel Allgemeiner Teil Ankara Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi (Zeitschrift) Bundesarbeitsgericht Banka ve Ticaret Hukuku Dergisi (Zeitschrift) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Beck-Rechtsprechung Bürgerliches Gesetzbuch BGB-Diskussionsentwurf BGB-Kommissionsentwurf Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Drucksachen des Deutschen Bundestages Cilt Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Demokratische Republik Deutscher Juristentag Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Esas folgende (mehrere folgende) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht, Erbrecht, Verfahrensrecht, Öffentlichem Recht Festschrift gemäß Gewerbeordnung Hukuk Dairesi herrschende Meinung Hukuki Perspektifler Dergisi (Zeitschrift) I˙stanbul Barosu Dergisi (Zeitschrift) ˙Istanbul Üniversitesi Hukuk Fakültesi Mecmuası (Zeitschrift)

20 JA Jb.J.ZivRWiss. JURA jurisPK JuS JZ K. Komm. MDR MHAD m. w. N. NJOZ NJW NJW-RR Nr. NZA NZG NZM OLG PECL PICC RdA RG RGZ Rn. S. Sa. SchuldR SJZ sog. sOR sZGB tHG tOR tZGB tZPO UNIDROIT UNIDROIT Principles Var. vgl. VwVfG WM Y. YD YHD YHGK YiBK YKD

Abkürzungsverzeichnis Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juris Praxiskommentar Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Karar Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Mukayeseli Hukuk Aras¸tırmaları Dergisi (Zeitschrift) mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnrecht Oberlandesgericht Principles of European Contract Law Principles of International Commercial Contracts Recht der Arbeit Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Seite Sayı Schuldrecht Schweizerische Juristen-Zeitung sogenannt schweizerisches Obligationengesetz schweizerisches Zivilgesetzbuch türkisches Handelsgesetz türkisches Obligationengesetz türkisches Zivilgesetzbuch türkische Zivilprozessordnung International Institute for the Unification of Private Law UNIDROIT Principles of International Commercial Variation/Variante vergleiche Verwaltungsverfahrensgesetz Wertpapier-Mitteilungen; Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Yargıtay Yargıtay Dergisi (Zeitschrift) Yasa Hukuk Dergisi (Zeitschrift) Yargıtay Hukuk Genel Kurulu Yargıtay içtihadı Birles¸tirme Kararı Yargıtay Kararları Dergisi (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis YTD z. B. ZfA ZGS ZIP ZPO ZVglRwiss

Yargıtay Ticaret Dairesi zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Vertragsgestaltung, Schuld- und Haftungsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

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Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen leben. Immanuel Kant

Einleitung Napoleon behauptete einst „Was soll das heißen, die Umstände? Ich bestimme, welche Umstände herrschen“.1 Diese Aussage lässt sich in dieser Absolutheit natürlich nicht in das alltägliche Leben übertragen. Es liegt kaum in der Macht des Einzelnen zu bestimmen, welche Umstände herrschen oder die nachträgliche Änderung von Umständen zu beeinflussen.2 Ein Bereich, in dem dieses Unvermögen des Einzelnen besonders deutlich wird, ist der Bereich vertraglicher Schuldverhältnisse zwischen zwei Parteien. Derartige Vertragsverhältnisse können von der Änderung der Umstände (empfindlich) beeinflusst werden, ohne dass eine einzelne Partei ¢ entgegen Napoleons Prämisse ¢ Einfluss darauf hat. Diese Änderungen können so weit gehen, dass die Erfüllung des Vertrags zwar noch möglich, aber für die Beteiligten mit schwerwiegenden Konsequenzen und untragbaren Ergebnissen verbunden ist. Der Vertrag ist das Rechtsgeschäft, das uns am häufigsten begegnet und im Rechtsverkehr eine hervorgehobene Rolle hat. Dieser besonderen Bedeutung entspricht es, dass Vertragsparteien aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen des Grundsatzes pacta sunt servanda grundsätzlich an ihren Vertrag gebunden sind und ihre Leistung erfüllen müssen. Die Parteien eines Vertrags vertrauen darauf, dass die jeweilige Gegenpartei die von ihr versprochene Leistung erbringt und im Falle der Nichterfüllung sanktioniert wird. In diesem Vertrauen sind sich die Vertragsparteien meistens nicht darüber bewusst, dass sich die Umstände, die dem Vertrag zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zugrunde lagen, nachträglich verändern können. Die Historie und die Gegenwart zeigen, dass sich die Umstände, auf denen ein Vertragsverhältnis beruht, immer wieder durch verschiedene, oftmals einschneidende soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Ereignisse ändern können. Daher beschäftigt sich die Rechtswissenschaft seit Jahrhunderten mit der Frage, ob und wie bei wesentlichen Änderungen der Umstände in den Vertrag eingegriffen werden kann. Die Fragen, die in diesem Zusammenhang auftauchen und die für die betroffenen Vertragsparteien von elementarer Bedeutung sind, lauten vor allem: Was geschieht, wenn sich die Umstände nachträglich ändern, mit dem Vertrag? Welche Partei muss welches Risiko in welcher Höhe tragen? Kann es eine Vertragsanpassung geben, die eine Reaktion auf die veränderten Umstände unter Beachtung der Interessen aller Vertragsparteien ermöglicht? Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage kann das geschehen? 1 2

Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 41. Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 41.

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Einleitung

Diese Fragen haben sich bereits vor Jahrhunderten gestellt und stellen sich auch heute noch. Denn die Änderung von Umständen, die ein Vertragsverhältnis stören und zu den dargestellten Fragen führen kann, entsteht zumeist durch wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Derartige Veränderungen prägten nicht nur die Geschichte. Sie sind Bestandteil der Gegenwart und werden auch künftig immer wieder eintreten. Ein prominentes Beispiel für die Aktualität ist die in 2007 eingetretene weltweite Finanzkrise, die zu einem Zusammenbruch zahlreicher großer Banken und sogar beinah zum Staatsbankrott einiger Länder, beispielsweise Griechenlands, führte. Krisen mit derartigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Konsequenzen tangieren nicht nur den jeweils betroffenen Staat. Zumindest mittelbar haben sie auch Einfluss auf die Bürger und ihre Vertragsverhältnisse. In Anbetracht der dauerhaften Präsenz des Themas und der Frage, wie damit rechtlich umzugehen ist, verwundert es nicht, dass sich zahlreiche Länder nach langjährigen Diskussionen zu einer gesetzlichen Regelung der sog. Geschäftsgrundlagenthematik durchringen konnten. Zu diesen Ländern gehört auch die Türkei, die sich über einen langen Zeitraum mit der Geschäftsgrundlagenproblematik beschäftigt hatte und diese im Juli 2012 in Art. 138 des tOR unter der Überschrift „Leistungserschwerung“ kodifiziert hat. Der türkische Gesetzgeber hat sich bei der Kodifikation die deutsche Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik als Vorbild genommen und wollte sich am § 313 BGB, der seinerseits mit der Schuldrechtsreform 2002 Eingang in das BGB fand, orientieren. Dieses Bestreben des türkischen Gesetzgebers ist Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit.3 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Geschäftsgrundlagenthematik aus deutscher und aus türkischer Sicht zu untersuchen und zu vergleichen. Anhand dieses Vergleichs bzw. dieser Gegenüberstellung soll in der vorliegenden Arbeit geprüft werden, ob der türkische Gesetzgeber mit Art. 138 tOR seiner Absicht, sich an der Lösung des deutschen Gesetzgebers zu orientieren, tatsächlich entsprechen konnte. Um dieses Ziel zu erreichen, sind eine ausführliche Darstellung und Analyse des Geschäftsgrundlageninstituts in Deutschland und in der Türkei unumgänglich. Das Geschäftsgrundlageninstitut hat sich in Deutschland durch jahrzehnte-, gar jahrhundertelange Diskussionen entwickelt. Die Türkei hat sich bei der Kodifikation des Art. 138 tOR im Jahr 2012 gerade deshalb Deutschland zum Vorbild genommen. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit auch hinterfragt werden, ob die deutsche Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik tatsächlich geeignet ist, der Türkei als Vorbild 3 Der Begriff Wegfall der Geschäftsgrundlage ist auf das türkische Rechtssystem eher zutreffend, da der derzeit verwendete Begriff der Leistungserschwerung lediglich eine Fallgruppe umfasst. Der aus dem deutschen Rechtssystem herrührende Begriff Störung der Geschäftsgrundlage hingegen ist weniger heranzuziehen, weil das türkische Recht das Fehlen der Geschäftsgrundlage entsprechend § 313 Abs. 2 BGB nicht kennt. Um Missverständnissen betreffend der Überschrift vorzubeugen, wäre der Rechtsbegriff Wegfall der Geschäftsgrundlage erschöpfend gewesen. Folglich wird in dieser Arbeit ersatzweise ausschließlich dieser Rechtsbegriff für den Begriff der Leistungserschwerung (Überschrift des Art. 138 tOR) verwendet.

Einleitung

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zu dienen, und falls ja, ob der Versuch, den deutschen Lösungsvorschlag in das türkische Rechtssystem zu implementieren, gelungen ist. Die vorliegende Arbeit wird sich nicht auf den Vergleich der Geschäftsgrundlageninstitute in beiden Rechtssystemen und der Prüfung, wie sich der türkische Gesetzgeber auf die Spuren des deutschen Vorbildes begab, beschränken. Vielmehr wird auch erörtert werden, ob und inwieweit die noch sehr junge gesetzliche Regelung des Geschäftsgrundlageninstituts im türkischen Recht als Erfolg bezeichnet werden kann. In diesem Zusammenhang wird geprüft, ob der erst 2012 eingeführte Art. 138 tOR möglicherweise lückenhaft bzw. korrekturbedürftig ist und in welchem Maße ein Ergänzungs- oder Nachbesserungsbedarf besteht. Eine derartige Prüfung, die auch konkrete Korrekturvorschläge an den türkischen Gesetzgeber enthält, kommt nicht ohne eine ausführliche Darstellung der (auch historischen) Entwicklung des Geschäftsgrundlageninstituts in beiden Ländern aus. Denn die Kodifikation des Geschäftsgrundlageninstituts beruht sowohl in Deutschland als auch in der Türkei auf einem äußerst langwierigen Entwicklungsprozess. Die jetzige gesetzliche Ausgestaltung der Störung der Geschäftsgrundlage kann in beiden Ländern nur unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung nachvollzogen werden. Dementsprechend ist auch die Frage, ob die Kodifikation des Art. 138 tOR tatsächlich gelungen ist oder nicht, ohne Rückgriff auf den gesamten Entwicklungsprozess kaum beantwortbar. Es wurde bereits erwähnt, dass es sich bei Art. 138 tOR um eine sehr junge Regelung handelt. Dementsprechend existieren in der türkischen Literatur gerade im Hinblick auf die Bedeutung, Implementierung und Auswirkungen des Art. 138 tOR wenig Abhandlungen. Die vorliegende Arbeit soll diese Lücke füllen, indem die Entwicklung und jetzige Ausgestaltung des Art. 138 tOR mit dem Vorbild des § 313 BGB verglichen, analysiert und schließlich auch einer „Erfolgskontrolle“ unterzogen wird.

Gang der Untersuchung Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln. Im ersten Kapitel wird umfassend auf das deutsche Recht eingegangen, da sich die deutsche Rechtswissenschaft intensiver mit der Geschäftsgrundlage beschäftigte und das Geschäftsgrundlageninstitut mit der Schuldrechtsreform 2002 zeitlich vor der türkischen Regelung kodifiziert wurde. Schließlich spielt für den gewählten Aufbau auch hier der Umstand, dass das deutsche Recht für den türkischen Gesetzgeber als Vorlage diente, eine Rolle. Im zweiten Kapitel wird das türkische Recht dargestellt. Obgleich der Aufbau und die inhaltliche Schwerpunktsetzung weitestgehend der Darstellung des deutschen Rechts im ersten Kapitel entsprechen,1 werden rechtliche Diskussionen und Streitstände, die dem türkischen Recht eigen sind, benannt und erörtert, soweit sie für das Verständnis des Geschäftsgrundlageninstituts in der Türkei nötig bzw. hilfreich sind. Die ersten beiden Kapitel sind weitestgehend identisch aufgebaut. Beide Kapitel beginnen mit der Entwicklung und Entstehungsgeschichte der Geschäftsgrundlagenproblematik in der Lehre und der Rechtsprechung. Eine Darstellung der Geschäftsgrundlagenthematik ohne eine entsprechende Würdigung der Historie ist kaum möglich, da das Geschäftsgrundlageninstitut sowohl in Deutschland als auch in der Türkei eine überaus langjährige Entwicklung durchlaufen hat und es sich sowohl bei § 313 BGB als auch (und vor allem) bei Art. 138 tOR um relativ neue Regelungen handelt, deren Verständnis und Entstehung auf ihrer Geschichte beruhen. Sowohl der deutsche als auch der türkische Gesetzgeber ließen die jahrzehntelang in der Literatur und Rechtsprechung geführten Diskussionen und Erkenntnisse bei der Kodifikation mit einfließen. Eine von Oertmann2 im Jahre 1921 entwickelte Definition des Begriffs Geschäftsgrundlage beispielsweise zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen zur Geschäftsgrundlagenproblematik und gelangt auch heute noch zur Anwendung. Im Anschluss an die Darstellung der geschichtlichen Entwicklungen wird in den ersten beiden Kapiteln auf die jeweilige Kodifikation der Geschäftsgrundlage eingegangen. Dieser Teil enthält den Kodifikations- bzw. Gesetzgebungsprozess (im jeweiligen Land), d. h. die Darstellung von Vorarbeiten bis zur Kodifizierung, der Gesetzesentwürfe, der Reaktionen und der Kritik auf die Entwürfe sowie die Darstellung der tatsächlichen gesetzlichen Ausgestaltung. Im jeweils dritten Teil der ersten beiden Kapitel werden die Voraussetzungen und der Anwendungsbereich des § 313 BGB bzw. des Art. 138 tOR untersucht. Dabei 1 2

Zum Aufbau der ersten beiden Punkte vgl. weiter unten. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37.

Gang der Untersuchung

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wird auch hier auf die jeweiligen länderspezifischen Besonderheiten eingegangen. So wird im dritten Teil des ersten Kapitels (deutsches Recht) beispielsweise eine ausführliche Abgrenzung des Geschäftsgrundlageninstituts zu anderen Instituten vorgenommen, da sich durch einige mit der Schuldrechtsreform neu eingeführte Vorschriften, wie beispielsweise die Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB und die faktische Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 2 BGB, Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen stellten. Derartige Fragen stellen sich im Zusammenhang mit dem türkischen Art. 138 tOR zumindest nicht in einem vergleichbaren Maße. Diese länderspezifischen Unterschiede schlagen sich daher auch in der inhaltlichen Schwerpunktsetzung nieder. Im jeweils vierten und somit letzten Teil der ersten beiden Kapitel werden die Rechtsfolgen des § 313 BGB bzw. des Art. 138 tOR dargestellt. Sowohl bei der Darstellung des deutschen als auch des türkischen Geschäftsgrundlageninstituts liegen die Schwerpunkte hier in der Vertragsanpassung, im Rücktritt und in der Kündigung. Dabei werden auch Streitstände wie beispielsweise die Erforderlichkeit einer Neuverhandlungspflicht oder die Frage nach der prozessualen Durchsetzung einer Vertragsanpassung aufgezeigt und diskutiert. Die umfassende Darstellung der deutschen und der türkischen Rechtslage in den ersten beiden Kapiteln ermöglicht es schließlich, in einem dritten und letzten Kapitel der Bearbeitung einen Vergleich des Geschäftsgrundlageninstituts zwischen Deutschland und der Türkei durchzuführen. In diesem dritten Kapitel erfolgt eine Gegenüberstellung dahingehend, dass die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden. Diese Gegenüberstellung ist umfassend zu verstehen. Sie führt zu einem Vergleich sämtlicher Punkte, die Gegenstand der ersten beiden Kapiteln waren. D. h., dass von der Entwicklung der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtssystemen über die Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR bis hin zu den Voraussetzungen sowie Rechtsfolgen der beiden Regelungen Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden. Diese umfassende Gegenüberstellung ermöglicht die Benennung von Defiziten in beiden Rechtssystemen, vor allem im türkischen Recht. Mit der als Fazit bezeichneten Überschrift findet die Bearbeitung ihren Abschluss. Hier werden den Gesetzgebern (vor allem dem türkischen) unter Berücksichtigung der aufgedeckten Defizite verschiedene Verbesserungsvorschläge unterbreitet.

Kapitel 1

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht § 1 Die Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist ein Institut, das über einen langen Zeitraum nicht kodifiziert war. Schon vor der Kodifikation im BGB wurde behauptet, dass man nicht an den Vertrag gebunden bleiben könne, wenn sich die Umstände ändern, die beim Vertragsabschluss vorhanden waren. Für das Verständnis des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und ihres Verhältnisses zu anderen Instituten ist es erforderlich, die historische Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage darzustellen.

A. Frühere Lehren und ältere Rechtsprechung Um die Geschäftsgrundlagenproblematik vollständig zu erfassen und im Ergebnis einen Vergleich zur türkischen Rechtslage zu ermöglichen, ist eine Auseinandersetzung mit den früheren deutschen Lehren und der Rechtsprechung des Reichsgerichts unvermeidbar. Denn die Geschäftsgrundlagenproblematik hat eine lange Vergangenheit, die die gegenwärtige gesetzliche Fassung in § 313 BGB prägte. Im Folgenden wird unter Abschnitt I. die Entwicklung in der Lehre dargestellt. Im Anschluss an diese Darstellung erfolgt unter Abschnitt II. die Darstellung der Judikatur des Reichsgerichts. I. Die Entwicklung in der Lehre Die erstmalige ausdrückliche Erwähnung der Geschäftsgrundlagenthematik lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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1. Clausula rebus sic stantibus An erster Stelle ist die Lehre von der clausula rebus sic stantibus zu erwähnen. Denn diese Lehre ist diejenige, die sich erstmalig mit der Problematik nach Vertragsabschluss ändernder Umstände auseinandersetzte. a) Grundsätze der clausula rebus sic stantibus Nach den Grundsätzen der clausula rebus sic stantibus sind die Vertragsparteien nur solange an den Vertrag gebunden, als die zugrunde liegenden und stillschweigend vereinbarten Umstände sich nicht ändern. Bei Eintritt eines Umstands, der die Verhältnisse derart ändert, dass der Vertragszweck vereitelt wird, könne von den Vertragsparteien ein Festhalten am Vertrag nicht erwartet werden.1 Der Begriff der clausula rebus sic stantibus wurde erstmalig im 16. Jahrhundert verwendet. Bereits vor der Manifestation des Begriffs beschäftigten sich Cicero2 und der Philosoph Seneca3 mit der Frage, inwieweit von einer Partei verlangt werden kann, sich an eine Abrede zu halten und ob es Ausnahmen davon geben muss. Seneca führte hierzu aus: „Alles muss so sein, wie es war, als ich das Versprechen gab, damit du des Versprechens Zuverlässigkeit behältst“.4 Das klassische römische Recht enthielt keine ausdrückliche Regelung der clausula rebus sic stantibus.5 Dennoch waren in dem Corpus Iuris Civilis bereits zu jener Zeit Ansätze vorhanden, die den Clausula-Gedanken in sich trugen.6 Auch die Glossatoren beschäftigten sich mit vergleichbaren Überlegungen zur Veränderung von Umständen. Thomas von Aquin (1225 – 1274) befasste sich in seinem Werk „Summa Theologica“ mit der Problematik der Geschäftsgrundlage, ohne dabei den Begriff der Clausula zu erwähnen.7 Die Einführung der Clausula-Lehre ins Zivilrecht wird als Verdienst der Postglossatoren (13. – 14. Jahrhundert) Bartolus8 und Baldus9 gesehen, wobei sie nicht

1

Pott, Clausula, S. 6; Köbler, Clausula, S. 1, 23 ff.; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 11 ff.; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 21 ff; Stahl, Clausula, S. 1 ff. 2 Stahl, Clausula, S. 2. 3 Köbler, Clausula, S. 24. 4 Hinweise zum übersetzten Zitat aus Senecas „de beneficiis“ finden sich bei Köbler, Clausula, S. 24. 5 Köbler, Clausula, S. 23 ff.; Wieling, Jura 1985, S. 505 (506). 6 Köbler, Clausula, S. 24; Fritze, ArchBürgR 17 (1900), S. 20 (22). 7 Feenstra, Fata Iuris Romani (1974), S. 364 (370); Köbler, Clausula, S. 29; Huang, Zur Lehre von der Geschäftsgrundlage, S. 19. 8 Feenstra, Fata Iuris Romani (1974), S. 364 (371); Köbler, Clausula, S. 29. 9 Feenstra, Fata Iuris Romani (1974), S. 364 (371); Köbler, Clausula, S. 29 f.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

die Formulierung clausula rebus sic stantibus, sondern die Formulierung rebus sic se habentibus verwendeten.10 Grotius (1583 – 1646) setzte sich in seiner sog. Versprechenslehre mit der clausula rebus sic stantibus und ihren Grundsätzen auseinander. Grotius führte dabei die Einschränkung ein, dass die Clausula-Lehre nur auf sehr gravierende Fälle anzuwenden sei.11 Nach Grotius war eine Bindung an den Vertrag unter den geänderten Umständen ausgeschlossen, wenn aus der Sicht eines außenstehenden Dritten ein Festhalten am Vertrag schwer und unerträglich erscheint. Für Grotius gehörte es zum „Gebot individueller Vertragsgerechtigkeit als notwendiges Regulativ menschlicher Selbstbindung“, in gravierenden Fällen nicht am Vertrag festzuhalten.12 Cocceji,13 von Leyser14 und Kopp15 beschäftigten sich in der Blütezeit der clausula rebus sic stantibus gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit der Clausula-Lehre. Alle drei erkannten die Clausula-Lehre an und befürworteten ihre Anwendung, allerdings mit Modifikationen. So plädierte Cocceji für die Anwendbarkeit der Clausula-Lehre auf verschiedene Rechtsgebiete, schränkte sie jedoch im Rahmen des Vertragsrechtes ein.16 Von Leyser hingegen beschränkte die Clausula auf eine Veränderung der Umstände, die für die Parteien unabsehbar waren.17 Nach von Leyser oblag es dem Richter zu entscheiden, ob eine rechtlich relevante Veränderung gegeben war und welche Rechtsfolge eine interessengerechte Lösung bot.18 Im späten 18. Jahrhundert verlor die Clausula nach und nach an Bedeutung, da Rechtssicherheit und Vertragstreue immer mehr an Bedeutung gewannen. Die umfassende Einschränkung der Clausula-Grundsätze befürwortete Adolph Dietrich Weber und fand zahlreiche Anhänger. Weber beschränkte die ClausulaGrundsätze nur noch auf Fälle, in denen „die entstandene Veränderung einen Umstand betreffe, welcher entweder die Natur des Vertrags oder ausdrückliche Verabredung der Parteien dergestalt wesentlich ändert, dass ohne ihn der Vertrag wegfällt“.19 10

Köbler, Clausula, S. 29; Pfaff, FS Unger, S. 223 (227). Köbler, Clausula, S. 32 ff.; Quass, Die Nutzungsstörung, S. 41 ff. 12 Quass, Die Nutzungsstörung, S. 42. 13 Köbler, Clausula, S. 34 f.; Quass, Die Nutzungsstörung, S. 42; Pfaff, FS Unger, S. 223 (237 ff.). 14 Köbler, Clausula, S. 35; Pfaff, FS Unger, S. 223 (244 ff.); Quass, Die Nutzungsstörung, S. 42 f. 15 Köbler, Clausula, S. 36; Pfaff, FS Unger, S. 223 (250 ff.); Quass, Die Nutzungsstörung, S. 43. 16 Köbler, Clausula, S. 34; Pfaff, FS Unger, S. 223 (238). 17 Köbler, Clausula, S. 35; Pfaff, FS Unger, S. 223 (244). 18 Köbler, Clausula, S. 35. 19 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (142). 11

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Trotz der Kritiken an der Clausula-Lehre fand sie Niederschlag in verschiedenen Kodifikationen. Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 übernahm beispielsweise die von v. Leyser entwickelte Lehre,20 und das Allgemeine Landrecht für preußische Staaten (ALR) orientierte sich an der Lehre Webers.21 Im 19. Jahrhundert wurde die Clausula-Lehre entweder abgelehnt oder ignoriert. Für das Scheitern der Clausula-Lehre waren ihre Unbestimmtheit und die Gefährdung der Rechtssicherheit auslösende Faktoren.22 b) Clausula rebus sic stantibus im BGB Die Lehre der clausula rebus sic stantibus konnte sich nicht durchsetzen und hat somit auch den Einzug in das BGB nicht geschafft. Der Gesetzgeber hat diese Lehre bei der Regelung des BGB ausdrücklich abgelehnt.23 Die Clausula-Lehre wurde in einzelne Sondervorschriften mit einbezogen.24 Später folgten dem Clausula-Gedanken die Vertragshilfeverordnungen. Auf weitere Regelungen bzgl. der Veränderung der Umstände in Form einer Norm verzichtete der Gesetzgeber bis zur Schuldrechtsreform im Jahre 2002.25 c) Bewertung der Clausula rebus sic stantibus Die historische Entwicklung der Lehre von der clausula rebus sic stantibus zeigt, dass sehr früh versucht wurde, einen Ausgleich zwischen der Vertragsbindung und der Vertragsgerechtigkeit zu schaffen. Jedenfalls haben die Bemühungen, die uneingeschränkte Bindung an eine vertragliche Vereinbarung zu lockern, bereits sehr früh angefangen. Bemerkenswert ist, dass die Anhänger der Clausula-Lehre gleichzeitig Befürworter des Grundsatzes pacta sunt servanda waren. Dies stellt keinen Widerspruch dar. Die Willenserklärung des Vertragspartners ist wichtig und entfaltet aufgrund dessen nach dem Grundsatz pacta sunt servanda eine Bindungswirkung, sodass man an eine einmal abgegebene Willenserklärung gebunden ist. Die Clausula-Lehre stellt hierzu keinen Gegensatz dar, da sie zum Ausdruck bringt, dass die Parteien nur an solche Erklärungen gebunden sein sollen, die sie auch 20 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 29; Köbler, Clausula, S. 44; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 42; Quass, Die Nutzungsstörung, S. 43. 21 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 29; Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 14; Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (143); Köbler, Clausula, S. 47; Quass, Die Nutzungsstörung, S. 43. 22 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 22; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 12. 23 S. Mot. II. S. 80 = Mugdan II, S. 44; Mot. II, S. 199 = Mugdan II, S. 109; Prot. II, S. 99 = Mugdan II, S. 630. 24 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 15; Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 204; Stahl, Clausula, S. 49 ff., 75 ff.; Leetz, Clausula, S. 10 ff.; Köbler, Clausula, S. 68 ff.; Huang, Zur Lehre von der Geschäftsgrundlage, S. 20. 25 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 15.

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wollten, ohne dass die Umstände sich ändern.26 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Clausula-Grundsätze nicht nur im Bereich des Privatrechtes ihre Wirkung entfalten, sondern auch im Völkerrecht. Dort ist die Clausula-Lehre von großer Bedeutung.27 Die dargelegte Entwicklungsgeschichte der Lehre von der clausula rebus sic stantibus macht deutlich, wie unterschiedlich die diesbezüglichen Ansichten in der Literatur waren, die sich im Laufe von mehr als sieben Jahrhunderten zu dieser Problematik entwickelten. Dennoch wurden all diese Stimmen in der Literatur von derselben Intention getragen, „das Gebiet zu begrenzen“ und „die Fälle zu bestimmen, wo eine an sich rechtsgültig abgegebene Willenserklärung darum als nicht weiter rechtswirksam angesehen werden darf, weil die Sachlage so geartet ist oder sich so gestaltet hat, dass der Erklärende, wenn er in voller Kenntnis der Sachlage (bzw. der später eingetretenen Veränderung derselben) gewesen wäre, seine Erklärung überhaupt nicht oder nicht so abgegeben hätte“.28 2. Laesio enormis Um die materielle Vertragsgerechtigkeit zu gewährleisten, wurde bis ins 19. Jahrhundert neben der clausula rebus sic stantibus das Institut der sog. laesio enormis angewandt. Die Glossatoren nahmen dieses bereits zur Zeit Justinians bekannte Prinzip wieder auf, um gerechte Lösungen für den Vertrag zu finden.29 Eine laesio enormis30 lag vor, wenn im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags eine Vertragsseite eine Leistung erbrachte, die Gegenleistung, die er erhielt, jedoch nicht die Hälfte des Wertes besaß.31 Das Institut der laesio enormis sah auf der Rechtsfolgenseite vor, dass der verletzten Partei ein Recht auf Vertragsanpassung oder aber ein Recht auf Aufhebung des Vertrags einzuräumen war. Die Lehre der laesio enormis und der Clausula-Gedanke verloren mit der Entwicklung des wirtschaftlichen Liberalismus im 19. Jahrhundert nach und nach an Bedeutung. Die laesio enormis konnte sich, wie der Clausula-Gedanke, nicht im geltenden Recht durchsetzen. Dies lag daran, dass sich der Gesetzgeber bei der Erstellung des BGB bewusst gegen die Regelung einer Relation zwischen Leistung und Gegen-

26

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 19. Köbler, Clausula, S. 8 f. 28 Pfaff, FS Unger, S. 223 (290). 29 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 16. 30 Laesio enormis ist wörtlich zu übersetzen mit „übermäßig große Verletzung“. Detailliert: Schulze, Laesio enormis, S. 3 ff.; Kalb, Laesio, S. 1 ff.; Langer, Laesio, S. 7 ff. 31 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 22; Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (251). 27

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leistung entschied.32 Auch in die Schuldrechtsreform 2002 wurde das Institut der laesio enormis nicht aufgenommen.33 3. Windscheids sog. Lehre der Voraussetzung Windscheid hat sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt mit der Auswirkung der Veränderung der Umstände auf den Vertrag beschäftigt. Die Darstellung seiner Lehre darf daher im Rahmen dieser Arbeit nicht fehlen. a) Grundsätze Windscheid34 befasste sich mit den Auswirkungen der geänderten Umstände auf Vertragsverhältnisse. Während sich die Clausula-Lehre auf die objektiven Verhältnisse zwischen dem Zweck des Vertrags und den gleichbleibenden Umständen bezieht,35 entwickelte Windscheid im 19. Jahrhundert eine subjektiv-psychologische Lehre von den Voraussetzungen. Er stellte seine Lehre erstmals in seinem Buch „Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung“ vor. In diesem Werk versuchte er das Missverhältnis zwischen dem Gewollten und dem Eingetretenen innerhalb von Vertragsverhältnissen auszugleichen. Er versuchte, die psychologisierenden Theorien der Willenserklärungen der Pandekten, die bei der Frage der Geltung von Verträgen auf den Vertragsinhalt abstellten, mit der objektiven Vertragsgerechtigkeit zu verbinden.36 Der von Windscheid entwickelte Begriff der Voraussetzung stellte eine Selbstbeschränkung des Willens dar, die „das Rechtsverhältnis, welches durch die Willenserklärung begründet wird, von einem gewissen Zustand der Dinge abhängig macht“, genauso wie die Bedingung oder Befristung.37 Windscheid unterschied jedoch zwischen der Bedingung selbst und der „unentwickelte(n) Bedingung“, also der „Willensbeschränkung, die nicht zur Bedingung entwickelt ist“.38 Er bezeichnete diese unentwickelte Bedingung als den unter einer „Voraussetzung“ erklärten Willen.39 Eine Abgrenzung erfolgte danach, ob der Vorbehalt als Bedingung oder als Voraussetzung aus der Willenserklärung hervorgeht.40 Zwar berühre die Voraus32 33 34

S. 30. 35

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 15; Larenz, AT7, § 22 III, S. 451. Medicus, Bürgerliches Recht 21, Rn. 166. Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (161 ff.); Besiekierska, Leistungserschwerungen,

Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 1. „Clausula rebus sic stantibus“. Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (161 ff.); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 30; Quass, Die Nutzungsstörung, S. 48 ff.; Brockmeyer, Geschäftsgrundlage, S. 33. 37 Windscheid, Voraussetzung, S. 1. 38 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, S. 507. 39 Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (195). 40 Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (166). 36

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setzung im Gegensatz zur Bedingung und zur Befristung nicht die Existenz des Willens des Erklärenden und damit nicht die Existenz des Rechtsgeschäftes.41 Vielmehr sei die Voraussetzung „dasjenige, ohne welches man nicht gewollt haben würde“.42 Gegen den „eigentlichen“, aber mit dem „wirklichen“ Willen des Erklärenden bestehe das Rechtsverhältnis, wenn die Voraussetzung nicht eintritt. „Wenn der vorausgesetzte Zustand der Dinge nicht ist, oder nicht eintritt, oder aufhört zu sein“ bestehe „das durch die Willenserklärung begründete Rechtsverhältnis nicht ohne, und doch gegen den Willen des Erklärenden“.43 Windscheid versuchte mit seiner Lehre der Voraussetzung die Lücke zwischen unbeachtlichem Motiv und beachtlicher Bedingung zu schließen.44 Denn bei der Anwendung der Irrtumslehre im 19. Jahrhundert galten diejenigen Umstände bzw. Irrtümer über Umstände als unbeachtliche Motivirrtümer, soweit sie nicht ausdrücklich in Form einer echten Bedingung durch eine Äußerung vertraglich geregelt wurden und somit Vertragsbestandteil waren. Windscheid wollte, dass bestimmte Motivirrtümer Beachtung finden, wenn sie zur Voraussetzung erhoben werden können. Demnach sollten auch Voraussetzungen, die Bestandteil einer Willenserklärung wurden, eine Willensbeschränkung enthalten und ähnlich wie eine Bedingung wirken.45 Im Unterschied zu einer echten Bedingung, bei der der wirkliche Wille vom Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses abhängig gemacht wird, gehe der Erklärende bei den Voraussetzungen davon aus, dass die Umstände sich nicht ändern. Damit beschränke er seinen Willen darauf, dass er an seine Erklärung gebunden sein wolle, solange bestimmte Umstände fortdauern und damit auch vorausgesetzt sind.46 Der eigentliche, nicht der wirkliche Wille sei bei der Voraussetzung beschränkt. Damit handelt es sich um eine unentwickelte Bedingung. Wenn die vorausgesetzten Umstände nicht eintreten oder die vorausgesetzten Umstände sich verändern, sei der Erklärende nicht mehr an seine Willenserklärung gebunden und könne seine Leistungen nach dem Bereicherungsrecht zurückfordern.47 Windscheid sah ein, dass sich grundsätzlich jeder auf Willenserklärungen, so wie sie abgegeben worden sind, verlassen können muss.48 Daher setzte er voraus, dass die Beschränkung des Willens in Gestalt der Voraussetzung dem Willenserklärungsempfänger „als eine erkennbare entgegengetreten“ sein muss.49 Die Voraussetzung könne nur gegenüber demjenigen geltend gemacht werden, der die Beschränkung des 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Windscheid, Voraussetzung, S. 1. Windscheid, Voraussetzung, S. 7. Windscheid, Voraussetzung, S. 2. Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (161 ff., 195). Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (195). Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (195). Windscheid, Pandektenrecht, S. 278. Windscheid, Voraussetzung, S. 82; ders., AcP 78 (1892), S. 161 (169). Windscheid, Voraussetzung, S. 83.

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Willens aus der Willenserklärung selbst oder den Begleitumständen hätte erkennen können.50 Ob eine Erklärung unter dem Vorbehalt einer Voraussetzung abgegeben worden ist oder nicht, wollte Windscheid durch Auslegung des Willens des Erklärenden ermitteln.51 Dabei nahm er eine Unterscheidung zwischen den Willenserklärungen vor. Er differenzierte zwischen den „Absichten als solchen“ und der „ersten Absicht“. Eine erkennbare Voraussetzung in der Willenserklärung liege nur dann vor, wenn es sich um „die ersten Absichten“ handele, „vor denen keine anderen stehen“.52 b) Kritik Zahlreiche Stimmen in der Literatur53 und in der Rechtsprechung54 lehnten Windscheids Lehre der Voraussetzung ab. Gegen die Lehre der Voraussetzung wurden vor allem folgende Einwände erhoben: Die Voraussetzungslehre führe zu einer Rechtsunsicherheit. Denn sie bewirke, dass eine Partei, die sich in erkennbarer Weise in ihren Beweggründen, d. h. Motiven, täuscht, eine Anfechtungsmöglichkeit erhält. Die Erkennbarkeit allein genüge jedoch nicht, um aus einem Motiv eine beachtliche Bedingung zu machen. Mit dem Grundsatz der Sicherheit des Rechtsverkehrs sei es vor allem unvereinbar, dass jeder Zustand, der nicht den tatsächlichen oder den versteckt vorhandenen Vorstellungen des Erklärenden entspricht, eine Befreiung von Vertragsverpflichtungen ermöglichen soll. Denn Voraussetzung für den Vertragsabschluss sei für den Vertragspartner auch, dass zumindest ein gewisses Maß an Vertrauen in den Bestand des Rechtsgeschäftes vorliegt, was wiederum voraussetzt, dass eine grundsätzliche Bindung des Vertragspartners an seine Erklärung gegeben ist.55 Eine Rechtsordnung, die den Willen der Parteien und somit die Gedanken der Privatautonomie verwirklichen soll, könne den „eigentlichen“ oder „wahren“ Willen nur in einem bestimmten Maße berücksichtigen. Kritik erfuhr die Lehre zudem dadurch, dass eine klare Abgrenzung zwischen den Voraussetzungen und bloßen Motiven nicht möglich war.56 Allein die Mitteilung der 50

Windscheid, Voraussetzung, S. 83. Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (166). 52 Windscheid, Voraussetzung, S. 83. 53 Lenel, AcP 74 (1889), S. 213 (221 ff.); ders., AcP 79 (1892), S. 49 ff.; Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 3 ff.; Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (4 ff.); Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (21 ff.); Wieling, Jura 1985, S. 505 (507); ders., Jura 2001, S. 577 (584); Hey, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 13. 54 RGZ 24, S. 169 (170); 62, S. 267 (268). 55 Quass, Die Nutzungsstörung, S. 54. 56 Lenel, AcP 74 (1889), S. 213 (220 ff.); Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 3; Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (4 ff.); Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (21 ff.); Wieling, Jura 2001, 51

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Motive oder die Erkennbarkeit der Voraussetzung genüge nicht, um eine beachtliche Willensbeschränkung derart zu erwirken, dass ein Vertragsaufhebungsrecht einer Partei entsteht. Vielmehr müsse sich der Vertragspartner mit der Voraussetzung ausdrücklich einverstanden erklären, was nur möglich ist, wenn sie als Bedingung ausdrücklich vereinbart wird.57 Der von Windscheid behauptete Konsens in Bezug auf die Voraussetzung sei rein fiktiv. Denn die alleinige Erkennbarkeit der Voraussetzung stelle noch kein Einverständnis des anderen Vertragspartners dahingehend dar, diese bis dahin noch einseitige Voraussetzung in den Geltungsbereich der vertraglichen Verpflichtung einzubeziehen.58 Sei der Erklärende nur unter gewissen Voraussetzungen mit den Rechtsfolgen des Vertrags einverstanden, so liege es an ihm, diese zu einer Bedingung zu erheben, indem er eine vertragliche Vereinbarung diesbezüglich trifft.59 Schließlich biete Windscheids Lehre keine akzeptable Lösung, da die Annahme des Erklärenden, dass bestimmte Umstände gewiss fortdauern werden, gerade nicht ausdrücklich ins Bewusstsein dringe.60 Diese Annahme sei für den Erklärenden vielmehr selbstverständlich. Tatsachen, die nicht ausdrücklich ins Bewusstsein des Erklärenden dringen (z. B. der Nichteintritt großer sozialer oder wirtschaftlicher Umwälzungen), könnten nicht zur Voraussetzung gemacht werden, denn der hypothetisch hergeleitete Wille muss (auch nach Windscheid) zunächst von der Partei real gebildet worden sein.61 Hat der Erklärende die Veränderung der Umstände nicht in sein Bewusstsein aufgenommen, kann die Voraussetzungslehre nicht weiterhelfen.62 c) Die Lehre Windscheids und das BGB Windscheid wirkte als Kommissionsmitglied bei der Vorbereitung des BGB im Jahre 1874 mit. In der zweiten Kommission aus dem Jahre 1890 hingegen war er nicht mehr dabei. Die zweite Kommission wurde vor allem von der Vorstellung der Lückenlosigkeit des Gesetzes und der strikten richterlichen Bindung an das Gesetz geleitet.63 Daher lehnte die Kommission Windscheids Lehre aus Gründen der Rechtssicherheit ab.64

S. 577 (584); RGZ 24, S. 169; 62, S. 267 (268). Vgl. zur Veranschaulichung den sog. Aussteuerfall, dargestellt bei Lenel, AcP 79 (1892), S. 49 (51). 57 Braun, JuS 1979, S. 692 (693). 58 Quass, Die Nutzungsstörung, S. 54. 59 Quass, Die Nutzungsstörung, S. 55. 60 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (148). 61 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (148). 62 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (149). 63 Protokolle zu dem Enwurf des BGB, S. 690 f. 64 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 30 f.

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d) Bewertung der Voraussetzungslehre Die Theorie von Windscheid hat zu Recht erhebliche Kritik erfahren, weil sie zu sehr auf subjektive Belange Rücksicht genommen hat und kein eindeutiges Abgrenzungskriterium zwischen dem unbeachtlichem Motivirrtum und der beachtlichen Voraussetzung liefern konnte. Positiv ist hervorzuheben, dass Windscheid mit seiner Voraussetzungslehre zumindest eine Möglichkeit aufzeigte, das Problem der Veränderung der Umstände bei Vertragsverhältnissen unter Berücksichtigung der Vertragsgerechtigkeit zu lösen. Es ist durchaus bemerkenswert, dass sich bereits im 19. Jahrhundert ein Jurist ausführlich mit dieser Thematik beschäftigte.65 Dass die Lehre von Windscheid durch den Gesetzgeber bei der Entstehung des BGB nicht berücksichtigt wurde, lag nicht allein an den Lücken dieser Lehre, sondern auch an den damaligen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Umständen.66 Denn zu der Zeit, in der das BGB entwickelt wurde, herrschten funktionale Marktbedingungen und nur ein geringer Geldwertverfall. Der Staat hielt sich weitestgehend aus den wirtschaftlichen Beziehungen der Parteien im Rahmen eines Vertrags heraus. Damit waren die Fälle, in denen die Geschäftsgrundlage gestört war, lediglich die Ausnahme.67 Auch vor diesem Hintergrund ist der Umstand, dass sich Windscheid mit der Geschäftsgrundlagenproblematik auseinandersetzte, sehr beachtlich. 4. Oertmanns sog. Geschäftsgrundlagenlehre Nachdem die Lehre von Windscheid erhebliche Kritik erfahren hatte, veröffentlichte Oertmann68 im Jahre 1921 die Schrift „Die Geschäftsgrundlage“. Der bis dahin nicht verwendete Begriff der Geschäftsgrundlage prägte das Zivilrecht und fand in der Form des § 313 BGB Eingang in das deutsche Rechtssystem. Oertmann entwickelte in dieser Schrift die Lehre vom Fortfall der Geschäftsgrundlage, die kurz darauf sowohl in der Rechtslehre als auch in der Rechtsprechung69 großen Zuspruch fand. a) Grundsätze Nach Oertmann ist es nicht ausreichend, allein auf die Erkennbarkeit der Voraussetzungen im Sinne von Windscheid abzustellen, um sie somit zu einem rechtswirksamen Bestandteil des Geschäftes zu erheben.70 Eine Selbstbeschränkung des Willens sei vielmehr nur dann beachtlich, wenn diese vom Vertragspartner auch 65 66 67 68 69 70

Abas, Rebus, S. 13 ff.; Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 17. Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 21. Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 21. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 1 ff. RGZ 103, S. 328 (332 ff.); 168, S. 121 (121 ff.). Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 3 f.

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tatsächlich akzeptiert wurde. Zur Grundlage des Vertrags und somit auch zu seiner causa werde ein Motiv, wenn es „eine dem gesamten beiderseitigen Geschäft übereinstimmend gemeinsame Grund- und Unterlage ist“.71 Dabei wurde die Geschäftsgrundlage nicht als „unmittelbarer Bestandteil beschränkende Klausel des Geschäftswillens und der geschäftlichen Erklärung“ definiert, sondern als eine „Willensergänzung“.72 Die Geschäftsgrundlage erläutere „nicht den Parteiwillen, wie er nun einmal da ist und nur noch der klärenden Ermittlung bedarf“, sondern sie zeige „nur hypothetisch, wie er vermutlich beschaffen gewesen wäre, wenn die Parteien die Verschiedenheit der Entwicklungsmöglichkeiten ins Auge gefasst hätten“.73 Die Geschäftsgrundlage sei nicht Bestandteil des geschäftlichen Tatbestandes, sondern stehe „neben oder, wenn man will, hinter diesem“.74 Eine Voraussetzung ist nach Oertmann dann Geschäftsgrundlage, wenn sie zur objektiven Grundlage des Geschäftes gemacht wird und nicht allein aus subjektiver Sicht des Erklärenden zu einer Grundlage für den Willensentschluss dient.75 Dies sei auch die Abgrenzungsmöglichkeit von Geschäftsgrundlage und Motiv. Bei einem Motiv handele es sich um eine einseitige Vorstellung, wohingegen die Geschäftsgrundlage nicht einseitig sei. Der Empfänger der Erklärung müsse sich zwar keine Gedanken über diese Vorstellungen machen, er müsse aber wissen, dass diese Vorstellung die Grundlage für den Willensentschluss des Erklärenden ist. Schließe jemand mit diesem Wissen einen Vertrag ab, bewirke dies, dass dieser Umstand für diesen Vertrag zur bestimmenden, objektiven Geschäftsgrundlage werde.76 Dies ist der ausschlaggebende Unterschied zu der Lehre von Windscheid. Oertmann definierte die Geschäftsgrundlage mit den Worten ”Geschäftsgrundlage ist die beim Geschäftsschluss zutage tretende und vom etwaigen Gegner in ihrer Bedeutsamkeit erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung mehrerer Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich aufbaut”.77 Zu klären bleibt, was nun der entscheidende Umstand ist, der eine Berücksichtigung der veränderten Umstände erfordert und als Rechtsfolge ein Loslösen vom Vertrag ermöglicht. Oertmann stellte diesbezüglich folgende Frage: „Ist die Geschäftsgrundlage aber überhaupt etwas Subjektives, d. h. durch die Parteien Bestimmtes, oder ist sie rein objektiv?“.78 71 72 73 74 75 76 77 78

Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 24. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 33. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 33. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 33, 133. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 27. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 29. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 35.

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Oertmann stellte auf den Parteiwillen ab. Da die Parteien das „ob“ und „wie“ des Geschäftes bestimmten, bestimmten sie auch, welche Umstände maßgebende Grundlage des Vertrags werden. Ein Geschäft, welches „objektiv unrichtig sei“, existiere nicht. Ein nicht nach objektiven Gesichtspunkten zu bewertender Fall liege vor allem in den Fällen der nachträglichen Änderung der Umstände vor.79 Gegen die bloß objektive Bestimmung der Geschäftsgrundlage spricht nach Oertmann vor allem, dass die objektive Verschiebung der Umstände in der Regel ausschließlich im besonderen Interesse nur einer Partei liegt, sodass ihre alleinige Beachtung dazu führen würde, dass die Interessen der Gegenpartei keine Berücksichtigung finden.80 Oertmann sah folgende Möglichkeiten, mit dem Fehlen der Geschäftsgrundlage umzugehen: Existiert die Geschäftsgrundlage nicht oder fällt sie im Nachhinein weg, entstehe ein Rücktrittsrecht bzw. im Falle eines Dauerschuldverhältnisses ein Kündigungsrecht.81 Hiervon sei nur der Teil des Vertrags berührt, für den die Umstände die Grundlage bilden.82 Oertmanns Lehre der Geschäftsgrundlage bildet seitdem einen fast allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, durch den der Grundsatz pacta sunt servanda durchbrochen und die gewünschte Flexibilität bei der Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände ermöglicht wird.83 b) Kritik Die Kritikpunkte an Oertmanns Lehre waren im Wesentlichen dieselben, denen die Lehre der Voraussetzungen von Windscheid ausgesetzt war.84 Bemängelt wurde einerseits, dass die subjektiven Anforderungen auf Seiten des Betroffenen zu hoch seien.85 Denn wegen ihres Abzielens auf die subjektiven Vorstellungen der Vertragspartner sei Oertmanns Lehre nicht in der Lage, Ereignisse, die in der Zukunft liegen, zu erfassen, da sich die Parteien in der Regel hierüber bei Vertragsabschluss keine Gedanken machen. Somit sei auch diese Theorie nicht brauchbar für die Fälle der nachträglichen Veränderung der Umstände, für die gerade eine Lösung gefunden

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Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 36. Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 36. 81 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 161. 82 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 164; Köbler, Clausula, S. 96. 83 Quass, Die Nutzungsstörung, S. 60. 84 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 208; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 7 ff.; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 24; Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (155 ff.); Köhler, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 295 (298); Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (70 ff.); Stötter, AcP 166 (1966), S. 149 (156); Ulmer, AcP 174 (1974), S. 167 (179); Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (237 ff.); Hey, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 14. 85 Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (3 f., 10 ff.); Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 8; Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (155 ff.); Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (1 ff.). 80

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werden sollte.86 Um dem entgegenzutreten, wertete Oertmann das Fehlen der Vorstellung über zukünftige Umstände als eine allgemeine Vorstellung über den Bestand der nunmehr vorhandenen Verhältnisse.87 Dem wurde wiederum die Kritik entgegengehalten, dass eine fehlende konkrete Vorstellung über Umstände der Zukunft nur schwer als eine bestehende Vorstellung über deren Fortdauer bezeichnet werden könne. Oertmann bringe die subjektiv-psychologische und die logisch-immanente Betrachtungsweise durcheinander88 und entfliehe in eine Fiktion und Spekulation.89 Gegen Oertmann wurden auch Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit geäußert. Zwar genügte es Oertmann im Unterschied zu Windscheid nicht, dass die Umstände erkennbar waren, doch auch Oertmanns zusätzliches Kriterium der Akzeptanz des Erkannten trage der Rechtssicherheit nicht ausreichend Rechnung.90 Ein weiterer Kritikpunkt an dieser Lehre war, dass sie ausufere und nicht die nötige Abgrenzungsmöglichkeit zum Grundsatz der Vertragstreue biete.91 Die Abgrenzung vom unbeachtlichen Motiv zum Vertragsinhalt sei – wie bei Windscheids Lehre der Voraussetzungen – immer noch nicht klar.92 Denn nach Oertmann bilden die Absichten des einen Vertragspartners die Geschäftsgrundlage, wenn der andere nicht widerspricht. Da es zumeist jedoch keinen Grund für den anderen Vertragspartner gibt zu widersprechen, etwa weil er sich keine Gedanken über die Absichten macht oder es ihm schlicht egal ist, liegt in dem „Nichtwidersprechen“ nicht zwangsläufig eine Zustimmung.93 c) Bewertung der Lehre von Oertmann Oertmann wollte die Lehre Windscheids mit der an ihr ausgeübten Kritik in Einklang bringen. Nach Windscheid konnte an das Fehlen von Voraussetzungen eine Rechtsfolge geknüpft werden, wenn der Erklärungsempfänger die Willensbeschränkung des Erklärenden erkannte. Oertmann verlangte jedoch darüber hinaus, dass der Vertragspartner sein Einverständnis zu den Vorstellungen der Partei erteilt, auf denen der Geschäftswille beruht. 86

Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 9; Stötter, AcP 166 (1966), S. 149 (157 ff.); Kotzur, Die Auswirkungen, S. 131. 87 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37. 88 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 10. 89 Stötter, AcP 166 (1966), S. 149 (157 ff.). 90 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (155 ff.). 91 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 8 ff.; Weber, in: StaudingerKomm, BGB1961, § 242 Rn. E 51. 92 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 208; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 7 ff.; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 24; Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (155 ff.); Stötter, AcP 166 (1966), S. 149 (156 ff.); Ulmer, AcP 174 (1974), S. 167 (179); Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (70 ff.). 93 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 8.

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Doch auch Oertmann gelang es nicht, ein klares Abgrenzungskriterium zwischen unbeachtlichen Motiven und den Vorstellungen, die den Geschäftswillen bilden, zu finden. Oertmann verblieb bei den Beweggründen und schaffte es nicht, die Einwände, die gegenüber der Lehre von Windscheid erhoben wurden, vollständig zu beheben. Allein die Erkennbarkeit der Voraussetzungen im Sinne von Windscheid gegen eine Nichtbeanstandung der Voraussetzungen auszutauschen, überzeugt nicht. Festzuhalten bleibt jedoch auch, dass Oertmann den Begriff der Geschäftsgrundlage prägte und dadurch den Weg für die Normierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im BGB bereitete. Der Gesetzgeber bezog sich bei der Schaffung des § 313 BGB ausdrücklich auf Oertmanns Definition der Geschäftsgrundlage.94 Die Rechtsprechung geht bei der Bestimmung der Geschäftsgrundlage heute noch von Oertmanns Verständnis aus.95 5. Die Entwicklung der objektiven Lehren Aufgrund der Kritik an den subjektiven Theorien von Windscheid und Oertmann versuchten andere Literaten anhand objektiver Kriterien zu arbeiten. Ziel war es, bessere Resultate bei der Verwendung des Begriffs der Geschäftsgrundlage zu erreichen.96 a) Locher Locher beschäftigte sich in seinem im Jahre 1923 erschienenen Beitrag „Geschäftsgrundlage und Geschäftszweck“97 mit der Geschäftsgrundlage und gilt als „Gründer“ einer objektivierten Theorie der Geschäftsgrundlage.98 Locher betrachtete die Geschäftsgrundlage als „die Gesamtheit derjenigen Umstände, ohne deren Vorhandensein, Fortbestand oder Eintritt, der mit dem Geschäft nach seinem Inhalt bezweckte Erfolg (der Geschäftszweck) trotz ordnungsgemäßen Geschäftsabschlusses und trotz der Aufwendungen, der nach dem Inhalt des Geschäfts den Beteiligten zuzumutenden Opfer nicht erreicht werden kann“.99 Locher ging (im Unterschied zu Oertmann) nicht davon aus, dass eine fehlende Vorstellung der Parteien über die Änderung der Verhältnisse als eine bestehende

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BT-Drucks. 14/6040, S. 174. BGH NJW 1951, S. 836 (836 ff.); NJW 1953, S. 1585 (1585 f.); NJW 1958, S. 297 (297 f.); NJW 1964, S. 861; NJW 1973, S. 1685 (1686); NJW 1979, S. 1818 (1818); NJW 1982, S. 2184 (2185); NJW 1993, S. 259 (262); NJW 1995, S. 592 (593); NJW 1995, S. 2028 (2031); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 3371 (3372); NJW 1999, S. 1623 (1625); NJW 2001, S. 1204 (1205); NJW-RR 2006, S. 1037 (1038). 96 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 20. 97 Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (1 ff.). 98 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 414 Rn. 16.; Quass, Die Nutzungsstörung, S. 106. 99 Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (71 f.). 95

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Vorstellung über die Fortdauer der Umstände zu interpretieren ist. Ganz im Gegenteil sei solch eine Vorstellung nie erfolgt.100 Locher setzte den Schwerpunkt bei seiner Theorie auf die Vereitelung des von den Parteien abgesprochenen Geschäftszwecks. Eine Vereitelung war nach Locher anzunehmen, wenn sie nach objektiven Maßstäben feststeht. Nach objektiven Maßstäben sei ein Geschäftszweck vereitelt und damit ein Lösen vom Rechtsgeschäft gerechtfertigt, wenn die Erreichung des mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Geschäftsinhalts aufgrund vorhandener oder später eingetretener Umstände nicht möglich ist.101 Hierfür kam es aber nach Locher nicht darauf an, ob die Parteien sich tatsächlich Vorstellungen über entsprechende Umstände gemacht hatten oder nicht.102 Die Rechtsverbindlichkeit des Parteiwillens sollte immer dann entfallen, wenn subjektiv „ein Parteizweck […] durch übereinstimmenden Parteiwillen zu einem Bestandteil des Geschäftsinhalts erhoben worden“ und objektiv dieser Geschäftszweck unerreichbar geworden ist.103 Nach Locher104 führte die Tatsache, dass ein Rechtsgeschäft zweckgebunden ist, nicht zu einer Selbstbeschränkung des Willens derart, dass der Wille durch das Erreichen des Zweckes bedingt ist. Vor allem dann nicht, wenn die Parteien die Zweckerreichung nicht als zweifelhaft ansähen.105 Der Parteiwille gehe darin auf, den ausschlaggebenden Geschäftszweck festzulegen.106 Bei der Vorstellung von dem Parteizweck könne die „psychologische Realität nicht zweifelhaft sein“, denn „jeder, der ein Rechtsgeschäft abschließt, ist sich des Zweckes, den er damit verfolgt, sehr wohl bewusst“. Auch die Feststellung der Erkenntnis des Parteizweckes durch den Geschäftsgegner werde nicht „zu psychologischen Schwierigkeiten führen“.107 Denn diese Erkenntnis müsse jeweils „außer Zweifel“ stehen.108 Das Schweigen des Gegners „zu der Zwecksetzung seines Gegenkontrahenten“ könne „nur dann als Zustimmung gedeutet werden, wenn der Schweigende Anlass zum Reden hatte. Solchen Anlass habe er aber nur dann, wenn der objektive Sinn des dem Erklärungstatbestand angehörenden Verhaltens seines Gegenkontrahenten zu dem Schluss nötigt oder ihm zumindest nahelegt, dieser habe

100 101 102 103 104 105 106 107 108

Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (15, 17, 19). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (24). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (28). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (20 ff., 31). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (29). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (29). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (31 ff.). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (20 f.). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (21).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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die Erreichung seines besonderen Parteizwecks zum Geschäftsbestandteil erheben wollen“.109 Im Ergebnis stellte Locher nicht auf das Vorliegen von subjektiven Momenten ab, sondern bevorzugte eine objektive Wertung bei der Frage, ob der Geschäftszweck nicht mehr erreichbar ist. Bezüglich der Rechtsfolge sprach er sich dafür aus, das Rechtsgeschäft aufzuheben, indem er dem Betroffenen ein Rücktrittsrecht einräumte, wenn das ursprüngliche Rechtsgeschäft zwecklos war, oder ein Kündigungsrecht, wenn der Zweck nicht von Beginn an fehlte, sondern im Nachhinein wegfiel.110 Wurden bereits gegenseitige oder auch einseitige Leistungen erbracht, sollten diese nach dem Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden.111 b) Krückmann Auch Krückmann112 beschäftigte sich mit der clausula rebus sic stantibus und der Wirkung veränderter Umstände auf Vertragsverhältnisse. Krückmann unterschied zwischen dem individuellen Parteiwillen, der zumindest eine gewisse psychologische Gegenwärtigkeit erfordere, und dem typischen Parteiwillen, der „rein virtuell oder potentiell“ sei und jedem Vertrag innewohne.113 Die Bindung an den Vertrag sollte nach Krückmann entfallen, wenn dieser virtuelle Vorbehalt fehlt oder durch die Veränderung der Verhältnisse „sinn-, zweck- oder gegenstandslos“ geworden ist.114 Nach Krückmann ist es erforderlich, dass objektive Maßstäbe über den Fortfall der Vertragsbindung entscheiden und ein Abstellen auf die Vorstellungen eines Vertragspartners in dem konkreten Einzelfall nicht angezeigt ist. Wenn eine Partei „gegen ihre eigene äußerlich unbedingte und vorbehaltlose Erklärung angehen“ wolle, bedürfe es eines besonderen Rechtsfertigungsgrundes.115 Diesen Rechtfertigungsgrund lieferte nach Krückmann die Nichtzumutbarkeit der Bindung an die Erklärung.116 Das Merkmal der Nichtzumutbarkeit sei sehr praktikabel, da jede Partei nach dem Grundsatz casum sentit dominus die Gefahr für die Ereignisse trage, die sich bei ihr und ihrem Lebenskreis ereignen.

109

Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (67). Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (106 f.). 111 Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (109 f.). 112 Krückmann, AcP 116 (1918), S. 157 ff; ders., AcP 128 (1928), S. 157 ff.; ders., AcP 131 (1929), S. 1 ff. 113 Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (8). 114 Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (11). 115 Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (10). 116 Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (11 ff.); ders., AcP 128 (1928), S. 157 (158). 110

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

c) Kritik und Bewertung Locher und Krückmann stimmten dafür, dass der „Wesenszweck“ des Vertragstyps bzw. der „Geschäftszweck“ unter gewissen Umständen zu beachten ist. Die Ansätze von Locher und Krückmann konnten sich weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung etablieren.117 Gegen ihre Lehren lässt sich anbringen, dass es oftmals keinen gemeinsamen Vertragszweck gibt. Denn regelmäßig sind die Interessen der Vertragsparteien eher entgegengesetzt, als dass sie einen gemeinsamen Zweck verfolgen.118 Lochers Lehre erwähnt keine genauen Unterscheidungsmerkmale, durch die festgestellt werden kann, unter welchen Umständen der Zweck einer Geschäftspartei zum Inhalt des Vertrags und somit zu einem objektiven Geschäftszweck wird. Darüber hinaus regelt Lochers Lehre nur einen Teil der Fälle. Ausgenommen sind die Fälle, in denen beide Seiten einem Irrtum erlegen sind, etwa über die Berechnungsgrundlage. In diesem Fall lässt sich nur schwer sagen, dass der Geschäftszweck unerreichbar geworden sei. Es ist vielmehr so, dass beide Parteien einer irrtümlichen Vorstellung unterlagen und beide von nicht vorliegenden Tatsachen ausgehen. Ausschlaggebend für die Entscheidung dieser Fälle ist also der psychologische Tatbestand. Hierfür bietet die Lehre von Oertmann, auch wenn sie eingeschränkt werden muss, die überzeugendere Lösung.119 Gegen Krückmanns Ansatz bestehen ebenfalls Bedenken. Nach seiner Empfehlung ist ein Lösen vom Vertrag für die Partei möglich, wenn sie Beweis über folgende Tatsache erbringt: „Ich habe unbedingt gewollt, ich würde aber nicht gewollt haben, wenn ich alles gewusst hätte“.120 Diese Lösung stellt sich jedoch eher als eine Wiedergabe des Problems als eine echte Lösung dar.121 Positiv hervorzuheben sind Lochers und Krückmanns Bemühungen, einen objektiven Lösungsansatz zu verfolgen. Wegen der dargestellten Bedenken konnten sich ihre Ideen jedoch nicht in der Rechtsprechung122 und Literatur123 durchsetzen.

117

RGZ 168, S. 121 (127). Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 24; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 9, 27; Köhler, Unmöglichkeit, S. 137; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 15; Ulmer, AcP 174 (1974), S. 167 (180); Medicus, Bürgerliches Recht21, Rn. 165; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 414 Rn. 16 f.; Huber, JuS 1972, S. 57 (65); Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 34. 119 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 15 f. 120 Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (1 ff.). 121 Eingehend zu Krückmann: Zirker, Geschäftsgrundlage, S. 35 ff.; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 13 ff. 122 RGZ 168, S. 121 (127). 123 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 15. 118

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Reichsgericht beschäftigte sich erstmals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Eingriff in Vertragsverhältnisse wegen veränderter Umstände. In diesem Zeitraum versuchte die Rechtsprechung eine passende Lösung für die Fälle zu finden, in denen sich die Umstände des Vertrags ändern und die Vertragsfortführung nicht mehr zumutbar erscheint. 1. Die Ablehnung der Voraussetzungslehre Windscheids Die Voraussetzungslehre124 Windscheids konnte sich in der Rechtsprechung nicht durchsetzen, obwohl einige Oberlandesgerichte ihren Entscheidungen zunächst die Voraussetzungslehre zugrundelegten.125 Dies lag vor allem daran, dass die Abgrenzung zum unbeachtlichen Motivirrtum nicht klar differenziert und auch nicht überzeugend dargestellt wurde. Das Reichsgericht lehnte die Anwendung der Voraussetzungslehre im Jahre 1889 ausdrücklich ab.126 2. Die Ablehnung der Clausula-Lehre Das Reichsgericht lehnte im Ergebnis auch die Grundsätze der clausula rebus sic stantibus ab. Dies lag zunächst an den Bedenken gegenüber der Clausula-Lehre, die auch dazu führten, dass sie nicht in das BGB übernommen wurde. Zudem machte das Reichsgericht zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher zurückhaltenden Gebrauch von Grundsätzen wie Treu und Glauben oder Analogien.127 Nur in Einzelfällen ließ das Reichsgericht eine analoge Anwendung von Vorschriften, die den Clausula-Gedanken widerspiegelten, zu. So wandte das Reichsgericht beispielsweise die §§ 321,128 610129 BGB a. F. sowie die §§ 636, 723130 BGB a. F. bei allen Dauerrechtsverhältnissen analog an. Basierend auf diesen Überlegungen und den §§ 92, 133 HGB entwickelte das Reichsgericht ein allgemeines Recht zur außerordentlichen Kündigung von Dauerrechtsverhältnissen.131

124

RGZ 24, S. 169 (169 ff.); 62, S. 267 (267 f.). OT Stuttgart 1856, SeuffA 12, Nr. 21, S. 26 f.; OAG Dresden 1862, SeuffA 16, Nr. 103, S. 175 ff.; OberG Wolfenbüttel 1862, SeuffA 17, Nr. 59, S. 89; OT Stuttgart 1862, SeuffA 16, Nr. 6, S. 13 ff.; OAG Oldenburg 1869, SeuffA 24, Nr. 36, S. 58 ff.; München 1873, SeuffA 29, Nr. 33; AG Celle 1874, SeuffA 29, Nr. 281; AG Celle 1878, SeuffA 34, Nr. 268, S. 393 f. 126 RGZ 24, S. 169 (170). 127 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 22. 128 RGZ 50, S. 255 (258); 54, S. 356 (356 ff.). 129 RGZ 60, S. 56 (59); 65, S. 185 (188). 130 RGZ 60, S. 56 (59 f.). 131 RGZ 65, S. 37 (37 ff.), 78, S. 385 (389); 78, S. 421 (424); 79, S. 156 (161). 125

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Eine weitere Berücksichtigung von Veränderungen der Umstände fand nur statt, wenn die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung nach den §§ 133, 157 BGB diese Möglichkeit offenhielt.132 3. Lösung über die wirtschaftliche Unmöglichkeit Das Reichsgericht versuchte gegen Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts, das Problem der veränderten Umstände über die Grundsätze der wirtschaftlichen Unmöglichkeit zu lösen. Grundlage dieser Rechtsprechung waren die sog. Mühlenbrandfälle aus den Jahren 1898133 und 1904.134 Im ersten Mühlenbrandfall ging es um die Lieferung einer bestimmten Mehlsorte aus einer bestimmten Mühle. Nach Abschluss des Vertrags, jedoch noch vor Lieferung des Mehls, brannte die Mühle ab.135 Eine tatsächliche Unmöglichkeit war nicht gegeben, da nach Aufbau der Mühle die Lieferung des Mehls noch möglich war. Jedoch musste der Käufer dafür erst die nächste Ernte und somit auch das nächste Jahr abwarten. Hier wurde eine wirtschaftliche Unmöglichkeit wegen Änderung des Leistungsinhaltes bejaht.136 Obwohl tatsächlich nur eine vorübergehende Unmöglichkeit gegeben war, stelle sie sich wie eine dauerhafte dar, „wenn zufolge einer notwendigen Verzögerung der Lieferung der Leistungsinhalt ein anderer wird“.137 Durch das Warten auf das nächste Jahr verändere sich der Vertragsinhalt derart, dass die Lieferung im nächsten Jahr nicht gleichermaßen die Erfüllung bedeute. Aus diesem Grunde wurde die wirtschaftliche Unmöglichkeit der „echten“ Unmöglichkeit gleichgestellt.138 Im zweiten Mühlenbrandfall ging das Reichsgericht von einer wirtschaftlichen Unmöglichkeit wegen Unzumutbarkeit aus.139 Auch wenn eine tatsächliche Unmöglichkeit nicht vorliege, sei es aufgrund der Rechtsgedanken der §§ 157, 242 BGB für eine Unmöglichkeit ausreichend, dass „die Beschaffung von Gegenständen der fraglichen Gattung eine so schwierige geworden ist, dass sie billigerweise niemandem zugemutet werden kann“.140 Voraussetzung hierfür ist, dass die Beschaffung der Leistung für den Schuldner „nicht bloß etwa mehr Schwierigkeiten bereitet, […] sondern […] mit so außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden (ist), dass diese 132 133 134 135 136 137 138 139 140

RGZ 60, S. 56 (59). RGZ 42, S. 114 ff. RGZ 57, S. 116 ff. RGZ 42, S. 114 (114 f.). RGZ 47, S. 114 (114 ff.). RGZ 47, S. 114 (115). RGZ 47, S. 114 (117 f.). RGZ 57, S. 116. RGZ 57, S. 116 (118).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Schwierigkeiten nach der Auffassung des Verkehrs der Unmöglichkeit gleichgeachtet werden“.141 Der 1. Weltkrieg und dessen gravierende Folgen bewegten das Reichsgericht dazu, die nachträgliche Veränderung der Umstände anhand der Grundsätze der wirtschaftlichen Unmöglichkeit zu lösen. Nach ursprünglichem Zögern142 schloss sich das Reichsgericht der Meinung an, dass in der durch den Krieg bewirkten Veränderung der Verhältnisse ein Umstand vorlag, der einer tatsächlichen und rechtlichen Unmöglichkeit gleichzusetzen sei. Das hatte zur Folge, dass der Vertrag aufgelöst wurde und der Schuldner somit von der Leistung entbunden wurde, wenn sich die Umstände durch den Krieg derart geändert hatten, dass die Leistung, die bei Vertragsabschluss vereinbart wurde, durch die spätere Leistung nicht mehr als Erfüllung angesehen werden konnte, sondern eine „wesentlich andere“ darstellte (wirtschaftliche Unmöglichkeit).143 Nach und nach wandte das Reichsgericht die Lehre der wirtschaftlichen Unmöglichkeit auch auf Fälle an, denen keine vorübergehende Unmöglichkeit vorausging.144 Das Reichsgericht wies dabei immer mehr auf den Rechtsgedanken von Treu und Glauben und die Unzumutbarkeit der Leistung des Schuldners (§§ 157, 242 BGB) hin. Die Rechtsfolge der wirtschaftlichen Unmöglichkeit war hierbei die vollständige Beseitigung des Vertrags. Mit der Zeit rückte die Rechtsprechung von der Anwendung der Unmöglichkeit, die die starre Rechtsfolge der Vertragsauflösung hatte, ab. 4. Wachsende Bedeutung des Unzumutbarkeitskriteriums Das Reichsgericht kam zunehmend davon ab, die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit anzuwenden. Es legte seinen Entscheidungen verstärkt den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zugrunde. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war der sog. Dampflieferungsfall aus dem Jahre 1920. In dieser Entscheidung stellte das Reichsgericht auf das Kriterium der Unzumutbarkeit ab. Unzumutbarkeit liege vor, wenn das Festhalten am Vertrag den wirtschaftlichen Ruin für den Lieferungsschuldner auslösen würde.145 Grund für diese Rechtsprechung war vor allem die hohe Inflation, die der 1. Weltkrieg mit sich 141

RGZ 57, S. 116 (119). RGZ 86, S. 397 (398); 90, S. 374 (375). 143 RGZ 94, S. 45 (47); 94, S. 68 (69); 98, S. 18 (20); 99, S. 115 (116); 99, S. 258 (259). 144 RGZ 99, S. 258. 145 RGZ 100, S. 129 (129 ff.). Das RG hat in anderen Urteilen ebenfalls die Ruintheorie angewandt: RGZ 98, S. 18 (18 ff.); 100, S. 129 (131); 102, S. 273 (274); 166, S. 40 (49). Die Ruintheorie wurde schon bald wieder von der Rechtsprechung und der Litertur abgelehnt RGZ 103, S. 177 (177 ff.); BGH NJW 1978, S. 2390 (2391); Wieacker, FS Willburg, 1965 S. 229 (234), Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (93); Krückmann, AcP 116 (1918), S. 157 (162 und 354 ff.); Härle, Äquivalenzstörung, S. 98 ff. 142

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

brachte. Mit dieser Lösung sah das Reichsgericht von der Unmöglichkeitsregelung ab und traf nunmehr eine Entscheidung über § 242 BGB. In seiner Entscheidung bejahte das Reichsgericht erstmals die Anpassung eines Vertrags. Im Dampflieferungsfall begehrte die Klägerin, bedingt durch die Erhöhung der Kohlepreise, die Nachzahlung des Betrages für den von ihr gelieferten Dampf. Hilfsweise beantragte sie die Feststellung der Nichtigkeit des Dampflieferungsvertrages. Das Reichsgericht gab der Klage statt und nahm statt der Vertragsauflösung eine Vertragsanpassung durch die Erhöhung des Preises für den Dampf vor.146 Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem mit einem Erst-recht-Schluss. Es sei die vornehmste Aufgabe des Richters, im Rahmen seiner Entscheidungen „den unabweislichen Bedürfnissen des Lebens gerecht zu werden“ und sich dabei „von den Erfahrungen des Lebens leiten zu lassen“.147 Wenn aufgrund veränderter Umstände sogar die Auflösung des Vertrags in Betracht komme, „so erscheint es umso mehr zulässig, in einem nach dem übereinstimmenden Willen beider Parteien fortbestehenden Vertragsverhältnis eine einzelne Vertragsbeziehung zu ändern, wenn Treu und Glauben, Billigkeit und Gerechtigkeit solches zum Gebot machen“.148 Durch diese Rechtsprechung gelangte das Reichsgericht zum wünschenswerten Ergebnis einer Vertragsanpassung. Allerdings mangelte es noch an einer dogmatisch überzeugenden Begründung des Ergebnisses. Zur selben Zeit entwickelte Oertmann seine Lehre von der Geschäftsgrundlage. 5. Die Übernahme der Geschäftsgrundlagenlehre Oertmanns Das Reichsgericht gebrauchte den Begriff der Geschäftsgrundlage zum ersten Mal in seiner Vigognespinnerei-Entscheidung aus dem Jahre 1922. In dieser Entscheidung stellte das Reichsgericht ausdrücklich den Bezug zu Oertmann her.149 Es komme „immer darauf an, ob die Grundlage des Geschäfts im Sinne einer beim Geschäftsabschluss zutage getretenen Vorstellung der Beteiligten über den Bestand gewisser maßgebender Verhältnisse hinfällig geworden ist“.150 Der Begriff der Geschäftsgrundlage etablierte sich mit dieser Entscheidung zur ständigen Rechtsprechung bei den typischen Inflationsfällen.151 Der sog. Vigognespinnerei-Fall handelte von einem Auseinandersetzungsvertrag einer OHG. Der für ein Grundstück bestimmte Betrag aus dem Gesellschaftsver146 147 148 149 150 151

RGZ 100, S. 129 (131 ff.). RGZ 100, S. 129 (132). RGZ 100, S. 129 (132). RGZ 103, S. 328 (332). RGZ 103, S. 328 (332). RGZ 103, S. 328 (332).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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mögen reichte nicht annähernd an dessen Realwert heran. Durch die Geldentwertung hatte sich das Werteverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erheblich verschoben. Das Gericht legte seiner Entscheidung die Lehre von Oertmann zugrunde und entschied, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage „als Folge einer bloßen Valutaverschiebung möglich sei, wenn die Fortdauer der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung bei Vertragsabschluss vorausgesetzt wurde“. Es sei des Weiteren „darauf aufmerksam zu machen, dass … daraus noch nicht notwendig ein Recht des Beklagten folgen würde, sich von dem ganzen Vertrag loszusagen“. Erforderlich sei vielmehr, dass zunächst der Versuch gemacht werde, den Vertrag mit einer entsprechenden Änderung aufrechtzuerhalten.152 Zudem lehnte der entscheidende Senat die noch im sog. Dampflieferungsfall vertretene Meinung153 ab, wonach es in der Befugnis des Richters stand, in das Vertragsverhältnis einzugreifen. Es stehe nicht in der Macht des Richters, durch Änderungen in das Rechtsgeschäft der Parteien zu intervenieren.154 Diese Entscheidung hatte eine Neuerung in der Rechtsprechung zur Folge. Die in der bisherigen Rechtsprechung dominierenden objektiven Ansätze wurden von einer subjektiven Sichtweise verdrängt. Nunmehr waren die Vorstellungen der Parteien von Bedeutung. 6. Die Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Das Reichsgericht löste die Konstellationen der sog. Äquivalenzstörung und der Zweckstörung über die Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage. a) Äquivalenzstörung Vor allem die zahlreichen Inflationsfälle regelte das Reichsgericht über die Äquivalenzstörung als Bestandteil der Geschäftsgrundlagenthematik. Dabei kommt dieser Fallgruppe nicht nur historische Bedeutung zu. Denn die gegenwärtige Finanzkrise verdeutlicht die Bedeutung einer sachgerechten Lösung der Fälle, in denen das Interesse eines Vertragspartners an einer seiner Leistung entsprechenden Gegenleistung gefährdet ist. Daher bietet es sich an, einige Entscheidungen des Reichsgerichts, in denen die Äquivalenzstörung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst wurde, näher zu betrachten. Vor dem Hintergrund, dass eine Vielzahl von Schuldverhältnissen infolge der Weltwirtschaftskrise und Geldentwertung grundlegend erschüttert waren,155 sah sich 152 153 154 155

RGZ 103, S. 328 (333). RGZ 100, S. 129 (132). RGZ 103, S. 328 (333). Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1141).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

das Reichsgericht ab 1916 wiederholt veranlasst zu hinterfragen, ob die enorme Geldentwertung und die dadurch ausgelöste Störung des Äquivalenzinteresses zwischen den Parteien eine Auflösung oder zumindest die Anpassung jener Verträge unter dem Einwand der „veränderten Umstände” rechtfertigen könne. Die Zunahme der Inflation veranlasste das Reichsgericht eine Befreiung der Erfüllungspflicht zumindest dann zu bejahen, wenn mit der Veränderung der Umstände die Vertragsleistung „zu einer völlig anderen“ wurde.156 Im Jahre 1923157 entschied das Reichsgericht, dass die Leistung und Gegenleistung in einem gegenseitigen Vertrag regelmäßig von den Parteien als gleichwertig oder mindestens in einem bestimmten Verhältnis stehend angesehen werden. Dieses Verhältnis sei aber durch den Verfall der Währung empfindlich gestört, so dass die Geschäftsgrundlage, auf der die Vereinbarungen getroffen und die beiderseitigen Leistungen bestimmt worden sind, weggefallen sei. Es verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, bei völliger Sachleistung dem Geldgläubiger eine geringwertige Geldleistung zuzumuten.158 In zwei weiteren Entscheidungen aus dem Jahre 1923159 entschied das Reichsgericht, dass selbst der säumige Schuldner in den Grenzen der Unzumutbarkeit von Treu und Glauben wegen der Geldentwertung seine Sachleistung verweigern kann. Die wirtschaftlichen Verhältnisse, die durch den Kriegsausgang und die der Staatsumwälzung folgenden sozialen Erschütterungen entstanden sind, seien für den Leistungsschuldner unvorhersehbar gewesen.160 Die Geschäftsgrundlage, die unter Beachtung der „normalen“ Entwicklung entstand, sei durch die Staatsumwälzung und durch den Krieg verändert. Die Geldentwertung aufgrund der geänderten Umstände sei auch bei der Veränderung der Geschäftsgrundlage zu würdigen.161 Es entspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben, in diesem Fall einen Aufwertungsanspruch des Leistungsschuldners anzuerkennen,162 denn der vereinbarte Preis habe aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse in Bezug auf die Sachleistung seine Bedeutung verloren163 bzw. sei als „völlig entwertetes Entgelt“164 zu würdigen. Dieses Missverhältnis könne dem säumigen Schuldner, unabhängig davon, ob er vertragstreu gewesen sei, nicht zugemutet werden.165

156 157 158 159 160 161 162 163 164 165

RGZ 106, S. 7 (9); RGZ 107, S. 124 (128). RGZ 106, S. 7 ff. RGZ 106, S. 7 (10). RGZ 107, S. 124 ff.; 107, S. 156 ff. RGZ 107, S. 124 (126). RGZ 107, S. 124 (126); 107, S. 156 (160). RGZ 107, S. 124 (127); 107, S. 156 (160). RGZ 107, S. 124 (129). RGZ 107, S. 156 (160). RGZ 107, S. 124 (128); 107, S. 156 (159).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

51

In einer weiteren bahnbrechenden Entscheidung166 versuchte das Reichsgericht erneut, die Inflationsfälle zu lösen und erkannte die Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung an. Das Gericht bejahte in dieser Entscheidung den Anspruch des Gläubigers einer Darlehenshypothek auf Aufwertung der Hypothekenforderung wegen der Entwertung des deutschen Papiergeldes.167 Als Rechtsgrundlage zog das Reichsgericht § 242 BGB heran und löste den Fall über den Grundsatz von Treu und Glauben.168 Dabei bejahte das Reichsgericht erstmalig die Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben auf nicht gegenseitige Verträge.169 Hierbei handelte es sich um ein Darlehen gegen eine Hypothekbestellung, folglich um ein zinsloses Darlehen und somit einen einseitigen Vertrag. Denn auch beim Darlehen bestehe „seinem Wesen nach die Voraussetzung einer Gleichwertigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung“.170 Der Grundsatz, dass der Darlehensgeber die Gefahr der Geldentwertung trägt, müsse zurücktreten, wenn er „infolge einer außerordentlich starken, beim Erlass der Währungsvorschriften nicht vorausgesehenen Entwertung der gesetzlichen Zahlungsmittel zu Ergebnissen führen würde, die mit § 242 BGB nicht mehr vereinbar wären“.171 Das Reichsgericht gelangt in dieser Entscheidung auch über eine ergänzende Vertragsauslegung zu der Zulässigkeit der Aufwertung.172 Denn wenn die Vertragsparteien die außergewöhnlich hohe Geldentwertung vorausgesehen hätten, hätten sie diesen Umstand vertraglich geregelt und wären „dabei dem Gebote von Treu und Glauben gefolgt“.173 Im Jahr 1925 trat das sog. Aufwertungsgesetz in Kraft.174 Doch die Probleme, die durch die Inflation zutage traten, wurden durch das Aufwertungsgesetz, das die rückwirkende Anpassung an die Reichsmark vorschrieb, nicht vollständig gelöst. Daher mussten sich die Gerichte auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in bestimmten Sonderkonstellationen mit der Erschütterung der Geschäftsgrundlage durch eine Äquivalenzstörung auseinandersetzen. Das Reichsgericht betonte in diesen Fällen regelmäßig, dass bei gegenseitigen Verträgen in der Regel Leistung und Gegenleistung als gleichwertig anzusehen seien,

166

RGZ 107, S. 78 ff. RGZ 107, S. 78 (91). 168 RGZ 107, S. 78 (91). 169 RGZ 107, S. 78 (91). 170 RGZ 107, S. 78 (91). 171 RGZ 107, S. 78 (91). 172 RGZ 107, S. 78 (92). 173 RGZ 107, S. 78 (92). 174 Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen vom 17. 07. 1925, RGBl. I, S. 117. 167

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

oder zumindest in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen.175 Diese Gleichwertigkeit bilde die Geschäftsgrundlage des Vertrags. Zwischen Leistung und Gegenleistung könne jedoch ein so erhebliches Missverhältnis entstehen, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn eine Partei an den alten Vertragsbedingungen festhält.176 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die reichsgerichtliche Rechtsprechung zu den Fällen der Äquivalenzstörung von wertenden Kriterien wie der Zumutbarkeit, Billigkeit und Einzelfallgerechtigkeit geprägt war.177 b) Zweckstörung Parallel dazu entwickelte sich eine reichsgerichtliche Rechtsprechung zu den Fällen, in denen die Vertragsparteien gemeinsam einem Inhalts- oder Motivirrtum unterlagen. Das Reichsgericht löste diese Fälle zunächst dadurch, indem es die Vorschriften über Willensmängel extensiv auslegte und dem irrenden Vertragspartner ein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB zusprach.178 Mit der Anerkennung des von Oertmann geprägten Begriffs der Geschäftsgrundlage ging das Gericht dazu über, die Fälle des beiderseitigen Irrtums als Fallgruppe der fehlenden Geschäftsgrundlage einzustufen und über die Grundsätze von Treu und Glauben, § 242 BGB, zu lösen.179 Dies brachte den Vorteil, dass als Rechtsfolge die Vertragsanpassung ermöglicht und somit eine Lösung über das Anfechtungsrecht vermieden wurde.180 Die Anfechtungslösung schien wegen der Ersatzpflicht des Anfechtenden gem. § 122 BGB ungerecht und wenig flexibel, da schließlich beide Seiten einem Irrtum unterlagen. Zudem erachtete das Reichsgericht Oertmanns subjektives Verständnis der Geschäftsgrundlage als geeigneteren Weg, die Fälle des beiderseitigen Irrtums zu lösen.181 Das Reichsgericht löste schließlich auch die Fälle, in denen der Vertragszweck vereitelt wird, über den Begriff der Geschäftsgrundlage.182 Es definierte die Geschäftsgrundlage als die „bei Vertragsabschluss zutage getretene, vom Geschäftsgegner in ihrer Bedeutung erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung beider Teile vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt gewisser Umstände, auf denen sich der Ge175 176 177 178 179 180 181 182

RGZ 112, S. 329 (329 ff.); 121, S. 141 (145). RGZ 112, S. 329 (333); 121, S. 141 (146); 125, S. 37 (41); 141, S. 212 (217 f.). Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 24. RGZ 116, S. 15 (18). RGZ 160, S. 257 (267). Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 25. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 1 f., 10. RGZ 168, S. 121 (121 ff.).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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schäftswille aufbaut“.183 Die Fälle, in denen diese Vorstellung durch den Eintritt bestimmter Umstände erschüttert wird, waren nach Ansicht des Reichsgerichts als sog. Zweckstörung zu qualifizieren. 7. Bewertung Das Reichsgericht sah sich vor allem durch die Folgen des Krieges und gesellschaftlicher Umwälzungen veranlasst, eine Lösung für von den Änderungen betroffene Vertragsverhältnisse zu finden. Dabei entwickelte das Reichsgericht kein eigenes theoretisches Modell, sondern versuchte, durch die Anwendung des § 242 BGB und den Bezug zu Oertmann, ein als „billig“ empfundenes Ergebnis zu finden. Das führte dazu, dass die Rechtsprechung als konturlos und der Rechtssicherheit widersprechend empfunden wurde.184 Zudem sah sich das Reichsgericht wegen der Anwendung von Oertmanns Lehre den Einwänden ausgesetzt, die Oertmanns Lehre betrafen. Gegen diese Kritik an der reichsgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich wiederum einwenden, dass das Gericht in einer Zeit historischer Umwälzungen gestörte Vertragsverhältnisse zu beurteilen hatte, ohne auf eine ausdrückliche Regelung zurückgreifen zu können. Die Versuche des Reichsgerichts, diese Vertragsverhältnisse einer billigen und flexiblen Lösung zuzuführen, dienten nicht nur der Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch dem Erhalt des Rechtsfriedens. III. Ergebnis der früheren Lehren und der Rechtsprechung des Reichsgerichts Die Frage nach dem Umgang mit veränderten Umständen in Vertragsverhältnissen geht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Doch die Darstellung der früheren Lehren hat gezeigt, dass der Versuch, das Problem zufriedenstellend zu lösen, nur geringen Erfolg hatte. Sowohl die objektiven Ansätze im Sinne von Locher und Krückmann als auch die subjektiven von Windscheid und Oertmann waren erheblichen Bedenken ausgesetzt. Das Reichsgericht versuchte ebenfalls einen adäquaten Weg zu finden. Es entwickelte seine Rechtsprechung zwar kontinuierlich fort, doch die Darstellung der reichsgerichtlichen Judikatur hat gezeigt, dass das Gericht keine klare dogmatische Begründung für seine Ansätze fand. So verwundert es nicht, dass die Bemühungen der Lehre und der Rechtsprechung, eine Lösung für die Frage nach der Geschäftsgrundlage zu finden, bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB fortdauerten.

183 184

RGZ 168, S. 121 (126 f.). Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 55, 117 ff.; Wieling, JuS 1986, S. 272 (273 f.).

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B. Lehren und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB Bis zur Kodifizierung des § 313 BGB im Jahre 2002 wurde in der Lehre und der Rechtsprechung eine lebhafte Diskussion über den Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Umgang mit diesem Institut geführt. Auf die in dieser Diskussion vertretenen Ansichten ist in den folgenden Abschnitten einzugehen. Denn um den § 313 BGB in seiner heutigen Form zu begreifen und einen Vergleich zur türkischen Rechtslage zu ermöglichen, genügt es nicht, lediglich die früheren Lehren und die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu berücksichtigen. I. Ansichten in der Lehre Eine Vielzahl von Rechtsgelehrten setzte sich mit der Geschäftsgrundlagenproblematik auseinander. 1. Larenz Larenz war nach dem zweiten Weltkrieg der erste Rechtsgelehrte, der sich mit der Einwirkung der veränderten Umstände auf Rechtsgeschäfte detailliert befasst hat. a) Grundsätze der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage Anders als die dargestellten Vertreter der rein subjektiven und rein objektiven Theorien beschränkte sich Larenz185 nicht auf ein subjektives oder objektives Verständnis. Vielmehr unterschied er zwischen der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage und schaffte dadurch eine feinere Untergliederung. Unter subjektiver Geschäftsgrundlage verstand Larenz „eine bestimmte gemeinsame Vorstellung oder sichere Erwartung beider Vertragsparteien, von der sie sich beide beim Abschluss des Vertrags haben leiten lassen“, und zwar in der Art, dass jede Partei „bei Kenntnis der Unrichtigkeit dieser Vorstellung oder Erwartung den Vertrag nicht, oder doch nicht mit diesem Inhalt, geschlossen hätte, oder zum mindesten „ihn der Gegenpartei redlicherweise nicht angesonnen hätte“.186 Die Fälle, in denen auf beiden Seiten ein Motivirrtum vorlag, fasste Larenz als Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage zusammen.187 Hierbei sollte es (anders als bei Oertmann) nicht genügen, wenn lediglich eine der Parteien vom Vorhandensein bzw. von der Fortdauer bestimmter Umstände ausgeht, auch wenn der andere Vertragspartner diese Vorstellung kennt und nicht widerspricht.188 Erforderlich war vielmehr das Vorliegen einer gemeinschaftlichen Vorstellung. Lag eine solche gemeinsame 185 186 187 188

Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 51, 184; Larenz, AT7, § 20 III, S. 395. Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 51, 184; Larenz, AT7, § 20 III, S. 395. Larenz, AT7, § 20 III, S. 389 ff. Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 184.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Vorstellung nicht vor, konnte diese Konstellation lediglich über die objektive Geschäftsgrundlage behandelt werden. Auch wenn Larenz seine Lehre der subjektiven Geschäftsgrundlage in die Irrtumslehre einordnete,189 erachtetete er die Nichtigkeit nicht als angemessene Rechtsfolge.190 Wenn die Parteien bereit sind, das Geschäft auf der entsprechend korrigierten Grundlage fortzusetzen, ist nach Larenz eine entsprechende Vertragsanpassung der richtige Weg.191 Eine Vertragsauflösung durch Rücktritt bzw. Kündigung komme hingegen in Betracht, wenn durch eine Vertragsanpassung derjenige, zu dessen Nachteil die Anpassung erfolge, zur Erfüllung eines Vertrags gezwungen würde, den er mit diesem Inhalt nicht geschlossen hätte.192 Zur objektiven Geschäftsgrundlage nach Larenz gehörten alle „Umstände, deren Vorhandensein oder Fortdauer im Vertrage sinngemäß vorausgesetzt ist“193, damit er die von den Parteien mit seiner Durchführung verbundenen Erwartungen wenigstens annäherungsweise erfüllen kann.194 Innerhalb der objektiven Geschäftsgrundlage differenzierte Larenz zwischen den Fällen der schweren Äquivalenzstörung und den Fällen der Zweckvereitelung.195 Ein Fall der schweren Äquivalenzstörung lag nach Larenz vor, wenn durch eine nicht planbare Änderung der Umstände im Falle eines gegenseitigen Vertrags ein extremes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eintrat, sodass von einem Gleichgewicht dieser beiden zueinander nicht mehr ausgegangen werden konnte.196 Als Rechtsfolge befürwortete Larenz in den Fällen der Äquivalenzstörung eine Vertragsanpassung.197 Eine Zweckvereitelung war nach Larenz gegeben, wenn der weitere Zweck einer Vertragspartei nicht erreichbar ist (ohne dass diese Nichterreichbarkeit zu einer Unmöglichkeit führt) und die Gründe für diese Unerreichbarkeit nicht im Risikobereich einer der Parteien liegt.198 Mit dem weiteren Zweck im Sinne von Larenz ist nicht der primär gewollte Zweck in Gestalt des Leistungsgegenstandes gemeint. Denn die Unerreichbarkeit dieses Zweckes führt zum Vorliegen einer Unmöglichkeit. 189

Larenz, AT7, § 20 III, S. 392. Larenz, AT7, § 20 III, S. 393. Eine Nichtigkeit bejahte Larenz nur in Ausnahmefällen, Larenz, AT7, § 20 III, S. 393 f. 191 Larenz, AT7, § 20 III, S. 393; ders., Geschäftsgrundlage3, S. 186. 192 Larenz, AT7, § 20 III, S. 393. 193 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 17. 194 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 185. 195 Larenz, SchuldR14 Bd. I, § 21 II, S. 324. 196 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 185. 197 Larenz, SchuldR14 Bd. I, § 21 II, S. 330; ders., Geschäftsgrundlage3, S. 186. 198 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 185. 190

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Rechtsfolge der Zweckvereitelung war nach Larenz in der Regel die Vertragsauflösung, da die Vertragsdurchführung bei der Zweckvereitelung oftmals „schlechthin sinnlos“ geworden sein dürfte.199 b) Kritik Kritik erfuhr sowohl der Inhalt der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage im Sinne von Larenz als auch deren Trennung.200 Kegel201 wandte gegen die Figur der subjektiven Geschäftsgrundlage ein, es bestehe kein Grund, „den Gegner mit der Gefahr eines Irrtums zu belasten, den er zwar geteilt hat, der ihm aber nicht schadet, der also nur einen Umstand betrifft, an dem er nicht interessiert ist“.202 Auch Blomeyer203 äußerte erhebliche Kritik am Inhalt der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage nach Larenz. Die subjektive Geschäftsgrundlage durch gemeinsame Beweggründe der Vertragsparteien festzulegen, sei ungerecht.204 Er hält es auch für ungerecht, die Geschäftsgrundlage nur dann als eine Störung des Äquivalenzverhältnisses anzusehen, solange ein grobes Missverhältnis vorliegt.205 Des Weiteren kritisiert er, dass Larenz die Störung der Geschäftsgrundlage in Gestalt der Äquivalenzstörung und der Zweckverfehlung auf die Fälle der gegenseitigen Verträge beschränkt. Damit werde die Berücksichtigung vertragsfremder Risiken bei einseitigen Verträgen ausgeschlossen.206 Esser207 kritisierte sowohl die inhatliche Ausrichtung als auch die Unterscheidung von objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage. Larenz sei zwar „um eine feste Tatbestandsbildung“ bemüht gewesen, doch Formulierungen wie „schwere Äquivalenzstörung“ oder „grobes Missverhältnis“ seien derart „wertausfüllungsbedürftig“, dass ein „Abrücken von § 242 BGB“ nicht gelinge.208

199

Larenz, SchuldR14 Bd. I, § 21 II, S. 329 f.; ders., Geschäftsgrundlage3, S. 186. Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (1 ff., insbesondere 24 ff.); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 19 ff; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 25 f.; Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 68 (71 ff.); Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (196); Esser, JZ 1958, S. 113 (115); Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (279 ff.); Kotzur, Die Auswirkungen, S. 136; Hey, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 17. 201 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (196). 202 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (196). 203 Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (278 ff.). 204 Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (278 f.). 205 Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (280 f.). 206 Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (279). 207 Esser, JZ 1958, S. 113 (114). 208 Esser, JZ 1958, S. 113 (114). 200

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Esser kritisierte vor allem die „scharfe Trennung“ von objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage.209 Denn nach Esser existieren keine getrennten Arten von Vertragsgrundlage.210 Die Umstände der Geschäftsgrundlage könne nach Esser nur unter Berücksichtigung sowohl objektiver als auch subjektiver Anhaltspunkte ermittelt werden. Gegen die Aufspaltung von objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage wandte sich auch Emmerich.211 Gegen sie spreche, dass auf der Rechtsfolgenseite der Unterscheidung kein Gegenstück vorhanden ist, sodass der dogmatische Wert fehle. Schon Larenz selber erkannte wie seine Kritiker, dass die strikte Unterscheidung zwischen der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage problematisch ist. Er stellte im Vorwort der dritten Auflage seines Werkes hinsichtlich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dar, dass es sich bei der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage nicht um „starr begrenzte“ Tatbestände handle.212 Bei der Unterscheidung gehe es ihm vielmehr um eine „Beschreibung von Typen […], die als solche nicht nur fließende Grenzen, sondern auch vielfach ineinander verschränkte Strukturen aufweisen“.213 Trotz aller Kritik schaffte es Larenz, sich mit seiner Theorie zwischen einer Vielzahl von Theorien durchzusetzen und bis zum heutigen Tage einen anhaltenden Eindruck in der Rechtslehre bezüglich der Geschäftsgrundlage zu hinterlassen. Larenz’ Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage war bis zur Kodifizierung im BGB die sog. h. L.214 Hervorzuheben ist vor allem Larenz’ Versuch, die Geschäftsgrundlage durch eine Differenzierung auch dogmatisch präziser erfassen zu können. 2. Wieacker Wieacker215 knüpfte an Larenz’ Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage an und entwickelte diese Unterscheidung trotz der Kritik an ihr fort. a) Grundsätze Wieacker216 unterschied ebenfalls zwischen der objektiven und subjektiven Geschäftsgrundlage. Allerdings beschränkte er die Anwendung der subjektiven Ge209

Esser, JZ 1958, S. 113 (115). Esser, JZ 1958, S. 113 (115). 211 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 415 Rn. 19. 212 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. VI. 213 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. VI. 214 Köhler, Unmöglichkeit, S. 119 ff., 132; Kramer, in: MüKo, BGB5, § 119 Rn. 120; Stötter, AcP 166 (1966), S. 149 (163); Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (240 ff.); vgl. auch die Aufzählung bei Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 28 Fn. 109. 215 Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (241). 216 Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (240 ff.). 210

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schäftsgrundlage auf bei Vertragsabschluss vorhandene Umstände und schloss den Fall des Nichteintritts zukünftiger Umstände aus.217 Er begründete dies damit, dass es nicht möglich sei, sich über künftige Umstände rechtliche Vorstellungen zu machen und zu irren.218 In diesen Fällen sei vielmehr „eine Enttäuschung menschlicher Lebensplanung für die Zukunft gegeben“, die für die Rechtsordnung unbeachtlich sei.219 Wieacker beschränkte weiterhin auch die Anwendung der objektiven Geschäftsgrundlage. Als Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage wollte Wieacker nur Fälle der schweren Äquivalenzstörung berücksichtigen.220 Einer Berücksichtigung der Zweckvereitelung im Sinne von Larenz stand er kritisch gegenüber.221 Denn einen über den Zweck jeder einzelnen Partei hinausgehenden gemeinsamen Zweck der Parteien könne man sich gerade bei gegenseitigen Verträgen wegen der grundsätzlich widersprüchlichen Interessen der Vertragspartner nicht vorstellen.222 Nach Wieacker soll die „Enttäuschung der Parteidispositionen durch veränderte Umstände“ außerhalb der Äquivalenzstörung über den Grundsatz der Risikoverteilung behandelt werden.223 b) Kritik Kritik erfuhr Wieacker zunächst von Larenz wegen der Einschränkung der subjektiven Geschäftsgrundlage.224 Eingewandt wurde, dass sich die Vertragsparteien durchaus auch Vorstellungen über die Existenz und über die Fortdauer bestimmter Umstände machen können, vor allem weil beide Fälle eng beieinanderlägen.225 Folglich könnten neben gegenwärtigen auch künftige Umstände den beiderseitigen Irrtum betreffen.226 Beispielsweise zeige § 2078 Abs. 2 BGB, dass die Berücksichtigung „irriger Erwartungen“ entgegen der Ansicht Wieackers der deutschen Rechtsordnung nicht widerspreche. Im Rahmen von § 2078 Abs.2 BGB sei es unstreitig, dass sich der Umstand, auf den sich die „irrige Annahme oder Erwartung“ bezieht, auch ein zukünftiger sein könne.227

217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227

Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (242). Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (238, 242). Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (238, 242). Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (248 ff., 255). Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (252 ff.). Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (252). Wieacker, FS Wilburg, S. 229 (253, 255). Larenz, AT7, § 20 III, S. 394. Larenz, AT7, § 20 III, S. 394. Larenz, AT7, § 20 III, S. 394. Larenz, AT7, § 20 III, S. 394 f.

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Da Wieacker seine Lehre weitestgehend auf Larenz’ Lehre aufbaute und die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage sogar intensivierte, stieß er im Übrigen auf dieselbe Kritik wie Larenz.228 3. Lehmann Lehmann229 versuchte mit seiner sog. Vereinigungsformel, die subjektive und objektive Geschäftsgrundlage zu vereinigen. a) Grundsätze Nach Lehmann reichen allein objektive oder allein subjektive Gesichtspunkte nicht aus, um eine für die Fälle der Störung der Geschäftsgrundlage angemessene Lösung zu schaffen. Aus diesem Grund entwickelte Lehmann die Vereinigungsformel, nach der sowohl objektive als auch subjektive Momente der Geschäftsgrundlage in einer einheitlichen Definition untergebracht werden. Demnach ist danach zu fragen, „ob der Vertragsgegner sich nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf den Zweck des Vertrags auf die Abhängigmachung desselben von dem fraglichen Umstand eingelassen hätte oder redlicherweise hätte einlassen müssen, wenn man die Unsicherheit des Umstandes beim Vertragsabschluss in Betracht gezogen hätte“.230 Fehle die Geschäftsgrundlage, sei „unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des einzelnen Falles“ ein Rücktrittsrecht gegeben.231 Voraussetzung für einen Rücktritt sei, dass das Festhalten gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, sprich die „Geltendmachung der Vertragsrechte“ eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.232 b) Kritik Lehmanns Vereinigungsformel wurde als Fortschritt gewertet. Positiv bewertet wurde, dass Lehmann nicht an der „künstlichen Trennung“233 zwischen der objektiven und der subjektiven Geschäftsgrundlage festhielt.234 Trotz der positiven Bewertungen erfuhr Lehmann auch Kritik. Gegen seine Lehre wurde vorgebracht, dass seine Definition der Geschäftsgrundlage zu weit und daher 228

Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 19 ff.; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 25 f. 229 Lehmann, JZ 1952, S. 10 (12); Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 41, S. 178 f. 230 Lehmann, JZ 1952, S. 10 (12); Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 41, S. 178 f. 231 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 41, S. 180. 232 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 41, S. 180. 233 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 31. 234 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 29.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

zu unbestimmt sei.235 Somit komme der Ausnahmecharakter dieses Instituts nicht hinreichend zur Geltung.236 Es sei Lehmann nicht gelungen, den sehr weiten Anwendungsbereich der Voraussetzung der „Redlichkeit“ zu bestimmen und somit den Tatbestand mehr zu konkretisieren. Dies könne in einigen Fällen auch dazu führen, dass Umstände erfasst werden, die den Leistungsgegenstand bilden und eigentlich unter den Anwendungsbereich von speziellen gesetzlichen Störungsregeln fallen.237 Des Weiteren entstünden auch erhebliche Probleme auf der Rechtsfolgenseite bei Befolgung dieser Definition. Denn Lehmanns Definition weise eine sehr enge Nähe zum Institut der unterentwickelten Bedingung auf.238 Wenn Lehmanns Definition vergleichbar ist mit der Definition einer Bedingung, wäre es konsequent, auch die Rechtsfolgen einander anzupassen, sodass der Vertrag in diesem Fall nicht an die Veränderung angepasst, sondern unwirksam wird.239 4. Kegel Kegel differenzierte zwischen der sog. „großen“ und „kleinen“ Geschäftsgrundlage und schränkte dadurch den Anwendungsbereich der Geschäftsgrundlagenproblematik ein. a) Grundsätze der „großen“ und „kleinen“ Geschäftsgrundlage Nach Kegel240 geht es bei der Geschäftsgrundlagenproblematik stets um die Frage der Gefahr- und Schadenstragung im Falle von Zufallsschäden. Im Grundsatz habe dabei jede Partei ihren Schaden selber zu tragen.241 „Contracter c‘est prévoir. Der Vertrag ist gefährlich und soll gefährlich sein“.242 Die Gefahren des täglichen Geschäftslebens bleiben nach Kegel auf Seiten der Partei bestehen, die das Risiko tragen muss.243 Dies stellt nach Kegel die „kleine Geschäftsgrundlage“ dar.244 Dieser Grundsatz sei jedoch nicht ausschließlich. Zu anderen Ergebnissen gelange man in Fällen der „weitgreifenden Störungen durch Naturkatastrophen und vor allem durch Staatsbetrieb“ (vor allem auch bei der Inflation).245 Diese bezeichnete 235

Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 13; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 29; Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 213. 236 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 29. 237 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 213. 238 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 213. 239 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 41, S. 173. 240 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (199 f.). 241 Kegel, JZ 1951, S. 385 (399). 242 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (200). 243 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (200). 244 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (202). 245 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (201).

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Kegel als „große Geschäftsgrundlage“.246 Zur großen Geschäftsgrundlage im Sinne von Kegel gehören somit Störungen, die nicht in dem Machtbereich der Parteien liegen und daher nicht mehr unter das übliche Vertragsrisiko fallen. Vielmehr handle es sich bei derartigen Katastrophen um eine „Gemeingefahr“.247 Nach Kegel ist es ungerecht, demjenigen, der nach Vertrag oder Gesetz die Gefahr trägt, auch noch die Gemeingefahr in Fällen der weitgreifenden Störungen aufzubürden, die für ihn unberechenbar waren und ihn schwerwiegend treffen.248 Rechtsfolge der großen Geschäftsgrundlage sei daher, dass der Schaden zwischen den Vertragsparteien geteilt wird, wenn ein „erheblicher Schaden“ eingetreten sei.249 Kegel befürwortete eine Erheblichkeitsgrenze von 25 %.250 Nach Feststellung eines erheblichen Schadens und der fehlenden Vorhersehbarkeit251 der Störung war nach Kegel grundsätzlich eine hälftige Schadensteilung angebracht.252 b) Kritik Die Theorie von Kegel erreichte aufgrund der praktischen Unterscheidungsmöglichkeit einen beachtlichen Grad an Erfolg.253 Es gab jedoch auch kritische Stimmen. Kritisiert wurde vor allem die Unterscheidung zwischen „großer“ und „kleiner“ Geschäftsgrundlage.254 Gegen die Unterscheidung spreche, dass es aus der Sicht desjenigen, der von der Veränderung der Umstände dauerhaft betroffen ist, irrelevant sei, ob die „große“ oder die „kleine“ Geschäftsgrundlage weggefallen ist.255 Im Übrigen verhalte es sich so, dass gerade bei „Sozialkatastrophen“, die nach Kegel zur großen Geschäftsgrundlage gehören, eine Hinnahme von Nachteilen eher zugemutet werden könne.256 Auch eine Differenzierung von „großer“ und „kleiner“ Geschäftsgrundlage sei nicht in der Lage, die Frage nach einer dogmatischen Lösung zu beantworten.257

246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256

S. 28. 257

Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (201). Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (200). Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (204). Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (202, 204); ders., JZ 1951, S. 385 (403 ff.). Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (202). Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (202 f.). Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (204 f.). Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (236). Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 28; Wieling, Jura 1985, S. 505 (508). Wieling, Jura 1985, S. 505 (508). Wieling, Jura 1985, S. 505 (508); ähnlich Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 28.

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Schließlich ermögliche die Differenzierung keine dem Einzelfall angemessene adäquate Rechtsfolge.258 Nachträglich kann festgestellt werden, dass Kegel einen erheblichen Beitrag leistete, indem er durch seine Differenzierung einer ausgedehnten Geschäftsgrundlage Schranken aufzeigte. Kegels einschränkende Lösung erhält vor allem bei Betrachtung der Rechtsprechung der 50er Jahre, in der die Veränderung der Umstände immer umfassendere Berücksichtigung fand,259 mehr an Gewicht. Aus heutiger Sicht ist die Beschränkung der Geschäftsgrundlagenproblematik auf Katastrophenfälle jedoch zu eng. 5. Schmidt-Rimpler Die Darstellung der Lehrmeinungen bis zur Einführung des § 313 BGB verlangt auch eine Erwähnung von Schmidt-Rimpler, obwohl seine Thesen im Vergleich zu Larenz und Kegel weniger Beachtung fanden. Denn Schmidt-Rimplers Theorie zur Geschäftsgrundlage basierte auf einem besonderen Vertragsverständnis, das für den Umgang mit der Geschäftsgrundlagenproblematik bedeutsam ist. a) Grundsätze Schmidt-Rimpler260 ging bei der Konstruktion seiner Theorie zur Geschäftsgrundlage von der sog. Richtigkeitsgewähr des Vertrags aus. Nach der Richtigkeitsgewähr beruht die rechtliche Anerkennung von vertraglichen Vereinbarungen darauf, dass „sie von beiden Parteien als richtig in einer von ihren individuellen Gesichtspunkten ausgehenden Wertung“ anerkannt werden.261 Diese Anerkennung falle fort, sobald die Wertungen der Parteien auf falschen Voraussetzungen beruhen oder diese Voraussetzungen im Nachhinein entfallen, da dann aufgrund der vorgenommenen Wertung die Rechtsfolge nicht mehr richtig sein könne.262 Dies führt nach Schmidt-Rimpler dazu, dass jeder Motivirrtum zur Anfechtung berechtigen würde.263 Diesem Ergebnis stünden jedoch die Verkehrssicherheit oder der Vertrauensschutz als weitere „Richtigkeitsgedanken“ entgegen.264 Daher sah Schmidt-Rimpler die Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik in einer Abwägung zwischen der Verkehrssicherheit und dem Fehlen der Wertungsgrundlage,265 258 259 260 261 262 263 264 265

Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 29. Vgl. die Übersicht bei Lehmann, JZ 1952, S. 10 (12). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (4 ff.). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (10). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (10). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (10). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (11). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (12).

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indem er fragte: „Unter welchen Voraussetzungen erfordert die Verkehrssicherheit nicht, dass das Fehlen der Wertungsgrundlage unberücksichtigt bleibt?“.266 Schmidt-Rimpler beantwortete die von ihm selbst formulierte Frage, indem er Kriterien festlegte, wann „um der sachlichen Richtigkeit willen das Fehlen der Wertungsgrundlage“ dem Gedanken der Verkehrssicherheit vorgeht.267 Voraussetzung hierfür sei, dass die Parteien von einer übereinstimmenden Wertungsgrundlage ausgegangen sind.268 Darüber hinaus sei vorausgesetzt, dass die Abweichung der Wertungsgrundlage ungewöhnlich ist, eine erhebliche Umwandlung der Rechtsfolge bewirkt und eine Vertragsauslegung ergibt, dass keine Partei dieses Risiko der Veränderung zu tragen hatte.269 b) Kritik Schmidt-Rimplers Ansatz wurde kritisiert, da seine „Richtigkeitsgewähr“ nur theoretisch möglich sei und zur Problematik der Geschäftsgrundlage nicht viel beitrage.270 Selbst wenn man der Richtigkeitsgewähr als Ausgangspunkt zustimme, brächte die Theorie Schmidt-Rimplers keine Lösung. Denn sie sei im Ergebnis nichts anderes als die Umschreibung des bereits hinreichend bekannten Bedürfnisses, einen als ungerecht empfundenen Vertrag nicht durchzusetzen.271 Zudem komme auch Schmidt-Rimpler, ähnlich wie Oertmann, vor allem bei den Inflationsfällen nicht ohne eine Fiktion aus,272 wenn er annimmt, „dass die Parteien eben die derzeitige Kaufkraft zugrundelegten“.273 6. Flume Flume versuchte, die Geschäftsgrundlagenproblematik innerhalb des allgemeinen Leistungsstörungsrechts und der einzelnen Vertragstypen zu lösen. a) Grundsätze Flume274 lehnte eine generelle Theorie zur Geschäftsgrundlage ab. Nach Flume bedeutete die Geschäftsgrundlage „nichts anderes als eine Ergänzung der gesetzli-

266 267 268 269 270 271 272 273 274

Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (12). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (12). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (13). Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (18 ff.). Quass, Die Nutzungsstörung, S. 74; Reiter, Vertrag und Geschäftgsrundlage, S. 144. Reiter, Vertrag und Geschäftgsrundlage, S. 144. Reiter, Vertrag und Geschäftgsrundlage, S. 144. Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (17). Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (208); ders., BGB-AT Bd. II, § 26, S. 525 ff.

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chen Normierungen im Recht der Schuldverträge für die Fälle, von denen man meint, dass sie gesetzlich nicht geregelt seien“.275 Nach Flume bestand die Gefahr der Geschäftsgrundlagenlehre darin, dass sie zu einer ständigen Versuchung führe, sich den Pflichten eines Vertrags zu entziehen.276 Dadurch entstehe die Möglichkeit, dass anstelle des Rechts mit den darin enthaltenen Risikoverteilungen Billigkeitserwägungen zur Anwendung kommen.277 Für Flume stellte sich die Geschäftsgrundlage nicht als ein neben dem Vertrag stehender Tatbestand dar.278 Vielmehr umfasste der Vertrag selbst die Lösung.279 Somit stehe in jeglichen Fällen der Geschäftsgrundlage allein die Frage im Vordergrund, wer das „Risiko der Wirklichkeit“ trage.280 Dabei seien die zu beurteilenden Fälle so mannigfaltig, sodass es nicht möglich sei, sie anhand einer allgemeinen Einheitslösung zur Geschäftsgrundlage zu lösen.281 Flume fand die Lösung durch Ermittlung des Vertragssinnes und des Vertragstypus.282 Ähnlich wie Kegel unterschied er zwischen der kleinen Geschäftsgrundlage und Änderungen der Sozialexistenz,283 die mit Kegels großer Geschäftsgrundlage vergleichbar sind.284 Flume befürwortete in den Fällen der kleinen Geschäftsgrundlage eine Lösung auf der Basis der auf den konkreten Vertragstyp anwendbaren gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen der Risikoverteilung.285 Flume nahm an, dass eine Orientierung an der vertraglichen Vereinbarung eine präzise Abgrenzung zwischen der für die rechtliche Würdigung beachtlichen und unbeachtlichen Wirklichkeit ermögliche.286 Diese These untermauerte Flume mit verschiedenen aus der Rechtsprechung bekannten Fällen, die seines Erachtens mit der jeweiligen vertragstypischen Risikoverteilung gelöst werden können und keiner „Lehre der Geschäftsgrundlage“ bedürfen.287 Flume differenzierte dabei nach den verschiedenen Vertragstypen und der unterschiedlichen gesetzlichen Risikoverteilung, die dem 275

Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 498. Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 526 f.; ders., FS DJT. Bd. I, S. 135 (237). 277 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 527. 278 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (208); zustimmend Littbarski, JZ 1981, S. 8 (13 ff.); ders., AcP 180 (1980), S. 420 (422).; mit Einschränkungen Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645); Huber, JuS 1972, S. 57 (65); Stötter, AcP 166 (1966), S. 149 (180 ff.). 279 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (237). 280 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (208 ff., 218). 281 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 499. 282 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (218). 283 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 525 ff. 284 Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 147. 285 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 497 ff., 507 ff; ders., FS DJT. Bd. I, S. 135 (236). 286 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (237). 287 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 501 ff., 525. 276

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jeweiligen Vertrag zugrunde liegt.288 Somit wandte sich Flume gegen die von Larenz vertretene These, dass es möglich sei, für alle Fälle der Geschäftsgrundlage einen selbständigen, nicht im Vertragsinhalt enthaltenen Geschäftszweck zu statuieren und bei einer Verfehlung dieses Zweckes Korrekturen anzubringen.289 Eine Lösung über die vertragstypische Risikoverteilung war nach Flume lediglich bei „Änderungen der Sozialexistenz“ schwer möglich.290 Zu den Änderungen der Sozialexistenz zählte Flume die Fälle der Währungsänderung und des Währungsverfalls, der Änderung der Gesetzgebung sowie die Fälle des Krieges bzw. des kriegsähnlichen, politischen Geschehens.291 In den Fällen der Währungsänderung, des Währungsverfalls und der Änderung der Gesetzgebung sei die Lösung ebenfalls im Vertrag zu suchen.292 Doch vor allem für den Währungsverfall forderte Flume ein Handeln des Gesetzgebers, da sonst der „Bestand der Rechtsordnung“ gefährdet sei.293 Auswirkungen von Krieg oder kriegsähnlichen Geschehen und Naturkatastrophen hingegen waren auch nach Flume nicht durch die vertragliche Vereinbarung und Riskoverteilung zu lösen.294 Hier sah Flume im Ergebnis „keine andere Lösung als die Billigkeitsentscheidung“, da der Vertrag in diesen Fällen der Sozialexistenz keinerlei Anhaltspunkte gebe.295 Einheitslösungen kamen für Flume auch hier nicht in Betracht.296 b) Kritik Neben dem Zuspruch, den Flumes Ansicht dadurch erfuhr, dass er der Privatautonomie Rechnung trug, indem er der ergänzenden Vertragsauslegung einen breiten Anwendungsbereich einräumte und sich stark an den Regelungen des BGB orientierte, erfuhr Flume auch Kritik. Ihm wurde vorgeworfen, das Instrument der Auslegung und die Heranziehung des Gesetzes mit seinen vereinzelt vorliegenden Gefahrtragungsregeln zu überdehnen.297 Es sei nicht möglich, alle Fälle, die mit der Geschäftsgrundlage einhergehen, anhand einer Auslegung oder des Gesetzes zu lösen.298 Auch im Bereich der Geschäfts288

Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (218 ff.); ders., BGB-AT Bd. II, § 26, S. 507 ff.; zustimmend Ulmer, AcP 174 (1974), S. 167 (182). 289 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (215 f.). 290 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 518 ff. 291 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (229 ff.); ders., BGB-AT II, § 26, S. 518 ff. 292 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (229 f.); ders., BGB-AT Bd. II, § 26, S. 518 f., 520 f., 526. 293 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 519 f.; ders., FS DJT. Bd I, S. 135 (231). 294 Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 523 ff.; ders., FS DJT. Bd I, S. 135 (234 ff.). 295 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (235); ders., BGB-AT Bd. II, § 26, S. 525. 296 Flume, FS DJT. Bd. I, S. 135 (235 f.); ders., BGB-AT Bd. II, § 26, S. 525. 297 Brox, JZ 1966, S. 761 (766). 298 Brox, JZ 1966, S. 761 (766).

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grundlage lasse sich das Bestehen einer Vertrags- und Gesetzeslücke nicht von der Hand weisen. Zu dieser Erkenntnis kam auch Flume, da er die Fälle der Sozialexistenz einführte und somit das Vorliegen einer Gesetzeslücke eingestand. Des Weiteren wurde Flume ein willkürlicher Umgang mit den Wertungen der jeweiligen Vertragstypen vorgeworfen.299 Flumes Risikoverteilung anhand des typischen Vertragssinns300 sei schwankend, da die Bestimmung des typischen Sinnes erhebliche Interpretationsmöglichkeiten biete.301 Zudem sei es Flume nicht gelungen, detaillierte Kriterien für die Unterscheidung zwischen relevanten und irrelevanten Zweckstörungen herauszuarbeiten.302 Obwohl Flume einer der schärfsten Kritiker der Lehre von der Geschäftsgrundlage war und ihr äußerst ablehnend gegenüberstand, darf seine Bedeutung für die Entwicklung der Lehre der Geschäftsgrundlage nicht unterschätzt werden. Seine Gedanken haben die Diskussion in neue Bahnen gelenkt.303 Der Erfolg von Flume lag vor allem darin, dass er den Vertrag wieder ins Zentrum des Interesses rückte und somit wieder das Leistungsstörungsrecht des BGB als Ausgangspunkt statuierte. Das Essentielle war für Flume, den Blick auf den Vertrag zu richten und die im Vertrag angelegte Risikoverteilung einzusetzen, um die Geschäftsgrundlagenproblematik zu erfassen. 7. Beuthien Beuthien lehnte, ähnlich wie Flume, das Institut der Geschäftsgrundlage grundsätzlich ab. a) Grundsätze Nach Beuthien304 bestand kein Bedarf an einer eigenständigen Geschäftsgrundlagentheorie. Beuthien versuchte vielmehr, das Problem der nachträglichen Änderung von Umständen über die Anwendung der Unmöglichkeitsregelungen des BGB zu lösen. Zur Anwendung des Unmöglichkeitsrechts gelangte Beuthien, indem er zusätzlich zu den Fällen der Leistungsstörung, in denen durch eine Störung der Leistungshandlung, der Leistungserfolg nicht mehr herbeizuführen war, auch die Fälle der sog. Zweckstörung unter dem Tatbestand der Unmöglichkeit fasste.305

299 300 301 302 303 304 305

Koller, Risikozurechnung, S. 53. Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 515. Koller, Risikozurechnung, S. 53. Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 147. Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 147. Beuthien, Zweckerreichung, S. 304 ff., 308. Beuthien, Zweckerreichung, S. 304 ff.

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Beuthien war der Ansicht, dass eine Trennung von Vertragsinhalt und Vertragszweck nicht möglich sei.306 Vielmehr sei der durch die Parteien vereinbarte Zweck als sog. zweckgebundene Leistungspflicht in den Inhalt der vertraglichen Leistungen einzubeziehen.307 Dementsprechend liege eine Unmöglichkeit dann vor, wenn die Leistung faktisch („zweckneutral“) erbracht wird, der mit der Leistung einhergehende Zweck jedoch nicht mehr erreicht werden kann.308 Die Überlegung, die Zweckbestimmung in den Leistungsinhalt einzubeziehen, war nach Ansicht Beuthiens auch im BGB enthalten.309 Als vergleichbare Beispielsfälle nannte Beuthien das absolute Fixgeschäft oder die mietrechtliche Mängelgewährleistung.310 Beuthien präzisierte die Voraussetzungen für eine Unmöglichkeit wegen fehlender Zweckerreichung wie folgt: Eine Unmöglichkeit mit der Folge des § 275 BGB liege nur dann vor, wenn die Sachleistungspflicht zweckgebunden ist und die Zweckeignung entfällt. Sei schon zu Beginn nur eine zweckneutrale Sachleistungspflicht vereinbart, habe die Zweckverfehlung keine Auswirkungen auf die Sachleistungspflicht, sodass keine Unmöglichkeit eintrete.311 Liege eine Zweckgebundenheit der Sachleistungspflicht zwar vor, berühre die Zweckstörung jedoch nicht die geschuldete Zweckeignung, führe dies ebenfalls nicht zu einer Unmöglichkeit.312 Wann eine Zweckbindung vorliegt, wollte Beuthien anhand des „sachtypisch zweckgebundenen Geschäfts“ ermitteln.313 Er knüpfte dabei, ähnlich wie Flume, an den Vertragstypus an.314 Die Zweckbindung sei anhand einer objektiven Auslegung zu ermitteln.315 Hierbei spielen nach Beuthien verschiedene Wertungsgesichtspunkte eine Rolle. Es sei möglich, dass die Zweckbindung ein so essentieller Bestandteil für die Charakterisierung der Sachleistungspflicht ist, dass die geschuldete Leistung ohne die Zweckeignung zu einer wirtschaftlich ganz anders gearteten Leistung würde.316 Für eine zweckgebundene Leistungspflicht spreche beispielsweise auch ein gemeinsames Interesse der Parteien daran, einen Zweck zu erreichen.317 Auf der Rechtsfolgenebene sprach sich Beuthien für eine Modifizierung des Unmöglichkeitsrechts aus.318 Beuthien schlug den Gedanken der Risikozurechnung 306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318

Beuthien, Zweckerreichung, S. 62 ff. Beuthien, Zweckerreichung, S. 159 ff. Beuthien, Zweckerreichung, S. 160. Beuthien, Zweckerreichung, S. 162 f. Beuthien, Zweckerreichung, S. 162 f., 169. Beuthien, Zweckerreichung, S. 188. Beuthien, Zweckerreichung, S. 188. Beuthien, Zweckerreichung, S. 184. Beuthien, Zweckerreichung, S. 184 f. Beuthien, Zweckerreichung, S. 185. Beuthien, Zweckerreichung, S. 185. Beuthien, Zweckerreichung, S. 187. Beuthien, Zweckerreichung, S. 308.

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zur Ergänzung des Unmöglichkeitsrechts vor.319 Jeder Vertragspartner solle das Risiko für die Leistungshindernisse tragen, die seinem Risikobereich zuzuordnen seien.320 b) Kritik An der Ansicht von Beuthien wurde bemängelt, die Unmöglichkeitsregelungen und den Gedanken der Risikoverantwortung zu sehr ausgeweitet und keine Bestimmung dieser Begriffe eingeführt zu haben.321 Einer der Hauptkritiker der Lehre von Beuthien war Köhler.322 Köhler hielt die „Zweckabrede“ von Beuthien für ein willenstheoretisches und verfehltes Konstrukt.323 Die Begrifflichkeit „Zweckabrede“ sei nicht passend. Köhler kritisierte zudem die von Beuthien zum absoluten Fixgeschäft gezogene Parallele.324 Beuthiens zweckgebundene Leistungspflicht sei nicht mit dem absoluten Fixgeschäft vergleichbar.325 Das Zeitmoment beim absoluten Fixgeschäft sei eine reale Modalität des Leistungserfolges. Die Zweckbindung nach Beuthien hingegen bewirke nicht die reale Modifizierung der Leistungsbewirkung.326 Die Zweckbestimmung habe keinen Einfluss auf das, was der Schuldner hier und jetzt zu leisten habe. Beispielsweise sei es dem Vermieter trotz Ausfall des Krönungszuges immer noch möglich, das Zimmer zur Verfügung zu stellen und die Leistung zu erbringen.327 Beim absoluten Fixgeschäft hingegen erbringe der Schuldner nicht die Leistung, die von ihm erwartet wird. Beuthiens Lehre hatte den Vorteil, dass durch die Rückbesinnung auf das Unmöglichkeitsrecht eine Anknüpfung an die gesetzlich geregelten Vorschriften gewährleistet wurde und dadurch ungerechtfertigte Wertungsprinzipien vermieden wurden.328 Gegen die Anwendung der Unmöglichkeitsregeln des BGB wurde wiederum eingewandt, dass dadurch eine richterliche Würdigung erheblich erschwert würde.329 In den Fällen der Geschäftsgrundlagenproblematik bestehe das Bedürfnis, eine flexible Rechtsfolge durch den Richter herbeizuführen, was bei Anwendung des

319

Beuthien, Zweckerreichung, S. 308. Beuthien, Zweckerreichung, S. 308 ff. 321 Larenz, SchuldR14 Bd. I, § 21 I, S. 313; Köhler, Unmöglichkeit, S. 89 ff. und 115 ff. 322 Köhler, Unmöglichkeit, S. 81 ff. Eine ausführliche Gegenkritik zu Köhler findet sich bei Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 151 f. 323 Köhler, Unmöglichkeit, S. 90 ff. 324 Köhler, Unmöglichkeit, S. 94 f. 325 Köhler, Unmöglichkeit, S. 94. 326 Köhler, Unmöglichkeit, S. 94. 327 Köhler, Unmöglichkeit, S. 94. 328 Beuthien, Zweckerreichung, S. 308. 329 Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 151 f. 320

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Unmöglichkeitsrechts nicht zu leisten sei.330 Beuthiens Lehre konnte sich auch deswegen nicht durchsetzen.331 8. Köhler Köhler versuchte, die Geschäftsgrundlagenproblematik über eine Abgrenzung zum Leistungsstörungsrecht und über normative Gesichtspunkte zu erfassen. a) Grundsätze Köhler332 unterschied zunächst zwischen dem Primärzweck und dem weiteren Zweck (Sekundärzweck) der vertraglichen Vereinbarung. Der Primärzweck sei auf Leistungserbringung gerichtet, der Sekundärzweck befasse sich mit der Brauchbarkeit und der Verwendbarkeit der Sachleistung für den Gläubiger.333 Bei Störungen des Primärzwecks greife ausschließlich das Unmöglichkeitsrecht.334 Nur bei Störungen des Sekundärzwecks seien die Grundsätze vom „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ anzuwenden, solange keine zum Vertragsinhalt gewordene Regelung des weiteren Gläubigerzwecks oder Verteilung des Vertragsrisikos vorliege.335 Diese „deskriptiven Tatbestandmerkmale“ müssen nach Köhler durch „normative Merkmale“ ergänzt werden.336 Oberstes normatives Merkmal sei die auf dem Grundsatz von Treu und Glauben fußende Unzumutbarkeit der unveränderten Vertragserfüllung.337 Köhler konkretisierte sein Unzumutbarkeitsverständnis durch die Anwendung des Gebots venire contra factum proprium338 und durch das „Prinzip der Risikozurechnung an den Risikonutznießer“.339 Bei Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium liege ein Wegfall der Geschäftsgrundlage dann vor, „wenn ein Schuldner sich auf einen Umstand, dessen Eintritt oder Vorhandensein als sicher angesehen wird, entscheidend berufe, um zum Vertragsabschluss zu kommen, beim Wegfall oder Nichteintritt dieses Umstandes aber trotzdem auf unveränderter Vertragserfüllung beharre“.340 330

Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 152. Ablehnend auch Jung, Bindungswirkung, S. 162, 244 ff.; Koller, Risikozurechnung, S. 35 ff.; Larenz, SchuldR14 Bd. I, § 21 I, S. 327. 332 Köhler, Unmöglichkeit, S. 137 ff., 200. 333 Köhler, Unmöglichkeit, S. 200. 334 Köhler, Unmöglichkeit, S. 200 ff. 335 Köhler, Unmöglichkeit, S. 137 ff., 140 f., 201 f. 336 Köhler, Unmöglichkeit, S. 141 ff., 202. 337 Köhler, Unmöglichkeit, S. 155. 338 Köhler, Unmöglichkeit, S. 144 ff. 339 Köhler, Unmöglichkeit, S. 152 ff. 340 Köhler, Unmöglichkeit, S. 152. 331

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Rechtsfolge bei Vorliegen eines venire contra factum proprium sei ein Rücktrittsbzw. Kündigungsrecht des Betroffenen, der zudem keinen Aufwendungsersatz leisten müsse.341 Unter der zweiten Konkretisierung des Unzumutbarkeitskriteriums, dem sog. Prinzip der Risikozurechnung an den Risikonutznießer, verstand Köhler, dass derjenige, der den Nutzen aus einem bestimmten Umstand, einer Sachlage oder einer Tätigkeit ziehe, auch die mit diesem Umstand verbundenen Risiken zu tragen habe.342 Rechtsfolge sei in den Fällen der Risikonutznießung eine Vertragsanpassung in der Gestalt, dass die Gegenleistung zu mindern sei.343 Köhler betonte, dass seine Kategorisierung nicht abschließend und es möglich sei, weitere Prinzipien zur Lösung heranzuziehen. Wenn die Fälle der Zweckstörung nicht mit den genannten Prinzipien des venire contra factum proprium und dem Prinzip der Risikozurechnung an den Nutznießer zu lösen seien, könne unmittelbar auf das Kriterium der Unzumutbarkeit abgestellt werden, um schlechthin untragbare Ergebnisse zu vermeiden.344 b) Kritik Die Kritiker wandten gegen Köhlers Ansatz ein, dass sein Begriff der „Unzumutbarkeit“ keinen Erkenntnisgewinn bringe und nichts Neues sei.345 Vor allem könne der Grundsatz des venire contra factum proprium keine Klärung der Geschäftsgrundlagenproblematik herbeiführen.346 Denn im Falle eines venire contra factum proprium sei bereits das Bestehen auf unveränderte Vertragserfüllung rechtsmissbräuchlich, sodass in diesem Fall die Anwendung der Geschäftsgrundlagengrundsätze entbehrlich sei.347 Möglicherweise war die Kritik an Köhlers Unzumutbarkeitskriterium in Gestalt des venire contra factum proprium der Grund dafür, dass Köhler in einem neueren Beitrag zur Lehre von der Geschäftsgrundlage den Grundsatz des venire contra factum proprium unerwähnt ließ und zusätzliche Zumutbarkeitskriterien neben der „vertraglichen Risikozuweisung“ ablehnte.348

341 342 343 344 345 346 347 348

Köhler, Unmöglichkeit, S. 202. Köhler, Unmöglichkeit, S. 202. Köhler, Unmöglichkeit, S. 203. Köhler, Unmöglichkeit, S. 155. Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 153. Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 220. Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 220. Köhler, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 295 (300).

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9. Medicus Medicus versuchte das Problem der veränderten Umstände nach Vertragsabschluss durch das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung zu lösen. a) Grundsätze Die ergänzende Vertragsauslegung reichte nach Medicus349 aus, um in den Fällen der Störung der Geschäftsgrundlage eine Lösung herbeizuführen. Die fehlerhafte Geschäftsgrundlage stelle sich als Vertragslücke dar und sei durch Auslegung zu schließen.350 Durch die Auslegung wollte Medicus ermitteln, wie das vertragliche Risiko zu verteilen ist.351 Die Auslegung beschränke das Risiko der benachteiligten Partei trotz der Veränderung der Umstände vertraglich gebunden zu sein.352 Nach Medicus bestand kein Gegensatz zwischen „Vertragstreue und der unter dem Titel Geschäftsgrundlage praktizierten Begrenzung der Risikoübernahme“.353 Denn „gerade die durch Auslegung gewonnene Begrenzung des Risikos“ führe „zum richtigen Verständnis und damit erst zur Respektierung des Vertrags“.354 Medicus unterteilte die Fälle, die unter dem Begriff der Geschäftsgrundlage behandelt werden, in zwei Gruppen:355 Die erste, deutlich häufiger auftretende Gruppe sei „durch Vertragsauslegung in Richtung auf den hypothetischen Parteiwillen“ zu lösen. Sie betreffe die Sachverhalte, in denen die Parteien bei Kenntnis über die Entwicklung den Vertrag zwar abgeschlossen hätten, jedoch mit einem anderen Inhalt.356 In diesen Fällen sei der hypothetische Wille der Parteien zu ermitteln und der Vertrag dementsprechend anzupassen.357 Medicus warnte jedoch davor, zu leichtfertig auf den hypothetischen Willen abzustellen. Denn dies könne zu einer „problemverkürzenden“ Begründung führen und die Gefahr falscher Ergebnisse verursachen.358 Die weit seltenere zweite Gruppe umfasst nach Medicus die Fälle, in denen sich die Parteien bei Kenntnis von den Entwicklungen nicht geeinigt hätten.359 Wenn eine Einigung zwischen den Parteien auch bei Kenntnis der Wirklichkeit nicht zustande 349 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359

Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (637). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (640, 645). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (631). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (631). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (631), auch Nicklisch, BB 1980, S. 949 (949 ff.). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (632). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645 f.). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (639). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645).

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gekommen wäre, versage die ergänzende Vertragsauslegung.360 Diese zweite Gruppe sei ohne Rücksicht auf den hypothetischen Parteiwillen nach Billigkeitserwägungen zu behandeln.361 b) Kritik Medicus’ Theorie der ergänzenden Vertragsauslegung erfuhr Kritik.362 Kritisiert wurde vor allem die Verknüpfung der ergänzenden Vetragsauslegung mit der Geschäftsgrundlagenproblematik.363 Beide Institute seien voneinander zu unterscheiden. Durch die ergänzende Vertragsauslegung werde der Inhalt des Vertrags bestimmt, während die Geschäftsgrundlage gerade nicht Inhalt des Vertrags sei.364 Beide Institute hätten unterschiedliche Ziele. Die ergänzende Vertragsauslegung bezwecke, planwidrige Lücken eines Vertrags zu schließen, indem sie an bereits vorhandene vertragliche Regelungen anknüpfe.365 Von einer planwidrigen Lücke sei dann die Rede, wenn zwar vertragliche Vereinbarungen getroffen worden sind, diese aber auf gewisse Fragen keine Antwort liefern. Die Geschäftsgrundlage hingegen habe die Funktion, eine Anpassung des Vertrags vorzunehmen, wenn Umstände falsch beurteilt wurden oder die Umstände sich nachträglich änderten.366 Eine planwidrige Lücke wie in den Fällen der ergänzenden Vertragsauslegung sei in den Fällen der veränderten Geschäftsgrundlage nicht gegeben.367 Denn eine auslegungsfähige Lücke setze voraus, dass der Vertrag zumindest im Ansatz eine Störungsregelung enthält, die dann auslegungsfähig ist.368 Diese Voraussetzung sei bei der Geschäftsgrundlagenstörung nicht erfüllt. In den Geschäftsgrundlagenfällen hätten die Parteien nämlich überhaupt nicht an die jeweilige Entwicklung der äußeren Umstände gedacht.369 Den Parteien könne nicht unterstellt werden, dass sie eigentlich alle noch so fernliegenden Veränderungen der Umstände regeln wollten und dies planwidrig unterlassen hätten.370

360

Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645). Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645). 362 Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 28, 30; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 34, 41; Koller, Risikozurechnung, S. 34; Beuthien, Zweckerreichung, S. 52; Köhler, Unmöglichkeit, S. 157; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 41; Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (73); Esser, JZ 1958, S. 113 (114). 363 Beuthien, Zweckerreichung, S. 61; Görk, Deutsche Einheit, S. 16 f. 364 Beuthien, Zweckerreichung, S. 61; Görk, Deutsche Einheit, S. 16 f. 365 Köhler, Unmöglichkeit, S. 124. 366 Mayer-Maly, FS Flume Bd. I, S. 621 (625). 367 Beuthien, Zweckerreichung, S. 51 ff.; Görk, Deutsche Einheit, S. 17. 368 Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 31; Köhler, Unmöglichkeit, S. 157 f. 369 Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 31. 370 Görk, Deutsche Einheit, S. 17. 361

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Kritisiert wurde weiterhin, dass Medicus mit seiner Vertragsauslegung den tatsächlichen Willen der Parteien gefährde.371 Die Vertragsauslegung anhand des hypothetischen Parteiwillens führe dazu, dass die Auslegung außerhalb des tatsächlichen Parteiwillens liege.372 Die Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik über das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung fand jedoch auch Zustimmung.373 Positiv hervorgehoben wurde vor allem, dass die Lösung über eine Vertragsauslegung dem Prinzip der Privatautonomie entspreche. Schließlich verdienen Medicus’ Gedanken deshalb Aufmerksamkeit, da Medicus als Mitglied der Schuldrechtskommission zur Entstehung des heutigen § 313 BGB maßgeblich beitrug.374 10. Brox Auch Brox wollte die Geschäftsgrundlagenproblematik über eine ergänzende Vertragsauslegung lösen. a) Grundsätze Brox375 verstand die Geschäftsgrundlagenproblematik als einen Unterfall der ergänzenden Vertragsauslegung. Dem Institut der Geschäftsgrundlage fehle jegliche Eigenständigkeit.376 Brox ging sogar so weit, dass er die Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dem Bereich der Willensmängel zuordnete. Dies begründete er vor allem damit, dass in diesen Fällen der Wille der Parteien einen Mangel aufweise, weil mindestens ein unrichtiger „Wertungsmoment“ vorliege.377 Aus Gründen der Rechtssicherheit sei es erforderlich, dass beide Parteien ihrer Willenserklärung gleichermaßen einen fehlerhaften Wertungsmoment zugrunde gelegt haben.378 Dabei sei es irrelevant, ob sich die Parteien über die fraglichen Umstände tatsächlich Gedanken gemacht haben oder nicht.379 Entscheidend sei, dass der fragliche Umstand für den Parteiwillen ausschlaggebend war.380

371

Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 28. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 28. 373 Wieling, Jura 1985, S. 505 (508, 511); Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 179, 185; Willoweit, Jus 1988, S. 833 (840). 374 Huang, Zur Lehre von der Geschäftsgrundlage, S. 116. 375 Brox, JZ 1966, S. 761 (767); Nicklisch, BB 1980, S. 949 (949 ff.); Mayer-Maly, FS Flume Bd. I, S. 621 (626); Wieling, Jura 2001, S. 577 (584). 376 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 72 ff., 92 ff. und 178 ff.; ders., AT20, Rn. 427 ff.; ders., SchuldR25, Rn. 84; ders., JZ 1966, S. 761 (767). 377 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 180; ders., JZ 1966, S. 761 (767). 378 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 184; ders., AT20, Rn. 428. 379 Brox, AT20, Rn. 428. 380 Brox, AT20, Rn. 428. 372

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Bei Vorliegen eines „unrichtigen Wertungsmoments“ sei danach zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie bei ihrer Wertung die tatsächlichen Umstände zutreffend berücksichtigt hätten.381 Somit stellte Brox wie Medicus auf den hypothetischen Parteiwillen ab. Dieser war nach Brox „unter Berücksichtigung von Treu und Glauben“ zu ermitteln.382 Die Folge der ergänzenden Auslegung anhand des hypothetischen Parteiwillens sei entweder die Auflösung des Vertrags oder deren Anpassung.383 b) Kritik Da auch Brox – ähnlich wie Medicus – die Geschäftsgrundlagenproblematik über das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung lösen wollte, kann an dieser Stelle auf die Kritik an Medicus verwiesen werden.384 Zudem wurde Brox vorgeworfen, das „Willensdogma“ des BGB durch den Rückgriff auf Wertungsmomente, die den Parteien nicht bewusst waren, überstrapaziert zu haben.385 11. Nicklisch Nicklisch386 betonte die strukturelle Gleichheit von ergänzender Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlagenlehre. a) Grundsätze Nach Nicklisch387 sind die Grenzen zwischen der Geschäftsgrundlagenlehre und der ergänzenden Vertragsauslegung fließend. Die Unterschiede zwischen beiden Rechtsfiguren seien nur gradueller Natur.388 Beide Institute hätten die Funktion, vertragliche Lücken zu füllen und Vertragsrisiken zu verteilen.389 Dementsprechend befürwortete Nicklisch die „Entwicklung eines einheitlichen Instituts zur Lückenfüllung“.390

381

Brox, Irrtumsanfechtung, S. 185. Brox, JZ 1966, S. 761 (766). 383 Brox, AT20, Rn. 429; ders., SchuldR25, Rn. 84. 384 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 9. Medicus. 385 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 27 f. 386 Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952 f.). 387 Nicklisch, BB 1980, S. 949 (949 ff., 952 f.). 388 Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952 ff.). 389 Nicklisch, BB 1980, S. 949 (949 ff.); Littbarski, JZ 1981, S. 8 (11 ff.); Brox, JZ 1966, S. 761; Medicus, FS Flume Bd I, S. 629 (629 ff.). 390 Nicklisch, BB 1980, S. 949 (953). 382

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Strukturgleichheit bestehe zunächst auf der Tatbestandsseite.391 Sowohl die ergänzende Vertragsauslegung als auch die Geschäftsgrundlagenlehre würden eine Lücke voraussetzen. Diese Lücke werde durch „Änderungen der Wirklichkeit“ verursacht, die vertraglich nicht unmittelbar geregelt seien.392 Auf der Rechtsfolgenseite gebe es Unterschiede, die allerdings „nicht prinzipieller, sondern lediglich gradueller Art“ seien.393 Der Unterschied bestehe in der Methode der Lückenfüllung bzw. Rechtsfolgenbestimmung.394 Bei der Lückenfüllung durch eine ergänzende Vertragsauslegung könne „auf den realen, im Vertrag zum Ausdruck kommenden Parteiwillen abgestellt werden“.395 Normative Gesichtspunkte seien weniger erheblich. Die Lückenschließung im Rahmen der Geschäftsgrundlagenlehre hingegen orientiere sich verstärkt an normativen Elementen.396 Nach Nicklisch waren die Grenzen zwischen beiden Methoden der Lückenfüllung jedoch trotz der Unterschiede „mehr als fließend“.397 Daher befürwortete Nicklisch ein einheitliches Institut der Lückenfüllung mit einem zweistufigen Verfahren.398 Auf der ersten Stufe sei die Lücke in der vertraglichen Regelung dadurch zu schließen, dass man auf die realen Anknüpfungspunkte im Vertrag abstellt und damit den hypothetischen Parteiwillen ermittelt.399 Führe dies nicht zu einer ausreichenden Lösung, sei auf einer zweiten Stufe unter Berücksichtigung normativer Aspekte die Frage zu beantworten, wie ein verständiger und redlicher Vertragspartner sich verhalten würde, wenn er Kenntnis vom nicht geregelten Umstand gehabt hätte.400 Dieses einheitliche Institut der Lückenfüllung umfasse jedoch nicht die Fälle der großen Geschäftsgrundlage wie Änderungen durch Krieg, kriegsähnliche Zustände oder Inflation, da deren Lösung ausschließlich nach normativen Kriterien erfolge.401 b) Kritik Nicklischs Lehre wurde überwiegend abgelehnt. Hauptkritikpunkt war, dass der Unterschied auf der Rechtsfolgenseite von ergänzender Auslegung und dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage entgegen Nicklischs Auffassung nicht nur 391 392 393 394 395 396 397 398 399 400 401

Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952 f.). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (953). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (952). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (953). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (953). Nicklisch, BB 1980, S. 949 (953).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

graduell, sondern grundsätzlicher Natur sei, sodass diese beiden Institute sich gegenseitig ausschließen.402 Die Grenze der Vertragsauslegung werde dann überschritten, wenn sie zu einer Abänderung des geschlossenen Vertrags führe oder die Erweiterung des Vertragsgegenstandes zur Folge habe.403 Die Geschäftsgrundlagenlehre bezwecke im Gegensatz zur Vertragsauslegung gerade, dass der Vertrag angepasst werde, was unter Umständen eine völlige Auflösung des Vertrags bedeuten könne.404 12. Fikentscher Fikentschers Geschäftsgrundlagenlehre beruhte auf dem von ihm weit verstandenen § 242 BGB. a) Grundsätze Fikentscher405 sah in denen als „Geschäftsgrundlage“ benannten Fällen einen Ausschnitt einer aus § 242 BGB hergeleiteten „Theorie von den Vertrauensumständen“, mit der die Geschäftsgrundlagenprobleme gelöst werden sollten. Das Institut der Geschäftsgrundlage war nach Fikentscher ein Ausdruck des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei § 242 BGB gehe es darum, auf der Grundlage des Vertrauensprizips kraft Gesetzes Sonderverbindungen zu ergänzen und Korrekturen von Rechten und Pflichten vorzunehmen.406 Durch Konkretisierung sei zu ermitteln, welche Ergänzungen und Korrekturen in Betracht kommen.407 Das Problem der Geschäftsgrundlage sei kein selbstständiges Rechtsinstitut, sondern ein Teil der Theorie der Vertrauensumstände.408 Unter die Vertrauensumstände, die die Vertrauensgrundlage bilden, fasste Fikentscher „die von jeder Partei in ihren jeweiligen Risikorahmen aufgenommenen Umstände, deren Bedeutung für das von dieser Partei eingegangene Vertragsrisiko so groß ist, dass eine Abweichung in der Wirklichkeit von der Vorstellung der Partei bei Bildung ihres Zweckwillens es für die Partei unzumutbar macht, am Vertrag festgehalten zu werden“.409 Fikentscher entwickelte einen vierstufigen Gedankengang, mit dem er die maßgebende Vertrauensgrundlage und deren Auswirkungen auf den Vertrag ermittelte.410 402 403 404 405 406 407 408 409 410

Littbarski, JZ 1981, S. 8 (11 ff.); Roth, in: StaudingerKomm, BGB1, § 157 Rn. 9. Littbarski, JZ 1981, S. 8 (11). Littbarski, JZ 1981, S. 8 (11). Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 35 ff.; ders., SchuldR8, § 27, S. 136 f. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 129. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 138. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 137. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 137. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 139.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Auf der 1. Stufe fragte er danach, worauf die Parteien vertraut haben. Die 2. Stufe umfasste die Frage, ob auf einer der beiden Seiten dieses Vertrauen enttäuscht wurde. Auf der 3. Stufe sei zu ermitteln, ob diese Enttäuschung so beachtlich sei, dass dies für den Schuldner pflichtbefreiend oder für den Gläubiger pflichtbegründend wirke. Schließlich stellte Fikentscher auf der 4. Stufe die „Systemfrage“, ob nicht ein spezieller Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, wie beispielsweise Regeln über die Irrtümer oder Leistungsstörungen. Nach Fikentscher war die Erheblichkeit des enttäuschten Vertrauens im Sinne der 3. Stufe nach der vertragsspezifischen, vertragstypischen oder gesetzestypischen Risikoverteilung und den ihr zugrundeliegenden Wertungen zu konkretisieren.411 Um diesen Maßstab fallbezogen anwenden zu können, befürwortete Fikentscher das „Herausarbeiten von Fallgruppen“.412 Zu den pflichtbefreienden Vertrauensumständen im Sinne der 3. Stufe zählte er beispielsweise tatsächliche Umstände, die von wertgebender Bedeutung waren und von deren Fortbestand der Schuldner und der Rechtsverkehr ausgingen.413 Als Rechtsfolge der Anwendung von § 242 BGB musste nach Fikentscher versucht werden, den Vertrag an die veränderten Umstände anzupassen.414 Nur in Ausnahmefällen komme eine Vertragsauflösung in Betracht. b) Kritik Fikentschers Theorie der Vertrauensgrundlage wurde dahigehend kritisiert, dass sie mehr zur begrifflichen Verwirrung statt zur inhaltlichen Klärung beitrage.415 Er erhielt im Schrifttum jedoch auch Anerkennung dafür, die Grenzen des Vertragsinhalts nicht mit außerhalb liegenden Umständen verwischt und das normative Kriterium der Unzumutbarkeit methodisch sauber herausgearbeitet zu haben.416 13. Koller Koller lehnte ein eigenständiges Institut der Geschäftsgrundlage ab.

411 412 413 414 415 416

Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 138. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 139. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 140. Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 148. Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 33 f. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 27.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

a) Grundsätze Koller417 versuchte, die Geschäftsgrundlagenproblematik über Prinzipien der Risikozurechnung zu erfassen. Er unterschied zunächst zwischen dem Primär- und Sekundärzweck von Verträgen. Der Primärzweck diene dem Erhalt der Leistung. Der Sekundärzweck umschreibe die vom Leistungsempfänger mit der Leistung verfolgten Ziele.418 Das Störungsrisiko im Bereich des Primärzwecks sei nach den Regelungen des BGB dem Schuldner zuzuordnen. Im Bereich des Sekundärzwecks, d. h. nach Erbringung der Leistung durch den Schuldner, trage der Gläubiger das Störungsrisiko.419 Diese Starrheit wollte Koller durch spezielle Risikozuweisungskriterien korrigieren. Als Ausgangspunkt für seine Lehre entwickelte er ein System, das aus drei abgestuften Kriterien zur Risikozuweisung bei Austauschverträgen bestand. Damit bezweckte er einen sachgerechten Umgang mit (Zweck-)Störungen im Rahmen von Austauschverträgen.420 Koller bezeichnete seine drei Kriterien als das „Prinzip der abstrakten Beherrschbarkeit des Risikos“,421 „Prinzip der Risikoabsorption“422 und „Prinzip der arbeitsteiligen Veranlassung“.423 Nach dem Grundsatz der abstrakten Beherrschbarkeit sollte der Vertragsteil das Störungsrisiko tragen, der eher in der Lage war, die erforderlichen Gegenmaßnahmen zur Abwendung des Risikos zu treffen. Dies sei in der Regel die Partei, aus deren Sphäre das Risiko erwachse. Auf ein Verschulden komme es nicht an.424 Nach dem Absorptionsprinzip von Koller trägt im Falle eines unbeherrschbaren, aber vorhersehbaren Risikos die Partei das Risiko, die eher in der Lage war, das Risiko zu streuen oder zu kalkulieren, indem sie beispielsweise eine Versicherung abschließt.425 Sei das Risiko jedoch weder beherrschbar noch vorhersehbar gewesen, ermögliche das subsidiäre Prinzip der arbeitsteiligen Veranlassung eine Risikozurechnung. Danach trage jede Partei das Risiko, das dadurch verursacht wird, dass der andere Vertragsteil in ihrem Interesse tätig wird.426

417 418 419 420 421 422 423 424 425 426

Koller, Risikozurechnung, S. 77 ff. Koller, Risikozurechnung, S. 2. Koller, Risikozurechnung, S. 7 ff., 435. Koller, Risikozurechnung, S. 77. Koller, Risikozurechnung, S. 78. Koller, Risikozurechnung, S. 89. Koller, Risikozurechnung, S. 97. Koller, Risikozurechnung, S. 78 ff. Koller, Risikozurechnung, S. 89 ff. Koller, Risikozurechnung, S. 95 ff.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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b) Kritik Koller orientierte sich bei der Entwicklung seiner Kriterien der Risikozuweisung stark an den gesetzlichen Risikotragungsregeln des BGB und empfand lediglich die Rechtsfolge der gesetzlichen Regeln als zu starr. Mit dieser Ansicht befand sich Koller in dogmatischer Nähe zu Beuthien und Flume.427 Dies führte dazu, dass die Kritik, die gegenüber Beuthien und Flume hervorgebracht wurde, auch gegenüber Koller geäußert wurde: Er stütze sich zu einseitig auf die Vorschriften des BGB und erkenne nicht, dass die Geschäftsgrundlagenproblematik einen Lückencharakter besitze.428 14. Chiotellis Chiotellis429 war der Ansicht, dass die Theorien, die nur mit Hilfe von gesetzlichen Risikotragungsregeln oder aber vertraglichen Regelungen in Form der ergänzenden Vertragsauslegung430 versuchen, die Geschäftsgrundlagenproblematik zu lösen, zu einseitig waren.431 a) Grundsätze Chiotellis432 betonte, dass es in den Fällen der Geschäftsgrundlagenstörung stets eine sog. Doppellücke gebe, die bei der Lösung berücksichtigt werden müsse. Die erste Lücke sei eine gesetzliche, da das BGB bis zum Jahr 2002 keine Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage enthielt.433 Diese Lücke bezeichnete Chiotellis als Gesetzes- bzw. Prinziplücke.434 Die zweite Lücke war nach Ansicht von Chiotellis eine vertragliche, da die Parteien den Einfluss andersliegender oder veränderter Umstände auf den Vertrag nicht geregelt hätten.435 Der Mangel an einer vertraglichen Regelung, die sog. Vertragslücke, führe zu einer planwidrigen Äquivalenzstörung.436 Chiotellis sah „die Eigenartigkeit der Geschäftsgrundlagenproblematik gerade in ihrer Natur als Doppellücke“.437 Zur Lösung der Problematik sei zunächst die Gesetzes- bzw. Prinziplücke-Natur heranzuziehen, da der Vertrag keine Anhaltspunkte 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437

Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 6. Flume; 7. Beuthin. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 25 f. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 26. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 27. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 24 f. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 25. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 24. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 24 ff. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 24 f. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 25. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 25.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

zur Lückenschließung liefere.438 Andererseits müsse man aber wegen der Vertragslücke-Natur auch den konkreten Vertrag einschließlich seiner Individualregelungen berücksichtigen.439 Dieser Doppellücke-Natur wollte Chiotellis wie folgt gerecht werden: In einem ersten Schritt seien vorrangig die Normen des BGB, die das Äquivalenzprinzip in sich trugen, analog auf die Fälle der Geschäftsgrundlage anzuwenden, um die Prinziplücke zu füllen.440 Seien solche gesetzlichen Vorschriften nicht vorhanden, sei direkt aus dem „beschränkt-subjektiven Äquivalenzprinzip als Ausdruck der materialen Gerechtigkeit“ die Lücke zu schließen.441 Dieses Prinzip erfordere, dass die Äquivalenzstörung aufgehoben und das ursprüngliche Gleichgewicht der Leistungen wiederhergestellt wird, sobald die Beeinträchtigung das Maß der Angemessenheit überschreite.442 Das Äquivalenzprinzip biete jedoch aufgrund seiner allgemeinen und abstrakten Natur für die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Leistungen keine genauen Anhaltspunkte.443 Daher war nach Chiotellis das Unzumutbarkeitsprinzip als weiteres Prinzip erforderlich.444 Das Unzumutbarkeitskriterium leitete Chiotellis aus § 242 BGB ab. Für die Geschäftsgrundlagenfälle bestehe dann das Bedürfnis nach einer Regelung, wenn die Äquivalenzstörung die Schwelle der Unzumutbarkeit überschritten habe.445 Das Unzumutbarkeitsprinzip erfordere in solchen Fällen, dass die Herstellung bzw. Wiederherstellung des Gleichgewichtes in der Weise zu erfolgen hat, dass das Verhältnis von Leistung zur Gegenleistung wieder zumutbar wird.446 Voraussetzung sei jedoch auch, dass diese Wiederherstellung für die andere Partei zumutbar ist.447 Dies sei nur der Fall, wenn sich die Unzumutbarkeit der Äquivalenzstörung als nicht besonders schwerwiegend erweise. Sei die Wiederherstellung des Gleichgewichtes nur mit einer unverhältnismäßigen Verschiebung möglich, so verlange das Unzumutbarkeitsprinzip unter Zurückdrängung des Äquivalenzprinzips die Auflösung des Vertrags.448 Die Unzumutbarkeit wollte Chiotellis anhand der aus § 242 BGB entwickelten Konkretisierungsprinzipien (z. B. venire contra factum proprium) und anhand des konkreten Vertrags ermitteln.449 438 439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 449

Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 29 ff., 31, 181 f. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 29 ff., 181. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 29 ff., 33, 182. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 29 ff., 35 f., 182. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 33 ff. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 29 ff., 36, 182. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 36 ff. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 29 ff., 37, 182. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 43, 182. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 43, 182 f. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 43, 183. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 40 ff., 184.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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b) Kritik Chiotellis’ Überlegungen weisen keine völlig neuen Erkenntnisse auf. Denn die Kriterien, auf die sich Chiotellis stützt – wie der Vorrang der gesetzlichen Regelungen und die Anwendung des Unzumutbarkeitskriteriums – wurden bereits von zahlreichen anderen Literaten zur Lösung herangezogen. Chiotellis’ umfassende Auseinandersetzung mit der Geschäftsgrundlagenproblematik hat trotz der Regelung des § 313 BGB nicht an Aktualität verloren.450 Denn auch gegenwärtig verfahren wir bei der Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik nach einem ähnlichen Prinzip wie Chiotellis. Auch heute wird versucht, die gescheiterte Vertragsauslegung erst durch die gesetzlichen Risikoverteilungsregelungen und anschließend durch § 313 BGB unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung des Unzumutbarkeitskriteriums zu lösen. Die Darstellung der in der Lehre vertretenen, teilweise äußerst unterschiedlichen Ansichten führt unweigerlich zu der Frage, wie die Rechtsprechung mit der Geschäftsgrundlagenproblematik umging. II. Rechtsprechung Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Lehre nach dem 2. Weltkrieg hat gezeigt, dass die Diskussion um die Geschäftsgrundlagenproblematik intensiv und das Bedürfnis nach einer dogmatischen Lösung groß war. Die Rechtsprechung hatte sich nach dem 2. Weltkrieg bis zur Entstehung des § 313 BGB ebenfalls mit der Geschäftsgrundlagenproblematik auseinanderzusetzen. Vor allem die Geldentwertung und die Wiedervereinigung stellten eine Herausforderung für die Gerichte dar. Im folgenden Abschnitt wird untersucht, was die Rechtsprechung unter die Geschäftsgrundlagenproblematik fasste, wie sie versuchte diese zu lösen und inwiefern sie für die Lösung auf die Theorien der Lehre zurückgriff. Die Bedeutung der Rechtsprechung bis zur Kodifizierung der Geschäftsgrundlagenproblematik ist keinesfalls lediglich historischer Natur. Zum einen schlugen sich die Grundsätze der Rechtsprechung in der Kodifikation des § 313 BGB nieder, da sich der Gesetzgeber an der Judikatur orientierte.451 Zum anderen wendet die Rechtsprechung den heutigen § 313 BGB im Lichte ihrer früheren Entscheidungen an. Der BGH versuchte, die Geschäftsgrundlagenproblematik einzelfallbezogen zu erfassen. Er vermied eine streng dogmatische und befürwortete eine pragmatische

450 451

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 42. BT-Drucks. 14/6040, S. 175; 14/7052, S. 175.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Lösung anhand des konkreten Falles.452 Sinn und Zweck dieser an Pragmatismus orientierten Rechtsprechung war es, jeden Einzelfall befriedigend zu lösen. Das Fehlen einer strengen höchstrichterlichen Dogmatik bedeutet jedoch nicht, dass die Rechtsprechung keine klaren Ansätze zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik hatte. Vielmehr entwickelte die Rechtsprechung im Laufe der Zeit einige Grundsätze und Kriterien, die sie zur Lösung heranzog. 1. Subsidiarität der Geschäftsgrundlage Ein Grundsatz, der auch gegenwärtig Gültigkeit beansprucht,453 ist der Grundsatz der Subsidiarität der Geschäftsgrundlage. Mit diesem Grundsatz beschränkt die Rechtsprechung von vornherein den Anwendungsbereich der Geschäftsgrundlage und betont den im Grunde unstreitigen Vorrang vertraglicher und gesetzlicher Regelungen. a) Vorrang des Vertrags Der BGH differenziert ausdrücklich zwischen dem Vertragsinhalt und der Geschäftsgrundlage dahingehend, dass eine vertragliche Regelung nicht zugleich Geschäftsgrundlage sein kann.454 Dementsprechend betont die Rechtsprechung, dass „die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht anwendbar sind, wenn bereits der Vertrag Regeln über das Fehlen, den Wegfall oder die Veränderung bestimmter Umstände enthält“.455 Die Rechtsprechung berücksichtigt somit vorrangig die vertragliche Regelung, indem sie die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB anwendet.456 Wo der Grundsatz der ergänzenden Vertragsauslegung zu einer dem Willen der Parteien entsprechenden Lösung führe, sei kein Raum für das Institut der Geschäftsgrundlage. b) Vorrang gesetzlicher Regelungen Zudem verzichtet der BGH auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, wenn gesetzliche Vorschriften bestehen, die den Sachverhalt abschließend regeln.457 452

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 46; Braun, JuS 1979, S. 692 (696). Aus der jüngeren Rechtsprechung vgl. BGH NJW-RR 2005, S. 205 (206). 454 BGH NJW 1983, S. 2034 (2036); NJW 1984, S. 1177 (1178); ZIP 1991, S. 60. 455 BGH NJW 1953, S. 1585 (1585 ff.); NJW 1959, S. 2109; WM 1971, S. 1120 (1121); WM 1978, S. 322 (323); NJW 1981, S. 2034 (2036). 456 BGH NJW 1981, S. 2241 (2242 ff.); NJW 1984, S. 1177 (1178); NJW-RR 1990, S. 601 (602); OLG Frankfurt MDR 1985, S. 52; OLG Saarbrücken NJW-RR 2001, S. 752 (752 ff.). Aus der jüngeren Rechtsprechung vgl. BGH NJW 2005, S. 205 (205 f.); NJW 2009, S. 1348 (1349). 457 BGH NJW 1952, S. 1371 (1372); NJW 1955, S. 59 (61); NJW 1998, S. 3716 (3719); WM 1977, S. 730 (735). 453

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Nach Ansicht des BGH besteht die Gefahr einer Lösung über das Geschäftsgrundlageninstitut darin, dass die speziellen Voraussetzungen und der Zweck der gesetzlichen Regelung umgangen werden.458 Diese Gefahr sei besonders groß, wenn die Rechtsfolge der gesetzlichen Norm und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage identisch sind.459 Nur falls Tatbestand und Rechtsfolge nicht übereinstimmen, sei eine gleichrangige Anwendung möglich.460 2. Definition der Geschäftsgrundlage Der BGH geht bis zum heutigen Tag bei der Bestimmung der Geschäftsgrundlage von Oertmanns Theorie aus. a) Oertmanns Geschäftsgrundlagenverständnis als Ausgangspunkt Oertmanns Lehre von der Geschäftsgrundlage wurde in der vorliegenden Arbeit bereits dargestellt.461 Der BGH schloss sich, wie auch schon das Reichsgericht, im Grundsatz Oertmann an und definierte als Geschäftsgrundlage „die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber bei Vertragsabschluss zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Parteien oder die dem anderen Teil erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille sich aufbaut“.462 Diese in der Rechtsprechung benutzte, an Oertmann angelehnte Begriffsbestimmung wurde oftmals als bloßes „Ornament“ bezeichnet.463 Ihr wurde keine entscheidende Bedeutung beigemessen, weil sie ohne Einfluss auf die praktischen Ergebnisse geblieben sei. Diese Kritik ist darauf zurückzuführen, dass die Rechtsprechung neben Oertmanns Definition weitere Erwägungen anstellte und oft nicht prüfte, ob sich die Parteien tatsächlich irgendwelche Vorstellungen gemacht hatten.464 Dies überrascht nicht, da die Geschäftsgrundlagenproblematik zumeist in Sachverhalten entstand, in denen sich die Parteien gerade keine Vorstellungen ge458

Roth, in: MüKo, BGB4, § 242 Rn. 690. Roth, in: MüKo, BGB4, § 242 Rn. 690. 460 BGH NJW 1955, S. 59 (61); NJW 1964, S. 861 461 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 4. Oertmanns sog. Geschäftsgrundlagenlehre. 462 BGH NJW 1951, S. 836; NJW 1953, S. 1585; NJW 1958, S. 297 (297 f.); NJW 1964, S. 861; NJW 1973, S. 1685 (1686); NJW 1979, S. 1818; NJW 1982, S. 2184 (2185); NJW 1993, S. 259 (262); NJW 1995, S. 592 (593); NJW 1995, S. 2028 (2031); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 3371 (3372); NJW 1999, S. 1623 (1625); NJW 2001, S. 1204 (1205); NJW-RR 2006, S. 1037 (1038). 463 Vgl. allein Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 40; Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 45; Kegel, f. d. 40. DJT I, S. 135 (157, 161). 464 BGH NJW 1997, S. 320 (323). Kritisch dazu Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 40; Kegel, f. d. 40. DJT I, S. 135 (157); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 67. 459

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macht hatten. Dementsprechend modifizierte die Rechtsprechung in einigen Fällen Oertmanns subjektive Formel durch objektive Ansätze. b) Modifikation Im Jahre 1953 legte der BGH seinem Geschäftsgrundlagenverständnis objektive Kriterien zugrunde. Das Gericht betonte Folgendes: „Ist die Geschäftsgrundlage weggefallen und kann mit Rücksicht auf den Geschäftszweck dem Verpflichteten ein Festhalten an dem Vertrag nicht zugemutet werden, so ist zunächst zu prüfen, ob der Vertrag nicht der wirklichen Sachlage angepasst werden kann“.465 Noch deutlicher zeigt sich in einem Urteil aus dem Jahre 1973, dass der BGH neben der subjektiven Formel auch objektive Ansätze zur Bestimmung der Geschäftsgrundlage berücksichtigt und sich dabei auf § 242 BGB stützt.466 Der BGH bezog sich in jenem Urteil auf Larenz’ Lehre und fasste unter die Geschäftsgrundlage die Umstände und Verhältnisse, die objektiv erforderlich sind, damit der Vertrag im Sinne beider Vertragsparteien noch als sinnvolle Regelung bestehen kann.467 c) Zwischenergebnis Die Rechtsprechung beantwortete die Frage nach der Geschäftsgrundlage eines Vertrags grundsätzlich anhand Oertmanns Definition. Dennoch kam der BGH nicht umhin, zur Lösung der Geschäftsgrundlagenfälle auch objektive Kriterien heranzuziehen. Zwar folgte die Rechtsprechung keiner streng dogmatischen Lösung anhand einer bestimmten Lehre. Doch sie entwickelte objektive Kriterien, die zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik beitrugen. 3. Kriterien der Rechtsprechung zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik Neben der bereits erwähnten restriktiven Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts durch den Grundsatz der Subsidiarität468 zog die Rechtsprechung vor allem die Kriterien der Risikozuweisung und der Unzumutbarkeit vertraglicher Pflichten zur Lösung heran. a) Risikozuweisung Die Rechtsprechung räumte dem Risikozuweisungsprinzip ähnlich wie die Literatur469 einen hohen Stellenwert ein. Maßgeblich sei, dass Umstände, die nach dem 465 466 467 468 469

BGH MDR 1953, S. 282 (283). BGH NJW 1973, S. 1685 (1686). BGH NJW 1973, S. 1685 (1686). Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., II., 1. Subsidiarität der Geschäftsgrundlage. Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 4. Kegel; 6. Flume.

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Vertragszweck ersichtlich in den Risikobereich der einen Partei fallen, dieser grundsätzlich kein Recht geben, sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen.470 Aus diesem Grundsatz leitete die Rechtsprechung beispielsweise her, dass der Schuldner einer Sachleistung das Beschaffungsrisiko trägt.471 Der Geldschuldner hingegen trage das Zahlungs-472 und das Verwendungsrisiko.473 Das normale Geldentwertungsrisiko trage wiederum der Geldgläubiger.474 Dementsprechend machte der BGH nur restriktiven Gebrauch vom Geschäftsgrundlageninstitut und stützte sich auf die Prinzipien der Risikozuweisung.475 In der Hemingway-Entscheidung beispielsweise betonte der BGH, dass die betroffene Produktionsfirma das wirtschaftliche Risiko ihres Gewinnes trage.476 In jenem Fall ging es um Mehrkosten, die dadurch entstanden waren, dass ein Film über Ernest Hemingway in einer längeren Fassung produziert wurde als ursprünglich vereinbart. Der BGH verneinte die Kostentragungspflicht des Auftraggebers hinsichtlich der Mehrkosten. Entscheidend für die Risikozuweisung an die Produktionsfirma als Auftragnehmerin sei, dass die Produktionsfirma die Länge des Filmes bestimmen konnte und ihren Planungsfehler nicht auf den Auftraggeber übertragen sollte. Die restriktive Tendenz des BGH ist auch in seiner Entscheidung zum sog. Einkaufszentrumsfall zu erkennen. Dort betonte der BGH, dass das Gewinnerzielungsrisiko im Rahmen eines gewerblichen Mietvertrags beim Mieter liege.477 Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage sei daher kein Raum.478 Die Rechtsprechung zog als Risikozuweisungskriterien zudem die Merkmale der Vorhersehbarkeit und des Verschuldens heran. Die Vertragspartei, welche die wesentliche Änderung der Umstände vorausgesehen hat, voraussehen hätte können oder die Änderung selber herbeigeführt hat, könne sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.479 Als anschauliches Beispiel für die Bedeutung des Vorhersehbarkeitskriteriums dient eine Entscheidung, die auf die Ölkrise der 70er Jahre zurückzuführen ist.480 Der BGH verneinte in dieser Entscheidung die Anwendung des Geschäftsgrundlagen470

BGH NJW 1976, S. 555 (566); NJW 2000, S. 1714 (1716). BGH NJW 1997, S. 2262 (2262 ff.); NJW-RR 1993, S. 880 (881 ff.); NJW 1978, S. 322. 472 BGH WM 1979, S. 204 (204); WM 1982, S. 532 (532). 473 BGH NJW 1979, S. 1818 (1819); NJW 1979, S. 1309. 474 BGH NJW 1959, S. 2203; NJW-RR 1993, S. 271 (272); NJW 1976, S. 142; NJW 1976, S. 846 (847); NJW 1981, S. 1668; Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 242, 251 ff. 475 BGH NJW 2000, S. 1714; NJW-RR 1993, S. 880 (881 f.). 476 BGH NJW-RR 1993, S. 880 (881 f.). 477 BGH NJW 2000, S. 1714 (1714 ff.). 478 BGH NJW 2000, S. 1714 (1716). 479 BGH WM 1978, S. 322 (322 ff.); NJW 1981, S. 1668 (1669); NJW 2002, S. 3695 (3697 f.). 480 BGH WM 1978, S. 322 (322 ff.). 471

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instituts, obwohl der Preis für Rohöl innerhalb eines Jahres um das Sechsfache gestiegen war. Der BGH betonte, dass das Risiko der Preissteigerung grundsätzlich beim Öllieferanten gelegen habe, da ein Festpreis vereinbart worden war.481 Entscheidungserheblich für die Verneinung des Geschäftsgrundlageninstituts sei jedoch, dass der Öllieferant als Kaufmann die Krise im Jahre 1973 hätte voraussehen und dementsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen können.482 Die Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts ließ das Gericht ausnahmsweise dann zu, wenn die normative Risikozuweisung zu unbilligen Ergebnissen führte.483 Dementsprechend bejahte der BGH im sog. Bierlieferungsfall einen Wegfall der Geschäftsgrundlage.484 Der Bierlieferungsfall handelte von einem Bierlieferungsvertrag, der während der Herrschaft des Schahs geschlossen worden war. Nach der Machtübernahme von Khomeini im Jahre 1979 wurde unter der Androhung der Todesstrafe ein Alkoholverbot im Iran eingeführt. Der BGH entschied in diesem Fall, dass eine Vertragsanpassung angezeigt sei und beide Parteien das Risiko zur Hälfte tragen müssten.485 Vor allem verneinte der BGH das Argument, dass die politische Entwicklung im Iran hätte vorausgesehen werden können.486 Diese Entscheidung ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen, weil der BGH trotz seiner restriktiven Tendenz im Umgang mit der Geschäftsgrundlagenproblematik einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bejahte. Zum anderen, weil in der vom BGH befürworteten Rechtsfolge – der hälftigen Schadensteilung – Kegels Theorie der großen Geschäftsgrundlage wiederzuerkennen ist.487 b) Unzumutbarkeit Das aus § 242 BGB abgeleitete Kriterium der Unzumutbarkeit war und ist nach der Rechtsprechung der zentrale Schwerpunkt der Geschäftsgrundlagenproblematik. Nachdem bereits das Reichsgericht die Unzumutbarkeit zum entscheidenden Kriterium erhob,488 betonte auch der BGH die Bedeutung dieses Kriteriums und hält bis zum heutigen Tage daran fest.489

481

BGH WM 1978, S. 322 (322 ff.). Beispielsweise die Einlagerung von größeren Mengen zu einem geringeren Preis treffen können. 483 BGH NJW 1984, S. 1746 (1747); NJW 1990, S. 2620 (2621); NJW 1984, S. 2212 (2212 f.); NJW 1993, S. 52; NJW-RR 1999, S. 237. 484 BGH NJW 1984, S. 1746. 485 BGH NJW 1984, S. 1746 (1747). 486 BGH NJW 1984, S. 1746 (1747). 487 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 4. Kegel. 488 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II., 4. Wachsende Bedeutung des Unzumutbarkeitskriteriums. 489 BGH NJW 1982, S. 2184 (2185); NJW 1995, S. 47 (48); NJOZ 2009, S. 791 (791 ff.). 482

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Der BGH formuliert das Unzumutbarkeitskriterium wie folgt: „Angesichts der überragenden Bedeutung, die im Vertragsrecht dem Grundsatz der Vertragstreue zukommt, ist die Berufung auf eine Erschütterung der Geschäftsgrundlage nur ausnahmsweise zulässig, wenn dies zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich erscheint“.490 Das so verstandene Unzumutbarkeitskriterium ist somit ein Tatbestandsmerkmal, das die Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auslöst.491 Allerdings ist es ein Tatbestandsmerkmal, welches diese Rechtsfolge nur unter sehr eingeschränkten Umständen zulässt.492 Denn die Formulierung des BGH hat gezeigt, dass die Bejahung der Unzumutbarkeit zahlreiche Voraussetzungen hat. Der BGH begründet diese hohe Hürde damit, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Ausnahme zu dem Grundsatz pacta sunt servanda darstellt und deswegen eine „Opfergrenze“ als äußerste Grenze des Tragbaren überschritten sein muss.493 Trotz seiner strengen Voraussetzungen bot das Unzumutbarkeitskriterium dem BGH eine gewisse Flexibilität. Denn bei der Prüfung der Unzumutbarkeit berücksichtigte der BGH die besonderen vertraglichen Vereinbarungen und deren Umstände sowie die wirtschaftliche Lage der Parteien im Einzelfall.494 Diese Vorgehensweise ermöglichte es dem BGH, durch wertende Kriterien eine gewisse Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Freilich wurde dies vor allem von der Literatur nicht selten als „Billigkeitsjurisprudenz“ bezeichnet.495 Bei der Anwendung des Unzumutbarkeitsprinzips verwendete der BGH zeitbezogene und personenbezogene Umstände als Kriterien.496 Zeitliche Umstände berücksichtigte der BGH bei der Subsumtion unter den Begriff der Unzumutbarkeit, indem er nach der Vertragsdauer fragte.497 Je länger die Vertragsdauer war, desto niedriger siedelte der BGH die Opfergrenze an.498 Begründet wurde dies mit der höheren Anfälligkeit eines längeren Vertragsverhältnisses. Persönliche Umstände berücksichtigte der BGH im Rahmen von personenbezogenen Verträgen, die sich durch ein gesteigertes Maß an Fürsorge-, Schutz- und 490 BGH NJW 1982, S. 2184 (2186); NJW 1976, S. 565 (566); WM 1978, S. 322 (323); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 1702 (1705); WM 1964, S. 1253 (1254); MDR 1969, S. 212 (212 ff.); NJW 1985, S. 313 (314 f.); NJW 2001, S. 2402 (2407); BeckRS 2012, 21007. 491 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 50 f. 492 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 51. 493 BGH NJW 1986, S. 2054 (2055). 494 BGH NJW 1952, S. 137 (137 f.); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 41. 495 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 41; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 117 ff. 496 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 53. 497 BGH BeckRS 1958, 31195304. 498 BGH BeckRS 1958, 31195304.

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Rücksichtnahmepflichten auszeichnen.499 Durch diesen Personenbezug entstehe eine spezielle vertragliche Verknüpfung.500 Das persönliche Element steht bei derartigen Verträgen im Vordergrund, sodass der BGH die Unzumutbarkeit wesentlich schneller bejahte.501 c) Zwischenergebnis Zentrale Kriterien für die höchstrichterliche Würdigung der Geschäftsgrundlagenfälle waren das normative Risikozuweisungsprinzip, die Vorhersehbarkeit sich ändernder Umstände und das Verschulden sowie das Prinzip der Unzumutbarkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine klare Grenzziehung zwischen diesen Prinzipien nicht möglich und wohl auch nicht beabsichtigt war. Das Prinzip der normativen Risikozuweisung beispielsweise spiegelte regelmäßig die grundsätzlich fehlende Unzumutbarkeit wider.502 Anhand dieser Kriterien entwickelte der BGH einen Weg, angemessene Lösungen für die Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu finden. 4. Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Der BGH versuchte die Geschäftsgrundlagenfälle anhand der dargestellten Kriterien zu lösen. Dabei sah sich der BGH vor allem mit den Fallgruppen der Äquivalenzstörung und der Zweckstörung konfrontiert. Bei der Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik innerhalb dieser Fallgruppen wandte der BGH die Kriterien der Risikozuweisung und der Unzumutbarkeit an, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden. a) Äquivalenzstörung Die Äquivalenzstörung ist Ausfluss wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen und ist dementsprechend die wichtigste Fallgruppe der Geschäftsgrundlagenfälle. Der BGH begegnete Äquivalenzstörungen infolge der Geldentwertung oder der Veränderung wirtschaftlicher Verhältnisse unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Institut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage. Um die Bedeutung der Äquivalenzstörung in der Rechtsprechung des BGH darzulegen, wird unter aa) zunächst die Rechtsprechungspraxis des BGH vor der Kodifikation des § 313 BGB skizziert. Zur Verdeutlichung wird unter bb) die deutsche Wiedervereinigung als Beispiel ausführlicher dargestellt.

499

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 53. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 165. 501 Vgl. allein BGH LM § 242 (Bb) Nr. 6; Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 53; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 165. 502 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 51. 500

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aa) Rechtsprechungspraxis Der BGH bejahte einen Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund von Äquivalenzstörungen dann, wenn ein wesentliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestand und dieses Missverhältnis die Interessenlage der Beteiligten in erheblichem Maße beeinträchtigte.503 Dieses Verständnis des BGH zeigt die Bedeutung der bereits dargestellten Kriterien der Rechtsprechung zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik. Denn die Frage, wann das Missverhältnis zwischen den Parteien wesentlich und in erheblichem Maße beeinträchtigend ist, beantwortete der BGH unter Rückgriff auf diese Kriterien. Dies ist in den Entscheidungen des BGH bis zur Entstehung des § 313 BGB erkennbar. So verneinte der BGH im sog. Kaliabbaufall einen Wegfall der Geschäftsgrundlage, indem er hohe Anforderungen an die Unzumutbarkeit und Unvorhersehbarkeit der Geldentwertung stellte und die Wirkung des Nominalprinzips betonte.504 Nach dem Nominalprinzip sind Verbindlichkeiten, die auf einen konkreten Geldbetrag ausgerichtet sind, nicht vom Wertverlust abhängig und daher zu dem Betrag zu erfüllen, zu dem sie vertraglich festgelegt wurden.505 Im Kaliabbaufall entschied der BGH, dass ein Absinken des Geldwertes um zwei Drittel keine Vertragsanpassung rechtfertige und den Grundsatz pacta sunt servanda nicht durchbrechen könne.506 Der BGH löste die Fälle der Äquivalenzstörung wegen einer Geldentwertung auch nach dem Prinzip der Risikozuweisung und verneinte regelmäßig einen Wegfall der Geschäftsgrundlage.507 Grundsätzlich trage der Gläubiger einer Geldleistung das Risiko der Geldentwertung.508 Der BGH begründete dies ebenfalls mit der Wirkung des Nominalprinzips. Auch bei der Geldentwertung innerhalb langfristiger Miet- oder Pachtverträge ging der BGH äußerst restriktiv vor. So hielt der BGH eine Anpassung der gewerblichen Miete bei einer Geldentwertung von beinahe 70 % für nicht angebracht, wenn keine Gefahr für die Wirtschaftlichkeit des Grundstücks bestünde.509 Ausnahmsweise befürwortete der BGH eine Anpassung der Leistungspflicht oder die Erhöhung der Gegenleistung, wenn die Äquivalenzstörung unzumutbar war. Die Unzumutbarkeit bejahte der BGH beispielsweise in den Fällen, in denen die Lebenshaltungskosten bestimmte Werte und damit auch die sog. Opfergrenze überschritten hatten.510 So befürwortete er in einem Streit um die Erhöhung eines Erb503 504 505 506 507 508 509 510

BGH NJW 1959, S. 2203 (2203 ff.). BGH NJW 1959, S. 2203 (2204). Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 251. BGH NJW 1959, S. 2203. BGH NJW 1981, S. 818 (819 ff.). BGH NJW 1979, S. 1151 (1154 f.). BGH WM 1975, S. 1131 (1132). BGH NJW 1985, S. 126 (127); NJW 1990, S. 2620 (2621).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

bauzinses den Wegfall der Geschäftsgrundlage und die damit verbundene Notwendigkeit der Zinserhöhung, da die Lebenshaltungskosten um 158,9 % angestiegen waren.511 In einem anderen Streit, in dem es auch im die Erhöhung eines Erbbauzinses ging, lehnte der BGH hingegen die Erhöhung des Erbbauzinses ab.512 Der BGH begründete dies damit, dass ein Anstieg der Lebenshaltungskosten um 75 % seit Vertragsabschluss „angesichts des Risikocharakters“ langjähriger Verträge die Unzumutbarkeitsgrenze nicht überschreite.513 bb) Die DDR als Beispiel für die Bedeutung der Geschäftsgrundlagenproblematik Die Ausführungen zur Rechtsprechungspraxis bei Äquivalenzstörungen haben gezeigt, dass der BGH nicht jede spürbare Veränderung im Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung als Geschäftsgrundlagenproblematik einstufte. Vielmehr legte der BGH strenge Maßstäbe an. Dabei übersah er jedoch nicht, dass manchmal Fragen im Zusammenhang mit tiefgreifenden Veränderungen von Rechtsund Wirtschaftssystemen entstehen und diese Fragen mit dem Institut Wegfall der Geschäftsgrundlage beantwortet werden können. Die deutsche Wiedervereinigung ist ein bezeichnendes historisches Beispiel für die tiefgreifende Veränderung rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen. Im Zuge der Ereignisse in den Jahren 1989 und 1990 wurden zahlreiche vertragliche Vereinbarungen, die zuvor unter anderen Rechtssystemen und Umständen getroffen wurden, in ihrem Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung gestört.514 Vor allem die Veränderung des Preisgefüges führte zu erheblichen Äquivalenzstörungen. Daher stellte sich die Frage, ob die vertraglichen Vereinbarungen an die neue Situation angepasst werden mussten. Der BGH nahm zwar auch hier keinen Automatismus zwischen den veränderten Umständen und der Geschäftsgrundlagenstörung an. So verneinte er in einem Fall, in dem über die Rückzahlung von Altkrediten aus der Zeit vor der Währungsumstellung gestritten wurde, eine Vertragsanpassung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage.515 Den Kredit hatte die Staatsbank der DDR einem sog. volkseigenen Betrieb zur Finanzierung eines Kaufvertrags gewährt, wobei die Kaufpreiszahlung zusätzlich zum Kredit durch staatliche Förderung unterstützt werden sollte. Diese Unterstützung blieb nach der Wiedervereinigung aus. Der BGH begründete die Verneinung einer Vertragsanpassung zu Gunsten des Kreditnehmers damit, dass der Kredit511

BGH NJW 1985, S. 126 (127). BGH WM 1976, S. 1034. Einen Wegfall der Geschäftsgrundlage mangels Unzumutbarkeit der gestiegenen Lebenshaltungskosten verneinte der BGH in zahlreichen Streitigkeiten um die Erhöhung des Erbbauzinses, vgl. allein BGH WM 1969, S. 64 (65); WM 1974, S. 427 (428); WM 1976, S. 429 (429 f.). 513 BGH WM 1976, S. 1034 (1034). 514 Görk, Deutsche Einheit, S. 3; Prölss/Armbrüster, DtZ 1992, S. 203 (204 ff.). 515 BGH NJW 1995, S. 47 (47 ff.). 512

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nehmer „trotz der Altkreditschuldenbelastung existenz- und konkurrenzfähig war“.516 Die Voraussetzung, dass „ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde und der betroffenen Partei daher nicht zuzumuten ist“, sei nicht erfüllt.517 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage erwies sich jedoch für den BGH trotz der Verneinung eines Automatismus zwischen Äquivalenzstörungen und Geschäftsgrundlagenproblematik als wichtiges Instrument zur Lösung von Wiedervereinigungsproblemen. So bejahte der BGH den Wegfall der Geschäftsgrundlage in einem Fall, in dem Ende 1989/Anfang 1990 ein Kaufvertrag über eine Druckgussmaschine eigentlich zur Hälfte über Staatshaushaltsmittel der DDR finanziert werden sollte.518 Die Käuferin erhielt die zugesagte staatliche Zahlung im Juni 1990 nicht, sodass sie ihrer Zahlungsverpflichtung gegenüber der Verkäuferin nicht nachkommen konnte. Hier konstatierte der BGH, dass eine Vertragsanpassung angezeigt ist. Er betonte zwar zunächst seine grundsätzlich restriktive Haltung beim Scheitern einer vorgesehenen Finanzierung. Diese sei „regelmäßig nicht als Wegfall der Geschäftsgrundlage anzusehen“, weil „dies in die Sphäre des Schuldners“ falle.519 Man dürfe jedoch nicht übersehen, dass dieser Grundsatz „vor dem Hintergrund einer funktionierenden Marktwirtschaft“ entwickelt worden sei.520 Damit berücksichtigte der BGH, dass die Rahmenbedingungen der sozialistischen Planwirtschaft andere waren. Die Käuferin habe keine Wahl gehabt und habe darauf vertrauen müssen, dass sie die zugesagten Finanzmittel erhält.521 Da die Käuferin zumindest Ende 1989/ Anfang 1990 die Umbruchphase und die rasche Einheit im Jahr 1990 nicht habe absehen können, sei sie „im Hinlick auf die im Plan vorgesehene Kreditfinanzierung bei Vertragsschluss kein ihr zurechenbares Risiko eingegangen“.522 Diese Rechtsprechung des BGH stellte keinen Einzelfall dar. Vielmehr plädierte das Gericht regelmäßig für eine Vertragsanpassung, wenn zwischen sog. volkseigenen Betrieben der DDR Verträge geschlossen wurden, bei der Vertragserfüllung staatlich zugesagte Hilfsmittel ausblieben und es an einer Risikoübernahme fehlte.523

516

BGH NJW 1995, S. 47 (49). BGH NJW 1995, S. 47 (48). 518 BGH NJW 1993, S. 259 (259 ff.). 519 BGH NJW 1993, S. 259 (262). 520 BGH NJW 1993, S. 259 (262). 521 BGH NJW 1993, S. 259 (262). 522 BGH NJW 1993, S. 259 (262). 523 BGH ZIP 1995, S. 1935 (1935 ff.). Vgl. auch BGH DtZ 1996, S. 46 (46 ff.) zu den Besonderheiten aufgrund des Altschuldenhilfegesetzes aus dem Jahr 1993, wonach Zinshilfen und eine endgültige Befreiung von Altkreditschulden im Zusammenhang mit der DDR möglich waren. 517

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In einer weiteren Entscheidung stellte der BGH fest, dass der Zusammenbruch des Ostblocks einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen kann.524 In diesem Fall hatte ein sog. volkseigener Betrieb der DDR von einer bundesrepublikanischen GmbH Lizenzen erworben, um Produkte der GmbH im Ostblock zu verkaufen. Die Lizenzgebühren wurden auf der Grundlage jährlich erwarteter Verkaufszahlen langfristig festgelegt. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verwirklichten sich die Verkaufserwartungen nicht. Der BGH verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht und betonte, dass das Berufungsgericht prüfen müsse, „ob ein Wegfall der Geschäftsgrundlage zu einer Minderung der Lizenzgebühr geführt oder […] die Befugnis verschafft hätte, den Lizenzvertrag für die Zukunft mit der Folge zu kündigen, dass die vereinbarten Zahlungen zeitanteilig entfallen wären“.525 Mangels hinreichenden Parteivortrags hatte der BGH nicht genügend Tatsachenmaterial, um seine Kriterien der Risikozuweisung und Unzumutbarkeit zu füllen.526 Der BGH gab dem Berufungsgericht daher auf, den Fall anhand der entsprechenden Kriterien zu untersuchen. Der Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Systems in der DDR und der darauffolgende Beitritt zur Bundesrepublik waren einzigartige historische Ereignisse und hatten erhebliche rechtliche Wirkungen.527 Zu diesen rechtlichen Wirkungen gehörten zahlreiche Vertragsstörungen. Die dargestellten Entscheidungen zeigen beispielhaft, wie der BGH versuchte, diese Vertragsstörungen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu lösen. b) Zweckstörung Der BGH nahm teilweise auch in den Fällen der Zweckstörung, d. h. wenn die tatsächlich mögliche Leistung infolge einer nachträglichen Veränderung der Umstände für den Gläubiger ihren Sinn verloren hat,528 einen Wegfall der Geschäftsgrundlage an. Vor allem die Fälle des sog. beiderseitigen Irrtums löste der BGH über den Wegfall der Geschäftsgrundlage.529 So entschied der BGH in einem Urteil aus dem Jahre 1967, dass die von beiden Parteien nicht erwartete Hinauszögerung der Erteilung einer Baugenehmigung nach dem Verkauf eines Grundstücks einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Folge haben kann.530 Die Parteien seien bei Vertragsabschluss übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Kaufvertrag in kurzer Zeit erfüllt und auf dem gekauften Grundstück das „zu erstellende Mietwohnhaus alsbald 524 525 526 527 528 529 530

BGH DtZ 1995, S. 285 (289). BGH DtZ 1995, S. 285 (290). BGH DtZ 1995, S. 285 (290). Görk, Deutsche Einheit, S. 296. Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 447 Rn. 43. BGH NJW 1967, S. 721 (722); NJW 1976, S. 565 (566); BeckRS 1966, 31179730. BGH NJW 1967, S. 721 (722).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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errichtet“ werde.531 Die Hoffnung beider Parteien, alsbald eine Baugenehmigung zu erhalten, habe sich als unbegründet dargestellt. Durch die unvorhergesehene Hinauszögerung habe sich der Sachverhalt derart tiefgreifend verändert, dass der Vertrag nach Treu und Glauben zunächst nicht mehr wie geplant durchgeführt werden könne.532 Der BGH betonte dabei stets, dass „Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage […] nicht ohne Weiteres zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses“ führen.533 „Eine Befreiung einer oder beider Vertragsparteien von ihren vertraglich übernommenen Pflichten kommt vielmehr nur insoweit in Betracht, als Treu und Glauben dies gebieten“.534 Deshalb sei primär zu fragen, „ob der Vertrag nicht in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der wirklichen Sachlage angepasst werden kann“.535 Unter dieser restriktiven Prämisse löste der BGH auch die „ehebedingten Fälle“, in denen sich die Frage stellte, ob die Auflösung der Ehe einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen kann. Grundsätzlich war der BGH zurückhaltend darin, die Eheauflösung als Wegfall der Geschäftsgrundlage einzustufen. Zum Ausdruck kam diese restriktive Haltung auch in den Fällen, in denen sich ein Ehepartner zu Gunsten des anderen verbürgte und sich nach Auflösung der Ehe die Frage stellte, ob die Grundlage für den Bürgschaftsvertrag entfallen sein könnte. So entschied der BGH in einem Urteil, dass eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage grundsätzlich nicht möglich ist, wenn sich der Ehegatte für Schulden seines Ehepartners gegenüber dessen Verwandten verbürgt und die Ehe im Nachhinein scheitert.536 Der BGH betonte, dass „bei einer Haftungsübernahme für fremde Schulden […] an die Bejahung eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein strenger Maßstab anzulegen“ sei.537 Denn bei derartigen Geschäften übernehme der eine Teil „schlechthin und uneingeschränkt“ das Risiko, dass der Schuldner bei Fälligkeit der Schuld leisten könne.538 Die bloße Erwartung, dass die Ehe bestehen werde, reiche „nicht aus für die Annahme“, dass der Geschäftswille auch auf dieser „unsicheren Erwartung“ aufbaut.539 Vielmehr könne der Fortbestand der Ehe nur dann Geschäftsgrundlage für den Bürgschaftsvertrag sein, wenn eine dahingehende

531 532 533 534 535 536 537 538 539

BGH NJW 1967, S. 721 (722). BGH NJW 1967, S. 721 (722). BGH NJW 1967, S. 721 (722); NJW 1976, S. 565 (567). BGH NJW 1976, S. 565 (567). BGH NJW 1976, S. 565 (567) mit Hinweis auf BGH NJW 1967, S. 721 (722). BGH NJW 1987, S. 1629 (1630). BGH NJW 1987, S. 1629 (1630). BGH NJW 1987, S. 1629 (1630). BGH NJW 1987, S. 1629 (1630).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

übereinstimmende Vorstellung existierte und erkennbar war.540 Selbst dann verwirkliche sich jedoch in der Inanspruchnahme des betroffenen ehemaligen Ehepartners aus dem Bürgschaftsvertrag „gerade das Bürgschaftsrisiko“.541 Diese restriktive Grundhaltung des BGH bedeutete jedoch nicht, dass in den „Bürgschaftskonstellationen“ nie Raum für den Wegfall der Geschäftsgrundlage war. So bejahte der BGH einen Wegfall der Geschäftsgrundlage in einem Fall, in dem sich die Frage stellte, ob nach einer Eheauflösung der Zweck der Bürgschaft wegen der Vermögenslosigkeit des Bürgen entfallen war.542 Der BGH betonte auch hier, dass bei Haftungsvereinbarungen für fremde Schulden grundsätzlich kein Raum für den Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht.543 Doch die Besonderheit in diesem zu entscheidenden Sachverhalt war nach Ansicht des BGH, dass die Bürgschaft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des sich verbürgenden Ehepartners weit überschritt, ohne sittenwidrig zu sein. In dieser Konstellation war nach Ansicht des BGH mit der Eheauflösung der Zweck der Bürgschaft nicht mehr zu erreichen.544 Denn in einem derartigen Fall sei Grundlage des Bürgschaftsvertrags, dass der Bürgschaftsgläubiger für sich „Nachteile durch Vermögensverlagerungen zwischen den Partnern“ vermeiden möchte.545 Mit der Auflösung der Ehe entfalle jedoch auch die Gefahr der Vermögensverlagerung zwischen den Eheleuten.546 Für die Bürgschaft fehle es dann „an den Umständen und Verhältnissen, deren Fortdauer erforderlich ist, damit der Vertrag eine den Intentionen beider Parteien entsprechende sinnvolle Regelung darstellen kann“.547 Ausgehend von der restriktiven Grundhaltung wollte der BGH die Fälle der Zweckstörung, in denen es um den Ausgleich ehebedingter Zuwendungen ging, über das Familienrecht lösen.548 Nach dieser sog. güterrechtlichen Lösung des BGH stellten die Bestimmungen des BGB über den Zugewinnausgleich für derartige ehebedingte Zuwendungen ein „Ausgleichssystem“ zur Verfügung.549 Demnach bedürfe es keines Rückgriffs auf die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage.550 Lediglich zur Korrektur „schlechthin unangemessener und untragbarer Ergebnisse“ könne ein Rückgriff auf § 242 BGB erfolgen.551 540

BGH NJW 1987, S. 1629 (1630). BGH NJW 1987, S. 1629 (1630). 542 BGH NJW 1995, S. 592 (592 ff.). 543 BGH NJW 1995, S. 592 (593), mit Verweis auf BGH NJW 1987, S. 1629 (1629 f.). 544 BGH NJW 1995, S. 592 (593 f.). 545 BGH NJW 1995, S. 592 (594). 546 BGH NJW 1995, S. 592 (594). 547 BGH NJW 1995, S. 592 (594). 548 BGH NJW 1976, S. 328 (329); NJW 1982, S. 1093 (1094); NJW 1991, S. 2553 (2554 f.). 549 BGH NJW 1976, S. 328 (329); NJW 1982, S. 1093 (1094); NJW 1991, S. 2553 (2554). 550 BGH NJW 1991, S. 2553 (2554). 551 BGH NJW 1982, S. 1093 (1094); NJW 1991, S. 2553 (2554). 541

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Eine derartige Unangemessenheit nahm der BGH beispielsweise in einem Fall an, in dem Gütertrennung vereinbart war und der benachteiligte Ehegatte während der Ehe erhebliche Arbeitsleistungen im Betrieb des bevorzugten Ehegatten erbracht hatte.552 Der BGH betonte zunächst, dass „Arbeitsleistungen, die ein Ehegatte zugunsten seines Ehepartners erbringt und mit denen er dessen Vermögen steigert“, begrifflich nicht als Zuwendungen definiert werden könnten.553 Denn eine Zuwendung setze stets die „Übertragung von Vermögenssubstanz“ voraus, wozu „das ZurVerfügung-Stellen“ von Arbeitskraft nicht gehöre.554 Dennoch könne auch bei erbrachten Arbeitsleistungen nach Scheitern der Ehe ein Ausgleichsanspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejaht werden, „wenn die Beibehaltung der Vermögensverhältnisse […] dem benachteiligten Ehegatten nicht zuzumuten ist“.555 Auch wenn es sich in der Konstellation, die dem BGH vorlag, nicht um Zuwendungen, sondern um Arbeitsleistung handelte, wandte der BGH die Grundsätze zu ehebedingten Zuwendungen an.556 Die erhebliche Arbeitsleistung sei „um der Ehe willen“ und als Beitrag zur ehelichen Lebensgemeinschaft erfolgt.557 Im Scheitern der Ehe liege ein Wegfall der Geschäftsgrundlage und könne zu einem Ausgleichsanspruch führen, wenn die Aufrechterhaltung der durch die Leistungen hervorgerufenen Vermögenslage dem benachteiligten Ehepartner nicht zuzumuten sei.558 5. Rechtsfolge Der BGH betonte, dass das Institut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Ausnahme zum Grundsatz pacta sunt servanda darstellt.559 Dies erklärt die äußerst zurückhaltende Haltung des BGH zum Anwendungsbereich des Geschäftsgrundlageninstituts. Der Ausnahmecharakter war auch der wesentliche Grund dafür, dass die Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in erster Linie eine Vertragsanpassung sein sollte und nach dem BGH nur „ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses“ führt.560 In der Regel befürwortete der BGH „aus Gründen der Vertragstreue“ die Vertragsanpassung „in einer den berechtigten Interessen beider Partner Rechnung tragenden Form“.561

552 553 554 555 556 557 558 559 560 561

BGH NJW 1994, S. 2545. BGH NJW 1994, S. 2545. BGH NJW 1994, S. 2545 mit weiteren Nachweisen. BGH NJW 1994, S. 2545. BGH NJW 1994, S. 2545 (2545 f.). BGH NJW 1994, S. 2545 (2545 f.). BGH NJW 1994, S. 2545 (2545 f.). BGH NJW 1967, S. 721 (722); BeckRS 1967, 31178035. BGH NJW 1953, S. 1585; 1967, S. 721 (722). BGH NJW 1967, S. 721 (722).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Die Vertragsanpassung erfolgte nach Ansicht des BGH ipso iure aus § 242 BGB, d. h. von Amts wegen.562 Daher betreibe das Gericht keine Rechtsgestaltung, sondern Rechtsfindung, weil der Richter den sich direkt aus § 242 BGB ergebenden Anspruch feststelle und als Leistungs- oder Feststellungsurteil ausspreche.563 Dass die Rechtsänderung in Gestalt der Vertragsanpassung ipso iure eintritt, sagt noch nicht, wie die Vertragsanpassung stattfindet.564 Der BGH verwendete auch hier das Kriterium der Unzumutbarkeit, um im Einzelfall unter Abwägung der Vertragsinteressen flexible sowie angemessene Lösungen zu finden.565 Somit war das Unzumutbarkeitskriterium für den BGH sowohl Tatbestandskriterium als auch Maßstab der Rechtsfolge.566 Erst als ultima ratio567 kam für den BGH eine Vertragsauflösung als Rechtsfolge in Betracht.568 Nur wenn eine Vertragsanpassung den veränderten Verhältnissen keine Rechnung tragen könne und den Parteiinteressen nicht gerecht werde, komme eine Auflösung des Vertrags in Betracht.569 Der Grundsatz der Vertragstreue dürfe lediglich dann durch eine Vertragsauflösung durchbrochen werden, „wenn dies nach der Gesamtlage notwendig erscheint, um untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbare Ergebnisse zu vermeiden, wenn also beim Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage dem Schuldner die Erfüllung des Vertrags schlechthin nicht zugemutet werden kann“.570 Die Rechtsfolge der Vertragsauflösung als ultima ratio trat nach Ansicht des BGH nicht kraft Gesetzes ein. Vielmehr bedürfe es einer gesonderten rechtsgestaltenden Erklärung, beispielsweise einer Rücktrittserklärung.571 6. Bewertung der Rechtsprechung Die Darstellung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis zur Kodifizierung des § 313 BGB hat gezeigt, dass sich die Gerichte in zahlreichen Fällen mit dem Institut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage beschäftigten. Dabei versuchte die Rechtsprechung durch die Anwendung bestimmter Kriterien im Einzelfall gerechte Lösungen zu schaffen. 562

BGH NJW 1972, S. 152 (153); NJW 1997, S. 320 (324). BGH NJW 1972, S. 152 (153); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 57. 564 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 262. 565 BGH BeckRS 1953, 31201812. 566 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 117. 567 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 55; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 108. 568 BGH NJW 1953, S. 1585; BeckRS 1967, 31178035. 569 BGH NJW 1953, S. 1585 (1586). 570 BGH BeckRS 1967, 31178035. 571 BGH NJW 1987, S. 2674 (2676); NJW 1993, S. 1641 (1642). 563

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Die erörterte Herangehensweise der Rechtsprechung blieb jedoch nicht frei von Kritik. Es wurde dargestellt, dass sich die Rechtsprechung an Oertmanns Formel zur Geschäftsgrundlage orientierte.572 Doch der BGH hatte Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung von Oertmanns subjektiver Formel und der Bestimmung der Parteivorstellungen. So kam es zu Urteilen wie der sog. Klimbim-Entscheidung, in der der BGH keine bewusste Vorstellung der Parteien verlangte und es ausreichen ließ, dass der Umstand für die Parteien „selbstverständlich“ war.573 Diese Argumentation wurde als äußerst vage empfunden und erfuhr deshalb Kritik.574 Der Umstand, dass der BGH die Oertmannsche Formel anhand objektiver Kriterien modifizierte, trug wenig zur Überzeugung der Kritiker bei. Denn der BGH sah sich dann wiederum dem Vorwurf der Inkonsequenz und der fehlenden Dogmatik ausgesetzt.575 Vor allem die Betonung der Einzelfallgerechtigkeit durch den BGH war Anlass für den Vorwurf, dass eine überzeugende dogmatische Lösung fehlt. Dem BGH kann jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich bei der Suche nach einer dogmatischen Lösung nicht auf das „Minenfeld“576 der Literaturmeinungen begab. Abgesehen davon, dass die vom BGH mit einfacheren Kriterien entwickelten Ergebnisse sich weitestgehend mit den theoretischen Ansätzen in der Literatur deckten,577 schaffte es der BGH gerade dadurch, dass er sich keiner schematischen Lösung anschloss, angemessene Lösungen zu finden. Die von der Rechtsprechung angestrebte Flexibilität auf der Tatbestands- sowie auf der Rechtsfolgenebene half bei der Würdigung unterschiedlichster Lebenssachverhalte und führte billige Ergebnisse herbei. Es trifft auch nicht zu, dass die Rechtsprechung die Lehrmeinungen unberücksichtigt ließ. Auf die Bedeutung Oertmanns wurde bereits hingewiesen. Darüber hinaus arbeitete der BGH mit den Kriterien der Risikozuweisung und der Unzumutbarkeit, die von der Literatur – vor allem von Larenz, Kegel und Flume578 – entwickelt wurden. Positiv hervorzuheben ist zudem der Umstand, dass die vom BGH bereits vor der Kodifikation angewandten Kriterien der Risikozuweisung und Unzumutbarkeit die Entstehung des § 313 BGB wesentlich beeinflussten und Eingang in die gesetzliche Fassung fanden. Auch die Kodifikation der Rechtsfolge war an der Rechtsprechung des BGH orientiert, sodass die Vertragsanpassung in § 313 BGB als primäre

572 573 574 575 576 577 578

Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 4. Oertmanns sog. Geschäftsgrundlagenlehre. BGH NJW 1997, S. 320 (323). Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 67. Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 180 f. Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 58. Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 59. Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 1. Larenz; 4. Kegel; 6. Flume.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Rechtsfolge festgelegt wurde.579 Diese Beispiele zeigen, dass die Rechtsprechung des BGH auch den Gesetzgeber überzeugte.580 III. Ergebnis der Lehren und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB Die Darstellung der Lehren und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB hat gezeigt, dass es eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschäftsgrundlagenthematik gab. Vor allem in der Literatur wurden zahlreiche Theorien und Lösungsansätze entwickelt, um angemessen auf Geschäftsgrundlagenstörungen im Rahmen von Vertragsverhältnissen reagieren zu können. Neben Ansätzen, die ein eigenständiges Institut Wegfall der Geschäftsgrundlage ablehnten (z. B. Beuthien und Flume581) oder das Problem der veränderten Umstände anhand einer Vertragsauslegung lösen wollten (z. B. Brox, Medicus und Nicklisch582), wurden differenzierte theoretische Unterscheidungen wie zwischen der „großen“ und „kleinen“ (z. B. Kegel583) oder der „objektiven“ und „subjektiven“ (z. B. Larenz584) Geschäftsgrundlage als Lösungsvorschläge angeboten. Allein diese punktuelle Aufzählung zeigt, welche Bandbreite an Modellen existierte. Trotz der Vielzahl an Ansätzen konnte keines der Modelle die Geschäftsgrundlagenproblematik umfassend lösen, obwohl einige Lehrmeinungen beachtliche Erfolge erzielten und Spuren bis in die Gegenwart hinterließen. Beispielgebend kann hier erneut Larenz’ Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage585 genannt werden. Unter Berücksichtigung der zahlreichen Theorien, die im Ergebnis jedoch keine umfassende Lösung bieten konnten, verwundert es nicht, dass der BGH restriktiven Gebrauch vom Geschäftsgrundlageninstitut machte. Er stützte sich dabei auf bestimmte Kriterien (der Vorrang vertraglicher und gesetzlicher Regelungen, die Unzumutbarkeit und die Risikozuweisung), stellte im Übrigen auf die Einzelfallgerechtigkeit ab und befürwortete als primäre Rechtsfolge die Vertragsanpassung.

579 Ein Unterschied zur Rechtsprechung des BGH vor der Kodifikation besteht darin, dass nach der Rechtsprechung die Vertragsanpassung kraft Gesetzes erfolgte. Seit der Kodifizierung ist dies nicht mehr der Fall. Die Vertragsanpassung kann vielmehr nur von den Parteien verlangt werden. 580 BT-Drucks. 14/6040 S. 175; 14/7052, S. 175. 581 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 6. Flume; 7. Beuthin. 582 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 9. Medicus; 10. Brox; 11. Nicklisch. 583 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 4. Kegel. 584 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 1. Larenz. 585 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts; Kapitel 1, § 1, B., II. Rechtsprechung.

§ 2 Kodifikation des § 313 BGB

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Dem BGH kann die fehlende Dogmatik bei der Lösung der Geschäftsgrundlagenfälle in der Rechtspraxis kaum zum Vorwurf gemacht werden. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis zur Entstehung des § 313 BGB stellte die Gerichte vor große Herausforderungen, weil sich die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen stark veränderten. Obgleich der BGH die Geschäftsgrundlagenproblematik durchaus angemessen anpacken konnte, war die Situation vor der Kodifikation vor allem im Hinblick auf die Rechtssicherheit nicht befriedigend. Denn unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen bestand die Gefahr, dass sich eine unüberschaubare Kasuistik zur Geschäftsgrundlagenproblematik entwickelt. Daher wurde es Zeit, dass sich der Gesetzgeber mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage befasste. Der Gesetzgeber wandte sich schließlich im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 der Geschäftsgrundlagenthematik zu.

§ 2 Kodifikation des § 313 BGB A. Gesetzliche Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Teil 1 dieser Arbeit hat gezeigt, dass sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung der Versuch unternommen wurde, eine Lösung für die Geschäftsgrundlagenproblematik zu finden. Der deutsche Gesetzgeber löste dieses Problem im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2002 durch die Einführung des § 313 BGB. Im Folgenden wird erörtert, welche Motive den Gesetzgeber zur Kodifikation bewegten, durch welche Vorarbeiten der Weg für eine gesetzliche Fassung bereitet wurde und zu welcher Gesetzesfassung sich der Gesetzgeber schließlich entschloss. I. Rechtslage vor der Schuldrechtsreform Das BGB trat erstmals im Jahre 1900 in Kraft. Aufgrund der politisch, wirtschaftlich und sozial stabilen Lage bestand zu jener Zeit kein großes Bedürfnis für die Kodifizierung des Geschäftsgrundlagenproblems. Die Verfasser des BGB sprachen sich gegen die Einführung einer allgemeinen Regelung für die Fälle der Geschäftsgrundlage aus.586 Es gab auch damals jedoch Einzelbestimmungen im BGB, die Spezialfälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor der Schuldrechtsreform regelten, wie z. B. § 593 BGB587 und § 779 BGB.588 Auch im Öffentlichen Recht existierte bereits vor der Kodifizierung im BGB eine gesetzliche Ausprägung des Geschäftsgrundlageninstituts in Gestalt des § 60 VwVfG, der den Wegfall der Geschäftsgrundlage innerhalb öffentlich-rechtlicher Verträge regelt.

586 587 588

Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 273. Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 975. Rösler, ZGS 2003, S. 383 (387).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Im Laufe der Zeit änderte sich die zuvor stabile wirtschaftliche, politische und soziale Lage Deutschlands aufgrund zahlreicher Faktoren wie beispielsweise der Geldwertentwertung und der wirtschaftlichen Schieflage nach den Weltkriegen oder aber der Währungsumstellung nach der Wiedervereinigung Deutschlands.589 Diese Veränderungen führten dazu, dass ein großes Bedürfnis bestand, den veränderten Umständen mit der Einführung einer allgemeinen Regelung im BGB gerecht zu werden. II. Vorarbeiten bis zur Kodifizierung Das BGB wies nicht nur im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlagenproblematik Defizite auf, sondern auch in Bezug auf das Leistungsstörungsrecht, die Verjährung, den Verbraucherschutz und das Institut der culpa in contrahendo.590 Dementsprechend wuchs das Bedürfnis nach einer Reform des Schuldrechts stetig. Für den Gesetzgeber bot es sich an, die Defizite mit einer umfassenden Reform zu beheben. 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform Bereits im Jahre 1978 machte der damalige Justizminister Hans-Jochen Vogel auf das Ziel einer Reform des Schuldrechts aufmerksam.591 Vogel und andere Befürworter der Schuldrechtsreform betonten vor allem das Ziel, die Rechtsordnung übersichtlicher und verständlicher zu machen.592 Im Zuge dieser Forderungen wurden in den 80er Jahren Gutachten von Wissenschaftlern und Praktikern mit Vorschlägen zur Reform des Schuldrechts erstellt.593 Im Jahre 1984 kam es im Bundestag zur Bildung einer Schuldrechtskommission, die ihre Arbeit im Jahre 1992 mit dem Abschlussbericht zur Überarbeitung des Schuldrechts beendete.594 Obwohl 1994 auf dem 60. Juristentag die Mehrheit der Juristen die Vorschläge der Kommission zur Schuldrechtsreform begrüßten, kam es zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Gesetzesänderung. Grund hierfür war, dass sich der Gesetzgeber im Bereich des Kaufrechts an den damals im Entwicklungsprozess befindlichen Verbrauchsgüterkaufrichtlinien der EU-Kommission orientieren wollte, um von vornherein Europarechtskonformität zu gewährleisten.595 Die Tatsache, dass die Arbeiten an der

589

Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., II., 4., a), bb) Die DDR als Beispiel für die Bedeutung der Geschäftsgrundlagenproblematik 590 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 43; Däubler-Gmelin, NJW 2001, S. 2281 (2281). 591 Plenarprotokoll des BT 8/68, S. 5390. 592 BMJ Gutachten Bd. I, S. V f. 593 Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I, II und III. 594 BMJ Abschlußbericht, S. 13 ff. 595 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 44; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 70 f.; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, Das neue Schuldrecht, S. 6 f.

§ 2 Kodifikation des § 313 BGB

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Richtlinie eine längere Zeit in Anspruch nahmen als beabsichtigt, zögerte die Schuldrechtsmodernisierung weiter hinaus.596 In den Jahren 1999 und 2000 ergingen die EU-Richtlinien, auf die der Gesetzgeber gewartet hatte.597 Die Umsetzung der Richtlinien ins nationale Recht nutzte der Gesetzgeber, um endlich die Schuldrechtsreform zu initiieren. Im Jahre 2000 legte das Bundesjustizministerium einen Entwurf zur Reform des Schuldrechts vor.598 Dieser Entwurf wich kaum von den Vorschlägen der Schuldrechtskommission aus dem Jahre 1992 ab. Aus dem Entwurf des Bundesjustizministeriums wurde der Entwurf der Bundesregierung.599 Der Entwurf wurde als sog. „große Lösung“ bezeichnet.600 Diese Bezeichnung ist darauf zurückzuführen, dass sich der Entwurf nicht nur auf die Umsetzung der Richtlinien richtete, sondern eine weitgehende Neustrukturierung des Schuldrechts vorsah.601 Diese „große Lösung“ wurde von zahlreichen Wissenschaftlern kritisiert. Die Kritiker plädierten für eine sog. „kleine Lösung“. Die Befürworter der „kleinen Lösung“ waren der Ansicht, dass die Schuldrechtsreform übereilt und die Einzelheiten noch nicht hinreichend durchdacht worden seien.602 Es bestehe die Gefahr, dass die grundlegende und bewährte Struktur des BGB verändert würde. Ferner wurde die Geschwindigkeit der Reform kritisiert.603 Die Schuldrechtsmodernisierung sollte am 01. 01. 2002, zeitgleich mit der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, in Kraft treten.604 Aufgrund des Zeitdruckes bestünde die Gefahr, dass die Qualität der Schuldrechtsreform leide.605

596

Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 44. Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 23 f.; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 70. Es handelte sich um folgende Richtlinien: Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. I. 171, S. 12; Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. EG Nr. L 200, S. 35; Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2000 über den elektronischen Geschäftsverkehr, ABl. EG Nr. L 178, S. 1. 598 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 44; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 24. 599 Däubler-Gmelin, NJW 2001, S. 2281 (2288 f.). 600 Däubler-Gmelin, NJW 2001, S. 2281 (2282); Canaris, JZ 2001, S. 499 (524). 601 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 44. 602 Altmeppen, DB 2001, S. 1821 (1822); Ernst/Gsell, ZIP 2000, S. 1410 (1410). 603 Krebs, DB 2000, Beilage Nr. 14, S. 1 (27 f.). 604 Altmeppen, DB 2001, S. 1821 (1822); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 44, Fn 103. 605 Krebs, DB 2000, Beilage Nr. 14, S. 1 (27 f.). 597

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Trotz dieser Kritik setzte sich die „große Lösung“ durch. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001606 wurde die Reform in Gestalt der „großen Lösung“ beschlossen. 2. Der Weg zur Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Die Idee, die Geschäftsgrundlagenthematik gesetzlich zu verankern, war zum Zeitpunkt der Schuldrechtsreform nicht neu. Bereits im Jahre 1892 schlug Windscheid eine Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor.607 Auch Kegel vertrat die Auffassung, dass die Geschäftsgrundlagenlehre durch einen Absatz 2 innerhalb des § 242 BGB einzuführen sei.608 Bis zur Verankerung des Geschäftsgrundlageninstituts im BGB vergingen jedoch nach Windscheids und Kegels Vorschlag noch viele Jahrzehnte. Bei der Kodifizierung im Jahre 2002 spielten die Gutachten, die in den 80er Jahren im Zuge der Forderungen nach einer Schuldrechtsreform entstanden sind,609 eine tragende Rolle. a) Gutachten aus dem Jahre 1981 Im vorangegangenen Abschnitt wurde dargestellt, dass im Zuge der Forderungen nach einer Reform des Schuldrechts in den 80er Jahren Gutachten von Wissenschaftlern und Praktikern mit Vorschlägen zur Reform des Schuldrechts erstellt wurden. Im Rahmen dieser Gutachten befassten sich Horn610 und Huber611 mit der Kodifizierung der Geschäftsgrundlagenlehre. aa) Ansicht von Horn Nach Horn war der Wegfall der Geschäftsgrundlage „kodifikationsreif“.612 Horn vertrat die Ansicht, dass ein Bedürfnis bestehe, den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Gesetz zu regeln.613 Dabei bezog sich Horn ausdrücklich auf Kegel, um die Notwendigkeit der Kodifikation zu untermauern.614 Kegel bemerkte seinerzeit, dass sich das „Gebilde“ der Geschäftsgrundlage „hinreichend gefestigt“ habe.615 Ohne Kodifikation würde das Gesetzbuch stehenbleiben und „an Lebenskraft“ verlieren.616 606

BGBl. I, S. 3138. Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (200 ff.). 608 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (233). 609 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts; Kapitel 1, § 1, B., II. Rechtsprechung. 610 Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (insbesondere 576 ff.). 611 Huber, BMJ Gutachten Bd. I, S. 647 (647 ff.). 612 Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (629). 613 Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (629 ff.). 614 Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (629 f.). 615 Kegel, Gutachten f. d 40. DJT I, S. 135 (233). 607

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Horn wollte, dass der Ausnahmecharakter dieses Rechtsinstituts bei der Kodifikation zur Geltung kommt und der Grundsatz pacta sunt servanda nicht unterlaufen wird.617 Der Tatbestand sollte nach Horn anhand der Auswirkungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage festgelegt werden. Dabei maß Horn der gesetzlichen Risikoverteilung ein besonderes Gewicht bei. Als Rechtsfolge befürwortete Horn die Vertragsanpassung, nur ausnahmsweise solle der Vertrag beendet werden. Die betroffene Partei sollte nach Horns Vorstellung einen Anspruch auf Vertragsanpassung haben.618 Zudem müsse eine sog. Neuverhandlungspflicht Niederschlag im Gesetz finden.619 Mit dieser Pflicht wollte Horn, dass die Parteien zunächst über die Anpassung verhandeln sollten, bevor der Richter sich damit beschäftigt.620 Die Neuverhandlungspflicht sollte sowohl für den Wegfall der Geschäftsgrundlage als auch für die Kündigung aus wichtigem Grund gelten.621 Nach dem Vorschlag von Horn bedurfte es zur Regelung der Geschäftsgrundlagenproblematik der Einführung von zwei Normen. In § 242 Abs. 2 BGB wollte Horn den Wegfall der Geschäftsgrundlage wie folgt regeln:622 Wird eine vertragliche Leistung durch äußere Umstände in erheblicher Weise erschwert oder entwertet, so kann die benachteiligte Vertragspartei eine angemessene Verteilung der Nachteile auf beide Parteien durch Anpassung des Vertrags verlangen, sofern sie mit den Umständen nicht zu rechnen brauchte, insbesondere das Risiko ihres Eintrittes oder ihrer Auswirkungen nach dem Sinn des Vertrags nicht übernommen hatte, und ihr das unveränderte Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist. Ist eine Vertragsanpassung nicht möglich oder nicht zumutbar, so kann stattdessen Vertragsauflösung verlangt werden. Die Anpassung oder Auflösung wird durch Einigung der Parteien oder durch gerichtliche Entscheidung vollzogen.

In einem § 315a BGB wollte er die Neuverhandlungspflicht statuieren:623 (1) Ist ein Vertrag gemäß § 242 Abs. 2 oder § 361a Abs. 2624 anzupassen, so kann jeder Vertragsteil verlangen, dass die Parteien binnen angemessener Frist über eine einvernehmliche Vertragsanpassung oder die Bestellung eines Dritten gemäß § 317, der über die Anpassung alsbald entscheiden soll, neu verhandeln. Wird das Verlangen im Rechtsstreit über die Anpassung gestellt, so bestimmt das Gericht die angemessene Nachverhandlungsfrist, vor deren Ablauf es in der Sache nicht entscheidet.

616 617 618 619 620 621 622 623 624

Kegel, Gutachten f. d 40. DJT I, S. 135 (233). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (630). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (631). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (633). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (640). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (633). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (636). Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (640). Kündigung aus wichtigem Grund, Anmerkung der Verfasserin.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

(2) Neuverhandlungen können nicht verlangt werden, wenn sie aussichtslos oder für den anderen Vertragsteil unzumutbar sind.

bb) Ansicht von Huber Huber sprach sich gegen die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus.625 Nach Huber war eine abschließende Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht möglich, da der Geschäftsgrundlagenlehre kein einheitliches dogmatisches Konzept zugrunde liege.626 Eine Bestimmung, in der versucht werde, das gesamte Spektrum der Lehre von der Geschäftsgrundlage abzudecken, sei wegen ihrer Allgemeinheit verfehlt.627 Eine derartige Lehre vereine „unter den Etiketten der außergewöhnlichen Umstände und der Zumutbarkeit heterogene, nicht zusammengehörige Probleme und Gesichtspunkte“.628 b) Abschlussbericht der Kommission aus dem Jahre 1992 Der Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts aus dem Jahre 1992 schloss sich der Ansicht Horns an und schlug vor, eine Vorschrift über das Fehlen und den Wegfall der Geschäftsgrundlage im BGB aufzunehmen.629 Die Kommission erwog zunächst, den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Anschluss an § 242 BGB einzufügen,630 erachtete jedoch im Ergebnis § 306 BGB als geeigneten Standort, da die Geschäftsgrundlagenproblematik grundsätzlich bei Verträgen auftrete.631 § 306 BGB sollte nach dem Vorschlag der Kommission (§ 306 BGB-KE) wie folgt lauten:632 (1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderungen vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. (2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. (3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für 625 626 627 628 629 630 631 632

Huber, BMJ Gutachten Bd. I, S. 647 (747 ff.). Huber, BMJ Gutachten Bd. I, S. 647 (748). Huber, BMJ Gutachten Bd. I, S. 647 (748). Huber, BMJ Gutachten Bd. I, S. 647 (748). BMJ Abschlußbericht, S. 150. BMJ Abschlußbericht, S. 150. BMJ Abschlußbericht, S. 150. BMJ Abschlußbericht, S. 146, 291.

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Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 307 BGBKE.

§ 306 Abs. 1 BGB-KE regelte die Voraussetzungen für das Fehlen und den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die strikten Anforderungen, die vor der Kodifizierung an einen Wegfall der Geschäftsgrundlage gestellt worden sind, wurden übernommen.633 § 306 Abs. 1 BGB-KE sollte alle Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, mit Ausnahme der in § 306 Abs. 2 BGB-KE geregelten Fälle der subjektiven Geschäftsgrundlage, erfassen.634 Die Kommission verwendete dabei eine objektivierende Formulierung, da eine derartige Formulierung nach Ansicht der Kommission den Ergebnissen der Rechtsprechung besser Rechnung trägt.635 Primäre Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sollte auch hier die Anpassung des Vertrags sein, § 306 Abs. 3 BGB-KE. Erwähnenswert ist, dass die Kommission erwog, Regelbeispiele für besonders wichtige Fallgruppen wie zum Beispiel für die Äquivalenzstörung, die Leistungserschwernisse und die Zweckstörung zu kodifizieren.636 Sie sah jedoch davon ab, da nur eine sehr allgemeine Formulierung der Regelbeispiele möglich sei und eine derartige Formulierung „zum Verständnis des Rechtsinstituts der Geschäftsgrundlage und für die Rechtsanwendung kaum zusätzliche Verbesserungen“ bringe.637 Da der Gesetzgeber die Reform des Schuldrechts und die damit einhergehende Kodifikation des Geschäftsgrundlageninstituts mit der Umsetzung von erwarteten EG-Richtlinien verbinden wollte,638 wurde der Abschlussbericht der Kommission erst einige Jahre später wieder relevant. c) Diskussionsentwurf (DiskE) aus dem Jahre 2001 Nach Erlass der erwarteten europarechtlichen Richtlinien im Jahre 1999 wurde Anfang August 2001 der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes639 veröffentlicht. Im DisKE wurden die Vorschläge der Kommission nahezu unverändert übernommen.640 Dies galt auch für den Vorschlag der Kommission zur Formulierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage: § 307 BGB-DiskE enstprach 633

BMJ Abschlußbericht, S. 150. BMJ Abschlußbericht, S. 151. 635 BMJ Abschlußbericht, S. 151. 636 BMJ Abschlußbericht, S. 151. 637 BMJ Abschlußbericht, S. 151. 638 Vgl. oben Kapitel 1, § 2, A., II., 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform. 639 Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministeriums der Justiz mit dem Stand vom 04. 08. 2000, abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 3 – 347. 640 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung, S. X; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 78; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 45. 634

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

dem § 306 BGB-KE beinahe wortwörtlich.641 Der einzige Unterschied war, dass sich gem. § 307 Abs. 2 BGB-DiskE „wesentliche Vorstellungen“ als falsch herausstellen mussten, während § 306 Abs. 2 BGB-DiskE lediglich von „Vorstellungen“ sprach. Die Pläne, das Geschäftsgrundlageninstitut im Sinne des § 307 BGB-DiskE ins BGB einzuführen, erfuhren großen Zuspruch.642 Freilich blieb die Fassung des § 307 BGB-DiskE nicht ohne Kritik. Zahlreiche Stimmen erhoben Einwände gegen § 307 BGB-DiskE.643 aa) Kritik an § 307 BGB-DiskE Kritisiert wurde, dass § 307 BGB-DiskE den Ausnahmecharakter des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht hinreichend zum Ausdruck bringe. Zu befürchten sei eine unangemessene Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.644 Die Länge bzw. die Ausführlichkeit der Entwurfsbegründung vermittle den Eindruck, dass dem Institut kein Ausnahmecharakter mehr zukomme und der Grundsatz pacta sunt servanda unterlaufen werde.645 Dauner-Lieb vertrat sogar die Auffassung, dass eine Nichtregelung des Geschäftsgrundlageninstituts dem Ausnahmecharakter am ehesten entspreche.646 Zudem wurden Bedenken hinsichtlich des Standorts der Kodifikation geäußert. Aufgrund des Umstands, dass die Geschäftsgrundlagenlehre aus § 242 BGB hergeleitet wird, hätte nach Ansicht der Kritiker eine systematische Verankerung in einem näheren Zusammenhang mit § 242 BGB stattfinden müssen.647 Die Herausnahme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus dem Anwendungsbereich des § 242 BGB führe zu einer Aufwertung der Rechtsfigur und verursache die Gefahr, dass häufiger auf die Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen werde.648 Bemängelt wurde darüber hinaus die Unbestimmtheit der Regelung. Der Gesetzgeber habe sich bei der Normierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage einer allgemeinen Formulierung bzw. groben Umschreibung bedient, die sich durch den Gebrauch unbestimmter Rechtsbegriffe auszeichne.649 Da die Auffüllung und 641

Abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 14. Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329); Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 16, 20. 643 Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322 f.); Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Krebs, DB 2000, Beilage Nr. 14, S. 1 (13 f.); Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (830); Meyer-Pritzl, in: HKK2007, BGB, § 313 Rn. 49. 644 Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322 f.); Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (830). 645 Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322 f.). 646 Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322). 647 Meyer-Pritzl, in: HKK2007, BGB, § 313 Rn. 49. 648 Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322). 649 Medicus, NJW 1992, S. 2384 (2387). Medicus’ Kritik bezieht sich auf § 306 BGB-KE. 642

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Konkretisierung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe weiterhin der Rechtsprechung und der Literatur obliege, hätte die gesetzliche Normierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in § 307 BGB-DiskE keinen Fortschritt gebracht.650 Die Unbestimmtheit des § 307 BGB-DiskE komme überdies durch die Zusammenfassung vieler unterschiedlicher Fallgruppen unter die abstrakte und dehnbare Fassung des § 307 BGB-DiskE zum Ausdruck.651 § 307 BGB-DiskE bleibe hinter zentralen internationalen Entwicklungen zurück, da der Entwurf im Unterschied zu den Principles of European Contract Law und die UNIDROIT-Prinzipien keine Fallgruppe ausdrücklich regle.652 Kritik erfuhr § 307 BGB-DiskE auch, weil die Norm die von zahlreichen Experten geforderte Neuverhandlungspflicht nicht regelte.653 Die Neuverhandlungspflicht sah vor, dass die Parteien zunächst über die Anpassung verhandeln sollten, bevor der Richter sich damit beschäftigt.654 Die Nichtregelung im § 307 BGB-DiskE wurde bedauert, weil die Neuverhandlungspflicht Bestandteil europarechtlicher Vertragsregeln ist.655 Zudem hätte der Gesetzgeber durch die Regelung der Frage, ob eine derartige Pflicht besteht oder nicht, Rechtsklarheit schaffen können. Die strittige Auseinandersetzung über die Neuverhandlungspflicht dauert auch gegenwärtig an.656 Des Weiteren wurde die Kodifizierung der Fälle des anfänglichen Fehlens der Geschäftsgrundlage in § 307 Abs. 2 BGB-DiskE kritisiert.657 Das anfängliche Fehlen

650 Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 284; Haeffs, Der Auskunftsanspruch, S. 171 f. 651 Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322 f.); Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Krebs, DB 2000, Beilage Nr. 14, S. 1 (13). 652 Huber, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31 (160); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 46. 653 Befürworter: Belling, NZA 1996, S. 906 (909); Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (102 f.); Horn, AcP 1981, S. 255 (276 ff.); ders., BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (633); Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (829 ff.); ders., ZIP 1995, S. 1063 (1063 ff., insbesondere 1068 ff.); Hoffmann-Riem, JZ 1999, S. 421 (424 f.); Schöpflin, JA 2000, S. 157 (158); Schmindt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 971. 654 Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (640). 655 Art. 6.2.3 UNIDROIT-Grundregel. 656 Für eine Neuverhandlungspflicht: Grüneberg, in: Palandt, BGB73, 313 Rn. 41; v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196 f.); Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699, 2702); Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 219. Gegen eine Neuverhandlungspflicht: Martinek, AcP 1998, S. 329 (374 ff.); Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 119 ff., 122 f.; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 26; Mattheus, JuS 2002, S. 209 (218 f.); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388 f.); Teichmann BB 2001, S. 1485 (1491). 657 Huber, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31 (160); so auch Koziol zum Diskussionsentwurf, Nachweis bei Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329).

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der Geschäftsgrundlage sei nämlich als Irrtumsproblem zu qualifizieren. Dementsprechend sei eine Regelung bei § 119 BGB angebracht.658 Schließlich wurde § 307 BGB-DiskE dahingehend bemängelt, dass die Norm keine klare Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsregeln wegen faktischer Unmöglichkeit und dem Anwendungsbereich des Geschäftsgrundlageninstituts ermögliche.659 bb) Befürworter des Diskussionsentwurfs Die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Gestalt des § 307 BGB-DiskE fand neben den Kritikern zahlreiche Befürworter. Positiv hervorgehoben wurde von den Befürwortern sowohl die Kodifizierung im Allgemeinen als auch die konkrete Ausgestaltung der Kodifizierung durch § 307 BGB-DiskE. Die Verfasser des Diskussionsentwurfs begründeten die Notwendigkeit einer Kodifizierung der Geschäftsgrundlagenlehre unter anderem damit, dass die gesetzliche Normierung eines im Rechtsleben derart bedeutenden und bewährten Instituts eine wesentliche Aufgabe des Gesetzgebers sei.660 Die Befürworter der Kodifizierung wiesen auch darauf hin, dass die Kodifizierung zur Findung gerechter Ergebnisse beitrage. Der Umstand, dass die Rechtsprechung bereits seit Jahrzehnten korrigierende Eingriffe in die Privatautonomie vornahm und diese aus Treu und Glauben herleitete, zeige das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Institutionalisierung.661 Durch die Kodifizierung entfalle – im Unterschied zur Situation ohne ausdrückliche gesetzliche Verankerung des Geschäftsgrundlageninstituts – die Notwendigkeit, „die Möglichkeit einer richterlichen Vertragsanpassung als solche“ begründen zu müssen.662 Auf die Bedeutung der Einzelfallgerechtigkeit wiesen die Befürworter der Kodifizierung auch hin, um die dargelegten Einwände im Hinblick auf die Bestimmtheit des § 307 BGB-DiskE zu widerlegen. Denn die Wahl einer allgemeinen und generalklauselartigen Formulierung ermögliche die Eröffnung eines richterlichen Ermessensspielraums,663 was wiederum die Entstehung im Einzelfall gerechter Lösungen positiv beeinflusse.664 Köndgen wies in diesem Zusammenhang darauf hin, 658

Huber, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31 (160); so auch Koziol zum Diskussionsentwurf, Nachweis bei Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329). 659 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 47; Wilhelm, JZ 2001, S. 861 (867); Canaris, JZ 2001, S. 499 (501); Stoll, JZ 2001, S. 589 (591 f.). Zum gegenwärtigen Streitstand vgl. unten. 660 Bundesjustizministerium, Diskussionsentwurf, S. 179. 661 Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 16 f., 20. 662 Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 17. 663 Bundesjustizministerium, Diskussionsentwurf, S. 205. 664 Köndgen zum Diskussionsentwurf, Nachweis bei Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329); Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 17.

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dass die Verwendung einer Generalklausel sinnvoll sei, da der Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund der eher allgemeinen Formulierung für weitere „Dogmatisierungsprozesse“ zugänglich bleibe.665 Köndgen zog hierbei die Parallele zur richterlichen Fortbildung nach Billigkeitserwägungen im Common Law, der sog. equity.666 Den Bedenken, wonach die gesetzliche Fassung den Ausnahmecharakter des Geschäftsgrundlageninstituts gefährde,667 begegneten die Befürworter entweder mit dem Hinweis, dass sich der Ausnahmecharakter hinreichend klar aus dem Wortlaut ergebe668 oder mit der Anmerkung, dass die Kodifizierung nach dem Willen des Gesetzgebers nur die ohnehin von der Rechtsprechung herangezogenen Leitlinien wiedergeben sollte.669 cc) Stellungnahme Schon Larenz betonte, dass durch den korrigierenden Eingriff in den Vertrag auf der Grundlage des § 242 BGB unter Umständen eine Überforderung des Prozessrichters, eine Gefährdung der Rechtssicherheit und die Erschütterung des Vertrauens in die Rechtsprechung zu befürchten ist.670 Eine derartige Gefahr war tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Nicht nur deswegen überzeugt trotz der teilweise berechtigten Einwände im Ergebnis die Ansicht, nach der die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Gestalt des § 307 BGB-DiskE zu begrüßen war. Auch wenn der Gesetzgeber nicht jede Rechtsfrage in der Rechtsprechung und Literatur durch Rechtsetzungsakte klären muss, war zum Zeitpunkt der Schuldrechtsreform die Kodifikation des Geschäftsgrundlageninstituts angezeigt. Die Geschäftsgrundlagenproblematik hatte sich bis zum Jahre 2002 als ein wichtiges Institut zur Reaktion auf politische, soziale und umweltbedingte Veränderungen entwickelt. Die Rechtsprechung fand zwar durch die Anwendung von Kriterien, die aus § 242 BGB hergeleitet wurden, einzelfallorientierte Lösungen.671 Doch in Anbetracht der dauerhaften Auseinandersetzung der Gerichte mit der Geschäftsgrundlagenproblematik und der zahlreichen Theorien zum Thema genügte eine Herleitung aus Treu und Glauben nicht mehr. Das BGB wäre überflüssig, wenn derart 665

Köndgen zum Diskussionsentwurf, Nachweis bei Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329). 666 Köndgen zum Diskussionsentwurf, Nachweis bei Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329). 667 Vgl. oben Kapitel 1, § 2, A., II., 2., c), aa) Kritik an § 307 BGB-DiskE. 668 Köndgen zum Diskussionsentwurf, Nachweis bei Jansen, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 329 (329). 669 Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 1. Zum Willen den Gesetzgebers vgl. auch Abschlußbericht, S. 150 f. und BT-Drucks. 14/6040, S. 93. 670 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 187. 671 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts; Kapitel 1, § 1, B., II. Rechtsprechung.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

gewichtige Problemfälle alleine durch die Anwendung des § 242 BGB gelöst werden könnten. Die Kodifizierung des Instituts fördert die Wahrung der Rechtssicherheit. Auch wenn einzuräumen ist, dass der Wortlaut der Norm durchaus allgemein gefasst wurde, ist zu berücksichtigen, dass die Nennung aller Fallgruppen des Geschäftsgrundlageninstituts in der Gesetzesfassung kaum möglich und im Hinblick auf die Rechtssicherheit auch nicht hilfreich gewesen wäre. Durch die allgemeinere Fassung kann das Geschäftsgrundlageninstitut unter Umständen auch bei der Lösung von künftigen Entwicklungen, die zum Zeitpunkt der Kodifikation noch nicht absehbar waren, herangezogen werden. Die Rechtssicherheit wird durch die allgemeine Fassung des § 307 BGB-DiskE nicht gefährdet. Denn durch die ausdrückliche und objektive Niederschrift der Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der Norm wird dem Richter einerseits ein gesetzlicher Maßstab zur Verfügung gestellt, an dem er sich orientieren muss. Andererseits gibt die Fassung der Norm dem Richter den nötigen gewissen Spielraum, um auch im Einzelfall angemessen entscheiden zu können. Folglich waren die Entwicklung und die Fassung des § 307 BGB-DiskE insgesamt trotz der Mängel zu begrüßen. Diese positive Einschätzung des § 307 BGBDiskE strahlt auch auf die endgültige Kodifizierung des Geschäftsgrundlageninstituts im BGB durch § 313 BGB aus. Denn der Wortlaut des § 313 BGB deckt sich mit dem Wortlaut des § 307 BGB-DiskE. III. Die Kodifizierung des § 313 BGB Das Geschäftsgrundlageninstitut wurde schließlich in § 313 BGB geregelt. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. 11. 2001 wurde die endgültige Fassung beschlossen672, die am 01. 01. 2002 in Kraft trat.673 1. Übernahme des § 307 BGB-DiskE in § 313 BGB Die Kommission, die zur Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts eingesetzt wurde, war mit der Fassung des § 307 BGB-DiskE inhaltlich einverstanden.674 Daher übernahm sie die Formulierung des § 307 BGB-DiskE ohne jegliche inhaltliche Veränderung in den § 313 BGB. Die Kommission strich lediglich den in § 307 Abs. 3 letzter Satz BGB-DiskE enthaltenen Verweis auf § 308 BGB-DiskE (§ 314 BGB), um das Missverständnis, dass auch die Voraussetzungen des § 314 BGB zusätzlich

672 673 674

BGBl. I, S. 3138, 3150. BGBl. I, S. 3187. Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 80.

§ 2 Kodifikation des § 313 BGB

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erforderlich sein würden, von vornherein zu vermeiden.675 Im Übrigen blieb die gesetzliche Ausgestaltung des Geschäftsgrundlageninstituts so, wie sie im § 306 BGB-KE und § 307 BGB-DiskE erfolgte. 2. Fassung des § 313 BGB § 313 BGB wurde seit der Kodifizierung nicht geändert und lautet wie folgt: Störung der Geschäftsgrundlage (1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. (2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. (3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

Die Fassung des § 313 BGB zeigt, dass unter dem Oberbegriff „Störung der Geschäftsgrundlage“ unter § 313 Abs. 1 BGB der Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund von Veränderungen der Umstände nach Vertragsschluss und unter § 313 Abs. 2 BGB das Fehlen der Geschäftsgrundlage geregelt werden. Auf die Einführung von Regelbeispielen verzichtete der Gesetzgeber mit den bereits dargelegten Gründen. Das Verhältnis des § 313 BGB zu § 275 Abs. 2 BGB regelte der Gesetzgeber ebenfalls nicht. Er nahm jedoch in der Gesetzesbegründung klar Stellung zum Verhältnis und betonte den grundsätzlichen Vorrang des § 275 BGB vor § 313 BGB.676 3. Zur Begründung des Gesetzgebers Der Gesetzgeber wollte die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gesetzlich verankern, um dadurch den „Mangel“ der bisher fehlenden Kodifizierung des anerkannten Rechtsinstituts zu beseitigen.677 Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung hat zwar nach Ansicht des Gesetzgebers keine direkten Auswirkungen auf die Rechtspraxis, doch sei die Nichtregelung eines derart bewährten Instituts im BGB „unbefriedigend“.678 675 Anmerkung der Kommission zu § 313 BGB, Nachweis bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 373 Fn. 1. 676 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 677 BT-Drucks. 14/6040, S. 175. 678 BT-Drucks. 14/6040, S. 175.

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Dabei betonte der Gesetzgeber, dass keine Veränderung der etablierten Rechtspraxis eingeführt werden sollte.679 Die zum Zeitpunkt der Schuldrechtsmodernisierung geltenden Rechtsgrundsätze sollten nach wie vor bestehen bleiben. Der Zweck des § 313 BGB bestehe darin, dass die vorhandenen und ohnehin anerkannten Grundsätze wiedergegeben und verankert werden.680 Dennoch kam es zu einer „vom bisherigen Meinungsstand teilweise“ abweichenden Regelung hinsichtlich der Frage, ob die Rechtsfolge der Geschäftsgrundlagenstörung von Amts wegen oder lediglich auf Einrede der Partei zu berücksichtigen ist.681 Der Gesetzgeber entschied sich dafür, als Rechtsfolge einen Anspruch auf Anpassung festzusetzen,682 vgl. § 313 Abs. 1 BGB.

B. Zusammenfassung Das Geschäftsgrundlageninstitut entwickelte sich nach Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 in Literatur und Rechtsprechung kontinuierlich fort, ohne jedoch im BGB verankert zu sein. Im Laufe der Zeit zeigte sich die Notwendigkeit einer Kodifikation. Dieser Notwendigkeit trug der Gesetzgeber Rechnung, indem er das Geschäftsgrundlageninstitut trotz der Kritik683 im Zuge der Schuldrechtsreform im BGB verankerte. Die Kodifizierung des § 313 BGB war vor allem aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen. Einzelne Probleme, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsgrundlageninstitut stehen, existieren jedoch trotz der Kodifikation weiterhin. Zu nennen sind beispielsweise Abgrenzungsprobleme zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der faktischen Unmöglichkeit sowie der Kündigung aus wichtigem Grund. Außerdem wird weiterhin über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Verhandlungspflicht diskutiert. Die Aktualität dieser Probleme wird in den folgenden Abschnitten, die sich den Voraussetzungen und der Rechtsfolge des § 313 BGB widmen, zum Ausdruck kommen.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des § 313 BGB A. Voraussetzungen In diesem Abschnitt der Arbeit werden die Voraussetzungen des § 313 BGB betrachtet. Die Darstellung der Kodifikation des Geschäftsgrundlageninstituts im vorangegangenen Abschnitt hat gezeigt, dass sich der Gesetzgeber an den von der 679 680 681 682 683

BT-Drucks. 14/6040, S. 175. BT-Drucks. 14/6040, S. 175. BT-Drucks. 14/6040, S. 175 f. BT-Drucks. 14/6040, S. 176. Vgl. oben Kapitel 1, § 2, A., II., a), aa) Kritik an § 307 BGB DiskE.

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Rechtsprechung und Literatur bereits entwickelten Voraussetzungen bzw. Kriterien orientiert hat. Die Kodifikation des § 313 BGB führte zu keiner Veränderung der in der Rechtsprechung bereits bestehenden Leitlinien.684 Daher spielen die bis zur Kodifikation entstandenen Literaturansichten und die Rechtsprechungspraxis zum Geschäftsgrundlageninstitut bei der Darstellung der gegenwärtigen Voraussetzungen des § 313 BGB eine tragende Rolle. I. Begriff der Geschäftsgrundlage Zunächst gilt es zu bestimmen, welche Umstände oder Vorstellungen durch § 313 BGB überhaupt zur Geschäftsgrundlage erhoben werden. 1. Definition der Geschäftsgrundlage § 313 BGB enthält keine Legaldefinition der Geschäftsgrundlage. Die Regelung spricht davon, dass die Umstände, die sich verändert haben, Vertragsgrundlage geworden sein müssen, ohne zu nennen, was die Vertragsgrundlage i. S. v. § 313 BGB ist. Der Gesetzgeber verzichtete bewusst auf eine Definition der Geschäftsgrundlage im Gesetz, um die vor der Kodifikation vorhandene Flexibilität des Instituts weiterhin zu gewährleisten.685 Die Frage, was Geschäftsgrundlage eines Vertrags ist, kann somit nicht anhand einer in § 313 BGB normierten Legaldefinition beantwortet werden. Doch möglicherweise helfen die in § 313 BGB formulierten Arten der Geschäftsgrundlage weiter. Denn der Gesetzgeber hat im Rahmen des § 313 BGB sowohl die objektive und die subjektive Geschäftsgrundlage als auch den Wegfall und das Fehlen der Geschäftsgrundlage geregelt. 2. Arten der Geschäftsgrundlage § 313 BGB differenziert zwischen der objektiven (§ 313 Abs. 1 BGB) und subjektiven (§ 313 Abs. 2 BGB) Geschäftsgrundlage sowie zwischen dem (nachträglichen) Wegfall (§ 313 Abs. 1 BGB) und dem (anfänglichen) Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 2 BGB).

684 BT-Drucks. 14/6040, S. 93; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 4; Medicus, in: Das neue Schuldrecht, Kapitel 3 Rn. 236. 685 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 30.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

a) Objektives und subjektives Geschäftsgrundlagenverständnis innerhalb des § 313 BGB Der Gesetzgeber wollte die bereits entwickelten Grundsätze zur Geschäftsgrundlagenproblematik kodifizieren, jedoch nicht verändern.686 Er wollte keinen Bruch zur bisherigen Rechtsprechung, die sich an der subjektiven Formel von Oertmann orientierte.687 Daher verwundert es nicht, dass der Gesetzgeber innerhalb des § 313 BGB auch die Umstände, die nach der Definition der Rechtsprechung als subjektive Geschäftsgrundlage einzustufen sind, erfasste. Nach der subjektiven Definition wurde die Geschäftsgrundlage definiert als „die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber bei Vertragsabschluss zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Parteien oder die dem anderen Teil erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille sich aufbaut“.688 In § 313 Abs. 2 BGB ist jetzt festgelegt, dass die Störung der Geschäftsgrundlage auch subjektiv ermittelt werden kann. Vor allem die Fälle des gemeinsamen Motivirrtums, die sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung als ein Fall der subjektiven Geschäftsgrundlage gesehen werden, sind nunmehr durch § 313 Abs. 2 BGB geregelt.689 Die rechtliche Verankerung der subjektiven Formel in § 313 Abs. 2 BGB bedeutet jedoch nicht, dass dem objektiven Verständnis eine Absage erteilt wurde. Vielmehr wurde in § 313 Abs. 1 BGB eine objektivere Formulierung gewählt. Der Regierungsbegründung ist zu entnehmen, dass eine Formulierung, die überwiegend auf objektive Merkmale abstellt, eher geeignet sei, die tatsächlichen Ergebnisse der Rechtsprechung „zutreffender zum Ausdruck“ zu bringen.690 Unter der objektiven Geschäftsgrundlage waren bereits vor der Kodifikation „alle diejenigen Umstände zu verstehen […], deren Vorhandensein oder Fortbestand beim Vertragsabschluss nach dem Inhalt eines Vertrags, seinem Zweck und seiner wirtschaftlichen Bedeutung vorauszusetzen waren, damit der Vertrag überhaupt als sinnvoll und als brauchbar erscheint, unabhängig davon, ob die Parteien daran gedacht haben“.691 686 BT-Drucks. 14/6040, S. 93, 175; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 5 ff.; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 6; Muthers, in Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 1. 687 Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 4 ff. 688 BGH NJW 1951, S. 836 (836); NJW 1953, S. 1585 (1585); NJW 1958, S. 297 (297 f.); NJW 1964, S. 861; NJW 1973, S. 1685 (1686); NJW 1979; NJW 1982, S. 2184 (2185); NJW 1993, S. 259 (262); NJW 1995, S. 592 (593); NJW 1995, S. 2028 (2031); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 3371 (3372); NJW 1999, S. 1623 (1625); NJW 2001, S. 1204 (1205); NJW 2005, S. 2069 (2071); NJW-RR 2006, S. 1037 (1038); BAG NZI 2012, S. 977 (980). 689 BGH NJW 2002, S. 292 (294); NJW 1995, S. 1891 (1892); NJW 1972, S. 1577 (1579); Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 416 Rn. 21, S. 430 Rn. 4 ff.; Hirse, in: Tonner/Willingmann/Tamm, BGB, § 313 Rn. 14. 690 BT-Drucks. 14/6040, S. 176; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 27. 691 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 209.

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Die Verwendung objektiver Merkmale innerhalb des § 313 Abs. 1 BGB steht nicht im Widerspruch zu der subjektiv orientierten Rechtsprechung. Bereits an früherer Stelle wurde dargestellt, dass die Rechtsprechung zwar von Oertmanns subjektiver Theorie ausging, in vielen Fällen jedoch eine Modifikation anhand objektiver Kriterien vornahm.692 Diese Vorgehensweise der Rechtsprechung hatte sich vor allem in den Fällen, in denen Oertmanns Formel nicht ausreichte, durchgesetzt.693 Für die Lösung des Gesetzgebers, der die subjektiven Fälle der Geschäftsgrundlage im § 313 BGB den objektiven gleichstellen694 wollte, spricht auch, dass eine strikte Trennung der objektiven und subjektiven Geschäftsgrundlage – wie sie beispielsweise von Larenz verlangt wurde695 – oftmals schwierig zu bewerkstelligen ist. Der Gesetzgeber hat bei der Gleichbehandlung der subjektiven und objektiven Fälle der Geschäftsgrundlage im § 313 BGB bewusst die Kritik, der Larenz ausgesetzt war, berücksichtigt.696 b) Keine Unterteilung in „große“ und „kleine“ Geschäftsgrundlage Im Rahmen der Kodifikation des § 313 BGB wurde keine Unterteilung in die von Kegel entwickelte697 große und kleine Geschäftsgrundlage vorgenommen. Daher werden sowohl Störungen der großen als auch der kleinen Geschäftsgrundlage grundsätzlich vom § 313 BGB erfasst. Das ist auch am Wortlaut des § 313 Abs. 2 BGB sichtbar, der vor allem falsche Parteivorstellungen regelt. Falsche Parteivorstellungen müssen sich nicht auf die große Geschäftsgrundlage in Gestalt grundlegender politischer oder sozialer Gegebenheiten beziehen, um unter § 313 Abs. 2 BGB zu fallen. Da § 313 BGB grundsätzlich sowohl auf Fälle der großen als auch kleinen Geschäftsgrundlage anwendbar ist, wird die Unterscheidung teilweise als „für die Fallentscheidung ohne Bedeutung“ bezeichnet.698 Ganz ohne Bedeutung ist der Begriff der großen Geschäftsgrundlage dennoch nicht. Es wird nämlich betont, dass § 313 BGB häufig durch Katastrophen verur-

692 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., II., 2. b) Modifikation; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 27. 693 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., II., 2. Definition der Geschäftsgrundlage und Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 67. 694 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 55. 695 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 1. Larenz. 696 Nach Teichmann hätte der Gesetzgeber auf eine Unterscheidung zwischen der subjektiven und objektiven Geschäftsgrundlage verzichten und auch im Rahmen des § 313 Abs. 2 BGB eine objektive Formulierung wählen müssen. Als Formulierungsvorschlag für die Geschäftsgrundlage führt Teichmann an, dass „sich wesentliche Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, als falsch herausstellen“; vgl. Teichmann, FS Wolf, S. 169 (181). 697 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 4. Kegel. 698 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 49; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 7.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

sachte Notsituationen nicht erfassen könne.699 Zwar würden innerhalb einzelner Verträge „Störungen des Äquivalenzinteresses, Leistungserschwerungen und Verwendungserschwerungen“ als Folge großer Umwälzungen von § 313 BGB erfasst und gelöst. Doch das Zivilrecht im Allgemeinen und § 313 BGB im Besonderen seien nicht geeignet, allgemeinen Notsituationen, die durch soziale oder wirtschaftliche Katastrophen entstehen, Rechnung zu tragen.700 Hier bedürfe es eines korrigierenden Eingriffs des Gesetzgebers.701 3. Wegfall (§ 313 Abs. 1 BGB) und Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 2 BGB) Unter § 313 BGB sind die Fälle des (nachträglichen) Wegfalls und die des (anfänglichen) Fehlens der Geschäftsgrundlage geregelt.702 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist in § 313 Abs 1 BGB erfasst und enthält die Änderung der Umstände nach Vertragsschluss. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist dann relevant, wenn schwerwiegende Veränderungen der Umstände zu ungerechten und unzumutbaren Ergebnissen führen.703 Was diese unbestimmten Rechtsbegriffe im Einzelnen voraussetzen, wird weiter unten dargestellt. Das Fehlen der Geschäftsgrundlage ist in § 313 Abs. 2 BGB geregelt und umfasst vor allem704 die falschen Vorstellungen der Parteien.705 Wenn die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von Voraussetzungen ausgegangen sind, die jedoch nicht vorlagen, kommt eine Anwendung des § 313 Abs. 2 BGB in Betracht. Doch nicht jede falsche Parteivorstellung führt zur Bejahung des Fehlens der Geschäftsgrundlage. Liegen bloß einseitige Motive oder Erwartungen einer Vertragspartei vor, kommt ein Fehlen der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht.706 In Fällen des gemeinschaftlichen Motivirrtums hingegen gelangt § 313 Abs. 2 BGB zur Anwendung.707 Erfasst werden auch die Fälle, „in denen sich nur eine Partei falsche Vorstellungen macht, die andere Partei diesen Irrtum aber ohne eigene Vorstellungen hingenommen 699

Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 5; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 9. Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 5; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 9. 701 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 49; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 5; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 9. 702 Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 7; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 85. 703 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 18; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 85. 704 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 705 Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 28. 706 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 57. 707 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 23; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 28; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 22; BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 700

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hat“,708 obwohl sie die falsche Vorstellung erkennen kann.709 Die Gesetzesbegründung könnte zwar dahingehend missverstanden werden, dass § 313 Abs. 2 BGB bereits dann in Betracht kommt, wenn eine Partei ihren Vertragspartner über die Erwartungen und Vorstellungen in Kenntnis setzt und der Vertragspartner auf diese Informationen nicht reagiert.710 In der Literatur und Rechtsprechung ist es jedoch unumstritten, dass unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben erkennbar sein muss, dass das Verhalten der Gegenseite als Einverständnis oder Aufnahme der Vorstellung in den Geschäftswillen beider Parteien zu würdigen ist.711 Unter keinen Umständen reicht es somit aus, wenn eine Partei den Vertragspartner über ihre Erwartungen bzw. Vorstellungen informiert und der Vertragspartner keine Reaktion auf diese Informationen zeigt.712 Erwähnenswert ist, dass nicht § 313 Abs. 2 BGB, sondern Abs. 1 anzuwenden ist, wenn sich der gemeinschaftliche Irrtum der Parteien auf den Eintritt oder Nichteintritt eines zukünftigen Ereignisses bezieht.713 Das Verhältnis zwischen dem Fehlen der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 2 BGB und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Rechtsfolgen ist weitestgehend unumstritten: Das Fehlen der Geschäftsgrundlage ist gleichzubehandeln wie ihr Wegfall.714 Die Rechtsprechung machte bereits vor der Kodifikation keinen Unterschied zwischen der Behandlung des anfänglichen Fehlens und des nachträglichen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.715 Im Übrigen spricht allein der Umstand, dass der Wegfall und das Fehlen der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB die gleiche Rechtsfolge haben,716 für eine Gleichbehandlung. 4. Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt und Geschäftsgrundlage Die Anwendung des § 313 BGB setzt voraus, dass es sich um die Geschäftsgrundlage handeln muss, die gestört ist. Hierbei kann die Abgrenzung zwischen Geschäftsgrundlage und Vertragsinhalt Schwierigkeiten verursachen. Die Abgrenzung 708

BT-Drucks. 14/6040, S. 176. Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 28. 710 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 711 BGH NJW-RR 1989, S. 752 (752 ff.); NJW-RR 1993, S. 773 (773 ff.); Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 9. 712 BGH NJW-RR 1993, S. 773 (773 ff.). 713 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 38; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 30. 714 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 6; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 22; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 18; Unberath, in: Bamberger/ Roth, BGB3, § 313 Rn. 7; Vollkommer, in Jauernig, BGB10, § 313 Rn. 26. Andere Ansicht: Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 170. 715 BGH NJW 1976, S. 566 (566); NJW 1958, S. 297 (297 f.). 716 Riesenhuber/Domröse, JuS 2006, S. 208 (209); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 85 f. 709

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

ist notwendig, da die maßgebenden Umstände und Vorstellungen, die die Geschäftsgrundlage eines Vertrags bilden, nicht Vertragsinhalt geworden sein dürfen.717 Der Vertragsinhalt hat Vorrang gegenüber der Geschäftsgrundlage.718 Daher bedarf es keines Rückgriffs auf die Geschäftsgrundlage, wenn eine Lösung allein durch den Vertragsinhalt herbeigeführt werden kann.719 Aufgrund des Grundsatzes der Privatautonomie ist in Fällen, in denen die Parteien vertraglich eine Vereinbarung hinsichtlich einer Umstandsveränderung getroffen haben, diese Vereinbarung vorrangig.720 Um den Vertragsinhalt feststellen zu können, müssen ggf. die Willenserklärungen der Parteien gem. § 133 BGB und der Vertrag selbst gem. § 157 BGB ausgelegt werden.721

II. Anforderungen an die schwerwiegenden Veränderungen (§ 313 Abs. 1 BGB) und wesentlichen Vorstellungen (§ 313 Abs. 2 BGB) § 313 BGB hilft nicht bei jeder Veränderung der Umstände oder falscher Vorstellung weiter. Vielmehr setzt die Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts voraus, dass die Veränderung der Umstände „schwerwiegend“ ist (§ 313 Abs. 1 BGB) bzw. sich „wesentliche“ Vorstellungen geändert haben (§ 313 Abs. 2 BGB). Dementsprechend kann eine Störung der Geschäftsgrundlage nur bei einer gewissen Erheblichkeit der Störung bejaht werden.722 Das in § 313 Abs. 1 BGB enthaltene Merkmal der schwerwiegenden Veränderung entspricht der Wesentlichkeit gem. § 313 Abs. 2 BGB,723 die Begriffe „schwerwiegend“ und „wesentlich“ werden sogar als Synonyme bezeichnet.724 Daher gelten die Ausführungen zum Merkmal „schwerwiegend“ auch für das Wesentlichkeitsmerkmal und umgekehrt. 717 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 55; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 10; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 418 Rn. 27; Peer, Jb. J. ZivRWiss. 2001, S. 61 (65); Vollkommer, in: Jauernig, BGB10, § 313 Rn. 8. 718 Belling, NZA 1996, S. 906 (908). 719 BGH NJW 1983, S. 2036 (2036); NJW 1984, S. 1177 (1178); ZIP 1991, S. 1600 (1600); Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 10. 720 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 57; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 18; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 10 f.; Riesenhuber/Domröse, JuS 2006, S. 208 (210). 721 Belling, NZA 1996, S. 906 (908); Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 418 Rn. 28; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 10; ders., in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 17; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 18. 722 BAG NZI 2012, S. 977 (980); BGH NJW 1989, S. 289 (290); Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 18; ders., in: Bamberg/Roth, BGB1, § 313 Rn. 25; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 41; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 184; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 29. 723 Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 29. 724 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 58; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 18.

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Das Erfordernis einer Erheblichkeit der Störung trägt dem Prinzip der Rechtssicherheit Rechnung. Denn unter Berücksichtigung einer besonderen Ausgestaltung des Rechtssicherheitsprinzips, nämlich des Grundsatzes pacta sunt servanda, ist nur in Ausnahmefällen ein nachträglicher Eingriff in den Vertrag angezeigt.725 Daher kann nicht jede geringfügige Änderung oder Abweichung von Parteivorstellungen den Grundsatz pacta sunt servanda durchbrechen.726 1. Erheblichkeitsschwelle Grundsätzlich ist eine Störung dann schwerwiegend, wenn keine Zweifel bestehen, dass mindestens eine Vertragspartei bei Kenntnis der Änderungen den Vertrag nicht oder nur mit inhaltlichen Änderungen geschlossen hätte.727 Diese Definition verdeutlicht, dass der entsprechende Umstand oder die Fehlvorstellung äußerst bedeutsam sein muss und dass die Erheblichkeit der Störung „untrennbar“ mit dem Merkmal der Unzumutbarkeit verbunden ist.728 Doch einen genauen Maßstab liefert die Definition nicht. Es stellt sich die Frage, ob es möglicherweise einen messbaren Grad oder eine Quote gibt, die bei der Beantwortung der Frage, ob die Störung erheblich ist, d. h. ob die Veränderung schwerwiegend (§ 313 Abs. 1 BGB) oder die Fehlvorstellung wesentlich (§ 313 Abs. 2 BGB) ist, behilflich sein kann. a) Rechtsprechung Die Rechtsprechung bezieht sich bei der Beantwortung der Frage, ob die Störung gem. § 313 BGB erheblich ist, durchaus auf Quoten. Doch sie verwendet keine einheitliche Quote, die sie schematisch in den Geschäftsgrundlagenfällen heranzieht. Vielmehr macht die Judikatur bei der Beurteilung der Erheblichkeit Gebrauch von unterschiedlichen Quoten, um den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles Rechnung zu tragen. So bejahte der BGH in den Erbbauzinsfällen das Vorliegen einer Grundlagenstörung, wenn die Lebenshaltungskosten um 150 % gestiegen waren.729 Bei der Vermietung einer sog. Minderfläche, die als von Anfang an vorliegende (subjektive) Vertragsgrundlage einzustufen ist, genügt der Rechtsprechung hingegen eine 10 %ige Abweichung von der vertraglichen Vereinbarung.730 Bei Unterhalts725

Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 22. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 58. 727 BGH NJW 1989, S. 289 (289); VG Bayreuth, BeckRS 2012, 58967; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 60; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 437 Rn. 20; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 58; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 18; ders., in: Bamberg/Roth, BGB1, § 313 Rn. 25; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 14; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 13 f. 728 Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 30. 729 BGH NJW 1984, S. 2212 (2213). Weitere Nachweise bei Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 58, 191. 730 BGH NJW 2004, S. 3115. 726

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angelegenheiten reicht der Rechtsprechung unter Umständen sogar eine Quote von weniger als 10 %.731 Ein Rückgang der ortsüblichen Miete um mehr als 60 % reichte dem BGH hingegen nicht, um eine Störung der Geschäftsgrundlage anzunehmen.732 Demzufolge folgt die Rechtsprechung keiner „schematischen Beurteilung“.733 b) Literatur In der Literatur werden die Fragen, ob eine Quote notwendig ist und wie sie ausgestaltet sein muss, unterschiedlich beantwortet. Während ein Teil der Literatur bei Fällen der Äquivalenzstörung ein Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bei der Überschreitung eines Richtwerts von 1:2 annimmt,734 genügen einem anderen Teil zur Bejahung der anfänglichen Grundlagenstörung bereits 5 %.735 Wieder anderen Teilen der Literatur zufolge sind derartige Richtwerte willkürlich und daher abzulehnen.736 Bei der Beurteilung der Erheblichkeit seien vielmehr Kriterien wie die Risikoverteilung, das Unzumutbarkeitskriterium, die Vorhersehbarkeit sowie der Vertragstypus bzw. das vertraglich vereinbarte Äquivalent zu berücksichtigen.737 Es besteht Einigkeit dahingehend, dass ein bestimmtes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen muss, um eine Geschäftsgrundlagenstörung wirklich bejahen zu können. Schließlich tangiert das Geschäftsgrundlageninstitut den Grundsatz pacta sunt servanda, was ohne eine gewisse Erheblichkeit nur schlecht zu rechtfertigen wäre. Im Ergebnis sind die Ansichten, die eine bestimmte, festgelegte Quote ablehnen, zustimmungswürdig. Der Gesetzgeber hat weder im § 313 noch in anderen Normen des BGB, die ein Missverhältnis erfordern,738 einen Richtwert oder eine Quote festgelegt. Dies spricht dafür, dass dem Richter ein Ermessensspielraum eingeräumt werden sollte, damit das Gericht in jedem Einzelfall angemessen und ohne schematische Vorgaben urteilen kann. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der deutsche Gesetzgeber, anders als bei-

731

BGH NJW 1986, S. 2054 (2055). BGH NJW-RR 2005, S. 236 (237). 733 BGH NJW 1986, S. 2054 (2055). 734 Harke, SchuldR, S. 95 Rn. 101 und S. 99 Rn. 105. 735 Derleder, WuM 2010, S. 202 (204). Der Aufsatz von Derleder bezieht sich der Richtwert von 5 % auf Mietverträge; Teichmann, GS Wolf, S. 169 (186) Fn. 107. Seine Ansicht hat er in Fn. 107 zum Ausdruck gebracht. 736 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 58; ders., FS Westermann, S. 183 (204 f.); Härle, Äquivalenzstörung, S. 98. 737 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 58; Härle, Äquivalenzstörung, S. 99 ff.; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 22 ff. 738 Wie beispielsweise der § 138 Abs. 2 BGB. 732

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spielsweise der österreichische,739 die laesio enormis740 nicht in das BGB übernommen hat.741 Die laesio enormis beruht auf der Idee, durch eine gesetzlich fixierte Quote (in Höhe der Hälfte des tatsächlichen Wertes) eine Erheblichkeitsgrenze zu bestimmen.742 Hätte der Gesetzgeber solch einen Richtwert in das deutsche Zivilrecht einbringen wollen, wäre die Heranziehung der laesio enormis naheliegend gewesen. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich jedoch bei der Entstehung des BGB nicht grundlos bewusst gegen die laesio enormis.743 2. Auswirkung des Vertragstypus und der Vertragsdauer auf die Erheblichkeit Bei der Ermittlung der Erheblichkeit einer Geschäftsgrundlagenstörung spielen auch der Vertragstypus und die Vertragsdauer eine Rolle. Beispielsweise wird bei Dauerschuldverhältnissen eine schwerwiegende Veränderung der Umstände eher zu bejahen sein als bei einem Vertrag mit einem einmaligen Leistungsaustausch, da bei Dauerschuldverhältnissen die persönlichen Bindungen der Parteien bedeutender sind.744 Bei Verträgen mit spekulativem Einschlag werden besonders hohe Anforderungen an die Erheblichkeit der Störung gestellt. Dies gilt gerade deswegen, weil beinahe jeder Vertrag einen „spekulativen“ Moment enthält.745 Beispielsweise besteht stets die Gefahr, dass sich der Preis der Ware nach Vertragsabschluss ändern kann. Derartige Änderungen berühren die Geschäftsgrundlage jedoch meistens nicht.746 Zudem ist eine Veränderung dann schwerwiegend, wenn sie „die vertragliche Konstellation in besonderer Weise zum Nachteil einer Vertragspartei verändert hat“.747 Eine derartige Veränderung wird beispielsweise dann bejaht, wenn bei einem wirtschaftlich verbundenen Geschäft eines der Rechtsgeschäfte nicht zu Stande kommt748 oder sich die für den Vertrag zugrunde gelegte Rechtslage nachträglich ändert.749 Im Übrigen liegen schwerwiegende Veränderungen grundsätzlich bei Äquivalenzstörungen vor.

739 740 741 742 743 744 745 746 747 748 749

Vgl. § 934 ABGB. Zum Inhalt der laesio enormis vgl. oben. Finkenauer, FS Westermann, S. 183 (203, 206). Vgl. auch oben. Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 2. Laesio Enormis. Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 2. Laesio Enormis. Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 25. Vgl. auch oben. Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 25. Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 25; RGZ 109, S. 146 (149). Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 26. Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 26; BGH NJW 1977, S. 950 (950). Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 26; BGH NJW 2000, S. 2497 (2498).

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3. Zeitpunkt des Störungseintrittes Während § 313 Abs. 2 BGB keinen Zeitpunkt für den Eintritt der Störung nennt, spricht § 313 BGB in Abs. 1 von Umständen, die sich „nach Vertragsabschluss“ verändert haben. Die Fassung des § 313 Abs. 1 BGB umfasst jedoch auch die Änderungen, die sich vor dem Vertragsabschluss ereignet haben und erst nach Vertragsabschluss zu Tage getreten sind.750 Für den Zeitpunkt des Störungseintritts ist es somit nicht maßgeblich, ob sich die Umstände vor oder nach Vertragsabschluss geändert haben. Durch die Formulierung in § 313 Abs. 1 BGB sollte lediglich klargestellt werden, dass Umstände, die bereits vor dem Vertragsabschluss vorlagen und den Parteien bekannt waren, zu keiner Vertragsanpassung führen.751 Wenn die Parteien die Verhältnisse mangels ausreichender Erkundigung nicht gekannt haben, kann dies bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden.752 Krebs753 untermauert diesen Gedanken, indem er einen Vergleich mit den Unidroit Principles of International Commercial Contracts herstellt und auf Art. 6.2.2a Alt. 2 verweist. Die veränderten Umstände, die sog. „hardship“, umfasst nach Art. 6.2.2a Alt. 2 auch störende Ereignisse, die schon eingetreten sind, aber erst später bekannt werden. III. Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag Die schwerwiegende Veränderung der Umstände allein genügt noch nicht, um den Tatbestand des Geschäftsgrundlageninstituts zu erfüllen. Weitere Voraussetzung ist, dass das Festhalten am Vertrag für eine Vertragspartei unzumutbar ist. Der Gesetzgeber hat das Kriterium der Unzumutbarkeit in § 313 Abs. 1 BGB kodifiziert. Dabei spielt das Unzumutbarkeitskriterium nicht nur auf der Tatbestandsebene eine Rolle, sondern gem. § 313 Abs. 3 BGB auch bei der Bestimmung der Rechtsfolge. Daher wird dem Unzumutbarkeitskriterium ein sog. Doppelzweck zugeschrieben.754 Wann das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist, wird mit Hilfe einer Abwägung der Interessen der Parteien unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände entschieden.755 Es erfolgt bereits auf Tatbestandsebene eine Abwägung zwischen der Vertragsbindung und der Lösung vom Vertrag.756 Daher soll – bevor auf die inhaltliche Ausgestaltung des Unzumutbarkeitskriteriums näher eingegangen wird – zunächst veranschaulicht werden, wie das Unzumutbarkeitskriterium im Spannungsverhältnis zur Vertragstreue einzuordnen ist. 750 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 53 f.; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 40; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 26. 751 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 53. 752 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 40. 753 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 40. 754 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 50. 755 Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 70; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313, Rn. 15. 756 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 31.

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1. Die Berücksichtigung subjektiver Interessen durch das Unzumutbarkeitskriterium Die Bejahung des Unzumutbarkeitskriteriums führt zu einer Durchbrechung der vertraglichen Bindungswirkung.757 Somit impliziert die Unzumutbarkeit regelmäßig einen Eingriff in den Grundsatz pacta sunt servanda sowie dessen partielle Aufhebung. Die Durchbrechung der Vertragsbindung bei bestehenden widerstreitenden Interessen zeichnet nicht nur das Geschäftsgrundlageninstitut aus. Das BGB kannte derartige Durchbrechungsinstrumente schon vor der Einführung des § 313 BGB, beispielsweise aus dem Anfechtungsrecht.758 Zu berücksichtigen ist jedoch ein nicht unwesentlicher Unterschied des Geschäftsgrundlageninstituts zu den übrigen Durchbrechungsinstrumentarien: Die vertragliche Bindungswirkung wird mit der Anwendung des § 313 BGB durch ein Unzumutbarkeitskriterium durchbrochen, das anhand subjektiver Interessen bestimmt wird.759 Dabei sollen nach der Konzeption des Leistungsstörungsrechts subjektive Interessen nicht geeignet sein, irgendeine Durchbrechungswirkung zu verursachen.760 Der Umstand, dass das Unzumutbarkeitskriterium als „Kern des Tatbestands“761 des § 313 BGB subjektive Interessen berücksichtigt, bedeutet jedoch nicht, dass das Geschäftsgrundlageninstitut der Konzeption des Leistungsstörungsrechts diametral entgegensteht. Denn eine „Geschäftsgrundlage“ i. S. d. § 313 BGB liegt nur vor, wenn die betreffenden Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Parteien zumindest erkennbar waren.762 Diese objektive Bestimmung des Geschäftsgrundlagenbegriffs ist zugleich ein objektives Korrektiv auf Tatbestandsseite.763 Die Berücksichtigung subjektiver Interessen innerhalb des Unzumutbarkeitskriteriums wiegt daher nicht zu schwer. Das Kriterium der Unzumutbarkeit bildet den Schwerpunkt der Geschäftsgrundlagenstörung.764 Die Bedeutung und Notwendigkeit des Kriteriums sind daher unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bezüge näher zu betrachten.

757 758 759 760 761 762 763 764

Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 60. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 60. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 60. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 60. Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (96). Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 61. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, S. 61. Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (96).

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2. Die Notwendigkeit des Unzumutbarkeitskriteriums Das Kriterium der Unzumutbarkeit ist nicht nur im Zivilrecht, sondern in der gesamten deutschen Rechtsordnung prägend.765 Die Unzumutbarkeit stellt die „äußerste Grenze“ von Pflichten in allen Bereichen des deutschen Rechts dar.766 Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung wurde das Unzumutbarkeitskriterium als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Grundrechtsschutzes neben dem Privatrecht auch im Strafrecht sowie dem Öffentlichen Recht (§ 60 VwVfG) angewendet.767 Den Zusammenhang des Unzumutbarkeitsprinzips mit dem Verfassungsrecht haben vor allem Belling und Hartmann768 klar und nachvollziehbar dargelegt. Demnach steht das Unzumutbarkeitskriterium im engen Zusammenhang mit Grundrechten und ist auch aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ableitbar.769 Das Übermaßverbot als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips entfaltet über das Unzumutbarkeitskriterium Drittwirkung unter Privaten.770 Daher führen nicht nur zivilrechtliche Generalklauseln wie § 242 BGB dazu, dass Unzumutbares nicht verlangt werden darf. Die Ausstrahlungswirkung des Zumutbarkeitsprinzips über den Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten verdeutlicht, warum „unter dem Aspekt der verfassungskonformen Reduktion“771 eine Aufweichung des Pacta-sunt-servanda-Postulats geboten sein kann.772 Denn das Prinzip der Unzumutbarkeit fordert, dass bei der Rechtsanwendung sämtliche relevanten Gesichtspunkte – auch der Aspekt der Vertragslockerung – berücksichtigt und abgewogen werden müssen, um Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten.773 Die Unverzichtbarkeit des Unzumutbarkeitskriteriums kommt folglich nicht nur durch die ausdrückliche Kodifikation in § 313 BGB zum Ausdruck. Dieses Kriterium hätte auch dann eine wesentliche Bedeutung für das Geschäftsgrundlageninstitut gehabt, wenn es nicht als Voraussetzung im § 313 BGB niedergeschrieben worden wäre.

765

Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (92). Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 69 f. 767 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 70. 768 So auch Benders Einschätzung, vgl. Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 70, mit Verweis auf Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (92 f.). 769 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (92 f.). 770 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (93); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 71. 771 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (93). 772 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 71. 773 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (93). 766

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3. (Un-)Definierbarkeit des Unzumutbarkeitskriteriums Der Gesetzgeber hat das Merkmal der Unzumutbarkeit in den Gesetzestext des § 313 BGB aufgenommen, allerdings ohne eine Legaldefinition dazu zu liefern. Grund für die Nichtaufnahme einer Legaldefinition war möglicherweise, dass der Begriff der Unzumutbarkeit nur schwer zu definieren ist.774 Die Versuche in der Literatur und der Rechtsprechung, diesen Begriff zu definieren, führten entweder dazu, dass der Unzumutbarkeitsbegriff durch einen anderen ersetzt wurde (wie etwa den Begriff der Opfergrenze) oder ohne eine konkrete Begriffsbestimmung umschrieben wurde.775 Die Rechtsprechung verwendet die Formel, wonach „nicht schon jede Störung der Geschäftsgrundlage […] rechtlich bedeutsam“ ist. „Angesichts der überragenden Bedeutung, die im Vertragsrecht dem Grundsatz der Vertragstreue zukommt, ist die Berufung auf eine Erschütterung der Geschäftsgrundlage nur ausnahmsweise zulässig, wenn dies zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich erscheint“.776 Diese Formel stellt jedoch auch eher eine Umschreibung als eine subsumtionsfähige Definition dar.777 Daher verwundert es nicht, dass man sich vor allem in der Literatur mangels Existenz einer subsumtionsfähigen Definition mit der Verwendung verschiedener Maßstäbe bedient. So wird in der Regel eine Unzumutbarkeit dann bejaht, wenn der Vertragszweck nicht erreichbar,778 das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erschüttert779 oder der Leistungserfolg nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu erreichen ist.780 Das Fehlen einer subsumtionsfähigen Definition bringt naturgemäß Nachteile mit sich und wird dementsprechend kritisiert. Es besteht die Gefahr einer Rechtsunsicherheit und subjektiv geprägter Urteile, die sogar willkürlich erscheinen können, wenn kein klarer Maßstab für die Unzumutbarkeit existiert.781 Der Rechtsprechung

774

S. 78. 775

Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (97); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage,

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 78;. Herschel, AuR 1968, S. 193 (195). Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1982, S. 2184 (2186); NJW 1976, S. 565 (566); WM 1978, S. 322 (323); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 1702 (1705); WM 1964, S. 1253 (1254); MDR 1969, S. 212 (212 ff.); NJW 1985, S. 313 (314 f.); NJW 2001, S. 2402 (2407); NZM 2005, S. 144 (144 f.); GRUR 2009, S. 1162 (1167); BeckRS 2012, 21007. 777 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 76. 778 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 28. 779 RGZ 132, S. 342 (344); 160, S. 257 (267); Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 28. 780 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 28. 781 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 78; vgl. zur Willkür-Gefahr auch Belling/ Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (94) m. w. N. 776

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wird nicht selten Billigkeits- und Einzelfallrechtsprechung vorgeworfen.782 Das Kriterium der Unzumutbarkeit sei – neben dem bereits dargestellten Begriff der schwerwiegenden Veränderung783 – „das unwägbarste aller Kriterien“.784 Die fehlende Definierbarkeit des Unzumutbarkeitskriteriums hat allerdings nicht nur Nachteile. Dadurch, dass sich eine schematische Lösung anhand einer festen Begriffsbestimmung nicht anbietet, wird eine einzelfallbezogene und materiell gerechte Lösung ermöglicht.785 Zudem gibt es durchaus gewisse Prüfungsmaßstäbe, die bereits vor der Kodifizierung des § 313 BGB angewendet wurden und die der Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs dienen. 4. Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs Aufgrund der fehlenden Definition des Unzumutbarkeitsbegriffs und fehlender einheitlicher „Bewertungsmaßstäbe“786 bedarf es einer Konkretisierung dieses Merkmals, um sowohl einzelfallgerechte Lösungen als auch Rechtssicherheit zu gewährleisten und willkürliche Entscheidungen zu vermeiden. Da die Unzumutbarkeit nach § 313 Abs. 1 BGB nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bewertet werden kann, ist eine Konkretisierung des Unzumutbarkeitskriteriums anhand der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, der Vorhersehbarkeit, der Zurechenbarkeit und der Art der Störung, der Vertragsart, des Vertragsinhalts sowie aller sonstigen Interessen (beispielsweise der Vermögenslage) vorzunehmen.787 a) Risikozuweisung Bereits nach dem Wortlaut des § 313 Abs. 1 BGB muss bei der Anwendung der Störung der Geschäftsgrundlage sowohl die vertragliche als auch die gesetzliche Risikoverteilung berücksichtigt werden. Aus diesem Grunde kann eine Partei den Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen wesentlicher Änderungen nicht verlangen, wenn die Störung in ihre Risikosphäre fällt.788

782

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 76; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform , § 313 BGB, Rn. 19 f. 783 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, II. Anforderungen an die schwerwiegenden Veränderungen (§ 313 Abs. 1 BGB) und wesentlichen Vorstellungen (§ 313 Abs. 2 BGB). 784 Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 19 f. 785 Kotzur, Die Auswirkungen, S. 168. 786 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (93). 787 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., II. Die Rechtsprechung. 788 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 44; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 27; BGH BeckRS 2012, 21238; NJW-RR 2010, S. 1016 (1017); GRUR 2009; S. 1162 (1166 f.); NJW-RR 2008, S. 649 (650); NJW 2006, S. 899 (901); NJW 2000, S. 1714 (1716); KG BeckRS 2012, 23569; OLG Saarbrücken NJW 2012, S. 3371 (3372). 2

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Der Begriff des Risikos umfasst die Unsicherheiten hinsichtlich leistungs- oder wertrelevanter Umstände oder Entwicklungen.789 Obwohl der Wortlaut des Gesetzes den Eindruck erweckt, dass die Risikozuweisung erst im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung zu prüfen sei, ist die Prüfung bereits auf Tatbestandsebene vorzunehmen.790 Somit kann sich derjenige, der nach dem vereinbarten oder typischen Vertragsinhalt das Risiko tragen muss, nicht auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen.791 Die Vertragspartei, die das Risiko trägt, hat trotz der veränderten Umstände ihre Vertragspflicht zu erfüllen. Die Risikoverteilung zwischen den Parteien darf nicht durch die nachträgliche Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts verändert werden.792 Etwas anderes gilt nur dann, wenn das vertragliche oder gesetzliche Risiko überschritten wurde793 oder sich nicht als ausreichend erwiesen hat und sich das Festhalten am Vertrag als unzumutbar darstellt. Unter derartigen Umständen bildet sich eine Lücke hinsichtlich der Risikoverteilung.794 Mithilfe des Geschäftsgrundlageninstituts kann die Lücke geschlossen werden. Dies erfolgt beispielsweise durch eine Vertragsanpassung hinsichtlich fehlender vertraglicher Regelungen.795 Aufgrund des Vorrangs der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung gegenüber dem Institut der Störung der Geschäftsgrundlage ist bei der Anwendung des § 313 BGB zu prüfen, ob und welche Risiken zwischen den Vertragsparteien verteilt wurden. Wann derartige Risikoverteilungen gegeben sind und in welchem Verhältnis sie zu § 313 BGB stehen, wird in den folgenden Abschnitten erörtert. aa) Vertragliche Risikovereinbarung Der Grundsatz der Privatautonomie ermöglicht den Parteien, eine vertragliche Risikoverteilung zu vereinbaren.796 Liegt eine ausdrückliche oder stillschweigende vertragliche Risikovereinbarung vor, kommt ein Rückgriff auf die Störung der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht, da ein Ungleichgewicht zwischen den Leistungen grundsätzlich nicht angenommen werden kann.797 Vertragliche Klauseln 789

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 59. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 59. 791 BAG NJW 2012, S. 3390 (3392); BGH NJW 2006, S. 899 (901). 792 Lettl, JuS 2001, S. 248 (249); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 88. 793 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 62. 794 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 19. 795 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 19; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 31 ff.; Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 1065 ff. 796 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 437 Rn. 20; Säcker, GS Sonnenschein, S. 597 (597); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 157. 797 BGH BeckRS 2012, 23569; NJW 2010, S. 1874 (1877); BGH WM 1970, S. 907; WM 1978, S. 1008; WM 1981, S. 66 (67); BGH NJW 1979, S. 1818 (1819); NJW 1993, S. 1856 (1859); NZG 1998, S. 501 (503); Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 437 Rn. 20; Schmitz, Rechtsgrundsätze, S. 114. 790

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stellen vor allem bei Dauerschuldverhältnissen eine häufig gebrauchte Möglichkeit dar, die Veränderung von Umständen von vornherein zu regeln. (1) Vertragliche Klauseln Im Rahmen der vertraglichen Risikoverteilung können die Parteien Bedingungen, Rücktrittsvorbehalte oder Anpassungsklauseln vereinbaren. Anpassungsklauseln haben den Vorteil, dass sie Rechtsfolgen bestimmen können, die elastischer sind.798 In der Praxis tauchen solche Anpassungsregelungen immer häufiger auf. Besonders bei Langzeitverträgen kommen sie zur Anwendung, weil bei dieser Art von Verträgen eine Änderung der Umstände häufiger zu erwarten ist.799 Derartige Regelungen können Rechtsfolgen wie beispielsweise Neuverhandlungsverpflichtungen festsetzen und von den „klassischen“ Rechtsfolgen des Geschäftsgrundlageninstituts abweichen.800 Vertragliche Klauseln sind „komplex“ und unterliegen je nach vertraglicher Ausgestaltung Spezialregelungen.801 Falls beispielsweise Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind, richtet sich die Wirksamkeit der Klauseln nach den §§ 305 ff. BGB.802 Unabhängig von Spezialregelungen müssen vertragliche Klauseln dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen und den §§ 134,138 BGB Rechnung tragen.803 Möglich ist auch die konkludente Vereinbarung vertraglicher Klauseln. Ist in einem Vertrag eine Anpassungsklausel nicht ausdrücklich vereinbart worden, kann dies auf einen konkludenten Ausschluss einer Vertragsanpassung hindeuten. In solchen Fällen spielen der Vertragstyp und die Umstände des Einzelfalles eine wichtige Rolle. Wenn die Parteien beispielsweise einen Festpreis oder einen Einheitspreis geregelt haben, ohne eine Anpassungsklausel in dem Vertrag aufzunehmen, kann diese Vereinbarung einen konkludenten Anpassungsausschluss bedeuten.804 Denn die Vereinbarung eines Festpreises kann Indiz dafür sein, dass die

798 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 61; Horn, NJW 1985, S. 1118 (1118 ff.); Lettl, JuS 2001, S. 456 (456); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 157 f.; Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 1065 ff. 799 Böckstiegel, RIW 1984, S. 1 (2); Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 437 Rn. 21; UrichErber, Äquivalenzstörungen, S. 157. 800 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 157. Zum Begriff und Inhalt von Neuverhandlungsklauseln vgl. Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 31 ff. 801 Horn, NJW 1985, S. 1118 (1119); Lettl, JuS 2001, S. 559 (559 ff.). 802 Lettl, JuS 2001, S. 559 (561 ff.); Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 55, 95 ff. 803 Lettl, JuS 2001, S. 559 (559 f.); Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 57 f. 804 Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 21.

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Vertragsparteien das Risiko möglicher Leistungserschwerungen bewusst und gewollt einer Vertragspartei zuweisen wollten.805 Nach Feißel/Gorn806 hat sich das Interesse an vertraglichen Klauseln vor allem im Zuge der Finanzkrise erhöht. Diese Entwicklung sei darauf zurückzuführen, dass die Vertragsparteien ihre jeweiligen Vorstellungen im Interesse der Privatautonomie eher in vertraglichen Klauseln formulieren können. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass das gesetzlich geregelte Geschäftsgrundlageninstitut in den von der Finanzkrise betroffenen Konstellationen regelmäßig wegen Vorhersehbarkeit verneint werde,807 bieten vertragliche Klauseln den Parteien einen bedeutenden Schutz vor künftigen Unwägbarkeiten.808 Die Parteien können jedoch trotz Vorhersehbarkeit einer Finanzkrise auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückgreifen, wenn nicht die Änderung selbst, sondern die Konsequenzen der Änderung der Umstände nicht vorhergesehen wurden oder werden konnten. Solch eine Ausnahmebeurteilung folge auch aus der Gesetzesbegründung zu § 313 BGB, in welcher betont wird, dass die Verweigerung des Rückgriffs auf § 313 BGB im Falle der Möglichkeit der Vorhersehbarkeit der Änderung nicht ausnahmslos gelte. Vorzugswürdig ist trotz allem in jedem Fall die Vereinbarung von Vertragsklauseln, um Streitigkeiten und gerichtliche Auseinandersetzungen in der Zukunft zu vermeiden, da Vertragsklauseln aufgrund der Privatautonomie im Verhältnis zu § 313 BGB vorrangig sind. (2) Das Verhältnis des § 313 BGB zu Vertragsklauseln Wenn sich die Parteien für eine Risikoverteilung anhand vertraglicher Klauseln entscheiden, stellt sich regelmäßig die Frage, wie sich die jeweilige Klausel zum Anwendungsbereich des § 313 BGB verhält. Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr bedarf es der Berücksichtigung verschiedener Konstellationen und Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles. Die wichtigsten Konstellationen werden im Folgenden dargestellt. Grundsätzlich gilt, dass eine Anwendung von § 313 BGB nicht in Betracht kommt, wenn es eine vertragliche Risikoverteilung für die Veränderung von Um805

Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (827); Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 21. Die Rechtsprechung hat diese Indizwirkung von Festpreisvereinbarungen jüngst bestätigt, vgl. OLG Hamm BeckRS 2012, 06489. Die Parteien hatten im Rahmen eines Werkvertrages vereinbart, dass der Beklagte Abbrucharbeiten durchführt und als Gegenleistung das Verwertungsrecht bezüglich des Stahlschrottes erhält. Hier trage der Beklagte das Risiko fallender Marktpreise für Stahlschrott. Die Vereinbarung des Verwertungsrechts stelle einen „Festpreis“ dar. Bei derartigen Festpreisvereinbarungen gehe der Auftragnehmer das Risiko künftiger Preisentwicklungen bewusst ein. 806 Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1140). 807 Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1140, 1142). 808 Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1140).

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ständen gibt. Derartige vertragliche Klauseln genießen Vorrang gegenüber § 313 BGB. Dies kann wegen des Grundsatzes der Privatautonomie selbst dann gelten, wenn eine vertragliche Regelung unwirksam ist. Die Unwirksamkeit macht die vertragliche Klausel nicht gleich überflüssig. Denn der vertraglichen Regelung kann man zumindest entnehmen, dass die Parteien das Vertragsverhältnis vollumfänglich regeln wollten. Daher kommt eine Änderung bzw. Heilung der unwirksamen Klausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in Betracht, sodass im Ergebnis eine wirksame Klausel entstehen kann.809 Eine Heilung der Klausel ist auch im Falle eines Verstoßes gegen §§ 305 ff. BGB möglich.810 Die Anwendung des § 313 BGB kann in bestimmten Fällen trotz Existenz einer vertraglichen Klausel angezeigt sein. Dies gilt vor allem für Fallgestaltungen, in denen eine Vertragsklausel besteht, die allerdings im Zusammenhang mit der eingetretenen Veränderung „unangemessen und anpassungsbedürftig“ wirkt.811 In diesen Fällen ist fraglich, ob die vertragliche Klausel weiterhin Bestand haben kann. Um dies zu überprüfen ist danach zu fragen, wie sich die Vertragsparteien redlicherweise verständigt hätten, wenn die Veränderung bedacht worden wäre.812 Falls diese hypothetische Prüfung zu keiner Lösung führt, kommt es zu einer Anwendung des § 313 BGB. Möglich sind des Weiteren sog. negative vertragliche Klauseln, die besagen, dass bei einer Veränderung der Umstände eine Anpassung nach § 313 BGB nicht erfolgt.813 Trotz der Zulässigkeit derartiger Regelungen ist zu beachten, dass eine generelle Abbedingung des § 313 BGB nicht möglich ist, da § 313 BGB aus dem zwingenden Treu-und-Glauben-Grundsatz entwickelt wurde.814 Schließlich kommt eine Anwendung des § 313 BGB neben einer vertraglichen Klausel dann in Betracht, wenn nur für bestimmte Störungen eine vertragliche Vereinbarung existiert, es jedoch zu einer anderen, nicht bedachten Störung kommt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Vereinbarung von Rücktrittsklauseln für bestimmte Grundlagenstörungen und die Frage, was hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 313 BGB gilt.

809 Zu unwirksamen Zinsänderungsklauseln BGH NJW 2010, S. 1742 (1742 ff.); NJW-RR 2011, S. 625 (626 f.); zu Preisanpassungsklauseln in Energielieferverträgen nunmehr restriktiv BGH NJW 2008, S. 2172 (2172 ff.); NJW 2009, S. 2662 (2662 ff.); NJW 2011, S. 1342 (1342 ff.). Kritik zu dieser Tendenz von Uffmann, NJW 2011, S. 1313 (1313 ff.). 810 BGH NJW 1984, S. 1177 (1177 ff.); NJW 1992, S. 1164 (1165 f.); NJW 1993, S. 326 (326 ff.); Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 63. 811 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 62. 812 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 62. 813 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 169 f. 814 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 5; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 112; ders., in: MüKo, BGB4, § 242 Rn. 76; Schmidt-Kessel, in: Prütting/ Wegen/Weinreich8, BGB, § 242 Rn. 11; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 170.

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Haben die Vertragsparteien die vertragliche Risikozuweisung anhand sog. Rücktrittsklauseln geregelt, spricht das dafür, dass eine Vertragsanpassung nicht gewollt und daher ausgeschlossen ist.815 Allerdings kommt es trotz Existenz einer Rücktrittsklausel zu einer Anwendung des § 313 BGB bzw. zur Vertragsanpassung, wenn die Parteien den Rücktritt nur für eine bestimmte Grundlagenstörung vereinbart hatten, die nicht eingetreten ist.816 Selbst wenn die Parteien eine Rücktrittsklausel vereinbart haben, die sich auf allgemeinere Veränderungen bezieht, kommt eine Anpassung des Vertrags nach § 313 BGB in Betracht, wenn das eingetretene Risiko nicht von der Vereinbarung umfasst ist.817 Die dargelegten Konstellationen zeigen, dass vertragliche Klauseln grundsätzlich zwar Vorrang vor § 313 BGB genießen, dies jedoch keinen generellen Ausschluss des § 313 BGB impliziert.818 bb) Typische und gesetzliche Risikoverteilung Fehlt eine vertragliche Risikozuweisung, müssen die typischen und die gesetzlichen Risikoverteilungsregeln berücksichtigt werden. Diese Risikotragungsregeln genießen Vorrang gegenüber § 313 BGB.819 Derjenige, der einen Nachteil erleidet, muss das Risiko tragen, wenn sich im Nachteil ein typisches Vertragsrisiko verwirklicht hat.820 Zur Bestimmung der jeweiligen Risikosphären sind die Eigenart des Rechtsverhältnisses, die allgemeinen Gepflogenheiten, Geschäftssitten, Geschäftserwartungen und die gesetzliche Regelungssystematik heranzuziehen.821 Der spekulative Charakter von Geschäften beispielsweise beeinflusst das typische Vertragsrisiko.822 „Typische Risiken“ sind beispielsweise die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners bei der Bürgschaft823 oder die tatsächliche Lebenszeit des Vertragspartners bei Rentenverträgen.824 Das typischerweise mit dem Geschäft verbundene Risiko hat der Gesetzgeber teilweise durch die gesetzlichen Regeln zur Gefahrtragung sowie zur Sach- und 815

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 64. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 64; Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 1099; OLG Koblenz MDR 2004, S. 1359.(1359 ff.). 817 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 64; Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 1099. 818 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 420 f. Rn. 34. 819 BGH NJW 2012, S. 2733 (2734); NJW 1987, S. 2674; KG BeckRS 2012, 23569; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 438 Rn 22; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 16. 820 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 45. 821 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 68; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 19; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 45. 822 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 45; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 21. 823 BGH NJW 1988, S. 2173 (2174); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 45. 824 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 45. 816

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Rechtsmängelhaftung im BGB verankert.825 Diesen allgemeinen gesetzlichen Risikoverteilungsregeln ist zu entnehmen, dass der Eigentümer das Sachentwertungsund das Sachuntergangsrisiko, der Gläubiger das Verwendungsrisiko, der Geldgläubiger das Geldentwertungsrisiko, der Geldschuldner das Finanzierungsrisiko und der Schuldner das Beschaffungs- und Herstellungsrisiko trägt.826 Im Mietrecht beispielsweise trägt der Vermieter das Risiko für eine falsche Berechnung der Mietfläche,827 die fehlende Fähigkeit der Gebrauchsüberlassung828 und der Mieter das Risiko dafür, dass sich der marktübliche Mietzins nach Vertragsabschluss ins Negative entwickelt.829 Gesetzliche Risikoverteilungsregeln, wie beispielweise § 446 BGB, genießen Vorrang gegenüber § 313 BGB. Doch die Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts neben gesetzlichen Risikoverteilungsregeln ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen.830 Vielmehr dienen Letztere als „Entscheidungshilfe“831 im Rahmen der Risikoverteilung und sind Indiz dafür, dass eine anderweitige Verteilung des Risikos ausgeschlossen ist.832 Die Ausführungen zur vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung machen deutlich, dass die Risikoverteilung einen wichtigen Anhaltspunkt dafür liefert, ob ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist oder nicht. Ein weiteres bedeutendes Kriterium zur Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs ist die Vorhersehbarkeit der Änderung. b) Vorhersehbarkeit Für die Anwendbarkeit der Störung der Geschäftsgrundlage und die Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs ist zu berücksichtigen, ob die Änderung der Umstände vorhersehbar (bzw. im Rahmen § 313 Abs. 2 BGB erkennbar833) war.834

825

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 72. BGH NJW 1997, S. 2262 (2262 ff.); NJW-RR 1993, S. 880 (881 ff.); NJW 1978, S. 322.; NJW 1972, S. 1702 (1703); Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 19; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 46. 827 BGH NJW 2004, S. 3115; Beyer, NZM 2010, S. 417 (419). 828 BGH ZMR 1996, S. 309. 829 BGH NJW-RR 2005, S. 236. 830 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 72; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 19. 831 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 72. 832 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 72; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 19. 833 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). 834 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 60, 63; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 23; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 24; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 47; Schmitz, Rechtsgrundsätze, S. 114. 826

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des § 313 BGB

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aa) Charakteristika des Vorhersehbarkeitskriteriums Eine Anwendung des § 313 BGB kommt in der Regel nicht in Betracht, wenn eine Partei die Veränderungen der Umstände vorhergesehen hat bzw. hätte vorhersehen können.835 Dieser Grundsatz basiert auf dem Gedanken, dass bei einer Vorhersehbarkeit der veränderten Umstände durch die Parteien eine vorherige vertragliche Regelung836 dieser Umstände möglich gewesen ist. Es wird als widersprüchlich erachtet, in derartigen Fällen eine Unzumutbarkeit anzunehmen und den Vertragsparteien eine Loslösung vom Vertrag zu gestatten, da sie sich trotz Vorhersehbarkeit bewusst für diesen Vertrag entschieden haben.837 Wer Verträge unverändert abschließt, obwohl er die Gefahren kennt oder kennen muss, übernehme auch das Risiko des Gefahreneintritts.838 Vor allem bei Sachverhalten mit typischen Risiken, beispielsweise der Inflation,839 ist aufgrund der „abstrakt-generellen Erkennbarkeit“ von einer Vorhersehbarkeit auszugehen.840 Unvorhersehbar sind dagegen atypische Störungen, die beispielsweise auf Änderungen der rechtlichen Lage oder anderen hoheitlichen Eingriffen sowie auf Kriegen oder ähnlichen Umbrüchen beruhen.841 Die Vorhersehbarkeit schließt die Anwendung des § 313 BGB nicht immer aus.842 Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die Vorhersehbarkeit als negative Voraussetzung der Störung der Geschäftsgrundlage zu regeln, da die Anwendung des § 313 BGB bei einer Vorhersehbarkeit zwar regelmäßig, jedoch „nicht ausnahmslos“ ausgeschlossen sei.843 In bestimmten Fällen kann ein weiteres Festhalten am Vertrag 835 BGH NJW 1981, S. 1668 (1669); NJW 2002, S. 3695 (3698); OLG Saarbrücken NJW 2012, S. 3731 (3733); BAG NZI 2012, S. 977 (980); Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 23. 836 Beispielsweise durch Verwendung von Vertragsklauseln, Bedingungen oder durch das Abschließen einer Versicherung, die das jeweilige Risiko deckt, vgl. Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (200). 837 BGH WM 1972, S. 656 (657); NJW 2002, S. 359 (362); NJW 1981, S. 1668 (1669); BTDrucks. 14/6040, S. 175; krit. zur Gesetzesformulierung Henssler, FS. Huber, S. 739 (748); Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 23; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 24; Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 65; Ulmer, AcP 174 (1974), S. 174 (185); Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 238 ff. 838 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (200). 839 Während bei einer schleichenden Geldentwertung eine Vorhersehbarkeit anzunehmen ist, gilt dies nicht für eine Hyperinflation. Letztere ist regelmäßig unvorhersehbar, vgl. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74. 840 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 47. 841 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 47. 842 BT-Drucks. 14/6040, S. 175; Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (100); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 58; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 31. 843 BT-Drucks. 14/6040, S. 175 f.; zustimmend Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 31.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

trotz der Vorhersehbarkeit der veränderten Umstände unzumutbar sein.844 Die Vorhersehbarkeit ist ein starkes Indiz für die Zumutbarkeit und erhöht die Schwelle zur Unzumutbarkeit eines Festhaltens am Vertrag deutlich.845 Doch vor allem dann, wenn das Festhalten am Vertrag zu einem untragbaren Ergebnis für die Parteien führen würde, kann der Anwendungsbereich des § 313 BGB trotz Vorhersehbarkeit eröffnet sein. Ein untragbares Ergebnis kann beispielsweise vorliegen, wenn die Parteien die Störung zwar vorhersehen konnten, eine Vorsorge jedoch rein faktisch nicht getroffen werden konnte.846 Die Beurteilung der Vorhersehbarkeit hängt auch von der Art des Rechtsgeschäftes bzw. vom Vertragstypus ab. Dadurch wird auch innerhalb des Vorhersehbarkeitskriteriums den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen. Liegt dem Rechtsgeschäft beispielsweise ein Spekulationsgeschäft zugrunde, spricht neben der Risikoverteilung auch die Vorhersehbarkeit von Störungen regelmäßig gegen eine Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts.847 Auch die Laufzeit des Vertrags beeinflusst das Vorhersehbarkeitskriterium.848 Je länger ein Vertragsverhältnis dauert, desto unvorhersehbarer kann eine Veränderung der Umstände möglicherweise sein.849 Daher ist die Anwendung des § 313 BGB vor allem bei langfristigen Verträgen wahrscheinlicher. bb) Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit an die Vertragsparteien Die Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass die Vertragsparteien das Wissen besaßen, um die Veränderung der Umstände vorhersehen zu können. Nur dann ist die Vorhersehbarkeit den Vertragsparteien zurechenbar. Allerdings ist umstritten, wie bzw. anhand welchen Maßstabs zu beurteilen ist, ob die Vertragsparteien über das nötige Wissen verfügten. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung wurden verschiedene Ansätze zur Bestimmung eines Zurechnungsmaßstabs entwickelt. (1) Ansichten Nach einer vornehmlich früher vertretenen Ansicht orientiert sich die Zurechenbarkeit an der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB a. F.).850 In eine ähnliche, aber differenzierende Richtung 844

Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (100); RGZ 100, S. 129 (132 f.). Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (100); BGH WM 1964, S. 1253 (1254); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 58. 846 BGH NJW 1951, S. 602 (604); Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74. 847 Titze, Richtermacht, S. 24. 848 BGH NJW 1983, S. 1309 (1310); NJW 1984, S. 2212; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 849 BGH NJW 1983, S. 1309 (1310); NJW 1984, S. 2212; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 850 Weber, in: StaudingerKomm, BGB1961, § 242 Rn. 468. 845

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des § 313 BGB

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gehen die Ansichten, die auf das „Wissen und die Erkenntnisfähigkeit eines durchschnittlichen Vertreters des betroffenen Rechtskreises“851 oder auf die Sicht eines „vernünftigen Menschen in der Lage des Betroffenen“852 abstellen. Eine weitere, ebenfalls früher vertretene und äußerst weitgehende Ansicht zog das „menschlich Vorstellbare“ als Zurechnungsmaßstab heran.853 Zurechenbar, mithin vorhersehbar, war nach diesem Maßstab alles innerhalb der Grenzen menschlicher Erfahrung und Kalkulationsmöglichkeit.854 Unvorhersehbar sei nur das, was dem Bereich der „Phantasie“ zuzuordnen ist.855 Die Rechtsprechung und die Literatur bestimmen den Vorhersehbarkeitsmaßstab anhand des Kriteriums der Zumutbarkeit.856 Ausgangspunkt dieses Maßstabs ist der verständige bzw. der vernünftige Mensch.857 Jeder Vertragspartei seien „die Erkenntnisfähigkeiten und die Kenntnis“ zurechenbar, die eine „vernünftige Person in der konkreten Situation bei Vertragsabschluss und bei einem Geschäft dieser Art mitbringt, um seine eigenen Interessen bei diesem Geschäft wahren zu können und deshalb der Geschäftspartner auch als vorhanden unterstellen darf“.858 Dieser Maßstab wird durch weitere zahlreiche Grundsätze konkretisiert. So müsse beispielsweise der Kenntnisstand der Parteien auch anhand ihres etwaigen Sonderwissens oder besonderer Fähigkeiten beurteilt werden.859 Zugerechnet wird zudem die „Kenntnis oder Voraussicht“ von Störungen, die auf unübersichtlichen bzw. kritischen Situationen beruhen.860 Da die Gefährlichkeit der Lage jedoch jede Entwicklung möglich erscheinen und somit keine genaue voraussehen lässt, ist zu berücksichtigen, dass es auch in solchen Krisensituationen möglich sein muss, Verträge zu schließen, ohne den Parteien ein grenzenloses Risiko aufzubürden. Daher ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob mit der eingetretenen Störung nach Art und Ausmaß noch zu rechnen war.861

851

Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99) mit Hinweis auf Koller, Risikozurechnung, S. 222. 852 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (203). 853 Titze, Richtermacht, S. 25. 854 Titze, Richtermacht, S. 25. 855 Titze, Richtermacht, S. 25. 856 BGH NJW 1983, S. 1309 (1310); NJW 1984, S. 2212; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 61; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 857 BGH NJW 1983, S. 1309 (1310); Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 858 Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 859 BGH NJW 1982, S. 1458 (1459); KG NJW 1983, S. 2326 (2327); Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 191. 860 Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 192. 861 Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 192.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

(2) Kritik und Stellungnahme Gegen die früher vertretene Ansicht, die für eine Zurechnung der Vorhersehbarkeit auf § 276 BGB abstellen wollte, ist anzuführen, dass es bei der Vorhersehbarkeit nicht um ein schuldhaftes Handeln gegenüber dem Vertragspartner, sondern eher um ein „Verschulden gegen sich selbst“ geht.862 Als Kritikpunkt gegen die Ansicht, die alles „menschlich Vorstellbare“ als vorhersehbar zurechnen möchte, ist einzuwenden, dass sie zu weit geht. Aufgrund der zahlreichen historischen Katastrophen und Erfahrungen, die auf politischer, ökonomischer und ökologischer Ebene gemacht wurden, ist inzwischen fast alles vorstellbar.863 Zudem birgt diese Ansicht die Gefahr, dass die Parteien jede irgendwie möglich erscheinende Gefahr in Erwägung ziehen müssten, weil sie jede „menschlich vorstellbare“ Entwicklung ins Auge fassen.864 Dies ist bereits aus Kosten- und Zeitgründen kaum vorstellbar.865 Schließlich ist zu befürchten, dass ein derart weiter Zurechnungsmaßstab dazu führt, dass die Vertragsparteien Abstand vom Vertragsabschluss nehmen. Zu befürworten ist eine Bestimmung des Vorhersehbarkeitsmaßstabes, wie sie die Rechtsprechung entwickelt hat, d. h. eine Orientierung am verständigen bzw. vernünftigen Menschen. Zudem sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalles genau zu betrachten. Für diese Kombination spricht, dass sie dem Gedanken der Vertragsgerechtigkeit eher gerecht wird als die alleinige Ausrichtung am verständigen bzw. vernünftigen Menschen. Der befürwortete Maßstab setzt voraus, dass Kriterien wie das Sonderwissen und der Erfahrungsschatz der Parteien, die Vertragsart, die Vertragslaufzeit oder der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bei der Zurechnung des Vorhersehbarkeitskriteriums zu berücksichtigen sind. Die Finanzkrise als äußerst aktuelles und medial omnipräsentes Thema zeigt beispielsweise, welche Bedeutung dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als Vorhersehbarkeitskriterium zukommen kann. Denn möglicherweise müssen sich Vertragsparteien, die gegenwärtig Vertragsverhältnisse eingehen, später anhören, dass sie aufgrund der Finanzkrise mit Änderungen rechnen mussten oder sich nicht auf den Fortbestand der Marktordnung verlassen durften.866 Den Vertragsparteien ist in einer derartigen Situation die bereits näher dargestellte Verwendung von Anpas-

862 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (203); Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 188 (allerdings ohne von einem „Verschulden gegen sich selbst“ zu sprechen). 863 Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 189; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 61. 864 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 61. 865 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 61; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 866 Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1140). Eine Berufung auf § 313 BGB ist jedoch bei langfristigen Verträgen, die vor dem Beginn der Finanzkrise abgeschlossen und aufgrund der Krise wesentlich erschüttert wurden, durchaus naheliegend, vgl. auch Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1140).

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des § 313 BGB

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sungsklauseln zu empfehlen, um gegen wirtschaftlich nachteilige Entwicklungen entsprechend gewappnet zu sein.867 c) Zurechenbarkeit Ein weiteres Kriterium zur Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs ist die Zurechenbarkeit der Störung. Das Kriterium der Zurechenbarkeit spielt für die Frage, ob die eingetretene Störung zumutbar ist oder nicht, eine besondere Rolle. Anhand des Zurechenbarkeitskriteriums wird ermittelt, ob die betroffene Partei die Störung selbst herbeigeführt hat oder in der Lage war, durch eine entsprechende Handlung die Geschäftsgrundlagenstörung zu beeinflussen bzw. zumindest die Folgen der Störung gering zu halten.868 aa) Inhalt und Reichweite des Zurechenbarkeitskriteriums Der BGH hat 2005 erneut entschieden, dass bei einer zurechenbaren Herbeiführung der Geschäftsgrundlagenstörung eine Berufung auf den § 313 BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist.869 Derjenige, der die eingetretene Störung in zurechenbarer Weise bewirkt hat, kann aus der Störung grundsätzlich keine Rechte herleiten und sich somit nicht auf die Störung berufen. Zurechenbar sind Störungen, die die Vertragspartei schuldhaft870 oder in sonstiger Weise zurechenbar871 herbeigeführt hat oder wenn der Grund für die Veränderung der Umstände in den Machtbereich der betroffenen Parteien fällt.872 Dieser Grundsatz beruht darauf, dass die Partei, die die Störung herbeiführt, grundsätzlich nicht schutzwürdig und eine Berufung auf das Institut der Geschäftsgrundlagenstörung in der Regel ausgeschlossen ist.873 Diese Überlegung entwickelte sich bereits vor der Kodifikation des Geschäftsgrundlageninstituts und wurde auf § 162 Abs. 2 BGB gestützt.874 867

Feißel/Gorn, BB 2009, S. 1138 (1140). Härle, Äquivalenzstörung, S. 103. 869 BGH NJW 2005, S. 359 (362). In der Entscheidung war es dem Leasingnehmer gegenüber dem Leasinggeber nach Treu und Glauben versagt, sich auf den § 313 BGB zu berufen, weil er die zum Fehlen der Geschäftsgrundlage führenden Umstände selbst vorsätzlich herbeigeführt hat. 870 BGH NJW 1995, S. 2028 (2031); NJW-RR 1993, S. 880 (881); Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 49; Unberath, in: Bamberger/ Roth, BGB3, § 313 Rn. 29; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 24; Finkenauer, in MüKo, BGB6, § 313 Rn. 75. 871 BGH NJW 2011, S. 989 (991); NJW-RR 1993, S. 880 (881); NJW 1995, S. 2028 (2031); Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99); Unberath, in Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 29. 872 BGH NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1995, S. 2028; Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). 873 BGH NJW 2011, S. 989 (991); NJW 1995, S. 2028; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 58, 75. 874 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 104 f. 868

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Der Umfang der Zurechenbarkeit wird aus dem Sphärengedanken hergeleitet. Je mehr das Ereignis, das zur Störung führt, in die Sphäre einer Vertragspartei einzuordnen ist, desto eher gilt für diese Vertragspartei die Bindungswirkung des Vertrags.875 Denn der Wille, die vertragliche Bindung wegen einer Störung lösen zu wollen, die man selber verursacht hat, führt letztlich zu einem venire contra factum proprium.876 Nicht jeder irgendwie kausale Beitrag zur Geschäftsgrundlagenstörung schließt die Anwendung des § 313 BGB mangels Unzumutbarkeit aus. Handelt beispielsweise die Vertragspartei, aus deren Sphäre die Störung stammt, „nur“ fahrlässig, so ist eine Anwendung des § 313 BGB nicht generell ausgeschlossen. Vielmehr wird durch die fahrlässige Herbeiführung die Zumutbarkeitsgrenze angehoben.877 Der Gegenpartei hingegen wird eine Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage vereinfacht. Denn wegen der vom Vertragspartner herbeigeführten Störung ist ihr das Festhalten am ursprünglich Vereinbarten viel weniger zuzumuten.878 Folglich sinkt die Zumutbarkeitsgrenze der Gegenpartei, wenn die Störung dem Vertragspartner zuzurechnen ist. Zu Gunsten der Gegenpartei kann eine Korrektur anhand der Störung der Geschäftsgrundlage eher vorgenommen werden.879 Die Zurechenbarkeit der Störung führt nicht immer dazu, dass die Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen ist. Wegen der Vertragsgerechtigkeit kann in bestimmten Ausnahmefällen trotz Zurechenbarkeit ein Rückgriff auf das Geschäftsgrundlageninstitut erfolgen.880 In derartigen Fällen ist die Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts besonders zu begründen.881 bb) Die Anwendbarkeit des § 313 BGB in Fällen des Verzugs Innerhalb des Zurechenbarkeitskriteriums stellt sich die Frage, was für die Fälle des Schuldnerverzugs gilt und ob die Anwendung des § 313 BGB in Fällen des Verzugs ausgeschlossen ist. Für die vorliegende Arbeit ist die deutsche Rechtslage zu dieser Frage bedeutsam, da die Arbeit einen Vergleich zur türkischen Rechtslage bezweckt und im türkischen Recht eine intensive Auseinandersetzung darüber besteht, wie in den Fällen des Schuldnerverzugs mit dem Zurechenbarkeitskriterium und dem Geschäftsgrundlageninstitut zu verfahren ist.882

875

Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). 877 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). 878 Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3 Rn. 29. 879 Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 58; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 63; Härle, Äquivalenzstörung, S. 104. 880 Härle, Äquivalenzstörung, S. 104. 881 Härle, Äquivalenzstörung, S. 104. 882 Vgl. unten. Kapitel 2, § 3, A., V., 2. Die Anwendbarkeit des § 313 BGB in Fällen des Verzugs. 876

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des § 313 BGB

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Im deutschen Recht kann sich eine Vertragspartei, die sich im Schuldnerverzug befindet, nicht auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen.883 Begründet wird dies damit, dass die benachteiligte Vertragspartei nur deshalb von der Geschäftsgrundlage betroffen werde, weil sie sich im Verzug befindet.884 Der Schuldner habe seine Leistung nicht rechtzeitig bewirkt und sich damit selbst in die Lage gebracht, nunmehr unter wesentlich veränderten und für ihn ungünstigen Umständen erfüllen zu müssen.885 Der Ausschluss des § 313 BGB in Fällen des Verzugs wird vor allem aus dem Rechtsgedanken des § 287 S. 2 BGB hergeleitet.886 Nach dieser Vorschrift haftet die Partei, die sich im Verzug befindet, auch für zufällig eintretende Ereignisse. d) Weitere Wertungspunkte und Gesamtabwägung Die Konkretisierung des Unzumutbarkeitskriteriums ist schließlich an weitere Wertungspunkte und eine Gesamtabwägung geknüpft. Die dargestellten Kriterien stellen wesentliche Gesichtspunkte bei der Bestimmung der Unzumutbarkeit dar. Es verbietet sich jedoch eine schematische Würdigung ohne Berücksichtigung sonstiger Umstände des Einzelfalles. Vielmehr fließen weitere Wertungen mit in eine Gesamtabwägung ein. Solche weiteren Wertungen sind z. B. die Vertragsart (z. B. Verträge mit Versorgungscharakter) und Vertragsdauer (z. B. Langzeitverträge), die wirtschaftliche und sonstige Lage der Parteien (z. B. existenzbedrohende Situationen) sowie das öffentliche Interesse an bestimmten Prinzipien (z. B. am Nominalprinzip).887 Ausschlaggebend für die Beurteilung, ob das Festhalten am Vertrag unzumutbar erscheint oder nicht, kann auch das Verhalten der Parteien sein. Hierbei kommt dem Gedanken des venire contra factum proprium besondere Bedeutung zu.888

B. Anwendungsbereich des § 313 BGB und die Abgrenzung zu anderen Instituten Das Geschäftsgrundlageninstitut kommt nicht uneingeschränkt zur Anwendung. Vielmehr liegt der Anwendungsbereich des § 313 BGB nur innerhalb bestimmter 883

Grüneberg, in Palandt, BGB73, § 313 Rn. 22; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 63; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 49; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 29; Finkenauer, in MüKo, BGB6, § 313 Rn. 75. 884 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 24; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 49; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 29; BGH JZ 1952, S. 751 (752); RGZ 103, S. 3. 885 BGH JZ 1952, S. 751 (752); RGZ 103, S. 3; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 24. 886 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 49; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 29. 887 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 50. 888 Belling/Hartmann, NZA 1998, S. 57 (62).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Schuldverhältnisse und ist zudem von anderen Instituten abzugrenzen. Deshalb wird im folgenden Abschnitt zunächst dargestellt, innerhalb welcher Verträge der Anwendungsbereich des § 313 BGB überhaupt eröffnet ist (I.). Im Anschluss daran wird der spannenden Frage nachgegangen, wie das Geschäftsgrundlageninstitut von anderen schuldrechtlichen Instituten abzugrenzen ist (II.). I. Anwendungsbereich des Geschäftsgrundlageninstituts § 313 BGB ist nicht auf jede Art von Vertragsverhältnissen anwendbar. Es ist zu differenzieren: 1. Anwendbarkeit auf Verträge Die Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts setzt gem. § 313 BGB voraus, dass es sich um einen Vertrag handelt. Der Vertrag muss wirksam zustande gekommen sein, da sich der Wortlaut des § 313 BGB ausdrücklich auf Verträge beschränkt.889 Wenn also beispielsweise Vertragsverhandlungen abgebrochen wurden, kommt kein Vertrag zustande und somit § 313 BGB nicht zur Anwendung. Diese Fälle werden über das Institut der culpa in contrahendo gelöst.890 Innerhalb gesetzlicher Schuldverhältnisse ist § 313 BGB nicht anwendbar, da gesetzliche Schuldverhältnisse nicht auf vertraglichen Beziehungen und somit nicht auf Parteivereinbarungen bzw. damit verbundenen Vorstellungen beruhen.891 Zudem schließen gesetzliche Sondervorschriften, die die Abweichung der tatsächlichen Situation von den Vorstellungen der Parteien berücksichtigen (wie beispielsweise §§ 311 a, 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 519 und 314 BGB), die Anwendung des § 313 BGB aus.892 Ungeachtet des Standorts oder Kodifikation der Vertragsart im BGB ist das Geschäftsgrundlageninstitut innerhalb unterschiedlicher schuldrechtlicher Verträge anwendbar.893 Als Beispiele sind zu nennen Darlehensverträge,894 Bürgschaftsverträge895 sowie Verträge aus den Bereichen des Familienrechts,896 Gesellschaftsrechts897 und Erbrechts.898 889

Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 53. Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 53; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 428 Rn. 53; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 14; Roth, in: MüKo, BGB4, § 242 Rn. 676. 891 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 53; Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 88; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (385). 892 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 32. 893 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 11. 894 BGH NJW 1952, S. 1371 (1372 f.); NJW 1955, S. 59 (61); Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 11. 895 BGH NJW 1994, S. 2146 (2147); OLG Karlsruhe NJW-RR 1997, S. 1200. 896 BGH DNotZ 2005, S. 853 (853). 897 BGH NJW 1974, S. 498 (501). 890

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2. Anwendbarkeit innerhalb (teil-)erfüllter Verträge Vor allem durch die deutsche Wiedervereinigung und deren Folgen in den 90er Jahren gewann die Frage, ob das Geschäftsgrundlageninstitut bei teil- oder vollerfüllten Verträgen angewendet wird, an erheblicher Bedeutung.899 Fraglich war, wie die Verträge, die während des Bestehens der DDR vollständig abgewickelt wurden, zu behandeln sind. Denn nach der Wiedervereinigung beriefen sich die betroffenen Parteien teilweise auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, da sich mit der Veränderung des Wirtschaftssystems die Umstände, die zur Geschäftsgrundlage geworden waren, nach der Erfüllung geändert hätten. Grundsätzlich ist die Anwendung des § 313 BGB ausgeschlossen, wenn der Vertrag und somit das zugrundeliegende Rechtsgeschäft vollständig erfüllt worden ist.900 Begründet wird dies mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und damit, dass durch die Erfüllung des Vertrags die „vertraglichen Beziehungen der Parteien ihr Ende finden“901 und jede Partei selber das Entwertungsrisiko der erhaltenen Leistung trage.902 Wird der Vertrag nur teilweise erfüllt, dann wird die Anwendbarkeit des Geschäftsgrundlageninstituts für den noch nicht erbrachten Vertragsteil weitestgehend bejaht.903 Dafür spricht, dass die Rechtssicherheit im Hinblick auf den nicht erfüllten Teil noch nicht gefährdet ist, sodass hinsichtlich der noch offenen Leistung § 313 BGB in Betracht kommen kann. Diese Grundsätze gelten freilich nicht ausnahmslos. Zur Gewährleistung der Vertragsgerechtigkeit kann in Ausnahmefällen ein bereits vollständig abgewickelter Vertrag über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückabgewickelt werden, wenn das zur Vermeidung untragbarer Ergebnisse im Einzelfall geboten erscheint.904 Die Anwendbarkeit des Geschäftsgrundlageninstituts trotz Erfüllung wird vor allem dann bejaht, wenn die Vertragsparteien nicht wissen konnten, dass bereits zum Zeitpunkt der Erfüllung eine Störung der Geschäftsgrundlage vorlag.905 898

Vgl. auch die Aufzählung bei Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 11 f. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 49, 244. 900 BGH NJW 1983, S. 2143 (2144); NJW 1972, S. 1577 (1579); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 53; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 15; Köhler, FS Steindorff, S. 611 (631). 901 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 54. 902 Härle, Äquivalenzstörung, S. 106; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 220 f. 903 BGH NJW 1992, S. 2690 (2691); NJW 1979, S. 1818; NJW 1962, S. 29 (30); NJW 1961, S. 553 (555); NJW 1958, S. 297 (298); Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 53; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 54. 904 BGH NJW 1992, S. 2960 (2961); Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 55; Härle, Äquivalenzstörung, S. 106; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 135; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 90. 905 Härle, Äquivalenzstörung, S. 106; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 135; RGZ 119, S. 133 (136 f.). 899

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Härle906 begründet diese Ausnahme mit einer Analogie zum Gewährleistungsrecht. Erfüllung trete nur mit einer im Erfüllungszeitpunkt vertragsgerechten Leistung ein, sodass trotz Annahme der Leistung Gewährleistungsrechte geltend gemacht werden können, wenn keine Kenntnis vom Mangel bestand. Entsprechendes gelte für Störungen im Äquivalenzverhältnis, die zum Zeitpunkt der Erfüllung bestanden, aber nicht bekannt waren.907 Die Anforderungen an eine fehlende Kenntnis des Benachteiligten von der Störung zum Zeitpunkt der Erfüllung sind allerdings nach Härle so hoch, dass eine Vertragsanpassung nach Erfüllung „fast nie in Frage“ kommt.908 3. Anwendbarkeit auf einseitige Rechtsgeschäfte Es ist umstritten, ob § 313 BGB auf einseitige Rechtsgeschäfte (wie beispielsweise Verfügungen von Todes wegen) anwendbar ist. Nach herrschender Meinung kann § 313 BGB nicht, auch nicht analog, auf einseitige Rechtsgeschäfte angewendet werden.909 Zur Begründung dieser Ansicht werden zahlreiche Argumente vorgetragen. Für eine (analoge) Anwendung des § 313 BGB sei schon deshalb kein Raum, da die Lösung für Störungen innerhalb einseitiger Rechtsgeschäfte in den §§ 119 ff. BGB und den speziellen erbrechtlichen Anfechtungsregelungen abschließend geregelt sei.910 Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb bei einseitigen Rechtsgeschäften ein über die genannten Vorschriften hinausgehender Schutz in Gestalt des § 313 BGB gewährleistet werden sollte.911 Gegen die Anwendung des § 313 BGB bei einseitigen Rechtsgeschäften spreche ferner, dass bei Letzteren der Erklärende den Vertrag alleine gestalte und somit seinen Willen alleine durchsetze. Daher falle auch das Risiko bei einem einseitigen Rechtsgeschäft alleine in seinen Risikobereich.912 Dafür spreche vor allem, dass umgekehrt für den Erklärenden positive, für den Erklärungsempfänger hingegen negative Veränderungen auch nicht zur Folge haben, dass der Erklärungsempfänger sich auf eine Grundlagenstörung berufen kann.913 Dementsprechend dürfe sich der Erklärende ebenfalls nicht auf für ihn unvorteilhafte Veränderungen berufen.

906

Härle, Äquivalenzstörung, S. 106 f. Härle, Äquivalenzstörung, S. 106 f. 908 Härle, Äquivalenzstörung, S. 107. 909 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 53; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 14; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (385 f.). 910 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50; Hohloch, in: Ermann, BGB13, § 313 Rn. 14. 911 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50. 912 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50, Krebs, in: AnwaltKom, BGB2005, § 313 Rn. 27. 913 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50. 907

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Betont wird zudem, dass die Rechtsprechung eine Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts auf einseitige Rechtsgeschäfte bereits vor der Kodifizierung ablehnte.914 Einige schließen die Anwendung des § 313 BGB auf einseitige Rechtsgeschäfte nicht ausnahmslos aus.915 Sie befürworten entweder gewisse Ausnahmen unter besonderer Berücksichtigung der Interessen von Dritten916 oder eine analoge Anwendung auf einseitige Rechtsgeschäfte, wenn eine Partei das einseitige Rechtsgeschäft im Einvernehmen mit der anderen Partei statt der ansonsten möglichen gegenseitigen vertraglichen Vereinbarung vorgenommen hat.917 Die Interessenlage unterscheide sich bei einer derartigen Konstellation nicht von der eines gegenseitigen Vertrags.918 II. Abgrenzung und Konkurrenzverhältnis zu anderen Rechtsinstituten Zahlreiche andere Rechtsinstitute aus dem Schuldrecht weisen Gemeinsamkeiten zum Geschäftsgrundlageninstitut auf. § 313 BGB kann sich in bestimmten Fällen mit diesen Instituten überschneiden. In derartigen Fällen stellt sich die Frage, wie § 313 BGB von anderen schuldrechtlichen Instituten abgegrenzt werden kann und welches Konkurrenzverhältnis gilt. Die Abgrenzungsfrage ist von wesentlicher Bedeutung, da § 313 BGB deutlich abweichende Rechtsfolgen vorsieht. 1. Abgrenzung zu § 275 Abs. 1 BGB Das Reichsgericht löste das Geschäftsgrundlagenproblem in seinen ersten Entscheidungen unter dem Begriff der „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“ über die Regeln der Unmöglichkeit.919 Diese überholte Rechtsprechung macht deutlich, dass es zu Überschneidungen zwischen den Instituten kommen kann. Vor allem der Umstand, dass der Begriff der „Unmöglichkeit“ vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich definiert wurde, kann zu Abgrenzungsproblemen führen. Mangels Legaldefinition besteht theoretisch die Option, den Unmöglichkeitsbegriff weit zu fassen. Eine extensive Unmöglichkeitsdefinition führt aber dazu, dass die Fälle der Geschäftsgrundlagenstörung anhand des Unmöglichkeitsrechts gelöst werden könnten.920 In diesem Falle wäre kein Raum für eine Anwendung des § 313 BGB.921 Gegen dieses 914 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50; BGH NJW 1970, S. 1418 (1420); NJW 1993, S. 850. 915 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50; Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 94. 916 Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 10. 917 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50; Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 94. 918 Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 94. 919 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II., 3. Lösung über die wirtschaftliche Unmöglichkeit. 920 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 155. 921 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 155.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Ergebnis spricht nicht nur die Existenz des § 313 BGB. Auch der Bedarf an einer flexiblen Rechtsfolge mit der Möglichkeit der Vertragsanpassung rechtfertigt es, die Geschäftsgrundlagenfälle nicht über das Unmöglichkeitsrecht zu lösen. Inzwischen ist zumindest das Verhältnis des § 313 BGB zu § 275 Abs. 1 BGB weitestgehend unumstritten. Nach h. L.922 genießt § 275 Abs. 1 BGB Vorrang gegenüber § 313 BGB. Diese Vorrangigkeit sei zwar nicht dem Wortlaut des § 275 Abs. 1 BGB,923 wohl aber dem Umstand zu entnehmen, dass die „scharf konturierten Tatbestände“924 in § 275 Abs. 1 BGB die Grenze der Leistungspflicht regeln.925 Wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit sei, bestehe kein Anlass mehr, den Vertrag nach den Regeln des § 313 BGB anzupassen.926 Den Vorrang des § 275 Abs. 1 BGB gegenüber § 313 BGB hat auch der Gesetzgeber in seinen Materialien zur Gesetzesbegründung betont.927 Der Vorrang des § 275 Abs. 1 BGB gegenüber § 313 BGB hilft jedoch bei der Zuordnung bestimmter Fallgruppen nicht weiter. Namentlich in Fällen der Zweckerreichung, des Zweckfortfalls und der Zweckstörung stellt sich nämlich die Frage, ob diese unter Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1 BGB oder des § 313 BGB fallen. Einigkeit besteht zunächst darüber, dass die Fallgruppen der Zweckerreichung928 und des Zweckfortfalls929 unter § 275 Abs. 1 BGB fallen. Sowohl bei der Zweckerreichung als auch beim Zweckfortfall kann die Leistung nicht mehr erbracht werden.930 Damit ist sie unmöglich geworden. Problematisch ist hingegen die Einordnung der Zweckstörung. 922

Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 70; Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 19; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 13; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 7. 923 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 154. 924 Pfeiffer, in: JurisPK, BGB6, § 313 Rn. 21; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 154 f. 925 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 70; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 13; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 7. 926 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 70; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 13; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 7. 927 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 928 Ein Fall der Zweckerreichung liegt vor, wenn der geschuldete Erfolg ohne die Mitwirkung des Schuldners oder durch die Handlung eines Dritten (z. B. das freizuschleppende Schiff wird von selbst wieder frei) eintritt, vgl. Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 56. Folglich wird die Leistungshandlung durch den Schuldner bei der Zweckerreichung sinnlos, da der vereinbarte Erfolg eingetreten ist, vgl. Brox/Walker, SchuldR38, § 17 Rn. 9. 929 Ein Zweckfortfall (Heinrichs, in: Palandt, BGB65, § 275 Rn. 19; Hartkopf, Leistungsstörungen, S. 205) bzw. eine Zweckverfehlung (Fikentscher/Heinemann, SchuldR10, § 43 Rn. 393; Rödl, Spannung der Schuld, S. 30.) hingegen ist dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Leistung deshalb nicht mehr erbringen kann, weil das jeweilige Objekt untergegangen ist, noch bevor die jeweils geschuldete Leistung an diesem vorgenommen werden konnte (z. B. das abzuschleppende Schiff ist versunken), Brox/Walker, SchuldR38, § 17 Rn. 10. 930 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 70.

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a) Zweckstörung Eine Zweckstörung931 liegt vor, wenn die Leistung noch möglich, das Interesse des Gläubigers daran aber entfallen ist, weil er mit der Leistung seine ursprünglichen Zwecke nicht mehr verwirklichen kann.932 Für die Frage, ob die Fallgruppe der Zweckstörung durch das Geschäftsgrundlageninstitut oder durch das Unmöglichkeitsrecht zu lösen ist, ist entscheidend, ob die Zwecke, die mit der Leistung verbunden werden, zum Vertragsinhalt gehören oder nicht. Nach der h. L. gehören die Zwecke, die eine Partei mit der Leistung verbindet, zur Geschäftsgrundlage des Vertrags, sodass für die Fälle der Zweckstörung die Regelung des § 313 BGB zur Anwendung kommt.933 Dementsprechend führt die Zweckstörung nach dieser Ansicht grundsätzlich zu einer Vertragsanpassung.934 Begründet wird diese Ansicht zunächst mit der gegenüber § 275 Abs. 1 BGB flexibleren Rechtsfolge des § 313 BGB, die nötig sei, da gerade die Fallgruppen der Zweckstörung eine äußerst einzelfallorientierte Würdigung voraussetzen.935 Für die h. M. spricht zudem, dass der Gesetzgeber in den Gesetzgebungsmaterialien die Fallgruppe der Zweckstörung ausdrücklich dem Geschäftsgrundlageninstitut zugeordnet hat.936 Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber die Zweckstörungsfälle über das Geschäftsgrundlageninstitut lösen möchte.937 Im Zusammenhang mit der gesetzgeberischen Tätigkeit ist ferner zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich des Unmöglichkeitsrechts durch die Schuldrechtsmodernisierung reduziert werden sollte.938 Unmöglichkeit sollte nur noch im Falle der Nichterbringbarkeit der Leistung vorliegen.939 Dieser gesetzgeberischen Wertung940 wi931 Ein Teil der Literatur bezeichnet die Zweckstörung auch als Zweckvereitelung, vgl. Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 57 ff.; Nauen, Leistungsstörungen, S. 44 ff.; Rödl, Spannung der Schuld, S. 30; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 156, 159. 932 Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 7; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 75; Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 160. 933 BGH NJW 2000, S. 1714 (1716 ff.); NJW 2006, S. 899 (901); OLG Düsseldorf NZM 2010, 477 (478); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 177 f.; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 78; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 159; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 275 Rn. 20; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 36; Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 14, 54; Löwisch, in: StaudingerKomm, BGB2001, § 275 Rn. 20; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 22; Schulze, in: Hk-BGB7, § 275 Rn. 10; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 22, 64. 934 Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59. 935 Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 78. 936 BT-Drucks. 14/6040, S. 174. 937 Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59. 938 BT-Drucks. 14/6040, S. 127; Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59. 939 Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

derspricht es, die Zweckstörung unter das Unmöglichkeitsrecht zu fassen und dadurch Letzteres wieder aufzuwerten.941 Teilweise wird danach differenziert, ob der Zweck zum Vertragsinhalt gemacht wurde oder nicht. Wenn der Zweck zum Vertragsinhalt gemacht wurde, könne er nicht als Geschäftsgrundlage gewertet werden, sodass es zu einer Anwendung des Unmöglichkeitsrechts komme.942 Falls die Parteien den Zweck der Leistung vereinbaren, werde die Leistungspflicht derart beeinflusst, dass die Leistung zweckbestimmt zu erbringen sei. Dementsprechend ist für die Vertreter dieser Ansicht auch der Krönungszugfall nach dem Unmöglichkeitsrecht zu lösen.943 Denn da die vereinbarte Leistung die Vermietung des Fensterplatzes für die Betrachtung des Königszuges sei, trete Unmöglichkeit ein, wenn der Krönungszug ausfällt.944 Beim absoluten Fixgeschäft spielt die Leistungszeit eine enorme Rolle. Eine Vertragsanpassung macht in diesen Fällen keinen Sinn.945 Denn die Einhaltung der Leistungszeit nach dem Vertragszweck und gegebener Interessenlage ist für den Gläubiger so wesentlich, dass eine verspätete Leistung keine Erfüllung mehr darstellt.946 Eine späte Erfüllung kann mit dem Leistungszweck des Gläubigers unter keinen Umständen mehr verwirklicht werden.947 b) Stellungnahme Eine Lösung der Zweckstörungsfälle über § 313 BGB ist zu befürworten. In den Fällen der Zweckstörung kann die Leistung theoretisch noch erbracht werden, die betroffene Vertragspartei hat lediglich das Interesse hieran verloren. In dieser Situation bietet § 313 BGB im Vergleich zu § 275 Abs. 1 BGB die flexiblere und zugleich gerechtere Lösung. Denn da innerhalb des § 313 BGB die Primärrechtsfolge eine Vertragsanpassung ist, wird dem Grundsatz pacta sunt servanda Rechnung getragen. Zudem werden im Rahmen von § 313 BGB sowohl die Interessen des

940

BT-Drucks. 14/6040, S. 127. Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59. 942 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 161; Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 499; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 36; Medicus, Bürgerliches Recht21, Rn. 160. 943 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 161; Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 499. 944 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 161; Flume, BGB-AT Bd. II, § 26, S. 499. 945 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 46; H. P. Westermann, in: Erman, BGB13, § 275 Rn. 10. 946 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 46; H. P. Westermann, in: Erman, BGB13, § 275 Rn. 10. Kritik für die absoluten Fixgeschäft: Zimmermann, Das Fixgeschäft, S. 137 ff. Nach Zimmerman die Schulfälle zum absoluten Fixgeschäft führen in der Regel nicht zum Eingreifen des Unmöglichkeitsrechts. 947 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 46; H. P. Westermann, in: Erman, BGB13, § 275 Rn. 10. 941

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Gläubigers als auch die des Schuldners abgewogen. Dies ermöglicht eine einzelfallgerechte Lösung.948 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass gerade in den Fällen der Zweckstörung das Unzumutbarkeitskriterium eine wichtige Bedeutung hat. Das Unzumutbarkeitskriterium kommt jedoch nur innerhalb des § 313 BGB zur Anwendung. Für § 275 Abs. 1 BGB spielt die Unzumutbarkeit keine Rolle, es kommt nur auf die (Un-) Möglichkeit der Leistungserbringung an. Obwohl Zweckstörungsfälle über § 313 BGB zu befürworten sind, muss der Einzelfall betrachtet werden. Wenn der Zweck zum Vertragsinhalt gemacht wurde, darf er nicht als Geschäftsgrundlage gewertet werden, sodass eine Anwendung des Unmöglichkeitsrechts in Betracht kommt. Es ist festzuhalten, dass bei Fixgeschäften eine spätere Erfüllung noch möglich ist, aber der Leistungszweck des Gläubigers nicht mehr verwirklicht werden kann. Daraus folgt, dass die frühere oder spätere Leistungserfüllung gegenüber dem Gläubiger ein aliud darstellt. Dies führt dazu, dass einer Vertragsanpassung keine Bedeutung mehr zugerechnet werden kann. 2. Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB § 275 Abs. 2 BGB hat mit der Schuldrechtsreform 2002 Eingang in das BGB gefunden. Seitdem wird kritisiert, dass es an einer klaren Linie zur Abgrenzung des § 275 Abs. 2 BGB von § 313 BGB fehle.949 Denn sowohl § 313 BGB als auch § 275 Abs. 2 BGB enthalten Fälle der sog. Leistungserschwerung. Bis auf äußerst seltene Fallkonstellationen dürfte jeder Fall des § 275 Abs. 2 BGB auch den Tatbestand des § 313 BGB erfüllen.950 Das unklare Verhältnis zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 2 BGB hat dazu geführt, dass sich zahlreiche Ansichten zur Abgrenzung zwischen beiden Regelungsbereichen entwickelt haben. Um die inhaltliche Ausrichtung dieser Ansichten greifbarer zu machen, werden im Folgenden zunächst die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 2 BGB dargestellt. Die Darstellung der Gemeinsamkeiten [a)] ist bedeutsam, da die Gemeinsamkeiten die Abgrenzungsproblematik weiter verschärfen. Die Erörterung der Unterschiede [b)] hingegen wird zeigen, dass die Abgrenzungsproblematik durchaus Auswirkungen haben kann und nicht beliebig ist.

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Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 22. Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 6; Picker, JZ 2003, S. 1035 (1046 ff.). 950 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 22; Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (668). 949

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a) Gemeinsamkeiten Sowohl § 275 Abs. 2 BGB als auch § 313 BGB durchbrechen das Prinzip der Vertragsbindung mit dem Zweck, den Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden.951 Gerade die im Rahmen der beiden Vorschriften gebrauchten normativen Merkmale wie „das grobe Missverhältnis“ des § 275 Abs. 2 BGB und „die Unzumutbarkeit“ des § 313 BGB dienen der Einzelfallgerechtigkeit. Derart unbestimmte Rechtsbegriffe sind ausfüllungsbedürftig und dem Einwand ausgesetzt, kaum subsumtionsfähig zu sein.952 Gerade weil beide Normen das Prinzip der Vertragsbindung durchbrechen, besitzen beide einen Ausnahmecharakter und sind wegen des Vertragstreueprinzips restriktiv anzuwenden.953 Eine weitere Gemeinsamkeit stellt der Umstand dar, dass das Vertretenmüssen sowohl bei § 275 Abs. 2 BGB als auch bei § 313 BGB954 die Schwelle für das „grobe Missverhältnis“ bzw. für die „Unzumutbarkeit“ beeinflusst. Das Vertretenmüssen des Leistungshindernisses spielt zwar für die Frage, ob eine Berufung auf § 275 Abs. 2 BGB möglich ist, zunächst keine Rolle. Das bedeutet, dass auch der Schuldner, der das Leistungshindernis zu vertreten hat, sich auf § 275 Abs. 2 BGB berufen kann. Allerdings beeinflusst das Vertretenmüssen die Schwelle zur Bestimmung des groben Missverhältnisses.955 Dies ist auch am Gesetzeswortlaut des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB erkennbar, der klarstellt, dass ein Vertretenmüssen Auswirkungen auf die dem Schuldner innerhalb des § 275 Abs. 2 S. 1 BGB zumutbaren Anstrengungen hat.956 Entsprechendes gilt für die Bedeutung des Vertretenmüssens innerhalb des § 313 BGB, auch wenn der Wortlaut der Norm ein Vertretenmüssen nicht ausdrücklich erwähnt.957 Ein Vertretenmüssen der Störung führt dazu, dass die Zumutbarkeitsschwelle angehoben wird.958 Schließlich ist für beide Vorschriften die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung von elementarer Bedeutung. § 313 Abs. 1 BGB erwähnt die vertragliche

951

Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 159; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 100. 952 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 158 f.; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 100. 953 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 100. 954 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., 4., c) Zurechenbarkeit. 955 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 108, 159; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 104. 956 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 104; Looschelders, Unmöglichkeit, S. 63 (75). 957 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 159; Looschelders, Unmöglichkeit, S. 63 (75). 958 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., 4., c) Zurechenbarkeit.

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und gesetzliche Risikoverteilung ausdrücklich und § 275 Abs. 2 BGB bringt dies mit dem Hinweise auf den „Inhalt des Schuldverhältnisses“ zum Ausdruck.959 b) Unterschiede Neben den Gemeinsamkeiten zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 2 BGB sind einige Unterschiede zwischen den Regelungen festzustellen, welche die Relevanz und Dimension der Abgrenzungsproblematik verdeutlichen. Zu unterscheiden ist zunächst, dass es bei § 275 Abs. 2 BGB um die Frage der unverhältnismäßigen Überlastung des Schuldners geht, die durch eine Abwägung zwischen dem Interesse des Gläubigers und dem Aufwand des Schuldners zu beantworten ist.960 Anhand des Gläubigerinteresses, welches materielle und immaterielle Interessen umfasst, gilt es im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln, ob die Überwindung des Leistungsinteresses verlangt werden kann.961 Das Gläubigerinteresse bezieht sich auf den vom Schuldner zu erbringenden Leistungserfolg. Eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung existiert im Rahmen des § 313 BGB nicht. Das „Missverhältnis“ zwischen Gläubigerinteresse und Schuldneraufwand spielt hier keine Rolle.962 § 313 BGB bezieht sich nicht auf das Gläubigerinteresse und stellt auf die Unzumutbarkeit des Schuldneraufwandes als solche ab.963 Der Schuldner soll die Leistung dann nicht erbringen müssen, wenn sie einen unzumutbaren Aufwand erfordern würde.964 Die Nichtberücksichtigung des Gläubigerinteresses innerhalb des § 313 BGB bedeutet jedoch nicht, dass das Geschäftsgrundlageninstitut dem Gläubiger nicht „zu Hilfe“965 kommt, im Gegenteil. Denn anders als bei § 275 Abs. 2 BGB, auf den sich nur der Schuldner berufen kann, kann sich bei § 313 BGB auch der Gläubiger auf die Störung berufen.966 Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht im Hinblick auf die Rechtsfolge. § 313 Abs. 1 BGB sieht in erster Linie eine Vertragsanpassung vor. Der Primäran959

Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 159. Meier, Jura 2002, S. 118 (120); Mückl, Jura 2005, S. 809 (810); Rögler, in: Schimmel/ Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 19; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 138 f.; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 8. 961 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 78 ff.; Faust, in: Huber/ Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 32 Rn. 27 ff.; Mückl, Jura 2005, S. 809 (812); Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 135 f.; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 133. 962 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 139. 963 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 163; Schulze, in: HkBGB7, 313 Rn. 8. 964 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 163. 965 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 139. 966 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 163; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 139. 960

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

spruch bleibt erhalten, wenn auch in angepasster bzw. modifizierter Weise.967 Erst, wenn eine Vertragsanpassung scheitert bzw. nicht vorgenommen werden kann, soll dem benachteiligten Vertragspartner ein Rücktrittsrecht zustehen, vgl. §§ 313 Abs. 3, 346 ff. BGB.968 Hingegen steht dem Schuldner nach § 275 Abs. 2 BGB eine Einrede zu, welche bei Erhebung durch ihn den Primäranspruch nicht entfallen lässt. § 275 Abs. 2 BGB stellt wie § 275 Abs. 1 BGB einen Schuldbefreiungsgrund dar und führt zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners,969 weshalb der Gläubiger seinen Primäranspruch nicht durchsetzen kann. Im Hinblick auf die Rechtsfolge bedeutet dies insgesamt, dass die Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB eine Leistungserschwerung nach dem Grundsatz „alles oder nichts“ auslöst.970 Schließlich unterscheiden sich § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB darin, dass das Vertretenmüssen des Schuldners bei § 275 Abs. 2 BGB durch den Rückgriff des § 275 Abs. 4 zu einem Schadensersatzanspruch des Gläubigers auf der Sekundärebene führt. Denn gem. § 275 Abs. 4 bestimmen sich die Rechte des Gläubigers nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326, wonach er Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung geltend machen kann. Eine derartige Folge auf Sekundärebene sieht § 313 BGB nicht vor. c) Das Verhältnis von § 275 Abs. 2 BGB zu § 313 BGB Die Darstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede ermöglicht es nun zu erörtern, in welchen Fällen § 313 BGB [aa)] in welchen § 275 Abs. 2 BGB [bb)] greift und was im Konkurrenzfall gilt [cc)]. aa) Fälle, die nur unter § 313 BGB fallen Fälle, die lediglich von § 313 BGB und nicht von § 275 Abs. 2 BGB erfasst werden, sind solche der sog. wirtschaftlichen Unmöglichkeit.971 Eine wirtschaftliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn sich die Leistungspflicht des Schuldners als derart 967

Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 165. Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 23. 969 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 275 Rn. 26. 970 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 167; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 102. Um diesem Alles-oder-nichts-Prinzip entgegenzutreten, plädieren einige dafür, auch im Rahmen von § 275 Abs. 2 BGB als Rechtsfolge eine Vertragsanpassung zuzulassen. Die Vertreter räumen ein, dass der Wortlaut des § 275 Abs. 2 BGB eine derartige Anpassung nicht enthält. Eine Vertragsanpassung könne jedoch angezeigt sein, wenn auf Initiative des Schuldners oder Gläubigers beispielsweise Ausgleichszahlungen im Raum stehen. Derartige Ausgleichszahlungen seien im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Ausgleichszahlungen könnten dazu führen, dass das grobe Missverhältnis zwischen dem Schuldneraufwand und dem Leistungsinteresse des Gläubigers beseitigt wird, vgl. Finn, Erfüllungspflicht, S. 520; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 101 f. 971 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 21; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 13; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 35; Meier, Jura 2002, S. 118 (120); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 140. 968

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schwierig darstellt, dass sie dem Schuldner aufgrund der Überschreitung der Opfergrenze nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann.972 Dies kann vor allem in Fällen der Preissteigerung auf dem Beschaffungsmarkt oder bei Herstellungsmaterialien zu bejahen sein.973 § 275 Abs. 2 BGB kommt hier nicht zur Anwendung, da in diesen Fällen mit der Preissteigerung auf dem Markt auch das Gläubigerinteresse steigt und ein grobes Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse gem. § 275 Abs. 2 BGB somit ausscheidet. Jedoch muss betont werden, dass nicht jede Preissteigerung zu einer Äquivalenzstörung führt. Vielmehr muss die Preissteigerung ein gewisses Maß überschreiten, um ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu erreichen. Der Gesetzgeber hat im Wortlaut des § 313 BGB mit dem Zusatz „schwerwiegend“ ausdrücklich betont, dass diese Vorschrift nicht bei jeder Änderung der Umstände und jedem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung anwendbar ist. bb) Fälle, die nur unter § 275 Abs. 2 BGB fallen § 275 Abs. 2 BGB verlangt eine grobe Unverhältnismäßigkeit. Ob eine grobe Unverhältnismäßigkeit wegen veränderter Umstände entsteht oder nicht, spielt im Sinne des § 275 Abs. 2 keine Rolle, wohingegen § 313 Abs. 1 BGB die Änderung der Umstände verlangt. Wenn eine grobe Unverhältnismäßigkeit ohne veränderte Umstände entsteht kommt nur § 275 Abs. 2 in Betracht.974 Aber nur in seltenen Fällen kann eine grobe Unverhältnismäßigkeit auch ohne die Änderung der Umstände vorliegen.975 Als bekanntes Beispiel hierfür ist der Ring-Fall zu nennen, bei dem ein Ring auf dem Meeresgrund liegt. Im solch einem Fall kommt nur § 275 Abs. 2 BGB in Betracht, da die Voraussetzung der „schwerwiegenden Änderung der Umstände“ im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB nicht erfüllt ist. cc) Abgrenzung im Konkurrenzfall Äußerst fraglich und umstritten ist, was im Konkurrenzfall gilt. Im Folgenden werden diesbezüglich verschiedene Ansichten dargestellt. Anschließend erfolgt eine Stellungnahme.

972 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002- Schuldrechtsmodernisierung, S. 13 f.; Mückl, Jura 2005, S. 809 (810). 973 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 21; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 35; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 13, 32; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 140. 974 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 22; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 141. 975 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 22; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 141.

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(1) Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB Nach einer Ansicht genießt § 275 Abs. 2 BGB Vorrang gegenüber § 313 BGB.976 Begründet wird diese Ansicht mit dem gesetzgeberischen Willen.977 Die Frage nach einer Vertragsanpassung stelle sich nur dann, wenn der Schuldner nicht schon nach § 275 BGB von seiner Leistungspflicht frei geworden ist.978 Für die Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB spreche auch der Umstand, dass § 275 Abs. 2 BGB die Grenze des Schicksals des Primäranspruchs, nämlich des Erfüllungsanspruchs, bestimmt.979 Die Vorrangigkeit ergebe sich zudem „denklogisch“, da sich der § 275 Abs. 2 BGB mit dem Vertragsinhalt beschäftigt und dieser immer vorrangig zu prüfen sei.980 Als weiteres Argument wird angeführt, dass im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB das Schuldnerinteresse mehr Schutz genieße und dies den gesetzgeberischen Vorstellungen zur Stärkung des Schuldnerinteresses entspreche.981 Die Vorrangigkeit wird zudem damit begründet, dass das Unmöglichkeitsrecht seit dem Inkrafttreten des BGB gegenüber dem Geschäftsgrundlageninstitut Vorrang genieße.982 Weiterhin sei bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung anerkannt gewesen, dass das aus § 242 BGB hergeleitete Geschäftsgrundlageninstitut subsidiär gegenüber dem gesetzlich normierten Unmöglichkeitsrecht sei.983 Der Gesetzgeber habe dieses Verhältnis mit der Schuldrechtsreform nicht antasten und die bisherige Rechtspraxis weiterführen wollen.984 Der Vorrang des § 275 Abs. 2 BGB gegenüber § 313 BGB wurde schließlich mit Hilfe teleologischer Überlegungen begründet. Denn § 313 BGB ermögliche dem Schuldner, der die Leistungsstörung verursacht hat, eine (vermeidbare) Umgehung seiner Schadensersatzpflicht. Falls der Schuldner die Leistungsstörung verursacht habe und sich auf § 275 Abs. 2 BGB beruft, stünde dem Gläubiger gegenüber dem Schuldner, ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 275 Abs. 4, 283 BGB zu.985 Wenn 976 Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (831); Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 181; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 35; Kindl, WM 2002, S. 1313 (1316); Mückl, Jura 2005, S. 809 (811); Mattheus, JuS 2002, S. 209 (218); Riesenhuber/ Domröse, JuS 2006, S. 208 (2010); Schulze/Ebers, JuS 2004, S. 265 (266); Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 22. 977 Mückl, Jura 2005, S. 809 (811) mit Verweis auf BT-Drucks. 14/6040, S. 127, 176. 978 Mückl, Jura 2005, S. 809 (811). 979 Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (831); Mückl, Jura 2005, S. 809 (811); Rösler, JuS 2004, S. 1058 (1060); Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 54. 980 Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 54. 981 Schulze/Ebers, JuS 2004, S. 265 (266). 982 Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 140. 983 Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 54. 984 Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 54. 985 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 170 f.

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sich der Schuldner hingegen auf § 313 BGB berufen könnte, würde er bevorteilt werden, da in diesem Falle keine Schadensersatzpflicht bestünde. Diese Umgehung der Schadensersatzpflicht widerspreche dem Rechtsgedanken des §§ 162, 242 BGB, denn niemand solle Vorteile aus seinem treuwidrigen Verhalten ziehen können.986 Um solch eine Besserstellung des Schuldners zu vermeiden, müsse dem § 275 Abs. 2 BGB Vorrang eingeräumt werden.987 (2) Vorrangigkeit des § 313 BGB Eine andere Ansicht geht davon aus, dass § 313 BGB lex specialis zu § 275 Abs. 2 BGB und damit vorrangig sei.988 Die Vorrangigkeit des Geschäftsgrundlageninstituts ergebe sich zunächst daraus, dass § 275 Abs. 2 BGB für alle Schuldverhältnisse gelte, während § 313 BGB nur auf vertragliche anzuwenden sei.989 Dementsprechend stelle § 313 BGB eine Spezialnorm für Fälle der Leistungsstörungen bei vertraglichen Schuldverhältnissen dar.990 Hierfür spreche auch, dass innerhalb vertraglicher Austauschverhältnisse eine Vertragsanpassung angestrebt werden solle, bevor eine Vertragspartei sich ihrer Leistungspflicht entziehen kann und dadurch das gesamte „Austauschverhältnis“ beseitigt.991 Zur Begründung des Vorrangs wird hier häufig auf die flexible Rechtsfolge des § 313 BGB hingewiesen, die dem Grundsatz pacta sunt servanda viel eher entspreche als die Rechtsfolge des § 275 Abs. 2 BGB.992 Während § 275 Abs. 2 BGB zur Befreiung von der Leistungspflicht führe, eröffne § 313 BGB den Weg zu einer Aufrechterhaltung des angepassten Schuldverhältnisses.993 Wenn man der Auffassung sei, dass der Grundsatz pacta sunt servanda ein vorherrschendes Prinzip des Schuldrechts ist, müsse konsequenterweise § 313 BGB vorrangig herangezogen werden.994 Nur wenn in bestimmten Ausnahmefällen eine Anpassung nach § 313 BGB ausgeschlossen sei, komme die Anwendung des § 275 Abs. 2 BGB in Betracht.995

986

Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 181. Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 174. 988 Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351); Mittenzwei, FS Jagenburg, S. 621 (629); Wahl, Schuldnerverzug, S. 53; Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 176; Eckert, SchuldR, Rn. 314; Motsch, JZ 2001, S. 428 (431 f.). 989 Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (659); Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351). 990 Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (350). 991 Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351). 992 Medicus, in: Das neue Schuldrecht, Kapitel 3, Rn. 185; Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351). 993 Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351). 994 Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351). 995 Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351). 987

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Einige Vertreter dieser Ansicht weisen schließlich darauf hin, dass auch in den Vorarbeiten zur Schuldrechtsmodernisierung ursprünglich von einer grundsätzlichen Vorrangigkeit des § 313 BGB ausgegangen wurde. Diese Vorrangigkeit sei dem Diskussionsentwurf zu §307 BGB-DiskE der Vertragsanpassung zu entnehmen.996 (3) Wahlrecht des Schuldners Einer weiteren Ansicht nach muss dem Schuldner grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB zustehen, wenn die Voraussetzungen beider Normen vorliegen.997 In diesen Fällen sei es dem Schuldner überlassen, ob er die Einrede des § 275 Abs. 2 BGB oder eine Vertragsanpassung gem. § 313 BGB geltend macht.998 Begründet wird diese Ansicht damit, dass es unbillig sei, den Schuldner ausschließlich auf § 275 Abs. 2 BGB zu verweisen, wenn die Voraussetzungen beider Vorschriften vorliegen.999 Es gebühre dem Schuldner, die für ihn vorteilhafte Norm zu wählen.1000 Der gemeinsame Zweck beider Normen, die Befreiung des Schuldners von untragbaren Belastungen, spreche dafür, die Rechte des betroffenen Schuldners zu addieren und ihm dann die Wahlmöglichkeit zu überlassen.1001 Als weiteres Argument für ein Wahlrecht wird angeführt, dass nach den internationalen Unidroit Grundregeln dem Schuldner ebenfalls ein Wahlrecht zur Verfügung gestellt wird, obwohl hierzu eine ausdrückliche Regelung fehle.1002 Einige Befürworter1003 des Wahlrechts nehmen eine Beschränkung innerhalb dieses Schuldnerwahlrechts vor. Die erste Beschränkung betrifft die Situationen, in denen der Schuldner die Leistungsstörung verursacht hat. In diesen Fällen stünde nicht dem Schuldner, 996

Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 174 ff.; Wahl, Schuldnerverzug, S. 50 ff. Faust, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 55 Rn. 79; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78); Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 23; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 120; Löhning, ZGS 2005, S. 459 (460 Fn. 13); Otto, Jura 2002, S. 1 (5). Otto vertritt nicht die Ansicht des Schuldnerwahlrechts, sondern des Gläubigerwahlrechts, wenn der Schuldner die Leistungsstörung verursacht hat; Windel, ZGS 2003, S. 466 (471); Finn, Erfüllungspflicht, S. 520; Finn ist der Auffassung, dass in „Mischfällen“ der § 313 BGB zu einer sachgerechteren Lösung als der § 275 BGB führe (Finn, Erfüllungspflicht, S. 520 f.); Löwisch/ Caspers, in: StaudingerKomm, BGB2009, § 275 Rn. 115; Musielak, JA 2011, S. 801 (810). 998 Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78). 999 Dies ist z. B. dann der Fall, wenn eine unverhältnismäßige Erhöhung des Schuldneraufwands zutage tritt und diese Vertragsgrundlage geworden ist und die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag begründet. 1000 Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78). 1001 Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78). 1002 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 23. 1003 Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78); Otto, Jura 2002, S. 1 (5); Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 102. 997

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sondern dem Gläubiger ein Wahlrecht zu.1004 Begründet wird dies damit, dass auf Grund der Verursachung der Leistungsstörung durch den Schuldner allein der Gläubiger schutzwürdig sei.1005 Eine weitere Einschränkung erfährt das Wahlrecht des Schuldners dann, wenn die Berufung auf die Rechtsfolge des § 275 Abs. 2 BGB keinen Sinn macht. Es existieren Fälle, in denen sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner die vorhandene Leistungsstörung anpassen wollen.1006 In derartigen Fällen haben beide Parteien Interesse daran, den Vertrag trotz der Störung durchzuführen und den Schuldner nicht gem. § 275 Abs. 2 BGB von seiner Leistungspflicht zu befreien.1007 Das in § 275 Abs. 2 BGB verankerte Alles-oder-nichts-Prinzip entspreche dann nicht dem Willen der Parteien.1008 Gewollt sei vielmehr eine Vertragsanpassung, sodass sich aufgrund der identischen Rechtsfolge die Frage nach einem Wahlrecht nicht stelle.1009 Die Rechtsfolgen des § 313 BGB und des § 275 Abs. 2 BGB würden sich derart annähern, dass auch § 275 Abs. 2 BGB „Raum für Vertragsanpassungen“ bietet.1010 (4) Abgrenzung über die vertragliche Risikostruktur Nach Stürner und Medicus erfolgt die Abgrenzung zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB darüber, ob die Leistungsstörung dem Risikobereich des Vertragsinhaltes oder dem der Geschäftsgrundlage zuzuordnen ist.1011 Um die vertragliche Risikostruktur bestimmen zu können, sei zunächst der Vertrag auszulegen. Falls dies zur Bestimmung der vertraglichen Risikostruktur nicht reiche, sei ergänzend das dispositive Gesetzesrecht heranzuziehen.1012 § 275 Abs. 2 BGB sei einschlägig, wenn die Risiken innerhalb des Vertragsverhältnisses liegen und die eingetretenen Leistungsstörungen dem vertraglichen Risikobereich zuzuordnen sind.1013 Dies sei dann anzunehmen, wenn der Schuldner bei Vertragsabschluss für bestimmte Leistungsstörungen einstehen möchte.1014

1004

Otto, Jura 2002, S. 1 (5). Otto, Jura 2002, S. 1 (5). 1006 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 101 ff. 1007 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 101 ff. 1008 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 106. 1009 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 106. 1010 Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 104. 1011 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 6; Stürner, Jura 2010, S. 721 (724, 726). 1012 Stürner, Jura 2010, S. 721 (724). 1013 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 6; Stürner, Jura 2010, S. 721 (724, 726). 1014 Stürner, Jura 2010, S. 721 (724). 1005

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§ 313 BGB hingegen umfasse Risiken, die außerhalb des Vertrags liegen.1015 Das seien solche, die keine Partei vertraglich übernommen hat und die sich auf Umstände beziehen, die der Geschäftsgrundlage zuzuordnen sind.1016 Die anerkannten Fallgruppen der Geschäftsgrundlagenstörung erleichtern hierbei die Abgrenzung zwischen beiden Vorschriften.1017 Beispielweise seien die Fallgruppen der Zweckstörung1018 und der Äquivalenzstörung1019 dem § 313 BGB zuzuordnen, wohingegen die Gruppe des Zweckfortfalls unter § 275 Abs. 2 BGB falle.1020 Hervorzuheben ist jedoch, dass den verschiedenen Fallgruppen lediglich eine Indizwirkung zukommt. Schließlich sei die oben erwähnte Ermittlung der vertraglichen Risikoübernahme immer noch vorrangig anzuwenden. (5) Gleichrangigkeit zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB Nach einer anderen Ansicht besteht angesichts der unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen und der Rechtsfolgen zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB kein Rangverhältnis.1021 Die im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung beider Normen fällt derart unterschiedlich aus, dass bei § 275 Abs. 2 BGB zwischen Gläubigerinteresse und Schuldneraufwand ein grobes Missverhältnis erforderlich ist. Während bei § 313 BGB das Gläubigerinteresse gar keine Beachtung findet, wird hier vielmehr nur auf die Unzumutbarkeit des Schuldneraufwandes abgestellt. Damit wird dem Gläubigerinteresse bei § 275 Abs. 2 BGB eine zentrale Bedeutung zugemessen, was zugleich auch das entscheidende Abgrenzungskriterium beider Vorschriften bildet.1022 An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass solch eine Situation, in der das Interesse des Gläubigers und der Schuldneraufwand in einem groben Missverhältnis stehen, nur in „Extremfällen“ vorkommt. Ähnlich verhielte sich hierzu die Gesetzesbegründung zu § 275 Abs. 2 BGB. Auch dort bezwecke der Gesetzgeber, dass § 275 Abs. 2 BGB lediglich auf Extremfälle zugeschnitten sein soll.1023 1015 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 6; Stürner, Jura 2010, S. 721 (724). 1016 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 6; Stürner, Jura 2010, S. 721 (724, 726). 1017 Stürner, Jura 2010, S. 721 (725). 1018 Stürner, Jura 2010, S. 721 (725). 1019 Stürner, Jura 2010, S. 721 (726). 1020 Stürner, Jura 2010, S. 721 (725). 1021 Canaris, JZ 2001, S. 499 (501 ff.); Meier, Jura 2002, S. 118 (120 f.); Huber, FS Schlechtriem, S. 521 (558 Fn. 97). 1022 Canaris, JZ 2001, S.499 (505). 1023 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 – Schuldrechtsmodernisierung, S. 15; BT-Drucks. 14/6040, S. 129 f.

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In der Konsequenz führe dies insgesamt dazu, dass bei Bestehen der Tatbestandsmerkmale der einen Vorschrift, die andere Vorschrift schon gar nicht greife und folglich Abgrenzungsprobleme bzw. Überschneidungen nicht entstehe.1024 Dieser Ansicht nach ist eine Abgrenzung nach dem Gläubigerinteresse vorzunehmen.1025 Bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage sei nämlich „ausschlaggebender Bezugspunkt der Schuldneraufwand und damit verbundene Belastungen oder der daraus folgenden Äquivalenzstörung“.1026 Auch durch die Neufassung des § 275 Abs. 2 BGB nach der Schuldrechtsreform solle sich nichts an der Tatsache ändern, dass die Fälle der wirtschaftlichen Unmöglichkeit über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu lösen sind. Als ein typisches Beispiel der wirtschaftlichen Unmöglichkeit wird von Canaris das Beispiel der Verpflichtung eines Schuldners zur Errichtung eines Gebäudes angeführt, dessen Kosten sich als doppelt so hoch erweisen als ursprünglich vereinbart. Für § 275 Abs. 2 BGB sei ausschlaggebend, dass in diesem Falle „das Interesse des Gläubigers proportional zum Aufwand des Schuldners wächst“.1027 Im Ergebnis entspreche das Interesse des Gläubigers hier dem Aufwand des Schuldners und verhalte sich eins zu eins. Hier sei damit § 313 BGB einschlägig. Nach Canaris schließe das Vorliegen einer Norm in den meisten Fällen die Erfüllung der anderen Norm bereits aus, womit keine Abgrenzungsprobleme entstehen würden.1028 (6) Kritik und Stellungnahme Die bisher vorgestellten Ansichten wurden an verschiedenen Punkten bemängelt. Im Folgenden erfolgt daher eine Auseinandersetzung mit den obigen Ansätzen der Literatur. In der Literatur wurde zunächst das dem Schuldner zuzustehende Wahlrecht vielfach kritisiert.1029 Der am häufigsten beanstandete Ansatzpunkt bezieht sich auf den Schadensersatz, wenn der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Während § 275 Abs. 2 dem Gläubiger beim vom Schuldner zu vertetenden Leistungshindernis einen Schadensersatzanpruch einräumt, bietet § 313 keinen Schadensersatzanspruch. Gebühre dem Schuldner ein Wahlrecht, sei es in derartigen Konstellationen eher naheliegend, dass der Schuldner – entsprechend seiner Interessenposition – seine Wahl zugunsten des § 313 BGB treffen werde. Dies stelle eine 1024

Canaris, JZ 2001, S. 499 (505). Canaris, JZ 2001, S. 499 (501 ff.). 1026 Canaris, JZ 2001, S. 499 (501). 1027 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 – Schuldrechtsmodernisierung, S. 134; Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 175. Obwohl Helm von der Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB ausgeht, genüge bei einem proportionalen Anstieg des Gläubigerinteresses und des Schuldneraufwandes das Ungenügen dieser Vorrangigkeit nicht aus. In diesen Fällen sei der § 313 BGB einschlägig. 1028 Canaris, JZ 2001, S. 499 (505). 1029 Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 169 f., 172; Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (350), Mückl, Jura 2005, S. 809 (811). 1025

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Umgehung seiner Schadensersatzpflicht dar. Zur Vermeidung solch einer Besserstellung des Schuldners sei das ihm zu gewährende Wahlrecht abzulehnen. Zudem stand dem Schuldner bis zur Einführung des § 313 BGB auch kein Wahlrecht zu. Es könne nicht angehen, durch die Erschaffung des § 313 BGB die Interessenlage des Schuldners, der ja den Umstand der Leistungsstörung zu vertreten hat, grundlos zu verbessern.1030 Die Befürworter der Vorrangigkeit des § 313 BGB erfuhren auch Kritik, mit der Begründung, der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung die Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB ausdrücklich betont.1031 Des Weiteren könne die dem Schuldner nach § 275 BGB zustehende Einwendung nicht versperrt sein, nur weil gleichzeitig die Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt sind. Die Geltendmachung der Einwendung habe für den Schuldner nämlich die vorteilhafte Wirkung der Leistungsbefreiung.1032 Schmidt-Recla1033 kritisiert, dass die Vorrangigkeit des § 313 BGB nur aus dem Argument der Rechtsfolgen abgeleitet werde, obwohl er auch ein Vertreter der Vorrangigkeit des § 313 BGB ist. Nach seiner Ansicht stelle dies eine dogmatische Schwäche dar. Eine Argumentation nur anhand der Rechtsfolgenseite durchzuführen, sei in Fällen der tatbestandlichen Konkurrenzprobleme unzulässig.1034 Diese Sichtweise führe zu einer Verweigerung eines dem Schuldner zustehenden Gestaltungsrechts.1035 Dies sei nichts anderes „als die Frage der Anspruchsberechtigung von deren gesetzlichen Voraussetzungen zu lösen“.1036 Ebenso bleibt die Ansicht der Vorrangigkeit des § 275 BGB von nicht Kritik verschont. Schmidt-Recla ist der Auffassung, dass § 275 Abs. 2 BGB keinen Anwendungsbereich habe und daher schlicht überflüssig sei.1037 Die Norm sei nur geeignet, den offensichtlich seltensten Meeresgrundfall zu lösen. § 275 Abs. 2 und § 313 BGB seien beide nicht voneinander abzugrenzen, da sie sich auf der Tatbestandsebene nicht unterscheiden. Infolgedessen könne einer Norm, die keinen Anwendungsbereich habe, in Abgrenzung zur § 313 BGB auch kein Vorrang zugebilligt werden.1038 Der § 275 Abs. 2 BGB ist im Vergleich zu § 275 Abs. 1 BGB keine Unmöglichkeitsnorm im technischen Sinne. Die Leistung kann im Vergleich zu § 275 Abs. 1 BGB erbracht werden, § 275 Abs. 2 hingegen unterscheidet sich darin, dass die 1030 1031 1032 1033 1034 1035 1036 1037 1038

Schlüter, ZGS. 2003, S. 346 (350). BT-Drucks. 14/6040, S. 130, 176, Schulze/Ebers, JuS 2004, S. 265 (266). Finn, Erfüllungspflicht, S. 518. Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (660). Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (660). Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (660). Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (660). Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (668). Schmidt-Recla, FS Laufs, S. 641 (668).

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Leistung trotz Erfüllbarkeit hier nicht zugemutet werden kann. Die allgemein von der Rechtsprechung verlangte Vorrangigkeit der Unmöglichkeitsnorm kann hier daher nicht herangezogen werden, sondern gilt nur für das Vorrangverhältnis zwischen § 275 Abs. 1 BGB und § 313 BGB. Die Kritiker eines Wahlrechts und Befürworter der Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB argumentieren mit der Gefahr der Umgehung eines Schadensersatzanspruchs, da der Gläubiger im Falle der Gewährung eines Wahlrechts, in den meisten Fällen aus Eigeninteresse die Lösung der Streitigkeit über § 313 BGB bestreiten werde. Dies kann jedoch nicht überzeugen. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 313 BGB wird der Verschuldensmaßstab beider Parteien herangezogen. Hat der Schuldner die Situation zu vertreten, wird dies im Rahmen des § 313 BGB berücksichtigt. Das Vertretenmüssen erhöht die Schwelle der Unzumutbarkeit. Obwohl das Vertretenmüssen der Störung nicht immer dazu führt, dass die Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen ist, kann der Schuldner es aber nicht grundsätzlich tun. Diese Vorgehensweise entspricht auch der Praxis der Rechtsprechung. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner den Schadensersatzanspruch umgehen könnte, ist gering. Es ist sogar vermeidbar, wie es auch von einigen Meinungen in der Literatur akzeptiert wird. Das Wahlrecht des Schuldners kann in Fällen vom Schuldner verursachter Leistungsstörung eingeschränkt werden, in denen das Wahlrecht an den Gläubiger übertragen wird. Die Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB, nämlich den Schuldner statt auf die Anpassung auf die Einrede und damit auf den Verlust der Gegenleistung nach § 326 BGB zu zwingen, kann unbillig sein. Aus den genannten Gründen ist es nicht sachgerecht und auch nicht zutreffend, dem Schuldner das Wahlrecht zu verwehren. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen beider Normen muss es den Parteien selbst überlassen werden, welche Vorgehensweise ihren Interessen mehr entspricht. Beabsichtigen die Vertragspartner das Festhalten am Vertrag, können sie den Weg über § 313 BGB gehen, zumal die Anpassung nicht in jedem Fall zur Erhaltung des Vertrags führen muss. Über die Anpassung ist auch eine Auflösung möglich. Im Übrigen können sie nach § 275 Abs. 2 BGB vorgehen und die Durchsetzung des Anspruchs verhindern. 3. Abgrenzung zu § 275 Abs. 3 BGB Der Gesetzgeber hat im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung den § 275 Abs. 3 BGB eingeführt. Gemäß § 275 Abs. 3 BGB wird dem Schuldner bei persönlich zu erbringenden Leistungen ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt.1039 Danach wird ein Leistungshindernis angenommen, wenn die zu erbringende Leistung nach Treu und Glauben dem Schuldner nicht zugemutet werden kann und wenn der Schuldner

1039 Scholl, Jura 2006, S. 283 (283 ff., 287); Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 102 ff.

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nicht in der Lage ist, die geschuldete Leistung zu erbringen.1040 § 275 Abs. 3 BGB ist daher ausschließlich auf personenbezogene Hindernisse bezogen.1041 In der Literatur wurde mehrfach diskutiert, ob es zu einer Überschneidung zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB kommt und falls dies bejaht werden sollte, wie das Verhältnis der beiden Regelungen zueinander zu bestimmen ist. Ferner wurde gestritten, ob bei Gewissenskonflikten der Anwendungsbereich des § 313 BGB oder der des § 275 Abs. 3 BGB eröffnet ist. Während § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen aufweisen, unterscheiden sie sich auf Rechtsfolgenebene. Diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede verstärken die Diskussionen in der Literatur. Auf Tatbestandsebene bestehen die Gemeinsamkeiten in Bezug auf das Unzumutbarkeits- und das Vorhersehbarkeitskriterium. Auf Rechtsfolgenebene erfolgt im Rahmen des § 313 BGB primär die Vertragsanpassung und sekundär das Rücktrittsrecht bzw. das Kündigungsrecht. § 275 Abs. 3 BGB hingegen zeigt als Rechtsfolge ein Leistungsverweigerungsrecht auf. a) Ansichten über das Verhältnis zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB In der Literatur gibt es unterschiedliche Ansichten bezüglich der Bejahung einer Überschneidung zwischen § 275 Abs. 3 BGB und § 313 BGB.1042 aa) Wahlrecht Nach einer Ansicht1043 kommt es zwischen § 275 Abs. 3 BGB und § 313 BGB zu Überschneidungen. In einem Überschneidungsfall solle dem Schuldner ein Wahlrecht zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB eingeräumt werden. Als Begründung führen die Vertreter dieser Ansicht an, dass die Rechtsfolge des § 275 Abs. 3 BGB (Alles-oder-nichts-Prinzip) sich als nachteilig gegenüber der Rechtsfolge des § 313 BGB (Vertragsanpassung) erweisen könne, da für den Schuldner möglicherweise eine Vertragsanpassung von Vorteil wäre. Dennoch dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass es dem Schuldner überlassen sei, die Einrede des § 275 1040 Scholl, Jura 2006, S. 283 (283 ff., 287); Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 102 ff. 1041 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 16; Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 112; Faust, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 58 Rn. 87. 1042 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 111; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78); Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 120. Nach Klausch sei trotz des Abgrenzungsmerkmals des Hindernisses eine Zuordnung der Fälle nicht möglich. Beim Vorliegen eines äußeren Ereignisses, dass den Schuldner persönlich trifft, sei keine eindeutige Einordnung allein nach § 275 Abs. 3 BGB möglich. In diesen Fällen sei auch die Anwendung des § 313 BGB nicht ausgeschlossen. 1043 Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 23, 111; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 120; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 67 f.

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Abs. 3 BGB geltend zu machen. Diese Wahlmöglichkeit stelle einen Vorteil für den Schuldner dar.1044 bb) Vorrangigkeit des § 275 Abs. 3 Eine andere Ansicht räumt dem § 275 Abs. 3 BGB im Falle einer Überschneidung den Vorrang gegenüber dem § 313 BGB ein, wenn die Leistungserschwerung auf immaterielle Gründe zurückzuführen sei. Denn der § 275 Abs. 3 sei in diesen Situationen lex specialis zu § 313 BGB und somit vorrangig.1045 Der § 313 BGB habe subsidiären Charakter, und daher sei die Leistungsstörung über eine andere einschlägige Norm zu lösen.1046 cc) Gleichrangigkeit beider Normen Nach einer anderen Ansicht gibt es bei ideellen Leistungserschwerungen kein Abgrenzungsproblem zwischen den Regelungen des § 313 BGB und des § 275 Abs. 3 BGB, da die Voraussetzungen des § 313 BGB nicht in Fällen der Pflichtenoder Rechtsgüterkollisionen vorlägen1047 und es somit keine Überschneidungsfälle gebe. Begründet wird diese Ansicht damit, dass bei Vorliegen ideeller Leistungshindernisse die Leistung sinnvoll bleibe und es zu keinem Verschieben des Wertverhältnisses der Vertragsleistungen komme, so dass von keinem Entfallen der objektiven Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB die Rede sein könne.1048 Die Berufung auf § 313 Abs. 2 BGB sei nicht möglich, da sich die Parteien beim Vertragsabschluss keine Gedanken über den Eintritt eines ideellen Leistungshindernisses machen würden und der Vertragsgegner auch davon nicht ausgehen könne.1049 Folglich haben beide Normen ihren eigenen Anwendungsbereich. dd) Stellungnahme Zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB kann es zu Überschneidungen kommen. Dies kommt jedoch im Verhältnis zu der Abgrenzung des § 313 BGB zu § 275 Abs. 3 BGB wesentlich seltener vor. Der Grund hierfür liegt darin, dass § 313 BGB eher die Entwertung der Gegenleistung umfasst, wohingegen § 275 Abs. 3 BGB sich mit persönlichen Leistungshindernissen beschäftigt. In Überschneidungsfällen ist dem Schuldner die Wahl zu überlassen, ob er sein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB geltend macht oder die Anpassung des Vertrags nach § 313 BGB verlangt. Der Schuldner kann nicht vorab auf 1044

Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 67 f. Krebs, in: AnwaltKom, BGB2005, § 313 Rn. 19; Hey, FS Canaris, S. 21 (43 f.). 1046 BT-Drucks. 14/6040, S. 177; BGH NJW-RR 1995, S. 854; Grüneberg, in: Bamberger/ Roth, BGB1, § 313 Rn. 22; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 35. 1047 Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1048 Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1049 Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1045

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nur eines seiner Rechte beschränkt werden. Jeder Sachverhalt ist einzeln zu beurteilen, das Verhältnis der Parteien ist bei jedem Rechtsstreit einzeln zu untersuchen. Werden die Voraussetzungen sowohl bei § 313 BGB als auch bei § 275 Abs. 3 BGB erfüllt, ist es nicht richtig, dem Schuldner die Wahlmöglichkeit zu entziehen. Denn nur wegen flexibler Rechtsfolge ist es nicht richtig zu behaupten, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage immer sachgerecht und vorrangig ist. Es bedeutet aber auch nicht, dass der § 275 Abs. 3 BGB immer wegen Subsidiärcharakter des § 313 BGB vorrangig sein muss. Wie oben schon untersucht, stellt § 275 Abs. 3 BGB nicht im technischen Sinne eine Unmöglichkeit dar. Viele andere Rechtssysteme – das türkische oder das schweizerische Rechtssystem – haben keine ähnliche Vorschrift. Weiterhin hat der Gesetzgeber sich für eine Vorrangigkeit weder der einen noch der anderen Norm entschieden. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber keine klare Auffassung dargelegt. Aus den genannten Gründen ist ein Wahlrecht vorzuziehen. b) Anwendbarkeit des § 313 BGB oder des § 275 Abs. 3 BGB in Fällen des Glaubens- und Gewissenskonflikts Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung war die Lösung der Fälle des Gewissenskonflikts umstritten.1050 Diese Diskussion wurde nach der Schuldrechtsmodernisierung weitergeführt. Allerdings hat sich die Diskussion dahingehend geändert, dass die Lösung der Gewissenskonfliktfälle über § 313 BGB oder über § 275 Abs. 3 BGB erfolgen solle.1051 aa) Anwendbarkeit des § 313 BGB In der Literatur wird die Anwendbarkeit des § 313 BGB vertreten, wenn die Konflikte aufgrund des Gewissens oder wegen sonstiger moralischer Vorstellungen entstanden seien.1052 Die Vertreter dieser Ansicht untermauern ihre Gedanken mit der Gesetzesbegründung, die eine Unterscheidung nach sittlicher und persönlicher Unmöglichkeit vornimmt. Nach der Gesetzesbegründung solle dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 313 BGB zustehen, wenn er aufgrund eines Gewissenskonfliktes die Leistung nicht erbringen kann.1053 Dieser Ansicht zufolge sei das entscheidende Abgrenzungskriterium die sittliche (moralische) oder höchstpersönliche Unmöglichkeit. Die sittliche (moralische) Unmöglichkeit sei gegeben, wenn die Leistungserbringungspflicht des Schuldners nicht im Einklang mit seinem Gewissen stehe oder die Leistung nach allgemein anerkannten sittlichen Grundsätzen nicht gefordert werden könne. § 275 Abs. 3 BGB komme hingegen nur 1050

Scholl, Jura 2006, S. 283 (287). Ferner wird eine Lösung über § 106 GewO bzw. § 315 BGB diskutiert. Die Erörterung dieser Ansichten würde den Rahmen der Arbeit sprengen. 1052 Schulze, in: HK-BGB7, § 313 Rn. 9; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 19; Serozan, ˙IÜHFM C. LVIII, Sa. 1 – 2, S. 231 (240). 1053 Besiekierska, Leistungsstörungen, S. 72 f.; BT Drucks. 14/6040, S. 130. 1051

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dann zur Anwendung, wenn es sich um eine höchstpersönliche Leistungspflicht des Schuldners handele. Die Leistungspflicht sei höchstpersönlich, wenn der Schuldner diese Pflicht nicht durch den Einsatz eines Erfüllungsgehilfen erbringen könne oder dürfe.1054 bb) Anwendbarkeit des § 275 Abs. 3 Nach der h. M.1055 und der Rechtsprechung1056 soll die Leistungsverweigerung aus Gewissens- und Glaubensgründen vom Anwendungsbereich des § 275 Abs. 3 BGB erfasst werden. Diese Auffassung wurde durch eine aktuelle Rechtsprechung bestätigt.1057 Zur Begründung wird angeführt, dass der Wortlaut des § 275 Abs. 3 BGB auf Fallgruppen des Leistungsverweigerungsrechts aus Glaubens- und Gewissensgründen zugeschnitten sei.1058 Ferner schließe die Gesetzesbegründung die Anwendbarkeit des § 275 Abs. 3 BGB in Fallgruppen des Leistungsverweigerungsrechts aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht aus, da die Begründung unklar und in sich widersprüchlich sei. In einem Abschnitt legt der Gesetzgeber dar, dass in Gewissenskonflikten das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners aus § 313 BGB hergeleitet werden solle. In einem nachfolgenden Abschnitt hingegen schließt der Gesetzgeber in Konflikten des Gewissens die Anwendbarkeit des § 275 Abs. 3 BGB nicht aus. In der Begründung heißt es: „Die eigenen Interessen des Schuldners bleiben allerdings, vorbehaltlich des § 275 Abs. 2 S. 2 BGB (dies ist der § 275 Abs. 3 BGB), nicht immer völlig unberücksichtigt. Sie können vielmehr, wie dargelegt, nach anderen Vorschriften, vor allem nach § 313 BGB, zu berücksichtigen sein“.1059 1054

Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung, S. 55. Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 136; Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); ders., in: MüKo, BGB6, § 616 Rn. 48; Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 118; Löwisch/ Caspers, in: StaudingerKomm, BGB2009, § 275 Rn. 105; Medicus, in: Das neue Schuldrecht, Kapitel 3 Rn. 47; Medicus/Lorenz, SchuldR Bd. I19, Rn. 426; Richardi, NZA 2002, S. 1004 (1007); Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54); Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 103 ff.; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (77). 1056 BAG NJW 2011, S. 3319 (3319 ff.). Ein muslimischer Ladenangestellter weigerte sich aufgrund seines Glaubens alkoholische Getränke in die Regale einzuräumen. In dieser Entscheidung diskutierte das Gericht nicht darüber, ob der vorhandene Gewissenskonflikt über § 313 BGB oder § 275 BGB zu lösen ist, sondern ging direkt allein auf § 275 Abs. 3 BGB als Lösungsgrundlage ein. 1057 BAG NJW 2011, S. 3319 (3319 ff.). In diesem Falle hat das BAG bei Herleitung des Leistungsverweigerungsrechts den § 313 BGB unberücksichtigt gelassen, obwohl der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung Konflikte aus Gewissensgründen dem Anwendungsbereich des § 313 BGB unterfallen lässt. Das BAG hingegen hat das Leistungsverweigerungsrecht aus § 106 GewO hergeleitet, wobei am Ende der Entscheidung erörtert wurde, ob als dogmatische Herleitungsgrundlage der § 275 Abs. 3 BGB dienen solle. Kritik an dieser Entscheidung: Scholl, BB 2012, S. 53 (53 ff.). 1058 Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54). 1059 Henssler, RdA 2002, S. 129 (131). 1055

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Dies verdeutlicht, dass weder aufgrund der Gesetzesbegründung noch des Wortlauts der Norm in Fällen des Gewissenskonfliktes nur der § 313 BGB angewendet werden solle.1060 Der Gesetzgeber hat ausdrücklich keine negative Angabe hinsichtlich der Unanwendbarkeit des § 275 Abs. 3 BGB getroffen, sondern vielmehr betont, dass diese Regelung vorbehaltlich berücksichtigt werden müsse.1061 Die Berücksichtigung von Gewissenskonflikten im Rahmen des § 313 BGB sei nicht sachgerecht, da § 313 Abs. 1 BGB lediglich objektiv-materielle Leistungserschwerungen erfasse.1062 Leistungserschwerungen aus Gewissensgründen würden hingegen aus der persönlich-ideellen Sphäre des Schuldners entstammen und seien nicht mit den Fällen des § 313 Abs. 1 BGB vergleichbar.1063 Erwähnenswert sei in diesem Zusammenhang, dass im Falle des Vorliegens von ideellen Leistungshindernissen keine störende Begebenheit vorliege, welche die Leistung bedeutungslos mache und das Wertverhältnis der Leistung verschiebe.1064 Zudem könnten Gewissenskonflikte nicht von der subjektiven Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 2 BGB erfasst werden, da der Arbeitnehmer sich in der Regel beim Vertragsabschluss keine Gedanken über die Unzumutbarkeit der Arbeit aus Gewissensgründen mache und diese Gedanken dem Arbeitgeber auch nicht erkennbar seien.1065 Folglich scheide eine Anwendbarkeit des § 313 BGB bei Gewissenskonflikten aus.1066 Nach dieser Ansicht trifft die Rechtsfolge der Vertragsanpassung des § 313 BGB bei Fällen des Gewissenskonflikts nicht zu, da der Arbeitgeber aufgrund seines Weisungsrechts dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuweisen könne (oder der Gewissenskonflikt nur vorübergehender Natur sei).1067 Aus den genannten Gründen könne § 313 BGB nicht bei Pflichten- oder Rechtsgüterkollisionen eingreifen, da es am Vorliegen seiner Tatbestandsvoraussetzungen mangele.1068 Einige Vertreter dieser Ansicht erkennen zwar an, dass sowohl die Voraussetzungen des § 313 BGB als auch die des § 275 Abs. 3 BGB gleichzeitig vorliegen können. Die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB würden vorliegen, da die Kriterien des Abs. 1 BGB objektiv ausgestaltet und eine Definition der Geschäfts1060

Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); Scholl, Jura 2006, S. 283 (287). Henssler, RdA 2002, S. 129 (131). 1062 Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54). 1063 Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54). 1064 Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1065 Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54). Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1066 Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54). Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1067 Scholl, BB 2012, S. 53 (54). 1068 Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 105. 1061

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grundlage nicht vorhanden sei.1069 Maßgeblich sei die Interessenabwägung, da es hierbei um die Kollision der Grundrechte des Arbeitsnehmers aus Art. 4 GG und dem Grundrecht des Arbeitgebers gehe.1070 In Fällen des Gewissenskonflikts sei jedoch der § 275 Abs. 3 BGB vorzuziehen, da im Rahmen der Interessensabwägung die Interessen des Arbeitgebers hinreichend Berücksichtigung fänden.1071 Bei § 313 BGB werde das Interesse des Arbeitgebers allerdings erst auf zweiter Stufe berücksichtigt, d. h. wenn die Primärrechtsfolge der Vertragsanpassung nicht zumutbar i. S. d. § 313 Abs. 3 BGB erscheine.1072 Infolgedessen sei der § 275 Abs. 3 BGB vorzuziehen, da hier das Arbeitgeberinteresse auf der ersten Stufe Berücksichtigung finde und die Ausstrahlung der Grundrechte ins Privatrecht von enormer Bedeutung sei.1073 cc) Kritik gegen Abgrenzungskriterium des Gewissensbegriffs Nach einer anderen Ansicht bedürfe es der Diskussion, ob bei Gewissenskonflikten der § 313 BGB bzw. der § 275 Abs. 3 angewendet werden solle, da sich das vom Gesetzgeber eingeführte Abgrenzungskriterium des Gewissensbegriffs als ungeeignet erweise, denn es sei zu weit und zu facettenreich. Ferner enthalte der Gesetzeswortlaut keinen Hinweis, dass der Gewissensbegriff als Abgrenzungsmerkmal diene.1074 Klausch1075 gibt daher einem anderen Abgrenzungsmerkmal den Vorzug. Danach solle in Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut des § 275 Abs. 3 BGB das Tatbestandsmerkmal des „Hindernisses“ als Abgrenzungskriterium herangezogen werden. Aufgrund dessen müsse berücksichtigt werden, ob es sich bei dem Hindernis um ein äußeres oder inneres Ereignis handele. Demnach würden dem § 275 Abs. 3 BGB somit Fälle zuzuordnen sein, bei denen äußere Ereignisse zur Leistungsverweigerung führen.1076 Unter § 313 BGB würden hingegen diejenigen Konstellationen fallen, bei denen die Leistungsverweigerung aufgrund eines inneren Konfliktes herrührt. Diese Lösung wäre im Sinne des Gesetzgebers und ein Rückgriff auf den wässrigen Begriff des Gewissens wäre hierbei entbehrlich.1077

1069 1070 1071 1072 1073 1074 1075 1076 1077

Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 135. Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 136. Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 135. Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 136. Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 136. Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 112, 119. Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 113, 119, 120. Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 113, 119. Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 113, 119 f.

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dd) Stellungnahme Der Schuldner hat bei Vertragsabschluss den Gewissenskonflikt vorhergesehen oder war ihm dieser bekannt, so kann sich dieser weder auf die Leistungsverweigerung gem. § 275 Abs. 3 BGB noch auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB berufen, da in solch einem Fall die Voraussetzung der Unzumutbarkeit fehlt. War dem Verkäufer beispielsweise bei Abschluss des Arbeitsvertrags bekannt, dass alkoholische Getränke verkauft werden, kann er sich in der Folge nicht auf eine Leistungsverweigerung berufen, mit der Begründung, der Verkauf von Alkohol führe bei ihm zu Gewissenskonflikten. Daher stellt sich die Abgrenzungsfrage lediglich bei unvorhersehbaren Gewissenskonflikten, wobei diese Überschneidungsproblematik wie erwähnt eher selten vorkommt, da beide Normen unterschiedliche Tatbestandsmerkmale und Schutzbereiche haben. Liegt ein Gewissenskonflikt vor und sind die Voraussetzungen sowohl des § 313 BGB als auch des § 275 Abs. 3 BGB erfüllt, ist eine pauschale Beantwortung des Vorrangs nicht möglich. Es sind unterschiedliche Kriterien zu berücksichtigen. Vor allem der Leistungsinhalt, die vertraglichen Vereinbarungen, die Dringlichkeit der Leistungserfüllung, der Umfang der Leistung und die Alternativen zu der vereinbarten Leistung spielen bei der Beurteilung des Vorrangverhältnisses eine entscheidende Rolle. Betrifft der Gewissenskonflikt beispielsweise nur einen kleinen Teil der Gesamtleistung oder durch eine kleine Änderung ersetzbare Leistung, so ist eine Anpassung des Vertrags über § 313 BGB denkbar. Im obigen Beispiel ist im Falle der Unvorhersehbarkeit demnach die Anpassung des Vertrags vorzuziehen, wenn es dem Arbeitgeber möglich ist, den Arbeitnehmer in einer anderen Abteilung einzusetzen, in der keine alkoholischen Getränke verkauft werden. Bei der Beurteilung der Anpassungsmöglichkeit sind die beidseitigen Interessen zu berücksichtigen, wobei entscheidend ist, ob auf der einen Seite die Leistungsverweigerung für den Gläubiger mit unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden ist und auf der anderen Seite, ob die Interessen des Schuldners unter dem Schutz des Art. 4 GG ausreichend Beachtung finden. Die Grundrechte spielen vor allem im Privatrecht aufgrund ihrer Drittwirkung eine wichtige Rolle. Folgerichtig ist eine Anpassung nicht in jedem Fall interessengerecht, sie kann nicht in jedem Fall den Gewissenskonflikt des Arbeitnehmers beseitigen. Daher wäre es sachgerecht, dem Schuldner die Entscheidung zu überlassen, ob er sich auf § 313 BGB oder § 275 Abs. 3 beruft. 4. Das Verhältnis von § 313 BGB zu § 314 BGB Im folgenden Abschnitt wird auf das Verhältnis von § 313 BGB zu § 314 BGB1078 eingegangen, da beide Normen als Rechtsfolge die Kündigung von Dauerschuld1078 Bei Dauerrechtsverhältnissen spielt der Zeitfaktor eine enorme Rolle. In dieser Zeit können sich die Umstände ändern, und diese können einen Einfluss auf die vertragliche Vereinbarung haben. Die Vertragsfreiheit umfasst nicht nur die Freiheit, einen Vertrag abzu-

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verhältnissen vorsehen. Eine Kündigung in Zusammenhang mit § 313 Abs. 3 BGB kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Primärrechtsfolge der Vertragsanpassung nicht möglich oder für einen Teil nicht zumutbar ist. Der Gedanke, der dem § 314 BGB zugrunde liegt, ist, dass auch im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses Ereignisse eintreten können, die das Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar machen. Beide Normen wurden durch die Schuldrechtsmodernisierung in das Schuldrecht aufgenommen1079 und haben ihren Ursprung in dem clausula rebus sic stantibus und dem Treu-und-Glauben-Gedanken.1080 Bereits vor der Kodifizierung war das Verhältnis der beiden nicht normierten Institute zueinander umstritten, und trotz der Kodifikation der beiden Normen hat diese Diskussion auch nach der Schuldrechtsmodernisierung nicht an Kraft verloren.1081 Im Gegenteil, die Diskussion hat nach der Schuldrechtsmodernisierung an Heftigkeit zugenommen, da der Gesetzgeber in dem Diskussionsentwurf zu § 307 Abs. 3 S. 2 DiskE (§ 313 BGB) einen ausdrücklichen Hinweis auf § 308 DiskE (§ 314 BGB) gegeben hatte. Diesen Verweis hat der Gesetzgeber bei der Fixierung des § 313 BGB gestrichen,1082 um zu vermeiden, dass es zu Missverständnissen hinsichtlich des Vorliegens zusätzlicher Voraussetzungen des § 308 DiskE kommt.1083 Es muss allerdings bemerkt werden, dass der Gesetzgeber die Begründung zum § 313 BGB nicht abgeändert hat. In der Literatur und der Rechtsprechung werden das Konkurrenzverhältnis des § 313 BGB zu § 314 BGB diskutiert. Überdies ist strittig, ob die in § 314 BGB geforderte Frist auf den § 313 BGB übertragbar ist.

schließen, sondern auch die Freiheit, von einer bestimmten, bestehenden vertraglichen Vereinbarung Abstand zu nehmen. (Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 195.) Aus diesem Grunde wird vor allem im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses, die Möglichkeit eingeräumt den Vertrag zu kündigen, da hierbei die Parteien nicht alle Eventualitäten vorhersehen und das Risiko dafür übernehmen können. Dies war auch der Anlass, warum der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung den § 314 in das Gesetz aufnahm (BT-Drucks. 14/6040, S. 177; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 314 Rn. 2). Die Norm übernimmt das von Rechtsprechung und Lehre entwickelte, allgemeine Kündigungsrecht aus wichtigem Grund. Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 314 Rn. 1; Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 158; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 314 Rn. 1; Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382). 1079 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 168. 1080 Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 148; Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 270; v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279). 1081 Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 148. 1082 Canaris, Schuldrecht Moderniserung 2002, S. 373 f. An die Stelle des Rücktrittsrechts für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nach § 308 DiskE tritt. 1083 Canaris, Schuldrecht Moderniserung 2002, S. 373 Fn. 1.

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a) Ansichten in Bezug auf das Konkurrenzverhältnis des § 313 BGB zu § 314 BGB aa) Relativer Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund Nach dieser Ansicht ist der § 313 BGB vorrangig gegenüber dem § 314 BGB anzuwenden, wenn eine Vertragsanpassung möglich sein sollte, was dem Gedanken des pacta sunt servanda zu entnehmen sei.1084 Es müsse berücksichtigt werden, dass die Anpassung einen weniger intensiven Eingriff in den Vertragskonsens darstellt und somit auch der Durchsetzung des Ultima-ratio-Prinzips dient. Komme aber eine Vertragsanpassung nicht in Betracht, sei im Falle eines Dauerschuldverhältnisses der Kündigung gem. § 314 BGB der Vorrang einzuräumen. Die Vertreter dieser Ansicht1085 untermauern ihre Gedanken mit der Regierungsbegründung. In der Regierungsbegründung ist ein relativer Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund vorgesehen. Demnach verdrängt die Kündigung aus wichtigem Grund die Störung der Geschäftsgrundlage nur „insoweit“, als es darum geht den Vertrag aufzulösen.1086 Demzufolge könne der § 313 BGB den § 314 BGB nicht verdrängen, wenn eine Kündigung in Betracht kommt.1087 Das Beendigungsinteresse, welches durch die Veränderung der Umstände begründet wird, würde bei Dauerschuldverhältnissen durch die speziellere Kündigung aus wichtigem Grund besser geschützt werden. Nach dieser Ansicht1088 seien an das Vorliegen des wichtigen Grundes in § 314 BGB nicht so strenge Anforderungen zu stellen wie an die des § 313 BGB. Die Rechtsprechung1089 und die Literatur1090 sind ebenfalls der Auffassung, dass an das Unzumutbarkeitskriterium des § 314 BGB 1084

Horn, BMJ Gutachten Bd. I, S. 551 (580). Vor der Schuldrechtsmodernisierung in der Literatur: Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 162 ff.; Michalski, JA 1979, S. 401 (407); Hey, FS Canaris, S. 21 (36 f.); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 22; ders., in: AnwaltKomm, BGB2005, § 314 Rn. 19; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 314 Rn. 16; Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 235 f. Rn. 16, Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 23; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 29, ders., in: Jauernig, BGB15, § 314 Rn. 2; Reichhart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 46; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 314 BGB, Rn. 9; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 11, 51, 52; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 424 Rn. 43. Emmerich vertritt den relativen Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund nur dann, wenn der wichtige Grund im Sinne des § 314 geringere Anforderungen an die Vorschrift § 313 BGB gestellt werden können. Wenn der wichtige Grund mit § 313 Störung der Geschäftsgrundlage gleichgewichtig bewertet wurde, kann die betroffene Partei ein Wahlrecht haben, nach welcher Vorschrift sie vorgehen will. 1086 BT-Drucks. 14/6040, S. 177; Hey, FS Canaris, S. 21 (36); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 22. 1087 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 424 Rn. 43. 1088 Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 29; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 23, ders., in: Bamberger/Roth, BGB1, § 314 Rn. 7. 1089 BGH NJW 2010, S. 1874; NJW 1958, S. 785; NJW 1997, S. 1702. 1090 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB 2005, § 313 Rn. 22; ders., in: AnwaltKom, BGB2005, § 314 Rn. 19. 1085

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geringere Anforderungen zu stellen sind als an die des § 313 BGB. Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Beendigung durch eine Kündigung einen weitaus geringeren Eingriff in das Schuldverhältnis darstelle als dessen Rückabwicklung nach § 313 Abs. 3 BGB. Zu betonen ist, dass beide Institute auf das Vorliegen der Unzumutbarkeit abstellen, aber das Recht zur außerordentlichen Kündigung ein vertragsimmanentes Mittel zur Auflösung der Vertragsbeziehung darstelle, welches sich nur auf Gründe beziehen könne, die im Risikobereich des Vertragspartners liegen und daher § 314 BGB vorrangig anzuwenden sei.1091 Auch nach Bender1092 ist der § 314 BGB gegenüber dem Wegfall der Geschäftsgrundlage vorrangig, wenn als Rechtsfolge der Änderung der Umstände keine Anpassung des Vertrags in Betracht kommt. Denn der § 314 BGB regele die Vertragsauflösung spezieller bei Dauerschuldverhältnissen (lex specialis) als der § 313 BGB. Bender erkennt die enge Verbundenheit der beiden Normen an, da beide Normen das Kriterium der Unzumutbarkeit berücksichtigen.1093 Gleichzeitig kritisiert Bender jedoch, dass die Anforderungen an den Unzumutbarkeitsbegriff des § 314 BGB geringer eingestuft werden als die des § 313 BGB. Denn das Festhalten am Vertrag sei für eine Partei entweder zumutbar oder unzumutbar.1094 Hieraus könne keine Steigerung an das Unzumutbarkeitskriterium gefolgert werden.1095 bb) Absoluter Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund Die Befürworter einer anderen Ansicht meinen,1096 dass allein die Existenz der Kündigung aus wichtigem Grund die Anwendung der Geschäftsgrundlage generell ausschließt. Sie lehnen die Ansicht des Gesetzgebers, der die Vorrangigkeit des § 313 BGB in Fällen der möglichen Vertragsanpassung annimmt, ab. Nach Eidenmüller1097 ist das Konkurrenzproblem der beiden Normen zueinander auf der Tatbestandsebene zu lösen. Im Falle des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 314 BGB gehe diese Vorschrift dem Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 vor. Er belegt seine Ansicht damit, dass auch im Rahmen des § 314 BGB die Möglichkeit bestehe, die legitimen Interessen der Vertragsparteien zu berücksichtigen, da auch der Tatbestand des § 314 BGB eine Interessenabwägung im Rahmen der Unzumutbarkeit vorschreibe. Ferner führt er an, dass das sofortige Kündigungsrecht des § 314 BGB 1091

Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 22; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389). Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127. 1093 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127. 1094 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127. 1095 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127. 1096 Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (832); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 186. Vor der Schuldrechtsmodernisierung: Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127; Picker, ZfA 1981, S. 1 (24); Hilger, BB 1957, S. 296 (297). 1097 Eidenmüller, Jura 2001, 824 (832); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 186. 1092

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den Vertragspartner bevorteile. Auch Haarmann1098 äußerte sich noch vor der Kodifizierung dieser beiden Institute auf deren Verhältnis zueinander. Er argumentiert, dass die Kündigung aus einem wichtigen Grund gegenüber dem Wegfall der Geschäftsgrundlage vorrangig und spezieller sei, sodass Kündigung aus wichtigem Grund auch vorrangig angewendet werden müsse. cc) Kein Rangverhältnis der beiden Institute zueinander In der Literatur wird auch die Ansicht vertreten, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage und die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zwei Rechtsinstitute sind, die nebeneinander Anwendung finden und sich gegenseitig nicht ausschließen, sofern es nicht um die Anpassung des Vertrags geht.1099 Die Vertreter dieser Ansicht nehmen an, dass weder der Wortlaut noch der Zweck der Vorschriften oder irgendein anderer Sachgrund für irgendeinen Vorrang der beiden Institute steht. Nach Feldhahn schließen sich die §§ 313 BGB und 314 BGB gegenseitig nicht aus, sondern stehen unabhängig nebeneinander.1100 Obwohl die Kündigung als Rechtsfolge in beiden Normen geregelt sei und es auf der Tatbestandsebene zu Überschneidungen kommen könne, lägen dennoch gravierende Unterschiede vor.1101 Beispielsweise erfordere der § 314 BGB eine Abmahnung und eine Kündigungsfrist. Im Falle eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei hingegen eine Abmahnung abwegig, da die Veränderungen ohnehin außerhalb der Machtbereiche der Parteien lägen. Eine Abmahnung sei aber dann angebrachtt, wenn die Parteien durch eine Verhaltensänderung die unzumutbare Situation aus der Welt schaffen könnten. Dies sei bei einer Kündigung aus einem wichtigen Grund durchaus der Fall, wenn einer der beiden Parteien eine Pflichtverletzung begangen hätte.1102 Feldhahn betont weiterhin, dass eine Abmahnung und das Erfordernis einer Kündigungsfrist vor der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung1103 verlangt wurden. Sei in solch einem Falle die Anpassung des Vertrags nicht möglich, so könne der Vertrag nach § 313 Abs. 3 S. 2 BGB gekündigt werden, ohne dabei die formalen Voraussetzungen des § 314 BGB, nämlich die Abmahnung und die Einhaltung einer bestimmten Frist, zu berücksichtigen. Eine andere Sichtweise sei verfehlt, da es keinen Grund gebe, der Partei, die unter den unzumutbaren Umständen zu leiden hat, die aber nicht aus dem Verantwortungs1098

Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127. Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 159; ders., NZM 2007, S. 110 (113 f.); v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279 ff.); Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382 ff.); Schulze, in: HK-BGB7, § 314 Rn. 2. 1100 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383). 1101 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383). 1102 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383). 1103 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383). Fehldhahn verweist auf BGH Entscheidung: BGH NJW 1981, S. 1264 (1265). 1099

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bereich der Parteien herrühren, eine Kündigung des Vertrags vorzuenthalten, nur weil diese Partei die Frist nicht eingehalten oder die Abmahnung nicht erklärt hat. Die Historie beider Rechtsinstitute spreche eher gegen einen Vorrang des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund.1104 Von Hase vertritt die Ansicht, es sei erforderlich, das Konkurrenzverhältnis in einer Art zu lösen, ohne „Wertungswidersprüche“ entstehen zu lassen.1105 Die Institute würden sich sowohl hinsichtlich ihrer Intention (Gewährleistung des Grundsatzes von Treu und Glauben) als auch hinsichtlich der Anforderungen an die Unzumutbarkeit entsprechen. Liege sowohl der Tatbestand des § 313 BGB als auch der des § 314 BGB vor, seien beide Vorschriften zunächst einmal nebeneinander anwendbar. Derjenige, der den Vertrag gem. § 314 BGB kündigen wolle, müsse innerhalb einer angemessenen Frist zunächst prüfen, ob eine Anpassung des Vertrags möglich erscheint.1106 Sei dies möglich, wäre eine fristgerechte Änderungskündigung vorzunehmen. Hirsch1107 entkräftet das Argument, aus der Gesetzesbegründung gehe die Vorrangigkeit des § 314 BGB hervor, dass es sich hierbei nur um einen „Redaktionsfehler“ handele, da der Gesetzgeber den Wortlaut der Norm geändert hat, ohne die Gesetzesbegründung anzupassen. dd) Vorrang des § 313 BGB vor § 314 BGB Eine andere Ansicht in der Literatur leitet die Vorrangigkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus dem engen und gestuften Rechtsfolgensystem des § 313 BGB ab. Rösler1108 ist einer der Anhänger dieser Ansicht und erörtert diese im Zusammenhang mit der Fristendebatte. Da § 313 BGB vorrangig gegenüber dem § 314 anzuwenden sei, werde das Fristenfordernis des § 314 BGB nicht auf den § 313 BGB übertragen. Rösler1109 stützt seine Ansicht zudem auf eine Entscheidung des BGH, in der die Unterschiedlichkeit des Zumutbarkeitsmaßstabs und des Anwendungsbereiches der beiden Rechtsinstitute dargelegt wird. Das Kündigungsrecht in § 314 BGB sei im Gegensatz zu § 313 BGB ein vertragsimmanentes Mittel, um sich von einem Vertrag lösen zu können.1110 Auch aus dem Konkurrenzverhältnis in der Gesetzesbegründung gehe hervor, dass die Anpassung des Vertrags, auch in den Fällen der Kündigung aus wichtigem Grund, vorgehe. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass der § 314 BGB 1104 1105 1106 1107 1108 1109 1110

Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382). v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2278 ff.). v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2283). Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 159; ders., NZM 2007, S. 110 (113 f.). Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389, 391). Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389, 391). BGH NJW 1997, S. 1702 (1703 f.); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391).

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gegenüber den spezielleren Kündigungsnormen lediglich subsidiär ist, sodass er einen geringen Anwendungsbereich habe.1111 Die Rechtsprechung hat sich in einer aktuellen Entscheidung gegen eine Verallgemeinerung der Vorrangigkeit des § 314 BGB ausgesprochen.1112 Daher sei in Fällen, in denen die Störung der Geschäftsgrundlage die Voraussetzung des wichtigen Grundes gem. § 314 BGB erfüllt, nach dem Willen des Gesetzgebers dem § 313 Abs. 3 BGB Vorrang einzuräumen.1113 ee) Stellungnahme Zu beachten ist, dass sich das Konkurrenzproblem lediglich dann stellt, wenn die Voraussetzungen sowohl der einen als auch der anderen Norm erfüllt sind. Dieses Problem stellt sich jedoch nicht, wenn die Kündigung aufgrund einer Pflichtverletzung gem. § 314 BGB erfolgt, da in dieser Situation die Voraussetzungen des § 313 BGB nicht vorliegen. Der Gesetzgeber hat für den Konkurrenzfall, zum Schutz des Grundsatzes von pacta sunt servanda, das Kündigungsrecht dahingehend eingeschränkt, dass die Kündigung ausgeschlossen ist, wenn die Vertragsanpassung möglich erscheint. Da eine Vertragsanpassung einen geringeren Eingriff als eine Kündigung darstellt, ist die Vorrangigkeit des § 313 BGB zu begrüßen. In diesem Zusammenhang ist mit Bedauern festzustellen, dass der Gesetzgeber es trotz der bestehenden Hinweise unterlassen hat, das Konkurrenzverhältnis dieser beiden Institute zueinander zu klären, wenn eine Anpassung nicht möglich ist. Die Ansicht der relativen Vorrangigkeit der Kündigung ist kritisierbar, da sie strengere Anforderungen an den Unzumutbarkeitsbegriff des § 313 BGB stellt. Eine Unterteilung des Unzumutbarkeitskriteriums in unzumutbar bzw. noch unzumutbarer oder in streng bzw. noch strenger ist nicht sachgerecht. Es ist für eine Partei entweder unzumutbar am Vertrag festzuhalten oder nicht. Haben sich auch die Voraussetzungen des § 313 BGB verwirklicht, so kann die Strenge der Voraussetzungen nicht als Argument für einen etwaigen Vorrang des § 314 BGB sprechen. Es darf nicht vergessen werden, dass die Beziehung zwischen lex specialis und lex generalis einen Vorrang des § 314 BGB gegenüber dem § 313 BGB begründen kann, nicht aber die Frage, welche Voraussetzungen strenger sind oder nicht. Für das Vorliegen einer Konkurrenzsituation nicht mehr von Bedeutung, welche Norm strenger ist, da die Voraussetzungen für beide Normen bereits erfüllt sind. Wenn die Unzumutbarkeit in § 313 BGB an strengere Voraussetzungen geknüpft wäre, stellte sich die Frage, warum der Gesetzgeber bei Vorliegen der strengen Voraussetzungen eine Anpassung verlangt. Wieso sollte der Gesetzgeber bei einer „unzumutbareren“ 1111 1112 1113

Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391). OLG Saarbrücken NJOZ 2011, S. 257 (258). OLG Saarbrücken NJOZ 2011, S. 257 (258).

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Veränderung der Umstände eine Anpassung vorsehen? Dies spricht dafür, dass die Unzumutbarkeit in beiden Normen denselben Grad der Unzumutbarkeit verlangt. Ferner ist die Ansicht des absoluten Vorrangs der Kündigung zu kritisieren. Das bezieht sich vor allem auf Eidenmüller,1114 der als Argument anführt, dass der § 314 BGB für den Kündigungswilligen weitaus vorteilhafter sei. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass er diese Vorteile nicht näher erläutert bzw. darstellen konnte. Der Ansicht, die keinerlei Konkurrenzverhältnis von beiden Instituten vertritt, ist nicht zuzustimmen. Denn es ist in der Literatur weitestgehend anerkannt, dass in einigen Fällen sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen des § 313 BGB als auch die des § 314 BGB gleichzeitig vorliegen können. Weiterhin ist allgemein anerkannt, dass der wichtige Grund i. S. d. § 314 auch die Geschäftsgrundlagenstörung umfasst. Gegen die Rechtsprechung in Fällen der Kündigung lässt sich anführen, dass sie keine hinreichende Argumentation zum Vorrang des § 313 BGB liefert. Der Umstand, dass sie sich in ihrem Urteil allein auf den Gesetzgeberwillen stützt, scheint nicht auszureichen, zumal der Wille des Gesetzgebers nur hinsichtlich des Vorrangs des § 313 BGB bei der Vertragsanpassung klar zum Ausdruck kommt. Der Wille des Gesetzgebers, welcher von der Vorrangigkeit des § 313 BGB ausgeht, ist gerade in Kündigungsfällen nicht ausdrücklich geregelt. Aufgrund dieses Umstands hat die Diskussion nicht an Aktualität verloren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Falle einer möglichen Vertragsanpassung der § 313 BGB vorrangig angewendet werden sollte. Wenn eine Anpassung nicht in Betracht kommt, wäre es sachgerecht, der betroffenen Partei ein Wahlrecht1115 zwischen § 313 BGB und § 314 BGB einzuräumen. Belegt werden kann diese Ansicht damit, dass der Maßstab an das Unzumutbarkeitskriterium in beiden Regelungen identisch ist. Der Wortlaut des Gesetzes liefert keine Anhaltspunkte, wonach die Zumutbarkeit in beiden Fällen unterschiedlich strengen Anforderungen unterliegen soll.1116 Ferner spricht für ein Wahlrecht, das der Gesetzgeber beider Normen in das BGB aufgenommen hat und dem Betroffenen selbst die Möglichkeit eingeräumt werden müsste, auf welche der beiden Normen er sein Anliegen stützt. b) Das Verhältnis in Bezug auf die Frist In der Lehre ist nicht nur das Verhältnis zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der außerordentlichen Kündigung umstritten, sondern auch die Frage,

1114

Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (832). Eine ähnliche Auffassung vertritt Emmerich. Danach habe die Partei ein Wahlrecht, wenn der wichtige Grund des § 314 BGB dasselbe Gewicht wie bei § 313 BGB aufweise. Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 424 Rn. 43. 1116 Roth, in MüKo, BGB5 § 313 Rn. 140 ff.; Schülter, ZGS 2003, S. 346 (352). 1115

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ob die Frist aus § 314 Abs. 3 BGB auch Anwendung auf den § 313 BGB Abs. 3 S. 2 BGB findet. Diese Frage wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. aa) Gegner des Fristerfordernisses Es besteht die Ansicht, dass das Fristerfordernis des § 314 BGB keine Voraussetzung für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist.1117 Diese Ansicht wurde durch eine aktuelle Entscheidung des OLG Saarbrücken bestätigt.1118 Der Verweis in § 313 BGB auf § 314 BGB im Gesetzesentwurf wurde bei der Gesetzgebung gestrichen. Die Anwendung der Frist auch auf die Fälle des § 313 BGB würde nach Reichart1119 im Widerspruch zu diesem Gedanken stehen. Eine Anwendung der Frist von § 314 BGB auf § 313 Abs. 3 S. 2 BGB würde zu einem weiteren Problem führen, denn bei § 313 müsse erst einmal eine Anpassung überprüft werden. Deswegen stelle sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Kündigungsfrist beim § 313 beginnt. Ginge man von einem Fristerfordernis gem. § 313 Abs. 3 S. 2 aus, so wäre es notwendig, dieses Erfordernis auch auf die Fälle der Vertragsanpassung und den Rücktritt zu übertragen, um eine einheitliche Rechtsfolge erzielen zu können. Eine Vertragsanpassung bedeute ebenso wie der Rücktritt und die Kündigung, dass das Vertragsverhältnis umgestaltet werde, weshalb es nicht sinnvoll ist, eine Unterscheidung bezüglich der Frist vorzunehmen. Zudem würde ein weiteres Problem zutage treten, nämlich die Verhinderung einer zunächst angestrebten Vertragsanpassung, da die Partei gezwungen wäre, alsbald eine Kündigung auszusprechen.1120 Eine Vertragsanpassung würde dadurch nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein bzw. gänzlich ausscheiden.1121 Überdies berücksichtige das Zumutbarkeitskriterium des § 313 eine hinreichende „Angemessenheitskontrolle“ und bedürfe folglich keines Schutzes der Gegenseite durch ein zusätzliches Fristerfordernis.1122 Auch Rösler1123 lehnt die Anwendung der Frist des § 314 Abs. 3 BGB auf § 313 Abs. 3 BGB ab. Rösler1124 verweist darauf, dass der Anspruch aus § 313 BGB sowohl 1117

Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383); Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 44; Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 163; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 37; Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 71. 1118 OLG Saarbrücken NJOZ 2011, S. 257 (258). 1119 Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 44. 1120 Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 163; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 37. 1121 Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 163; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 37. 1122 Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 163; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 170. 1123 Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391). 1124 Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391).

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bezüglich der Kündigung als auch der Anpassung regelmäßig in drei Jahren gem. § 195 BGB verjährt. Diese Frist dürfe durch die Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB auf § 313 BGB nicht gekürzt werden, da der § 314 Abs. 3 BGB nur eine angemessene Frist erfordere,1125 die sich kürzer als die des § 195 BGB darstellt. Feldhahn1126 lehnt ebenfalls ein Fristerfordernis im Falle des § 313 Abs. 3 S. 2 BGB ab, obwohl in der Gesetzesbegründung ein Verweis von § 313 BGB auf § 314 BGB gegeben sei, dieser jedoch keinen ausdrücklichen Rechtsgrundverweis darstelle. Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass dem Zivilrecht eine Verweisung auf nachfolgende Normen nicht bekannt sei.1127 Hätte der Gesetzgeber ein Fristerfordernis für den § 313 BGB aus dem § 314 BGB herleiten wollen, so hätte er den § 314 BGB aus systematischer Hinsicht vorangestellt.1128 Der § 313 BGB erfordere keine Pflichtverletzung, sondern eine Änderung der Umstände, auf die der Vertragspartner keinen Einfluss hat. Fehlt es aber an einer Pflichtverletzung, so gibt es keinen Grund, diese aus der Welt zu schaffen. Weiterhin wäre eine Kündigungsfrist beim Fehlen einer Pflichtverletzung nicht sinnvoll und auch nicht angebracht, da es nunmehr keinen Grund dafür gebe, dass die Parteien ihr Verhalten und die damit zusammenhängende Pflichtverletzung aus der Welt schaffen müssen.1129 Als weiteres Argument kann angeführt werden, dass außerordentliche Kündigungsvorschriften keine Fristsetzung erfordern. Gerade die Spezialregelung des § 490 BGB, der eine Ausprägung der Geschäftsgrundlagenlehre darstelle, enthalte keine Fristsetzung. Dies verdeutliche, dass es für § 313 BGB keiner Fristsetzung bedürfe.1130 bb) Befürworter des Fristerfordernisses Nach einer anderen Ansicht1131 ist es vor allem für die Praxis empfehlenswert, die Kündigungsfrist des § 314 BGB einzuhalten, bis über die Frage nach dem Verhältnis von § 313 zu § 314 BGB höchstrichterlich entschieden worden ist. Nach Angermeir1132 besteht ein Wertungswiderspruch, wenn der § 314 BGB eine Kündigungsfrist erfordert, der § 313 BGB hingegen nicht. In beiden Fällen bestehe das Bedürfnis des Kündigungsempfängers auf Klärung der Verhältnisse in einem kurzen Zeitraum, was auch durch die Kündigungsfrist gewährleistet sei. Deswegen 1125

Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391). Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382). 1127 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382). 1128 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382). 1129 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383). 1130 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 170. 1131 Armbrüster/Wiese, DStR 2003, S. 334 (342); Gaier, in: MüKo, BGB6, § 314 Rn. 14; Weth, in: jurisPK, BGB6, § 314 Rn. 58. 1132 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 197. 1126

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

wäre es sachgerecht, bei Geschäftsgrundlagenstörungen von Dauerrechtsverhältnissen die formellen Anforderungen des § 314 BGB auch bei der Anwendung des § 313 BGB einzuhalten. Angermeir verlangt darüber hinaus auch in Fällen der Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen eine Fristsetzung, um den Vertragspartnern so die Möglichkeit zu geben, sich gelassener den Anpassungsmodalitäten zu widmen, lösungsmotivierter zu werden und somit den Anpassungschancen hinreichend Raum zu bieten.1133 Schlüter1134 befürwortet ein Fristerfordernis in Rahmen des § 313 BGB, jedoch erst nach erfolglos durchgeführten Anpassungsverhandlungen des Vertrags. Dadurch würde das Problem der verspäteten Kündigung aufgrund einer zu langen und erfolglos durchgeführten Vertragsanpassung vermieden werden. cc) Stellungnahme Unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 313 BGB und des Umstands, dass der Gesetzgeber bei dessen Fixierung den Verweis auf § 314 BGB gestrichen hat, wird deutlich, dass es im Rahmen des § 313 BGB keiner Fristsetzung bedarf. Der Gesetzgeber hat diesen Verweis gestrichen, um Missverständnisse, vor allem die Geltung des Fristerfordernisses des § 314 BGB, auch im Falle des § 313 BGB, zu vermeiden. Die Existenz des § 314 BGB dient nicht dazu, die Voraussetzungen des § 313 BGB im Falle eines Dauerrechtsverhältnisses weiter einzuschränken. Zu beachten ist weiterhin, dass der Richter seine Entscheidung unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls trifft. Hat sich der Kündigungswillige demnach bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 313 BGB zu viel Zeit gelassen, ohne sich hierauf zu berufen, kann der Richter dies bei der Ermittlung der Zumutbarkeit berücksichtigen. Das OLG Saarbrücken hat das Fristerfordernis für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage abgelehnt. Obwohl die Entscheidung des BGH noch fehlt, kann die Begründung des OLG Saarbrücken bis zur Klärung des Verhältnisses des § 313 BGB zu § 314 BGB durch höchstrichterliche Entscheidung, als Diskussionsgrundlage dienen. Aufgrund der Tatsache, dass der Gesetzgeber die Prüfung der Vertragsanpassung befürwortet, könnte durch das Verlangen einer Fristsetzung eine Vertragspartei sich dem Druck ausgesetzt sehen, schnellstmöglich von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch zu machen, um die Kündigungsfrist einzuhalten. Dadurch würde das vorrangig zu prüfende Anpassungsbegehren unterlaufen werden und zu einer Gefährdung der Vertragsbindung führen.

1133 1134

Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 197. Schlüter, ZGZ 2003, S. 346 (352).

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5. Abgrenzung zu § 119 BGB Bereits vor der Schuldrechtsreform war das Verhältnis des Irrtums zum Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage umstritten, und nach der Schuldrechtsmodernisierung hat diese Diskussion an Aktualität nichts eingebüßt. Denn mit der Schuldrechtsmodernisierung hat der Gesetzgeber auch diesbezüglich keine klarstellende Auffassung dargelegt.1135 Der Gesetzgeber hat lediglich klargestellt, dass der beiderseitige Motivirrtum unter den Anwendungsbereich des § 313 Abs. 2 BGB fällt.1136 Die Abgrenzungsproblematik ergibt sich aus dem Umstand, dass sich beide Institute in einigen Punkten überschneiden. § 119 Abs. 2 BGB behandelt den ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum über Eigenschaften einer Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.1137 § 313 Abs. 2 BGB regelt die wesentlichen (beiderseitigen) falschen Vorstellungen bei Vertragsabschluss. Somit können bei einem gemeinschaftlichen Irrtum bezogen auf die Eigenschaft einer Sache sowohl das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als auch das Irrtumsrecht zur Anwendung gelangen.1138 Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen beider Institute ist eine Abgrenzung erforderlich, da sie sich in ihren Rechtsfolgen erheblich unterscheiden. Nach den Regeln der §§ 119 ff. BGB gibt das Rechtsinstitut der Anfechtung dem Irrenden die Option, seine Erklärung, welche auf einem Willensmangel beruht, ex tunc zu beseitigen. Die Regelungen dienen dazu, den Irrenden nicht an eine Erklärung zu binden, die nicht seinem tatsächlichen Willen entspricht.1139 Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gibt dem Benachteiligten dagegen primär einen Anpassungsanspruch. Es ist erforderlich, das Verhältnis beider Institute und die verschiedenen Ansichten diesbezüglich zu untersuchen. a) Fälle, die nur unter §§ 119 ff. BGB fallen Bei einseitigen Irrtümern ist unstreitig § 119 BGB anzuwenden. Da der § 313 Abs. 2 BGB lediglich den gemeinschaftlichen Irrtum regelt, ergeben sich diesbezüglich weder Überschneidungen noch Konkurrenzprobleme.1140

1135 1136 1137 1138 1139 1140

Löhning, JA 2003, S. 516 (516). BT-Drucks. 14/6040, S. 176. Löhning, JA 2003, S. 516 (516). Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 825. Rüthers/Stadler, BGB AT, § 25 Rn. 12. Yushkova/Stolz, JA 2003, S. 70 (73).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

b) Fälle, die nur unter § 313 Abs. 2 BGB fallen Zwei Fallgruppen gehören nach der Schuldrechtsmodernisierung nunmehr zweifellos unter den Anwendungsbereich des § 313 Abs. 2 BGB. Hierzu zählen der beiderseitige Motivirrtum, der sich nicht auf Eigenschaften einer Sache oder Person bezieht, und der beiderseitige offene Kalkulationsirrtum.1141 Beim beiderseitigen Motivirrtum irren sich die Parteien über die Motive, welche zum Vertragsabschluss führen. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen. Konkurrenzprobleme ergeben sich folglich nicht, da dieser beiderseitige Motivirrtum, der sich nicht auf die Eigenschaft einer Sache oder Person bezieht, von § 119 Abs. 2 BGB nicht erfasst werde.1142 Auch der offene beiderseitige Kalkulationsirrtum werde nunmehr von § 313 Abs. 2 BGB erfasst, soweit dieser nicht über die Vertragsauslegung gelöst werden kann.1143 Zur Begründung wird angeführt, dass diese Konstellation nicht unter die Irrtumsregeln des § 119 Abs. 1 BGB falle, da eine Deckung zwischen Wille und Erklärung gegeben sei. Im Gegensatz zum einseitigen verdeckten Kalkulationsirrtum, welcher der Gegenpartei unerkannt bleibt, werde bei dem beiderseitigen Kalkulationsirrtum die Kalkulation in die Vertragsverhandlungen mit einbezogen. Somit sei den Vertragspartnern die Kalkulation bekannt oder für diese zumindest erkennbar. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätten die Parteien den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen. Als weitere Begründung wird angeführt, eine Anwendung der Irrtumsregeln führe zu einer unüberschaubaren Rechtsunsicherheit.1144 Die Anfechtungsfrist gem. § 121 BGB beginnt mit der Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Anfechtungsgrund. Folglich hänge die Anfechtungsmöglichkeit von dem Umstand ab, wann der Gegner diese Kenntnis erlangt. Dies wiederum führe zu einer Häufung von subjektiven Merkmalen für die Eröffnung der Anfechtungsregeln. Durch die Möglichkeit der Vertragsanpassung diene die Lösung über den § 313 Abs. 2 BGB den Interessen der Vertragsparteien, wobei nur die Auflösung des Vertrags in Betracht komme, wenn das Festhalten am Vertrag für den Vertragspartner unzumutbar und die falsche Vorstellung folglich wesentlich sei.1145 Durch die engen Tatbestandsvoraussetzungen des § 313 Abs. 2 BGB werde somit auch die Rechts-

1141

Rüthers/Stadler, BGB AT, § 25 Rn. 43; Hotz, Irrtumsregeln, S. 106 ff. Hütte/Hütte, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 825. 1143 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 123; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht23, Rn. 134; Wendtland, in: Bamberger/Roth3, BGB, § 119 Rn. 34; Rüthers/Stadler, BGB AT, § 25 Rn. 43. 1144 Rösler, JuS 2005, S. 120 (124), BGH NJW 1998, S. 3192 (3194 f.). 1145 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 433 Rn. 11; Petersen, Jura 2006, S. 660 (662). 1142

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sicherheit gewährleistet. Falle der Kalkulationsirrtum in den Risikobereich eines Vertragspartners, komme § 313 Abs. 2 BGB nicht zur Anwendung.1146 Des Weiteren entspreche die Lösung über den § 313 Abs. 2 BGB auch dem Willen des Gesetzgebers, welcher den gemeinschaftlichen Motivirrtum, folglich auch den gemeinschaftlichen Kalkulationsirrtum, unter § 313 Abs. 2 BGB fasse.1147 Ein weiterer Grund, den beiderseitigen Kalkulationsirrtum nicht über die Anfechtungsregeln zu lösen, liege darin, dass dies zu einer einseitigen Risikoverlagerung führen würde. c) Konkurrenzfälle Konkurrenzprobleme zwischen Irrtumsregeln des § 119 und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ergeben sich bei gemeinschaftlichen Irrtümern bezogen auf die Eigenschaft einer Sache oder einer Person.1148 Im Falle des beiderseitigen Irrtums machen sich beide Parteien falsche Vorstellungen von den Umständen und hätten den Vertrag zu den gegebenen Konditionen nicht geschlossen. Infolgedessen muss für beide Parteien eine interessengerechte Lösung gefunden werden.1149 Hierbei stellt sich die Frage, ob im Konkurrenzfall die Anfechtung oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage vorrangig zur Anwendung kommt. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Ansichten dargestellt. aa) Vorrangigkeit des § 313 Abs. 2 BGB Die Rechtsprechung1150 und h. M. in der Literatur1151 lösten den beiderseitigen Irrtum über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 2 BGB. Die Heranziehung der Irrtumsregeln führe zu gesetzessystematischen und gesetzesdogmatischen Widersprüchen.1152

1146

Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 433 Rn. 11. BT-Drucks. 14/6040, S. 176; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 432 Rn. 10. 1148 Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 825. 1149 Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 825. 1150 Zwar musste sich der BGH des Öfteren mit der Problematik des beiderseitigen Irrtums beschäftigen, jedoch lag in diesen Fällen keine berechtigte Anfechtung vor. Dennoch scheint es, als würde der BGH eine Lösung über den § 313 Abs. 2 bevorzugen. Dies ist deshalb anzunehmen, weil er wie folgt ausführt: „Die Parteien sind demselben Irrtum unterlegen. Dessen Beurteilung richtet sich nach den Regeln über das Fehlen der Geschäftsgrundlage.“ BGH NJW 1986, 1348 (1349); NJW 1972, S. 152; NJW 1976, S. 565; NJW 1990, S. 567; NJW 1993, S. 1641; NJW 1996, S. 1479. 1151 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 123; Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 13; Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 233 Rn. 8; Rösler, JuS 2005, S. 120 (122); Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921. 1152 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 123. 1147

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Als Argument wird angeführt, § 119 Abs. 2 BGB regele nur den einseitigen Eigenschaftsirrtum.1153 Eine Ausdehnung auf den beiderseitigen Eigenschaftsirrtum sehe das Gesetz nicht vor, der Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 BGB werde durch die Einbeziehung des gemeinschaftlichen Irrtums gesprengt.1154 Vor allem sei seit der Schuldrechtsreform ein Rückgriff auf den § 119 Abs. 2 BGB nicht mehr erforderlich, da § 313 Abs. 2 BGB eine irrtumsrechtliche lex specialis und somit ein Stück Irrtumsrecht darstelle.1155 Als weiteres Argument wird die flexiblere Rechtsfolge des § 313 Abs. 2 BGB angeführt.1156 Die schärfere Rechtsfolge des § 119 Abs. 2 BGB sehe basierend auf dem Alles-oder-nichts-Prinzip einzig die Beseitigung des Vertrags vor, auch wenn dem Anfechtungsgegner unter den Voraussetzungen des § 122 BGB der Vertrauensschaden ersetzt werden kann. Hiergegen ermögliche das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als primäre Rechtsfolge die Anpassung des Vertrags entsprechend der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner, ohne den Vertrag aufzulösen. Im Übrigen liege beim Vorrang des § 119 Abs. 2 BGB eine Unbilligkeit vor. Da sich beide Parteien irren und somit auch beide betroffen sind, hänge es vom Zufall ab, welcher zuerst anficht und somit der Schadensersatzpflicht gem. § 122 BGB unterliegt.1157 Schließlich falle gerade der beiderseitige subjektive Irrtum unter den Gesetzeszweck des § 313 Abs. 2 BGB. Dies sei vor allem dadurch erkennbar, dass diese Gruppe einen großen Anteil der Anwendungsfälle des § 313 Abs. 2 BGB erfasse.1158 bb) Vorrangigkeit des § 119 Abs. 2 BGB Eine andere Ansicht vertritt den Vorrang von § 119 Abs. 2 BGB gegenüber § 313 BGB.1159 Bereits vor der Schuldrechtsreform wurde § 119 Abs. 2 BGB als speziell und somit generell vorrangig behandelt.1160 Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage war subsidiär. Mit der Kodifizierung habe sich dieses Konkurrenzver1153

Rösler, JuS 2005, S. 120 (122). Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 123. 1155 Kramer, in: MüKo BGB5, § 119 Rn. 117. Nach Kramer ist § 313 Abs. 2 BGB, ein Stück Irrtumsrecht. Aus diesem Grund sollten die Rechtsfolgen des § 313 Abs. 2 BGB, an die dem Verkehrsschutz Rechnung tragenden Fristvorschrift des § 121 anknüpfen. 1156 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 123. 1157 Huber, Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung, S. 13; ders., in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 233 Rn. 8. 1158 Hirsch, Jura 2007, S. 81 (84); Rösler, JuS 2005, S. 120 (123). 1159 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht23, Rn. 162; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 12. 1160 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 12. 1154

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hältnis nicht geändert. Zweck der Gesetzgebung sei es gewesen, die Geschäftsgrundlagenproblematik lediglich gesetzlich zu regeln. Folglich habe § 313 Abs. 2 BGB seinen subsidiären Charakter behalten.1161 Als weiteres Argument wird genannt, dass die Kodifizierung und somit die alleinige Existenz und der Wortlaut des § 313 Abs. 2 BGB nicht ausreichend seien, um diese Norm als vorrangig zu behandeln. Auch bei einer Privilegierung des § 119 Abs. 2 BGB verbleibe dem § 313 Abs. 2 BGB ein eigener Anwendungsbereich.1162 Vor allem müsse aufgrund der Privatautonomie dem Irrenden die Möglichkeit gewährt werden, den Vertrag anzufechten oder an diesem festzuhalten. Auch wenn das Anfechtungsrecht keine Anpassung als Rechtsfolge vorsehe, führe eine Anfechtung für beide Parteien zu befriedigenden Ergebnissen.1163 Entscheidet sich der Irrende nämlich für eine Anfechtung, könne Folge dieser Anfechtung bei Einhaltung der Anfechtungsfrist gem. § 121 BGB eine Schadensersatzpflicht gem. § 122 Abs. 1 BGB sein.1164 Hierbei sei das Argument, bei einem beiderseitigen Irrtum hänge es vom Zufall ab, wer zuerst anficht und somit die Schadensersatzpflicht trägt, unzutreffend.1165 Eine Unbilligkeit liege demnach nicht vor, denn wie auch bei einem einseitigen Irrtum werde in den meisten Fällen die benachteiligte Partei anfechten und somit der Schadensersatzpflicht unterliegen.1166 Eine Anfechtung sei auch nicht im Interesse der Gegenpartei.1167 Im Übrigen sei die Schadensersatzpflicht in § 122 Abs. 1 BGB angemessen geregelt, zumal die Schadensersatzpflicht in den meisten Fällen über § 122 Abs. 2 BGB entfalle.1168 Die vorrangige Behandlung der Irrtumsregeln im deutschen Recht werde durch die angestrebte europäische Rechtsangleichung, welche ebenfalls zum Vorrang der Irrtumsregeln tendiere, unterstützt.1169

1161

Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 12. Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 12. 1163 Hütte/Hütte, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 791, BGB2005, § 313 Rn. 12. 1164 Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 791, 828; Krebs, in: Rn. 12. 1165 Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 791, 828; Krebs, in: Rn. 12. 1166 Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 791, 828; Krebs, in: Rn. 12. 1167 Hütte/Hütte, SchuldR AT, Rn. 791, 828; Krebs, in: Rn. 12. 1168 Hütte/Hütte, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 791, BGB2005, § 313 Rn. 12. 1169 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 12. 1162

828; Krebs, in: AnwaltKomm, AnwaltKomm, BGB2005, § 313 AnwaltKomm, BGB2005, § 313 AnwaltKomm, BGB2005, § 313 AnwaltKomm, BGB2005, § 313 828; Krebs, in: AnwaltKomm,

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Im Übrigen sei weder aus dem Wortlaut noch aus der systematischen Stellung der Norm des § 119 Abs. 2 BGB zu entnehmen, dass eine Anwendbarkeit auf beiderseitige Irrtümer ausgeschlossen sei.1170 cc) Wahlrecht Eine weitere Ansicht sieht für die Überschneidung beider Vorschriften ein Wahlrecht vor. Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 119 Abs. 2 BGB und § 313 Abs. 2 BGB könne nicht durch ein Vorrangverhältnis gelöst werden. Vielmehr müssten beide Institute nebeneinander konkurrieren können.1171 Zum einen entfalle beim beiderseitigen Irrtum bezogen auf die Eigenschaft einer Sache oder einer Person das Spezialitätsverhältnis. Beide Institute enthalten in dieser Konstellation sowohl spezielle1172 als auch allgemeine Aspekte.1173 Für die Spezialität des Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB spreche, dass es sich um eine besondere Form des Motivirrtums handelt.1174 Die Spezialität des § 313 Abs. 2 BGB hingegen liege darin, dass er einen beiderseitigen Motivirrtum behandelt.1175 Zum anderen führe auch der Lösungsansatz über die Rechtsfolge nicht zu einem Vorrangverhältnis. Vielmehr führe die Rechtsfolge beider Institute zu befriedigenden Ergebnissen; beachtliche Differenzen innerhalb der Rechtsfolgen seien nicht erkennbar.1176 In beiden Fällen könne ein Schadensersatzanspruch ermöglicht werden.1177 Die Anfechtungsregeln sehen als Rechtsfolge die Beseitigung des Vertrags und die eventuelle Auferlegung einer Schadensersatzpflicht vor. Außerdem sei auch beim Wegfall der Geschäftsgrundlage die Auferlegung einer Schadensersatzpflicht denkbar. Ist nach dieser Ansicht eine Anpassung für eine Vertragspartei nicht möglich oder nicht zumutbar, so ermögliche der Rücktritt gem. § 313 Abs. 3 BGB die Zuerkennung eines erlittenen Vertrauensschadens aus culpa in contrahendo.1178 Bei Vorliegen der Voraussetzungen beider Institute seien keine rechtfertigenden Gründe ersichtlich, den Vertragsparteien entweder die Alles-oder-nichts-Rechts-

1170 1171

(403). 1172 1173 1174

(403). 1175

(403). 1176

(403). 1177 1178

Yushkova/Stolz, JA 2003, S. 70 (73). Finkenauer, in: MüKo, BGB6. , § 313 Rn. 148; Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 Finkenauer, in: MüKo, BGB6. , § 313 Rn. 148. Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (403). Finkenauer, in: MüKo, BGB6. , § 313 Rn. 148; Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 148; Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 148; Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 Finkenauer, in: MüKo, BGB6. , § 313 Rn. 148. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 148.

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folge des § 119 Abs. 2 BGB oder die Anpassungsmöglichkeit des § 313 Abs. 2 BGB zwingend aufzuerlegen. Vielmehr müsse ein Wahlrecht möglich sein.1179 Der benachteiligten Partei müsse der Weg der Anpassung eröffnet werden, da sich beide im Irrtum befinden. Genau aus diesem Grund könne dem belasteten Teil jedoch auch die sofortige Lösung vom Vertrag nicht vorenthalten werden.1180 Ein weiteres Argument liege in dem Widerspruch zum Gesetzeszweck.1181 Der Gesetzgeber habe den Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB privilegieren wollen. Eine Sperrwirkung des § 119 Abs. 2 BGB bei einem beiderseitigen Irrtum über die Eigenschaft einer Sache oder einer Person führe jedoch zu einer Privilegierung der anderen gemeinsamen Motivirrtümer, welchen dadurch der Weg zum Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ohne Beachtung der strengen Fristvoraussetzung des § 121 BGB eröffnet werde.1182 Als weiterer Aspekt wird angeführt, dass trotz der unterschiedlichen Voraussetzungen beider Institute bei genauerer Betrachtung eine erhebliche und für die Beurteilung des Vorrangverhältnisses wesentliche Gemeinsamkeit bestehe.1183 Die Anfechtungsregeln verlangen in § 119 Abs. 2 BGB einen Irrtum über Eigenschaften der Person oder Sache, welche im Verkehr als „wesentlich“ angesehen wird. Parallel dazu verlangt § 313 Abs. 2 BGB falsche Vorstellungen, die „wesentlich“ sind.1184 Diese Gemeinsamkeit auf der Tatbestandsebene unterstütze somit das Verlangen nach einem Wahlrecht der Parteien.1185 dd) Sphärengedanke Eine Ansicht in der Literatur vertritt die Auffassung, dass eine pauschale Zuordnung des Vorrangs einer der Institute nicht möglich sei.1186 Der Spezialitätsgedanke biete keine ausreichende Grundlage für eine Lösung. Vielmehr sei darauf abzustellen, wessen Sphäre der Irrtum zuzurechnen sei.1187 Stamme der Irrtum nicht aus dem Einflussbereich einer der Vertragsparteien, somit aus einer „neutralen Sphäre“, sei § 313 Abs. 2 BGB der Vorrang zu einzuräumen.1188 In dieser Konstellation haben sich beide Parteien über Umstände geirrt, welche zu dem Vertragsabschluss geführt haben. Beide Parteien haben ihre Pflicht zur feh1179 1180 1181 1182

(403). 1183 1184 1185 1186 1187 1188

Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (403). Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (403). Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 148. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 148; Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (402). Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (402). Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (402). Löhning, JA 2003, S. 516 (516). Löhning, JA 2003, S. 516 (516). Löhning, JA 2003, S. 516 (516).

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lerfreien Ermittlung verletzt. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätten beide Parteien den Vertrag so nicht geschlossen. Eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit einer der Parteien sei nicht erforderlich.1189 Bei gemeinschaftlichen Fehlvorstellungen erscheine es unbillig, die benachteiligte Partei den Irrtumsregeln der §§ 119 ff. BGB und somit der Schadensersatzpflicht gem. § 122 Abs. 1 auszusetzen, da auch die andere Partei den Vertrag so nicht geschlossen hätte.1190 Ebenso unbillig erscheine es, der benachteiligten Partei ohne Weiteres die sofortige Lösung vom Vertrag zu gewähren, da dies einen einschneidenden Eingriff in die Rechte der Gegenpartei darstelle.1191 Folglich biete § 313 Abs. 2 BGB für diese Konstellation die angemessenere Lösung. Stamme der Bezugspunkt des Irrtums dagegen aus der Sphäre einer der Parteien, sei § 119 Abs. 2 BGB der Vorrang zu gewähren, da die Irrtumsgefahr und das Risiko nicht von beiden Parteien gleichermaßen zu tragen sei.1192 Die Irrtumsgefahr verlagere sich hier auf nur einen der Vertragspartner. Die Sachverhaltsermittlung falle der Partei, aus deren Sphäre der Irrtum hervorgeht, leichter, da ihr der Zugang zu vertragsrelevanten Informationen eher möglich sei. Daher könne der Vertragspartner, aus dessen Sphäre der Irrtum stamme, nicht gem. § 119 Abs. 2 BGB anfechten. Dies sei lediglich der Gegenpartei möglich, auch wenn beide demselben Irrtum unterliegen.1193 Die Tatsache, dass § 119 Abs. 2 BGB bei einem einseitigen Irrtum aus einer neutralen Sphäre Anwendung finde, bei einem beidseitigen Irrtum hingegen nur auf § 313 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden könne, stelle wiederum einen „Wertungswiderspruch“ dar.1194 Diesem Umstand habe der Gesetzgeber bei der Schuldrechtsmodernisierung nicht ausreichend Rechnung getragen.1195 Um einen Widerspruch zu vermeiden, müsse § 119 Abs. 2 BGB daher unter Beachtung des § 313 Abs. 2 BGB dahingehend begrenzt werden, dass dieser nur bei einseitigen Irrtümern aus der Sphäre einer Vertragspartei Anwendung findet.1196 ee) Stellungnahme Bei Überschneidungen ist die vorrangige Anwendung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 2 BGB zu befürworten. Die vorrangige Anwendung des § 119 Abs. 2 BGB vor der Schuldrechtsmodernisierung ist keine Begründung für die weitere Vorrangigkeit, da § 313 Abs. 2 BGB 1189 1190 1191 1192 1193 1194 1195 1196

Löhning, JA 2003, S. 516 (517). Löhning, JA 2003, S. 516 (517). Löhning, JA 2003, S. 516 (517). Löhning, JA 2003, S. 516 (517). Löhning, JA 2003, S. 516 (518). Löhning, JA 2003, S. 516 (518). Löhning, JA 2003, S. 516 (518). Löhning, JA 2003, S. 516 (518).

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zu diesem Zeitpunkt noch nicht kodifiziert war. Vielmehr spricht die Kodifizierung des § 313 Abs. 2 BGB dafür, dass der Gesetzgeber Interesse an der gesetzlichen Regelung dieses speziellen Falles des beiderseitigen Irrtums hatte. Eine Lösung dieses Irrtums über § 119 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber somit nicht für ausreichend gehalten. Anders als im türkischen1197 und französischen Recht,1198 welche alle Irrtümer über die Anfechtung lösen, hat der Gesetzgeber im deutschen Recht wesentliche falsche Vorstellungen bei der Vertragsabwicklung in § 313 Abs. 2 BGB kodifiziert. Über eine dem § 313 Abs. 2 BGB entsprechende Vorschrift verfügen das türkische und das französische Recht nicht. Dies deutet darauf hin, dass der deutsche Gesetzgeber diesen Fall des Irrtums von den anderen Irrtümern abgrenzen und ihm somit eine spezielle Position geben wollte. Gegen die Befürworter der Sphärentheorie spricht, dass der Risikobereich und somit die Zuordnung der Verantwortlichkeit nicht immer sauber zugeteilt werden kann. Die Unterteilung in verschiedene Sphären und die darauf begründete Verantwortlichkeit, welche wiederum über die Anwendung des § 313 Abs. 2 BGB oder des § 119 Abs. 2 BGB entscheiden soll, führt zu unsachgemäßen und unsauberen Ergebnissen. Durch das Kriterium der Zumutbarkeit in § 313 Abs. 2 BGB werden sowohl die Risikozuordnung als auch das Verschulden ausreichend berücksichtigt. Auch die Auffassung, die ein Wahlrecht vertritt, ist bedenklich. Das Argument, beide Vorschriften seien auf der Rechtsfolgenebene vergleichbar, kann nicht standhalten. Vielmehr führt der Weg über § 119 Abs. 2 BGB zu einer Beseitigung des Vertrags und zum Schadensersatzanspruch, der jedoch in den meisten Fällen gem. § 122 Abs. 2 BGB entfällt. § 313 BGB hingegen ermöglicht die Vertragsanpassung und somit die Erhaltung des Vertrags unter Berücksichtigung beider Parteiinteressen. Eine Abgrenzung und Entscheidung zwischen beiden Vorschriften ist damit unentbehrlich. Aus den genannten Gründen ist § 313 Abs. 2 BGB im Falle des beiderseitigen Irrtums über Eigenschaften einer Person oder einer Sache der Vorrang zu einzuräumen. Vor allem der Wortlaut spricht für eine Vorrangigkeit des § 313 Abs. 2 BGB. In § 313 Abs. 2 BGB ist von einer Geschäftsgrundlage die Rede. Eine Störung der Geschäftsgrundlage liegt vor, wenn sich entweder beide Parteien irren oder eine Partei sich irrt und die Gegenseite dieses hingenommen hat. Das Vorliegen einer Geschäftsgrundlage deutet auf ein Zwei-Personen-Verhältnis hin. § 119 Abs. 2 BGB hingegen spricht lediglich von einem Irrtum. Aus dem Wortlaut ist nicht erkennbar, ob dieser Irrtum beide Parteien umfassen muss. Vielmehr ist hier ein einseitiger Irrtum ausreichend.

1197 Vgl. unten Kapitel 2, § 1, B., II. Lösung über die Grundsätze des sogenannten Grundlagenirrtums. 1198 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 40 ff.

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Auch die Rechtsfolgenseite unterstützt eine vorrangige Behandlung des § 313 Abs. 2 BGB. Sie bietet im Vergleich zu § 119 Abs. 2 BGB flexiblere Lösungen und dient dem Grundsatz pacta sunt servanda. Während § 119 Abs. 2 BGB über eine Anfechtung den Vertrag beseitigt, ermöglicht § 313 BGB eine Vertragsanpassung nach den Vorstellungen und Interessen der Parteien. Damit wird anerkannt, dass bei der Kodifizierung von einer grundsätzlichen Vorrangigkeit des § 313 Abs. 2 BGB ausgegangen wurde. 6. Abgrenzung § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 Es ergeben sich Abgrenzungsprobleme zwischen der condictio ob rem nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Aufgrund von Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser beiden Institute ist die Abgrenzung schwierig und umstritten. Außerdem wurde § 812 BGB zu einem Zeitpunkt kodifiziert, als die Geschäftsgrundlagenlehre in Deutschland noch nicht anerkannt war.1199 Diese Abgrenzungsproblematik wird seit längerer Zeit diskutiert und hat an Aktualität nicht verloren. Vor allem mit der Thematik unbenannter Zuwendungen bei nichtehelichen Gemeinschaften und den vergleichbaren Zuwendungen von Schwiegereltern hat sich der BGH häufig beschäftigt.1200 Daher werden im Folgenden die einzelnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede dargestellt, um die Abgrenzungsproblematik besser nachvollziehen zu können. a) Gemeinsamkeiten und Unterschiede Um die Ähnlichkeiten und die fließenden Grenzen beider Vorschriften erkennbar zu machen, wird zunächst auf die Gemeinsamkeiten eingegangen. Ein Grund für ein solches Nebeneinanderstehen dieser beiden Regelungen ist die gemeinsame Wurzel.1201 Sinn und Zweck der Aufnahme der condictio ob rem in das Gesetz sei gewesen, die Windscheidschen „Voraussetzungslehren“ zu kodifizieren,1202 welche in der Oertmannschen Geschäftsgrundlagenlehre weiter fortlebten.1203 Ausfluss dieser Theorien und Lehren ist das heutige Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Eine weitere Gemeinsamkeit sei, dass beide Institute sich um die Lösung desselben Problems bemühen, nämlich die enttäuschte Erwartungshaltung, die sie auf

1199

Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 55. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177; (krit. Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2006 ff.); Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 38; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 24. Die Beispiele für die Beliebigkeit der Anwendung der beiden Normen in der Rspr. ließen sich leicht vermehren. Statt vieler Entscheidungen nur BGH WM 1971, S. 276. 1201 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177. 1202 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177. 1203 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177. 1200

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das Geschäft gelegt habe.1204 Auch wenn beide Vorschriften strukturell grundverschieden sind, streben sie in ihrem Kern die Vertragsgerechtigkeit an.1205 Ließe man für die Zweckkondiktion neben der tatsächlichen Willensübereinstimmung eine stillschweigende Vereinbarung oder lediglich die Erkennbarkeit der Zweckvorstellung genügen, führe dies zu einer Annäherung der Voraussetzungen des § 313 BGB und somit einer weiteren Verstärkung der Abgrenzungsproblematik.1206 Neben den genannten Gemeinsamkeiten bestehen zwischen beiden Regelungen Unterschiede, welche die Problematik der Abgrenzung verschärfen können. Der Hauptunterschied liege auf der Rechtsfolgenseite.1207 Die Zweckkondiktion sehe entsprechend dem Alles-oder-nichts-Prinzip die Rückforderung der Leistung vor, wohingegen § 313 BGB vorrangig die Vertragsanpassung ermögliche. Ein weiterer Unterschied liege in der Struktur beider Vorschriften.1208 Zweck der condictio ob rem sei es, die Parteien an ihre Vertragsregelung zu binden. § 313 BGB greife dagegen durch die Möglichkeit der Vertragsanpassung in vertragliche Regelungen ein.1209 Unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede wird im Folgenden auf das Konkurrenzverhältnis beider Institute eingegangen. b) Das Verhältnis von § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB zu § 313 BGB Das Verhältnis beider Institute ist nach der Schuldrechtsmodernisierung weiterhin sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung stark umstritten. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Ansichten dargestellt. aa) Vorrangigkeit des § 313 BGB Nach h. M.1210 und Rechtsprechung1211 ist § 313 BGB im Verhältnis zu § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB vorrangig. Als Argument für die Vorrangigkeit des § 313 1204

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177. Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007). 1206 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177. 1207 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 38; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 24. 1208 Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007). 1209 Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007). 1210 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177 ff., 181; Medicus/Stürner, in: Prütting/ Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 7; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23. 1211 BGH, NJW 1992, S. 2690; BGH NJW 1975, S. 776; OLG Koblenz NJW-RR 2006, S. 437 (438); Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken 2. Zivilsenat vom 21. 11. 2013 – 2 U 47/13 –, juris Rn. 7; LG Osnabrück, Urteil vom 03. 12. 2012 – 2 O 1351/12 –, juris Rn. 75 (In dieser Entscheidung wurde betont, dass nur in den Fällen des § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB dieser Anspruch gegenüber einem Anspruch auf Vertragsanpassung gem. § 313 BGB subsidiär ist.). 1205

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BGB wird angeführt, dass diese Vorschrift durch die Möglichkeit vertraglicher Anpassungsansprüche Bereicherungsansprüche ausschließe, da der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur bei Vertragsverhältnissen in Betracht komme.1212 Bei Vorliegen eines vertraglichen Verhältnisses bedürfe es keines Rückgriffs auf das Bereicherungsrecht.1213 Dieser subsidiäre Charakter der condictio ob rem bestehe bereits seit dem römischen Recht.1214 Ein weiteres Argument für die Vorrangigkeit des § 313 BGB liege auf der Rechtsfolgenebene.1215 Im Vergleich zum Bereicherungsrecht mit seinen starren Rechtsfolgen sehe das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorrangig die Anpassung an die Vertragsverhältnisse vor.1216 Wegen dieser flexiblen Rechtsfolge erscheine § 313 BGB interessengerechter.1217 Weiterhin gebe es keinen Anlass, den Leistenden durch die Möglichkeit der Vertragsbeendigung zu schützen.1218 Die Parteien hätten bei Interesse einer starren Rechtsfolge einen Widerrufsvorbehalt oder eine Bedingung im Falle des Scheiterns des Zwecks vereinbaren können.1219 Nach Finkenauer1220 ist in der Zweckabrede des § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB als Vertragsinhalt kein „tatbestandliches Mehr“ im Vergleich zu § 313 BGB zu sehen. Die Befürworter eines „tatbestandlichen Mehrs“ ließen für die Zweckabrede eine tatsächliche Einigung genügen, wobei diese auch stillschweigend vereinbart werden könne, auch die bloße Erkennbarkeit des anderen Teils sei nach der Gegenansicht ausreichend.1221 Diese Ausweitung der Anforderung an die Zweckabrede erschwere jedoch die Abgrenzungsproblematik.1222 Nach Finkenauer genüge für den Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB vielmehr eine einseitige finale Zwecksetzung.1223 Von einem „tatbestandlichen Mehr“ im Vergleich zum § 313 BGB könne somit keine Rede sein, eine Vorrangigkeit der Zweckkondiktion könne somit

1212

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177 ff., 181; Medicus/Stürner, in: Prütting/ Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 7; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23. 1213 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 15; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 38. 1214 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 181. 1215 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 38; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3 Rn. 24. 1216 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 38; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3 Rn. 24. 1217 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23. 1218 Schwab, in: MüKo, BGB5, § 812 Rn. 377. 1219 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23; Schwab, in: MüKo, BGB5, § 812 Rn. 377. 1220 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 179. Für eine stillschweigende Einigung der Zweckabrede siehe: BGH NJW 1992, S. 427 (428); NJW 1966, S. 540 (541). 1221 BGH NJW 1992, S. 427 (428); NJW 1966, S. 540 (541). 1222 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 179. 1223 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 179.

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nicht auf diesen Umstand gestützt werden.1224 Daher sei auf die im Zivilrecht geltende Grundregel des Vorrangs vertraglicher Ansprüche gegenüber gesetzlichen Ansprüchen zurückzugreifen und § 313 BGB der Vorrang einzuräumen.1225 bb) Vorrangigkeit des § 812 BGB Nach einer anderen Ansicht ist § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB der Vorrang zu gewähren, da die Zweckvereinbarung Vertragsinhalt geworden sei.1226 Der Vorrang vertraglicher Ansprüche schließe den Zugang zum Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus. § 313 BGB könne lediglich dann zur Anwendung kommen, wenn keine Zweckvereinbarung vorliege, da § 313 BGB nur Umstände betreffe, welche außerhalb des Rechtsgeschäfts liegen.1227 Wegen der unterschiedlichen Tatbestände bestehe somit streng genommen überhaupt kein Konkurrenzverhältnis.1228 Als weiteres Argument wird angeführt, dass sowohl die Zweckkondiktion als auch der Wegfall der Geschäftsgrundlage auf Rechtsfolgenebene zu ähnlichen Ergebnissen führen.1229 Aus diesem Grund könne mit dem Argument der Flexibilität der Rechtsfolge dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht der Vorrang zugesprochen werden.1230 Entgegen verbreiteter Ansicht in der Literatur verfügt §§ 812 ff. BGB nicht über derart starre und unflexible Rechtsfolgen.1231 Dies werde vor allem durch die Einschränkung der Rechtsfolgen im Bereich der Austauschverträge deutlich. Auch der weit und offen gefasste Umfang des Bereicherungsanspruchs gem. § 818 BGB bestätige die Flexibilität der Rechtsfolgen des Bereicherungsrechts. Zum einen gewähre § 818 Abs. 2 BGB bei Unmöglichkeit den Ausgleich in Form des Wertersatzes, zum anderen könne eine Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB nur unter Beachtung der Gutglaubensregeln eingewandt werden, um einen unbilligen Ausgleich zu vermeiden.1232 Ferner hege die von der Gegenansicht behauptete Flexibilität der Rechtsfolge des § 313 BGB durchaus auch Nachteile.1233 Während § 313 BGB die Möglichkeit der Vertragsanpassung eröffne, führe der unbestimmte Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit andererseits zum Erfordernis von Einzelfalllösungen.1234 Eine allgemeingültige 1224

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 179. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 179, 181. 1226 Hütte/Helbron, SchuldR AT3, Rn. 798; Medicus, Bürgerliches Recht21, S. 96 Rn. 163; Schramm, NJW-Spezial 2008, S. 612 (612). 1227 Hütte/Helbron, SchuldR AT3, Rn. 798; Medicus, Bürgerliches Recht21, S. 96 Rn. 163. 1228 Medicus, Bürgerliches Recht21, S. 96 Rn. 163. 1229 Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). 1230 Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). 1231 Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). 1232 Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). 1233 Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). 1234 Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). 1225

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Lösung sei nicht möglich, da keine gefestigten Rechtsgrundsätze für die Unterscheidung zwischen zumutbarem und unzumutbarem Ausgleich vorhanden seien.1235 Dagegen seien die Rechtsfolgen des § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB klarer und deutlicher und somit für die Praxis besser geeignet.1236 Die Rechtsfolgen der Anwendung des § 313 BGB seien für die Gerichte kaum vorhersehbar.1237 Des Weiteren bedürfe es nicht in jedem Fall der angeblich flexibleren Lösung des § 313 BGB, da leistungsbegleitende Vor- und Nachteile auch über das Bereicherungsrecht Beachtung finden könnten, womit die Unterscheidung der Rechtsfolgen beider Institute keine eindeutigen Lösungen biete.1238 cc) Kein Konkurrenzverhältnis zwischen § 313 BGB und § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB In der Literatur wird auch die Ansicht vertreten, dass aufgrund der unterschiedlichen Anwendungsbereiche des § 313 BGB und des § 812 BGB kein Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Instituten bestehe.1239 Die von der Literatur und der Rechtsprechung stark diskutierte Abgrenzungsproblematik ergebe sich nicht, da es an der hierfür erforderlichen „Synchronität“ zwischen beiden Vorschriften fehle.1240 Als Argument gegen die Gleichsetzung beider Normen wird ihr unterschiedlicher Anwendungsbereich angeführt. § 313 BGB greife ein, wenn die Erreichung eines bestimmten Zwecks von den Parteien gemeinsam erwartet wurde und demnach Vertragsgrundlage geworden sei. Demgegenüber erfasse § 812 Abs, 1 S. 2 Alt. 2 BGB diejenigen Fälle, in denen der Leistende mit seiner Zuwendung den Zweck verfolge, den Leistungsempfänger zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Außerdem sei § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB nur bei Austauschverträgen anwendbar, da der bezweckte Erfolg eine Gegenleistung darstelle.1241 Auf Kooperationsverträge wie aus dem Bereich des Familienrechts oder Gesellschaftsrechts sei die Zweckkondiktion1242 dagegen nicht zugeschnitten. Hier sei vorrangig eine Kooperation bezweckt. In diesen Fällen sei nur § 313 BGB anzuwenden, um den Interessen der

1235

Sorge, JZ 2011, S. 660 (668). Freiherr v. Proff, NJW 2008, S. 3266 (3268). 1237 Freiherr v. Proff, NJW 2008, S. 3266 (3268). 1238 Besiekierska, Leistungsstörungen, S. 74; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 180; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 24. Hier muss betont werden, dass Finkenauer und Unberath die Ansicht von Sorge hinsichtlich der Rechtsfolgenproblematik teilen, im Übrigen jedoch § 313 BGB den Vorrang einräumen. 1239 Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2006 ff.). 1240 Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007). 1241 Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007). 1242 Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2009). 1236

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Parteien gerecht werden zu können. Die Zweckkondiktion, welche das Festhalten am Vertrag vorsieht, komme hier nicht zur Anwendung.1243 Als weiteres Argument wird die unterschiedliche Zwecksetzung genannt. Während § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB den Rechtssatz pacta sunt servanda stärke, indem er das Festhalten am Vertrag anstrebe, schwäche § 313 BGB diesen, da er eine Vertragsanpassung ermögliche.1244 Schließlich seien § 313 und § 812 nur in dem Punkt verwandt, dass beide Vorschriften die Vertragsgerechtigkeit anstreben; diese Verwandtschaft gelte jedoch für alle Normen des BGB.1245 Somit gebe es kein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Vorschriften. dd) Stellungnahme Auch wenn zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Zweckkondiktion gem. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB Gemeinsamkeiten bestehen, ist dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage der Vorrang einzuräumen. Die wichtigste Gemeinsamkeit liegt zwischen der von § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB verlangten Zweckabrede und der Definition der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 2 BGB. Die Zweckabrede verlangt ein gegenseitiges Einverständnis, welches auch stillschweigend zustande kommen kann. Dies ist auch Voraussetzung der Geschäftsgrundlage. Ein einseitiges Motiv ist für beide Vorschriften nicht ausreichend. Trotz dieser Gemeinsamkeiten sprechen jedoch sowohl Gesetzessystematik als auch Wortlaut und Anwendungsbereich des § 313 BGB für dessen Vorrang. Das Bereicherungsrecht als gesetzliche Rechtsgrundlage hat im Verhältnis zu vertraglichen Anspruchsgrundlagen subsidiären Charakter. Erst bei Verneinung vertraglicher Ansprüche kann auf gesetzliche Ansprüche und damit die Zweckkondiktion zurückgegriffen werden. Der vertragliche Charakter des § 313 Abs. 2 BGB wiederum ergibt sich aus dem Wortlaut, dem Anwendungsbereich dieser Norm und aus der Abschnittsüberschrift: Anpassung und Beendigung von Verträgen. In § 313 BGB ist die Rede von Vertragsanpassung. Dies setzt ein Vertragsverhältnis voraus. Bei Betrachtung neuerer Entscheidungen ist festzustellen dass die Vorrangigkeit des § 313 BGB überwiegt, was mit der hier vertretenen Ansicht übereinstimmt. Vor allem ist das Argument, der Vorrang des § 313 BGB führe aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Zumutbarkeit“ zu nachteiligen Ergebnissen, nicht akzeptabel. Der Begriff der „Zumutbarkeit“ ist vielmehr mit Hilfe der Kriterien der Risikoverteilung, der Vorhersehbarkeit und der Zurechenbarkeit hinreichend konkretisierbar. Diese Einzelfalllösung entspricht dem Gesetzeszweck. Auch bildet dies 1243 1244 1245

Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2009). Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007). Leitmeier, NJW 2010, S. 2006 (2007).

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keinen Widerspruch zu der Vorgehensweise im Bereicherungsrecht, da dessen Lösungsweg ebenso einzelfallorientiert ist. Das Argument, die Einzelfalllösung des § 313 BGB führe zu nachteiligen Ergebnissen kann somit nicht durchgreifen. Vielmehr bietet § 313 Abs. 2 BGB durch seinen flexiblen Lösungsansatz für beide Parteien im Wege der Vertragsanpassung durchaus Vorteile. Die Vertragsinteressen beider Parteien finden Beachtung. Auch wird durch das Festhalten am Vertrag dem Grundsatz der Vertragsbindung Rechnung getragen.

C. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetzgeber bei der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Definition für den Begriff der Geschäftsgrundlage bewusst ausgelassen hat. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist von Bedeutung, dass eine schwerwiegende Änderung oder eine wesentlich falsche Vorstellung von Tatsachen vorliegen muss, um auf § 313 BGB zurückgreifen zu können. Richtwerte diesbezüglich liegen jedoch nicht vor. Vielmehr ist hier einzelfallabhängig zu entscheiden, wobei der Aspekt der Unzumutbarkeit eine große Rolle spielt. Bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag sind verschiedene Kriterien zu berücksichtigen. Als Beispiel sei die Beachtung der gleichmäßigen Risikoverteilung bei gesetzlichen und vertraglichen Verhältnissen genannt. Ist diese nicht gewährleistet, kommt der Weg über § 313 BGB nicht in Betracht. Eine Unzumutbarkeit liegt auch nicht vor, wenn eine der Parteien die veränderten Umstände hat oder hätte vorhersehen können. Diese Vorhersehbarkeit spielt vor allem im Bereich der Finanzkrisen eine große Rolle. Auch ist bei der Bewertung der Unzumutbarkeit zu berücksichtigen, inwieweit die veränderten Umstände den Parteien zurechenbar sind. Die Berufung auf § 313 BGB ist bei Verschulden grundsätzlich ausgeschlossen. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich ist festzuhalten, dass sich dieser auf jede Form von Verträgen erstreckt. Eine Beschränkung auf schuldrechtliche Verträge ist nicht gegeben. Auf einseitige Rechtsgeschäfte und erfüllte Geschäfte jedoch ist § 313 BGB nach h. M. nicht anwendbar. Bei Teilleistungen dagegen ist die Berufung auf § 313 BGB hinsichtlich des nicht geleisteten Teils möglich. Das Verhältnis des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu anderen Rechtsinstituten, wie der Unmöglichkeit gem. § 275 BGB, den Irrtumsregeln gem. § 119 ff. BGB und der Zweckkondiktion des Bereicherungsrechst gem. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB ist auch nach der Kodifizierung weiterhin umstritten.

§ 4 Rechtsfolgen der Störung der Geschäftsgrundlage

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§ 4 Rechtsfolgen der Störung der Geschäftsgrundlage Bereits vor der Schuldrechtsreform war sowohl in der Literatur1246 als auch in der Rechtsprechung1247 anerkannt, dass die Rechtsfolge der Geschäftsgrundlage Anpassung oder Vertragsauflösung ist. Wie bereits vor der Schuldrechtsreform sieht § 313 BGB in Abs. 1 BGB als Rechtsfolge die Vertragsanpassung und in Abs. 3 den Rücktritt sowie bei Dauerschuldverhältnissen die Kündigung vor. Nach § 313 BGB Abs. 3 S. 1 kommen die Rechtsbehelfe des Rücktritts und der Kündigung nur in Betracht, wenn eine Anpassung unmöglich oder unzumutbar ist.1248 Auch wenn es den Anschein hat, dass die Kodifizierung zu keiner Veränderung in der Praxis geführt hat, wurde die Anwendung in einem wesentlichen Punkt neu gestaltet. Die Vertragsanpassung erfolgte vor der Schuldrechtsreform nach h. M. und Rechtsprechung automatisch kraft Gesetzes und war von Amts wegen zu berücksichtigen.1249 Nunmehr erfolgt die Anpassung laut Gesetz gem. § 313 Abs. 1 BGB auf Verlangen einer Vertragspartei. Des Weiteren sind die Rechtsfolgen des § 313 BGB trotz der Kodifizierung in vielen Punkten weiterhin umstritten, denn der Gesetzgeber hat bei der Kodifizierung einige Fragen, z. B das Bestehen der Neuverhandlungspflicht, offengelassen. Da diese und andere offenen Fragen in Literatur und Rechtsprechung weiterhin stark umstritten sind, wird im Folgenden darauf eingegangen.

A. Anpassung Die Vertragsanpassung ist in § 313 Abs. 1 BGB geregelt. Ziel einer Anpassung ist es, unter Beachtung der Interessen beider Parteien die Zumutbarkeit wiederherzustellen. Hierbei sei aufgrund der offenen und weitreichenden Anpassungsmöglichkeiten eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung jedes konkreten Einzelfalls erforderlich.1250 Für eine einzelfallgerechte Anpassung spielen Aspekte wie der Vertragstyp, die Art der Störung, die Situation der Parteien und die jeweilige 1246 Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 262; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 172 ff.; Lehmann, JZ 1952, S. 10 (12); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 152; Rothe, AcP 151 (1950/51), S. 33 (33 ff.); Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 80 ff., 103 f.; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 106; Köhler, Unmöglichkeit, S. 156; Köhler, FS Steindorf, S. 611 (615); Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (81 ff.); Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (365). 1247 BGH NJW 1994, S. 2545 (2545 f.); NJW 1967, S. 721 (722); BeckRS 1967, 31178035; NJW 1953, S. 1585; NJW 1967, S. 721 (722); NJW 1972, S. 152 (153); NJW 1997, S. 320 (324). 1248 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 81. 1249 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 78. 1250 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 76; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 66; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 89.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Risikoverteilung eine entscheidende Rolle.1251 Bei der Anpassung sei der Eingriff so gering wie möglich zu halten und es gilt den ursprünglichen Vertrag im weitesten Sinne zu erhalten.1252 Zu berücksichtigen sei, inwieweit den Parteien eine jeweilige Abweichung vom Vertrag zugemutet werden könne. Der Richter habe seine Entscheidung einem hypothetischen Parteiwillen entsprechend zu treffen.1253 Inhaltliche Möglichkeiten einer Anpassung sind beispielsweise die Erhöhung und Ermäßigung der Gegenleistung,1254 die Vereinbarung einer Ratenzahlung,1255 die Stundung der Zahlungsverpflichtung1256 oder aber die hälftige Teilung des Schadens.1257 Nur in besonderen Fällen kann der Primäranspruch auch durch einen Sekundäranspruch in Form eines Aufwendungsersatzes oder von Ausgleichszahlungen ersetzt werden.1258 I. Verhältnis Anpassung und Vertragsaufhebung Trotz der ausdrücklichen Regelung der Vorrangigkeit der Anpassung im Wortlaut, ist diese Vorrangigkeit in der Literatur umstritten. Nach h. L. habe der Vorrang der Anpassung durchaus seine Berechtigung, wohingegen eine andere Ansicht einen Vorrang ablehnt. Die verschiedenen Ansichten werden im Folgenden dargestellt. 1. Vorrangigkeit der Anpassung Nach der h. L.1259 ist die Anpassung vorrangig. Die Befürworter dieser Ansicht stützen sich darauf, dass schon die Gerichte bei ihren Entscheidungen von einem 1251

Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 76. Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 41; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 76; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 66; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 89. 1253 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 89. 1254 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 66; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 76; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40. 1255 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 76. 1256 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 66; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40. 1257 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40. 1258 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 66; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 76. 1259 Vor der Schuldrechtsmodernisierung: Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 262; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 172 ff.; Lehmann, JZ 1952, S. 10 (12); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 152; Rothe, AcP 151 (1950/51), S. 33 (33 ff.); Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 80 ff., 103 f.; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 106; Köhler, Unmöglichkeit, S. 156, Köhler, FS Steindorff, S. 611 (615); Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (83); Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (365); Horn, BMJ, Bd. I, 1981, S. 579; Schmitz, 1252

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Vorrang der Anpassung ausgingen1260 und diese Vorrangigkeit in die Regelung des § 313 Abs. 3 BGB mit aufgenommen worden sei.1261 Es entspreche somit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, dass zumindest erst versucht werden müsse, den Vertrag an die veränderten Umstände anzupassen. Dabei wird betont, dass die Anpassung des Vertrags einen wesentlich geringeren Eingriff in die vertraglichen Regelungen der Vertragsparteien darstelle.1262 Ein weiteres Argument für die Vorrangigkeit der Anpassung liefere die Vertragsrisikolehre.1263 Der Grundsatz der Vertragstreue und Verkehrssicherheit sei primär zu beachten. Aus diesem Grund sei durch eine Anpassung des Vertrags die Brücke zwischen der Vertragsgerechtigkeit einerseits und dem Grundsatz pacta sunt servanda andererseits zu finden. Durch eine Anpassung werde ein Ausgleich zwischen dem Prinzip pacta sunt servanda und dem Unzumutbarkeitsprinzip gefunden und dabei würden die Interessen beider Parteien berücksichtigt.1264 Die ursprüngliche Absprache der Parteien werde so wenig wie möglich tangiert. 2. Gleichrangigkeit der Rechtsfolgen Auch wenn der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich den Vorrang der Anpassung als Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geregelt hat, sind in der Literatur einige wenige Stimmen vorhanden, die diesen gesetzlichen Vorrang kritisch hinterfragen1265. Rechtsgrundsätze, S. 115. Nach der Schuldrechsmodernisierung: Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40, 44; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 55, 75; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 102; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 27, 29; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 1. 1260 RGZ 103, S. 328 (333), 100, S. 129 (132 f.); BGH NJW 1951, S. 836; NJW 1953, S. 1585; NJW 1958, S. 785; NJW 1984, S. 1746 (1747); WM 1967, S. 561. Nach der Schuldrechsmodernisierung: ArbG Hamburg, vom 07. 05. 2014 – 27 Ca 537/13 –, juris Rn. 42; AG Mönchengladbach, vom 13. 11. 2013 – 36 C 549/13 –, juris Rn. 43; Hessisches Landesarbeitsgericht, vom 16. 09. 2013 – 16 Sa 782/13 –, juris Rn. 32; OLG München, vom 09. 01. 2013 – 3 U 2540/12 –, juris Rn. 29; Brandenburgisches Oberlandesgericht, vom 20. 12. 2012 – 5 U 68/11 –, juris Rn. 27, 30; Thüringer Landesarbeitsgericht, vom 27. 01. 2011 – 3 Sa 282/10 –, juris Rn. 67; OLG Celle, vom 05. 11. 2012 – 10 UF 246/12 –, juris Rn. 11; LSG Bayern BeckRS 2009, 54595; BGH NJW 2012, S. 373 (375); OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2009, S. 1826 (1828). 1261 BT-Drucks. 14/6040, S. 176; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 84; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 75; Weller, Die Vertragstreue, S. 299 f. 1262 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40, 44; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 55, 75; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 102; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 27, 29; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 1; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (390 f.). 1263 Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 107; Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (100). 1264 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 101; Nauen, Leistungserschwerung, S. 124. 1265 Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 107; Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (100).

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Zwar genieße die Vertragsanpassung im Verwaltungsrecht gem. § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG Vorrang als eine Option, jedoch könne dieses Vorrangverhältnis nach Finkenauer1266 nicht auf das Zivilrecht übertragen werden. Für den Vorrang der Anpassung werde geltend gemacht, die Anpassung sei die mildere Lösung als die Auflösung als ultima ratio. Es sei jedoch gefährlich, dieses aus dem Verwaltungsrecht stammende Verhältnismäßigkeitsprinzip in das Zivilrecht zu übernehmen. Im Verwaltungsvertragsrecht habe dieser Gedanke durchaus seine Berechtigung, da er von einem Über-/Unterordnungsverhältnis geprägt und der Verwaltungsvertrag unverzichtbar sei, wenn es zur Erledigung von Staatsaufgaben diene.1267 Das sei mit einem zivilrechtlichen Vertrag nicht vergleichbar. Hier herrsche ein Gleichgewicht, das durch die Vertragsanpassung eher gestört werde, indem die Gewichte zugunsten einer und zulasten der anderen Partei verschoben werden.1268 Die Auffassung, eine Anpassung des Vertrags diene dem Grundsatz von pacta sunt servanda, sei im Übrigen unzutreffend. Der Vertrag werde durch die Anpassung nicht aufrechterhalten, sondern verändert. Unbestritten gestalte der Richter bei einem Urteil auf Anpassung des Vertrags den Vertrag um. Denn er bestimme, wie der Inhalt des angepassten Vertrags im Ergebnis aussehe.1269 Von einer nur feststellenden Wirkung des richterlichen Urteils könne somit nicht die Rede sein. Dieser Vertrag, dessen Inhalt nicht die Parteien selbst ausgehandelt hätten, stelle keinen geringen, sondern vielmehr einen gravierenden Eingriff in die Rechte der Parteien dar.1270 Werde der Anpassung des Vertrags entsprechend dem BGH und dem § 313 Abs. 3 leichtfertig der Vorrang eingeräumt, werden dem Richter die Möglichkeit erleichtert, seine Gestaltung vor die privatautonome Gestaltung der Parteien zu setzen. Dies sei auch der Grund, weshalb in derartigen Fällen von einem Kontrahierungszwang die Rede sei.1271 Auch sei zu erwähnen, dass in Anbetracht der Tatsache, dass es unzählige Anpassungsmöglichkeiten gebe, der Fall, dass eine Anpassung unmöglich sei, nur selten auftreten werde.1272 Aus diesem Grund sei die Unzumutbarkeit der Anpassung gem. § 313 Abs. 3 BGB für die Rechtsfolge sehr wichtig. Eine Anpassung sei daher ausgeschlossen, wenn die Parteien bei Berücksichtigung der Veränderungen einen Vertrag miteinander nicht geschlossen hätten, der für sie unzumutbar wäre.1273 Auch hier dürfe es einen solchen Zwangsvertrag nicht geben.

1266

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 105. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 101, Krebs, Grundfragen des Verwaltungsrechts, S. 53. 1268 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 101; Nauen, Leistungserschwerung, S. 124. 1269 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 104; Medicus, FS Flume, Bd. I, S. 629 (643); Nauen, Leistungserschwerung, S. 129. 1270 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 102. 1271 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 104. 1272 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 105. 1273 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 105. 1267

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Ein weiteres Argument bestehe aus ökonomischer Sicht.1274 Durch die Auflösung des Vertrags werden beide Parteien an den Punkt versetzt, an dem sie sich bereits befanden. Sie könnten wieder gemeinsame Verhandlungen aufnehmen und einen neuen Vertrag aushandeln.1275 Aus den genannten Gründen sei davon auszugehen, dass die Aufhebung und die Anpassung des Vertrags in keinem Stufenverhältnis zueinander stehen. Beide seien gleichwertige Instrumente, die dazu dienen, die Verschiebungen im vertraglichen Gleichgewicht auszugleichen.1276 3. Stellungnahme Der Ansicht, welche der Anpassung den Vorrang einräumt, ist zu folgen. Zum einen ergibt sich diese Vorrangigkeit aus dem Wortlaut des Gesetzes. In § 313 Abs. 1 BGB ist eine Vorrangigkeit ausdrücklich vorgesehen. Diese Vorgehensweise entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung und Rechtspraxis. Aufgrund der flexibleren Rechtsfolge dient die Anpassung dem Grundsatz pacta sunt servanda eher als andere Rechtsinstitute wie die Unmöglichkeit, die Irrtumsregeln oder die ungerechtfertigte Bereicherung. Auch kann die Auffassung, die Festlegung der Vorrangigkeit der Anpassung führe zu einer Zwangssituation für die Parteien, nicht überzeugen. Vielmehr wird ihnen durch die Eröffnung der umfangreichen Anpassungsmöglichkeiten eine weitere Tür geöffnet, um an dem ursprünglich gewollten Vertrag festzuhalten und ihre Interessen und Wünsche einzubringen. Scheitert die Anpassung, haben die Parteien immer noch die Option, sich vom Vertrag zu lösen. Würde man keine vorrangige Anpassung verlangen, bestünde die Gefahr, dass sich die Parteien vorschnell vom Vertrag lösen. Die benachteiligte Partei könnte sich ohne Beachtung der Interessen der Gegenpartei und ohne den Versuch der Anpassung vom Vertrag trennen, was zu einer ungewollten Begünstigung der benachteiligten Partei führen würde. Das wiederum kann weder im Interesse des Gesetzgebers noch im Interesse beider Parteien liegen. Der Gesetzgeber hat in § 313 BGB unter Beachtung beider Parteiinteressen alle möglichen Rechtsfolgen in das entsprechende Verhältnis und in die erforderliche Wertung gestellt. II. Neuverhandlungspflicht Ein vom Gesetzgeber bei der Kodifizierung des § 313 BGB hinsichtlich der Rechtsfolge offen gelassenes Problem liegt in der Frage des Bestehens einer vorprozessualen Neuverhandlungspflicht, bevor eine Vertragsanpassung vorgenommen wird. 1274 1275 1276

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 104. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 102; Kersting, JZ 2008, S. 714 (717). Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 105.

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Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

Der Streit um eine Verpflichtung zu Neuverhandlungen hat seinen Ursprung in den Gesetzesmaterialien. Da heißt es, „vor allem sollen die Parteien zunächst selbst über die Anpassung verhandeln. Im Falle des Prozesses wäre dann – wie nach der von der Rechtsprechung zur Wandlung beim Kaufvertrag entwickelten Herstellungstheorie –, eine Klage unmittelbar auf die angepasste Leistung möglich“.1277 Aus dieser Aussage geht hervor, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, den Parteien eine Anpassungsmöglichkeit vor Inanspruchnahme der Gerichte zu gewähren. Hierbei stellt sich die Frage, ob diese Formulierung in der Gesetzesbegründung den Parteien lediglich eine Option oder eine Verpflichtung auferlegt, und welche Sanktion für den Fall der Befürwortung einer Verpflichtung folgt. Bereits vor der Kodifizierung des § 313 BGB wurde diese Frage nicht einheitlich beantwortet und wird heute weiterhin stark diskutiert.1278 1. Vorteile und Befürworter einer Neuverhandlungspflicht Nach Ansichten in der Literatur1279 und Rechtsprechung1280 besteht vor dem prozessualen Weg die Pflicht der Parteien, in Neuverhandlungen einzutreten. Im Folgenden werden die einzelnen Argumente dazu dargelegt. Der Literatur zufolge habe der Gesetzgeber eine Neuverhandlungspflicht gesetzlich statuieren wollen.1281 Sie begründet ihre Ansicht zum einen mit der Gesetzesbegründung, in welcher von den Parteien verlangt wird, sie sollten zunächst selbst über die Anpassung ver-

1277

BT-Drucks. 14/6040, S. 176. Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 95. 1279 Für eine Neuverhandlungspflicht bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung: Belling, NZA 1996, S. 906 (909); Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (102); Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (829 ff.); ders., ZIP 1995 S. 1063 (1063 ff., insbesondere 1068 ff.); Hoffmann-Riem, JZ 1999, S. 421 (425); Schöpflin, JA 2000, S. 157 (158); Horn, AcP 181 (1981), S. 255 (276 ff., 282 ff.); Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 30 f.; Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 971. Nach der Schuldrechtsmodernisierung: Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 219; Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (195 f.); Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699, 2702); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 174; Katzenmeier, ZZP 115 (2002), S. 51 (74). 1280 BGH NJW 2012, S. 373 (375); NJW 2006, S. 2843 (2845) vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH WM 1958, S. 480 (481); WM 1981, S. 695 (697). 1281 Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (829 ff.); ders., ZIP 1995 S. 1063 (1063 ff., insbesondere 1068 ff.); Hoffmann-Riem, JZ 1999, S. 421 (425); Schöpflin, JA 2000, S. 157 (158); Belling, NZA 1996, S. 906 (909); Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (102 ff.); Horn, AcP 181 (1981), S. 255 (276 ff., 282 ff.); Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 30, 172 ff.; Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 971; Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 219; Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (195 f.); Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699, 2702); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 174; Katzenmeier, ZZP 115 (2002), S. 51 (74). 1278

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handeln.1282 Vor allem sei eine Neuverhandlungspflicht der deutschen Rechtsordnung bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung nicht fremd gewesen.1283 In der Praxis der Rechtsprechung seien im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Tendenzen zu Neuverhandlungspflichten erkennbar, in welchen die Gerichte von den Parteien vor einer Anpassung den Versuch einer Verhandlung verlangt hätten.1284 Zum anderen sei in den Gesetzesbegründungen ein Hinweis auf § 60 VwVfG zu finden.1285 Nach einer Ansicht in der Literatur ist eine Klage auf Anpassung gem. § 60 VwVfG nur zulässig, wenn der Anspruchsteller zunächst einmal vergeblich versucht hat, eine Vertragsanpassung durch Verhandlungen zu erreichen.1286 Die Erfolglosigkeit dieses Versuchs sei somit Sachentscheidungs- und Zulässigkeitsvoraussetzung.1287 Aufgrund des Hinweises auf § 60 VwVfG werde zur Beantwortung der Frage nach einer Neuverhandlungspflicht eine Orientierung an § 60 VwVfG für möglich gehalten. Weiteres Argument der Befürwortung einer Neuverhandlungspflicht seien vor allem die Vorteile und der Zweck der Neuverhandlungspflicht. Die Vorteile einer Neuverhandlungspflicht sehen die Befürworter vor allem darin, dass diese Verpflichtung auf dem Grundsatz der Privatautonomie der beiden Vertragspartner fuße.1288 Durch diese Verpflichtung haben die Parteien zunächst die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, ob sie eine Anpassung, eine Ergänzung oder eine Auflösung des Vertrags wollen.1289 Im Falle einer Klage ohne Vorverhandlungen bestimme allein der Richter durch Urteil, also autoritär, was mit dem Vertrag zu geschehen sei.1290 Der wesentliche Vorteil der Neuverhandlungsverpflichtung liege somit darin, dass nicht ein Richter die Neugestaltung eines Privatrechtsverhältnisses vornehme, sondern dies in erster Linie in der Verantwortung der vertragsschließenden Parteien liege.1291 Diese primäre Zuständigkeit der Vertragspartner sei nicht nur wünschenswert, sondern darüber hinaus auch verfassungsrechtlich bestimmt. Die Privatautonomie genieße durch Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlichen Schutz vor Eingriffen des Staates

1282

Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (195). Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 30 f. 1284 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 24 f., 31. 1285 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 1286 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG7, § 60 Rn. 23b; Schliesky, in: Knack/Henneke, VwVfg9, § 60 Rn. 22. 1287 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG7, § 60 Rn. 23b; Schliesky, in: Knack/Henneke, VwVfg9, § 60 Rn. 22. 1288 Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1065); Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40; Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196); Schöpfin, JA 2000, S. 157 (158). 1289 Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1065); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196); Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 971. 1290 Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1065); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196). 1291 Horn, AcP 181 (1981), S. 255 (288); Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 103. 1283

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und auch der Gerichtsbarkeit.1292 Die vorrangige Gestaltungskompetenz des Gerichtes wäre somit unverhältnismäßig, da die nach Art. 2 Abs. 1 GG vorrangig zur vertraglichen Regelung berufene Partei aus dieser Position zugunsten einer richterlichen Umgestaltung verdrängt würde.1293 Vor allem bei Dauerschuldverhältnissen gestalte sich die Anpassung recht schwierig, da vielfältige Interessen der Parteien zu berücksichtigen seien. Daher biete die Neuverhandlungspflicht in solch einer Situation eine Möglichkeit, den Parteien selbst praktische und interessengerechte Lösungen für das Problem finden zu lassen. Denn die Parteien hätten gegenüber jeder anderen Person eher die Möglichkeit, sich die Informationen zu beschaffen und eine Anpassungsvariante zu finden, die den Interessen beider Parteien am ehesten entspreche, da beide auf die Durchsetzung der jeweiligen Interessen achten würden.1294 Die Parteien würden eher einen Vertrag einhalten, den sie selber geschlossen haben, als einen, der ihnen von einem Richter vorgesetzt wird. Dies würde wiederum die Beziehung zwischen den Parteien festigen.1295 Der gerichtliche Weg dagegen könne zu einer dauerhaften Zerrüttung der Beziehung führen. Ein weiterer Vorteil der Neuverhandlungspflicht liege darin, dass häufig nicht beide Parteien ein Interesse daran haben, den Vertrag anzupassen, sondern lediglich eine Partei.1296 Dies komme beispielsweise im Falle der Störung der Geschäftsgrundlage in der Form der Äquivalenzstörung vor.1297 Da in dieser Konstellation häufig nur eine Partei benachteiligt sei, bestehe die Gefahr, dass die Partei welche im Vorteil ist, an vorprozessualen Verhandlungen nicht teilnehmen werde.1298 Dieser Umstand bestätige das Erfordernis einer Neuverhandlungspflicht und der Normierung.1299 Für eine Neuverhandlungspflicht spreche auch die Tatsache, dass der § 313 BGB, wegen der Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda, an strenge Voraussetzungen geknüpft sei und somit ausschließlich in engen Ausnahmefällen zur Anwendung komme. Daher müsse die Neuverhandlung ermöglicht werden, um dem Grundsatz der Vertragstreue zumindest einen minimalen Ausdruck zu verleihen.1300 Ein entscheidendes Argument für die Neuverhandlung liege darin, dass die Parteien sich bereits im Vorfeld einigen, sodass eine Inanspruchnahme der Gerichte überflüssig würde. Diese Verhandlungen würden auch dann Vorteile bieten, wenn sie nicht zu dem Ergebnis führen, dass die Streitigkeit beseitigt werde. Dann nämlich könne der Kläger seinen Klageantrag 1292

S. 103. 1293

S. 103. 1294 1295 1296 1297 1298 1299 1300

Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066 f.). Horn, BMJ. Gutachten Bd. I, S. 551 (633 f.). Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066 f.). Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066 f.). Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066 f.). Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066 f.). Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 219.

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besser abschätzen und auf der Grundlage der Verhandlungen besser bewerten, welche Alternative der Vertragsanpassung für den Vertragspartner die zumutbarere und angemessenere sei.1301 Ein beachtlicher Vorteil der Neuverhandlungspflicht liege auf der Kostenebene. Durch eine Vornahme vorprozessualer Verhandlungen könne die Kostenfolge des § 93 ZPO umgangen werden.1302 Zudem sei eine Neuverhandlung im Vergleich zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit geringeren Kosten verbunden.1303 Ein weiterer Vorteil der Neuverhandlungspflicht liege darin, dass, auch wenn die Parteien trotz Neuverhandlung eine Einigung nicht erzielen konnten, diese Verhandlung der Erleichterung des „sekundären Anpassungsverfahrens“ dient. Die Parteien konnten dadurch ihre Positionen, ihre Interessen und ihre Vorstellungen besser kennenlernen, um somit die Risiken eines gerichtlichen Verfahrens besser einschätzen zu können.1304 Auch sei eine Neuverhandlungspflicht im Gegensatz zu einem gerichtlichen Verfahren die schnellere und kostengünstigere Alternative.1305 Zudem unterstütze die Neuverhandlungspflicht die Geheimhaltung unter den Parteien im Verhältnis zu Dritten und schütze somit Geschäftsinformationen, welche bei einem Gerichtsverfahren der Öffentlichkeit bekannt werden können.1306 Die Betrachtung der Neuverhandlungspflicht aus ökonomischer Sicht biete einen weiteren Vorteil.1307 Den Parteien sei häufig nicht bekannt, dass „Wertschöpfungspotentiale“1308 für beide Parteien bestehen.1309 Auch die Angst, die Gegenpartei werde sich opportunistisch verhalten, schrecke die Parteien davor ab, in Neuverhandlungen einzutreten.1310 In derartigen Fällen sei es geboten, eine Pflicht zu Neuverhandlungen festzusetzen Für die Neuverhandlungspflicht spreche schließlich auch ein Blick auf das Internationale Privatrecht. Da die UNIDROIT und PECL eine Neuverhandlungspflicht vorschreiben, müsse dieser Gedanke auch auf das deutsche Recht übertragen werden.1311

1301

Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699). Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2700). 1303 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40. 1304 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 135. 1305 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 135. 1306 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 135. 1307 Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066); Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 172. 1308 Ausführlich zu dem Begriff und der Thematik „Wertschöpfungspotential“: Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 172. 1309 Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066). 1310 Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066). 1311 Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196). 1302

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Die Befürworter einer Neuverhandlung sehen in ihr keine Obliegenheit, sondern eine Vertragspflicht, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen könne.1312 Die Verletzung einer Pflicht stelle ein rechtswidriges Verhalten dar, welches einen Schadensersatzanspruch begründe, die Nichtbeachtung einer Obliegenheit jedoch nicht. Geht man nun von dem Bestehen einer Neuverhandlungspflicht aus, bleibt zu klären worin diese Pflicht liegt und auf welcher Rechtsgrundlage sie basiert. Trotz der Einigkeit bezüglich des Schadensersatzanspruchs werden hinsichtlich der Rechtsgrundlage dieses Anspruchs und deren Reichweite verschiedene Ansichten vertreten. Im Folgenden wird dieser Aspekt untersucht und die verschiedenen Meinungen dargestellt. Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung hat sich Belling1313 mit der Rechtsgrundlage der Neuverhandlungspflicht beschäftigt. Belling vertritt die Ansicht, die Parteien seien nicht nur dazu verpflichtet, in Neuverhandlungen einzutreten, sondern darüber hinaus auch, entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben, eine Anpassung zu ermöglichen.1314 Dabei handele es sich nicht um eine Haupt-, sondern lediglich um eine Nebenpflicht nach § 242 BGB, die sich ergebe, wenn die Geschäftsgrundlage wegfalle. Diese Nebenpflicht wiederum folge aus der allgegenwärtigen Treuepflicht.1315 Ändern sich nun die Umstände in unzumutbarer Weise, gebiete es gerade die Treuepflicht, die Vertragsgerechtigkeit wiederherzustellen.1316 Primäre Rechtsfolge der Veränderung der Umstände ist nach Belling nicht der Anspruch auf Anpassung des Vertrags, sondern ein Anspruch auf Verhandlungen mit entsprechender Anpassung.1317 Komme der Vertragspartner demnach der Neuverhandlungspflicht nicht nach, stelle dies eine Pflichtverletzung dar, die eine derart unzumutbare Situation für den Verhandlungswilligen begründe, dass dieser sich vom Vertrag lösen könne.1318 Verhandele der Partner aber lediglich mit der Folge, dass eine Einigung nicht erzielt werde, sei ein Lösungsrecht unangemessen. Die Kompetenz der Vertragsanpassung gehe auf den Richter über.1319 Die von Belling bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung entwickelten Gedanken zu dieser Problematik haben ihre Aktualität nicht verloren und werden als Grundlage für weitere Überlegungen genutzt. Die Herleitung des Neuverhand1312

Eidenmüller, ZIP 1995, S. 1063 (1066); Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196). 1313 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (102 f.); Belling, NZA 1996, S. 906 (909). Es muss jedoch betont werden, dass Belling/Hartmann sich mit der Neuverhandlungspflicht vor der Schuldrechtsmodernisierung im Rahmen des Tarifvertrags beschäftigt haben. Womöglich beziehen sich ihre Gedanken in dem Beitrag nur auf den Tarifvertrag. 1314 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (102 f.); Belling, NZA 1996, S. 906 (909). 1315 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103). 1316 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103); Belling, NZA 1996, S. 906 (909); Horn, AcP 181 (1981), S. 255 (288). 1317 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103); Belling, NZA 1996, S. 906 (909). 1318 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103); Belling, NZA 1996, S. 906 (909). 1319 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (103).

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lungsanspruchs aus § 242 BGB wird auch nach Bender1320 und Heinrichs1321 mit einer „unzumutbarkeitskonformen Interpretation der vertraglichen Treuepflicht des nichtbetroffenen Vertragsteils“1322 begründet. Die Pflicht zur Vertragstreue bedeute Herstellung der Vertragsgerechtigkeit.1323 Bender führt im Weiteren aus, dass aus der Verhandlungslehre nicht nur der primäre „Anspruch auf Neuverhandlung“, sondern, ebenfalls gestützt auf § 242, ein „Anspruch auf das Ergebnis der Verhandlung“, nämlich die eigentliche Anpassung durch Neugestaltung, folge (qualifizierte Neuverhandlung).1324 Eine einfache Verhandlungspflicht ohne das Erfordernis der Anpassung würde dem nicht gerecht und wäre mit dem auf Anpassung hinauslaufenden Wortlaut des § 313 BGB nicht vereinbar sein.1325 Nach Bender1326 wurde vor der Kodifizierung des § 313 BGB eine Neuverhandlungspflicht aus § 242 BGB hergeleitet. Ein Rückgriff auf § 242 BGB für das Bestehen einer Neuverhandlungspflicht sei daher nicht fremd.1327 Mit dieser näheren Ausgestaltung der Neuverhandlungsgebote über ein modifiziertes Treuepflichtverständnis werde die Verwandtschaft zwischen § 313 BGB und § 242 BGB betont.1328 Auch Riesenhuber1329 spricht sich für eine Neuverhandlungspflicht als vertragliche Nebenverhaltenspflicht aus. Er stützt diese jedoch auf § 241 Abs. 2 BGB und nicht auf § 242 BGB. Bestehe ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags, so bestehe nach seiner Ansicht auch grundsätzlich ein Anspruch auf eine Neuverhandlung. Eine Einigung der Parteien könne nur aufgrund einer vorausgegangenen Verhandlung erzielt werden.1330 Da es sich bei der Neuverhandlung um eine vertragliche Nebenpflicht handele, sei deren Nichteinhaltung, wie bei jeder anderen Verpflichtung auch sanktioniert. Diese Sanktion liege jedoch nicht in einem Erfüllungsanspruch,1331 denn die Vollstreckung einer Neuverhandlungspflicht und das Erzwingen von Verhandlungen seien praktisch nicht möglich und wohl kaum geeignet, einen Konsens

1320 1321 1322

(103). 1323

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104, 116. Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196 f.). Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 103; Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87

Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104. Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 103. 1325 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104. 1326 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104, 116. 1327 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104, 116. 1328 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 104, 116; Peer, Jb.J.ZivRWiss. 2001, S. 61 (67); Yushkova/Stolz, JA 2003, S. 70 (74). 1329 Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699). 1330 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40; Grüneberg, in: Palandt BGB73, § 313 Rn. 41; Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699). 1331 Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699). 1324

204

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zwischen den Parteien herzustellen.1332 Es erscheine auch aus prozessökonomischer Sicht wenig sinnvoll, da erzwungene Verhandlungen kaum zu einer Einigung führen und die Klage vor Gericht unausweichlich und die Anpassung somit wieder vom Richter beschlossen werde. Folge der Nichtbeachtung der Neuverhandlungspflicht sei ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280, 281 BGB.1333 Aus diesem folgen zwei Schadensposten: Zum einen der bei dem Vertragspartner durch die Weigerung der Neuverhandlung entstandene Verzögerungsschaden gem. §§ 280, 286, der nach Heinrichs1334 auch die Grundlage für ein Rücktrittsrecht nach § 323 BGB darstellt. Die Nichtbeachtung der Neuverhandlungspflicht sei zum anderen ein Grund für den Kostenschaden, welcher unter Umständen dadurch entstehe, dass bei dem Klageantrag nicht alle Umstände berücksichtigt werden konnten.1335 Auch nach aktueller Rechtsprechung besteht eine Neuverhandlungspflicht.1336 Der Anspruch auf Anpassung des Vertrags begründe auch die Verpflichtung des Beklagten, an Neuverhandlungen teilzunehmen und dadurch eine Anpassung des Vertrags herbeizuführen. Weigere sich der Vertragspartner seiner Verpflichtung nachzukommen, könne der Anspruch gerichtlich durchgesetzt werden.1337 Die benachteiligte Partei könne hierbei eine von ihr formulierte Änderung des Vertrags zum Gegenstand der Klage machen oder aber unmittelbar auf die Leistung klagen, die sie als angemessen erachte.1338 Eine Verletzung der Neuverhandlungspflicht begründe auf Sekundärebene Schadensersatzansprüche gem. §§ 280 ff. BGB.1339 Der Beklagte gerate beispielsweise in Verzug gem. § 286 BGB, wenn er auf die Einladung des Klägers in Neuverhandlungen einzutreten, nicht reagiere. Jedoch gebe allein die Nichtbeachtung der Neuverhandlungspflicht dem Kläger kein unmittelbares Rücktrittsrecht gem. § 313 Abs. 3 BGB.1340 Erst die ausdrückliche Weigerung der Vertragspartei, sich auf Neuverhandlungen einzulassen, gebe objektiv zu erkennen, dass diese mit einem Rücktritt und damit der Lösung vom Vertrag einverstanden sei.1341 Der Rücktritt sei jedoch in § 313 Abs. 3 BGB nur nachrangig für den Fall vorgesehen, dass die Vertragsanpassung unmöglich oder einer der Parteien nicht mehr

1332 Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699). Als Beispiel gibt Riesenhuber eine BGH Entscheidung: BGH WM 1973, S. 464 (465 f.). 1333 Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699). 1334 Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196). 1335 Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699 f.). 1336 BGH NJW 2012, S. 373 (375). 1337 BGH NJW 2006, S. 2843 (2845). 1338 BGH NJW 2012, S. 373 (376). 1339 BGH NJW 2012, S. 373 (376). 1340 BGH NJW 2012, S. 373 (375). 1341 BGH NJW 2012, S. 373 (375); NJW 2006, S. 2843 (2845) vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH WM 1958, S. 480 (481); WM 1981, S. 695 (697).

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zumutbar sei.1342 Entgegen einiger Ansichten könne der Rücktritt aber nicht auf § 323 BGB gestützt werden, da diese Norm von der spezielleren auf Anpassung gerichteten Regelung des § 313 Abs. 1, 3 BGB verdrängt werde.1343 Somit bleibt abschließend festzuhalten, dass es nach Rechtsprechung und Teilen der Literatur sinnvoll erscheint, eine Neuverhandlungspflicht anzunehmen, um der Privatautonomie Rechnung zu tragen und demjenigen, der durch die Veränderung benachteiligt ist, eine Neuverhandlung zu ermöglichen.1344 2. Nachteile und Gegner einer Neuverhandlungspflicht Wie bereits vor der Schuldrechtsreform gibt es heute weiterhin Meinungen, die eine Neuverhandlungspflicht ablehnen.1345 Als Argument gegen eine Neuverhandlungspflicht wird angeführt, dass es vor allem im Hinblick auf den Wortlaut des § 313 BGB schwierig sei, eine Neuverhandlungspflicht anzunehmen.1346 Denn nach § 313 Abs. 1 BGB habe der Betroffene ausdrücklich einen „Anspruch auf Anpassung“, woraus abgeleitet werden könne, dass er diesen Anspruch, ohne den Zwischenschritt einer Neuverhandlung, geltend machen kann.1347 Es könne nicht angenommen werden, dass das Anpassungsrecht aus § 313 BGB irgendwelchen Beschränkungen unterliege.1348 Zur Untermauerung dieser Ansicht wird vorgebracht, der Verweis auf den § 60 VwVfG beruhe nicht auf dem Gedanken, dass eine Neuverhandlungsverpflichtung auch im Rahmen von § 313 BGB erwünscht sei.1349 Zum einen sei bereits bei § 60 VwVfG das Erfordernis einer 1342

BGH NJW 2012, S. 373 (375). BGH NJW 2012, S. 373 (375). 1344 Katzenmeier, ZZP 115 (2002), S. 51 (74); Hoffmann-Riem, JZ 1999, S. 421 (425); Schöpflin, JA 2000, S. 157 (158). 1345 Abgelehnt wurde eine Neuverhandlungspflicht vor der Schuldrechtsmodernisierung: Diedrichsen, AcP 182 (1982), S. 101 (109); Martinek, AcP 198 (1998), S. 329, (392 ff.); mit Zurückhaltung Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12 § 242 Rn. 262; Köhler, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 295 (324 f.). Nach der Schuldrechtsmodernisierung: Bayreuther, Durchsetzung, S. 26 ff.; Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (925, 927); Fikentscher/ Heinemann, SchuldR10, § 27 Rn. 241; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 85; Hey, FS Canaris, S. 21 (39 f., 46); Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 122 f.; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 81; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 26; Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 78; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388 f.); Mattheus, JuS 2002, S. 209 (218 f.); Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 122; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 93; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 26; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 27; (in der 14. Auflage ist die verneinende Haltung eindeutiger.) Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100 ff., 107; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 37; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 22. 1346 Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). 1347 Hey, FS Canaris, S. 21 (39); Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 78. 1348 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 54. 1349 Bayreuther, Durchsetzung, S. 28; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100. 1343

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Neuverhandlungspflicht nicht einheitlich entschieden.1350 Zum anderen sei auch bei Befürwortung einer Neuverhandlungspflicht für § 60 VwVfG der Ausgangspunkt beider Situationen nicht identisch.1351 Im Rahmen des öffentlichen Rechts sei die Öffentliche Hand zum gesetzmäßigen Handeln verpflichtet.1352 Diese Verpflichtung bestehe im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrags nicht. Die Behörde sei kraft Gesetzes verpflichtet, das Anpassungsbegehren zu prüfen und zu bescheiden. Im Zivilrecht könne dies nicht verlangt werden.1353 Im Ergebnis sei somit festzuhalten, dass eine einheitliche Bejahung einer Neuverhandlungspflicht im öffentlichen Recht aufgrund der unterschiedlichen Umstände und Besonderheiten der Rechtsgebiete keinen Grund für das Bestehen einer Neuverhandlungspflicht auch im Zivilrecht biete.1354 Außerdem habe der Gesetzgeber eine Kodifizierung der Neuverhandlungspflicht bewusst nicht eingeführt.1355 Vorschläge, die im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung eine Neuverhandlungsverpflichtung verlangt hätten, seien zu Recht abgelehnt worden.1356 Dies werde dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber trotz des Vorschlages von Horn für eine Neuverhandlungspflicht1357 lediglich den Wegfall der Geschäftsgrundlage kodifizierte und die Neuverhandlungspflicht außer Acht ließ.1358 Daraus könne gefolgert werden, dass der Gesetzgeber gerade keine Ver-

1350

Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100. Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100. 1352 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100. 1353 Bayreuther, Durchsetzung, S. 28; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100. 1354 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 100. 1355 Bayreuther, Durchsetzung, S. 26; Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (927); Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 37; Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 81; Mattheus, JuS 2002, S. 209 (218 f.); Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 26; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 122; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 26. 1356 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (927); Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 37; Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 81; Mattheus, JuS 2002, S. 209 (218 f.); Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 26; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 122. 1357 Hey, FS Canaris, S. 21 (39). Horns Vorschlag lautete: „§ 315a BGB: Ist ein Vertrag gemäß § 242 Abs. 2 BGB oder § 361a Abs. 2 BGB (Kündigung aus wichtigem Grund) anzupassen, so kann jeder Vertragsteil verlangen, dass die Parteien binnen angemessener Frist über eine einvernehmliche Vertragsanpassung oder die Bestellung eines Dritten gemäß § 317 BGB, der über die Anpassung alsbald entscheiden soll, neu verhandeln. Wird das Verlangen im Rechtsstreit über die Anpassung gestellt, so bestimmt das Gericht die angemessene Nachverhandlungsfrist, vor deren Ablauf es in der Sache nicht entscheidet. Neuverhandlungen können nicht verlangt werden, wenn sie aussichtslos oder für den anderen Vertragsteil unzumutbar sind“. 1358 Hey, FS Canaris, S. 21 (39); Horn, BMJ. Gutachten Bd. I, S. 551 (638 f.). 1351

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pflichtung der Parteien zur Durchführung von neuen Verhandlungen gewollt habe.1359 Der Wille des Gesetzgebers, die Neuverhandlungspflicht nicht zu kodifizieren, werde auch dadurch deutlich, dass eine Neuverhandlungspflicht dem Zivilrecht nicht fremd sei.1360 Beispielsweise sei im Arbeitsrecht eine Neuverhandlungspflicht in § 8 Abs. 3 TzBfG geregelt.1361 Dies verdeutliche, dass der Gesetzgeber für die Kodifizierung der Neuverhandlungspflicht im Rahmen des § 313 BGB keinen Bedarf sehe, da er dies bei Interesse getan hätte.1362 Vor allem habe der Gesetzgeber bei der Anwendung des § 313 BGB nach wie vor an der alten Rechtslage festhalten wollen und keine Änderung für die Praxis beabsichtigt. Nach der Gesetzesbegründung sollen die Parteien vorher verhandeln, müssen dies aber nicht.1363 Dies sei auch die Praxis der Rechtsprechung, welche eine Anpassung nicht in jedem Fall der Nichtvornahme der Neuverhandlung abgelehnt habe.1364 Als weiteres Argument kann angeführt werden, die Tatsache, dass der Gesetzeswortlaut nichts über eine Neuverhandlungspflicht sagt, dazu führe, dass die Neuverhandlung kaum konkretisierbar und somit kaum justiziabel werde.1365 Daher könne auch das Ausbleiben von vorprozessualen Neuverhandlungen nicht immer die Folge von Schadensersatzansprüchen nach § 280 BGB sein.1366 Hierbei sei die Kostenfolge des § 93 ZPO ausreichend, um die Gefahr einer vorschnellen Klage seitens der Vertragspartner einzudämmen.1367 Diese Kostenfolge sei für sich als mittelbare Sanktion ausreichend, um dem Erfordernis der Vorverhandlung aus der Gesetzesbegründung Genüge zu tun. Es liege im eigenen Interesse der Parteien, vor Einreichung der Klage in Neuverhandlungen zu treten, denn erst damit werde die

1359

Bayreuther, Durchsetzung, S. 26; Hey, FS Canaris, S. 21 (39); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 122; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 26. 1360 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106. 1361 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106. 1362 Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106. 1363 Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). 1364 Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). Rösler gibt eine Entscheidung des Bundesgerichthofes als Beispiel. In dieser Entscheidung hat der BGH die Neuverhandlungspflicht akzeptiert. BGH NJW 1985, S. 126 (127). 1365 Bayreuther, Durchsetzung, S. 27; Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 123; Nauen, Leistungserschwerung, S. 146; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 122; UrichErber, Äquivalenzstörungen, S. 105. 1366 Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). 1367 Bayreuther, Durchsetzung, S. 27; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 84; Köhler, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 295 (325); Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 94; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 122; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388).

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Möglichkeit eingeräumt, den Klageantrag genau zu bestimmen und somit der Kostenfolge aus § 92 ZPO Rechnung zu tragen.1368 Die Betonung der Gegenansicht, dass die Neuverhandlungspflicht für die Parteien weniger kostspielig sei, ist kritikwürdig. Denn es könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die gerichtliche Entscheidung größere Kosten verursacht.1369 Eine Neuverhandlung könne auch im Rahmen der erforderlichen Güteverhandlung nachgeholt werden.1370 Im Rahmen derer hat der Richter bei der Leitung der Verhandlung zu versuchen, dass die Parteien eine gütliche Einigung finden.1371 Nach § 278 Abs. 1 ZPO solle das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht sein, wodurch eine Neuverhandlung der Parteien gewährleistet werde.1372 Eine Neuverhandlung vor dem gerichtlichen Weg sei somit nicht zwingend erforderlich.1373 Aus dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck des § 313 BGB folge auch, dass ein Anspruch auf Vertragsänderung bei einer verweigerten Verhandlung unmittelbar durchgesetzt werden könne.1374 Auch eventuelle Schadensersatzansprüche könnten ohne den „Umweg“ der Durchsetzung der Verhandlungspflicht unmittelbar aus den Verzugsregeln oder der verweigerten Mitwirkung bei der geschuldeten Anpassung hergeleitet werden.1375 Die Verneinung einer Neuverhandlungspflicht wird ebenfalls damit begründet, dass die Theorie der Neuverhandlungspflicht im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Gefahr in sich berge, die Sache in die Uferlosigkeit auszudehnen.1376 Die Rechtsordnung sei jedoch verpflichtet, eine klare und eindeutige Antwort für jede Art der Leistungsstörung zu bieten, solange die Parteien dies nicht geregelt haben. Durch die Bejahung einer Neuverhandlungspflicht liege die Befürchtung nahe, dass dies auch auf andere Formen der Leistungsstörung ausgedehnt werde, wie etwa die unverschuldete Unmöglichkeit.1377 Das System des Leistungsstörungsrechts könne dadurch bis zur Orientierungslosigkeit verwirrt werden und folglich die Rechtssicherheit gefährden. Ein weiteres Argument besagt, dass die Verneinung einer Neuverhandlungspflicht die Privatautonomie, entgegen der Ansicht der Befürworter, nicht einschränke. Vielmehr hätten die Parteien die Möglichkeit, bei Vertragsabschluss Neuverhand1368 1369 1370 1371 1372 1373 1374 1375 1376 1377

Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (381). Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 106 f.; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 78; Hey, FS Canaris, S. 21 (39). Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 78; Hey, FS Canaris, S. 21 (39). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (392). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (393).

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lungsklauseln zu vereinbaren,1378 womit ihrer Privatautonomie genügend Ausdruck verliehen werde. Ein vorprozessuales Neuverhandeln könne nicht erzwungen werden.1379 Dieses müsse vielmehr freiwillig erfolgen. Des Weiteren ist zu beachten, dass auch die Notwendigkeit einer Neuverhandlungspflicht nicht sicherstelle, dass die Parteien tatsächlich eine Einigung erzielen. Im Ergebnis stelle eine Verhandlung somit im Vorfeld lediglich eine zeitliche Verschiebung des Problems dar.1380 Aus diesem Grund solle es den Parteien selbst überlassen werden, ob diese sich gütlich und somit ohne Richter einigen oder ob sie den Rechtsweg bestreiten und einem Richter die Anpassung überlassen wollen.1381 Eine richterliche Anpassung diene im Übrigen den Interessen beider Parteien, indem sie an den ursprünglichen Vertrag anknüpfe und somit die Vertragsparität und das Vertragsgleichgewicht herstelle, ohne die Parteien einem Machtspiel auszusetzen. Hingegen werde es den Parteien nach einer Änderung der Umstände schwer möglich sein, das Gleichgewicht herzustellen, welches im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestand. Dies stelle somit eine Verkürzung der Neuverhandlungspflicht dar, sodass diese keinen Vorteil gegenüber der Anpassung durch den Richter bringe.1382 Die Neuverhandlungspflichten würden zudem lediglich der stärkeren Partei dienen, welche durch die Änderung der Vertragsumstände begünstigt sei. Denn in der Regel bringe die Veränderung der Umstände im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage einen Vorteil für eine der Parteien mit sich und einen Nachteil für die andere. Einer Partei könne somit eine überlegene Verhandlungsposition zustehen, wohingegen die andere Partei sich unter Umständen mit einem Minimum an Anpassung zufriedengeben müsse.1383 Die Partei, die ein Interesse an der Anpassung habe, starte somit von Anfang an aus einer Position, in der sie der anderen Partei unterlegen sei. Durch die Veränderung der Umstände verwirkliche sich zu ihren Lasten ein Vertragsrisiko, das zu der Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses zu ihren Ungunsten führe. Daher sei sie darauf angewiesen, dass der Vertrag angepasst werde.1384 Die schwächere und anpassungswillige Partei werde nämlich durch die Pflicht einer Neuverhandlung dazu gezwungen, einen für sie weniger werthaltigen Anspruch durchzusetzen, da sie ihr Interesse besser über den Weg richterlicher Anpassung durchsetzen könne. Diese Situation wirke sich für sie als Last aus. Für die anpassungswillige und schutzbedürftige Partei sei die richterliche Vertragsanpassung die bessere Lösung, da es hier um eine „möglichst interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei möglichst geringem Eingriff in die vertragliche 1378 1379 1380 1381 1382 1383 1384

Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 107. Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 123. Hey, FS Canaris, S. 21 (39). Köhler, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 295 (325). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (377). Diedrichsen, AcP 182 (1982), S. 101 (109); Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (376). Diedrichsen, AcP 182 (1982), S. 101 (109); Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (376).

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Regelung“ gehe, bei der Neuverhandlung dagegen um ein neues Risiko. Die Neuverhandlungspflicht biete der schwächeren Partei keinen Schutz, da die Lehre von den Neuverhandlungspflichten eine gerichtliche Billigkeitskontrolle des Neuverhandlungsergebnisses nicht vorsehe.1385 Nach Martinek kann auch das Argument der Verhältnismäßigkeit, wonach eine Neuverhandlungspflicht als das „mildere Mittel“ zu einer gerichtlichen Anpassung verstanden werde, nicht überzeugen. Bei Neuverhandlungspflicht dürfe es für den Anpassungsinteressierten eher als Zumutung empfunden werden, sich trotz der nachteiligen Änderung auf Verhandlungen mit dem Anpassungsunwilligen einzulassen und den Weg zum Richter versperrt zu sehen.1386 Im Falle eines gerichtlichen Urteils entscheide das Gericht, welches das „mildeste Mittel“ sei, um den Vertrag an die geänderten Umstände anzupassen.1387 Schließlich wurde eine ökonomische Analyse von Neuverhandlungen auch kritisiert, da eine Neuverhandlungspflicht nur in bestimmten Fällen ein geeignetes Verfahren darstelle.1388 Die Realisierung eines tatsächlich bestehenden Wertschöpfungspotentials sei praktisch kaum zu vollbringen, da eine Neuverhandlungspflicht von einer Partei opportunistisch zu versteckten Vertragsbrüchen ausgenutzt werden könne.1389 Aus der Vorschrift des § 313 ist eine Neuverhandlungspflicht nicht herzuleiten. Einer solchen Herleitung bedarf es auch nicht, da infolge der Vertragsautonomie es den Vertragsparteien möglich ist, eine Neuverhandlungspflicht als Vertragsklausel zu vereinbaren. 3. Stellungnahme Es mag zwar stimmen, dass eine Neuverhandlungspflicht nicht außer Acht zu lassende Vorzüge in sich birgt. Vor allem dem Grundsatz der Privatautonomie werden vorprozessuale Neuverhandlungen gerecht. Die Parteien können ihre eigenen Interessen und Vorstellungen einbringen, über diese verhandeln und ohne den Druck einer Gerichtsverhandlung und zeitlichen Einschränkungen eine Lösung finden. Es entspricht auch dem Grundsatz von Treu und Glauben, die Vertragsgerechtigkeit nach einer Störung einvernehmlich wiederherzustellen. Dieses Ziel kann jedoch auch ohne die Auferlegung einer Pflicht erreicht werden. Eine Neuverhandlung ist lediglich nach der Gesetzesbegründung des § 313 BGB vom Gesetzgeber erwünscht. Dies lässt sich aber nicht dem Wortlaut des § 313 BGB entnehmen. Die Gesetzesbegründung stellt lediglich die Motive des Gesetzgebers dar und entfaltet keine Bindungswirkung für die Parteien. In der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Neuverhandlung der Parteien vor Klageerhebung wünscht, nicht 1385 1386 1387 1388 1389

Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (377). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (379). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (379). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (391). Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (391).

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aber eine Verpflichtung der Parteien begründet. Hätte der Gesetzgeber eine Verpflichtung der Parteien statuieren wollen, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, diese Verpflichtung in den Wortlaut des Gesetzes mit aufzunehmen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Horn eine derartige Pflicht bereits ausformuliert und eingereicht hat. Allein die Ablehnung von Horns Vorschlag macht deutlich, dass der Gesetzgeber die Statuierung einer Pflicht nicht vergessen hat, eine Lücke im Gesetz somit nicht vorliegt. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine Verpflichtung der Parteien verzichten wollen. Darüber hinaus ist auch zu beachten, dass der Gedanke einer Neuverhandlungsverpflichtung dem deutschen Gesetzgeber nicht fremd ist. Sowohl im Arbeitsrecht als auch in der Zivilprozessordnung sind Normen vorhanden, die eine Neuverhandlungsverpflichtung regeln. In § 313 BGB ist eine vergleichbare Regelung jedoch nicht vorhanden. Der Hinweis auf § 60 VwVfG in der Gesetzesbegründung ist im Übrigen kein ausreichendes Argument für die Befürwortung einer Neuverhandlungspflicht. Denn aus dem Wortlaut des § 60 VwVfG ergibt sich solch eine Pflicht nicht, womit dieses Argument nicht als Grundlage für eine Begründung der Neuverhandlungspflicht im Rahmen des § 313 BGB herangezogen werden kann. Auch der Vergleich mit den internationalen Regelungen kann nicht überzeugen. Die Befürworter einer Neuverhandlungspflicht stützen ihre Ansicht auf den Umstand, dass solch eine Pflicht auch in der internationalen Entwicklung hervorgetreten ist. Dazu ist zu sagen, dass auch in der UNIDROIT die Neuverhandlung nicht ausdrücklich als Pflicht statuiert wurde.1390 Somit kann die Ansicht, eine Neuverhandlungspflicht sei erforderlich, um auf eine Vereinheitlichung des internationalen Rechtssystems hinzusteuern, nicht überzeugen. Im Weiteren ist anzuführen, dass die Ermöglichung von vorprozessualen Verhandlungen zwar eine Ausprägung der Privatautonomie sein mag, diese als Pflicht festzulegen kann jedoch genau das Gegenteil bewirken und die Parteien in ihrer Privatautonomie einschränken. Solch eine Pflicht kann die Verhandlungsdauer in die Länge ziehen. Wenn bereits feststeht, dass sich die Interessen der Parteien widersprechen und eine Einigung der Parteien unwahrscheinlich ist, kann es eine unnötige Zeitverschwendung bedeuten, die Parteien dazu zu zwingen. Dieser Zeitverlust kann vielmehr zu einem Verzögerungsschaden und somit zu einer Schadenserhöhung führen. Auch ein Vergleich zu § 286 BGB zeigt, dass eine Neuverhandlung nicht in jedem Fall erforderlich ist. In § 286 BGB sind Fälle beim Schuldnerverzug geregelt, nach denen eine Mahnung bei ernsthafter und endgültiger Verweigerung des Schuldners entbehrlich ist. Diese Regelung zeigt, dass der Gesetzgeber in bestimmten Fällen bewusst eine Verzögerung vermeiden und die Parteien nicht zu unnötigen Handlungen zwingen möchte. Es kann daher nicht richtig sein, eine Neuverhandlungsverpflichtung anzunehmen, wenn bereits die Interessen der Parteien feststehen und 1390

Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 225.

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von Anfang an klar ist, dass eine Einigung zwischen den Parteien nicht zustande kommen wird. Eine vorprozessuale Verhandlung mag in bestimmten Fällen die interessengerechtere und vorteilhaftere Lösung sein, diese Option muss den Parteien jedoch selbst überlassen werden. Eine Verpflichtung hierzu führt aufgrund der Zwangssituation vielmehr zu weder vom Gesetzgeber noch von den Parteien selbst erwünschten Einschränkungen. Der Grundsatz der Privatautonomie kann folglich nicht in jedem Fall als Argument für eine Verpflichtung herangezogen werden. Der deutschen Rechtsordnung ist auch nicht fremd, vertragliche Vereinbarungen zwischen zwei Parteien für nichtig zu erklären, um die Vertragsparität und das vertragliche Gleichgewicht zu gewährleisten. Im Arbeitsrecht zum Beispiel werden zum Schutz des Arbeitnehmers vertragliche Vereinbarungen eingeschränkt. Darüber hinaus obliegt es der Vertragspartei selbst, sich der Kostenfolge des § 93 ZPO auszusetzen, indem sie Klage erhebt, ohne sich zuvor um Neuverhandlungen zu bemühen. Zudem sieht die Zivilprozessordnung Güteverhandlungen vor, in deren Rahmen nicht vorgenommene Verhandlungen oder Einigungsversuche bei Bedarf erfolgen können. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass vorprozessuale Neuverhandlungen im Interesse der Parteien liegen können. Dies darf jedoch nicht zu einer Verpflichtung aufgewertet werden, vielmehr muss diese Entscheidung den Parteien selbst überlassen bleiben. Daher ist der Hinweis in der Gesetzesbegründung vielmehr als Option zu verstehen, womit die Nichtvornahme von Neuverhandlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen führen kann. III. Prozessuale Durchsetzung der Anpassung Entgegen der früheren Rechtspraxis, welche die Vertragsanpassung kraft Gesetzes durch den Richter feststellen ließ, gibt das heutige Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage den Parteien einen Anspruch auf Anpassung.1391 Vor Kodifizierung des § 313 BGB war eine Leistungsklage zu erheben mit der Folge eines Leistungsurteils, welches den Inhalt und Umfang des Anspruchs feststellte.1392 Es erhebt sich die Frage, wie der neu geschaffene Anspruch auf Anpassung und die Ansprüche, die sich aus dem angepassten Vertrag ergeben, nach der Schuldrechtsreform praktisch in einem Prozess durchgesetzt werden können. Dazu werden unterschiedliche Ansichten vertreten, welche im Folgenden dargestellt werden. 1391

Rn. 11. 1392

Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 203, S. 921 (922); Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 462 BGH NJW 1985, S. 126; Heinrichs, in: Palandt, BGB61, § 242 Rn. 134.

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1. Leistungsklage Nach der herrschenden Ansicht1393 in der Literatur kann der anpassungswillige Gläubiger unmittelbar eine Klage auf die angepasste Leistung erheben, ohne zuvor auf Zustimmung zur Vertragsanpassung klagen zu müssen. Als Argument für diese Ansicht wird die Gesetzesbegründung zu § 313 BGB herangezogen.1394 In der Gesetzesbegründung wird auf die von der Rechtsprechung zur Wandelung beim Kaufvertrag entwickelte Herstellungstheorie zurückgegriffen.1395 Nach dieser Theorie konnte direkt auf den nach der Wandelung entstehenden Anspruch geklagt werden, ohne zuvor, wie es die Gesetzessystematik eigentlich vorsah, eine Klage auf Zustimmung zur Wandelung und im Anschluss auf den Anspruch aus der Wandelung zu erheben.1396 Der Gesetzgeber habe bei § 313 hieran anknüpfen und unter Zugrundelegung der Herstellungstheorie auch im Rahmen von § 313 BGB eine Klage auf sofortige Leistung zulassen wollen.1397 Durch die Kodifizierung des § 313 BGB habe sich für die Praxis aus prozessrechtlicher Sicht keine Erneuerung und somit auch keine Erschwerung für den Kläger ergeben.1398 Die einzige Unterscheidung zum bisherigen Recht liege darin, dass die Rechtsfolge nicht mehr ipso iure eintrete. Daher obliege es weiterhin dem Kläger – wie bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung – einen Antrag auf die geschuldete Leistung zu stellen.1399 Eine gesonderte Klage auf Anpassung stelle einen bloßen Formalismus dar und ziehe das Verfahren unnötig in die Länge.1400 Dies sei aus prozessökonomischer Sicht unvorteilhaft und entspreche weder den Interessen der Parteien noch dem Willen des Gesetzgebers, der die Durchsetzung der Vertragsanpassung prozessökonomischer

1393 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 84; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (374 ff.); Arnoldt, in: Das neue Schuldrecht, Rn. 57; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8 § 313 Rn. 27; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn 27 f.; Stadler, in Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 30; Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (198 ff.); Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 157 f., 181; Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2698, 2702); Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (830 f.); Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 38; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388 f.); Reischl, JuS 2003, S. 453 (455); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO22, § 253 Rn. 44; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26. 1394 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 1395 Reischl, JuS 2003, S. 453 (455). 1396 Reischl, JuS 2003, S. 453 (455); BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 1397 Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2698). 1398 Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (200); Hey, FS Canaris, S. 22 (36); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). 1399 Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (200); Hey, FS Canaris, S. 22 (36); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). 1400 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 84.

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gestalten wolle.1401 Daher sei die direkte Leistungsklage interessengerechter, welche über § 894 ZPO – die Zustimmung der Gegenpartei fingierend – vollstreckbar sei.1402 Einer lediglich auf Zustimmung gerichteten Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis.1403 Für einen direkten Anspruch auf Leistung spreche bereits der Begriff des Vertrags in § 313 BGB. Begreife man den „Vertrag“ als rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis, sei es unbedenklich, auch den Begriff des Vertrags in § 313 Abs. 1 BGB als die einzelne Forderung zu verstehen. Einer zuvor geäußerten Willenserklärung zur Vertragsanpassung bedürfe es nicht. Die Vertragsanpassung erfolge somit direkt durch die andere Leistung des Schuldners. Eine Vertragsanpassung liege in der Änderung des Vertragsverhältnisses, der Anspruch auf Vertragsanpassung sei als Anspruch auf die angepasste Leistung zu verstehen. Folglich könne der Kläger ohne einen zuvorigen Antrag auf Zustimmung zu einem Änderungsvertrag auf die angepasste Leistung klagen.1404 Der direkte Anspruch auf die angepasste Leistung ergebe sich auch aus der inneren Logik des § 313 Abs. 1 BGB. Habe der Kläger bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB einen „Anspruch auf Einverständnis auf Anpassung des Vertrags“ und stehe ihm dieser „Anspruch aus dem angepassten Vertrag“ zu, deute dies darauf hin, ihm einen unmittelbaren Anspruch auf die angepasste Leistung zu gewähren.1405 Sollte die klageweise Geltendmachung des Anspruchs auf Anpassung des Vertrags nur mit einer Stufenklage möglich sein, so würde man hohe Anforderungen an die Geltendmachung des Anspruchs nach § 313 verlangen. Ferner wäre der Wortlaut des § 313 sehr weit ausgelegt.1406

1401 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 84; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 38. 1402 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 84; Hey, FS Canaris, S. 21 (36); Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 39. 1403 Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (376); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388); Pfeiffer, in: jurisPK, BGB6, § 313 Rn. 81; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 22. Gegenansicht: Greger, in: Zöller, ZPO30, § 253 Rn. 13c; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO22, § 253 Rn. 44; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26. Nach Assmann ist die absolute Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses für eine isolierte Klage auf Zustimmung zur Vertragsanpassung nach der Schuldrechtsmodernisierung nicht vertretbar. Obwohl die Ablehnung einer isolierten Klage auf Zustimmung zwar der Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung entspräche, gäbe es allerdings zu dieser Zeit noch keinen Anspruch auf Anpassung des Vertrags, sondern es würde von einer Anpassung ipso iure ausgegangen. Nach der Normierung eines Anspruchs auf Anpassung könne in § 313 BGB einer isolierten Zustimmungsklage nicht ohne Weiteres das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, vor allem wenn die Vereinbarung von etwaigen Nebenabreden im Raum steht. 1404 Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (377). 1405 Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (376). 1406 Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (376).

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Weiterhin spreche gegen einen Anspruch direkt auf die Leistung aus dem angepassten Vertrag auch nicht die Unbestimmtheit des Leistungsantrags, welcher das Risiko einer Kostentragung in sich berge.1407 Zwar könne die Unbestimmtheit des Klageantrags aufgrund der Tatsache, dass eine Reihe von Anpassungsmöglichkeiten existieren, dem Kläger Schwierigkeiten bereiten. Der Kläger werde jedoch durch die Regelungen der § 139 ZPO und § 253 Abs. 2 ZPO hinreichend geschützt.1408 Der Richter habe bei seiner Entscheidung die Parteivorstellungen zu beachten und auf eine sachgerechte Lösung hinzuwirken.1409 Dies gelte vor allem dann, wenn mehrere Anpassungsmöglichkeiten vorhanden seien. Hierbei habe er die ihm nach § 139 ZPO auferlegten Hinweispflichten zu beachten.1410 Vor allem für einen ausreichend konkreten Antrag werde der Kläger aufgrund der Hinweispflicht des Richters gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO hinreichend unterstützt.1411 Auch stehe es dem Kläger frei, einen unbezifferten Klageantrag, welcher von der Rechtsprechung nur in Ausnahmesituationen zuerkannt werde, zu stellen.1412 Diese Abweichung widerspreche auch nicht dem gesetzlich normierten Grundsatz der Bestimmtheit des Antrags gem. § 253 Abs. 2 ZPO.1413 Eine solche Ausnahme sei von der Rechtsprechung bei Schmerzensgeldansprüchen und bei Begehrung der üblichen Vergütung gem. §§ 612, 632, 653 BGB sowie angemessener Entschädigung gem. § 642 BGB anerkannt worden.1414 Hierbei unterliege der Betrag der Schätzung des Gerichts gem. § 287 ZPO und ihrem billigen Ermessen.1415 Da die Vertragsanpassung im Sinne des § 313 BGB mit den genannten Ausnahmefällen vergleichbar sei, könne auch hier der Kläger einen unbestimmten Klageantrag unter Angabe einer 1407 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 27; Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (200); Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 41. 1408 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 27; Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (200); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389); Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (375, 378). 1409 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 41. 1410 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 41; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388). 1411 Hey, FS Canaris, S. 21 (36); Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388); Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 203 Rn. 397 f. (Lorenz/Riehm sind Befürworter eines Wahlrechts des Klägers zwischen einem direkten Leistungsanspruch und einem Anspruch auf Anpassung. Ihre Argumente für eine Leistungsklage werden daher herangezogen.). 1412 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO22, § 253 Rn. 44; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 21, 27; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 38; Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (378). Da die Gerichte mit der Zulassung eines unbezifferten Klageantrags sehr restriktiv umgehen, wird der Kläger das Risiko eines bezifferten Antrags auf sich nehmen müssen. 1413 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 39; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (200). 1414 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 39. 1415 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 39; Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (378).

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Größenordnung und Darlegung aller Tatsachen stellen.1416 Denn auch hier habe der Richter eine Vertragsumgestaltung nach billigem Ermessen für den Fall des Scheiterns der Parteiverhandlungen vorzunehmen.1417 Die Befürworter eines direkten Leistungsanspruchs untermauern ihre Ansicht auch durch die Praxis der Rechtsprechung und dem Grundsatz von Treu und Glauben.1418 Bei Anpassung eines Vertrags wegen Äquivalenzstörungen sei nach der Rechtsprechung die Klage nicht auf Zustimmung zu einer entsprechenden Vertragsänderung, sondern unmittelbar auf die danach geschuldete Leistung zu richten.1419 Auch der Vergleich des § 313 BGB mit § 60 VwVfG ändere nichts an der Befürwortung eines direkten Leistungsanspruchs. Zum einen handele es sich um unterschiedliche Rechtsgebiete,1420 zum anderen gehe das BVerwG im Falle des § 60 VwVfG davon aus, dass es sich um eine Klage handele, bei der die Klage aus Anpassung mit der Klage auf Anpassung miteinander verbunden werde.1421 Dies habe jedoch seine Ursache darin, dass ein öffentlich-rechtlicher Vertrag stets formbedürftig gem. § 57 VwVfG sei, sodass auch der Veränderungsvertrag effektiv durchgeführt werden müsse.1422 Dieser Formzwang gelte jedoch nicht für das Zivilrecht. Geht man nun von einem direkten Leistungsanspruch des Klägers aus, stellt sich die Frage, welchen Rechtscharakter die Entscheidung des Gerichts hat. Überwiegend 1416 Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 27; Medicus, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 253 Rn. 22; Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (378). 1417 Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 40; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (389); Riesenhuber, BB 2004, S. 2697, (2698). Nach Riesenhuber ist zwar Leistungsklage zu befürworten, jedoch ergeben sich Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags im Vergleich zu Schadensersatzansprüchen. Zum einen werde bei der Vertragsanpassung nicht immer ein „Betrag“ gefordert, zum anderen sei zweifelhaft, ob es sich um richterliches Ermessen handele. 1418 Hiervon ausgehend: BT-Drucks. 14/6040, S. 176; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (388, 391, 386 Fn. 41). 1419 Vgl. bisherige Rechtsprechung BGH NJW 1985, S. 126 (127); BGH NZM 2005, S. 144 (146). Kläger begehrt die Anpassung eines Mietvertrags. Dieser wurde in der damaligen DDR im Jahre 1986 geschlossen. Aufgrund einiger Vorkommnisse kam es dazu, dass über eine lange Zeit die Miete für das Mietgrundstück nicht erhöht werden konnte, sodass die Miete weit hinter den vergleichbaren Mieten zurücklag. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zustimmung der Beklagten zur Anpassung des Mietvertrags wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Revision hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und wies die Sache an das Berufungsgericht zurück, mit der Erklärung, dass der Klägerin auch die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, ihren Klageantrag umzustellen, da in den Fällen des § 313 BGB die Klage nicht auf Zustimmung zur Anpassung, sondern unmittelbar und direkt auf die angepasste Leistung zu erheben sei. 1420 Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (377); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (198). 1421 BVerwG NVwZ 1996, S. 171 (173). 1422 Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (377).

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wird angenommen, der Richter fälle in diesen Situationen ein Gestaltungsurteil.1423 Wenige Vertreter dieser Meinung halten an der Rechtslage vor der Kodifizierung des § 313 BGB fest und nehmen an, dass das Urteil des Richters lediglich feststellend wirke.1424 Die Gegner dieser Meinung argumentieren, dass der Richter eine Anpassung nicht nur feststelle, sondern eine Neuregelung des Vertrags selber gestalte, wodurch ein Gestaltungsurteil ergehe. Bei der Anpassung des Vertrags prüfe der Richter zwar die Voraussetzungen des § 313, sodass er deren Vorliegen zunächst feststelle, jedoch führe er durch seine Anpassung eine neue Rechtslage herbei.1425 2. Analoge Anwendung der Stufenklage Nach einer weiteren Ansicht entspricht die prozessuale Durchsetzung einer Vertragsanpassung von der Interessenverteilung her der Stufenklage gem. § 254 ZPO.1426 Die direkte Leistungsklage sei zwar oft sachdienlich, die Bandbreite möglicher Anpassungsinhalte mache es dem Anspruchsteller jedoch häufig unmöglich, von vornherein auf eine bestimmte Leistung zu klagen, ohne ein erhebliches Kostenrisiko auf sich zu nehmen. Mit Hilfe der Stufenklage könne über den unbezifferten Klageantrag auf erster Stufe eine umfassende Vertragsanpassung durchgesetzt werden. Konkrete Ansprüche aus diesem angepassten Vertrag könnten dann im Anschluss nach der Bezifferung auf der zweiten Stufe erfolgen. Somit umgehe man mit Hilfe der analogen Stufenklage den umständlichen Weg zweier Prozesse, dem „Anspruch auf Anpassung“ und dem anschließenden „Anspruch aus Anpassung“. Auch wenn bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage im Vergleich zu der unmittelbaren Anwendung des § 254 ZPO nicht nur der zweite Antrag, sondern bereits der erste Antrag aufgrund der Offenheit des Anspruchsinhalts nicht bestimmt werden könne, werde aufgrund der vergleichbaren Interessenlage eine analoge Anwendung vorgenommen.1427 Eine Klage direkt auf Leistung sei insofern auch unvorteilhaft, da somit der Kläger wegen der Ergebnisoffenheit des Anspruchs aus § 313 BGB mit dem Kostenrisiko eines unbestimmten Antrags belastet werde. Dieser müsse aufgrund des Bestimmtheitserfordernisses in § 253 ZPO seinen Antrag in der Klageschrift be1423 Hey, FS Canaris, S. 21 (35); Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht, D IV, Rn 40; Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 232 Rn. 5; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 80, 85; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 174 f.; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 39; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 39; Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2698). 1424 Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, SchuldR, S. 327. 1425 Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 39, 40. 1426 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (923, 926); Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2076 ff.); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO72, § 254 Rn. 7. Detaillierte Information für Stufenklage: Assmann, Das Verfahren der Stufenklage, S. 5 ff. 1427 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (926).

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ziffern.1428 Diese Ergebnisoffenheit bewirke auch für den Beklagten ein Kostenrisiko, da er auf der ersten Stufe seine Kosten durch ein Anerkenntnis gem. § 93 ZPO nicht mindern könne.1429 Dies sei erst nach der zweiten Stufe nach Bezifferung des Antrags als Teilanerkenntnis möglich.1430 Eine weitere Gefahr eines direkten Leistungsanspruchs liege darin, dass aufgrund der Offenheit des Ergebnisses einige Punkte, wie z. B. Nebenpflichten, ungeregelt blieben.1431 Der Anpassungsanspruch begrenze sich in der Regel nicht nur auf die zwischen den Parteien umstrittene Leistungspflicht aus dem Vertrag. Auch die vertraglichen Nebenpflichten hingen mit der Leistungspflicht zusammen, sodass auch in Bezug auf diese ein Anpassungsverlangen vorliegen könne und auch diese anzupassen seien.1432 Daher biete die analoge Anwendung der Stufenklage für die Fälle des § 313 BGB für beide Parteien die interessengerechtere und umfangreichere Lösung, um künftige Streitigkeiten zwischen den Parteien zu vermeiden und zu beseitigen.1433 Zudem werde die unbezifferte Leistungsklage dem Willen des Gesetzgebers entsprechend nur in äußerst seltenen Fällen zugelassen. Somit könne nicht darauf vertraut werden, dass das Gericht im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die unbezifferte Klage zulassen und über den Antrag entscheiden werde. Auch sei § 139 ZPO kein ausreichendes Hilfsmittel,1434 um die Unsicherheiten eines unbezifferten Antrags und die damit verbundene Kostenlast zu beseitigen.1435 Im Ergebnis führe dies zu einer nicht behebbaren Kostenrisikolast des Klägers. Dies sei jedoch unbillig, da die Entscheidung des Richters bei einer Vertragsanpassung gem. § 313 Abs. 1 BGB auch von Umständen auf Beklagtenseite, welche vom Kläger nicht überschaubar sind, abhängig sei.1436 Diese Ansicht ist in der Literatur jedoch nicht ohne Kritik geblieben. Das Verfahren über die analoge Anwendung der Stufenklage sei in der Praxis zum einen kompliziert, zum anderen bereits ausgeschlossen, da ein unbezifferter Antrag im Rahmen des § 313 BGB unzulässig sei.1437 Zudem fehle es an einer vergleichbaren Interessenlage, um eine Analogie der Stufenklage gem. § 254 ZPO zulassen zu können.1438 Bei einer 1428 Peer, Jb. J. ZivilRWiss. 2001, S. 61 (66); Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 30; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht, D IV, Rn. 39; Dauner-Lieb/ Dötsch, NJW 2003, S. 921 (923); Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2076 ff.). 1429 Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2077). 1430 Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2077). 1431 Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2077). 1432 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (926). 1433 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (926). 1434 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (923). 1435 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (923). 1436 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (923). 1437 Bayreuther, Durchsetzung, S. 72. 1438 Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (375, 378).

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Stufenklage sei der Kläger über das Bestehen und den Umfang seiner Ansprüche im Unklaren, während der Beklagte hingegen die anspruchsbegründenden Tatsachen kenne.1439 Eine Stufenklage komme nicht in Betracht, wenn die Informationsklage lediglich dazu dient, um Auskunft zu erlangen, ob ein Hauptanspruch besteht, wenn der Kläger den Umfang des Hauptanspruchs kenne oder selbst in Erfahrung bringen könnte.1440 Beim § 313 BGB sei auch wie bei der Stufenklage ein bestimmter Antrag bezüglich der Leistungsklage nicht möglich. Aber der Grund des unbestimmten Antrags beim § 313 liege nicht an der zur Konkretisierung des Leistungsanspruchs erforderlichen mangelnden Erfüllung eines Informationsanspruchs durch den Beklagten, sondern in der großen Fülle an Anpassungsmöglichkeiten.1441 Weiterhin sei der Zweck des § 254 ZPO der Schutz vor Verjährung des Leistungsanspruchs, wohingegen könne es im Falle des § 313 BGB, der Leistungsanspruch sofort erhoben werden, da ein Informationsbedürfnis nicht vorliege.1442 Ein Schutz vor Verjährung sei daher nicht notwendig. Beim § 313 BGB bestehe das Problem für den Kläger darin, dass sich aufgrund der vielfältigen Anpassungsmöglichkeiten ein Prozessrisiko ergebe.1443 Daher sei eine analoge Anwendung des § 254 ZPO, nur um das Prozessrisiko zu beseitigen, nicht sachgerecht. Dieses Problem könne ausnahmsweise über die Möglichkeit des unbestimmten Antrags gelöst werden. Für die analoge Anwendung des § 254 ZPO bestehe kein Bedürfnis und somit auch keine Regelungslücke.1444 Auch widerspreche die Zulassung der analogen Stufenklage der Privatautonomie der Parteien, welche vorrangig durch eine vorprozessuale Lösung in Form von Neuverhandlungen Geltung finden solle.1445 3. Klagehäufung Nach einer weiteren Ansicht kann die Klage auf Anpassung mit der Klage auf Zustimmung gem. § 260 ZPO verbunden werden, allerdings nur für den Fall des Erfolgs der Zustimmungsklage.1446 Solch eine unechte eventuelle Klagehäufung, 1439 Assmann, Das Verfahren der Stufenklage, S. 7; Bayreuther, Durchsetzung, S. 72. Siehe für detaillierte Ausführungen über die Ausnahme vom Bestimmheitserfordernis: Assmann, Das Verfahren der Stufenklage S. 7 ff. 1440 Assmann, Das Verfahren der Stufenklage, S. 7; Bayreuther, Durchsetzung, S. 54 f., 72. 1441 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 254 Rn. 26. 1442 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 254 Rn. 26. 1443 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 254 Rn. 26. 1444 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 254 Rn. 26. 1445 Bayreuther, Durchsetzung, S. 72. Trotz Verneinung einer Neuverhandlungspflicht spricht sich Bayreuther hier für vorprozessuale Neuverhandlungen als Ausprägung der Privatautonomie aus. Darin ist keine Pflicht von Neuverhandlungen zu verstehen, da solch eine Bewertung in Widerspruch zu seinen Aussagen stehen würde. Bezüglich seiner Ansicht zu Neuverhandlungen siehe: Bayreuther, Durchsetzung, S. 26 f. 1446 Wieser, JZ 2004, S. 654 (654).

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welche für den Fall des Erfolgs der Hauptklage erhoben wird, sei von der Rechtsprechung als innerprozessuale Bedingung anerkannt.1447 Diese Bedingung führe auch nicht zu Unsicherheiten der Gegenpartei, da über den Hauptantrag im Laufe des Verfahrens entschieden und somit Klarheit geschaffen werde. Gebe das Gericht dem Hauptantrag statt, so entscheide es auch über den Hilfsantrag. Indem das Gericht der Zustimmungsklage stattgebe, verurteile es den Beklagten zu der angepassten Leistung. Dieses Vorgehen entspreche ebenso der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 60 Abs. 1 VwVfG.1448 Nach Assmann1449 kann trotz Klage unmittelbar auf die Leistung ein Bedarf nach einer eventuellen Klagehäufung entstehen, wenn der Kläger nicht nur die Hauptleistung, sondern auch weitere Vertragsbestandteile, z. B. Nebenleistungen, anpassen möchte. Diese zusätzlichen Leistungen könne er neben dem Anspruch auf die angepasste Leistung, durch die eventuelle Klagehäufung nach § 260 ZPO geltend machen.1450 4. Wahlrecht Eine weitere Stimme in der Literatur geht von einem Wahlrecht des Klägers aus, um ihm die Rechtsverfolgung aus § 313 BGB nicht zu erschweren.1451 Da sowohl die direkte Klage auf Leistung als auch die Möglichkeit der Klageverbindung mit Schwierigkeiten (z. B. Unbestimmtheit des Klageantrags) verbunden sei, müsse dem Kläger die Entscheidung, welchen Weg er einschreitet, selbst überlassen werden.1452 Es müsse ihm freistehen, direkt auf die Leistung aus dem angepassten Vertrag zu klagen, wenn er seinen Antrag aus diesem Vertrag unter Beachtung des Grundsatzes der Bestimmtheit gem. § 253 Abs. 2 BGB stellen könne.1453 Sehe er sich dagegen nicht in der Lage, einen dem § 253 Abs. 2 BGB entsprechenden Antrag zu stellen und somit die Anpassung selbst vorzunehmen, müsse ihm die Möglichkeit offenstehen, einen Anspruch „auf Anpassung“ und „aus Anpassung“ in Form einer Klageverbindung gem. § 260 ZPO oder der analogen Stufenklage gem. § 254 einzuklagen.1454 Der Weg des Wahlrechts entspreche auch der aktuellen Rechtsprechung des BGH, welche die Entscheidung dem Kläger selbst überlässt, ob er eine von ihm formulierte

1447

Wieser, JZ 2004, S. 654 (654 f.); BGH NJW 1996, S. 2306 (2308). BVerwG NVwZ 1996, S. 171 (173). 1449 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 254 Rn. 26. 1450 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 254 Rn. 26. 1451 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 464 Rn. 15; Grüneberg, in: Palandt BGB73, § 313 Rn. 41; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 203 Rn. 398. 1452 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 464 Rn. 15; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26; Greger, in: Zöller, ZPO30, § 253 Rn. 13c. 1453 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 464 Rn. 15. 1454 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 464 Rn. 15. 1448

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Änderung des Vertrags zum Gegenstand der Klage macht oder unmittelbar auf die Leistung klagt.1455 5. Stellungnahme Der Ansicht, die wie vor der Schuldrechtsmodernisierung die Klage auf die angepasste Leistung als prozessuale Klageart für geeignet hält, ist zuzustimmen. Es gibt jedoch vielfältige Anpassungsmöglichkeiten, die dem Kläger erschweren, einen bezifferten Klageantrag zu stellen. Ein unbezifferter Klageantrag wie z. B. unbezifferte Schadensersatzklagen ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Aus dieser Überlegung heraus, sollte dem Kläger ermöglicht werden, einen unbezifferten Klageantrag auch im Falle des § 313 BGB stellen zu können. Des Weiteren entstammt der § 313 BGB aus der Billigkeitsnorm § 242 BGB, die dem Richter einen Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Leistung ermöglicht, was auch dem Wortlaut des § 313 BGB entspricht. Demnach hat der Richter die Möglichkeit, in Einzelfällen die Interessen beider Parteien berücksichtigend zu entscheiden. Aus diesen Gründen kann der Kläger mit allgemein gehaltener Formulierung eine angemessene Anpassung des Vertrags fordern. Die Zumutbarkeit für den Kläger, einen Antrag zu formulieren steigt umso mehr, je weniger Anpassungsmöglichkeiten es gibt. Eine Ansicht lehnt eine lediglich auf Zustimmung gerichtete Klage wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis ab. Vertreten wurde diese Ansicht sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung vor der Schuldrechtsmodernisierung, was für die damalige Zeit als angemessen galt.1456 Denn die Anpassung trat damals ipso iure auf. Nach der Kodifizierung des § 313 BGB jedoch hat der Gesetzgeber den Anspruch auf Anpassung geregelt und wie auch in der Literatur zutreffenderweise vertreten wird, können die Parteien laut Formulierung des § 313 lediglich eine auf Zustimmung gerichtete Klage (eine isolierte Klage auf Vertragsanpassung) einfordern.1457 Trotz der Möglichkeit einer Klage, die unmittelbar auf angepasste Leistung gerichtet ist, kann nach der Normierung des Anspruchs auf Anpassung in § 313 BGB, einer isolierten Zustimmungsklage nicht ohne Weiteres das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, insbesondere wenn die Vereinbarung von etwaigen Nebenabreden im Raum steht.1458 Dieser Gedanke entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung, die sowohl eine direkte Leistung als auch einen Antrag auf Zustimmung

1455

BGH NJW 2012, S. 373 (376). Vgl. auch Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26. 1457 Vgl. auch Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26. 1458 Vgl. auch Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26; Greger, in: Zöller, ZPO30, § 253 Rn. 13c; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO22, § 253 Rn. 44. 1456

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zulässt. Deswegen scheint die Annahme einer isolierten Zustimmungsklage nach der Schuldrechtsmodernisierung eher dem § 313 BGB zu entsprechen.1459 Es muss betont werden, dass bei der Findung einer geeigneten prozessrechtlichen Klageart beim § 313 BGB der Einzelfall zu betrachten ist. Wenn der Kläger weitere Vertragsbestandteile wie z. B. Nebenleistungen einfordern möchte, steht ihm frei, dies im Wege der Klagehäufung nach § 260 in Anspruch zu nehmen. Eine analoge Anwendung des § 254 ZPO ist aber mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte abzulehnen. IV. Aktivlegitimation bei Vertragsanpassung 1. Ansichten Was nun die Klageberechtigung angeht, stellt sich zunächst die Frage, ob lediglich die durch die veränderten Umstände benachteiligte Partei oder aber auch die Gegenpartei den Anspruch auf Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB geltend machen könne. Nach einer Ansicht könne nur derjenige, der durch die Veränderung der Umstände eine Benachteiligung erfahre, einen Anspruch auf Vertragsanpassung geltend machen.1460 Dies folge aus den Regelungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, wonach generell nur eine Partei von den veränderten Umständen betroffen sei.1461 Trotz der Anführungen in der Gesetzesbegründung1462 soll nach verbreiteter Ansicht auch die durch die Veränderung der Umstände bevorteilte Partei eine Vertragsanpassung verlangen können.1463 Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 313 BGB. Gemäß § 313 Abs. 3 BGB ist das Rücktrittsrecht ausdrücklich nur der benachteiligten Partei eingeräumt. Daraus ergebe sich die Vermutung, dass solch eine Einschränkung für den Anspruch nach § 313 Abs. 1 nicht gelte, dieser Anspruch somit e contrario beiden zustehe.1464 In § 313 Abs. 1 BGB ist lediglich die Rede von

1459 Vgl. auch Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 92, § 253 Rn. 81, § 254 Rn. 26. 1460 Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 85; Pfeiffer, in: jurisPK6, § 313 Rn. 74; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinrich, BGB8, § 313 Rn. 21; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 36 f.; Schulze, in: Hk-BGB7, § 313 Rn. 26; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391). 1461 Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 85; Pfeiffer, in: jurisPK6, § 313 Rn. 74; Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinrich, BGB8, § 313 Rn. 21. 1462 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 1463 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (922); Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2076); Bayreuther, Durchsetzung, S. 10; Roth, in: MüKo BGB5, § 313 Rn. 6; UrichErber, Äquivalenzstörungen, S. 91. 1464 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (922); Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2076); Bayreuther, Durchsetzung, S. 10; Roth, in: MüKo BGB5, § 313 Rn. 6; UrichErber, Äquivalenzstörungen, S. 91.

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„kann … verlangt werden“, ohne Beschränkung auf den Benachteiligten.1465 Dies sei für die nicht benachteiligte Partei in Situationen, in denen sich die Parteien über die Anpassung nicht einigen können, sogar von großer Bedeutung.1466 2. Stellungnahme Die Ansicht, beiden Parteien die Möglichkeit der Anpassung zu gewähren, überzeugt. Dies ergibt sich zum einen aus dem klaren Wortlaut. Der Gesetzgeber hat in beiden Absätzen unterschiedliche Formulierungen gewählt, um das Recht zur Vertragsaufhebung nur dem Benachteiligten einzuräumen. Solch eine Einschränkung ist in § 313 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Anpassung nicht erkennbar. Da es sich zum anderen bei der Vertragsanpassung um eine mildere Rechtsfolge handelt, ist eine Ungleichbehandlung oder ein Interessenkonflikt kaum zu befürchten. Inwieweit sich der Begünstigte jedoch in der Praxis aus eigener Initiative auf dieses Recht berufen wird, bleibt hierbei fraglich. V. Der maßgebende Zeitpunkt für die Anpassung 1. Ansichten In der deutschen Rechtslehre ist die Frage umstritten, ob die Anpassung des Vertrags nur mit Wirkung für die Zukunft oder auch für die Vergangenheit erfolgen kann. Eine diesbezügliche Lösung wurde auch nicht vom Gesetzgeber in § 313 BGB geregelt. Der maßgebende Zeitpunkt für die Anpassung spielt bei Dauerschuldverhältnissen eine enorme Rolle. In den meisten Fällen wurde hier nämlich ein Teil der Leistung bereits erbracht.1467 Sowohl aus der Literatur als auch aus den Entscheidungen des BGH geht hervor, dass die Anpassung in der Regel nur für die Zukunft wirke, da die Interessen beider Parteien in der Regel nur über eine Anpassung mit Wirkung für die Zukunft berücksichtigt werden können.1468 Die Gegenpartei müsse wenigstens vor rückwirkend belastenden Vertragskorrekturen verschont werden.1469 Das Interesse der Gegenpartei werde in der Regel dahin gehen, dass zumindest bereits erbrachte Leistungen nicht von der Korrektur betroffen sind.1470 Bei der Anpassung des Vertrags sei auch die Intensität des Eingriffs in den Vertrag zu berücksichtigen. Ein rückwirkender 1465

Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2076). Hensen, NJW 1999, S. 395 (395 ff.); Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (922); Schmidt-Kessel/Baldus, NJW 2002, S. 2076 (2076); Bayreuther, Durchsetzung, S. 10; UrichErber, Äquivalenzstörungen, S. 91. 1467 Finkenauer, in: MüKo BGB6, § 313 Rn. 96. 1468 BGH NJW 1972, S. 1577 (1579); BGH NJW 1983, S. 2143 (2144). 1469 Finkenauer, in: MüKo BGB6, § 313 Rn. 96. 1470 Finkenauer, in: MüKo BGB6, § 313 Rn. 96. 1466

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Eingriff sei hierbei weitaus intensiver als ein Eingriff ex tunc.1471 Daher müsse bei einem rückwirkenden Eingriff dem Grundsatz pacta sunt servanda eine größere Bedeutung beigemessen werden.1472 Zudem sei auch zu berücksichtigen, dass der Umstand der Vertragserfüllung trotz Änderung der Umstände gegen eine Unzumutbarkeit für den leistenden Vertragspartner spreche. Nur in Ausnahmefällen komme auch eine Anpassung mit Wirkung für die Vergangenheit in Betracht.1473 Eine rückwirkende Anpassung sei dem deutschen Recht bekannt (z. B. §§ 593 Abs. 3, 560 Abs. 2 BGB). Danach sei eine rückwirkende Änderung in einem zeitlich begrenzten Umfang zulässig. Dies beurteile sich anhand der Interessen beider Parteien, die umfassend bewertet werden müssten.1474 Je stärker der Eingriff bei einer Anpassung mit Wirkung für die Vergangenheit für die benachteiligte Partei sei, desto weniger komme die rückwirkende Anpassung in Betracht. Bei Unterhaltsvereinbarungen beispielsweise sei die Schutzwürdigkeit des Anpassungsgegners nicht stark ausgeprägt, weshalb eine rückwirkende Anpassung vorgenommen werden könne.1475 In bestimmten Situationen, wie bei persönlichen Dienstleistungen, sei eine rückwirkende Anpassung nicht möglich.1476 Während der maßgebende Zeitpunkt für die Anpassung diskutiert wird, muss noch Folgendes beachtet werden. Das Problem sei in der Regel, dass der Benachteiligte von dem Wegfall der Geschäftsgrundlage erst spät Kenntnis erlangt, sodass diese beiden Zeitpunkte, der Zeitpunkt des Anpassungsereignisses und der Zeitpunkt des Anpassungsbegehrens, auseinanderfallen.1477 Erhalte der Benachteiligte bereits mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage auch die Kenntnis über der Änderung der Umstände und mache dies dennoch nicht geltend, komme eine anschließende Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht, da durch sein Festhalten am Vertrag trotz Kenntnis des Wegfalls ein Vertrauenstatbestand auf Seiten des Vertragspartners geschaffen werde, der den Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen des Fehlens der Unzumutbarkeit ausschließe.1478 Das längere Abwarten sei hierbei Indiz gegen die Unzumutbarkeit.1479 Eine Geltendmachung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage komme folglich dann nicht mehr in Betracht, wenn in der Zeit zwischen Eintritt des Wegfalls und dem Zeitpunkt der Geltendmachung 1471

Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. 1473 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 98; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102; Köhler, FS Steindorf, S. 611 (617 ff.); Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 278 f. 1474 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 98. 1475 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 98. 1476 Finkenauer, in: MüKo BGB6, § 313 Rn. 96. 1477 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. 1478 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. 1479 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. 1472

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die Unzumutbarkeit entfallen sei.1480 Deswegen stellt Haarmann auf den Zeitpunkt ab, in dem die benachteiligte Partei erstmals die Anpassung des Vertrags begehrt.1481 Jickeli1482 betont zu Recht, dass das lange Abwarten nur ein Indiz gegen die Unzumutbarkeit darstellt. Der Anpassungsberechtigte könne die Änderung der Umstände vorübergehend vermuten. Der Partner, der in der Hoffnung auf bessere Zeiten erst einmal die Abwarte-Position einnimmt, solle hieraus keine Nachteile erleiden.1483 Umgekehrt würde die Vertragspartei gezwungen, bei jeder Änderung sofort die Anpassung zu verlangen. Deswegen müsse akzeptiert werden, dass der Zeitpunkt für den rückwirkenden Anpassungsanspruch in manchen Fällen nicht in dem erstmaligen Begehren der Anpassung liege, sondern generell bereits bei Entstehung der Grundlagenstörung (Anpassungsereignis) festgelegt sein solle.1484 In der Literatur wurde vertreten, dass für die Beurteilung des Zeitpunkts der Anpassung neben dem Aspekt der Zumutbarkeit vor allem die Interessen beider Parteien unter Berücksichtigung des Einzelfalls herangezogen werden sollte. Hierbei stehe das Interesse des Anpassungsberechtigten an einer Anpassung ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegenüber dem Interesse des Anpassungspflichtigen an den Schutz seines Vertrauens hinsichtlich der Vertragsfortführung.1485 Daher stellt Köhler1486 die Thematik des Anpassungszeitpunkts detaillierter dar. Er unterscheidet bei der Bestimmung des Anpassungszeitpunkts zwischen vier Fallgruppen1487: Vertragsanpassung bei Äquivalenzstörungen, bei Verträgen mit Versorgungscharakter, bei Gesellschaftsverträgen und die Anpassung bei Rechtsprechungsänderungen. Grundsätzlich sei bei der Anpassung von Äquivalenzstörungen auf den Zeitpunkt des Anpassungsereignisses abzustellen, um die Äquivalenz möglichst vollständig wiederherzustellen.1488 Dies gelte vor allem für Fälle, in denen auf Seiten des Schuldners eine Kostensenkung1489 eintrete, sowie bei einer nachträglichen Entwertung der Sachleistung.1490 Anders wäre es im Falle einer Kostenerhöhung oder einer Entwertung der Gegenleistung.1491 Die Rückwirkung der Anpassung durch Erhöhung der Gegenleistung sei auf den Zeitpunkt des Anpassungsbegehrens zu 1480 1481 1482 1483 1484 1485 1486 1487 1488 1489 1490 1491

Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102. Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 279. Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 279. Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 279. Köhler, FS Steindorf, S. 611 (616 f.). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (616 f.). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (620). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (623). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (620). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (620). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (621 f.).

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begrenzen. Dies sei aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten und erforderlich, damit sich der Anpassungspflichtige rechtzeitig auf die Mehrbelastung einrichten könne.1492 Nur so finde auch das Interesse des Anpassungspflichtigen ausreichend Berücksichtigung. Bei einer Anpassung von Verträgen mit Versorgungscharakter sei darauf abzustellen, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der jeweiligen Parteien verbessert oder verschlechtert haben.1493 Bei einer Verbesserung sei auf den Zeitpunkt des Anpassungsereignisses abzustellen, wohingegen bei einer Verschlechterung auf den Zeitpunkt des erstmaligen Anpassungsbegehrens abzustellen sei.1494 Bei Gesellschaftsverträgen dagegen sei eine Rückwirkung generell ausgeschlossen, wenn es um die Organisation oder den Status von Gesellschaftern gehe.1495 Gehe es hingegen um die Auferlegung von Ausgleichszahlungen, könne eine rückwirkende Anpassung erfolgen.1496 Hierbei sei Anpassungszeitpunkt die erstmalige Geltendmachung des Anpassungsanspruchs, in Ausnahmefällen der Zeitpunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.1497 2. Stellungnahme Überzeugend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht, die überwiegend § 313 BGB auf zukünftige Vertragsanpassungen anwendet. Sie dient dem Interesse beider Parteien, vor allem aber der Rechtssicherheit. Schließlich besteht bei Befürwortung der Anpassung auf vergangene erbrachte Leistungen die Gefahr, dass jede Partei nach Leistungserfüllung die Anpassung des Vertrags verlangen könnte. Das Vertrauen in Vertragsbestand und Vertragssicherheit wäre damit verletzt. Hierbei ist der Zeitpunkt der Anpassung das erstmalige Anpassungsbegehren und nicht der Zeitpunkt des Klageurteils, um den Anpassungsberechtigten vor prozesstaktischen Verzögerungen und somit auch vor Verzögerungen bei der Durchsetzung seiner Rechte zu schützen. Unter Beachtung einer einzelfallgerechten Interessenabwägung ist eine Anpassung, trotz erfolgter Leistung, ausnahmsweise auch rückwirkend möglich. Die Erfüllung der Leistung beseitigt nicht automatisch die Unzumutbarkeit für den Leistenden. Eine Leistungserfüllung ist auch denkbar, um Verzugsschäden oder Vollstreckungsmaßnahmen zu umgehen.

1492 1493 1494 1495 1496 1497

Köhler, FS Steindorf, S. 611 (621). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (623, 625 f.). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (626). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (628). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (628). Köhler, FS Steindorf, S. 611 (629).

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Diese Ansicht wird auch durch die Rechtspraxis unterstützt, welche in Einzelfällen eine Unzumutbarkeit trotz Leistung bejaht. Die Beurteilung der Unzumutbarkeit könne nicht nur auf den Umstand einer erfolgten Leistung beschränkt werden. Für die rückwirkende Anpassung müssen Einzelfall, Vertragsart, Vertragsdauer usw. berücksichtigt werden. Nur in Ausnahmefällen kommt auch eine Anpassung mit Wirkung auf die Vergangenheit – bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine erhebliche Wirkung der Änderungsereignisse auf vertragliche Rechte und Pflichten einsetzt – in Betracht. Wie auch in der Literatur zustreffenderweise vertreten wird, ist dieser Gedanke dem Gesetzgeber nicht fremd, da dieser in anderen Vorschriften, wie z. B. § 560 Abs. 2 BGB, eine Anpassung rückwirkend zum Anpassungsereignis vorsieht. Es muss jedoch betont werden, dass die Literatur von bereits erbrachter Leistung ausgeht. Die Parteien können jedoch auch eine Anpassung für noch nicht erbrachte Leistung verlangen. Solche Situationen sind nicht als sehr problematisch zu betrachten, da die Rechtssicherheit und Unzumutbarkeit trotz erbrachter Leistung nicht mehr berücksichtigt werden müssen.

B. Vertragsaufhebung Bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Anpassung gem. § 313 Abs. 1 BGB für die Vertragsparteien ist der Vertrag als ultima ratio gem. § 313 Abs. 3 BGB durch Kündigung oder Rücktritt aufzuheben. Hierbei stellt sich die Frage, wann eine Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit für die Parteien vorliegt. Im Folgenden wird zunächst erörtert, wann solch eine Situation gegeben ist. Anschließend werden die Rechtsfolgen der Kündigung und des Rücktritts näher dargestellt. I. Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit der Anpassung Für die Feststellung der Unzumutbarkeit ist zunächst darauf abzustellen, ob eine Anpassung – dem hypothetischen Willen der Parteien entsprechend – weniger gewollt ist als eine Auflösung.1498 An die Unzumutbarkeit sind hierbei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, da es nicht im Interesse der Parteien liegen kann, dass eine dritte Person – der Richter – in ihre vertraglichen Belange eingreift und über ihren Vertrag entscheidet.1499 Können sich die Parteien trotz Bemühungen und trotz Anpassungswillen nicht entscheiden, hat der Richter in jedem Fall den Vertrag aufzulösen, um nicht einem der Parteien eine Anpassung aufzuzwingen und diesen somit ungleich zu behandeln.1500 Dies führt auch zu einem unerwünschten Eingriff in

1498 1499 1500

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 118. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 118. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 118.

228

Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

die Privatautonomie dieser Person.1501 Auch im Falle der Weigerung einer Vertragspartei hat der Richter den Vertrag wegen Unzumutbarkeit aufzulösen, da durch die Weigerung zum einen das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien verletzt ist und zum anderen der weitere Anpassungsversuch das Verfahren unnötig in die Länge ziehen würde.1502 Auch bei Unmöglichkeit der Vertragsanpassung ist der Vertrag aufzuheben. Eine Anpassung ist vor allem dann unmöglich, wenn diese von einer der Parteien nicht durchführbar ist, eine Anpassung keinen Sinn ergibt oder die vorgesehene Anpassung nicht der Rechtsordnung entspricht.1503 Unmöglichkeit liegt auch dann vor, wenn die ursprüngliche Leistung gegenstandslos wird und es zu einer ungleichen Risikoverteilung zwischen den Parteien kommt.1504 Ein mit Reichsgesellschaften eingegangener Arbeitsvertrag beispielsweise, welcher während des Krieges in den besetzten Gebieten geschlossen wurde, könne den heutigen Umständen auch nicht mehr angepasst werden, da dieser gegenstandslos geworden ist.1505 II. Rücktritt/Kündigung Die Gestaltungsrechte gem. § 313 Abs. 3 BGB sind als ultima ratio geltend zu machen und die Vertragsaufhebung zu begehren, wenn eine Anpassung nicht möglich ist.1506 Als Gestaltungsrecht kommen die Kündigung für Dauerschuldverhältnisse mit ihrer Ex-nunc-Wirkung und der Rücktritt mit seiner Ex-tunc-Wirkung in Betracht.1507 Hierbei ist zur Geltendmachung dieser Rechte eine ausdrückliche Erklärung erforderlich. Folge dieser Erklärung ist beim Rücktritt die Rückgewährung empfangener Leistungen und gezogener Nutzungen. Bis zur Schuldrechtsreform war die dogmatische Zuordnung der Rückabwicklung stark umstritten. Während eine Meinung diese auf §§ 812 ff. BGB stützte, wickelte eine andere Meinung die Vertragsauflösung über §§ 346 ff. BGB ab. Nach der Kodifizierung des § 313 BGB hat sich dieser Streit erledigt, die Rückgewähr erfolgt nunmehr einheitlich über §§ 346 ff. BGB.1508 Hierbei erfolgt die Rückabwicklung nicht den bestehenden Vorteilen, sondern den tatsächlichen Leistungen entsprechend.1509 1501

Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 118. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 118. 1503 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 115; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 467 Rn. 25. 1504 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 116; BGH NJW 1976, S. 565 (567). 1505 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 116. 1506 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 67; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 108. 1507 Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 88; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 108. 1508 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 68; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 108; Löhnig, JA 2002, S. 381 (382); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 88. 1502

§ 4 Rechtsfolgen der Störung der Geschäftsgrundlage

229

Hinsichtlich der Kündigung ist zudem zu beachten, dass die Anwendbarkeit der nach der Schuldrechtsreform kodifizierten Kündigungsfrist gem. § 314 Abs. 3 BGB auf § 313 Abs. 3 BGB umstritten ist. Dies ist im Ergebnis zu verneinen.1510 III. Aktivlegitimation bei Vertragsaufhebung 1. Ansichten Liegen die Voraussetzungen der Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit vor, kann sich die Vertragspartei gem. § 313 Abs. 3 BGB von dem Vertrag in Form des Rücktritts oder der Kündigung lösen. Zunächst ist zu klären, wem dieses Recht zusteht. Nach einer Ansicht sind die Gestaltungsrechte beiden Parteien zuzusprechen. Trotz des Wortlauts des § 313 Abs. 3 BGB müsse auch die begünstigte Partei die Möglichkeit haben, sich bei einer inakzeptablen Anpassungssituation vom Vertrag zu lösen.1511 Die Gegenansicht betont den ausdrücklichen Wortlaut des § 313 Abs. 3 BGB.1512 Dem Wortlaut entsprechend seien die Gestaltungsrechte lediglich der benachteiligten Partei eingeräumt. Eine Benachteiligung des Begünstigten derart, dass dieser durch die Anpassungsvariante des Gerichts benachteiligt sei und ihm daher ebenso ein Auflösungsrecht eingeräumt werden müsse, sei abzulehnen. 2. Stellungnahme Der zweiten Ansicht ist zuzustimmen. Das Recht zur Vertragsaufhebung steht nur der benachteiligten Partei zu. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Der Gesetzgeber hat zwischen beiden Absätzen des § 313 BGB unterschieden. Da der Gesetzgeber die Auflösung als Ultima-ratio-Lösung festgelegt hat, ist diese nur der benachteiligten Partei einzuräumen, um den Anwendungsbereich dieser Regelung nicht auszudehnen. Ein weitergehender Schutz der begünstigten Partei würde dem Gesetzeszweck widersprechen.

C. Zusammenfassung Zusammenfassend ist in diesem Teil der Arbeit festzuhalten, dass primäre Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Vertragsanpassung ist. Dieses Recht steht beiden Parteien zu. Der umfangreiche Inhalt einer Anpassung 1509 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 68; Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 108; Löhnig, JA 2002, S. 381 (382). 1510 Ausführungen hierzu vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II. 4. 1511 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 468 Rn. 26. 1512 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 114.

230

Kap. 1: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht

gestaltet sich von einer Teilzahlung über eine Ratenzahlung, bis hin zu Ersatzansprüchen. Hierbei ist eine vorprozessuale Neuverhandlung nicht zwingend geboten. Die Neuverhandlung liegt im Entscheidungsspielraum der Parteien. Eine Vertragsanpassung ist grundsätzlich für die Zukunft vorgesehen. Nur in Ausnahmefällen ist auch eine rückwirkende Anpassung zulässig. Ergibt sich, dass eine Anpassung wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit ausgeschlossen ist, kommen als ultima ratio die Gestaltungsrechte der Kündigung oder des Rücktritts in Betracht. Diese Rechte werden gemäß § 313 Abs. 1 BGB nur der benachteiligten Partei eingeräumt. Im Übrigen findet die Kündigungsfrist des § 314 BGB auf § 313 BGB keine Anwendung.

Kapitel 2

Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht § 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht In diesem Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie nach türkischem Recht der Vertrag an die veränderten Umstände angepasst werden kann. Im türkischen Recht, ähnlich wie im deutschen Recht, ist das Institut der Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände sehr alt und wurde von der Rechtsprechung und Literatur weiterentwickelt. Eine der wichtigsten Entwicklungen im türkischen Recht stellt die Aufnahme des Art. 138 tOR in das Obligationengesetz im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung dar, in dem nunmehr das Rechtsinstitut Wegfall der Geschäftsgrundlage gesetzlich geregelt wird. Ob diese Norm in der Lage ist, die Diskussionen in der Literatur zu beenden und die bestehenden Defizite auszugleichen, wird im Laufe der Arbeit detailliert behandelt. Zuvor erscheint jedoch eine Durchleuchtung der geschichtlichen Entwicklung des türkischen Zivilrechts für das Verständnis, die Auswertung des Art. 138 tOR und der Vergleich zwischen dem türkischen und dem deutschen Rechtssystem unabdingbar.

A. Ein Querschnitt der Geschichte des türkischen Zivilrechts Eine nähere Betrachtung der Entstehung des Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts wird verdeutlichen, warum bis 2012 eine gesetzliche Regelung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage fehlte. Nach dem Untergang des Osmanischen Reiches und der Gründung der türkischen Republik durch Mustafa Kemal Atatürk im Anschluss an den Befreiungskrieg 1919 – 1922, gab es in der türkischen Republik auf den verschiedensten Gebieten zahlreiche Reformen1. Mustafa Kemal Atatürk kam es in erster Linie darauf an, eine säkulare und demokratische Rechtsordnung zu gründen.2

1 2

Atamer, RabelZ 72 (2008), S. 723 (724). Atamer, RabelZ 72 (2008), S. 723 (726).

232

Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Jedoch war zu dieser Zeit noch die Mecelle in Geltung.3 Bei der Mecelle handelte es sich um ein Regelwerk, in dem die Gesetze der Scharia entsprechend der hanefitischen Rechtsschule kodifiziert waren.4 Dieses Werk enthielt keine modernen zivilrechtlichen Regelungen. Atatürk hielt es daher für erforderlich, auf dem Gebiet des Zivilrechts einschneidende Erneuerungen durchzuführen. Es wurde eine Kommission gegründet mit dem Ziel, das Zivilrecht zu erneuern, wobei die Mecelle weitestgehend erhalten werden sollte. Da sich dieses Vorhaben in die Länge zog, wurde beschlossen, ein bereits vorhandenes Regelwerk aus den westlichen Ländern im Ganzen zu übernehmen. Zu dieser Zeit galten in Frankreich der Code Civil, in der Schweiz das schweizerische Gesetzbuch (ZGB) und in Deutschland das Bürgerliche Gesetzbuch. Es stellte sich die Frage, welches Gesetzbuch aus welchem Land den Anforderungen der türkischen Republik am ehesten entsprach. Die Entscheidung fiel auf das schweizerische Zivilrecht, da das schweizerische Zivilgesetzbuch so ausgelegt ist, dass es auf verschiedene Kantone Anwendung finden kann und den Bedürfnissen der jeweiligen Kantone entspricht. Daher ging man davon aus, dass es auch den Bedürfnissen der türkischen Republik entsprechen werde. Vorschriften, die auf das kantonale Recht Anwendung finden, finden auch in einem Zentralstaat, wie der Türkei, Anwendung. Mahmut Esat Bozkurt, der amtierende Justizminister unter der Regierung von Mustafa Kemal Atatürk, hatte einen erheblichen Einfluss bei der Auswahl des zu übernehmenden Gesetzbuchs. Mahmut Esat Bozkurt wurde in der Schweiz promoviert, weshalb er stark von den schweizerischen Gesetzen inspiriert war. Dies war jedoch nicht der einzige Grund, sich für das schweizerische Gesetz zu entscheiden. Das schweizerische Zivilgesetz vom 10. Dezember 1907 war damals das jüngste seiner Zeit.5 Obwohl auch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Januar 1900 zu dieser Zeit sehr jung war, kam die Rezeption des deutschen BGB dennoch nicht in Betracht, da es der Türkei zu kasuistisch erschien.6 Das schweizerische Zivilgesetzbuch hingegen enthielt allgemeinere Regelungen und räumte dem Richter einen weit größeren Ermessensspielraum ein,7 wie beispielsweise in Art. 1, 2 und 4 ZGB8. Diese Normen spielen für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine herausragende Rolle. Dem Richter wurde durch die Einräumung eines sehr weiten Ermessensspielraums eine einzelfallabhängige, den jeweiligen Sitten, Bräuchen und Lebensumständen entsprechende Entscheidung ermöglicht. Dieses Ermessen geht soweit, dass der Richter bei Bedarf sogar einer hypothetischen Norm entsprechend handeln darf. Die Intention der Einräumung eines weiten Ermessensspielraums war

3 4 5 6 7 8

Atamer, RabelZ 72 (2008), S. 723 (725); Pritsch, ZVglRwiss 50 (1957), S. 123 (135). Atamer, RabelZ 72 (2008), S. 723 (725); Pritsch, ZVglRwiss 50 (1957), S. 123 (135). I˙mre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (158). I˙mre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (156). ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (156). ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (156); Atamer, RabelZ 72 (2008), S. 723 (732).

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

233

es, den Gerichten die Regelung neuer unbekannter Sachverhalte selbst zu überlassen.9 Auf der Grundlage dieser gesetzlich eingeräumten Ermessensspielräume sollte die Rechtsprechung ein nationales türkisches Zivilrecht entwickeln. All diese Erwägungen führten dazu, dass sowohl das schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) als auch das Obligationengesetz (OR) als Vorlage für das türkische Recht dienten. Das ZGB regelt das allgemeine Zivilrecht, das Sachenrecht, das Familien- und Erbrecht. Das allgemeine und besondere Schuldrecht wird im Obligationengesetz geregelt. Die Unterteilung als solche ist der markanteste Unterschied zum deutschen Recht. Ein einheitliches Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wie im deutschen Recht, ist bis heute weder in der schweizerischen noch in der türkischen Rechtsordnung vorhanden. Bedauerlicherweise unterliefen jedoch bei der Übersetzung der französischen Version des schweizerischen Gesetzes ins Türkische viele Fehler. Lange Zeit wurden das von der Schweiz übernommene Zivilgesetzbuch und das Obligationengesetzbuch bei rechtlichen Konflikten in der Türkei angewandt. Da die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei von der der Schweiz abwich, entschied sich die türkische Gesetzgebung für ein dem eigenen Land und den Bedürfnissen entsprechendes eigenes Zivil- und Obligationengesetzbuch. Ein weiterer Grund für die Erneuerung des Zivilgesetzbuches und der Gesetzesänderungen lag in den Bemühungen, Teil der Europäischen Union zu werden und sich den erforderlichen Kriterien und Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft anzunähern. Die in der Europäischen Union geltenden Richtlinien nahm der türkische Gesetzgeber im Rahmen seiner Reformen als Maßstab.10 Aus diesem Grund traten im Jahre 2002 das neue türkische Zivilgesetz und am 1. Juli 2012 das neue türkische Obligationengesetz in Kraft. Auch bei der Reform des türkischen Obligationenrechts im Juli 2012 hatte das schweizerische Obligationenrecht einen großen Einfluss auf die neuen Regelungen, obwohl die Türkei sich stärker an den EU-Richtlinien orientieren wollte. Lediglich für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen diente das deutsche Recht als Orientierung.11 Das türkische Zivilgesetzbuch und das Obligationenrecht wurden also aus der Schweiz übernommen. Da in den schweizerischen Gesetzen aber eine Regelung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage fehlte, gab es auch im türkischen Zivilrecht bis 2012 keine Regelung dieses Instituts. In der Zeit von 1926 bis 2012 wurde das von der Schweiz übernommene Obligationenrecht in der Türkei angewandt. Entscheidungen I˙mre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (158). Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). 11 Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40).

9

10

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

der schweizerischen Gerichte und die Debatten in der schweizerischen Rechtslehre wurden in der Türkei genau beobachtet. Aus diesem Grund wird auch im Rahmen dieser Arbeit auf das schweizerische Recht und seine Rechtsprechung eingegangen.

B. Theorien zum Wegfall der Geschäftsgrundlage vor der Kodifikation im Jahr 2012 Trotz der Existenz des Rechtsgedankens des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wurde dieses Institut in der Türkei lange Zeit nicht kodifiziert. Der türkische Gesetzgeber kodifizierte die Geschäftsgrundlage erstmals im Jahre 2012 in Art 138 tOR. Dass man nicht an den Vertrag gebunden bleiben könne, wenn sich die Umstände ändern, die beim Vertragsabschluss vorhanden waren, wurde schon vor der Kodifikation des Art. 138 tOR in der türkischen Literatur und Rechtsprechung gelehrt und praktiziert. Für das Verständnis des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und ihres Verhältnisses zu anderen Instituten ist es erforderlich, die historische Entwicklung darzustellen. Aufgrund der Tatsache, dass Art. 138 tOR erst vor kurzem kodifiziert wurde, ist eine umfangreiche Beschäftigung mit der Vergangenheit dieser Norm unausweichlich. Zum einen ist Art. 138 tOR eine sehr neue Vorschrift, und dementsprechend gibt es dazu nur wenig Praxiserfahrungen. Zum anderen sind die zahlreichen früheren Ansätze zur Lösung des Geschäftsgrundlagenproblems in der Türkei auch für den inzwischen gesetzlich geregelten Wegfall der Geschäftsgrundlage von Bedeutung. In der türkischen Rechtsordnung ist die Auseinandersetzung mit diesen Theorien nicht nur unter historischen Gesichtspunkten relevant. Auch für die erforderliche Abgrenzung der im Jahr 2012 kodifizierten Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Art. 138 tOR zu anderen Rechtsinstituten haben die früheren Debatten eine herausragende Bedeutung. Um die Geschäftsgrundlagenproblematik vollständig zu erfassen, ist eine Auseinandersetzung mit den einzelnen türkischen Theorien und der Rechtsprechung erforderlich. Im Folgenden werden nun die einzelnen Theorien zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik dargestellt. I. Lösung über den Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. für Werkverträge Nach einigen Stimmen in der Literatur und der Rechtsprechung war der türkischen Rechtsordnung der Gedanke der Vertragsanpassung nicht fremd. Unter analoger Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. konnte die gesamte Geschäftsgrundlangeproblematik gelöst werden. Falls nach Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, die Fertig-

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

235

stellung hinderten oder übermäßig erschwerten, so konnte der Richter nach seinem Ermessen eine Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrags vornehmen. Mit der Regelung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. wollte der Gesetzgeber eine Norm schaffen, um eine uferlose Ausweitung der Mehrkosten, die dem Unternehmer durch Änderung der Umstände entstehen können, zu vermeiden.12 Danach sollte bei unvorhersehbaren Umständen, welche die Fertigstellung des Werkes verhindern oder eine solche nur unter schweren Bedingungen möglich machen, die Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrags möglich sein, sofern der Unternehmer diese Gefahr nicht ausdrücklich übernommen hatte. Im Folgenden werden zunächst die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. erörtert, um zu klären, ob der Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Wegfall der Geschäftsgrundlage bilden konnte. 1. Voraussetzungen und Rechtsfolge Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. setzte voraus, dass eine übermäßige Erschwerung der Fertigstellung des Werks vorliegt. Es musste sich um ein unüberwindbares Hindernis handeln,13 welches sich nicht als geringfügige Erschwerung darstellte.14 Es durfte jedoch keine Unmöglichkeit vorliegen.15 Die Ursache der übermäßigen Erschwerung musste in nicht voraussehbaren oder von den Parteien ausgeschlossenen Umständen liegen. Dabei wurden die Änderungen der Umstände vom Tatbestand der Norm in unvorhersehbare Umstände einerseits und von den Parteien für ausgeschlossen gehaltene Umstände andererseits unterteilt.16 Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. wurde bei der Übernahme der schweizerischen Norm des Art. 373 sOR ins türkische Recht nicht sinngemäß übersetzt.17 Das hatte zur Folge, dass der Wortlaut der türkischen Regelung das Merkmal der „außerordentlichen Umstände“ nicht enthielt, obwohl diese als Voraussetzung in der schweizerischen Norm enthalten ist. Der türkischen Literatur zufolge18 musste der Tatbestand des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. also dahingehend ergänzt werden, dass die

12

Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 73 f.; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 487. Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 73; Erdin, Werkvertrag, Rn. 223 ff.; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 487; Akyazan, Ankara Barosu Dergisi 1977, Sa. 1, S. 11 (15); Torun, Yargıtay Dergisi Ocak-Nisan 1982, S. 410 (423 f.). 14 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 77; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 488. 15 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 73. 16 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 73. 17 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 209. 18 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 210; Tandog˘an, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, C. II, S. 239; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 74; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 488. 13

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

„außerordentlichen Umstände“ als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung gegeben sein müssen.19 Das Vorliegen nicht vorhersehbarer Umstände wurde vom Standpunkt eines sachkundigen und sorgfältigen Unternehmers (objektive Betrachtungsweise) und nach einem eher strengen Maßstab beurteilt, da der Unternehmer als Fachmann im Normalfall die Umstände kennt, welche seine Arbeit beeinflussen.20 Besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen des Unternehmers sollten jedoch als subjektives Element zusätzlich Berücksichtigung finden.21 Unvorhersehbar waren demnach z. B. auch Ereignisse der höheren Gewalt, wie geologisch unerwartete Verhältnisse, Gasaustritte oder Radioaktivität.22 Die außerordentlichen Umstände durften von den Parteien nicht zu vertreten sein. Ein Vertreten lag beispielsweise vor, wenn die Parteien mit dem Bau eines Gebäudes zu einer ungünstigen Jahreszeit begonnen hatten.23 Befand sich der Unternehmer bei Eintritt der außerordentlichen Umstände in verschuldetem Verzug, so war ihm die Berufung auf Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. verwehrt.24 Denn gerade durch den vom Unternehmer verschuldeten Verzug steigerte sich das Risiko, dass sich die Verzögerung auf die Herstellungskosten auswirken könnte.25 Unterließ es der Unternehmer, zumutbare Gegenmaßnahmen zu ergreifen, mit denen er Kostensteigerungen wirksam hätte entgegentreten können, so musste er die Kosten selbst tragen.26 Schließlich erforderte der subsidiäre Charakter des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F., dass die Parteien keine von dieser Norm abweichende Vereinbarung getroffen haben.27 Lagen die oben dargestellten Voraussetzungen vor, so konnte nach richterlichem Ermessen zwischen zwei Eingriffsmöglichkeiten gewählt werden. Dabei konnte der Richter zwischen der Erhöhung des Preises oder der Vertragsauflösung nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.28 19 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 210; Tandog˘an, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, C. II, S. 240; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 74; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 489. 20 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 86; Y.4.HD., 12. 12. 1957, E. 7173, K. 7373. 21 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 86. 22 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 86; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 488. 23 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 86; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 489. 24 Erdin, Werkvertrag, Rn. 59. 25 Erdin, Werkvertrag, Rn. 59. 26 Erdin, Werkvertrag, Rn. 60; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 88. 27 Erdin, Werkvertrag, Rn. 61; Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 489. 28 Yavuz, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, S. 489. Obwohl nach dem Wortlaut der Norm die Rechtsfolge vom Richter nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen werden muss, besteht in der türkischen Literatur eine Diskussion darüber, ob dem Unternehmer selbst ein Wahlrecht gegeben ist oder dies ausschließlich im richterlichen Ermessen steht. Zutreffend geht eine Ansicht

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

237

Die türkische Rechtslehre diskutierte im Übrigen, ob der Richter lediglich eine Erhöhung des Werklohnes und die Vertragsauflösung oder jegliche andere Anpassung des Vertrags vornehmen könne. Nach einer Ansicht29 war der Ermessensspielraum des Richters unter Berücksichtigung des jeweiligen Vertrags, der Interessen der Vertragsparteien und des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht auf die im Gesetz genannten Rechtsfolgen beschränkt. Der Richter könne z. B. auf die Rechtsfolge der Vertragsauflösung und der Erhöhung des Werklohnes verzichten und eine Verlängerung der Leistungszeit anordnen. Die Gegenauffassung30 ging davon aus, dass der Gesetzgeber die Möglichkeiten des Richters abschließend normiert hat (numerus clausus). Dies ginge aus dem Wortlaut der Norm hervor, da der Gesetzgeber nur die genannten zwei Optionen, die Erhöhung des Werklohnes oder die Vertragsauflösung, ausdrücklich erwähnt habe. Die erste Ansicht ist vorzuziehen, um eine materielle Vertragsgerechtigkeit zu schaffen. Dem Richter muss die Möglichkeit eröffnet sein, auch außerhalb der zwei ausdrücklich normierten Rechtsfolgen eine den Parteiinteressen entsprechende Rechtsfolge zu erkennen. Da bis zur Schuldrechtsmodernisierung eine Vertragsanpassung als Rechtsfolge des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. ohnehin nicht vorgesehen war, musste zumindest im Rahmen dieser Norm die Möglichkeit einer Vertragsanpassung gegeben sein. Diese Ansicht entspricht auch der Auslegungsformel de maiorem ad minorem. Ist dem Richter die Auflösung des Vertrags gestattet, muss ihm erst recht die mildere Form der Anpassung unter Berücksichtigung beider Parteien ermöglicht werden. Die Anpassung kann beispielsweise in Form der zeitlichen Verschiebung der Leistung oder der Qualität der Leistung liegen. Diese Anpassungsbefugnis folgt ebenso aus dem türkischen Zivilgesetzbuch, welcher in Art. 1, 2 und 4 tZGB dem Richter einen weiten Ermessensspielraum eröffnet.

davon aus, dass man trotz des Wortlauts der Norm dem Unternehmer ein Wahlrecht zwischen den Rechtsfolgen einzuräumen hat. Erst wenn der Besteller mit der gewählten Rechtsfolge nicht einverstanden ist, ist die Rechtsfolge ins richterliche Ermessen zu stellen. Es handelt sich um ein Gestaltungsrecht für den Unternehmer. Er hat dieses Recht in Form einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung auszuüben und ist nicht verpflichtet, die Rechtsfolge durch Klageerhebung geltend zu machen. Erst wenn sich die Parteien nicht einigen können, ist der Richter mit dem Problem zu konfrontieren. In diesem Fall hat der Richter durch eine Feststellungsklage zu entscheiden, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Stellt der Richter jedoch hierbei fest, dass die Voraussetzungen z. B. für eine Vertragsauflösung, die der Unternehmer geltend gemacht hat, nicht vorliegen, kann er auf eine Erhöhung des Werklohnes entscheiden. Wenn der Unternehmer eine Klage erhebt, ohne zuvor von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch zu machen, handelt es sich dabei um eine Gestaltungsklage. Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 115. 29 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 110; Erdin, Werkvertrag, Rn. 453 f. 30 Gürsoy, Clausula, S. 198.

238

Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Dem Richter sollte nicht lediglich eine „Entweder/Oder“-Lösung in die Hand gegeben werden. Vielmehr musste ihm im Hinblick auf die materielle Vertragsgerechtigkeit ein – wenn auch begrenzter – Spielraum zur Verfügung stehen. 2. Anwendbarkeit des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. auf nachträgliche Änderungen in anderen Vertragsverhältnissen Da der Wegfall der Geschäftsgrundlage bis zum Juli 2012 gesetzlich nicht geregelt war, bestand Streit darüber, ob alle nachträglich entstandenen Änderungen der Umstände von Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. erfasst wurden.31 a) Ansichten in der Literatur aa) Pro Anwendbarkeit Nach einer Ansicht in der Literatur konnte Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. auf alle Fälle angewandt werden, in denen sich die Umstände nach Vertragsabschluss geändert haben.32 Dieser Gedanke ergebe sich aus dem Zweck der Vorschrift.33 Der Zweck des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. sei die Bindungsbeschränkung des Unternehmers an die getroffene Festpreisabrede auf ein zumutbares Maß. Damit solle die Bindung an die Vertragspflichten im Interesse eines gerechten und billigen Ergebnisses entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben eingeschränkt werden. Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. komme daher die Bedeutung zu, für Fälle der nachträglichen Änderung der Vertragsumstände eine Ausnahme zu dem Grundsatz pacta sunt servanda zu bilden. An diese Deutung in der Literatur war die Annahme gelehnt, dass Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. die für den Werkvertrag kodifizierte geltende Vorschrift, welche die Clausula–rebus-sic-stantibus-Lehre anwandte, sei.34 Für diese Annahme spreche, dass eine Erhöhung des Werklohnes entsprechend dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei nicht vorhersehbarer Änderung eintreten solle und ein Verschulden nicht vorausgesetzt wurde, um die Leistungspflicht des schutzwürdigen Unternehmers auf ein zumutbares Maß zu beschränken.35 Dabei sei sowohl das Institut der Vertragsanpassung als auch die Vorschrift des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Im Ergebnis sprechen Voraussetzungen, Grundlage und Rechtsfolge für die Annahme, dass Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. eine besondere Form der Clausula-rebus-sic-stantibus-Lehre sei. Nach dieser Ansicht war der Gedanke einer nachträglichen Vertragsänderung dem 31

Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3028, 3034). Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (186); Akman, ˙IBD 1989, S. 624 (626); ders., I˙BD 1994, S. 181 (183); Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (39 ff.); Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 59 (61); Torun, Yargıtay Dergisi Ocak-Nisan 1982, S. 410 (422). 33 Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (198 f.). 34 Olgaç, I˙stisna, S. 83. 35 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 95. 32

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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türkischen Recht nicht fremd. Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. regele die Vertragsanpassung in Analogie auch bei allen anderen Vertragstypen. Für eine analoge Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. spreche vor allem, dass auch bei anderen Vertragstypen beiderseitige Interessen zu berücksichtigen seien.36 Für eine Vertragsanpassung müsse also nicht der Vertragstypus entscheidend sein, sondern die Änderung der Umstände in außergewöhnlichem Maße.37 Diese Ansicht sah für eine neue Regelung keinen Bedarf. bb) Contra Anwendbarkeit Nach einer anderen Ansicht war Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. keine ausreichende Norm, um die Geschäftsgrundlagenproblematik zu lösen.38 Eines der Hauptargumente der ablehnenden Ansicht bestand im Ausnahmecharakter des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. Bei Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. handele es sich um eine spezielle Norm. Da eine Analogie nur bei allgemeinen Normen in Betracht komme, sei Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. einer Analogie nicht zugänglich, um eine Ausdehnung zu vermeiden.39 Wie bereits der Ausnahmecharakter der Norm verdeutliche, handele es sich um eine vom Gesetzgeber vorgesehene Ausnahme, die nicht ohne Weiteres ausgedehnt werden dürfe. Außerdem wurde vertreten, dass aus der Bestimmung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. selbst nicht hervorgehe, dass die Vorschrift auch auf andere Vertragstypen angewendet werden könne. Schließlich sei die systematische Stellung der Vorschrift einer allgemeinen Anwendung nicht zugänglich. Gegen eine analoge Anwendung spreche vor allem die Intention des Gesetzgebers. Dieser habe durch die Kodifikation der Vertragsanpassung über den Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. im Bereich des Werkvertrags ausreichend zum Ausdruck gebracht, dass eine Anpassung an die geänderten Umstände nur im Falle des Werkvertrags zuzulassen sei. Diese Zielsetzung finde ihre Grundlage in der ausreichenden Berücksichtigung des Grundsatzes pacta sunt servanda. Zum Schutz der herausragenden Bedeutung des Grundsatzes pacta sunt servanda habe der Gesetzgeber festgestellt, dass eine Ausnahme von der Bindung der vertraglichen Leistungspflichten nur beim Werkvertrag zugelassen werden könne und damit auch nur bei Vorliegen eines Werkvertrags tatsächlich notwendig sei.40 Würde man die Vorschrift des Art. 365 36

Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (198 f.). Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (186); Akman, ˙IBD 1989, S. 624 (626); ders., I˙BD 1994, S. 181 (183); Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (39 ff.); Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 59 (61). 38 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 77; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 64; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 881, Gürsoy; Clausula, S. 24; I˙mre, Fikret Arık’a Armag˘an, S. 153 (189); Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (56); Topuz, Denge Bozulması, S. 131; Dural, ˙Imkansızlık, S. 78. 39 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 77; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 64; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 881; Gürsoy, Clausula, S. 24; ˙Imre, Fikret Arık’a Armag˘an, S. 153 (189). 40 Topuz, Denge Bozulması, S. 131. 37

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Abs. 2 tOR a. F. als eine allgemeine Vorschrift anerkennen, so würde der Grundsatz pacta sunt servanda ausgehebelt. Gülekli41 war der Ansicht, dass die analoge Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. insoweit das Problem nicht löst, da der Werkvertrag ein gegenseitiger Vertrag sei und infolgedessen auf einseitige Verträge, wie unter anderem die Bürgschaft, nicht anwendbar sei. Der Werkvertrag stelle ein dauerhaftes, langfristiges Vertragsverhältnis dar, sodass nur vorübergehende, kurzfristige Verträge nicht berücksichtigt würden. Auf Verträge, die eine Sachleistung zum Gegenstand haben, könne der Werkvertrag nicht entsprechend angewendet werden.42 Es handele sich hierbei um eine Vorschrift, die mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht gleichgestellt sei. Gegen eine Analogie spreche zudem, dass der Gesetzgeber eine solche Schutzbestimmung für die eine Partei nur beim Werkvertrag und nicht für alle anderen Vertragstypen oder gar im allgemeinen Teil des Obligationenrechts vorgesehen habe. Es gebe keine planwidrige Regelungslücke. Dies ergebe sich aus dem schweizerischen Rechtsgedanken.43 In der schweizerischen Literatur wird Art. 373 Abs. 2 sOR vorrangig mit den Besonderheiten des Werkvertrags begründet. Kennzeichnend für den Werkvertrag sei dabei die Zeitspanne zwischen Abschluss und Erfüllung des Vertrags. Im Gegensatz etwa zum Kaufvertrag könne der Werkvertrag nicht Zug um Zug abgewickelt werden, da das Werk immer zuerst hergestellt werden muss. Es liege somit zwischen Vertragsabschluss und Ablieferung des fertiggestellten Werkes immer eine durch Herstellung des Werkes bedingte Zeitspanne vor, die vorab bei Bauwerken Monate oder sogar Jahre betragen kann. Auch wenn dies im alltäglichen Leben eher die Ausnahme bilde und die meisten Werkverträge schneller abgewickelt würden, bliebe jedoch immer eine gewisse – manchmal auch nur sehr kurze – Zeitspanne, in der sich Unvorhergesehenes ereignen könne. Der Literatur zufolge hat sich der schweizerische Gesetzgeber für die Anwendung der Geschäftsgrundlagenproblematik von folgenden zwei Motiven leiten lassen: Zum einen sei bei Werkverträgen eine Preisbestimmung im Voraus nur schwer abschätzbar. Während es bei komplizierten Bauwerken schwierig sei, im Voraus einen Preis zu kalkulieren, gelte dies nicht für Routinearbeiten.44 Zum anderen sei zu der Zeit der Kodifikation des Art. 373 sOR der Unternehmer in der Regel die sozial schwächere Partei gewesen und deshalb ähnlich wie der Arbeitnehmer vor der Ausbeutung und Schädigung durch spekulative Bauherren zu schützen gewesen.45 Da der türkische Gesetzgeber ohne Änderungen das schweizerische Zivilrecht übernommen hatte, habe er die Vertragsanpassung auch nur im Rahmen des Werkvertragsrechts geregelt.

41 42 43 44 45

Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (56). Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (56). Dural, ˙Imkansızlık, S. 78; Gürsoy, Clausula, S. 25. Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 64; Gürsoy, Clausula, S. 24 f. Topuz, Denge Bozulması, S. 131.

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b) Rechtsprechung Die Rechtsprechung wandte in ihren ersten Entscheidungen in Fällen der Geschäftsgrundlagenstörung Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. analog an. Der Kassationshof nahm zur Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zunächst Bezug auf Institute oder Normen, die bereits gesetzlich festgehalten waren, wie beispielsweise die Unmöglichkeit in Art. 117 tOR a. F. Interessanterweise beschäftigte sich zunächst das Oberverwaltungsgericht (Danistay) mit der Problematik der analogen Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. und entschied sich in seinem Urteil vom 21. 11. 193746 für eine analoge Anwendbarkeit des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. In genannter Entscheidung war zwischen den Parteien zur Leistung eines Öffentlichen Dienstes ein Konzessionsvertrag vereinbart worden. Nach diesem Konzessionsvertrag sollte die Halic-Gesellschaft im Namen der Verwaltung die Fährverbindung der Linie Goldenes Horn in Istanbul betreiben. Nach Abschluss des Vertrags trat der zuvor unvorhergesehene Umstand ein, dass sich die Passagierzahl um 60 % reduzierte. Die Halic-Gesellschaft unterließ daraufhin die weitere Beförderung der Passagiere, ohne vorherige Absprache mit der Verwaltung, und erhob Klage auf Vertragsanpassung in Form eines Schadensersatzes. Das Oberverwaltungsgericht entschied sich für eine analoge Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F., sah die Voraussetzungen dieser Norm jedoch nicht erfüllt. Habe eine Gesellschaft große Verluste erlitten, müsse es im Allgemeinen möglich sein, dass die Gesellschaft von der Verwaltung Schadensersatz, d. h. „Vertragsanpassung“, verlangen kann. Im vorliegenden Fall habe aber die Halic-Gesellschaft bereits vor dem Antrag einer Anpassung die Personenbeförderung eingestellt und somit die Verwaltung und die Passagiere im Stich gelassen. Der Kläger habe die Erhöhung des Schadens selbst zu vertreten. Dem Kläger wäre es möglich gewesen, vor der abrupten Aufgabe der Beförderung die Verwaltung über die Lage zu informieren und mit dieser gemeinsam Lösungswege zu finden. In diesem Fall sei es nicht gerecht, von der Verwaltung die Anpassung des Vertrags zu verlangen. Das Oberverwaltungsgericht erkannte bei dieser Entscheidung die Möglichkeit einer Vertragsanpassung grundsätzlich an. Der Umstand, dass die Verwaltung als Partei beteiligt war, hätte für die Entscheidung keine beeinflussende Wirkung. Das Oberverwaltungsgericht setzte für die Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. voraus, dass unvorhergesehene außerordentliche Umstände auftreten können und, infolge dieser Umstände, die Weiterführung dieses Vertrags von einer der Parteien nicht mehr erwartet werden kann.

46 Gürsoy, Clausula, S. 71. Diese Entscheidung aus Gürsoy entnommen, da Entscheidungen nicht veröffentlicht werden.

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Die Rechtsprechung löste auch in ihren weiteren Entscheidungen nach Vertragsabschluss entstandene Änderungen der Umstände über eine analoge Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR.47 Dem Urteil Nr. 2807 vom 27. 12. 194448 des Berufungsgerichtes lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Kläger sich vertraglich verpflichtet hatte, 5 Tonnen Fleisch zu einem Preis von 17 Kurusch/kg zu liefern. Nach Vertragsabschluss brachten harte Winterverhältnisse allerdings Schwierigkeiten mit sich, Fleisch zu beschaffen. Demzufolge stieg der Beschaffungswert des Fleisches. Trotz der erheblichen Leistungserschwerung kam der Kläger seiner Lieferpflicht nach, verlangte aber die Entschädigung des aus dem Unterschied zwischen Markt- und Vertragspreis entstandenen Schadens. Der geforderte Schadensersatz belief sich auf nahezu das Dreifache des vertraglich vereinbarten Preises. Dies verdeutlicht die enorme Änderung der Umstände nach Vertragsabschluss. Das Berufungsgericht stützte sich zur Rechtfertigung des Schadensersatzes bei Erfüllung eines Kaufvertrags auf Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. mit der Rechtsfolge einer Preiserhöhung oder einer Vertragsauflösung. Lediglich einer der Berufungsrichter lehnte eine Analogie zur Lösung dieses Sachverhaltes über den für Werkverträge bestimmten Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. ab und hielt das Institut des Rechtsmissbrauchs und den Grundsatz von Treu und Glauben für den richtigen Lösungsansatz zur Klärung dieses Rechtsstreits.49 Aus dieser Entscheidung geht hervor, dass eine Lösung von Änderungen der Geschäftsgrundlage über eine analoge Anwendung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. auch innerhalb der Gerichte nicht einheitlich gesehen wurde und somit von der Rechtsprechung nicht einheitlich als Lösungsansatz verstanden wurde. c) Stellungnahme Der Gesetzgeber hatte mit Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. anerkannt, dass eine Vertragsanpassung in bestimmten Fällen erforderlich sein kann. Die Regelung in Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. zeigte, dass es Ausnahmen vom grundlegenden Prinzip pacta sunt servanda geben kann. Um eine materielle Vertragstreue und Vertragsgerechtigkeit gewährleisten zu können, ist folglich in einigen Fällen ein Eingriff in diesen Grundsatz gerechtfertigt. Aus Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. war auch ersichtlich, dass dem Gesetzgeber der Gedanke der Vertragsanpassung bis 2012 nicht fremd war. Der Gesetzgeber hatte nicht gänzlich ungeachtet gelassen, dass sich Umstände nach Vertragsabschluss ändern können; er hatte es aber versäumt, eine generelle Vertragsanpassungs47 Y.HD., 02. 06. 1942, E. 941/323, K. 522. Für die Entscheidung: Sungur, Borçlar Kanunu ve Tatbikatı II, S. 240 f. 48 Y.HD., 27. 12. 1944, E. 2807. Für die Entscheidung: Gürsoy, Clausula, S. 81. 49 Y.HD., 27. 12. 1944, E. 2807. Für die Entscheidung: Gürsoy, Clausula, S. 81.

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vorschrift für alle nachträglichen Veränderungen zu regeln. Dieser Umstand beruht darauf, dass das türkische Gesetz, wie bereits erwähnt, aus dem schweizerischen Recht übersetzt und ohne eigene Erneuerungen und Verbesserungen übernommen wurde. Der schweizerische Gesetzgeber hatte jedoch aufgrund einer beständigeren wirtschaftlichen Lage nie das Bedürfnis, eine derartige Regelung zu normieren. Aufgrund dessen hatte es der türkische Gesetzgeber versäumt, eine dem schweizerischen Recht fremde Regelung im türkischen Obligationengesetz zu schaffen. Zur damaligen Zeit stellte sich das Problem der nachträglichen Änderungen der Umstände hauptsächlich in Werkverträgen. Aufgrund dessen wurde eine derartige Norm nur für Verträge dieser Art geregelt. Somit wäre nachvollziehbar, warum in der Vergangenheit nur für Werkverträge die Möglichkeit einer Vertragsanpassung normiert wurde. Der türkische Gesetzgeber hatte eine allgemeine Regelung für Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage folglich planwidrig ausgelassen, sondern sich dem schweizerischen Gesetzgeber durch die direkte Übernahme angeschlossen. Da es sich um eine planwidrige Regelungslücke handelte und Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. den Gedanken der Clausula-rebus-sic-stantibus-Lehre trug, war es naheliegend, die Geschäftsgrundlageproblematik mit dieser im Gesetz vorhandenen Norm zu lösen. Diese Lösung konnte weder befriedigen noch einen sachgerechten Lösungsansatz bieten. Zwar war eine Regelungslücke gegeben, Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. bot jedoch keinen ausreichenden Schutz für den Benachteiligten für alle Fälle der Änderung der Umstände. Zum einen war Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. auf den Festpreis beschränkt, zum anderen verfügte die Rechtsfolge des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. nicht über umfangreiche Lösungsmöglichkeiten, da nur die Preiserhöhung oder Vertragsaufhebung geboten wurde. Diese Rechtsfolgen entsprachen nicht in jedem Fall den Interessen und Wünschen der Parteien. Weiterhin war der Tatbestand dieser Norm nicht präzise genug, da die Übersetzung aus dem schweizerischen Recht nicht fehlerfrei erfolgte. Während das schweizerische Recht „außerordentliche Umstände“ als Tatbestandsvoraussetzung verlangt, war in der türkischen Fassung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. lediglich von „Umständen“ die Rede, was zu einer uferlosen und unbestimmten Erweiterung des Anwendungsbereiches dieser Norm führte. Im Übrigen fehlte es für die analoge Anwendung der Norm an einer vergleichbaren Interessenlage. Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. war mit seiner Festpreisregelung eine sehr spezielle und eher eine Ausnahmevorschrift. Sie war auf Werkverträge abgestimmt. Eine Parallele zu allen anderen Vertragstypen zu ziehen, war nicht möglich, da solch eine Regelung nicht auf alle Vertragstypen angewandt werden konnte.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Vor allem war der Gedanke der Festpreisregelung kein Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Bei Festpreisregelungen übernimmt nach ständiger deutscher Rechtsprechung50 und Literatur51 eine Partei das Risiko der Preisänderung. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen umfasst, neben nachträglicher Änderung der Umstände, Fälle, in denen eine Leistungsstörung, Äquivalenzstörung oder Zweckstörung vorliegt. Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. ist jedoch nicht geeignet, all diese Fallgruppen der Geschäftsgrundlagenstörung zu erfassen, da er nur die Festpreisänderung regelt. Obwohl der Gesetzgeber in der Schuldrechtsmodernisierung die Regelung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. in Art. 480 Abs. 2 tOR aufnahm, kodifizierte er in Art. 138 tOR eine allgemeine Norm zur Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Dies verdeutlicht, dass Analogielösungen stets nur Hilfslösungen sind, denen eine Gesetzesregelung vorzuziehen ist. 3. Gegenwärtige Bedeutung der Erhöhung der Festpreisregelung bei Werkverträgen Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Schuldrechtsreform die Regelung des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. mit dem Zusatz einer Rechtsfolgenänderung in Art. 480 tOR aufgenommen. Die Streitigkeiten hinsichtlich der Rechtsfolge des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. fanden bei der Neuregelung Beachtung, sodass die Möglichkeit der Anpassung als weitere Rechtsfolgenlösung besteht. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage findet zudem seine erstmalige gesetzliche Verankerung, in Art. 138 tOR unter der Überschrift „Leistungserschwerung“. Somit existieren im türkischen Zivilgesetzbuch zwei Normen, welche sich mit der nachträglichen Veränderung der Umstände beschäftigen, auch wenn Art. 480 Abs. 2 tOR mit seiner Festpreisregelung die speziellere Norm ist.52 Interessanterweise hat der Gesetzgeber es unterlassen, bei der Schuldrechtsmodernisierung den Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. aufzuheben und in die allgemeine Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. Art. 138 tOR mit einzubeziehen. Auch ohne die Existenz des Art. 480 tOR ist die Lösung der werkvertragsrechtlichen Grundlagenstörungen über den nunmehr bestehenden allgemeinen Art. 138 tOR möglich. Eine separate spezielle Regelung für Werkverträge ist überflüssig. Trotz der Tatsache, dass sowohl Art. 138 tOR als auch Art. 480 tOR in ihrem Kern Änderungen von Umständen regeln, wobei Art. 480 tOR hierbei auf Festpreisregelungen beschränkt ist, ist es nicht nachvollziehbar, dass sich beide Normen in ihren Voraussetzungen voneinander unterscheiden. Bedauerlicherweise ist die Abgrenzung zwischen Art. 480 Abs. 2 tOR und Art. 138 tOR überhaupt nicht gelungen. Der 50

BGH WM 1978, S. 322 (322 ff.); Die Rechtsprechung hat diese Indizwirkung von Festpreisvereinbarungen jüngst bestätigt, vgl. OLG Hamm BeckRS 2012, 06489. 51 Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 21; Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (827); Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 21. 52 Baysal, I˙ÜHFM, C. LXIX, Sa. 1 – 2, S. 477 (480).

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Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung nicht näher dargelegt, weshalb die Voraussetzungen des Art. 138 tOR von denen des Art. 480 tOR abweichen.53 Vor allem der Umstand, dass trotz einer Festpreisregelung lediglich dem Unternehmer in Art. 480 tOR die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage eingeräumt ist, somit eine Ungleichbehandlung zwischen einem Unternehmer und einem Nicht-Unternehmer gesetzlich festgehalten wird, lässt an einer sach- und interessengerechten Neuregelung zweifeln. Die Festpreisregelung, übernommen aus der Schweiz, und der Gedanke des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, übernommen aus dem deutschen Recht, passen nicht zueinander. Letztlich hat bei Festpreisregelungen gerade eine Partei das Risiko der Sachverhaltsänderung in Kauf genommen. Hier hat der türkische Gesetzgeber Gedanken der schweizerischen Rechtsordnung mit seiner Preisregelung und den deutschen Rechtsgedanken der Grundlagenstörung unpassend miteinander vermischt. Die Intention des Gesetzgebers ist nicht nachzuvollziehen. Auf eine gesetzgeberische Begründung kann nicht zurückgegriffen werden, da eine Erklärung hierüber nicht vorliegt. Es ist zu bedauern, dass der Gesetzgeber bei der Kodifizierung des neuen Art. 480 tOR den Gedanken des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. beibehalten hat, was zu einer mangelnden Synchronisation zwischen Art. 138 tOR und Art. 480 tOR geführt hat. II. Lösung über die Grundsätze des sogenannten Grundlagenirrtums 1. Voraussetzungen und Rechtsfolge des Grundlagenirrtums In Artikel 24 Abs. 1 Nr. 4 tOR a. F. regelte der Gesetzgeber den Grundlagenirrtum, welcher eine besondere Form des Motivirrtums war und ausnahmsweise Beachtung fand.54 Man sprach hier von einem qualifizierten Motivirrtum. Nach dem Gesetzeswortlaut war der Grundlagenirrtum gegeben, wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der im Geschäftsverkehr nach Treu und Glauben als eine notwenige Grundlage des Vertrags betrachtet wurde. Artikel 24 Abs. 1 Nr. 4 tOR a. F. setzte ein subjektives und ein objektives Merkmal voraus. Das subjektive Merkmal für den Grundlagenirrtum war, dass der Irrende den Sachverhalt, den er seinen Vorstellungen zugrunde legte, als eine notwendige 53

Zwischen den Voraussetzungen des Art. 138 tOR und Art. 480 Abs. 2 gibt es große Unterschiede, obwohl beide Normen die Anpassung des Vertrags wegen veränderter Umstände tragen. Im Folgenden wird dieses Thema detailliert untersucht und näher auf die Kritiken eingegangen. 54 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 66; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 129 f.; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 352; Akıncı, Borçlar Hukuku, S. 106; Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 87, 94 f.; Topuz, Denge Bozulması, S. 126; für die verschiedenen Definitionen des Motivs siehe: Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 428; Arsebük, Borçlar Hukuku, S. 405 Fn. 62.

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Grundlage des Vertrags verstand.55 Dabei spielte es keine Rolle, ob die Gegenpartei den Sachverhalt ebenso als notwendige Vertragsgrundlage verstanden hatte.56 Der Irrtum ist eben kein gemeinsames Konsensverständnis, sondern ein einseitiger Willensmangel, welcher die Willensbildung beeinflusst. Nach dem objektiven Merkmal musste neben dem Irrtum auch der Umstand entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben als „notwendig“ empfunden werden.57 Eine weitere Voraussetzung für die „Wesentlichkeit“ des Irrtums war, dass sich der Umstand für einen redlichen und objektiven Dritten als notwendig darstellen musste.58 Zusammenfassend machte der Irrende aus seiner subjektiven Sicht den Sachverhalt zur Geschäftsgrundlage. Der Irrende durfte aus objektiver Betrachtung diesen Sachverhalt im Geschäftsverkehr unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von Treu und Glauben auch so sehen.59 Beide Merkmale mussten demnach kumulativ gegeben sein.60 Lagen die oben dargestellten Voraussetzungen vor, so war die irrende Partei zur Anfechtung und somit Vertragsauflösung gem. Art. 31 tOR a. F. berechtigt.61 Infolge einer einseitigen Unverbindlichkeit, die durch die ausgeübte Anfechtung entstand, wurde der Vertrag ex tunc unwirksam.62 Zudem war ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 26 tOR a. F. zugunsten des Anfechtungsgegners möglich. Bezüglich der Rechtsfolge war vor allem Art. 25 tOR a. F. zu beachten. Die Irrtumsanfechtung unterlag der allgemeinen Rechtspflicht des Art. 2 tZGB, wonach der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten war.63 Dem Irrenden war die Anfechtung gem. Art. 25 Abs. 2 tOR a. F. verwehrt, wenn die andere Vertragspartei ihre Bereitschaft äußerte, die Leistung dem tatsächlichen Willen des Irrenden entsprechend zu erbringen.64 Artikel 25 tOR a. F. stellte auf der einen Seite eine Kon55

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 66; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 127; Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 159, 161; ders., Borçlar Hukuku, S. 329; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 89; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Edis, Hata, S. 52 ff.; Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 30; Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 96. 56 Edis, Hata, S. 56. 57 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 66; Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 161; Edis, Hata, S. 57 ff.; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 89; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 130; Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 96. 58 Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 98. 59 Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 90. 60 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 140; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 130 f. 61 Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 105. 62 Detailliert dazu: Goltz, Motivirrtum, S. 85 ff. 63 Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 133 f.; Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 112. 64 Art. 25 Abs. 2 tOR ist im türkischen Recht analog auf den Grundlagenirrtum anwendbar, da er direkt nur auf den Erklärungsirrtum bezogen ist (Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 91; Kurs¸at, Hile Kavramı, S. 100). Im schweizerischen Recht wird eine solche Analogie verneint

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kretisierung des Art. 2 tZGB dar und gab auf der anderen Seite den Vertragsparteien die Möglichkeit der Vertragsänderung. Diese Regelung war eine sachgemäße Lösung, um den Interessen der Vertragsparteien hinreichend Rechnung zu tragen. Zudem wurde durch die Regelung in Art. 25 tOR a. F. der Grundsatz pacta sunt servanda angemessen berücksichtigt, da die Anfechtungsmöglichkeit an bestimmte Voraussetzungen und somit Einschränkungen geknüpft war. Aus der Vorschrift des Art. 25 Abs. 2 tOR a. F. war somit der Rechtsgedanke der Vertragsanpassung herauszulesen.65 2. Anwendung des Grundlagenirrtums auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage a) Ansichten in der Literatur aa) Pro Anwendbarkeit Nach einer Literaturansicht fand der Grundlagenirrtum sowohl auf vergangene als auch künftige Änderungen der Umstände Anwendung. Falsche Vorstellungen bei Vertragsabschluss wurden unstreitig vom Grundlagenirrtum umfasst.66 Diese Ansicht ging einen Schritt weiter und verlangte auch die Berücksichtigung zukünftiger Umstände. Falsche Vorstellungen konnten somit sowohl vergangene als auch zukünftige Umstände betreffen. Daher würden auch nachträgliche Änderungen über den Grundlagenirrtum erfasst.67 Für die Schaffung eines neuen Instituts oder einer neuen Regelung habe kein Bedarf bestanden. Diese Ansicht versuchte darzulegen, dass der Irrtum auch für zukünftige Sachverhalte in Betracht kommen kann. Gestützt wurde diese Ansicht darauf, dass der Eintritt oder Nichteintritt auch in der Zukunft liegender Umstände vorhersehbar sei. Ein sicheres Vertrauen auf den Eintritt oder Nichteintritt könne einen Irrtum begründen.68 In solch einem Fall spekuliere man nicht über die Zukunft, weil eben jener Umstand als sicher vorausgesetzt werde. Auch Vertragsbedingungen, die zum Bestandteil des Vertrags geworden seien, sollten nicht dazu verhelfen, die Anwendung des Grundlagenirrtums auf zukünftige Sachverhalte auszuschließen. und lediglich eine Anwendung der Regelung des Art. 20 Abs. 2 tOR (Teilnichtigkeit) herangezogen. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 132. 65 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 132; Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 165; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 114. 66 Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510); ders., Hata, S. 159, 161; ders., Borçlar Hukuku, S. 329; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Akıncı, Borçlar Hukuku, S. 107; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (61). 67 Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510). 68 Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 159, 161; ders., Borçlar Hukuku, S. 329; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 391; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Akıncı, Borçlar Hukuku, S. 107; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (61).

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Im Übrigen sei die Zukunft der Fortgang des Gegenwärtigen, sodass bei der Annahme des Irrtums über gegenwärtige Sachverhalte diese einmal getroffene Annahme fortzuführen sei. Die Befürworter der Anwendbarkeit des Irrtums über zukünftige Sachverhalte stützten ihre Ansicht auf die schweizerische Literatur und auf die Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts.69 In den Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts wurde die Anwendbarkeit des Grundlagenirrtums auf gegenwärtige und zukünftige Ereignisse angenommen. Das schweizerische Bundesgericht70 bejahte die Anwendbarkeit des Grundlagenirrtums auf künftig eintretende Umstände, sofern die Vertragspartei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Entwicklung der Umstände einschätzen konnte und diese sich trotz seiner Einschätzung geändert haben.71 Nach Kocayusufpasaoglu umfasst der Irrtum, neben einer falschen Vorstellung von der wahren Situation, auch die reine Unwissenheit der Parteien. Auch er unterstützte den Gedanken der schweizerischen Rechtsprechung. Aus den Ausführungen von Kocayusufpasaoglu wird der Gedanke deutlich, dass auch die Rechtspraxis dem schweizerischen Recht folgen müsse, da das türkische Zivilrecht dem schweizerischen Recht entstamme.72 Nach Altinok-Ormanci73 enthielt das Obligationenrecht keine Aussage darüber, ob man sich über zukünftige Ereignisse irren kann. Dem Art. 504 tZGB könne jedoch entnommen werden, dass man sich im Zusammenhang mit einem Testament über zukünftige Ereignisse irren kann.74 Hier sei es unerheblich, ob das Ereignis, über das sich der Erblasser irrt, bereits in der Vergangenheit eingetreten sei oder erst später in der Zukunft eintreten werde.75 Zwischen den Irrtumsregelungen in Art. 504 tZGB und Art. 23 ff. tOR a. F. würden bedeutende Differenzen bestehen. Artikel 504 tZGB ist eine spezielle Norm, die den Irrtum für Testamente im Erbrecht regelt.76 Es spreche aber nichts dagegen, in Bezug auf Art. 504 tZGB, Art. 23 und 24 tOR a. F. den Irrtumsbegriff so zu erweitern, dass er auch die zukünftigen Ereignisse umfasse, da dieser Punkt von Art. 24 tOR a. F. offen gelassen worden sei.77 Im Ergebnis gilt festzuhalten, dass dieser Ansicht nach sowohl vergangene als auch zukünftige Veränderungen unter den Grundlagenirrtum zu subsumieren und 69

Für die schweizerische Literatur: Keller/Schöbi, Das Schweizerische Schuldrecht3, S. 169 f.; Erdin, Werkvertrag, Rn. 187; Kramer, Der Irrtum, S. 23 f. Rn. 7; Adams, Recht 1986, S. 14 (20); Schmidlin, in: BernerKomm, Art. 23/24 OR, Rn. 238 ff. 70 BGE 109 II, S. 105. 71 BGE 117 II, S. 218 (224). 72 Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 159, 161. 73 Altınok-Ormancı, Konuralp’a Armag˘an, C. III, S. 95 (110). Altınok-Ormancı leitet ihre Meinung aus dem schweizerischen Recht ab. 74 Altınok-Ormancı, Konuralp’a Armag˘an, C. III, S. 95 (110). 75 Altınok-Ormancı, Konuralp’a Armag˘an, C. III, S. 95 (110). 76 Altınok-Ormancı, Konuralp’a Armag˘an, C. III, S. 95 (110). 77 Altınok-Ormancı, Konuralp’a Armag˘an, C. III, S. 95 (110).

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folglich alle Fälle der Geschäftsgrundlagenstörung über Art. 24 tOR a. F. zu lösen sind. Nach dieser Meinung ist in der schweizerischen Rechtsliteratur anerkannt, dass Irrtümer über zukünftige Sachverhalte und Geschäftsgrundlagenprobleme über den Grundlagenirrtum Art. 24 Abs. 1 Nr. 4 tOR zu lösen sind. Dieser Gedanke sei auf die türkische Rechtsliteratur übertragbar.78 von Tuhr79 wendete die Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 Nr. 4 tOR a. F. über den Grundlagenirrtum auch auf die Fälle der Leistungsstörung und der nicht unerheblichen Leistungserschwerung an. Er war der Ansicht, dass es keine Rolle spiele, ob man sich über bestimmte Umstände bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder nach Vertragsabschluss geirrt habe. Ändern sich nämlich die Umstände des Vertrags nach Vertragsabschluss, so sei darauf hingedeutet, dass der Vertrag eben nur zu den zum Zeitpunkt des Vertrags gemachten Vorstellungen fortbestehen solle. Folglich könne es nicht darauf ankommen, ob man bestimmte Umstände zur Geschäftsgrundlage gemacht habe. In beiden Fällen seien die schutzwürdigen Interessen dieselben. In beiden Fällen änderten sich die Vertragsumstände. Aus diesem Grund fielen in der türkischen Rechtsordnung auch die Veränderungen der Umstände, die nach dem Abschluss des Vertrags eintraten, unter den Anwendungsbereich des Art. 24 tOR Abs. 1 Nr. 4 tOR a. F. Kocayusufpasaoglu80 wies darauf hin, dass es eine sehr radikale Lösung wäre, wenn der Grundlagenirrtum unter keinen Umständen auf zukünftige Ereignisse angewendet werden könnte.81 In einem derartigen Fall würden alle zukünftigen Ereignisse, ohne jegliche Unterscheidung, in den Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage fallen. Anders als im deutschen Recht gebe es im türkischen Recht den Grundlagenirrtum, der dann anzuwenden sei, wenn die zukünftigen Ereignisse vorhersehbar sind.82 bb) Contra Anwendbarkeit Nach einer anderen Literaturansicht war der Grundlagenirrtum nicht ausreichend, um die Geschäftsgrundlagenproblematik zu lösen.83

78

Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510). von Tuhr/Peter/Escher, Allgemeiner Teil3 Bd. II, S. 171. 80 Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510). 81 Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510). 82 Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510). 83 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 129 ff.; Topuz, Denge Bozulması, S. 126 f.; Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97 ff.; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 58; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; Sulzer, Zweckstörungen, S. 233 ff., insbesondere S. 236; I˙mre, Fikret Arat’a Armag˘an, S. 153 (189); Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 141; Torun, Yargıtay Dergisi Ocak-Nisan 1982, S. 410 (421). 79

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Diese Ansicht vertrat, dass der Grundlagenirrtum sich lediglich auf einen vergangenen oder gegenwärtigen Sachverhalt beziehen könne und folglich grundsätzlich nicht auf ein zukünftiges Ereignis Anwendung finde, unabhängig davon, ob dieses voraussehbar ist oder nicht.84 Über Tatsachen, von denen man keine Kenntnis hat, könne man sich auch nicht irren, lediglich spekulieren.85 Da man für die Zukunft keine sicheren Prognosen treffen könne, könne man diesbezüglich keinem Irrtum unterliegen, sondern vielmehr hierüber spekulieren.86 Vor allem eine Änderung in der Zukunft zeige, dass für die Zukunft ein Ereignis nicht feststehen könne. Die Parteien können Änderungen von Umständen als Bedingung zum Vertragsinhalt machen und somit ausreichenden Schutz schaffen. Werden Bedingungen nicht in den Vertrag mit aufgenommen, so trage jede Partei das eigene Risiko.87 Eines weitergehenden Rechtsschutzes über den Grundlagenirrtum bedürfe es nicht. Demzufolge könnte zukünftigen Sachverhalten stets mit Bedingungen bzw. Garantieversprechen hinreichend Rechnung getragen werden.88 Nach dieser Ansicht steht die Rechtsfolge des Grundlagenirrtums einer Anwendung auf zukünftige Veränderungen entgegen. Die Anfechtung eines Vertrags habe zur Folge, dass der Vertrag ex tunc unwirksam werde. Somit sei der Vertrag von Anfang an als nicht geschlossen anzusehen.89 Ein solcher Standpunkt erzeuge die Gefahr, dass die Risikoverteilung unterlaufen wird. Mache sich die Vertragspartei spekulierende Gedanken über künftige Umstände, so deute dies daraufhin, dass die Partei selbst über den Eintritt bzw. Nichteintritt gezweifelt hat oder zumindest nicht sicher war.90 In diesem Fall hätte sie sich mit der Aufnahme von Vertragsbedingungen genügend schützen können. Demjenigen, der nicht wisse, ob sich seine Erwartungen erfüllen werden und hinsichtlich dieser Erwartungen Zweifel hegt, empfehle es sich, schützende Vertragsbedingungen in den Vertrag mit aufzunehmen. Das Versäumnis, eine solche Vertragsklausel aufzunehmen, gehe zu seinen Lasten. Ein Irrtum könne sich nur auf Umstände beziehen, über die man sich zum Zeitpunkt

84

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 129 ff.; Topuz, Denge Bozulması, S. 126 f.; Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97 ff.; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 58; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; ˙Imre, Fikret Arat’a Armag˘an S. 153 (189). 85 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 58; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. 86 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 67. Als Argument für diese Ansicht und als Quelle der Inspiration dient BGE 59 II, S. 374 und Bischoff, Vertragsrisiko, S. 141 m. w. N. Fn. 132. 87 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 143 f.; Topuz, Denge Bozulması, S. 127. 88 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 143 f.; Topuz, Denge Bozulması, S. 127. 89 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Sulzer, Zweckstörungen, S. 237. 90 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Serozan, ˙Ifa, S. 220; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 141; Gürsoy, Clausula, S. 22; Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (42 f.); Sulzer, Zweckstörungen, S. 236.

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des Vertragsabschlusses positive Kenntnis verschafft habe.91 Nach dieser Ansicht ist in Fällen, in denen sich allerdings die Einschätzung über einen zukünftigen Umstand als falsch herausstelle, mithilfe des Rechtsinstitutes des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu lösen. Das Rechtsinstitut des Grundlagenirrtums vermöge hier keine sachgerechte Lösung zu bieten.92 Ein anderer Lösungsweg würde dem Sinn und Zweck eines Irrtums widersprechen. Ein Irrtum könne nur dort vorliegen, wo man von den Umständen Kenntnis habe.93 Würde man die Tatsache akzeptieren, dass man sich auch über zukünftige Umstände irren kann, so würde man die Grenzen zwischen einer Bedingung im juristischen Sinne und einem Irrtum verwischen. Dies würde zu einem uferlosen Spekulieren führen. Die Subsumtion unter den Grundlagenirrtum könnte darin münden, dass die Anwendung der Bedingung leerlaufen würde.94 Des Weiteren würde man die Risikoverteilung umgehen.95 Der Sinn und Zweck der Irrtumsregelungen sei es, eine Partei, welche sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses falsche Vorstellungen über bestimmte Umstände gemacht habe, zu schützen. Der Irrtum beruhe nämlich auf einem Fehler, der in der Willensbildung liegt, weil man von irrtümlichen bzw. falschen Voraussetzungen ausgehe. Spekulationen oder gar bloße Hoffnungen sollen und können nicht in den Anwendungsbereich des Rechtsinstituts des Irrtums fallen.96 Nach der h. L. kam der Grundlagenirrtum nur für Umstände bis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zur Anwendung. Ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses solle das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen. Zu beachten sei, dass die Umstände, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen, auch bei einer unerwarteten Entwicklung des Vorgestellten weiterhin als richtig unterstellt werden können, sodass ein Irrtum nicht gegeben ist. Dem Irrtum liege hier lediglich eine abweichende Entwicklung vom Vorgestellten zugrunde, was nicht in den Anwendungsbereich des Grundlagenirrtums fallen solle.97 Eine spätere Änderung entspreche nicht den Umständen, über die eine Einigung erzielt bzw. Vorstellung gemacht wurde. Es handele sich vielmehr um ein nicht kalkulierbares und „unvorhersehbares“ Ereignis. Nach Arat98 und Doganay99 besagte der Wortlaut des Art. 23 tOR a. F., dass nur zum 91

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. Serozan, I˙fa, S. 220 f; Topuz, Denge Bozulması, S. 127; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 130 ff. 93 Reichel, Vertragsrücktritt, S. 18. 94 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 143; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 141. 95 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 143; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 141; Topuz, Denge Bozulması, S. 127. 96 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 143; Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (200). 97 Serozan, I˙fa, S. 220. 98 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. 99 Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (43). 92

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Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein Irrtum vorliegen kann, was bedeute, dass man sich über zukünftige Ereignisse nicht irren könne. Die Anfechtungsregeln seien gem. Art. 25, 26 tOR a. F. ausgeschlossen, wenn die Vertragspartei sich einverstanden erklärt, den Vertragsinhalt entsprechend den bei Vertragsabschluss vorausgesetzten Umständen anzupassen. Die irrende Partei könne sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dann nicht mehr auf die Anfechtungsregeln berufen. Der Vertrag sei zu den neuen, beiderseits akzeptierten Voraussetzungen wirksam. Die Vorschrift des Art. 25 tOR a. F. räume die Gefahr aus dem Weg, Rechtsgeschäfte aufgrund eines Irrtums über eine zukünftige Veränderung anzufechten. Nach zahlreichen Meinungen100 in der Literatur sollte die Vorschrift über den Grundlagenirrtum restriktiv ausgelegt werden. Vor allem sei auf die Rechtsfolge zu achten, nach welcher eine Vertragsauflösung von Anfang an vorgesehen werde und folglich ein Alles-oder-nichts-Prinzip gelte. Nach Serozan101 und Baysal102 enthält der Grundlagenirrtum für die Fälle der nachträglich veränderten Verhältnisse keine sachgemäße und für die Vertragsparteien nützliche Lösung. Sie begründeten ihre Auffassung damit, dass eine Vertragsauflösung oder eine inhaltliche Vertragsänderung ex nunc nicht möglich sei. Nur eine einseitige Unverbindlichkeit werde festgesetzt, bei welcher die Geltendmachung (ex tunc) bei einem noch geltenden, langwierigen und dementsprechend bereits teilerfüllten Vertrag eine problematische – und beide Parteien nicht zufriedenstellende – Rückabwicklung des gesamten Vertrags mit sich bringen könne. Folglich solle das Rechtsinstitut des Irrtums nur auf Umstände angewendet werden, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorlagen. Auf Umstände, die in der Zukunft liegen, solle der Grundlagenirrtum erst gar keine Anwendung finden.103 So solle der Grundlagenirrtum anwendbar sein, wenn ein Irrtum über einen vergangenen oder gegenwärtigen Sachverhalt vorliegt, während der Wegfall der Geschäftsgrundlage immer dann zur Anwendung komme, wenn der Irrtum sich auf die Zukunft erstrecke.104 Es sei unbestritten, dass eine Irrtumsanfechtung nicht in Betracht komme, wenn nach Vertragsabschluss ein Umstand eintrete, über welchen sich die Parteien bei Ver100 Dural, ˙Imkansızlık, S. 64; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 134; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 67 ff.; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 141; Feyziog˘lu, Borçlar Hukuku Genel Hükümler, C. II, S. 480; Bühler, FS Giger, S. 35 (46). 101 Serozan, ˙Ifa, S. 221. Serozan vertritt ebenfalls die Meinung, dass der Grundlagenirrtum nicht auf zukünftige Sachverhalte anwendbar ist. Dies sei nicht mit dem Wortlaut zu begründen, im Hinblick auf den Interessenausgleich sei das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzuwenden. 102 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 134. 103 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 144; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 130 ff.; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 58 ff.; Gürsoy, Clausula, S. 23; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 88; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 17 ff.; Sirmen, Türk Özel Hukukunda S¸art, S. 95; Topuz, Denge Bozulması, S. 127. 104 Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 98; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (411a ff.); Gauch/ Schluep/Schmid, Schweizerisches Obligationenrecht Bd. I, S. 170 Rn. 804 f.

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tragsabschluss noch keinerlei konkrete Vorstellungen gemacht hatten.105 Das offensichtliche und große Missverhältnis zwischen den Vertragsleistungen sei ein wichtiges Merkmal der Vertragsanpassung wegen veränderter Umstände.106 Ein Ungleichgewicht zwischen der Leistung und der Gegenleistung müsse beim Grundlagenirrtum nicht unbedingt vorliegen, auch wenn dies oft in Sachverhalten gegeben sei.107 Beim Grundlagenirrtum liege die Willensstörung – im Gegensatz zum Wegfall der Geschäftsgrundlage – schon beim Vertragsabschluss vor.108 Anders als bei einem Grundlagenirrtum sei es bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage unzumutbar, sich weiterhin an den Vertrag zu binden, wenn sich unerwartete, nachträglich entwickelnde Umstände ergeben.109 In Art. 24 tOR a. F. wurden die Eigenschaften des Geschäfts (notwendige Geschäftsgrundlagen) erwähnt. Bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage hingegen gehöre das Geschäft als Bedingung gerade nicht zum Inhalt des Vertrags.110 Auch wenn der Grundlagenirrtum Ereignisse, die sich noch in der Zukunft befinden, mit umfassen würde, war anerkannt, dass das Vorhandensein der Regelung über den Grundlagenirrtum nicht ausreichend war, um eine sachgerechte Anpassung des Vertrags vorzunehmen. Aus diesem Grund sei es erforderlich, den Wegfall der Geschäftsgrundlage gesondert zu regeln. In Fällen, in denen sowohl der Tatbestand des Grundlagenirrtums als auch des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfüllt sei, biete die Änderung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die sachgerechtere Lösung.111 Eine Entscheidung zwischen beiden Instituten sei erforderlich gewesen, da beide Institute unterschiedliche Rechtsfolgen hatten. Während das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage den Vertrag unter angepassten Bedingungen weiterlaufen ließ, wurde der Vertrag im Fall des Grundlagenirrtums – wie oben bereits dargestellt – von Anfang an als unwirksam angesehen.112 Die Rechtsinstitute seien nicht alternativ anwendbar, da sie neben den unterschiedlichen Rechtsfolgen auch unterschiedliche Voraussetzungen hatten. Vor allem würden sie unterschiedliche Zwecke verfolgen. Zur Veranschaulichung soll zunächst das Beispiel „Tekel“113 herangezogen werden: Ein Weinhändler schließt mit der Firma Tekel, einem namhaften Tabak- und 105

Kramer, Der Irrtum, S. 82 f. Rn. 58. Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97. 107 Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97. 108 Serozan, Sözles¸meden Dönme, S. 334; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 133. 109 Hotz, Irrtumsregeln, S. 131. 110 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 59. 111 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, 130. 112 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 130 f.; Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 45 f. Fn. 21. 113 Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 45 f. Fn. 21. 106

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Alkoholkonzern, einen Vertrag über die Benutzung des Namens von Tekel auf seinen Weinflaschen. Entgegen der Vorstellung und Schätzung des Weinhändlers erlebte der Weinverkauf mit der Aufschrift Tekel keinen gewinnbringenden Aufschwung. Die Lehre stritt in diesem Fallbeispiel, ob das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder das Rechtsinstitut des Grundlagenirrtums Anwendung finden soll. Eine Ansicht in der Literatur114 berücksichtigte dabei die Vorstellung bzw. Erwartung des Weinhändlers, dass der Weinhandel mit der Aufschrift Tekel auch in der Zukunft weiterhin gewinnbringend abgesetzt werden würde. Im Rahmen der Anwendung des Grundlagenirrtums stützte sich diese Ansicht darauf, dass das objektive Merkmal fehle. Die Vorstellung, dass ein Produkt auch in der Zukunft noch weiterhin gewinnbringend sei, entspreche nicht einem objektiven Merkmal, da unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von Treu und Glauben die Gewinneinbuße ein reines Vertragsrisiko darstelle. Die Ansicht, die eine Anwendung des Grundlagenirrtums über zukünftige Ereignisse annahm, verneinte in diesem Fall mangels eines objektiven Irrtums die Anwendung eines Grundlagenirrtums. Nach dieser Ansicht115 sei die Anwendung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu bevorzugen gewesen, da die Lösung über den Grundlagenirrtum zu unsachgemäßen Ergebnissen führte. Allerdings verneinte diese Ansicht dennoch die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit der Begründung, dass die Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit nicht gegeben sei. Sie stellte vielmehr darauf ab, dass der Betroffene in diesem Fall die Umstände hätte vorhersehen können. Zu beachten sei, dass der Eintritt einer Gewinneinbuße aufgrund einer nicht eingetretenen Vorstellung nicht in den Schutzbereich des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage falle. Dennoch vertrat diese Ansicht den Standpunkt, dass das Rechtsinstitut Wegfall der Geschäftsgrundlage zu bevorzugen sei, weil die Interessen beider Vertragsparteien ausreichend berücksichtigt würden, indem man den Vertrag nicht vollständig aufhebe, sondern an die sich ändernden Umstände anpasse. Die Anwendung des Grundlagenirrtums dagegen führe zu unbilligen Ergebnissen, da der Vertrag durch Anfechtung ex tunc unwirksam wird. In einem weiteren Fallbeispiel werden die Unterschiede der beiden Rechtsfolgen deutlicher.116 Die Vertragsparteien schlossen einen Mietvertrag über einen Gewerberaum in einem großen Einkaufszentrum. Der monatliche Mietzins betrug 10.000 TL. Die Eröffnung des Einkaufszentrums wurde werbereich publiziert. Es nahmen prominente Personen wie Schauspieler und Sänger sowie Politiker an der Eröffnung teil. Die Eröffnung wurde gleichzeitig über die Medien bekannt gegeben. Allerdings wurden alsbald nach der Eröffnung vor dem Einkaufszentrum öffentliche Straßenbauarbeiten durchgeführt, die sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckten. Infolge dieser Bauarbeiten blieb der erwartete Besucherandrang des Einkaufszentrums aus. Der Mieter machte einen erheblichen Verlust geltend, der auf die redu114

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 131; Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 45 f. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 131. 116 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 131 und für ähnliches Beispiel Rössler, JuS 2005, S. 27 (27 f.). 115

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zierte Besucherzahl zurückzuführen sei. Er sei nunmehr nicht in der Lage, seine Betriebsausgaben, mithin die monatliche Miete, zu erwirtschaften. Eine Ansicht117 bejahte den Grundlagenirrtum, da sowohl das subjektive als auch das objektive Merkmal des Grundlagenirrtums gegeben sei. Das subjektive Merkmal liege insofern vor, als der Betroffene sich über zukünftige Sachverhalte konkrete Vorstellungen gemacht habe. Im Rahmen der Anmietung eines Gewerberaums in einem so stark beworbenen Einkaufszentrums liege es entsprechend dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass man annehmen kann, mit einem derartigen Geschäft entsprechende Gewinne zu erzielen, geschweige denn zumindest die Betriebsausgaben zu decken. Demzufolge sei der Grundlagenirrtum anwendbar, sodass ein anfechtbares Rechtsgeschäft vorliege. Werde die Anfechtung erklärt, so gelte das Rechtsgeschäft als von Anfang an unwirksam. Eine andere Ansicht118 ging davon aus, dass die Anwendung des Rechtsinstituts Wegfall der Geschäftsgrundlage eine gerechtere Lösung bietet, weil die Interessen beider Vertragsparteien ausreichend berücksichtigt würden und der Vertrag nicht gleich vollständig aufgelöst würde. Es entspreche möglicherweise auch nicht den Interessen der Vertragsparteien, wenn durch die Anwendung des Grundlagenirrtums der Vertrag im Ganzen aufgehoben werde. Eine Anpassung des Vertrags an geänderte Umstände ermögliche den Vertragsparteien am Vertrag festzuhalten, jedoch unter angepassten und den Parteien zugutekommenden Bedingungen. Des Weiteren könne es sein, dass der Betroffene vielmehr die Anpassung anstrebe, sofern man beachte, dass es sich bei den Straßenbauarbeiten um einen vorübergehenden Umstand handele. Innerhalb der Voraussetzungen des Rechtsinstituts Wegfall der Geschäftsgrundlage werde eine solche Straßenbauarbeit als nicht vorhersehbarer Umstand anerkannt. Die Ansicht, die eine Anwendung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage befürwortete, weil das Rechtsinstitut des Grundlagenirrtums nicht stets eine gerechte und billige Lösung biete, zeigte die Vorteile der Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anhand eines weiteren Fallbeispiels nochmal deutlicher auf.119 Erhalte ein Erwerber bei einem Kauf eines Grundstücks keine Bauerlaubnis, weil die Eigenschaften des Grundstücks der Erteilung einer Baugenehmigung entgegenstehen, finde der Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Anwendung.120 Vielmehr sei dieser Sachverhalt über den Grundlagenirrtum zu lösen. Würde der Betroffene dagegen die Baugenehmigung erhalten, jedoch nicht für das von ihm beabsichtigte 117

Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 45 f. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 132. Baysal findet die Rechtsfolge des Grundlagenirrtums für ungeeignet. 119 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. 120 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. 118

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Projekt, d. h., wird ihm lediglich der Bau eines vierstöckigen Objekts statt eines fünfstöckigen Objekts genehmigt, so soll das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Anwendung finden.121 Während sich das Rechtsinstitut der Anpassung des Vertrags wegen veränderter Umstände (Wegfall der Geschäftsgrundlage) auf einen Irrtum über einen zukünftigen Umstand beziehe, welcher nicht vorhersehbar war,122 umfasse das Rechtsinstitut des Grundlagenirrtums vergangene und gegenwärtige Sachverhalte, welche im Gegensatz zum Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen veränderter Umstände vorhersehbar waren.123 Entscheidendes Kriterium sei damit die Vorhersehbarkeit.124 Da ein Umstand, welcher vorhersehbar ist, nicht gleichzeitig unvorhersehbar sein könne, könne es niemals zu Überschneidungen der Tatbestände kommen.125 Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage betreffe die Erfüllung des Vertrags,126 während der Grundlagenirrtum die Entstehung berühre.127 Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zeichne sich durch ein übermäßiges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aus,128 welches beim Grundlagenirrtum gerade nicht vorausgesetzt werde.129 Aus genannten Gründen sei der Grundlagenirrtum nicht geeignet, die Geschäftsgrundlagenproblematik zu lösen. Eine Regelung und Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei daher unumgänglich, um Änderungen über zukünftige Sachverhalte zu lösen. b) Türkische Rechtsprechung In der türkischen Rechtsprechung gibt es kaum Fälle, die sich explizit mit der Problematik des Verhältnisses zwischen dem Grundlagenirrtum und der Vertragsanpassung (Wegfall der Geschäftsgrundlage) auseinandersetzen. Die folgenden Urteile beschäftigten sich lediglich oberflächlich mit dieser Problematik.130

121

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. BGE 97 II, S. 390 (398); 93 II, S. 185 (189). 123 BGE 79 II, S. 272 (275); 41 II, S. 356 (356 ff.). 124 Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 96. 125 Altınok-Ormancı, Konuralp’a Armag˘an, C. III, S. 95 (112). 126 BGE 100 II, S. 345. 127 Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48. 128 Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97. 129 Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 97. 130 Schwer aufzufindende Rechtsprechung: Die Rechtsprechung vor 1970 ist aufgrund fehlender Datenspeicherung kaum aufzufinden. Des Weiteren werden die Urteile in der Türkei nicht veröffentlicht, sodass ein Rückgriff auf türkische Rechtsprechung für wissenschaftliche Arbeiten kaum möglich ist. 122

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In der Entscheidung des Kassationshofs vom 18. 02. 1983 wird deutlich, dass das Gericht sich in Fällen zukünftiger Änderungen von Umständen gegen die Anwendung des Grundlagenirrtums aussprach.131 In dieser Entscheidung vereinbarte ein Unternehmer einen Werkvertrag zu festen Preisen. Als sich später herausstellte, dass die Brückenbaukosten aufgrund der Bodengegebenheiten 50 % mehr betragen würden als bei Vertragsabschluss vorgestellt, berief sich der Unternehmer auf den Grundlagenirrtum mit der Begründung, er habe dies nicht vorhersehen können und sich daher falsche Vorstellungen über die Kosten gemacht. Die Tatsache, dass die Gerichte in diesem Fall in beiden Instanzen über Art. 365 tOR a. F., welcher die Vertragsanpassung bei Werkverträgen regelte, den Fall diskutierten und auf Art. 24 tOR a. F. trotz des Begehrens des Klägers gar nicht eingingen, zeigt, dass Art. 24 tOR a. F. auf zukünftige Änderungen keine Anwendung fand. In einer weiteren Entscheidung unternahm das Gericht den Versuch, mit Hilfe des Grundlagenirrtums, der Unmöglichkeit und der Vertragsanpassung eine sachgerechte Lösung zu finden.132 In diesem Fall wurde bei einem adoptierten Kind erst nach dem Vertragsabschluss eine geistige Behinderung diagnostiziert. Die Klägerpartei begehrte die Aufhebung des Adoptionsvertrages mit der Begründung, sie habe von der Behinderung des Kindes keine Kenntnis gehabt und sich somit über Tatsachen geirrt. Die Adoption ist zwar im tZGB geregelt, allerdings ist ohne die einvernehmliche Vereinbarung der Parteien eine Aufhebung nach diesen Regeln nicht vorgesehen. Aber es seien nach Art. 2 und 5 tZGB alle Vorschriften des allgemeinen Teils des Obligationenrechts auf Verhältnisse des tZGB entsprechend anwendbar. Das Gericht war der Ansicht, dass sowohl der Grundlagenirrtum als auch die Unmöglichkeitsregeln und die Vertragsanpassung dem gleichen Zweck dienen. Da die Behinderung des Kindes nach Abschluss des Adoptionsvertrages diagnostiziert wurde, sah das Gericht diesen Fall im Zusammenhang mit dem Grundlagenirrtum. Eine Lösung über eines dieser Institute sei im vorliegenden Fall daher möglich. Das Gericht betonte, dass dieser Lösungsansatz als ein Fall der Anwendbarkeit des Grundlagenirrtums auf sich ändernde Umstände gesehen werden kann. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich die Gerichte je nach Einzelfall sowohl für als auch gegen die Anwendung des Grundlagenirrtums auf zukünftige Änderungen aussprachen, zumal nur sehr wenige Entscheidungen zu dieser Thematik vorhanden sind. Eine ausdrückliche Stellungnahme der Rechtsprechung zu der Anwendbarkeit des Grundlagenirrtums auf die Geschäftsgrundlagenproblematik ist in keiner Entscheidung der türkischen Gerichte zu finden. Im Hinblick auf Art. 365 131 132

Y.HGK., 18. 02. 1983, E. 1982/15-935, K. 1983/147. Y.2.HD., 25. 06. 1997, E. 1997/6350, K. 1997/7830.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Abs. 2 tOR a. F. hingegen stellte die Rechtsprechung die Anwendbarkeit dieser Norm auf Geschäftsgrundlagenfälle ausdrücklich in seinen Entscheidungen fest. Diese Vorgehensweise der Rechtsprechung verdeutlicht, dass sie die Anwendbarkeit des Grundlagenirrtums auf Geschäftsgrundlagenstörungen nicht befürwortet. c) Stellungnahme Der Ansicht, welche die Anwendung des Grundlagenirrtums auf zukünftige Veränderungen der Umstände bejahte, kann nicht zugestimmt werden, da dies zu einer unnötigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des Grundlagenirrtums führen würde. Akzeptiert man den Irrtum über zukünftige Sachverhalte, könnte sich theoretisch jeder, dessen Erwartung sich nicht verwirklicht hat, später auf einen Irrtum berufen, mit der Begründung, der Eintritt bzw. Nichteintritt sei von seinen Vorstellungen nicht umfasst gewesen. Dies würde den Irrtumsbegriff ins Uferlose ausdehnen und die Rechtssicherheit gefährden. Bereits aus dem Wortlaut der Irrtumsvorschriften sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform folgt, dass der Grundlagenirrtum auf den Moment des Vertragsabschlusses zeitlich begrenzt ist. Für eine Ausdehnung auf zukünftige Änderungen bleibt dem Sinn und Zweck der Norm entsprechend kein Raum. Zudem überzeugt das Argument, dass unbestimmte zukünftige Sachverhalte mit Hilfe von Bedingungen umgangen werden können. Zwischen einer Bedingung und einem Irrtum müssen klare Grenzen gezogen werden. Eine Bedingung ist ein unsicheres zukünftiges Ereignis, von dem eine bestimmte Rechtsfolge abhängig gemacht wird. Im Gegensatz zum Irrtum ist die Bedingung entsprechend dem Sinn und Zweck auf ein zukünftiges Ereignis gerichtet, da das Gesetz zwischen einer aufschiebenden und auflösenden Bedingung unterscheidet. Infolgedessen kann das maßgebende Ereignis nur in der Zukunft liegen. Im Falle des Irrtums dagegen geht allein aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht hervor, dass auch der Irrtum zukünftige Ereignisse umfassen soll. Anderenfalls würde das Institut der Bedingung leerlaufen. Zusätzlich gilt es zu berücksichtigen, dass jeder, der sich eine Vorstellung macht, die Möglichkeit hat, diese Vorstellung als Bedingung in seinen Vertrag aufzunehmen. Insofern ist der Betroffene durch die Vorschrift des Art. 170 tOR n. F. (Art. 149 tOR a. F.), welche die Bedingung regelt, ausreichend geschützt. Abgrenzungsprobleme zwischen beiden Instituten sind nicht gegeben, da im Gegensatz zu der Bedingung die Geschäftsgrundlage nicht Vertragsinhalt werden kann. Weiterhin ist es bedenklich, Vorstellungen über zukünftige Sachverhalte als Irrtümer zu bewerten. Eine solche subjektive „Vorstellung“, mithin eine Einschätzung, würde zu weit gehen, wenn man bedenkt, dass man in der Praxis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht die eigene Einschätzung äußert. Ferner ist eine Einschätzung nichts anderes als eine Spekulation, möglicherweise sogar eine übertriebene Erwartung. Macht sich eine Partei einen „bestimmten Sachverhalt“ zur

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Vorstellung, ist es ihr ohne Weiteres möglich, diese Vorstellung auch zum Vertragsbestandteil oder zur Geschäftsgrundlage zu machen. Hinsichtlich der Zukunft können kaum Einschätzungen getroffen werden. Zumindest kann es nicht dem Gesetzeszweck entsprechen, sich aufgrund vager Einschätzungen und subjektiver Erwartungen vom Vertrag zu lösen. Es kann auch nicht im Interesse des Betroffenen liegen, den Vertrag im Ganzen aufzuheben, was letztendlich die Ex-tunc-Wirkung hervorruft. Die Ansicht, die mit Hilfe des Grundlagenirrtums nachträgliche Änderungen der Umstände lösen wollte, war nicht akzeptabel. Bei der Erweiterung des Irrtumsbegriffs handelte es sich um eine Notlösung. Wie die ablehnende Ansicht der Anwendung des Grundlagenirrtums betonte, bestehen zwischen beiden Instituten große Unterschiede. Der Grundlagenirrtum kann keinen Ersatz für eine Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bieten. Folglich ergeben sich Unterschiede zum Anwendungsbereich. Während die Irrtumsvorschriften eine unbewusste Abweichung zwischen Erklärtem und Gewolltem einer Partei bei Vertragsabschluss regeln, umfasst der Wegfall der Geschäftsgrundlage Änderungen von Umständen, welche sich, unabhängig von dem Willen der Parteien, nach Vertragsabschluss aufgrund äußerer Umstände ergeben. Auf einen Irrtum kann sich die Partei nicht berufen, da unvorhersehbare Umstände nicht von einem Willen gesteuert werden. Der Irrtum hingegen beruht stets auf einer Willensentscheidung. Zweifelt jemand an der Richtigkeit seiner Vorstellung, kann dieser sich nicht irren. Die Zukunft bringt in objektiver Hinsicht immer Ungewissheiten mit sich, sodass kein besonnener Mensch es ausschließen kann, dass sich seine Vorstellung nicht bewahrheiten wird.133 Entsprechend der Gesetzesbegründung sind künftige Entwicklungen häufig nicht vorhersehbar, sodass jeder auf eigenes Risiko Entscheidungen trifft. Die Beachtung jedes Irrtums über zukünftige Sachverhalte würde eine Rechtsunsicherheit mit sich bringen.134 Auf einen Irrtum kann sich jemand dann nicht berufen, wenn er bei Vertragsabschluss ohnehin bestimmte Zweifel in Bezug auf einen Sachverhalt hatte. Zukünftige Sachverhaltsänderungen können daher nur über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst werden. Zudem ist der Grundlagenirrtum nicht in der Lage, die wichtigste Fallgruppe der Geschäftsgrundlage – Äquivalenzstörungen – zu beseitigen. Bei Äquivalenzstörungen machen sich die Parteien bei Vertragsabschluss keinerlei Vorstellungen, vielmehr führen unvorhersehbare Änderungen nach Vertragsabschluss zu einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Sinn und Zweck der Irrtumsregeln ist nicht die Beseitigung eines Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung, sondern die Behandlung der Fälle von Willensmängeln. Dies verdeutlicht, dass es im Falle eines Missverhältnisses zwischen den Vertragsleistungen

133 134

Kolly, Der Grundlagenirrtum, S. 21. Kramer, Der Irrtum, S. 79 Rn. 55.

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einer eigenen gesetzlichen Regelung, wie der des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, bedarf. Im Übrigen führt der Grundlagenirrtum, der die Auflösung des Vertrags vorsieht, auch auf der Rechtsfolgenebene zu unbefriedigenden Ergebnissen.135 Dem Grundsatz pacta sunt servanda entsprechend muss man abgeschlossene Verträge ohnehin einhalten. Bei Veränderungen der Umstände sollte somit primär immer eine Vertragsanpassung vorgenommen werden. Erst beim Scheitern einer solchen Anpassung sollte eine Vertragsauflösung – sozusagen als ultima ratio – zulässig sein. Damit stellt eine Anwendung des Grundlagenirrtums auf künftige Ereignisse einen Widerspruch zu den Interessen der Vertragsparteien dar, da die Rechtsfolge der Anfechtung die Unwirksamkeit des Vertrags ex tunc bewirkt. Ein letzter Unterschied zwischen beiden Instituten besteht darin, dass derjenige, der Irrende, nach Art. 35 tOR (Art. 26 tOR a. F.) Schadensersatz leisten muss, wenn sein Irrtum auf eigenes Verschulden zurückzuführen ist. Die Irrtumsregeln betreffen Fälle, die dem Risikobereich einer Partei zuzuordnen sind. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage betrifft hingegen solche Fälle, in denen keine der Parteien einen Einfluss auf den weiteren Vertragsverlauf hat. Schließlich sind die Irrtumsregelungen auch nicht auf Fehlvorstellungen über den Preis oder Wert einer Sache anzuwenden. Das Missverhältnis im Hinblick auf den Wert oder Preis spielt beim Wegfall der Geschäftsgrundlage eine enorme Rolle. Aus den genannten Gründen ist es begrüßenswert, dass eine allgemeine und mit flexiblen Rechtsfolgen ausgestattete Vorschrift im Rahmen der Schuldrechtsreform in das türkische Schuldrecht eingeführt wurde. Diese Regelung führte zur Beendigung derartiger, die Rechtsanwendung erschwerender Streitigkeiten. Weiterhin gibt es keine hinreichende vergleichbare Interessenlage, um analoge Anwendung zu bejahen. 3. Gegenwärtige Bedeutung des Grundlagenirrtums Im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber den Grundlagenirrtum in einer neuen Vorschrift – Art. 32 tOR – geregelt. Der Grundlagenirrtum erfuhr hierbei keine inhaltliche Änderung. Durch die Regelung des Grundlagenirrtums in einer neuen separaten Norm brachte der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass dieser Irrtum im türkischen Recht eine besondere Stellung hat. Die Regelung sowohl des Art. 138 tOR als auch des Art. 32 tOR macht deutlich, dass der Grundlagenirrtum nicht ausreichend ist, die Fälle nachträglicher Änderungen zu lösen. Trotz der Kodifizierung verlor das Verhältnis zwischen Grundlagenirrtum und Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht an Bedeutung. Ein erheblicher Unterschied 135

Nach Art. 25 Abs. 1 tOR a. F. ist die Berufung auf den Irrtum unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht. Dieser Absatz ist nicht geeignet, die Nachteile der Rechtsfolgen des Irrtums zu beseitigen, da die Parteien im Falle einer Nichtanfechtung gezwungen sind, an dem Vertrag festzuhalten. Eine optionale Lösung wie eine die Interessen beider Parteien berücksichtigende Anpassung des Vertrags ist nicht vorhanden.

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zwischen beiden Rechtssystemen ist, dass der türkische Gesetzgeber die wesentlichen falschen Vorstellungen, im Unterschied zum deutschen Recht, nicht innerhalb der Vorschrift der Geschäftsgrundlage regelte. Nach der h. L. müssen falsche Vorstellungen über den Grundlagenirrtum gelöst werden.136 Wegen des wesentlichen Unterschieds zwischen beiden Rechtssystemen wird das Thema im Kapitel 3 näher erläutert. III. Lösung über die Übervorteilung nach türkischem Recht Auf den ersten Blick fällt auf, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage und die Übervorteilung gem. Art. 21 tOR a. F. eine gemeinsame Tatbestandsvoraussetzung aufweisen, nämlich ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung.137 Ob für Fälle veränderter Umstände eine Lösung über die Übervorteilung möglich ist oder die Übervorteilung keine sachgemäße Lösung darstellt, wurde vor der Schuldrechtsreform und der Einführung des Art. 138 tOR diskutiert und soll daher im Folgenden erörtert werden. 1. Voraussetzungen und Rechtsfolge Im türkischen Zivilrecht befand sich die Übervorteilung in Art. 21 tOR a. F. Diese Norm bestimmte, dass im Falle eines offenbaren Missverhältnisses zwischen der Leistung und der Gegenleistung, welches durch einen Vertrag begründet wird und dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausnutzung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des anderen Teils herbeigeführt worden ist, der andere Teil innerhalb einer Jahresfrist erklären kann, dass er an dem Vertrag nicht mehr festhalten will und das Geleistete zurückverlangt. Die Jahresfrist sollte nach dieser Norm mit dem Abschluss des Vertrags beginnen.138 Die Übervorteilung bestand aus einem objektiven und einem subjektiven Element.139 Das objektive Element lag in dem Bestehen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Das subjektive Element lag in der Ausnutzung dieser Notlage.140 Allein das Vorhandensein des objektiven Tatbestandes reichte für die Feststellung der Übervorteilung nicht aus. Diese Ansicht wurde durch viele Entscheidungen des Kassationshofes unterstützt.141 136 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 67; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510); Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244. 137 Topuz, Denge Bozulması, S. 129; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 21 ff. 138 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 73. 139 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143. 140 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143. 141 Y.1.HD., 01. 10. 2012, E. 2012/10938, K. 2012/10436; Y.13.HD., 18. 01. 2012, E. 2011/ 8143, K. 2012/467; Y.11.HD., 29. 11. 2010, E. 2009/5896, K. 2010/12168; Y.13.HD., 13. 04.

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Artikel 21 tOR a. F. versuchte, den Missbrauch der Vertragsfreiheit zu verhindern, indem eine Vertragsseite gegen die Ausbeutung durch die andere geschützt wurde.142 Allein die Tatsache, dass ein Missverhältnis zwischen der vereinbarten Leistung und Gegenleistung existiert, konnte nicht ausreichen, um die Vertragsgeltung in Frage zu stellen, auch nicht wenn das Missverhältnis offensichtlich war.143 Hinzukommen musste die Ausnutzung einer der genannten Situationen, in der sich die andere Vertragspartei befand. Als Rechtsfolge der Übervorteilung sah Art. 21 tOR a. F. die einseitige Herbeiführung der Unverbindlichkeit des Vertrags vor.144 Lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 tOR a. F. vor, so konnte der Bewucherte innerhalb eines Jahres ab Vertragsabschluss eine Erklärung dahingehend abgeben, dass er am Vertrag nicht weiter festhalten will und das Geleistete zurückverlangt. 2. Anwendbarkeit der Übervorteilung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage Hinsichtlich der Frage, ob die Übervorteilungsvorschrift auf nachträglich veränderte Vertragsumstände analog angewendet werden kann, wurden in der türkischen Lehre vor der Reform des Obligationenrechts verschiedene Ansichten vertreten. Im Meinungsstreit um dieses Problem sind zwei wichtige Positionen hervorzuheben. a) Ansichten in der Literatur aa) Pro Anwendbarkeit Eine Ansicht145 in der Literatur tendierte dazu, Art. 21 tOR a. F. analog anzuwenden, mit der Begründung, dass diese Norm die Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage regelt.

2010, E. 2009/15185, K. 2010/5016; Y.1.HD., 28. 02. 1974, E. 1973/1924, K. 1974/1255. (www.kazanci.com.). 142 Aslan, Gabinin Unsurları ve Hukuki Sonuçları, S. 19 ff.; Elbir, Gabnin Unsurları, S. 1 ff.; Kalkan, Türk Hukukunda Gabin, S. 48; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143; Y.HGK., 24. 01. 1973, E. 1/376, K. 24. (Für diese Entscheidung Karahan, Türk Borçlar Hukuku, C. I, S. 297). 143 Kalkan, Türk Hukukunda Gabin, S. 48. 144 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143. 145 Reichel, Vertragsrücktritt, S. 21, 29 ff.; Fick, ZSR 44 (1925), S. 153 (179); Dural, ˙Imkansızlık, S. 47; Gürsoy, Clausula, S. 28; Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (44).

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Der Gedanke, Art. 21 tOR a. F. im Falle der Entstehung eines Missverhältnisses aufgrund veränderter Umstände analog anzuwenden, entstammte aus der schweizerischen Rechtspraxis und Literatur.146 Wenn sich Art. 21 tOR a. F. auf das offensichtliche Missverhältnis zwischen den Leistungen beim Vertragsabschluss bezog, würde diese Regelung auch bei einem nachträglich auftretenden Missverhältnis, vor allem bei Äquivalenzstörungen zwischen den Vertragsleistungen, Anwendung finden.147 Die Übervorteilungsregelungen könnten angewendet werden, wenn aufgrund der nachträglichen Veränderungen ein offensichtliches Missverhältnis entsteht, welches die Notlage des Schuldners begründet und wenn dieses Missverhältnis die Leistungen betreffend eine starke Ausbeutung darstellt.148 Änderungen der Vertragsumstände nach Vertragsabschluss würden dem Schuldner oftmals die Erbringung der geschuldeten Leistung erschweren und wären ihm damit unzumutbar.149 Das subjektive Element – die Notlagensituation des Schuldners – liege damit vor.150 Mit dieser Ansicht wurde neben dem Institut der Übervorteilung bei Vertragsabschluss eine Übervorteilung nach Vertragsabschluss (lésion subséquente) entwickelt.151 Ähnlich wie beim Grundlagenirrtum bezweckte auch die analoge Anwendung des Art. 21 tOR a. F. die Erweiterung des Anwendungszeitraums bis hin zu Missverständnissen, welche nach Vertragsabschluss eintreten.152 Die Befürworter wandten Art. 21 tOR a. F. mit der Rechtsfolge der Anpassung an, obwohl in der Regelung diese Rechtsfolge nicht ausdrücklich vorgesehen war. Sie stützten ihre Vorgehensweise auf eine Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahre 1997,153 in der das schweizerische Bundesgericht eine Vertragsanpassung als Rechtsfolge für die Übervorteilung gem. Art. 21 sOR zugelassen hatte. Somit sei der Kritikpunkt der unsachgemäßen Rechtsfolge des Art. 21 tOR a. F. aus dem Weg geräumt.154 146

BGE 59 II, S. 378 f.; 67 I, S. 277; Thilo, Clausula, S. 1221 (1223); Reichel, Vertragsrücktritt, S. 21, 29 ff.; Fick, ZSR 44 (1925), S. 153 (179); Akyazan, Ankara Barosu Dergisi 1977, Sa. 1, S. 11 (16); Dural, I˙mkansızlık, S. 47. Dural vertritt nicht die Auffassung, dass die Geschäftsgrundlagenproblematik allein mit der Übervorteilung zu lösen ist. Nach seiner Ansicht bestand eine Gesetzeslücke. Zur Füllung dieser Lücke seien verschiedene gesetzliche Regelungen vorhanden. Die Übervorteilung sei lediglich eine dieser gesetzlichen Regelungen. 147 Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (44). 148 Dog˘anay, Yargıtay Dergisi 1975, S. 23 (44); Fick, ZSR 44 (1925), S. 153 (179). 149 Fick, ZSR 44 (1925), S. 153 (179). 150 Dural, ˙Imkansızlık, S. 47. 151 Reichel, Vertragsrücktritt, S. 21; Dural, ˙Imkansızlık, S. 47; Serozan, I˙fa, S. 229. 152 Fick, ZSR 44 (1925), S. 153 (179). 153 BGE 123 III, S. 292. Mehr Information über Art. 21 sOR Offinger, Ausgewählte Schriften, S. 155 ff. und die Rechtsfolge im schweizerischen Recht, S. 170 f. 154 Die Rechtsfolge der Übervorteilung ist keine Anpassung, sondern eine Anfechtung. Daher sei die Übervorteilung für die Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik nicht geeignet. Der Gedanke, eine Anpassung auf die Übervorteilung zu übertragen, wurde kritisiert, da

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bb) Contra Anwendbarkeit Die Gegenansicht lehnte die Anwendung der Übervorteilungsregelung gem. Art. 21 tOR a. F. auf Fälle nachträglicher Veränderungen der Vertragsumstände ab.155 Die Regelung für die Übervorteilung könne nicht analog angewendet werden, da bei der Übervorteilung der Vertrag als Ganzes angefochten werde und es damit zu einer Alles-oder-nichts-Lösung komme.156 Außerdem habe der Gesetzgeber für den Richter bei der Übervorteilungsnorm keine Einwirkungsmöglichkeit – wie etwa einen Ermessensspielraum – gesetzlich vorgesehen.157 Eine Anpassungsmöglichkeit bei der Übervorteilungsnorm sei nicht vorgesehen, da der Gesetzgeber die Rechtsfolge als numerus clausus vorgesehen habe. Der Bewucherte selbst könne den Vertrag anfechten. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen ermögliche den Parteien die Vertragsanpassung.158 Auch sei die Ausgangssituation beim Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Übervorteilung unterschiedlich. Eine Übervorteilung liege bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vor. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage hingegen entwickle sich erst nach dem Vertragsabschluss eine Situation, die von keiner Partei vorhergesehen und zu vertreten sei. Die Bewertung des subjektiven Elementes sei ebenfalls grundverschieden. Artikel 21 tOR a. F. habe objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale. Nach Art. 21 Abs. 1 tOR a. F. genüge allein das Missverhältnis zwischen den Vertragsleistungen zur Begründung der Unverbindlichkeit des Vertrags noch nicht.159 Neben diesem objektiven Tatbestandsmerkmal bedürfe es zusätzlich immer des subjektiven Tatbestandsmerkmals. Bei der Übervorteilung werde das subjektive Tatbestandssie nicht der Regelung des Gesetzgebers entspreche, welcher ausdrücklich allein die Rechtsfolge der Anfechtung für die Übervorteilung vorgesehen habe. Buz, Batider 1998, C. XIX, S. 51 (53 ff.); Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 466. 155 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 74 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 83, 146 f.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 61; Schmiedlin, Frustration, S. 139; v. Büren, Schweizerisches Obligationenrecht, S. 227; Topuz, Denge Bozulması, S. 131 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (57); Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 21; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143; Torun, Yargıtay Dergisi Ocak-Nisan 1982, S. 410 (421). 156 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 74 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 83; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53; Topuz, Denge Bozulması, S. 131; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143. 157 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137. 158 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 74 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 83, 146; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 61; Schmiedlin, Frustration, S. 139; v. Büren, Schweizerisches Obligationenrecht, S. 227; Topuz, Denge Bozulması, S. 131 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (57); Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 21; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143. 159 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 75; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143.

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merkmal demzufolge an der Ausnutzung, der Notsituation und der Unerfahrenheit festgemacht. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage hingegen werde diesem subjektiven Element dadurch Rechnung getragen, dass auf die Kenntnis der Parteien von den veränderten Umständen abgestellt und gleichzeitig die Zumutbarkeit der Vertragsanpassung für beide Vertragsparteien berücksichtigt wird. Schließlich sei auch die Zwecksetzung beider Rechtsinstitute unterschiedlich. Bei der Übervorteilung solle der Schwächere geschützt werden.160 Der Gesetzgeber versuche bei Art. 21 tOR a. F. nicht in erster Linie das Missverhältnis zwischen den vereinbarten Vertragsleistungen zu vermeiden, sondern vielmehr den Gewinn zu verhindern, den der Gläubiger durch wucherische Ausnutzung der schuldnerischen Unterlegenheitsstellung bei Vertragsabschluss zu erzielen gedachte.161 Die Übervorteilung diene der Einschränkung der Vertragsfreiheit.162 Deshalb könne diese Regelung nicht weit ausgelegt und damit auf eine Anpassung des Vertrags an die veränderten Vertragsumstände angewendet werden. Im Gegensatz zu Art. 21 tOR a. F. würde beim Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen möglichst versucht, dem Vertrag weiter Geltung zu verschaffen. Anders als bei der Übervorteilung sei bei den nachträglichen Änderungen der Vertragsumstände weder die Notlage noch das bewusste Ausnutzen einer bestimmten Situation Voraussetzung.163 Auch sei der Art. 21 tOR a. F. als eine Strafnorm zu betrachten, welche sich gegen den Übervorteilenden richte. Inhaltlich regeln die Voraussetzungen der Übervorteilung und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage demzufolge unterschiedliche juristische Tatbestände. Obwohl die Veränderten Umstände eine Notlage des Schuldners herbeiführen können, würden die anderen Voraussetzungen des Art 21. Abs. 1 tOR a. F.164 fehlen. Weitherhin müssen die Voraussetzungen der Übervorteilung beim Vertragsabschluss entstehen, weshalb der Art. 21. Abs. 1 tOR a. F. auf Fälle veränderter Verhältnisse weder unmittelbar noch analog Anwendung finde.165 Schließlich bestehe ein weiterer Unterschied darin, dass die nachträgliche Veränderung unvorhersehbar geschehe und beide Parteien diese nicht zu vertreten haben.

160

Buz, Batider 1998, C. XIX, S. 51 (66); Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53. Buz, Batider 1998, C. XIX, S. 51 (66); Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53. 162 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 61. 163 Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (57); Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 21; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 143. 164 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 146; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (454a); Topuz, Denge Bozulması, S. 131. 165 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 146; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (454a); Topuz, Denge Bozulması, S. 131. 161

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b) Rechtsprechung Die türkische Rechtsprechung lehnte in ihrer Entscheidung eine analoge Anwendung des Art. 21 tOR a. F. auf nachträglich veränderte Umstände ab.166 In diesem Fall schloss die Klägerin, eine Zement produzierende Firma, einen 5-jährigen Pachtvertrag mit der Stadtverwaltung ab. Aus diesem Grundstück gewann die Klägerin das Grundelement zur Zementherstellung. Nach Ablauf dieser 5 Jahre begehrte die Klägerin die Fortsetzung des Vertrags um ein Jahr. Der Mietzins wurde von einer einberufenen Gutachterkommission auf 115 TL festgesetzt. Trotz dieses Gutachtens wurde das Grundstück per Ausschreibung nach freiem Handelsprinzip angeboten, wobei das Mindestgebot auf 500 TL festgesetzt wurde, zu welcher aber nur die Klägerin als Bieterin angemeldet war, aus Sorge, nicht mehr an das Rohmaterial für den Zement zu gelangen, da es keine Alternativen gegeben habe. Da die Produktion zum Erliegen gekommen wäre, habe die Klägerin in ihrer Notlage den Folge-Pachtvertrag zum überhöhten Preis von 501 TL unterschreiben müssen. Die Klägerin behauptete, dass in dem neuen Pachtvertrag ein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe, da sie sich in einer Notlage befunden habe. Sie verlangte, gestützt auf Treu und Glauben und Art. 21 tOR a. F. (Übervorteilung), eine Anpassung des Pachtvertrages mit der Begründung, dass in einem gegenseitigen Vertrag ein Gleichgewichtsverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen müsse. Die erste Instanz nahm eine Vertragsanpassung über Art. 21 tOR a. F. und die zweite Instanz eine Anpassung über die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor. Wegen dieser unterschiedlichen Ansätze und Lösungswege beider Instanzen wurde der Fall an den Großen Zivilsenat des Kassationshofes weitergeleitet. Der Große Zivilsenat löste diesen Fall über die Übervorteilungsregelung des Art. 21 tOR a. F. mit der für diese Norm vorgesehenen Rechtsfolge der Auflösung. Nach dem Großen Zivilsenat befand sich die Klägerin bei Vertragsabschluss in einer Notsituation, womit der Weg zu Art. 21 tOR a. F. eröffnet sei. Jedoch müsse die Rechtsfolge entgegen der Entscheidung der ersten Instanz die Anfechtung sein, da der Wortlaut des Art. 21 tOR a. F. keine Vertragsanpassung vorsehe. Die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung seien im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Preiserhöhung auf 501 TL bereits bei Vertragsabschluss vorlag und nicht erst nachträglich eingetreten sei. Der Große Zivilsenat betonte in seiner Entscheidung, dass bei Veränderungen nach Vertragsabschluss eine Anpassung des Vertrags an diese veränderten Umstände nur über die Lehre des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht komme. Hierbei wurden die Unterschiede zwischen den Voraussetzungen und Rechtsfolgen beider Rechtsinstitute hervorgehoben. Vor allem sehe das Gesetz als Rechtsfolge in Fällen 166

Y.HGK., 13. 12. 2006, E. 2006/13-784, K. 2006/796. (www.kazanci.com.).

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der Übervorteilung keine Vertragsanpassung vor. An diese Entscheidung des Gesetzgebers mit seinem klaren Wortlaut seien die Gerichte gebunden. c) Stellungnahme Einer analogen Anwendung des Art. 21 tOR a. F. ist nicht zuzustimmen. Die Übervorteilung und das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unterscheiden sich in ihrem Sinn und Zweck und ihren Rechtsfolgen erheblich. Während die Übervorteilung die Vertragsfreiheit einschränkt und dem Schutz des Schwächeren dient, verfolgt der Wegfall der Geschäftsgrundlage die Schaffung einer Vertragsgerechtigkeit unter Beachtung beider Interessen. Die Regelung über Art. 21 tOR a. F. stellte eine Notlösung dar und brachte diese Norm an ihre Grenzen. Sie gewährte dem Ausgebeuteten nur ein Anfechtungsrecht, aber kein Anpassungsrecht. In diesem Zusammenhang räumte der Gesetzgeber dem Richter gemäß Art. 4 und Art. 1 tZGB keinen Ermessensspielraum ein. Der Richter ist nach Art. 138 der türkischen Verfassung unabhängig, muss sich jedoch bei der Entscheidungsfindung an die Verfassung und die Gesetze halten, womit er von der klaren Rechtsfolge des Art. 21 tOR a. F. nicht abweichen darf. Auch wenn bei einer Übervorteilung als Rechtsfolge eine Vertragsanpassung anerkannt würde, so wäre dieses Rechtsinstitut nicht imstande, die Funktionen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vollumfänglich zu übernehmen. Allein die Tatsache, dass zwischen beiden Instituten Parallelen bestehen, kann die Notwendigkeit einer Vorschrift, wie den Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht beseitigen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage erfasst nicht nur die Fälle der Äquivalenzstörung, sondern auch die der Zweckstörung und beschränkt sich im Gegensatz zur Übervorteilung nicht auf synallagmatische Verträge. Ein weiterer Unterschied in den Voraussetzungen liegt in dem subjektiven Element. Dieses wird beim Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht verlangt, wobei die Notlage und Unerfahrenheit einer Partei für den Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Rolle spielen. Aus diesem Grund wäre es richtig, der Ansicht zuzustimmen, die eine analoge Anwendung des Art. 21 tOR ablehnt. Es ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Argumente dieser Ansicht berücksichtigt und sich daran orientiert hat und folglich Art. 138 tOR in das türkische Schuldrecht eingeführt hat. 3. Gegenwärtige Bedeutung der Übervorteilung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Im neuen Obligationenrecht ist auf der einen Seite der Wegfall der Geschäftsgrundlage in Art. 138 tOR, auf der anderen Seite die Übervorteilung gem. Art. 28 tOR geregelt. Im Rahmen der Reform hat der Gesetzgeber aber die

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Rechtsfolge der Übervorteilung verändert und die Vertragsanpassung als Rechtsfolge der Übervorteilung geregelt. Die Neuregelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verdeutlicht trotz der neu eingeführten Anpassungsmöglichkeit in Art. 28 tOR, dass die Übervorteilungsnorm für nachträgliche Änderungen von Umständen nicht ausreichend ist und beide Rechtsinstitute unterschiedlich sind. Der Meinungsstreit hinsichtlich der analogen Anwendung der Übervorteilungsvorschriften auf nachträgliche Änderungen ist durch die Neuregelungen damit obsolet geworden. Im Übrigen hat der Gesetzgeber im Rahmen der Modernisierung den Umfang der Fristen für die Übervorteilung festgesetzt. Eine Anfechtung oder eine Vertragsanpassung kann innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss in Betracht gezogen werden. Diese Fristen sind Ausschlussfristen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen ist nicht an Fristen gebunden. IV. Lösung über die Unmöglichkeit Vor der Schuldrechtsreform wurde stark diskutiert, ob die Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage über das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit sachgerecht gelöst werden können, da das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gesetzlich nicht geregelt war. Hintergrund dieser Überlegungen war die deutsche167 und schweizerische Rechtspraxis,168 welche die Fälle nachträglicher Änderungen vor der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage über die Unmöglichkeit zu lösen versuchten. Vor allem die Bezeichnung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als wirtschaftliche Unmöglichkeit zeigt die Verbindung beider Institute zueinander. Vor allem in der Literatur wurde der Versuch unternommen, die nachträgliche und vom Schuldner nicht zu vertretende Unmöglichkeit mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage in Verbindung zu setzen, um somit die Fälle über eine analoge Anwendung des Art. 117 tOR a. F. zu lösen. Vor der Erörterung dieser Frage mag es hilfreich sein, das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit zu untersuchen, da vor allem dieses Rechtsinstitut Unterschiede zum deutschen Recht aufweist. Der türkische Gesetzgeber hat drei Arten der Unmöglichkeit gesetzlich geregelt: Diese sind die anfängliche Unmöglichkeit in Art. 20 tOR a. F., die nicht zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit in Art. 117 tOR a. F. und die verschuldete Unmöglichkeit in Art. 96 tOR a. F.169 Im Rahmen dieser Arbeit wurde untersucht, inwiefern diese Arten der Unmöglichkeit sich mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage überschneiden und als Rechtsgrundlage für dieses Institut dienen können. 167

RGZ 42, S. 114 ff., RGZ 57, S. 116 ff. BGE 45 II, S. 386 (398); 48 II, S. 242 (251 ff.); 43 II, S. 170 ff; 45 II, S. 386; 47 II, S. 400; 48 II, S. 242; 50 II, S. 256. 169 Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3029, 3031). 168

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1. Lösung über die anfängliche Unmöglichkeit nach Art. 20 tOR a. F. a) Voraussetzungen und Rechtsfolge Die erste Regelung über die Unmöglichkeit im türkischen Recht enthielt Art. 20 tOR a. F. Gemäß Art. 20 Abs. 1 tOR a. F. war ein Vertrag mit einem unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt oder welcher gegen die guten Sitten verstieß nichtig.170 Die anfängliche Unmöglichkeit wurde in Art. 20 Abs. 1 tOR a. F. zu den Inhaltsmängeln des Vertrags gezählt. Wie auch im deutschen Recht musste die Leistung von Anfang an, d. h. zum Zeitpunkt des Vertragabsschlusses, unmöglich sein. Bei der anfänglichen Unmöglichkeit spielte die Unterscheidung zwischen der objektiven und der subjektiven Unmöglichkeit171 eine wichtige Rolle. Für die Geltendmachung der Ungültigkeit musste die anfängliche Unmöglichkeit objektiver Natur sein.172 Damit von einer objektiven Unmöglichkeit die Rede sein konnte, durfte die geschuldete Leistung von niemandem erbracht werden können.173 Eine Regelung der anfänglichen subjektiven Unmöglichkeit sah das türkische Recht nicht vor. Artikel 20 tOR a. F. enthielt zwei unterschiedliche Rechtsfolgen, die Gesamtnichtigkeit gem. Art. 20 Abs. 1 tOR a. F. und die Teilnichtigkeit gem. Art. 20 Abs. 2 tOR a. F.174 Wenn der Mangel demnach bloß einzelne Teile des Vertrags betraf, so waren gem. Art. 20 Abs. 2 tOR a. F. nur diese nichtig, soweit nicht anzunehmen war, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.

170 Bas¸pınar, Borç Sözles¸melerinin Kısmi Butlanı, S. 14; Topuz/Canbolat, AÜHFD 2008, S. 663 (681); Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 69. Nach h. M. sollen hierunter jedoch lediglich die Fälle der anfänglichen, objektiven und dauernden Unmöglichkeit fallen. Bei den übrigen Unmöglichkeitskonstellationen kommen Art. 96 Abs. 1, Art. 117 oder Art. 106 ff. tOR zur Anwendung. Trotz dieser Eingrenzung des Anwendungsbereiches des Art. 20 Abs. 1 tOR kann die Nichtigkeitsfolge rechtspolitisch nicht überzeugen. Dies ist nicht letzlich deshalb so, weil die Übergänge beider Fallgruppen fließend sind und der Eintritt der Unmöglichkeit vor oder kurz nach Vertragabsschluss oftmals vom Zufall abhängt. Daher scheint es nicht gerechtfertigt, bei derart zufälligen Konstellationen unterschiedliche Rechtsfolgen anzunehmen. Serozan, ˙Ifa, S. 153. 171 Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 78. 172 Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 78; Dural, ˙Imkansızlık, S. 81; Tekinay/Akman/ Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 404; Bas¸pınar, Borç Sözles¸melerinin Kısmi Butlanı, S. 119; Topuz/Canbolat, AÜHFD 2008, S. 663 (682). 173 Dural, ˙Imkansızlık, S. 80; Bas¸pınar, Borç Sözles¸melerinin Kısmi Butlanı, S. 120 f.; Topuz/Canbolat, AÜHFD 2008, S. 663 (682). 174 Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 69; Serozan, ˙Ifa, S. 140.

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b) Analoge Anwendung des Art. 20 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage Artikel 20 tOR a. F. war für eine analoge Anwendung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht geeignet.175 Im Rahmen der anfänglichen Unmöglichkeit sei der Vertrag von Anfang an unwirksam, während im Rahmen der nachträglichen Änderung der Vertragsumstände der Vertrag wirksam blieb. Für die anfängliche Unmöglichkeit müsse es sich um eine objektive Unmöglichkeit handeln. Bei der nachträglichen Änderung der Vertragsumstände liege regelmäßig keine objektive Unmöglichkeit vor, da die Leistung durch Dritte erbracht werden könne. Es könne lediglich unter Beachtung der Umstände des konkreten Falles nicht von dem Schuldner erwartet werden, die Leistung zu erbringen. Zudem spiele das Verschulden bei der anfänglichen Unmöglichkeit keine Rolle, wogegen das Verschulden die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ausschließen kann. Auch nach der Schuldrechtsreform war das Verhältnis zwischen der anfänglichen Unmöglichkeit und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen nicht umstritten. 2. Lösung über die nachträglich zu vertretende Unmöglichkeit nach Art. 96 tOR a. F. a) Voraussetzungen und Rechtsfolge Im Obligationenrecht fanden sich Regelungen über die nachträgliche Unmöglichkeit in zwei Vorschriften. Diese zwei Vorschriften waren Art. 96 tOR a. F. über die Abweichung von der Leistung und Art. 117 tOR a. F., welcher einen der Gründe für das Erlöschen des Schuldverhältnisses darstellte. Dabei regelte Art. 96 tOR a. F. die Fälle der nachträglich zu vertretenden Unmöglichkeit, während Art. 117 tOR a. F. die nicht zu vertretende Unmöglichkeit zum Gegenstand hatte. Die Trennung zwischen zu vertretender und nicht zu vertretender nachträglicher Unmöglichkeit in zwei Normen ist dem deutschen Recht fremd.176 Im Fall des Art. 96 tOR a. F. konnte die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden. So hatte der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last fiel.177 Für das Vertretenmüssen des Schuldners war nicht allein das Verschulden seinerseits maßgebend.178 Der Schuldner hatte auch das Verschulden von Hilfspersonen (Art. 100 tOR a. F.) oder die Unmöglichkeit, welche sich im Verzug durch Zufall

175 176 177 178

Bühler, FS Giger, S. 35 (48). Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3031). Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3029). Topuz/Canbolat, AÜHFD 2008, S. 663 (682).

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aufgrund von unerwarteten Umständen ereignet hat (Art. 102 tOR a. F.), zu vertreten.179 b) Analoge Anwendung des Art. 96 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage Die Voraussetzungen des Art. 96 tOR a. F. und die von der Literatur und Rechtsprechung entwickelten und anerkannten Voraussetzungen für die Anpassung des Vertrags wegen veränderter Umstände waren grundlegend verschieden. Im Rahmen der Norm des Art. 96 tOR a. F. hatte der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten. Aus diesem Grund hatte er dem Gläubiger sämtliche durch die Unmöglichkeit entstandenen Schäden zu ersetzen. Art. 96 tOR a. F. kann nicht auf sich nachträglich ändernde Umstände analog angewendet werden, da diese sich im Falle der Änderung der Umstände ohne Zutun beider Vertragsparteien verwirklicht. Die Veränderung der Umstände ist folglich für beide Parteien nicht vorhersehbar. Hatte der Schuldner die sich nachträglich ändernden Umstände jedoch zu vertreten, so kann er ohnehin folgerichtig keine Vertragsanpassung verlangen. Art. 96 tOR a. F. war somit für eine analoge Anwendung und für die Lösung nachträglicher Änderungen der Umstände nicht geeignet. 3. Lösung über die nachträgliche (nicht zu vertretende) Unmöglichkeit nach Art. 117 tOR a. F. a) Voraussetzungen und Rechtsfolge Nach der h. L. war eine Leistung gem. Art. 117 tOR a. F. unmöglich, wenn sie nach Vertragsabschluss dauernd rechtlich oder tatsächlich, teilweise oder vollkommen nicht erbracht werden kann.180 Des Weiteren durfte die Unmöglichkeit nicht vom Schuldner zu vertreten sein. Artikel 117 tOR a. F. setzte voraus, dass sich die Verhältnisse nach Vertragsabschluss derart verändert haben, dass die schuldnerische Leistung nicht mehr erbracht werden kann. Insoweit musste die Leistung zumindest zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses möglich gewesen sein. Die Leistung war i. S. d. Art. 117 tOR a. F. dann unmöglich, wenn der Schuldner die Umstände, die zur Unmöglichkeit geführt haben, nicht zu verantworten hatte. Die Verantwortung des Schuldners hing davon ab, ob er die Veränderung der Verhältnisse bei Vertragsabschluss vorhersehen konnte oder nicht. Konnte der Schuldner vorhersehen oder hätte er bei gehöriger Sorgfalt vorhersehen können, dass er die Leistung unter Umständen nicht wird erbringen können, konnte er sich nicht auf Art. 117 tOR a. F. berufen. 179 180

Topuz/Canbolat, AÜHFD 2008, S. 663 (682). Topuz/Canbolat, AÜHFD 2008, S. 663 (687).

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Gemäß Art. 117 tOR a. F. endete das Schuldverhältnis, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hatte. Die Rechtsfolgen der nachträglichen Unmöglichkeit bezüglich synallagmatischer Verträge waren in der Vorschrift des Art. 117 Abs. 2 tOR a. F. geregelt. Die Vertragspartei, deren Leistungsverpflichtung wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen war, verlor ihren Anspruch auf die Gegenforderung. Hatte eine Vertragspartei ihre Leistung bereits ganz oder teilweise erbracht, so konnte der Leistende nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung seine Leistung zurückverlangen. In diesem Fall war der Rechtsgrund für die Erfüllung der Gegenleistung weggefallen. b) Analoge Anwendung des Art. 117 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage Die analoge Anwendbarkeit des Art. 117 tOR a. F. auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beschäftigte lange Zeit die türkische Rechtsprechung und Literatur, da zwischen beiden Instituten eine große Ähnlichkeit besteht. In beiden Instituten liegt eine nach Vertragsabschluss eingetretene Veränderung der Umstände vor.181 Im türkischen Recht bestand eine grundsätzliche Neigung, die Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit dem Begriff der Unmöglichkeit zu assoziieren. aa) Ansichten in der Literatur (1) Pro Anwendbarkeit Die Befürworter einer analogen Anwendung gingen davon aus, dass die Fälle nachträglicher Änderungen unter die Vorschrift der Unmöglichkeit zu subsumieren sind. Sie definierten den Unmöglichkeitsbegriff sehr weit. Nach dieser Ansicht lag eine Unmöglichkeit i. S. d. Art. 96 und 117 tOR a. F. nicht nur dann vor, wenn der Leistungserfüllung Hindernisse entgegenstanden oder sie vollkommen ausgeschlossen war, sondern auch dann, wenn der Leistungserfüllung derartige Hindernisse entgegenstanden, bei denen die Leistungserbringung zwar möglich, jedoch unzumutbar war.182 Dabei wurde von einer sogenannten relativen Unmöglichkeit gesprochen. In diesem Fall könne der Schuldner die Leistung zwar noch erbringen, jedoch sei dies mit derartigen Erfüllungsanstrengungen verbunden, dass ihm die Leistungserbringung nach Treu und Glauben (Art. 2 tZGB) nicht zugemutet werden könne.183 Die Unmöglichkeit war nach dieser Literaturmeinung somit ein vom konkreten Vertragsverhältnis stark abhängiger, normativer Begriff.184 Ein solcher Fall wurde beispielsweise dann angenommen, wenn ein gekaufter Ring ins Meer fällt und dessen Bergung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Neben finanziellen 181 182 183 184

Serozan, ˙Ifa, S. 220. Gürsoy, Clausula, S. 23; Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (193). Gürsoy, Clausula, S. 23; Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (193). Gürsoy, Clausula, S. 23; Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (193).

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Aufwendungen seien bei der Unverhältnismäßigkeit auch technische und organisatorische Aufwendungen zu beachten. Bei persönlichen Leistungspflichten fielen hingegen der Gesundheitszustand, das Alter des Schuldners, die moralische, aber auch die psychische Unzumutbarkeit ins Gewicht. Die nachträgliche Änderung der Vertragsumstände führe zu einer unzumutbaren Leistungserbringung, obwohl die Leistung unter veränderten Umständen in den meisten Fällen von allen anderen erbracht werden könne. Allerdings sei der Schuldner nicht mehr in der Lage, seine vertraglichen Pflichten ohne die Gefahr schwerwiegender Konsequenzen zu erfüllen. In einer solchen Situation müsse der Grundsatz von Treu und Glauben berücksichtigt werden, da er einen gerechten Maßstab zum Schutz beider Parteien anbiete. Dadurch könne neben der Bewertung des wirtschaftlichen Risikos des Schuldners auch ausreichend berücksichtigt werden, ob der Schuldner alles seinerseits Erforderliche und Zumutbare erbracht habe. Erst wenn die Erfüllung der Leistungspflichten über das für den Schuldner Zumutbare hinausgehe, solle die Erbringung der geschuldeten Leistung unmöglich geworden sein.185 Die Schuld habe sich aus wirtschaftlicher Sicht derart geändert, dass an ihrer Erfüllung kein Interesse mehr bestehen könne. Ein Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit läge dabei aber erst dann vor, wenn die Leistungserbringung mit schweren wirtschaftlichen Folgen verbunden sei. Die nachträgliche Änderung der Vertragsumstände, die schwerwiegende wirtschaftliche Folgen befürchten ließe, müsse dann aber als Erlöschungsgrund angesehen werden.186 Diese Ansicht im türkischen Recht stützte sich auf die gerichtlichen Entscheidungen der deutschen187 und der schweizerischen Rechtsprechung.188 Sowohl im deutschen als auch im schweizerischen Recht wurden die Probleme, die durch nachträgliche Änderung der Vertragsumstände auftraten, über das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit gelöst. Den Entscheidungen nach dem ersten Weltkrieg ist zu entnehmen, dass sich die schweizerischen Gerichte auf den weiten Unmöglichkeitsbegriff gestützt haben.189 Vor allem in frühen Entscheidungen ließ der schweizerische Bundesgerichtshof eine relative Unmöglichkeit genügen, um Art. 119 sOR zu bejahen und den Schuldner folglich von seiner Leistungspflicht zu befreien. (2) Contra Anwendbarkeit Die Lösung über das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit wurde stark kritisiert. Eine weite Auslegung des Unmöglichkeitsbegriffs wurde abgelehnt.190 Den Ausgangs185

Gürsoy, Clausula, S. 23; Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (193). Kälin, Recht 2004, S. 246 (256). 187 RGZ 42, S. 114 ff., RGZ 57, S. 116 ff. 188 BGE 45 II, S. 386 (398); 48 II, S. 242 (251 ff.). 189 BGE 43 II, S. 170 ff.; 45 II, S. 386; 47 II, S. 400; 48 II, S. 242; 50 II, S. 256. 190 Alpagut, I˙s¸lem Temelinin C¸ökmesi, S. 15; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 124 ff.; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 128 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 25, 88 ff.; Gürsoy, Clausula, S. 26 ff.; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (55); Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 60 ff.; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 16; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (415a); Caytas, Unerfüllbarer Vertrag, S. 206; Topuz, Denge Bozulması, S. 122 ff. 186

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

punkt dieser Kritik bildet die Überlegung, dass bei nachträglicher Änderung der Vertragsumstände keine Unmöglichkeit der Leistung eintrete, sondern lediglich eine erhebliche Leistungserschwerung vorliege.191 Im Fall der Leistungserschwerung bestehe der entscheidende Unterschied zur Unmöglichkeit darin, dass die Leistung noch erfüllbar sei.192 Eine Unmöglichkeit i. S. d. Art. 117 tOR a. F. decke sich mit dem logischen Begriff der Unmöglichkeit und liege somit nur vor, wenn die Leistungserfüllung tatsächlich auch nicht mehr möglich sei. Eine Ausdehnung des Begriffs der Unmöglichkeit sprenge den Anwendungsbereich und würde die Grenzen des Begriffs der Unmöglichkeit verwässern. Des Weiteren widerspreche es dem Sinn und Zweck des Unmöglichkeitsbegriffs, die Unmöglichkeit in den Fällen der nachträglichen Änderungen der Umstände anzuwenden. Die oben dargestellte Unzumutbarkeit sei folglich keine Frage der Unmöglichkeit, sondern solle bei Vorliegen der in der Literatur anerkannten Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage (clausula rebus sic stantibus) über dieses Rechtsinstitut zu lösen sein. Der Richter könne in solchen Fällen dann die nachträglichen Veränderungen an den Vertrag anpassen.193 Auf die Bewertung, ob die Leistung zumutbar oder unzumutbar ist, komme es bei Art. 117 nicht an.194 Im Rahmen der Unmöglichkeit liege der Grund für die Leistungsbefreiung des Schuldners darin, dass die Befriedigung des Gläubigers nicht mehr möglich sei; im Gegensatz hierzu bestehe im Rahmen einer nicht unerheblichen Leistungserschwerung noch die Möglichkeit zur Befriedigung des Gläubigers. Die Gleichbehandlung dieser Fälle trotz dieses beachtlichen Unterschiedes habe dann zur Folge, dass der Unmöglichkeitsbegriff des Art. 117 tOR a. F. entkräftet werden würde.195 Kritikwürdig sei auch, dass man versuche, zwischen der Störung des Gleichgewichts in einem außergewöhnlichen Maße und der Unmöglichkeit der Leistung eine Verbindung herzustellen, die de facto nicht bestehe.196 Gerade die fiktive Verbindung zwischen den Fällen der Unmöglichkeit und der Leistungserschwerung über den Begriff der wirtschaftlichen Unmöglichkeit beweise, dass in Wirklichkeit keine Unmöglichkeit vorliege.197 Vielmehr versuche man in diesen Fällen, die Rechtsfolgen einer Unmöglichkeit herbeizuführen, um ein gerechteres Ergebnis zu erzielen.198 Dabei werde aber schon auf der Rechtsfolgenseite verkannt, dass die Befreiung von den Leistungspflichten sowohl für den Gläubiger als auch für den Schuldner Nachteile bringe. Begründet wurde der Nachteil auf Seiten des Schuldners 191 Topuz, Denge Bozulması, S. 122 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 127 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 25, 88 ff.; Kälin, Recht 2004, S. 246 (253 ff.). 192 Dural, ˙Imkansızlık, S. 89; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 125. 193 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 124 f.; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 95, 105. 194 Gürsoy, Clausula, S. 126 f. 195 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 72; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (55). 196 Dural, ˙Imkansızlık, S. 26, 89. 197 Dural, ˙Imkansızlık, S. 26, 89. 198 Dural, ˙Imkansızlık, S. 26.

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damit, dass die Behandlung über die Vorschriften der Unmöglichkeit den Schuldner in einigen Fällen viel mehr schützen würde, als es der Schuldner für sich beanspruchen wolle.199 Nehme man dem Schuldner die Möglichkeit, seine Leistung zu erfüllen und damit die Wahl zwischen Erfüllung oder Nichterfüllung, so sei dies vielmehr eine Befreiung von der Schuld außerhalb seines eigentlichen Willens.200 Infolge der Anwendung der Unmöglichkeitsvorschriften bei nachträglicher Leistungserschwerung entstehe also ein aufgedrängter Schutz, der auch der ursprünglichen Zielsetzung der Behandlung im Bereich der Unmöglichkeit widerspräche. Schließlich bestehe auf Seiten des Schuldners, trotz einer Leistungserschwerung, in vielen Fällen noch ein Interesse seine Leistung zu erfüllen. Der Begriff der wirtschaftlichen Unmöglichkeit passe auch nicht in die Systematik der Unmöglichkeit. Die mangelnde Gleichstellung ergebe sich auch in systematischer Hinsicht mit Blick auf Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. war im Bereich des Werkvertrags eine Spezialnorm, die nachträgliche Veränderung der Umstände regelte. Das Verhältnis zwischen dieser Norm und Art. 117 tOR a. F. könne als allgemeiner Maßstab für die Bewertung des Verhältnisses zwischen der Unmöglichkeit und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage herangezogen werden. In der türkischen Literatur war anerkannt, dass der Anwendungsbereich des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. nur die Fälle umfasse, die eine nicht unerhebliche Leistungserschwerung mit sich brächten, während im Falle der Unmöglichkeit einer Leistung die allgemeine Vorschrift des Art. 117 tOR a. F. einschlägig sein solle. Für eine Analogie einer der beiden Normen auf Fälle nachträglicher Änderungen der Umstände bestehe kein Raum. Indem der Gesetzgeber in Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. die Anpassung an die geänderten Umstände (Erhöhung des Preises) geregelt habe, solle mangels planwidriger Regelungslücke eine analoge Anwendung der Unmöglichkeitsvorschriften nicht in Betracht kommen.201 Zwar sei der Wortlaut des Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. „die Verhinderung der Leistungserfüllung“ irreführend, Art. 365 tOR a. F. erfasse aber lediglich die Fälle, in welchen die Leistung zu den vertraglich vereinbarten Kosten nicht erbracht werden könne. Folglich handle es sich nur um eine Leistungserschwerung.202 Entweder liege eine Leistungserschwerung oder eine Unmöglichkeit vor, da sich beide Institute gegenseitig ausschließen. Auch im Hinblick auf die Rechtsfolge würden sich die beiden Institute unterscheiden. Im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage werde gerade die Anpassung des Vertrags an die sich ändernden Umstände geltend gemacht, weil die Erfüllung der Leistung im Gegensatz zur Unmöglichkeit eben noch möglich sei, jedoch nur unter 199

S. 27.

Dural, ˙Imkansızlık, S. 26; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123; Gürsoy, Clausula,

Dural, ˙Imkansızlık, S. 26 f. Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 81 ff. 202 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 81 ff.; Tandog˘an, Borçlar Hukuku Özel Hükümler, C. II, S. 246. 200

201

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erschwert haltbaren Bedingungen. Eine direkte Anwendung der Unmöglichkeitsvorschriften komme nicht in Betracht. Auch die analoge Anwendung sei mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen zweifelhaft. Die Unmöglichkeit habe schließlich das Erlöschen des Vertrags zur Folge, während im Rahmen der Anpassung der Vertrag unter geänderten Bedingungen aufrechterhalten werde.203 bb) Rechtsprechung Die Rechtsprechung versuchte auch, die Geschäftsgrundlagenproblematik in der Zeit von 1970 bis 1980 über die Unmöglichkeitsregeln zu lösen.204 In diesem Zusammenhang wurde in der türkischen Rechtsprechung diskutiert, ob der Wegfall der Geschäftsgrundlage eine höhere Gewalt darstelle und somit als nachträgliche, nicht zu vertretende Unmöglichkeit zu bewerten war. Der Große Zivilsenat versuchte beispielsweise in seiner Entscheidung vom 17. 10. 1980 die Änderung nachträglicher Umstände aufgrund von Deflation mit überwiegender Mehrheit über die Unmöglichkeitsregel gem. Art. 117 tOR a. F. zu lösen.205 Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zwischen den Parteien wurde die Lieferung von Reifen aus dem Ausland innerhalb von zehn Monaten vereinbart. Der Schuldner geriet mit seiner Leistung in Verzug. Aufgrund der folgenden Deflation und dem damit verbundenen Anstieg, unter anderem der Zollpreise und dem Wertanstieg der Fremdwährungen, konnte der Schuldner seine Leistung nicht mehr erbringen. Der Kassationshof beschäftigte sich nunmehr mit der Frage, ob dieser Umstand den Tatbestand der Unmöglichkeit erfüllt und ob dieser unvorhergesehene Umstand als höhere Gewalt zu bewerten ist. Mit der Begründung der Vorhersehbarkeit und dem damit verbundenen eigenen Verschulden lehnte der Große Zivilsenat das Vorliegen einer Unmöglichkeit gem. Art. 117 tOR a. F. ab und verurteilte den Schuldner zur Zahlung der vereinbarten Leistung. Ein Mitglied des Großen Senats lehnte diese Vorgehensweise jedoch ab und betonte, dass der vorliegende Sachverhalt den Grundfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage darstelle. In Anbetracht der schweizerischen Rechtsordnung entstamme die Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik dem Grundsatz von Treu und Glauben und nicht den Unmöglichkeitsregeln. Der Umstand der Deflation und der damit verbundenen Folgen müssten bei der rechtlichen Beurteilung Beachtung finden, jedoch nicht im Rahmen des Art. 117 tOR a. F. 203 Dural, ˙Imkansızlık, S. 28; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 124; Topuz, Denge Bozulması, S. 123 f.; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 70. 204 Y.4.HD., 24. 02. 1970, E. 1669/12400, K. 1970/1455; Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/ 5000, K. 1975/891; Y.4.HD., 10. 10. 1978, E. 1281, K. 11161; Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/ 11-773, K. 1980/2310. (Für die Entscheidungen: www.kazanci.com.). 205 Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/11-773, K. 1980/2310. (Für die Entscheidung: www.kazanci.com.).

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In den Entscheidungen der türkischen Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg ist zu erkennen, dass sie nachträgliche Änderungen als höhere Gewalt bewertete und sie auf diesem Wege unter die Unmöglichkeitsregeln subsumierte.206 Der Kassationshof hat folglich in seiner Entscheidung versucht, den Unterschied zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Unmöglichkeit herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang diskutierte die Rechtsprechung im Folgenden in einigen ihrer Entscheidungen die Unterschiede zwischen Art. 117 tOR a. F. und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. In einer Entscheidung207 schlossen der Kläger und der Beklagte einen Mietvertrag für die Dauer von zehn Jahren. Der Mietzins wurde auf 15.000 TL festgesetzt, wobei die Heizkosten im Mietzins enthalten waren. Nach Vertragsabschluss kam es zu einem erheblichen Preisanstieg für Rohöl, sodass der Mietzins in Höhe von 15.000 TL gerade die Heizkosten abdecken konnte. Der Kläger verlangte die Anpassung und damit die Erhöhung des Mietzinses auf 30.000 TL, weil die eingetretene Änderung der Vertragsumstände ihn auf unzumutbare Weise belastet habe. In der ersten Instanz wies das Gericht die Klage wegen Unzuständigkeit ab. Begründet wurde dies damit, dass das Gericht für die Feststellung des Mietpreises nicht zuständig sei. Für die Feststellung des Mietpreises seien die Friedensgerichte208 zuständig. Der Kassationshof stellte fest, dass für diese Klage die erste Instanz zuständig sein muss, da hier nicht die Bestimmung des Mietpreises, sondern die Anpassung des Vertrags in Betracht komme. Der Kassationshof versuchte im Rahmen dieser Klage den Unterschied zwischen der Unmöglichkeit und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage zu verdeutlichen. Während die Unmöglichkeit der Leistungserfüllung zur Auflösung des Vertrags führe, ermögliche die Anpassung unabhängig vom Verschulden der Parteien primär die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände. Im Falle der Unmöglichkeit sei eine Leistungserfüllung rein theoretisch nicht mehr möglich. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen regele Fälle, in denen die Leistungserfüllung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße, die somit rein praktisch noch erfüllbar seien. Die Rechtsprechung betonte, dass es von großer Bedeutung sei, dass das Institut der Unmöglichkeit nicht mit einer Leistungserschwerung gleichgesetzt werden kann. Werde nach dem Abschluss des Vertrags die Leistung unmöglich, ohne dass ein 206 Beispiel: Der frühe Wintereinbruch, welcher zur Erhöhung der Fleischpreise führte, bewertete die Rechtsprechung als höhere Gewalt, Yargıtay, 22. 09. 1943, K. 1677, (Gürsoy, Clausula, S. 77); Y.HGK., 28. 03. 1945, K. 23 (detailliert in: Gürsoy, Clausula, S. 83) im türkischen Rechtssystem sind ältere Entscheidungen nicht öffentlich einsehbar. Daher der Quellenverweis auf Gürsoy, der sich mit dieser Entscheidung beschäftigt.). 207 Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/147, K. 1981/932. Der Kassationshof hat in seinen weiteren Entscheidungen auch betont, dass beide Institute unterschiedlich sind. Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/147, K. 1981/932; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1990/8708. 208 Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/11-773, K. 1980/2310.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Verschulden des Schuldners vorliege, werde in diesem Fall die Schuldbeziehung beendet (Art. 117 tOR a. F.). Die Schuld bleibe aber bestehen, wenn eine enorme Leistungserschwerung eintrete, sodass dieser Fall nicht in den Anwendungsbereich des Art. 117 tOR a. F. falle. Es sei von großer Bedeutung, dass das Institut der Unmöglichkeit nicht mit einer Leistungserschwerung gleichgesetzt werde. Die Umstände, welche die finanziellen Bedingungen des Vertrags und das Verhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung auf eine gravierende Art und Weise störten, werden auch unvorhersehbare Umstände genannt. Unvorhersehbare Umstände seien tatsächliche Umstände, welche die finanziellen Bedingungen des Vertrags aus dem Gleichgewicht bringen. Sie seien außergewöhnlich, nicht vorhersehbar und auch nicht von den Parteien verursacht. Hätte der Schuldner die Umstände vorhersehen können, würde er den Vertrag nicht in dieser Form abgeschlossen haben. Es würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, würde man von ihm verlangen, die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Unvorhersehbare Umstände seien grundsätzlich Gründe, die die Erfüllung der Leistung und der Schuld erschweren. Die Fälle der Unmöglichkeit hingegen würden bewirken, dass die Leistung nicht erfüllt werden könne. Das Gericht betonte, dass in der türkischen Rechtsordnung keine allgemeine Regelung existiere, welche die Überprüfung des Vertrags in den Fällen ermöglichte, in denen sich die Umstände unvorhersehbar änderten und zu einer außerordentlichen Leistungserschwerung führten. Nur in einzelnen Normen seien Regelungen für bestimmte Vertragsarten vorhanden. Diese seien beispielsweise: Art. 82, 264, 282, 286, 344, 365/2, 517/1, 535/7 tOR a. F. Aus den genannten Gründen hat der Kassationshof festgestellt, dass es in den Fällen veränderter Umstände eine Lücke im türkischen Recht gab, und diese Lücke mit Hilfe von Art. 1, 4 und 2 tZGB geschlossen werden müsse. cc) Stellungnahme Zutreffend ist, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht mit den Regelungen zur Unmöglichkeit gelöst werden kann. Im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage liegt keine wirkliche Unmöglichkeit vor, da die Leistung weiterhin erfüllbar bleibt. Es wird zwar eingeräumt, dass zwischen den Unmöglichkeitsregeln und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage Ähnlichkeiten bestehen. Diese Ähnlichkeiten können jedoch nicht dazu berechtigen, nachträgliche Änderungen über die Unmöglichkeitsregeln zu lösen und so die Partei durch die strengen Rechtsfolgen der Unmöglichkeitsnormen zu benachteiligen. Dies widerspricht dem Gesetzeszweck, welcher ein Gleichgewicht innerhalb vertraglicher Verhältnisse schaffen, aber gleichzeitig auch die Parteien schützen will. Die Ansichten in der Literatur erhoben den Einwand, dass in den Fällen der unzumutbaren Leistungserbringung wertungsmäßig eine Qualifizierung als Un-

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möglichkeit aus Billigkeitsgründen unausweichlich gewesen sei. Bei der Bewertung der Änderung der Vertragsumstände müsse daher der Grundsatz von Treu und Glauben herangezogen werden, und bei tatsächlicher Unzumutbarkeit der Leistungserbringung durch den Schuldner müsse dies als ein Fall der Unmöglichkeit angenommen werden. Problematisch bleibt jedoch, dass die mit der Rechtsfolge der Unmöglichkeit verbundene Auflösung des Vertrags ein nicht gerechtes und damit unbilliges Ergebnis für den Gläubiger des Vertrags mit sich bringt. Der Gläubiger ist grundsätzlich in Bezug auf die Bindung der vertraglich begründeten Pflichten im Licht des Grundsatzes pacta sunt servanda schutzwürdig. Zwischen dieser Schutzwürdigkeit des Gläubigers und der grundlegenden existenziellen Betroffenheit des Schuldners besteht also ein Spannungsverhältnis. Die Lösung über die Unmöglichkeitsregeln zwingt zur Auflösung des Vertrags, was nicht immer im Interesse beider Parteien liegen muss. Durch die Beendigung des Schuldverhältnisses erlischt auch der Gegenanspruch des Schuldners. Die Unmöglichkeitsregeln bieten folglich nicht den ausreichenden Schutz für beide Parteien. Durch eine Anpassung kann dagegen beiden Interessen hinreichend Rechnung getragen werden und das Spannungsverhältnis durch eine billige und interessengerechte Lösung aufgelöst werden. Der Gesetzgeber ist sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform zudem bei der Normierung der Unmöglichkeitsregelungen von einem engen Anwendungsbereich ausgegangen. Diese Auslegung des Unmöglichkeitsbegriffs folgt bereits aus dem Umstand, dass aus dem Wortlaut der Unmöglichkeitsnormen nicht einmal eine Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Unmöglichkeit erkennbar ist. Diese Unterteilung ist dagegen im deutschen Recht aus dem Wortlaut ausdrücklich erkennbar. Den Anwendungsbereich auf unzumutbare Situationen bei Leistungserschwerungen aufgrund nachträglich eingetretener Änderungen auszudehnen, widerspricht damit dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck. Auch der deutsche Gesetzgeber hat, trotz einer im Gegensatz zum türkischen Recht weiten Auslegung des Unmöglichkeitsbegriffs, eine Normierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für erforderlich gehalten und nachträgliche Änderungen nicht über die Unmöglichkeitsregeln gelöst. Der weite Anwendungsbereich ergibt sich im deutschen Recht direkt aus dem Wortlaut des § 275 Abs. 2 BGB, welcher die unzumutbare Situation ausdrücklich regelt und sie unter die Unmöglichkeitsvorschriften subsumiert. Dies verdeutlicht, dass trotz bestehender Ähnlichkeiten für den Wegfall der Geschäftsgrundlage und die Unmöglichkeit unterschiedliche Vorschriften gelten und dass sie auch unterschiedliche Umstände regeln, demzufolge ist eine separate Regelung erforderlich. Durch die Regelung des Art. 138 tOR verlor dieser Meinungsstreit seine Aktualität.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

4. Gegenwärtige Bedeutung der Unmöglichkeit für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Auch mit der Schuldrechtsmodernisierung wurde weiterhin an der oben dargestellten Unmöglichkeitssystematik festgehalten. So wurde wieder zwischen der anfänglichen und nachträglichen Unmöglichkeit differenziert, indem die anfängliche Unmöglichkeit in Art. 27 tOR209 und die nachträgliche in Art. 136 tOR210 und Art. 112 tOR211 geregelt wurden. Unmittelbar nach den Unmöglichkeitsvorschriften ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage in Art. 138 tOR geregelt. Die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage lässt die Aktualität des Meinungsstreits hinsichtlich der analogen Anwendung der Unmöglichkeitsregeln auf nachträgliche Änderungen entfallen. Der Gesetzgeber hat sowohl die Unmöglichkeit als auch den Wegfall der Geschäftsgrundlage in verschiedene Regelungen aufgenommen. Schließlich hat er zum Ausdruck gebracht, dass er eine analoge Anwendung ablehne. Des Weiteren hat der Gesetzgeber die Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anders geregelt und so wieder hervorgehoben, dass im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in erster Linie die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände in Betracht zu ziehen ist. Kann eine solche Anpassung nicht vorgenommen werden, ist der Weg offen, den Vertrag aufzuheben. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber Art. 138 tOR direkt nach den Vorschriften der Unmöglichkeit geregelt. Das macht deutlich, dass der Gesetzgeber an dem Gedanken der Nähe beider Institute weiterhin festhält. Diese systematische Einordnung des Art. 138 tOR widerspricht der Systematik des deutschen Zivilgesetzes. Im türkischen Recht ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage im Abschnitt Erlöschen der Obligationen und Verjährung geregelt. Im deutschen Recht dagegen ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage im Abschnitt 3 unter dem Titel „Anpassung und Beendigung von Verträgen“ geregelt und steht in keinem Zusammenhang mit den Unmöglichkeitsnormen oder den Erlöschensgründen aus Abschnitt 4 des Zivilgesetzbuchs. Die systematische Einordnung im türkischen Recht steht bei genauerer Betrachtung im Widerspruch zu der Primärrechtsfolge der Anpassung und somit dem Zweck des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Eine unmittelbare Eingliederung an die Unmöglichkeitsvorschriften kann zu der verwirrenden Annahme führen, Art. 138 tOR sei entsprechend den Unmöglichkeitsnormen mit der Rechtsfolge des Erlöschens des Vertrags ebenso primär eine Erlöschensvorschrift.212

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Statt Art. 20 altes OR. Statt Art. 117 altes OR. 211 Statt Art. 96 altes OR. 212 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 91; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘luIs¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na I˙lis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84; Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (47). 210

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Die systematische Einordnung des Art. 138 tOR wird im Kapitel 3 nebst Kritiken und Verbesserungsvorschlägen näher erläutert. Im Gegensatz zum deutschen Zivilrecht gibt es im türkischen Recht seit der Schuldrechtsreform keine Abgrenzungsprobleme zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Unmöglichkeitsregeln. V. Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben auf Fälle geänderter Umstände Der Grundsatz von Treu und Glauben kann als das Verhalten einer Person, welches von einem ehrbaren und anständigen Menschen erwartet wird und auch erwartet werden kann, definiert werden.213 In Art. 2 tZGB ist der Grundsatz von Treu und Glauben verankert. Der Gesetzgeber hat das türkische Zivilgesetzbuch schon im Jahre 2002 reformiert. Auch wenn der Grundsatz von Treu und Glauben im Zivilgesetzbuch geregelt ist, stellt er dennoch einen Grundsatz dar, der darüber hinaus auch auf alle schuldrechtlichen Beziehungen im Obligationenrecht Anwendung findet. Dies wird dadurch gewährleistet, dass der Gesetzgeber in Art. 5 tZGB die Geltung der Vorschriften des tZGB auf alle zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse vorsieht. Der Grundsatz von Treu und Glauben stellt eine allgemeine Regelung dar, die auf alle rechtsgeschäftlichen Beziehungen Anwendung findet, sodass auch Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der Praxis am ehesten mit dem Grundsatz von Treu und Glauben zu lösen waren. Dies wurde sowohl teilweise von der Rechtsprechung als auch von der Literatur befürwortet. Dieser Lösungsweg findet seine Parallelen auch im deutschen Recht.214Artikel 2 tZGB ist eine Generalklausel, die der Konkretisierung durch den Rechtsanwender bedürfe.215 Durch die systematische Einordnung des Art. 2 tZGB an den Anfang des Zivilgesetzbuches werde deutlich, dass die Wertungen dieser Vorschrift für den gesamten Rechtsverkehr gelten sollen. Der Grundsatz von Treu und Glauben umfasst die sich aus Gewohnheitsrecht, Gesetz, Moral und Sittlichkeit ergebenden Wertvorstellungen.216 Artikel 2 Abs. 1 tZGB ist im Verhältnis zu anderen Spezialnormen wie auch im deutschen Recht subsidiär.217 1. Literatur Hinsichtlich der Frage, ob der Grundsatz von Treu und Glauben eine ausreichende gesetzliche Regelung für die Lösung nachträglich eingetretener Änderungen der Umstände bot, gingen die Meinungen in der türkischen Literatur auseinander. 213 214 215 216 217

Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 253. Belling/Köksal, Yasa Hukuk 1996, C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1487 f.). Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 254; I˙mre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (185). Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 253; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (185). Akyol, Dürüstlük, S. 15; Edis, Mahmut Kolog˘lu’ya Armag˘an, S. 447 (448).

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

a) Befürwortende Ansicht In der Literatur wurde zur Lösung nachträglicher Änderungen von Umständen der Grundsatz von Treu und Glauben herangezogen.218 Die Lösungsansätze über die Übervorteilungs- oder Unmöglichkeitsregelungen konnten keine befriedigenden Ergebnisse bieten. Im Unterschied zum Grundsatz von Treu und Glauben handele es sich bei diesen um Spezialnormen, deren Rechtsfolgen beschränkt und somit für den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht geeignet seien. Artikel 2 tZGB dagegen berücksichtige mit seinem allgemeinen Tatbestand und seiner allgemeinen Rechtsfolge alle Fälle nachträglicher Änderungen und biete somit befriedigendere, die Interessen beider Parteien beachtende Lösungen.219 Wenn die Umstände sich jedoch nach dem Vertragsabschluss derart verändern, dass es zu einer erheblichen Leistungserschwerung für den Schuldner kommt, stelle das Verlangen des Gläubigers nach Erfüllung der ursprünglichen Leistung einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar. In diesem Fall könne der Schuldner die Anpassung des Vertrags an die geänderten Umstände oder aber die Beendigung des Vertragsverhältnisses verlangen.220 Treten jedoch unvorhersehbare und unerwartete Umstände ein, die das vertragliche Gleichgewicht zulasten einer Partei verschieben, sei das strikte Festhalten an dem Grundsatz pacta sunt servanda, mit der Folge einer Weiterführung des Vertrags, als ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben anzusehen.221 Diese Ansicht verwies auf die deutsche und schweizerische Rechtspraxis.222 Sowohl im deutschen als auch im schweizerischen Zivilrecht wurde die nachträgliche Änderung über den Grundsatz von Treu und Glauben gelöst. Aufgrund der Tatsache, dass das türkische Zivilrecht vom schweizerischen Zivilrecht übernommen wurde, müsse diesem Lösungsweg gefolgt werden. Nach h. L. im türkischen sowie im schweizerischen Recht entsprach es dem Grundsatz von Treu und Glauben aus Art. 2 Abs. 1 tZGB, die vertragliche Vereinbarung noch einmal zu überdenken, wenn infolge der unvorhersehbaren Verände-

218 Akyol, Dürüstlük, S. 83 ff.; Belling/Köksal, Yasa Hukuk 1996, C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1488); Gürsoy, Clausula, S. 34 ff.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54 ff.; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (190); Hatemi, Hukuka ve Ahlaka Aykırılık, S. 197; Torun, Yargıtay Dergisi Ocak-Nisan 1982, S. 410 (422 f.); Og˘uzman, Yas¸ar Karayalçın’a Armag˘an, S. 407 (407). 219 Belling/Köksal, Yasa Hukuk 1996, C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1488); Gürsoy, Clausula, S. 34; Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 254. 220 Belling/Köksal, Yasa Hukuk 1996, C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1488); Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 55 f.; Gürsoy, Clausula, S. 34; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 65 f.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 70 ff.; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 148; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 156. 221 Belling/Köksal, Yasa Hukuk 1996, C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1488); Seliçi, Müteahhidin Sorumlulug˘u, S. 55; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 156. 222 BGE 97 II, S. 390 ff; 100 II, S. 345 ff.

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rungen der Umstände das Vertragsverhältnis und das Gleichgewicht zwischen den Leistungen gestört war.223 Ferner wurde vertreten, dass eine spezielle Norm für die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände nicht erforderlich sei, da Art. 2 tZGB im türkischen Rechtssystem eine allgemeine Regelung für die Anpassung des Vertrags enthielt. Dabei wurde argumentiert, dass sich dieser Artikel und der Grundsatz von Treu und Glauben im türkischen Recht – im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen – unterscheiden und viel detaillierter waren.224 Der Grundsatz von Treu und Glauben ermögliche eine Anpassung von Verträgen auf dem Gebiet des gesamten Privatrechts. Aufgrund des generellen Verweises aus Art. 5 tZGB gelte der Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur bei der Anwendung des geschriebenen Rechts, sondern darüber hinaus auch bei der Anwendung des Gewohnheitsrechts, das sich aus den Sitten und Gepflogenheiten sowie der richterlichen Rechtsfortbildung ergebe.225 Zudem sei Art. 2 tZGB eine zwingende Norm, die von Amts wegen zu berücksichtigen sei und somit ohne das Zutun der Parteien ausreichenden Schutz biete. Vor allem im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses genießen die Parteien gem. Art. 2 tZGB aufgrund der Komplexität dieser Schuldverhältnisse den erforderlichen Schutz.226 Der Schutz dieser Norm gehe soweit, dass sogar am Vertrag nicht beteiligte Dritte vom Schutzbereich umfasst werden. Der Umstand, dass aus dem Grundsatz von Treu und Glauben diverse Pflichten, wie die Aufklärungs-, die Informations- oder die Rücksichtnahmepflicht, entstehen, berechtige dazu, auch die Anpassung nachträglicher Änderungen aus dieser Norm zu entnehmen.227 b) Ablehnende Ansicht Nach einer Ansicht konnte der Grundsatz von Treu und Glauben nicht als dogmatische Begründung für die Anpassung des Vertrags herangezogen werden, da Art. 2 Abs. 1 und 2 tZGB keine zwingenden Normen darstellten.228 Lediglich Art. 19, 20 tOR und Art. 23 tZGB seien als zwingend anzusehen. Danach sei ein Vertrag unwirksam, der gegen das Gesetz, gegen die guten Sitten, gegen das Persönlichkeitsrecht verstößt oder aber von Anfang an unmöglich ist. Die Vertragsparteien können wegen des dispositiven Charakters des Grundsatzes von Treu und 223 Gürsoy, Clausula, S. 34; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 66; Hatemi, Hukuka ve Ahlaka Aykırılık, S. 197; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 882 ff. 224 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 66. 225 Edis, Mahmut Kolog˘lu’ya Armag˘an, S. 448 (449 f.). 226 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54. 227 Akyol, Dürüstlük, S. 9. 228 Topuz, Denge Bozulması, S. 143 f.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Glauben und des Verbots des Rechtsmissbrauchs auf deren Geltung verzichten. Daher könne der Grundsatz von Treu und Glauben nicht als dogmatische Grundlage für nachträgliche Änderungen herangezogen werden.229 Im Übrigen könne nach dieser Ansicht ein Vergleich mit dem deutschen Recht nicht überzeugen. Der § 242 BGB sei im Vergleich zu Art. 2 Abs. 2 tOR weiter und allgemeiner gefasst und daher nicht geeignet, als Maßstab für die Beurteilung des türkischen Rechts zu dienen.230 Der Grundsatz von Treu und Glauben werde durch Art. 2 Abs. 2 tOR einer allgemeinen Schranke unterzogen. Der Rechtsmissbrauch sei in der Norm des § 242 BGB bereits selbst enthalten. Dies verdeutliche, dass im deutschen Recht der Grundsatz von Treu und Glauben durchaus in der Lage sei, als Anspruchsgrundlage für die Lösung von nachträglichen Änderungen herangezogen zu werden, da er alle Umstände einschließlich der Schranken umfasse.231 Artikel 2 Abs. 1 tOR könne zudem nur als Hilfsmittel für eine Auslegung herangezogen werden, wobei bereits das Bedürfnis einer Auslegung fraglich sei, da weder eine auslegungsbedürftige Norm noch ein hypothetischer Parteiwille vorhanden sei.232 Demzufolge können Streitigkeiten bei nachträglichen Änderungen über eine Auslegung nicht gelöst werden. Bei einer nachträglichen Änderung liege vielmehr eine vertragliche und gesetzliche Lücke vor. Um diese Lücke zu schließen, könne der Richter auf den Grundsatz von Treu und Glauben als Hilfsmittel zurückgreifen. Hierbei diene dieser Grundsatz jedoch nicht als Rechtsgrundlage, sondern als Mittel zur Vertragsergänzung.233 2. Rechtsprechung Vor der Kodifizierung des Art. 138 tOR ging die Tendenz der Rechtsprechung dahin, Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage über den Grundsatz von Treu und Glauben zu lösen. Hierbei berücksichtigte der Kassationshof diesen Grundsatz nicht nur zur Erfüllung des Tatbestandes, sondern auch hinsichtlich der Rechtsfolge. In den Zeiten der Wirtschaftskrise bediente sich der Kassationshof des Grundsatzes von Treu und Glauben.234 Der Kassationshof hat in verschiedenen Entscheidungen zu erkennen gegeben, dass nachträgliche Änderungen von Umständen (clausula rebus sic stantibus) 229

Topuz, Denge Bozulması, S. 144. Topuz, Denge Bozulması, S. 137, 140. 231 Topuz, Denge Bozulması, S. 141. 232 Topuz, Denge Bozulması, S. 141. 233 Topuz, Denge Bozulması, S. 142. 234 Y.11.HD., 13. 07. 2006, E. 2005/7970, K. 2006/8381; Y.13.HD., 18. 05. 2005, E. 2005/ 9656, K. 2005/15444; Y.11.HD., 17. 11. 2003, E. 2003/3966, K. 2003/10900; Y.11.HD., 21. 03. 2002, E. 2001/10788, K. 2002/2578; Y.3.HD., 14. 09. 2000, E. 2000/8382, K. 2000/8036; Y.11.HD., 17. 11. 1997, E. 1997/6293, K. 1997/8200; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.HGK., 22. 01. 1958, E. 1958/T-1, K. 1958/7; Y.13.HD., 05. 04. 1995, E. 1995/ 145, K. 1995/3339; Y.HGK., 03. 05. 1995, E. 1995/9-392, K. 1995/494. 230

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Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben seien und die Anpassung des Vertrags erforderlich sei, wenn die Bedingungen dafür vorliegen.235 In seinem Urteil hat der Kassationshof wörtlich ausgeführt, dass, wenn bei gegenseitigen Verträgen das Gleichgewicht zwischen den Leistungen infolge einer unerwarteten Entwicklung gestört sei, nach dem Vertrauensprinzip derjenige, der ein Recht unentgeltlich erwirbt, nicht schutzwürdig sei (Art. 2 tZGB). Dementsprechend müsste der Vertrag zugunsten der belasteten Partei an die veränderten Umstände angepasst werden. Nach der Entscheidung des Großen Zivilsenats des Kassationshofes war im türkischen und schweizerischen Recht auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Lösung zu finden. Im Einklang mit der in der Literatur vertretenen Ansicht könne eine Anpassung des Vertrags auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben erfolgen, und zwar dann, wenn sich die Umstände offensichtlich oder verdeckt ändern (sei es auch nur teilweise) und den Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Folge hätten.236 Die Entscheidung des Kassationshofes237 vom 24. 10. 1994 besagt weiterhin: Wenn die Grundlage des Vertrags gestört sei und nachträglich zwischen der Leistung und Gegenleistung ein starkes Missverhältnis entstehe, sodass die Erfüllung der Leistung für den Schuldner eine Gefährdung seiner Existenz bedeute, so könne die benachteiligte Partei dem Grundsatz aus Art. 2 Abs. 1 tZGB entsprechend die Anpassung des Vertrags verlangen. Der Richter stelle dann in diesem Fall unter Beachtung der Interessen beider Parteien das Gleichgewicht zwischen den Leistungen entsprechend von Treu und Glauben wieder her. Die Ansicht der Rechtsprechung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die Anpassung des Vertrags an veränderte Umstände unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu erfolgen hat. 3. Stellungnahme Der Grundsatz von Treu und Glauben durchzieht das gesamte Zivilrecht wie ein roter Faden. Den Inhalt des Grundsatzes von Treu und Glauben hat der Gesetzgeber in einer Reihe von Vorschriften konkretisiert. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist eine allgemeine Regelung, die in jedem konkreten Einzelfall zu berücksichtigen ist. In der türkischen Rechtslehre ist allgemein anerkannt, dass sich eine Reihe von Nebenpflichten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben. Das Verlangen 235 Y.11.HD., 13. 07. 2006, E. 2005/7970, K. 2006/8381; Y.13.HD., 18. 05. 2005, E. 2005/ 9656, K. 2005/15444; Y.11.HD., 17. 11. 2003, E. 2003/3966, K. 2003/10900; Y.11.HD., 21. 03. 2002, E. 2001/10788, K. 2002/2578; Y.3.HD., 14. 09. 2000, E. 2000/8382, K. 2000/8036; Y.11.HD., 17. 11. 1997, E. 1997/6293, K. 1997/8200; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77. 236 Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77. 237 Y.13.HD., 24. 10. 1994, E. 1994/6791, K. 1994/9314.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

nach Erfüllung der vereinbarten Leistung, ohne die Erschwerung der Umstände dabei zu berücksichtigen, kann einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellen. Für die Annahme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind jedoch weitere Voraussetzungen erforderlich. Die Lösung der Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage allein nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann dazu führen, dass eine uneinheitliche Rechtsprechung insofern entsteht, als dass jedes Gericht die Anwendung und die Voraussetzungen des Grundsatzes von Treu und Glauben unterschiedlich auslegt. Während ein Richter bei Ausbruch eines Krieges, beispielsweise aufgrund dessen Auswirkungen, das Vorliegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejaht, kann ein anderer Richter im selben Fall die Annahme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ablehnen und die Vertragsparteien zur Beachtung des Grundsatzes pacta sunt servanda anhalten. Dies kann zu willkürlichen und dem Rechtsempfinden nicht in jedem Fall entsprechenden Ergebnissen führen.238 Subjektives Empfinden eines Richters kann gerade bei sehr weiten Ermessensspielräumen in die Entscheidung einfließen. Dies führt zu Rechtsunsicherheiten und einem Vertrauensverlust in die Rechtsordnung. Daher ist es erforderlich, eine Norm zu finden, welche die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage klar regelt. Der Versuch, den Wegfall der Geschäftsgrundlage über den Grundsatz von Treu und Glauben zu lösen, zeigte, dass ein Bedürfnis bestand, den Wegfall der Geschäftsgrundlage einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. Sowohl die türkische Rechtsliteratur als auch die Rechtsprechung des Kassationshofes haben vor der Schuldrechtsreform den Wegfall der Geschäftsgrundlage überwiegend und zutreffend über den Grundsatz von Treu und Glauben gelöst. Aus diesem Grunde kann der Ansicht, der Grundsatz von Treu und Glauben sei unbestimmt, nicht gefolgt werden. Eine Rechtsordnung, die alleine auf diesen Grundsätzen (Treu und Glauben) beruht, hat erhebliche Nachteile. Der Begriff „Treu und Glauben“ ist zu abstrakt und damit ausfüllungsbedürftig. Dabei spielen subjektive Eindrücke des jeweiligen Rechtsanwenders eine bedeutende Rolle, sodass nicht ohne Weiteres von einer einheitlichen Rechtsanwendung ausgegangen werden kann. Schließlich wären weitere Schutznormen, der Verbraucherschutz- und Arbeitnehmerschutzregelunge nicht erforderlich, wenn der Grundsatz von Treu und Glauben dem Bürger einen ausreichenden Schutz geboten hätte.

238 Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 59 (73); Serozan, ˙Ifa, S. 227 Fn. 5. Nach einer Inflation hat der Richter die Klage eines Bürgers zurückgewiesen, mit der Begründung, Inflationen seien vorhersehbare Umstände. Das Gericht hat der Klage einer Bank dagegen bei Vorliegen desselben Sachverhalts mit der Begründung der Unvorhersehbarkeit stattgegeben. Dieses willkürliche Vorgehen widerspricht dem Rechtsempfinden, zumal für eine Bank aufgrund ihrer Kenntnisse eine Inflation eher vorhersehbar ist als für die normalen Bürger.

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4. Gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Der Gesetzgeber weist im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung darauf hin, dass Art. 2 tZGB den Ausgangspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Form der Äquivalenzstörung darstellt und dieses Prinzip (Treu und Glauben) dem Art. 138 tOR zugrunde liegt. Durch die Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat der Streit, ob nachträgliche Änderungen über den Grundsatz von Treu und Glauben zu lösen sind, an Bedeutung verloren, da Art. 2 tZGB durch die Einführung des Art. 138 tOR nunmehr einen subsidiären Charakter erhalten hat. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sowohl der deutsche239 als auch der türkische Gesetzgeber240 in seiner Gesetzesbegründung betont, dass es sich beim Wegfall der Geschäftsgrundlage um einen besonderen Anwendungsbereich des Grundsatzes von Treu und Glauben handelt. Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber einen Zusammenhang zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und dem Grundsatz von Treu und Glauben sieht und eine separate Regelung für nachträgliche Änderungen von Vertragsumständen trotzdem für erforderlich hielt. VI. Rechtsmissbrauch Im türkischen Recht wurde versucht, die Fälle der nachträglich veränderten Umstände über die Regelungen zum Rechtsmissbrauch zu lösen. Hierbei wird die Frage aufgeworfen, ob das Verlangen des Gläubigers nach Erbringung der ursprünglichen Leistung gegenüber dem Schuldner in solchen Fällen einen Rechtsmissbrauch darstellt, sodass hier die Lösung aus Art. 2 Abs. 2 tZGB abzuleiten ist. Der Rechtsmissbrauch wurde im türkischen Recht in einem separaten Absatz des Art. 2 Abs. 2 tZGB der Norm kodifiziert.241 Daher wird im Folgenden kurz auf die türkische Regelung des Rechtsmissbrauchs eingegangen. 1. Begriff und Ergebnis Die Vertragsparteien sind bei der Ausübung ihrer Rechte grundsätzlich frei. Jedoch kennt die Rechtsordnung auch Grenzen bei der Rechtsausübung, die der Rechtsinhaber zu beachten hat.242 Aus diesem Grund regelt Art. 2 Abs. 2 tZGB, dass der offenbare Missbrauch eines Rechtes keinen Rechtsschutz genießt. Aus diesem 239

BT-Drucks. 14/6040, S. 176. Türk Borçlar Kanunu Tasarısı, S. 221. 241 Im deutschen Recht dagegen liegt eine Kodifizierung für den Rechtsmissbrauch nicht vor. Dieser wird vielmehr von der allgemeinen Norm § 242 BGB mit umfasst. 242 Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 257; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (172). 240

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Grund ist nicht nur der Missbrauch eines Rechtes, sondern auch die Ausübung eines Rechtes, das gegen seinen Verwendungszweck genutzt wird, davon mit umfasst.243 Der Art. 2 Abs. 2 tZGB räumt dem Richter die Möglichkeit ein, die Ausübung eines bereits bestehenden Rechtes im Ausnahmefall zu verhindern, nicht anzuwenden und gegenteilige Entscheidungen zu fällen. Dies ist der Grund dafür, dass das Rechtsmissbrauchsverbot als regeldurchbrechendes Korrekturprinzip bezeichnet werden kann. Der Grundsatz vom Rechtsmissbrauchsverbot muss – wie der Grundsatz von Treu und Glauben – vom Richter von Amts wegen angewendet werden. Folglich auch in den Fällen, in denen sich keine der Vertragsparteien darauf beruft.244 Das Verbot des Rechtsmissbrauchs kommt lediglich sekundär zur Anwendung, wenn keine Spezialnorm vorhanden ist.245 Artikel 2 Abs. 2 tZGB enthält eine generelle Sanktion. Derjenige, der ein ihm zustehendes Recht missbräuchlich nutzt, kann keinen Rechtsschutz genießen. Das missbräuchlich eingesetzte Recht wird folglich bei dessen Inanspruchnahme und Verteidigung nicht berücksichtigt.246 Beispielsweise findet im Rahmen einer Klage die rechtsmissbräuchlich erhobene Verjährungseinrede keine Berücksichtigung.247 Bei unerlaubten Handlungen kann der Geschädigte verlangen, dass das rechtsmissbräuchliche Verhalten unterlassen wird und zudem die Folgen rückgängig gemacht werden.248 Ihm steht auch die Möglichkeit zu, eine Schadensersatzklage zu erheben.249 2. Ansichten in der Literatur Nach einer Ansicht in der türkischen Literatur stellt das Leistungsverlangen nach einer nachträglichen Änderung von Umständen einen Rechtsmissbrauch gem. Art. 2 Abs. 2 tZGB dar. a) Die Anwendung befürwortende Ansicht Nach dieser Ansicht richte sich Art. 1 des Zivilgesetzbuches an den Richter, während Art. 2 sich an die Vertragsparteien richte und damit die Rechte im Zusammenhang mit dem Verhältnis der Parteien zueinander eingrenze.250 Nach dieser 243

Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 263 ff.. Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 308. 245 Edis, Mahmut Kolog˘lu’ya Armag˘an, S. 447 (452); Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 308. 246 Edis, Mahmut Kolog˘lu’ya Armag˘an, S. 447 (451); ders., Medeni Hukuk, S. 325 ff., 331; Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 274 f. Dies sei als excepto doli generalis zu bewerten und nicht als Einrede, sondern als Verteidigungsmittel geltend zu machen. Akyol, Dürüstlük, S. 111. 247 Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 275; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 942. 248 Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 275; Akyol, Dürüstlük, S. 112; Edis, Medeni Hukuk, S. 331. 249 Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 275; Akyol, Dürüstlük, S. 116. 250 Gürsoy, Clausula, S. 35. 244

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Vorschrift können die Rechte, die den Bürgern vom Gesetz eingeräumt werden, insofern in Anspruch genommen werden, als deren Geltendmachung innerhalb der Grenzen des menschlichen Gewissens liege und der Grundsatz von Treu und Glauben dies zulasse. Halte die Ausübung eines Rechts diese Grenze nicht ein, könne die Rechtsordnung dem hiesigen Recht keinen Schutz gewähren. Durch Art. 2 tZGB hätten die Anstands- und Moralregeln im positiven Recht einen Platz gefunden und dem persönlichen Egoismus werde eine Grenze gesetzt.251 Solange eine Person ehrlich und aufrecht handelt, werde sie von der Rechtsordnung in Schutz genommen. Dieser Gedanke entspreche zudem im römischen Recht dem Wort bona fides. Nach Gürsoy252 fanden die Regeln summum ius, summa iniuria (das strengste Recht ist das größte Unrecht) sowie fiat iustitia pereat mundus (es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde) im Recht keine Anwendung.253 Daher könne der Gläubiger vom Schuldner keine Leistungserfüllung verlangen, wenn diese für den Schuldner unzumutbar ist.254 Der Gesetzgeber habe dem Richter mit Hilfe dieser Norm eine umfassende Befugnis eingeräumt.255 Dabei sei der Richter in seinen Entscheidungen gehalten, gebunden an den Grundsatz von Treu und Glauben, das Recht der Moral und Gerechtigkeit entsprechend zu verteilen.256 Der Grundsatz von Treu und Glauben befehle zwar die Bindung an den Vertrag, d. h. die Vertragstreue, jedoch müsse der Schuldner die geschuldete Leistung sogar dann erbringen, wenn diese Erfüllung mit großen Opfern verbunden sei. Jedoch bedeute diese Aufopferung nicht, dass aufgrund der Vertrauenswürdigkeit und der Loyalität eine Partei die andere ausnutzen könne.257 Das Zwingen des Schuldners zur Erfüllung einer Leistung, deren Erfüllung aufgrund der nachträglich veränderten Umstände erschwert ist, stelle einen Missbrauch des Rechts dar.258 Auch im schweizerischen Recht wurde versucht, das Problem der Vertragsanpassung aufgrund veränderter Umstände mit dem Art. 2 Abs. 2 sZGB zu lösen, wobei man sich auch auf das Rechtsmissbrauchsverbot beruft.259 Bestehe eine der Parteien 251

Gürsoy, Clausula, S. 35. Gürsoy, Clausula, S. 35 f. 253 Gürsoy, Clausula, S. 36. 254 Gürsoy, Clausula, S. 36. 255 Gürsoy, Clausula, S. 35. 256 Gürsoy, Clausula, S. 35. 257 Gürsoy, Clausula, S. 35. 258 Gürsoy, Clausula, S. 35; Serozan, ˙Ifa, S. 229. 259 Offinger, SJZ 36 (1939/1940), S. 178 (247); Merz, ZRS 61 (1942), S. 393a (508a); Keller/Schöbi, Das Schweizerische Schuldrecht3, S. 255; Rieder, Der Eingriff des Richters in bestehende Verträge, S. 96; Sulzer, Zweckstörungen, S. 205 f.; BGE 68 II, S. 169 (173 ff.); 93 II, S. 185 (188); 97 II, S. 390 ff.; 100 II, S. 345 ff.; 107 II, S. 343 ff.; 113 II, S. 209 (211 ff.). 252

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trotz des Auftretens eines Ungleichgewichts zwischen den Leistungen im Vertrag wegen unvorhersehbarer Änderungen auf ihren eigenen Ansprüchen, so könne dies als Rechtsmissbrauch bewertet werden. Ebenso beruft sich das schweizerische Bundesgericht in vielen Entscheidungen bei der Clausula-Anwendung auf das in Art. 2 Abs. 2 sZGB enthaltene Verbot des Rechtsmissbrauchs.260 Das Schweizerische Bundesgericht sieht in seinen erwähnten Entscheidungen den Art. 2 Abs. 2 sZGB nicht nur als Rechtsgrundlage zur Vertragsanpassung, sondern benutzt die Anpassung gleichzeitig auch als Verfahren zur Vorbeugung eines Verhaltens, das den Rechtsmissbrauch fördert. Nach dem schweizerischen Bundesgericht müssen die Vertragsparteien bei einem langfristigen Vertragsverhältnis berücksichtigen, dass sich bei Vertragsabschluss existierende Bedingungen später ändern können. b) Die Anwendung ablehnende Ansicht Die Ansicht,261 nach der die Probleme der nachträglich veränderten Vertragsumstände und der Vertragsanpassung mit Hilfe des Art. 2 Abs. 2 tZBG gelöst werden sollten, wurde in der Literatur stark kritisiert.262 Der Richter müsse bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Vertragsanpassung diesen Umstand von Amts wegen berücksichtigen.263 Die Parteien sollten allerdings das Recht haben, die Vertragsanpassung trotz geänderter Umstände abzulehnen. Um sich auf einen Rechtsmissbrauch berufen zu können, müsse zunächst ein Recht vorhanden sein, welches missbraucht wurde.264 Bei nachträglichen Änderungen stünde im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht fest, ob und was der Schuldner zu leisten habe.265 Dadurch entstehe eine Vertragslücke. In den Fällen, die bezüglich der Äquivalenzstörung eine Vertragslücke aufweisen, könne von einem vorhandenen Recht nicht ausgegangen werden. Der Grundsatz des Rechtsmissbrauchs sei somit nicht auf nachträgliche Änderungen zugeschnitten. Bei einer Vertragslücke hätten die Parteien die Frage des „Ob“ und „Wie“ der Erfüllung nicht geregelt. Gerade weil die Parteien über die entstandene Vertragslücke keine Einigung erzielt haben, hätten sie auch kein Recht darauf, die am Anfang vereinbarten 260 BGE 68 II, S. 169 (173 ff.); 93 II, S. 185 (188); 97 II, S. 390 ff.; 100 II, S. 345 ff.; 107 II, S. 343 ff.; 113 II, S. 209 (211 ff.). Demnach sollte der Richter gem. Art. 2 Abs. 2 sZBG den Vertrag ändern oder aufheben, wenn wegen nachträglich entstandener und unvorhersehbarer Bedingungen ein großes Ungleichgewicht durch das Beharren auf eigenen Ansprüchen zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht. 261 Gürsoy, Clausula, S. 35 ff. 262 Topuz, Denge Bozulması, S. 137 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 80 ff.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 83; Dural, ˙Imkansızlık, S. 70; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (190); Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 117. 263 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 80 ff. 264 Topuz, Denge Bozulması, S. 142; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (192). 265 Topuz, Denge Bozulması, S. 142.

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Leistungen zu verlangen.266 Auch wenn der Vertrag eine Klausel über Äquivalenzstörungen zwischen den Leistungen oder eine Leistungserschwerung enthält und somit diesbezüglich keine Vertragslücke aufweist, liege zwar eine vertragliche Vereinbarung vor, über die hinsichtlich des Vorliegens eines Rechtsmissbrauchs gestritten werden kann, könne ein Rechtsmissbrauch trotzdem nicht bejaht werden. Dies ist darin begründet, dass Art. 2 Abs. 2 tZGB – wie bereits erwähnt – keine zwingende Norm sei und eine von diesem Artikel abweichende Vereinbarung oder der Verzicht der Vertragsparteien auf den Schutz dieses Artikels sehr wohl möglich sei.267 Eine solche Vereinbarung sei weder sittenwidrig, noch verstoße sie gegen die gesetzlichen Gebotsvorschriften.268 Es sei somit nicht zutreffend, dass der Kassationsgerichtshof vor allem bei negativen Vertragsklauseln aufgrund des Rechtsmissbrauchsverbots in den Vertrag eingreife.269 Das Verlangen einer Vertragsanpassung nach einer nachträglichen Änderung von Umständen sei Ausfluss der berechtigten Rechtsausübung. Das Vorwerfen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gehe hierbei zu weit.270 3. Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat in einigen ihrer Entscheidungen die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund des Vorliegens eines Rechtsmissbrauchs abgelehnt.271 In anderen Entscheidungen dagegen erklärte die Rechtsprechung vertraglich geregelte Klauseln als rechtsmissbräuchlich und damit für unwirksam und ließ eine Anpassung des Vertrags zu.272 In anderen Entscheidungen wiederum wandte die Rechtsprechung den Wegfall der Geschäftsgrundlage an, da sie das Leistungsverlangen des Gläubigers trotz nachträglich veränderter Umstände als rechtsmissbräuchlich beurteilte.273 In einer Entscheidung lehnte der Kassationshof die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Begründung des Rechtsmissbrauchs ab.274 Dieser Entscheidung lag ein Scheidungsfall zugrunde. In der türkischen Rechtsordnung müssen im Falle einer einvernehmlichen Scheidung die Parteien alle Rechtsfolgen vertraglich regeln, damit der Richter die Scheidung in einer einzigen Verhandlung vollziehen kann. Im vorliegenden Fall einigten sich die Parteien hinsichtlich der Un266

Topuz, Denge Bozulması, S. 143. Topuz, Denge Bozulması, S. 143 f. 268 Topuz, Denge Bozulması, S. 144. 269 Topuz, Denge Bozulması, S. 137. 270 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 80. 271 Als Beispiel: Y.3.HD., 04. 03. 2003, E. 2003/1941, K. 2003/2097; Y.13.HD., 05. 10. 1998, E. 1998/5829, K. 1998/7843. 272 Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425. 273 Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/137, K. 1981/93. 274 Y.3.HD., 04. 03. 2003, E. 2003/1941, K. 2003/2097. 267

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

terhaltszahlung über eine Fremdwährung. Sechs Monate nach der Scheidung berief sich der Unterhaltsschuldner auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage und verlangte die Anpassung des Vertrags mit der Begründung, die Fremdwährung habe aufgrund der wirtschaftlichen Schwankungen an Wert gewonnen. Er könne folglich die vereinbarte Summe nicht mehr aufbringen, da sein in türkischer Währung bezogener Arbeitslohn diesen Betrag nicht mehr decke. Die Berufung auf eine Vertragsanpassung nach so kurzer Zeit, mit Begründung der Wertsteigerung der Fremdwährung, hielt der Kassationshof in seinen Entscheidung für rechtsmissbräuchlich, da dem Schuldner bekannt sein müsste, dass Wertschwankungen aufgrund der wirtschaftlichen Lage in diesem Land nicht unvorhersehbar sind. Für eine schnelle einvernehmliche Scheidung in nur einer Gerichtssitzung müssen sich die Parteien in der Türkei in allen Punkten einig sein. Fehlt eine dieser Regelungen, ist eine schnelle einvernehmliche Scheidung nicht möglich. Der Kassationshof wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Einigung hinsichtlich der Unterhaltszahlung in einer Fremdwährung von den Parteien selbst vereinbart wurde. Diese Regelung nach nur kurzer Zeit aufgrund von Wertschwankungen ändern zu können, eröffne den Weg zu einem missbräuchlichen Umgang mit dieser Regelung, um eine schnelle Scheidung zu erreichen. In einer weiteren Entscheidung betonte der Kassationshof, dass eine stillschweigende Vereinbarung der Leistung über Fremdwährungen möglich sei und verdeutliche, dass der Gläubiger sich dadurch vor den Wertschwankungen der eigenen Währung schützen wolle.275 Dies könne jedoch nicht bei stillschweigenden Vereinbarungen zu einem gänzlichen Ausschluss der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage führen. Trotz der Anerkennung solcher stillschweigenden Vereinbarungen hielt der Kassationshof diese für rechtsmissbräuchlich und damit für unwirksam, da sie den Schuldner in so hohem Maße benachteilige, dass ihm die Leistung unzumutbar werde, und ließ dem Schuldner einen Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu. 4. Stellungnahme Verlangt eine Vertragspartei die Erfüllung der Leistung von der gegnerischen Partei, liegt hierin kein Rechtsmissbrauch. Die Partei, die auf die Erfüllung der Leistung besteht, wird davon ausgehen, dass ihr Vertragspartner die Risiken, die sich aus der Veränderung der Umstände ergeben, zu tragen hat und deswegen die Leistung erbringen muss. Die allgemeine Regelung nachträglicher Veränderungen über die Norm des Rechtsmissbrauchs würde dazu führen, dass jedes Leistungsverlangen einen Rechtsmissbrauch darstellen würde. Vielmehr war eine einzelfallberücksichtigende Regelung erforderlich. Der Versuch, die nachträglichen Änderungen allgemein über

275

Y.13.HD., 05. 10. 1998, E. 1998/5829, K. 1998/7843.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Art. 2 Abs. 2 tOR zu lösen, führte zu einer vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Ausweitung des Anwendungsbereichs des Rechtsmissbrauchs. Auch die strenge Rechtsfolge des Art. 2 Abs. 2 tOR entspricht nicht dem Gedanken der Vertragsanpassung. Die Interessen beider Parteien können hierbei nicht berücksichtigt werden. Die Ansicht, Art. 2 Abs. 2 tZGB sei ein dispositives Recht, kann zudem nicht überzeugen. Die Gedanken, die sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben, sind sowohl für das türkische als auch für das deutsche Rechtssystem von eminenter Bedeutung, sodass sie auch ohne die Normierung in Art. 2 Abs. 2 tZGB einzuhalten sind. Die Gedanken aus dem Grundsatz von Treu und Glauben bilden das Grundprinzip für das geltende Recht und sind in vielen weiteren Normen enthalten. Sie dienen als Leitlinie für rechtmäßiges Verhalten und sind zwingend zu beachten.276 Auch wenn es sich bei Art. 2 Abs. 2 tOR um eine zwingende Norm handelt, bedeutet die Vereinbarung einer negativen Vertragsklausel nicht unbedingt die Umgehung dieser Norm. Eine Klausel, die die Regelung nachträglicher Änderungen ausschließt, ist kein Rechtsmissbrauch, sondern ein Ausfluss der Privatautonomie. Nur in Ausnahmefällen können negative Vertragsklauseln zu einem Rechtsmissbrauch führen. Dies hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. 5. Gegenwärtige Bedeutung der Rechtsmissbrauchstheorie (Art. 2 Abs. 2 tZGB) für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Nach der Schuldrechtsmodernisierung hat der Streit darüber zudem aufgrund des subsidiären Charakters des Art. 2 Abs. 2 tZGB an Aktualität verloren, da der Gesetzgeber mit Art. 138 tOR eine generelle Norm für nachträgliche Veränderungen im neuen Obligationenrecht geschaffen hat. Die von dem schweizerischen Bundesgericht vertretene Auffassung, wonach das Rechtsmissbrauchsverbot den Rechtsgrund von Vertragsanpassungen bildet, hat in der türkischen Rechtslehre keinen großen Zuspruch gefunden.277 Dies verdeutlicht, dass die türkische Literaturmeinung diesbezüglich von der schweizerischen Rechtspraxis abweicht und sich der deutschen Rechtspraxis nähert. Trotz der Regelung des Art. 138 tOR könnte jedoch auch in Zukunft der Grundsatz von Treu und Glauben und der Rechtsmissbrauch als Hilfsmittel zur Lösung von beispielsweise negativen Vertragsklauseln herangezogen werden.

276 277

Og˘uzman/Öz, Medeni Hukuk, S. 226. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 80.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

VII. Vertragsergänzung In der schweizerischen Rechtsprechung wird der Wegfall der Geschäftsgrundlage meistens als ein Problem der Vertragsergänzung behandelt.278 Auch in der türkischen Rechtslehre teilten einige Autoren diese Ansicht.279 Eine Vertragsergänzung kommt bei Vorliegen einer Vertragslücke in Betracht. Eine Vertragslücke entsteht dadurch, dass die Parteien bei Vertragsabschluss die essentialia negotii nicht betreffenden Punkte bewusst oder unbewusst auslassen. Bei der Ausübung der Vertragsergänzung kann der Richter den hypothetischen Willen oder das dispositive Recht heranziehen. Das Institut der Vertragsergänzung und der -Vertragsauslegung sind sich in ihrem Sinn und Zweck sehr ähnlich. Vorrangig ist jedoch die Vertragsauslegung. 1. Ansichten in der Literatur Die Frage, ob der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach türkischem Recht tatsächlich einen Fall der Vertragsergänzung dargestellt hat, muss zunächst untersucht werden. a) Vertragsergänzung als Lösung für die Fälle der veränderten Umstände Nach h. L. ist die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände durch den Richter eine besondere Form der Vertragsergänzung.280 Nach dieser Ansicht enthält der Begriff der Vertragslücke auch den Begriff der Anpassungslücke.281 Nach dieser Ansicht liegt eine Lücke vor, wenn der Vertrag keine Klausel über eine mögliche Anpassung enthält und auch bei der Auslegung des Vertrags die Existenz einer solchen Klausel nicht festgestellt werden kann.282 Der Begriff der Vertragslücke enthalte auch den Begriff der Anpassungslücke.283 Solche Lücken 278 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 62, 120; Caytas, Der unerfüllbare Vertrag, S. 209; Gauch, Auslegung, S. 209 (233 ff.); Sulzer, Zweckstörungen, S. 207 f.; Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 58, 117; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 325 ff.; BGE 115 II, S. 484 (487). 279 Topuz, Denge Bozulması, S. 147; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 87; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 431. 280 Topuz, Denge Bozulması, S. 147; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 87; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 431. 281 Topuz, Denge Bozulması, S. 147; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 87; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 431. 282 Topuz, Denge Bozulması, S. 147. 283 Topuz, Denge Bozulması, S. 147; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 87; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 431.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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wurden in der Lehre auch als „Risikolücke“ bezeichnet,284 denn es gäbe keine allgemeine Norm, welche die Risikotragung bei veränderten Umständen regele. Zudem löse nicht jede Anpassungsklausel das konkrete Problem. Nach dieser Ansicht ist es nicht erforderlich gewesen, dass die Vertragslücke bereits bei Abschluss des Vertrags vorhanden ist. Es wäre auch denkbar, dass sich im Nachhinein durch die Veränderung der Umstände eine Vertragslücke ergibt. Da die Anpassungslücke erst mit der Änderung der Umstände entstehe, wurde behauptet, dass sie eine „nachträglich entstandene Vertragslücke“ sei.285 Hinsichtlich dieser Anpassungslücke sollte der Richter gem. Art. 1 Abs. 2 tOR eine Rechtsregel schaffen und dabei die Gerechtigkeitsregel zugrunde legen. Im Rahmen dieser Regel sollte der Richter den tatsächlichen Willen der Parteien erforschen, feststellen und dementsprechend den Vertrag an die veränderten Umstände anpassen. Wenn die Feststellung des tatsächlichen Willens unmöglich ist, sollte die Lückenausfüllung unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben vorgenommen werden.286 Die Vertragsergänzung und -anpassung an die veränderten Umstände wurden in der Lehre als unterschiedliche Erscheinungen des gleichen Faktums, die erhebliche Ähnlichkeiten aufweisen, erklärt. Demnach mache der Richter in beiden Fällen von ähnlichen Mitteln Gebrauch. Er beachte den fiktiven gemeinsamen Willen der Parteien, die Eigenschaft des Vertrags, die gesetzlichen Regelungen und selbstverständlich den Grundsatz von Treu und Glauben.287 Da die Umstände sich auf eine unvorhersehbare Art und Weise geändert haben, hätten die Parteien nicht die Möglichkeit gehabt, dies vorherzusehen und eine entsprechende Lösung bzw. Bestimmung zu vereinbaren. Weil die Parteien diese Lücke nicht willentlich ungeregelt gelassen haben, liege eine unbewusste Risikolücke vor.288 Der Grund für das Vorliegen der Vertragslücke könne neben der Unkenntnis der Parteien auch in der Ungewissheit der Zukunft oder der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung der Umstände liegen.289 Vor allem im schweizerischen Recht wird vertreten, dass eine Lücke im Vertag vorhanden ist, sofern die Auslegung des Vertrags keine Anpassungsregelung ergibt.290

284

Topuz, Denge Bozulması, S. 146; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 62. Topuz, Denge Bozulması, S. 147; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 214. 286 Eren, Borçlar Hukuku11, S. 431; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 231. 287 Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. 288 Topuz, Denge Bozulması, S. 146. 289 Topuz, Denge Bozulması, S. 145; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 83; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 441. 290 Topuz, Denge Bozulması, S. 145. 285

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Nach Topuz291 traten im Falle der nachträglichen und unvorhersehbaren Veränderungen der Umstände zwei Probleme auf: Zum einen ging es darum, ob der Vertrag nach wie vor erfüllt werden muss, zum anderen, in welchem Umfang diese Leistung zu erfolgen hat. Diese Probleme seien durch den Richter über das Institut der Vertragsausfüllung gem. Art. 1 Abs. 2 tOR zu lösen.292 Die Grundsätze aus Art. 2 tZGB, Treu und Glauben und Verbot des Rechtsmissbrauchs, seien lediglich Hilfsmittel bei der Ausfüllung des Vertrags. Artikel 2 tZGB habe somit lediglich eine subsidiäre Bedeutung.293 Das Rechtsinstitut culpa in contrahendo, das von der h. M. über den Grundsatz von Treu und Glauben gelöst werde, stelle ebenso wie der Wegfall der Geschäftsgrundlage die Füllung einer Gesetzeslücke dar und müsse daher über Art. 1 Abs. 2 tOR gelöst werden.294 Es bestehe kein Bedürfnis einer gesetzlichen Normierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.295 Dural296 war zwar auch der Auffassung, dass bei der Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände eine Gesetzeslücke besteht; diese Lücke müsse jedoch gem. Art. 1 Abs. 2 tZGB durch den Richter im Rahmen des Gewohnheitsrechts ausgefüllt werden.297 Gleichwohl stellte Dural fest, dass der Richter zunächst gem. Art. 18 tOR ermitteln muss, ob eine Auslegung der Parteiwillen ergibt, dass eine Bestimmung bestehe, welche die Anpassung an die veränderten Umstände regelt. Könne der Richter durch die Auslegung ein Ergebnis erzielen, werde er diese Bestimmung anwenden. Führe die Auslegung aber zu keinem Ergebnis, werde er die bestehende Vertragslücke entweder mit einer für den Vertragstyp geeigneten Gesetzesbestimmung oder aber gem. Art. 1 tZGB durch Gewohnheitsrecht schließen. Der Richter werde sich beim Ausfüllen dieser Gesetzeslücke entsprechend der in Art. 2 tOR enthaltenen Gerechtigkeitsregel verhalten.298 Diese Auffassung hatte einen wichtigen Unterschied im Hinblick auf die Vertragslücke. Auch bei dieser Auffassung wurde eine Vertragslücke anerkannt, wenn als Ergebnis der Auslegung keine Regelung des Vertrags zur Vertragsanpassung vorliegt. Die Lücke sollte jedoch weder mit einer im Gesetz enthaltenen ähnlichen Bestimmung noch nach dem hypothetischen Willen der Parteien ausgefüllt werden. Vielmehr anerkannt sei, dass die vorhandene Gesetzeslücke durch Gewohnheitsrecht, wenn dies nicht vorhanden ist, durch Richterrecht gefüllt werden müsse.299

291 292 293 294 295 296 297 298 299

Topuz, Denge Bozulması, S. 147. Topuz, Denge Bozulması, S. 147. Topuz, Denge Bozulması, S. 148 Fn. 367. Topuz, Denge Bozulması, S. 148 Fn. 367. Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Dural, ˙Imkansızlık S. 64 ff. Dural, ˙Imkansızlık S. 65 f. Dural, ˙Imkansızlık S. 65 f. Dural, ˙Imkansızlık S. 65 f.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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b) Gegenansicht Die Gegenansicht verneinte die Lösung nachträglicher Änderungen über das Institut der Vertragsergänzung.300 Nach dieser Ansicht waren zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Vertragsergänzung Unterschiede vorhanden. Den wichtigsten Unterschied zwischen den beiden Instituten stelle die Ursache für das Entstehen der Lücke dar. Die Entstehung der Vertragslücken aufgrund von veränderten Umständen basiere auf der Störung des Gleichgewichts, und zwar in dem Maße, dass es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dem Schuldner nicht mehr möglich sei, die geschuldete Leistung zu erbringen. Gewöhnliche Vertragslücken entstehen hingegen, weil die Vertragsparteien vergessen oder versäumt haben, diese Punkte zu regeln. Bei der Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände fülle der Richter die aufgrund dieser veränderten und unerwarteten Umstände und der neuen Situation entstandene Anpassungslücke. Bei der Vertragsergänzung hingegen würden von einer neuen Situation unabhängige Vertragslücken gefüllt, deren Regelung von den Parteien lediglich versäumt werde.301 In der Lehre waren diese Unterschiede für Aksoy-Dursun ausreichend, um die Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln.302 Berücksichtige man diesen Umstand, so ergebe sich daraus, dass hier keine Vertragslücke vorhanden sei, die sich durch das Institut der Vertragsergänzung beseitigen ließe. Im Ergebnis gehe man davon aus, dass hier kein Ergänzungsproblem vorliegt.303 Bei der Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände durch den Richter würden – anders bei dem Ergänzungsprozess – die bereits vereinbarten Klauseln geändert oder außer Kraft gesetzt. Der Vertrag würde also gemäß den veränderten Umständen verbessert. Hingegen müsse der Richter bei der Ergänzung die Vertragslücke füllen, ohne die anderen Klauseln zu verändern, ohne die Gültigkeit und die Anwendung des Vertrags im Ganzen zu beeinflussen. Bei der Vertragsanpassung an die veränderten Umstände müsse der Richter im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben eine Risikoverteilung vornehmen, das gestörte Gleichgewicht zwischen den Leistungen wieder herstellen und, falls dies nicht möglich ist, den Vertrag beenden.304 Das Ziel einer Vertragsergänzung hingegen sei nicht, den Vertrag zu verändern, zu verbessern oder in einen gerechteren Vertrag umzuwandeln. Ganz im Gegenteil solle die Lücke möglichst unter Beachtung der von den Parteien vereinbarten Klauseln und ohne erhebliche Änderung des Vertrags und mit den zu den ursprünglichen Klauseln passenden Bestimmungen ergänzt werden. Vor allem bei einer ergänzenden Auslegung suche 300

Gürsoy, Clausula, S. 18; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82; Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 33 f.; Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. 301 Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. 302 Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. 303 Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. 304 Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

der Richter nach Verbindungspunkten, um einen fiktiven gemeinsamen Willen zu ermitteln.305 Denn die Feststellung eines fiktiven Willens, der beim Vertragsabschluss vorhanden sein soll, erscheine sinnlos, da es sich um eine unvorhersehbare und unerwartete Situation handele.306 Das Vorliegen einer Vertragslücke wurde von dieser Ansicht kritisiert. Nach Gürsoy307 konnten die beim Abschluss des Vertrags vorhandenen Motive oder Vorstellungen gewisse Lücken aufweisen. Von einer Lücke des Vertrags könne nicht gesprochen werden, wenn trotz der Lücke in den Beweggründen ein Vertrag geschlossen wird. Nach dem Abschluss des Vertrags bilde der Vertrag eine rechtliche Einheit, die losgelöst von den Beweggründen existiere und eine eigene Existenz habe. Aus diesem Grund stelle der Eingriff des Richters in den Vertrag aufgrund veränderter Umstände eine Veränderung des Vertrags dar und keine Interpretation oder Ergänzung desselben.308 Auch Og˘uzman/Öz309 hatten die Ergänzung des Vertrags und die Vornahme einer Änderung im Vertrag als zwei voneinander getrennte Probleme gewertet und dazwischen eine Grenzlinie gezogen: Trete eine nach Abschluss des Vertrags entstandene Veränderung der Umstände ein, die die unwesentlichen Bestandteile des Vertrags betreffen, so stelle die darauffolgende Veränderung des Vertrags keine Anpassung dar, sondern eine Ergänzung.310 Die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände sei kein Problem der Vertragsauslegung oder -ergänzung. Ganz im Gegenteil sei eine Vertragsanpassung nicht erforderlich, wenn durch Interpretation der Parteienwillen ein Ergebnis erzielt werden könne. Es sei unmöglich, den Vertrag durch Interpretation der Parteienwillen anzupassen. Die Parteien hätten nicht vorhergesehen, dass die Umstände und Bedingungen sich ändern würden. Die Vertragsergänzung sowie Vertragsanpassung durch den Richter seien zwei verschiedene Handlungen. Bei einer Vertragsergänzung berücksichtige der Richter den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, wogegen er bei einer Anpassung des Vertrags den Zeitpunkt des Eintritts der Änderung der Umstände311 seiner Entscheidung zugrunde lege und diesen berücksichtige.312 Die Geldentwertung könne beispielsweise in der Regel beim Abschluss des Vertrags nicht bedacht werden, sodass diesbezüglich auch keine Regelungen im Vertrag enthalten sein können. Aus diesem Grund stelle die Veränderung der Um305

Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23. 307 Gürsoy, Clausula, S. 18. 308 Gürsoy, Clausula, S. 18. 309 Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 147 Fn. 510. 310 Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 147 Fn. 510. 311 Ab welchem Zeitpunkt die Anpassung wirken soll, ist strittig. Hierauf wird später eingegangen. 312 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82. 306

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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stände aufgrund einer Entwertung des Geldes kein Problem der Ergänzung des Vertrags dar.313 Es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass im türkischen Recht die Ansicht, die auf den hypothetischen Willen der Parteien abstellt, entwickelt worden sei, um im Falle von allgemeinen Geschäftsbedingungen die schwächere Vertragspartei314 zu schützen.315 Der Sinn und Zweck der Vertragsanpassung sei aber nicht der Schutz der schwächeren Partei, sondern die gerechte Verteilung des entstandenen Risikos. Aus diesem Grund könne man nicht pauschal, wie bei allgemeinen Geschäftsbedingungen und bei der Überforderung, behaupten, dass der hypothetische Wille der Partei, die das Risiko zu tragen habe, nicht zu berücksichtigen sei.316 Es dürfe schließlich auch nicht vergessen werden, dass die Ergänzung der Vertragslücke dem Richter nicht das Recht gewähre, die Anpassung gegen den Willen der Vertragsparteien vorzunehmen.317 2. Rechtsprechung Der Kassationshof hatte hinsichtlich der Anwendung der Vertragsergänzung auf nachträgliche Änderungen der Umstände keine einheitliche Vorgehensweise.318 Er hatte in einigen Fällen die Auffassung vertreten, dass die Vertragsergänzung die Grundlage für die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände darstelle.319 Bei einer Entscheidung vom 06. 07. 2006 betonte der Kassationshof, dass sich die Anfangslage geändert hat.320 Der am Anfang des Geschäftes vereinbarte Preis hat sich infolge der Veränderung der Umstände zugunsten der verklagten Gesellschaft und zulasten der klagenden Verwaltung verändert und die Leistungen aus dem Gleichgewicht gebracht. Da die Parteien bei Vertragsabschluss keine diesbezüglichen Maßnahmen vorgesehen haben, hat sich aus dieser neuen Situation eine Lücke des Vertrags gezeigt. Diese Lücke müsse aufgrund des in Art. 2 tZGB beschriebenen „gerechten Verhaltens“ und aufgrund der bereits eingereichten Klage, vom Gericht ausgefüllt werden. Das im Laufe der Zeit entstandene Ungleichgewicht zwischen den 313

Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 33 f. Atamer, Genel ˙Is¸lem S¸artları, S. 224. 315 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82. 316 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82; Kramer, in: Berner Komm, Art. 18 OR, Rn. 245. 317 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82; Kramer, in: Berner Komm, Art. 18 OR, Rn. 245. 318 Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340. In dieser Entscheidung betonte der Große Zivilsenat auch das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs neben einer Vertragslücke und einer Vertragsergänzung (Art. 2 Abs. 2 tZGB). Y.HGK., 26. 02. 1997, E. 1996/9-679, K. 1997/ 119. In dieser Entscheidung hat der Große Zivilsenat bei der Ergänzung der Vertragslücke den Grundsatz von Treu und Glauben zu Hilfe genommen. 319 Serozan, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 1013 (1024). 320 Y.14.HD., YKD Nisan 2007, S. 698 (700). 314

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Parteien solle in einer gerechten Art und Weise unter Berücksichtigung des Willens der Beteiligten durch eine gerichtliche Bestimmung beseitigt werden. In einer anderen Entscheidung vom 03. 03. 2005 hat die 13. Zivilkammer des Kassationshofes den Konflikt wiederum mit der Vertragsergänzung gelöst.321 Liege ein Wegfall der Geschäftsgrundlage oder eine außerordentliche Veränderung der Umstände vor, müsse das Gericht diese Umstände aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben berücksichtigen. Für den Fall, dass die Umstände sich ändern oder die Geschäftsgrundlage wegfällt, würde das Beharren auf der ursprünglich vereinbarten Leistung einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellen. Die veränderten Umstände zerstören das Gleichgewicht der vertraglich vereinbarten Leistungen. Die Vertragsparteien haben für diese Umstände keine Vorkehrungen getroffen. Das bedeute, dass der Vertrag eine Lücke aufweist. Da eine Lücke in den vertraglichen Regelungen vorhanden sei, müsse diese Lücke entsprechend dem Inhalt des Vertrags und dem Willen der Parteien ausgelegt und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ergänzt werden (Art. 1 Abs. 2 tZGB). 3. Stellungnahme Der Streit darüber, ob nachträglich entstandene Umstände mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung berücksichtigt werden, findet Parallelen zum deutschen Recht. Der Ansicht, welche die Vertragsergänzung als Mittel zur Lösung für die Fälle der veränderten Umstände vertrat, ist jedoch nicht zuzustimmen. Vertragsergänzung und Wegfall der Geschäftsgrundlage unterscheiden sich sowohl in ihren Voraussetzungen als auch in ihrer Zielsetzung. Lassen die Parteien bei Vertragsschluss, bewusst oder unbewusst, bestimmte Punkte ungeregelt, entsteht im Vertrag eine Lücke, die der Richter mit Hilfe der Vertragsergänzung zu schließen versucht. Die Vertragsergänzung knüpft folglich an bestehende vertragliche Regelungen an. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen ändert sich aufgrund äußerer Umstände oder einer Fehlbeurteilung die Vertragsgrundlage. Eine Lücke, wie im Falle der Vertragsergänzung, liegt nicht vor, da sich die Parteien über diesen neu entstandenen Umstand bislang keine Gedanken gemacht haben. Während die Vertragsergänzung nicht geregelte Nebenpflichten zu füllen versucht, kommt der Wegfall der Geschäftsgrundlage auch bei Änderungen im Bereich der Hauptpflichten zur Anwendung. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage betrifft in den meisten Fällen die essentialia negotii, wie z. B. das Äquivalenzverhältnis. Eine Anknüpfung an den hypothetischen Willen würde hierbei fehlgehen, da der eigentliche Wille bereits feststeht. Der Wille der Parteien ist an den ursprünglichen Vertrag geknüpft. Eine Orientierung an den hypothetischen Willen birgt die Gefahr der Abweichung von dem eigentlichen ursprünglichen Willen. Dabei ist es wichtig 321

Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171.

§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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zu betonen, dass der Wille der einen Partei in den meisten Fällen nicht dem Willen der anderen Partei entspricht/entsprechen muss. Eine pauschale Anknüpfung an einen hypothetischen Willen ist daher kein sach- und interessengerechter Lösungsansatz. Auch unterscheiden sich beide Institute in ihrem Anknüpfungszeitpunkt. Die Vertragsergänzung knüpft an den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Die Anpassung der nachträglichen Umstände dagegen erfolgt entsprechend der neuen unerwarteten Änderung der Geschäftsgrundlage. Eine Norm, die die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Änderung der Vertragsumstände klar regelt, ist unumgänglich, um willkürliche Entscheidungen der Gerichte zu vermeiden und Vertragsgerechtigkeit, Vertragssicherheit und vor allem das Vertrauen in das Rechtssystem zu gewährleisten. 4. Gegenwärtige Bedeutung der Vertragsergänzungstheorie für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Durch die Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat dieser Streit jedoch an Aktualität verloren. Nachträgliche Änderungen werden seit der Schuldrechtsmodernisierung einheitlich über Art. 138 tOR gelöst. Die Normierung des Art. 138 tOR hat die bislang vorhandene Gesetzeslücke beseitigt. VIII. Analoge Anwendung verschiedener gesetzlicher Regelungen als Lösungsansatz In der türkischen Literatur wurde vertreten, dass die Geschäftsgrundlagenproblematik nicht mit Hilfe einer einzigen Vorschrift, vielmehr durch analoge Anwendung verschiedener gesetzlicher Vorschriften gelöst werden kann. 1. Lösungsansätze in der Literatur a) Befürworter Eine Auffassung, die der Ansicht der Befürworter einer „Vertragslücke“ nahestand, ging von einer Gesetzesanalogie (Rechtsanalogie) aus.322 Führe die Auslegung zu einer Lücke im Gesetz, so sei es möglich, diese Lücke mit einem Regelungsprinzip, dem mehr als nur eine Gesetzesbestimmung zugrunde liegt, zu beseitigen. In diesem Fall seien mehrere Gesetzesbestimmungen gemeinsam analog anzuwenden.323

322

Serozan, Kemal Og˘uman’ın Anısına Armag˘an, S. 1013 (1024); Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 85. 323 Serozan, Kemal Og˘uman’ın Anısına Armag˘an, S. 1013 (1024); Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 85.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Nach dieser Ansicht waren Rechtsinstitute und Begriffe, wie außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen, leistungsunabhängige Schuldverhältnisse, die Haftung aus culpa in contrahendo, der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und das Vertrauensverhältnis, Ergebnisse einer solchen Rechtsanalogie.324 Demnach könne im türkischen Rechtssystem der Wegfall der Geschäftsgrundlage über die Rechtsanalogie gelöst werden. Laut dieser Auffassung war es nicht unbedingt erforderlich, eine Rechtsgrundlage für die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände in Form eines einzelnen Artikels zu haben. Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, welcher der Gedanke der Vertragsgerechtigkeit zugrunde liegt, stelle ein allgemeines Rechtsprinzip dar.325 b) Gegenansicht Die Befürworter einer Rechtsanalogie wurden von Topuz326 dahingehend kritisiert, dass es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, welche die Voraussetzung für eine Analogie ist. Dies begründet Topuz damit, dass der Gesetzgeber trotz der Kenntnis über die bestehenden Diskussionen über die Anpassung nachträglicher Änderungen von Umständen dies nicht normiert habe. Sowohl das Zivilgesetzbuch als auch das Obligationenrecht seien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geregelt worden. Bevor diese Gesetze verabschiedet wurden, sei bereits die Theorie der clausula rebus sic stantibus bekannt und die damit zusammenhängende Diskussion im Gange gewesen. Ob und in welchem Umfang der Vertrag an die veränderten Umstände angepasst werden müsse, sei bereits heftig umstritten gewesen.327 Das Schweigen des Gesetzes auf diese umstrittene Thematik sei als qualifiziertes Schweigen zu bewerten. Eine planwidrige Regelungslücke liege demnach nicht vor. Diese Ansicht würde dadurch verdeutlicht, dass der Gesetzgeber für einen Werkvertrag in Art. 365 Abs. 2 tOR die eventuelle Veränderung der Umstände nach dem Vertragsabschluss auf eine unvorhersehbare Art und Weise bedacht und geregelt habe. Demnach sei der Gedanke, dass sich die Umstände nachträglich ändern können, auch dem Gesetzgeber bekannt gewesen. Dennoch habe er diesbezüglich keine allgemeine Norm gewollt.328 2. Stellungnahme Das Vorhandensein einer Gesetzeslücke war zwar nicht zu leugnen, der türkische Gesetzgeber hatte aber bei der Übernahme des schweizerischen Zivilrechts eine Serozan, ˙Ifa, S. 225 Fn. 4. Serozan, ˙Ifa, S. 225 Fn. 4. 326 Topuz, Denge Bozulması, S. 130; Gürsoy, Clausula, S. 24; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 64; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54. 327 Topuz, Denge Bozulması, S. 131. 328 Topuz, Denge Bozulması, S. 131. 324

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§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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wortwörtliche Übersetzung vorgenommen, ohne diese Lücke zu beachten. Zur Füllung dieser Lücke war jedoch eine allgemeine Norm erforderlich. Eine Bündelung mehrerer Gesetzesbestimmungen in analoger Anwendung bot aber keine sach- und interessengerechte Lösung. Die vorgeschlagenen Vorschriften (Art. 1, 2, 4 tZGB) hatten in der türkischen Rechtsordnung zwar eine herausragende Bedeutung, da sie auf der einen Seite dem Richter weitreichendes Ermessen einräumten (Art. 1 tZGB) und auf der anderen Seite als Leitlinien und Grundsätze für viele Entscheidungen herangezogen wurden (Art. 2 tZGB), sie verfügten aber nicht über klare einheitliche Rechtsfolgen. Diese Unbestimmtheit konnte zu unterschiedlichen Ergebnissen bei gleichen Sachverhalten führen, was wiederum zu Rechtsunsicherheiten und Rechtsunklarheiten, führe und folglich zu einer Erschütterung des Vertrauens der Bürger. Demnach war eine allgemeine Norm zur Regelung nachträglicher Änderungen von Umständen unumgänglich. Die Grundsätze aus Art. 1, 2 und 4 tZGB können bei der Lösungsfindung selbstverständlich als Hilfsmittel herangezogen werden. 3. Gegenwärtige Bedeutung analoger Anwendung verschiedener gesetzlicher Regelungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Die analoge Anwendung verschiedener gesetzlicher Regelungen hat ihre Bedeutung verloren, weil der Gesetzgeber die Geschäftsgrundlagenproblematik in Art. 138 des neuen Obligationengesetzes geregelt hat. Seit der Kodifikation des Art. 138 besteht keine Regelungslücke mehr. IX. Ungerechtfertigte Bereicherung Die ungerechtfertigte Bereicherung im türkischen Obligationenrecht war im dritten Teil des ersten Abschnittes (Art. 61 bis 66 tOR a. F.) geregelt. Unter einer ungerechtfertigten Bereicherung verstand man die Mehrung des Vermögens zulasten eines anderen, ohne dass ein Rechtsgrund für diese Mehrung vorlag. Bei einem Schuldverhältnis, das aufgrund der ungerechtfertigten Bereicherung entstand, hat derjenige, dessen Vermögen sich ohne einen rechtlichen Grund und zulasten eines anderen mehrte, das Erlangte und, wenn dies nicht möglich war, den entsprechenden Wert an den Dritten herauszugeben.329 Das Institut der ungerechtfertigten Bereicherung verdankte seine Existenz dem Gedanken der Fairness und Gerechtigkeit. Der Gerechtigkeitsgrundsatz, dass sich niemand zulasten eines anderen bereichern darf, hat bereits im römischen Recht eine Vielzahl von Kondiktionen ermöglicht. Es bildete das Fundament des Institutes der ungerechtfertigten Bereicherung im türkischen Obligationenrecht.330 Durch die ungerechtfertigte Bereicherung wurden die 329

Eren, Borçlar Hukuku11, S. 803. Günal, Varolmayan Bir Borcun I˙fası Nedeniyle Sebepsiz Zenginles¸me, S. 5, 10; Reisog˘lu, Sebepsiz Iktisap, S. 1 ff.; Büyükay, Roma Borçlar Hukukunda Hata, S. 97. 330

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

grundlosen Vermögensverschiebungen wieder rückgängig gemacht. Die Art. 61 Abs. 2 und 62 tOR a. F. regelten die verschiedenen Fälle, in denen eine ungerechtfertigte Bereicherung vorlag (Kondiktionen). Diese Regelungen waren jedoch nicht abschließend, da nicht alle Kondiktionen im Gesetz aufgezählt waren.331 Der Wortlaut des Art. 61 Abs. 2 tOR a. F. „insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn […]“ verdeutlichte mit der Formulierung „insbesondere“, dass die genannten Fälle lediglich als Beispiele erfasst waren. Damit wurden die Kondiktionsfälle in Art. 61 Abs. 2 tOR a. F. nicht abschließend aufgezählt.332 Inwieweit bei nachträglichen Änderungen von Umständen auf die ungerechtfertigte Bereicherung zurückgegriffen werden konnte, gingen die Meinungen auseinander. 1. Ansichten in der Literatur a) Die Anwendung der ungerechtfertigten Bereicherung befürwortende Ansicht Nach einer Literaturansicht333 ist, bei einer Änderung von Vertragsumständen eine ungerechtfertigte Bereicherung anzunehmen. Diese Ansicht wurde mit der starken Ähnlichkeit zwischen Wegfall der Geschäftsgrundlage und ungerechtfertigter Bereicherung begründet. Daher seien Veränderungen nach Abschluss des Vertrags über das Institut der ungerechtfertigten Bereicherung zu lösen. Beide Institute würden das Ziel der Herstellung der Vertragsgerechtigkeit verfolgen. Eine ungerechtfertigte Vermehrung des Vermögens solle vermieden werden. Zudem ermögliche die nicht abschließende Regelung in Art. 61 Abs. 2 tOR a. F. die Subsumtion auch der nachträglichen Änderung von Umständen unter den Wortlaut ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund. Diese Ansicht wurde anhand eines Beispiels verdeutlicht, in dem es um Geldschulden ging, bei denen sich infolge der Inflation häufig die Umstände ändern: Ein Darlehensnehmer nahm vor der Inflation ein Darlehen über 100 Mio. TL auf, um eine Fabrik zu eröffnen. Da das Geld nach der Inflation viel an Wert verloren hatte, konnte der Darlehensnehmer diese 100 Mio. TL durch die Produktion und den Verkauf von wenigen Schrauben, die er in seiner Fabrik produzierte, die gesamte Darlehenssumme tilgen. Dies führte dazu, dass der Schuldner in dem Umfang des Wertverlustes des Geldes bereichert war und der Gläubiger in diesem Umfang einen Verlust erlitt. Dies sei mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar.334 Vorliegend verliere das Geld aufgrund der Inflation an Wert. Daher entstehe einer Serozan, ˙Ifa, S. 272. Arsebük, Borçlar Hukuku, S. 340. Dass die Kondiktionsfälle in Art. 77 tOR (61 tOR a. F.) nicht abschließend sind, wird in der Gesetzesbegründung betont. 333 Gürsoy, Clausula, S. 30. 334 Gürsoy, Clausula, S. 30. 331

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§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Vertragspartei ein Nachteil. Der Gewinn der einen Partei sei nicht gerechtfertigt und folglich auch grundlos. Für die ungerechtfertigte Bereicherung spiele es keine Rolle, ob ein Vertrag vorliege oder nicht, sodass die andere Seite den entsprechenden Betrag nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung verlangen könne. Der Schuldner, der aufgrund einer Inflation seine Schuld tilgen könne und somit einen Vorteil genieße, habe sich zwar sowohl dem Inhalt und der Form nach gesetzestreu verhalten, dennoch sei sein Vertragspartner im Umfang seiner Bereicherung verarmt. Dieses Ergebnis könne nicht hingenommen werden und verstoße gegen das Rechtsempfinden eines jeden gerecht denkenden Menschen.335 Der Richter müsse hier eingreifen, diesen nicht hinnehmbaren Zustand mit dem Institut der ungerechtfertigten Bereicherung beseitigen und einen neuen, gerechten Zustand schaffen. In diesem Fall seien alle Voraussetzungen der ungerechtfertigten Bereicherung gegeben. Auch die Rechtsfolge der ungerechtfertigten Bereicherung entspreche den Interessen beider Parteien. b) Gegenansicht Einer anderen Ansicht nach war, auch wenn der Schuldner aufgrund der Inflation und zulasten des Gläubigers einen hohen Gewinn erzielt hat, im technischen Sinne keine ungerechtfertigte Bereicherung vorhanden, sodass auch deren Anwendung nicht in Frage kommt. Die Parteien hätten bei dem Vertragsabschluss einen Zweck vereinbart. Bei einem Kaufvertrag sei der vom Verkäufer verfolgte Zweck, dass der Käufer den Kaufpreis zahlt und die Sache abnimmt.336 Mit der Zahlung dieser Kaufpreisschuld werde der Vertragszweck erfüllt.337 Von einer Leistung ohne Grund könne keine Rede sein. Wenn in diesem Fall die Partei die von ihr versprochene Leistung erbringe (wenn also der Fabrikant das Geld, das er für die Gründung seiner Fabrik brauchte, nunmehr mit dem Verkauf von ein paar Schrauben zurückzahlen kann), komme eine ungerechtfertigte Bereicherung nicht mehr in Betracht. Die Anwendung der ungerechtfertigten Bereicherung auf diese Fälle führe zu einer Zweckentfremdung dieses Instituts. Auch wenn das Schweizerische Bundesgericht in seinen ersten Entscheidungen zunächst die Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung seinen Entscheidungen zugrunde gelegt hatte, so sei es von dieser Praxis zugunsten der Anwendung des Institutes der Geschäftsgrundlage abgerückt. Treten nach Abschluss des Vertrags Änderungen von Umständen ein, so komme eine Anpassung des Vertrags mittels des Institutes des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht, da dieses Institut eine 335 Gürsoy, Clausula, S. 30; Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 21; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 62. 336 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 63 ff; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 881. 337 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 63 ff; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 881.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

flexible Rechtsfolge ermögliche.338 Des Weiteren könne die ungerechtfertigte Bereicherung aus dem Grund nicht angewandt werden, da sie voraussetze, dass die Leistung bereits erbracht wurde, die dann mittels der ungerechtfertigten Bereicherung zurückverlangt wird. Die Erfüllung der Leistung sei in diesen Fällen noch nicht eingetreten, damit sei die vertragliche Beziehung noch nicht beendet. Folglich könne die noch nicht erbrachte Leistung auch nicht als rechtsgrundlos erbracht angesehen werden.339 Schließlich liege ein Vertrag vor, der den Rechtsgrund für die Leistung bildet. Folglich habe die eingetretene Bereicherung einen Rechtsgrund.340 2. Stellungnahme Das Zurückgreifen auf das Institut der ungerechtfertigten Bereicherung bietet für die Lösung nachträglicher Änderungen von Umständen keine sachgerechte Rechtsgrundlage. In den oben genannten Beispielen haben die Parteien einen Vertrag geschlossen und anschließend ändern sich die Umstände aufgrund der Inflation derart, dass eine der beiden Parteien dadurch verarmt. In den Fällen, in denen ein Vertrag vorliegt, bleibt für die Anwendung der ungerechtfertigten Bereicherung aufgrund der Subsidiarität kein Raum mehr. Es widerspricht der Gesetzessystematik, vertragliche Vereinbarungen vorrangig über bereicherungsrechtliche Normen zu lösen. Profitiert eine der Parteien in solchen Fällen von den eingetretenen Änderungen, bedeutet dies nicht, dass die daraus resultierenden Vorteile zwangsläufig ungerechtfertigt sind. Der Vertrag bildet den Grund für die Leistung, und die Vertragsparteien haben diesen Vertrag privatautonom geschlossen. Es entspricht zwar nicht dem Gedanken der Gerechtigkeit, wenn eine Vertragspartei aufgrund der Inflation und zulasten seines Vertragspartners bereichert wird, jedoch ist in diesen Fällen zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit nicht zwingend erforderlich, auf das Institut der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzugreifen. Die Vertragsgerechtigkeit lässt sich im vorliegenden Fall über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wiederherstellen. Durch das Abstellen auf die ungerechtfertigte Bereicherung wird dieses Institut derart verbogen und auf Konstellationen angewandt, auf die es nach dem Gesetzeszweck gerade keine Anwendung finden soll.

Serozan, ˙Ifa, S. 227. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 80; Öz, Sebepsiz Zenginles¸me, S. 70; Tekinay/ Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 734 ff.; Reisog˘lu, Sebepsiz I˙ktisap, S. 33; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 881. 340 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 80; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 63 ff. 338

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§ 1 Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Vor allem bietet die flexiblere Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Gegensatz zu der Rechtsfolge einer ungerechtfertigten Bereicherung einzelfallgerechtere Lösungen. Danach kommt im Falle eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Anpassung des Vertrags an die eingetretenen Veränderungen der Umstände in Betracht. Diese Anpassung kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen: Neben der Verlängerung einer Frist kommt beispielsweise die Veränderung der Leistungsart oder des Leistungsortes in Betracht. Aus den genannten Gründen ist die Ansicht der Anwendung der ungerechtfertigten Bereicherung abzulehnen. 3. Gegenwärtige Bedeutung der Theorie über ungerechtfertigte Bereicherung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage Im neuen türkischen Obligationenrecht ist nunmehr sowohl der Wegfall der Geschäftsgrundlage als auch die ungerechtfertigte Bereicherung geregelt. Dadurch bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die ungerechtfertigte Bereicherung für sich allein nicht in der Lage ist, eine adäquate Lösung für alle Fälle der nachträglich eingetretenen Veränderung der Umstände zu bieten. Das türkische Recht unterteilt ebenfalls die Bereicherungsansprüche in Leistungs- und Nichtleistungskondiktionen, wobei die Nichtleistungskondiktion für die Abgrenzung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Bedeutung hat, da es hier zu keinen Überschneidungen kommt. Lediglich die Zweckverfehlung und der spätere Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. Art. 77 Abs. 2 tOR spielen aufgrund der Ähnlichkeiten für die Abgrenzung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Rolle. Mit der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Art. 138 tOR ist zu erwarten, dass nunmehr auch im türkischen Zivilrecht diese Abgrenzungsproblematik Grundlage für weitreichende Diskussionen bieten wird, wobei die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Türkei noch keine rechtliche Regelung erfahren hat. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch im türkischen Recht, vergleichbar dem deutschen Recht, dem Wegfall der Geschäftsgrundlage im Verhältnis zu der ungerechtfertigten Bereicherung bei nachträglichen Änderungen von Umständen aufgrund der Subsidiarität und der flexibleren Rechtsfolge der Vorrang einzuräumen ist.

C. Zusammenfassung Wie oben erwähnt, sind in Bezug auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage in der türkischen Rechtslehre und Rechtsprechung zahlreiche Lösungsansätze zur Regelung der Änderung nachträglicher Umstände vorgenommen worden. Basierend auf der Ähnlichkeit hinsichtlich des Gesetzeszwecks und den Voraussetzungen wurde sowohl auf den Grundlagenirrtum gem. Art. 21 tOR a. F., die Unmöglichkeit gem. Art. 117 tOR a. F., die Vertragsergänzung als auch den Grundsatz von Treu und Glauben gem. Art. 2 tZGB zurückgegriffen.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Die Lösungsansätze der türkischen Rechtsliteratur basierten auf analogen Anwendungen zu bestehenden Normen. Besonders die Vertreter der Ansicht, die die analoge Anwendung einer Norm verneinten, entwickelten zugleich die Voraussetzungen der Geschäftsgrundlage (Vertragsanpassung wegen veränderter Umstände). Sie versuchten daher durch die Gegenüberstellung der von ihnen entwickelten Voraussetzungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage zu den analog anzuwendenden Normen zu belegen, dass es keine vergleichbaren Sachverhalte gibt und deswegen eine Analogie nicht in Betracht kommt. Vielmehr liege die Lösung in der Schaffung einer neuen Norm. Die Analogie-verneinende Ansicht war in der türkischen Literatur begrüßenswert, da Analogie immer nur eine Hilfskonstruktion und nie eine endgültige Lösung ist. Seit 1937 wandte auch die Rechtsprechung die oben genannten unterschiedlichen Vorschriften und die von der Lehre entwickelten Theorien zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik an. Eine einheitliche Vorgehensweise oder eine überwiegende Tendenz zu einer der Lösungsansätze ist hierbei nicht erkennbar. Die Gerichte haben vielmehr einzelfallbezogen gehandelt und entschieden. Interessanterweise versuchte sich weder die Rechtslehre noch die Rechtsprechung an einer Definition des Grundlagenbegriffs, um eine dogmatische Lösung anstreben zu können. Trotz zahlreicher Ansätze konnte, wie oben dargestellt, keiner dieser Ansätze tatsächlich überzeugen und eine interessengerechte Lösung bieten. Auch wenn die Parallelen und Ähnlichkeiten der einzelnen Normen mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht von der Hand zu weisen sind, enthält jeder Lösungsansatz gewisse Lücken und führt somit zu unterschiedlichen Ergebnissen bei vergleichbaren Sachverhalten. Vor allem der Blick auf die unterschiedlichen und strengen Rechtsfolgen der einzelnen Institute steigert das Verlangen nach einer allgemeinen, speziell auf diesen Umstand bezogenen umfassenden Norm zur Regelung der Grundlagenproblematik. Auch wenn der Gesetzgeber dem Richter mit der Kodifizierung des Obligationenrechts im Jahr 1926 weitreichende Befugnisse zur Lösung rechtlicher Fragen eingeräumt hat, zeigen die unterschiedlichen Lösungsansätze in Rechtsprechung und Lehre doch, dass eine Regelung der Grundlagenproblematik unumgänglich ist, um die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist es unabdingbar, die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen im Gesetz festzulegen, damit die Gerichte einheitliche Entscheidungen fällen können, um die Willkür des Richters auszuräumen. Trotz dieser zahlreichen Meinungsstreitigkeiten und Diskussionen scheint es nicht verständlich, warum der Gesetzgeber diese Problematik bis zum Jahre 2012 nicht zu regeln vermochte.

§ 2 Kodifikation des Art. 138 tOR

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§ 2 Kodifikation des Art. 138 tOR A. Gesetzliche Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Die Geschichte des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zeigt, dass sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung der Versuch unternommen wurde, eine Lösung für die Geschäftsgrundlagenproblematik zu finden. Der türkische Gesetzgeber löste dieses Problem, im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2012, durch die Einführung des Art. 138 tOR. Im Folgenden wird erörtert, welche Motive den Gesetzgeber zur Kodifikation bewegten und welche Vorarbeiten geleistet wurden, bis die Kodifizierung in Kraft trat. I. Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung Die Übernahme des schweizerischen Obligationenrechts enthielt zwar keine allgemeine Regelung für die Anpassung des Vertrags wegen veränderter Umstände. Es gab jedoch vor der Schuldrechtsreform Einzelbestimmungen im Obligationengesetz, die den Gedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für Spezialfälle in sich bargen, z. B. Art. 365 Abs. 2 tOR a. F.341 Zunächst ist es hilfreich, die türkische Schuldrechtsreform näher darzustellen. II. Vorarbeiten bis zur Kodifizierung 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform Die Notwendigkeit der Reform des Schuldrechts begründet sich mit den sozialen Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft. Im Laufe der Zeit hat sich die türkische Gesellschaft sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht weiterentwickelt. Das alte Schuldrecht war nicht mehr zeitgemäß und lieferte daher keine zufriedenstellenden Ergebnisse mehr. Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Entwicklungen geben grundsätzlich Anlass zur Reform eines Gesetzes.342 Der türkische Gesetzgeber hielt es deshalb für erforderlich, das Schuldrecht zu reformieren.343 Das Ziel des Gesetzgebers war eine große Schuldrechtsreform, die, losgelöst von der bisherigen Rechtslage, neue, umfangreichere Normen enthalten sollte. Ein wichtiger Aspekt war auch die Entwicklung eines eigenen Gesetzes, da das alte Schuldrecht direkt ohne Änderungen von dem schweizerischen Recht 341

Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3027); Baygın, EÜHFD 2010, C. XIV, Sa. 3 – 4, S. 119 (142); Acar, EÜHFD 2008, C. XII, Sa. 1 – 2, S. 112 (119). 342 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/ 6098ss.pdf; S.Sayısı 321, S. 2. 343 Koç, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 15.

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übernommen wurde. Als Vorlage für die Übernahme diente die französische Version des schweizerischen Gesetzes. Wie bereits erwähnt, entstanden bei der Übersetzung ins Türkische zahlreiche Fehler. Es kam erschwerend hinzu, dass das alte Schuldrecht in alttürkischer Sprache geschrieben und daher nur sehr schwer verständlich war. Es galt, das alte Schuldrecht zu erneuern und sprachlich zu vereinfachen. Ein weiterer Aspekt der Reform des Schuldrechts war die Angleichung an die europäische Rechtslage.344 Um die Aufnahme in die Europäische Union zu ermöglichen, hielt es der türkische Gesetzgeber für erforderlich, die Richtlinien der Europäischen Union bei der Reform zu beachten und die Gedanken der Europäischen Union in seine Gesetze mit einfließen zu lassen.345 Trotz der eigens gesetzten Vorgabe, sich an der europäischen Rechtslage zu orientieren, zog der türkische Gesetzgeber bei der Reform wieder, – genau wie im Jahre 1926 –, in erheblichen Maße das schweizerische Schuldrecht als Grundlage heran. Diese Vorgehensweise hat in der türkischen Literatur große Kritik erfahren. Nach Serozan346 sollte allein der Umstand, dass das türkische Zivilgesetz aus dem schweizerischen Recht rezipiert wurde, den türkischen Gesetzgeber nicht dazu veranlassen, sich auch in der heutigen Zeit am schweizerischen Zivilgesetz zu orientieren. Serozan347 begründet seine Kritik damit, dass die Schweiz kein EU-Land ist und infolgedessen auch nicht verpflichtet ist, die vereinbarten Verträge innerhalb der EU zu befolgen. Ferner unterliege die Schweiz, welche eine Einwohnerzahl von nur 7,7 Mio. hat, nicht denselben gesellschaftlichen Problemen wie die Türkei mit ihren über 70 Mio. Einwohnern.348 Serozan kann dem türkischen Gesetzgeber insoweit nicht folgen, sofern man beachte, dass möglicherweise auch die Schweiz gedenkt, ihr eigenes Schuldrecht zu reformieren. Dieses enthalte nämlich auch keine Vorschriften für die Regelung der Störung der Geschäftsgrundlage und der allgemeinen Geschäftsbedingungen.349 Serozan350 kritisiert, dass die unterschiedlichen Vertragstypen innerhalb des internationalen Privatrechts keine Berücksichtigung gefunden haben, vor allem unter Beachtung der Tatsache, dass einer der Gründe für die Reform des Schuldrechts war, in Zukunft nicht mehr mit Anpassungsschwierigkeiten hinsichtlich internationaler Verträge konfrontiert zu werden.351

344 345 346 347 348 349 350 351

Koç, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 15. Koç, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 15. Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40).

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2. Der Weg zur Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Im Gegensatz zum deutschen Recht wurde die Idee, die Geschäftsgrundlagenproblematik gesetzlich zu verankern, bis zum Zeitpunkt der Schuldrechtsmodernisierung weder in Form von Gutachten vorbereitet noch von Kritikern der Rechtslage geäußert. Eine Beschäftigung mit dieser Problematik hatte es allerdings bereits gegeben. a) Entwürfe zur Kodifikation der Geschäftsgrundlagenproblematik Nachdem sich die Kommission acht Jahre mit der Kodifizierung des Obligationenrechts beschäftigte, veröffentlichte sie erstmalig im Januar 2005 den Gesetzesentwurf des Obligationenrechts. Dieser Entwurf regelte den Wegfall der Geschäftsgrundlage unter der Überschrift der Leistungserschwerung in Art. 143 tOR. Art. 143 tOR lautet wie folgt: Die Leistungserschwerung Treten Umstände ein, die bei Abschluss des Vertrags von den Parteien nicht vorhergesehen worden sind und auch nicht hätten vorhergesehen werden können, die nicht vom Schuldner verursacht worden sind, und führen diese dazu, dass die bei Vertragsabschluss vorhandenen Umstände sich derart zulasten des Schuldners ändern, dass das Verlangen der Leistungserfüllung gegenüber dem Schuldner gegen Treu und Glauben verstößt und hat der Schuldner seine Leistung noch nicht erfüllt oder aber hat er sich seine Rechte, die aus der erheblichen Leistungserschwerung entstanden sind, bei der Erfüllung vorbehalten, kann der Schuldner verlangen, dass der Vertrag an die neuen Umstände angepasst wird oder, sofern dies nicht möglich ist, vom Vertrag zurücktreten. Bei Dauerschuldverhältnissen tritt an die Stelle des Rücktrittsrechts ein Kündigungsrecht.

Der Gesetzgeber berücksichtigte nur den Kritikpunkt hinsichtlich des weitgefassten Begriffs der Umstände und ergänzte diesen um das Wort außerordentliche Umstände.352 Da einige Normen aufgrund von Kritiken aus dem Gesetzesentwurf entnommen wurden, fand der Wegfall der Geschäftsgrundlage seinen Platz schließlich in Art. 137 tOR. Art. 137 tOR lautet wie folgt: Die Leistungserschwerung Treten außerordentliche Umstände ein, die bei Abschluss des Vertrags von den Parteien nicht vorhergesehen worden worden sind, und nicht hätten vorhergesehen werden können, die nicht vom Schuldner verursacht sind und führen diese dazu, dass die bei Vertragsabschluss vorhandenen Umstände sich derart zulasten des Schuldners ändern, dass das Verlangen der Leistungserfüllung gegenüber dem Schuldner gegen Treu und Glauben verstößt, und hat der Schuldner seine Leistung noch nicht erfüllt oder aber hat er sich seine Rechte, die aus der erheblichen Leistungserschwerung entstanden sind, bei der Erfüllung vorbehalten, 352 Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C¸avus¸og˘lu-Is¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na ˙Ilis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84; Acar, EÜHFD 2008 C. XII, Sa. 1 – 2, S. 112 (120).

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kann der Schuldner vom Richter verlangen, dass der Vertrag an die neuen Umstände angepasst wird, oder, sofern dies nicht möglich ist, vom Vertrag zurücktreten. Bei Dauerschuldverhältnissen tritt an die Stelle des Rücktrittsrechts ein Kündigungsrecht.

aa) Kritik an Entwürfen Obwohl die Entwürfe zu der Kodifikation des Wegfalls der Geschäftsgrundlage von der Literatur sehr begrüßt wurden, gab es auch massive Kritik an diesen. Die erste Kritik betraf den ersten Entwurf des Art. 143 tOR. Hauptkritikpunkt war hierbei, dass der Begriff der Umstände zu weit gefasst sei. Statt Umstände müsse sich der Tatbestand vielmehr auf außerordentliche Umstände beziehen, um eine Berufung auf diesen Artikel bei jeder Änderung der Vertragsumstände zu vermeiden. Die Veränderung der Umstände müsse außerordentlich und objektiv feststellbar sein.353 Auf diese Kritik reagierte der Gesetzgeber, in dem er in den zweiten Entwurf gem. Art. 137 tOR das Erfordernis des außerordentlichen Ereignisses ausdrücklich in den Wortlaut der Norm aufgenommen und diese Version schließlich unverändert in den dritten und letzten Entwurf übernommen und als Art. 138 tOR kodifiziert hat. Den weiteren angeführten Kritikpunkten wurde vom Gesetzgeber keine Beachtung geschenkt. Beispielsweise wurde auch die systematische Stellung der Norm kritisiert. Die unmittelbare Angliederung unter die Unmöglichkeitsregeln entspreche nicht der Gesetzessystematik, da es sich um verschiedene Institute handele. Die neue Vorschrift befindet sich im Teil III: Erlöschen und Verjährung der Schuldverhältnisse. Die Platzierung an diese Stelle sei aber nicht gut gelungen. Denn die Hauptrechtsfolge des Art. 138 tOR sei die Anpassung des Vertrags und nicht dessen Erlöschen.354 Die Stellung der Norm im Gesetz lege aber die Annahme nahe, dass die sekundäre Rechtsfolge vom Gesetzgeber bevorzugt wurde.355 Als Kritik in diesem Zusammenhang wird weiterhin angeführt, dass bei einer Platzierung unmittelbar nach den Unmöglichkeitsregeln, zumindest aus dem Wortlaut, erkennbar sein müsse, dass die Leistung im Gegensatz zu den Unmöglichkeitsregeln noch erfüllbar ist.356 Nach Arat357 wäre es sachgerechter, diese Norm unter Art. 18 tOR a. F. (Art. 19 tOR n. F.) als nächsten Artikel mit der Überschrift „Anpassung des Ver-

Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C¸avus¸og˘lu-Is¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na ˙Ilis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 354 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Atamer, HPD 2006 Sa. 6, S. 8 (27); Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (46); Baygın, EÜHFD 2010, C. XIV, Sa. 3 – 4, S. 119 (142). 355 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (47); Baygın, EÜHFD 2010, C. XIV, Sa. 3 – 4, S. 119 (142). 356 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 91; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘luIs¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na ˙Ilis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84; Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (47). 357 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90. 353

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trags“ zu regeln. Baysal358 regt an, das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach den Vorschriften des Verzugs zu regeln. Begründet wird diese Anregung damit, dass auch der Verzug erst bei Hinzutreten weiterer Voraussetzungen zur Beendigung eines Schuldverhältnisses führe, vergleichbar dem Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Eine Beendigung des Schuldverhältnisses im Falle sich nach Vertragsabschluss ändernder Umstände solle erst dann in Betracht kommen, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder dem anderen Teil nicht zumutbar ist.359 Vor allem in sprachlicher Hinsicht hat der Entwurf zu Art. 143 tOR eine enorme Kritik erfahren.360 Aufgrund der Intention, alle Voraussetzungen in einem Satz zusammenzufassen, sei die vorläufige Version des Art. 143 tOR sehr lang geworden.361 Die Länge der Norm erschwere einerseits dessen Verständnis und sei andererseits auch in sprachlicher Hinsicht nicht gut gelungen.362 Zudem könne der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht unter die Überschrift der Leistungserschwerung gefasst werden, da die Leistungserschwerung lediglich eine Fallgruppe der Geschäftsgrundlage darstelle.363 Da Leistungserschwerungen seltener vorkommen, wäre eine allgemeinere Überschrift sachgerechter gewesen. Des Weiteren könne sich lediglich der Schuldner auf eine Leistungserschwerung berufen.364 Auch die Anpassungsmöglichkeit sei in diesem Fall, im Gegensatz zu den anderen Fällen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, geringer.365 In der Literatur wird weiter kritisiert, dass der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat, ob eine Neuverhandlungspflicht besteht oder ob es sich bei der Neuverhandlung lediglich um eine Obliegenheit handelt.366

358 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 87 f.; Baygın, EÜHFD 2010, C. XIV, Sa. 3 – 4, S. 119 (142). 359 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 87 f. 360 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 89; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘luIs¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na I˙lis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 361 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 89; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘luIs¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na I˙lis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 362 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 89; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘luIs¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na ˙Ilis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 363 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 87 f.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 114 f. und besonders Fn. 3; Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (46); Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 236; Baygın, EÜHFD 2010, C. XIV, Sa. 3 – 4, S. 119 (143). 364 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 238 f. 365 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 87 f.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 114 f. und besonders Fn. 3; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 236. 366 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 234; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 141; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Auch die sich aus dem Wortlaut ergebende Regelung, dass nur der Schuldner sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann und dass der Richter hinzugezogen werden muss, um eine Anpassung zu erreichen, hat in der Literatur Kritik erfahren. Dies sei eine ungerechte und unsachgemäße Einschränkung und Benachteiligung der Privatautonomie.367 Kritisiert wird auch die Voraussetzung der Nichterfüllung des Vertrags oder der Erfüllung unter Vorbehalt, um das Anpassungsrecht geltend machen zu dürfen.368 Nach zahlreicher Kritik kam es zu einem neuen Gesetzesvorschlag seitens Atamer.369 Dieser lautete wie folgt: I. Haben sich die Umstände, die die Grundlage des Vertrags bilden, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen, wenn sie diese Veränderungen vorausgesehen hätten, so kann der Vertrag angepasst werden. Um dies zu beurteilen ist erforderlich, dass bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. II. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zumutbar, so kann die benachteiligte Partei vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung. III. Rechtfertigen die Umstände und die Voraussetzungen einen Rücktritt nicht, kann der Richter den Vertrag anpassen.370

Ein weiterer Vorschlag kam von Baysal und lautete wie folgt:371 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage I. Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert, ohne dass die Parteien die Veränderungen vorhergesehen haben oder hätten vorhersehen können, und haben die Parteien diese Situation nicht zu verantworten, sodass unter Beachtung der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung ein Festhalten am unveränderten Vertrag nach Treu und Glauben nicht erwartet werden kann, so gilt die Geschäftsgrundlage als weggefallen. II. Die benachteiligte Partei kann die Anpassung des Vertrags verlangen, und sofern dies nicht möglich ist, vom Vertrag zurücktreten. Um dieses Recht ausüben zu können, ist es erforderlich, dass die benachteiligte Partei den anderen Teil entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben zu Neuverhandlungen einlädt und somit in Neuverhandlungen tritt. Die Rechtsfolge tritt mit Zugang der Anpassungserklärung ein.“

367

Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 130 ff.; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 239. 368 Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 135 f.,149; Serozan Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150. 369 Atamer, HPD 2006 Sa. 6, S. 8 (26). 370 Atamer, HPD 2006 Sa. 6, S. 8 (26). Vorbild aus dem deutschen § 313 BGB. 371 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 28.

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Andere Kritiker gingen soweit, die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für überflüssig zu halten. Streitigkeiten bei nachträglichen Änderungen von Umständen seien mit Hilfe vorhandener Normen lösbar. Nicht jedes Institut oder jeder Rechtsgedanke müsse kodifiziert werden.372 bb) Stellungnahme Es ist begrüßenswert, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage, nach langjähriger und mühsamer Auseinandersetzungen der Gerichte und der Literatur mit diesem Thema, schließlich kodifiziert wurde. Diese Kodifikation vermeidet willkürliche Entscheidungen der Gerichte und dient somit der Rechtssicherheit. Die Regelung der Anpassung als Primärrechtsfolge ist eine der lobenswertesten Regelungen, da sie den Parteien flexible und interessengerechte Lösungen bietet. Dennoch ist der vorgebrachten Kritik aus der Literatur Recht zu geben. Die Eingliederung der Norm unmittelbar im Anschluss an die Unmöglichkeitsregelungen ist unsachgerecht und verfehlt. Zu Beginn hat das Bundesgericht bei seinen Entscheidungen die schwerwiegende Veränderung der Umstände als wirtschaftliche Unmöglichkeit eingestuft, hat sich aber in der Folgezeit von dieser Einstellung distanziert. In der heutigen Zeit besteht Einigkeit darüber, dass das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unabhängig von der Unmöglichkeit zu betrachten ist. Einerseits betont der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung von einer Leistungserschwerung aus, die den Begriff der Unmöglichkeit nicht umfasst. Folglich geht bereits aus der Gesetzesbegründung hervor, dass diese beiden Institute streng voneinander abzugrenzen sind. Andererseits regelt der Gesetzgeber den Wegfall der Geschäftsgrundlage unter der Überschrift der Leistungserschwerung unmittelbar nach den Regelungen zur Unmöglichkeit. Eine solche Vorgehensweise ist verfehlt. Eine Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach den Verzugsvorschriften unter dem Untertitel „Beendigung und Veränderung von Rechtsgeschäften“ wäre zutreffender. Die Verzugsregeln führen nicht unmittelbar zur Beendigung des Vertrags. Der Beendigung des Vertrags müssen zunächst bestimmte Voraussetzungen, wie beispielsweise die Mahnung, vorausgehen. Dies entspricht eher dem Rechtsgedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, welcher vor der Auflösung des Vertrags primär die Anpassung an die veränderten Umstände vorsieht. Nach einer Literaturansicht373 wird zudem von den Parteien die Aufnahme von Neuverhandlungen verlangt, bevor diese den prozessualen Weg einschlagen. Eine weitere Lösungsmöglichkeit wäre, die Eingliederung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unter Treu und Glauben im Zivilgesetzbuch zu regeln, um so eine Allgemeingültigkeit zu erreichen. Im türkischen Recht ist eine Unterteilung zwischen dem Zivilgesetzbuch und dem Obligationenrecht vorhanden, und der Grundsatz von Treu und Glauben ist im Zivilgesetzbuch geregelt. 372 373

Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (38). Gürsoy, Clausula, S. 173.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Auch die Wahl der Überschrift „Leistungserschwerung“ ist kritikwürdig. Obwohl die Störung der Geschäftsgrundlage drei Fallgruppen, die Leistungserschwerung, die Zweckstörung und die Äquivalenzstörung umfasst, hat der türkische Gesetzgeber nur die selten vorkommende Fallgruppe, „Leistungserschwerung“ geregelt.374 Warum der türkische Gesetzgeber nur die Leistungserschwerung geregelt hat, hat dieser nicht ausdrücklich erklärt. Der türkische Gesetzgeber hätte diese Norm mit all ihren Fallgruppen ausdrücklich formulieren müssen. Vor allem sollte der Gesetzgeber der „Äquivalenzstörung“ größere Beachtung schenken, da die Äquivalenzstörung heutzutage häufig aufgrund von Finanzkrisen und der Hyperinflation eintritt und somit ein Problem für die vertraglichen Beziehungen darstellt. Die Äquivalenzstörung bildet den Hauptanwendungsfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage spielt vor allem in einer Zeit, in der vielen Ländern die Staatsinsolvenz droht, eine enorm große Rolle. Daher war die Kodifizierung dieser Norm im türkischen Recht außerordentlich wichtig. Unter dem Wegfall der Geschäftsgrundlage versteht man primer die Äquivalenzstörung. Eine sachgerechte Begründung des Gesetzgebers für die Wahl der Überschrift ist nicht erkennbar. Die Erläuterung, er habe die Unterteilung der einzelnen Fallgruppen den Gerichten gem. Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 tZGB überlassen, um dem Richter mehr Spielraum zu geben,375 vermag nicht zu überzeugen. Die Überschriftenwahl „Leistungserschwerung“ vermittelt dem Anwender sowie dem Richter den Eindruck, der Gesetzgeber habe nur die Leistungserschwerung regeln und die anderen Fallgruppen auslassen wollen. Statt dem Richter folglich mehr Spielraum zu überlassen, schränkt der Gesetzgeber den Spielraum mit dieser Wahl der Überschrift eher ein, da er sich nach außen lediglich auf die Leistungserschwerung beschränkt. Auch der deutsche Gesetzgeber hat die einzelnen Fallgruppen im Wortlaut nicht ausdrücklich geregelt. Durch die Wahl einer allgemeinen Überschrift wird jedoch der Gefahr eines falschen Verständnisses in Form der Beschränkung auf die Leistungserschwerung vorgebeugt. Statt alle Fallgruppen ausdrücklich in einer Norm zu formulieren, ist es nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber es vorgezogen hat, auf die allgemeinen Normen in Art. 2 Abs. 1 oder Art. 1 Abs. 2 tZGB zu verweisen. Infolgedessen wird die Regelung des Art. 138 tOR überflüssig, denn auch vor der Verabschiedung dieser Norm hat sowohl die Rechtsprechung als auch die Lehre dieses Problem über Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 2 tZGB gelöst, sodass die Situation im Ergebnis dieselbe wie auch vor der Reform des Schuldrechts war. Letztendlich ist festzustellen, dass die Wahl der Überschrift des türkischen Gesetzgebers trotz einer allgemeinen Formulierung in der Gesetzesbegründung und der Bezeichnung als Störung der Geschäftsgrundlage wie auch der berechtigten Kritik des Entwurfs nicht nachvollziehbar ist. Eine klare Linie oder eine verfolgte Intention des Gesetzgebers geht aus seiner Vorgehensweise nicht hervor. 374

Ähnlich Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 154. http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 77. 375

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Die vor der Kodifikation den Gedanken der Geschäftsgrundlagenproblematik tragende Festpreisregelung in Werkverträgen gem. Art. 480 Abs. 2 tOR bietet ebenso Anlass zur Kritik. Die Voraussetzungen sind in beiden Vorschriften trotz des gemeinsamen Gesetzeszwecks sehr unterschiedlich. Diese Unterscheidung wird weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung erläutert. Die Regelung in Art. 480 Abs. 2 tOR steht im Übrigen im Widerspruch zu der Regelung in Art. 138 tOR. Bei Festpreisregelungen nimmt gerade eine Partei das Risiko der Sachverhaltsänderung in Kauf. Die Ermöglichung des Rückgriffs auf Geschäftsgrundlagenvorschriften erscheint daher nicht verständlich. Es ist auch nicht interessengerecht, lediglich dem Schuldner den Rückgriff auf Art. 138 tOR zu gewähren. Eine allgemeinere Fassung, die auch der benachteiligten Partei dieses Recht gewährt, wäre begrüßenswert. Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung war von der Literatur376 und der Rechtsprechung377 anerkannt, dass nicht nur der Schuldner, sondern auch die benachteiligte Partei sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann. Bei der Vertragsanpassung begehrt die Partei nicht nur die Anpassung der Schuld, sondern auch seiner Forderung. Bei einem Mietvertrag beispielsweise liegt die Schuld des Vermieters in der Gewährung des Gebrauchs der Mietsache. Bei einer Mietzinserhöhung begehrt der Vermieter in diesem Fall daher nicht die Anpassung seiner Schuld, sondern die Anpassung seiner Forderung. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Wahl des Begriffs Schuldner in dieser Konstellation nicht geeignet ist. Schuldner und Gläubiger sind eher technische Begriffe, die sich lediglich auf eine Partei beziehen. Eine weite Auslegung, welche auch die Gegenpartei mit umfasst, ist mit diesen Begriffen nicht möglich. Generell handelt es sich um nicht auslegungsfähige Begriffe. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage bedarf vielmehr einer allgemeineren Bezeichnung des Aktivlegitimierten, da es sich bei dieser Vorschrift um eine allgemeine Norm handelt. Der türkische Gesetzgeber hätte sich bei der Kodifizierung an die deutsche Norm halten und die Wort- und Begriffswahl übernehmen können, um diesen Fehler zu vermeiden. Auch die Beschränkung auf die Hinzuziehung des Richters zur Geltendmachung dieser Norm entspricht nicht den Interessen der Parteien. Obwohl der erste Entwurf Art. 143 tOR die Beschränkung auf die Hinzuziehung des Richters nicht enthielt, hat der Gesetzgeber ohne weitere Begründung diese Beschränkung im Entwurf des Art. 137 tOR geregelt. Diese Regelung ist nicht nachvollziehbar, da es den Parteien aufgrund ihrer Privatautonomie möglich sein muss, die Anpassung oder Vertragsauflösung ohne den Richter selbst vorzunehmen. Unabhängig von ihrer vorzuziehenden Privatautonomie geht aus dem Wortlaut der Norm nicht eindeutig hervor, was der Gesetzgeber mit dem Zusatz „Richter“ regeln wollte. Soll dieser Hinweis betonen, dass die Anpassung vor einem Gericht von einem Richter vorzunehmen ist, oder stellt sie eine bloße Floskel dar und ist somit völlig überflüssig? Näherliegend 376

Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 133. Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13599, K. 2003/599. 377

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

wäre wohl die Annahme, dass das Gesetz den Parteien die Möglichkeit der eigenen Anpassung nehmen und diese allein der Entscheidung des Richters überlassen wolle. Während die türkische Rechtsliteratur den europäischen Vorgaben entsprechend über Neuverhandlungspflichten diskutiert, erscheint solch eine Regelung nicht sachgerecht. Sie zwingt die Parteien bei Änderungen von Umständen die Gerichte aufzusuchen, auch wenn ihnen eine Regelung und Anpassung des Vertrags selbst möglich wäre. Weiterhin ist kritikwürdig, dass die Beendigung des Vertrags nur bei Unmöglichkeit der Vertragsanpassung in Betracht kommen kann. Eine Vertragsanpassung kann aber trotz Möglichkeit der Leistung für eine der Parteien unzumutbar sein. Der Gesetzgeber hätte neben der Voraussetzung der Unmöglichkeit auch die Unzumutbarkeit vergleichbar dem deutschen Recht beachten sollen. Auf diese einzelnen Kritikpunkte wird im Folgenden näher eingegangen. b) Kodifizierung des Art. 138 tOR Das Geschäftsgrundlageninstitut wurde schließlich in Art. 138 tOR geregelt. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 04. 02. 2011 wurde die endgültige Fassung im Amtsblatt veröffentlicht378 und trat am 01. 07. 2012 in Kraft.379 Doch zunächst wurde der Entwurf unmittelbar vor der Kodifizierung um einen Absatz erweitert. Dieser Absatz lautet wie folgt: II. Diese Regelung gilt auch bei Fremdwährungsschulden

Der nunmehr den Wegfall der Geschäftsgrundlage regelnde Art. 138 tOR lautet somit wie folgt: Die Leistungserschwerung I. Treten außerordentliche Umstände ein, die bei Abschluss des Vertrags von den Parteien nicht vorhergesehen worden sind und nicht hätten vorhergesehen werden können, vom Schuldner nicht verursacht worden sind und dazu führen, dass sich die Leistung derart zu Ungunsten des Schuldners verändert, sodass das Verlangen nach der Erfüllung gegen Treu und Glauben verstößt, und der Schuldner seine Leistung noch nicht erfüllt hat oder aber bei der Erfüllung der Leistung sich seine Rechte, die aufgrund der Veränderung der Umstände entstanden sind, vorbehalten hat, kann der Schuldner vom Richter verlangen, dass der Vertrag an die veränderten Umstände angepasst wird, und sofern dies nicht möglich ist, kann er von dem Vertrag zurücktreten. Besteht das Schuldverhältnis in einem Dauerrechtsverhältnis, so kann der Schuldner den Vertrag kündigen. II. Diese Regelung gilt auch bei Fremdwährungsschulden.380 378

BGBl. I S. 3138, 3150. BGBl. I S. 3187. 380 Übersetzung ins Deutsche von Art. 138 tOR. Der Originaltext lautet: As¸ırı ifa etme Güçlüg˘ü Sözles¸menin yapıldıg˘ı sırada taraflarca öngörülmeyen ve öngörülmesi de beklenmeyen olag˘anüstü bir durum, borçludan kaynaklanmayan bir sebeple ortaya çıkar ve sözles¸menin yapıldıg˘ı sırada mevcut olguları, kendisinden ifanın istenmesini dürüstlük kurallarına 379

§ 2 Kodifikation des Art. 138 tOR

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Wie oben bereits dargestellt, wurde der Entwurf Art. 137 tOR bis auf die Ergänzung um den zweiten Absatz unverändert übernommen. In diesem Zusammenhang hat der türkische Gesetzgeber die Diskussionen und die Kritik der Literatur hinsichtlich des Entwurfs Art. 137 tOR bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR nicht einfließen lassen. Eine Begründung für die Ergänzung des Art. 138 tOR um Absatz 2 kann darin liegen, dass in der Türkei die türkische Währung regelmäßig, – aufgrund der wirtschaftlichen Schwankungen und der darauffolgenden Eingriffe der Regierung – an Wert verlor und daher in diesem Land viel mit Fremdwährungen gearbeitet wurde.381 Viele Verträge wurden und werden in der Türkei weiterhin auf der Basis von Fremdwährungen geschlossen, um die wirtschaftlichen Schwankungen zu umgehen. Der Arbeitslohn wird jedoch weiterhin mit der Landeswährung gezahlt. Hier führt die Wertsteigerung der Fremdwährung zu der prekären Situation, dass der Bürger seine auf Fremdwährung geschlossenen Verträge allein mit seinen Einnahmen nicht mehr ausgleichen kann. Folge dieser Situation sind Vertragsbrüche bis hin zu Existenzverlusten und somit die Einreichung zahlreicher Klagen auf Seiten beider Parteien.382 Da sich die Gerichte im Hinblick auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage folglich viel mit Fremdwährungen beschäftigen mussten, hielt es der türkische Gesetzgeber für erforderlich, diese Norm auf Fremdwährungen zu erweitern, um die Gerichte zu entlasten. Im Unterschied zum deutschen Recht fällt die Gesetzesbegründung zu Art. 138 tOR sehr knapp aus. In seiner Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber nicht erklärt, warum er den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit diesem Inhalt kodifiziert hat. Aus der Gesetzesbegründung geht nur hervor, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Ausnahme des Grundsatzes pacta sunt servanda sei, dem Grundsatz von Treu und Glauben entstamme und sich von dem Institut der Unmöglichkeit unterscheide. Liegen die Voraussetzungen der Norm kumulativ vor, kann der Schuldner vom Richter die Anpassung des Vertrags verlangen. Ist die Anpassung nicht möglich, kann der Schuldner zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen kündigen. Auch wenn die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sehr begrüßenswert ist, enthält diese Norm zahlreiche Mängel und Lücken, wie die Regelung aykırı düs¸ecek derecede borçlu aleyhine deg˘is¸tirir ve borçlu da borcunu henüz ifa etmemis¸ veya ifanın as¸ırı ölçüde güçles¸mesinden dog˘an haklarını saklı tutarak ifa etmis¸ olursa borçlu, hâkimden sözles¸menin yeni kos¸ullara uyarlanmasını isteme, bu mümkün olmadıg˘ı takdirde sözles¸meden dönme hakkına sahiptir. Sürekli edimli sözles¸melerde borçlu, kural olarak dönme hakkının yerine fesih hakkını kullanır. Bu madde hükmü yabancı para borçlarında da uygulanır. 381 Detailiert für die Fremdwährungschuld und Rechtsfolge: Baygın, Yabancı Para, S. 18 ff. 382 Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/ 7053, K. 2005/328; Y.9.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

von Neuverhandlungen, die Möglichkeit des Gläubigers sich auf diese Norm zu berufen und die Abgrenzungsprobleme zu den anderen Instituten. Die Erörterung und ein entsprechender Vorschlag diesbezüglich werden am Ende der Arbeit präsentiert.

B. Zusammenfassung Ziel der Schuldrechtsmodernisierung war die Schaffung einer eigenen Rechtsordnung, die Angleichung an den europäischen Rechtsgedanken und die Anpassung des Rechtssystems an die soziale und wirtschaftliche Lage im Land. Hauptanliegen war hierbei die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Als Vorlage nahm der Gesetzgeber die deutsche Regelung gem. § 313 BGB, wandte sich somit gleichzeitig von der schweizerischen Rechtsordnung ab.383 Da sich sowohl die Rechtsprechung als auch die Literatur lange Zeit mit dieser Thematik beschäftigt hatte, war eine dogmatische Lösung unentbehrlich. Die Kodifizierung des Art. 138 tOR ist unter diesen Umständen zwar sehr begrüßenswert, kann jedoch aufgrund vorhandener ungeklärter Probleme, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsgrundlageninstitut stehen, nicht ausreichend überzeugen. Die Nichtregelung einer Neuverhandlungspflicht, die Beziehung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zum Grundlagenirrtum und die systematische Einordnung des Art. 138 tOR unmittelbar im Anschluss an die Unmöglichkeitsregeln bieten weiterhin Vorlagen für Diskussionen. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden diese Probleme ausführlich diskutiert und Lösungsvorschläge geboten.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage A. Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Der türkische Gesetzgeber hat sich, wie auch der deutsche Gesetzgeber, diesbezüglich an den von der Rechtsprechung und Literatur bisher entwickelten Voraussetzungen und Grundsätzen orientiert, auch wenn dies in der Gesetzesbegründung nicht ausdrücklich festgehalten wurde. Die bisherigen Literaturansichten und die Rechtsprechungspraxis zur Geschäftsgrundlagenproblematik spielen bei der Darstellung der Voraussetzungen des Art. 138 tOR auch im türkischen Recht eine entscheidende Rolle, vor allem weil die Kodifizierung des Art. 138 tOR erst 2012 erfolgte. Daher ist das Zurückgreifen auf die bisherigen Diskussionen hinsichtlich der Voraussetzungen des Geschäftsgrundlagengedankens unentbehrlich. Aufgrund des Umstandes, dass die Kodifizierung des Art. 138 tOR im Gegensatz zum deutschen 383

Türkiye Büyük Millet Meclisi Adalet Komisyonu, 12. 01. 2009, E. 1/499, K. 21, S. 21.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Recht erst vor sehr kurzer Zeit (01. 07. 2012) erfolgte, sind aktuelle, nach der Kodifizierung entstandene Literaturansichten und Rechtsprechungsentscheidungen kaum vorhanden. Die vorliegende Arbeit bietet erstmalig Gedanken und Bewertungen hinsichtlich des neu kodifizierten Art. 138 tOR. I. Geschäftsgrundlage Zunächst gilt es zu bestimmen, welche Umstände durch Art. 138 tOR überhaupt zur Geschäftsgrundlage erhoben werden. 1. Definitionen und Arten der Geschäftsgrundlage Artikel 138 tOR enthält keine Legaldefinition der Geschäftsgrundlage. Im Gegensatz zum deutschen Recht enthält Art. 138 tOR nicht einmal den Begriff „Grundlage des Vertrags“. Auch in der Gesetzesbegründung ist keine Erklärung für das Auslassen einer Definition enthalten. Interessanterweise hat sich die Rechtsprechung und Literatur bislang nicht mit einer Definition dieses Begriffs beschäftigt. Möglicherweise hilft der Formulierung des Art. 138 tOR der Geschäftsgrundlage, um eine Definition zu formulieren. Im Gegensatz zum deutschen Recht wird im türkischen Recht nicht zwischen objektivem und subjektivem Wegfall der Geschäftsgrundlage unterschieden. Artikel 138 tOR regelt nur den objektiven Wegfall der Geschäftsgrundlage. Eine dem § 313 Abs. 2 BGB vergleichbare Regelung ist im türkischen Recht nicht vorhanden. Auch eine Unterteilung in die Fälle des (anfänglichen) Fehlens und (nachträglichen) Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist im türkischen Recht nicht vorhanden.384 Das Fehlen der Geschäftsgrundlage und falsche Vorstellungen werden im türkischen Recht über das Institut des Grundlagenirrtums mit der Rechtsfolge der Anfechtung gelöst,385 wogegen der Wegfall der Geschäftsgrundlage durch die Behandlung als Geschäftsgrundlagenproblematik eine Anpassung gem. Art. 138 tOR als Rechtsfolge vorsieht. Auch wenn das Problem des Fehlens der Geschäftsgrundlage über den Grundlagenirrtum gelöst wird, ist bei zukünftigen Ereignissen, in denen sich die Partei bei Vertragsabschluss über künftig eintretende Umstände geirrt hat, auf Art. 138 tOR zurückzugreifen. Zukünftige Ereignisse werden von den Irrtumsregeln nämlich nicht erfasst. Kauft eine Partei z. B. ein Grundstück in der Annahme, die Baugenehmigung 384 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Serozan, ˙Ifa, S. 223; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal ˘ Oguzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510). 385 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Serozan, ˙Ifa, S. 223; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510).

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

werde erteilt, und bleibt diese Erteilung in der Zukunft schließlich aus, liegt kein Grundlagenirrtum vor, da zukünftige Ereignisse nicht von dem Grundlagenirrtum gedeckt werden.386 Hier ist eine Lösung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. Art. 138 tOR zu finden. Anders als im deutschen Recht geht weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzbegründung hervor, ob der türkische Gesetzgeber die kleine Geschäftsgrundlage und die große Geschäftsgrundlage gleichbehandelt. Eine Ansicht vertritt, dass der Gesetzgeber als Voraussetzung dieser Norm die außerordentliche Änderung der Umstände geregelt hat. Dies verdeutliche, dass der Gesetzgeber damit nur die große Geschäftsgrundlage meinte.387 Eine andere Ansicht388 und die Rechtsprechung389 erkennen an, dass sich die Änderungen der Umstände nicht auf die große Geschäftsgrundlage in Form politischer oder sozialer Gegebenheiten beziehen müssen, um über Art. 138 tOR gelöst zu werden. Fälle der Zweckstörung werden als Geschäftsgrundlagenproblematik behandelt und unter Art. 138 OR subsumiert, ohne eine Einschränkung zwischen großer und kleiner Geschäftsgrundlage vorzunehmen. Bisher hat sich weder die Literatur noch die Rechtsprechung mit einer Definition der Geschäftsgrundlagenproblematik beschäftigt. Es wird erstmals in der vorliegenden Arbeit ein Versuch der Definition unternommen. Für die Definition des Begriffs der Geschäftsgrundlage und dessen Verständnis ist die Heranziehung der deutschen Definitionen unumgänglich, da die deutsche Rechtsordnung bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR als Vorbild diente. Dabei muss berücksichtigt werden, dass falsche Vorstellungen bei Vertragsabschluss im türkischen Recht nach h. M. über den Grundlagenirrtum gem. Art. 32 tOR gelöst werden. Diese dürfen folglich nicht unter den Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage fallen, um eine Aushöhlung des Grundlagenirrtums zu vermeiden. Danach sind – unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die h. M. falsche Vorstellungen über den Grundlagenirrtum gem. Art. 32 tOR löst – unter dem Begriff der Geschäftsgrundlage alle diejenigen Umstände zu verstehen, deren Vorhandensein oder Fortbestand beim Vertragsabschluss nach dem Inhalt eines Vertrags, seinem 386

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69. Diese Ansicht existierte bereits vor der Schuldrechtsreform: Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (62); Gürsoy, Clausula, S. 106 ff., 116; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (281); Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 203; Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 224; Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 37; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147 ff.; Camcı, I˙BD 1992 C. 66, S. 390 (391); Eren, Borçlar Hukuku11, S. 449; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 877; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 68; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 160; Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 61 f. 388 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 103 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 164 ff. 389 Y.13.HD., 03. 02. 2003, E. 14548, K. 972. 387

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Zweck und seiner wirtschaftlichen Bedeutung vorauszusetzen waren, damit der Vertrag überhaupt als sinnvoll und als brauchbar erscheint, unabhängig davon, ob die Parteien daran gedacht haben.390 Unter dem Begriff der Geschäftsgrundlage sind auch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Parteien zu verstehen. Dies bezieht sich einerseits auf gemeinschaftliche Vorstellungen sowie auf die, von einem Teil erkennbaren, und vom anderen Teil nicht beanstandeten Vorstellungen über den Eintritt künftiger Ereignisse, auf denen der Geschäftswille aufgebaut ist. 2. Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt und Geschäftsgrundlage Im türkischen Recht, wie auch im deutschen Recht, hat der Vertragsinhalt Vorrang gegenüber der Geschäftsgrundlage. Daher bedarf es keines Rückgriffs auf die Geschäftsgrundlage, wenn eine Lösung allein durch den Vertragsinhalt herbeigeführt werden kann.391 Aufgrund des Grundsatzes der Privatautonomie ist eine vertragliche Vereinbarung hinsichtlich einer Änderung der Umstände vorrangig.392 Der Vertragsinhalt wird hierbei mit Hilfe der Auslegungsregeln bestimmt. II. Änderung der Umstände Weitere Voraussetzung des Art. 138 tOR ist die Störung der Geschäftsgrundlage. Artikel 138 tOR findet nicht bei jeder Veränderung der Umstände Anwendung. Vielmehr setzt die Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts voraus, dass eine außerordentliche Veränderung der Umstände gegeben ist und diese eine gewisse Erheblichkeit aufweist. 1. Außerordentliche Veränderungen der Umstände Sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform wurde von der Literatur393 und Rechtsprechung394 akzeptiert, dass nicht jede Änderung der Umstände genügt, um sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. Die Änderung der Umstände muss vielmehr ein gewisses Maß erreichen. Hierbei seien beispielsweise

390

Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 234. Topuz, Denge Bozulması, S. 275. 392 Topuz, Denge Bozulması, S. 275. 393 Arat, Sözles¸menin Uyarlanmasi, S. 95; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 161; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 184; Gözübüyük, Olag˘anüstü Sebepler, S. 90; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 237; Topuz, Denge Bozulması, S. 266 f. 394 Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13360, K. 1992/425; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11-460, K. 1997/651; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171. 391

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Kriegszustand, Naturereignisse, Wirtschaftskrisen, Inflationen und Deflation genannt,395 damit der Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht kommt.396 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann bei Eintritt solcher Umstände und Änderungen sowie bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen in Betracht kommen. Nach dem ersten Entwurf des Art. 143 tOR war für den Wegfall der Geschäftsgrundlage das Verlangen außerordentlicher Umstände nicht erforderlich.397 Die erste Vorlage erfuhr aufgrund der zu weitreichenden Formulierung große Kritik. Aufgrund dieser Kritik hat der Gesetzgeber die Voraussetzung der Außerordentlichkeit nachträglich in den Tatbestand der Norm eingefügt.398 Was unter außerordentlichen Umständen zu verstehen ist und ob die außerordentlichen Umstände gem. Art. 138 tOR im Vergleich zu den schwerwiegenden Änderungen i. S. d. § 313 BGB gleichbedeutend sind, wird im türkischen Recht stark diskutiert und aus diesem Grund im Folgenden detailliert untersucht. a) Erforderlichkeit einer sozialen Katastrophe? Fraglich ist hierbei, ob für die Außerordentlichkeit der veränderten Umstände lediglich ein Einfluss auf die Parteien ausreicht oder eine soziale Katastrophe gegeben sein muss. aa) Ansichten in der Literatur (1) Eine „soziale Katastrophe“ voraussetzende Ansicht Nach dieser Ansicht399 kann nur eine die Allgemeinheit betreffende soziale Katastrophe unter außerordentliche Änderungen der Umstände subsumiert werden. Ein Ereignis, das nur eine Partei oder einige wenige Personen betrifft, könne eine Anpassung des Vertrags nicht zur Folge haben, auch wenn dieses Ereignis außerordentlich sei.400 Ziel dieser Ansicht ist der Schutz des Grundprinzips pacta sunt servanda. Zur Untermauerung dieser Meinung wird auf die Ansichten im 395 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 95; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 237. 396 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 161; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 237. 397 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 86. 398 Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C¸avus¸og˘lu-Is¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu‘na I˙lis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 399 Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (62); Gürsoy, Clausula, S. 106 ff., 116; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (281); Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 203; Og˘uzman/ Barlas, Medeni Hukuk, S. 224; Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 37, Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147 ff.; Camcı, ˙IBD 1992 C. 66, S. 390 (391); Eren, Borçlar Hukuku11, S. 449; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 877; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 68; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 160; Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 61 f. 400 Gürsoy, Clausula, S. 106 f., 116 ff.; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 184 f.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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schweizerischen Recht verwiesen.401 Diese Ansicht geht so weit, dass sogar eine soziale Katastrophe, welche nur eine kleine Region beeinflusst, für den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht ausreichen könne.402 (2) Eine „soziale Katastrophe“ ablehnende Ansicht Nach dieser Ansicht müssten die Änderungen der Umstände ein gewisses Maß und einen gewissen Grad erreichen. Im Falle einer sozialen Katastrophe liege in der Regel ohnehin eine Änderung der Umstände von gewissem Maß vor, welche unvorhersehbar sei.403 In diesem Fall müsse der Vertrag selbstverständlich an die veränderten Umstände angepasst werden. Aber auch Veränderungen, die keine soziale Katastrophe darstellen und nur eine gewisse Menschenmenge betreffen, könnten einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Folge haben, wenn diese unvorhersehbar sind. Denn auch diejenigen, die von derartigen Veränderungen betroffen sind, seien schutzwürdig.404 Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb derjenige, der von einem objektiven Ereignis wie einer sozialen Katastrophe oder Ähnlichem betroffen werde, den Schutz der Rechtsordnung genieße, wogegen derjenige, der allein aufgrund eines subjektiven Ereignisses von den Umständen derart betroffen ist, dass eventuell seine Existenz gefährdet wird, keinen Schutz durch die Rechtsordnung genießen solle.405 Folglich müsse durch die Änderung der Umstände nicht die Allgemeinheit betroffen sein. Auch ein Naturereignis, das eine kleinere Region betrifft, könne ebenso den Tatbestand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfüllen.406 Als Beispiel sei der Fall des Hagelschlags genannt, der sich im Frühjahr 2013 ereignet und nur ein kleines Gebiet verwüstet hat. Dieser Hagelschlag kann bei einem Obstgarten einen sehr großen Schaden anrichten. Eine Überschwemmung richtet am Flussufer eine enorme Verwüstung an, aber in Gegenden, die weiter vom Ufer wegliegen, ist die Verwüstung nicht so enorm. Auch wenn diese Art der Zerstörung ein nicht so großes Gebiet trifft, kann sie für die Betroffenen in einem derartigen Gebiet zu einer Leistungserschwerung führen. In der Türkei wird den Landwirten, 401

Im schweizerischen Recht vor allem Bischoff, Vertragsrisiko, S. 184, 202. Diese Ansicht geht soweit, dass sie die Zweckstörung nicht als Fallgruppe der Geschäftsgrundlage akzeptiert und die Fallgruppe der Äquivalenzstörungen einengt, da nur in Fällen sozialer Katastrophen ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht komme. 402 Gürsoy, Clausula, S. 106 f.; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (139). 403 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 103 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 164 ff.; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512); Serozan, I˙fa, S. 225; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (52); Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (138); Tezcan, Clausula, S. 84; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 237; Topuz, Denge Bozulması, S. 267. Die wichtigsten Vertreter dieser Ansicht in der Schweiz sind: Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 350. 404 Topuz, Denge Bozulması, S. 267. 405 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 165; Topuz, Denge Bozulması, S. 267; Kramer, in: BernerKomm., Art. 18 OR, Rn. 350 und im deutschen Rechtssystem Wieling, Jura 1985, S. 505 (508). 406 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 164 ff.; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

die von solch einer Katastrophe betroffen sind, ein Aufschub ihrer Schulden gegenüber dem Staat gewährt, auch wenn das Katastrophengebiet klein ist. Dies ist auch eine Art der Anpassung. Zwar wird ein Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund von Naturereignissen nicht häufig durchgeführt, aber aufgrund des großen Erdbebens in der Türkei im Jahre 1999 ist bekannt, dass solche Naturkatastrophen einen gewichtigen Einfluss auf Verträge haben können.407 Auch das Erdbeben, das sich im Jahre 2011 im Osten der Türkei ereignete, begründet den Wegfall der Geschäftsgrundlage, da es sich mitten im Winter ereignete und dazu führte, dass eine Vielzahl der Häuser einstürzte. Im Übrigen ist es laut Arat408 nicht gerechtfertigt, den Begriff der Änderungen außerordentlicher Umstände so streng zu verstehen und lediglich mit sozialen Katastrophen gleichzusetzen. Bei anderen Normen, die den Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Gedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage regeln, wie Art. 32 tOR oder Art. 480 tOR, werden keine außerordentlichen Änderungen der Umstände gefordert.409 Eine Gleichsetzung außerordentlicher Änderungen mit sozialen Katastrophen sei sinnlos und führe zu einer widersprüchlichen Behandlung der Betroffenen. Es gäbe keinen gerechtfertigten Grund für eine derartige Ungleichbehandlung.410 Auch Art. 32 tOR (24 a. F.) tOR regelt trotz der Zuordnung als Grundlagenirrtum wie auch Art. 138 im Grunde die Geschäftsgrundlagenproblematik.411 Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Fallkonstellationen sei der unterschiedliche Beurteilungszeitraum.412 Während Art. 32 tOR das anfängliche Fehlen der Geschäftsgrundlage regelt, beschäftigt sich Art. 138 tOR mit dem nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Ansonsten besäßen beide Konstellationen keine unterschiedlichen Eigenschaften.413 Es reiche aus, dass die Veränderung der Umstände die objektive Eigenschaft besitze, um einen schwerwiegenden Einfluss auf die Vereinbarung zu haben.414 407 Y.15.HD., 16. 09. 2003, E. 3713, K. 3966; Y.13.HD., 03. 02. 2003, E. 14548, K. 972; Y.11.HD., 03. 10. 2002, E. 4941, K. 8497; Y.11.HD., 25. 06. 2002, E. 4990, K. 6559; Y.13.HD., 25. 12. 2001, E. 10667, K. 12117; Y.HGK., 26. 12. 2001, E. 181149, K. 1170. (Mevdata, Mevzuat ve ˙Içtihat Programı, www.mevdata.com.). 408 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 103 ff. 409 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512). 410 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512). 411 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512). 412 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512). 413 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512); Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 166; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 234. 414 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman’ın Anısına Armag˘an, S. 503 (512).

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Nach Baysal415 ist solch ein Verständnis des Begriffs der Außerordentlichkeit als verfehlt anzusehen und entspreche nicht dem Gesetzeswortlaut. Nach dem Gesetzeswortlaut verlange der Begriff der Außerordentlichkeit vielmehr ein bestimmtes Maß an Änderung. Denn auch in dem Falle, dass sich die Umstände auf eine nicht außergewöhnliche Art und Weise ändern, sei der Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich.416 Nach Topuz417 ist sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsmodernisierung eine Beschränkung außerordentlicher Umstände auf soziale Katastrophen nicht vorgenommen worden. Es werde lediglich gefordert, dass der außergewöhnliche Zustand nicht auf den Verantwortungs- und Risikobereich des Schuldners zurückzuführen ist.418 bb) Rechtsprechung Die Frage der Erforderlichkeit einer sozialen Katastrophe wurde auch von der Rechtsprechung des Kassationshofes nicht eindeutig beantwortet. In ihren Entscheidungen419 betont die Rechtsprechung die Erforderlichkeit einer außerordentlichen Änderung von Umständen. Eine Beschränkung auf soziale Katastrophen ist aus den Entscheidungen der Gerichte nicht zu entnehmen. Vielmehr bringt die Rechtsprechung in ihren Entscheidungen zum Ausdruck, dass das Gleichgewicht, welches bei Abschluss des Vertrags zwischen den Leistungen vorliegt, aufgrund der außergewöhnlichen Änderung der Umstände zerstört sein könnte. Als Beispiel für solch ein außerordentliches Ereignis werden neben Krieg auch Finanzkrise, Deflation und Inflation genannt.420 In weiteren Urteilen des Kassationshofes wird angeführt, dass es notwendig sei, dass nach Abschluss des Vertrags bei der Erfüllung der Leistung Ereignisse eintreten, die außergewöhnlich und objektiv sind, damit ein Eingriff in die vertragliche Vereinbarung erfolgen kann.421 Auch betont der Kassationshof in seinen Entscheidungen, dass die außerordentlichen Änderungen der Umstände nicht durch den Schuldner selbst verursacht sein dürfen.422

415

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 166. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 166. 417 Topuz, Denge Bozulması, S. 268 f. 418 Topuz, Denge Bozulması, S. 268 f. 419 Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982. 420 Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199. Für die weiteren Entscheidungen: Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11-460, K. 1997/651; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/864; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.13.HD., 03. 03. 2005. E. 2004/14870, K. 2005/3171. 421 Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982. 422 Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.HGK., 18. 11. 1998, E. 1998/1383, K. 1998/835. 416

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

cc) Stellungnahme Mit dem Begriff der außerordentlichen Änderungen der Umstände betonen sowohl der Gesetzgeber als auch die Literatur und Rechtsprechung, dass nicht jede Änderung ausreichend ist, um sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. Im ersten Entwurf des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (Entwurf Art. 143 tOR) hat der Gesetzgeber nur die Voraussetzung als „die Änderungen der Umstände“ geregelt. Aufgrund der Kritik in der Literatur hat er später den Begriff „außerordentliche“ hinzugefügt, was erneute Probleme mit sich brachte, denn die außerordentlichen Änderungen der Umstände wurden mit sozialen Katastrophen gleichgestellt. Eine Gleichsetzung außerordentlicher Änderung der Umstände mit sozialen Katastrophen engt den Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage stark ein. Solche Gedanken nähern sich an die „große Geschäftsgrundlage“ von Kegel an, wobei diese Theorie von dem deutschen Gesetzgeber nicht angenommen wurde. Der deutsche Gesetzgeber hat die große und kleine Geschäftsgrundlage gleich behandelt und unter § 313 BGB kodifiziert. Da § 313 BGB bei der Schuldrechtsreform als Vorbild diente, ist eine Unterteilung zwischen großem und kleinem Wegfall nicht mit diesem Gedanken vereinbar. Für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist es nicht erforderlich, dass das ganze Volk oder ein Großteil dessen von der Veränderung der Umstände beeinflusst wird. Bei einem Vertrag kommt es vielmehr auf die Umstände der Parteien selbst an. Es ist darauf abzustellen, ob sich für eine der Parteien die Erfüllung der Leistung erheblich erschwert hat. Umstände, die das Ausmaß einer Katastrophe erreicht haben, wie eine Kriegssituation, ein Erdbeben oder eine drastische Deflation, haben eindeutig eine Auswirkung auf den Vertrag. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in diesen Fällen zur Anpassung des Vertrags kommt, ist groß, jedoch nicht zwangsläufig. Allein das Eintreten der sozialen Katastrophe führt nicht automatisch zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Erforderlich ist darüber hinaus, dass die weiteren Voraussetzungen einer Anpassung, wie z. B. die Vorhersehbarkeit, vorliegen.423 Auch nach Art. 480 Abs. 2 tOR kann im Werkvertrag eine Anpassung des Vertrags erfolgen, wenn ein Umstand eintritt, der von den Parteien nicht vorhergesehen wurde und der nicht vorhersehbar ist. Der Unternehmer kann die Anpassung oder auch die Auflösung des Vertrags verlangen, wenn Veränderungen eintreten. Hierbei ist eine Einschränkung auf außerordentliche oder schwerwiegende Änderungen nicht vorgesehen. Daher kommt es nicht darauf an, ob das Ereignis eine soziale Katastrophe darstellt oder nicht, sondern nur darauf, ob es vorhersehbar ist oder nicht. Wenn in dem speziellen Fall des Werkvertrags solch eine strenge Beschränkung nicht vorgesehen ist, erscheint es nicht sachgerecht, diese für die allgemeine Norm 423 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 183; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 203; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 481, 484; Gürsoy, Clausula, S. 106, 116; Serozan, I˙fa, S. 225.

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Art. 138 tOR zu verlangen. Die außerordentliche Änderung der Umstände würde zu einer starken Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm des Art. 138 tOR führen. Während das Verlangen außerordentlicher Änderung der Umstände den Anwendungsbereich zu stark einschränkt, führt lediglich das Verlangen einer Änderung in Art. 480 Abs. 2 tOR zu einem uferlosen Anwendungsbereich dieser Norm. Vielmehr hätte ein Mittelweg zwischen Art. 480 Abs. 2 tOR und 138 tOR gefunden werden müssen. Hier hat der Gesetzgeber es versäumt, sich an dem als Vorbild fungierenden deutschen Recht zu orientieren und die Änderung der Umstände als schwerwiegend gesetzlich festzuhalten. Begrüßenswert wäre hierbei das Verlangen schwerwiegender Änderungen von Umständen sowohl für die allgemeine Norm Art. 138 tOR als auch die spezielle Norm Art. 480 Abs. 2 tOR. Eine soziale Katastrophe als Voraussetzung zu verlangen führt dazu, die Fälle der Zweckstörung aus dem Anwendungsbereich des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage herauszunehmen. Neben der Äquivalenzstörung ist auch die Zweckstörung ein wichtiger Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Zwar ist aus den Entscheidungen des Kassationshofs424 zu entnehmen, dass die Allgemeinheit betroffen sein muss, im weiteren Verlauf derselben Entscheidungen wird jedoch ebenso verlangt, dass die Partei, die die Anpassung begehrt, den Eintritt des außerordentlichen Umstandes nicht selbst verursacht haben darf. Hierbei stellt sich bereits die Frage, wie eine Partei alleine eine soziale Katastrophe – wie einen Kriegszustand- herbeiführen kann. Daher sind die Entscheidungen des Kassationshofs so zu verstehen, dass die Änderungen der Umstände zwar einen gewissen Grad und ein gewisses Maß erreichen müssen, dies bedeutet jedoch nicht, dass der Anwendungsbereich auf soziale Katastrophen, wie Kriege und Erdbeben, beschränkt ist. Hiervon ausgehend kann gesagt werden, dass nicht unbedingt eine allgemeingültige Veränderung vorliegen muss. Ein Verschulden ist subjektiv, sodass persönliche Umstände und Ereignisse auch zu berücksichtigen sind.425 Außerordentliche Änderungen der Umstände könnten entsprechend der schwerwiegenden Änderungen der Umstände aus dem zum Vorbild genommenen deutschen Rechtssystem akzeptiert und angewandt werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Rechtsprechung und Literatur wegen der Formulierung die außerordentlichen Änderungen der Umstände eng auslegen und die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur auf Sozialkatastrophen beschränken können. Es wäre plausibler, wenn der Begriff „schwerwiegend“ statt „außerordentlich“ verwendet würde.

424

Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11460, K. 1997/651; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/864; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171. 425 Topuz, Denge Bozulması, S. 269.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

b) Dauerhaftigkeit der Veränderung der Umstände In der türkischen Literatur herrscht Streit darüber, ob die Veränderung der Umstände von Dauer sein muss. Während eine Ansicht die Dauerhaftigkeit der Änderung der Umstände verlangt, lässt eine andere Ansicht eine zeitlich begrenzte Änderung genügen. aa) Ansichten in der Literatur (1) Keine Anpassung bei nur kurzfristigen Veränderungen Nach einer Ansicht426 sind vorübergehende Veränderungen, seien sie noch so gravierend, keine außerordentlichen Umstände, sodass sie den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht rechtfertigen können. Vor allem in langfristigen Verträgen sei eine kurzfristige Veränderung ohne Bedeutung. Eine nur vorübergehende Schwierigkeit oder eine nur vorübergehende Bedrängnis stelle keine derartige Veränderung dar.427 Hintergrund der Ablehnung eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei einem kurzfristigen Ereignis sind die Bedenken, die dadurch entstehen, dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage bei jedem Ereignis das Vertrauen der Parteien in den Vertrag und in die Rechtssicherheit beseitigen kann.428 (2) Anpassung auch bei vorübergehenden Veränderungen Nach Baysal429 kann auch eine vorübergehende Änderung der Umstände über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gelöst werden. Ob eine Anpassung an ein vorübergehendes Ereignis erfolgen soll oder nicht, kann nach Baysal auch im Zusammenhang mit einer vorübergehenden Unmöglichkeit beantwortet werden.430 Nach Baysal ist in der türkischen Literatur eine vorübergehende Unmöglichkeit anerkannt.431 Bei einer vorübergehenden Unmöglichkeit sei es durchaus möglich, dem hypothetischen Willen der Parteien entsprechend, den Erfüllungszeitpunkt auf einen Zeitpunkt nach Ende der Unmöglichkeit zu verlegen und die Leistung bis dahin aufzuschieben.432 Die Fälligkeit könne hinausgeschoben werden bis das Leistungshindernis wegfällt oder für die Leistung eine zusätzliche Frist gesetzt wird, die so lange läuft, bis das Leistungshindernis wegfällt. Diesen Gedanken aus der Unmöglichkeitsregelung überträgt Baysal433 auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage.434 Bei einer vorübergehenden Leistungserschwerung könne dieselbe Lösung 426 427 428 429 430 431 432 433 434

Gürsoy, Clausula, S. 108; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 74. Gürsoy, Clausula, S. 108. Gürsoy, Clausula, S. 108; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 74. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183 m. w. N. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183 f.

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angewandt werden.435 Die Fälligkeit der Leistung könne bis zum Ende der Veränderung verschoben werden.436 Mit dem Ende der Erschwerung habe die benachteiligte Partei die Leistung, die bei Abschluss des Vertrags festgelegt wurde, entsprechend zu erfüllen. Die Änderung des Fälligkeitsdatums ist lediglich eine Form der Anpassung.437 Den Interessen der Parteien entsprechend können auch andere Anpassungsmöglichkeiten wahrgenommen werden.438 Diese flexible Lösung, die selbst bei der vorübergehenden Unmöglichkeit akzeptiert wird, könne auch im Falle einer vorübergehenden Leistungserschwerung angewandt werden.439 bb) Stellungnahme Eine pauschale Beantwortung der Frage, ob kurzfristige Änderungen der Umstände über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst werden können, ist nicht möglich. Nicht jede Veränderung der Umstände, die sich nach dem Vertragsabschluss ergibt, führt dazu, dass die Geschäftsgrundlage des Vertrags wegfällt. Daher kann nicht bei jeder kurzfristigen Änderung oder Leistungserschwerung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen werden. Vielmehr ist hier eine einzelfallabhängige Beurteilung erforderlich, bei der die vertragliche Risikoverteilung und die Besonderheiten des Einzelfalls Berücksichtigung finden müssen. In einigen Fällen können bereits kurzfristige Änderungen zu schwerwiegenden Eingriffen oder unzumutbaren Situationen bei den Parteien führen. Hier wäre eine Lösung über die Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sachgerecht. Andere kurzfristige Änderungen der Umstände wiederum, welche sich nicht negativ auf die Parteien auswirken, müssen dagegen hingenommen werden, um eine Ausweitung der Geschäftsgrundlagenregelungen zu vermeiden. Ist im Einzelfall aus Gerechtigkeitsgründen und im Interesse beider Parteien eine Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände vorzunehmen, so sollte eine Anpassung auch bei kurzfristigen Änderungen stattfinden. 2. Erheblichkeitsschwelle Neben der Änderung der Umstände müssen diese Änderungen – als eine weitere Voraussetzung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage – eine Erheblichkeitsschwelle erreichen. Nur eine unbedeutende Beeinträchtigung des Leistungsgleichgewichts infolge der Veränderung der Umstände rechtfertigt die Anpassung des Vertrags nicht.440 Die Störung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung bedeutet, 435

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183 f. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. 437 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. 438 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183. 439 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 184. 440 Akyol, Dürüstlük, S. 84; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 111; Gürsoy, Clausula, S. 116; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69. 436

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

dass nach der Vereinbarung ein Umstand eintritt, der das Gleichgewicht verändert.441 Eine Anpassung kommt auch dann in Frage, wenn ein ursprünglich nicht vorhandenes Gleichgewicht durch die Veränderung der Umstände nachträglich verstärkt wird.442 Die Feststellung einer erheblichen Störung des Gleichgewichts wird anhand von zwei Kriterien ermittelt: Zum einen wird danach gefragt, ob das Ungleichgewicht schwerwiegend ist, zum anderen, ob es offensichtlich ist.443 a) Schweres Ungleichgewicht zwischen den Leistungen Eine schwere Beeinträchtigung des Gleichgewichts liegt vor, wenn eine Situation eintritt, deren Folge das Risiko der Parteien übersteigt und das Festhalten am Vertrag unzumutbar wird.444 In der türkischen Rechtslehre herrscht Einigkeit darüber, dass für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ein Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung bestehen muss.445 Jedoch herrscht eine rege Diskussion darüber, wann ein Gleichgewicht derart gestört ist, dass eine Anpassung des Vertrags in Betracht kommt. Ferner wird argumentiert, dass nicht jede Schwankung zu einer Anpassung führe. Es stellt sich hierbei die Frage, ob ein derart krasses Missverhältnis bestehen muss, dass ein Festhalten am Vertrag zum Ruin des Schuldners führen würde. Der Ursprung dieser Diskussion stammt aus der schweizerischen Rechtsprechung aus den Jahren 1919 bis 1933. Das Schweizerische Bundesgericht verlangte in seiner früheren Rechtsprechung, dass durch die Veränderung der Umstände die Erfüllung des Vertrags die Gefahr mit sich bringen muss, dass der Ruin des Schuldners droht.446 Das Bundesgericht betonte, dass der Ruin des Schuldners bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage Voraussetzung für die Anpassung des Vertrags war.447 aa) Rechtsprechung Eine einheitliche Behandlung der Ruin-Theorie ist in der türkischen Rechtsprechung nicht erkennbar. Während der Kassationshof in einigen Entscheidungen das 441

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 191. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 191; Tezcan, Clausula, S. 93. 443 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (62); Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 148; BGE 59 II, S. 372. 444 Akyol, Dürüstlük, S. 83. 445 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 111; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 151; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69; I˙mre, Fikret Arık’a Armag˘an, S. 281; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 148; Akyol, Dürüstlük Kuralı, S. 83, 88; Topuz, Denge Bozulması, S. 253. 446 BGE 45 II, S. 98. Auch BGE 46 II, S. 162; 48 II, S. 247; 48 II, S. 452; 50 II, S. 264; 54 II, S. 277, 56 II, S. 194; 59 II, S. 304. 447 Für diese Entscheidungen siehe Gürsoy, Clausula, S. 98; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 83. 442

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Vorliegen eines offensichtlichen krassen Missverhältnisses genügen ließ, ohne auf den Ruin einer Partei abzustellen,448 verlangte er in anderen Entscheidungen449 wiederum für die Bejahung eines krassen Missverhältnisses das Vorliegen des Ruins einer Partei. Der Ruin einer Partei liege vor, wenn die Grundlage des Vertrags „aus der Bahn geworfen“ wird oder die Erfüllung der Leistung zu einer Existenzvernichtung einer Partei führt, sodass der Schuldner die Anpassung des Vertrags verlangen kann. Der Kassationshof hat in Bezug auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit seiner ersten Entscheidung vom 2. Juni 1942 z. B. einem Unternehmer, der einen Verlust von 6.000 TL erlitten hatte, eine Anpassung des Vertrags gem. Art. 365 tOR a. F. versagt, da die dem Fall innewohnende Veränderung nicht ausreichend gewesen sei, um in die vertragliche Vereinbarung einzugreifen. Der erlittene Verlust hätte nämlich nicht dazu geführt, dass dem Kläger der Ruin gedroht habe. bb) Ansichten in der Literatur (1) Befürworter der Ruin-Theorie Auf der Grundlage der Entscheidung des Kassationshofs vom 2. Juni 1942450 bildete sich eine Ansicht in der Literatur, die für die Anpassung des Vertrags nicht nur ein offensichtliches Missverhältnis zwischen den Leistungen voraussetzt, sondern darüber hinaus auch noch fordert, dass die Erfüllung der Leistung den Ruin des Schuldners zur Folge haben muss. Diese Ansicht451 lehnt sich an den Grundsatz von pacta sunt servanda und erachtet es als erforderlich, dass die Anpassung des Vertrags an sehr schwerwiegende Kriterien zu knüpfen sei. Letztlich haben Verträge eine bindende Wirkung, und die Anpassung komme nur in äußersten Ausnahmefällen in Betracht. Diese Ansicht stützt ihre Meinung auf die schweizerische Rechtsprechung. Der schweizerische Bundesgerichtshof verlangt, dass außergewöhnliche, billigerweise nicht vorauszusehende Umstände zur Folge haben, die Leistungspflicht für den Schuldner derart onerös zu gestalten, dass das Beharren dabei seinem ökonomischen Ruin gleichkommen würde.452 448

Einige Beispiele: Y.13.HD., 29. 11. 1993, E. 1993/7167, K. 1993/9332; Y.HGK., 06. 10. 1999, E. 1999/11-626, K. 1999/779. 449 Y.TD., 02. 06. 1942, E. 941/2132, K. 1522; Y.13.HD., 24. 10. 1994, E. 1994/6791, K. 1994/9014; Y.13.HD., 06. 04. 1995, E. 1995/145, K. 1995/3339; Y.13.HD., 13. 12. 2001, E. 2001/1156, K. 2001/11752; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13 – 332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13-599, K. 2003/599; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/ 3171. 450 Y.TD., 02. 06. 1942, E. 941/2132, K. 1522. Für diese Entscheidung: Gürsoy, Clausula, S. 93. 451 Akyol, Dürüstlük, S. 83; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 877; v. Büren, Schweizerisches Obligationenrecht, S. 404. 452 BGE 45 II, S. 351 ff.; 47 II, S. 314 ff.; 48 II, S. 242 (247).

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

(2) Gegner der Ruin-Theorie Eine andere Ansicht453 lehnt jedoch das Erfordernis des drohenden Ruins als Voraussetzung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ab. Danach führe die Voraussetzung der Gefahr des Ruins einer Partei zu untragbaren Ergebnissen. Denn hierbei würden Kriterien wie die Zahlungsunfähigkeit und Unerschwinglichkeit berücksichtigt, die jedoch im Widerspruch zum türkischen und schweizerischen Rechtsgedanken stehen. Die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners könne nämlich nicht zur Beendigung des Vertrags führen. Nach einer Ansicht454 liegt der Grund für das Verlangen des Ruins des Schuldners im Versuch, den Wegfall der Geschäftsgrundlage eigentlich als einen Fall der subjektiven Unmöglichkeit zu behandeln. Die subjektive Unmöglichkeit sei jedoch für den Wegfall der Geschäftsgrundlage keine befriedigende Lösung.455 Die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners stelle keinen Fall der subjektiven Unmöglichkeit dar, denn nach Art. 136 (117 tOR a. F.) tOR habe der Geldschuldner nicht die Möglichkeit, sich wegen seiner finanziellen Situation von der Schuld zu befreien („Geld hat man zu haben“). Für den Wegfall der Geschäftsgrundlage müsse der Vertrag als Ganzes betrachtet und die gesamtwirtschaftlichen und sozialen Umstände, die dem Vertrag zugrunde liegen, mitbeachtet werden.456 Subjektive Kriterien, die außerhalb des Vertrags liegen, wie z. B. die finanzielle Situation des Schuldners, spielten dabei keine Rolle. Denn deren Beachtung führe dazu, dass die Rechtssicherheit beeinträchtigt würde.457 Die finanzielle Situation des Schuldners könne sich auch aus Gründen, die mit dem Vertragsverhältnis in keinerlei Beziehung stehen, ändern. Angenommen zwei Schuldner schließen denselben Vertrag, in denen sich die Verhältnisse auf dieselbe Art und Weise ändern. Der Unterschied zwischen den Schuldnern liege dann darin, dass einer der Schuldner sein Unternehmen gut geführt habe, sodass seine wirtschaftliche Lage gut sei, der andere dagegen nicht. Derjenige, der sein Unternehmen gut geführt hat, könne die Anpassung des Vertrags nicht verlangen, da ihm der Ruin nicht drohe, der andere hingegen schon.458 Des Weiteren könne das Erfordernis des Ruins sich auch zulasten des Gläubigers auswirken. Denn der Gläubiger könne seinen Anspruch nicht durchsetzen, wenn beispielsweise der Schuldner sein Unternehmen eigenverschuldet schlecht geführt habe. Der Ruin als Voraussetzung für eine Anpassung des Vertrags wirke sich auch zulasten 453

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 114; Topuz, Denge Bozulması, S. 250; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 348; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 196 f.; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 15; Oftinger, SJZ 36 (1939/40), S. 229 (236); Gürsoy, Clausula, S. 97 ff.; Erdin, Werkvertag, Rn. 253; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147. 454 Topuz, Denge Bozulması, S. 250, 256; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 197; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 84; Gürsoy, Clausula, S. 98. 455 Topuz, Denge Bozulması, S. 248; Gürsoy, Clausula, S. 98. Bezuglich dieser Diskussion Vgl. oben: Unmöglichkeit. 456 Gürsoy, Clausula, S. 99. 457 Topuz, Denge Bozulması, S. 250. 458 Topuz, Denge Bozulması, S. 250.

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des Schuldners aus.459 Der Schuldner könne, unabhängig davon, wie schwerwiegend und offensichtlich das Missverhältnis auch ist, die Anpassung des Vertrags nicht verlangen, auch wenn er nicht ruiniert, aber gleichwohl erheblich durch die Situation benachteiligt sei. Außerdem kenne die türkische Rechtsordnung keine Unterscheidung zwischen einem reichen und einem armen Schuldner. Die Voraussetzung des Ruins führe jedoch dazu, dass die reiche Vertragspartei erheblich benachteiligt würde, weil sie in der Regel einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht verlangen könnte, da ihr kein Ruin drohen würde.460 Ob ein Ruin des Schuldners drohe oder nicht, werde in dem Zeitpunkt beurteilt, in dem die Sache bei Gericht entschieden wird.461 Es sei aber möglich, dass sich die finanzielle Lage des Schuldners kurz nach der Entscheidung wieder bessert, sei es durch die gute Konjunktur oder gar einen Lotteriegewinn.462 Anhand dieser genannten Gesichtspunkte werde deutlich, dass das Erfordernis des Ruins kein Kriterium für die Anpassung des Vertrags sein könne.463 Die Existenz des Schuldners müsse nicht bedroht sein, es sei ausreichend, dass es zu einer erheblichen Leistungserschwerung kommt. cc) Stellungnahme Für die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist nicht erforderlich, dass der benachteiligten Partei ein Ruin droht. Selbstverständlich ist für die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertragstreue erforderlich, dass das Risiko, welches sich verwirklicht hat, nicht in den Risikobereich des Betroffenen fällt. Ferner darf das Verlangen nach der Leistungserfüllung vom Schuldner nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Eine darüber hinausgehende Veränderung der Umstände, die dazu führt, dass der Ruin des Schuldners droht, ist hingegen nicht erforderlich. Denn wenn man „Geld zu haben hat“, dann geht die Rechtsordnung doch zunächst offenbar von einem (zumindest durchschnittlich) solventen Vertragspartner aus. Einer etwaigen Voraussetzung, in den Ruin getrieben zu sein, bemisst sich nicht nach einer solchen durchschnittlichen Betrachtungsweise und kann sich auch hiernach nicht bemessen lassen. Der (drohende) Ruin ist ein Umstand, der bei einer Vertragspartei entweder vorliegt oder nicht, wobei sich der Ruin nach einem rein tatsächlichen Gesichtspunkt bestimmt. Für die Bemessung von Voraussetzungen können aber nicht einerseits ein durchschnittlicher Standard und andererseits ein hochgradig subjektiver und volatiler Zustand gelten. Zudem ist der Zeitpunkt, in dem ein drohender Ruin herrschen 459

Topuz, Denge Bozulması, S. 251. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 115; Gürsoy, Clausula, S. 98 ff. 461 Gürsoy, Clausula, S. 98; Topuz, Denge Bozulması, S. 251 Fn. 293 (Topuz hat seine Ansicht innerhalb der Fußnote erläutert.). 462 Gürsoy, Clausula, S. 98. 463 Gürsoy, Clausula, S. 98. 460

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

soll, möglicherweise entscheidend. Entsprechend kann ein Ruin, der gestern noch gedroht hat, heute nicht mehr drohen, wie das drastischste Beispiel der oben genannten Autoren, die einen Lotteriegewinn anführen, aufzeigt. Zwar mag zutreffen, dass der Schutzgedanke der Vorschrift grundsätzlich dafür spricht, der wohlhabenden Vertragspartei, die eine Situationsänderung zu ihren Ungunsten weitaus besser „verkraften“ kann, als eine nahezu mittellose Partei, einen geringeren Schutz einzuräumen. Dazu ist jedoch der drohende Ruin kein hinreichendes Kriterium, da sich ein solches Merkmal zu sehr auf die wirtschaftliche Folge zu einem bestimmten Moment fokussiert und andere Umstände außer Betracht lässt. Auch in anderer Hinsicht wäre solch eine Voraussetzung für den Schuldner sehr nachteilig. Obwohl die Erfüllung der Leistung für den Schuldner unzumutbar ist, könnte es sein, dass trotzdem kein Ruin droht und die Folge einer Situationsänderung zwar schwerwiegend, aber nicht gleichsam vernichtend ist. In diesem Fall muss dem Schuldner die Möglichkeit offenstehen, sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. Das Abstellen auf die Ruin-Theorie kann auf einer Seite die Anwendung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erschweren, da auch bei Vorliegen der Voraussetzungen der Tatbestand bei Ablehnung eines drohenden Ruins verneint wird. Auf der anderen Seite kann es in einigen Fällen, wie z. B. bei wirtschaftlich schwachen Personen, das Vorliegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgrund der erleichterten Bejahung eines Ruins vereinfachen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Abstellen allein auf die RuinTheorie, welche auf die Zahlungsunfähigkeit einer Partei abstellt, nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen kann. Vielmehr ist eine einzelfallabhängige Entscheidung vorzunehmen. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken der deutschen Gerichte464 und der Literatur.465 Weder nach dem Wortlaut des Art. 138 tOR noch in der Begründung zur Norm ist vorausgesetzt, dass die Veränderungen dazu führen müssen, dass der Ruin des Schuldners durch die Erfüllung der Leistung droht. In Art. 138 tOR hat der Gesetzgeber sehr detailliert die Voraussetzungen formuliert. Wenn der Gesetzgeber auch den Ruin als Voraussetzung regeln wollte, hätte er es ausdrücklich im Wortlaut formulieren können. Es kann aufgrund der uneinheitlichen Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofs auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtspraxis beibehalten wollte. Denn es gibt in der Rechtsprechung keine einheitliche Linie. Der Gesetzgeber hat trotz Kenntnis der Diskussionen in der Literatur und in der Rechtsprechung die Ruin-Theorie nicht geregelt, dies verdeutlicht, dass er diese bewusst nicht geregelt hat.

464

RGZ 103, S. 177 (177 ff.); BGH NJW 1978, S. 2390 (2391). Wieacker, FS Willburg 1965 S. 229 (234); Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (93); Krückmann, AcP 116 (1918), S. 157 (162 und 354 ff.); Härle, Äquivalenzstörung, S. 98 ff. 465

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b) Offenes Missverhältnis zwischen den Leistungen Für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist es erforderlich, dass das Ungleichgewicht ein offensichtliches Missverhältnis hervorruft.466 Die Erschwerung der Leistung der einen Partei muss augenscheinlich sein.467 Es ist zu ermitteln, welchen Einfluss die veränderten Umstände auf die Parteien haben, da jede Partei unterschiedlich betroffen ist. Wie auch im deutschen Recht stellt sich hier die Frage, ob es möglicherweise einen messbaren Grad oder eine Quote gibt, die bei der Beantwortung der Frage der Erheblichkeit und Offensichtlichkeit der Störung herangezogen werden kann. aa) Rechtsprechung Nach dem Großen Zivilsenat des Kassationshofes ist es erforderlich, dass die Veränderung der Umstände dazu führt, dass das Gleichgewicht zwischen den von den Parteien übernommenen Leistungen schwerwiegend und offensichtlich gestört ist.468 Den türkischen Entscheidungen kann kein allgemeingültiger Richtwert entnommen werden, bei dem ein offensichtliches, schwerwiegendes Missverhältnis angenommen werden könnte. Aus den Entscheidungen geht jedoch hervor, dass eine erhebliche und auch augenfällige Beeinträchtigung vorliegen muss. bb) Ansichten in der Literatur (1) Eine befürwortende Ansicht Nach h. M. in der Literatur muss ein offensichtliches und sehr schwerwiegendes Ungleichgewicht zwischen den Leistungen vorliegen.469 Jedoch sei es nicht erforderlich, dass diese Schwere vorab durch eine bestimmte Prozentzahl definiert wird. Denn hierbei handele es sich um eine Situation, bei der der Richter nach den Um-

466

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 115; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147 f. 467 Atabek, Batider 1984 Sa. 4, S. 87 (91); Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 148; Gürsoy, Clausula, S. 103; Tezcan, Clausula, S. 93. Nach Gürsoy ist hierbei nicht erforderlich, dass auch der Vertragspartner von einer Last befreit wird. Denn ist die Erfüllung der Leistung nach objektiven Kriterien wesentlich erschwert und ist dies offensichtlich, kann der Gläubiger auch einen Vorteil daraus ziehen; Gürsoy, Clausula, S. 103. 468 Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13-599, K. 2003/59; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13360, K. 1992/425; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11-460, K. 1997/651; Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/147, K. 1981/932; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199. 469 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 115; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 193; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 84; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 148; Gürsoy, Clausula, S. 104.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

ständen des konkreten Einzelfalles festlege, ob eine derartig schwere Beeinträchtigung vorliege.470 Das offene Missverhältnis zwischen den Leistungen werde anhand des Wertes der Leistungen zum Zeitpunkt des Anpassungsverlangens bestimmt, was den objektiven Wert der Leistung darstellt.471 Hierbei berücksichtige der Richter auch den Wert der Gegenleistung. Die subjektive Beurteilung der Parteien bezüglich des Wertes der Leistung spiele keine Rolle.472 Wenn der nunmehr objektiv ermittelte Wert mit dem Wert, den er beim Abschluss des Vertrags hatte, nicht übereinstimme, so liege ein offenes Missverhältnis zwischen den Leistungen vor.473 Im Ergebnis könne festgestellt werden, dass es im Ermessen des Richters liege, zu beurteilen, ob das für eine Äquivalenzstörung erforderliche krasse und offensichtliche Maß überschritten sei.474 Das Ungleichgewicht zwischen der Leistung und Gegenleistung müsse jedoch auf einem bestimmten Niveau sein. Hierbei sei ein offenes und sichtbares und vor allem für die Parteien unzumutbares Ungleichgewicht erforderlich, welches gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Anderenfalls bestehe die Möglichkeit, dass jeder im Falle einer nur geringeren Veränderung der Umstände die Anpassung des Vertrags an die neuen Umstände verlangt. Die Ermittlung eines bestimmten Grades oder einer bestimmten Quote sei hierbei schwierig, da es sich um eine dem Richter eingeräumte Ermessensentscheidung handele.475 Bei diesem richterlichen Eingriff in den Vertrag müsse auch unbedingt darauf geachtet werden, dass es sich lediglich um eine Ausnahme (Handlung) handelt und der Richter vor allem aufgrund des Grundsatzes der Vertragstreue seinen Eingriff weitestgehend gering halten muss.476 (2) Eine ablehnende Ansicht Nach einer anderen Ansicht ist es nicht erforderlich, für die Ermittlung der Erheblichkeit auf ein bestimmtes Maß oder einen Grad abzustellen.477 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage stelle vielmehr eine Risiko- und Vertragslücke dar.478 Daher sei es Aufgabe des Richters, diese Lücke im Vertrag, auch wenn sie nicht so schwerwiegend ist, zu füllen. Hierbei habe der Richter keinen Ermessensspielraum. Liege 470

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 115; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 148; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 193. 471 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 115; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 193; Gürsoy, Clausula, S. 91. 472 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 115; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 193. 473 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 193; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 680. 474 Gürsoy, Clausula, S. 104. 475 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 84; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69. 476 Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 681; Schmiedlin, Frustration, S. 166. 477 Topuz, Denge Bozulması, S. 145 ff., 257. 478 Topuz, Denge Bozulması, S. 145 ff., 257.

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eine Vertragslücke vor, solle sich der Richter nicht die Frage stellen, ob ein grobes Missverhältnis zwischen den Leistungen vorliegt oder ob dies offensichtlich ist.479 Dies möge zwar dazu führen, dass sich die Gerichte somit wegen jeder Schwankung des Leistungsverhältnisses mit der Frage auseinandersetzen müssten, ob eine Vertragslücke vorliegt, was zu einer erheblichen Belastung der Gerichte führe. Es sei jedoch gerade die Aufgabe des Richters, diese Fragen zu klären und eine vorhandene Vertragslücke zu füllen.480 Die Entlastung der Gerichte ist einer der Hauptgründe, weshalb es erforderlich sei, dass das Gleichgewicht zwischen der Leistung und der Gegenleistung in einem bestimmten Verhältnis stehen und außerordentlich schwer beeinträchtigt sein muss.481 Nach Topuz ist es nicht richtig, ein Missverhältnis in einem bestimmten Umfang zu verlangen, nur um die Arbeit der Gerichte zu entlasten. Erhebe der Betroffene Klage und würde die Klage aufgrund Fehlens eines Anspruchs abgewiesen, so sei der Kläger zum einen verpflichtet, die Kosten des Gerichts zu tragen, und zum anderen verschlechtere sich die Beziehung zu seinem Vertragspartner. Das offene Missverhältnis stelle einen unbestimmten Rechtsbegriff dar.482 Der Richter lege bei seiner Entscheidung seine subjektiven Eindrücke und Schätzungen zugrunde und lege den Rechtsbegriff somit aus. Im Rahmen seines Gerechtigkeitsempfindens beurteile er den konkreten Einzelfall und ermittele, ob die weiteren Voraussetzungen vorliegen und ob das Missverhältnis offensichtlich und erheblich sei. Dies stelle jedoch einen Umstand dar, der die Rechtssicherheit beeinträchtige, da es nunmehr in der Willkür des Richters liege, diese Entscheidung zu treffen.483 cc) Stellungnahme Aufgrund des Grundsatzes pacta sunt servanda sind die Parteien gehalten, weitestgehend an dem Vertrag festzuhalten. Ein Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist nur bei erheblichen Änderungen der Umstände vorzunehmen. Eine auf jeden Fall passende Festlegung einer bestimmten Quote oder eines bestimmten Wertes oder Grades zur Bestimmung dieser Erheblichkeitsgrenze ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich. Der Richter muss vielmehr unter Beachtung der konkreten Umstände im Einzelfall und innerhalb des ihm eingeräumten Ermessens beurteilen, ob ein schweres Ungleichgewicht zwischen den Leistungen vorliegt oder nicht. Der Gesetzgeber hat auch in anderen Normen des Obligationenrechts, die ein Missverhältnis verlangen, keinen Richtwert oder eine Quote festgelegt. Bei einem nicht offensichtlichen Ungleichgewicht zwischen den Leistungen können die Parteien nicht zwangsläufig den Richter in Anspruch nehmen. Nach der Ansicht, die den 479 Topuz, Denge Bozulması, S. 257 Fn. 317 (Topuz hat seine Ansicht innerhalb der Fußnote erläutert.). 480 Topuz, Denge Bozulması, S. 257 f. Fn. 317. 481 Topuz, Denge Bozulması, S. 257 f. Fn. 317. 482 Topuz, Denge Bozulması, S. 256. 483 Topuz, Denge Bozulması, S. 256.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Wegfall der Geschäftsgrundlage als einen Fall der Vertragsergänzung einstuft, ist wie oben bereits erörtert, nicht möglich, den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu begründen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann mit Hilfe der Vertragsergänzung nicht gelöst werden, weil bei einer Vertragsergänzung lediglich die von den Parteien versäumten Vertragslücken ergänzt werden. Im Übrigen kann das Argument von Topuz,484 wonach in jedem Fall der gerichtliche Weg eingeschlagen werden könne, nicht überzeugen. Vielmehr entspricht es sowohl dem türkischen als auch dem deutschen Rechtsgedanken, den Parteien – im Falle unzumutbarer Änderungen und Störungen des Äquivalenzverhältnisses – die Beanspruchung der Gerichte über auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu eröffnen. Es muss jedoch betont werden, dass das offensichtliche Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nur für synallagmatische Verträge gilt. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage findet nicht nur bei gegenseitigen Verträgen, sondern nach überwiegender Ansicht in der Literatur auch bei einseitigen Verträgen Anwendung. Deshalb ist die Verwendung dieses Begriffes nicht empfehlenswert. Vielmehr sollte berücksichtigt werden, ob das Festhalten am Vertrag für die Parteien zumutbar ist oder nicht. Auch der Umstand, dass aus dem Wortlaut des Art. 138 tOR ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht vorausgesetzt ist, spricht gegen die Verwendung dieses Begriffs. Der Gesetzgeber verlangt lediglich das Vorliegen einer unvorhersehbaren außerordentlichen Änderung der Umstände. Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung „[…] wenn bei Vertragsabschluss vorhandene Umstände sich derart zu Lasten des Schuldners ändern, dass das Verlangen der Leistungserfüllung gegenüber dem Schuldner gegen Treu und Glauben verstößt […]“ versucht, in Art. 138 tOR einen Maßstab für die Erheblichkeitsschwelle einzuführen. Hierbei hat er jedoch keinen Richtwert festgesetzt, sondern vielmehr eine Orientierungshilfe für den Richter geboten, was zu begrüßen ist. Somit wurde sowohl den Meinungen in der Literatur als auch der Rechtsprechung Beachtung geschenkt. Das Auslassen eines bestimmten Richtwertes und einer Quote entspricht auch dem deutschen Rechtsgedanken. 3. Auswirkung des Vertragstypus und der Vertragsdauer auf die Erheblichkeit Bei der Ermittlung der Erheblichkeit einer Geschäftsgrundlagenstörung spielen auch der Vertragstypus und die Vertragsdauer eine Rolle.485 Bei Verträgen mit spekulativem Einschlag werden besonders hohe Anforderungen an die Erheblichkeit der Störung gestellt, da fast jeder Vertrag einen „spekulativen Moment“ enthält.486 Es besteht beispielsweise stets die Gefahr, dass sich der 484

Topuz, Denge Bozulması, S. 256 Fn. 317. Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69; Gürsoy, Clausula, 94 ff.; Tezcan, Clausula, S. 94; Davran/Oftinger, ˙IÜHFM C. VIII, Sa. 3 – 4, S. 598 (610). 486 Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69. 485

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Preis der Ware nach Vertragsabschluss ändert. In den meisten Fällen jedoch berühren derartige Änderungen die Geschäftsgrundlage nicht.487 III. Unvorhersehbarkeit Sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsmodernisierung ist es für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage erforderlich, dass sich die Umstände nach dem Vertragsabschluss durch ein Ereignis, das den Parteien bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar war, verändern. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt nicht in Betracht, wenn die Parteien diese Umstände hätten vorhersehen müssen.488 Im Gegensatz zum deutschen Recht hat der türkische Gesetzgeber die Vorhersehbarkeit als eine negative Tatbestandsvoraussetzung festgehalten. 1. Charakteristika der Unvorhersehbarkeit Eine Anwendung des Art. 138 tOR kommt in der Regel nicht in Betracht, wenn eine Partei die Veränderungen der Umstände vorhergesehen hat bzw. hätte vorhersehen können.489 Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut dieser Norm, wurde aber auch vor der Kodifizierung sowohl von der Literatur als auch der Rechtsprechung als Voraussetzung anerkannt. Dieser Grundsatz basiert auf dem Gedanken, dass bei einer Vorhersehbarkeit der veränderten Umstände durch die Parteien eine vorherige vertragliche Regelung möglich gewesen ist. Hat die Partei einen Umstand vorhergesehen oder hätte vorhersehen müssen, ist auch das Ergebnis des Ereignisses von seiner Gedankenkette mit umfasst490 und das Risiko einer Änderung mit übernommen.491 Die Nichtvorhersehbarkeit der Umstände und die Nichtübernahme des Risikos durch eine Partei, sind sehr eng miteinander verbunden. Die Vorhersehbarkeit bestimmt größtenteils das Risiko. Hat eine Vertragspartei einen bestimmten Umstand bereits bei Vertragsabschluss vorhergesehen, kann daraus in den meisten Fällen geschlossen werden, dass sie auch das Risiko dieser Änderung übernommen hat. Der 487

Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 69. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 172; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 124; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 204; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 151; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 73; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 182; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (140); Topuz, Denge Bozulması, S. 259 ff. 489 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 172; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 124; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 204; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (140). 490 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 172; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (141). 491 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 172; Belling/Köksal, Yasa Hukuk C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1494); Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (141); Topuz, Denge Bozulması, S. 259. 488

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Partei oblag die Möglichkeit, die Gefahr der Änderung durch Festlegung von Klauseln oder Vertragsbedingungen und damit die Übernahme des Risikos zu verhindern.492 Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage trotz offensichtlicher Vorhersehbarkeit erscheint widersprüchlich.493 Jedoch ist diese Gedankenkette lediglich als Indiz zu bewerten, dass diese beiden Voraussetzungen nicht in jedem Fall gleichgesetzt werden können.494 In einer türkischen Literaturansicht495 ist zudem anerkannt, dass zwar im Falle der Vorhersehbarkeit der Änderung der Umstände, jedoch der Unvorhersehbarkeit der Konsequenzen die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich ist. Das Vorhersehbarkeitskriterium solle im Übrigen nicht allzu streng bewertet werden. Dies werde durch die Regelung in Art. 480 tOR verdeutlicht, in der mildere Anforderungen an das Vorhersehbarkeitskriterium gestellt werden. Die Berufung auf Art. 480 tOR sei demnach möglich, wenn die Parteien die Änderung vorhergesehen, jedoch außer Acht gelassen haben.496 Der Umfang der Vorhersehbarkeit ist sehr schwer zu bestimmen. Die Beurteilung der Vorhersehbarkeit hängt von verschiedenen Kriterien ab und ist dem Einzelfall entsprechend festzustellen. Ob die Veränderung der Umstände vorhersehbar ist, ist anhand des gewöhnlichen Lebensverlaufs der Parteien zu beantworten.497 In einigen Phasen kann die Vorhersehbarkeit an strengere Voraussetzungen zu knüpfen sein als in anderen. Wenn beispielsweise eine inflationäre Krise bereits begonnen hat, ist die Entwertung des Geldes eher vorauszusehen als in dem Fall, in dem die Krise noch nicht begonnen hat und die Parteien nicht einmal mit einer Krise rechnen konnten.498 Aus diesem Grund ist bei der Bewertung der Vorhersehbarkeit auch der Moment des Vertragsabschlusses zu berücksichtigen und damit zusammenhängend auch die jeweils herrschende Konjunktur.499 Bei der Unvorhersehbarkeit ist der Zeitfaktor zu berücksichtigen. Die Veränderungen, die für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage von Bedeutung sind, treten entweder nach dem Vertragsabschluss und vor der Erfüllung der Leistung auf oder aber im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen nach Beginn der Leistung, jedoch immer vor dessen endgültiger Erfüllung. Aber auch die Entwicklungen, die schon vor dem Vertragsabschluss vorlagen, sind in die Bewertung mit einzubeziehen. Wenn die Umstände bereits lange Zeit vor dem Vertragsabschluss stabil waren, kann 492

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 173; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (141). Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 173. 494 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 173. 495 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 107. 496 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 180. 497 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 179; Abas, Rebus, S. 288. 498 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 179; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 110; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 151. 499 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 110. 493

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dies für eine Unvorhersehbarkeit sprechen.500 Wenn die Preise für Kohle beispielsweise in den letzten 20 Jahren vor Vertragsabschluss keiner auffälligen Erhöhung unterlagen, spricht das dafür, dass auch eine anschließende enorme Steigerung nicht vorhersehbar war.501 In der Rechtsliteratur ist es umstritten, welche Auswirkungen es hat, wenn ein Umstand zwar bei Abschluss des Vertrags nicht vorhersehbar war, im Laufe der vertraglichen Bindung, aber noch vor Eintritt der Veränderung vorhersehbar wurde. Nach Bischoff502 ist auch in diesem Falle eine Anpassung des Vertrags möglich. Entscheidend sei, dass bei Vertragsabschluss die Änderung nicht vorlag und auch nicht dem Verschulden einer Partei zuzurechnen sei. Bei Dauerschuldverhältnissen könne sich aufgrund des Vertrauensverhältnisses eine Nebenpflicht zur Mitteilung und Mitwirkung bei Änderungen der Umstände aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben. Jedoch könne auch dies nicht dazu führen, die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage allgemein auszuschließen. Baysal503 dagegen vertritt die Ansicht, dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Änderungen vor Erfüllung nicht mehr möglich ist, denn in diesem Falle hätten die Parteien vor der Veränderung eine Regelung zu treffen. Tun sie das jedoch nicht, obwohl eine Gelegenheit dazu bestand, falle die Veränderung in die Risikobereiche der Parteien. Wenn aber dieses Risiko von den Parteien erkannt wurde und die Parteien die entsprechenden Regelungen vorgenommen haben, was von einer besonnenen Partei erwartet werden dürfe, und die Veränderungen dennoch zu einem Ungleichgewicht der vertraglichen Leistungen und zu einer ungerechten Benachteiligung führen, liege ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Die Beurteilung der Vorhersehbarkeit hängt auch von der Art des Rechtsgeschäfts bzw. vom Vertragstypus ab. Dadurch wird auch innerhalb des Vorhersehbarkeitskriteriums den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen.504 Liegt dem Rechtsgeschäft beispielsweise ein Spekulationsgeschäft zugrunde, spricht neben der Risikoverteilung auch die Vorhersehbarkeit von Störungen regelmäßig gegen eine Anwendung des Geschäftsgrundlageninstituts.505 Auch die Laufzeit des Vertrags beeinflusst das Vorhersehbarkeitskriterium.506 In Rechtsprechung507 und Literatur508 ist anerkannt, dass je länger ein Vertragsver500

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 179. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 180. 502 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 212 f. 503 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 180. 504 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 152; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 184. 505 Akyol, Dürüstlük, S. 88 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 184; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 152. 506 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 180; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 234 f. 501

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

hältnis dauert, desto unwahrscheinlicher ist die unvorhergesehene Änderung von Umständen. Die Rechtsprechung hat den Wegfall der Geschäftsgrundlage jedoch auch bei kurzfristigen Verträgen angewandt. Auch hier sei eine unvorhergesehene Änderung der Umstände zwar möglich, jedoch unwahrscheinlicher.509 Baysal510 dagegen betont, dass es sich bei den Begriffen lang- und kurzfristiger Verträge um sehr vage Begriffe handelt. Obwohl eine Vertragsdauer von einem Jahr im Rahmen von Mietverträgen als lang einzustufen ist, könne es sich im Rahmen eines anderen Vertrags, beispielsweise eines Kreditvertrages, um eine sehr kurze Vertragsdauer handeln.511 Eine Unterscheidung zwischen langfristigen und kurzfristigen Verträgen sei daher nicht sinnvoll.512 2. Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit Die Vorhersehbarkeit ist den Parteien nur dann zuzurechnen, wenn sie über das Wissen verfügen, die Veränderung der Umstände vorhersehen zu können. Allerdings ist es umstritten, anhand welcher Kriterien zu beurteilen ist, ob die Vertragsparteien über das nötige Wissen verfügten. Es ist umstritten, ob das Kriterium der Unvorhersehbarkeit rein objektiv zu beurteilen ist, oder ob bei dieser Frage auch die subjektiven Eigenschaften der Parteien zugrunde zulegen sind. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Veränderung der Umstände vorhersehbar war, spielen auch die Besonderheiten der Partei eine Rolle. Diese sind der soziale Status, der Beruf und die subjektiven Eigenschaften. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung entwickelten sich verschiedene Ansätze zur Bestimmung eines Zurechnungsmaßstabes. a) Ansichten in der Literatur Eine Ansicht verlangt eine absolute Unvorhersehbarkeit.513 Dies entspricht einer älteren aus der deutschen und schweizerischen Literatur stammenden Meinung, 507 Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/864; Y.3.HD., 17. 06. 2003, E. 2003/ 6633, K. 2003/7601; Y.13.HD., 25. 04. 2002, E. 2002/2820, K. 2002/4565. Der Kassationshof hat in folgender Entscheidung die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf kurzfristige Verträge bejaht: Y.3.HD., 27. 03. 2000, E. 2000/2648, K. 2000/2640. 508 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 180; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 234 f. 509 Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/864. 510 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 182. 511 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 182. 512 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 182. 513 Akyol, Dürüstlük, S. 84. Nach Akyol ist der Maßstab für die Beurteilung der Zurechnung der Vorhersehbarkeit sorgfältig zu bestimmen. Bei Vorhersehbarkeit der Umstände einer einzigen Person sei die Unvorhersehbarkeit zu verneinen.

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welche für die Zurechnung auf das menschlich Vorstellbare abstellte.514 Danach durfte das vertragliche Risiko, welches sich verwirklicht hat, von niemandem vorherzusehen sein. Diese Ansicht hat aufgrund der weiten Fassung in der türkischen Literatur große Kritik erfahren.515 Folge man dieser Ansicht, könne jeder Umstand als unvorhersehbar eingestuft werden, womit der Wegfall der Geschäftsgrundlage kaum Erfolg haben würde.516 Um dies zu verhindern, sind bei der abstrakten Bewertung die subjektiven Eigenschaften der Person und die Bedingungen der Situation als Indikatoren zu werten. Nach einer anderen Ansicht517 reicht es für die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus, dass die Parteien persönlich die Umstände nicht vorhergesehen haben. Hierbei wird eine subjektive Betrachtungsweise, welche ausschließlich die Vorstellung der Parteien berücksichtigt, bei der Ermittlung der Unvorhersehbarkeit zugrunde gelegt. Auch diese Ansicht hat in der Literatur Kritik erfahren.518 Eine Beschränkung auf das Wissen der Parteien von der Veränderung der Umstände sei nicht sachgemäß, da jede Partei sich über die Gegebenheiten informieren sollte.519 Hat eine Partei die Änderung der Umstände vorhergesehen, oder hätte sie vorhersehen können und müssen, so begründet dies ein Versäumnis und damit ein Verschulden der Partei.520 Im Falle eines Verschuldens hingegen, käme die Anpassung des Vertrags wegen der Veränderung der Umstände nicht mehr in Betracht.521 Nach der h. L.522 ist die Unvorhersehbarkeit anhand von objektiven und subjektiven Kriterien zu ermitteln. Nach dieser Meinung523 ist ein Vertragsrisiko dann 514 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., III., 4., b), bb) Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit an die Vertragsparteien. 515 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 187; Gürsoy, Clausula, S. 109; Tezcan, Clausula, S. 85. 516 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Gürsoy, Clausula, S. 109; Tezcan, Clausula, S. 85. 517 Oftinger, SJZ 36 (1939/40), S. 229 (233 f.). 518 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Gürsoy, Clausula, S. 109; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 73; Dural, I˙mkansızlık, S. 67; Topuz, Denge Bozulması, S. 262. 519 Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 127. 520 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Gürsoy, Clausula, S. 109; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 73; Dural, I˙mkansızlık, S. 67; Topuz, Denge Bozulması, S. 262. 521 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Gürsoy, Clausula, S. 109; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 73; Dural, ˙Imkansızlık, S. 67; Topuz, Denge Bozulması, S. 262. 522 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 485; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 183; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Topuz, Denge Bozulması, S. 262. 523 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S 186 ff.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 126 f.; Gürsoy, Clausula, S. 109; Kaplan,

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

unvorhersehbar, wenn ein in den betreffenden Geschäftskreisen verkehrender durchschnittlicher Dritter die Verwirklichung der Änderung der Umstände bei Vertragsabschluss nicht hätte vorhersehen können.524 Haben die Parteien bei Abschluss des Vertrags die Umstände nicht vorhergesehen, hätte aber ein in denselben Geschäftskreisen verkehrender, redlicher, durchschnittlicher und logisch denkender Dritter das Vertragsrisiko, welches sich verwirklicht hat, vorhersehen können, so komme trotz eines Ungleichgewichts oder einer Leistungserschwerung ein Eingriff in die vertragliche Vereinbarung nicht mehr in Betracht.525 In diesem Zusammenhang würde das, was vorhergesehen wurde oder hätte vorhergesehen werden können, anhand des konkreten Einzelfalls und den Eigenschaften der Parteien und des Vertrags ermittelt.526 In beiden Fällen sei nicht von Bedeutung, wie groß das Ausmaß der Veränderungen ist, da es lediglich darauf ankommt, ob es vorhergesehen wurde oder vorhersehbar war. So sei beispielsweise bei dem Anpassungsverlangen eines Kaufmanns als umsichtiger Dritter nicht irgendein Kaufmann zugrunde zu legen, sondern ein Kaufmann, der dieselben Eigenschaften trägt und in derselben Situation ist wie die Partei selbst, nur dass er darüber hinaus auch die erforderliche Umsicht und Vernunft besitzt und dementsprechend handelt.527 b) Rechtsprechung Der Rechtsprechung des Kassationshofes ist nicht zu entnehmen, welche Theorie sie zur Ermittlung der Unvorhersehbarkeit als Grundlage nimmt.528 In seiner Deflationsentscheidung verneinte der Kassationshof die Unvorhersehbarkeit und damit das Vorliegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. In der betreffenden Entscheidung erlitt die türkische Lira einen Wertverlust von 67 % Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 73; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 206; Topuz, Denge Bozulması, S. 262. 524 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 206. 525 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 107; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S 186 ff.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 126 f.; Topuz, Denge Bozulması, S. 262. 526 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 188; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 127; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 208; Topuz, Denge Bozulması, S. 263. 527 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 187. 528 Das Schweizer Bundesgericht lehnt sich im Grundsatz an die objektive Betrachtungsweise an. Nach dem Bundesgericht sind Umstände, die bei einer redlichen Betrachtungsweise nicht vorhergesehen werden konnten, auch unvorhersehbar. Anders ausgedrückt, wird der konkrete Einzelfall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bewertet und kommt man zu dem Ergebnis, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags das sich verwirklichte Vertragsrisiko hätten vorhersehen können, wird dieses Risiko als objektiv vorhersehbar bewertet [BGE 45 II, S. 386 (398)]. Aus der ausdrücklichen Betonung der ehrlichen Art und Weise wird deutlich, dass eine absolute oder eine rein subjektive Betrachtungsweise nicht erwünscht ist, sondern eine redliche, durchschnittliche und logische Person als Vergleichsperson zugrunde zu legen ist.

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gegenüber dem amerikanischen Dollar. Geldwertregulierungen wurden von den Gerichten als vorhersehbare Umstände beurteilt. Diesbezüglich betonte das Gericht in seiner Entscheidung, dass in der heutigen Zeit, in der es oft zu einer Geldwertregulierung kommt, diese im Vorfeld vorhersehbar sei.529 Vor allem die frühere Rechtsprechung neigte dazu, die Fälle veränderter Umstände über die objektive Vorhersehbarkeit zu lösen. In einem Fall entschied der Kassationshof beispielsweise nach einer plötzlichen Deflation gegen die Unvorhersehbarkeit der Veränderungen der Vertragsumstände eines Bürgers, obwohl sogar der Wirtschaftsminister und der Ministerpräsident diesen Umstand als unerwartet beurteilten. Der Kassationshof begründete seine Entscheidung damit, dass das Land solch eine Deflation nicht zum ersten Mal erlebe und daher eine Unvorhersehbarkeit nicht gegeben sei. Im Widerspruch zu dieser Entscheidung und seiner Begründung hat sich der Kassationshof in seiner Entscheidung vom 13. 05. 1993 in einem Rechtsstreit zwischen zwei Banken für eine Unvorhersehbarkeit entschieden, mit der Begründung, dass eine Deflation eine unvorhersehbare Situation darstelle und somit einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründe.530 Die türkischen Gerichte531 mussten sich häufig mit Rechtsstreitigkeiten beschäftigen, die Verträge betrafen, die auf der Grundlage von Fremdwährungen geschlossen wurden. Da die türkische Währung immer an Wertverlusten litt, wurden Verträge häufig auf der Grundlage des Dollar und später auch des Euro, heute auch vielfach auf Grundlage des schweizerischen Franken und des japanischen Yen geschlossen. Die Streitigkeiten folgten daraus, dass sich beispielsweise die Diskrepanz der Ausgaben eines in Euro geschlossenen Eigentumskaufvertrags und des in türkische Lira eingenommenen Arbeitsentgeltes durch die Änderung der Währung und dem daraus folgenden Wertverlust der Lira erhöhte. Dies führte in einigen Fällen dazu, dass die gesamte Monatseinnahme zur Zahlung der Monatsrate aus dem Kaufvertrag verwendet werden musste. Der Kassationshof entschied sich in den meisten dieser Fälle gegen die Unvorhersehbarkeit der Änderung, da die Türkei ein Land sei, das regelmäßig mit Inflationen, Deflationen und Wirtschaftsmaßnahmen konfrontiert sei.532 Der Handel mit Fremdwährungen sei gerade ein Indiz dafür, dass den Parteien sehr wohl die Gefahr der Änderung bewusst gewesen sei. 529

Y.13.HD., 16. 12. 1976, E. 1976/5406, K. 1976/5406; Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/11773, K. 1980/2310. 530 Y.13.HD., 13. 05. 1993, E. 1991/7652, K. 1993/3447. Kritik für diese Entscheidung: Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (82). 531 Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/ 7053, K. 2005/328; Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870. 532 Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/ 7053, K. 2005/328; Y.9.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD, 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870. Für andere Entscheidungen: Ülgen, Uyarlama Davaları, S. 163 ff.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Auch in seinen aktuellen Entscheidungen,533 in denen die Parteien über Verträge streiten, welche über den bislang stabilen japanischen Yen und die Schweizer Franken534 geschlossen wurden und es aufgrund der erstmaligen Wertsteigerung dieser Währungen zu Wertverlusten kam, betont der Kassationshof die Vorhersehbarkeit der Änderung des Geldwertes und verneint das Vorliegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Der Große Zivilsenat des Kassationshofes hat jedoch in einigen Entscheidungen die Unvorhersehbarkeit auch anhand subjektiver Kriterien und der persönlichen Situation der Parteien beurteilt. In seiner Entscheidung vom 07. 05. 2003 betonte er, dass in Art. 18 (Art. 20 a. F.) tHGB geregelt ist, dass jeder Kaufmann verpflichtet ist, zu seinem Geschäft gehörende Handlungen wie ein umsichtiger Kaufmann zu erledigen hat. Die Verpflichtung, wie ein umsichtiger Kaufmann zu handeln, erfordert ein objektives Maß an Sorgfalt. Der Kaufmann hat bei der Erfüllung seiner kaufmännischen Geschäfte nicht nur seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechend die von ihm zu erwartende Sorgfalt walten zu lassen, sondern diejenige Sorgfalt, die von einem, auf demselben Gebiet handelnden umsichtigen und vorausschauenden Kaufmann zu erwarten wäre.535 In einer weiteren Entscheidung betont der Kassationshof die persönliche Stellung eines Kaufmanns und die sich daraus ergebende gesteigerte Verantwortung. In dieser Entscheidung heißt es: […] hat über die Zuteilung der Devisen oder eben dessen Nichtzuteilung durch das Finanzministerium besser informiert zu sein als andere Nichtkaufleute und hat aufgrund dessen wie ein umsichtiger und vorsichtiger Kaufmann zu handeln […].536 Der Kaufmann hat für den Fall des Rückgangs der Rohstoffproduktion die Maßnahmen zu treffen, die ein umsichtiger Kaufmann treffen würde, und sich mit ausreichend Ware einzudecken.537 Außer in diesen Fällen fordert der Kassationshof – vor allem bei der Einschätzung der Stabilität der Wirtschaftslage und den damit zusammenhängenden Umständen – von Kaufleuten ein erhöhtes Maß an Voraussicht. In vielen Fällen, in denen ein Kaufmann einen Vertrag auf der Basis von Devisen schließt, lehnt der Kassationshof eine Unvorhersehbarkeit ab. c) Stellungnahme Die Vorhersehbarkeit spielt für die Beurteilung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine wesentliche Rolle. Hat eine Vertragspartei die Veränderung der 533 534 535 536 537

Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304. I˙stanbul 4. Tüketici Mahkemesi, 05. 08. 2011, E. 2011/895, K. 2011/631. Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340. Y.HGK., 18. 04. 1984, E. 11-139, K. 426. Y.15.HD., 02. 06. 1987, E. 26, K. 2433.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Umstände vorhergesehen oder hätte sie vorhersehen können, ist davon auszugehen, dass sie das Risiko für die Änderung übernommen hat. Ein Rückgriff auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist ihr zu versagen. Das Festlegen dieses Kriteriums als Negativvoraussetzung erscheint jedoch nicht sachgerecht, da nicht in jedem Fall die Vorhersehbarkeit der Risikoübernahme gleichzusetzen ist. In Einzelfällen kann eine Änderung der Vertragsumstände trotz Vorhersehbarkeit zu untragbaren Ergebnissen führen. Auch in Situationen, in denen die Änderung zwar vorhersehbar, die Reichweite dieser Änderung jedoch nicht vorhersehbar ist, kann eine Verneinung der Unvorhersehbarkeit zu unbefriedigenden Ergebnissen führen.538 Es muss den Parteien möglich sein, auch in Krisensituationen Verträge zu schließen, ohne negative Auswirkungen zu befürchten. Die Ansichten, die rein objektive oder nur rein subjektive Merkmale als Maßstab für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit heranziehen, können nicht überzeugen. Die objektive Vorhersehbarkeit führt zu einer unberechtigten Einengung des Anwendungsbereichs dieses Instituts, da jede Änderung als menschlich vorstellbar eingestuft und als vorhersehbar beurteilt werden kann. Die Festlegung der Vorhersehbarkeit einer Änderung anhand subjektiver Kriterien dagegen führt zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Norm, da sich nach dieser Beurteilung jeder auf die persönliche Nichtkenntnis der Änderung berufen könnte. Zu überzeugen scheint hier die h. L. Das Abstellen auf einen besonnenen Dritten berücksichtigt neben objektiver Aspekte auch persönliche und subjektive Aspekte der Parteien und führt zu tragbaren Ergebnissen. Ausgehend von dieser Meinung kann die Vorgehensweise der Rechtsprechung nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen. Zum einen geht aus den Entscheidungen des Kassationshofs keine klare Linie hervor. Die Berufung auf die wirtschaftliche Lage lässt zwar auf eine Tendenz zu der objektiven Beurteilung der Vorhersehbarkeit schließen, in anderen Entscheidungen mit vergleichbaren Sachverhalten wendet sich die Rechtsprechung jedoch von ihrem Standpunkt ab und entscheidet willkürlich und ohne eine Einzelfallbetrachtung. Bei einem Rechtsstreit zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher lehnt der Kassationshof den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Begründung der Vorhersehbarkeit der Inflation ab. Wogegen er die Unvorhersehbarkeit in einem Rechtsstreit zwischen zwei Kaufleuten bejaht. Diese Entscheidung kann nicht überzeugen. Gerade bei Kaufleuten ist aufgrund der Fachkenntnisse die Einschätzung einer Krise oder wirtschaftlichen Schwankung eher zu erwarten als bei Verbrauchern. Zudem ist nicht verständlich, warum der Kassationshof in dem Rechtsstreit zwischen den Unternehmern von seiner objektiven Betrachtungsweise ohne jegliche überzeugende Begründung abweicht.

538 Vor der weltweiten Wirtschaftskrise im Jahre 2007 beispielsweise wurde viel darüber spekuliert und diskutiert. Die Reichweite und die enormen Folgen dieser Krise wurden jedoch verschätzt, und es kam zu unerwarteten Umstände.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

In anderen Entscheidungen wiederum tendiert der Kassationshof neben der objektiven auch zu der subjektiven Vorhersehbarkeit und betont die besondere Stellung eines Kaufmanns, was wiederum sachgerechter erscheint und aufgrund der Näherung an die h. L. begrüßenswert ist. Weiterhin betonte der Kassationshof in seinen Entscheidungen,539 dass das Verhandeln mit Fremdwährungen gerade ein Indiz für die Gefahr der Wertänderung der Landeswährung sei und dies eine Risikoübernahme bedeute. Solch eine pauschale Bewertung der Wirtschaftssituation ist nicht sachgerecht. Vielmehr ist trotz der Kenntnis der wirtschaftlichen Schwankungen des Landes von einem Richter zu erwarten, jeden Sachverhalt einzeln und unabhängig von Allgemeinbewertungen zu beurteilen. Realistisch betrachtet bleibt dem Verbraucher keine andere Option, als seine Verträge auf der Grundlage von Fremdwährungen zu schließen, es sei denn, es ist ihm möglich, die unverhältnismäßig hohen Zinsen für Kredite in der Landeswährung aufzunehmen. Dies ist für den durchschnittlichen türkischen Verbraucher kaum tragbar. Im Gegensatz hierzu bieten die Vereinbarungen auf der Grundlage von Fremdwährungen geringere Zinsen und bezahlbare Ratenvereinbarungen. Als Konsequenz bleibt dem Verbraucher keine reale Wahlmöglichkeit. Den Gerichten ist dieser Umstand auch bekannt. Daher ist es nicht nachvollziehbar und zum Nachteil für den Verbraucher, jede Änderung der Umstände eines Vertrags, der auf der Grundlage von Fremdwährungen geschlossen wurde, pauschal als vorhersehbar einzustufen und der Partei somit eine einzelfallabhängige Prüfung seiner Rechtslage zu verweigern. Im Übrigen können auch nicht alle Fremdwährungen einheitlich beurteilt werden. Für längerfristig instabile Währungen sollte eine Änderung eher als vorhersehbar eingestuft werden als bei Währungen, wie beispielsweise dem japanischen Yen, die über Jahre hinweg stabil blieben und unerwartet einen Wertverlust erlitten haben. Eine einheitliche Beurteilung erscheint hier wohl nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat kurz vor der Verabschiedung den Art. 138 tOR ergänzt, um die Anwendung dieser Norm auf Fremdwährungen zu erweitern. Obwohl eine Begründung fehlt, hat der Gesetzgeber mit seiner Entscheidung versucht zu signalisieren, dass nicht bei jedem Vertrag, der auf der Basis von Fremdwährungen geschlossen wurde, die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen Vorhersehbarkeit und Risikoübernahme abgelehnt werden darf. Das erwünschte Ziel des Gesetzgebers hinsichtlich der Kodifizierung des Art. 138 Abs. 2 tOR entspricht der hier vertretener Meinung. Auch ohne die Kodifizierung des Art. 138 Abs. 2 tOR hätte die Rechtsprechung in ihren Entscheidungen nicht alle auf Fremdwährung basierten Verträge pauschal und ohne Einzelfallprüfung als vorhersehbar einstufen sollen.

539 Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304; Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/ 1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/7053, K. 2005/328; Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Eine einzelfallabhängige Bewertung eines Sachverhaltes verlangt zudem, neben der Vorhersehbarkeit der Änderung der Umstände auch die Beurteilung der Konsequenzen zu berücksichtigen. Zwar mag in Einzelfällen die Änderung der Umstände vorhersehbar gewesen sein, jedoch nicht das Ausmaß und der Umfang ihrer Konsequenzen. Im Zusammenhang mit dem Kriterium der Unvorhersehbarkeit hat selbst der Gesetzgeber bei der Modernisierung nicht die erforderliche Sensibilität gezeigt. Dies führte zu zwei widersprüchlich gestalteten Normen, die im Kern einen vergleichbaren Schutz bieten sollen. Sowohl Art. 138 tOR als auch Art. 480 Abs. 2 tOR regeln den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Während in Art. 138 tOR verlangt wird, dass die Partei die Veränderung nicht vorhergesehen hat oder nicht hätte vorhersehen können, verlangt Art. 480 Abs. 2 tOR lediglich, dass die Partei die Veränderung nicht vorhergesehen – oder vorhergesehen, jedoch nicht beachtet- hat. Dies stellt einen gravierenden Unterschied für die Beurteilung der Unvorhersehbarkeit dar und erleichtert dem Unternehmer den Rückgriff auf Art. 480 Abs. 2 tOR. Daher erscheint es verwunderlich, dass der Gesetzgeber mit der Schuldrechtsmodernisierung den Unternehmer weiterhin durch den weiten Anwendungsbereich des Art. 480 Abs. 2 tOR bevorzugt hat. Der Anwendungsbereich des speziellen Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Werkvertragsrecht gem. Art. 480 Abs. 2 tOR wurde mit der Modernisierung im Gegensatz zu der allgemeinen Norm des Art. 138 tOR weiter gefasst. Dem Wortlaut entsprechend kann sich der Unternehmer auf Art. 480 Abs. 2 tOR berufen, wenn er die Änderung der Umstände vorhergesehen, jedoch nicht beachtet hat. Durch diese Regelung wird dem Werkunternehmer eine weitaus größere Möglichkeit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage eingeräumt, als dies für den allgemeinen Art. 138 tOR vorgesehen ist. Diese Regelung kann in keiner Weise befriedigen. Sie widerspricht sowohl dem türkischen als auch dem deutschen Rechtsempfinden. Von einem Unternehmer wird erwartet, aufgrund seiner Fachkenntnis und seiner Erfahrung, und Fähigkeit, bestimmte Situationen und Gefahren bezüglich der Änderung von Umständen besser einschätzen zu können. Daher erscheint es wenig einleuchtend, den Unternehmer durch den weiten Anwendungsbereich im Gegensatz zu den Nichtkaufleuten zu bevorzugen und mehr Rechte einzuräumen. Eine Erklärung für diese Regelung und Unterscheidung zwischen Art. 138 tOR und Art. 480 Abs. 2 tOR ergibt sich auch nicht aus den Gesetzesbegründungen. Einzig mögliche Begründung für die Ungleichbehandlung kann der Umstand sein, dass Art. 480 Abs. 2 tOR aus dem schweizerischen Recht übernommen und auch nach der Modernisierung beibehalten wurde. Art. 138 tOR, welches sich an deutschem Recht orientiert, wurde dagegen neu kodifiziert.540 Um eine Gleichbehandlung und ein faires Rechtssystem zu ge540

Die Übersetzung des Art. 480 tOR entspricht nicht exakt dem schweizerischen Art. 373 Abs. 2 tOR. Während der schweizerische Gesetzgeber bestimmte Umstände, die von beiden Parteien angenommenen Voraussetzungen ausschließt, gibt der türkische Gesetzgeber dem Unternehmer die Möglichkeit, bei Vorhersehbarkeit, jedoch Nichtbeachtung der Änderung der Umstände auf Art. 480 tOR zurückzugreifen.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

währleisten, sollte die Entfernung des Art. 480 Abs. 2 tOR aus dem Obligationenrecht in Erwägung gezogen werden. IV. Nichterfüllung des Vertrags Eine weitere Negativvoraussetzung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht ist die Nichterfüllung des Vertrags. Gemäß Art. 138 tOR kann der Schuldner die Anpassung an die neuen Umstände verlangen, wenn er seine Leistung noch nicht erfüllt oder er sich seine Rechte, die aus der erheblichen Leistungserschwerung entstanden sind, bei der Erfüllung vorbehalten hat. Im Unterschied zum deutschen Recht ist dieses Kriterium im türkischen Recht als Negativvoraussetzung geregelt. Ob diese Voraussetzung, welche bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung diskutiert wurde, sinnvoll ist oder nicht, wird im Folgenden erörtert. 1. Ansichten in der Literatur a) Befürworter einer Nichterfüllung als Voraussetzungskriterium Eine Ansicht in der Literatur fordert für die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände, dass der Betroffene seinerseits die Leistung nicht erfüllt hat.541 Die Vertreter dieser Ansicht, welche sich sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsmodernisierung für die Festlegung einer Nichterfüllung des Vertrags als Tatbestandskriterium ausgesprochen haben, nehmen an, dass die Erfüllung der Leistung bereits selbst verdeutlicht, dass keine unzumutbare Situation besteht.542 Die Erfüllung zeige, dass keine Leistungserschwerung vorliege.543 Eine Anpassung sei nicht mehr möglich, da die vertragliche Leistung bereits erbracht worden sei.544

541 Akyol, Dürüstlük, S. 86; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (257); Feyziog˘lu, Umumi Hükümler, S. 473; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 206; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 154; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 480; Gürsoy, Clausula, S. 149; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 183; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (53); Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (157); Tezcan, Clausula, S. 103 ff. 542 Akyol, Dürüstlük, S. 86; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (257); Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 206 f.; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 154; Gürsoy, Clausula, S. 149; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 183; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (53); Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (157); Tezcan, Clausula, S. 103 ff. 543 Akyol, Dürüstlük, S. 86; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 155; Dural, I˙mkansızlık, S. 68; Gürsoy, Clausula, S. 150. Nach Gürsoy ist das Schuldverhältnis mit Erfüllung der Leistung beendet. Es gebe keinen Vertrag mehr, der angepasst werden könnte. 544 Gürsoy, Clausula, S. 150.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Tezcan545 argumentiert mit der Schlüssigkeitsprüfung einer Klage durch den Richter. Für die Schlüssigkeit der Klage sei erforderlich, dass die Leistung noch nicht erfüllt ist. Bei Erfüllung müsse die Klage abgewiesen werden, ohne die weiteren Voraussetzungen zu prüfen. Nach Arat546 und Gürsoy547 endet mit der Erfüllung der Leistungen die Schuld, und der Vertrag verliert seine Geltung. Ein Vertrag, der keine Geltung mehr besitze, könne aber nicht Gegenstand einer Anpassung sein, denn die Anpassung diene dazu, die Erschwernis zwischen den Leistungen zu beseitigen. Auch wenn das türkische Recht in einigen Normen die Möglichkeit einräume, bereits erfüllte Leistungen zurückzuverlangen (z. B. Art. 295 tOR), könne diesen Vorschriften kein allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden.548 Somit könne die Leistung nicht angepasst und zurückverlangt werden, wenn sie bereits erfüllt ist.549 Nach Gürsoy550 kann auch derjenige, der die Leistung in Unkenntnis seiner Rechte und der Umstände erfüllt hat, die Anpassung des Vertrags nicht verlangen. Letzteres sei vergleichbar mit der Verjährung. Derjenige, der die Leistung trotz der Verjährung erbracht hat, könne diese nicht mehr zurückverlangen. Ebenso könne auch derjenige die Leistung im Rahmen der Anpassung nicht mehr zurückverlangen, der die Leistung bereits erbracht hat. Eine erfüllte Leistung gehe rechtmäßig in das Vermögen des Gläubigers über und könne auch nicht im Rahmen der ungerechtfertigten Bereicherung nach Art. 77 ff. tOR zurückverlangt werden. Nach Art. 78 tOR kann derjenige, der eine Leistung erbringt, ohne dass er dazu verpflichtet ist, die Herausgabe der Leistung nicht verlangen, soweit er nicht beweist, dass er in dieser Hinsicht einem Irrtum unterlegen ist. Derjenige, der eine Schuld begleicht, ohne zu wissen, ob er trotz der Veränderung der Umstände des Vertrags dazu verpflichtet gewesen ist oder nicht, und Zweifel hinsichtlich der Höhe der Leistung hat, könne nach Art. 78 tOR die Herausgabe der Leistung nicht verlangen. In diesem Falle ist dieser nicht einem Irrtum unterlegen, sondern hat nur Zweifel im Hinblick auf den Schuldner oder den Schuldumfang. Das Vorliegen von Zweifeln hingegen schließe einen Irrtum aus. Nach der Ansicht, welche die Nichterfüllung des Vertrags verlangt, kommt der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur in Betracht, wenn der Schuldner die Leistung unter Vorbehalt erfüllt hat.551 Dementsprechend könne sich die Partei, die von den Veränderungen der Leistung benachteiligt ist und sich dadurch einer Leistungserschwerung gegenübersieht, bei der Erfüllung der Leistung ihre Rechte vorbehalten 545

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123, Tezcan, Clausula, S. 105. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123. 547 Gürsoy, Clausula, S. 110. 548 Gürsoy, Clausula, S. 149; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123. 549 Akyol, Dürüstlük, S. 88 ff. 550 Gürsoy, Clausula, S. 149 f. 551 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 124; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 155; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (257); Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (63). 546

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

und dennoch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend machen. Nach Erman552 reicht es für die Anpassung des Vertrags aus, wenn der Schuldner bei der Erfüllung der Leistung das Anpassungsbegehren angekündigt hat. In der Rechtsliteratur nimmt Burcuoglu553 an, dass vor allem bei Bankdarlehen die Bank im Falle der Nichtzahlung direkt Maßnahmen ergreifen wird, um ihren Anspruch durchzusetzen. Wird beispielsweise eine Rate nicht gezahlt, kann die Bank die Rückzahlung des gesamten Darlehens verlangen, mit der Folge von Vollstreckungsmaßnahmen. Um diese Maßnahmen seitens der Bank zu verhindern, beschaffen sich die meisten Gläubiger Geld, indem sie sich anderweitig verschulden, um die Leistung gegenüber der Bank zu erfüllen. Da hier trotz Erfüllung eine unzumutbare Situation für den Schuldner vorliege, könne er in diesem Fall den Vertrag nur anpassen und die Leistung zurückverlangen, wenn er sich bei der Erfüllung seine Rechte vorbehalten hat. Bei einer Teilerfüllung müsse die Anpassung in Bezug auf den nicht erfüllten Teil verlangt werden können.554 Teilerfüllungen ergeben sich vor allem bei Dauerrechtsverhältnissen. Hat der Schuldner nur einen Teil der Leistung erfüllt, so kann er den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur hinsichtlich des nicht erfüllten Teils geltend machen.555 Die Nichterfüllung des Vertrags als Negativvoraussetzung wurde in der Literatur sowie in der Rechtsprechung bereits vor der Modernisierung anerkannt, womit das Festhalten an diesem Merkmal als Voraussetzung im Tatbestand des Art. 138 tOR von den Befürwortern in der Literatur begrüßt wurde. b) Gegner einer Nichterfüllung als Voraussetzungskriterium Eine andere Ansicht vertritt, dass trotz Erfüllung des Vertrags der Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen kann.556 Nach Baysal557 ist es unerheblich, ob die Leistung bereits erfüllt ist oder nicht. Auch bei erfüllten Verträgen käme bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzung eine Anpassung in Betracht. Diese Frage sei aber im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu beantworten. Nach Baysal558 hindere allein die Erfüllung der Schuld die Anpassung des Vertrags nicht. Es komme 552

Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 89. Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (63 ff.). 554 Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 60 (63 ff.). 555 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 123; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (53); Akyol, Dürüstlük, S. 86; Tezcan, Clausula, S. 105. 556 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 122 ff.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 134 ff; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 235 f. 557 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 112; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 134 ff. 558 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 112; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 134 ff. 553

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nicht darauf an, ob die Schuld von einer Partei erfüllt worden sei, sondern ob der Vertrag beidseitig vollständig erfüllt worden sei, womit die gesamte vertragliche Beziehung ein Ende finde. Denn nur bei Beendigung der vertraglichen Beziehung komme keine Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht. Habe hingegen nur eine der Parteien ihre Leistung erfüllt, oder habe bei einem einseitigen Vertrag der Schuldner nur einen Teil der Leistung erfüllt, so könne der Vertrag immer noch angepasst werden.559 Zur Untermauerung seiner Ansicht beruft sich Baysal560 auf Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs und die deutsche Literatur. Die h. L. im deutschen Recht versucht das Problem im Rahmen der Unzumutbarkeit zu lösen, welche zugleich eine Voraussetzung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage darstellt.561 Nach Baysal562 bedeutet die Erfüllung der Leistung nicht, dass eine Leistungserschwerung für den Schuldner nicht vorliegt. Die Tatsache, dass die Erfüllung der Leistungen eine Leistungserschwerung beseitige, spiele lediglich bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage in Form der Äquivalenzstörung eine Rolle. Ein allgemeines Verlangen der Nichterfüllung des Vertrags gelte jedoch nicht für den besonderen Fall der Zweckstörung.563 Denn die Erfüllung des Vertrags in diesem Fall würde dazu führen, dass die Anpassung des Vertrags fast immer ausgeschlossen wäre. Dies betone die Nichterforderlichkeit der Negativvoraussetzung bei Nichterfüllung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.564 Im konkreten Einzelfall könne es vorkommen, dass die Erfüllung nur unter einem übermäßigen Opfer der Partei erfolgt ist. In dieser Situation sei die Anpassung des Vertrags die einzig gerechte Lösung.565 Nach Baysal566 kann die Verweigerung der Anpassung bereits erfüllter Verträge an die veränderten Umstände dazu führen, dass unbillige Ergebnisse entstehen. Auch die Vertreter der Ansicht, dass ein bereits erfüllter Vertrag nicht angepasst werden dürfe, haben dieses Problem erkannt und Lösungsvorschläge für diese ungerechte und harte Folge entwickelt. Demnach sei der Vertrag also nur dann

559 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 112; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 134 ff. 560 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 235. Baysal verweist auf folgende Entscheidungen in der deutschen Rechtsprechung: BGHZ 131, 209 (216); BGHZ 74, S. 370 (373). 561 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., I., 2. Anwendbarkeit innerhalb (teil-)erfüllter Verträge. 562 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 112. 563 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 235. 564 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 112; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 235. 565 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i ˘ Degis¸iklikler2, S. 235. 566 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113 f; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 235

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anzupassen, wenn die streitige Erfüllung unter Vorbehalt erfolgt ist.567 Dadurch solle versucht werden, vor allem die im Vertrag benachteiligte Partei zu schützen.568 Dieser Grundsatz wurde als Folge der Wirtschaftskrise entwickelt, da aufgrund dieser Krise einer der beiden Vertragsparteien immer benachteiligt würde. Baysal569 vertritt im Übrigen, dass eine Vertragsanpassung grundsätzlich uneingeschränkt ohne Vorbehalte möglich sein muss. Liege eine unzumutbare Situation für den Schuldner vor, müsse ein Zurückgreifen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage unabhängig davon, ob ein Vorbehalt vorliegt oder nicht, ermöglicht werden. Der Versuch, ein zusätzliches Bewertungskriterium in Form des Vorbehaltes einzuführen, würde die Lösungsfindung unnötig erschweren. Der Gedanke, dass ein bereits erfüllter Vertrag angepasst werden soll, sei dem türkischen Recht nicht fremd (Art. 296 tOR).570 Dabei sei bei der Anpassung eines bereits erfüllten Vertrags besondere Vorsicht geboten. Um die veränderten Umstände hinreichend zu bewerten, müsse man jeden Fall individuell betrachten, indem man die konkreten Umstände, die persönlichen Situationen der Parteien und das Vorliegen einer Unzumutbarkeit berücksichtigt.571 Erst dann komme eine Anpassung in Betracht. Cevizlikonak572 hingegen nimmt an, dass der Erwerb der Leistung dann nicht rechtmäßig ist, wenn der Grundsatz von Treu und Glauben trotz der bereits erfüllten Leistung eine Anpassung vorsieht. Also wandele der Grundsatz von Treu und Glauben die Leistung in eine grundlose Leistung um. Werde das Zurückverlangen der Leistung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben abgelehnt, führe dies dazu, dass der Schuldner, der trotz der Leistungserschwerung seine Schuld erfülle, im Gegensatz zu dem Schuldner, der seine Leistung bei einer Leistungserschwerung nicht erfülle, benachteiligt würde, womit eine Ungleichbehandlung entstehe.573 Erfülle der Schuldner im Falle einer Leistungserschwerung seine Leistung, um sein Ansehen nicht zu verlieren oder sein gegebenes Wort zu halten, was für die türkische Mentalität große Bedeutung hat, müsse es ihm möglich sein, sein Recht auf Anpassung zu behalten. Eine andere Annahme führe dazu, dass derjenige, den kein Verschulden trifft, nicht die Möglichkeit habe, die Umstände zu verhindern und somit infolge der unerwarteten Umstände einer Leistungserschwerung erlegen sei und – getreu dem Grundsatz pacta sunt servanda – durch die Erfüllung seiner Leistung, sein Anpassungsrecht verliere. Dies sei mit dem Gerechtigkeitsgedanken nicht vereinbar. 567 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 113; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 135. 568 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu‘nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 236. 569 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 114. 570 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 114; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 236. 571 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 114. 572 Cevizlikonak, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 68. 573 Cevizlikonak, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 68.

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Die Erfüllung der Leistung trotz der unvorhersehbaren Veränderung der Umstände lasse lediglich die Vermutung zu, dass eine Leistungserschwerung nicht vorliege. Diese Vermutung könne aber jederzeit widerlegt werden, wenn die Leistungserschwerung bewiesen wird. Nach Yilmaz574 ist danach zu differenzieren, ob der Schuldner die Leistung aus eigener Kraft erbringt oder mit der Hilfe von Dritten. Erfüllt der Schuldner die Leistung mit seinem eigenen Vermögen, bedeute dies, dass die Erfüllung der Leistung keine unzumutbare Verpflichtung für den Schuldner darstellt, sodass eine Anpassung auszuschließen ist.575 Konnte der Schuldner die Leistung hingegen nur erfüllen, weil er sich bei einem Dritten verschuldet hat, so liege eine Unzumutbarkeit vor, die nach wie vor anhält.576 Diese Ansicht kritisiert die Einführung einer Negativvoraussetzung der Nichterfüllung oder eines Vorbehalts als klares Tatbestandskriterium des Art. 138 tOR. Durch das Festlegen als Negativvoraussetzung sei der Richter an diesen Wortlaut gebunden und habe in Zukunft die Nichterfüllung des Vertrags oder eines Vorbehalts in jedem Fall zu prüfen.577 Diese Voraussetzung stelle sich vielmehr als eine Bestrafung des gutgläubigen und unbedachten Schuldners dar.578 Der gutgläubige Schuldner erbringe seine Leistung, um Konflikte aufgrund der drohenden Zwangsvollstreckung und sonstigen Gefahren einer Nichterfüllung, wie beispielsweise Verzugszinsen, zu vermeiden.579 Erfüllt jemand in einer derartigen Situation seine Leistung, liege nach Serozan580 zumindest ein stillschweigender Vorbehalt vor, sodass eine Anpassung dennoch erfolgen könne. Die Leistung ohne Einräumung eines Vorbehalts bedeute nicht, dass sie für den Schuldner zumutbar war. Ein weiteres Argument liegt nach Baysal581 in der Wurzel des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Diese sei in dem Grundsatz von Treu und Glauben zu finden. Der benachteiligten Partei, der nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ein Anspruch auf Anpassung zusteht, müsse daher auch die Anpassung des Vertrags trotz Erfüllung nach dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ermöglicht werden.582

574 575 576 577 578 579 580 581 582

Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (157). Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (157). Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (157). Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150. Serozan Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150. Serozan Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150. Serozan Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150. Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150. Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150.

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2. Rechtsprechung Auch wenn die frühere Rechtsprechung eine Anpassung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Erfüllung der Leistung zuließ, tendiert die neuere Rechtsprechung zur Ablehnung der Berufung auf dieses Institut bei bereits erfüllter Vertragspflicht. Der Kassationshof vertrat in einer seiner ersten Entscheidungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im Jahre 1942 die Ansicht, dass einer Anpassung des Vertrags in analoger Anwendung des Art. 365 tOR die Erfüllung der vertraglich versprochenen Leistung nicht entgegenstehe. Der Kassationshof betont in dieser historisch bedeutenden Entscheidung, dass es unerheblich sei, ob die Leistung bereits erfüllt worden sei oder nicht.583 Auch in der Entscheidung des 13. Zivilsenats vom 19. 06. 1992 ließ der Kassationshof die Anpassung des Vertrags trotz Erfüllung zu. In diesem Rechtsstreit ging es um einen Mietvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren, in der die Miete für die 10 Jahre im Voraus bezahlt worden war. Auch hier hat der Kassationshof angenommen, dass die Erfüllung der Leistung dem Anpassungsbegehren nicht entgegenstehe, und hat dem anpassungsbegehrenden Vermieter die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ermöglicht.584 In einem vergleichbaren Fall vom 21. 04. 2003 ließ der Kassationshof jedoch die Berufung des Vermieters, der die Anpassung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage begehrte, nicht zu. Mit der Begründung, durch die Mietzahlung von 10 Jahren im Voraus sei der Vertrag erfüllt. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage verlange als negative Voraussetzung die Nichterfüllung des Vertrags.585 In einem weiteren Fall lehnte der Kassationshof die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage selbst bei einer Teilleistung ab. In diesem Fall zahlte der Käufer einen großen Teil des Kaufpreises. Zur Begründung führt der Kassationshof an, dass der Käufer mit der Teilzahlung die Leistung erfüllt und somit sein Recht auf Berufung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage verloren habe. 3. Stellungnahme Nach der neuen Regelung des Art. 138 tOR kann derjenige, der seine Leistung erfüllt und sich dabei die ihm zustehenden Rechte nicht vorbehält, die Anpassung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht verlangen. So sieht es das Gesetz in Art. 138 tOR ausdrücklich vor. Eine Ansicht in der Literatur vertritt, dass 583 Y.TD., 02. 06. 1942 für diese Entscheidung: Gürsoy, Clausula, S. 75; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 77. 584 Y.13.HD., 19. 06. 1992, E. 1992/5191, K. 1992/5542. 585 Y.13.HD., 21. 04. 2003, E. 2002/15326, K. 2003/4726. Für die weiteren Entscheidungen Y.13.HD., 27. 12. 2002, E. 9911, K. 14153; Y.13.HD., 03. 06. 1996, E. 4997, K. 5538; Y.13.HD., 29. 11. 1993, E. 167, K. 9332.

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eine Leistung, die vom Schuldner erfüllt werden konnte, nicht unzumutbar sein kann und aus diesem Grund der Wegfall der Geschäftsgrundlage in Form der Leistungserschwerung nicht in Betracht kommen könne. Auf den ersten Blick mag dieses Argument überzeugen. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass dieses Argument auch irreführend ist. Erfüllt jemand seine ihm obliegende Leistung nur, um nicht in Verzug zu geraten oder um einer Zwangsvollstreckung zu entgehen, kann eine unzumutbare Situation weiterhin vorliegen. Der Schuldner wird vor allem bei Geldschulden einen anderweitigen verzinsten Kredit aufnehmen, um seiner vertraglichen Verpflichtung nachkommen zu können. Daraus folgt, dass allein das Abstellen auf die Erfüllung der Leistung nicht geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Leistung zu beseitigen. Der Gesetzgeber und die Literatur erkennen an, dass der Schuldner sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, wenn er seine Leistung unter Vorbehalt erfüllt. Das bedeutet, dass die Literatur und der Gesetzgeber gleichermaßen davon ausgehen, dass allein die Erfüllung der Leistung die Unzumutbarkeit nicht zu beseitigen vermag. Die Befürwortung einer Leistungserfüllung unter Vorbehalt widerspricht sich in ihren Argumenten und ist daher kritikwürdig. Einerseits darf die Erfüllung die Unzumutbarkeit beseitigen, auf der anderen Seite ist aber doch von einer Unzumutbarkeit auszugehen, wenn die Erfüllung unter Vorbehalt geleistet wurde. Wird an der Voraussetzung des Art. 138 tOR streng festgehalten, folgt daraus, dass z. B. die Zweckstörung, die ebenfalls einen Unterfall der Geschäftsgrundlage darstellt, kaum die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände ermöglichen wird. Die Ehefrau, die beispielsweise den Eltern ihres Ehemannes ein lebenslanges Nießbrauchsrecht an dem Haus einräumt, könnte sich im Falle einer Scheidung nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Form der Zweckstörung berufen. Auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen könnte sich der Schuldner allein bei Fehlen eines Vorbehalts nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Die Vertragspartei wird daher versuchen, bereits im Vorfeld alles zu klären und vertraglich zu vereinbaren, was nicht sachgemäß erscheint. Der Betroffene müsste daher im Krönungsfall beispielsweise gegenüber dem Vermieter bereits bei Abschluss des Vertrags und bei der Bezahlung der Miete angeben, dass er im Fall der Absage der Krönung die Miete zurückerhalten möchte. In diesem Fall wäre aber die Durchführung der Krönung der Inhalt des Vertrags und somit keine Grundlage des Vertrags mehr. Solche Regelungen stellen vielmehr Bedingungen dar. Daher kann allein das Fehlen eines Vorbehalts die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht überzeugen. Vor allem erscheint die Entscheidung des Kassationshofs im Fall bezüglich einer Mietzahlung, die zehn Jahre im Voraus erfolgte und in welchem der Vermieter die Anpassung des Vertrags verlangte,586 wenig sachgerecht. Der Kassationshof ver586

Y.13.HD., 19. 06. 1992, E. 1992/5191, K. 1992/5542.

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neinte die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen Erfüllung durch Vorauszahlung des Mietzinses durch den Mieter. Der Kassationshof berücksichtigt bei synallagmatischen Verträgen nicht, dass jede Partei sowohl Schuldner als auch Gläubiger ist. Zum einen bestand die Schuld (Einräumung des Wohnrechts) des anpassungsbegehrenden Vermieters weiterhin, während der Mieter seine gesamte Schuld erfüllt hatte, zum anderen wurde das Schuldverhältnis durch die Vorauszahlung der Miete nicht beendet. Trotz der Erfüllung der Gegenpartei kann der Schuldner sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, wenn er seine Schuld zum Teil oder noch nicht erfüllt hat. Selbst bei der Erfüllung eines großen Teils der Leistung lehnt der Kassationshof die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ab, was gegen jegliches Rechtsempfinden spricht. Zumindest bezüglich des nicht geleisteten Teils hätte bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der Vertrag angepasst werden müssen. Der Ansicht von Baysal wird im Grunde entsprochen. Lediglich der Vergleich mit Art. 296 (245 a. F.) tOR ist nicht akzeptabel. Artikel 296 (245 a. F.) tOR regelt vielmehr die Möglichkeit der Verweigerung der Erfüllung und den Widerruf des Versprechens bei Schenkungen. Dieser Artikel ist, aufgrund der zu eng gefassten Bedingungen, jedoch nicht geeignet als Maßstab für den allgemeinen Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. Art. 138 tOR herangezogen zu werden. Ein weiteres Argument, dass allein die Leistung die Zumutbarkeit der Erfüllung bestätige, kann nicht überzeugen. In vielen Fällen muss der Schuldner sich bei Dritten verschulden, um seine Pflicht zu erfüllen. Dies verdeutlicht vielmehr die aussichtslose Situation, in der sich der Schuldner befindet. Auch die Fälle, in denen der Schuldner aus eigenem Vermögen zahlt, können unzumutbare Situationen begründen, wenn die Erfüllung der Vertragspflicht mit dem gesamten Vermögen des Schuldners zu seinem wirtschaftlichen und existentiellen Ruin führt. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage ereignet sich vor allem bei Verträgen, bei denen beiden Parteien eine Pflicht auferlegt wird. Hier stellt sich die Frage, ob sich derjenige, der seine Leistung bereits ganz oder aber auch nur zum Teil erfüllt hat, auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, wenn der Vertragspartner seinerseits die Leistung noch nicht erfüllt hat. Zudem ist die Formulierung in Art. 138 tOR „[…] wenn der Schuldner seine Leistung erfüllt […]“ so zu interpretieren, dass nicht nur auf die Erfüllung der jeweiligen Leistung einer Partei, sondern auf die Erfüllung beider Parteien abzustellen ist, was den Wegfall der vertraglichen Bindung im Ganzen zur Folge hätte. Die weite Interpretation gewährleistet die Berufung auf diese Norm. Es ergibt sich im Übrigen die Vermutung, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Art. 138 tOR nur die Leistungserschwerung berücksichtigt und sowohl die Äquivalenzstörung als auch die Zweckstörung bei der Kodifizierung nicht beachtet hat. Diese Vermutung folgt auch aus der Bezeichnung dieses Instituts als eine Form der Leistungserschwerung. Eine solche Norm lässt keinen Raum für Interpretation oder Fragen bezüglich der Erfüllung der Leistung und ob diese unter Vorbehalt erfolgte oder nicht. In einer solchen allge-

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meinen Norm ist jedoch kein Platz für die Frage, ob die Leistung bereits erfüllt ist oder nicht und ob dies unter Vorbehalt erfolgte oder nicht. Der Gesetzgeber hätte vielmehr eine allgemeine Norm vorlegen sollen, die alle Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit umfasst. Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine Negativvoraussetzung der Nichterfüllung der Leistung zu unsachgerechten Ergebnissen führen kann und daher dem deutschen Recht entsprechend gesetzlich nicht hätte festgelegt werden sollen. Ein Nachweis der Regelung eines Vorbehalts ist in vielen Fällen nicht möglich, da solch eine Einschränkung auch mündlich oder stillschweigend erfolgt sein kann. Die Umstände jedes Einzelfalls müssen bei der Beurteilung der Voraussetzungen Berücksichtigung finden. Aus diesem Grund kann es nicht zutreffend sein, dass an der Voraussetzung der nicht erfüllten Leistung so streng festgehalten wird. Vielmehr ist eine Norm erforderlich, die den Wegfall der Geschäftsgrundlage unter allen Gesichtspunkten regelt und auf jede Fallsituation Anwendung finden kann. Dem deutschen Recht entsprechend hätte diese Voraussetzung außerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 138 tOR bleiben müssen, um eine einzelfallabhängige, gerechte Lösung anstreben zu können. V. Zurechenbarkeit Im Gegensatz zum deutschen Recht ist die Zurechenbarkeit der Änderung der Umstände im Tatbestand des Art. 138 tOR als Voraussetzung ausdrücklich festgehalten. Nach Art. 138 tOR kann sich der Schuldner nur auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, wenn die außerordentlichen Änderungen der Umstände nicht vom Schuldner selbst verursacht worden sind. 1. Inhalt und Reichweite des Zurechenbarkeitskriteriums Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung wurde stark diskutiert, was unter „[…] nicht von dem Schuldner verursacht […]“ zu verstehen ist. Eine Ansicht legt diese Voraussetzung eng aus und lässt ein Verschulden des Schuldners ausreichen. Eine andere weit auslegende Ansicht dagegen versteht darunter jeden Umstand, der sich aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners ergibt. Im Folgenden werden die verschiedenen Ansichten der Literatur und Rechtsprechung diesbezüglich dargestellt.

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a) Ansichten der Literatur aa) Verschulden Nach einer Ansicht in der Literatur ist für die Verneinung des Rückgriffs auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage das Verschulden des Vertragspartners ausreichend.587 Treffe die Parteien ein Verschulden daran, dass sich die Umstände nach Vertragsabschluss auf eine unvorhersehbare Art und Weise ändern, können sie im Falle eines Ungleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung oder im Falle einer Leistungserschwerung eine Vertragsanpassung nicht verlangen. Diese Rechtsfolge ergebe sich aus den Vorschriften der Art. 136, 112 tOR wie auch im Falle der verschuldeten Unmöglichkeit. Bei verschuldeter Unmöglichkeit hat der Schuldner die Leistung zu erbringen, solange er nicht nachweisen kann, dass ihn kein Verschulden an der Unmöglichkeit trifft. Der Schuldner müsse bei der Äquivalenzstörung und bei der Leistungserschwerung nachweisen, dass die Unvorhersehbarkeit der Veränderung der Umstände nicht ihm zugeschrieben werden kann.588 Das Verschulden entspreche dabei weder dem Verschulden bei der unerlaubten Handlung noch der vertraglichen Haftung. Das Verschulden sei vielmehr danach zu ermitteln, wie ein verständiger Beobachter im Einzelfall gehandelt hätte.589 Hat die Partei wie ein verständiger Beobachter gehandelt, so liege kein Verschulden vor. Dies ergebe sich zudem aus dem Grundsatz nemo turpitudinem suam allegans auditur, wonach niemand gehört wird, der sich auf seine eigene Schändlichkeit beruft.590 Bei der Anpassung des Vertrags spiele das Verschulden in zwei Situationen eine entsprechende Rolle. Einerseits, wenn der Schuldner die Störung selbst herbeigeführt hat, oder wenn er in der Lage war, durch entsprechende Handlungen die Grundlagenstörung zu beeinflussen.591 Dem Verhalten der Parteien werde somit eine große Bedeutung zugeschrieben. Das Verschulden drücke sich auch dadurch aus, dass der Schuldner durch seinen Beitrag oder seine Enthaltung an der Erhöhung des erheblichen Missverhältnisses zwischen der Leistung und Gegenleistung mitwirke.592 Im Rahmen von Werkverträgen beispielsweise sei es auch als Verschulden der Parteien zu werten, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung nicht mitteilt.593 587 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 135; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (250); Gürsoy, Clausula, S. 153; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (163). 588 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 135; Gürsoy, Clausula, S. 153; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 152. 589 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 135; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (250); Gürsoy, Clausula, S. 153; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (163). 590 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 135; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (250); Gürsoy, Clausula, S. 153. 591 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 136. 592 Gürsoy, Clausula, S. 154 ff.; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (251). 593 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 89.

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Andererseits sei es möglich, dass das Verschulden darin liege, dass die Partei, die die Anpassung begehrt, objektiv die Veränderung hätte vorhersehen können, dies jedoch nicht vorhergesehen hat.594 Auch in solchen Fällen sei es erforderlich, die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.595 Seien die Dimensionen der vorhersehbaren Ereignisse, die eine Leistungserschwerung zur Folge haben, nicht einzusehen gewesen, könne auch von keinem Verschulden die Rede sein.596 bb) Verantwortlichkeit Nach einer anderen Ansicht kommt es bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht auf das Verschulden, sondern auf die Verantwortlichkeit der Parteien an. Nach Topuz597 und Baysal598 ist es für den Wegfall der Geschäftsgrundlage unerheblich, ob die Parteien kein Verschulden an der Veränderung der Umstände haben. Es komme nur darauf an, ob diese Veränderungen der Umstände in den Verantwortungsbereich der Parteien fallen. Nach Topuz599 wird auch in der Schweizer Rechtsliteratur600 der Begriff der Verursachung und des Verschuldens unterschiedlich bewertet. Auch hier wird der Begriff der Verursachung mit dem Verantwortungsbereich des Schuldners gleichgesetzt. Im Schuldrecht gebe es eine Unterscheidung zwischen dem Verschulden und der Verantwortlichkeit,601 wobei die Verantwortlichkeit des Schuldners nicht immer bedeute, dass ihm ein Verschulden zur Last gelegt werden kann.602 Auch wenn dem Schuldner kein Verschulden zur Last gelegt werden kann, so sei es nach Art. 112 tOR möglich, dass der Verantwortungsbereich einer Partei betroffen ist. Nach der Vorschrift des Art. 112 tOR gehe die Unnachweisbarkeit des Verschuldens zulasten des Schuldners. Aus diesem Grund müsse der Schuldner nicht nur verschuldensfrei sein, sondern dies darüber hinaus auch noch nachweisen können. Könne er diesen Nachweis nicht erbringen, so sei er nach der Vorschrift des Art. 112 tOR auch für die entstehende Unmöglichkeit verantwortlich.603 Dieser Gedankengang müsse auf die Norm des Art. 138 tOR übertragen werden.604 594 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 136; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (251); Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 136. 595 Akyol, Dürüstlük, S. 87; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (251); Gürsoy, Clausula, S. 153. 596 Serozan, ˙Ifa, S. 226. 597 Topuz, Denge Bozulması, S. 271. 598 Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 129 f.; ders., Sözles¸menin Uyarlanması, S. 167. 599 Topuz, Denge Bozulması, S. 271. 600 Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 673; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 342; v. Büren, Schweizerisches Obligationenrecht, S. 404. 601 Topuz, Denge Bozulması, S. 271. 602 Topuz, Denge Bozulması, S. 271. 603 Topuz, Denge Bozulması, S. 271.

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Wenn beispielsweise eine Wirtschaftskrise objektiv nicht vorhersehbar sei, liege es dennoch an den Parteien, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um so die negativen Auswirkungen auf die vertragliche Vereinbarung so gering wie möglich zu halten.605 Treffen die Parteien diese Vorkehrungen nicht und führt dies zu der Steigerung des Ausmaßes der Äquivalenzstörung oder der Leistungserschwerung, so könne der Schuldner trotz Unvorhersehbarkeit der Umstände für die einhergehenden, negativen Auswirkungen auf den Vertrag verantwortlich gemacht werden.606 Nach Baysal607 ist es begrüßenswert, dass der Gesetzgeber nicht das Verschulden, sondern die Verursachung als Maßstab für Art. 138 tOR in der Norm festgehalten hat. Es verdeutliche, dass auch der Gesetzgeber nicht allein auf das Verschulden der Partei bei der Beurteilung der Vertragsänderung abstellt. Jedoch sei der Wortlaut des Art. 138 tOR, welcher sich bei der Verursachung lediglich auf die Änderung außerordentlicher Umstände bezieht, nicht eindeutig.608 Außerordentliche Umstände würden in den meisten Fällen nicht vom Schuldner verursacht.609 Hier muss nach Topuz610 zusätzlich darauf abgestellt werden, ob die Änderung aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners stammt und ob dieser entsprechende Vorkehrungen zur Vermeidung dieser Änderung vorgenommen hat.611 Nach Topuz612 wäre es daher sinnvoller, den Wortlaut der Norm dahingehend zu ändern, dass der Schuldner sowohl für die unvorhersehbaren Veränderungen der Umstände als auch für das verwirklichte vertragliche Risiko nicht verantwortlich sein darf. b) Rechtsprechung Der Kassationshof betont in zahlreichen Entscheidungen,613 dass die sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufende Partei kein Verschulden treffen darf. Der Kassationshof neigt in seinen Entscheidungen folglich dazu, auf ein Verschulden und nicht auf die Zuordnung in den Verantwortungsbereich der Person abzustellen. Die außerordentlichen Umstände dürfen danach nicht vom Schuldner verschuldet worden sein. Bei Inflationen oder Kriegssituationen verneint der Kassationshof ein Verschulden, da diese Umstände nicht von einer Partei verursacht werden können. 604

Topuz, Denge Bozulması, S. 271. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 167 f. 606 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 168. 607 Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 130. 608 Topuz, Denge Bozulması, S. 272. 609 Topuz, Denge Bozulması, S. 272. 610 Topuz, Denge Bozulması, S. 272. 611 Topuz, Denge Bozulması, S. 272. 612 Topuz, Denge Bozulması, S. 273. 613 Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/11-773, K. 1980/2310; Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/ 137, K. 1981/932; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199; Y.GHK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 2003/7017; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171. 605

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Der 4. Zivilsenat des Kassationshofs hat in seiner Entscheidung vom 10. 10. 1978 beispielsweise den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund des Verschuldens des Schuldners verneint.614 In dieser Entscheidung hat der Kassationshof den Grad der Verfügbarkeit an Rohstoffen nicht als zwingenden Grund anerkannt und somit ein Verschulden des Auftragnehmers angenommen.615 In seiner Entscheidung vom 07. 05. 2003 betont der Kassationshof616, dass die Berufung eines Kaufmanns auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, in einem Land, welches von Inflationen und wirtschaftlichen Schwankungen geprägt ist, aus zwei Gründen verwehrt werden muss. Zum einen seien wirtschaftliche Änderungen für den Kaufmann aufgrund seiner Erfahrungen und Fachkenntnisse nicht unvorhersehbar, zum anderen treffe ihn ein Verschulden, wenn er diese Umstände nicht vorhergesehen habe. c) Stellungnahme Dem Wortlaut des Art. 138 tOR und dem Gesetzeszweck entsprechend erscheint es wenig einleuchtend, den Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage auf den Verschuldensmaßstab zu beschränken. Aus dem Art. 138 tOR geht klar hervor, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „verursachen“ auf den Verantwortungsbereich des Schuldners abstellen wollte. Der Gesetzgeber hat bewusst die Formulierung „verursachen“ und nicht „verschulden“ gewählt, um auch Umstände, welche nicht vom Schuldner selbst verschuldet sind, aber aus seiner Risikosphäre stammen, mit zu umfassen. Beispielsweise soll eine Partei auch für das Verhalten seiner Hilfspersonen die Verantwortung übernehmen. Sowohl der Wortlaut als auch die Rechtsprechung verlangen, dass die außerordentlichen Änderungen der Umstände nicht vom Schuldner verursacht wurden. Diese Beurteilung ist widersprüchlich, da außerordentliche Umstände kaum vom Schuldner selbst veranlasst werden. Für die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist das Vorliegen außerordentlicher Umstände nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die Änderung einen bestimmten Grad erreicht hat. Dem Gesetzeszweck entspricht es auch, Kriterien, wie die Vorhersehbarkeit und das Ausmaß der Veränderung, zu berücksichtigen. Ein weiteres Defizit der Formulierung „außerordentliche Umstände vom Schuldner nicht verursacht worden“ ist dahingehend zu verstehen, dass der Schuldner sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, wenn er zwar nicht die Änderung der Umstände selbst, jedoch beispielsweise die Erhöhung der Äquivalenzstörung verursacht hat. Andernfalls könnte er sich in jedem Fall, wenn er für die Änderung der Umstände nicht verantwortlich ist, auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. 614 615 616

Y.4.THD., 10. 10. 1978, E. 12581, K. 11161. Y.4.THD., 10. 10. 1978, E. 12581, K. 11161. Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Während dem Schuldner, welcher die Störung verursacht hat, der Rückgriff auf der Grundlage von venire contra factum proprium verwehrt bleibt, muss der Gegenpartei die Berufung auf Art. 138 tOR ermöglicht werden. 2. Anwendbarkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Fällen des Verzugs Bei Prüfung der Zurechenbarkeit stellt sich die Frage, wie die Fälle des Schuldnerverzugs zu beurteilen sind und ob eine Anwendung des Art. 138 tOR zugelassen ist. Diesbezüglich haben sich in der Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Meinungen entwickelt. Mit der Schuldrechtsreform wurde auf diese Frage weder im Wortlaut des Gesetzes noch in der Gesetzesbegründung eingegangen. Aus diesem Grund hat diese Diskussion ihre Aktualität auch nach der Reform nicht verloren. a) Ansichten in der Literatur Im türkischen Recht ist ein Abstellen auf das Verschulden zur Beurteilung des Vorliegens eines Verzugs nicht vorgesehen, was auch aus Art. 117 und 119 tOR (102, 103 a. F.) folgt.617 Das Verschulden spielt nur für die Rechtsfolge des Verzugs eine Rolle.618 Kann der Schuldner z. B. aufgrund einer Kriegssituation trotz Fälligkeit nicht leisten, gerät er hiernach in Verzug. Die Literatur vertritt, dass allein das pauschale Abstellen auf den Umstand des Verzugseintritts die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht verhindern kann, da dies zu ungerechten Ergebnissen führt. Obwohl für den Verzug das Verschulden keine Rolle spielt, müssen für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vielmehr die Verzugsumstände, wie der Verzugszeitpunkt, das Verschulden und der Grund für den Verzugseintritt, näher betrachtet werden.619 Dieser Gedankengang entspreche der Regelung des Art. 119 Abs. 2 tOR (102 a. F.), wonach sich der Schuldner von der Haftung des Verzugs befreien kann, wenn er den Nachweis erbringen kann, dass der Verzug ohne jedes Verschulden von seiner Seite eingetreten ist.620 Ist die Ursache für den Verzug die Veränderung der Umstände, könne der Schuldner für den Verzug nicht verantwortlich gemacht werden. Kann der Schuldner beispielsweise bei indexgebundenen Krediten aufgrund der enormen Steigung des Devisenkurses, die sich aufgrund einer Finanzkrise ergibt, nicht mehr zahlen und gerät somit in Verzug, könne ein Anpassungsverlangen deswegen nicht 617 Topuz, Denge Bozulması, S. 274; Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3030). 618 Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3030). 619 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Davran/Oftinger, ˙IÜHFM C. VIII, Sa. 3 – 4, S. 598 (606 f.). 620 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 168; Topuz, Denge Bozulması, S. 274.

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abgelehnt werden.621 Ist in diesem Zusammenhang kein Verschulden der Partei für den Verzugseintritt festzustellen, könne die betroffene Partei die Anpassung des Vertrags verlangen.622 Aus diesem Grund sei die Verweigerung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Fällen, in denen die Partei unverschuldet in Verzug geraten ist, ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit.623 Hierbei spiele es auch keine Rolle, ob nun der Schuldner oder der Gläubiger mit seiner Leistung in Verzug geraten sei. Habe der Schuldner jedoch bereits vor Eintritt der Störung nicht zahlen können, und sei er bereits vorher in Verzug geraten, so könne er sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.624 Denn hier sei die Ursache für den Verzug nicht die Änderung der Umstände, sondern die bereits vorherige Säumnis der Partei.625 Wäre er zuvor nicht in Verzug geraten, dann würde er auch nicht von der Änderung der Umstände betroffen sein. b) Rechtsprechung Entgegen den Meinungen in der Literatur verfolgt die Rechtsprechung einen klaren, dem Wortlaut und den Verzugsregeln entsprechenden Weg. Der Kassationshof prüft bei seinen Entscheidungen nur, ob sich eine Partei in Verzug befindet oder nicht.626 Ist dies der Fall, wird der Antrag auf Anpassung des Vertrags abgelehnt. Die Verzugsumstände spielen nach der Rechtsprechung bei der Beurteilung, ob ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt, keine Rolle. Entscheidend sei allein der Umstand, ob sich der Schuldner in Verzug befindet.627 c) Stellungnahme Der Ansicht der Literatur ist zuzustimmen. Allein das Abstellen auf den Verzugseintritt führt in vielen Fällen zu ungerechten und widersprüchlichen Ergebnissen. Das Paradoxe an der Vorgehensweise der Rechtsprechung liegt darin, dass das Abstellen allein auf den Verzugseintritt den Weg zum Wegfall der Geschäftsgrundlage schon im Vorfeld versperrt. Die Rechtsprechung engt somit den Anwendungsbereich des Art. 138 tOR insofern ein, als im Falle des Verzugs die Berufung ohne Ausnahmen und Einzelfallbetrachtungen ausgeschlossen wird. Ändern sich die Umstände des Vertrags, gerät der Schuldner bereits durch diese Änderung in Verzug, da er nicht leisten können wird. Wird in dieser Situation von dem Schuldner 621

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Topuz, Denge Bozulması, S. 274 f. Topuz, Denge Bozulması, S. 274 f. 623 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 138; Topuz, Denge Bozulması, S. 275. 624 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 219. 625 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137. 626 Y.HGK., 30. 05. 2001, E. 2001/15-402, K. 2001/459; Y.11.HD., 16. 01. 2003, E. 2002/ 7816, K. 2003/302; Y.11.HD., 02. 06. 1995, E. 1995/534, K. 1995/4540. 627 Y.HGK., 30. 05. 2001, E. 2001/15-402, K. 2001/459; Y.11.HD., 16. 01. 2003, E. 2002/ 7816, K. 2003/302; Y.11.HD., 02. 06. 1995, E. 1995/534, K. 1995/4540. 622

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

die Erfüllung des Vertrags verlangt, bringt man diesen in die unvorteilhafte Situation, dass ein Vorliegen der Negativvoraussetzung des Art. 138 tOR angenommen wird. Gemäß Art. 138 tOR kann sich der Schuldner nur auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, wenn er den Vertrag nicht oder unter Vorbehalt erfüllt hat. Die Begründung der Rechtsprechung zu dieser Vorgehensweise steht im Widerspruch zur Begründung hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen des Art. 138 tOR. Während einerseits eine Leistung zur Vermeidung des Verzugseintritts verlangt wird, wird andererseits der Rückgriff auf Art. 138 tOR bei Erfüllung des Vertrags untersagt. Dies bringt den Schuldner in eine missliche Lage. In jedem Fall, ob er leistet oder nicht, wird ihm die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage versperrt. Die einzige Möglichkeit für den Schuldner wäre die Leistung unter Vorbehalt. Da ein Vorbehalt aber sowohl schriftlich als auch mündlich erklärt oder konkludent zustande kommen kann, wird in vielen Fällen solch ein Vorbehalt folglich schwer oder gar nicht nachweisbar sein. Es erscheint damit interessengerechter, die Umstände, die zum Verzug geführt haben, näher zu beleuchten. Entscheidend sind hierbei vor allem das Zeit- und das Verschuldenskriterium. Es muss zunächst erörtert werden, wann der Schuldner in Verzug geraten ist und ob er den Verzug schuldhaft verursacht hat. Das pauschale Abstellen allein auf das Vorliegen des Verzugs erschwert oder verschließt in den meisten Fällen den Parteien eine Berufung auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, was nicht dem Gesetzeszweck entsprechen kann. VI. Risikozuweisung Interessanterweise hat der türkische Gesetzgeber trotz der ausführlichen Auflistung der übrigen Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung, anders als im deutschen Recht, in den Wortlaut des Art. 138 tOR nicht mit aufgenommen. Trotzdem spielte die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung eine große Rolle und wurde von der Literatur628 und Rechtsprechung629 bei der Prüfung und Anwendung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei gestörten Vertragsverhältnissen herangezogen. Die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung sind bei der Prüfung des Art. 138 tOR, wie auch im deutschen Recht, vorrangig zu berücksichtigen. Die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage darf hierbei nicht zu einer Änderung der vertraglichen Risikoverteilung führen und kommt daher nur zum Zuge, wenn eine Lücke vorliegt, eine Risikoverteilung folglich gänzlich fehlt.

628

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 141 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 192 ff.; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 240; Topuz, Denge Bozulması, S. 275. 629 Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/5000, K. 1975/891; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/ 6186, K. 1982/7199; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171.

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Die einzelnen möglichen vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilungen und ihr Verhältnis zum Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage werden im Folgenden näher untersucht und dargestellt. 1. Vertragliche Risikovereinbarung Aufgrund der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ereignisse des letzten Jahrhunderts haben vertragliche Risikoverteilungen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Um einen Rechtsstreit zu vermeiden und die Erfolgsaussichten einer Klage wegen Vorhersehbarkeit von Änderungen der Vertragsumstände auszuschließen, werden bei Vertragsabschluss immer öfter Vereinbarungen, die Änderung der Umstände regeln, in den Vertrag mit aufgenommen. Auch im türkischen Recht werden daher häufig vertragliche Klauseln vereinbart, um somit eine gewisse Flexibilität zu gewährleisten, die Rechtsfolgen näher zu bestimmen und folglich auch die Parteien vor den nachteiligen Folgen zukünftiger Änderungen zu schützen. Diese Möglichkeit gebietet der Grundsatz der Privatautonomie. a) Vertragliche Klauseln Den Parteien stehen neben ausdrücklichen positiven und negativen Vereinbarungen auch stillschweigende Vereinbarungen zur Verfügung. Im türkischen Recht spielt vor allem neben der Anpassungs-, Rücktritts- und Neuverhandlungsklausel die Bedingungsklausel eine große Rolle, da für den Fall der Vertragsauflösung häufig Bedingungen vereinbart werden.630 Treffen die Parteien eine Vereinbarung, nach der bei Eintritt vorher bestimmter Umstände eine Anpassung des Vertrags erfolgen soll, wird diese Vereinbarung als positive Anpassungsklausel bezeichnet.631 Durch die Vereinbarung solcher Klauseln haben die Parteien die Möglichkeit, bestimmte Umstände in ihre Entscheidung mit einzubeziehen, das Risiko einzuschränken und auch die Möglichkeit, die Rechtslage im Falle der Veränderung der Umstände besser einschätzen zu können.632 Durch die vertraglichen Gold-, Devisen-, Kriegs, Streik- und Freizeichnungsklauseln kann die Verantwortung der Parteien beispielsweise erweitert, beschränkt oder aber ausge-

630

107 ff.

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 141; Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 58,

631 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 140; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 577; Bischoff, Vertragsrisiko, 95; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 119; Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 109. 632 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 119; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 95; Gürsoy, Clausula, S. 157.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

schlossen werden. Derartige Klauseln werden bei vertraglichen Regelungen häufig angetroffen.633 Negative Anpassungsklauseln regeln dagegen, dass der Vertrag trotz der Veränderung der Umstände bestehen bleiben soll. Auch bei Änderung der Umstände kommt es in diesem Fall nicht zu einer Anpassung des Vertrags634 und das Risiko wird nur auf eine Partei verlagert.635 So verpflichtet sich derjenige, der das vertragliche Risiko übernimmt, die vereinbarte Leistung unabhängig von den Ereignissen zu erfüllen. Dies stellt eine ausdrückliche Ausformung des Grundsatzes pacta sunt servanda dar. Auch wenn sich die Umstände ändern, ändert sich die vertragliche Verpflichtung nicht.636 Negative Anpassungsklauseln können zwei verschiedene Regelungen enthalten: Zum einen kann eine Anpassung des Vertrags generell ausgeschlossen werden, zum anderen kann vereinbart werden,637 dass spezielle Ereignisse keinen Einfluss auf die vertragliche Regelung haben sollen.638 Man kann generelle Vereinbarungen, wie beispielsweise „auch wenn die Umstände sich ändern“, „unter allen Umständen“ oder „die Veränderung der Umstände findet keine Berücksichtigung“, im Vertrag formulieren.639 Die Parteien können bestimmte Ereignisse festlegen, die bei Eintritt keinen Einfluss auf die vertragliche Regelung haben sollen.640 So kann ein Unternehmer vereinbaren, dass ein Mehrbetrag oder die Auflösung des Vertrags nicht stattfindet, wenn sich infolge von „schlechten Wetterverhältnissen“ oder „aus wirtschaftlichen Gründen“ die Arbeit erschwert oder gar unmöglich wird. Vertragliche Klauseln sind oftmals komplex und daher auslegungsbedürftig. Dabei wird zunächst der tatsächliche und gemeinsame Wille der Parteien erforscht.641 Kann man bezüglich des Inhalts und der Tragweite der Klausel einen gemeinsamen Willen der Parteien ermitteln, wird dieser bei der Ermittlung der Risikoverteilung ausschließlich zugrunde gelegt. Kann der subjektive Wille der Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 140; Serozan, ˙Ifa, S. 227, 231. Die Tatsache, dass in der Türkei vor allem die Mietverträge auf der Grundlage einer Fremdwährung vereinbart werden, ist ein typisches Beispiel für diese Fälle. 634 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 147; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 584; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 105 f.; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 123. 635 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 196; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 106; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 124; Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 110. 636 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 196; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn 585; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 106; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 124. 637 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 147. 638 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 147; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 586 f.; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 106; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 124. 639 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 106; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 585. 640 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 106; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 587; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 124. 641 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 101; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 579. 633

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Parteien dagegen nicht ermittelt werden, erfolgt die objektive Auslegung der Anpassungsklausel nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 tZGB).642 Die Auslegung der Anpassungsklauseln darf gem. Art. 19 tOR643 nicht allein auf den Wortlaut begrenzt werden. So kann sich der Begriff Krieg sowohl auf einen Krieg des eigenen Landes, einen Krieg zwischen Drittstaaten, einen Bürgerkrieg, eine Blockade als auch auf einen Terroranschlag beziehen.644 Enthält die Anpassungsklausel einige Beispiele, so dürfen diese nicht als eine abschließende Aufzählung gewertet werden.645 Sie dienen nur der Verdeutlichung des Sinns der Anpassungsklausel. Die Formulierungen „grundlegende Veränderung der Umstände, die Geldentwertung, Rohstoffknappheit“, die sich in den Anpassungsklauseln befinden, führen nicht dazu, dass die Anwendung der Anpassungsklausel auf diese Fälle beschränkt wird,646 sondern zur Verdeutlichung des Inhaltes. Zweifel bei der Auslegung gehen getreu dem Grundsatz in dubio contra stipulatorem zulasten des Verfassers, da dieser bei der Abfassung der Klausel seine Interessen ausreichend berücksichtigen wird.647 Diese Regelung, die der Beseitigung von Unklarheiten dient, wird häufig bei der Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen herangezogen.648 Auch die allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden mit der Schuldrechtsmodernisierung in das Obligationenrecht neu eingeführt. Vorbild war auch hier das deutsche Recht. Vor der Modernisierung löste die Rechtsprechung unklare vertragliche Risikoverteilungen aufgrund des Fehlens allgemeiner Geschäftsbedingungen daher regelmäßig über die Auslegungsregeln und Grundsätze. Die Auslegung der Anpassungsklausel erfordert auch die Auslegung des Vertrags in seiner Gesamtheit und die Ermittlung des Gesamtzusammenhangs, die dem Vertragsverhältnis zugrunde liegt.649 Bei der Auslegung ist vor allem auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und die damaligen Umstände abzustellen.650 Demnach kann die Bewertung eines Vertrags, der in Friedenszeiten geschlossen wurde,

642 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 101; Akyazan, Ankara Barosu Dergisi 1977, Sa. 1, S. 11 (18). 643 Art. 19 tOR: „Bei der Beurteilung und Auslegung eines Vertrags, sowohl nach Form als auch nach Inhalt, ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrags zu verbergen.“ 644 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 102. 645 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 102; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 439. 646 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 102. 647 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 102. 648 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 196; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 102; Jäggi/ Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 459. 649 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 103. 650 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 103; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 365.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

von der Bewertung eines Vertrags, der zu Kriegszeiten geschlossen wurde, abweichen. Es ist darauf zu achten, dass die vorliegenden Klauseln bei der Auslegung nicht erweitert werden und somit auch Umstände erfassen, die eigentlich durch die Klausel nicht mit berücksichtigt waren.651 Fehlt im Vertrag eine ausdrückliche Klausel, ist anhand der allgemeinen und ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln, ob eine stillschweigende Klausel vorliegt.652 Bei einer unklaren und unvollständigen Regelung ist von einer ausdrücklichen, jedoch auslegungsbedürftigen Vereinbarung auszugehen.653 Das Vorliegen einer stillschweigenden Anpassungsklausel ist anhand der vertraglichen Vereinbarung der Parteien, den bei Vertragsabschluss vorliegenden Umständen sowie dem hypothetischen Willen der Parteien entsprechend zu ermitteln.654 Anhand des Vertrauensprinzips, welches aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt, ist zu erforschen, ob aus dem Schweigen der Parteien eine Regelung bezüglich des Risikos zu entnehmen ist.655 Um die Gefahr zu umgehen, nicht gewollte Schätzungen in den Vertrag mit aufzunehmen, müssen die Grenzen der Auslegung und der Vertragsergänzung genau bestimmt werden. Die Vertragsergänzung kann nur erfolgen, wenn der Vertrag bezüglich der zu ergänzenden Regelung bereits Anhaltspunkte enthält.656 Bei spekulativen Verträgen wird angenommen, dass die Partei das Risiko trägt, die mit dem Rechtsgeschäft spekuliert.657 Die spekulierende Partei ist diejenige, die aufgrund der Veränderungen der Umstände in der Zukunft erhofft, erhebliche Gewinne zu erzielen.658 Da die Übernahme des Risikos ohne Einschränkung auch zu ungerechten Ergebnissen führen kann, sind der Umfang und Inhalt des übernommenen Risikos spekulativer Verträge durch Auslegung zu ermitteln.659 Weiterhin ist wichtig, dass die Klauseln rechtmäßig und nicht sittenwidrig sind, nicht im Widerspruch zu den Persönlichkeitsrechten der Partei stehen und die Einhaltung nicht unmöglich ist (Art. 26, 27, 136 tOR und 23 tZGB). 651

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 197. Bischoff, Vertragsrisiko, S. 107; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 581; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 122 f. 653 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 107; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 123. 654 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 109 f.; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 581, 588; Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 112 655 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 110; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 581; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 122. 656 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 111. 657 Yavuz, Uyarlama Davaları, S. 7. 658 Yavuz, Uyarlama Davaları, S. 7. 659 Bischoff, Vertragsrisiko, 114; Jäggi/Gauch, in: ZürcherKomm, Art. 18 OR, Rn. 588; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 126. 652

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b) Verhältnis des Art. 138 tOR zu Vertragsklauseln Liegen vertragliche Risikoverteilungen vor, ist eine pauschale Bejahung oder Verneinung der Anwendung des Art. 138 tOR nicht möglich. Die Besonderheit jedes Einzelfalles ist für diese Entscheidung zu berücksichtigen. Aufgrund der Subsidiarität des Art. 138 tOR und des Vorrangs der Privatautonomie kommen vertragliche Risikoverteilungen, wie auch im deutschen Recht, grundsätzlich vorrangig zur Anwendung. Die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann sich jedoch auf die Bereiche des Vertrags erstrecken, die von der vertraglichen Risikoverteilung nicht umfasst werden. Wird in dem Vertrag beispielsweise lediglich der Umstand eines Krieges ausdrücklich geregelt, kann bei Eintritt einer Wirtschaftskrise das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur Anpassung der Vertragsverhältnisse herangezogen werden. Auch bei unwirksamen, sittenwidrigen und nichtigen vertraglichen Risikoverteilungen kann bei Vorliegen der Voraussetzungen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Regelung dieses Umstands zurückgegriffen werden. Wie oben bereits dargestellt, sind auch negative vertragliche Risikovereinbarungen möglich. Diese Vereinbarungen können sehr generell gehalten werden. Beispielsweise kann vereinbart werden, dass die Vertragsleistung unter allen Umständen zu erfolgen hat. Die Freiheit der Privatautonomie sollte jedoch nicht so weit gehen können, dass Art. 138 tOR generell abbedungen wird.660 Nach h. M. handelt es sich bei Art. 138 tOR um eine zwingende Norm, da sie dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 tZGB) entstammt.661 Treu und Glauben sei ein genereller Grundsatz, der zwingend ist, und deswegen müsse der spezielle Anwendungsbereich des Art. 138 tOR auch zwingend sein.662 Die allgemeine negative Vertragsklausel, d. h. das Verlangen einer Leistung unter allen Umständen, kann in bestimmten Situationen zu einem Rechtsmissbrauch führen.663 Dies entspricht auch dem Gedanken der Rechtsprechung. Ist eine Vertragsklausel als rechtsmissbräuchlich zu bewerten, da die Klausel ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien begründe und einen der Parteien unberechtigterweise unverhältnismäßig benachteilige, könne nach der Rechtsprechung der Richter trotz dieser Vereinbarung eingreifen und den Vertrag über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. 660 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 194; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 122. 661 Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54; Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 226. 662 Topuz, Denge Bozulması, S. 143. Nach Topuz handelt es sich bei dem Grundsatz von Treu und Glauben und damit auch bei Art. 138 tOR nicht um eine zwingende Norm. 663 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 240; Sarıal; Yargıtay Dergisi 1980/4, S. 24 (24 ff.).

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Art. 138 tOR anpassen. Die Rechtsprechung hat zudem in ihren Entscheidungen664 anerkannt, dass die vertraglichen Risikoverteilungen im Verhältnis zum Wegfall der Geschäftsgrundlage vorrangig sind. Hierbei sind neben positiven und negativen, auch ausdrückliche und stillschweigende Vertragsklauseln möglich. Verträge, die über Fremdwährungen geschlossen werden, beurteilt der Kassationshof als stillschweigende Klausel-Vereinbarungen. Er begründet diese Beurteilungen damit, dass ein Schuldner, der Verträge über Fremdwährungen in einem Land schließt, das von wirtschaftlichen Schwankungen und den daraus resultierenden Wertverlusten der eigenen Währung geprägt ist, dieses Risiko des Wertverlustes stillschweigend übernehme. Aber nach der Kodifizierung des Art. 138 Abs. 2 tOR sollte der Kassationshof diese Haltung nicht mehr vertreten, da der Gesetzgeber mit der Kodifizierung des Art. 138 Abs. 2 tOR betont, dass es sich bei Fremdwährungen nicht um eine Risikoübernahme handelt. Negative vertragliche Vereinbarungen können neben einem Rechtsmissbrauch auch einen Verstoß gegen die guten Sitten (Art. 19/20 tOR) und gegen die Persönlichkeitsrechte (Art. 23 tZGB)665 darstellen. Artikel 23 tZGB regelt das Persönlichkeitsrecht und schützt die Parteien vor einer übermäßigen Bindung an vertragliche Regelungen. Hierbei fallen auch wirtschaftliche und ökonomische Aspekte einer Person unter den Schutz der Persönlichkeit. Solch eine allgemeine, die Persönlichkeit schützende Norm findet sich im deutschen Recht nicht. Folglich verstoßen negative Risikoverteilungen, die eine Partei in unverhältnismäßiger und ungerechter Weise benachteiligen, gegen Art. 23 tZGB. 2. Typische und gesetzliche Risikoverteilung Sind vertragliche Risikoverteilungsklauseln nicht vereinbart, muss auf gesetzliche Normen zurückgegriffen werden. Auch die gesetzlichen Risikotragungsregeln genießen gegenüber dem Wegfall der Geschäftsgrundlage Vorrang.666 Ändern sich vertragliche Umstände, ist zunächst auf das dem Geschäft typischerweise zugrundeliegende Risiko abzustellen. Bei der Beurteilung des dem Geschäft anhaftenden Risikos sind vor allem die Eigenart des Rechtsgeschäfts und die gesetzliche Regelungssystematik zu berücksichtigen. Dieses Risiko hat der Gesetzgeber teilweise durch Gefahrtragungsregeln und in der Mängelhaftung im Obligationenrecht gesetzlich normiert. Aus diesen allgemeinen Gefahrtragungsregeln folgt, dass der Eigentümer das Sachuntergangsrisiko und der Gläubiger das Verwendungsrisiko

664

Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/5000, K. 1975/891; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/ 6186, K. 1982/7199; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171. 665 Gürsoy, Clausula, S. 160. 666 Serozan, ˙Ifa, S. 225; Wiegand, in: BaslerKomm, Art. 18 OR, Rn. 114.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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trägt; ihnen ist ebenso zu entnehmen, dass der Geldgläubiger das Geldentwertungsrisiko und der Geldschuldner das Finanzierungsrisiko übernimmt.667 Gesetzliche Risikoverteilungsvereinbarungen genießen gegenüber Art. 138 tOR Vorrang. Die auch nach der Schuldrechtsmodernisierung beibehaltenen speziellen gesetzlichen Risikoverteilungsnormen, wie beispielsweise Art. 480 tOR (Werkvertrag)668 oder Art. 282 tOR (Pachtvertrag),669 sind generell bei schwerwiegenden Folgen vorrangig heranzuziehen. Die Subsidiarität des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat nicht zur Folge, dass gesetzliche Regelungen ausnahmslos und ausschließlich zur Anwendung kommen; vielmehr dienen die gesetzlichen Vorgaben bei der Beurteilung und Zuordnung des Vertragsrisikos als Entscheidungshilfe. Führen gesetzliche Risikoverteilungsvorgaben daher nicht nur zu schwerwiegenden, sondern untragbaren und unzumutbaren Ergebnissen, ist abweichend von der vertraglichen Regelung auf Art. 138 tOR zurückzugreifen und der Vertrag anzupassen. Bei Vorliegen sowohl vertraglicher als auch gesetzlicher Risikoverteilungsregeln sind die vertraglichen Vereinbarungen aufgrund der Privatautonomie vorrangig heranzuziehen. 3. Stellungnahme Vertraglichen Risikoverteilungen ist aufgrund des subsidiären Charakters des Art. 138 tOR generell der Vorrang einzuräumen. Aufgrund der Finanzkrise haben vertragliche Risikovereinbarungen in der Türkei an Bedeutung gewonnen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage bei vertraglichen Regelungen gar nicht zur Anwendung kommt oder gar abbedungen werden kann. Da diese Norm dem Grundsatz von Treu und Glauben entstammt, ist ein genereller vertraglicher Ausschluss nicht möglich. Bei vertraglich nicht geregelten Umständen oder bei rechtsmissbräuchlichen, gegen den Persönlichkeitsschutz verstoßenden Risikovereinbarungen ist eine Lösung über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu finden. Der Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht zuzustimmen. Die Vorgehensweise der Rechtsprechung bezüglich Fremdwährungen mag jedoch nicht zu überzeugen. Änderungen der Umstände bei Verträgen, die auf der Grundlage von Fremdwährungen geschlossen wurden, beurteilt der Kassationshof pauschal als stillschweigend anerkannte Risikoverteilungsvereinbarungen. Gerade bei stillschweigenden Risikoverteilungen ist besondere Sorgfalt geboten und einzelfallabhängig zu entscheiden. Aufgrund der Wirtschaftslage des Landes schließen die Banken nur Verträge auf der Grundlage von Fremdwährungen. Einzige Ausnahme des Vertragsabschlusses mit der eigenen Währung, ist die Übernahme zu hoher Zinsen. Der Vertragspartner wird somit zu dieser vertraglichen Risikoverteilung gezwungen, um mit Banken überhaupt Verträge schließen zu können. Diese Sichtweise steht nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Vertragsparität und dem 667 668 669

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 206 ff.; Topuz, Denge Bozulması, S. 284 ff. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 208 f.; Topuz, Denge Bozulması, S. 293 f. Topuz, Denge Bozulması, S. 287; Yavuz, THD 2010, Sa. 46, S. 75 (79 ff.).

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Verbraucherschutz. Der Schutz der Vertragsparteien folgt ebenso aus den Grundrechten, die anders als im deutschen Recht, in jedem Fall unmittelbare Wirkung entfalten und den Schutz des Verbrauchers gebieten (Art. 172 tV670). Mit der Kodifizierung des Art. 138 Abs. 2 tOR kann die Rechtsprechung stillschweigend die anerkannte Risikoübernahme bei Verträgen auf Fremdwährungsbasis nicht mehr pauschal akzeptieren. Solch eine Vorgehensweise war wie oben bereits erörtert, auch schon vor der Schuldrechtsmodernisierung nicht akzeptabel. Denn bei der Anwendung des aus dem Grundsatz Treu und Glauben heraus stammenden Wegfalls der Geschäftsgrundlage muss die Rechtsprechung die Landesspezifische soziale und wirtschaftliche Lage die der Vertragsparteien berücksichtigen. Mit der Anwendung des Art. 138 Abs. 2 tOR wurde die Benachteiligung einer der Vertragsparteien vermieden, weil der Vertrag auf Fremdwährungsbasis, ohne eine andere Möglichkeit zu haben abgeschlossen wurde. Begrüßenswert ist die aus dem deutschen Recht übernommene Regelung der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dadurch wird den Gerichten die Beurteilung vertraglicher Risikoverteilungsklauseln vereinfacht. Während unklare oder stillschweigende Klauseln vor der Modernisierung über das Instrument der Auslegung gelöst wurden, können die Gerichte in Zukunft zusätzlich auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen zurückgreifen.

B. Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass für die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein wirksamer Vertrag vorliegen muss.671 Eine Unterscheidung zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen oder einseitigen und gegenseitigen Verträgen spielt im türkischen Recht keine Rolle.672 Im türkischen Zivilrecht gibt es im Gegensatz zum deutschen Recht eine Aufteilung zwischen dem Zivilgesetzbuch tZGB, welches das Familien-, Erb- und Sachenrecht regelt, und dem Obligationengesetz, welches das allgemeine und besondere Schuldrecht regelt. Auch wenn der Wegfall der Geschäftsgrundlage systematisch in das Obligationengesetz eingegliedert ist, findet es ebenso Anwendung auf das Zivilgesetzbuch. Die Anwendung ergibt sich aus Art. 5 tZGB und Art. 646 tOR. Nach diesen beiden Vorschriften dient das Obligationengesetz als fünftes Buch zur Vervollständigung des Zivilgesetzbuches. Somit finden die jeweiligen Regelungen beider Gesetzbücher gegenseitig Anwendung. Folglich gilt Art. 138 tOR sowohl für das Erbrecht, Familienrecht, 670

Art. 172 tV: „Der Staat ist verpflichtet, für den Verbraucher schützende und aufklärende Maßnahmen zu ergreifen und den Verbraucher bei Maßnahmen, die er selbst ergreift, um sich zu schützen, zu unterstützen.“ 671 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 97 f. 672 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 98.

§ 3 Voraussetzungen und Anwendungsbereich

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Sachenrecht673, Arbeitsrecht674 und Gesellschaftsrecht. Vor allem im Bereich des Familienrechts kommt Art. 138 tOR häufig zur Anwendung.675 Da auch in diesem Bereich die Unterhaltsverträge auf der Grundlage von Fremdwährungen geschlossen werden, entstehen Probleme bei wirtschaftlichen Schwankungen, die den Wertverlust der türkischen Währung zur Folge haben. Beide Parteien können in dieser Situation die Anpassung des Unterhalts an die aktuelle Lage begehren. Wie auch im deutschen Recht fallen einseitige Rechtsgeschäfte nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 138 tOR. Für einseitige Rechtsgeschäfte, wie die Kündigung oder das Testament, seien zum einen spezielle Anfechtungsregeln vorhanden.676 Für einen darüber hinausgehenden Schutz gem. Art. 138 tOR besteht kein Raum und kein Bedarf. Bei einseitigen Rechtsgeschäften gestalte der Erklärende seine Willenserklärung allein. Daher sei auch das Risiko von ihm allein zu tragen. Zum anderen führe die Ausübung der Gestaltungsrechte zur sofortigen Wirkung der Rechtsfolge, womit ein Rückgriff auf Art. 138 tOR nicht mehr erforderlich sei. Eine Kündigung beispielsweise führe zur Beendigung des Vertrags. Für die Heranziehung des Art. 138 tOR zur Klärung von Änderung der Umstände oder Vertragsregelungen besteht kein Bedarf. Ein Testament beispielsweise ist vom Inhaber mit Hilfe der speziellen Anfechtungsregeln jederzeit veränderbar.

C. Zusammenfassung Bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR hat der Gesetzgeber die vor der Modernisierung diesbezüglich geführten Diskussionen und Streitigkeiten in der Literatur und über die Rechtsprechung bei der Normierung berücksichtigt. Anders als im deutschen Recht sind die Voraussetzungen einzeln und detailliert aufgeführt. Die Geschäftsgrundlage ist, vergleichbar mit dem deutschen Recht, eine der entscheidenden Voraussetzungen des Art. 138 tOR, auch wenn sich dies nicht wie im deutschen Recht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm ergibt. Das (anfängliche) Fehlen der Geschäftsgrundlage ist zudem im türkischen Recht nicht geregelt. Dieser Umstand fällt unter das Institut des Grundlagenirrtums gem. Art. 32 tOR.677 Bei der Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist zu beachten, dass nicht jede Form der Änderung der Vertragsumstände einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet. Die Störung muss ein gewisses Maß und Gewicht erreichen. Der türkische Gesetzgeber betont es im Wortlaut und verlangt daher eine außerordentliche Änderung der Umstände. Der Begriff „außerordentlich“ vermag jedoch nicht die bereits vor der Reform bestehenden Zweifel und Erwartungen, dass hinsichtlich des Aus673

Acar, Legal Hukuk Dergisi S¸ubat 2008, S. 475 (475, 488 ff.). Belling/Köksal, Yasa Hukuk 1996, C. XV., Sa. 178/9, S. 1487 (1492 f.). 675 Y.3.HD., 26. 05. 2005, E. 2005/5426, K. 2005/5859; Y.3.HD., 07. 10. 2004, E. 2004/ 11065, K. 2004/10658; Y.3.HD., 20. 05. 2003, E. 2003/6447, K. 2003/6152. 676 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 107. 677 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 234. 674

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

maßes der Störung eine Regelung getroffen würde, zu erfüllen. Die Änderung der Umstände verlangt nicht das Vorliegen einer sozialen Katastrophe. Vorzuziehen wären hier der Bezug zum deutschen Recht und die Übernahme des Begriffs „schwerwiegend“ gewesen, um die Erwartungen an die Konkretisierung der Reichweite der Störung erfüllen zu können. Im Übrigen verlangt Art. 138 tOR ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, dessen Richtwert sich nicht aus der Norm ergibt, sondern vom Richter innerhalb seines Ermessensspielraums festzulegen ist. Ebenfalls spielt die Vorhersehbarkeit im türkischen Recht eine große Rolle. Artikel 138 tOR kommt nicht zur Anwendung, wenn der Schuldner die Änderung der Umstände nicht vorhergesehen hat, aber hätte vorhersehen können. Die Rechtsprechung lehnte in vielen Klagen die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ab, mit der Begründung, dass in einem von Inflationen und wirtschaftlichen Schwankungen geprägten Land Änderungen der Umstände, vor allem durch Geldwertschwankungen, vorhersehbar seien. Nicht nachvollziehbar erscheint hier die unterschiedliche Regelung in Art. 138 tOR und in der speziellen Norm des Werkvertragsrechts (Art. 480 tOR). Gemäß Art. 480 ist die Nichtbeachtung der Störung trotz Vorhersehbarkeit für die Erfüllung des Tatbestands ausreichend. Hier ist die Entfernung des Art. 480 tOR aus dem Obligationengesetz empfehlenswert, um unsachgerechte und eine Partei benachteiligende Ergebnisse zu vermeiden. Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Werkvertragsrechts, die die Geschäftsgrundlage betreffen, könnten dann auch über die allgemeine Norm des Art. 138 tOR gelöst werden. Eine weitere Voraussetzung des Art. 138 tOR ist die Nichterfüllung des Vertrags oder die Leistung unter Vorbehalt. Diese Voraussetzung wird im deutschen Recht nicht festgelegt, sondern zum Anwendungsbereich des § 313 BGB diskutiert. Das Festlegen der Nichterfüllung des Vertrags als Voraussetzung hat in der Literatur zu Recht große Kritik erfahren. Die Erfüllung der Leistung, sei es auch nur unter Vorbehalt, könne nicht pauschal als Kriterium für die Zumutbarkeit bewertet werden. Das Erbringen der Leistung unter Vorbehalt erfolgt teilweise durch konkludentes Verhalten. Der Nachweis solch eines stillschweigenden Vorbehalts ist kaum möglich. Zu empfehlen wäre die Entfernung dieser zu ungerechten Ergebnissen führenden Voraussetzung. Vertragliche und gesetzliche Risikoverteilungen genießen zudem Vorrang gegenüber der subsidiären Norm des Art. 138 tOR.678 Der Anwendungsbereich des Art. 138 tOR erstreckt sich trotz der systematischen Regelung im Obligationengesetz auch auf Rechtsgebiete des Zivilgesetzbuchs (Familien-, Erb-, Sachen- und Gesellschaftsrecht). Auf einseitige Rechtsgeschäfte und gesetzliche Schuldverhältnisse findet Art. 138 tOR keine Anwendung.

678

Serozan, ˙Ifa, S. 225.

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind gem. Art. 138 tOR die Anpassung des Vertrags oder der Rücktritt vom Vertrag, bei Dauerschuldverhältnissen ist die Folge die Kündigung des Vertrags. Diese Rechtsfolgen wurden im türkischen Recht bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung in Literatur und Rechtsprechung anerkannt. Trotz der Kodifizierung dieses Instituts haben mehrere Diskussionen in der Literatur ihre Aktualität und Bedeutung nicht verloren, da verschiedene Streitpunkte vom Gesetzgeber nicht beseitigt wurden. Im Folgenden werden die Vertragsanpassung [A)] und die Vertragsaufhebung [B)] näher erläutert.

A. Anpassung des Vertrags Die Vertragsanpassung ist in Art. 138 tOR geregelt. Sinn und Zweck der Anpassung sind die Wiederherstellung der Zumutbarkeit der Vertragsverhältnisse und die Herstellung der ursprünglichen vertraglichen Vereinbarungen.679 Um eine interessengerechte Anpassung zu gewährleisten, sind die Vertragsart, der Vertragstyp und die Situation der Parteien unter Beachtung der jeweiligen Risikoverteilung zu berücksichtigen. Die Anpassung des Vertrags ist auf verschiedenste Arten möglich:680 Sowohl die Leistung als auch die Gegenleistung können an die veränderten Umstände angepasst werden, um deren negative Auswirkungen zu beseitigen.681 Die Anpassung kann dazu führen, dass die Leistung sich ändert, erhöht oder aber auch mindert.682 Die Haupt- oder Nebenleistungspflicht kann umgewandelt werden,683 die Leistungsqualität kann verringert werden,684 der Leistungszeitpunkt kann neu festgelegt685 oder aber eine Ratenzahlung,686 Teilleistung687 vereinbart werden. In bestimmten Situationen ist auch eine vorübergehende Anpassung möglich, bis sich die Umstände wieder in die ursprüngliche, bei Vertragsabschluss vorhandene Situation einstellen.688

679

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 191 f. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 192; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 254; Serozan, ˙Ifa, S. 227. 681 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 254. 682 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 193. 683 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 193. 684 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 254. 685 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 254. 686 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 192. 687 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 192. 688 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 255. 680

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

I. Verhältnis zwischen Anpassung und Vertragsaufhebung Trotz der ausdrücklichen Regelung der Vorrangigkeit der Anpassung im Wortlaut des Art. 138 tOR wird in der Literatur das Rangverhältnis diskutiert. Wie auch im deutschen Recht betont die h. L.689 und die Rechtsprechung690 die Vorrangigkeit der Anpassung. Eine Mindermeinung vertritt hingegen die Gleichrangigkeit von Vertragsanpassung und Vertragsbeendigung.691 1. Ansichten in der Literatur a) Vorrangigkeit der Vertragsanpassung Nach der h. L. ist die Primärrechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Vertragsanpassung. Dieser Gedanke wurde bereits vor der Reform von der Rechtsprechung umgesetzt und ergebe sich aus dem Wortlaut der Norm.692 Es sei aus wirtschaftlichen Gründen zweckmäßiger, eine Anpassung an die veränderten Umstände vorzunehmen und somit den Vertrag fortzuführen als ihn aufzulösen.693 Dies biete eine Reihe von Vorteilen.694 Bei der Anpassung würden die Interessen beider Parteien berücksichtigt und die Risiken unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips entsprechend verteilt.695 Die Erhaltung des Vertrags entspreche auch dem Interesse der nicht benachteiligten Partei, da somit der Verlust seiner Forderung vermieden wird. Die Vertragsanpassung diene zudem, abweichend vom Alles-oder-nichts-Prinzip, dem Grundsatz pacta sunt servanda. Dieser Grundsatz findet über das gesamte Schuldrecht und dem Grundsatz von Treu und Glauben Beachtung.696

689 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 191; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 253; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 157; Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 f.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 111; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 207. 690 Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/ 13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/864; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11-460, K. 1997/651; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199; Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/147, K. 1981/932. 691 Topuz, Denge Bozulması, S. 322. 692 Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 f.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 111; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması S. 191; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 157; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 253; Serozan, ˙Ifa, S. 227. 693 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 191; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 233; Gürsoy, Clausula, S. 190. 694 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 191; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 233; Gürsoy, Clausula, S. 190. 695 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 252; Serozan, I˙fa, S. 227. 696 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 252.

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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Der Gedanke der Vertragsanpassung sei dem türkischen Recht auch nicht fremd. Der türkische Gesetzgeber hat in vielen Normen ein Anpassungsrecht ausdrücklich eingeräumt aber teilweise auch ausdrücklich untersagt.697 Als Beispiele sind vor allem Art. 27 Abs. 2 (20 Abs. 2 a. F.) tOR zu nennen, der die Teilnichtigkeit vorsieht, Art. 227 (202 a. F.) tOR, der eine Minderung bei einem Mangel regelt,698 und schließlich Art. 52 (44 a. F.) tOR, der die Schadensteilung bei beidseitigem Verschulden vorsieht.699 b) Keine Vorrangigkeit der Anpassung Eine Mindermeinung verneint das Vorrangverhältnis der Rechtsfolgen.700 Beide Rechtsfolgen seien jeweils gleichwertig. Die Befürworter dieser Ansicht lehnen es ab, die Anpassung des Vertrags als die Regel und die Beendigung als Ausnahme anzusehen. Es sei erforderlich, die Gegebenheiten des Einzelfalles zu prüfen, um eine gerechte Verteilung des Risikos auf beide Parteien zu ermöglichen.701 Entspreche eine Anpassung trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit nicht den Interessen der Parteien, könne die Anpassung nicht aufgezwungen werden.702 2. Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat in all ihren Entscheidungen die Vorrangigkeit der Vertragsanpassung verdeutlicht und ist auch nach der Schuldrechtsreform von dieser Linie nicht abgewichen.703 3. Stellungnahme Es war erforderlich und daher auch zu begrüßen, dass die Anpassung des Vertrags als vorrangige Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geregelt wurde. Der Vorrang der Anpassung ergibt sich bereits aus dem Grundsatz pacta sunt servanda. Auch aus Gründen der Vertragsgerechtigkeit muss bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage, welche den Zweck verfolgt, das vertraglich ursprünglich vorhandene Gleichgewicht wieder herzustellen, zunächst eine Anpassung angestrebt werden. Kann durch eine Anpassung ein Ausgleich nicht erreicht werden, kommt als ultima ratio die Beendigung des Vertrags in Betracht. Auch in der deutschen 697

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 253. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 252. 699 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 252. 700 Topuz, Denge Bozulması, S. 321 f. 701 Topuz, Denge Bozulması, S. 321 f. 702 Topuz, Denge Bozulması, S. 322. 703 Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/ 13 – 332, K. 2003/340; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/864; Y.HGK 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11-460, K. 1997/651; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199; Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/147, K. 1981/932. 698

382

Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Rechtsordnung ist die primäre Rechtsfolge eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Anpassung des Vertrags, sofern sie möglich und zumutbar ist. Nur im Falle der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Anpassung kann die vertragliche Beziehung beendet werden. Trotz dieser Parallele zwischen den beiden Rechtsordnungen wird die Vorrangigkeit der Anpassung im türkischen Recht bereits durch den Wortlaut genauer betont. Nur bei Unmöglichkeit der Anpassung kann der Vertrag aufgelöst werden. Auf die Zumutbarkeit dieser Anpassung geht der türkische Gesetzgeber nicht ein, womit der Anwendungsbereich der Vertragsauflösung viel mehr eingeschränkt wird als im deutschen Recht. Auch wenn die Regelung der Anpassung als Primärrechtsfolge begrüßt wird, erscheint diese Einschränkung zu weitgehend. Die Beachtung der Zumutbarkeit spielt für das im Vordergrund stehende Interesse der Parteien und die Privatautonomie eine große Rolle. Eine Regelung mit Bezug auf die Zumutbarkeit dem – deutschen Recht vergleichbar –, wäre wünschenswert gewesen. II. Neuverhandlungspflicht Obwohl der türkische Gesetzgeber bei der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sich an dem deutschen Recht orientierte, und obwohl die deutsche Rechtsprechung und Literatur die Erforderlichkeit einer Neuverhandlungspflicht rege diskutierte, hat sich weder der Kassationshof noch der türkische Gesetzgeber mit der Frage der Erforderlichkeit einer Neuverhandlungspflicht auseinandergesetzt. Dennoch sind in der Literatur einige wenige Ansichten vorhanden, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. 1. Eine Neuverhandlungspflicht befürwortende Ansicht Nach einer Literaturansicht hat der Gesetzgeber bei der Regelung des Art. 138 tOR eine Neuverhandlungspflicht zwar nicht ausdrücklich geregelt, diese aber auch nicht ausgeschlossen.704 Eine Neuverhandlungsverpflichtung im Rahmen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage ergebe sich jedoch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Im türkischen Recht vertritt bereits vor der Schuldrechtsreform vor allem Gürsoy,705 dass die benachteiligte Partei vor der Inanspruchnahme ihres Gestaltungsrechts zwingend verpflichtet ist, ihren Vertragspartner mit der Aufforderung einzuladen in Neuverhanlunggen einzutreten, um eine Einigung erzielen. Eine Ausnahme komme nur dann in Betracht, wenn bereits sicher feststehe, dass der Vertragspartner eine Neuverhandlung ablehnen wird oder die Parteien sich gegen eine Neuverhandlung entschieden haben.

704

Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244; Gürsoy, Clausula, S. 173; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 227 ff; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 142 f. 705 Gürsoy, Clausula, S. 173; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 227 ff.

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

383

Nach Baysal706 ist das Anpassungsverlangen der benachteiligten Partei an ihren Vertragspartner als Einigungsangebot zu bewerten, was auch als eine Einladung zu Neuverhandlungen beschrieben werden kann. In der türkischen Literatur weist Baysal darauf hin, dass die Neuverhandlungspflicht im Falle eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage in anderen Rechtsordnungen, anders als in der türkischen Literatur, eine sehr umstrittene Thematik ist.707 Die Neuverhandlung ist nach Baysal eine Folge der Privatautonomie der Parteien. Zudem weist sie darauf hin, dass in den PICC und PECL sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen einer Neuverhandlung geregelt sind.708 Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bemühten sich, ein einheitliches Schuldrecht zu regeln, wobei der Vorschlag im Raum stehe, eine gerichtliche Vertragsanpassung nur dann zuzulassen, wenn die Parteien zuvor den Versuch einer Einigung unternommen, also Neuverhandlungen durchgeführt haben.709 Eine Neuverhandlung in der türkischen Rechtsordnung zu verlangen, entspreche somit dem Gedanken einer einheitlichen europäischen Rechtsordnung. Da es schwierig sei, den Inhalt der Neuverhandlungspflicht und die Rechtsfolge eines Verstoßes zu definieren, könne jedoch nicht im technischen Sinne von einer Pflicht, sondern lediglich von einer Obliegenheit gesprochen werden.710 Erfülle der Betroffene seine Obliegenheit nicht, führe dies nicht zu einer Schadensersatzverpflichtung seinerseits, sondern zum Verlust des Anspruchs auf Anpassung des Vertrags. Verweigere der Vertragspartner eine Neuverhandlung oder ergebe sich entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass eine Neuverhandlung von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, müsse davon ausgegangen werden, dass der Anpassungsberechtigte seine Obliegenheit erfüllt hat.711 Nach Yavuz712 folgt die Erforderlichkeit einer Neuverhandlungspflicht aus dem Rechtsgedanken des neuen Art. 137 Zivilprozessordnung. Dieser lautet wie folgt: Inhalt der Vorprüfungen (1) Nachdem beide Anträge bei Gericht eingegangen sind, werden die Vorprüfungen durchgeführt. Bei der Vorprüfung begutachtet das Gericht die Verfahrensvoraussetzungen, die Einwände der Parteien, legt den Streitgegenstand fest, trifft die notwendigen Vorbereitungshandlungen und sorgt für die Herbeischaffung der Beweismittel seitens der Parteien; in Verfahren, bei denen die Parteien die Verfügungsmacht über den Gegenstand haben, fordert das Gericht die Parteien zu einem Vergleich auf und protokolliert alle Vorgänge. 706 707 708 709 710 711 712

Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 142 f. Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 142 f. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 228, 231. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 228, 231. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 234. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 235. Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244.

384

Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

(2) Bevor die Vorprüfung abgeschlossen wird und die erforderlichen Entscheidungen getroffen sind, kann mit der gerichtlichen Untersuchungsverhandlung nicht begonnen und kein Verhandlungstermin festgesetzt werden.713

Der Zweck dieser Norm liege darin, die Parteien während dieser Phase zu einem Vergleich zu bewegen, vor allem Neuverhandlungen aufzunehmen.714 Das Wesen dieser Norm sei somit die Vermittlung zwischen den Parteien.715 So solle eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich die Parteien leichter einigen können, sodass eine Lösung erzielt werden kann, ohne den Rechtsstreit auf die nächste Ebene zu tragen.716 Eine derartige Regelung war in der bisherigen Zivilprozessordnung nicht vorhanden. Sinn dieser neuen Regelung sei es, eine Neuverhandlungspflicht der Parteien zu begründen. Wenn der Gesetzgeber im Allgemeinen eine Neuverhandlungspflicht begründen wolle, bevor die Parteien die Gerichte in Anspruch nehmen, sei kein Grund ersichtlich, diesen Gedanken nicht auf Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu übertragen. 2. Eine Neuverhandlungspflicht ablehnende Ansicht In der türkischen Literatur vertritt Topuz717 die Ansicht, dass im Falle eines Ungleichgewichts zwischen den Leistungen oder einer Leistungserschwerung eine Risikolücke vorliegt, die von den Parteien zu schließen ist. In dem Fall habe die Partei die Möglichkeit, der anderen Partei eine Neuverhandlung vorzuschlagen. Die andere Partei könne im Rahmen der ihr zustehenden Privatautonomie dieses Neuverhandlungsangebot des Vertragspartners ablehnen.718 Da eine Vertragslücke vorliege, sei es in dieser Situation Aufgabe der Gerichte, diese Lücke zu schließen.719 3. Stellungnahme Der türkische Gesetzgeber hat versucht, sich bei der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage an der deutschen Norm zu orientieren. Er hätte aber weitaus 713 Übersetzung ins Deutsche von Art. 137 tZPO. Der Originaltext lautet: „Dilekçelerin kars¸ılıklı verilmesinden sonra ön inceleme yapılır. Mahkeme ön incelemede; dava s¸artlarını ve ilk itirazları inceler, uyus¸mazlık konularını tam olarak belirler, hazırlık is¸lemleri ile tarafların delillerini sunmaları ve delillerin toplanmasi için gereken is¸lemleri yapar, tarafların üzerinde serbestçe tasarruf edebileceg˘i davalarda onları sulhe tes¸vik eder ve bu hususları tutanag˘a geçirir. Ön inceleme tamamlanmadan ve gerekli kararlar alınmadan tahkikata geçilemez ve tahkikat için durus¸ma günü verilemez.“ 714 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244. 715 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244. 716 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244. 717 Topuz, Denge Bozulması, S. 335. 718 Topuz, Denge Bozulması, S. 335. 719 Topuz, Denge Bozulması, S. 335.

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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anspruchsvoller sein sollen und bei der Kodifizierung des türkischen Rechts die Diskussionen, die im deutschen Recht bezüglich der Neuverhandlungspflicht bestehen, berücksichtigen sollen, um somit derartige Diskussionen zur Regelung des türkischen Rechts zu vermeiden. In der deutschen Rechtsordnung hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Parteien vor Inanspruchnahme der Gerichte zunächst selber versuchen sollen, sich gütlich zu einigen. In der türkischen Gesetzgebung hingegen besteht in dieser Hinsicht keinerlei Regelung oder Angabe des Gesetzgebers. Daraus kann abgeleitet werden, dass ein derartiges Verhalten der Parteien nicht als Pflicht geregelt werden sollte. Auch folgt aus dem Wortlaut des Art. 138 tOR, im Unterschied zum deutschen Recht und der deutschen Gesetzesbegründung, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen die Anpassung des Vertrags vom Richter verlangt werden kann. Dies verdeutlicht, dass im türkischen Recht unmittelbar auf den Richter Bezug genommen wird. Bei einer Gesamtbetrachtung des Wortlauts und der Gesetzesbegründung des Art 138 tOR kann eine Neuverhandlungspflicht der Parteien daraus nicht abgeleitet werden. Die Begründung einer Neuverhandlungspflicht in Anlehnung an die Vorschriften des neuen Zivilprozessrechts kann nicht überzeugen. Nach Art. 137 tZPO werden die Parteien im Rahmen der Güteverhandlung dazu angehalten, einen Vergleich untereinander zu schließen. Allein aus dieser Norm kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass auch im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Verpflichtung zu Neuverhandlungen der Parteien besteht. Nimmt man an, dass sich aus Art. 137 tZPO eine Neuverhandlungspflicht ableiten lässt, wäre es erforderlich, eine derartige Verpflichtung auf alle juristischen Vorgänge anzuwenden. Der Zweck des Art. 137 tZPO ist nicht die Begründung einer Neuverhandlungsplicht, sondern zum einen die Vorgabe des zeitlichen Ablaufs und Vorgangs bei Gericht und zum anderen eine letzte Möglichkeit für die Parteien, vor Antragsstellung noch einmal miteinander zu verhandeln und, wenn möglich, über ihre Uneinigkeiten einen Vergleich abzuschließen. Eine Neuverhandlungspflicht bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sowohl das Verfahren verzögern als auch den Schaden erhöhen. Die Parteien dazu zu verpflichten miteinander zu verhandeln, nur um einer Neuverhandlungspflicht nachzukommen, obwohl bereits zu Beginn feststeht, dass die Parteien sich nicht einig werden können, wird den bereits bestehenden Schaden weiter erhöhen. Aus dem Gedanken der Privatautonomie ergibt sich, dass den Parteien die Möglichkeit einzuräumen ist in Neuverhandlungen einzutreten. Auch aus der Bewegung in Richtung einer einheitlichen europäischen Rechtsordnung ist aus den Vorgaben und der Intention der UNIDROIT eine Möglichkeit der Neuverhandlungen zu entnehmen. Diese Vorgaben sind jedoch nicht als Pflicht statuiert, sondern eröffnen vielmehr die Option, in Neuverhandlungen eintreten zu

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können.720 Dass eine Neuverhandlungspflicht für die Vereinheitlichung der europäischen Rechtssysteme unumgänglich sei, kann daher nicht überzeugen. Es entspricht gerade nicht der Privatautonomie, die Beteiligten zur Vornahme von Neuverhandlungen zu zwingen. Dieser Schritt muss gerade im Hinblick auf den Schutz der Privatautonomie im Entscheidungsbereich der Parteien selbst verbleiben. Die Nichtvornahme einer Neuverhandlung hat deshalb keinen Schadensersatz zur Folge. III. Aktivlegitimation bei Vertragsanpassung Es stellt sich nunmehr die Frage, ob die Aktivlegitimation des Art. 138 tOR nur auf eine Partei beschränkt ist oder – dem deutschen Recht entsprechend – auch der Gläubiger sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, denn in Art. 138 tOR ist ausdrücklich nur vom Schuldner die Rede. 1. Ansichten Vor der Schuldrechtsreform war in der türkischen Rechtsordnung sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Literatur anerkannt, dass Gläubiger und Schuldner im Falle eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Anpassung des Vertrags geltend machen können.721 So hat der Große Senat des Kassationshofes in seinen Entscheidungen722 vom 07. 05. 2003 und vom 27. 01. 2010723 erklärt, dass der Richter nach den konkreten Umständen des Einzelfalls entscheidet, ob die Leistung zugunsten des Gläubigers erhöht werden oder zugunsten des Schuldners die Schuld ganz oder teilweise aufgehoben und somit der Vertrag an die veränderten Umstände angepasst werden soll. Dem Richter werde somit die Befugnis eingeräumt, in den Vertrag einzugreifen.724 Diese Rechtspraxis wurde auch von der Literatur unterstützt. In diesem Zusammenhang ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit der Kodifizierung an dieser Rechtspraxis eine Änderung vornehmen wollte. Eine 720 PICC 6.2.3.: (1) Bei veränderten Umständen ist die benachteiligte Partei berechtigt, Neuverhandlung zu verlangen. Das Verlangen muss unverzüglich erhoben werden und muss die Gründe angeben, auf die sie gestützt wird. Aus dieser Regelung geht eine Verpflichtung zu Neuverhandlungen nicht hervor. Sie bietet vielmehr eine Option, von diesem Recht Gebrauch zu machen. 721 Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 131; ders., Sözles¸menin Uyarlanması, S. 253 Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 f.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 111; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması S. 191; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 157; Serozan, ˙Ifa, S. 227. 722 Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13599, K. 2003/599; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13-599, K. 2003/599. 723 Y.HGK., 27. 01. 2010, E. 2010/14-14, K. 2010-15; Y.HGK., 18. 11. 1998, E. 1998/13815, K. 1998/835. 724 Y.HGK., 27. 01. 2010, E. 2010/14-14, K. 2010-15; Y.HGK., 18. 11. 1998, E. 1998/13815, K. 1998/835.

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sachliche Begründung hierfür existiert nicht. Die Formulierung in Art. 138 tOR „[…] der Schuldner kann […]“ sei irreführend und vielmehr dahingehend zu verstehen, dass nicht nur einer Partei, sondern dem Prinzip und dem Verständnis eines synallagmatischen Vertrags entsprechend, in der jede Partei Schuldner ist, beiden Parteien der Rückgriff auf Art. 138 tOR eröffnet sei. Ein derartiges Verständnis folgt auch aus der Regelung des Art. 344 tOR.725 Aus Art. 344 tOR, der auf Art. 138 tOR verweist und die Anpassung mietrechtlicher Verhältnisse regelt, geht hervor, dass die Anpassung beiden Parteien ermöglicht wird. Es erscheint widersprüchlich, zwei Normen, die eine Anpassung regeln, unterschiedlich zu bewerten.726 2. Stellungnahme Sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsmodernisierung haben türkische Rechtsprechung und Rechtslehre anerkannt, dass sich sowohl Schuldner als auch Gläubiger auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen können. Für die Beschränkung des Wortlauts in Art. 138 tOR allein auf den Schuldner gibt es keine sachgerechte Begründung. Aufgrund der vergangenen Rechtspraxis stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber diese Regelung bewusst vorgenommen hat. Eine Antwort auf diese Frage findet sich auch nicht in der Gesetzesbegründung. Vermutlich hat der Gesetzgeber bei der Kodifizierung und bei der Wahl des Aktivlegitimierten allein den Rechtsgedanken bei synallagmatischen Verträgen berücksichtigt, bei denen Schuldner gleichzeitig Gläubiger und Gläubiger gleichzeitig Schuldner sind. Die Wahl der Formulierung, allein den Schuldner zu nennen, bedeutet eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 138 tOR. Vorzuziehen wäre mindestens eine allgemeine Fassung und die Aktivlegitimierung der benachteiligten Partei oder vergleichbar dem deutschen Recht die Einräumung der Aktivlegitimation für beide Parteien. Die Parteien können nicht nur die Anpassung der Schulden, sondern auch die Anpassung ihrer Forderungen verlangen. IV. Maßgebender Zeitpunkt für die Anpassung In der türkischen Rechtslehre wie auch im deutschen Recht wird diskutiert, ob die Anpassung des Vertrags lediglich bezogen auf die zukünftigen oder auch auf die vergangenen Vertragsbeziehungen gilt.

725 726

Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 131. Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 131.

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1. Befürwortende Ansicht Eine Ansicht nimmt hierbei an,727 dass das Urteil, das die Anpassung des Vertrags regelt, nur Wirkung für die Zukunft entfalte. Daher sei es auch nicht möglich, die Anpassung des Vertrags bezüglich der Vergangenheit vorzunehmen. Diese Ansicht versagt eine Anpassung des Vertrags, wenn die vertragliche Leistung bereits erfüllt ist, da dies im türkischen Recht als Negativvoraussetzung in Art. 138 tOR geregelt ist und bereits vor der Reform von Literatur und Rechtsprechung anerkannt war. Ist die Leistung bereits erfüllt, könne sich die Partei nicht mehr auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, sodass eine Anpassung nicht mehr möglich ist. Eine Unterscheidung zwischen dem Zeitpunkt des Leistungsaustauschs und der Grundlagenstörung erfolge im türkischen Recht im Gegensatz zum deutschen Recht nicht. 2. Gegenansicht Eine weitere Ansicht728 befürwortet die Anpassung sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit. Nach Topuz ist im Falle eines Ungleichgewichts, bei dem sich das Risiko einer Leistungserschwerung verwirklicht, der Richter dazu berufen, diese Vertragslücke zu schließen. Aus diesem Grunde gelte das Urteil des Richters ab Entstehung der Vertragslücke.729 Vertreter diese Ansicht nehmen an, dass auch die Eigenschaft des Vertrags bei der Beantwortung dieser Frage zu berücksichtigen ist. Bei einem Dauerschuldverhältnis werde eine gerechte Lösung dadurch gefunden, dass man eine Kündigung mit der Wirkung für die Zukunft annimmt.730 Bei Schuldverhältnissen mit einer einmaligen Leistungspflicht liege jedoch die gerechte Lösung darin, den Vertrag auch rückwirkend zu regulieren. Dies sei jedoch nicht die Regel. Auch im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen sei es möglich, dass eine nur rückwirkende Regelung des Vertrags eine ausreichend gerechte Lösung biete. In der Wirtschaftskrise vom April 1994 beispielsweise haben einige Banken, die Hypothekendarlehensverträge auf der Basis von Devisen abgeschlossen haben, die Verträge ihrer Kunden nicht an die Veränderungen angepasst, sondern die vertraglichen Beziehungen beendet, um so die Immobilien zurückzuerhalten. In diesen Fällen habe der Richter die vertragliche Regelung zu prüfen und eine der Billigkeit entsprechende Anpassung vorzunehmen. Bei der Entscheidung des Richters zur Auflösung des Vertrags spiele auch der Wille der Parteien in einem gewissen Umfang eine Rolle. Wenn diese den Vertrag dennoch anpassen wollen, komme eine Auflösung des Vertrags nicht in Betracht. Begehrt eine der beiden Parteien die Anpassung des Vertrags, die andere jedoch nicht, so habe der Richter dennoch zunächst zu 727

Bischoff, Vertragsrisiko, S. 231; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (477a); Akyol, Dürüstlük, S. 86; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 154. 728 Akyol, Dürüstlük, S. 103; Topuz, Denge Bozulması, S. 343; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 345. 729 Topuz, Denge Bozulması, S. 344. 730 Bischoff, Vertragsrisiko, S. 235; Gürsoy, Clausula, S. 198.

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versuchen, den Vertrag anzupassen. Der Grund hierfür sei, dass im türkischen Schuldrecht die Aufrechterhaltung des Vertrags vorrangig ist. 3. Stellungnahme Die Ansicht, die hinsichtlich des maßgebenden Zeitpunktes der Anpassung nicht auf die Vergangenheit abstellt, ist nicht überzeugend. Nach dieser Ansicht ist nach dem Wortlaut des Art. 138 tOR mit der Erfüllung der Vertragsleistung eine Anpassung nicht mehr möglich, womit die Diskussion über das Abstellen der Anpassung auf die Vergangenheit obsolet werde. Wie bereits erwähnt ist die Negativvoraussetzung der Leistungserfüllung oder der Leistung unter Vorbehalt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht zweckmäßig. Selbstverständlich muss der Umstand, ob der Vertrag erfüllt ist oder nicht, bei der Beurteilung des Art. 138 tOR Berücksichtigung finden. Dies kann jedoch, – vergleichbar mit dem deutschen Recht – im Rahmen des Anwendungsbereichs erfolgen. Eine pauschale Bejahung, dass der maßgebende Anpassungszeitpunkt auch in der Vergangenheit liegen kann, ist aus Gründen der Rechtssicherheit nicht möglich. Allerdings muss zur Gewährleistung einer einzelfallabhängigen und den Parteiinteressen entsprechenden Anwendung der Rechtsvorschrift einer rückwirkenden Anpassung ausnahmsweise zugestimmt werden. Die Festlegung eines bestimmten Zeitpunktes, wie beispielsweise bei der Grundlagenstörung oder des Anpassungsbegehrens, im Wortlaut der Norm ist nicht erforderlich und führt zu unzweckmäßigen Einschränkungen der Rechte der Parteien. Vielmehr ist aufgrund des weiten Ermessensspielraums des Richters die Beurteilung des maßgebenden Zeitpunktes dem Sachverhalt entsprechend auch diesem zu überlassen.

B. Vertragsaufhebung Ist die Anpassung unmöglich, kann die Auflösung des Vertrags gem. Art. 138 tOR durch Rücktritt und bei Dauerschuldverhältnissen durch Kündigung begehrt werden. Eine Anpassung ist dann unmöglich, wenn sie keinen Sinn mehr ergibt, nicht mehr durchführbar ist, dem Rechtssystem nicht entspricht oder zu einer ungleichen Risikoverteilung zwischen den Parteien führen würde. Neben der Unmöglichkeit wird im türkischen Recht – im Gegensatz zum deutschen Recht – keine Unzumutbarkeit der Anpassung für die Vertragsaufhebung verlangt. I. Rücktritt vom Vertrag Entfällt die Geschäftsgrundlage eines Vertrags, käme der Rücktritt vom Vertrag als eine der möglichen Rechtsfolgen in Betracht. Der Rücktritt ist im Rahmen des

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Wegfalls der Geschäftsgrundlage die letzte Möglichkeit, die ultima ratio.731 Nur wenn die Anpassung des Vertrags keine gerechte Verteilung des Risikos ermöglicht, kommt ein Rücktritt vom Vertrag in Betracht.732 In diesem Zusammenhang herrscht Uneinigkeit hinsichtlich der Rechtsfolgen eines erfolgten Rücktritts. Tritt eine Partei bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 138 tOR vom Vertrag zurück, und ist die Leistung noch nicht erfüllt, erlöschen die Haupt- und Nebenpflichten, sodass diese nicht mehr erfüllt werden müssen.733 Ist die Leistung bereits erfüllt, müssen die erlangten Leistungen wieder herausgegeben werden.734 Nach einer Ansicht ist im Falle der Weigerung der Herausgabe der erlangten Leistung, diese nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzufordern.735 Nach einer anderen Ansicht ändert sich mit dem Rücktritt der Inhalt des Vertrags, mit der Folge, dass den nicht erbrachten Leistungen eine dauernde Einrede entgegenstehe, diese nicht mehr zu erbringen seien. Sind die Leistungen bereits erfüllt, so komme eine Rückabwicklung des Vertrags nur aus den vertraglichen Grundsätzen in Betracht.736 Wichtig ist die Unterscheidung dieser beiden Ansichten vor allem hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen; während die Verjährungsfrist für die ungerechtfertigte Bereicherung ein Jahr beträgt, endet die Verjährungsfrist von vertraglichen Ansprüchen regelmäßig nach zehn Jahren. Des Weiteren kann sich der Schuldner im Rahmen von bereicherungsrechtlichen Ansprüchen auf seine Gutgläubigkeit berufen. Letzteres bleibt dem vertraglichen Schuldner hingegen verwehrt. II. Kündigung Ist eine Anpassung nicht möglich, kommt bei Dauerschuldverhältnissen eine Kündigung als Rechtsfolge in Betracht. Während der Rücktritt auch die Vergangenheit betrifft, regelt die Kündigung nur die Zukunft des Vertrags.737 Bei Dauerschuldverhältnissen führt ein Rücktritt zu unpraktischen und ungerechten Lösungen, da die Rückgewähr von bereits erbrachten Leistungen in der Regel schwer zu verwirklichen ist. In diesen Fällen ist die Kündigung mit Wirkung für die Zukunft die besser geeignete Rechtsfolge.738 Bei Dauerschuldverhältnissen 731

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 258. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 258; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 239. 733 Buz, Sözles¸meden Dönme, S. 145 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 259; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 239. 734 Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3033). 735 Öz, Sebepsiz Zenginles¸me, S. 105; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 398. 736 Serozan, Sözles¸meden Dönme, S. 73 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 259. 737 Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 239. 738 Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 208; Seliçi, Sürekli Borç ˙Ilis¸kileri, S. 132 ff. 732

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werden bereits erbrachte Leistungen von der Kündigung nicht berührt. Die Kündigung wirkt nur für die Zukunft. 1. Kündigung aus einem wichtigen Grund im türkischen Rechtssystem Die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus einem wichtigen Grund ist im türkischen und schweizerischen Schuldrecht gesetzlich nicht durch eine allgemeine Norm geregelt. Nur für einige spezielle Dauerschuldverhältnisse, wie beispielsweise für den Mietvertrag (Art. 331 tOR; 264 tOR a. F.), den Pachtvertrag (Art. 369 tOR; 286 tOR a. F.), den Dienstvertrag (Art. 435 tOR; 334 tOR a. F.), den Leibdingsvertrag (Art. 617 tOR; 517 tOR a. F.) und den einfachen Gesellschaftsvertrag (Art. 639 Nr. 7 tOR; Art. 535 Nr. 7 tOR a. F.), sind Regelungen zu finden. Da in der türkischen Rechtsordnung eine allgemeine Regelung bezüglich der Kündigung eines Dauerrechtsverhältnisses aus einem wichtigen Grund fehlt, wird in der Literatur erörtert, ob alle Dauerrechtsverhältnisse aus wichtigem Grund kündbar sind. a) Rechtsprechung Der Kassationshof hat die Kündigung eines Dauerrechtsverhältnisses aus einem wichtigen Grund als einen allgemeinen Grundsatz anerkannt und entsprechend angewandt. Im Streit um den Bestand einer Kündigung einer Alleinvertriebsvereinbarung beispielsweise entschied der Kassationshof, dass trotz der Tatsache, dass eine Kündigung aus einem wichtigen Grund für diese Vertragsart nicht vorgesehen ist, eine Kündigung aus einem wichtigen Grund vorliegt, da sich die Gegenpartei gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verhalten hat.739 Bezüglich der Auflösung eines Werbevertrages, der ein atypischer Vertrag ist, hat der Kassationshof entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund trotz Fehlens einer gesetzlichen Regelung Anwendung finden kann.740 In Anbetracht der Rechtsprechung des Kassationshofes kann davon ausgegangen werden, dass auch bei Schuldverhältnissen, die gesetzlich nicht geregelt sind, eine Kündigung aus einem wichtigen Grund möglich ist. Als Grundlage für die Kündigung eines Dauerrechtsverhältnisses aus einem wichtigen Grund wird die starke Vertrauensbeziehung zwischen den Parteien vorgebracht. b) Ansichten in der Literatur In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass alle Dauerrechtsverhältnisse aus einem wichtigen Grund kündbar sind.741 739

Y.HGK., 04. 07. 2001, E. 2001/19-256, K. 2001/572; Y.19.HD., 05. 03. 2002, E. 2001/ 4568, K. 2002/1473. 740 Y.11.HD., 15. 02. 2007, E. 2005/1433, K. 2007/2883. 741 Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 113; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 260; Og˘uzman, I˙s¸ Akdinin Feshi, S. 35.

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Allein das Abstellen auf die persönlichen Verhältnisse der Parteien zueinander und die enge Zusammenarbeit seien heutzutage nicht mehr Kriterien für die Beurteilung der Kündigung aus wichtigem Grund. Eine Kündigung aus einem wichtigen Grund müsse vielmehr bei jedem Dauerrechtsverhältnis möglich sein, da bei allen Dauerrechtsverhältnissen eine Vertrauensbeziehung und ein Vertrauensverhältnis bestehen würden.742 Es komme nicht darauf an, ob die Parteien darüber hinaus in einer engen persönlichen Beziehung zueinander stehen und ob sie eng zusammenarbeiten. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage dieser Kündigung herrscht in der Literatur Uneinigkeit. Eine Ansicht stützt die Kündigung aus wichtigem Grund auf Art. 2 tZGB, eine andere Ansicht hingegen auf Art. 23 tZGB. Die Befürworter der Kündigung aus wichtigem Grund gem. Art. 2 tZGB743 begründen ihre Ansicht damit, dass die Fortführung des Vertrags trotz Änderung der Umstände unabhängig davon, ob diese aus der Sphäre einer der Parteien stammen oder nicht für die andere Partei einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellt. Daher sei die Einräumung eines Kündigungsrechts gem. Art. 2 tZGB sachgerecht, vor allem, da diese Norm bei allen Dauerrechtsverhältnissen, auch bei atypischen Verträgen, Anwendung finde. Nach einer anderen Ansicht ist das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund aus Art. 23 tZGB herzuleiten. Gemäß Art. 23 tZGB kann niemand auf seine Rechts- und Handlungsfähigkeit ganz oder zum Teil verzichten. Niemand kann sich seiner Freiheit entäußern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.744 Niemand könne und müsse eine lebenslange Verpflichtung eingehen. Diese Ansicht stützt ihre Meinung auf die schweizerische Rechtsprechung, welche Kündigungen aus Dauerrechtsverhältnissen aus dem Persönlichkeitsrecht gem. Art. 27 sZGB herleitet.745 Die schweizerische Rechtsprechung746 begründet ihre Ansicht damit, dass die Fortführung eines Dauerrechtsverhältnisses nicht zumutbar sei, wenn sie das Persönlichkeitsrecht einer der Parteien auf enorme Weise beeinträchtige. Die Nichtregelung solcher Umstände durch den Gesetzgeber könne nicht zulasten der beeinträchtigten Partei gehen. Den Vertragspartner trotz unzumutbarer Verhältnisse an den Vertrag zu binden, schränke sein Persönlichkeitsrecht in unverhältnismäßiger Weise ein. c) Stellungnahme Sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung geht die Tendenz dahin, für alle Schuldverhältnisse ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund einzu742 743 744 745 746

Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 113. Og˘uzman, ˙Is¸ Akdinin Feshi, S. 35. Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 114. Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 115. BGE 128 III 428.

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räumen. Die Kündigung aus wichtigem Grund betrifft sowohl das Persönlichkeitsrecht als auch den Grundsatz von Treu und Glauben. Bedauerlicherweise hat es der Gesetzgeber bei der Schuldrechtsreform trotz der regen Diskussion in der Literatur und der Anerkenntnis in der Rechtsprechung versäumt, eine allgemeine Norm für diesen Umstand zu schaffen. Der Gesetzgeber hat die Kündigung aus wichtigem Grund für einige spezielle Fälle geregelt. Dies verdeutlicht, dass dieser Gedanke der türkischen Rechtsordnung nicht fremd ist. Um jede Vertragsform, folglich auch atypische Verträge berücksichtigen zu können, ist eine allgemeine Norm für Kündigungen aus wichtigem Grund – vergleichbar dem § 314 BGB – erforderlich. 2. Verhältnis zwischen Art. 138 tOR und der Kündigung aus wichtigem Grund Im türkischen Recht ist die außerordentliche Kündigung nicht allgemein geregelt. Sie ist dem türkischen Rechtssystem jedoch grundsätzlich nicht fremd. Die außerordentliche Kündigung findet sich in einigen Spezialnormen, wie beispielsweise Art. 264, 286, 517 und 535 tOR.747 Liegen die Voraussetzungen für die Anwendung einer der speziellen Normen vor, findet Art. 138 tOR aufgrund seiner Subsidiarität keine Anwendung.748 Betrifft die Beendigung des Vertrags keinen gesetzlich speziell geregelten Fall der Kündigung aus wichtigem Grund, ist eine Abgrenzung zwischen Art. 138 tOR und der allgemein anerkannten Kündigung aus wichtigem Grund erforderlich.749 Sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform war das Verhältnis zwischen diesen beiden Instituten im türkischen wie auch im deutschen Recht besonders umstritten.750 Auch wenn die Kündigung aus wichtigem Grund im türkischen Recht gesetzlich nicht geregelt ist, in der Literatur und Rechtsprechung hingegen anerkannt ist, besteht aufgrund der Gemeinsamkeiten beider Institute ein Konkurrenzverhältnis zueinander. Sowohl das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als auch das Institut der außerordentlichen Kündigung haben ihren Ursprung im clausula rebus sic stantibus und dem Treu-und-Glauben-Gedanken. Deshalb muss die Klärung des Verhältnisses dieser beiden Institute zueinander auch hierauf basierend erfolgen. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser beiden Institute besteht darin, dass in beiden Fällen versucht wird, das aus der Änderung der Umstände entstandene Risiko gerecht zu verteilen, um somit ein unzumutbares Verhältnis zu beseitigen.751 Aufgrund dieser Ähnlichkeiten beider Institute ist es von Bedeutung, den Wegfall der Geschäftsgrundlage vom Institut der außerordentlichen Kündigung abzugrenzen und das Verhältnis dieser beiden Institute zueinander zu definieren. Zur Lösung 747 748 749 750 751

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 260. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 260. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 260. Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 4, Verhältnis von § 313 zu § 314 BGB. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 261.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

dieses Konkurrenzverhältnisses herrschen in der Literatur unterschiedliche Meinungen. Während eine Ansicht keine Beziehung zwischen beiden Instituten sieht, betont eine andere Ansicht den relativen Vorrang des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. a) Kein Rangverhältnis zwischen beiden Instituten Nach einer Literaturansicht gibt es zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Kündigung aus wichtigem Grund kein Rangverhältnis.752 Die Institute würden sich sowohl in ihrem Anwendungsbereich als auch in ihrer Rechtsfolge voneinander unterscheiden. Nach Topuz753 ermöglicht nicht jeder Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Kündigung aus wichtigem Grund. Die Kündigung aus wichtigem Grund basiere immer auf der Störung der Vertrauensbeziehung der Parteien zueinander, womit das Festhalten am Vertrag für die eine Partei unzumutbar werde.754 Die Kündigung aus wichtigem Grund sei oftmals Folge einer Pflichtverletzung der einen Partei. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage hingegen müsse das Vertrauensverhältnis der Parteien zueinander nicht gestört sein. Hierbei ändern sich die Umstände des Vertrags ohne das Verschulden einer Partei, wodurch eine Vertragslücke entstehe.755 Diese Lücke zu füllen, obliege nun dem Richter. Werde der Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Kündigung aus wichtigem Grund gleichgesetzt, komme es niemals zur Anpassung des Vertrags, da die Kündigung aus wichtigem Grund lediglich die Kündigung des Vertrags als gesetzliche Folge vorsehe.756 Diese Ansicht wird unterstützt von der schweizerischen Rechtsprechung, welche in ihren Entscheidungen darauf verweist, dass im Falle einer Äquivalenzstörung eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht vorliegen könne.757 b) Wahlrecht In der Literatur vertreten sowohl Altinok-Ormanci758 als auch Baysal759 die Ansicht, dass zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund ein enges Verhältnis besteht. Zwischen Art. 138 tOR und der Kündigung aus wichtigem Grund seien Gemeinsamkeiten vorhanden, die bei der Beurteilung der Anwendung zu Überschneidungen führen können. Bei Änderungen der Vertragsumstände könnten die Voraussetzungen beider Institute gleich-

752 753 754 755 756 757 758 759

Topuz, Denge Bozulması, S. 291. Topuz, Denge Bozulması, S. 291. Topuz, Denge Bozulması, S. 291. Topuz, Denge Bozulması, S. 291. Topuz, Denge Bozulması, S. 292. Topuz, Denge Bozulması, S. 292; BGE 128 III, S. 428 ff. Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 206 ff. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 260 ff.

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zeitig erfüllt sein, womit eine Klärung des Konkurrenzverhältnisses erforderlich werde.760 Entgegen der Ansicht von Topuz werde für die Kündigung aus wichtigem Grund nicht immer eine Pflichtverletzung der Partei verlangt. Auch Vertragsänderungen ohne das Vorliegen einer Pflichtverletzung, beispielsweise ausgelöst durch eine Kriegssituation, könnten die Voraussetzungen der Kündigung aus wichtigem Grund erfüllen. Der Begriff des wichtigen Grundes sei hierbei weit zu definieren. Vielmehr begründe jeder Umstand, der als Wegfall der Geschäftsgrundlage zu bewerten ist, auch eine Kündigung aus wichtigem Grund.761 Auch die Rechtsfolgenebene beider Institute verdeutliche die Gemeinsamkeiten. Einerseits eröffne Art. 138 tOR im Gegensatz zu der Kündigung aus wichtigem Grund die Möglichkeit der Vertragsanpassung. Andererseits bieten beide Institute hinsichtlich der Vertragsbeendigung die Option der Kündigung des Vertrags. Folglich seien sowohl im Anwendungsbereich als auch auf Rechtsfolgenebene Parallelen zwischen beiden Instituten vorhanden. Aufgrund dieser Überschneidungen müsse das Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Instituten geklärt werden. Begehrt eine Partei die Anpassung des Vertrags, hat diese nach Altinok-Ormanci762 einen Antrag gem. Art. 138 tOR auf Vertragsanpassung wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu stellen. Läuft das Interesse des Betroffenen auf die Beendigung eines Dauerrechtsverhältnisses hinaus, werde den betroffenen Parteien ein Wahlrecht zwischen der Berufung auf Art. 138 tOR und der Kündigung aus einem wichtigen Grund eröffnet.763 Nach Baysal764 bildet das Dauerschuldverhältnis den Hauptanwendungsfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Der Grund, der die Anpassung des Vertrags erfordere, werde auch regelmäßig derjenige sein, der dazu führt, dass die Kündigung aus wichtigem Grund einschlägig ist. Trotz dieser Diskussion sei bei Dauerschuldverhältnissen der Wegfall der Geschäftsgrundlage gegenüber der Kündigung aus wichtigem Grund vorrangig, da die flexiblere Rechtsfolge des Art. 138 tOR billigere Lösungen ermögliche. Eine gegenteilige Auffassung würde auch zu einer deutlichen Einschränkung des Anwendungsbereichs des Wegfalls der Geschäftsgrundlage führen. Auf den Fall der Unmöglichkeit der Vertragsanpassung geht Baysal in seinen Ausführungen nicht ein. Im Übrigen gehe aus der Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichtshofs (BGE 128 III, S. 428), entgegen der Ansicht von Topuz, keineswegs hervor, dass die Kündigung eines Dauerrechtsverhältnisses aus wichtigem Grund bei einer 760

Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 207. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 263; Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 209. 762 Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 209. 763 Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 209 Fn. 622. 764 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 263. 761

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Äquivalenzstörung ausgeschlossen sei.765 Die Entscheidung bekunde lediglich, dass bei der Kündigung aus wichtigem Grund keine Äquivalenzstörung erforderlich sei, um den Tatbestand als erfüllt anzusehen.766 c) Stellungnahme Die Ansicht von Topuz kann nicht überzeugen. Zwischen Art. 138 tOR und der Kündigung aus wichtigem Grund sind Parallelen sowohl auf der Tatbestandsebene als auch auf Rechtsfolgenebene vorhanden. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten ist bei Vorliegen der Voraussetzungen beider Institute eine Abgrenzung vorzunehmen. Aufgrund der flexibleren Rechtsfolge und der Bedeutung des Grundsatzes pacta sunt servanda ist die Anpassung an die veränderten Umstände bei Vorliegen der Voraussetzungen beider Institute die vorrangige Konsequenz. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich, steht dem Betroffenen ein Wahlrecht zwischen der Kündigung gem. Art. 138 tOR und der Kündigung aus wichtigem Grund zu.767 III. Aktivlegitimation bei Vertragsaufhebung Anders als im deutschen Recht unterscheidet der türkische Gesetzgeber nicht zwischen der Aktivlegitimation bei der Anpassung und bei der Vertragsauflösung. Im türkischen Recht sind die Voraussetzungen und Rechtsfolgen in nur einem Absatz zusammengefasst. Sowohl die Anpassung als auch die Vertragsauflösung können dem Wortlaut entsprechend nur von dem Schuldner geltend gemacht werden.768 Diese Regelung erscheint nicht nachvollziehbar, zumal die deutsche Rechtsordnung bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR als Vorlage diente. Sachgerechter wäre es – ähnlich wie im deutschen Recht – eine Unterscheidung zwischen beiden Rechtsfolgen vorzunehmen, oder bei Bevorzugung einer allgemeinen Regelung, die Zuweisung der Aktivlegitimation an die „benachteiligte Partei“ zu regeln, statt sie allein dem „Schuldner“ zuzuweisen.

C. Anpassungs- und Vertragsaufhebungsbefugnis Aufgrund der Tatsache, dass der Wortlaut des Art. 138 tOR ausdrücklich Bezug auf den Richter nimmt, stellt sich die Frage, ob die Parteien die Anpassung des Vertrags bzw. dessen Auflösung, sei es durch Rücktritt oder Kündigung, selbst vornehmen können oder ob sie zwingend ein gerichtliches Verfahren einleiten 765

Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 209 Fn. 622. Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 209 Fn. 622. 767 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 4., a), ee) Stellungnahme. 768 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 247; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 238. 766

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

397

müssen. Diese Diskussion fand bereits vor der Schuldrechtsreform statt und hat ihre Aktualität nicht verloren. Der vor der Kodifikation geführte Streit hinsichtlich der dogmatischen Zuordnung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wird auch in diesem Zusammenhang relevant. Die Ansicht, welche die dogmatische Grundlage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als eine Vertragsergänzung sah, verlangt die Beantragung sowohl der Anpassung als auch der Kündigung vor dem Richter. Diejenige Ansicht, die die Grundlage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als Wucher einstufte, nimmt demgegenüber an, der Betroffene könne seine Rechte, wie auch beim Wucher, selbst geltend machen, ohne zuvor den Richter in Anspruch zu nehmen.769 I. Zwingende gerichtliche Klärung des Art. 138 tOR Die h. L.770 nimmt an, dass die Änderung des Vertrags zwingend durch den Richter im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu erfolgen hat. Die Parteien müssten einen entsprechenden Antrag beim Gericht stellen, um den Vertrag anzupassen. Der Richter entscheide im Anschluss in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls, ob der Vertrag den Umständen angepasst wird oder die vertragliche Beziehung ein Ende findet. Nach dieser Ansicht haben die Parteien nicht das Recht, den Vertrag selbst zu gestalten und ihn ohne gerichtliche Klärung anzupassen. Obwohl im türkischen Recht anerkannt ist, dass die Parteien ihre Gestaltungsrechte selbst ausüben können, müsse der Anspruch im Falle des Art. 138 tOR gerichtlich durchgesetzt werden, da der Wegfall der Geschäftsgrundlage zu einer Verschiebung des Gleichgewichts der Interessen führe.771 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage diene dem Schutz der Vertragstreue und unterstützt die Partei, die die Auflösung des Vertrags zu vermeiden sucht. Nach der h. L. regelt Art. 138 tOR folglich kein Gestaltungsrecht der Parteien, sondern ein vor Gericht einzuklagendes Recht.772 Die Unbestimmtheit eines Antrages gem. Art. 138 tOR erfordere zudem das Aufsuchen der Gerichte, damit der Richter das Bestehen eines Anspruchs prüfen und bei Bejahung, den Interessen der Parteien entsprechend entscheiden kann, welcher Anspruch nunmehr besteht. Diese Ansicht werde zudem durch den Wortlaut anderer, den Gedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage regelnder Normen bestätigt. Nach Art. 480 tOR (Art. 365 tOR a. F.) beispielsweise beschließt der Richter die Rechtsfolge einer 769

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 239. Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 144 ff.; Akyol, Dürüstlük, S. 92 ff.; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 485 f.; Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 ff.; Bas¸bug˘, ˙Is¸ Sözles¸melerinin Uyarlanması, S. 108; Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 225 f.; so auch Antalya Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 153. 771 Topuz, Denge Bozulması, S. 327. 772 Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 144 ff.; Akyol, Dürüstlük, S. 92 ff.; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 486; Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 ff.; Bas¸bug˘, I˙s¸ Sözles¸melerinin Uyarlanması, S. 108; Og˘uzman/Barlas, Medeni Hukuk, S. 225 f.; Antalya Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 153. 770

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Störung im Werkvertrag. Dieser Gedanke müsse auf den allgemeinen Art. 138 tOR übertragen werden.773 Nach Topuz774 sind im türkischen Recht die Gestaltungsrechte durch einen numerus clausus beschränkt. Da ein Gestaltungsrecht nach der h. L. vertraglich nicht vereinbart werden kann, kann nach Topuz der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht als ein Gestaltungsrecht eingestuft werden. Gestaltungsrechte könnten durch eine einseitige Willenserklärung im Rechtsverkehr eigene Rechtsfolgen hervorrufen und eine Veränderung oder Beendigung der vertraglichen Vereinbarung begründen.775 Im Falle der Befürwortung eines Gestaltungsrechts bestünde die Gefahr des Verlustes der Vertragsparität, da eine der Parteien versuchen werde, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Im Übrigen ist nach Topuz der Wegfall der Geschäftsgrundlage ein Problem der Vertragslücke. Diese könne ausschließlich durch den Richter geschlossen werden.776 Nach Topuz777 ist eine Klage, in deren Ergebnis der Richter innerhalb seines ihm zustehenden Ermessens eine vertragliche Vereinbarung verändert, eine Gestaltungsklage. Die Entscheidung des Richters sei in diesem Fall somit ein Gestaltungsurteil und nicht nur ein Feststellungsurteil. Die Ansicht, die die zwingende gerichtliche Klärung vorsieht, hat in der Literatur Kritik erfahren. Die Anpassung des Vertrags oder die Auflösung müsse nicht zwangsläufig vom Richter durchgeführt werden. Derjenige, der sich einer Anpassungserklärung gegenübersieht, sei nicht hilflos. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage könne die benachteiligte Partei nämlich immer noch eine negative Feststellungsklage erheben, um ihre Rechte zu erhalten.778 Baysal, der die Ansicht vertritt, dass beide Rechte gerichtlich geltend gemacht werden müssten, um die Willkür der Parteien zu vermeiden, verkennt, dass auch der Richter eine willkürliche Entscheidung treffen kann. Zwischen beiden Vorgehensweisen bestehe im Ergebnis somit kein großer Unterschied.779 II. Keine zwingende gerichtliche Klärung des Art. 138 tOR Nach einer anderen Ansicht780 ist die Anpassung und die Kündigung der benachteiligten Partei ein Gestaltungsrecht, welches die Partei grundsätzlich ohne 773

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 172. Topuz, Denge Bozulması, S. 327. 775 Topuz, Denge Bozulması, S. 328. 776 Topuz, Denge Bozulması, S. 329. 777 Topuz, Denge Bozulması, S. 330 Fn. 554. 778 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 242. 779 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 243. 780 Serozan, Sözles¸meden Dönme, S. 355 ff.; Gürsoy, Clausula, S. 184; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 173; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 243; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 243. 774

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

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zwingende gerichtliche Klärung in Anspruch nehmen könne. Nach den Vertretern dieser Ansicht ist kein Grund ersichtlich, beim Wegfall der Geschäftsgrundlage zwischen der Ausübung des Rechts auf Auflösung und des Rechts auf Anpassung des Vertrags zu unterscheiden.781 Die Unterscheidung erst gar nicht vorzunehmen sei die praktikabelste Lösung.782 Die benachteiligte Partei müsse bei einer unzumutbaren Änderung der Vertragsumstände den Vertrag anpassen können, um sich von dieser Unzumutbarkeit auch ohne die Entscheidung eines Richters zu lösen. Dies sei Ausdruck des Gestaltungsrechts. Nach Gürsoy783 hat der Gesetzgeber in verschiedenen Normen ein Abrücken vom Vertrag oder eine Anpassung an die Änderung der Umstände geregelt. Dies müsse auch im Falle der Geschäftsgrundlage gelten. Ein Eingriff des Richters sei mit dem Inhalt und mit der praktischen Durchsetzung des Gesetzes nicht vereinbar. Ein gerichtliches Verfahren führe immer dazu, dass sich die Entscheidung verzögere. Hierbei verweist Gürsoy784 auf die schweizerische Rechtsprechung. Danach seien bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nach dem Schweizerischen Bundesgerichtshof die Parteien in der Lage, die Anpassung selbst vorzunehmen, sodass für die Inanspruchnahme eines Richters kein Erfordernis bestehe.785 Nach Baysal786 und Yavuz787 ist zwar auch im Wortlaut des Art. 480 tOR ein ausdrücklicher Verweis auf einen Richter enthalten, das Selbstvornahmerecht der Parteien ergebe sich jedoch aus der Begründung zu Art. 480 tOR Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, worin hervorgehoben sei, dass die Parteien die Anpassung, und im Falle der Unmöglichkeit der Anpassung, die sonstigen Rechte als Gestaltungsrecht selbst ausüben können. Dieselben Überlegungen müssten auch für Art. 138 tOR gelten. Im türkischen Recht existieren eine Vielzahl von Instituten (z. B. Wucher, Grundlagenirrtum), die dem Wegfall der Geschäftsgrundlage zwar nicht vollständig gleichen, aber dennoch sehr ähneln, sodass auch aus der Regelung dieser Vorschriften Anhaltspunkte für die Lösung des Geschäftsgrundlagenproblems hergeleitet werden können. Dementsprechend seien der Rücktritt vom Vertrag, die berechtigte Kündigung und die Rechte, die infolge eines Mangels geltend gemacht werden (Minderung), mit einer entsprechenden Erklärung gegenüber der Vertragspartei geltend zu machen.788 Nach Baysal789 besteht kein gravierender Unterschied zwischen der Minderung (Art. 202 Abs. 2 tOR), bei der die Partei dieses Recht 781 782 783 784 785 786 787 788 789

Gürsoy, Clausula, S. 180. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 242 f. Gürsoy, Clausula, S. 176. Gürsoy, Clausula, S. 176. Gürsoy, Clausula, S. 176. Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempoyzumu, S. 137 f. Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 243. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 173; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 240. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 240.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

selbstständig ausübt, und der Anpassung, sodass auch diese im Machtbereich der Partei liegen muss. Der Unterschied zwischen einer Minderung und der Anpassung liege zumeist nur in zeitlicher Hinsicht.790 Im Falle des Wuchers beispielsweise werde das Missverhältnis zwischen den Leistungen auch außerhalb des Gerichts durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts beseitigt. Ein Selbstvornahmerecht sei der türkischen Rechtsordnung folglich nicht fremd.791 Die Ansicht, die als Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein Gestaltungsrecht einräumt, blieb in der Lehre nicht ohne Kritik.792 Durch die Einräumung des Gestaltungsrechts einer Partei genieße diese im Verhältnis zu der anderen Partei einen größeren Schutz und befinde sich somit in der stärkeren Position.793 Des Weiteren werde es nach dieser Ansicht erschwert, eine Neuverhandlungspflicht durchzusetzen. Es sei wichtig, dass die Parteien über die rechtlichen Konsequenzen der verschiedenen Möglichkeiten der Konfliktlösung verhandeln. Das sofortige Zugestehen eines Gestaltungsrechts führe zu einer quasi Vereitelung oder zumindest zum Verlust der Flexibilität dieser Verhandlungen. Es sei zu beachten, dass ein bereits ausgeübtes Gestaltungsrecht nicht widerruflich ist und die Partei somit daran gebunden ist. Ein Gestaltungrecht habe nur eine Rechtsfolge, der Wegfall der Geschäftsgrundlage sehe dagegen eine Vielzahl von Anpassungsmöglichkeiten vor.794 Antalya795 kritisiert Baysal dahingehend, dass sie sich bei ihrer Stellungnahme auf die Entwürfe des Gesetzes bezieht. Nach Antalya ist der Wortlaut der Norm entscheidend. Die Begründung diene lediglich als Verständnishilfe. Da im Wortlaut des Art. 138 tOR ausdrücklich geregelt ist, dass die Anpassung lediglich vom Richter begehrt werden kann, sei es nicht erforderlich, sich darüber hinaus auf die Gesetzesbegründung zu beziehen. III. Stellungnahme Sowohl aus dem Wortlaut des Art. 138 als auch des Art. 480 tOR folgt das Verlangen nach Heranziehung eines Richters zur Klärung der Rechtsfolgen dieser Vorschriften. Auf den ersten Blick erscheint der Gerichtsweg aufgrund des Wortlauts der 138 und 480 tOR unproblematisch. Der Blick auf die Gesetzesbegründung des Art. 480 tOR verdeutlicht jedoch, dass die Parteien ohne Hinzuziehung eines Richters im Rahmen des Gestaltungsrechts selbst sowohl die Anpassung des Vertrags vornehmen sowie auch den Rücktritt vom Vertrag erklären können. Aus dieser 790 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 240; Atamer, HPD 2006 Sa. 6, S. 8 (26); Buz, Batider 1998, C. XIX, S. 51 (68). 791 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 240. 792 Schwarz, Roma Hukuku, S. 144; Topuz, Denge Bozulması, S. 328; Antalya Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 153. 793 Topuz, Denge Bozulması, S. 328. 794 Schwarz, Roma Hukuku, S. 144. 795 Antalya Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 153.

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

401

Begründung folgt die Annahme, dass der Gesetzgeber das Aufsuchen der Gerichte nicht zwingend vorschreiben wollte. Das Abstellen allein auf den Wortlaut dieser Normen würde zu der prozessökonomisch unvorteilhaften Situation führen, dass die Parteien bei jeder Änderung der Vertragsumstände, die Gerichte aufsuchen würden. Dies widerspricht der als Vorlage für diese Norm genommenen deutschen Rechtspraxis und den Vorgaben der europäischen Rechtsordnung, die die Parteien dazu bewegen wollen, vor der Aufsuchung der Gerichte in Neuverhandlungen einzutreten. Auch aus dem Prozessrecht folgt die Erwartung in Güteverhandlungen einzutreten, um eine einheitliche Lösung bei Vertragsänderungen zu finden. Ferner schränkt das Verlangen nach einer richterlichen Lösung die Privatautonomie der Parteien ein, da ihnen die Möglichkeit vorgerichtlicher Einigungsversuche genommen wird. Auch diese starren Vorgaben sind dem türkischen Recht fremd. Sowohl im Bereich des Wuchers als auch nach anderen Vorschriften wird es der benachteiligten Partei ermöglicht, ihre Rechte ohne Einschaltung eines Richters durchzusetzen. Der Wortlaut des Art. 138 tOR „[…] kann der Schuldner von Richter verlangen […]“ erscheint folglich nicht sachgerecht. Es muss den Parteien überlassen bleiben, Störungen der Vertragsumstände selbst zu beseitigen, ohne die Gerichte anzurufen. Artikel 138 tOR ist vielmehr in Verbindung mit der Gesetzesbegründung des Art. 480 Abs. 2 tOR auszulegen und so zu verstehen, dass erst bei Nichteinigung der Parteien hinsichtlich der Vertragsstörungen die Gerichte zur Lösung der Probleme angerufen werden sollen. Die richtige Klageart für das Anpassungsbegehren ist hierbei, – wie auch im deutschen Recht – die Leistungsklage.796

D. Entschädigung Wie auch im deutschen Recht sieht der Wegfall der Geschäftsgrundlage keine Schadensersatzansprüche als Rechtsfolge vor, da in Art. 138 tOR auf das Verschulden der Parteien nicht abgestellt wird.797 Schadensersatzansprüche entstehen nur bei schuldhaftem Verhalten.798 Die Berufung auf Art. 138 tOR ist bei schuldhaftem Verhalten jedoch bereits ausgeschlossen. Das türkische Recht sieht hier vielmehr einen Entschädigungsanspruch beider Parteien vor, um das übernommene Risiko auszugleichen.799 Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben und entspricht dem Gedanken der Art. 331, 369, 441 und 437 tOR, die vorsehen, dass in bestimmten Situationen das entstandene Risiko unter beiden Parteien aufzuteilen ist.800

796 797 798 799 800

Vgl. oben Kapitel 1, § 4, A., III, 1. Leistungsklage. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 195. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 195. Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 195; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 263. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 264.

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Kap. 2: Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht

Ein Bauunternehmer beispielsweise, der eine Ware auf der Grundlage eines Vertrags anliefert, der bereits wegen nachträglich festgestellter Unbebaubarkeit des Grundstückes gem. Art. 138 tOR aufgelöst ist, kann einen Teil seiner bis dahin getätigten Ausgaben über einen Entschädigungsanspruch zurückverlangen. Da hier beidseitig kein Verschulden vorliegt, bemisst der Richter eine die Interessen beider Parteien berücksichtigende Aufteilung der Ausgaben.801

E. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage als primäre Rechtsfolge eine Vertragsanpassung vorsieht. Im Gegensatz zum deutschen Recht steht dieses Recht dem Wortlaut des türkischen Gesetzes entsprechend nur dem Schuldner zu. Für eine derartige Ungleichbehandlung von Schuldner und Gläubiger sind keine überzeugenden Gründe vorhanden, zumal in Literatur und Rechtsprechung der Rückgriff auf die Vertragsanpassung beider Parteien anerkannt ist. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf beide Parteien wäre hier wünschenswert. Die flexible Rechtsfolge der Anpassung des Vertrags ermöglicht neben der Vereinbarung einer Raten- und Teilzahlung auch die Verlegung des Leistungszeitpunkts und die Erweiterung oder Einschränkung der Neben- und Hauptleistungen. Eine Neuverhandlungspflicht wird auch im türkischen Recht – wenn auch weniger umfangreich – diskutiert, ist jedoch gesetzlich nicht geregelt. Eine derartige Verpflichtung ergibt sich, anders als im deutschen Recht, auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Daher sind Neuverhandlungen vielmehr als Option zu verstehen, welche bei Nichtbeachtung keine Ersatzansprüche zur Folge haben. Wegen der ausdrücklichen Festlegung der Nichterfüllung der Leistung als Negativvoraussetzung im Tatbestand des Art. 138 tOR geht die Diskussion hinsichtlich des Zeitpunkts der Anpassung im türkischen Recht nicht in die Tiefe. Die Vertragsanpassung ist für die Zukunft vorgesehen, für die Vergangenheit hingegen nur in Ausnahmefällen. Ist eine Anpassung unmöglich, kommen die Gestaltungsrechte des Rücktritts oder der Kündigung bei Dauerschuldverhältnissen in Betracht. Anders als im deutschen Recht wird hierbei auf die Zumutbarkeit der Anpassung nicht abgestellt. Aktivlegitimiert ist bei der Auflösung des Vertrags allein der Schuldner. Eine Unterscheidung zwischen beiden Rechtsfolgen, wie es der deutsche Gesetzgeber vorsieht, ist im türkischen Recht nicht vorhanden. In diesem Zusammenhang ist das Verhältnis zwischen Art. 138 tOR und der gesetzlich nicht geregelten, in der türkischen Rechtspraxis jedoch anerkannten Kündigung aus wichtigem Grund umstritten. Ist die vorrangig heranzuziehende Anpassung unmöglich, steht dem Schuldner ein Wahlrecht zwischen beiden Instituten zu. Im Übrigen hat der Schuldner, anders als im deutschen Recht, sowohl sein Anpassungs- als auch sein Auflösungsbegehren vor dem Richter geltend zu machen. Dies ist zum einen aus prozessökonomischer Sicht unvorteilhaft, zum anderen schränkt es die Privatautonomie der Parteien unberechtigterweise ein. 801

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 265.

§ 4 Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

403

Führt die Berufung der Parteien auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu verschuldensunabhängigen Ungleichheiten in der Risikoverteilung, kann zum Ausgleich dieser Situation ein Entschädigungsanspruch gemäß dem Grundsatz von Treu und Glauben zugesprochen werden.

Kapitel 3

Vergleich zwischen dem deutschen und dem türkischen Geschäftsgrundlageninstitut Trotz langjähriger Diskussionen über die rechtliche Zuordnung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgte die Kodifizierung dieses Instituts (in Deutschland wie auch in der Türkei) erst spät. Der deutsche Gesetzgeber erkannte das Bedürfnis einer Kodifikation früher als der türkische Gesetzgeber und führte den § 313 BGB bereits im Januar 2002 ein1, wohingegen der türkische Gesetzgeber das Geschäftsgrundlageninstitut im Juli 2012 durch Art. 138 tOR2 in Gesetzesform goss. Nicht nur wegen der zeitlich früheren Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für eine Kodifikation des Geschäftsgrundlageninstituts diente § 313 BGB dem türkischen Gesetzgeber als Vorlage. Vor allem weil sich die deutsche Rechtslehre und Rechtspraxis vor der Implementierung des § 313 BGB intensiv mit der Problematik der Störung der Geschäftsgrundlage beschäftigt hatte3, tat der türkische Gesetzgeber gut daran, dem § 313 BGB eine Art Vorlagefunktion zuzuschreiben. Wie oben bereits detailliert erklärt, hat sich die deutsche Rechtsprechung4 und Literatur5 sehr intensiv mit der Geschäftsgrundlagenproblematik beschäftigt und versucht, auf alle Fragen bezüglich dieser Thematik eine Antwort zu liefern. Ein Vergleich soll zeigen, inwiefern der türkische Gesetzgeber bei der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage durch Art. 138 tOR tatsächlich der deutschen Vorlage entsprach. Ein Vergleich ermöglicht nicht nur, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, sondern schafft vielmehr auch die Grundlage dafür, Mängel und Lücken der jeweiligen Vorschrift zu identifizieren und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Der Vergleich bezieht sich nicht nur auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen § 313 BGB und Art. 138 tOR, sondern er umfasst auch die (historische) Entwicklung der jeweiligen Vorschriften. Denn ohne eine Würdigung der Entstehung und Entwicklung des Geschäftsgrundlageninstituts in beiden Ländern ist weder ein Verständnis der gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltungen noch ein Vergleich 1

Vgl. oben Kapitel 1, § 2 Kodifikation des § 313 BGB. Vgl. oben Kapitel 2, § 2 Kodifikation des Art. 138 tOR. 3 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A. Frühere Lehren und ältere Rechtsprechung; B. Lehre und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB. 4 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts; B., II. Rechtsprechung. 5 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I. Die Entwicklung in der Lehre; B., I. Ansichten in der Lehre. 2

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

405

zwischen beiden Rechtsinstituten möglich. Dementsprechend ist der in den nächsten Abschnitten dargestellte Vergleich folgendermaßen aufgebaut: – § 1 stellt die Entwicklungen der Geschäftsgrundlagen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation dar. – § 2 beschäftigt sich mit der Kodifikation des § 313 BGB bzw. des Art. 138 tOR. – § 3 beleuchtet die Voraussetzungen beider Vorschriften und deren Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten. – § 4 widmet sich schließlich den Rechtsfolgen beider Normen.

§ 1 Vergleich der historischen Entwicklungen der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation Im Rahmen des historischen Vergleichs fallen vor allem die Gemeinsamkeiten beider Institute auf. Bereits vor der Schuldrechtsreform hatte der Grundsatz pacta sunt servanda sowohl im deutschen als auch im türkischen Rechtssystem einen prägenden Charakter.6 Nach diesem Grundsatz sind beide Parteien an den einmal geschlossenen Vertrag gebunden, sodass nachträgliche Änderungen der Umstände keine Auswirkungen auf den Vertrag haben dürften. In beiden Rechtssystemen gab es bis zur Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR keine allgemeine Norm, welche eine Reaktion auf die Veränderung von Umständen ermöglichte.7 Deshalb war in Deutschland und in der Türkei der Grundsatz pacta sunt servanda das übergeordnete Prinzip. Gründe, warum es einerseits nicht früher zur gesetzlichen Regelung des Geschäftsgrundlageninstituts kam, lagen darin, dass sowohl in der Entstehungsphase des BGB zu Beginn des 19. Jahrhunderts als auch in der Entstehungsphase des türkischen Zivilgesetzbuchs und des türkischen Obligationenrechts um 1926 die wirtschaftliche und soziale Lage in beiden Ländern stabil war und folglich kein Bedarf für eine Kodifikation gesehen wurde. Andererseits hatte der türkische Gesetzgeber im Rahmen der Entstehung des tZGB und des tOR die Übersetzung der schweizerischen Gesetze, in denen die Geschäftsgrundlage nicht geregelt war, unverändert übernommen. Diskussionen über die Erforderlichkeit einer Norm für die Geschäftsgrundlage wurden dabei nicht geführt. Das schweizerische Zivilrecht räumt dem Richter gem. Art. 1 sZGB die Befugnis ein, bei einer bestehenden Gesetzeslücke „nach der Regel“ zu entscheiden, „die er als Gesetzgeber aufstellen würde“. Diese Vorschrift findet sich in Art. 1 6 7

Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3027). Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3028).

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Abs. 2 tZGB wieder. Es bedurfte daher keiner gesetzlichen Grundlage, da der Richter gemäß des ihm durch Art. 1 Abs. 2 tZGB eingeräumten Ermessens im Einzelfall selbst eine quasi-gesetzliche Grundlage schaffen konnte.8 Auch der deutsche Gesetzgeber unterließ die gesetzliche Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Doch im Unterschied zur Türkei wurde im Rahmen der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches die Erforderlichkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage durchaus diskutiert. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich bewusst gegen die zum Wegfall der Geschäftsgrundlage vorhandenen Theorien. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Theorien (beispielsweise die Voraussetzungslehre von Windscheid9 oder die Lehre von der clausula rebus sic stantibus10 die Rechtssicherheit gefährden würden.11 Mit der Zeit ließ die wirtschaftliche und soziale Stabilität beider Länder nach. Deutschland wurde aufgrund der Hyperinflationen des Landes, der Weltkriege und der daraus resultierenden Teilung des Landes zunehmend instabil.12 Gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Phasen war das Land gezwungen, sich häufig mit der Geschäftsgrundlagenproblematik zu beschäftigen. Sowohl die deutsche Rechtsprechung als auch die Rechtsliteratur entwickelten in dieser Phase verschiedene Lösungsansätze für die angemessene Reaktion auf die wirtschaftlich bedingte Veränderung der Umstände. Obwohl die Türkei weder an dem Zweiten Weltkrieg teilnahm noch unter einer Teilung litt, war auch sie gezwungen, sich aufgrund der wirtschaftlichen Schwankungen des Landes intensiv mit der Geschäftsgrundlagenthematik zu beschäftigen.13 Diese Problematik hat in der Türkei aufgrund der fortwährenden Inflationen und Deflationen des Landes, welche sich auf die Landeswährung auswirkten, bis heute nicht an Aktualität verloren.14 Damit mussten sich beide Rechtssysteme aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen heraus mit der Veränderung der Geschäftsgrundlage beschäftigen.

8

Vgl. oben Kapitel 2, § 1, A. Ein Querschnitt der Geschichte des türkischen Zivilrechts. Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 3. Windscheids sog. Lehre der Voraussetzung. 10 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 1. Clausula rebus sic stantibus. 11 S. Mot. II. S. 80 = Mugdan II, S. 44; Mot. II, S. 199 = Mugdan II, S. 109; Prot. II, S. 99 = Mugdan II, S. 630; Protokolle zu dem Entwurf des BGB, S. 690 f. 12 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II., 6., a) Äquivalenzstörung; Kapitel 1, § 1, B., II. Rechtsprechung. 13 Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/ 7053, K. 2005/328; Y.9.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD, 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870; Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304; I˙stanbul 4. Tüketici Mahkemesi, 05. 08. 2011, E. 2011/895, K. 2011/631; Y.13.HD., 07. 02. 2013, E. 2012, K. 2623. 14 Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304; ˙Istanbul 4. Tüketici Mahkemesi, 05. 08. 2011, E. 2011/895, K. 2011/631; Y.13.HD., 07. 02. 2013, E. 2012, K. 2623. 9

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

407

In der Phase der Entwicklung des Geschäftsgrundlageninstituts wurde in beiden Ländern zunächst der Versuch unternommen, die Geschäftsgrundlagenproblematik mit vorhandenen Normen zu lösen. In seinen ersten Entscheidungen aus den Jahren 189815 und 190416 nahm das Reichsgericht die Unmöglichkeitsregeln als Hilfsmittel und setzte die Störung der Geschäftsgrundlage mit der echten Unmöglichkeit gleich, auch wenn das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage keine echte Unmöglichkeit der Leistungserbringung im Rechtssinne war. In der Türkei beschäftigte sich interessanterweise erstmals im Jahre 1937 das Oberverwaltungsgericht17 mit der Geschäftsgrundlagenproblematik und wandte Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. analog auf Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage an. Artikel 365 Abs. 2 tOR a. F. regelte die Änderungen der Umstände über Preise bei Werkverträgen. Trotz der Vereinbarung eines Festpreises ermöglichte die Vorschrift eine Preiserhöhung oder die Auflösung des Werkvertrags, wenn sich die Umstände, die dem Werkvertrag zu Grunde lagen, veränderten. Einen solchen Lösungsansatz der Geschäftsgrundlagenproblematik gab es im deutschen Rechtssystem nicht, da im BGB keine mit dem Art. 365 Abs. 2 tOR a. F. vergleichbare Regelung existierte. Beide Rechtssysteme hatten jedoch gemeinsam, dass die Lösung der Problematik über eine Rechtsnorm zu erfolgen hatte. Bei der Entwicklung des Geschäftsgrundlageninstituts spielte in beiden Ländern das Unmöglichkeitsrecht eine Rolle. Doch während die deutsche Rechtsprechung nur in einigen wenigen Entscheidungen um den Beginn des 20. Jahrhunderts die Unmöglichkeitsregeln heranzog und die Rechtsfolgen des Unmöglichkeitsrechts letztlich als ungeeignet erachtete,18 begann die türkische Rechtsprechung erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, die Geschäftsgrundlagenproblematik über die Unmöglichkeitsregeln zu lösen und tat das in größerem Umfang als die deutsche Rechtsprechung. Die meisten dieser Entscheidungen in der Türkei ergingen in den Jahren 1970 bis 198019. Dementgegen war in Deutschland bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt worden, dass das Unmöglichkeitsrecht keine ideale Lösung für das Geschäftsgrundlageninstitut darstellt. Die unterschiedliche zeitliche Entwicklung lässt darauf schließen, dass die türkische Rechtspraxis einem wesentlich längeren Erkenntnisprozess unterlag.

15

RGZ 42, S. 114 ff. RGZ 57, S. 116 ff. 17 Vgl. oben detaillierte Sachverhalte dieser Entscheidung Kapitel 2, § 1, B., I., 2., b) Rechtsprechung. Gerichtsentscheidungen wurden in diesem Zeitraum kaum veröffentlicht. Für diese Entscheidung siehe daher Gürsoy, Clausula, S. 71, der Einsicht in diese Entscheidung hatte. 18 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., II., 3. Lösung über die wirtschaftliche Unmöglichkeit. 19 Für die deutsche Rechtsprechung: RGZ 42, S. 114 ff.; 57, S. 116 ff. Für die türkische Rechtsprechung: Y.4.HD., 24. 02. 1970, E. 1669/12400, K. 1970/1455; Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/5000, K. 1975/891; Y.4.HD., 10. 10. 1978, E. 1281, K. 11161; Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/11-773, K. 1980/2310. 16

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

In beiden Ländern gab es neben der Rechtsprechung auch in der Literatur Versuche zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik über das Institut der Unmöglichkeit.20 Vor allem Beuthien21 betonte, dass die Heranziehung gesetzlicher Vorschriften der Unmöglichkeit für die Geschäftsgrundlagenstörung im deutschen Recht unentbehrlich sei. Letztlich konnte sich aber die Lösung mit Hilfe der Unmöglichkeitsregeln jedoch in keinem der beiden Länder durchsetzen. Der Ansatz scheiterte dadurch, dass die Unmöglichkeitsvorschriften des Alles-oder-nichtsPrinzips unbefriedigende Ergebnisse auf der Rechtsfolgenebene zur Folge hatten.22 Eine weitere Gemeinsamkeit der Rechtssysteme liegt in dem einheitlichen Lösungsansatz der Geschäftsgrundlagenproblematik über den Grundsatz von Treu und Glauben. Das juristische Schrifttum beider Länder unterstützte diesen Lösungsansatz.23 Bei dem Rechtsgedanken dieses Grundsatzes ging es darum, auf der Grundlage des Vertrauensprinzips kraft Gesetzes Sonderverbindungen zu ergänzen und Korrekturen von Rechten und Pflichten vorzunehmen. Die Geschäftsgrundlagenproblematik über den Grundsatz von Treu und Glauben zu lösen, war auch in der Rechtsprechung beider Länder zu beobachten.24 Die deutsche Rechtsprechung ging nach den Lösungsversuchen über die Unmöglichkeitsregeln direkt auf den Grundsatz von Treu und Glauben über und verfolgte diesen Lösungsansatz bis zur Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Eine derartige klare Linie ist in der türkischen Rechtspraxis und Rechtslehre nicht zu beobachten. Neben dem Grundsatz von Treu und Glauben,25 den die türkische Rechtsprechung in besonders schwierigen Situationen bevorzugte, zog sie auch die Unmöglichkeit,26 den Rechtsmissbrauch,27

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Beuthien, Zweckerreichung, S. 304 ff., 308; Gürsoy, Clausula, S. 23; Saymen/Elbir, Borçlar Hukuku, S. 880; Schwarz, Adliye Dergisi 1944, S. 186 (193). 21 Beuthien, Zweckerreichung, S. 304 ff., 308. 22 Köhler, Unmöglichkeit, S. 89 ff. und 115 ff.; Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage, S. 151 f.; Alpagut, ˙Is¸lem Temelinin C¸ökmesi, S. 15; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 124 ff.; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 128 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 25, 88 ff.; Gürsoy, Clausula, S. 26 ff.; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (55); Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 60 ff.; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 16; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (415a); Caytas, Unerfüllbarer Vertrag, S. 206; Topuz, Denge Bozulması, S. 122 ff. 23 Fikentscher, SchuldR8, § 27, S. 129; Akyol, Dürüstlük, S. 83 ff.; Gürsoy, Clausula, S. 34 ff.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54 ff.; ˙Imre, Fikret Arık‘a Armag˘an, S. 153 (190). 24 Vgl. oben für deutsche Rechtsprechung: Kapitel 1, § 1, A., II., 4. Wachsende Bedeutung des Unzumutbarkeitskriteriums; Kapitel 1, § 1, B., II. Rechtsprechung. Für die türkische Rechtsprechung: Kapitel 2, § 1, B., V., 2. Rechtsprechung. 25 Y.11.HD., 13. 07. 2006, E. 2005/7970, K. 2006/8381; Y.13.HD., 18. 05. 2005, E. 2005/ 9656, K. 2005/15444; Y.11.HD., 17. 11. 2003, E. 2003/3966, K. 2003/10900; Y.11.HD., 21. 03. 2002, E. 2001/10788, K. 2002/2578; Y.3.HD., 14. 09. 2000, E. 2000/8382, K. 2000/8036; Y.11.HD., 17. 11. 1997, E. 1997/6293, K. 1997/8200; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77. 26 Y.4.HD., 24. 02. 1970, E. 1669/12400, K. 1970/1455; Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/ 5000, K. 1975/891; Y.4.HD., 10. 10. 1978, E. 1281, K. 11161; Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/ 11-773, K. 1980/2310.

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

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die Vertragsergänzung28 und die Festpreisregelung gem. Art. 365 tOR a. F.29 zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik heran. Eine weitere Parallele in der Entwicklung der Geschäftsgrundlagenproblematik liegt in der gemeinsamen Beurteilung der Änderung der Umstände als Vertragslücke. Um die entstandene Vertragslücke zu schließen, wurde als rechtliche Grundlage in der deutschen Rechtsliteratur die ergänzende Vertragsauslegung,30 in der türkischen Rechtsliteratur hingegen die Vertragsergänzung herangezogen.31 Die deutsche Literatur knüpfte dabei an den hypothetischen Willen der Parteien an.32 Für den Fall, dass der hypothetische Wille nicht zu ermitteln war, sollte nach Billigkeitserwägungen entschieden werden.33 Die türkische Rechtsliteratur dagegen empfand das Abstellen auf den hypothetischen Willen der Parteien für die Schließung der Vertragslücke als wenig hilfreich. Da sich die Parteien hinsichtlich der Änderung der Umstände keinerlei Gedanken gemacht haben, sei ein hypothetischer Wille folglich nicht feststellbar.34 Die türkische Rechtslehre zog es somit vor, direkt nach Billigkeitserwägungen gem. Art. 2 und 4 tZGB zu entscheiden, ohne auf das Instrument der Auslegung einzugehen.35 Sowohl im deutschen als auch im türkischen Recht waren Billigkeitserwägungen von (meist) entscheidender Bedeutung, da auch in der deutschen Rechtsanwendung die Billigkeitserwägungen als Auffang-Entscheidungsgrundlage für den Fall dienten, dass ein eindeutiger hypothetischer Wille schwer zu ermitteln ist. Auch der Lösungsansatz über die ergänzende Vertragsauslegung und Vertragsergänzung hat in beiden Rechtssystemen seitens der Literatur Kritik erfahren.36 Es wurde argumentiert, dass die ergänzende Vertragsauslegung wie auch die Vertrags27

Y.3.HD., 04. 03. 2003, E. 2003/1941, K. 2003/2097; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13360, K. 1992/425. 28 Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 26. 02. 1997, E. 1996/9679, K. 1997/119. 29 Y.HD., 02. 06. 1942, E. 941/323, K. 522; Y.HD., 27. 12. 1944, K. 2807 (für diese Entscheidungen: Gürsoy, Clausula, S. 81). 30 Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (637 ff.); Brox, JZ 1966, S. 761 (767); ders., Irrtumsanfechtung, S. 72 ff., 92 ff., 178 ff.; Nicklisch, BB 1980, S. 949 (949 ff.). 31 Topuz, Denge Bozulması, S. 147; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 87; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 431. 32 Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (631). 33 Medicus, FS Flume Bd. I, S. 629 (645). 34 Topuz, Denge Bozulması, S. 145; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 83. 35 Topuz, Denge Bozulması, S. 148 Fn. 367. 36 Für das deutsche Rechtssystem: Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 28, 30; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 34, 41; Koller, Risikozurechnung, S. 34; Beuthien, Zweckerreichung, S. 52; Köhler, Unmöglichkeit, S. 157; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 41; Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (73); Esser, JZ 1958, S. 113 (114). Für das türkische Rechtssystem: Gürsoy, Clausula, S. 18; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82; Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 33 f; Aksoy-Dursun, Hakimin Sözles¸meyi Tamamlaması, S. 23; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 147 Fn. 510.

410

Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

ergänzung den Inhalt des Vertrags bestimmen, während die Geschäftsgrundlage gerade nicht Inhalt des Vertrags sei.37 Beiden Rechtssystemen ist gemein, dass der subsidiäre Charakter des Geschäftsgrundlageninstituts bereits vor der Reform anerkannt wurde. Nur in Ausnahmesituationen wurde auf das Geschäftsgrundlageninstitut unter Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda zurückgegriffen.38 Rechtsprechung und Literatur hatten bereits vor der Kodifizierung in beiden Rechtsordnungen die Voraussetzungen und Rechtsfolgen für das Geschäftsgrundlageninstitut festgelegt.39 Auch die Gewährung der Anpassungsmöglichkeit als Primärrechtsfolge ist als eine weitere Gemeinsamkeit zu erwähnen. Die Vertragsauflösung sollte nur als Ultima-ratio-Rechtsfolge herangezogen werden.40 Dies verdeutlicht, dass die türkische sowie die deutsche Rechtsprechung und Rechtslehre bereits vor der Reform großen Wert auf die Einräumung einer flexiblen Rechtsfolge legten. Neben den genannten wenigen Gemeinsamkeiten innerhalb der Entwicklung und der Geschichte des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind gravierende Unterschiede zu nennen. Die Idee zur Kodifizierung des Geschäftsgrundlageninstituts entstand im deutschen Recht im Unterschied zum türkischen Recht bereits im 19. Jahrhundert. Im Jahre 1850 beschäftigte sich Windscheid41 erstmals mit der Geschäftsgrundlagenproblematik, indem er eine Abgrenzung zwischen dem unbeachtlichen Motivirrtum und der Bedingung vornahm und erste Gedanken zum Institut der Geschäftsgrundlage entwickelte. Oertmann42 knüpfte 1921 an die Theorie von Windscheid an und entwickelte diese fort. Die Auseinandersetzung mündete in der Formulierung einer Definition des Begriffs der Geschäftsgrundlage, welche vor allem auf 37 Köhler, Unmöglichkeit, S. 124; 157 f.; Mayer-Maly, FS Flume Bd. I, S. 621 (625); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 31; Littbarski, JZ 1981, S. 8 (11); Gürsoy, Clausula, S. 18; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 82; Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 33 f.; Og˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku, S. 155 Fn. 510. 38 Vgl. oben für die deutsche Rechtsprechung: Kapitel 1, § 1, B., II., 1. Subsidiarität der Geschäftsgrundlage. Für die türkische Rechtsprechung: Y.13.HD., 03. 02. 1997, E. 1997/491, K. 1997/640; Y.13.HD., 16. 05. 2002, E. 2002/4314, K. 2002/5683; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-302, K. 2003/340; Y.3.HD., 25. 04. 2011, E. 2011/5539, K. 2011/6984; Y.3.HD., 03. 07. 2012, E. 2012/11928, K. 2012/16705. 39 Vgl. oben für das deutsche Rechtsystem: Kapitel 1, § 1 Die Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht. Für das türkische Rechtssystem: Kapitel 2, Teil. 1. Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht. 40 Vgl. oben für die deutsche Rechtsprechung: Kapitel 1, § 1, B., II., 5. Rechtsfolge. Für die türkische Rechtsprechung: Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13-852, K. 2002/ 864; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.HGK., 17. 09. 1997, E. 1997/11460, K. 1997/651; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199; Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/147, K. 1981/932. 41 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 3. Windscheids sog. Lehre der Voraussetzung. 42 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 4. Oertmanns sog. Geschäftsgrundlagenlehre.

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

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subjektive Merkmale abstellte.43 Diese Definition wird im deutschen Rechtssystem bis heute verwendet.44 Die türkische Rechtslehre hingegen hat sich weder in der Vergangenheit noch gegenwärtig mit der Ausarbeitung einer Definition beschäftigt. Dies verdeutlicht, dass die türkische Rechtslehre die Geschäftsgrundlage zunächst nicht als eigenständiges Rechtsinstitut anerkannte. Es wurde immer auf bestehende Rechtsinstitute, wie beispielsweise die Unmöglichkeit, die Übervorteilung oder auf den Grundlagenirrtum, zurückgegriffen. Mit anderen Worten lag aus Sicht der türkischen Rechtslehre kein Erfordernis vor, ein neues Institut zu entwickeln. Nach einigen Versuchen der deutschen Gerichte, die Geschäftsgrundlagenproblematik über die Unmöglichkeitsregeln zu lösen, erkannte die deutsche Rechtsprechung aufgrund der unbefriedigenden Ergebnisse auf Rechtsfolgenebene, dass es sich bei der Geschäftsgrundlagenproblematik um ein eigenständiges Institut handelt. Daher begann sie bereits im Jahr 1920, die Geschäftsgrundlagenproblematik anhand des Zumutbarkeitskriteriums einheitlich über den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB zu lösen.45 In der türkischen Rechtsprechung war bis zur Kodifikation des Art. 138 tOR eine der deutschen Gerichte vergleichbare Tendenz nicht zu erkennen. Sie löste die Geschäftsgrundlagenproblematik je nach Bedarf mit Hilfe unterschiedlicher Institute, wie beispielsweise der Unmöglichkeit,46 der Vertragsergänzungen47 oder dem Grundsatz von Treu und Glauben.48 In der Gegenüberstellung erscheint die deutsche Rechtsprechung als die methodisch gradlinigere, weil man sich im Laufe der Zeit jeweils auf die Anwendung einer Theorie fokussiert hat. Hingegen hat möglicherweise auch der Grundsatz des Art. 1 Abs. 2 tZGB in der türkischen Rechtsprechung zu einer gegensätzlichen Entwicklung beigetragen. Es wurden verschiedene Theorien nach Belieben zur Lösung herangezogen. 43

Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37. RGZ 103, S. 328 (332); BGH NJW 1951, S. 836; NJW 1953, S. 1585; NJW 1958, S. 297 (297 f.); NJW 1964, S. 861; NJW 1973, S. 1685 (1686); NJW 1979, S. 1818; NJW 1982, S. 2184 (2185); NJW 1993, S. 259 (262); NJW 1995, S. 592 (593); NJW 1995, S. 2028 (2031); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 3371 (3372); NJW 1999, S. 1623 (1625); NJW 2001, S. 1204 (1205); NJW-RR 2006, S. 1037 (1038). 45 RGZ 100, S. 129 (129 ff.). 46 Y.4.HD., 24. 02. 1970, E. 1669/12400, K. 1970/1455; Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/ 5000, K. 1975/891; Y.4.HD, 10. 10. 1978, E. 1281, K. 11161; Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/ 11-773, K. 1980/2310. 47 Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 26. 02. 1997, E. 1996/9679, K. 1997/119. 48 Y.11.HD., 13. 07. 2006, E. 2005/7970, K. 2006/8381; Y.13.HD., 18. 05. 2005, E. 2005/ 9656, K. 2005/15444; Y.11.HD., 17. 11. 2003, E. 2003/3966, K. 2003/10900; Y.11.HD., 21. 03. 2002, E. 2001/10788, K. 2002/2578; Y.3.HD., 14. 09. 2000, E. 2000/8382, K. 2000/8036; Y.11.HD., 17. 11. 1997, E. 1997/6293, K. 1997/8200; Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1997/77; Y.13.HD., 05. 04. 1995, E. 1995/145, K. 1995/3339; Y.HGK., 03. 05. 1995, E. 1995/9-392, K. 1995/494. 44

412

Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen liegt darin, dass im deutschen Recht bestehende Theorien und Ansätze unter Kritik fortentwickelt wurden. Entscheidend ist jedoch, dass im Endeffekt alle Theorien auf die Entwicklung der Störung der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht einen Einfluss gehabt haben. Beispielsweise wurden die Gedankengänge Windscheids49 und Oertmanns50 als zu subjektiv empfunden, da sie sich zu sehr am Willen der Parteien orientierten.51 Daraufhin wurden Theorien entwickelt, die auch objektive Aspekte beachteten.52 Nach der Entwicklung einer rein objektiven und rein subjektiven Theorie im deutschen Recht führte Larenz eine Trennung zwischen diesen beiden Formen ein.53 Er verlangte die unterschiedliche Behandlung der objektiven54 und der subjektiven Geschäftsgrundlagenstörung55 mit unterschiedlichen Rechtsfolgen, wobei er die subjektive Geschäftsgrundlagenstörung bei den Irrtumsregeln einordnete. Diese Trennung durch Larenz wurde von der deutschen Rechtslehre stark kritisiert.56 Später erkannte auch Larenz an, dass die unterschiedliche Behandlung beider Arten der Geschäftsgrundlagenstörung mit ihren unterschiedlichen Rechtsfolgen nicht sachgerecht ist.57 Vor allem die unterschiedliche Behandlung auf der Rechtsfolgenebene fand in der deutschen Rechtslehre kaum Anerkennung. Auf diese Kritik folgte Lehmann58 mit seiner Vereinigungstheorie, nach der sowohl objektive als auch subjektive Momente der Geschäftsgrundlage in einer einheitlichen Definition untergebracht und vor allem eine einheitliche Rechtsfolge festgelegt werden sollte. Völlig anders verhielt es sich im türkischen Recht. Ein Entwicklungsprozess wie im deutschen Recht fand in der türkischen Rechtslehre und Rechtsprechung nicht statt. Die Theorien wurden vielmehr unabhängig voneinander und ohne Zusammenhang entwickelt. Eine Unterteilung nach objektiver oder subjektiver 49

zung. 50

lehre.

Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 3., b) Kritik an Windscheids sog. Lehre der VoraussetVgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 4., b) Kritik an Oertmanns sog. Geschäftsgrundlagen-

51 Lenel, AcP 74 (1889), S. 213 (221 ff.); ders., AcP 79 (1892), S. 49 ff.; Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (4 ff.); Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (21 ff.); Wieling, Jura 1985, S. 505 (507); ders., Jura 2001, S. 577 (584); Krückmann, AcP 131 (1929), S. 1 (3 f., 10 ff.); Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 8; Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (155 ff.). 52 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, A., I., 5. Die Entwicklung der objektiven Lehren. 53 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 1. Larenz. 54 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 185; ders., SchuldR14 Bd. I, § 21 II, S. 324. 55 Larenz, AT7, § 20 III, S. 392. 56 Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1 (1 ff., insbesondere 24 ff.); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 19 ff.; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 25 f.; Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 68 (71 ff.); Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (196); Esser, JZ 1958, S. 113 (115); Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (279 ff.). 57 Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. VI. 58 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 3. Lehmann.

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

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Geschäftsgrundlage und folglich eine Diskussion über die Rechtsfolgen wurde in der türkischen Literatur nicht geführt. Dieser Umstand beeinflusste auch die Kodifikation des Art. 138 tOR, da der türkische Gesetzgeber keine Theorien oder Diskussionen als Grundlage vorfand, an denen er sich orientieren konnte. Der deutsche Gesetzgeber hingegen konnte sich anhand der unterschiedlichen Ansichten in der deutschen Literatur Schritt für Schritt an eine optimale Lösung herantasten. Der Mangel einer derartigen Unterstützung seitens der türkischen Literatur könnte zumindest teilweise eine Erklärung für die entstandenen Mängel und Lücken bei der Gesetzgebung des Art. 138 tOR sein. Die türkische Rechtslehre und Rechtsprechung importierte vielmehr die in anderen Ländern angewandten Begriffe und Theorien. Das Institut der Geschäftsgrundlage wurde mal als imprévision, mal als clausula rebus sic stantibus oder auch mal als Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgefasst.59 Was dabei übersehen wurde, war, dass zwischen diesen Theorien zwar Parallelen, jedoch aber auch nennenswerte Unterschiede vorhanden sind und diese folglich nicht gleichbehandelt und nebeneinander angewendet werden können. Während die clausula rebus sic stantibus eher weit ausgelegt wird, hat die imprévision einen engen Anwendungsbereich.60 Dies verdeutlicht, dass die türkische Rechtsprechung und Rechtslehre nicht auf der Suche nach einer dogmatischen Zuordnung des Geschäftsgrundlageninstituts war, sondern versuchte, anhand vorhandener Normen und Theorien, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Instituts der Geschäftsgrundlage zu bestimmen. In Bezug auf die Geschäftsgrundlagenproblematik haben sich in der türkischen Rechtslehre im Unterschied zum deutschen Recht verschiedene Ansichten entwickelt. Im türkischen Recht spielte vor allem der Grundlagenirrtum zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik eine große Rolle.61 Der Grundlagenirrtum gem. Art. 24 tOR a. F. (Art. 32 n. F.) lag vor, wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet wurde. Dies stellt einen beachtlichen Motivirrtum dar. Auch wenn Parallelen zu der deutschen Regelung des Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB vorhanden sind, war der Art. 24 tOR a. F. in seinem Anwendungsbereich weiter gefasst als § 119 Abs. 2 BGB. § 119 Abs. 2 BGB bezieht sich lediglich auf Irrtümer hinsichtlich der Eigenschaften einer Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Gemäß Art. 24 tOR a. F.

59 Tezcan, Clausula, S. 1, 15; Gürsoy, Clausula, S. 1 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 3 f.; Tunçomag˘, ˙IÜHFM C. 32, Sa. 2 – 4, S. 884 (887); Y.13.HD., 13. 12. 2001, E. 2001/ 11523, K. 2011/11752; einige Entscheidungen des Kassationshofs bezüglich der gleichrangigen Behandlungen dieser Begriffe: Y.HGK., 19. 02. 1997, E. 1996/11-762, K. 1996/77; Y.13.HD., 16. 04. 1996, E. 1996/3653, K. 1996/3920. 60 BT Druck. 14/6040, S. 175; Baysal/Cashin-Ritaine, I˙ÜHFM C. LXIII, Sa. 1 – 2, S. 321 (322 ff.). 61 Vgl. oben Kapitel 2, Teil. 1., B., II. Lösung über die Grundsätze des sog. Grundlagenirrtums.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

hingegen waren auch alle Geschäftsumstände zu berücksichtigen. Die h. L.62 in dem türkischen Rechtssystem behandelt bereits sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform Probleme falscher Vorstellungen beim Vertragsabschluss als Grundlagenirrtum. In der türkischen Literatur versuchten Vertreter einer Mindermeinung,63 auch die Probleme, die sich aus nachträglichen Änderungen der Umstände ergeben, über den Grundlagenirrtum zu lösen, womit für eine Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kein Bedarf bestehen würde. Die Geschäftsgrundlagenproblematik mit Hilfe des Grundlagenirrtums zu lösen ist ungeeignet, denn aus dem Wortlaut der Irrtumsvorschriften folgt, dass der Grundlagenirrtum auf den Moment des Vertragsabschlusses zeitlich begrenzt, ist, ohne eine Möglichkeit der Ausdehnung auf zukünftige Änderungen. Zudem regeln Irrtumsvorschriften eine unbewusste Abweichung zwischen Erklärtem und Gewolltem einer Partei bei Vertragsabschluss. Die Geschäftsgrundlagenproblematik umfasst Änderungen von Umständen, welche sich unabhängig von dem Willen der Parteien nach Vertragsschluss aufgrund äußerer Umstände ergeben. Im Übrigen führt der Grundlagenirrtum, welcher die Anfechtung des Vertrags vorsieht, auch auf der Rechtsfolgenebene zu unbefriedigenden Ergebnissen. Dem Grundsatz pacta sunt servanda entsprechend muss man abgeschlossene Verträge auch einhalten. Bei Veränderungen der Umstände sollte somit primär immer eine Vertragsanpassung vorgenommen werden. Die türkische Rechtsordnung wandte zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik zusätzlich auch die Grundsätze des Rechtsmissbrauchs an.64 Die deutsche Rechtsordnung nahm diesen Bezug nicht vor. Das kann auch darauf zurückzuführen sein, dass der Rechtsmissbrauch im deutschen Recht – im Gegensatz zum türkischen Recht – gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist. Der Rechtsmissbrauch wird im deutschen Recht vielmehr aus § 242 BGB hergeleitet. Im türkischen Recht ist in Art. 2 Abs. 2 tZGB ausdrücklich festgehalten, dass der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz vermittelt. Die Normierung dieses Grundsatzes veranlasste einige Autoren, hieran anzuschließen. Denn nach einer Ansicht in der türkischen Literatur65 wurde befürwortet, die Geschäftsgrundlagenproblematik im türkischen Recht unmittelbar nach Art. 2 Abs. 2 tZGB zu lösen. Begründet wurde dies damit, dass das Leistungsverlangen trotz der Änderung der Umstände einen Rechtsmissbrauch darstellen würde.66 62

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 69; Özsunar, Roma ve Türk Hukukunda Hata, S. 99; Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 159, 161; ders., Borçlar Hukuku, S. 386 ff.; Eren, Borçlar Hukuku14, S. 391; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Akıncı, Borçlar Hukuku, S. 107; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (61). 63 Kocayusufpas¸aog˘lu, Hata, S. 159, 161. 64 Vgl. oben Kapitel 2, § 1, B., VI. Rechtsmissbrauch. 65 Vgl. oben Kapitel 2, § 1, B., V., 2., a) Die Anwendung befürwortende Ansicht. 66 Gürsoy, Clausula, S. 35; Offinger, SJZ 36 (1939/1940), S. 178 (247); Merz, ZRS 61 (1942), S. 393a (508a); Keller/Schöbi, Das Schweizerische Schuldrecht3, S. 255; Rieder, Der Eingriff des Richters in bestehende Verträge, S. 96; BGE 68 II, S. 169 (173 ff.); 93 II, S. 185

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

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Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Rechtssystemen besteht darin, dass die türkische Rechtsordnung zur Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik, neben den anderen Möglichkeiten, auf das Institut der Übervorteilung gem. Art. 21 tOR a. F. zurückgriff.67 Art. 21 tOR a. F. bezog sich auf das offensichtliche Missverhältnis zwischen den Leistungen beim Vertragsabschluss. Diese Regelung konnte auch bei einem nachträglich auftretenden Missverhältnis, vor allem bei Äquivalenzstörungen, angewendet werden. Der türkische Gesetzgeber verlangte bei einer Übervorteilung gem. Art. 21 tOR a. F. dem Wortlaut entsprechend zwar die Anfechtung des Vertrags, in der Rechtsliteratur war jedoch, inspiriert durch die schweizerische Rechtsprechung,68 auch die Anpassung als eine Rechtsfolge teilweise anerkannt. Die Übervorteilung ist auch im deutschen Recht kodifiziert. Sie sieht jedoch als Rechtsfolge die Nichtigkeit des Vertrags gem. § 138 Abs. 2 BGB vor. Der Grund dafür, dass die deutsche Rechtslehre im Gegensatz zur türkischen Literatur und Rechtsprechung keine Lösungsansätze über dieses Institut unternahm, liegt in der strengeren Rechtsfolge des § 138 Abs. 2 BGB. Zudem hat sich das Institut der Übervorteilung als eine ungeeignete Lösung für die Geschäftsgrundlagenproblematik erwiesen.69 Die Übervorteilung und das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unterscheiden sich erheblich in ihrem Sinn und Zweck und ihren Rechtsfolgen. Während die Übervorteilung die Vertragsfreiheit einschränkt und dem Schutz des Schwächeren dient, verfolgt der Wegfall der Geschäftsgrundlage die Schaffung einer Vertragsgerechtigkeit unter Beachtung beider Interessen. Bei der Übervorteilung spielt die Ausnutzung der Notlage oder die Unerfahrenheit einer Partei eine enorme Rolle. Zudem stellt sich die Übervorteilung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ab, während der Wegfall der Geschäftsgrundlage in den meisten Fällen nachträgliche Änderungen der Umstände berücksichtigt. Das türkische Rechtssystem gewährt dem Richter einen weiten Ermessensspielraum. Das Gericht ist gem. Art. 1 tZGB bei Fehlen eines Gewohnheitsrechts befugt, Regelungslücken zu füllen, indem es nach der Regel entscheidet, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. Die juristische Fachwelt lehnte deshalb eine ausdrückliche Norm für die Geschäftsgrundlagenproblematik ab.70 Die allgemeinen

(188); 97 II, S. 390 ff.; 100 II, S. 345 ff.; 107 II, S. 343 ff.; 113 II, S. 209 (211 ff.). Diese Ansicht ist aus dem schweizerischen Recht abgeleitet. 67 Vgl. oben Kapitel 2, § 1, B., III. Lösung über die Übervorteilung nach türkischem Recht. 68 BGE 123 III, S. 292 ff. 69 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 74 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 83, 146; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 53; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 61; Schmiedlin, Frustration, S. 139; v. Büren, Schweizerisches Obligationenrecht, S. 227; Topuz, Denge Bozulması, S. 131 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (57); Feyziog˘lu, Emprevizyon, S. 21; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 143. 70 Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (38).

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Aussagen in Art. 1, 2 und 4 tZGB seien ausreichend gewesen, um die Geschäftsgrundlagenproblematik zu lösen.71 In der deutschen Literatur existierte eine solche Ansicht nicht, da das deutsche Rechtssystem dem Richter nicht einen weiten Ermessensspielraum überlässt. Langfristig kann jedoch der weite Ermessensspielraum, aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen bei Fällen ähnlichen Charakters, der Rechtssicherheit Schaden zufügen und zu Vertrauenserschütterung in die Rechtssicherheit führen. Eine von der türkischen Literatur stark kritisierte Vorgehensweise der türkischen Gerichte war der willkürliche Umgang und das willkürliche Entscheidungsverhalten der türkischen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage.72 Bei vergleichbaren Sachverhalten entschieden die verschiedenen Senate des Kassationshofs – manchmal sogar auch derselbe Senat73 – auf unterschiedliche Weise. Bei Mietverhältnissen beispielsweise, die auf der Grundlage von Fremdwährungen geschlossen wurden, akzeptierte die türkische Rechtsprechung die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage.74 In anderen Entscheidungen, in denen der Verbraucher gegen die Bank vorgehen wollte, lehnte die Rechtsprechung die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Begründung ab, in einem von Inflationen geprägten Land seien Währungsschwankungen vorhersehbar.75 Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Gerichte in Fragen der Fremdwährung zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten. Währungsschwankungen in einem von Inflationen geprägten Land sind entweder vorhersehbar oder nicht. Derartige Fälle müssen einheitlich beurteilt werden. Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gegen eine Bank wegen Vorhersehbarkeit der Währungsschwankung zu verweigern, in einem anderen Rechtsstreit die Vorhersehbarkeit zu verneinen, widerspricht dem Ausfluss eines fairen Ergebnisses und damit dem Treu-und-GlaubenGrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 tZGB. Die Entscheidungen setzen sich nicht mit allen in Betracht kommenden Gesetzen auseinander. So finden sowohl die verfassungsrechtliche Vorschrift zum Schutze des Verbrauchers als auch das Verbraucherschutzgesetz in den Entscheidungen keine Berücksichtigung. Nach Art. 172 tV trifft der Staat Maßnahmen zum Schutz und zur Aufklärung der Verbraucher, er fördert somit die Selbstschutzaktivitäten der Verbraucher. Ein weiterer Unterschied in Bezug auf die Entwicklung der Rechtsprechung ist, dass sich die deutsche Rechtsprechung infolge der Kriege und der Wiedervereini71

Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (38). Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 2; Burcuog˘lu, MHAD 1996 Sa. 20, S. 59 (70 ff.). 73 Für Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage: Y.13.HD., 07. 02. 2013, E. 2012/ 8250, K. 2013/2623; Y.13.HD., 29. 05. 2003, E. 2003/3007, K. 2003/7017; Gegen die Anwendung: Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304. 74 Y.13.HD., 07. 10. 1999, E. 1999/6016, K. 1999/6723; Y.13.HD., 03. 07. 2012, E. 2012/ 11928, K. 2012/16705; Y.13.HD., 29. 05. 2003, E. 2003/3007, K. 2003/7017. 75 Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/ 7053, K. 2005/328, Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870. 72

§ 1 Entwicklungen in beiden Rechtssystemen bis zur Kodifikation

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gung76 intensiver mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage beschäftigte. Aufgrund dieser Umstände mussten sich die deutschen Gerichte mit unterschiedlichen Fragen und Themen zu diesem Institut, wie zum Beispiel mit der Regelung falscher Vorstellungen oder der Zweckstörung, auseinandersetzen.77 Ein Blick auf die türkische Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass sich die türkischen Gerichte kaum mit diesen Themen auseinandergesetzt haben. Die Faktizität in der Gesellschaft spiegelt sich auch in dem Rechtssystem wider. Das Rechtssystem wird entsprechend beeinflusst und geformt. Das bedeutet also, dass die unterschiedliche Entwicklung auch mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen soziologischer, ökonomischer oder politischer Art zu tun hat. Diese Gründe haben eine wichtige Rolle bei dem Entstehungs- und Entwicklungsprozess des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gespielt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich Literatur und Rechtsprechung in der Türkei seit siebzig Jahren, die deutsche Rechtsordnung sogar seit über einhundertfünfzig Jahren, aber wesentlich intensiver, mit der Geschäftsgrundlagenproblematik beschäftigt haben. Die Gesetzgebung reagierte auf diese Diskussionen und Streitigkeiten jedoch in beiden Ländern erst spät und kodifizierte schließlich die Störung der Geschäftsgrundlage. Zudem ist beiden Rechtssystemen gemein, dass die jeweilige Rechtsprechung auf dem langen Weg bis zur Kodifizierung zunächst die Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik über vorhandene Normen, wie beispielsweise die Unmöglichkeit, zu lösen versuchte. Nach der Erkenntnis, dass diese Lösung nur zu unbefriedigenden Ergebnissen führen kann, griffen die Gerichte in beiden Rechtssystemen hauptsächlich auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurück. In diesem Zusammenhang ist der Hauptunterschied zwischen beiden Rechtssystemen, dass die deutsche Rechtsliteratur und auch die Gerichte den Wegfall der Geschäftsgrundlage bereits sehr früh als eigenständiges Institut anerkannten. Dementsprechend wurden zahlreiche Theorien und Definitionsansätze für dieses Institut entwickelt. Hierbei wurden die einzelnen Theorien in der deutschen Rechtsliteratur zur Kenntnis genommen und aufeinander aufbauend und teilweise korrigierend überarbeitet. In der deutschen Literatur ist demzufolge ein massiver Entwicklungsprozess zu erkennen. Völlig anders verhielt es sich in der türkischen Rechtsordnung. Da der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht als eigenständiges Institut anerkannt wurde, beschäftigte sich die Literatur nicht intensiv mit einer Definition bzgl. Geschäftsgrundlage und löste die Geschäftsgrundlagenproblematik mit vorhandenen Normen, ohne sich über die Dogmatik der Geschäftsgrundlagenproblematik Gedanken zu machen.

76 Vgl. oben Kapitel 1, Teil.1., B., II., 4., a), aa) Die DDR als Beispiel für die Bedeutung der Geschäftsgrundlagenproblematik. 77 BGH NJW 1967, S. 721 (722); NJW 1976, S. 565 (566); BeckRS 1966, 31179730.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR Wie aus dem Vergleich der historischen Entwicklung hervorgeht, haben sich beide Rechtssysteme lange Zeit mit dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beschäftigt und sich schließlich im Zusammenhang mit der Schuldrechtsreform des jeweiligen Landes zu der gesetzlichen Regelung dieses Instituts entschieden. Im Folgenden wird unter Beachtung der jeweiligen Schuldrechtsreform die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dargestellt. In beiden Ländern gab es seit langer Zeit Bestrebungen einer Schuldrechtsmodernisierung, die neben der Regelung der Geschäftsgrundlagenstörung auch viele andere Bereiche des Schuldrechts, wie beispielsweise das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, schaffen bzw. integrieren sollte.78 Trotz unterschiedlicher Vorbereitungen und unterschiedlicher Zeiträume war das Ziel beider Länder eine Gesamtrevision des Schuldrechts und die Einführung gravierender Änderungen (große Lösung).79 Anders als im türkischen Rechtssystem entstand der Gedanke einer Schuldrechtsmodernisierung in Deutschland bereits im Jahre 1978.80 1981 wurden diesbezüglich Gutachten von Wissenschaftlern und Praktikern mit Vorschlägen zur Reform des Schuldrechts verfasst und 1992 schließlich der Abschlussbericht zur Überarbeitung des Schuldrechts veröffentlicht.81 Ziel hierbei war unter anderem die Umsetzung der in den Jahren 1999 bis 2000 entstandenen EU-Richtlinien, was auch der Hauptgrund für die Verzögerung der Schuldrechtsmodernisierung in Deutschland war.82 In der Türkei hingegen war das Ziel für die Modernisierung die Erschaffung eines neuen, großen Obligationengesetzes. Hauptintention war die Schaffung einer eigenen Rechtsordnung.83 Das Obligationengesetz von 1926 war von der Schweiz übernommen worden und wies daher eine lang zurückliegende Entstehung vor.84 Obwohl der türkische Gesetzgeber die Intention hatte, sich an den europäischen Richtlinien zu orientieren, hat das schweizerische Recht dennoch bei der türkischen Gesetzgebung erneut mehr Einfluss als das EU-Recht.85 Der Grund für eine 78 Krebs, DB 2000, Beilage Nr. 14, S. 1 (27 f.); Däubler-Gmelin, NJW 2001, S. 2281 (2282); Canaris, JZ 2001, S. 499 (524); Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (38 ff.); Atamer, HPD 2006 Sa. 6, S. 8 (8 ff.). 79 Vgl. oben Kapitel 1, § 2, A., II., 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform. 80 Plenarprotokoll des BT 8/68, S. 5390. 81 BMJ Abschlußbericht, S. 13 ff. 82 Vgl. oben Kapitel 1, § 2, A., II., 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform. 83 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 2. 84 Vgl. oben Kapitel 2, § 2, A., II., 1. Der Weg zur Schuldrechtsreform. 85 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 2; Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (39).

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR

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Orientierung an den europäischen Richtlinien war die beabsichtigte Mitgliedschaft der Türkei in der EU. Um dieses Ziel zu erreichen, erfolgten diverse Änderungen und Reformen in der türkischen Rechtsordnung.86 Im Rahmen dieser Reformen wollte der türkische Gesetzgeber besonderen Wert auf das EU-Recht legen.87 Im Gegensatz zu der deutschen Jurisprudenz erfolgte die Veröffentlichung der Kommissionsarbeiten in der Türkei erst im Jahr 2005. Neben der Ergänzung von neuen Vorschriften erhielten die meisten Normen trotz Beibehaltung der inhaltlichen Regelung zugleich neue Artikelnummern.88 Folglich wurde also mit der Reform kein neues eigenständiges Gesetzbuch geschaffen; das alte Gesetz wurde größtenteils umgestellt. Zu den herausragenden Erneuerungen gehören der Wegfall der Geschäftsgrundlage und die Einführung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Wie bereits dargestellt, war der Gedanke der Vertragsanpassung an die veränderten Umstände bereits vor der Schuldrechtsreform für beide Rechtssysteme nicht fremd. Dieser Gedanke fand sich im deutschen Recht beispielsweise in §§ 779 und 593 BGB89 wieder und im türkischen Recht in Art. 365 Abs. 2 tOR a. F.90 Trotz des Fehlens einer allgemeinen Norm zur Regelung der Geschäftsgrundlagenproblematik begann die Idee der Kodifizierung dieses Instituts im deutschen Recht im Unterschied zum türkischen Rechtssystem viel früher. Bereits 1892 präsentierte Windscheid einen Vorschlag für die Kodifizierung der Geschäftsgrundlage.91 Es folgten Horn92 und Kegel93 mit der Aufforderung, den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB um einen Absatz 2 mit der Regelung der Geschäftsgrundlagenproblematik zu ergänzen. Horn brachte zudem im Jahre 1981 die Regelung der Geschäftsgrundlagenproblematik mit der Rechtsfolge von Neuverhandlungen zum Vorschlag.94 In den Jahren um 1892 galt in der Türkei ein stark religiös geprägtes Rechtssystem, dem westeuropäische Vorstellungen fremd waren. Während des osmanischen Reichs galt das Kalifat, und die Mecelle war leitendes Gesetzbuch. Kodifikationsvorschläge bezüglich der Mecelle waren nicht denkbar. Die türkische Rechtslehre hatte erst nach Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs und Obligationen86

Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (39). http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 2. 88 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 2. 89 Schmidt, in: StaudingerKomm, BGB1995, § 242 Rn. 975. 90 Belling/Belen, Legal Hukuk Dergisi-Ekim 2006, S. 3025 (3027 f.). 91 Windscheid, AcP 78 (1892), S. 161 (200 ff.). 92 Horn, BMJ Gutachten, Bd. I, S. 551 (636). 93 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (233). 94 Horn, BMJ Gutachten, Bd. I, S. 551 (633). 87

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

gesetzes Gelegenheit, sich mit Themen wie der Geschäftsgrundlagenproblematik zu befassen, und somit großen Nachholbedarf. In der türkischen Rechtslehre mag es evtl. nur Ideen im Verlaufe der Diskussionen gegeben haben, aber keine konkreten Reformideen. Auch die Thematik der Erforderlichkeit der Neuverhandlung war für das türkische Rechtssystem fremd und wurde erst nach der Reform von 2012 diskutiert. Bei der Einführung der großen Schuldrechtsmodernisierung haben sich der deutsche wie auch der türkische Gesetzgeber für die Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage entschieden. Es wurden diesbezüglich Gesetzesentwürfe von Kommissionen vorgestellt. Beide Rechtsordnungen orientierten sich bei der Kodifizierung im Wesentlichen an den ersten Gesetzesentwürfen. Der deutsche Gesetzgeber ergänzte seinen ersten Entwurf um den Zusatz der Wesentlichkeit der Vorstellungen. Der türkische Gesetzgeber ergänzte die Voraussetzung der Änderung der Umstände um den Begriff der Außerordentlichkeit. Es sollte so vermieden werden, dass bei jeder kleinen Änderung der Umstände auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen wird. Auch in dieser Änderung und dem darin liegenden Gedanken besteht in beiden Systemen eine Gemeinsamkeit. Die Kodifizierung der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtssystemen wurde zwar von der Literatur sehr begrüßt, die Entwürfe und folglich auch die Vorschriften der Geschäftsgrundlagenproblematik selbst blieben jedoch in beiden Ländern nicht ohne Kritik.95 Neben dem Standort der Regelungen zur Geschäftsgrundlage96 und der Nichtregelung der Erforderlichkeit einer Neuverhandlungspflicht97 wurde auch die unklare Abgrenzung zu den Unmöglichkeitsregeln in beiden Rechtsordnungen kritisiert.98 Neben den Gemeinsamkeiten zwischen beiden Rechtssystemen sind auch gravierende Unterschiede bei der Kodifikation der Geschäftsgrundlage vorhanden.

95

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Atamer, HPD 2006 Sa. 6, S. 8 (27); Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 87 f.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 114 f. und besonders Fn. 3; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C¸avus¸og˘lu-Is¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na ˙Ilis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 96 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90. Kritik an § 307 DiskE: Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305 (322 f.); Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (830); Meyer-Pritzl, in: HKK2007, BGB, § 313 Rn. 49; Teichmann, BB 2001, S. 1485 (1491); Krebs, DB 2000, Beilage Nr. 14, S. 1 (13); Medicus, NJW 1992, S. 2384 (2387). 97 Gürsoy, Clausula, S. 173; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 227 ff.; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 244. Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279); Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (196 f.); Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2699, 2702); Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 219. 98 Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘lu-Is¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na I˙lis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. Für das deutsche Rechtssystem: Besiekierska, Leistungserschwerung, S. 47; Wilhelm, JZ 2001, S. 861 (867); Canaris, JZ 2001, S. 499 (501); Stoll, JZ 2001, S. 589 (592).

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR

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Ein wesentlicher Unterschied zeigt sich im Standort der Vorschriften in beiden Rechtssystemen. In der deutschen Rechtsordnung befindet sich die Regelung des § 313 BGB im Abschnitt „Schuldverhältnisse aus Verträgen“ unter dem Untertitel „Anpassung und Beendigung von Verträgen“. Der türkische Gesetzgeber hingegen hat den Art. 138 tOR bei den „Erlöschens- und Verjährungsgründen“ ohne Untergliederung unmittelbar an die Unmöglichkeitsregeln im Abschnitt 3 aufgelistet. Diese Positionierung und die Überschrift als „Leistungserschwerung“ verleiten zu der Annahme, die Geschäftsgrundlage würde unter die Unmöglichkeitsregeln fallen, obwohl der Gesetzgeber in seiner Begründung den Unterschied zwischen dem Unmöglichkeits- und dem Geschäftsgrundlageninstitut erwähnt. Artikel 138 tOR sieht im Gegensatz zu den Unmöglichkeitsregeln primär die Anpassung als Rechtsfolge vor. Die korrekte systematische Zuordnung dieses Instituts spielt vor allem für die Beurteilung des Richters eine Rolle. Bei analogen Anwendungen oder Interpretationsfragen findet der systematische Standort als Beurteilungshilfe seine Beachtung. Die Unmöglichkeitsregeln sind im Übrigen eng gefasst, Art. 138 tOR eröffnet hingegen einen weiten Spielraum. Dieser Unterschied ist in der Rechtslehre bislang auch anerkannt.99 Wie oben ausgeführt sind Sinn und Zweck der Unmöglichkeit und der Geschäftsgrundlagenproblematik sehr unterschiedlich.100 Aus diesen Gründen lässt sich die Platzierung der Norm ohne Untergliederung unmittelbar im Anschluss an die Unmöglichkeitsregeln im Abschnitt 3 nicht nachvollziehen. Daher wäre es nach hiesiger Ansicht empfehlenswert, den Wegfall der Geschäftsgrundlage in den zweiten Abschnitt des Obligationenrechts „Die Folgen der Nichterfüllung“ innerhalb eines weiteren Untertitels unter der Überschrift „Anpassung und Beendigung von Verträgen“ einzugliedern. Im zweiten Abschnitt des Obligationenrechts sind die Schlechterfüllung in Art. 112 tOR und der Schuldnerverzug in Art. 117 tOR geregelt. Die Gemeinsamkeit der Regelungen des zweiten Abschnitts besteht darin, dass die Rechtsfolge nicht die automatische Beendigung des Vertragsverhältnisses ist. Das Schuldverhältnis bleibt weiterhin bestehen. Lediglich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen oder eines bestimmten Vorgangs (z. B. Mahnung beim Verzug Art. 117 tOR) kann die Beendigung des Vertrags mit Hilfe der Kündigung oder des Rücktritts erreicht werden. Diese Gemeinsamkeit entspricht der Regelung der Geschäftsgrundlage. Auch bei der Geschäftsgrundlage ist die Anpassung des Vertrags vorrangig und die Vertragsauflösung nur als ultima ratio vorgesehen. Als eine weitere alternative Lösung wäre auch die Platzierung des Art. 138 tOR unter dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. Art. 2 tZGB denkbar. Denn Art. 2 tZGB ist nicht im Obligationengesetz, sondern im türkischen Zivilgesetzbuch Alpagut, ˙Is¸lem Temelinin C¸ökmesi, S. 15; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 124 ff.; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 128 ff.; Dural, ˙Imkansızlık, S. 25, 88 ff.; Gürsoy, Clausula, S. 26 ff.; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (55); Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 60 ff.; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 16; Merz, ZSR 61 (1942), S. 393a (415a); Caytas, Unerfüllbarer Vertrag, S. 206; Topuz, Denge Bozulması, S. 122 ff. 100 Vgl. oben Kapitel 2, § 1, B., IV. Lösung über die Unmöglichkeit. 99

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

normiert. Um eine für das gesamte Zivilrecht geltende Allgemeingültigkeit der Regelung zu erreichen, bietet es sich daher an, die Regelung im Zivilgesetzbuch zu kodifizieren. Die türkische Literatur hatte, wie oben erörtert, bereits lange Zeit darüber diskutiert, die Geschäftsgrundlagenproblematik mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben zu lösen. Auch in der Gesetzesbegründung des Art. 138 tOR wird ausgeführt, dass dieses Institut eine spezielle Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist.101 Weiterhin würde die Einführung der Geschäftsgrundlage unmittelbar nach dem Grundsatz von Treu und Glauben in das Zivilgesetzbuch den subsidiären Charakter der Geschäftsgrundlage untermauern und die Anwendungsmöglichkeit der Geschäftsgrundlage auf alle Verträge besser hervorheben. Dieser Gedanke findet sich auch im deutschen Recht. Die deutsche Literatur vertrat ebenfalls die Ansicht, die Geschäftsgrundlage mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben zu lösen und in § 242 BGB zu kodifizieren.102 Hält man sich nun beide Vorschläge für die systematische Zuordnung des Art. 138 tOR vor Augen, könnte sich die Umsetzungsoption nahe dem Grundsatz von Treu und Glauben schwieriger als angenommen gestalten, da die Reform des Zivilgesetzbuches bereits im Jahre 2002 erfolgte und der Gedanke der Kodifizierung der Geschäftsgrundlage zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte. Eine weitere Reform des türkischen Zivilgesetzes ist eher unwahrscheinlich. Realistischer und vorzuziehen wäre daher, die Geschäftsgrundlage im zweiten Abschnitt des Obligationsgesetzes zu platzieren, da somit ein näherer Sachzusammenhang gegeben ist. Die Schuldrechtsreform erfolgte erst im Juli 2012. In diesem Rahmen ist eine Verbesserung und Neuzuordnung möglich und zumutbar. Dem türkischen Gesetzgeber steht weiterhin die Option der Überarbeitung der Reform offen, da die Neuregelungen bislang kaum angewandt wurden. Des Weiteren sind die Überschriften der Geschäftsgrundlagenregelungen beider Länder sehr unterschiedlich. Im türkischen Recht lautet die Überschrift „Leistungserschwerung“, im deutschen Recht hingegen „Störung der Geschäftsgrundlage“. Die Wahl der türkischen Überschrift verleitet zu der Annahme, diese Norm würde nur die Fälle der Leistungserschwerung regeln, was nicht der Absicht des Gesetzgebers entspricht. Die Leistungserschwerung bildet lediglich eine eher selten angewandte Fallgruppe der Geschäftsgrundlage. Die Geschäftsgrundlagenproblematik hingegen umfasst mehrere Fallgruppen, wie Äquivalenzstörung, Zweckstörung und Leistungserschwerung. Allein eine Fallgruppe als Überschrift zu verwenden, ist weder zutreffend noch praktisch sachgerecht. Bereits bei den Gesetzesentwürfen wurde die Überschrift in der Literatur kritisiert.103 Der Literatur zu101

http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 77. 102 Meyer-Pritzl, in: HKK, BGB2007, § 313 Rn. 49. 103 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (47); Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 114 Fn. 2.

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR

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folge ist eine allgemeinere Bezeichnung geeigneter und zutreffender, wie beispielsweise „Anpassung des Vertrags“. Bedauerlicherweise hat der türkische Gesetzgeber diese Kritik zwar zur Kenntnis genommen, allerdings nicht umgesetzt.104 Zur Begründung wird die Vermeidung des Numerus-clausus-Gedankens angeführt.105 Nach dem türkischen Gesetzgeber ist die Unterteilung der Geschäftsgrundlage in Fallgruppen, beispielsweise in Äquivalenzstörung und Zweckstörung, nicht abschließend. In der Zukunft können sich neue Fallgruppen bilden. Eine Untergliederung in einzelne Fallgruppen hat der Gesetzgeber daher gem. Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 tZGB den Gerichten überlassen.106 Die Wahl der Überschrift „Leistungserschwerung“ ist unverständlich und widersprüchlich, da bereits die Unterteilung in Fallgruppen den Numerus-claususGedanken verkörpert. Eine sachgerechte Begründung des Gesetzgebers für die Wahl der Überschrift ist daher nicht erkennbar. Die Erläuterung des Gesetzgebers, er habe die Unterteilung der einzelnen Fallgruppen den Gerichten gem. Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 tZGB überlassen, um damit dem Richter mehr Spielraum zu geben, vermag nicht zu überzeugen. Die Wahl der Überschrift „Leistungserschwerung“ vermittelt dem Anwender wie auch dem Richter den Eindruck, der Gesetzgeber habe nur die Leistungserschwerung regeln und die anderen Fallgruppen auslassen wollen. Dies erweckt, entgegen der Begründung des Gesetzgebers, sehr wohl den Eindruck eines Numerus-clausus-Gedankens. Statt dem Richter mehr Spielraum überlassen zu wollen, schränkt der Gesetzgeber den Spielraum mit der Wahl dieser Überschrift eher ein, da er sich nach außen lediglich auf die Leistungserschwerung beschränkt. Der deutsche Gesetzgeber wählt zutreffend eine allgemeine amtliche Überschrift. Er hat bewusst die Fallgruppen im Wortlaut nicht geregelt, um einem Numerusclausus-Gedanken vorzubeugen. Eine Änderung der Überschrift der türkischen Regelung wäre äußerst empfehlenswert, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für den Rechtsanwender zu gewährleisten. Eine direkte Übernahme der deutschen Überschrift „Störung der Geschäftsgrundlage“ kann nicht erfolgen, weil § 313 BGB sich im Gegensatz zu der türkischen Regelung in zwei Absätze untergliedert: Während Abs. 1 den Wegfall der Geschäftsgrundlage regelt, regelt Abs. 2 das Fehlen der Geschäftsgrundlage. Die Betitelung als „Störung der Geschäftsgrundlage“ im deutschen Recht ist daher angemessen. Die türkische Vorschrift enthält lediglich den Wegfall der Geschäftsgrundlage, wobei das Fehlen der Geschäftsgrundlage über den Grundlagenirrtum

104 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90; Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S 114 Fn. 2. 105 Türkiye Büyük Millet Meclisi Adalet Komisyonu Raporu 12. 01. 2009, E. 1/499, K. 21, S. 22. 106 Für die Begründung der Gesetzgeber: Türkiye Büyük Millet Meclisi Adalet Komisyonu Raporu 12. 01. 2009, E. 1/499, K. 21, S. 22; http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanu nlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss.pdf, S.Sayısı 321, S. 11, 77.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

gem. Art. 32 tOR geregelt wird. Als mögliche Lösung – entsprechend angemessen – kommt daher der Titel „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ in Betracht. Es ist auch nicht sachgerecht, falsche Vorstellungen beim Vertragsabschluss mit Hilfe des Grundlagenirrtums zu lösen. Die Rechtsfolge des Irrtums ist ungeeignet für falsche Vorstellungen beim Vertragsabschluss, da sie die Anfechtung vorsieht. Empfehlenswert wären Probleme, die durch falsche Vorstellungen beim Vertragsabschluss entstehen, auch mit Hilfe der Regelung zur Geschäftsgrundlage zu lösen. Vorausgesetzt, dass Art. 138 tOR um die Regelung der fehlenden Geschäftsgrundlage ergänzt wird, könnte die „Störung der Geschäftsgrundlage“ sehr wohl als Überschrift benutzt werden. Eine (rasche) Änderung der oben genannten Mängel des Art. 138 tOR kann nicht erwartet werden. Anstatt auf eine Nachbesserung zu warten, sollten die Rechtsanwender die – den restlichen Inhalt der Norm verengende – Überschrift „Leistungserschwerung“ unter Zuhilfenahme der Begründung des Gesetzgebers bei ihrer Interpretation weit auslegen. Da die Überschrift des Art. 138 tOR nicht amtlich und somit nicht Teil des Gesetzestextes ist, eröffnet dies im Unterschied zum deutschen Recht die Möglichkeit einer weiteren Interpretation und Auslegung. Ein weiterer erheblicher Unterschied zwischen beiden Normen in dem jeweiligen Rechtssystem liegt in ihrem Aufbau. Während § 313 BGB in mehrere Absätze gegliedert ist und somit den Überblick wahrt und die Verständlichkeit fördert, besteht Art. 138 tOR aus zwei Absätzen: Der erste besteht aus einem sehr verschachtelten Satz von weit überdurchschnittlicher Länge, der zweite aus einer sehr kurzen Ergänzung. Absatz 1 enthält sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen des Art. 138 tOR in einem Satz. Dies führt zu Verständnisproblemen. Eine Gliederung in Voraussetzungen und Rechtsfolgen, wie im deutschen Recht, ist nicht vorhanden.107 Die Verständlichkeit der Normen im türkischen Recht zu verbessern waren einer der Gründe für die Reform des Schuldrechts. Das Obligationengesetz war in alttürkischer Sprache verfasst und führte stets zu Verständnisproblemen. Obwohl der Art. 138 tOR neu kodifiziert und in Neutürkisch verfasst wurde, sind Verständnisprobleme aufgrund von Formulierungsfehlern dennoch geblieben.108 Zum einen wird das Verständnisproblem durch die Länge des Paragraphen enorm eingeschränkt, da er an Übersichtlichkeit verliert; zum anderen fehlt es an einer korrekten Verwendung juristischer Begriffe, wie beispielsweise die Verwendung des Begriffs „Schuldner“ statt „Vertragspartner“. Das zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber das Ziel der Verständlichkeit nicht erreichen konnte.

107

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 89; Kuntalp/Barlas/Ayanog˘lu-Moralı/C ¸ avus¸og˘luIs¸ıntan/I˙pek/Yas¸ar/Koç, Türk Borçlar Kanunu’na ˙Ilis¸kin Deg˘erlendirmeler, S. 84. 108 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 3.

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR

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Absatz 2 des Art. 138 tOR bestimmt die Anwendung dieser Vorschrift auf Fremdwährungen. Diese Ergänzung um Abs. 2 ist nicht erforderlich. Fälle der Fremdwährung fallen bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 tOR auch ohne den Zusatz in Abs. 2 unter das Institut der Geschäftsgrundlage. Der zweite Absatz war in den Gesetzesentwürfen nicht enthalten und wurde unmittelbar vor der Kodifizierung eingeführt. Es gibt keinerlei Erklärung in der Gesetzesbegründung, warum der Gesetzgeber den Abs. 2 in Art. 138 tOR eingeführt hat. Nach Ansicht der Verfasserin ist die Erklärung für den kurzfristig eingeführten Zusatz Abs. 2, dass die Gerichte sich immer häufiger mit Fremdwährungsrechtsstreitigkeiten beschäftigen mussten.109 Im Unterschied zu Deutschland werden die Geschäfte in der Türkei nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene über Verträge mit Fremdwährungsbezug abgewickelt. Als alltägliches Beispiel kann hier der Mietvertrag genannt werden, der als Zahlungsart nicht die Landeswährung, sondern eine Fremdwährung enthält. Dieses Verhalten in der Türkei führt zu verschiedenen Problemen. Während der Arbeitslohn in der Landeswährung vereinbart und ausgezahlt wird, erfolgt die Mietzahlung in Fremdwährungen. Aufgrund der regelmäßigen Wertschwankungen und des Wertverlustes der Landeswährung gerät der Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten hinsichtlich der stabil und unverändert bleibenden Miet- oder Hypothekendarlehen. Daraus folgt das Ersuchen um gerichtliche Klärung. Hierbei wurde das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in den meisten Fällen abgelehnt, da der Kassationshof die Leistung über Fremdwährungen als negative, stillschweigende Vertragsklausel bewertet.110 Nach Ansicht des Kassationshofs verdeutlicht die Leistung über Fremdwährungen, dass der Gläubiger sich dadurch vor den Wertschwankungen der eigenen Währung schützen wolle.111 Der Wegfall der Geschäftsgrundlage dürfe daher wegen der Vorrangigkeit der negativ stillschweigenden Vertragsklausel keine Anwendung finden. Daher kann es eine Intention des Gesetzgebers sein, die verstärkte Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei den Fremdwährungen zu erreichen. Eine weitere Intention des Gesetzgebers kann die Vermeidung willkürlicher Entscheidungen der Gerichte sein, da die verschie-

109 Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304; Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/ 1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/7053, K. 2005/328; Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870; I˙stanbul 4. Tüketici Mahkemesi, 05. 08. 2011, E. 2011/895, K. 2011/631. 110 Y.13.HD., 07. 10. 1999, E. 1999/6016, K. 1999/6723; Y.13.HD., 03. 07. 2012, E. 2012/ 11928, K. 2012/16705; Y.13.HD., 29. 05. 2003, E. 2003/3007, K. 2003/7017; Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/7053, K. 2005/328; Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870. 111 Y.13.HD., 05. 10. 1998, E. 1998/5829, K. 1998/7843.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

denen Senate des Kassationshofs bei vergleichbaren Sachverhalten im Miet- und Bankenrecht unterschiedliche Entscheidungen getroffen haben.112 In Anbetracht dieser Umstände ist es zwar nachvollziehbar, dass der türkische Gesetzgeber bei der Kodifizierung die sozialen und wirtschaftlichen Umstände des eigenen Landes berücksichtigt und dementsprechende Regelungen vorgenommen hat. Den Gerichten war jedoch bislang bei Vorliegen der Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auch ohne den Zusatz in Art. 138 Abs. 2 tOR der Anwendungsbereich dieser Norm auf Fremdwährungsstreitigkeiten eröffnet. Somit hat die Furcht vor einem numerus clausus, die noch in der ersten Zeile der Norm zur Ablehnung einer treffenderen Überschrift führte, den Gesetzgeber im zweiten Absatz nicht davon abgehalten, eine einzige bestimmte Fallkonstellation gesetzlich speziell zu regeln. Dank der Regelung dieser Norm ist zu erwarten, dass die Gerichte in Zukunft bei Streitigkeiten mit Fremdwährungsbezug die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage häufiger in Erwägung ziehen, da Verträge mit Fremdwährungsbezug in der Türkei weit verbreitet sind.113 Aufgrund der wirtschaftlichen Schwankungen in der Türkei werden Vertragsabschlüsse mit Fremdwährungsbezug an Bedeutung auch nicht verlieren. Eine entsprechende Ergänzung um Fälle mit Fremdwährungsbezug ist in der deutschen Rechtsordnung nicht vorhanden. Im Vergleich zu der Türkei sind Vertragsabschlüsse mit Fremdwährungsbezug eher selten. Sind die Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt, kann der § 313 BGB auch bei den Fällen mit Fremdwährungsbezug Anwendung finden. Bezüglich des Aufbaus der Vorschriften ist ein gravierender Unterschied zwischen beiden Ländern hervorzuheben. Die Probleme aufgrund wesentlicher falscher Vorstellungen werden im türkischen Recht als Grundlagenirrtum behandelt und nach Art. 32 tOR angefochten. Im deutschen Recht dagegen ist anerkannt, dass die Probleme aufgrund wesentlicher falscher Vorstellungen nicht über die Irrtumsregeln, sondern über die Geschäftsgrundlagenregeln nach § 313 Abs. 2 gelöst werden und ihre primäre Rechtsfolge die Anpassung des Vertrags ist. Wesentliche falsche Vorstellungen über den Grundlagenirrtum zu lösen, erscheint wenig sachgerecht, da die Rechtsfolge des Grundlagenirrtums die Anfechtung ist. Im Vergleich zu der Rechtsfolge der Geschäftsgrundlagenregelung mit ihrer Option der Vertragsanpassung ist die Anfechtung nicht in jedem Fall die interessengerechte Lösung für die Beteiligten. Wesentliche falsche Vorstellungen beim Vertragsabschluss sollten im türkischen Recht daher auch als fehlende Geschäftsgrundlage 112

Y.13.HD., 07. 10. 1999, E. 1999/6016, K. 1999/6723; Y.13.HD., 03. 07. 2012, E. 2012/ 11928, K. 2012/16705; Y.13.HD., 29. 05. 2003, E. 2003/3007, K. 2003/7017: Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/1874, K. 2005/9749; Y.19.HD., 27. 01. 2005, E. 2004/7053, K. 2005/328: Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870. 113 Y.13.HD., 07. 02. 2013, E. 2012, K. 2623.

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR

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geregelt werden. Es müsste eine einheitliche Normierung sowohl des Fehlens als auch des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder zumindest eine einheitliche Rechtsfolgenregelung erfolgen. Daher wäre eine dem § 313 Abs. 2 BGB vergleichbare Regelung auch im türkischen Recht empfehlenswert, um das Fehlen- und den Wegfall der Geschäftsgrundlage einheitlich behandeln zu können. Die türkische Rechtslehre löst die fehlende Geschäftsgrundlage mit Hilfe der Irrtumsregeln und erkennt an, dass ein Irrtum bei zukünftigen Umständen nicht vorliegen kann. Zukünftige Änderungen der Umstände werden daher mit Hilfe des Art. 138 tOR gelöst.114 Diese Lösung entspricht den von Larenz115 und Wieacker116 vorgeschlagenen, jedoch in der deutschen Literatur teilweise nicht anerkannten und kritisierten Theorien.117 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der türkische Gesetzgeber gerade die in der deutschen Literatur bei der Kodifikation des § 313 BGB nicht anerkannten Theorien und Gedankengänge umgesetzt hat. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der türkische Gesetzgeber bei der Kodifikation des Art. 138 tOR die deutsche Rechtsordnung zum Vorbild nehmen wollte, wäre ein möglicher Grund für dieses Vorgehen, dass der türkische Gesetzgeber die Kodifikation ohne Beachtung der deutschen Rechtslehre und der dort existierenden Ansichten und Kritiken – vor allem der Entwicklung des § 313 BGB – vorgenommen hat. Eine andere Erklärung für die Umsetzung einer in der deutschen Rechtslehre kritisierten und vom deutschen Gesetzgeber hinsichtlich der Kritik bestätigten Theorie ist schlecht vorstellbar. Die Anlehnung an die Theorie von Larenz und Wieacker ist daher vielmehr vom Zufall geprägt. Während der Schuldrechtsmodernisierung wurden die Fälle der falschen Vorstellung in der Vorschrift des Art. 138 tOR nicht geregelt. Folglich löste man diese Fälle über das bereits seit 1926 existierende Rechtsinstitut des Grundlagenirrtums. Diese Lösung wurde von Larenz und Wieacker befürwortet. Demzufolge ist zu vermuten, dass die Lösung der Fälle der falschen Vorstellung aufgrund der mangelnden Regelung von bestimmten Rechtsfällen in Art. 138 erzwungen wurde und damit zufällig der Lösungsweg von Larenz und Wieacker verfolgt wurde. Aus der Gesetzesbegründung ist auch nicht zu folgern, ob der Gesetzgeber diese Fälle bewusst nicht regeln wollte oder erst gar nicht bedacht hat. Die Schwierigkeit, das deutsche Rechtssystem und mithin die Vorschrift über den Wegfall des Geschäftsgrundlage, als Vorlage zu nehmen, mag auch darin begründet sein, dass das türkische Rechtssystem bereits das schweizerische Rechtssystem in seinem Rechtssystem verankert hat und die darin enthaltenen 114

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90 f.; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510); ders., Hata, S. 159, 161; ders., Borçlar Hukuku, S. 329; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Akıncı, Borçlar Hukuku, S. 107; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (61). 115 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 1. Larenz. 116 Vgl. oben Kapitel 1, § 1, B., I., 2. Wieacker. 117 Kritik gegen Larenz: Blomeyer, AcP 152 (1952), S. 276 (278 f.); Esser, JZ 1958, S. 113 (114). Kritik gegen Wieacker: Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 19 ff.; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 25 f.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Normen einen anderen Lösungsansatz aufweisen. Das schweizerische Rechtssystem kennt das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht und löst die Fälle der falschen Vorstellung ausschließlich über den Grundlagenirrtum. Wie bereits vorgeschlagen, ist im türkischen Recht eine dem § 313 Abs. 2 BGB vergleichbare Regelung unmittelbar an Art. 138 tOR als weiterer Absatz anzuschließen, um somit eine einheitliche Rechtsfolgenregelung gewährleisten zu können. Probleme im Zusammenhang mit wesentlichen falschen Vorstellungen mit Hilfe der Geschäftsgrundlagenregelung zu lösen, entspricht eher der Intention des Gesetzgebers, die in der Schaffung einer flexibleren Rechtsfolge liegt. Der Gesetzgeber verfolgte und betonte vor allem mit den in der Schuldrechtsreform eingefügten neuen Regelungen, wie der Übervorteilung gem. Art. 28 tOR und des Werkvertragsrechts gem. Art. 480 tOR, die Anpassung als flexiblere Rechtsfolge. Warum der Gesetzgeber im Wortlaut nur vom „Schuldner“ spricht und ob der Schuldnerbegriff eine echte Einschränkung darstellt und der benachteiligte Gläubiger sich nicht auf Art. 138 tOR berufen darf, wird in den Gesetzesmaterialien nicht begründet. Ebenso wenig wird nicht ausgeführt, warum die Hinzuziehung eines Richters verlangt wird und eine Anpassung nicht von den Parteien selbst durchgeführt werden darf. Da vor der Reform in der türkischen Literatur118 und Rechtsprechung119 anerkannt war, dass sich sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner auf das Geschäftsgrundlageninstitut berufen kann und die Hinzuziehung eines Richters verlangt wurde, stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber im Rahmen der Kodifikation des Art. 138 tOR eine gegenteilige Regelung beider Punkte in Art. 138 tOR getroffen hat. Eine Erläuterung in der Gesetzesbegründung wäre für das Verständnis des Abweichens von der bisherigen Anwendung und den Umgang mit dieser Problematik hilfreich. Nur durch eine Erläuterung in der Gesetzesbegründung ist es möglich zu verstehen, ob der Gesetzgeber diese Begriffe bewusst gewählt hat. Auch wenn Gesetzesbegründungen keine Bindungswirkung und eher eine historische Bedeutung im Rahmen der Rechtsgeschichte haben, verfolgen sie dennoch den Zweck, den Grund der Normierung zu erläutern und die Intention des Gesetzgebers darzustellen, was allerdings im türkischen Recht nicht erreicht wurde. Der Gesetzgeber hatte in der Gesetzesbegründung selbst angekündigt, bei der Einführung neuer Vorschriften ausführlichere Begründungen zu liefern, um das Verständnis dieser Norm zu erleichtern und ausreichend Informationen aufgrund der Aktualität der Norm zu bieten.120 Die vorliegende Gesetzesbegründung dient jedoch nicht als 118

Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 131. Y.HGK., 27. 01. 2010, E. 2010/14-14, K. 2010-15; Y.HGK., 18. 11. 1998, E. 1998/13815, K. 1998/835. 120 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 3 f. 119

§ 2 Vergleich der Kodifikation des § 313 BGB und des Art. 138 tOR

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Hilfe- und Klarstellung, sondern vielmehr als eine ausführlichere Wiedergabe der Vorschrift selbst. Der deutsche Gesetzgeber hingegen wählt allgemeinere Begriffe, wie „benachteiligte Partei“ oder „Partei“, und eröffnet somit einen weiten Anwendungsspielraum. Die Unterschiede zwischen beiden Rechtssystemen zeigen sich schließlich in den Gesetzesbegründungen zu beiden Vorschriften. Die deutsche Gesetzesbegründung ist wesentlich ausführlicher als die türkische. Der deutsche Gesetzgeber betont die Wichtigkeit dieses Instituts, die von Rechtsprechung und Rechtslehre bereits anerkannt wurde und auch in Zukunft als wegweisend herangezogen werden wird. Der deutsche Gesetzgeber zählt in seiner Begründung die einzelnen Arten der Geschäftsgrundlage auf und betont deren Gleichbehandlung. Auch wenn der Wortlaut des § 313 BGB eine Neuverhandlungspflicht nicht enthält, wird in der Gesetzesbegründung auf die Neuverhandlung eingegangen.121 Der Gesetzgeber betonte in der Begründung, dass die Parteien selbst über die Anpassung verhandeln sollen, bevor sie auf § 313 BGB zurückgreifen. Auch die im Wortlaut nicht enthaltenen einzelnen Fallgruppen der Geschäftsgrundlage werden in der Begründung aufgelistet.122 Im Übrigen stellt der deutsche Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung den grundsätzlichen Vorrang des § 275 BGB zu § 313 BGB fest.123 Im Gegensatz zu der deutschen Begründung ist die türkische Begründung im Hinblick auf die Intention der Vorschrift sehr kurz gefasst und inhaltlich unbefriedigend.124 Die Gesetzesbegründung enthält weder den Grund der Regelung dieses Instituts noch die Aufzählung der einzelnen Fallgruppen und Arten. Auch wenn der Unterschied zu den Unmöglichkeitsregeln erwähnt wird, ist das Rangverhältnis nicht klargestellt. Sie betont nur den Vorrang der Anpassung, dass dieses Institut ein Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben ist und es sich von den Unmöglichkeitsregeln unterscheidet. Zudem müssen die im Wortlaut enthaltenen Voraussetzungen kumulativ vorhanden sein. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Kodifizierung der Geschäftsgrundlage in beiden Ländern trotz des subsidiären Charakters erforderlich und längst überfällig war. Aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Lage beider Länder wurde auf das Institut der Geschäftsgrundlage trotz seiner Subsidiarität sehr häufig zurückgegriffen. Die Gerichte mussten sich lange mit Geschäftsgrundlagenstreitigkeiten beschäftigen, ohne eine passende und die Situation vollumfassende Norm zu Hilfe nehmen zu können. Rechtssicherheit konnte auf diese Weise nicht ge-

121

BT-Drucks. 14/6040, S. 176. BT-Drucks. 14/6040, S. 174. 123 BT-Drucks. 14/6040, S. 176. 124 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss. pdf, S.Sayısı 321, S. 3 f.,11, 77. 122

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

währleistet werden. Die Kodifizierung einer allgemeinen Norm war erforderlich, um eine einheitliche, gerechte Behandlung von Grundlagenstörungen bieten zu können. In beiden Rechtssystemen wurden große Schuldrechtsreformen vorgenommen. In diesem Rahmen wurde die Geschäftsgrundlage kodifiziert. Dabei versuchten die Gesetzgeber beider Länder, sich an den von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu orientieren. Trotz umfangreicher Kritik der Gesetzesentwürfe beider Normen seitens der Literatur, wurde die Kodifizierung der Geschäftsgrundlage begrüßt. Neben den Gemeinsamkeiten sind auch wesentliche Unterschiede zwischen § 313 BGB und Art. 138 tOR festzustellen. Beide Vorschriften unterscheiden sich vor allem in ihrem Aufbau, in ihrer systematischen Stellung und ihrer Überschrift. Im Verhältnis zu der deutschen Norm sind diese Unterschiede als Defizite und Mängel der türkischen Vorschrift zu erkennen, obgleich der türkische Gesetzgeber beabsichtigt hatte, sich bei der Kodifizierung am deutschen Rechtssystem zu orientieren. Bedauerlicherweise ist dem türkischen Gesetzgeber diese Aufgabe nicht hinreichend gelungen. Zu den Mängeln und Lücken wurden in dieser Arbeit Verbesserungsvorschläge und Denkanstöße in Anlehnung an das deutsche Recht vorgestellt.

§ 3 Vergleich der tatbestandlichen Voraussetzungen und des Anwendungsbereichs zwischen beiden Rechtssystemen Die Darstellung der Voraussetzungen, des Anwendungsbereichs beider Normen und ihre Abgrenzung zu anderen Instituten sind für das Verständnis und die Vornahme eines sachgerechten Vergleichs unabdingbar. Im Folgenden werden die Voraussetzungen [A)], der Anwendungsbereich [B)] und die Abgrenzung zu anderen Instituten [C)] näher erläutert.

A. Voraussetzungen Die Voraussetzungen, die vor den Modernisierungen durch die Rechtsprechung und Literatur für den Wegfall der Geschäftsgrundlage in der jeweiligen Rechtsordnung entwickelt wurden, hielten beide Rechtssysteme durch die Kodifizierung gesetzlich fest. Vor allem im türkischen Recht hatten sich die Literatur und die Rechtsprechung statt mit einer dogmatischen Zuordnung der Geschäftsgrundlage mehr mit der Entwicklung der Voraussetzungen und der Rechtsfolge dieses Instituts beschäftigt. Die Orientierung des Gesetzgebers an den Vorgaben der Literatur und der Rechtsprechung wird in der deutschen Gesetzesbegründung ausdrücklich betont.

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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In Art. 138 tOR sind die einzelnen Voraussetzungen aufgelistet. Die Nichterfüllung des Vertrags, die Unvorhersehbarkeit der Änderung und die Zurechenbarkeit des Schuldners werden einzeln aufgeführt. Anders verhält sich die Regelung im deutschen Recht. § 313 BGB ist eine allgemein gefasste Norm, welche aufgrund dieser allgemeinen Formulierung einen größeren Interpretationsspielraum für den Richter eröffnet. Das Augenmerk ist im deutschen Recht vor allem auf den allgemeinen Begriff der Unzumutbarkeit gerichtet. Auch wenn die Intention des Gesetzgebers und der beiden Rechtssysteme vergleichbar sind, erfolgte die Umsetzung der Regelung der Geschäftsgrundlage in beiden Ländern auf unterschiedliche Weise. Vergleicht man § 313 BGB und Art. 138 tOR, fällt auf, dass Art. 138 tOR im Verhältnis zu § 313 BGB dem Richter weniger Interpretationsspielraum bietet, da die Voraussetzungen des Art. 138 tOR ausführlicher und detaillierter sind. Dies ist besonders verwunderlich, da in der türkischen Rechtsordnung viele Vorschriften vorhanden sind, die dem Richter einen weiten Ermessenspielraum gewähren. Der Hauptgrund für die Übernahme des schweizerischen Rechts – bei der Kodifizierung des Zivilgesetzbuches und des Obligationengesetzes im Jahr 1926 – war die Einräumung des weiten Ermessensspielraums des Richters, die diese Rechtsordnung bot. Das deutsche BGB wurde damals für kasuistisch gehalten. Umso mehr überrascht es, dass der türkische Gesetzgeber, der sich bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR an der deutschen Geschäftsgrundlage orientieren wollte, den Art. 138 tOR viel detaillierter kodifiziert hat als der deutsche Gesetzgeber bei § 313 BGB. Im Folgenden werden die einzelnen Voraussetzungen, deren Erfüllung beide Rechtssysteme verlangen, dargestellt und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen erläutert. I. Begriff der Geschäftsgrundlage Das Vorliegen einer Geschäftsgrundlage ist eine Hauptvoraussetzung in der deutschen und türkischen Vorschrift. Während die Geschäftsgrundlage in § 313 BGB im Wortlaut ausdrücklich erwähnt wird, ist diese Voraussetzung im türkischen Recht im Wortlaut der Norm nicht zu finden. Trotz der ausführlichen Auflistung der Voraussetzungen im türkischen Recht wurde die wichtigste Voraussetzung verwunderlicherweise ausgelassen. Empfehlenswert wäre daher, aufgrund der Wichtigkeit dieser Voraussetzung und der Basisfunktion, die ausdrückliche Erwähnung des Begriffs im Wortlaut. Der Kern dieser Vorschrift betrifft das Vorliegen oder die Änderung einer Geschäftsgrundlage, so dass der Begriff der Geschäftsgrundlage im Wortlaut unerlässlich ist. Eine Definition dieses Begriffs ist in der türkischen Gesetzesbegründung auch nicht vorhanden, da die türkische Literatur sich kaum um eine Definition der Geschäftsgrundlage bemüht hat.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Interessanterweise enthält auch die deutsche Gesetzesbegründung keine Definition der Geschäftsgrundlage. Nach Ansicht der deutschen Literatur hat der deutsche Gesetzgeber eine klare Definition ausgelassen, um die Flexibilität der Norm zu wahren.125 Was zur Geschäftsgrundlage geworden ist, müsse in jedem konkreten Einzelfall festgestellt werden. Im Gegensatz zum türkischen Recht hat sich die deutsche Literatur jedoch bereits sehr früh an eine Definition herangewagt und erste Versuche unternommen. Im Jahr 1921 veröffentlichte Oertmann eine Definition der subjektiven Geschäftsgrundlage, die bis heute nicht an Bedeutung verloren hat und in der deutschen Literatur und Rechtsprechung Anwendung findet.126 Der deutsche Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung die einzelnen Arten der Geschäftsgrundlage aufgezählt, um bei der Konkretisierung der Geschäftsgrundlage Hilfe zu leisten.127 In der Gesetzesbegründung wird betont, dass alle Arten der Geschäftsgrundlage gleichbehandelt werden und zu den gleichen Rechtsfolgen führen sollen. Während § 313 Abs. 1 BGB die objektive, nachträgliche Geschäftsgrundlage regelt, findet sich die subjektive, anfängliche Geschäftsgrundlage in § 313 Abs. 2 BGB. Die Nichtregelung der anfänglichen Geschäftsgrundlage in Art. 138 tOR ist der Hauptunterschied zum deutschen Recht, da laut Literatur die anfängliche Geschäftsgrundlage im türkischen Recht vom Grundlagenirrtum nach Art. 32 tOR behandelt wird.128 Die Behandlung der anfänglichen Geschäftsgrundlage als Grundlagenirrtum führt im Unterschied zum deutschen Recht zu einer unterschiedlichen Behandlung der anfänglichen und der nachträglichen Geschäftsgrundlage und folglich zu unterschiedlichen Rechtsfolgen beider Arten. Während die nachträgliche Geschäftsgrundlage die Option der Anpassung über Art. 138 tOR gewährt, ist die Anfechtung des Vertrags bei der anfänglichen Geschäftsgrundlage aufgrund der Lösung über den Grundlagenirrtum die einzige Möglichkeit. Dies steht im Widerspruch zu der einheitlichen Behandlung aller Arten der Geschäftsgrundlage des deutschen Rechts. Um diese ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu korrigieren, wäre zu empfehlen, die Rechtsfolge des Grundlagenirrtums um die Option der Anpassung zu erweitern. Sachgerechter wäre es, die anfängliche Geschäftsgrundlage ebenfalls unter Art. 138 tOR zu subsumieren und alle Fälle der Geschäftsgrundlage unter einer einzigen Vorschrift zu behandeln, um einheitliche Rechtsfolgen zu erzielen. Dies erleichtert sowohl den Gerichten als auch dem Rechtsanwender den Umgang mit dieser Norm. 125

Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 30. RGZ 103, S. 328 (332); BGH NJW 1951, S. 836; NJW 1953, S. 1585; NJW 1958, S. 297 (297 f.); NJW 1964, S. 861; NJW 1973, S. 1685 (1686); NJW 1979, S. 1818; NJW 1982, S. 2184 (2185); NJW 1993, S. 259 (262); NJW 1995, S. 592 (593); NJW 1995, S. 2028 (2031); NJW 1997, S. 320 (323); NJW 1997, S. 3371 (3372); NJW 1999, S. 1623 (1625); NJW 2001, S. 1204 (1205); NJW-RR 2006, S. 1037 (1038). 127 BT-Drucks. 14/6040, S. 174. 128 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 91. 126

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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II. Änderung der Umstände 1. Anforderungen gem. § 313 BGB und gem. Art. 138 tOR In beiden Rechtssystemen ist für das Vorliegen einer Störung der Geschäftsgrundlage eine Änderung der Umstände erforderlich. Allein die Änderung der Umstände ist für die Bejahung dieses Tatbestandmerkmals jedoch nicht ausreichend. Diese Änderung muss einen bestimmten Grad erreichen, was in beiden Systemen unterschiedlich zum Ausdruck gebracht wird. Der deutsche Gesetzgeber verdeutlicht das Verlangen eines bestimmten Grads der Änderung durch die Wahl der Formulierung „schwerwiegende“ Änderungen der Umstände bei der nachträglichen und „wesentliche“ falsche Vorstellungen bei der anfänglichen Geschäftsgrundlage. Im türkischen Recht wurde lediglich der Wegfall der Geschäftsgrundlage (nachträgliche Geschäftsgrundlage) geregelt. Der türkische Gesetzgeber verdeutlicht das Verlangen eines bestimmten Grads der Änderung durch die Wahl der Formulierung „außerordentliche“ Änderungen der Umstände. Bereits vor der Reform wurde in der türkischen Rechtslehre diskutiert, ob der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur bei sozialen Katastrophen zur Anwendung käme.129 Durch die Wahl des Begriffs „außerordentlich“ beschäftigt sich die Rechtslehre weiterhin damit, was unter diesem Begriff zu verstehen sei und ob er lediglich soziale Katastrophen umfasse, wobei sich dieser Gedanke der „großen Geschäftsgrundlage“ von Kegel annähert,130 der vom deutschen Gesetzgeber nicht angenommen wurde. Der deutsche Gesetzgeber behandelte die große und kleine Geschäftsgrundlage gleich und subsumierte sie unter § 313 BGB.131 Da § 313 BGB bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR als Vorlage fungierte, wäre eine Unterteilung zwischen großer und kleiner Geschäftsgrundlage und die daraus folgende Einschränkung der Änderung der Umstände lediglich auf soziale Katastrophen mit diesem Gedanken nicht vereinbar. Um Missverständnisse und unnötige Diskussionen zu vermeiden, hätte der türkische Gesetzgeber sich an der deutschen Rechtsvorschrift orientieren und für die Änderung der Umstände einen bestimmten Grad der Änderung verlangen müssen, indem er den Begriff „schwerwiegend“ wählt. Die Begriffe „außerordentlich“ und „schwerwiegend“ ähneln sich zwar in ihrer Bedeutung, meinen jedoch nicht ein und dasselbe. Ein außerordentlicher Umstand liegt vor, wenn ein völlig unerwarteter, extrem ungewöhnlicher und außerhalb des Machtbereichs des Betroffenen liegender Zustand gegeben ist. Mit der Bezeichnung schwerwiegend ist ein Umstand gemeint, dessen Grad der Änderung geringer eingestuft wird als beim außerordentlichen Umstand.

129

Kapitel 2, § 3, A., II., 1., a) Erforderlichkeit einer sozialen Katastrophe. Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (201). 131 Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 49; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 7. 130

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Die Vorschrift Art. 480 Abs. 2 tOR verdeutlicht, dass die vom Gesetzgeber gewählten Begriffe zur Darstellung der Änderungen der Umstände ungeeignet sind. Art. 480 Abs. 2 regelt einen Spezialfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Rahmen des Werkvertragsrechts. Während Art. 138 tOR verlangt, dass die veränderten Umstände außerordentlich sein müssen, reicht für Art. 480 Abs. 2 tOR eine einfache Änderung der Umstände aus. Eine Ungleichbehandlung zwischen einer Spezialnorm und einer allgemeinen Norm ist zwar durchaus möglich, widerspricht im Fall des Art. 480 Abs. 2 tOR jedoch sowohl der Intention des schweizerischen132 Gesetzgebers, von dem diese Norm in das türkische Recht übernommen wurde, als auch den Ansichten in der türkischen Literatur. Die türkische Literatur und Rechtsprechung haben erkannt, dass eine allgemeine Formulierung zu einer uferlosen Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Norm führen kann. Bei Anwendung der aktuellen Fassung des Art. 480 Abs. 2 tOR fällt jede nur geringe Änderung der Umstände unter den Anwendungsbereich dieser Norm. Es ist nicht einzusehen, weshalb zwei verschiedene Vorschriften, obwohl sie im Kern den gleichen Gedanken, nämlich den Wegfall der Geschäftsgrundlage bestimmen, derart ungleiche Voraussetzungen fordern. Vor allem missfällt diese Ungleichheit, da die allgemeinere Norm des Art. 138 tOR im Gegensatz zu der spezielleren Norm des Art. 480 Abs. 2 tOR strengere Anforderungen hat. Diese Begünstigung des Unternehmers lässt eine nicht zu billigende Rechtslösung und -auffassung erkennen. Denn der Unternehmer wird aufgrund seiner Fachkundigkeit einer besseren Position ausgesetzt. Es ist auch kein Sachgrund erkennbar, der dies rechtfertigen würde. Die Wortwahl „außerordentlich“ verleitet zu dem Gedanken, ob es – falls nicht ausschließlich soziale Katastrophen darunter zu verstehen sind – nicht auch eine „ordentliche“ Änderung der Umstände geben müsse, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eben vorkommt oder gar zu erwarten ist. Man kann nicht akzeptieren, dass der Gesetzgeber bei Art. 480 Abs. 2 tOR davon ausgegangen ist, dass eine derartige „ordentliche“ Änderung der Umstände folgenlos hingenommen werde müsse. Dies würde einen Wertungswiderspruch zu Art. 480 Abs. 2 tOR darstellen. Mit der Begriffswahl „schwerwiegend“, aus dem deutschen Recht übernommen, hätte der türkische Gesetzgeber diese in der türkischen Literatur aufgeworfenen Fragen beantworten können. Zudem entspricht die Begriffswahl „schwerwiegend“ der Intention des Gesetzgebers, sich nicht bei jeder Form der Änderung der Umstände auf das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage berufen zu können, sondern ein gewisses Maß an Schwere für die Änderung der Umstände zu fordern. Um eine Ungleichbehandlung der Art. 138 tOR und Art. 480 Abs. 2 tOR zu beseitigen, sollte der Gesetzgeber auch Art. 480 Abs. 2 um den Begriff der schwerwiegenden Änderung ergänzen.

132 Art. 373 sOR gibt dem Unternehmer nicht das Recht, sich bei jeder Änderung der Umstände auf diese Norm zu berufen. Art. 373 sOR regelt außerordentliche Änderungen der Umstände. Der türkische Gesetzgeber hat damals diese Norm falsch übersetzt.

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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Die unzutreffende Wortwahl hat zur Folge, dass die Diskussion in der türkischen Literatur, ob unter außerordentlichen Umständen nur soziale Katastrophen zu verstehen sind und der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur in Fällen mit sozialen Katastrophen Anwendung findet, weiterhin fortbesteht. 2. Die Erheblichkeit als Voraussetzung nach deutschem und türkischem Recht Neben der Voraussetzung der Änderung von Umständen müssen diese Änderungen in beiden Rechtssystemen eine Erheblichkeitsschwelle erreichen. Hierfür muss es zu einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gekommen sein. Eine nur unerhebliche Beeinträchtigung des Leistungsgleichgewichts kann einen Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht rechtfertigen, da nicht jede Leistungsschwankung zu einer Anpassung führen soll. Bei bestimmten Instituten, wie der Übervorteilung oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, will die Rechtsordnung beider Länder bei Eintritt einer Änderung, die außerhalb der Kontrolle der Parteien liegt, das Äquivalenzverhältnis schützen. Ob für die Bewertung dieser Grenze Richtwerte erforderlich sind oder nicht, wird in beiden Rechtssystemen diskutiert. Ergebnis dieser Diskussion ist in beiden Rechtsordnungen, dass die Festlegung einer pauschalen Quote aufgrund der Unterschiedlichkeit jedes einzelnen Rechtsstreits nicht möglich ist und diese Beurteilung daher dem Richter, unter Zuspruch eines weiten Entscheidungsspielraums, überlassen werden soll. Auch nach Ansicht der Verfasserin ist das Verlangen eines pauschalen Richtwerts nicht sachgemäß. Dieses Rechtsverständnis wird durch den Wortlaut des Art. 138 tOR verdeutlicht. Artikel 138 tOR spricht ausdrücklich davon, dass die Leistung nicht verlangt werden kann, wenn dieses Verlangen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Bei der Feststellung der Erheblichkeitsschwelle stellt sich für das türkische Recht die Frage, ob ein derart krasses Missverhältnis vorliegen muss, dass das Festhalten am Vertrag zum Ruin des Schuldners führen würde. Diese Ruin-Theorie, welche unter den Begriff „schwerwiegende Störung“ den Ruin des Schuldners subsumiert, wurde in beiden Rechtssystemen diskutiert, hat aber für die deutschen Gerichte in der Gegenwart keine Bedeutung mehr. In der Türkei hingegen hat diese Theorie in der Rechtsprechung und Literatur ihre Aktualität nicht verloren. Die Ruin-Theorie wurde in der türkischen Literatur viel diskutiert. Schließlich wurde sie aber von der h. L. zu Recht nicht anerkannt. Begründung war, dass das Verlangen des Ruins des Schuldners die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in unverhältnismäßiger Weise erschwere.133 133

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 114; Topuz, Denge Bozulması, S. 250; Kramer, in: BernerKomm, Art. 18 OR, Rn. 348; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 196 f.; Reichel, Vertragsrücktritt, S. 15; Oftinger, SJZ 36 (1939/40) S. 229 (236); Gürsoy, Clausula S. 97 ff.; Erdin, Werkvertrag, Rn. 253; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 147; Im deutschen Rechtssystem wurde die Ruintheorie von der Rechtsprechung und der Literatur abgelehnt: RGZ

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Die türkische Rechtsprechung verfolgt jedoch auch diesbezüglich keine klare Linie. Während der Kassationshof in einigen Entscheidungen weiterhin auf den Ruin des Schuldners abstellt,134 geht er in anderen Entscheidungen135 auf diesen gar nicht ein. Das Abstellen auf den Ruin des Schuldners ist nicht interessengerecht, zumal der Gesetzgeber dies bei Bedarf im Zusammenhang mit der Kodifizierung des Art. 138 tOR hätte regeln können. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Parteien ist zwar unumgänglich für eine einzelfallabhängige Beurteilung des Sachverhalts, jedoch kann dies nicht so weit gehen, dass allein die Gefahr des wirtschaftlichen Ruins bestimmt, ob ein Berufen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. Art. 138 tOR Erfolg hat. Die Voraussetzung des Ruins einer Partei führt zu untragbaren Ergebnissen. Hierbei würden Kriterien, wie die Zahlungsunfähigkeit und Unerschwinglichkeit, berücksichtigt, welche jedoch im Widerspruch zum türkischen und schweizerischen Rechtsgedanken stehen. Die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kann nämlich nicht zur Beendigung des Vertrags führen. Das Erfordernis der Ruintheorie erschwert die Geltendmachung der Rechtsvorschrift, indem es eine rechtlich nicht zu billigende Unterscheidung zwischen armen und reichen Schuldnern macht. Ferner kann der Zeitpunkt die Geltendmachung des Rechtsanspruchs erschüttern, da die finanzielle Lage sich plötzlich ändern könnte.136 Die Rolle von Vertragstyp und Vertragsdauer erweist sich als eine weitere Parallele zwischen dem deutschen und dem türkischen Recht im Zusammenhang der Ermittlung der Erheblichkeit einer Geschäftsgrundlagenstörung. Beispielsweise ist bei Dauerschuldverhältnissen in beiden Rechtssystemen eine schwerwiegende Veränderung der Umstände eher zu bejahen als bei einem Vertrag mit einem einmaligen Leistungsaustausch.137 Hier spielt die Vertragsdauer eine entscheidende Rolle. Bei Verträgen mit spekulativem Charakter werden besonders hohe Anforderungen an die Erheblichkeit der Störung gestellt. Hier wiederum spielt der Vertragstyp eine entscheidende Rolle. Ein weiterer Unterschied zwischen der deutschen und der türkischen Vorschrift besteht in der Beurteilung des Zeitpunkts für den Störungseintritt. Im Gegensatz zum 103, S. 177 (177 ff.); BGH NJW 1978, S. 2390 (2391); Wieacker, FS Willburg, 1965 S. 229 (234); Locher, AcP 121 (1923), S. 1 (93); Krückmann, AcP 116 (1918), S. 157 (162 und 354 ff.); Härle, Äquivalenzstörung, S. 98 ff. 134 Y.02. 06. 1942, E. 941/2132, K. 1522; Y.13.HD., 24. 10. 1994, E. 1994/6791, K. 1994/ 9014; Y.13.HD., 06. 04. 1995, E. 1995/145, K. 1995/3339; Y.13.HD., 13. 12. 2001, E. 2001/ 1156, K. 2001/11752; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13-599, K. 2003/599; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171 (für die Entscheidungen www.kazanci.com.). 135 Ruintheorie wurde von der Rechtsprechung abgelehnt: Y.13.HD., 29. 11. 1993, E. 1993/ 7167, K. 1993/9332; Y.HGK., 06. 10. 1999, E. 1999/11-626, K. 1999/779. 136 Vgl. oben Kapitel 2, § 3, A., II, 2., a), bb), (2) Gegner der Ruintheorie. 137 Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 25; RGZ 109, S. 146 (149). Im türkischen Rechtssystem: Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 180; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13852, K. 2002/864; Y.3.HD., 17. 06. 2003, E. 2003/6633, K. 2003/7601, Y.13.HD., 25. 04. 2002, E. 2002/2820, K. 2002/4565.

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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türkischen Recht legt der deutsche Gesetzgeber in § 313 Abs. 1 BGB einen Zeitpunkt für den Eintritt der Störung fest. Gemäß § 313 Abs. 1 BGB muss die Änderung der Umstände „nach Vertragsabschluss“ eingetreten sein. Solch eine Zeitpunktregelung ist in § 313 Abs. 2 BGB nicht vorhanden. Nach einer Ansicht in der deutschen Literatur ist die Formulierung in Abs. 1 so zu verstehen, dass Umstände, die vor Vertragsabschluss bekannt waren, von § 313 BGB zwar nicht umfasst werden, aber Umstände, die vor Vertragsabschluss bereits vorlagen, den Parteien jedoch nicht bekannt waren, sehr wohl den Schutz von § 313 BGB genießen.138 Die Rechtsprechungspraxis wendet sich entschieden vom Wortlaut der Norm ab, um unbillige Ergebnisse zu verhindern. Und die Gesetzesbegründung schweigt sich anscheinend aus, vor allem nach so langer Zeit. Um solche Irritationen und Fehlvorstellungen zu vermeiden, hätte der deutsche Gesetzgeber die zeitliche Festlegung der Änderung auslassen oder zumindest den Grund für diese Formulierung in der Gesetzesbegründung ausführen sollen. III. Nichterfüllung der Leistung Einer der gravierenden Unterschiede hinsichtlich der Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen ist das Erfordernis der Nichterfüllung der Leistung. Während Art. 138 tOR als Voraussetzung die Nichterfüllung der Leistung oder die Erfüllung unter Vorbehalt verlangt, ist eine derartige ausdrückliche Negativvoraussetzung im deutschen Recht nicht vorhanden. Begründet wird die Regelung dieser Voraussetzung im türkischen Recht mit dem Gedanken, dass eine Leistung für eine Partei nicht unzumutbar gewesen sein kann, wenn sie diese Leistung erbracht hat. Vor der Schuldrechtsmodernisierung hat die türkische Rechtsprechung eine klare Tendenz in diese Richtung gezeigt und bei Erfüllung der Leistung den Wegfall der Geschäftsgrundlage pauschal abgelehnt.139 Die Übernahme dieser Voraussetzung in Art. 138 tOR blieb in der türkischen Rechtslehre berechtigterweise nicht ohne Kritik.140 Allein der Umstand, dass der Schuldner eine Leistung erbracht hat, bedeute nicht in jedem Fall, dass diese Leistung für den Leistenden auch zumutbar gewesen ist. In vielen Fällen erbringt der Schuldner die Leistung, um die Verzugsfolgen einer Nichtleistung oder die Folgen einer Zwangsvollstreckung zu vermeiden, obwohl ihn die Leistungserbringung in eine wirtschaftlich untragbare Situation bringt. Der 138

Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 40. Einige Beispiele aus den Entscheidungen des Kassationshofs: Y.13.HD., 27. 12. 2002, E. 9911, K. 14153; Y.13.HD. 03. 06. 1996, E. 4997, K. 5538; Y.13.HD., 29. 11. 1993, E. 167, K. 9332. 140 Serozan, Sözles¸meden Dönme, S. 341 Fn. 224, S. 367; Serozan, Nachweis bei Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 150; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 122 ff.; ders., in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 134 ff.; Cevizlikoyak, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 68; Yavuz, Türk Borçlar Kanunu’nun Getirdig˘i Deg˘is¸iklikler2, S. 236; Yılmaz, AÜHFD 59 (1) 2010, S. 131 (157). 139

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

türkische Gesetzgeber hat die Schwierigkeiten bei Nichterfüllung anerkannt (Verzugszinsen, prozessuale Maßnahmen) und deshalb „die Erfüllung unter Vorbehalt“ in Art. 138 tOR eingefügt. Jedoch wird zu der Vorbehaltsregelung weder in Art. 138 tOR noch in der Gesetzesbegründung zu Art. 138 tOR eine nähere Erklärung gebracht. Zu der Frage, wie solch ein Vorbehalt zu vereinbaren ist und mit welchem Inhalt, ebenso wie dieser in einem Rechtsstreit nachzuweisen ist, bringt der Gesetzgeber keinerlei Klarheit. Im deutschen Recht wird das Kriterium der Erfüllung oder Nichterfüllung der Leistung im Bereich der Anwendbarkeit des § 313 BGB diskutiert.141 Danach wird im Falle der Leistungserfüllung die Berufung auf § 313 BGB nicht pauschal abgelehnt. Im deutschen Recht kann je nach Einzelfall der Rückgriff auf § 313 BGB trotz Erfüllung der Leistung gestattet werden, wenn die Leistung unzumutbar war oder zu untragbaren Ergebnissen geführt hat. Im Gegensatz zum türkischen Recht wird hier eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen und dem konkreten Sachverhalt entsprechend entschieden. Die Voraussetzung der Nichterfüllung der Leistung stellt sich somit als eine der ungünstigsten Voraussetzungen der Vorschrift des Art. 138 tOR dar. In der türkischen Rechtsprechung wird sowohl im Falle der Leistungserfüllung als auch bei Nichterfüllung der Anwendungsbereich des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht eröffnet. Denn, erfüllt der Schuldner seine Leistung ohne Vorbehalt, ist nach der Rechtsprechung die Leistung für ihn zumutbar, und die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen des Wortlauts des Art. 138 tOR wird abgelehnt. Erfüllt er hingegen nicht, befindet er sich in Verzug. Die türkische Rechtsprechung lehnt die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei Verzugsfällen pauschal ab.142 Eine Prüfung, ob der Schuldner sich wegen Änderung der Umstände im Verzug befindet, erfolgt nicht. Auch wenn der Schuldner z. B. aufgrund einer Inflation in Verzug gerät, lehnt die türkische Rechtsprechung die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ab. Das bedeutet, dass der Schuldner (benachteiligte Partei) im türkischen Rechtssystem nur eine Chance hat, nämlich die Leistung unter Vorbehalt zu erfüllen. Aber die Leistung unter Vorbehalt macht deutlich, dass der Gesetzgeber im Falle der Erfüllung von einer zumutbaren Leistung ausgeht ist nicht nachvollziehbar; schließlich ist auch hier eine tatsächliche Erfüllung eingetreten. Weiterhin können Umstände sich erst nach Leistungserfüllung (Zweckstörung) ändern, wobei die Leistung durch den Schuldner im Voraus und ohne Vorbehalt erfüllt wurde. In solchen Fallgruppen engt diese Voraussetzung den Anwendungsbereich des Art. 138 tOR ein.

141

Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., I., 2. Anwendbarkeit innerhalb (teil-)erfüllter Verträge. Y.HGK., 30. 05. 2001, E. 2001/15-402, K. 2001/459; Y.11.HD., 16. 01. 2003, E. 2002/ 7816, K. 2003/302; Y.11.HD., 02. 06. 1995, E. 1995/534, K. 1995/4540. 142

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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Deswegen wäre es empfehlenswert, diese Voraussetzung aus dem Wortlaut zu entfernen, da sie sonst den Anwendungsbereich der Vorschrift Art. 138 tOR zu sehr einengen würde. Aufgrund einer eindeutigen Tatbestandsbestimmung, werden die Gerichte in Zukunft gezwungen sein, im Falle der Erfüllung ohne Vorbehalt einen Anspruch nach Art. 138 tOR abzulehnen. Die Nichterfüllung der Leistung wäre im Rahmen der Anwendbarkeit der Norm unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit der Leistung zu prüfen. IV. Zumutbarkeit Die Zumutbarkeit spielt im deutschen Recht eine sehr wichtige Rolle und bildet den Schwerpunkt der Geschäftsgrundlagenproblematik.143 Die Zumutbarkeit ist der Maßstab sowohl für den Tatbestand der Geschäftsgrundlage als auch für ihre Rechtsfolge. Sie erfüllt somit einen doppelten Zweck.144 Die Zumutbarkeit hat auch verfassungsrechtliche Aspekte.145 Als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Grundrechtsschutzes wird das Zumutbarkeitskriterium auch im Bereich des Privatrechts und in anderen Rechtsgebieten angewendet. Eine Legaldefinition für diesen unbestimmten Begriff ist jedoch nicht vorhanden. Daher enthält dieses Kriterium neben Vorteilen auch Nachteile. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass das Fehlen einer subsumtionsfähigen Definition die Gefahr einer Rechtsunsicherheit und subjektiven willkürlichen oder zumindest uneinheitlichen Beurteilung der Gerichte in sich birgt.146 Ein Vorteil hingegen ist, dass die Unbestimmtheit des Begriffs eine einzelfall- und materialgerechte Lösung bietet. Trotz des Vorteils ist eine Konkretisierung des Zumutbarkeitskriteriums erforderlich. Die von der deutschen Rechtslehre und Rechtsprechung bereits vor der Schuldrechtsreform entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe dieses Begriffs finden sich in der Risikoverteilung, der Vorhersehbarkeit und der Zurechenbarkeit der Änderung der Umstände sowie der Vertragsart, dem Vertragsinhalt und in der Art der Störung.147 Im türkischen Recht wird der Begriff der Unzumutbarkeit im Wortlaut des Art. 138 tOR nicht ausdrücklich verwendet. Dieses Kriterium und die innerhalb der Konkretisierung dieses Kriteriums im deutschen Recht überprüften und vorausgesetzten Maßstäbe werden aber in Art. 138 tOR einzeln als Tatbestandsvoraussetzungen aufgelistet.

143

Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., III. Zumutbarkeit. Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 78; zur Willkür-Gefahr auch Belling/ Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (94). 145 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (92 f.); Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 70. 146 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 78; Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (94). 147 Bender, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 86 ff. 144

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Da sich die Konkretisierung des Zumutbarkeitsbegriffs aus dem deutschen Recht und die in Art. 138 tOR einzeln aufgelisteten Voraussetzungen sehr ähneln, werden die im türkischen Recht aufgezählten Tatbestandsmerkmale im Folgenden einzeln erörtert. V. (Un-)Vorhersehbarkeit Die Erheblichkeit der Veränderung der Umstände allein reicht für das Vorliegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht aus. Sowohl § 313 BGB als auch Art. 138 tOR kommen in der Regel nicht in Betracht, wenn eine Partei die Veränderung der Umstände vorhergesehen hat bzw. hätte vorhersehen können.148 Haben die Parteien trotz Vorhersehbarkeit der Umstände keine betreffenden vertraglichen Vereinbarungen getroffen, wird dies nach beiden Rechtssystemen als Risikoübernahme bewertet. Anders als im deutschen Recht ist die Vorhersehbarkeit im türkischen Recht als Negativvoraussetzung ausdrücklich im Wortlaut des Art. 138 tOR geregelt. Die Anwendung des Art. 138 tOR ist demnach ausgeschlossen, wenn der Schuldner die Änderung der Umstände vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können. Anders als im türkischen Recht hat der deutsche Gesetzgeber nach einer zutreffenden Literaturansicht auf die negative Regelung dieses Kriteriums verzichtet, da § 313 BGB bei Vorhersehbarkeit der Änderung zwar in der Regel, jedoch nicht ausnahmslos ausgeschlossen ist.149 Die Vorhersehbarkeit der Änderung muss vielmehr unter Berücksichtigung jedes Einzelfalls beurteilt werden. Im deutschen Recht hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung betont, dass das Vorliegen der Vorhersehbarkeit nicht automatisch die Anwendung des § 313 BGB ausschließt. Vielmehr erhöht Vorhersehbarkeit die Schwelle der Zumutbarkeit und erschwert lediglich die Erfolgschancen.150 Die Negativformulierung des Vorhersehbarkeitskriteriums in Art. 138 tOR macht die türkische Vorschrift strenger als die deutsche Norm. Ein Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist im türkischen Recht ausgeschlossen, wenn die Änderung der Umstände vorhergesehen wurde oder hätte vorhergesehen werden können. Der türkische Gesetzgeber hätte diese Voraussetzung nicht derart streng formulieren sollen. Zumindest in der Gesetzesbegründung hätte eine Ausnahme einfügt werden sollen, die trotz Vorhersehbarkeit die Möglichkeit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Ausnahmesituationen eröffnet, zumal in der türkischen Rechtsliteratur die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Vorhersehbarkeit der Änderung der Umstände nicht ausnahmslos verneint wird. Es 148

Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., III., 4., b) Vorhersehbarkeit. Für das türkische Rechtssystem: Kapiel 2., § 3, A., III. Unvorhersehbarkeit. 149 BT-Drucks. 14/6040, S. 175 f.; zustimmend Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 74; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 31. 150 BT-Drucks. 14/6040, S. 175.

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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ist durchaus denkbar, dass die Änderung der Umstände vorhergesehen, aber deren Konsequenzen und Ausmaß nicht vorhergesehen werden. Für solche Umstände ist eine Ausnahmeregelung erforderlich.151 Mit der Formulierung „[…] die Parteien hätten den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie die Veränderung vorausgesehen hätten […]“ wird im deutschen Recht, anders als im türkischen Recht, eine Kausalität zwischen der Vorhersehbarkeit und dem Vertragsabschluss aufgebaut. Dieser Unterschied beider Rechtsordnungen führt jedoch nicht zu unterschiedlichen Anwendungen oder Ergebnissen beider Vorschriften. Es ist zu erwarten, dass die türkischen Gerichte diese Kausalität erkennen und entsprechend prüfen werden. Denn im türkischen Rechtssystem war die Kausalität vor der Schuldrechtsmodernisierung zwischen der Vorhersehbarkeit und dem Vertragsabschluss gebräuchlich. Kausalitätsprüfung ist im türkischen Recht nicht nur für Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern auch für andere Vorschriften wie Täuschung anerkannt. Hätte der Getäuschte den Vertrag ohne die Täuschung nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, kann er den Vertrag anfechten. Diese Rechtspraxis wird weiterhin angewandt.152 Bei der Beurteilung des Vorhersehbarkeitskriteriums ist als weitere Gemeinsamkeit festzustellen, dass die Vertragsdauer und die Vertragsart in beiden Rechtssystemen eine entscheidende Rolle spielen.153 Je länger ein Vertrag besteht, desto unwahrscheinlicher ist die Vorhersehbarkeit der Änderung der Umstände. Auch kann bei Spekulationsgeschäften eine Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgrund der Art des Geschäfts und der damit verbundenen Vorhersehbarkeit der Änderung ausgeschlossen sein. In beiden Rechtsordnungen wurde der Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit an die Vertragsparteien diskutiert.154 Innerhalb der Rechtslehre sind zwischen beiden Rechtssystemen Parallelen vorhanden. Zwar spricht die türkische

151

Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 104, 108; Bischoff, Vertragsrisiko, S. 205; Gürsoy, Clausula, S. 110; Erman Beklenilmeyen Haller, S. 79; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 154. 152 Reisog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 125; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 141. 153 Für das türkische Rechtssystem: Gürsoy, Clausula, S. 108; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 74; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 183; Y.HGK., 30. 10. 2002, E. 2002/13852, K. 2002/864-43; Y.3.HD., 17. 06. 2003, E. 2003/6633, K. 2003/7601; Y.13.HD., 25. 04. 2002, E. 2002/2820, K. 2002/4565. Für das deutsche Rechtssystem: Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 53 f.; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 40; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 26; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 26; BGH NJW 1977, S. 950 (950); NJW 2000, S. 2497 (2498). 154 Vgl. oben für das deutsche Rechtssystem: Kapitel 1, § 3, A., III., 4., b), bb) Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit an die Vertragsparteien. Für das türkische Rechtssystem: Kapitel 2, § 3, A., IV., 2. Maßstab für die Zurechnung der Vorhersehbarkeit.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Rechtslehre hierbei von „absoluter Vorhersehbarkeit“,155 und die deutsche Rechtsliteratur spricht vom „menschlich Vorstellbaren“,156 gemeint ist in beiden Fällen aber dasselbe. Danach darf das vertragliche Risiko, dass sich verwirklicht hat, von niemandem vorhergesehen worden sein. Diese Ansicht wird in beiden Rechtsordnungen kritisiert.157 Eine rein objektive Vorhersehbarkeit führt zu einer Einengung des Anwendungsbereichs der Norm, da jede Änderung als menschlich vorhersehbar eingestuft werden kann, womit der Rückgriff praktisch bei so gut wie jeder Änderung der Umstände ausgeschlossen wäre. Im türkischen Recht wird dieses Kriterium nach einer anderen Literaturansicht auch aus subjektiver Sicht beurteilt, wonach allein die subjektive Vorstellung der Parteien als Maßstab herangezogen wird.158 Im deutschen Recht wird keine unmittelbar subjektive Beurteilung vorgenommen. Es wird stattdessen auf im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach § 276 Abs 2 (§ 276 Abs 1 S. 2 a. F.) BGB als Hilfe für die Beurteilung der Verantwortlichkeit zurückgegriffen.159 Auch eine rein subjektive Vorhersehbarkeit (im Verkehr erforderliche Sorgfalt) wird in beiden Rechtssystemen kritisiert.160 Eine rein subjektive Beurteilung führt zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Geschäftsgrundlage, da nur auf die Beurteilung der einzelnen Person abgestellt wird und diese sich bei jeder Änderung der Umstände auf die Nichtkenntnis berufen könnte. Eine rein objektive Beurteilung hingegen führt zu einer Einengung des Anwendungsbereichs, da jede Änderung der Umstände als menschlich vorstellbar und folglich vorhersehbar beurteilt werden könnte. Vielmehr ist nach h. L. in beiden Rechtssystemen losgelöst von rein objektiven oder rein subjektiven Maßstäben, auf einen durchschnittlichen Dritten und in jedem Einzelfall auf die Vertragsdauer, den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und auf die Eigenschaften der Parteien abzustellen, um eine sachgerechte Lösung zu erreichen. Auch wenn sich die Theorien in beiden Rechtsordnungen teilweise unterscheiden, verlangt die h. L. in beiden Rechtssystemen das Abstellen auf einen objektiven Dritten zur Beurteilung der Vorhersehbarkeit.161 155 Akyol, Dürüstlük S. 85. Nach Akyol ist der Maßstab für die Beurteilung der Zurechnung der Vorhersehbarkeit sorgfältig zu bestimmen. Bei Vorhersehbarkeit allein einer Person sei die Unvorhersehbarkeit zu verneinen. 156 Titze, Richtermacht, S. 25. 157 Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 189; Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 61. Kritik gegen rein Objektive Vorhersehbarkeit in dem türkischen Rechtssystem: Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 187; Gürsoy, Clausula, S. 109; Tezcan, Clausula, S. 85. 158 Oftinger, SJZ 36 (1939/40), S. 179 (233). 159 Kegel, Gutachten f. d. 40. DJT I, S. 135 (203); Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 188 (allerdings ohne von einem „Verschulden gegen sich selbst“ zu sprechen). 160 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Gürsoy, Clausula, S. 109; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Erzurumluog˘lu, Edimin Yerine Getirilmemesi, S. 73; Dural, ˙Imkansızlık, S. 67; Topuz, Denge Bozulması, S. 262; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 161 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 106; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 441; Kılıçog˘lu, Borçlar Hukuku, S. 183; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 153; Topuz, Denge

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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Völlig unterschiedlich voneinander behandelt dagegen die Rechtsprechung beider Länder dieses Thema. Die deutschen Gerichte stellen in ihren Entscheidungen, entsprechend der h. L., auf den durchschnittlichen Dritten ab, um dieses Kriterium zu bewerten.162 Die türkischen Gerichte hingegen verfolgen diesbezüglich keine klare Linie. In einigen Entscheidungen wird auf die absolute Unvorhersehbarkeit,163 in anderen wiederum auf die subjektive Unvorhersehbarkeit abgestellt.164 Begrüßenswert wäre auch hier das Abstellen der Rechtsprechung auf einen durchschnittlichen Dritten unter Berücksichtigung des Einzelfalls, um einheitliche Lösungsansätze und somit auch einheitliche Ergebnisse zu erzielen. Im Zusammenhang mit der Vorhersehbarkeit soll kurz auf eine im türkischen Recht existierende Norm (Art. 480 tOR) verwiesen werden, welche die widersprüchliche und dogmatisch bedenkliche Vorgehensweise des türkischen Gesetzgebers bei der Schuldrechtsreform verdeutlicht. Der Art. 480 Abs. 2 tOR regelt die Änderung der Umstände und die Rechtsfolge der Anpassungsmöglichkeit für den Werkvertrag. Der Gesetzgeber hat das Vorhersehbarkeitskriterium in Art. 480 Abs. 2 tOR anders formuliert als in Art. 138 tOR. Während in Art. 138 tOR verlangt wird, dass die Partei die Änderung der Umstände nicht vorhergesehen hat oder nicht hätte vorhersehen können, gibt Art. 480 tOR dem Unternehmer die Möglichkeit der Berufung auf die Vertragsanpassung/Vertragsauflösung, obwohl die Parteien die Änderung vorhergesehen, aber außer Acht gelassen haben. Diese Formulierung erleichtert dem Unternehmer den Rückgriff auf die Vertragsanpassung/Vertragsauflösung, obwohl in den meisten Fällen der Unternehmer geschäftserfahren und sachkundig ist und ihm daher aufgrund seiner Erfahrung eine größere Sensibilität hinsichtlich der Vorhersehbarkeit zugemessen werden sollte. Es gibt in der Gesetzesbegründung des Art. 480 Abs. 2 tOR keine Antwort darauf, warum der Gesetzgeber dem Unternehmer die Erfüllung der Voraussetzung der Vorhersehbarkeit erleichtert und dadurch eine Ungleichbehandlung ermöglicht hat. Mit Kodifizierung des Art. 138 tOR erscheint Art. 480 Abs. 2 tOR überflüssig. Empfehlenswert wäre es, Art. 480 Abs. 2 tOR aus dem Obligationengesetz zu entfernen, um so die gleiche Behandlung aller Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu gewährleisten. Zumindest sollte diese Ungleichbehandlung beseitigt werden, indem das Kriterium der Unvorhersehbarkeit für beide Vorschriften angeglichen (egalisiert) wird. Bozulması, S. 262. Im deutchen Recht: Besiekierska, Leistungserschwerungen, S. 61; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 190. 162 Einige Beispiele: BGH NJW 1983, S. 1309 (1310); NJW 1984, S. 2212 (2212). 163 Y.13.HD., 26. 09. 2012, E. 2012/3259, K. 2012/21304; Y.13.HD., 09. 06. 2005, E. 2005/ 1874, K. 2005/9749; Y.19.HD, 27. 01. 2005, E. 2004/7053, K. 2005/328; Y.19.HD., 25. 03. 2004, E. 2003/5020, K. 2004/3287; Y.11.HD., 10. 10. 2005, E. 2004/12208, K. 2005/9454; Y.11.HD., 01. 04. 2002, E. 2001/10794, K. 2002/2870. 164 Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 18. 04. 1984, E. 1984/ 11 139, K. 1984/426.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

VI. Zurechenbarkeit Weiteres Prüfungskriterium in beiden Rechtssystemen ist die Zurechenbarkeit der Änderung der Umstände.165 Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist ausgeschlossen, wenn die benachteiligte Partei die Störung selbst herbeigeführt hat. Beide Rechtssysteme beruhen auf dem Gedanken, dass derjenige, der die Störung in zurechenbarer Weise herbeigeführt hat, grundsätzlich nicht schutzwürdig sei (§ 276 BGB; Art. 114 tOR). Der Umfang der Zurechenbarkeit wird hierbei aus dem Sphärengedanken hergeleitet.166 Entstammt die Störung aus der Sphäre einer Partei, so sei die Wahrscheinlichkeit, dass er diese auch zu vertreten hat, sehr groß.167 Auch die Zurechenbarkeit lässt sich im deutschen Recht nicht unmittelbar dem Wortlaut der Norm entnehmen. Die Zurechenbarkeit wird vielmehr innerhalb der Konkretisierung der Zumutbarkeit geprüft. Im türkischen Recht hingegen ist dieses Kriterium als Voraussetzung im Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich festgehalten. Im türkischen Recht darf die außerordentliche Änderung der Umstände nicht vom Schuldner verursacht worden sein. Diese ausdrückliche Regelung führt zu weiteren Diskussionen innerhalb der türkischen Rechtsliteratur. In der türkischen Rechtslehre wurde vor und auch nach der Schuldrechtsmodernisierung diskutiert, was unter der Formulierung „nicht von dem Schuldner verursacht“ zu verstehen ist. Einer Ansicht nach ist unter dieser Formulierung das Verschulden des Schuldners zu verstehen,168 nach einer anderen Ansicht wird damit die Prüfung der Verantwortlichkeit des Schuldners verlangt, da es auch möglich sei, dass die Verantwortlichkeit ohne Verschulden einer Partei vorliegen könne.169 Eine derartige Diskussion existiert in der deutschen Literatur und Rechtsprechung nicht, da eine vergleichbare Formulierung in der deutschen Norm in § 313 BGB nicht vorhanden ist. Im Vergleich zwischen Art. 138 tOR und § 313 BGB ist eine strengere Vorgehensweise des türkischen Gesetzgebers festzustellen. Aufgrund der Negativregelung dieser Voraussetzung im türkischen Recht im Wortlaut des Art. 138 tOR selbst und der Prüfung der Verantwortlichkeit wird der Anwendungsrahmen der Norm eingeschränkt. Der Grund dafür ist, dass dem Schuldner der Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage verwehrt ist, sobald die Störung aus seiner Sphäre stammt und auf irgendeine Weise in seinen Verantwortungsbereich fällt. Im deutschen Recht hingegen schließt nicht jeder kausale Beitrag die Anwendung des § 313 BGB 165 Vgl. oben für das deutsches Rechtssystem Kapitel 1, § 3, A., III., 4., c) Zurechenbarkeit. Für das türkische Rechtssystem Kapitel 1, § 3, A., V. Zurechenbarkeit. 166 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). 167 Belling/Hartmann, ZfA 1997, S. 87 (99). 168 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 135; Baykal, Batider 1998, C. XIX, S. 231 (250); Gürsoy, Clausula, S. 153; Yılmaz, AÜHFD, 59 (1) 2010, S. 131 (163). 169 Baysal, in; Türk Borçlar Kanunu Sempoyzumu, S. 129 f.; ders., Sözles¸menin Uyarlanması, S. 167; Topuz, Denge Bozulması, S. 271.

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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mangels Unzumutbarkeit aus. Handelt der Schuldner beispielsweise fahrlässig, ist die Anwendung des § 313 BGB nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. Dieses fahrlässige Verhalten wird vielmehr innerhalb der Zumutbarkeit berücksichtigt und führt zur Anhebung der Zumutbarkeitsgrenze. Nach der Formulierung des Gesetzgebers dürfen nach Art. 138 tOR die außerordentlichen Umstände nicht vom Schuldner verursacht worden sein. Die Wahl der Formulierung der Zurechenbarkeit ist vielfach kritisiert worden.170 Ein erster Kritikpunkt ist, dass außerordentliche Umstände in den meisten Fällen nicht vom Schuldner verursacht werden. Daher geht aus der Formulierung der Außerordentlichkeit der eigentliche Wille des Gesetzgebers nicht hervor. Die außerordentliche Änderung kann nur außerhalb des Machtbereiches des Bertoffenen liegen. Es gibt Diskussionen darüber, ob außerordentliche Änderungen nur die Allgemeinheit betreffende soziale Katastrophen bedeuten. Einerseits wählt der Gesetzgeber „außerordentliche Änderung der Umstände“ und versucht mit dieser Formulierung einen höheren Maßstab für Änderungen festzustellen, andererseits widerspricht er sich damit, indem er betont, dass die außerordentlichen Umstände nicht vom Schuldner verursacht sein dürfen. Wie bereits oben ausgeführt, kann eine solche außerordentliche Änderung nicht vom Schuldner verursacht werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Schuldner zwar nicht die außerordentliche Änderung der Umstände, aber die Verstärkung der Äquivalenzstörung verursacht haben kann.171 Beispielsweise kann der Schuldner für die Erhöhung des Schadens verantwortlich sein, obwohl er die außerordentliche Änderung nicht verursacht hat, aber auch keine Vorkehrungen zur Vermeidung der Störung getroffen hat.172 Nach einer Ansicht in der Literatur muss daher bei der Formulierung der Zurechenbarkeit zusätzlich darauf abgestellt werden, ob die Änderung aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners stammt und ob der Schuldner entsprechende Vorkehrungen zur Vermeidung dieser Änderung vorgenommen hat.173 Es sei sinnvoller, den Wortlaut der Norm dahingehend zu ändern, dass der Schuldner sowohl für die unvorhersehbaren Veränderungen der Umstände als auch für das verwirklichte vertragliche Risiko nicht verantwortlich gemacht werden kann.174 Im Zusammenhang mit der Zurechenbarkeitsprüfung stellt sich im Übrigen für beide Rechtssysteme die Frage, ob die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Fällen des Verzugs möglich ist.175 Diese Diskussion spielt im türkischen Recht aufgrund der Negativvoraussetzung der Nichterfüllung der Leistung eine 170

Topuz, Denge Bozulması, S. 272 f. Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 168. 172 Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 168. 173 Topuz, Denge Bozulması, S. 272. 174 Topuz, Denge Bozulması, S. 273 f. 175 Vgl. oben für das deutsches Rechtssystem Kapitel 1, § 3, A., III., 4., c), bb) Die Anwendbarkeit des § 313 BGB in Fällen des Verzugs. Für das türkische Rechtssystem: Kapitel 1, § 3, A., V., 2. Anwendbarkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Fällen des Verzugs. 171

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größere Rolle als im deutschen Recht. Erfüllt der Schuldner seine Leistung nicht, weil er sich die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht versperren will, befindet er sich im Verzug. Erfüllt er hingegen seine Leistung, versperrt diese Erfüllung die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgrund der ausdrücklichen Regelung der Voraussetzung der Nichterfüllung der Schuld in der Vorschrift selbst. Der Schuldner wird in eine missliche Lage gebracht, wenn er denn nicht zuvor bei der Leistung einen Vorbehalt angemeldet hat. Die türkische Rechtsprechung hat für diese Einengung des Handlungsfreiraums des Schuldners (der benachteiligte Partei) keine befriedigende Lösung präsentiert. Sie lehnt den Wegfall der Geschäftsgrundlage sowohl bei Erfüllung des Vertrags als auch in Fällen des Verzugs ab, ohne die Hintergründe des Verzugseintritts zu erforschen.176 Die einzige Möglichkeit, die dem Schuldner somit bleibt, ist die Erfüllung unter Vorbehalt. Die türkische Rechtsprechung hat von der Literatur für diese mangelhafte Regelung zu Recht große Kritik erfahren.177 Bei der Prüfung der Verzugsregeln spiele der Verschuldensmaßstab zwar im Allgemeinen keine Rolle, jedoch allein das Abstellen auf den Verzugseintritt könne die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht verhindern. Vielmehr müssten die Verzugsumstände näher betrachtet werden, um gerechte Lösungen gewährleisten zu können. Dieser Gedanke entstammt der Regelung des Art. 103 Abs. 2 tOR, wonach dem Schuldner die Befreiung von der Haftung für Verzugsfolgen bei Erbringung des Nachweises des Nichtverschuldens gewährt wird. VII. Risikozuweisung Parallelen bezüglich der Voraussetzungen beider Rechtsvorschriften zeigen sich im Bereich der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilungen.178 Sind gesetzliche oder vertragliche Risikoverteilungen vorhanden, ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtssystemen ausgeschlossen. Während der Ausschluss im deutschen Recht in § 313 BGB ausdrücklich geregelt ist, fehlt eine solche Regelung in der türkischen Norm, ist jedoch von der türkischen Rechtsprechung179 und Rechtslehre180 anerkannt. 176 Y.HGK., 17. 10. 1980, E. 1978/11-773, K. 1980/2310; Y.13.HD., 12. 02. 1981, E. 1981/ 137, K. 1981/932; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/6186, K. 1982/7199; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 2003/7017; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171. 177 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 137; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 168; Topuz, Denge Bozulması, S. 274. 178 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., III., 4., a) Risikozuweisung; für das türkische Rechtssystem Kapitel 2, § 3, A., VI. Risikozuweisung. 179 Y.11.HD., 11. 02. 1975, E. 1974/5000, K. 1975/891; Y.13.HD., 26. 11. 1982, E. 1982/ 6186, K. 1982/7199; Y.HGK., 01. 07. 1992, E. 1992/13-360, K. 1992/425; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.13.HD., 03. 03. 2005, E. 2004/14870, K. 2005/3171.

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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Gesetzliche Spezialvorschriften über außerordentliche Änderungen der Umstände sind in beiden Ländern vorrangig. Ebenso geht die Verwirklichung eines vertraglichen Risikos in beiden Rechtssystemen stets zulasten der betroffenen Partei. Das Rechtsempfinden in beiden Ländern stimmt in diesem Punkt überein. Die Privatautonomie gewährt den Parteien die Möglichkeit, durch Vertragsvereinbarungen positive und negative, aber auch ausdrückliche und stillschweigende Klauseln für den Fall des Eintritts unerwarteter Ereignisse festzuhalten und sich somit zu schützen. Vertragliche Vereinbarungen bieten Vorteile, da es zum einen bei Vorliegen von Parteivereinbarungen auf die Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht mehr ankommt,181 zum anderen können die Parteien selbst entscheiden und entsprechend vereinbaren, ob primär eine Vertragsanpassung oder eine Auflösung erfolgen soll. Die primäre Rechtsfolge der Anpassung des Vertrags entspricht nicht in jedem Fall den Interessen der Parteien. In bestimmten Fällen mag die Vereinbarung eines Rücktritts oder einer anderweitigen Beendigung den Parteiinteressen eher entsprechen. Ist eine Risikoverteilung nicht ausdrücklich festgehalten, kann diese in beiden Rechtssystemen über eine Auslegung ermittelt werden, wobei die Auslegung und das Institut des Rechtsmissbrauchs im türkischen Recht eine wesentlich größere Rolle spielten als im deutschen Recht. Da den allgemeinen Geschäftsbedingungen aus dem deutschen Recht vergleichbare Normen in der türkischen Rechtsordnung erst mit der Reform im Juli 2012 eingeführt wurden, bewertete die Rechtsprechung Vertragsklauseln bislang mit Hilfe der Auslegung.182 In den meisten Fällen geschah dies mit dem Institut des Rechtsmissbrauchs, da der Rechtsmissbrauch im türkischen Recht – im Unterschied zum deutschen Recht wie bereits ausgeführt – in einer separaten Norm kodifiziert ist. Dieser Umstand führte dazu, dass das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der türkischen Rechtsordnung über den Rechtsmissbrauch häufiger zur Anwendung kam als in der deutschen Rechtsordnung. Die Rechtsprechung in beiden Ländern bewertet stillschweigende Vertragsvereinbarungen unterschiedlich. Da die Türkei, anders als Deutschland, von wirtschaftlichen Schwankungen und folglich Währungswertverlusten geprägt ist, und daher Verträge häufig auf der Grundlage von Fremdwährungen geschlossen wurden und werden, bewertet die Rechtsprechung Wertschwankungen als stillschweigend vereinbart. Von den Parteien sei aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der 180 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 141 ff.; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 192 ff.; Topuz, Denge Bozulması, S. 275. 181 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 437 Rn. 20; Säcker, GS Sonnenschein, S. 597 (597); Urich-Erber, Äquivalenzstörungen, S. 157. Für das türkische Rechtssystem: Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 140; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahelesi, S. 119. 182 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., III., 4., a), aa), (2) Das Verhältnis des § 313 BGB zu Vertragsklauseln; für das türkische Rechtssystem Kapitel 2, § 3, A., VI., 1., b) Verhältnis des Art. 138 tOR zu Vertragsklauseln.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

langjährigen Wertschwankungen eine Änderung des Währungswertes vorauszusehen gewesen. Dieses Risiko habe die betroffene Partei bewusst übernommen. Nach der türkischen Rechtsprechung kommt in diesen Fällen der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht zur Anwendung. Jedoch muss betont werden, dass mit der Kodifizierung des Art. 138 Abs. 2 tOR die Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf Verträge über Fremdwährungen nicht mehr wegen Vorhersehbarkeit und Risikoübernahme abgelehnt werden darf. Solch eine Beurteilung ist den Entscheidungen deutscher Gerichte aufgrund der wirtschaftlich stabileren Lage seit Ende der Weltkriegsauswirkungen und der Nichterforderlichkeit der Regelung über Fremdwährungen hingegen nicht zu entnehmen. Zuvor hat die türkische Rechtsprechung die Verträge mit Fremdwährungsbezug als stillschweigende Vertragsklausel akzeptiert und invenierte bei vorhandener Vertragsklausel nicht in den Vertrag. Die türkische Rechtsprechung hat ihre Einstellung mit der Zeit dahingehend geändert, dass vereinbarte oder stillschweigende Klauseln in Fällen, in denen sie eine Partei ungerechtfertigterweise oder in unzumutbarer Weise benachteiligen, rechtsmissbräuchlich sein können. Lag ein Fall des Rechtsmissbrauchs vor, mischte sich die Rechtsprechung trotz Vereinbarungen in den Vertrag ein. Die Rechtsprechung griff auch ein, wenn die Vereinbarung Persönlichkeitsrechte einer Partei gem. Art. 23 tZGB verletzte.183 In Fällen, in denen eine Partei ein übermäßiges Risiko zu tragen hat, können die Gerichte mit Hilfe von Art. 23 tZGB eingreifen. Eine vergleichbare, die allgemeine Persönlichkeitsrecht regelnde Norm ist dem deutschen Recht fremd. Innerhalb der Diskussionen bezüglich der Risikozuteilung entwickelte sich in beiden Rechtssystemen eine weitere Ansicht, welche ein generelles Abbedingen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit Hilfe vertraglicher Vereinbarungen für zulässig erachtete. Diese Ansicht hat sich weder in der deutschen noch in der türkischen Literatur durchsetzen können. Nach h. L. im türkischen und deutschen Schrifttum ist ein generelles Abbedingen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht möglich, da die Vorschriften über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in beiden Ländern auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhen und diese zwingend sind.184 Ferner sind diese Vorschriften auch zwingende Normen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass – trotz des generellen Vorrangs vertraglicher Klauseln und des subsidiären Charakters von Art. 138 tOR und § 313 BGB – der Wegfall der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtssystemen

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Gürsoy, Clausula, S. 160. Für das türkische Rechtssystem: Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 54; Og˘uzman/Öz, Medeni Hukuk, S. 226. Für das deutsche Rechtsystem: Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/ Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 5; Roth, in: MüKo, BGB5, § 313 Rn. 112; ders., in: MüKo, BGB4, § 242 Rn. 76; Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreich8, BGB, § 242 Rn. 11; UrichErber, Äquivalenzstörungen, S. 170. 184

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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dann zur Anwendung kommt, wenn vertragliche Vereinbarungen beispielsweise nichtig sind oder wenn nicht bedachte oder nicht geregelte Störungen eintreten.185 Für den Rechtsanwender wäre ein ausdrückliches Regeln der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung in der Norm selbst von Vorteil. Dies entspricht im Grunde auch der Intention des türkischen Gesetzgebers, der eine ausführliche Aufzählung der einzelnen Voraussetzungen anstrebt. Auch wenn die gesetzliche und vertragliche Risikoverteilung in der türkischen Norm nicht ausdrücklich enthalten ist, ist davon auszugehen, dass der Rechtsanwender vertragliche und gesetzliche Vereinbarungen und Risikoverteilungen vorrangig behandeln wird, da dies bereits vor der Schuldrechtsreform so erfolgte.

B. Zusammenfassung der Voraussetzungen Zusammenfassend ist bei einem Vergleich zwischen der deutschen und der türkischen Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als wesentlicher Unterschied festzustellen, dass der türkische Gesetzgeber die Voraussetzungen des Art. 138 tOR ausführlicher und detaillierter aufgelistet hat. Im Gegensatz dazu, hat der deutsche Gesetzgeber die einzelnen Voraussetzungen negativ formuliert. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind im deutschen Recht durch die Formulierungswahl der Zumutbarkeit oder das Verlangen der Einzelfallberücksichtigung allgemeiner gefasst. Mit der Formulierung der Zumutbarkeit und der Einzelfallberücksichtigung räumt der deutsche Gesetzgeber dem Richter einen weiten Ermessensspielraum ein. Ein Grund für die detaillierte Aufzählung der einzelnen Voraussetzungen im türkischen Recht kann darin liegen, dass der Gesetzgeber willkürliche Entscheidungen der Gerichte vermeiden wollte, da vor der Schuldrechtsreform das willkürliche Verhalten der türkischen Rechtsprechung von der türkischen Literatur stark kritisiert wurde. Ein weiterer Grund für die ausführliche Aufzählung und Erschwerung der Berufung auf dieses Institut kann in der Betonung der Subsidiarität dieser Norm liegen. Zwar ist die detaillierte Aufzählung der einzelnen Voraussetzungen hinnehmbar, um willkürliche Entscheidungen der Gerichte zu vermeiden, jedoch erschwert diese detaillierte Aufzählung die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage sehr. Allein die Erfüllung des Vertrages ohne Vorbehalt schließt die Berufung auf dieses Institut ohne Einräumung von Ausnahmen aus. Auffällig ist bei der Regelung des Art. 138 tOR, dass der türkische Gesetzgeber – trotz der Absicht der ausführlichen Regelung – wesentliche Kriterien, wie die Geschäftsgrundlage und die Risikozuweisung, nicht geregelt hat.

185

Vgl. oben Kapitel 1, § 3, A., VI., 1., b) Verhältnis des Art. 138 tOR zu Vertragsklauseln.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

C. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im deutschen und im türkischen Rechtssystem weist Gemeinsamkeiten auf. Beide Rechtsinstitute finden Anwendung auf Verträge.186 Eine Unterscheidung zwischen einseitigen, gegenseitigen, entgeltlichen oder unentgeltlichen Verträgen erfolgt weder in Art. 138 tOR noch in § 313 BGB. Die Anwendbarkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf Verträge nach Obligationenrecht und auch auf Verträge nach Zivilgesetzbuch folgt aus Art. 5 tZGB und Art. 646 tOR. Weiterhin findet in beiden Rechtssystemen der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach h. L. auf einseitige Rechtsgeschäfte, wie beispielsweise das Testament, keine Anwendung. Hierfür existieren Spezialregelungen. Für einen darüberhinausgehenden Schutz bestehe kein Bedarf.187

D. Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten Die Abgrenzung der Geschäftsgrundlage zu anderen Rechtsinstituten wurde in beiden Rechtssystemen besonders nach der Schuldrechtsreform diskutiert. In das deutsche Recht wurden mit der Reform im Jahr 2002 unterschiedliche Vorschriften in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Durch die Kodifizierung haben sich die Abgrenzungsdiskussionen im deutschen Recht verstärkt, da zwischen einigen Normen hinsichtlich ihrer Schutz- und Zweckrichtung Parallelen vorhanden sind und somit das Zuordnen der Sachverhalte zur jeweiligen Norm Schwierigkeiten bereitet. Diese Abgrenzung hat auch im türkischen Recht eine große Bedeutung. Vor der Kodifizierung des Art. 138 tOR wurden Geschäftsgrundlagenstörungen über unterschiedliche Institute, wie die Unmöglichkeit oder den Grundsatz von Treu und Glauben und den Grundlagenirrtum, behandelt. Dies verdeutlicht, dass das Institut Wegfall der Geschäftsgrundlage und die genannten Institute Gemeinsamkeiten aufweisen. Mit der Kodifizierung des Art. 138 tOR müsste sich die Abgrenzung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu anderen Instituten klarer gestalten. Gemeinsam ist beiden Rechtsordnungen, dass die Abgrenzung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu den gleichen Instituten vorgenommen wurde und diese bereits vor der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in beiden Ländern existierten. Neben den Unmöglichkeitsregeln bieten die Kündigung aus wichtigem Grund und das Bereicherungsrecht aufgrund vergleichbarer Voraussetzungen eine 186 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B. Anwendungsbereich des § 313 BGB und die Abgrenzung zu anderen Instituten. Für das türkische Recht: Kapitel 2, § 3, B. Anwendungsbereich des Art. 138. 187 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 428 Rn. 53; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 50; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 14; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (385 f.).

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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Abgrenzungsbasis in beiden Rechtsordnungen. Jedoch haben sich auch im Bereich der Abgrenzungsproblematik in beiden Rechtsordnungen Unterschiede herausgebildet. Diese Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten beider Rechtssysteme im Vergleich werden im Folgenden dargestellt. I. Unmöglichkeit Bereits vor der Kodifizierung wurde das Abgrenzungsverhältnis zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und der Unmöglichkeit in beiden Rechtssystemen rege diskutiert. Diese Diskussion hat nach der Schuldrechtsreform besonders im deutschen Rechtssystem an Aktualität nicht verloren.188 Ein Grund hierfür ist, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Schuldrechtsreform in § 275 Abs. 2 die faktische Unmöglichkeit und in § 275 Abs. 3 die persönliche Unmöglichkeit geregelt hat. Im Folgenden wird zunächst die Abgrenzungsproblematik der einzelnen Absätze des § 275 BGB und im Anschluss daran das Verhältnis der einzelnen Unmöglichkeitsformen im türkischen Recht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage näher erläutert. Zwischen § 275 Abs. 1 BGB und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage existieren keine Abgrenzungsschwierigkeiten, da bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 BGB dieser in jedem Fall den Vorrang genießt.189 Dieses Vorrangverhältnis ist der Gesetzesbegründung zu § 313 BGB zu entnehmen. Wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit ist, besteht kein Anlass mehr, den Vertrag nach den Regeln des § 313 BGB anzupassen. Im Zusammenhang mit dem Vorrangverhältnis zwischen § 275 Abs. 1 BGB und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage hatte sich in der deutschen Rechtslehre die Diskussion entwickelt, ob die Zweckstörung, die Zweckerreichung und der Zweckfortfall unter § 275 Abs. 1 BGB oder unter das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu subsumieren wären.190 Die h. L. löste allein die Zweckstörung über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage,191 die Zweckerreichung und den Zweckfortfall hingegen über

188 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II. Abgrenzung und Konkurrenzverhältnis zu anderen Rechtsinstituten. 189 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 1. Abgrenzung zu § 275 Abs. 1 BGB. 190 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 1. Abgrenzung zu § 275 Abs. 1 BGB. 191 BGH NJW 2000, S. 1714 (1716 ff.); NJW 2006, S. 899 (901); OLG Düsseldorf NZM 2010, S. 477 (478); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 177 f.; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 78; Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 159; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 275 Rn. 20; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 36; Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 14, 54; Löwisch, in: Staudinger, BGB2001, § 275 Rn. 20; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, Rn. 22; Schulze, in: Hk-BGB7, § 275 Rn. 10; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 22, 64.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

§ 275 Abs. 1 BGB. Bei der Zweckerreichung und dem Zweckfortfall192 kann die Leistung nicht mehr erbracht werden, da sie unmöglich geworden ist. Bei der Zweckstörung hingegen ist die Leistung weiterhin erfüllbar, womit die flexiblere Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit der Möglichkeit, den Vertrag anzupassen, sachgerechter ist. Im türkischen Rechtsystem hat sich bisher weder die Literatur noch die Rechtsprechung mit der Zweckerreichung und dem Zweckfortfall beschäftigt. Es wäre empfehlenswert, auch im türkischen Rechtssystem Zweckerreichung und Zweckfortfall aus den bereits erwähnten Gründen unter die Unmöglichkeit zu subsumieren. Im Rahmen der Unmöglichkeitsregeln kommt § 275 Abs. 2 BGB eine besondere Rolle zu. Sowohl § 275 Abs. 2 BGB als auch der Wegfall der Geschäftsgrundlage sind mit der Schuldrechtsreform in das jeweilige Gesetzbuch eingeführt worden.193 Beide Institute regeln Fälle der Leistungserschwerung. Aufgrund der zahlreichen Überschneidungen beider Normen und der unterschiedlichen Rechtsfolgen wurde mit der Schuldrechtsreform und der Einführung beider Normen in das BGB eine bis heute aktuelle Diskussion zur Abgrenzung beider Vorschriften eröffnet.194 Bedauerlicherweise hat der deutsche Gesetzgeber diesen Umstand bei der Kodifikation nicht bedacht und weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung das Rangverhältnis zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB in Fällen der Überschneidung klargestellt. Die allgemeine Erwähnung des Vorrangs der Unmöglichkeitsvorschriften in der Gesetzesbegründung ist zur Klärung dieser Abgrenzung und zur Beantwortung dieser Frage offensichtlich nicht ausreichend. Diese Abgrenzungsproblematik, die in der deutschen Literatur diskutiert wird, ist in der türkischen Rechtslehre nicht vorhanden, da die faktische Unmöglichkeit im Obligationengesetz nicht normiert ist. Es ist begrüßenswert, dass der türkische 192 Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 77 f.; Klausch, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit, S. 59. 193 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 2. Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB. 194 Für die Vorrangigkeit des § 275 Abs. 2 BGB: Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (831); Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 181; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 35; Kindl, WM 2002, S. 1313 (1316); Mückl, Jura 2005, S. 809 (811); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 13; Mattheus, JuS 2002, S. 209 (218); Riesenhuber/ Domröse, JuS 2006, S. 208 (2010); Schulze/Ebers, JuS 2004, S. 265 (266); Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB3, § 313 Rn. 22. Für die Vorrangigkeit des § 313 BGB: Schlüter, ZGS 2003, S. 346 (351); Mittenzwei, FS Jagenburg, S. 621 (629); Wahl, Schuldnerverzug, S. 53; Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 174 ff.; Motsch, JZ 2001, S. 428 (431). Für Wahlrecht des Schuldners: Faust, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 55 Rn. 79; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (78); Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275 Rn. 23; Klausch, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 120; Löhning, ZGS 2005, S. 459 (460 Fn. 13); Otto, Jura 2002, S. 1 (5). Für die Abgrenzung über die vertragliche Risikostruktur: Medicus/Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB8, § 313 Rn. 6; Stürner, Jura 2010, S. 721 (724, 726). Für die Gleichrangigkeit zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB: Canaris, JZ 2001, S. 499 (501 ff.); Meier, Jura 2002, S. 118 (120 f.); Huber, FS Schlechtriem, S. 521 (558 Fn. 97).

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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Gesetzgeber eine § 275 Abs. 2 entsprechende Norm nicht geschaffen hat, da der Begriff der Unmöglichkeit, der auch die faktische Unmöglichkeit einschließt, in der Literatur sehr weit ausgelegt wird, zumal der § 275 Abs. 2 in Extremfällen zur Anwendung kommt.195 Eine weitere Abgrenzung ist zwischen § 313 BGB und § 275 Abs. 3 BGB erforderlich, weil beide Normen eine ähnliche Schutzrichtung haben und ihre Voraussetzungen Parallelen aufzeigen.196 Die vorherrschende Ansicht in der deutschen Rechtslehre und die deutsche Rechtsprechung gewähren in Fällen des Glaubensoder Gewissenskonflikts, in denen eine Leistung aufgrund persönlicher Umstände unzumutbar ist, dem § 275 Abs. 3 BGB im Verhältnis zu § 313 BGB den Vorrang.197 Begründet wird dies damit, dass sich bei diesem Sachverhalt die benachteiligte Partei keine falschen Vorstellungen über die Unzumutbarkeit des Vertrags i. S. d. § 313 Abs. 2 BGB mache und zudem eine objektiv-materielle Leistungserschwerung i. S. d. § 313 Abs. 1 BGB nicht gegeben sei, um auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückgreifen zu können.198 Im türkischen Recht ist eine vergleichbare Abgrenzungsproblematik nicht zu finden, da eine dem § 275 Abs. 3 BGB entsprechende Norm im türkischen Recht nicht existiert. Im türkischen Recht gliedert sich die Unmöglichkeit hingegen in die anfängliche und die nachträgliche Unmöglichkeit. Die nachträgliche Unmöglichkeit wiederum untergliedert sich in die zu vertretende und die nicht zu vertretende Unmöglichkeit. Die Rechtsfolgen aller drei Unmöglichkeitsformen im türkischen Recht unterscheiden sich allerdings erheblich voneinander. Die anfängliche Unmöglichkeit hat die Nichtigkeit des Vertrags als Rechtsfolge. Die nachträgliche, nicht zu vertretende Unmöglichkeit hat das Erlöschen des Schuldverhältnisses zur Folge, wohingegen bei der nachträglichen, zu vertretenden Unmöglichkeit das Schuldverhältnis erhalten bleibt, den Schuldner jedoch eine Schadensersatzpflicht statt der Leistung trifft.199 Die Neuregelung der Unmöglichkeitsvorschriften zeigt, dass der türkische Gesetzgeber bei der Kodifizierung weiterhin an der schweizerischen Rechtsordnung festhält. Wie bereits vor der Schuldrechtsreform wird die Unmöglichkeit durch drei Vorschriften, Art. 27, 112, und 136 tOR n. F. geregelt. Im Vergleich zum deutschen 195

Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 – Schuldrechtsmodernisierung, S. 15; BT-Drucks. 14/6040, S. 1298f. 196 Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 3. Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB. 197 Bauer, Gewissensschutz im Arbeitsverhältnis, S. 136; Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); ders., in: MüKo, BGB6, § 616 Rn. 48; Ernst, in: MüKo, BGB6, § 275, Rn. 118; Löwisch/ Caspers, in: Staudinger, BGB2009, § 275 Rn. 105; Medicus, in: Das neue Schuldrecht, Kapitel 3 Rn. 47; Medicus/Lorenz, Schuldrecht Bd. I19, Rn. 426; Richardi, NZA 2002, S. 1004 (1007); Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54); Schlodder, Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht, S. 103 ff.; Schwarze, Jura 2002, S. 73 (77). 198 Henssler, RdA 2002, S. 129 (131); Scholl, Jura 2006, S. 283 (287); ders., BB 2012, S. 53 (54). 199 Serozan, ˙Ifa, S. 162.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Recht ist eine Einheitlichkeit innerhalb der Unmöglichkeitsnormen nicht zu erkennen. Diese Vorgehensweise, und das weitere Festhalten an der schweizerischen Rechtsordnung, ist insofern nicht verständlich, da die Modernisierung unter anderem mit dem Ziel, den Eintritt in die Europäische Union zu beschleunigen, vorgenommen wurde. Die Rechtsordnung eines Landes, welches selbst kein Mitglied der Union ist, weiterhin als Vorbild zu nehmen, erscheint wenig einleuchtend.200 Die Verteilung der Unmöglichkeitsnormen auf drei unterschiedliche Gesetze, mit unterschiedlichen Rechtsfolgen und der weiterhin unklaren Behandlung der subjektiven Unmöglichkeit, erschwert dem Rechtsanwender den Umgang mit diesen Normen. Ein klarer systematischer Aufbau, vergleichbar mit dem deutschen Zivilrecht, wäre wünschenswert. Es wäre empfehlenswert, nachträglich nicht zu vertretende und nachträglich zu vertretende Unmöglichkeit mit gleicher Rechtsfolge unter einer Norm zu kodifizieren. Im Gegensatz zum deutschen Zivilrecht gibt es im türkischen Recht seit der Schuldrechtsreform keine Abgrenzungsprobleme zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Unmöglichkeitsregeln. Der enge und rein technische Anwendungsbereich des Art. 136 tOR. lässt keinen Raum für Abgrenzungen. Die Unmöglichkeitsnormen sind im türkischen Zivilrecht daher vorrangig. Ist eine Leistung unmöglich, kann eine Anpassung nicht vorgenommen werden. II. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund Vergleicht man beide Rechtssysteme, offenbart sich ein weiterer beachtlicher Unterschied zwischen dem deutschen und dem türkischen Recht. Im deutschen Recht wurde die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen nach der Schuldrechtsreform ausdrücklich in § 314 BGB geregelt. Diese Regelung ist begrüßenswert, führt jedoch bei Vorliegen der Voraussetzungen zum einen zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen § 313 BGB und § 314 BGB, zum anderen zur Frage, ob die Fristenregelung des § 314 Abs. 3 BGB auf § 313 BGB übertragbar ist.201 Diesbezüglich haben sich die herrschende Rechtslehre202 und die deutsche Rechtsprechung203 gegen die Übertragbarkeit der Fristenregelung ausgesprochen. Begründet wird dies damit, dass der Gesetzgeber den Verweis des Gesetzesentwurfs in § 313 BGB auf den § 314 BGB vor der Kodifizierung gestrichen habe, womit deutlich gemacht wird, dass er keine gegenseitige Anwendung der Voraussetzungen

200

Serozan, HPD 2006 Sa. 6, S. 38 (40). Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 4. Das Verhältnis von § 313 BGB zu § 314 BGB. 202 Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3383); Reichart, Störung des Geschäftsgrundlage, S. 44; Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 163; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn. 37; Rösler, ZGS 2003, S. 383 (391). 203 OLG Saarbrücken NJOZ 2011, S. 257 (258). 201

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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der Normen wünscht. Trotz unterschiedlicher Ansichten in der Literatur204 ist es sinnvoll, der Partei im Falle des Anpassungsbegehrens den Rückgriff auf § 313 BGB und im Falle der Kündigung ein Wahlrecht zwischen der Berufung auf § 313 und § 314 einzuräumen, um den Parteiinteressen gerecht werden zu können. Eine Fristenregelung ist, entsprechend der Rechtslehre und Rechtsprechung, nicht erforderlich. So sehr das Erfordernis einer dem § 314 BGB vergleichbaren Norm in der türkischen Literatur und Rechtsprechung auch bekannt war, wurde mit der Reform des türkischen Schuldrechts eine vergleichbare Vorschrift jedoch nicht eingeführt. Trotz Fehlens einer vergleichbaren gesetzlichen Regelung zu § 314 BGB im türkischen Recht hat sich die türkische Literatur aufgrund der Anerkennung eines solchen allgemeinen Instituts mit der Abgrenzung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund beschäftigt.205 Der einzige Unterschied zwischen der deutschen und türkischen Rechtsordnung liegt darin, dass diese Diskussionen aufgrund des Fehlens der Kodifizierung im türkischen Recht im Vergleich zum deutschen Recht nicht weiter vertieft wurden. Daher hätte mit der Reform eine dem § 314 BGB vergleichbare Norm auch in das türkische Schuldrecht, unter Beachtung der in der deutschen Literatur herrschenden Diskussionen und der Regelung der Abgrenzungs- und der Fristenproblematik, eingeführt werden müssen, um unnötigen Streitigkeiten vorzubeugen. Es würde sich anbieten, sowohl die Geschäftsgrundlage als auch die Kündigung aus wichtigem Grund im Abschnitt „Folgen der Nichterfüllung“ mit der Überschrift „Anpassung und Beendigung von Verträgen“ einzuführen. Zum einen gibt es zwischen beiden Vorschriften bezüglich der Voraussetzungen Parallelen. Zum anderen ähneln sie sich auch in ihren Rechtsfolgen. Sowohl Art. 138 tOR als auch die Kündigung aus wichtigem Grund sehen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine Beendigung des Vertrags vor.

204

Für relativen Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund: Grüneberg, in: Palandt, BGB72, § 313 Rn. 14; ders., in: Palandt, BGB73, § 314 Rn. 9; Hey, FS Canaris, S. 21 (36 f.); Krebs, in: AnwaltKomm, BGB 2005, § 313 Rn. 22; ders., in: AnwaltKomm, BGB2005, § 314 Rn. 19; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 314 Rn. 16; Huber, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 235 f. Rn. 16; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB1, § 313 Rn. 23; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 29; ders., in: Jauernig, BGB15, § 314 Rn. 2; Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 46; Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 314 BGB, Rn. 9; Rögler, in: Schimmel/Buhlmann, Schuldrecht D IV, S. 302, 322; Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 424 Rn. 43. Absoluter Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund: Eidenmüller, Jura 2001, S. 824 (832); Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 186; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 127; Picker, ZfA 1981, S. 1 (24 f.); Hilger, BB 1957, S. 296 (297). Kein Rangverhältnis zwischen beiden Instituten: Hirsch, Kündigung aus wichtigem Grund, S. 159; ders., NZM 2007, S. 110 (113 f.); v. Hase, NJW 2002, S. 2278 (2279 ff.); Feldhahn, NJW 2005, S. 3381 (3382 ff.); Schulze, in: HK-BGB7, § 314 Rn. 2. 205 Altınok-Ormancı, Haklı Sebeplerle Feshin S¸artları, S. 113; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 260; Topuz, Denge Bozulması, S. 291.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

III. Irrtum Auch zur Abgrenzung zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Irrtumsregeln sind in beiden Rechtsordnungen Unterschiede vorhanden. Im deutschen Recht erfolgt diese Abgrenzung zwischen § 313 Abs. 2 BGB, welcher den beiderseitigen Motivirrtum regelt, und §119 Abs. 2 BGB, welcher den Eigenschaftsirrtum regelt.206 Diese Abgrenzung ist aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen von großer Bedeutung. Während § 313 Abs. 2 BGB die Möglichkeit der Anpassung eröffnet, ist Rechtsfolge des § 119 Abs. 2 BGB die Anfechtung und damit die Beendigung des Vertrags mit eventuell nachfolgenden Schadensersatzforderungen. Diese Abgrenzung wird in der deutschen Literatur stark diskutiert. Diesbezüglich werden verschiedene Ansichten vertreten. Während eine Ansicht dem § 119 Abs. 2 BGB Vorrang gewährt,207 verlangt eine andere Ansicht die bevorzugte Behandlung des § 313 Abs. 2 BGB.208 Eine weitere Ansicht nimmt die Abgrenzung zwischen beiden Normen anhand der Zuordnung der Sphäre des Irrtums vor.209 Eine andere Ansicht hingegen bietet dem Benachteiligten ein Wahlrecht.210 Trotz unterschiedlicher Literaturansichten ist § 313 Abs. 2 BGB im Verhältnis zu § 119 Abs. 2 BGB der Vorrang zu gewähren. Obwohl § 119 Abs. 2 BGB bereits vor der Schuldrechtsreform kodifiziert war, hat der Gesetzgeber mit der Reform des § 313 Abs. 2 BGB, welcher wesentliche, falsche Vorstellungen bei Vertragsabwicklungen regelt, in das neue Schuldrecht eingeführt und damit die Spezialität dieser Norm zum Ausdruck gebracht. Obwohl es im türkischen Recht keine dem § 313 Abs. 2 BGB vergleichbare Norm gibt, wurde bereits vor der Kodifikation des Art. 138 tOR das Verhältnis zwischen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Irrtumsregeln diskutiert. Nach einer Ansicht in der türkischen Literatur bedurfte es keiner Regelung der Geschäftsgrundlagenproblematik, da falsche Vorstellungen bei Vertragsabschluss und erst nach Vertragsabschluss entstandene Änderungen der Umstände über die Irrtumsregeln gelöst wurden.211 Die Gegenansicht betonte die Unterschiedlichkeit beider Institute sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenebene und das dringende Bedürfnis der sauberen Abgrenzung bei Erfüllung beider Tatbestandsvorausset206

Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 5. Abgrenzung zu § 119 BGB. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht23, Rn. 162; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 12. 208 Angermeir, Geschäftsgrundlagenstörungen, S. 123; Hirsch, Jura 2007, S. 81 (84); Rösler, JuS 2005, S. 120 (123). 209 Löhning, JA 2003, S. 516 (516). 210 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 148; Kanzleiter, MittBayNot 2004, S. 401 (403). 211 Arat, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 90 f.; Kocayusufpas¸aog˘lu, Kemal Og˘uzman‘ın Anısına Armag˘an, S. 503 (510); ders., Hata, S. 159, 161; ders., Borçlar Hukuku, S. 329; Eren, Borçlar Hukuku11, S. 363; Tekinay/Akman/Burcuog˘lu/Altop, Borçlar Hukuku, S. 431; Akıncı, Borçlar Hukuku, S. 107; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 48; Gülekli, MHAD 1990, S. 43 (61). 207

§ 3 Tatbestandliche Voraussetzungen zwischen beiden Rechtssystemen

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zungen. Ob der Gesetzgeber von den in der Literatur geführten Diskussionen beeinflusst wurde oder eigeninitiativ entschieden hat, sei dahingestellt, jedenfalls wurde eine dem § 313 Abs. 2 BGB entsprechende Norm nicht kodifiziert. Wegen Fehlens einer entsprechenden Norm werden wesentliche, falsche Vorstellungen bei Vertragsabschluss auch nach der Reform über den Grundlagenirrtum gem. Art. 32 tOR gelöst. Der Unterschied zwischen Art. 32 tOR und § 119 Abs. 2 BGB besteht darin, dass sich der Eigenschaftsirrtum des § 119 Abs. 2 BGB grundsätzlich nur auf Sachen und Personen bezieht, während beim Grundlagenirrtum darüber hinaus auch alle Geschäftsumstände zu berücksichtigen sind. Auch nach der Kodifikation des Art. 138 tOR kann man sich nach herrschender Ansicht in der türkischen Literatur über zukünftige Sachverhalte nicht irren. Probleme der nach Vertragsabschluss auftretenden veränderten Umstände und falscher Vorstellungen über zukünftige Sachverhalte werden folglich im türkischen Rechtssystem mit Hilfe des Art. 138 tOR gelöst. Eine Lösung der Probleme falscher Vorstellungen bei Vertragsabschluss ist aufgrund der strengen Rechtsfolge des Art. 32 tOR über den Grundlagenirrtum nicht sachgemäß. Eine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung falscher Vorstellungen bei Vertragsabschluss und nach Vertragsabschluss entstandener Änderungen der Umstände ist nicht ersichtlich. Ein großer Nachteil der türkischen Regelung Art. 32 tOR ist es, dass das türkische Recht auf die Tatbestandsvoraussetzung verzichtet, dass der Nichteintritt des grundlegenden Umstandes nicht einseitig im Risikobereich des Erklärenden liegen darf. Empfehlenswert wäre daher die Einführung einer dem § 313 Abs. 2 BGB vergleichbaren Norm auch im türkischen Recht, um somit Nachteile und Ungleichbehandlungen auszuschließen. Im Zusammenhang mit der Einführung einer § 313 Abs. 2 BGB vergleichbaren Regelung wäre es begrüßenswert, das Vorrangverhältnis der türkischen Version des § 313 Abs. 2 BGB in der Gesetzesbegründung klarzustellen, um ähnliche Streitigkeiten und die in der deutschen Literatur entstandenen Diskussionen künftig zu vermeiden. Gleichzeitig wird so die Spezialität betont, da die fehlende Geschäftsgrundlage im Gegensatz zum Grundlagenirrtum nur beidseitige Fehlvorstellungen regelt. IV. Ungerechtfertigte Bereicherung Eine weitere Abgrenzungsproblematik ergibt sich in beiden Rechtssystemen im Bereich des Bereicherungsrechts.212 In beiden Rechtsordnungen ist eine Abgrenzung zum Institut der Zweckkondiktion erforderlich. Diese Diskussion entsteht aufgrund der ähnlichen Zweck- und Schutzbestimmungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der ungerechtfertigten Bereicherung. Sowohl § 313 BGB als auch § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB regeln im deutschen Recht die enttäuschte Erwartungshaltung, die die Parteien in das Rechtsgeschäft 212

Vgl. oben Kapitel 1, § 3, B., II., 6. Abgrenzung § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

gelegt haben, womit die Herstellung der Vertragsgerechtigkeit gewährleistet werden soll. Während auf der Tatbestandsebene Gemeinsamkeiten vorhanden sind, unterscheiden sich beide Vorschriften in ihrer Rechtsfolge. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage eröffnet die Möglichkeit der Anpassung, wohingegen die Zweckkondiktion nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip lediglich die Beendigung des Vertrags vorsieht. Diese Diskussion existierte bereits vor der Reform und wurde nach der Kodifikation des § 313 BGB fortgeführt. Die Rechtsprechung musste sich häufig mit dieser Abgrenzungsproblematik, vor allem im Bereich nichtehelicher Lebensgemeinschaften, beschäftigen. In der Literatur genießt nach der dort herrschenden Auffassung § 313 Abs. 2 BGB gegenüber § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB Vorrang, da der Wegfall der Geschäftsgrundlage im Verhältnis zur Zweckkondiktion vertragliche Ansprüche regelt und aufgrund seiner flexibleren Rechtsfolge eher den Interessen der Parteien dient.213 Auch im türkischen Recht wurde diese Abgrenzung bereits vor der Schuldrechtsreform diskutiert, da ein Teil der Literatur Fälle der Geschäftsgrundlagenproblematik über das Bereicherungsrecht zu lösen versuchte und für die Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage keinen Bedarf sah.214 Als Begründung wurde angegeben, dass in Fällen der Inflation oder der Störung der Zweckabrede das Bereicherungsrecht ausreichenden Schutz biete. Auch wenn diese Abgrenzungsproblematik nach der Schuldrechtsreform in der türkischen Rechtslehre nicht so stark diskutiert wurde und die Gerichte sich bislang nicht mit dieser Thematik beschäftigt haben, wird im türkischen Recht dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, wie auch im deutschen Recht, der Vorrang gewährt. Artikel 138 tOR, der vertragliche Ansprüche regelt, wird im Verhältnis zu der Zweckkondiktion gem. Art. 77 tOR der Vorrang eingeräumt, da der Gesetzessystematik entsprechend vertragliche Ansprüche gegenüber gesetzlichen Ansprüchen generell Vorrang genießen. Auch die flexible Rechtsfolge des Art. 138 tOR bietet eine interessengerechtere Grundlage zur Lösung von Geschäftsgrundlagenstörungen.

E. Zusammenfassung der Abgrenzungsproblematik Die Abgrenzungsthematik wurde sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform in der deutschen Rechtsliteratur stark diskutiert, während sich die türkische Rechtslehre nicht detailliert mit der Abgrenzung der Geschäftsgrundlage zu anderen Instituten beschäftigte. Der Hauptgrund für diese unterschiedliche Entwicklung ist, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Schuldrechtsreform neben der Störung der Geschäftsgrundlage auch Institute, wie beispielsweise die faktische und persönliche Unmöglichkeit und die Kündigung aus wichtigem Grund, in das Schuldrecht ein213 Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 177 ff., 181; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 23. 214 Gürsoy, Clausula, S. 30.

§ 4 Rechtsfolgen

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führte. Damit wurde die Grundlage für neue und detailliertere Diskussionen geschaffen. Da auch keine ausreichenden Erläuterungen in Bezug auf das Vorrangverhältnis in der jeweiligen Gesetzesbegründung der deutschen Vorschriften vorhanden sind, musste sich die deutsche Literatur aufgrund der Parallelen zwischen den vorhandenen und neuen Vorschriften intensiv mit den einzelnen Instituten und ihrem Verhältnis zueinander auseinandersetzen. Im türkischen Recht dagegen gibt es keine nennenswerten Abgrenzungsprobleme. Die meisten in der deutschen Rechtsordnung vorhandenen Normen, die im türkischen Recht Diskussionen eröffnen könnten, sind nicht vorhanden. Als Beispiele sind hier § 275 Abs. 2, 3, § 314 und § 313 Abs. 2 BGB zu nennen. Begrüßenswert wäre hier, wie oben bereits erwähnt, die Kodifizierung einer dem § 313 Abs. 2 und § 314 BGB parallelen Norm. Unabhängig davon, dass eine solche Regelung Diskussionen im Hinblick auf das Vorrangverhältnis dieser Institute zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im türkischen Recht entwickeln könnte, sind diese Institute für das türkische Recht von großer Bedeutung. Dem türkischen Gesetzgeber steht die Möglichkeit offen, das Verhältnis der einzelnen Institute zueinander in der Gesetzesbegründung zu erläutern. Hierbei können die Diskussionen aus der deutschen Rechtsliteratur als wegweisend herangezogen werden.

§ 4 Rechtsfolgen Eine der Besonderheiten des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist die Eröffnung einer flexiblen Rechtsfolge. Vor allem auf der Rechtsfolgenebene unterscheidet sich dieses Institut von allen anderen in dieser Arbeit erwähnten Instituten, da der Wegfall der Geschäftsgrundlage die Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände als Primärrechtsfolge vorsieht. Die Vertragsanpassung war in beiden Rechtsordnungen bereits vor der Schuldrechtsreform als Rechtsfolge anerkannt.215 Trotz dieser vergleichbaren Rechtsfolgenregelung ist eine nähere Betrachtung der Rechtsfolge des Art. 138 tOR und des § 313 BGB erforderlich, um weitere Gemeinsamkeiten und vorhandene Unter215 Vor der Schuldrechtsreform: Teichmann, in: SoergelKomm, BGB12, § 242 Rn. 262; Larenz, Geschäftsgrundlage3, S. 172 ff.; Lehmann, JZ 1952, S. 10 (12); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 152; Rothe, AcP 151 (1950/51), S. 33 (33 ff.); Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 80 ff., 103 f.; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 106; Köhler, Unmöglichkeit, S. 156; ders., FS Steindorf, S. 611 (615); Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67 (83); Martinek, AcP 198 (1998), S. 329 (365), Horn, BMJ, Bd. I, 1981, S. 579 ff. Nach der Schuldrechtsreform: Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 40; Hohloch, in: Erman, BGB13, § 313 Rn. 40, 44; Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 75; Roth, in: MüKo, BGB5 Rn. 102; Stadler, in: Jauernig, BGB15, § 313 Rn. 27, 29; Schulze, in: Hk-BGB, § 313 Rn. 19. Im türkischen Rechtsystem: Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 f.; Erman, Beklenilmeyen Haller, S. 111; Arat, Sözles¸menin Uyarlanması S. 191; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 157; Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 253.

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schiede aufzeigen zu können. Im Folgenden wird die Anpassung des Vertrags [A.] und Vertragsaufhebung [B.] untersucht.

A. Anpassung des Vertrags Die Rechtsfolgen des § 313 BGB und des Art. 138 tOR stimmen im Wesentlichen überein. Neben der primären Rechtsfolge der Vertragsanpassung wird den Parteien in beiden Rechtssystemen die Möglichkeit der Vertragsauflösung eröffnet. Sowohl die Anpassung als auch die Auflösung des Vertrags war in beiden Rechtssystemen bereits vor der Schuldrechtsreform von der Rechtslehre und der Rechtsprechung anerkannt. Gemeinsam ist beiden Rechtsordnungen des Weiteren, dass unmittelbar aus dem Wortlaut die Vertragsanpassung als vorrangige Rechtsfolge zu erkennen ist. Dies entspricht auch der herrschenden Literaturmeinung in beiden Rechtssystemen. Sinn und Zweck der Anpassung sind die Wiederherstellung der Zumutbarkeit der vertraglichen Leistungspflichten und die interessengerechte Angleichung an die aktuellen Umstände. Um eine interessengerechte Anpassung zu gewährleisten, sind in beiden Rechtssystemen die Vertragsart, der Vertragstyp und die Situation der Parteien unter Beachtung der jeweiligen Risikoverteilung zu berücksichtigen. Wie eine Vertragsanpassung zu erfolgen hat, geht aus dem jeweiligen Gesetz nicht hervor. Das deutsche und türkische Rechtssystem räumt daher für die Anpassung des Vertrags einen großen Ermessensspielraum ein. Den Parteien und Richtern selbst obliegt die Entscheidung, auf welche Art und Weise der Vertrag anzupassen ist. Neben der Vereinbarung einer Ratenzahlung kommen die zeitliche Verlegung der Erfüllung, eine Tilgungsvereinbarung oder auch die Änderung und Regelung der Nebenpflichten in Betracht, um den Vertrag, den Interessen der Parteien und den Umständen entsprechend zu verändern. Im Unterschied zum türkischen Recht trat die Vertragsanpassung im deutschen Recht vor der Schuldrechtsmodernisierung nach h. L. und Rechtsprechung kraft Gesetzes ein.216 Die Reform hat im deutschen Recht diesbezüglich zu einer Änderung geführt. Die Parteien können die Anpassung verlangen. Die Rechtsfolgen traten und treten im türkischen Recht sowohl vor als auch nach der Schuldrechtsreform nicht ipso iure ein. I. Zeitpunkt der Vertragsanpassung Ein weiterer Diskussionspunkt in beiden Rechtsordnungen ist der Zeitpunkt der Vertragsanpassung. Gesetzlich ist der Zeitpunkt der Anpassung in beiden Rechtssystemen nicht geregelt. Sowohl im deutschen als auch im türkischen Recht ist jedoch unstreitig anerkannt, dass die Anpassung mit Wirkung für die Zukunft gilt. Ob 216

Krebs, in: AnwaltKomm, BGB2005, § 313 Rn. 78.

§ 4 Rechtsfolgen

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die Anpassung auch auf die Vergangenheit bezogen werden kann, wird in beiden Rechtssystemen unterschiedlich beurteilt. Im türkischen Recht wird auf diese Diskussion nicht näher eingegangen, da durch die Erfüllung der Leistung der Rückgriff auf Art. 138 tOR (Regelung als Negativvoraussetzung) ausgeschlossen ist. Die Tatsache, dass solch eine Negativvoraussetzung im deutschen Recht nicht existiert, führt zu einer ausführlicheren Diskussion im deutschen Recht. Grundsätzlich gilt auch im deutschen Recht, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage sich zugunsten der Vertragssicherheit und Vertragsgerechtigkeit auf zukünftige Umstände bezieht, da bei Bejahung der Anpassung auf vergangene erbrachte Leistungen die Gefahr besteht, dass jede Partei nach Leistungserfüllung die Vertragsanpassung verlangen könnte.217 Nur ausnahmsweise könne eine Anpassung auch auf die Vergangenheit erfolgen. Es sind dabei unterschiedliche Ansichten in der deutschen Literatur vorhanden, die jeweils auf unterschiedliche Zeitpunkte abstellen.218 In Betracht kommen hierbei der Zeitpunkt des Leistungsaustauschs, der Grundlagenstörung, des Anpassungsbegehrens und des richterlichen Urteils. Ob der Zeitpunkt der Vertragsanpassung auch in der Vergangenheit liegen kann, wird im deutschen Recht im Zusammenhang mit dem Zumutbarkeitskriterium erörtert. Es ist nachvollziehbar, dass beide Rechtssysteme einen pauschalen Zeitpunkt für die Anpassung nicht gesetzlich festgelegt haben, weil die Festlegung des Zeitpunktes eher eine einzelfallabhängige Entscheidung ist. Eine auf die Vergangenheit bezogene Anpassung sollte je nach den Umständen nur in Ausnahmefällen möglich sein, um die Interessen beider Parteien berücksichtigen und um eine der Gesamtsituation entsprechende Lösung bieten zu können. In diesem Zusammenhang ist auf den weiten Ermessensspielraum des Richters zurückzugreifen. II. Neuverhandlungspflichten In beiden Rechtsordnungen wird diskutiert, ob vor dem Aufsuchen der Gerichte zur Durchsetzung einer Vertragsanpassung eine vorprozessuale Neuverhandlungspflicht zugunsten einer Einigung der Parteien besteht. Eine Neuverhandlungspflicht ergibt sich im deutschen Recht zwar nicht aus dem Wortlaut des § 313 BGB, sie wird aber in der Gesetzesbegründung219 erwähnt und ist nach einer Ansicht in der deutschen Literatur220 und von der Rechtsprechung221 anerkannt. Die Erwähnung in der Gesetzesbegründung ist für eine verbindliche 217

Vgl oben. Kapitel 1, § 4, A., V. Der maßgebende Zeitpunkt für die Anpassung. Finkenauer, in: MüKo, BGB6, § 313 Rn. 98; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 102; Köhler, FS Steindorf, S. 611 (617 ff.); Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 278 f. 219 BT-Druck. 14/6040, S. 176. 220 Für eine Neuverhandlung Vgl. oben Kapitel 1, § 4, A., II., 1. Vorteile und Befürworter einer Neuverhandlungspflicht. 221 BGH NJW 2012, S. 373 (375); NJW 2006, S. 2843 (2845) vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH WM 1958, S. 480 (481); WM 1981, S. 695 (697). 218

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Regelung dieser Thematik nicht ausreichend, da die Gesetzesbegründung nicht bindend ist und nur die Intention des Gesetzgebers wiedergibt. Trotz reger Diskussionen in Literatur und Rechtsprechung hat sich eine Neuverhandlungspflicht im deutschen Rechtssystem nicht durchsetzen können. Auch im türkischen Recht hat sich eine Neuverhandlungspflicht nicht durchsetzen können. Eine Neuverhandlungspflicht ergibt sich im türkischen Recht weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus der Gesetzesbegründung. Im Unterschied zum deutschen Recht hat sich die türkische Lehre bislang auch nicht intensiv mit dem Thema befasst. Im türkischen Recht sind auch keine Entscheidungen zum Erfordernis einer Neuverhandlungspflicht vorhanden. Die deutschen Gerichte dagegen haben sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt und ihre Ansicht klargestellt.222 Die Befürwortung einer Neuverhandlungspflicht scheint im türkischen Recht kaum möglich, da das Gesetz das Hinzuziehen eines Richters für die Vertragsanpassung fordert. Daraus kann gefolgert werden, dass der Gesetzgeber sich gegen eine derartige Pflicht aussprechen wollte. Auch wird diese Verpflichtung in der türkischen Gesetzesbegründung in keiner Weise angeführt. Unverständlich erscheint hier warum die Gesetzgeber beider Rechtssysteme die Thematik des Erfordernis einer Neuverhandlung nicht klar geregelt haben, zumal diese Thematik in der deutschen Rechtslehre seit Längerem ausgiebig diskutiert wird. Der deutsche Gesetzgeber hätte hier erkennen müssen, dass eine Klarstellung erforderlich ist. Die Formulierung in der Gesetzesbegründung „die Parteien sollen zunächst selbst über die Anpassung verhandeln“ ist für eine Klarstellung und eine unstreitige Regelung nicht ausreichend. Aus der Gesetzesbegründung kann keine Verpflichtung hergeleitet werden, sie gibt vielmehr die Gründe, den Sinn und den Zweck der gefassten Norm wieder und dient folglich als Hilfestellung und Verständnisstütze. Soll den Parteien eine Neuverhandlungspflicht auferlegt werden, muss diese auch gesetzlich geregelt sein. Eine Verpflichtung mit der Rechtsfolge eines Schadensersatzes kann nicht allein aus Grundsätzen oder Gesetzesbegründungen hergeleitet werden. Der Grundsatz der Privatautonomie besagt eben auch, keine Verhandlung führen zu müssen, wenn man dies nicht möchte. Wenn die Parteien es wünschen, können Sie Neuverhandlungen als vertragliche Klausel vereinbaren. Außerdem bestünde bei einer Neuverhandlungspflicht die Gefahr der Verschleppung durch eine Partei, es sei denn, man setzt eine klare zeitliche Grenze. Es wird auch nicht pauschal beurteilt werden können, dass die gerichtliche Entscheidung größere Kosten verursacht. Der türkische Gesetzgeber hat den Wegfall der Geschäftsgrundlage 10 Jahre nach dem deutschen Gesetzgeber kodifiziert und die deutsche Norm hierbei als Vorlage 222 Vgl. oben Kapitel 1, § 4, A., III. Neuverhandlungspflicht. BGH NJW 2012, S. 373 (375); BGH, NJW 2006, S. 2843; vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH WM 1958, S. 480 (481); WM 1981, S. 695 (697).

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genommen. Dabei ist nicht nachvollziehbar, warum der türkische Gesetzgeber bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR nicht alle im deutschen Recht geführten Diskussionen und Streitpunkte bei seiner Regelung berücksichtigt hat. Auch wenn eine Neuverhandlungspflicht im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, hätte dem türkischen Gesetzgeber diese Problematik aufgrund der jahrelangen und intensiven Beschäftigung der deutschen Rechtslehre mit dieser Thematik bekannt sein müssen. Der türkische Gesetzgeber hätte bei der Reform das Erfordernis einer oder Nichterforderlichkeit der Neuverhandlung erklären müssen, um die in der deutschen Rechtslehre und Rechtsprechung geführten Diskussionen in der türkischen Lehre zu vermeiden. III. Prozessuale Durchsetzung der Vertragsanpassung Auch im Hinblick auf die prozessuale Durchsetzung der Vertragsanpassung ist der Vergleich zwischen beiden Rechtssystemen interessant. Im deutschen Recht wird stark diskutiert, welche Klageart für die Geltendmachung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu wählen ist und welchen Rechtscharakter die Entscheidung des Gerichts hat.223 Nach der in der deutschen Literatur herrschenden Ansicht ist hier die Leistungsklage gem. § 253 ZPO zu wählen.224 Andere Ansichten halten225 eine analoge Stufenklage gem. § 254 ZPO oder die Gewährung eines Wahlrechts226 zwischen einer direkten Leistungsklage und der Verbindung eines „Anspruchs auf Anpassung“ und „Anspruch aus Anpassung“ für die richtige Klageart. Die direkte Leistungsklage ist die richtige Klageart. Gegen eine direkte Leistungsklage spricht auch nicht die Unbestimmtheit des Klageantrags, die das Risiko der Kostentragung in sich bergen würde. Der Kläger wird diesbezüglich durch die Regelungen in § 139 ZPO und § 253 Abs. 2 ZPO hinreichend geschützt. Der Richter hat bei seiner Entscheidungsfindung die Parteivorstellungen zu beachten und gegebenenfalls auf seine Hinweispflicht gem. § 139 Abs. 1 ZPO zurückzugreifen. Ein unbezifferter Klageantrag ist im Übrigen von der Rechtsprechung in Ausnahmefällen anerkannt und kann daher auf Geschäftsgrundlagenstörungen übertragen werden. Da es bei Geschäftsgrundlagenstörungen unterschiedliche Anpassungsarten gibt und es für den Kläger schwierig ist, die Klage zu beziffern, kann von solch einem Ausnahmefall ausgegangen werden. Dem Richter wird im Wortlaut des § 313 BGB ein

223

Vgl. oben Kapitel 1, § 4, A., IV. Prozessuale Durchsetzung der Vertragsanpassung. Grüneberg, in: Palandt, BGB73, § 313 Rn. 41; Massing/Rösler, ZGS 2008, S. 374 (374 ff.); Muthers, in: Praxis der Schuldrechtsreform2, § 313 BGB, Rn 27 f.; Stadler, in Jauernig, BGB14, § 313 Rn. 30; Heinrichs, FS Heldrich, S. 183 (198); Helm, Einordnung wirtschaftlicher Leistungserschwerungen, S. 157 f., 181; Riesenhuber, BB 2004, S. 2697 (2698, 2702); Eidenmüller, Jura 2001, 824 (830 f.); Reichart, Störung der Geschäftsgrundlage, S. 38. 225 Dauner-Lieb/Dötsch, NJW 2003, S. 921 (926). 226 Emmerich, Leistungsstörungen6, S. 464 Rn. 15; Grüneberg, in: Palandt, BGB73, §8313 Rn. 41. 224

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Ermessensspielraum eingeräumt, in dem die Interessen der Parteien berücksichtigend entschieden werden sollen. Solch eine Diskussion über den passenden Klageantrag und darüber, ob ein unbezifferter Klageantrag geltend gemacht werden kann, existiert in der türkischen Rechtsordnung nicht. Mit der Kodifikation des Art. 138 tOR ist jedoch zu vermuten, dass diese Diskussion auch in der türkischen Rechtsordnung an Bedeutung gewinnen wird, vor allem aufgrund des Verlangens der Hinzuziehung eines Richters im Wortlaut des Art. 138 tOR. Es wird sich in der Zukunft die Frage stellen, welche Klageart bei der Hinzuziehung des Richters zu wählen ist. Die Formulierung des Art. 138 tOR vermittelt den Eindruck, dass im türkischen Rechtssystem die Gestaltungsklage vorzuziehen wäre, wonach der Kläger die unmittelbare Änderung der Rechtslage vom Richter verlangen muss. Eine Gestaltungsklage kommt in Betracht, wenn die Bestimmung und Herabsetzung des Leistungsinhalts dem Richter überlassen wird. Trotz dieses Wortlauts ist die Leistungsklage die geeignetere Klageart. Denn wie oben schon erötert, sollte das Wort „Richter“ aus dem Art. 138 tOR gestrichen und den Parteien überlassen werden, die Störung der Umstände selbst zu beseitigen, ohne den Richter zu bemühen. Weiterhin kann die auf richterliche Bestimmung gerichtete Gestaltungsklage mit einer Leistungsklage verbunden werden. Es besteht die Möglichkeit auf unmittelbar angepasste Leistung zu klagen, wenn der Leistungsklageantrag nach Auslegung die Geltendmachung des Gestaltungsklagerechts enthält.227 Es bleibt hierbei zu hoffen, dass sich die türkische Rechtspraxis in dieser Hinsicht die jahrelang geführten Diskussionen aus der deutschen Rechtslehre und Rechtsprechung vor Augen führt und sich hierbei der h. L. entsprechend, auf die Leistungsklage als passende Klageart einigen wird. Somit wäre auch im türkischen Recht ein unbestimmter Klageantrag aus prozessualer Sicht unbedenklich. Unbestimmte Klageanträge sind dem türkischen Prozessrecht nicht fremd. Das türkische Prozessrecht regelt beispielsweise in Art. 107 tZPO ausdrücklich den unbestimmten Klageantrag, wenn die genaue Benennung zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht möglich ist. Bei Annahme eines direkten Leistungsanspruchs des Klägers im türkischen Recht, würde der Rechtscharakter der Entscheidung ein Gestaltungsurteil sein. Denn durch die Anpassung führt der Richter eine neue Rechtslage herbei. Die türkische Rechtsprechung kann sich bei der Lösung dieser Problematik die jahrelange Erfahrung der deutschen Literatur zunutze machen.

B. Vertragsaufhebung Als Sekundärrechtsfolge sieht der Gesetzgeber für den Wegfall der Geschäftsgrundlage in beiden Rechtsordnungen die Vertragsaufhebung als Ultima-ratioRechtsfolge vor. 227

Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 253 Rn. 20, 21.

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I. Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Vertragsanpassung In § 313 Abs. 3 BGB ist geregelt, dass die Vertragsaufhebung in Betracht kommt, wenn die Anpassung unmöglich oder unzumutbar ist.228 In Art. 138 tOR hingegen ist geregelt, dass die Auflösung des Vertrags nur dann in Betracht kommt, wenn die Anpassung unmöglich ist.229 Auf das Kriterium der Zumutbarkeit wird im türkischen Recht in keiner Weise eingegangen. Die Anforderungen an den Rückgriff für die Vertragsauflösung sind im türkischen Recht somit strenger als im deutschen Recht. Allein bei Unmöglichkeit der Anpassung kann die Option der Auflösung in Erwägung gezogen werden. Aber es entspricht nicht den Interessen der Parteien und dient nicht der Privatautonomie, sie trotz unzumutbarer Umstände an einen Vertrag zu binden. Das deutsche Recht hingegen bewertet mit Hilfe des Kriteriums der Zumutbarkeit neben objektiven auch subjektive Kriterien der Parteien. Ist eine Anpassung für eine Partei unzumutbar, kann sie sich von dem Vertrag trotz Möglichkeit der Anpassung lösen. Diese Regelung des deutschen Gesetzgebers ist in gewisser Weise vorteilhaft, denn im Falle der Unzumutbarkeit sind die Parteien nicht gezwungen den Vertrag anzupassen. Die Regelung des türkischen Gesetzgebers ist unbefriedigend. Die Vertragstreue und der Grundsatz pacta sunt servanda sind zwar wichtige, das gesamte Schuldrecht prägende Leitgrundsätze, die in jedem Fall Beachtung verdienen. Es ist nicht interessengerecht, Parteien an einen einmal geschlossenen Vertrag zu binden, wenn dieser sich aufgrund äußerer Umstände derart ändert, dass das Festhalten am Vertrag einem der Vertragspartner nicht mehr zugemutet werden kann. Artikel 138 tOR hätte entweder um das Kriterium der Zumutbarkeit ergänzt werden müssen oder die Auslegung des Begriffes „Unmöglichkeit der Vertragsanpassung“ müsste so weit ausgedehnt werden, dass er auch das Kriterium der „Zumutbarkeit“ umfasst. Das Kriterium der Zumutbarkeit im Wortlaut zu ergänzen, bietet eine einheitliche Lösung, weil die Gerichte dann den Wortlaut der Norm berücksichtigen müssen. II. Rücktritt/Kündigung Die Vertragsauflösung ist in beiden Rechtssystemen ultima ratio und tritt folglich nur dann ein, wenn eine Aufrechterhaltung des Vertrags unmöglich (nach § 313 BGB bzw. unzumutbar) ist. Sinn und Zweck dieser Handhabung ist es, die Vertragstreue und die Vertragssicherheit zu gewährleisten.230

228

Vgl. oben Kapitel 1, § 4, B., I. Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit der Anpassung. Vgl. oben Kapitel 2, § 4, B., Vertragsaufhebung. 230 Vgl. oben Kapitel 1, § 4, B., II. Rücktritt/Kündigung. Für das türkische Rechtssystem: Kapitel 2, § 4, B., I. Rücktritt/Kündigung. 229

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Der Richter soll sich bemühen, das Risiko bei möglichst geringem Eingriff in die ursprüngliche Regelung auf die Beteiligten zu verteilen. Neben dem Rücktritt kommt in beiden Rechtssystemen bei Dauerschuldverhältnissen die Kündigung in Betracht. Bei Dauerschuldverhältnissen führt ein Rücktritt zu unpraktischen und ungerechten Lösungen, da die Rückgewähr von bereits erbrachten Leistungen bei Dauerschuldverhältnissen in der Regel schwer zu verwirklichen ist. Die geeignetere Rechtsfolge sei in diesen Fällen die Kündigung mit Wirkung für die Zukunft.231 III. Aktivlegitimation Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Rechtssystemen liegt in der Aktivlegitimation bei der Vertragsanpassung232 und Vertragsauflösung.233 Aktivlegitimiert ist nach dem Wortlaut des Art. 138 tOR im türkischen Recht sowohl bei der Vertragsanpassung als auch bei der Vertragsauflösung allein der Schuldner. Anders verhält es sich im deutschen Recht. Bei der Anpassung in § 313 Abs. 1 BGB gibt es keine Beschränkung der Aktivlegitimation auf den Schuldner, sondern nach § 313 Abs. 1 BGB können beide Parteien die Vertragsanpassung verlangen. Lediglich bei der Vertragsaufhebung wird nach § 313 Abs. 3 BGB die Aktivlegitimation auf die benachteiligte Partei beschränkt. Warum der türkische Gesetzgeber solch eine Beschränkung auf den Schuldner vorgenommen hat, ist nicht verständlich und entspricht nicht den Parteiinteressen. Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung war von der türkischen Literatur und der Rechtsprechung anerkannt, dass nicht nur der Schuldner, sondern auch die benachteiligte Partei sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann.234 Bei der Vertragsanpassung begehrt die Partei nicht nur die Anpassung der Schuld, sondern auch der Forderung. Die Begriffe des Schuldners und des Gläubigers sind technische Begriffe, welche sich lediglich auf eine Partei beziehen. Eine weite Auslegung, welche auch die Gegenpartei mit umfasst, ist mit diesen Begriffen nicht möglich. Generell handelt es sich bei den Begriffen „Schuldner“ und „Gläubiger“ um nicht auslegungsfähige Begriffe. Da es sich bei Art. 138 tOR um eine allgemeine Norm handelt, bedarf es für die Bezeichnung des Aktivlegitimierten eines allgemeineren Begriffs, wie beispielsweise „Partei“ oder „benachteiligte Partei“. Der türkische Gesetzgeber hätte sich bei der Kodifizierung an der deutsche Norm orientieren und die dortige Wort- und Begriffswahl übernehmen können, um diese Situation zu vermeiden. Die Regelung und Begriffswahl im deutschen Recht hinOg˘uzman/Öz, Borçlar Hukuku11 C. I, S. 208; Seliçi, Sürekli Borç ˙Ilis¸kileri, S. 132 ff. Vgl. oben Kapitel 1, § 4, A., IV. Aktivlegitimation bei Vertragsanpassung. Für das türkische Rechtssystem: Kapitel 2, § 4, A. Aktivlegitimation bei Vertragsanpassung. 233 Vgl. oben Kapitel 1, § 4, B. Aktivlegitimation bei Vertragsaufhebung. Für das türkische Rechtssystem: Kapitel 2, § 4, B., III. Aktivlegitimation bei Vertragsaufhebung. 234 Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13599, K. 2003/599; Y.HGK., 07. 05. 2003, E. 2003/13-332, K. 2003/340; Y.HGK., 15. 10. 2003, E. 2003/13-599, K. 2003/599; Baysal, in: Türk Borçlar Kanunu Sempozyumu, S. 131. 231 232

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sichtlich der Aktivlegitimation in § 313 BGB erscheint sachgerecht und nachvollziehbar, da die Vertragsauflösung eine härtere Rechtsfolge ist und verständlicherweise nur der benachteiligten Partei zugesprochen werden sollte. Zudem umfasst die deutsche Vorschrift mit ihrer Formulierung „benachteiligte Partei“ sowohl den Schuldner als auch den Gläubiger, solange dieser benachteiligt ist. Nur so können ein faires Ergebnis und eine dem Zweck der Norm entsprechende Anwendung erzielt werden. IV. Anpassungs- und Vertragsaufhebungsbefugnis Im Zusammenhang mit der Anpassungs- und Vertragsaufhebungsbefugnis wird eine für das deutsche Rechtssystem völlig uninteressante, im türkischen Recht jedoch sehr relevante Diskussion angesprochen. Der Wortlaut des Art. 138 tOR verlangt für die Vertragsanpassung und die Auflösung ausdrücklich die Hinzuziehung eines Richters. Daher wird im türkischen Recht diskutiert, wem die Anpassungs- und Vertragsauflösungsbefugnis zusteht. In diesem Rahmen ist in der türkischen Rechtslehre umstritten235, ob unter dieser ausdrücklichen Erwähnung zu verstehen ist, dass die anpassungsbegehrende Partei in jedem Fall den Rechtsweg aufsuchen muss, um eine Anpassung oder einen Rücktritt zu erreichen, oder die Rechtsfolge als Gestaltungsrecht selbst wahrnehmen kann. Die Regelung der Hinzuziehung eines Richters ist in Anbetracht der Tatsache verfehlt, dass der türkische Gesetzgeber als Ziel der Reform die Angleichung an die europäischen Richtlinien und Vorgaben hatte. Sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht wird die Erforderlichkeit einer Neuverhandlungspflicht diskutiert sowie aus prozessökonomischen Gründen und zum Schutz der Privatautonomie eine vorprozessuale Lösung angestrebt.236 Es entspricht praktischen Bedürfnissen, dass die Parteien bei einer Änderung zunächst eigenständig eine Lösung suchen. Scheitert diese Suche, muss ihnen die Option der Zuhilfenahme der Gerichte offenstehen. Deswegen ist es nicht akzeptabel, dass die Änderung des Vertrages zwingend durch den Richter, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahren zu erfolgen hat. Im Gegensatz zum Wortlaut des Art. 480 Abs. 2, in dem ein ausdrücklicher Verweis auf einen Richter vorhanden ist, steht in seiner Begründung, dass die Anpassung oder die Kündigung, von der benachteiligten Partei grundsätzlich ohne zwingende gerichtliche Klärung selbst durchgeführt werden kann. Dieselben Überlegungen müssten auch für Art. 138 tOR gelten. Eine derartige Diskussion in Bezug auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist dem deutschen Recht fremd. 235

Baysal, Sözles¸menin Uyarlanması, S. 242; Kaplan, Hakimin Sözles¸meye Müdahalesi, S. 144 ff.; Akyol, Dürüstlük, S. 92 ff.; Burcuog˘lu, Beklenmeyen Hal, S. 14 ff.; Topuz, Denge Bozulması, S. 329. 236 Vgl. oben Kapitel 1, § 4, A., II. Neuverhandlungspflicht.

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Kap. 3: Vergleich des deutschen und türkischen Geschäftsgrundlageninstituts

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Anpassung in beiden Rechtssystemen die Primärrechtsfolge ist. Auf Rechtsfolgenebene sind jedoch vielmehr die Unterschiede beider Rechtssysteme auffällig. Im türkischen Recht steht die Aktivlegitimation sowohl der Vertragsanpassung als auch der Vertragsauflösung allein dem Schuldner zu. Im deutschen Recht hingegen steht die Anpassung beiden Parteien zu, wohingegen die Auflösung dem Benachteiligten zugesprochen wird. Zudem ist im Unterschied zum deutschen Recht eine rege Diskussion über die Verpflichtung zu Neuverhandlungen im türkischen Recht nicht vorhanden. Im Übrigen führt der Rechtsbegriff des Richters in Art. 138 tOR zu weiteren Diskussionen im türkischen Recht. Es stellt sich die Frage, ob der Schuldner die Anpassung selbst vornehmen kann oder zwingend den Rechtsweg aufsuchen muss. Als weiterer Unterschied beschränkt sich die Vertragsauflösung im türkischen Recht auf das Erfordernis der Unmöglichkeit der Anpassung. Im deutschen Recht hingegen wird neben der Unmöglichkeit als weiteres Kriterium die Unzumutbarkeit der Anpassung verlangt.

Fazit Im deutschen und im türkischen Rechtssystem ist der Grundsatz pacta sunt servanda ein vorherrschendes Grundprinzip. Beide Rechtssysteme erkannten in einem langwierigen Entwicklungsprozess, dass Änderungen der Umstände trotz fehlender Unmöglichkeit nicht in jedem Fall zumutbar sind. Dementsprechend versuchte sowohl die türkische als auch die deutsche Rechtswissenschaft, Ausnahmen zum Grundsatz pacta sunt servanda zu entwickeln – um eine Bindung an den Vertrag – trotz unerwünschter Vertragsänderungen und unzumutbarer Vertragszustände, zu vermeiden. Beide Rechtssysteme beschäftigten sich über einen langen Zeitraum mit dem Einfluss der Änderung der Umstände auf den Vertrag, da trotz zahlreicher wirtschaftlicher und sozialer Änderungen in beiden Ländern keine allgemeine Norm für eine angemessen Reaktion, beispielsweise in Gestalt einer Vertragsanpassung, bestand. Im Laufe der Zeit kristallisierten sich in beiden Ländern verschiedene Theorien zur Geschäftsgrundlagenproblematik heraus, die sich teilweise ähnelten, teilweise aber auch stark unterschieden. Die größte Gemeinsamkeit in der Geschichte der Geschäftsgrundlagenproblematik in beiden Rechtssystemen ist der Versuch, die Änderung der Umstände im Vertragsverhältnis über den Grundsatz von Treu und Glauben zu lösen. Zudem betonten beide Länder den subsidiären Charakter des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und verlangten als Primärrechtsfolge die Anpassung des Vertrags, um den Eingriff in den Vertrag so gering wie möglich zu halten. Die Lösung über den Grundsatz von Treu und Glauben und anderer zu dieser Thematik entwickelten Theorien gefährdete jedoch in beiden Ländern die Rechtssicherheit und erhöhte das Risiko willkürlicher gerichtlicher Entscheidungen. Denn aufgrund des Fehlens klarer (gesetzlicher) Voraussetzungen und Rechtsfolgen bestand – unabhängig von der Überzeugungskraft der Lösungsansätze – stets eine Ungewissheit. Um diese Gefahr zu dämmen und Klarheit zu schaffen, entschlossen sich letztendlich der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2002 und der türkische Gesetzgeber im Jahr 2012 zu der Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB bzw. Art. 138 tOR. Begrüßenswerterweise hat der türkische Gesetzgeber beschlossen, sich an der deutschen Fassung des § 313 BGB zu orientieren. Trotz dieser Orientierung weisen beide Normen Unterschiede auf, was nicht zuletzt an der teilweise unbefriedigenden Umsetzung durch den türkischen Gesetzgeber lag. Der türkische Gesetzgeber hat die Relevanz der einzelnen Diskussion zu § 313 BGB teilweise sehr unterschiedlich bewertet, so dass folglich die Implementierung des Art. 138 tOR (unverständli-

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Fazit

cherweise) zum Teil im Widerspruch zur deutschen Vorlage steht, an der man sich eigentlich orientieren wollte. Hätte der türkische Gesetzgeber seinen Beschluss sich an der deutschen Fassung § 313 BGB zu orientieren konsequenter durchgeführt, hätte er einige diskussionsbedürftige Probleme z. B. Systematik, unbefriedigende Formulierung, vermeiden können. Dadurch konnten bei der Kodifizierung des Art. 138 tOR manche Problemstellungen vermieden werden, um die es in der deutschen Rechtsordnung größeren Diskussionsbedarf gab, andererseits die Vorschrift hinsichtlich Systematik und Wortwahl noch teilweise unbefriedigend. Ziel dieser Arbeit war ein Vergleich beider Rechtsvorschriften. Im Rahmen des Vergleichs wurden die bestehenden Unterschiede des Art. 138 tOR im Verhältnis zu § 313 BGB festgestellt und hinsichtlich identifizierter Defizite diesbezüglich Verbesserungsvorschläge unterbreitet.1 Im Folgenden werden diese identifizierten Defizite und die darauf bezogenen Verbesserungsvorschläge noch einmal in zusammengefasster Form prägnant dargestellt: 1.

Die derzeitige Platzierung des Art. 138 tOR unter der Überschrift „Erlöschensgründe“ unmittelbar hinter den Unmöglichkeitsregeln ist unsystematisch, da die Primärrechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht das Erlöschen des Vertrags, sondern die Vertragsanpassung ist. Zudem unterscheidet sich die Geschäftsgrundlage vom Institut der Unmöglichkeit in ihrem Regelungszweck. Während die Leistung bei den Unmöglichkeitsregeln nicht mehr erfüllt werden kann, da sie unmöglich geworden ist, ist sie bei Art. 138 tOR unzumutbar, jedoch weiterhin möglich. Die Eingliederung des Art. 138 tOR unmittelbar an die Unmöglichkeits- und Teilunmöglichkeitsregelung in Art. 136 und Art. 137 tOR ohne eine separate Untergliederung verleitet bei einem Blick in das Gesetz zu der Annahme, der Art. 138 tOR sei Teil dieser Unmöglichkeitsregelung. Die Platzierung der gesetzlichen Grundlage sollte somit geändert werden. Die Einordnung unter die bestehende Überschrift „Folgen der Nichterfüllung“, innerhalb eines weiteren, neu zu vergebenden Untertitels „Anpassung und Beendigung von Verträgen“ – als zwei Vorschriften „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ und „Kündigung aus wichtigem Grund“ – erscheint passender.

2.

Die Auseinandersetzung über falsche Vorstellungen bei Vertragsabschluss wird im türkischen Recht über den Grundlagenirrtum und nicht über Art. 138 tOR gelöst. Dabei ist vor allem die Rechtsfolge des Grundlagenirrtums nicht sachgerecht. Angebracht wäre eine entsprechende Norm zu § 313 Abs. 2 BGB, wobei das Verhältnis zum Grundlagenirrtum in der Gesetzesbegründung erläutert und die Vorrangigkeit der Geschäftsgrundlage betont werden sollte.

3.

Es ist zwar begrüßenswert, dass der türkische Gesetzgeber das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kodifizierte und somit diesem Institut einen 1

Vgl. oben Kapitel 3.

Fazit

471

gewissen Wert beimaß, die Wahl der Überschrift „Leistungserschwerung“ lässt jedoch an dieser Wertlegung zweifeln, da sie als Überschrift für Art. 138 tOR ungeeignet ist. Der türkische Gesetzgeber hätte sich für die Wahl der Überschrift an den bis zur Kodifikation in der Literatur verwendeten Begriffen wie „Anpassung des Vertrags an veränderte Umstände“ oder „Geschäftsgrundlage“ orientieren sollen. Die Leistungserschwerung ist lediglich eine der Fallgruppen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und zudem die am seltensten vorkommende Form. Eine allgemeinere Überschrift ist unentbehrlich. Sollte eine dem § 313 Abs. 2 BGB vergleichbare Regelung eingeführt werden, so wäre die Überschrift „Störung der Geschäftsgrundlage“ vorzuziehen. Sollte eine § 313 Abs. 2 BGB vergleichbare Norm nicht geschaffen werden, dürfte die Überschrift „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ geeigneter sein. 4.

Artikel 138 tOR ist sprachlich unausgewogen und enthält kaum Unterabsätze. Sowohl Voraussetzungen als auch Rechtsfolge sind in einem Absatz geregelt. Der Verständlichkeit wegen wird die Gliederung in mehrere Absätze für erforderlich gehalten.

5.

Der Absatz 2 des Art. 138 tOR dürfte zumindest unsystematisch sein, in einem eigenen Absatz eine konkrete Fallkonstellation zu regeln. Auf eine separate Regelung von Fremdwährungen könnte somit eigentlich verzichtet werden. Denn bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 tOR kann sich der Benachteiligte auch ohne das Vorhandensein einer separaten Regelung in einem weiteren Absatz auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.

6.

Trotz der Intention des Gesetzgebers, die Voraussetzungen dieses Instituts ausführlich zu erwähnen, fehlt innerhalb der Voraussetzungen des Art. 138 tOR der Begriff der Geschäftsgrundlage, obwohl er der Schwerpunkt conditio sine qua non dieses Instituts ist. Artikel 138 tOR sollte um den Begriff der Geschäftsgrundlage ergänzt werden. Falls es zu einer Ergänzung kommt, ist eine Definition dieses Begriffs in der Gesetzesbegründung unentbehrlich, um Diskussionen, Streitigkeiten und Abgrenzungsschwierigkeiten mit anderen Instituten zu vermeiden.

7.

Artikel 138 tOR sollte um die fehlende Risikozuweisung ergänzt werden, um den Vorrang vertraglicher und gesetzlicher Risikoverteilungen zu betonen. Dieses Vorrangverhältnis war bereits vor der Schuldrechtsreform von der Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Es entspricht auch nicht der Absicht des türkischen Gesetzgebers, der bei der Regelung des Art. 138 tOR auf eine ausführliche und detaillierte Auflistung der Voraussetzungen dieser Norm Wert legte, einen entscheidenden, in der deutschen Vorschrift vorhandenen Regelungspunkt auszulassen. Eine Regelung bezüglich der Risikoverteilung ist auch nicht in der Gesetzesbegründung zu Art. 138 tOR enthalten.

8.

Um zu betonen, dass die Geschäftsgrundlage nicht jeden Fall der Änderung der Umstände umfasst, sollte statt der Formulierung „außerordentlich“ dem deutschen Recht entsprechend der Begriff „schwerwiegend“ gewählt werden. Diese

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Fazit

Begriffswahl vermeidet die in der türkischen Rechtslehre weiterhin bestehende Diskussion, ob lediglich soziale Katastrophen unter Art. 138 tOR fallen, oder auch Änderungen unterhalb dieser Schwelle davon umfasst werden. 9.

Die Negativvoraussetzung der Nichterfüllung der Leistung oder der Vereinbarung eines Vorbehalts schränkt den Anwendungsbereich des Art. 138 tOR zu sehr ein. Diese Regelung sollte daher aus der Norm gestrichen werden, da auch trotz Erfüllung der Leistung das Verlangen der Leistungserbringung unzumutbar sein kann. Solch eine Negativregelung ist in der deutschen Norm nicht vorhanden. Der Richter nimmt vielmehr eine einzelfallabhängige Bewertung vor und berücksichtigt die Erfüllung/Nichterfüllung der Leistung in diesem Rahmen, da die Erfüllung der Leistung nicht in jedem Fall die Unzumutbarkeit der Leistung ausschließt. Um diese strenge Voraussetzung der Nichterfüllung der Leistung zu mildern, eröffnet der türkische Gesetzgeber dem Benachteiligten die Möglichkeit, auch im Falle der Vereinbarung eines Vorbehalts auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückgreifen zu können. Diese Vorbehaltsvereinbarung, welche auch konkludent erfolgen kann, ist in der Praxis jedoch schwer nachweisbar und daher praxisuntauglich. Der türkische Gesetzgeber hat mit der Ergänzung einer Vorbehaltsregelung den strengen Charakter der Voraussetzung der Nichterfüllung der Leistung mildern wollen. Der benachteiligten Partei ist somit der Rückgriff auf Art. 138 tOR eröffnet, wenn die Leistung unter einer Vorbehaltsregelung erfolgte. Jedoch ist auch diese Milderungsregelung nicht hinreichend präzise und daher mit vielen Fragen verbunden. Ob dieser Vorbehalt beispielsweise mündlich erfolgen kann und wie er im Prozess nachzuweisen sein soll, bleibt ungeklärt. Entsprechend der deutschen Rechtsordnung sollte die Negativregelung der Leistungserfüllung daher gänzlich gestrichen werden.

10. Der Gesetzgeber verlangt, dass die außerordentlichen Änderungen der Umstände nicht vom Schuldner verursacht sein dürfen. Die Intention des Gesetzgebers ist es zu betonen, dass die Änderungen der Umstände nicht aus der Sphäre des Schuldners entstammen. Dies geht aus der gewählten Formulierung jedoch nicht hervor. Außerordentliche Änderungen der Umstände rühren in den meisten Fällen nicht vom Schuldner her, sondern sind vielmehr auf äußeren Faktoren zurückzuführen. Statt der Formulierung „außerordentliche Umstände Änderungen nicht vom Schuldner verursacht“ sollte besser „außerordentliche Umstände und die Erhöhung des Schadens dem Schuldner nicht zuzurechnen“ gewählt werden, da der Schuldner nicht für die Änderung der Umstände verantwortlich sein muss, jedoch die Erhöhung des entstandenen Schadens verursacht haben kann. 11. Um beiden Parteien den Rückgriff auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gewähren zu können, sollte anstelle der Formulierung „Schuldner“ der Begriff „Partei“, oder zumindest „benachteiligte Partei“, gewählt werden. Sowohl der Schuldner als auch der Gläubiger können die Anpassung des Vertrags verlangen,

Fazit

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da nicht nur die Schuld, sondern auch die Forderung angepasst werden kann. Dieser verwendete Begriff entspricht im Übrigen weder der türkischen Literatur und Rechtsprechung noch der deutschen Vorschrift in § 313 BGB. Die Wahl der Formulierung ist daher eigentlich aus keiner Perspektive nachvollziehbar und im Sinne einer ausgewogenen Behandlung aller Beteiligten auch nicht angemessen. 12. Für die Vertragsauflösung ist nach Art. 138 tOR allein die Unmöglichkeit der Anpassung erforderlich. Diese Bedingung sollte parallel zum deutschen Recht um den Zusatz der Unzumutbarkeit ergänzt werden, da auch bei Möglichkeit der Anpassung eine für den Leistenden unzumutbare Situation vorliegen kann. In einer derartigen Situation entspricht es nicht den Parteiinteressen und dem gerechten Rechtsempfinden, die Beteiligten trotz Unzumutbarkeit an den Vertrag zu binden. Der Grundsatz pacta sunt servanda kann nicht zu einem Vertragszwang führen. 13. Artikel 138 tOR verlangt im Weiteren, dass die Vertragsanpassung oder Aufhebung durch den Richter zu erfolgen hat. Auch diese Regelung ist unverständlich. Aus ihr geht nicht hervor, ob die Anpassung in jedem Fall gerichtlich geltend zu machen ist, oder ob lediglich bei Nichteinigung der Parteien der Rechtsweg aufzusuchen ist. Zum einen erlaubt die Privatautonomie nicht, die Parteien dahingehend einzuschränken, dass eine Anpassung allein auf dem gerichtlichen Weg erfolgen kann, zum anderen ist der Rückgriff auf den gerichtlichen Weg bei Nichteinigung der Parteien eine logische Folge, womit die Erwähnung in der Vorschrift an Bedeutung verliert und überflüssig erscheint. Um unnötige Auseinandersetzungen und irritierende Interpretationen dieser Formulierung in der Literatur und Rechtsprechung zu vermeiden, sollte der Begriff „von dem Richter“ aus der Norm gestrichen werden. 14. Ferner sollte der türkische Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Rechtsfolge des Art. 138 tOR, zumindest für die Zukunft, das Erfordernis einer Neuverhandlungspflicht diskutieren und diesbezüglich Stellung beziehen. In der deutschen Rechtsordnung und im Rahmen der europäischen Rechtsvorlagen2 wird das Verlangen nach einer Neuverhandlungspflicht ausführlich diskutiert. Der türkische Gesetzgeber hingegen hat diese Thematik in seinen Überlegungen und Regelungen in keiner Weise berücksichtigt. Intention des türkischen Gesetzgebers war nicht nur die Reform des Schuldrechts, sondern auch die Berücksichtigung der europäischen Regelungen mit dem Ziel des Beitritts in die Europäische Union. Zumindest für die Zukunft sollte der türkische Gesetzgeber die Auseinandersetzung mit dieser Thematik im Sinne einer Vor-BeitrittsHarmonisierung anvisieren.

2 http://www.kgm.adalet.gov.tr/Tasariasamalari/Kanunlasan/2011Yili/kanmetni/6098ss.pdf, S.Sayısı 321, S. 2.

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Fazit

15. Im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage sollte eine dem § 314 BGB vergleichbare Norm in das Obligationenrecht eingeführt werden, da eine allgemeine Norm für die Regelung der Kündigung aus wichtigem Grund im türkischen Recht nicht vorhanden ist. Auch wenn die Kündigung aus wichtigem Grund nicht geregelt war, wurde sie von der türkischen Literatur und Rechtsprechung anerkannt und mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ins Verhältnis gesetzt. Daher wäre es sinnvoll, dieses anerkannte Institut gesetzlich zu regeln. Zudem sollten in diesem Rahmen die Abgrenzungskriterien zwischen beiden Instituten in die Gesetzesbegründung mit aufgenommen werden, um Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich aufgrund der Parallelen im Bereich der Voraussetzungen ergeben können, zu vermeiden. Das Erfordernis der Regelung des Vorrangverhältnisses zeigt vor allem das deutsche Recht, bei dem die Abgrenzung beider Institute zu starken Diskussionen und Schwierigkeiten geführt hat und weiterhin führt. 16. Im Rahmen der türkischen Schuldrechtsreform haben sich im Verhältnis zwischen Art. 138 tOR und Art. 480 Abs. 2 tOR Unstimmigkeiten ergeben, obwohl beide Vorschriften laut türkischer Literatur denselben Zweck verfolgen. Art. 480 tOR gibt dem Unternehmer bei einer Änderung der Umstände bezüglich der Festpreisregelung die Möglichkeit der Anpassung oder die Auflösung des Vertrags. Nach der türkischen Literatur bildet sie folglich einen Spezialfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Voraussetzungen sind in beiden Vorschriften jedoch völlig unterschiedlich geregelt. Während Art. 138 tOR beispielsweise außerordentliche Änderungen der Umstände zur Bejahung der Norm verlangt, lässt Art. 480 tOR jegliche Änderung gelten. Auch verlangt Art. 480 tOR im Vergleich zu Art. 138 tOR nicht die Negativvoraussetzung der Nichterfüllung der Leistung. Artikel 138 tOR setzt im Verhältnis zu Art. 480 tOR strengere Maßstäbe. Folgerichtig sollte daher zwischen beiden Normen entweder eine Anpassung vorgenommen werden oder vorzugswürdigerweise sollten Art. 480 Abs. 2 tOR aus dem Obligationenrecht gestrichen werden, da Art. 138 tOR aufgrund seiner allgemeinen Regelung auch den Fall des Art. 480 Abs. 2 tOR umfasst. Zudem übernimmt der Unternehmer bei einer Festpreisregelung das Risiko der Änderung der Umstände. Auch im deutschen Recht wurde der Wegfall der Geschäftsgrundlage in der Literatur und Rechtsprechung stark diskutiert und im Jahr 2002 in § 313 BGB kodifiziert. Im Unterschied zum türkischen Recht ist § 313 BGB eine Norm, die sowohl die Parteiinteressen berücksichtigt als auch eine Einzelfallabwägung umfasst. Somit ist diese zufriedenstellender. Die Begriffswahl ist im Allgemeinen gezielter und verständlicher. Statt beispielsweise den Begriff „Schuldner“ in die Vorschrift aufzunehmen und somit den Anwendungsbereich einzuschränken, bevorzugt der deutsche Gesetzgeber den Begriff der „benachteiligten Partei“. Auch die systematische Einordnung und Überschrift des § 313 BGB ist gut durchdacht gewählt und dem Zweck der Norm entsprechend in das Gesetz eingegliedert.

Fazit

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Daher sind in Bezug auf die deutsche Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur einige wenige Anregungen vorzubringen. 1. § 313 BGB ist trotz des allgemeinen Charakters in einigen Tatbestandsvoraussetzungen zu allgemein gefasst. Dies kann zu Bestimmtheitsschwierigkeiten und der Erforderlichkeit der Konkretisierung einiger Begriffe führen. Das Erfordernis der Unzumutbarkeit ist für die Erfüllung dieser Vorschrift zwar begrüßenswert und auch für die türkische Vorschrift wünschenswert. Um willkürliche Entscheidungen der Gerichte aufgrund der Unbestimmtheit dieses Begriffs zu vermeiden, wäre eine ausführliche Erläuterung und Konkretisierung in der Gesetzesbegründung begrüßenswert. 2. Auf das Vorrangverhältnis zwischen § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB sollte in der Gesetzesbegründung näher eingegangen werden. Zwar erwähnt der deutsche Gesetzgeber den Vorrang des § 275 BGB im Verhältnis zu § 313 BGB. Eine Erklärung zu § 275 Abs. 2 BGB, derer die eigentliche Grundlage für die Abgrenzungsschwierigkeiten zu § 313 BGB bildet, ist der Gesetzesbegründung zu § 313 BGB nicht zu entnehmen. Eine klarere Regelung könnte die ausführlichen und langjährigen Diskussionen in Literatur dieser Thematik vermeiden. 3. In der Gesetzesbegründung zu § 313 BGB wird zudem auf das Verhältnis zwischen § 313 BGB und § 314 BGB nicht ausreichend eingegangen. Zwar wird erläutert, dass im Falle des Anpassungsbegehrens bei Vorliegen der Voraussetzungen § 313 BGB im Verhältnis zu § 314 BGB Vorrang genießt. Das Verhältnis im Falle eines Auflösungsbegehrens ist der Gesetzesbegründung zu § 313 BGB jedoch nicht zu entnehmen. Auch diese Lücke führt in der Literatur zu unnötigen Diskussionen, die durch deutliche Regelungen vermeidbar wären. Diese Lücke führt in der Folge zu unterschiedlichen und Entscheidungen der Gerichte. 4. Auf das Verhältnis zwischen § 119 Abs. 2 BGB und § 313 BGB wird trotz vorhandener Parallelen und Gemeinsamkeiten in der Gesetzesbegründung zu § 313 BGB nicht eingegangen. Angeregt wird in diesem Zusammenhang die Klarstellung des Vorrangverhältnisses des § 313 Abs. 2 BGB im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen beider Normen aufgrund der flexibleren Rechtsfolge des § 313 Abs. 2 BGB. 5. Gemäß § 313 Abs. 1 BGB muss die Änderung der Umstände „nach Vertragsabschluss“ eingetreten sein. Die Umstände aber, die vor Vertragsabschluss bereits vorlagen, den Parteien jedoch nicht bekannt waren und unvorhersehbar waren, genießen den Schutz von § 313 BGB. Um derartige Irritationen und Fehlvorstellungen zu vermeiden, hätte der deutsche Gesetzgeber die zeitliche Festlegung der Änderung auslassen sollen. Als Ergebnis dieser detaillierten Untersuchung des § 313 BGB und des Art. 138 tOR gilt festzuhalten, dass § 313 BGB für die Kodifizierung des Art. 138 tOR als Vorlage gedient hat. Denn der deutsche Gesetzgeber hat die Meinungen in der Literatur und der Rechtsprechung, die sich mit dem Institut

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beschäftigt haben, in größerem Maße einbezogen. Als Resultat wurde eine sowohl erfolgreiche wie auch zufriedenstellende, vor allem die Interessen der Parteien berücksichtigende Norm entwickelt. Auch wenn die Kodifizierung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der türkischen Rechtsordnung äußerst begrüßenswert ist, hat der türkische Gesetzgeber das Ziel, sich an der Lösung des § 313 BGB zu orientieren, nicht vollends zufriedenstellend erreicht. Es ist eine Norm mit Defiziten, die zahlreiche diskussionsbedürftige Fragen aufwirft. Aufgrund der Aktualität der Norm und der vorhandenen Lücken sind in der türkischen Literatur und Rechtsprechung rege Diskussionen und Streitigkeiten hinsichtlich dieser Norm bereits absehbar. Es bleibt zu hoffen, dass die türkische Gesetzgebung diese Diskussionen zur Kenntnis nimmt, die Defizite erkennt, Anregungen aufgreift und künftig eine Anpassung des Art. 138 tOR vornimmt.

Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht I. Gesetz Nr. 4721 türkisches Zivilgesetzbuch (tZGB) 01. 01. 2002 Art. 1 A. Anwendung des Rechts Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. Bei der Entscheidungsfindung folgt es dabei bewährter Lehre und Überlieferung. Art. 2 B. Inhalt der Rechtsverhältnisse I. Handeln nach Treu und Glauben Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Der offenbare Missbrauch eines Rechts findet keinen Rechtsschutz. Art. 3 II. Guter Glaube Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten. Wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen. Art. 4 III. Gerichtliches Ermessen Wo das Gesetz das Gericht auf sein Ermessen oder auf die Würdigung der Umstände oder auf wichtige Gründe verweist, hat es seine Entscheidung nach Recht und Billigkeit zu treffen. Art. 5 Allgemeine Bestimmungen des Obligationenrechtes Die allgemeinen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechtes finden soweit sie passen auch Anwendung auf andere zivilrechtliche Verhältnisse.

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Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht

Art. 23 B. Schutz der Persönlichkeit I. Vor Verzicht und übermäßiger Bindung Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. Niemand kann sich seiner Freiheit entäußern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken. Die schriftliche Einwilligung über die Impfung, Implantation und Transplantation biologischer Materialien menschlicher Herkunft ist möglich. Allerdings kann von dem Schuldner, welcher zur Leistung des biologischen Materials verpflichtet ist, keine Leistung und auch kein Schadensersatz verlangt werden. Art. 504 B. Mangelhafter Wille Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig. Sie erlangen jedoch Gültigkeit, wenn sie der Erblasser nicht binnen Jahresfrist aufhebt, nachdem er von dem Irrtum oder von der Täuschung Kenntnis erhalten hat oder der Einfluss von Zwang oder Drohung weggefallen ist. Enthält eine Verfügung einen offenbaren Irrtum in Bezug auf Personen oder Sachen, und lässt sich der wirkliche Wille des Erblassers mit Bestimmtheit feststellen, so ist die Verfügung in diesem Sinne richtig zu stellen.

II. Synopse zwischen neuem und altem türkischen Obligationengesetz Gesetz Nr. 6098 türkisches Obligationengesetz (tOR) in Kraft getreten am 01. 07. 2012 neue Fassung

Gesetz Nr. 818 türkisches Obligationengesetz 04. 10. 1926 alte Fassung

Art. 26 n. F. F. Inhalt des Vertrags I. Privatautonomie

Art. 19 a. F. E. Inhalt des Vertrags I. Bestimmung des Inhalts

Der Inhalt des Vertrags kann innerhalb der Der Inhalt des Vertrags kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden. werden. Von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarungen sind nur zulässig, wo das Gesetz nicht eine unabänderliche Vorschrift aufstellt oder die Abweichung nicht einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, gegen die guten Sitten oder gegen das Recht der Persönlichkeit in sich schließt.

Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht

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Art. 27 n. F. II. Nichtigkeit

Art. 20 a. F. II. Nichtigkeit

Ein Vertrag, der gegen die gesetzlich unabänderliche Vorschrift, öffentliche Ordnung, gegen die guten Sitten oder gegen das Recht der Persönlichkeit verstößt oder einen unmöglichen Inhalt hat, ist nichtig.

Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

Betrifft aber der Mangel bloß einzelne Teile des Vertrags, so sind nur diese nichtig, soBetrifft aber der Mangel bloß einzelne Teile lange nicht anzunehmen ist, dass er ohne den des Vertrags, so sind nur diese nichtig, sonichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen lange nicht anzunehmen ist, dass er ohne den worden wäre. nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre. Art. 21 a. F. Art. 28 n. F. III. Übervorteilung

III. Übervorteilung

Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen einen Vertrag begründet, dessen Abschluss der Leistung und der Gegenleistung durch von dem einen Teil durch Ausbeutung der einen Vertrag begründet, dessen Abschluss Notlage, der Unerfahrenheit oder des von dem einen Teil durch Ausbeutung der Leichtsinns des anderen herbeigeführt worNotlage, der Unerfahrenheit oder des den ist, so kann der Verletzte innerhalb der Leichtsinns des anderen herbeigeführt wor- Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht den ist, so kann der Verletzte dem Einzelfall halte, und das schon Geleistete zurückverentsprechend erklären, dass er den Vertrag langen. nicht halte und das Geleistete zurückverlan- Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss gen oder die Anpassung des Vertrags verdes Vertrags. langen. Der Verletzte muss sein Recht innerhalb eines Jahres geltend machen. Die Frist beginnt im Falle der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns in dem Zeitpunkt, in dem der Verletzte sie entdeckt, im Falle der Notlage in dem Zeitpunkt, in welchem die Notlage aufhört. Dieses Recht ist ausgeschlossen, wenn seit dem Zeitpunkt des Abschluss des Vertrags fünf Jahre verstrichen sind. Mängel des Vertragsabschlusses I. Irrtum 1. Wirkung Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, Art. 23 a. F. der sich beim Abschluss in einem wesentli- Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. chen Irrtum befunden hat. I. Irrtum 1. Wirkung Art. 30 n. F.

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Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht

2. Fälle des Irrtums Art. 31 n. F.

2. Fälle des Irrtums Art. 24 a. F.

Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: ein wesentlicher: 1. wenn der Irrende einen anderen Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;

1. wenn der Irrende einen anderen Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;

2. wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache gerichtet war, als er erklärt hat;

2. wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rück3. wenn der Wille des Irrenden, wo der Ver- sicht auf eine bestimmte Person abgeschlostrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person sen wurde, auf eine andere Person gerichtet abgeschlossen wurde, auf eine andere Person war, als er erklärt hat; gerichtet war, als er erklärt hat; 3. wenn der Irrende eine Leistung von erheblich größerem Umfange versprochen hat 4. Wenn der Wille des Irrenden, wo der oder eine Gegenleistung von erheblich geVertrag mit Rücksicht auf die spezifischen ringerem Umfange sich hat versprechen lasMerkmale einer Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, sen, als es sein Wille war.

als er erklärt hat; 5. wenn der Irrende eine Leistung von erheblich größerem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war.

4. wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet wurde.

Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschluss, so ist er Bloße Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu nicht wesentlich. berichtigen. Bloße Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrags nicht, sind aber zu berichtigen. b. Grundlagenirrtum Art. 32 n. F. Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschluss, so ist er nicht wesentlich. Der Irrtum ist wesentlich, wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet wurde. Dieser Umstand muss für die Gegenpartei erkennbar gewesen sein.

Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht 3. Geltendmachung gegen Treu und Glauben Art. 34 n. F.

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3. Geltendmachung gegen Treu und Glauben Art. 25 a. F.

Die Berufung auf Irrtum ist unstatthaft, wenn Die Berufung auf Irrtum ist unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht. sie Treu und Glauben widerspricht. Insbesondere muss der Irrende den Vertrag gelten lassen, wie er ihn verstanden hat, sobald der andere sich hierzu bereit erklärt.

Insbesondere muss der Irrende den Vertrag gelten lassen, wie er ihn verstanden hat, sobald der andere sich hierzu bereit erklärt.

2. Herabsetzungsgründe (Bei unerlaubter 2. Herabsetzungsgründe (Bei unerlaubter Handlung) Handlung) Art. 52 n. F. Art. 44 a F. Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.

Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.

Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden leicht fahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt und entspricht dies Treu und Glauben, so kann der Richter auch aus diesem Grund die Ersatzpflicht ermäßigen.

Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermäßigen.

Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung A. Voraussetzungen I. Im Allgemeinen Art. 77 n. F.

Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung A. Voraussetzungen I. Im Allgemeinen Art. 61 a. F.

Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen oder den Bemühungen eines anderen bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.

Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen oder den Bemühungen eines anderen bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten.

Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat.

Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat.

II. Zahlung einer Nichtschuld Art. 78. n. F.

II. Zahlung einer Nichtschuld Art. 62. a. F.

Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn

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Anlage: Auszug aus dem türkischen Recht

er nachzuweisen vermag, dass er sich über die er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde.

Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde.

A. Ausbleiben der Erfüllung I. Ersatzpflicht des Schuldners 1. Im Allgemeinen Art. 112 n. F.

A. Ausbleiben der Erfüllung I. Ersatzpflicht des Schuldners 1. Im Allgemeinen Art. 96. a. F.

Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden des Gläubigers Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.

Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden des Gläubigers Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.

B. Verzug des Schuldners I. Voraussetzung Art. 117 n. F.

B. Verzug des Schuldners I. Voraussetzung Art. 101 a. F.

Ist eine Verbindlichkeit fällig, so wird der Ist eine Verbindlichkeit fällig, so wird der Schuldner durch Mahnung des Gläubigers in Schuldner durch Mahnung des Gläubigers in Verzug gesetzt. Verzug gesetzt. Wurde für die Erfüllung ein bestimmter Verfalltag verabredet, oder ergibt sich ein solcher infolge einer vorbehaltenen und gehörig vorgenommenen Mahnung einer Partei, so kommt der Schuldner schon mit Ablauf dieses Tages, in Fällen unerlaubter Handlung mit Begehung der unerlaubten Handlung, in Fällen ungerechtfertigter Bereicherung im Moment der Verwirklichung der ungerechtfertigten Bereicherung in Verzug. Bei Gutgläubigkeit der ungerechtfertigten Bereicherung ist eine Mitteilung erforderlich.

Wurde für die Erfüllung ein bestimmter Verfalltag verabredet, oder ergibt sich ein solcher infolge einer vorbehaltenen und gehörig vorgenommenen Mahnung einer Partei, so kommt der Schuldner schon mit Ablauf dieses Tages in Verzug.

II. Wirkung 1. Im Allgemeinen a. Haftung für Verzugsschaden Art. 118 n. F.

II. Wirkung 1. Haftung für Zufall Art. 102 a. F.

Befindet sich der Schuldner im Verzug, so hat er Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung zu leisten, soweit er sich durch den Nachweis, dass der Verzug ohne jedes Verschulden von seiner Seite eingetreten ist, befreien kann.

Befindet sich der Schuldner im Verzug, so hat er Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung zu leisten und haftet auch für den Zufall. Er kann sich von dieser Haftung durch den Nachweis befreien, dass der Verzug ohne jedes Verschulden von seiner Seite eingetre-

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ten ist oder dass der Zufall auch bei rechtzeitiger Erfüllung den Gegenstand der Leistung zum Nachteile des Gläubigers betroffen hätte. b. Haftung für Zufall Art. 119 n. F. Befindet sich der Schuldner im Verzug, haftet er auch für Zufall Er kann sich von dieser Haftung durch den Nachweis befreien, dass der Verzug ohne jedes Verschulden von seiner Seite eingetreten ist oder dass der Zufall auch bei rechtzeitiger Erfüllung den Gegenstand der Leistung zum Nachteile des Gläubigers betroffen hätte. E. Unmöglichwerden einer Leistung I. Im Allgemeinen Art. 136 n. F. Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen. Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hiernach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung. Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrags vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht. Teilt der Schuldner die Unmöglichkeit nicht unverzüglich mit und nimmt er keine Maßnahmen zur Verhinderung der Erhöhung des Schadens vor, so hat er den daraus entstandenen Schaden zu begleichen. III. Die Leistungserschwerung Art. 138 n. F Treten außerordentliche Umstände ein, die bei Abschluss des Vertrags von den Parteien nicht vorhergesehen worden sind und nicht hätten vorhergesehen werden können und vom Schuldner nicht verursacht sind und dazu führen, dass sich die Leistung derart zu Ungunsten des Schuldners verändert, sodass

E. Unmöglichwerden einer Leistung Art. 117 a. F. Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen. Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hiernach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung. Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrags vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.

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das Verlangen nach der Erfüllung gegen Treu und Glauben verstößt, und der Schuldner seine Leistung noch nicht erfüllt hat oder aber bei der Erfüllung der Leistung sich seine Rechte, die aufgrund der Veränderung der Umstände entstanden sind, vorbehalten hat, so kann der Schuldner von dem Richter verlangen, dass der Vertrag an die veränderten Umstände angepasst wird und sofern dies nicht möglich ist, kann er von dem Vertrag zurücktreten. Besteht das Schuldverhältnis in einem Dauerrechtsverhältnis, so kann der Schuldner den Vertrag kündigen. Diese Regelung gilt auch bei Fremdwährungsschulden. 2. Höhe der Vergütung a. Feste Übernahme Art. 480 n. F.

2. Höhe der Vergütung a. Feste Übernahme Art. 365 a. F.

Wurde die Vergütung im Voraus genau bestimmt, so ist der Unternehmer verpflichtet, das Werk um diese Summe fertigzustellen, und darf keine Erhöhung fordern, selbst wenn er mehr Arbeit oder größere Auslagen gehabt hat, als vorgesehen war.

Wurde die Vergütung im Voraus genau bestimmt, so ist der Unternehmer verpflichtet, das Werk um diese Summe fertigzustellen, und darf keine Erhöhung fordern, selbst wenn er mehr Arbeit oder größere Auslagen gehabt hat, als vorgesehen war.

Falls jedoch Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die von beiden Beteiligten vorausgesehen, jedoch nicht beachtet wurden, die Fertigstellung hindern oder übermäßig erschweren so kann der Unternehmer vom Richter die Anpassung des Vertrags verlangen, bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Anpassung für eine Partei vom Vertrag zurücktreten. Widerspricht der Rücktritt Treu und Glauben, kann der Unternehmer den Vertrag kündigen.

Falls jedoch Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die von beiden Beteiligten vorausgesehen, jedoch nicht beachtet wurden, die Fertigstellung hindern oder übermäßig erschweren, so kann der Richter nach seinem Ermessen eine Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrags bewilligen.

Der Besteller hat auch dann den vollen Preis zu bezahlen, wenn die Fertigstellung des Werkes weniger Arbeit verursacht, als vorDer Besteller hat auch dann den vollen Preis gesehen war. zu bezahlen, wenn die Fertigstellung des Werkes weniger Arbeit verursacht, als vorgesehen war.

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II. Widerruf und Hinfälligkeit des Schenkungsversprechens Art. 296 n. F.

II. Widerruf und Hinfälligkeit des Schenkungsversprechens Art. 245 a. F.

Bei dem Schenkungsversprechen kann der Schenker das Versprechen widerrufen und dessen Erfüllung verweigern:

Bei dem Schenkungsversprechen kann der Schenker das Versprechen widerrufen und dessen Erfüllung verweigern:

1. aus den gleichen Gründen, aus denen das 1. aus den gleichen Gründen, aus denen das Geschenkte bei der Schenkung von Hand zu Geschenkte bei der Schenkung von Hand zu Hand zurückgefordert werden kann; Hand zurückgefordert werden kann; 2. wenn seit dem Versprechen die Vermögensverhältnisse des Schenkers sich so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde;

2. wenn seit dem Versprechen die Vermögensverhältnisse des Schenkers sich so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde;

3. wenn seit dem Versprechen dem Schenker familienrechtliche Pflichten erwachsen sind, die vorher gar nicht oder in erheblich geringerem Umfange bestanden haben.

3. wenn seit dem Versprechen dem Schenker familienrechtliche Pflichten erwachsen sind, die vorher gar nicht oder in erheblich geringerem Umfange bestanden haben.

Durch Ausstellung eines Verlustscheins oder Eröffnung des Konkurses gegen den Schenker wird jedes Schenkungsversprechen aufgehoben.

Durch Ausstellung eines Verlustscheins oder Eröffnung des Konkurses gegen den Schenker wird jedes Schenkungsversprechen aufgehoben.

Verhältnis zwischen Zivilgesetzbuch und Obligationengesetz Art. 646 n. F

Verhältnis zwischen Zivilgesetzbuch und Obligationengesetz Art. 544 a. F.

Dieses Gesetzbuch ist das fünfte und ergän- Dieses Gesetzbuch ist eine Ergänzung des zende Buch des am 22. 11. 2001 in Kraft ge- Zivilgesetzbuchs, welches nach Überarbeitretenen und 4721 Gesetzesnummern umtung vom Gesetzgeber verabschiedet wurde. fassenden türkischen Zivilgesetzbuchs.

III. Gesetz Nr. 6100 türkische Zivilprozessordnung (tZPO) 01. 10. 2011 Inhalt der Vorprüfungen Art. 137 (1) Nachdem beide Anträge bei Gericht eingegangen sind, werden die Vorprüfungen durchgeführt. Bei der Vorprüfung begutachtet das Gericht die Verfahrensvoraussetzungen, die Einwände der Parteien, legt den Streitgegenstand fest, trifft die notwendigen Vorbereitungshandlungen und sorgt für die Herbeischaffung der Beweismittel seitens der Parteien; in Verfahren bei denen die Parteien die Verfügungsmacht über den Gegenstand haben, fordert das Gericht die Parteien zu einem Vergleich auf und protokolliert alle Vorgänge. (2) Bevor die Vorprüfung abgeschlossen wird und die erforderlichen Entscheidungen getroffen sind, kann mit der gerichtlichen Untersuchungsverhandlung nicht begonnen werden und kein Verhandlungstermin festgesetzt werden.

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Unbestimmte Forderungsklage und Feststellungsklage Art. 107 tZPO 1. Kann die Bestimmung der Höhe oder des Wertes der Forderung zum Zeitpunkt der Klage nicht erwartet werden oder ist die Bestimmung unmöglich, kann der Gläubiger unter Nennung eines Mindestbetrages oder Wertes oder eines vom Gericht noch zu bestimmenden Betrags eine unbestimmte Forderungsklage eröffnen. 2. Wird im Laufe des Verfahrens aufgrund von Informationen der anderen Partei oder der Untersuchungsergebnisse der Wert oder die Höhe der Forderung bestimmt, kann der Gläubiger den von Anfang an angegebenen Betrag unabhängig von einer Klageerweiterung erhöhen. 3. In Fällen, in denen eine Klage auf Teilleistung möglich ist, kann bei rechtlichem Interesse auch eine Teilfeststellungsklage eröffnet werden.

IV. Die Verfassung der Republik Türkei Art. 138 tV 1. Allgemeine Vorschriften A. Unabhängigkeit der Gerichte Artikel 138 tV- Die Richter sind in der Ausübung ihrer Ämter unabhängig; sie sprechen die Urteile gemäß ihrem Wissen in Übereinstimmung mit der Verfassung, den Gesetzen und dem Recht. Kein Organ, keine Behörde oder Person darf den Gerichten und Richtern bei der Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit Anordnungen oder Anweisungen erteilen, Runderlasse zusenden, Empfehlungen geben oder suggestive Winke zukommen lassen. Bezüglich eines schwebenden Verfahrens darf in der Gesetzgebenden Versammlung im Zusammenhang mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit keine Anfrage gestellt, nicht verhandelt und keinerlei Erklärung abgegeben werden. Die Organe der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt sowie die Verwaltung haben den Gerichtsentscheidungen Folge zu leisten: diese Organe und Verwaltung dürfen auf keine Weise die Gerichtsentscheidungen abändern und Ihre Vollstreckung verzögern. VI. Schutz der Verbraucher, Einzelhändler und Handwerker A. Schutz der Verbraucher Art. 172 Der Staat trifft Maßnahmen zum Schutz und zur Aufklärung der Verbraucher, er fördert die Selbstschutzaktivitäten der Verbraucher

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V. Synopse zwischen neuem und altem türkischen Handelsgesetz Gesetz Nr. 6102 türkisches Handelsgesetz (tHG) in Kraft getreten am 01. 07. 2012

Gesetz Nr. 6762 türkisches Handelsgesetz 01. 01. 1957

C) Die Pflichten eines Kaufmannes I. Allgemeines Art. 18 n. F.

C) Die Pflichten eines Kaufmannes I. Allgemeines Art. 20

(1) Genauso, wie der Kaufmann aufgrund jeder Art von Schulden dem Konkurs unterworfen ist, ist er verpflichtet, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend einen Firmennamen zu wählen und zu benutzen, seinen Handelsbetrieb im Handelsregister eintragen zu lassen und Handelsbücher zu führen.

(1) Genauso, wie der Kaufmann aufgrund jeder Art von Schulden dem Konkurs unterworfen ist, ist er verpflichtet, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend einen Firmennamen zu wählen und zu benutzen, seinen Handelsbetrieb im Handelsregister eintragen zu lassen und Handelsbücher zu führen.

(2) Jeder Kaufmann hat sich bei der Ausübung seines Handelsbetriebs wie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsmann zu verhalten.

(2) Jeder Kaufmann hat sich bei der Ausübung seines Handelsbetriebs wie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsmann zu verhalten.

(3) Benachrichtigung oder Mahnungen zwischen Kaufleuten in Bezug auf den Verzug der anderen Partei, die Vertragsanfechtung oder den Rücktritt von Vertrag werden durch einen Notar mittels Einschreiben, Telegramm oder einer mit sicherer elektronischer Signatur versehenen Nachricht verfasst.

(3) Benachrichtigung oder Mahnungen zwischen Kaufleuten in Bezug auf den Verzug der anderen Partei, die Vertragsanfechtung oder den Rücktritt von Vertrag werden durch einen Notar mittels Einschreiben, Telegramm verfasst.

(4) Die anderen den Kaufmann betreffenden (4) Die anderen den Kaufmann betreffenden Vorschriften bleiben unberührt. Vorschriften bleiben unberührt.

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Stichwortverzeichnis Abgrenzung 27, 33, 35, 40, 45, 64, 69, 108, 117, 139, 143, 147, 151, 155 – 159, 161, 177, 185 – 187, 234, 244, 307, 323, 393, 396, 405, 410, 420, 430, 450, 452 f., 455 – 458, 474 Abwägung 62, 96, 122, 149 – Gesamtabwägung 139 – Interessenabwägung 165, 169, 193, 226 Allgemeine Geschäftsbedingungen 128, 233, 418 f. Änderung der Rechtslage 464 Änderung der Umstände 23, 30 f., 33, 36 f., 39, 46 f., 50, 55, 61 f., 71 f., 85, 92, 104, 111, 116, 118, 121 f., 128 – 130, 132 – 134, 137, 151, 168 f., 173, 175, 202, 209, 222, 224 f., 239, 242 – 244, 249, 258, 260, 271 f., 275, 283, 292, 295 f., 298 – 300, 302, 307, 312, 315, 318, 322 f., 325 – 332, 335, 337 f., 340 – 342, 344 – 346, 349 – 351, 353, 357, 361 – 367, 369 – 372, 377 f., 392 f., 399, 406, 409, 414, 420, 433 f., 436 – 445, 469, 471 f., 474 f. Äquivalenzstörung 49, 51 f., 55 f., 58, 79 f., 88 f., 105, 120, 142, 151, 156 f., 200, 244, 267, 287, 290, 316, 329, 338, 355, 360, 362, 364 f., 394, 396, 422, 445 Auslegung 35, 46, 65, 67, 71, 73 – 75, 273, 279, 284, 294 – 297, 301, 317, 371 f., 376, 409, 424, 447, 464 – 466 außerordentliche Kündigung 170, 302, 391, 393 Bedingung 33 – 36, 60, 188, 220, 250 f., 253, 258, 410, 473 Billigkeit 48, 52, 388 Billigkeitserwägung 64, 72, 109, 409 clausula rebus sic stantibus 29 – 32, 43, 45, 167, 274, 284, 302, 393, 406, 413 condictio ob rem 186 – 188

Dauerschuldverhältnis 105, 111, 121, 128, 167 – 169, 176, 193, 200, 223, 228, 302, 311 f., 314, 319, 342 f., 379, 388 – 391, 395, 402, 436, 454 f., 466 Doppellücke 79 Fallgruppen 49, 77, 88, 105, 107, 110, 144 f., 156, 163, 178, 225, 244, 269, 316, 422 f., 429, 438, 471 Feststellungsklage 398 Fremdwährungsschulden 318 gemeinsame Vorstellung 38, 52, 54 Geschäftsgrundlage – anfängliche 432 – Fehlen der ~ 39, 108, 111, 113, 116 f., 321, 326, 377, 423 – große 61, 115, 322, 328 – kleine 60, 115, 322, 328, 433 – objektive 55, 59 – subjektive 56, 113 f. Gestaltungsklage 398, 464 Grundlage des Vertrags 38 f., 104, 111, 245 f., 285, 314, 321, 333, 359, 413 Grundrechte 165 f. Inflation 47, 50 f., 60, 75, 133, 304 – 306, 327, 349, 438, 458 Irrtum 44, 116, 183, 245 – 247, 250, 258, 353, 413, 427 – beiderseitiger 52, 58, 92, 179 – Eigenschaftsirrtum 180, 183, 456 f. – einseitiger 177, 181, 184 f. – gemeinschaftlicher 117, 177 – Kalkulationsirrtum 178 – subjektiver 180 Kassationshof 241, 276 – 278, 284 f., 291 f., 299, 327, 332 f., 346 – 350, 358 – 360, 364 f., 367, 374 f., 382, 391, 425, 436 Kausalität 441

508

Stichwortverzeichnis

Krönungszugfall 68, 146 Kündigung aus wichtigem Grund 27, 103, 105, 112, 168 f., 171, 392 – 396, 402, 450, 455, 458, 470, 474 laesio enormis 32, 121 Lehre der Voraussetzung 33 – 35 Leistungserschwerung 24, 147, 150, 161, 242, 244, 249, 274 f., 277 f., 282, 291, 311, 313, 315 f., 318, 325, 330 f., 335, 346, 352 f., 355 – 357, 359 f., 362 – 364, 384, 388, 421 – 424, 452 f., 471 Leistungsklage 212 – 214, 217 – 219, 401, 463 f. Leistungsstörung 66, 77, 152 – 155, 158 f., 161, 208, 244, 249 Motivirrtum 34, 54, 62, 182, 245 – beachtlicher 177, 413 – beiderseitiger 177 f., 182, 456 – gemeinsamer 114, 183 – gemeinschaftlicher 116, 179 – qualifizierter 245 – unbeachtlicher 34, 37, 45, 410 Neuverhandlungsobliegenheit 202, 313, 383 Neuverhandlungspflichten 27, 103, 107, 193, 197 – 211, 313, 318, 320, 382 – 386, 400, 402, 420, 429, 461 – 463, 467, 473 Nichterfüllung 23, 275, 314, 352 – 355, 357 f., 361, 378, 402, 421, 431, 437 – 439, 445, 455, 470, 472, 474 Oertmannsche Formel 97 Opfergrenze 87, 89, 125, 151 pacta sunt servanda 23, 31, 39, 87, 89, 95, 103, 106, 119 f., 123, 146, 153, 168, 172, 186, 191, 195 – 197, 200, 224, 238 f., 242, 247, 260, 279, 282, 286, 319, 324, 333, 339, 356, 370, 380 f., 396, 405, 410, 414, 465, 469, 473 Principles of European Contract Law 107 Privatautonomie 35, 65, 73, 108, 118, 127, 129 f., 181, 199, 205, 208, 210 – 212, 219, 228, 293, 314, 317, 323, 369, 373, 375, 382 – 385, 401 f., 447, 462, 465, 467, 473

Rechtsfolge 27, 30, 36, 38, 40, 43, 47, 52, 55 f., 60 – 63, 68, 70, 77, 79, 83, 86 f., 95 – 98, 103, 105, 112, 117, 122, 128, 143 – 145, 149, 153, 155 f., 158, 160, 162, 164, 166, 169 f., 174, 177, 180 – 182, 188 – 190, 193, 195 – 197, 202, 213, 223, 227, 229, 235, 237 f., 242 – 246, 250, 252 – 254, 260 – 264, 266 – 272, 274 – 276, 278 – 280, 282, 284, 286, 291, 293, 301, 303, 305 – 308, 312, 314, 321, 362, 366, 369, 377, 379, 381, 383, 389 f., 394 – 398, 400 – 402, 405, 407, 410, 412 f., 415, 419, 421, 424, 426, 428, 430, 432, 439, 443, 447, 452 – 460, 462, 464, 466 f., 469 – 471, 473, 475 Rechtsfolge der Geschäftsgrundlage 160, 380, 426, 459, 470 Rechtsmissbrauch 70, 242, 284, 287 f., 290 – 293, 373 f., 408, 414, 447 f. Rechtssicherheit 23, 30 f., 36, 40, 53, 73, 99, 109 f., 112, 119, 126, 141, 179, 208, 226 f., 258, 308, 315, 330, 334, 339, 389, 406, 416, 423, 429, 469 Risikoverteilung 58, 64 – 66, 77, 103 f., 111, 120, 126 f., 129, 132, 134, 191 f., 194, 228, 250 f., 297, 314, 343, 370, 379, 389, 403, 439, 447, 460, 471 – gesetzliche 64, 127, 132, 314, 375, 471 – vertragliche 127, 129, 331, 373 f., 376, 446, 449 Rücktritt 27, 55, 59, 131, 174, 182, 193, 204, 227 f., 314, 379, 389 f., 396, 399 f., 465 – 467 Ruin-Theorie 332 – 334, 336, 435 Stufenklage 214, 217 – 220, 463 Subsidiarität der Geschäftsgrundlage 82, 84, 306 f., 373, 375, 393, 429, 449 summum ius, summa iniuria 289 Treu und Glauben 45, 47 f., 50 – 52, 59, 69, 74, 76, 87, 93, 108 f., 117, 125, 151, 159, 171, 202, 210, 216, 237 f., 242, 245 f., 254 f., 266, 272, 276 – 279, 281 – 289, 293, 295 – 297, 300, 304, 307, 311, 314 f., 318 f., 335, 338, 340, 343, 356 f., 371 – 373, 375 f., 380, 382 f., 391 – 393, 401, 403, 408, 411, 413, 417, 419, 421 f., 429, 435, 448, 450, 469

Stichwortverzeichnis Übermaßverbot 124 Übervorteilung 261 – 268, 411, 415, 428, 435 ultima ratio 96, 196, 227 f., 230, 260, 381, 390, 421, 465 Unidroit Principles of International 122 Unmöglichkeit – anfängliche 268 – 270, 280, 453 – faktische 27, 108, 112, 451 – 453 – nachträgliche 268, 270, 272, 280, 453 – objektive 269 f. – subjektive 269, 279, 334, 454 – tatsächliche 46 – vorübergehende 46 f., 330 f. – wirtschaftliche 46 f., 143, 150, 157, 268, 273 – 275, 315 Unvorhersehbarkeit 89, 166, 254, 295, 341 – 349, 351, 362, 364, 431, 443 Unzumutbarkeit 46 f., 50, 69 f., 77, 80, 84, 86 – 89, 92, 96 – 98, 119, 122 – 126, 133 f., 138 f., 147 – 149, 156, 159, 164, 166, 169, 171 f., 189, 192, 196, 224 – 227, 229 f., 273 f., 279, 318, 355 – 357, 359, 382, 389, 399, 431, 439, 445, 453, 465, 468, 472 f., 475 venire contra factum proprium 138 f., 366 Vereinigungstheorie 59, 412

69 f., 80,

509

Verhältnis zu § 313 129, 431, 453, 470, 475 Vertragsanpassung ipso iure 96 Vertragsinhalt 33, 40, 46, 65, 67, 69, 82 f., 114, 117 f., 127, 145 – 147, 152, 188 f., 250, 258, 323, 439 Vertragsklauseln 129, 291, 293, 373 f., 447 Verzug 139, 204, 236, 270, 276, 313, 359, 366 f., 421, 438, 446 Voraussetzungslehre 35 – 37, 45, 406 Vorhersehbarkeit 61, 85, 88, 120, 126, 129, 132 – 134, 136, 191 f., 256, 276, 328, 341 – 344, 347 – 351, 365, 369, 378, 416, 439 – 443, 448 Wesentlichkeit der Vorstellungen 106, 111, 420 Zeitpunkt der Anpassung 226, 389, 460 Zweck, Geschäftszweck 29, 41 – 44, 52, 65, 67, 84 f., 125, 146, 305 Zweckerreichung 42, 67, 144, 451 f. Zweckfortfall 144, 451 f. Zweckkondiktion 187 – 192, 457 f. Zweckstörung 49, 52 f., 66 f., 70, 88, 92, 94, 105, 144 – 147, 156, 244, 267, 316, 322, 329, 355, 359 f., 417, 422 f., 438, 451 f.