Der verlorene Himmel: Glaube in Deutschland seit 1945 9783666300400, 9783525300404, 9783647300405

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German Pages [320] Year 2013

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Der verlorene Himmel: Glaube in Deutschland seit 1945
 9783666300400, 9783525300404, 9783647300405

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V

Thomas Großbölting

Der verlorene Himmel Glaube in Deutschland seit 1945

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 6 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-30040-4 ISBN 978-3-647-30040-5 (E-Book) Umschlagabbildung: photocase, David Dieschburg © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck und Bindung: e Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Der verlorene Himmel – Wonach dieses Buch fragt und wie es darauf antworten will . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Ein christliches Deutschland? Selbstverortungen und Illusionen nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1 Der Glaube im Leben – Leben im Glauben? Das religiöse Feld zwischen Rechristianisierung und Erosion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religiöse Praxis und Kirchenbindung. Aufschwung in der Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Familie als Bastion. Leitbilder und Lebensbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom »gefallenen Mädchen« zum »absoluten Verstehen«. Sexualität und Sexualmoral im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gestalten, normieren, verklären. Die Kirchen in Politik und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . Religion und Politik. Traditionen und Dispositionen der christlichen Kirchen . . . . . . . . . . . Religion in der entstehenden Bundesrepublik. Die »hinkende Trennung« von Kirche und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entkonfessionalisierung und Pluralisierung. Christen in Gesellschaft, Politik und Parteien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Glaubensverkündigung und Pastoral vom Kriegsende bis zum Beginn der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuaufbrüche nach Kriegsende? »Rechristianisierung« und Schulddiskussion . . . . . . . . . . Alte Antworten auf neue Fragen. Theologie und Kirchenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ruf nach der Jugend. Vom »Neuaufbruch« zum »Klimasturz« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Nachkriegszeit und ihr Ende. »Rechristianisierung« als Ideal und Chimäre . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Vom Aufbruch und vom Absturz in die Nachmoderne. Das religiöse Feld in den sechziger und siebziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2.1 Die christlichen Religionsgemeinschaften in den 1960er und 1970er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Warum treten Sie nicht aus der Kirche aus?« Die Kirchenkrise und ihre öffentliche Thematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christen in den 1960er Jahren. Identitätsbildung mit, neben und ohne Religion . . . . . . . Frei machen. Konflikte um Sex, Familie und Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.2 Politisierung und Pluralisierung. Religion, Politik und Gesellschaft in den 1960er und 1970er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glaube in der Politik? Staat, Parteien und Kirchen in der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politik im Glauben? Schwangerschaftsabbruch und Schutz des ungeborenen Lebens als Exempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1968 in den Kirchen. Polarisierung und Pluralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Vom »Höllenfeuer« zur »allumfassenden Liebe«. Religiöse Sozialformen und transzendente Sinnstiftung im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zweite Vatikanum. Ein »Konzil der Kirche über die Kirche« und seine Rezeption . . . . . Kirchentage und kirchliche Akademien. Form- und Funktionswandel innerkirchlicher Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das »Ende der Hölle« und die »Gott ist tot«-Theologie. Neue Konzepte und Formen von Kirche und religiösem Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Traditionsabbruch und Transformation in den langen sechziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Aus Kirche wird Religion. Brüche und Veränderungen im religiösen Feld bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.1 Der Glaube im Leben. Diffusion und Differenzierung des religiösen Feldes . . . . . . . . . . . . . Die mediale Entgrenzung der Religion. Kirchenkrise und individuelle Religiosität . . . . . . Eine »spirituelle Revolution«? Sinnsuche in neureligiösen Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nicht-Religiösen – Zum Porträt einer (fast) unbekannten Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Auf dem Weg zu einer multireligiösen Gesellschaft? Pluralität als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gekommen um zu bleiben. Der Islam in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Desinteresse, Furcht und Konkurrenz. Die deutsche Gesellschaft und der Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jüdisches Leben in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Auf dem Weg in eine entchristlichte Gesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderfall Ostdeutschland? Die Entwicklung des religiösen Feldes in der DDR und in den neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Ende der »Priesterkirche«. Neue Rollen und Strukturen im religiösen Feld . . . . . . . . . Neue Formen der religiösen Selbstverortung in, neben und außerhalb der Kirchen . . . . .

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Gott in Deutschland – Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

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Der verlorene Himmel – Wonach dieses Buch fragt und wie es darauf antworten will

Wenn im Zeitalter der europäischen Expansion Reisende von neu entdeckten Kontinenten zurückkehrten, fassten sie ihre Eindrücke für die Nachwelt oftmals in Berichten zusammen. Neben der Suche nach Gold und anderen Reichtümern galt ihre Aufmerksamkeit den in fernen Ländern lebenden Menschen und deren Kulturen. Speziell die Religion der einheimischen Bevölkerung fesselte ihre Aufmerksamkeit, wenn sich Entdeckergeist und Profitgier oftmals mit einem christlichmissionarischen Anspruch mischten: Das christliche Europa exportierte seine Religion in den ›heidnischen‹ Rest der Welt, zurück kamen Berichte über das ursprüngliche Leben der jeweiligen indigenen Bevölkerung. Auf diese Weise sind uns faszinierende Beobachtungen über religiöse Riten und Gebräuche aus Asien, Afrika wie auch aus Süd- und Nordamerika überliefert worden. Gegenwärtig kehrt sich diese Konstellation um: Während auf vier von fünf Kontinenten religiöses Leben in den unterschiedlichsten Formen floriert, sind es vor allem die Gesellschaften Westeuropas, in denen das Gegenteil der Fall ist. Die Religion, in der Regel das Christentum, verliert auf diesem Kontinent an Bedeutung. Sinnfällig wird diese Entwicklung darin, dass kaum noch europäische Missionare nach Übersee aufbrechen, sondern umgekehrt insbesondere die katholische Kirche ihren Priestermangel durch den Import von Geistlichen aus Afrika und Asien zu kompensieren versucht. Europa, das einstige Zentrum der Christenheit, ist längst selbst zum Objekt der Mission geworden. Dieser Wechsel der Ausgangslage lädt dazu ein, auch die oben beschriebene Konstellation einmal umzukehren. Wie eigentlich präsentierte sich einem Nicht-Europäer die aktuelle religiöse Situation in Deutschland? Machte sich ein Fremder mit diesem ethnologischen Interesse auf die Suche nach einer Antwort auf diese Frage, dann bescherte ihm schon eine kurze Reise eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Eindrücke. Nähert er sich bei seiner Stippvisite einer der Städte oder Dörfer in Deutschland, so nimmt er durch das Weichbild der Stadt wahr, dass Religion und Religionsgemeinschaften deutliche architektonische Akzente setzen: Kirchen und Kathedralen, Dome und Kapellen sind nach wie vor markante Erhebungen in der Silhouette. Gelegentlich taucht neben den Kreuzen auf den Kirchturmspitzen auch der Halbmond einer Moschee auf. Wenn auch in den Großstädten Hochhaustürme die Sicht auf das Ensemble religiöser Bauwerke vielleicht versperren, dann zeigt sich doch in vielen Klein- und Mittelstädten, vor allem aber in ländlichen Ortschaften, wie stark die Kirche im Mittelpunkt steht und sozialgeographisch das Zentrum der jeweiligen Gemeinschaft bildet. Das Religiöse als gewichtiger Punkt und Achse der Stadt, insbesondere aber vieler Dörfer, hat sich in die Architektur dauerhaft eingeschrieben.

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Dieser erste Eindruck wird rasch zerstreut, sobald der Fremde sich ein Bild von der Nutzung dieser Gebäude macht. Zwar sind nur wenige frühere Gotteshäuser mittlerweile umgewidmet und werden zu Wohn- oder Geschäftszwecken genutzt, doch zeigt sich, dass religiöse Bauwerke als Kultstätten wie auch als Versammlungsorte nur noch eine bescheidene Funktion haben. Wenn ein Gottesdienst stattfindet, dann sind es tendenziell ältere Menschen, die dort zusammenkommen, mehr Frauen als Männer, wenige Familien, kaum Jugendliche. Angesichts der vielen Bankreihen und der hohen Räume betonen diese kleinen Gruppen die Leere eher, als dass sie sie auszufüllen vermögen. Außerhalb der Versammlungszeiten sind die Gotteshäuser entweder geschlossen oder dienen touristischen Zwecken. Besichtigt und bestaunt werden die Erzeugnisse europäischer Hochkultur: Bildwerke, Fenster, Skulpturen, Altäre und Predigtkanzeln, die kunsthistorisch von Interesse sind oder den Besuchern vor allem als bunt, außergewöhnlich und »exotisch« anmuten. Sucht der Fremde nach weiteren, nichtchristlichen Kult- und Gebetsstätten wird er nur vereinzelt fündig. Neben den Synagogen sind hinduistische Tempel, buddhistische Gebetsstätten oder Repräsentanzen anderer religiöser Gemeinschaften selten. Allein eine Moschee, etwas abseits der Stadtmitte gelegen, bildet einen von muslimischen Gläubigen frequentierten Kontrapunkt zu den meist verwaisten Gotteshäusern der Christen. Im Trubel der innerstädtischen Einkaufszone aber lassen sich in der Regel nur die Kopftuch tragenden Muslima und der etwas verloren wirkende Zeuge Jehovas, der den Vorbeieilenden den »Wachtturm« anbietet, als religiös geprägte Menschen identifizieren. Befragt der Fremde nun nicht nur die wenigen Kirchgänger, sondern auch die ihm entgegenkommenden Passanten nach ihrer Einstellung zur Religion, dann drängt sich ihm eine neue Einsicht auf: Befindet er sich im Osten Deutschlands, wird nur jeder Dritte der Entgegenkommenden Mitglied einer der großen Konfessionskirchen sein. 67 Prozent der Bevölkerung gehören keiner Religionsgemeinschaft an. In der nunmehr dritten Generation hat sich in den neuen Bundesländern eine Kultur der Konfessionslosigkeit fest etabliert. Im größeren westlichen Teil der Republik sieht das Bild anders aus: Vier von fünf Befragten sind Mitglied einer Religionsgemeinschaft, 18 Prozent sind konfessionslos. Ob sich hinter dieser Zahl mehr als eine bloße Mitgliedschaft verbirgt, ist für den auswärtigen Beobachter nicht unmittelbar zu erschließen. Aber, so wird ihm berichtet, die Zahl der Kirchgänger ist in beiden Konfessionen klein und zudem stark rückläufig. Nur jeder Zwanzigste der nominellen Mitglieder, so klagt der evangelische Pastor gegenüber dem Fremden, finde den Weg in den sonntäglichen Gottesdienst.1 Fragt man seinen katholischen Amtsbruder, so könnte dieser für 2010 auf knapp 13 Prozent Kirchgänger verweisen.2 Hinzu kommt, dass selbst diese kirchennahen Männer und Frauen ein sehr begrenztes Wissen über ihre eigene Religion haben. Zu zentralen Glaubensinhalten wie der Frage nach dem ewigen Leben, der Trinität oder dem Gelingen eines gottgefälligen Lebens wissen die wenigsten etwas zu sagen. Nur eine Minderheit der schrumpfenden Gruppe von Kirchenmitgliedern ist laut Selbsteinschätzung darum bemüht, »mit Hilfe des Glaubens ein sinnvolles Leben zu führen« oder in der Welt

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den »Willen Gottes zu erfüllen, um am Ende die ewige Seligkeit zu erlangen«.3 Stattdessen beschreiben die wenigen Passanten, die sich auf ein Gespräch über ihre religiöse Haltung einlassen, dem Fremden ein Potpourri verschiedener religiöser Ideen, denen sie anhängen oder von denen sie gehört haben: Christliche Glaubensinhalte mischen sich mit fernöstlichen Meditationstechniken und Elementen angewandter Psychologie. Bachblütentee, Pendeln, Gläserrücken – jeder Dritte von hundert Befragten ist damit bereits in Kontakt gekommen. Zugleich aber fallen auch andere Vokabeln: Pilgern auf dem Jakobsweg, Feng Shui, New Age und gelegentlich auch Engelskult. Und hat da wirklich jemand vom »Fußballgott« gesprochen? Ernüchtert von der wenig erfolgreichen Suche nach der Religion in Deutschland hält der Fremde nach Möglichkeiten Ausschau, um diese Beobachtungen zu deuten. Steuert er dazu eine gewöhnliche Buchhandlung an, dann macht er eine weitere erstaunliche Beobachtung: Dass theologische und religionssoziologische Fachliteratur nur auf Bestellung zu haben ist, mag nicht verwundern. Aber dass neben der Belletristik auch das neue Papstbuch die Sonderstellfläche füllt, war nicht unbedingt zu erwarten. Daneben stehen Schriften des Dalai Lama als Oberhaupt der tibetischen Religionsgemeinschaft. Auch Bücher und Büchlein anderer Religionsvirtuosen wie Margot Käßmann, Abtprimas Notker Wolf und Anselm Grün werden in Buchhandlungen zwischen Wellness, Esoterik und Lebenshilfe platziert. Folgt man den Buchtiteln, dann ist »Spiritualität« ein großes Thema immer dann, wenn sich daraus Ratschläge für die individuelle Lebenspraxis ableiten lassen: »Spiritualität im Alltag« oder »Spiritualität von unten«, aber auch »in der Mitte des Lebens« oder »die Kunst Menschen zu führen« sind gängige Themen in diesem Bereich. Angeboten und stark nachgefragt wird eine Mischung aus geistiger Orientierung, individuellem Selbstmanagement und allgemeinen Lebensweisheiten. Durchblättert man die aktuelle Tagespresse, stellt man schnell fest, dass religiöse Organisationen und Personen durchaus nicht am Rande stehen: Präimplantationsdiagnostik, Atomkraft, Auslandseinsätze der Bundeswehr – in der politischen Arena werden die Oberen der großen christlichen Konfessionen um Rat gebeten. Bei der Kür des Bundespräsidenten 2012 fiel die Wahl auf Joachim Gauck und damit auf einen protestantischen Pfarrer und Theologen, dessen Persönlichkeit durch seine religiöse Haltung stark geprägt ist. Religion ist also augenscheinlich nach wie vor in besonderer Weise geeignet, die Gesellschaft an ihre vermeintlich allgemein geteilten normativen Grundlagen zu erinnern. Hinzu kommen kirchliche Events wie ein Papstbesuch, ein Weltjugendtag oder die ökumenischen oder konfessionell gebundenen Kirchentage, die Jahr für Jahr zum Großereignis werden, ohne dass sich diese im alltäglich gelebten Glauben auswirken. Daneben tritt massiv die Wahrnehmung von Religion als Faktor der Bedrohung, auch das könnte der ethnologisch interessierte Reisende rasch herauslesen: Religion ist in Deutschland oftmals mit dem Fremden assoziiert. In der Ferne sind es fundamentalistische Islamisten, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 als pars pro toto eines nichtaufgeklärten religiösen Fanatismus wahrgenommen werden.

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Was schriebe der imaginierte Fremde nun in seinen Reisebericht, um seine Landsleute über das religiöse Leben in Deutschland zu informieren? Vermutlich könnte er seine vielfältigen Befunde ebenso wenig auf einen Punkt bringen wie die hierzulande zahlreich vorhandene soziologische, historische und theologische Spezialliteratur zum Thema. Die Geschichte der Religion in Deutschland lässt sich schwerlich in einem Strang erzählen; zu vielfältig und facettenreich sind die Entwicklungen, die sich in den Nachkriegsjahrzehnten beobachten lassen. Dennoch, so die Grundthese dieses Buches, kulminieren die vielfältigen Trends in einer Beobachtung: Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte war das soziale Leben von Religion durchtränkt, in vielen Gemeinschaften und Sozialräumen dieser Welt ist es das immer noch. Für West- und Mitteleuropa war über eineinhalb Jahrtausende das Christentum das Religionssystem, welches diese Funktion erfüllte und eine wichtige Stellung in der Gesellschaft einnahm. Heute besitzt es diese Bedeutung nicht mehr und ist in vielerlei Hinsicht an den Rand gerückt, ohne aber – das ist wichtig zu betonen – zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken zu sein. Ungeachtet der massiven Entkirchlichung ist das Christentum auch im wiedervereinigten Deutschland der wichtigste Anbieter religiöser Deutung und Praxis. Es bewegt sich dabei aber in einem insgesamt schrumpfenden und stark pluralisierenden religiösen Feld. Das Beziehungsgefüge von Religion, Kirche und Gesellschaft hat sich stark gewandelt. Diese Transformation sucht die Metapher im Titel zu beschreiben: Der Himmel ist nicht verschwunden, wohl aber für immer mehr Menschen wie auch für immer größere gesellschaftliche Zusammenhänge verloren gegangen. Ein kurz- oder auch mittelfristiges ›Wiederfinden‹ ist nicht zu erwarten. Am eindeutigsten ist dieser Umbruch in der religiösen Landschaft des Christentums hinsichtlich der individuellen Kirchenmitgliedschaft und der Frömmigkeitspraxis zu beobachten. Hier befinden sich, wie Michael Ebertz es formuliert, die evangelische wie auch die katholische Kirche seit längerem »im Gegenwind«: Die religiöse Praxis des Einzelnen, wie sie sich jahrhundertelang in den vorgegebenen Formen gezeigt hat, ist rückläufig. Beide Großkonfessionen, die evangelischen Landeskirchen ebenso wie die katholische Kirche, befinden sich mitten in einem für das religiöse Feld bislang beispiellosen Traditionsbruch. Die Kirchen werden leerer, die Zahl der Getauften nimmt kontinuierlich ab, immer weniger Männer und Frauen wollen noch Priester oder Pfarrer werden oder sich einer geistlichen Gemeinschaft anschließen. Für diesen Niedergang fällt eine Erklärung von vornherein aus: Es ist nicht die »Konkurrenz«, die diese Entwicklung angestoßen und befördert hat. Von wenigen Ausnahmen in jüngster Zeit abgesehen ist der Islam in Deutschland nie missionierend aufgetreten. Keine neue Kirche, kein neuer Glaube, nicht einmal ein staatlich geförderter Säkularismus waren im Westen Deutschlands vorhanden, um das Christentum zurückzudrängen oder gar zu ersetzen. Der bisherige Verlauf dieser Verfallskurve wie auch die demografische Entwicklung deuten darauf hin, dass dieser Prozess sich weiter radikalisieren wird, so dass die Selbst- und Fremdbezeichnung der christlichen Konfessionen als Volkskirchen zunehmend obsolet werden wird.

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In ähnlicher Weise, aber zeitversetzt zu dieser statistisch feststellbaren Entwicklung, hat sich die Position der christlichen Kirchen im öffentlichen Leben verändert. Dieser Trend gilt für ihre Selbsteinschätzung ebenso wie für die Wahrnehmung von außen. Nach 1945 starteten weite Teile der Eliten mit der Perspektive einer umfassenden »Rechristianisierung« der deutschen Gesellschaft. Als »Siegerin in Trümmern« avancierten die Kirchen zu Garanten des Neuaufbaus.4 Diese Vorstellung erweist sich rückblickend als ein Wunsch- und Trugbild. Dennoch aber verdeutlicht die zeitgenössische Formulierung die große Bedeutung, die den Kirchen beigemessen wurde. Viele Strukturen der frühen Bundesrepublik waren stark von dieser Hochschätzung geprägt und haben sich institutionell bis heute erhalten. Die Beteiligung von Kirchenvertretern in vielen gesellschaftlich-politischen Institutionen wie Rundfunkräten und politischen Kommissionen gehört ebenso dazu wie das System der staatlich erhobenen Kirchensteuern, das insbesondere die Großkirchen in weltweit einmaliger Weise privilegiert. Bis in die 1980er Jahre hinein war der Verweis auf die christlichen Grundlagen der deutschen Gesellschaft ein stehender Topos insbesondere konservativer Politik. Erst in den Jahren danach taugte diese Redewendung immer weniger als Formel einer weitgehend akzeptierten Selbstvergewisserung, sondern wurde kontrovers diskutiert. Ein dritter Punkt, der die Transformation des religiösen Feldes beschreibt, führt den Blick über die christlichen Kirchen hinaus. In dem Maße, in dem die christlichen Kirchen ihre Vorrangstellung einbüßten, entwickelten sich neue Formen von Religiosität oder traten stärker in den Vordergrund. Der Islam war in Deutschland zunächst das Religionsbekenntnis von Einwanderern, ist mittlerweile aber fest etabliert und einer der agilsten Akteure im religiösen Feld. Im Unterschied zu den USA beispielsweise weitete sich der religiöse Markt darüber hinaus aber kaum aus. So blieben Neue Religiöse Bewegungen wie Bhagwan, aber auch verschiedene charismatische Bewegungen im christlichen Bereich lediglich Randerscheinungen. Dennoch gewannen die mit ihnen verbundenen populärreligiösen Praktiken an Bedeutung: Fernöstliche Mystik und die ihr verbundenen Meditationstechniken entwickelten sich sowohl außerhalb wie auch innerhalb der christlichen Kirchen zu wichtigen Formen, mit denen Menschen ihre religiösen Bedürfnisse stillten. Mit dem Staunen über diese grundstürzende Entwicklung beginnt dieses Buch. Es ist eine Erkundung des religiösen Feldes in Deutschland und seiner Entwicklung in den vergangenen sechs Jahrzehnten. Wer danach fragt, wie und warum sich das religiöse Feld in Deutschland so grundlegend wandelte, verfolgt keine Spezialgeschichte religiöser Gemeinschaften, im Gegenteil: Das Phänomen Religion, so hat schon Thomas Nipperdey seine Geschichte der Religion im 19. Jahrhundert konzipiert, bietet eine umfassende Perspektive auf die allgemeine Geschichte. Religion war und ist immer ein »Stück Deutungskultur, die die ganze Wirklichkeit der Lebenswelt konstituiert, das Verhalten der Menschen und ihren Lebenshorizont, ihre Lebensinterpretationen prägt, gesellschaftliche Strukturen und Prozesse, ja auch die Politik.«5 Für Menschen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufwachsen, ist es kaum noch nachvollziehbar, wie selbstverständlich und unhinterfragt das tägliche Leben weiter Teile der Bevölkerung noch

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in der frühen Bundesrepublik mit einer religiösen Praxis verflochten war, die maßgeblich von den großen christlichen Volkskirchen geprägt und geleitet wurde. Familie, die Rollenbilder von Mann und Frau, Sexualität, Erziehung und Bildung – in den unterschiedlichsten Bereichen gaben die Kirchen die Standards von Verhalten und Moral vor, auch wenn sich diese aus ihren ursprünglich christlichen Bezügen längst gelöst hatten. Die Verbindung von größeren Teilen der Gesellschaft mit einer handlungsleitenden wie auch alltagsprägenden religiösen Überzeugung ist gänzlich verloren gegangen, und das in einer erstaunlich kurzen Zeitspanne. Einen Wandel beobachtet die Mentalitätsgeschichte in der Regel über lange Zeiträume hinweg. Mit Blick auf die religiöse Landschaft scheint das Gesetz von der longue durée nicht zu gelten: Die Christianisierung der Gebiete, die sich heute Deutschland nennen, erstreckte sich über Jahrhunderte, die Entkirchlichung kulminierte in wenigen Jahrzehnten. Im Fall von christlichen Weltbildern, der Kirchenbindung und den davon geprägten Moralvorstellungen in Deutschland scheint die Regel von der Langlebigkeit mentaler Strukturen außer Kraft gesetzt – ein Umstand, der die Analyse dieses Prozesses umso spannender macht. Wie dieser Wandel zustande kam, welche Ursachen ihm zugrunde lagen und welche Folgen er hatte und hat: mit diesen Grundfragen werden sich die folgenden Kapitel beschäftigen. Mit Hans Günter Hockerts versuchen sie den Traditionsbruch im religiösen Feld und die damit einhergehenden aktuellen Herausforderungen als »Problemgeschichte der Gegenwart« historisch zu erschließen.6 Will die historische Forschung zu den gegenwärtigen Debatten um die Integration der Religion einen versachlichenden Beitrag leisten, dann kann sie dies nur, wenn sie nicht mehr den bekannten kirchen- und konfessionsgeschichtlichen Einbahnstraßen folgt. Religionsgeschichte soll daher verstanden werden als eine »geteilte Geschichte«7 unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften in einer gemeinsamen gesellschaftlichen Umwelt. Somit werden im Folgenden alle Formen von Religiosität und ihrer Organisation in den Blick genommen, soweit sie eine größere gesellschaftsprägende Wirkung erzielten. Zeitlich erstreckt sich die Analyse von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die Gegenwart. Räumlich stehen die alte Bundesrepublik, dann das wiedervereinigte Deutschland im Mittelpunkt. Das Staunen über diesen vergleichsweise raschen Wandel wird dann produktiv, wenn man sich mit den bisher gegebenen Erklärungsversuchen und Antworten nicht zufrieden gibt: Säkularisierung lautete die Zauberformel zur Erklärung des religiösen Wandels seit den 1970er Jahren. Vielen Vertretern der Gesellschaftswissenschaften galt Religiosität lange Zeit als Relikt, welches mit der Modernisierung zwangsläufig, geradezu naturwüchsig abflachen und letztlich verschwinden werde. Diese Theorie ist in ihrer schlichteren Fassung nicht nur durch die Entwicklung in vier Fünfteln der Welt widerlegt. Zudem zeigt sie sich nicht in der Lage, die komplexe Situation von Religion in Westeuropa und in Deutschland zu beschreiben. Säkularisierung im Sinne einer fortschreitenden Entkirchlichung ist ein Faktum, welches die religiöse Landschaft in Deutschland von Grund auf prägt. Alle darüber hinaus gehenden Prämissen und Folgerungen aber bleiben krude. Insbesondere gerät ein Zusammenhang aus

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dem Blickfeld: Säkularisierung bringt neue Religiosität hervor, wenn auch in anderer Gestalt und in anderen Maßen. Dennoch sind diejenigen, die angesichts eines neuen medialen Interesses an Religion von einer Renaissance oder gar von einer »Wiederkehr der Götter« reden, sicher zu euphorisch. Von einer verstärkten Sichtbarkeit religiöser Phänomene kann man sprechen, eine neue individuelle Frömmigkeitspraxis ist damit aber oftmals nicht verbunden. Was hier wiederkehrt, ist nicht identisch mit dem Verschwundenen oder, um die Titelmetapher aufzugreifen: Es ist nicht der traditionelle Himmel, der wiedergefunden wird. Zu offensichtlich ist in Deutschland die Tatsache, dass religiöses Leben heute kaum mit dem Glauben der Väter und Mütter deckungsgleich ist. Selbst dann, wenn die Konfessionsbezeichnung identisch geblieben ist, haben sich doch die mit diesem Etikett verbundenen Glaubensgehalte und -praktiken in der Masse fundamental verschoben. Gemeinsamer Nenner neuerer religionshistorischer Forschungen ist zunächst die Distanz zu jeder Großtheorie. Neben der Säkularisierungsthese überzeugen auch die rein quantitativen Ansätze der älteren Sozialgeschichte letztlich nicht: Mit dem bloßen Auszählen von Konfessionsangehörigen und Mitgliedern in kirchlichen Verbänden, mit dem Erheben der Zahl von Kommunikanten und der Bestimmung von Betreuungsrelationen zwischen Priestern und Gläubigen ist es heute sicher nicht mehr getan, wenn man der Präsenz und Wirkmächtigkeit des Religiösen in der jüngeren Vergangenheit auf die Spur kommen will. Die vielfältigen »Privatchristentümer«, so Friedrich Wilhelm Graf, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben – ganz zu schweigen von den zahlreichen hybriden Religionsformen heutiger Gesellschaften – , lassen sich nicht mehr in klaren Entweder-oder-Kategorien abbilden. Benötigt werden vielmehr Modelle mit mehreren Variablen, die es erlauben, Religiosität jenseits formeller Mitgliedschaft in religiösen Organisationen analytisch zu fassen. Gefragt ist ein methodischer Ansatz, der den Glauben außerhalb der religiösen Organisationen (›believing without belonging‹) ebenso in den Blick nimmt wie die vielen Kirchenmitglieder, die eher der Gewohnheit folgen, als einem persönlichen Glauben nachzugehen (›belonging without believing‹, Grace Davie). Zugleich darf der Religionsbegriff nicht ins Beliebige ausfransen: Setzt man beispielsweise allein auf eine funktionale Bestimmung von Religion, dann weitet sich das Feld zu einem nicht mehr fassbaren spirituellen Nebel, der auch die Anhängerschaft einer Popgruppe, die Fans eines Fußballvereins oder die Weight Watchers in diese Kategorie mit einschließt.8 Statt eine schematische Definition des Gegenstandes zu verwenden, wird es darum gehen, was die jeweiligen Zeitgenossen als religiös bezeichnet haben und was ihnen – im Umkehrschluss – als profan galt. Damit wird schon deutlich, dass der Zugriff auf den Gegenstand ein entscheidender Schritt ist, den dieses Buch unternimmt. Was eigentlich fassen wir als Religion? Wie können wir unseren Gegenstand so bestimmen, dass wir insbesondere das Verhältnis von Religion und Gesellschaft wie auch dessen Wandel in den Blick nehmen können? Im Folgenden wird dazu ein kommunikations- und konflikttheoretisches Verständnis von Religion entwickelt, das sich insbesondere historisch-anthropologischer wie auch diskursgeschichtlicher Methoden bedient: Das wesentliche Merkmal von Religion

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ist der Bezug auf einen Unterschied zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Welt, zwischen Transzendenz und Immanenz. Religiöse Gemeinschaften heben sich von der sie umgebenden Gesellschaft dadurch ab, dass sie sich selbst als rückbezogen auf etwas Unverfügbares sehen. Christen fassen dieses etwas als »Gott«, andere Weltreligionen finden weitere Bezeichnungen dafür, zusammenfassend lässt sich dieses als Transzendenz fassen. Auch wenn diese Definition abstrakt bleibt, ist damit eine wichtige Entscheidung bereits getroffen. Das Verständnis der Zeitgenossen ist damit stark gewichtet: Was diese als Religion definieren, steht auch hier im Vordergrund. Allein die Erfüllung bestimmter gesellschaftlicher Funktionen wie Trost spenden, Leid lindern oder Ähnliches begründet eine Religion ebenso wenig wie die Anlehnung an typisch religiöse Narrative. Politische Ideologien, soziale Bewegungen und moderne Lifestyle-Erscheinungen haben zwar oftmals religioide Formen ausgebildet, ohne sich aber im hier verstandenen Sinne als Religion zu qualifizieren.9 Religion bleibt aber nicht abstrakt. Stattdessen findet sie ihre gesellschaftliche Ausprägung darin, dass sie die Differenz von Welt und Gott kommuniziert und fruchtbar macht. In der Sprache des Christentums heißt das Verkündigung und hat den Anspruch, der Welt nicht nur die »frohe Botschaft« mitzuteilen, sondern sie im Idealfall sogar nach ihren Prämissen zu gestalten. Dazu bedienen sich die Religionsgemeinschaften ganz spezifischer Sprechweisen, Symbole und Praktiken, die wir als »religiösen Code« bezeichnen.10 In der Regel bilden sich Gemeinschaften und Institutionen, in denen die Differenz von Diesseits und Jenseits in Regeln der Lebensführung umgesetzt und weitergegeben wird. Ein besonders charakteristisches Beispiel dafür ist die Herausbildung eines katholischen Milieus im deutschen Kaiserreich, womit diese Gläubigen auf den Modernisierungsdruck reagierten: Auf der Grundlage gemeinsamer Glaubensund Alltagsüberzeugungen etablierte sich eine Lebensform, in der »von der Wiege bis zur Bahre« die meisten Belange des Lebens in katholischen Bezugsgruppen vollzogen werden konnten. Milieus stiften Sinn, regulieren das Verhalten durch eine gemeinsame Weltanschauung und kristallisieren dadurch eine alltagsprägende Lebensweise aus. Die gemeinschaftlich gelebte Überzeugung nimmt soziale Gestalt an in den Kirchen mit all ihren institutionellen Verästelungen, Hierarchien, Gemeinden und Gruppen, aber auch über die Kirchen im engeren Sinne hinaus in ganzen Gesellschaften, in ihren politischen Konzepten und ihren Selbstverständnissen, in Ritualen und Bauten, Texten und Bildern, in Macht und Geld, in Krieg und Gewalt, kurz: in der ganzen Ambivalenz alltäglich gelebten Lebens. Umgekehrt aber prägen die gesellschaftlichen Umstände die traditionellen Religionen. Die Begriffe und Formen des Redens über Gott, die Symbole des Heiligen, aber auch die Alltagspraxis der Mitglieder passen sich den Differenzierungsformen und Inklusionsmustern der Gesellschaft an: Das katholische Milieu, um nochmal auf dieses Beispiel zurückzukommen, hatte mit der 1870 gegründeten Zentrumspartei einen politischen Arm ausgebildet, der aktiv ins politische Geschäft des Kaiserreichs und der Weimarer Republik eingriff und sich selbstredend auch den dort herrschenden Regeln wie Mehrheitsentscheidungen und Koalitionsgeboten anpasste. Religion ist

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in diesem wie in anderen Fällen in höchstem Maße »inkulturiert«, sprich: in die Formen und Funktionen eingepasst, die in der Gesellschaft vorherrschen. Für die großen Volksreligionen gilt dieses ohne Ausnahme, allein die charismatischen und fundamentalistischen Bewegungen seit den 1980er Jahren gebärden sich als dekulturiert, »entwurzelt« und präsentieren sich als Gegenentwurf zu ihrer Umwelt.11 Dieser Zusammenhang gilt sogar für die Formulierung der eigenen Glaubensaussagen: Auch wenn die Religionsgemeinschaften selbst von einer festen, unwandelbaren Basis ihrer Existenz ausgehen, und fundamentalistische Christen diese Behauptung beispielsweise mit einem wörtlichen Verständnis der Bibel zementieren, so sind die Formen religiöser Kommunikation und Symbole höchst wandelbar. Ein eingängiges Beispiel bieten die Gottesvorstellungen, die sich bei Christen in aller Welt unterscheiden: Gott kann als König wie auch als Stammesfürst gedacht werden, als strafend-strenger Herrscher ebenso wie als liebender Vater. In Europa zumeist als weißer Mann imaginiert, wird er in anderen Erdteilen auch als farbig oder weiblich angesehen. Religiöser Anspruch kann sich nur dann »auf Erden« verwirklichen, wenn er sich in Gesellschaften realisiert. Bei aller notwendigen Inkulturierung muss es den Religionsgemeinschaften zugleich aber auch darum gehen, dass die Religion weiterhin die Spannung von Transzendenz und Immanenz selbstidentisch aufrechterhält. Sie muss ein Angebot machen, dass in der Welt anschlussfähig ist und zugleich über sie hinausweist. Eine rein weltliche Religion kann es ebenso wenig geben wie eine rein religiöse Gesellschaft. Beschreibt man den Wandel des religiösen Feldes in Deutschland mit Blick auf die Verbindung von Religion und Gesellschaft, dann lässt sich eine markante Entwicklung nachzeichnen: Religion und Gesellschaft, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend miteinander verbunden waren, sind im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte nicht nur auseinandergetreten, sondern viele vormals enge Bande sind gekappt. In Deutschland war insbesondere das Christentum in Kultur und Gesellschaft in höchstem Maße inkulturiert. Politisch galt bis zum Ende des Kaiserreichs eine Allianz von Thron und Altar, in die vor allem der Protestantismus eingebunden war. Kulturgeschichtlich waren die Gutbürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts wie auch die »Normalmoral« des 20. Jahrhunderts stark angelehnt an die Normen der evangelischen und katholischen Kirche: Vorstellungen von Gesellschaftsordnung und Nation, Rollenbilder von Mann und Frau, Fragen der Sexualität, der Familie, der Erziehung. Bis weit hinein in nichtchristliche Kreise stimmten kirchliche und gesellschaftliche Normen überein, auch wenn sie unterschiedlich begründet wurden. Schon der Code Napoléon, ein Produkt des säkularen Frankreichs, ging bei Ehebruch von einer christlichen Prägung der Verbindung aus. Den Armen zu helfen, den Nächsten zu lieben, Gerechtigkeit zu suchen und die Schöpfung zu bewahren – das sind keine Geisteshaltungen, die sich allein dem Christentum verdanken, ihm aber sehr nahe sind. Mit Blick auf die evangelische Kirche spotteten Theologen über das »Kaminzimmerchristentum«, in dem protestantische Frömmigkeit zum Ende des 19. Jahrhunderts mit der bürgerlichen Lebensweise eine vielfach verschlungene Verbindung eingegangen war. Und die katholische Prägung des »restaurativen Charakters« der Adenauerzeit hat mit Walter Dirks ebenfalls ein prominenter kircheninterner Kritiker öffentlichkeitswirksam moniert.

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Fünfzig Jahre später, um die Jahrtausendwende also, hat sich diese Verbindung gelöst und das, so wie es aussieht, wohl unwiederbringlich. Ein »christliches Deutschland« gibt es nicht mehr. So wie sich die stützende und tragende Funktion des Glaubensgerüstes der großen Konfessionen verringerte, wurden auch die darauf ruhenden, gesellschaftlich geteilten Sitten- und Moralvorstellungen schwächer.12 Diese Feststellung gilt ungeachtet der Tatsache, dass die christlichen Konfessionen immer noch die größten Anbieter religiöser Weltdeutung und -praxis sind. Immer noch gingen mehr Menschen sonntags in die Kirche, als dass sie Fußballspielen der Bundesliga zuschauten, so propagierte die Pressestelle einer evangelischen Landeskirche im Jahr 2009. Was wohl als kraftvolles und aufmerksamkeitheischendes Statement gedacht war, demonstriert ungewollt, wie stark die Kirchen in ihrer Stellung marginalisiert sind: Die Instanz, die einst den ganzen Sonntag als »Tag des Herrn« prägte, wird nun selbst von ihren Anhängern als ein Konkurrent unter vielen betrachtet, die um die Gunst des Wochenendpublikums buhlen. Das Christentum ist zu einem Anbieter von Sinnstiftung und Sonntagsgestaltung unter vielen geworden. Diese Wahlposition beschränkt sich nicht auf den Bereich der Freizeitverbringung, im Gegenteil: Wie Partnerschaft und Familie gelebt wird, wie Politik von statten gehen soll, wie eine Beziehung zum Jenseits aussehen soll – zu all diesen Fragen bietet die christliche Tradition auch Angebote. Für immer weniger Menschen und erst recht in immer schwächerer Ausprägung für die Gesellschaft als Ganzes kristallisiert sich dort aber ein festes Gerüst heraus, welches das gesamte Leben umfasst. Für einige Menschen haben diese Angebote nach wie vor Bedeutung, einige mischen sie mit anderen Formen und Versatzstücken, andere wiederum lehnen sie gänzlich ab. Dieser zunächst nur in seinen Eckpunkten skizzierte Wandel soll in den folgenden Kapiteln empirisch nachgezeichnet und analytisch durchdrungen werden. Von besonderem Interesse sind dabei Grenzverschiebungen und Konflikte, mit denen verschiedene Kräfte in der Gesellschaft um den Zuschnitt des religiösen Bereichs rangen und darum stritten, was dort hineingehört oder was als »profan« deklariert werden sollte. Wo im religiösen Feld wurden überkommene Gewissheiten in Frage gestellt, neue Definitionen eingeführt, neue Praktiken durchgesetzt? Wo entstanden Konflikte? Wie wurden Kompetenzen und damit auch Einflusssphären neu verteilt? An diesen Bruchstellen werden der Wandel und seine Wirkungen besonders sichtbar. In jedem Abschnitt werden drei Zugriffe vorgenommen, um das Beziehungsgefüge von Religion, Gesellschaft und Kirche zu skizzieren. Wie wurde auf der individuellen Ebene Glauben erlebt und gelebt? Welche Formen der persönlichen Frömmigkeit bildeten sich aus oder verschwanden? Die zeitgenössischen Befragungen und Befunde dienen als erste Näherung an die quantitative Dimension von Kirchlichkeit. Der Zugriff auf die praktizierte Religiosität erschöpft sich darin aber nicht, im Gegenteil: Die individuelle Aneignung von Religion als wertorientierendes Verhalten geschieht meist synkretistisch. Nicht religiöse Dogmen, wie sie von den jeweiligen Hierarchien beschrieben werden, sondern eine Geschichte des geglaubten Gottes steht deshalb im Vordergrund. Der Einzelne sucht in seiner religiösen Praxis danach, das eigene Bedürfnis nach Transzendenz zu stillen. Dabei orientierte er sich in Deutschland

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oftmals am Angebot der christlichen Großkirchen, ohne aber der »reinen Lehre« zu folgen: Der sonntägliche Kirchgang schließt nicht aus, an die Reinkarnation zu glauben oder in den Karten nach der Zukunft zu suchen. Wie eigneten sich Einzelne wie auch Gruppen Transzendenzvorstellungen an, welche Wirkung zeitigte das? In traditionalen Gesellschaften liefern Glaubenssysteme wichtige Elemente zur Deutung der Welt. Sie erklären, was richtig und falsch ist, warum einige Menschen reich sind und andere arm, warum manche Menschen leiden und andere nicht, warum es Ungerechtigkeit, Tyrannei, Krieg, aber auch staatliche Herrschaft und anderes gibt. Die Antworten, die die Religionen darauf geben, wandeln sich ebenso rasant wie die Akzeptanz dieser Aussagen in der Gesellschaft. Auch ist zu fragen, was aus Sicht der Religionsgemeinschaft wie auch des Gläubigen auf dem Spiel stand: Das ewige Leben, das Seelenheil im Jenseits? Oder das eigene Wohlbefinden bzw. Formen der Selbstverwirklichung? Damit ist schon angedeutet, dass Religion auf dieser Ebene stark mit Selbsterkenntnis, Selbstgestaltung und der Bestimmung von Identität zu tun hat. Was wird als gelungenes Leben angesehen? Braucht es dafür Religion und wenn ja wie viel und wofür? Eine Analyse dieser individuellen religiösen Orientierung hilft auch dabei, die Strukturierung der Gesellschaft in der jüngsten Vergangenheit insgesamt besser zu verstehen. Zur Pluralisierung der Lebensstile, zur Aufweichung starrer soziokultureller Milieus, zum Wandel von Lebens- und Privatheitsformen, zu den Veränderungen in den Mustern primärer Vergemeinschaftung in Familie, Freundeskreis und Gesinnungsgruppen wie auch zur Erosion und Veränderung vormals akzeptierter Leitbilder und -werte der Moderne und Hochmoderne – zu all diesen und weiteren Prozessen, die die jeweils zeitgenössische Soziologie allenfalls formelhaft erfasst hat, kann die religionsgeschichtliche Forschung auf diese Weise beitragen. Viele der damit erfassten Entwicklungen finden ihren Widerhall im Verhältnis von Religion und Gesellschaft zueinander, nach dem in einem zweiten Zugriff zu fragen ist. Wie wurde Religion in der Gesellschaft definiert?13 Historisiert man den Religionsbegriff konsequent und untersucht, was die Zeitgenossen als Religion definierten, dann lässt sich für die deutsche Nachkriegsgesellschaft eine eklatante Verschiebung zeigen: Zunächst galten exklusiv die christlichen Kirchen als Religion. Dieses Verständnis machte erst in den 1970er Jahren einer zunehmend pluralen Einstellung Platz. Aber auch weit über diese globale Frage hinaus sind in der Nachkriegszeit vielfältige Themen verhandelt worden: das Leitbild der christlichen Familie, die Frage nach dem Kircheneinfluss auf Bildung, Erziehung, aber auch auf die Politik. Und – in einer bemerkenswerten Engführung kirchlicher Bemühungen – um Fragen der Sexualität, insbesondere der Geburtenkontrolle und der Abtreibung. Wie viel kirchlicher Einfluss war notwendig oder, um von der anderen Seite zu fragen, statthaft? Die Wahlhirtenbriefe der katholischen Bischöfe mit ihrer Empfehlung für ein CDU-Votum waren in der Ära Adenauer gängige Praxis, während sie 15 Jahre später als Skandal galten. Damit ist angedeutet, wie stark sich das Empfinden für die Legitimität religiöser Positionen in der säkularen Kultur änderte. Was in den fünfziger Jahren noch als moralische Wegmarke galt, war zwei Jahrzehnte später nur noch eine Position unter vielen.

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Die Religionsgemeinschaften in Deutschland waren beileibe nicht nur Objekte dieses Wandels, sondern haben selbst eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Das zeigen uns die Veränderungen in den Formen religiöser Organisation, in den theologischen Angeboten und der Tradierungspraxis wie auch die kirchlichen Selbstreflexionen über diesen Wandel: Versuchten sich die Kirchen noch im 19. Jahrhundert europaweit als eine Art christliche Gegenwelt zur säkularen Gesellschaft aufzubauen, so setzte schon seit dem Ersten Weltkrieg eine erste zaghafte Phase der Hinwendung zur Gesellschaft ein. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gaben die beiden christlichen Großkirchen dann immer mehr ihre Exklusionsstrategien auf und öffneten sich. Welche Handlungsstrategien und theologischen Konzepte sowie praktischen Handlungsformen entwickelten die Kirchen, um diesen Wandel in Gang zu setzen und auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren? Insbesondere das Christentum ist eine Erinnerungsgemeinschaft, in deren Mittelpunkt das gemeinsame Gedächtnis von Tod und Auferstehung Christi steht. Daneben haben sich zahlreiche weitere Traditionen und Wissensbestände entwickelt. Was soll an die nächste Generation weitergegeben werden, wie reagiert man auf den zunehmenden Bruch in der Erinnerungskette? In den Pastoralabteilungen der kirchlichen Verwaltungen ebenso wie in den beiden Theologien wurden dazu umfassende Selbstverständigungsdiskurse geführt. Diese Art der Selbstbeobachtung gilt es nachzuzeichnen, um die Krisenwahrnehmung wie auch die Gegenkonzepte zu rekonstruieren. Hinzu kommt, dass die Kirchen selbst immer häufiger Gegenstand öffentlicher Diskussionen wurden: Die Medien entdeckten die Kirchen als Thema. Der kleine Kreis der Universitätstheologen bekam Konkurrenz durch populäre Autorinnen und Autoren, so dass die vormals innerkirchliche Debatte größere Kreise zog. Viele Indikatoren sprechen dafür, dass im Medium der hier geführten religiösen Debatten die Pluralisierungstendenzen noch einmal massiv verschärft wurden.14 Diese drei Faktoren – die praktizierte Religiosität, das Verhältnis von Religion und Gesellschaft wie auch der innerkirchliche Wandel – sollen in der Analyse miteinander verbunden werden, denn erst ihr Wechselspiel, ihr Ineinandergreifen und ihre veränderte Zuordnung untereinander können die umfassende Transformation des religiösen Feldes im Deutschland der Nachkriegszeit deutlich machen.

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Ein beschädigter, aber immer noch hoch aufragender Kirchturm inmitten eines Trümmerfeldes; stolze Prozessionen im Schatten zerstörter Häuserfronten; Besatzungsoffiziere in Verhandlungen mit katholischen Geistlichen in vollem Ornat – das Kriegsende 1945 war für die Religionsgemeinschaften, wie für die deutsche Gesellschaft insgesamt zunächst einmal von Zerstörung und Leid geprägt. Die Gläubigen, aber auch die jeweilige kirchliche Hierarchie waren eingebunden in die allgemeinen Erfahrungen von Not, Verlust und Unsicherheit. Für diejenigen, die den Repressionen der nationalsozialistischen Diktatur ausgesetzt gewesen waren, bedeutete die bedingungslose militärische Niederlage wie auch der Zusammenbruch der alten Machtstrukturen eine Befreiung. Für die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung aber, die den Nationalsozialismus mitgetragen hatte, verband sich mit dem 8. Mai 1945 zunächst die Erfahrung von Unsicherheit: Das nationale Haus, welches im übersteigerten Nationalismus eine wesentliche Quelle der Begeisterung für den Nationalsozialismus geboten hatte, war eingestürzt. Da ihre Zukunft höchst ungewiss war, schied die Nation als Orientierungsgröße aus. Mit der militärischen Kapitulation war der Krieg beendet, die Kampfhandlungen und insbesondere die Luftbombardements waren gestoppt und damit die unmittelbare Gefahr für das Leben gebannt. Dennoch blieb der Eindruck der enormen Gewalterfahrung aus den vergangenen Jahren: Jeder dritte männliche Deutsche der Geburtsjahrgänge zwischen 1910 und 1925 hatte den Krieg nicht überlebt. Insbesondere seit dem Jahr 1944 hatte sich die Gewalt in mehrfacher Hinsicht gesteigert: Die Ermordung der europäischen Juden und anderer Opfer eskalierte. Neben den Massenmord in den Konzentrationslagern traten Massaker und Todesmärsche. Obwohl oder gerade weil sich die militärische Niederlage bereits abzeichnete, radikalisierte sich der Krieg noch einmal: Mehr als die Hälfte der 5,3 Millionen gefallenen Wehrmachtssoldaten starben in den letzten zehn Kriegsmonaten. In Deutschland selbst richtete sich die Gewalt im letzten Kriegsjahr zunehmend auch gegen »gewöhnliche Deutsche«, die auf diese Weise zum Durchhalten gezwungen werden sollten. Auch nach dem militärischen Zusammenbruch setzte sich das schwierige Alltagsleben der letzten Kriegsjahre zunächst fort: die angespannte Versorgungslage, die Wohnungsknappheit, das Bangen um Angehörige und Freunde, deren Schicksal in den Kriegswirren noch ungewiss war. Viele ausländische Beobachter berichteten von Apathie und Verunsicherung als auffälligstem Merkmal der deutschen Gesellschaft. Hinzu kamen Millionen von heimatlosen Menschen, unter ihnen Ausgebombte, Flüchtlinge und Vertriebene, aber auch die nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter aus den vormals besetzten Gebieten. 1947 gab es schätzungsweise eine Millionen sogenannter Displaced Persons.1 Die Erfahrung von Verelendung und Verunsicherung

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in der Not- und Umbruchzeit prägte die deutschen Gesellschaften in Ost und West über die Phase der Währungsreformen hinaus.2

1.1 Der Glaube im Leben – Leben im Glauben? Das religiöse Feld zwischen Rechristianisierung und Erosion Auf der Folie dieser materiellen Bedrängnis, der Desorientierung und des erfahrenen Zivilisationsbruchs stach insbesondere eine Institution hervor: die katholische Kirche. Materiell war auch sie zu Schaden gekommen. Ein Teil ihrer Gotteshäuser und Besitzungen war zerbombt, Kleriker und Laien waren in den Jahren des Krieges gestorben. Als Institution aber, so skizzierten es Zeitgenossen ebenso wie nachträgliche Darstellungen, erlebte sie einen »religiösen Frühling«. Die Bedingungen dafür waren gut. Vom Selbstverständnis wie auch in der Außenwahrnehmung galt die katholische Kirche als vom Nationalsozialismus nicht korrumpiert. Zu einem beträchtlichen Teil hatte sie es zwischen 1933 und 1945 verstanden, eigene Strukturen zu bewahren und die in ihr versammelten Gläubigen an sich zu binden. Auch wenn man weder in der Hierarchie noch unter den Gläubigen von einem konsequenten Sichverweigern sprechen kann, dominierte nach dem Krieg der Eindruck von Standhaftigkeit und Widersetzlichkeit gegen die NS-Diktatur. Erst Jahrzehnte später sollte diese teilweise geschönte Sicht zum Anlass heftiger kircheninterner wie auch öffentlicher Debatten werden. Da die Kirche in der öffentlichen Meinung als nicht-nazifizierte Institution galt, kam ihr nicht nur in der deutschen Bevölkerung besondere Autorität zu. Unter den wenigen Deutschen, die die alliierten Besatzungsoffiziere als Gesprächs- und Verhandlungspartner akzeptierten, befanden sich viele katholische Geistliche und Würdenträger. Wie den evangelischen Landeskirchen war auch der katholischen Kirche die Fortsetzung ihrer Arbeit ohne Einschränkungen erlaubt worden. Damit waren beide christlichen Konfessionen gegenüber anderen gesellschaftlichen Großorganisationen wie Parteien oder Gewerkschaften deutlich bevorzugt. Aber nicht nur die von außen an die Kirche gerichteten Erwartungen waren groß, sondern auch die Hoffnungen, die man im Inneren der Kirche hegte. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus, der militärischen Niederlage und dem Zerbrechen der Nation sollte nach Vorhersage führender Kirchenvertreter nun eine Katharsis, eine allgemeine Neubesinnung einsetzen, in der das Christentum eine neue Hochschätzung erfahren würde. Im deutschen Volk gebe es »hoffentlich niemanden mehr, der die überragende und entscheidende Bedeutung der Religion, des christlichen Glaubens für das gesellschaftliche Leben leugnet«, so hofften der Bischof von Münster, Kardinal von Galen, und der Jesuitenpater Gustav Gundlach in ihrem Entwurf zu »Katholischen Grundsätzen für das öffentliche Leben« im Februar 1946.3 Wie kaum ein anderer stand der Münsteraner Bischof und Kardinal von Galen für die Hoffnungen und Ansprüche der Kirche bei der Mitgestaltung der neuen Verhältnisse. 1941 hatte sich der nationalkonservative Adlige in drei Predigten öffentlich gegen die Deportation von Behinderten aus kirchlichen Heimen

Der Glaube im Leben – Leben im Glauben?

und ihre Ermordung gewandt. Nur seine Popularität und die Kriegssituation hatten den Kirchenfürsten vor einer Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei bewahrt. Mit seinem öffentlichen Wirken stand von Galen für das »andere Deutschland« und damit für genau die Traditionsbestände, auf denen das neue Gemeinwesen aufbauen sollte.

Abb. 1: Die Kirche als Siegerin in Trümmern? Kardinal von Galen bei einer Ansprache auf dem kriegszerstörten Domplatz in Münster. (picture-alliance/dpa/dpaweb)

Auf Grund ihres Selbstbildes konnte insbesondere die katholische Kirche die zurückliegenden Erfahrungen von Diktatur und Krieg homogen in die eigene Weltanschauung einpassen. Der Zusammenbruch des Jahres 1945 erschien als »Strafgericht«. Die deutsche Gesellschaft hatte sich der Abkehr von Gott schuldig gemacht. Die erneute Hinwendung zum Glauben schien damit nur folgerichtig. Nun sollten wieder die überzeitlichen Werte erkannt und befolgt werden. »An der Hand der Kirche, nach ihren Lehren und Weisungen wollen wir unser Leben gestalten, das private und das öffentliche, das soziale und staatliche. Dann bauen wir auf den einzig festen Grund. Denn ›einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der von Gott gelegt ist, Christus‹ (1 Cor. 3,11)«, so predigte der Münsteraner Bischof am 8. Juli 1945 vor den Trümmern des Doms. »Das Selbstbewußtsein der Katholiken erfuhr auf diese Weise in paradoxem Gegensatz zur äußeren Trümmerlandschaft eine schon lange nicht mehr gekannte Steigerung.«4 Damit war von Seiten der Katholiken ein großer Anspruch formuliert. Und in der Tat konnten sie bei einigen prägenden Strukturen der jungen Bundesrepublik auf ihren Ein-

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fluss verweisen: »Sozialpartnerschaft«, »Föderalismus«, »Europa« und »Subsidiarität« – viele der politischen und gesellschaftlichen Grundpfeiler waren in der katholischen Naturrechts-, Gesellschafts- und Staatstheorie bereits vor- oder zumindest angedacht worden.5 Ein Beleg für diesen Einfluss ist beispielsweise die Kritik des nach Kriegsende wohl prominentesten Protestanten Martin Niemöller. Die Bundesrepublik, so monierte der Kirchenpräsident der evangelischen Kirche Hessen und Nassau 1950, sei ein Gebilde, »in Rom gezeugt und in Washington geboren« und verwies damit auf den in seinen Augen ungebührlichen Einfluss der Katholiken.6 Die Ausgangsposition der protestantischen Kirchen war eine andere: Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten hatten sich in vielen Landeskirchen die Deutschen Christen in der Kirchenleitung durchgesetzt. Allein die lutherischen Landeskirchen von Württemberg, Bayern, Hannover und die preußische Kirchenprovinz Westfalen waren aus Sicht der Gegner der Deutschen Christen »intakt« geblieben. In der Bekennenden Kirche und den Bruderräten hatten sich diejenigen organisiert, die gegen die Anpassung an den NS-Staat arbeiteten. In der Folgezeit spaltete eine Reihe von Konflikten die protestantische Kirche tief: Die Schaffung einer einheitlichen Reichskirche, das Agieren des dem Nationalsozialismus treu ergebenen und als Vertrauensmann Hitlers agierenden Reichsbischof Ludwig Müller, die Gleichschaltung der Landeskirchen – in all diesen Punkten standen die beiden Gruppen unversöhnlich gegeneinander. Auch wenn weit über die Hälfte der Pfarrer sich keiner dieser kirchenpolitischen Richtungen zugeordnet hatte, waren Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen durch diese Konflikte tief zerrüttet. Nach Ende der Diktatur waren diese Verwerfungen weiter virulent. Man war sich zwar einig, dass die deutschchristlichen Spitzenfunktionäre ihre Ämter aufgeben mussten. Darüber hinaus aber brachen nach Kriegsende all die offenen Fragen und Streitigkeiten erneut und in aller Schärfe aus, die unter dem Druck des Nationalsozialismus künstlich klein gehalten worden waren. Öffentlich wahrgenommen wurden vor allem Protagonisten wie Martin Niemöller, der sich durch seine kritische Haltung zum Nationalsozialismus hervorgetan hatte, oder Dietrich Bonhoeffer, den sein Widerstand gegen die Diktatur das Leben gekostet hatte. Als Institution insgesamt aber fehlte den evangelischen Landeskirchen die Geschlossenheit, so dass sie weniger als die katholische Kirche als Vorbild wahrgenommen wurde. Dennoch rückte sie in der Nachkriegszeit ebenso wie die katholische Kirche in eine wichtige Position. Einige ihrer Vertreter hatten dies bereits frühzeitig erahnt. »Die Stunde der Kirche ist nicht vergangen, sondern neu im Kommen«, so hatte schon im Januar 1945 der bayerische Landesbischof Hans Meiser an die ihm unterstellten Pfarrer geschrieben.7 In der öffentlichen Wahrnehmung standen beide christlichen Konfessionen für Kontinuität: Wo die Hoheitszeichen des Nationalsozialismus abgeschlagen wurden und das US-Sternenbanner oder die französischen und britischen Flaggen vielen noch fremd waren, da blieben die kirchlichen Riten, Gesänge und Symbole gleich und gaben damit, so vermutete der Würzburger Theologe und Dekan Georg Merz, »einen Abglanz der Ewigkeit, die dem Worte der Kirche Gehalt und Bestand gibt«.8 Hinzu kamen praktische Funktionen. Allein die Kirchen

Der Glaube im Leben – Leben im Glauben?

hatten umfassende Kommunikations- und Mobilisierungsmöglichkeiten, die zunächst weder der öffentlichen Verwaltung noch den wieder aufzubauenden Parteien zur Verfügung standen. Über 16.000 Pfarrer gab es 1949 im Dienst der evangelischen Kirche, das evangelische Hilfswerk konnte sich auf die Mitarbeit von 90.000 Laien stützen. Ein ähnlich dichtes Netz ermöglichte auch der katholischen Kirche vielfältige praktische Hilfeleistungen wie die Verteilung von Care-Paketen, Kinder- und Schulspeisungen und auch die Einrichtung von Freizeitlagern für Kinder. Zusätzlich arbeiteten Kirchenleute in der Gefangenen- und Flüchtlingsbetreuung. In vielen Städten und Landgemeinden rückten gläubige Christen und Kirchenvertreter in die Stadtverwaltung ein, avancierten gelegentlich auch zum Bürgermeister. Dem Münsteraner Bischof von Galen hatte man gar das Angebot gemacht, an die Spitze der Zivilregierung in der britischen Besatzungszone zu treten. Im Gegensatz zur Situation in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR konnte man so auf die zwar nicht konfliktfreie, in der Regel aber wohlwollende Stützung durch die Besatzungsautoritäten setzen. Bot sich mit dem Kriegsende also tatsächlich die Chance einer umfassenden Rechristianisierung des westlichen Teils von Deutschland? In der Zusammenbruchgesellschaft der unmittelbaren Nachkriegsjahre schien das Angebot der Kirchen in zuvor nie gekannter Weise den Bedürfnissen der Bevölkerung zu entsprechen: Man garantierte Kontinuität in einer Phase extremen Wandels. Man bot gleichermaßen einen geistigen Neuanfang, eine umfassende Erklärung des Vergangenen sowie eine Lösung gesellschaftlicher Probleme, die auf Orientierung an überzeitlichen Werten und christlichen Gottesvorstellungen zielte. Auf diese Weise konnte sich das Gros der in den Nationalsozialismus verflochtenen deutschen Gesellschaft sicher sein, dass nach individueller Verstrickung in die Diktatur, nach Schuld und Verantwortung kaum gefragt wurde. Hinzu kam, dass beide Kirchen international vernetzt waren und damit zumindest eine erste Brücke zurück in die Weltgemeinschaft geschlagen werden konnte, aus der Deutschland nach Holocaust und entfesseltem Krieg ausgeschlossen war. Der »religiöse Frühling«, wie er in diesen Jahren apostrophiert wurde, blieb trotz der aus Sicht der Kirchen vielversprechenden Ausgangsbedingungen Episode. Die Metapher war von Beginn an eher Wunsch- und Trugbild, als dass sie für die tatsächliche Entwicklung stand. Zunächst einmal galt sie in aller Vorläufigkeit allenfalls für die christlichen Großkonfessionen. Andere Formen religiösen Lebens hatte der Nationalsozialismus rigoros zurückgedrängt oder gar vernichtet: Ob es jemals wieder eine jüdische Gemeinde in Deutschland geben würde, musste angesichts der europaweiten Verfolgung und der Ermordung von sechs Millionen Juden nach Kriegsende sehr fraglich sein. Die kleine Zahl jüdischer Überlebender im Nachkriegsdeutschland hatte mit dem deutschen Judentum vor der NS-Diktatur nur noch wenig gemein. In der Zeit unmittelbar nach Kriegsende stellte die jüdische Gemeinschaft »im Wesentlichen eine Gemeinschaft der Massenvernichtung entronnener, zufällig überlebender, ungewollt in der Bundesrepublik gestrandeter osteuropäischer Juden dar«.9 Erst mit der Zeit entwickelte sich wieder ein religiöses und kulturelles Leben, welches nicht mehr ausschließlich von Vorläufigkeit und »gepackten Koffern« geprägt war.

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Aber auch in anderer Hinsicht war ein Anknüpfen an früher unmöglich. Die Beobachtung, dass in vielen Regionen Europas die Kirchen wieder eine zentrale Position inne hatten und das Leben vieler Millionen tief greifend beeinflussten (»probably more intensively than ever before in history«10), mag dazu verleiten, von einer reinen Restauration der Verhältnisse auszugehen. Aber mit dieser Wertung beschränkte man den Blick zu sehr auf die Selbstwahrnehmung der Religionsgruppen und die zu dieser Zeit ausgedrückten Hoffnungen. Weder in der Gesellschaft noch im religiösen Feld wurde das Vergangene einfach wiederhergestellt. An drei Sektoren, dem Leben im Glauben, der Stellung der Kirchen in Gesellschaft und Politik wie auch an der Selbstausrichtung der Religionsgemeinschaften, soll im Folgenden gezeigt werden, wie es unter der Oberfläche eines vermeintlichen Wiederaufbaus im Laufe der eineinhalb Nachkriegsjahrzehnte zu einem beträchtlichen Wandel kam. Die zur Beschreibung der zwei Nachkriegsjahrzehnte geprägte Formel von der »Modernisierung im Wiederaufbau« trifft diese Entwicklung für das religiöse Feld und den gelebten Glauben allenfalls ansatzweise und bringt die Dramatik des Umbruchs nicht zum Ausdruck.11 Blickt man allein auf den Abbruch der kirchlich geprägten Glaubenspraxis, wie er sich in den Statistiken zeigt, dann sticht vor allem das Ende der 1960er Jahre als der Zeitraum einer massiven Veränderung hervor. Aber schon in den 1950er Jahren handelte es sich keineswegs nur um Modernisierungen des Alten oder einige Neuentwicklungen. Bereits in der scheinbar so konservativen und rückwärtsgewandten Nachkriegszeit, die mit dem Etikett »Ära Adenauer« nur unzulänglich bezeichnet ist, bereitete sich in vielerlei Hinsicht vor, was dann zum Ende der 1960er Jahre als »Kulturrevolution« beschrieben wird. Die Transformationen und Veränderungen werden zunächst im religiösen Feld verortet, wenn quantitativ und qualitativ nach Veränderungen des »gelebten Glaubens« gefragt wird: Was glaubten die Deutschen, und wie drückten sie dieses aus? Inwieweit hatten kirchliche Lehrsätze noch Relevanz? Gab es neue Formen von Transzendenz- und Religionserfahrung? Und welche gesamtgesellschaftliche Stellung kam der Religion im Allgemeinen wie auch den Konfessionen im Speziellen zu?

Religiöse Praxis und Kirchenbindung. Aufschwung in der Auflösung Die wichtigste Stütze für die Vorstellung von einem »religiösen Frühling« nach Kriegsende war die Erfahrung neuer Sichtbarkeit des kirchlichen Lebens in der Öffentlichkeit: Wallfahrten, Prozessionen, gefüllte Gotteshäuser – das waren die viel wahrgenommenen und oft beschriebenen Indizien für ein Revival christlicher Organisationen. Einen wichtigen und auch den Eindruck korrigierenden Einblick in das religiöse Leben bieten die zeitgenössischen Statistiken zu verschiedenen Dimensionen wie Kirchenmitgliedschaft, Gottesdienstbesuch, aber auch Kommunionempfang, Beichte oder die Teilnahme an kirchlichen Übergangsriten wie Taufe, Eheschließung oder Bestattung. Bei allen Einschränkungen, mit welchen dieses Zahlenwerk behaftet ist, zeigt es doch gewisse Trends und wurde nicht zuletzt auch zeitgenössisch seit den späten 1950er Jahren zur Messlatte religiösen Erfolgs.

Der Glaube im Leben – Leben im Glauben?

Zweifelsohne war Deutschland auch nach Kriegsende ein vorrangig von Angehörigen der christlichen Kirchen bewohntes Land. 95,8 Prozent der Bevölkerung waren Kirchenmitglieder, 44,3 Prozent gehörten der katholischen, 51,5 Prozent der protestantischen Konfession an. Damit hatte sich – das ist ein wesentlicher Unterschied zur religiösen Landkarte vor dem Zweiten Weltkrieg  – der Konfessionsproporz zugunsten der Katholiken verschoben: Die mit Flucht und Vertreibung verbundenen Bevölkerungsverschiebungen und vor allem die Teilung der Besatzungszonen in Ost und West zeichnete die konfessionelle Landkarte neu. Vor 1945 war nur ein Drittel der Bevölkerung des Deutschen Reiches katholisch gewesen. Im westlichen Teil Deutschlands war das Verhältnis der Konfessionen nun nahezu ausgeglichen.12 Ein stärkeres Indiz für Bewegungen und Veränderungen im religiösen Feld bieten die Zahlen der Bei- und Austritte aus den christlichen Kirchen: Die katholische Kirche gewann in den Jahren 1946 bis 1948 absolut an Mitgliedern, die meisten im Jahr 1946 mit 31.313 Menschen. Diese beeindruckende Zahl sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit die vielen Austritte während der Zeit des nationalsozialistischen Kulturkampfs gegen die Kirche nur zu einem kleinen Teil kompensiert werden konnten. Allein 1937 und 1938 verließen 200.000 Katholiken ihre Kirche und damit noch einmal etwa doppelt so viele wie in den vier Jahren zuvor. Erst in der Folgezeit fiel die Zahl der Austritte wieder auf jeweils ca. 50.000 in den Jahren 1940 und 1941 sowie 1943 dann auf 38.368.13 Das regionale Beispiel der Erzdiözese München-Freising verdeutlicht die gegenläufigen Tendenzen: Von 1945 bis 1950 stieg die Quote derjenigen, die am Sonntag den Gottesdienst besuchten, von 35,2 auf 38,9 Prozent an, der Empfang der Kommunion zu Ostern wurde nicht mehr nur von 40 Prozent, sondern von 46 Prozent der Katholiken erfüllt.14 Der nach außen gekehrte Katholizismus hatte Konjunktur. Dennoch: »Sorge musste indes bereiten, dass die 1945 und 1946 noch sehr zahlreichen Rücktrittsgesuche im darauf folgenden Jahr bereits wieder von den Austrittszahlen übertroffen wurden.« Mit Blick auf die drei Besatzungszonen nahm sich die Entwicklung noch etwas dramatischer aus. Erstmals 1952 verkehrten sich die Vorzeichen: Mehr Gläubige starben oder verließen die Kirche als durch Geburt, Konversion oder Beitritt hinzukamen. Nach einer leichten Erholung 1953 blieb dieser Wert ab 1954 dauerhaft negativ.15 Auf protestantischer Seite ist eine parallele Entwicklung zu beobachten, wenn auch die Ausschläge nach unten stärker waren: 47.000 Kircheneintritte wurden 1945 in den westlichen Besatzungszonen gezählt, im darauffolgenden Jahr sogar 75.000. Aber schon im Jahr 1949 wurden 43.000 Eintritte von 86.000 Austritten begleitet, so dass die evangelische Kirche in der Nachkriegszeit etwa 75.000 Eintritte für sich verbuchen konnte. Dagegen waren zwischen 1933 und 1939 allerdings 1,3 Millionen Mitglieder ausgetreten, allein eine Million auf dem Höhepunkt der antikirchlichen Politik der Nationalsozialisten ab 1937. Auch hier zeigt sich, dass der nach Kriegsende vorherrschende Eindruck von einer Massenrückkehr in die Kirchen trog, die Zahlen bilden das nicht ab. So manche übervolle Kirche, die als Indiz für die neue Frömmigkeit gewertet wurde, lässt sich eben auch mit der Zerstörung vieler anderer Gottes-

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häuser erklären, die nicht genutzt werden konnten.16 Der Glanz des religiösen Frühlings verblasst zusätzlich, wenn zeitgenössische Beobachtungen und Einschätzungen der Wiedereintritte hinzugezogen werden: Nicht wenige der nach 1945 wiedereintretenden Gläubigen bewegte wohl auch Opportunismus und die Hoffnung, sich durch Kirchenmitgliedschaft im Entnazifizierungsverfahren einen Vorteil zu verschaffen.17 Ein Aufschwung war also fraglos vorhanden, jedoch in einem zeitlich eng begrenzten Rahmen und in einem quantitativ so bescheidenen Ausmaß, dass die Kirchenaustritte während der NS-Diktatur bei weitem nicht kompensiert wurden – so lässt sich mit Blick auf die absoluten Zahlen der Kirchenmitglieder resümieren. Welche Entwicklungen sind in den 1950er und beginnenden 1960er Jahre festzustellen, in einem Zeitraum also, bei dem wir nicht mehr von direkten Kriegsfolgen bzw. Korrekturen ausgehen müssen? Verschiedene Indikatoren geben Auskunft über die Stärke der Kirchen in der Gesellschaft, aber auch über die interne Intensität kirchlichen Lebens. In den zwei Nachkriegsjahrzehnten war Kirchenmitgliedschaft, das zeigt die Statistik, eine gesellschaftliche Norm, die Abkehr von einer der beiden Konfessionskirchen hingegen die Ausnahme. Bis 1965 bewegte sich die Zahl der Kirchenaustritte zwischen 0,1 und 0,2 Prozent der Gesamtmitgliedschaft, bei den Protestanten lag der Wert meist etwas höher als bei den Katholiken. Insgesamt zeigt sich, dass es bei einer Betrachtung des gesamten 20. Jahrhunderts »keine ähnliche Phase sinkender und geringer Austrittshäufigkeit gegeben [hat] wie in den Jahren zwischen 1950 und 1967«.18 Austritte wurden eher still vollzogen, der dezidiert-demonstrative Bruch mit der Kirche blieb selten. Oft war die Eheschließung mit einem Partner anderer Konfession der treibende Faktor: Da insbesondere die katholische Kirche eine Ehe mit einem protestantischen Partner in der Regel ausschloss, im Ausnahmefall nur unter strengen Auflagen gestattete, war das für viele gemischtkonfessionelle Paare mit Eheabsichten ein Grund für den formellen Kirchenaustritt. Ein weiteres Motiv zum Austritt lag in einem Spezifikum des deutschen Kirchensteuersystems, in dem staatliche Steuern und Abgaben an die Kirche miteinander gekoppelt und beide von den staatlichen Finanzämtern eingetrieben wurden. Verglichen mit anderen Nationalkirchen bedeutete dieses Arrangement eine starke Privilegierung der christlichen Konfessionen und war eine der wesentlichen Voraussetzungen für die finanzielle Stärke, die die Kirchen entwickelten. Aber nicht nur in diesem Zusammenhang barg die starke staatliche Stützung der Kirchen auch Nachteile: Immer dann, wenn allgemeine Steuererhöhungen anstanden, stieg auch die Belastung durch die Kirchensteuer. Insbesondere in ökonomisch schwierigen Zeiten war die Bereitschaft zum Austritt unter denjenigen relativ hoch, die nur noch formell der Kirche angehörten.19 Zunächst aber entschloss sich deswegen und wegen der oben angeführten Gründe nur eine verschwindende Minderheit zum Austritt. Erst zum Ende der 1960er Jahre schnellten die Austrittszahlen in beiden Konfessionen hoch. Diese relative Stabilität bei gleichzeitig abnehmender Tendenz in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten wird auch durch andere Zahlen zur Kirchlichkeit bestätigt:

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Der Gottesdienstbesuch startete in beiden Konfessionen auf hohem Niveau. Bei den Katholiken zählt die »Sonntagspflicht« zu den fünf Kirchengeboten. Dieser Anspruch führte dazu, dass 1949 über 50 Prozent der Katholiken tatsächlich den Sonntagsgottesdienst besuchten, in den 1960er Jahren waren es immerhin noch über 40 Prozent. Bei den Protestanten bewegt sich dieser Wert im gleichen Zeitraum zwischen 15 und 10 Prozent. Trotz leichter generationeller Unterschiede sind die lebensaltersbedingten Abweichungen nicht gravierend.20 Auch wenn Zweifel an der absoluten Korrektheit der Zahlen angebracht sind – immerhin zählten in den katholischen Gemeinden die Geistlichen und Kirchenmitarbeiter selbst, die natürlich ein Interesse am quantitativen Erfolg hatten21 – sind damit Trends angezeigt, die es zu interpretieren gilt. Fasst man all die genannten Indikatoren zusammen und beschränkt sich auf den Erkenntnisgewinn der Statistik, dann weisen die Befunde auf eine zwar leicht abnehmende, aber insgesamt stabile Religiosität hin. Religiöses Leben war in der Masse gleichbedeutend mit expliziter Kirchlichkeit. Evangelische und katholische Kirchen boten die Ausdrucksformen und Riten an, die auch allgemein akzeptiert wurden. Vor allem, so wird zuweilen der kirchliche Erfolg erklärt, strahlten die Gestaltungsideen und Moralvorstellungen der Religionsgemeinschaften weit in die Gesellschaft hinein. Eben weil die Gestaltung kirchlichen Lebens Hand in Hand ging mit »den dominierenden, durch eine Mischung traditionaler und bürgerlich-industrieller Werte geprägten gesellschaftlichen Kulturmustern«, erhielt die frühe Bundesrepublik ihr charakteristisches Gepräge.22 Auch wenn dieses Bild in sich schlüssig scheint und mit dem gängigen Klischee von der Ära Adenauer (Kirche, Käfer, Konservatismus) hervorragend harmoniert, bleibt Skepsis gegenüber dieser Interpretation. Es sind verschiedene Indizien und Argumente, die dazu anregen, nicht bei der vorläufigen Analyse stehen zu bleiben. Den stärksten Einwand liefern die Zahlen selbst: Die relative Stabilität der 1950er und 1960er Jahre findet in der Wende zu den 1970er Jahren ein abruptes Ende. Die Kirchenaustrittszahlen schnellten um ein Vier- bis Fünffaches in die Höhe. Ähnliche Ausschläge hatte es zuletzt 1938/39 unter massivem Druck der Nationalsozialisten gegeben. In der Bundesrepublik der 1960er Jahre aber erfreuten sich die Großkirchen einer nie gekannten staatlichen Unterstützung. Auch in anderer Hinsicht hatte es kaum öffentliche Kontroversen oder Skandale gegeben, die als Ursachen für diese Veränderung herangezogen werden könnten. Brach tatsächlich »über Nacht ein tief greifender Formwandel der Religion ein«, wie verschiedentlich vermutet wurde?23 Oder waren diverse gesellschaftliche wie kirchliche Großereignisse haftbar zu machen wie etwa »1968« als Chiffre für die Studenten-, Schüler- und Lehrlingsprotestbewegung; das Zweite Vatikanische Konzil 1962–1965 als innerkatholisches Großereignis wie auch ein gesellschaftlicher und politischer Klimawandel dieser Jahre, für den die sozialliberale Regierungsbildung steht? Gegen diese Interpretationen bleibt festzuhalten, dass die Ursachen für die so abrupte Erosion von Kirchlichkeit den äußeren Ereignissen weit voraus lagen und bereits in den aus kirchlicher Perspektive scheinbar so erfolgreichen 1950er und 1960er Jahren angelegt waren:

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Unter der Oberfläche einer vermeintlich gelungenen Rechristianisierung und einer organisatorischen Neuformierung christlichen Lebens hatte sich die Gesellschaft massiv verändert. Sozialgeschichtlich sind dabei die Bevölkerungsverschiebungen als Folge des Krieges ebenso hervorzuheben wie die Auswirkungen des ökonomischen Aufschwungs in der frühen Bundesrepublik. Mit dem Wirtschaftswunder entwickelten sich die Grundzüge einer Konsumgesellschaft, die zunehmend die Masse der Bevölkerung erfasste. Daneben sind auch innerhalb des religiösen Feldes massive Veränderungen zu beobachten: Die Rollenerwartungen und Anforderungen an die Lebensgestaltung, die von den christlichen Kirchen an ihre Mitglieder gestellt wurden, trafen immer weniger auf die Bereitschaft der Gläubigen, diesen auch zu folgen. Gerade in Fragen der Moral, der privaten Lebensführung wie auch der Geschlechterrollen distanzierten sich mehr und mehr Angehörige der Religionsgemeinschaften zunächst lautlos, dann aber auch formal von der Kirche. Sie taten dieses in einer Phase, in der die Kirchen besonders erfolgreich dabei waren, die Gesellschaft zu prägen – und dies auch allgemein so wahrgenommen wurde. Insbesondere wurden sie von der Politik dabei stark unterstützt: Viele rechtliche Regelungen zu Ehe, Familie und Erziehung wie auch die staatliche Politik gingen Hand in Hand mit den kirchlichen Vorstellungen. Innerhalb des 20. Jahrhunderts stehen die Jahre der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie der darauffolgenden Dekade der 1950er Jahre eher für eine Ausnahme als für den allgemeinen Trend von quantitativer Kirchlichkeit. Generell können statistische Erhebungen nur ein vorläufiger Gradmesser für das religiöse Leben sein, da sich ihre Aussagekraft auf wenige Facetten beschränkt. Das Zählen der Köpfe, das Definieren von individueller Religiosität in Entweder-OderKategorien verhindert, alternative Formen persönlicher Aneignung von Transzendenz oder auch Distanzierungen von den kirchlichen Vorgaben in den Blick zu nehmen. Schon zeitgenössisch sprach man von den »Taufscheinchristen«, also denjenigen, die nur formal an ihre Glaubensgemeinschaft gebunden waren. Nicht jede Mitgliedschaft bedeutet eine strikte Bindung an Gebote, Appelle und Regeln der Kirche, im Gegenteil. Kirchenstatistik ist, das wird auf diese Weise deutlich, keinesfalls ein objektiver Maßstab des religiösen Verhaltens. Zunächst einmal war sie vor allem eine Positionierung derjenigen selbst, die die Zahlen sammelten und auswerteten: Mit den Statistiken ließ sich Stärke demonstrieren oder, wenn die Kurven nach unten zeigten, an die Geschlossenheit appellieren oder auf Veränderungen drängen. Schon zeitgenössisch kritisierte der linkskatholische Mitherausgeber der Frankfurter Hefte Clemens Münster die innerkirchliche »Neigung zum Quantitativen«. Indem die Bischöfe vor allem die steigenden »Statistiken der Sakramentenempfänge« als Erfolge für sich reklamierten, so Münster, lenkten sie von den eigentlichen Problemen ab.24 Schon zeitgenössisch war also deutlich, dass ein quantitativer Zugang allein nicht ausreicht, um den Zustand des religiösen Feldes zu beschreiben. Es gibt verschiedene Faktoren, die die Gegenthese zu der Vorstellung von einer Renaissance des Christentums stärken und Risse und Veränderungen in der religiösen Lebenswelt aufscheinen lassen: Schon lange vor den 1960er Jahren als einer der nach-

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haltigsten gesellschaftlichen Reformphasen in der Bundesrepublik, und damit auch schon lange vor dem Zweiten Vatikanum in der katholischen und der »Politisierung« in der protestantischen Kirche, konnte von einer »heilen Welt« mit Blick auf den Charakter gelebter Frömmigkeit keine Rede mehr sein.25 Den Höhepunkt von Kirchlichkeit, sprich: Mitgliederzahlen und Kirchenbesuch, »hatte Deutschland um 1936 – also während der NS-Diktatur – erreicht.«26 Der kurze Nachkriegsaufschwung hatte daran nicht mehr herangereicht. Welche Veränderungen gab es darüber hinaus? Vormals geschlossene konfessionelle Gebiete hatten sich endgültig aufgelöst. Zunächst waren es die Zuwanderungen und Binnenmigrationen als Folge des Krieges wie auch von Flucht und Vertreibung, die im bikonfessionellen Deutschland eine bis dahin unbekannte Durchmischung vormals konfessionell geschlossener Milieus mit sich gebracht hatten. »Das Miteinander von Alteingesessenen und Vertriebenen stellte Anforderungen an beide Seiten, denen zu genügen umso schwerer war, als sie völlig ungewohnt waren.«27 Nicht nur die Begegnung mit dem anderskonfessionell Fremden, wie beispielsweise schlesische Protestanten im tiefkatholischen Oldenburger Münsterland, konnte dabei zu Irritationen führen. Auch innerhalb der Konfessionen blieben Spannungen nicht aus und machten sich gelegentlich an ganz praktischen Fragen fest: Wo sollten sich denn die als Vertriebene in Bayern angekommenen Glaubensbrüder und -schwestern während des Gottesdienstes niederlassen, wo doch alle Kirchstühle einer jahrhundertealten Tradition gemäß an die Einheimischen »vermietet« waren? Zur Bewältigung dieses Problems empfahl der damalige Kardinal Michael Faulhaber, gegebenenfalls einige Bänke freizuhalten oder für die hinzugekommenen Glaubensbrüder »eine besondere Messe mit einer kurzen, seelisch aufrichtenden Ansprache [zu] lesen«28 – deutlicher konnte die Nichtintegration symbolisch kaum kommuniziert werden. Es waren insbesondere die Bevölkerungsverschiebungen und die damit bedingte konfessionelle Durchmischung, die den vom Vatikan nach Deutschland gesandten Jesuiten Ivo Zeiger auf dem 72. Katholikentag in Mainz 1948 vom »Missionsland Deutschland« sprechen ließen.29 Aber auch in vielen anderen Hinsichten hatte sich religiöses Leben stark verändert. Ivo Zeiger fasste das zeitgenössisch in dramatische Worte, wenn er davon sprach, dass »Millionen in ihrem Leben einfach nicht mehr mit Gott [rechnen]«, so dass die Seelsorge »buchstäblich wieder aus den Fundamenten beginnen« müsse.30 Diese Äußerung und die dahinter liegenden Diagnosen zum religiösen Leben in Deutschland widersprachen der Rechristianisierungseuphorie der ersten Nachkriegsjahre. Die Überlegungen gewinnen weiter an Gewicht, wenn andere, meist interne, Zustandsbeschreibungen und Warnungen dieser Zeit hinzugezogen werden. 1952 notierte der Kölner Kardinal Joseph Frings für ein Referat zur Bischofskonferenz eine ebenfalls ernüchternde Skizze: »Dem tatsächlichen Einfluß der katholischen Kirche entspricht nicht mehr die glaubensmäßige Substanz […]. Der Laisierung der Herzen wird – auf die Dauer – die Laisierung der Verhältnisse entsprechen. Die alleinstehende Fassade wird nicht immer stehen bleiben. Der Kräfte, das Mittelalter abzubauen, sind genug am Werk.«31 Als Begründung für diesen Zustand führte Frings die »Zerrüttung der Verhältnisse« an.

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Die räumliche Mobilität war aber nur ein Faktor der Veränderung: Konfessionelle Lebenswelten des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sind verschiedentlich als »Milieu« beschrieben worden.32 Idealtypisch wird darunter eine abgrenzbare Personengruppe verstanden, die ihr Leben stark unter sich organisiert: Eine verdichtete Kommunikation führt zu einer gemeinsamen Deutung der Welt wie auch zu ähnlichen individuellen Verhaltensweisen. Speziell im Katholizismus hatte sich aus der Opposition zu verschiedenen Modernisierungsentwicklungen ein dichter Zusammenhang von Kirchengemeinde, Vereinen und Verbänden, Schulwesen und der politischen Parteienrepräsentanz, dem Zentrum, gebildet. In diesem Netz von Einrichtungen und Organisationen wurden Fragen von Leben und Tod ebenso geklärt wie der Sinn des Lebens definiert. Hier wurden die Neugeborenen getauft und die Kinder in eigenen Schulen unterrichtet. Hier wurden Lehrlinge und Berufsanfänger in spezifischen Verbänden unterstützt und andere Berufsgruppen ständisch und auch im Sinne von Interessenvertretungen zusammengefasst. Hier formierte sich aus diesem Zusammenhang mit dem Zentrum eine politische Partei, die die Interessen dieser Gruppe im Gemeinwesen vertrat. Hier wurde insbesondere im Jugendbereich gemeinsame Freizeit organisiert und Fußball gespielt, Rad gefahren oder Tauben gezüchtet. Hier prägten gemeinsame Aktivitäten und Feiern, insbesondere aber das Kirchenjahr den Lebenszyklus des Einzelnen wie auch der Familien. Die Taufe stand am Anfang, das kirchliche Begräbnis inklusive der Finanzierung dieses letzten Aktes durch die Sterbekasse am Ende eines Lebens, das »von der Wiege bis zur Bahre« in das Milieu eingebunden war.33 Dieses Modell ist idealtypisch zu verstehen; in der Lebenswirklichkeit brachen sich Uniformität und Abweichung von der Norm fortwährend. Dennoch erklärt das Modell die Stabilität insbesondere der katholischen lebensweltlichen Konstellation im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in denen das Zentrum auf die Stimmen der Katholiken ebenso zählen konnte, wie sich die stärker eingebundenen Gläubigen eine lebensweltliche Reserve gegenüber dem Nationalsozialismus bewahrten. Protestantische Lebens- und Frömmigkeitswelten können allenfalls ansatzweise in solcher Art beschrieben werden, da sie insgesamt mehr auf den persönlich-individuellen Glauben ausgerichtet sind. Hinzu kommt, dass sich Milieus vor allem als Gegenwelt zur umgebenden Gesellschaft konzipiert haben: Die Katholiken waren im Kulturkampf des Kaiserreichs deutlich als »Reichsfeinde« markiert worden, die Protestanten hingegen standen immer im Mainstream der Gesellschaft. Aber auch die evangelischen Landeskirchen hatten im »Jahrhundert der Vereine« ein Netz von Einrichtungen der Seelsorge und der Vorfeldorganisation aufgebaut, welches die Volkskirche institutionell-organisatorisch stabilisierte.34 Im Milieukern war der kirchliche Protestantismus ähnlich organisiert wie das katholische Pendant: Es bot eine dichte pastorale Versorgung insbesondere für das Kleinbürgertum und Teile des Bürgertums. In ihren religiösen wie auch (kirchen-)politischen Auffassungen war diese Kerngemeinde tendenziell konservativ orientiert. Darüber hinaus strahlte der Protestantismus mit seinen vielfältigen diakonischen und erzieherischen Organisationen, aber auch mit seinem Beitrag zur Sakralisierung der Nation weit in die Gesellschaft hinein.

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In spezifischen Bereichen jedoch, wie dem der Arbeit und des Arbeitslebens, gelang das nur am Rande. Hinzu kam, dass dieses Geflecht von Organisationen und Vereinigungen nach außen hin viel pluraler auftrat als es im Katholizismus der Fall war. So dienten beispielsweise die Vereine und ihre Publikationsorgane stark der innerprotestantischen Auseinandersetzung um kirchenpolitische und religiöse Positionen. Diese Art der Milieubildung wurde in beiden Konfessionen durch den Nationalsozialismus jäh unterbrochen: Die in die Gesellschaft und in die Politik reichenden Organisationen und Verbände wurden verboten, die Zentrumspartei löste sich auf. Was blieb, war die Erinnerung an die Zeit zwischen »Volkskirche und Wagenburg«.35 Nach 1945 etablierten sich die alten Strukturen zwar partiell neu, erreichten aber keine vergleichbare Wirkung mehr. Eine Renaissance oder gar eine »Restauration« des Milieus war die Ausnahme von der Regel.36 Im westlichen Deutschland entwickelten sich allein in ländlich geprägten Regionen wie etwa in Altbayern, Baden, in Teilen Westfalens oder im Oldenburger Münsterland noch bis zu Beginn der 1960er Jahre weitgehend geschlossene katholische Lebenswelten mit einem hohen Verpflichtungscharakter für die einzelnen Mitglieder. Mit dieser Erosion ähnelte das religiöse Feld in Deutschland den vielfältigen Veränderungen in anderen Nationalgesellschaften. Für das katholische Frankreich ist dieser Prozess als das Ende einer Zivilisation oder »la fin d’un Monde« beschrieben worden, in Holland und Belgien wurde er als »Entsäulung« thematisiert. Selbst in den religiös viel aktiveren USA verzeichneten die traditionellen religiösen Bekenntnisgemeinschaften einen Bedeutungsverlust.37 Das religiöse Feld in Deutschland war in diesen Trend eingebunden, wenn es auch mit der NS-Vergangenheit, der Niederlage des Weltkrieges und der Teilung Deutschlands zahlreiche nationale Besonderheiten gab. Die vormals stark integrierten Lebenswelten lösten sich zunehmend auf. Neue Medien wie Radio, später Fernsehen, Freizeitmöglichkeiten, eine höhere Mobilität wie auch ein veränderter Zugang zur Bildung – diese und andere Faktoren weiteten die individuellen Horizonte in vielfacher Hinsicht und ließen die Bindung an eine gemeinsame Weltanschauung schwächer werden. Wie tief greifend dieser Prozess war, zeigt sich daran, dass sich die Erosion keinesfalls auf die religiösen Gemeinschaften beschränkte. Auch die europäischen Arbeiterbewegungen beispielsweise, die sich ebenfalls in einem weiten Netz von Parteien und Verbänden organisiert hatten, verloren mehr und mehr Mitglieder. Für immer weniger Menschen war es in der Nachkriegszeit attraktiv, sich an ein Milieu zu binden. Was zuvor als hilfreich und bereichernd für die eigene Identität empfunden wurde, hatte nun seine Anziehungskraft verloren. Was im Gegenzug zur Erosion des religiösen Feldes abnahm, war das Wissen um die eigene religiös-konfessionelle Verortung und die damit verbundene Praxis: Eine Umfrage im Bistum Essen zum Messbesuch von Schülerinnen und Schülern im Jahr 1960 zeigte, dass trotz des vierstündigen Religionsunterrichts nur ein kleiner Teil der Schüler Vorstellungen von der Eucharistie hatte, die der sakramentalen Definition nahe kamen.38 Der Gottesdienst war für viele lediglich ein Element der sozialen Gewohnheit. Das Wissen um den eigenen Glauben hingegen erwies sich, da steht die oben zitierte

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Umfrage als pars pro toto, als insbesondere unter den Generationen höchst unterschiedlich verteilt. Während die Älteren noch hinlänglich um die Bedeutung von Messriten und Sakramentenpraxis wussten, verfügten die nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Generationen nur noch über geringe Kenntnisse.39 Ein wichtiges Element der Milieuintegration war die Abgrenzung zur jeweils anderen Konfession. Der starke Gegensatz von Protestanten und Katholiken zog sich bis in die Politik hinein, prägte das gesellschaftliche Leben und spielte eine besondere Rolle für die Selbstdefinition: Wer weiß, wovon er sich abzugrenzen hat, verfügt zugleich über eine eigene Positionierung. Diese Differenzierung zwischen Katholiken und Protestanten verlor sich aber zunehmend. »Es ist noch gar nicht lange – gut 40 Jahre – her«, so führte der Religionssoziologe Michael Ebertz im Jahr 2003 aus, »dass in einer hessischen Kleinstadt eine Ligusterhecke auf einem Kinderspielplatz die Kleinen nach Konfessionen getrennt zu spielen zwang oder dass an der Pädagogischen Hochschule in München der Sportunterricht nach Konfessionszugehörigkeit getrennt stattfand.«40 Die Begründung dafür lieferte eine unterschiedliche religiöse Auffassung vom Leib, die es unschicklich erscheinen ließ, dass katholische und protestantische Studierende zusammen Sport trieben. Dass aber diese und andere Vorfälle »konfessioneller Apartheid« zum öffentlichen Diskussionspunkt wurden, zeigt deutlich, dass diese Separierung nicht mehr als selbstverständlich hingenommen wurde. Eine ehemals in sich relativ geschlossene Lebenswelt wurde nicht nur in dieser Hinsicht diffus. Viele der mit den kirchlichen Milieus geschaffenen und nach 1945 wieder errichteten Frömmigkeits- und Vergesellschaftungsformen aber waren »nichts weiter […] als ein Potemkinsches Dorf, dessen Fassaden die Illusion einer erfolgreich mobilisierten Religiosität der ›Vielen‹ aufrechterhalten sollte.«41

Die Familie als Bastion. Leitbilder und Lebensbilder Religion ist mehr als eine Mitgliedschaft in der Organisation Kirche und die Teilnahme an kirchlich gebundenen Riten. Religionen prägten Gesellschaften maßgebend. Sie verbinden den Einzelnen mit dem großen Ganzen und sind ein wichtiges Scharnier zwischen privater Sphäre und öffentlicher Kultur. Es ist dieser Einfluss und diese Prägung der Gesellschaft, die wiederholt unter Stichworten wie »christliche Nation«, dann »christliche Gesellschaft«, aber auch »christlich-abendländische Leitkultur« kontrovers diskutiert wurde und wird: Wie viel Einfluss der Kirchen ist legitim? Welche religiöse Prägung will der an sich säkulare Staat? Welche religiöse Prägung wählt der Einzelne für sich oder weist diese von sich? Religiöse Überzeugungen sind in diesem Sinne nicht nur ein Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche. Sie nehmen soziale Gestalt an weit über die kirchlichen Organisationen hinaus. Sie prägen Gesellschaften in ihren politischen Konzepten und ihrem Selbstverständnis, in ihrem Verhältnis zu Macht und Geld, zu Krieg und Gewalt, in ihren öffentlichen Ritualen wie auch in ihren privaten Lebensvollzügen. Was nun in den Kompetenzbereich des Religiösen gehört, was legitimer Weise von ihren Vertretern

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mitbeeinflusst und vorgegeben wird, ist nicht statisch. Die Grenzen zwischen dem Bereich des Profanen und des Sakralen wurden und werden ständig neu ausgehandelt. Ein Feld, auf dem sich diese Kämpfe und die damit verbundenen Veränderungen in besonderer Weise beobachten lassen, ist das der Familie. Familienkonzepte und Familienpolitik sind und waren immer mehr als nur eine gesellschaftliche Fragestellung unter vielen. Mit ihnen verbinden sich Erkundungen zu den Geschlechterrollen, zum Verhältnis der Generationen, zum Wert von Erwerbs- und Hausarbeit, zu Sexualität und Partnerschaft und zu vielen Bereichen mehr. Normveränderungen im Bereich der Familie und die gesellschaftlichen Debatten darüber führen unmittelbar zum Phänomen eines breiteren gesellschaftlichen Wandels: Nach Auflösung der Ständegesellschaft und damit im gesamten 19. und 20. Jahrhundert galt die Familie als wichtigster gesellschaftlicher Nukleus. Ihr kam die Aufgabe zu, die Individuen vor Vereinzelung zu bewahren und in eine größere Struktur, letztlich in die Gesellschaft einzubinden. Bis tief ins 19. Jahrhundert blieb der Begriff Familie mehrdeutig. Es dominierte die Auffassung der Familie als wirtschaftlicher Einheit, die Produktion, Konsum und Reproduktion umfasste. Tendenziell waren nicht nur Eltern und ihre Nachkommen, sondern auch andere Angehörige des »Hauses« darin einbezogen. Nachdem aber die Sphäre der Erwerbswirtschaft immer stärker vom »Haus« getrennt wurde, verengte sich die Bedeutung spätestens mit Anbruch des 20. Jahrhunderts: Die bürgerliche Kernfamilie bestand aus Vater, Mutter und Kindern. Als private Lebenswelt stand sie dem öffentlichen Raum gegenüber. Eine geschlechterspezifische Rollenverteilung war damit gleich mitgedacht: Der Mann ging außer Haus einem Broterwerb nach, die Frau war für den Binnenraum der Familie zuständig. Nicht Differenzierung oder ökonomischer Nutzen, wie ihn die Moderne prägte, sondern Emotion, die Liebe der Ehegatten zueinander und zu ihren Kindern, sollten die Familie ausmachen. Gegen Individualisierung, Emanzipation und ökonomische Arbeitsteilung entwickelte sich ein Gegenmodell von Sicherheit und Geborgenheit.42 Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde in diesem Diskurs die Konstellation der Kernoder Kleinfamilie von Vater, Mutter und Kindern gleichsam als naturgegeben erklärt. Auf diese Weise avancierte die Familie im ebenso bürgerlich wie christlich geprägten Duktus zum »Heiligthum, in welchem alles dazu angethan ist, das Beste, was das Menschenherz in sich trägt, ans Licht zu bringen und zu pflegen; sie ist der rechte, von Gott erbaute Herd, auf dem die Flamme der Liebe brennt; sie ist darum auch die Stätte, wo der sittliche Mensch seine tiefste Befriedigung, sein höchstes Glück findet.«43 Im Gegenzug wurde die Rede von der Auflösung, ja der Krise der »Familie« zum stehenden Topos. In der Regel waren und sind diese Diskussionen nicht rückblickend-analytisch ausgerichtet, sondern vor allem als zeitgenössische Interventionen gedacht, die zu verhindern suchten, was sie anprangerten. Frömmigkeit und gelebter Glauben der christlichen Konfessionen waren mit dieser gesellschaftlichen Setzung auf das Engste verbunden, hatten sie sogar entscheidend mit getragen. Mit der Ablösung der ständischen Gesellschaft hatten sich neue Formen religiöser Sinnstiftung auf die Sphäre der Familie konzentriert. In diesem Prozess wurde

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die Rolle der Frau und Mutter für die religiöse Erziehung entscheidend gestärkt: Nicht mehr der außerhalb des Hauses arbeitende Ehemann, sondern die auf die Familie konzentrierte Ehefrau war für das häusliche religiöse Leben und vor allem für die Erziehung der Kinder zuständig. Trotz eines immer noch männlich dominierten Familienverständnisses verschoben sich so die religiös geprägten Geschlechterrollen. Mit der Konzentration auf die Familie verlor die Religion tendenziell ihren gesellschaftsumgreifenden Anspruch und wurde stärker moralisiert und privatisiert. Der Umbruch der politischen Verhältnisse und der Aufstieg des Nationalsozialismus verstärkten diesen Trend zusätzlich: Mit dem Verbot der Milieuorganisationen entfielen auch seine Sozialisationsagenturen wie zum Beispiel die Jugendverbände. Wo sonst, wenn nicht in der Familie, sollten unter diesen Umständen religiöse Unterweisung und Erziehung erfolgen? Die damit verbundene Konzentration auf die Familie hielt sich bis in die Bundesrepublik. Allen voran sahen sich dabei konservative Kräfte wie auch die beiden großen christlichen Konfessionen als Bewahrer der Traditionsfamilie. Unter den Bischöfen, aber auch in der kirchlichen Publizistik wurde die Familie als »Kirche im Kleinen« angesehen.44 Katholiken wie Protestanten interpretierten Erfolge in der Familienpolitik als Gradmesser der Wirksamkeit des eigenen Tuns: die Wertschätzung der kirchlichen Trauung; die Bejahung der Ehemoral, die hauptsächlich in der Kinderfreudigkeit und Stabilität der Ehe zum Ausdruck kam, sowie die Erziehungsideale und die Gestalt der Familienfrömmigkeit – das waren, um nur ein Beispiel zu zitieren, die Erfolgsparameter, die 1960 der Moraltheologe Bernhard Häring für das kirchliche Wirken aufstellte.45 Auch wenn diese Konzentration auf die Familie als gleichsam naturgegeben und schon ewig vorhanden stilisiert wurde, war sie tatsächlich eine erst im 20. Jahrhundert gewachsene Haltung. Das war nicht immer so: Bereits seit dem 18. Jahrhundert tadelte die katholische Kirche die Geburtenkontrolle, ahndete sie aber nur halbherzig. Im 19. Jahrhundert wurde die Haltung zunehmend rigoroser, zu Anfang des 20. Jahrhunderts verdammte die katholische Kirche die Geburtenkontrolle dann entschieden. »Der Kampf gegen die Abtreibung wurde zu einer Säule des Kampfs der Kirche gegen die moderne Kultur.«46 Die besondere Verbindung von Familie und Religion im Prozess der Modernisierung in Deutschland spitzte sich noch einmal in der katholischen Milieubildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu.47 Die katholische Kirche erklärte die Ehelehre zu einer grundsätzlichen Frage des Glaubensgehorsams und unterschied sich damit zum Beispiel deutlich von den protestantischen Vorgaben. Auch diese erhoben das richtige Verhalten in Ehe und Familie zu einem grundlegenden Wert. Was darunter aber zu verstehen war, hatten sie weniger stark formal fixiert, so dass sie sich gegenüber gesellschaftlichen Neuentwicklungen offener zeigen konnten.48 Die Familienpolitik des Nationalsozialismus war hoch ambivalent. Zum einen nahm sie die Trends der Weimarer Republik auf. Wenn Propagandaminister Joseph Goebbels im März 1933 anlässlich einer Ausstellungseröffnung davon schwärmte, dass die Frau »den ersten, besten und ihr gemäßen Platz« in der Familie habe, knüpfte er an das

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bürgerliche Hausfrauenmodell an.49 Gegen diese bürgerliche Vorstellung aber wurde Mutterschaft zur nationalen und rassischen Pflicht stilisiert. Zugleich betrieb die NSFührung unter dem Deckmantel ihrer Ideologie seit 1936 eine Politik, die die Erwerbstätigkeit der Frau massiv förderte. Mit der Umstellung auf die Kriegswirtschaft und vor allem im Verlauf des Krieges war man auf die Arbeitskraft der Frauen dringend angewiesen. Allerdings hielt sich der Erfolg dieser Maßnahmen de facto in Grenzen, die Frauenerwerbsquote stieg nur begrenzt.50 Nach dem Krieg problematisierte man die nationalchauvinistische und rassische Aufladung des Mutterideals nicht, sondern suchte nahtlos an das bürgerliche Familienmodell der Hausfrauenehe anzuknüpfen, das seit Anfang des 20. Jahrhunderts kulturell das Zentrum des Geschlechter-Arrangements gebildet hatte. In den fünfziger Jahren wurde es in Westdeutschland erstmals tatsächlich auch auf breiter Basis praktiziert. Von Männern und Frauen wurde die Freiheit von der Erwerbstätigkeit als ein Ausdruck von Wohlstand und Privilegien gedeutet.51 Unmittelbar nach Kriegsende deuteten die Kirchen vor allem die Kriegsjahre als eine Zeit, in der nicht nur die Familie moralisch gefährdet gewesen sei, sondern auch jegliche Sexualnormen brüchig wurden. Die »verzweifelte Suche nach Normalität« bestimmte daher den Kurs in der Nachkriegszeit.52 Der Familie und dem Familienideal kamen dabei insbesondere in den kirchlichen Bemühungen eine Schlüsselrolle zu.53 In den 1950er Jahren rückte auf diese Weise das sechste der zehn Gebote »Du sollst nicht ehebrechen« mit all seinen Implikationen an die erste Stelle.54 In krassem Gegensatz zur ideellen Restauration der traditionellen Kernfamilie steht der sozialhistorische Befund: Unter der Oberfläche einer vermeintlichen Wiederherstellung traditioneller Familienverhältnisse bestimmten tiefgreifende Veränderungen die Lebenswelt der meisten westdeutschen Familien in den 1950er Jahren. Der Krieg, demografische Verschiebungen, aber auch steigender Wohlstand schlugen sich in den Familienkonstellationen nieder. Insbesondere die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren von Desorganisation geprägt. Eine neue Rollenverteilung zwischen Mann und Frau; »unvollständige« Familien; nicht zuletzt auch die Aufhebung der kleinfamiliären Intimität durch die Wohnungsnot – diese und weitere Faktoren veränderten jedes Familienleben grundlegend. Die Zeitgenossen reagierten darauf mit starken Abwehrängsten und hielten »trotz veränderter Wirklichkeit an alten Idealen und Illusionen fest«.55 Hohe Heiratszahlen vor allem jüngerer Paare, eine hohe Geburtenrate in der Ehe sowie das Wiederaufleben der »Hausfrauenehe« standen für die Rückkehr zu alten Formen. Zunehmende Berufstätigkeit von und verbesserte Bildungschancen für Frauen deuteten aber schon weiteren Wandel an.56 Unter dem Label »Teilzeitarbeit« wurde beispielsweise die Berufstätigkeit der Frau gesellschaftsfähig gemacht: Was zunächst mit der Behebung der Kriegsfolgen legitimiert wurde, galt später als wichtiger Zweig der Erwerbsgesellschaft. Der Nebenjob erfüllte Konsumwünsche. Sinnenfällig kam diese Haltung dadurch zum Ausdruck, dass das Arbeitsamt im Kaufhaus einen Schalter aufgebaut hatte, um Jobs zu vermitteln.57 Zum Ende der 1950er Jahre hatte sich die politische Definitionsmacht verschoben und die Lust am Zuverdienen galt vielen als

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Ausdruck eines neuen »Erwerbsbedürfnisses« und des veränderten Lebensgefühls verheirateter Frauen. Wo sich der hergebrachte Familientypus reorganisierte, entstand in den alten Formen viel Neues, so dass von einer Renaissance im engeren Sinne kaum zu sprechen ist. Die »Kernfamilie«, auf die so oft und vehement rekurriert wurde, war daher in der komplizierten Sozialstruktur der Nachkriegszeit mehr verbal als real präsent. Der verbale »Sexualkonservatismus« der 1950er Jahre lässt sich als Gegenreaktion zur sexuellen Libertinage des Nationalsozialismus und des Kriegsendes deuten. Gleichzeitig umging man so die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit, indem Fragen der Sittlichkeit und der Familienmoral in den Mittelpunkt rückten.58 Der Umgang mit Familie und Sexualität war allerdings hoch ambivalent. Trotz vieler Aktivitäten und groß angelegter Kampagnen von staatlichen und kirchlichen Stellen gegen »Schmutzund Schundliteratur« waren die Nachkriegsjahrzehnte auch die Zeit, in der mit dem Versandhandel von Beate Uhse und vergleichbaren Firmen eine neue Branche in Deutschland Fuß fasste, die mit Liebe und Lust handelte.59 Spätestens mit der medial breiten Rezeption der Sexualuntersuchungen des amerikanischen Wissenschaftlers Alfred Charles McKinsey wurde Sexualität semantisch neu besetzt: Im Kampf um Sittlichkeit zeichneten die Hauptakteure in Deutschland vor allem Niedergangs- und Dekadenzszenarien, um mit diesen abschreckenden Beispielen den Verfall der Moral zu stoppen. McKinsey bot nun eine »Alternative zum kulturpessimistischen Sittlichkeitsdiskurs«: »Nicht Verfall und Verlust waren seine Begriffe, sondern Fortschritt und Aufklärung.«60 Der Sexualwissenschaftler machte den Medizinern und Theologen ihr Deutungsmonopol streitig. Er interpretierte Sexualität nicht mehr als moralische Säule der Gesellschaft, sondern vor allem als eine wichtige Funktion für das private Glück und den Lebensgenuss des Einzelnen. »Kollektivsubjekte wie ›Gemeinschaft‹ und ›Volk‹ rückten in der Sittlichkeitsdebatte zunehmend in den Hintergrund, an ihre Stelle trat die freie Entfaltung des Individuums als sozialer Leitwert.«61 Die in der Kirche wie auch in weiten Teilen der Gesellschaft vertretene Norm existierte ungeachtet dessen fort und wurde verbal hochgehalten. Insbesondere in der Ära Adenauer wurden diese Vorstellungen auch von der Gesetzgebung und Politik massiv unterstützt. Wie war es um die Durchsetzung des kirchlichen Standpunktes in dieser Frage bestellt? Eine schon 1949 von dem Soziologen Ludwig von Friedeburg im Auftrag des Allensbacher Instituts für Demoskopie durchgeführte »Umfrage in der Intimsphäre« zeichnete den Trend ab, der sich in den Folgejahrzehnten verstärkte: Nur 16 Prozent der Bevölkerung, aber auch nur 40 Prozent der regelmäßigen Kirchenbesucher hielten 1949 sexuelle Beziehungen zwischen Unverheirateten für verwerflich. 71 Prozent der Befragten hielten vor- oder außerehelichen Sex für zulässig oder sogar notwendig. Erheblich weniger, aber immerhin noch 42 Prozent der regelmäßigen Kirchgänger waren der gleichen Ansicht. Dabei war nicht die Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Konfession statistisch relevant, sondern allein die Intensität der Kirchenbindung.

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Friedeburg fragte nicht nur nach den Einstellungen, sondern auch nach der Praxis, welche aus der Sicht kirchlicher Pastoralstrategen ebenfalls ein ernüchterndes Bild ergab: 67 Prozent der regelmäßigen Kirchgänger gaben an, sexuelle Beziehungen ohne eheliche Bindung oder vor der Ehe gehabt zu haben.62 Lediglich bei der Hochschätzung der Ehe als Institution, also eines Wertes, der stark gestützt wurde durch den allgemeinen Wertekanon der Zeit, waren die kirchlichen Vorgaben noch für einen Großteil der kirchennahen Bevölkerung bindend. Den Zwiespalt zwischen beobachtbarem Verhalten und normativer Setzung überbrückte man recht pragmatisch: Ein in den 1950er Jahren weit verbreitetes Phänomen war beispielsweise die »Onkelehe«, bei der die Witwe auf die Heirat mit ihrem neuen Partner verzichtete, um ihre Rentenansprüche aus der ersten Beziehung zu erhalten.63 Von Seiten der Amtskirche hieß man dies nicht gut, verzichtete aber auch auf jegliche Sanktionierung des Verhaltens.64 In vielen Bereichen entstand auf diese Weise eine Doppelmoral, die von vielen Gläubigen als schwierig empfunden wurde. »Wenn der liebe Gott so hart urteilen täte wie die Priester, dann käme kein Verheirateter in den Himmel.«65 So beschrieb Ende der fünfziger Jahre ein Arbeiterehepaar, beide Mitte Dreißig, den Konflikt zwischen den kirchlichen Vorgaben zur Empfängnisverhütung und der persönlichen Sexualpraxis. In der Konsequenz dieser »Ehenot«, so fasste der niederländische Religionssoziologe Osmund Schreuder die Ergebnisse seiner qualitativen Vorort-Studie zusammen, trennten viele Jungverheiratete, die sich religiös durchaus gebunden fühlten, Kirche und Ehe in der Praxis voneinander. »Die Trennung wird vor allem dadurch vollzogen, daß man ein relativ ›sakramentloses‹ religiöses Leben führt.«66 Bereits in den fünfziger Jahren waren damit die Ehe und das Zusammenleben von Mann und Frau von der kirchlichen Begleitung und Ausdeutung herausgelöst.67 Über das Gebot der vorehelichen Keuschheit setzten sich große Teile der Bevölkerung hinweg, die Vorschriften für das eheliche Geschlechtsleben erachteten sie als wirklichkeitsfremd. Diese Entwicklung strahlte in ihren Konsequenzen weit in andere Bereiche des religiösen Lebens aus und veränderte beispielweise die katholische Sakramentenpraxis: Die Individual- oder »Ohrenbeichte« ist heute als Sakrament nahezu vollständig verschwunden. Für viele kirchengebundene Männer und Frauen wurde dieses Sakrament, in dem sich das Interesse an Ehe und Familie praktisch auf die Frage der Empfängnisverhütung beschränkte, zu einer psychischen Belastung. Der statische Sündenbegriff der Kirche, der in der Katechese gelehrt wurde, deckte sich mit den eigenen Moralvorstellungen nicht.68 Die zwischen 1930 und 1950 Geborenen wuchsen in einer Umgebung auf, in der die religiösen Verhältnisse in der Bundesrepublik äußerlich bemerkenswert kräftig und geordnet erschienen. Dennoch hatten sich viele von ihnen bereits weitgehend von der kirchlichen Moral entfernt.69 »Ohne die kirchlichen Normen offen zu kritisieren«, so resümiert Lukas Rölli-Alkemper seine Untersuchung zum bürgerlich-kirchlichen Familienbild und zur Praxis familiären Zusammenlebens, »richtete sich ein Großteil selbst der kirchentreuen Katholiken nicht mehr nach ihnen, sondern nach allgemeinen gesellschaftlichen Leitbildern.«70

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Vom »gefallenen Mädchen« zum »absoluten Verstehen«. Sexualität und Sexualmoral im Wandel Trotz dieser Änderungen im Verhalten blieb bis Mitte der fünfziger Jahre die Rollenzuschreibung an die Gläubigen unverändert. Insbesondere gegenüber Mädchen und Frauen waren die kirchlichen Vorgaben zu Moral und Lebensführung in vieler Hinsicht rigider als gegenüber den männlichen Kirchenangehörigen: »Das gefallene Mädchen«, so die Zeitschrift Der Jungführer von 1954, »ist aber noch gründlicher gefallen als der Junge. Wie der abgefallene Engel schrecklicher ist als der abgefallene Mensch, so ist auch die abgefallene Frau schrecklicher als der abgefallene Mann.«71 Die egoistisch ihren Begierden nachgebende Eva wurde in populären Zeitschriften zum Gegenbild der Figur der Maria stilisiert, der vor allem Stille, Demut und mystische Hingabefähigkeit zugeschrieben wurde. Insbesondere eine weit verbreitete Traktatliteratur skizzierte ein Schwarzweißbild, in dem die Sexualnormen der Kirchen als absolute Orientierungsgröße gezeigt wurden. Wer diese übertrat, setzte sich großen Gefahren für Seele und Körper aus, so die verbreitete Botschaft.72 Kleinschriften mit Titeln wie »Liebe in Gewissensnot«, »Lust oder Liebe« oder »Ehe um jeden Preis?«, die alle in den fünfziger und zu Anfang der sechziger Jahre veröffentlicht wurden, modellierten die Verhaltensnormen: Mädchen, die »rein« bleiben, schließen eine glückliche Ehe; Mädchen mit vorehelichen Beziehungen landen in der Gosse, zumindest aber sind Verzweiflung oder seelisches Zerbrechen die Konsequenz vorehelicher Sexualität. Männer verachten Mädchen, die sich ihnen »vorehelich« hingeben. Abtreibungen enden tödlich für das werdende Kind und die Mutter, beide werden schamhaft und »still« beerdigt. Um diesem Ideal nahe zu kommen, setzte man in der Praxis der Jugendarbeit nach wie vor auf das »Stauungsprinzip« in der Reifezeit, sprich: die strikte Trennung von männlichen und weiblichen Jugendlichen.73 Seit Mitte der fünfziger Jahre entlud sich der Widerstand gegen diese Rollenzuweisung erstmals öffentlich in vielen »kleinen Konflikten« und Diskussionen. »Darf ein katholisches Mädchen sich schminken?« oder »Ist Flirten verwerflich?« – solche in der katholischen wie auch in der protestantischen Jugendpresse aufgeworfenen Fragen entfachten regelmäßig ein außergewöhnliches Leserecho. Die Auseinandersetzungen um die Rollenzuweisungen setzten sich in Diskussionen über die angemessene Berufswahl für Frauen und vor allem über das »Haushaltsjahr« fort – eine dienstmädchenähnliche einjährige Beschäftigung, die die junge Frau vor der Ehe eingehen sollte, um Demut und Dienstbereitschaft zu internalisieren und demonstrieren.74 Die Differenz zu diesen Vorgaben – das war das qualitativ Neue – bekundeten junge Frauen seit Mitte der fünfziger Jahre zunehmend öffentlich. Die Unzufriedenheit in den kirchlichen Kreisen und Gruppen schlug sich in Korrespondenz und Leserbriefen nieder und verdichtete sich in den Verbandsführungen. In einem Vortrag mit dem Titel »Seid moderne Katholiken« rief die Bundesführerin der Frauensäule des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend BDKJ, Heidi Carl, 1954 dazu auf, den Kampf gegen die Insignien der modernen Welt aufzugeben und sich nicht selbst zu isolieren.75 In

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der einsetzenden Diskussion um einen Lebensstil, der dem Katholischen angemessen war, prallten die Gegensätze aufeinander, ohne dass eine Vermittlung der kontroversen Positionen zu beobachten war. Machtworte der Kirchenoberen konnten solche Diskussionen allenfalls kurzfristig stoppen. In der Konsequenz provozierten diese Auseinandersetzungen entweder die innerliche Distanzierung von Mädchen und Frauen von den kirchlichen Vorgaben oder den Austritt aus der Organisation: Zwischen 1953 und 1959 kündigten beispielsweise mehr als 40 Prozent der Mädchen und Frauen in den katholischen Verbänden und Vereinen Nordrhein-Westfalens ihre Mitgliedschaft. Im Vergleich dazu waren es in derselben Region bei den Jungen und Männern lediglich 15,8 Prozent, die nicht mehr mittaten.76 Der Schluss liegt nahe, dass insbesondere die rigiden Rollenerwartungen die Mädchen und jungen Frauen zu dieser Distanzierung drängten. Parallel dazu veränderte sich auch die praktische Ausrichtung von Verbänden und Gemeindejugendarbeit, die sich von der Doktrin immer stärker entfernte: Auf klare Grenzziehungen abzielende Strategien wurden schrittweise aufgegeben. Kirchliche Pastoral orientierte sich in der Praxis zunehmend weniger exklusiv, sondern wollte dem eigenen Selbstverständnis nach der allgemeinen Erziehung und Bildung einen zusätzlichen konfessionellen Akzent geben, um auf diese Weise die Lebens- und Erfahrungsräume der Gläubigen religiös zu integrieren. Zudem wurden vormals kirchliche oder kirchennahe Wertegemeinschaften wie die bündische Jugend, die Pfadfinder, aber auch die Zusammenschlüsse der Gemeindejugend organisatorisch zentralisiert, rechtlichen Regelungen unterworfen und in ihren Zielsetzungen »vergesellschaftet«.77 Seit Mitte der sechziger Jahre änderte sich außerdem die »veröffentlichte Meinung« im Katholizismus: Nicht mehr die Traktatliteratur, sondern eine neue Form der publizistischen Jugendarbeit wurde tonangebend. Die vom Journalisten Hermann Boventer konzipierte »Illustrierte für junge Erwachsene« mit dem programmatischen Titel »Kontraste« sollte ein Gegenstück zu der auf dem Medienmarkt mit großem Erfolg eingeführten Zeitschrift »Twen« darstellen.78 Jede Nummer der seit 1961 erschienenen Zeitschrift berührte das Thema Sexualität meist nicht nur am Rande, sondern ganz zentral: Noch immer, so suggerierten die Darstellungen, war Abtreibung fast zwangsläufig mit einem körperlichen und psychischen Schaden für die Frau verbunden. Noch immer blitzte der alt-neue Topos von der Ritterlichkeit des Mannes und des entsprechenden Verhaltens der Frau auf.79 Darüber hinaus aber durchbrach man die klare Dichotomie von Gut und Böse, wie sie die Kleinschriften skizzierten, und ließ auch andere Stimmen zu Wort kommen: Unter der Überschrift »Sex mal sex« brachte man der »Ehenot« junger Paare nun durchaus Verständnis entgegen, wenn beispielhaft das »katholische Ehepaar« angeführt wurde, welches »jeden Sonntag zur Messe geht, das die Gebote genau kennt und also auch weiß, daß alle gebräuchlichen und zuverlässigen Mittel der Empfängnisverhütung als Sünde gelten – und das trotzdem nur zwei Kinder hat.« Konsequent sei diese Haltung nicht, so der Kommentar, »aber sie erhält dem Sexualakt, wenn auch nur scheinbar, etwas von seiner Weihe«.80 Statt pauschaler Verurteilung setzte die kirchliche Publizistik nun auf Verständnis, ohne aber die eigenen

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Positionen damit aufzugeben. Zum Thema wurden in den Folgejahren zunehmend Positionen und Lebensentwürfe, die der kirchlichen Diktion nicht entsprachen: der aus dem Amt geschiedene und jetzt verheiratete Priester; die junge 25jährige Lehrerin, die allein erziehend die Missachtung ihrer Umgebung ertragen muss, und ähnliche religiös nicht-konforme Lebenswege. Alles in allem waren die den Leserinnen und Lesern vorgeführten fiktiven Diskussionen jetzt innergesellschaftlich bestimmt. Christliche Sexualmoral trat in den Dienst der »Befreiung des Menschen«, so der Moraltheologe Johannes Gründel 1972 in einem Kontraste-Beitrag.81 Die »anthropologische Wende«, die Teile der katholischen Theologie mit dem Zweiten Vatikanum vollzogen hatten, zeigte sich in der Argumentation der populären konfessionellen Presse besonders deutlich, als der Arzt und Psychologe als Beratungsinstanz zunächst neben, dann seit 1974 an die Stelle des Geistlichen rückte.82 Mit dieser Entwicklung hatte sich die Praxis der Vermittlung kirchlicher Sexualmoral grundlegend verändert: Die Form der autoritären Verkündung einer zunächst deutlich konfessionell geprägten Vorstellung von Ehe- und Familienpraktiken wurde abgelöst von einem Diskussionsfeld, in dem sich vielfältige Stimmen artikulierten. An die Stelle von exkludierenden waren nun inkludierende Sprachmuster und Verfahren getreten. Diese Öffnung zu mehr Partizipation bot prinzipiell die Chance, einen größeren Kreis von Personen für die eigene Position zu gewinnen. Das idealtypisch »absolute Verstehen« schloss aber Negationsmöglichkeiten ein und machte vormals als unumstößlich geltende Positionen zum Gegenstand von Verhandlungen, bei denen kein Interesse von vornherein ausgeschlossen werden konnte.83 Diesem Rechtfertigungsdruck war die kirchliche Sexualmoral nicht gewachsen, so dass das zuvor geschlossene Moralkorsett seine Wirksamkeit einbüßte. Die theologische und pastorale Neuorientierung, die im Gefolge des Zweiten Vatikanums einsetzte, lief dem allgemeinen Wertewandel allenfalls hinterher und wurde seinerseits konterkariert durch eine Fixierung der Kirchenhierarchie auf sexualmoralische Verhaltensgebote, die immer öfter auch von praktizierenden Katholiken nicht mehr akzeptiert wurden.84 Dieser Zwiespalt eskalierte dann auch öffentlich weit wahrnehmbar auf dem Essener Katholikentag von 1968, auf dem zahlreiche Laien die Rücknahme oder Modifizierung des als Pillenenzyklika bekannt gewordenen päpstlichen Lehrschreibens Humanae Vitae forderten. Die Vorstellung von der ›Inkompetenz‹ der Kirche hinsichtlich der Sexualmoral war und ist sehr verbreitet. Anhand von demoskopischen Daten, die zum Ende der 1990er Jahre erhoben wurden, belegt der Religionssoziologe Andrew M. Greeley, dass nicht nur die römisch-katholische Kirche, sondern viele große Religionsgemeinschaften ihr selbst gestecktes Ziel, das Sexualleben ihrer Gläubigen zu normieren, grundlegend verfehlten. »Ein Großteil der Laien scheint davon überzeugt zu sein, dass die Kirche nicht weiß, worüber sie spricht, wenn es um die Ethik menschlicher Sexualität geht.«85 Diese Situationsbeschreibung aus dem Jahr 2003 lässt die Veränderung zu den 1950er Jahren klar hervorstechen: Zur Mitte des 20. Jahrhunderts war das religiöse Gedankengut

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eine Norm, an der sich eine generelle Gesellschaftskritik wie auch der Diskurs über die Familie orientieren konnte.86 Seit den sechziger und siebziger Jahren haben die Kirchen ihre immer begrenzten, aber durchaus wirkungsmächtigen Einflussmöglichkeiten auf die Normierung sexuellen Verhaltens verloren. Ein Zurück zu der engen Verknüpfung von gesellschaftlicher Moral und religiös geprägter Sexuallehre, wie es in Ansätzen in den 1950er Jahren zu beobachten war, scheint seitdem undenkbar.87 Leben im Glauben umfasst mehr als nur Familienkonzepte und Sexualität, benannte doch die Religion für fast alle Lebensvollzüge Regeln und Hinweise. Und dennoch ist damit exemplarisch ein zentrales Moment benannt: Der Bereich von Ehe, Partnerschaft und Sexualität war derjenige, der besonders mit christlichen Moralvorstellungen assoziiert wurde. Die Grenze des Einflussbereichs von Religion wurde sukzessive, aber kontinuierlich verschoben und führte zu einer Profanisierung dieses Bereichs. Ein bislang nicht oder allenfalls nicht-öffentliches Zuwiderhandeln gegen die religiösen Normen wurde nach und nach zum öffentlichen Normalverhalten. Alltagskultur und Lebenswelt emanzipierten sich zunehmend von religiös-konfessionellen Prägungen. Lediglich als Medienskandal blieb die enge Verbindung von Partnerschaft und Sexualität mit kirchlich-konfessionellen Doktrinen noch weit über die 1960er Jahre hinaus virulent.

1.2 Gestalten, normieren, verklären. Die Kirchen in Politik und Gesellschaft Mit der populären Idee einer umfassenden Rechristianisierung verband sich die Hoffnung, dass nun auch politisch die Stunde der Kirchen schlagen werde. Heinrich Krone, Mitbegründer der CDU und enger Vertrauter Konrad Adenauers, notierte am 1. September 1945 in seinem Tagebuch: »Die Geschichte lehrt, daß alle Versuche, dem deutschen Volke eine politische Form zu geben, ohne daß die Kirchen bei diesem Bau mitgewirkt haben, gescheitert sind […]Wir haben nur die Wahl, uns als Volk zum Christentum zu bekennen.«88 Die Überzeugung Krones war keine Einzelmeinung, im Gegenteil. Sie steht am Anfang einer Entwicklung, mit der den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Privilegien und besondere Möglichkeiten der politischen Mitgestaltung zugestanden wurden. Ihre Existenz und ihr Wirken in der Bundesrepublik wurden dadurch maßgeblich geprägt. Zugleich hatten sich die drei von den USA, Großbritannien und Frankreich verwalteten Besatzungszonen auf den Weg in eine Demokratie westlichen Zuschnitts gemacht. Deren Geschicke wurden indes nicht in erster Linie von den politischen Kräften in Deutschland, sondern maßgeblich von den alliierten Besatzungsmächten und ihren Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung dieses Landes bestimmt.89 Die Vorstellungen der Deutschen richteten sich dementsprechend in den drei westlichen Besatzungszonen und der späteren Bundesrepublik maßgeblich nach den Vorgaben der Alliierten. In den Vereinigten Staaten, in Frankreich und in Großbritannien waren die politischen Systeme grundsätzlich auf die Trennung von Staat und Religions-

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gemeinschaften angelegt, so dass diese Konstellation auch für die westlichen Besatzungszonen zum Tragen kam. Zugleich avancierte die Institutionenordnung der Weimarer Republik zu einer wichtigen Blaupause für die Gestaltung des Staat-Kirche-Verhältnisses: Setzte man sich in Fragen wie der Zulassung von Parteien oder der Ausgestaltung des Präsidentenamtes deutlich von der Weimarer Verfassung ab, so behielt man mit Blick auf die Kirchen die grundsätzlichen Weichenstellungen bei. Auf diesem Hintergrund entwickelte sich nach Kriegsende eine eigene Praxis des Zusammenspiels von staatlichen Institutionen, gesellschaftlichen Kräften und religiösen Gemeinschaften, die die politische Kultur der frühen Bundesrepublik stark prägte.

Religion und Politik. Traditionen und Dispositionen der christlichen Kirchen Wie die deutsche Gesellschaft als Ganzes mussten die Kirchen, deren Eliten und Mitglieder zunächst Demokratie lernen und die von den Alliierten vorgegebenen Formen mit Leben füllen.90 Damit betrat man sowohl im Protestantismus wie im Katholizismus Neuland, hatte doch zuvor keine der Konfessionen vorrangig auf eine Demokratie westlichen Zuschnitts gesetzt. Das Verhältnis der katholischen Kirche und der Katholiken zur jeweiligen Staatsform war bis 1945 von vielen Wechselfällen geprägt: Das nationalprotestantisch geprägte Deutsche Reich von 1871 hatte den Katholiken nur bedingt eine politische Heimat geboten. Insbesondere während des sogenannten Kulturkampfes (1871–1878/87), wurde durch Bismarck und die Liberalen versucht, diese in die Rolle der »Reichsfeinde« zu drängen und damit den kirchlichen Einfluss zu begrenzen. Die Auseinandersetzung zwischen dem preußischen Staat und der Kirche hatte die Abschottung der Katholiken befördert: Mit der Zentrumspartei als einer eigenen politischen Vertretung, einem dichten Vereins- und Verbandswesen und vielen caritativ-sozialen Einrichtungen schuf man sich eine Sonderwelt, die sich zu einem eigenen Milieu verdichtete. Als die Konfrontation von Staat und Kirche abflachte, reagierten die Kirchenhierarchie wie auch die Gläubigen durchaus ambivalent. Einerseits versuchte man den Ruf nationaler Unzuverlässigkeit durch demonstrativ nationales Verhalten abzuschütteln. Andererseits aber blieb man in misstrauischer Distanz zur politischen Kultur des Kaiserreichs, die so offensichtlich protestantisch geprägt war. Zudem war man auch in die Weltkirche eingebunden und damit übernational orientiert. Als politisches Ideal vertrat während der Weimarer Zeit ein Teil der katholischen Elite ein ständestaatlich-korporatives Modell mit deutlich autoritären Zügen, wie es beispielsweise im franquistischen Spanien zu beobachten war. Dabei lehnte man sich durchaus an die Binnenstruktur der Kirche selbst an, die doch in sich zentralistisch und autoritär organisiert war. Neben diesen obrigkeitsstaatlichen Dispositionen gab es aber zugleich Entwicklungen, anhand derer sich die Katholiken in Richtung eines demokratischen Gemeinwesens orientierten: Unzweifelhaft hatte beispielsweise die Zentrumspartei als die politische Vertretung der Katholiken lange Zeit aktiv in Regierungen auf Reichs-

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und Landesebene mitgewirkt und sich so zu einer der wichtigsten Stützen der Weimarer Republik entwickelt. In dieser Arbeit hatten sich viele der katholischen Zentrumspolitiker zu praktisch handelnden und pragmatisch orientierten Demokraten entwickelt. Die Zustimmung der Zentrumsfraktion im Reichstag zum Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten und die Selbstauflösung der Partei erfolgten nicht aus Zustimmung zur Regierung Hitler. Außenpolitisch folgte man der Politik des Vatikans, der auf den Abschluss eines Konkordats mit dem NS-Regime drängte. Innenpolitisch hatte man, so zeigt der Rückblick, auf fatale Weise falsch eingeschätzt, wie die Stellung der Kirche in Deutschland am besten zu schützen sei. Dem eigenen Selbstverständnis nach hatte man der NS-Diktatur erfolgreich getrotzt. Auf der Basis dieser Gründungslegende startete der politische Katholizismus nach 1945 voller Selbstbewusstsein. Den Weg zur Demokratie, wie ihn die Alliierten bestimmten, hatte eine Rundfunkansprache des Papstes Pius XII. geebnet. Er distanzierte sich im Dezember 1944 von der zuvor offiziell gehegten Indifferenz gegenüber allen Staatsformen. Die Demokratie, so erklärte der Papst unter dem Eindruck des Vormarsches der westlichen Alliierten in Westeuropa, stünde mit der Würde und der Freiheit der Bürger mehr in Einklang als andere Staatsformen und werde deshalb »von allen Völkern Europas« gewünscht.91 Nur fünf Monate später war die NS-Diktatur durch den militärischen Einsatz der Alliierten beendet worden. Institutionell und organisatorisch knüpfte die katholische Kirche an alte Strukturen an, denn Pfarreien, Dekanate und Bistümer waren bis auf Änderungen durch die Gebietsabtretungen an Polen und durch die deutsch-deutsche Teilung im Wesentlichen erhalten geblieben. Dies stellte einen großen Unterschied zu den Diskussionen im Protestantismus dar, der eben nicht selbstverständlich auf die bewährten Gliederungen und Einrichtungen zurückgreifen konnte und wollte. Völkerrechtlich galt auch weiterhin das Konkordat, welches der Vatikan am 20. Juli 1933 mit der Regierung Hitler geschlossen hatte, und welches dem Katholizismus eine Reihe von Sicherheiten und Privilegien eingeräumt hatte: Die freie Ausübung des Glaubens war ebenso garantiert wie der Schutz des Beichtgeheimnisses. Bei der Wiedereinführung eines konfessionellen Religionsunterrichts konnte man sich ebenso auf dieses Vertragswerk berufen wie bei den Verhandlungen um die Kirchensteuer. Wie man sich vor dem Hintergrund dieser Kontinuität aber genau positionieren sollte, war unter den Bischöfen als den wichtigsten Vertretern des katholischen Deutschlands umstritten: Sollte man darauf setzen, dass ein dezidiert christlicher Staat errichtet und beispielsweise in der Verfassung des neuen Gemeinwesens festgeschrieben werde? Oder ging es eher darum, eine grundsätzlich säkulare staatliche Ordnung zu unterstützen, in der aber den Christen umfassende Möglichkeiten eingeräumt wurden, ihre Vorstellungen der Selbstorganisation und der Gestaltung der Gesellschaft ebenfalls zu verwirklichen? Diese Diskussion spitzte sich während der Beratungen zum Grundgesetz zu: Ein Teil der Bischöfe plädierte dafür, sich gegen das Verfassungswerk zu stemmen, da zentrale katholische Forderungen nicht festgeschrieben seien. Unter Führung des

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Kölner Kardinals und Sprechers der Bischofskonferenz Joseph Frings und des Prälaten Wilhelm Böhler, der von der Fuldaer Bischofskonferenz zum Kontaktmann für den Parlamentarischen Rat bestimmt wurde, setzte sich aber ein pragmatischer Kurs durch. Frings und Böhler erwirkten, dass der katholische Episkopat sich nicht gegen das Grundgesetz einsetzte. Die beiden Kirchenmänner erreichten dieses unter anderem durch eine hoch effektive Lobbyarbeit. Mittels persönlicher Kontakte, lokaler und regionaler Katholikenausschüsse, weit angelegter Presse- und Briefkampagnen bis hin zu Stellungnahmen der Bischofskonferenz gelang es ihnen, viele der katholischen Positionen durchzusetzen, ohne dass diese dezidiert im Grundgesetz festgeschrieben waren.92 Im Protestantismus war der Orientierungsbedarf 1945 und in den Jahren danach zunächst höher: Vor dem Hintergrund der Diktatur- und Kriegserfahrung war die Ordnung von Staat und Religion, wie sie die Protestanten praktiziert hatten, in Frage gestellt. Seit der Reformation hatte sich die evangelische Kirche auf eine mindestens neutrale, in der Regel aber wohlwollende Obrigkeit verlassen können. »Thron« und »Altar« hatten schon in den deutschen Kleinstaaten eng beieinander gestanden. Spätestens mit dem Kaiserreich war die Verbindung dann noch enger geworden, so dass »evangelisch und deutsch, Thron und Altar, Kaisertum, Deutsches Reich und Protestantismus […] mehr und mehr miteinander identifiziert [wurden]«.93 Trotz Niederlage und Abdankung des Monarchen im Jahr 1918 hatte diese geistige und politische Nähe weiter Bestand. Etwa 80 Prozent der Geistlichen hielten auch während der Weimarer Republik an ihrer stark obrigkeitsstaatlichen Haltung und deutschnationalen Gesinnung fest.94 Durch diese enge Verbindung mit dem Staat war der Drang nach einer eigenständigen politischen Vertretung nicht sehr ausgeprägt. Die entsprechenden Versuche, eine dezidiert evangelische Partei zu gründen, waren im politischen System der Weimarer Republik entweder rasch gescheitert oder über den Status einer Splitterpartei nie hinausgekommen. Diese Ausgangskonstellation führte dazu, dass man nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht wie die Katholiken etwa an vormalige Strukturen und Parteien anschließen konnte. Stattdessen galt es, das Verhältnis zur Politik erst grundsätzlich neu zu bestimmen. Auch theologisch-geistlich fehlte die Basis einer einheitlich verfassten Kirche, die alle Protestanten hätte einen können. Theologisch gründete die staatsnahe Haltung auf der Lutherschen Zwei-Reiche-Lehre, die sowohl die Kirche wie auch den Staat als von Gott beherrscht definierte. Der Reformator hatte in seinem Traktat »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« von 1532 die Verpflichtung des Christen gegenüber der Obrigkeit hervorgehoben, ohne seine Überlegungen aber zu einer Ethik des politischen Verhaltens zu entwickeln. In der Rezeption dieser Schrift wurde dann aber insbesondere der Gedanke stark betont, dass die Christen die jeweilige weltliche Ordnung als gottgegeben zu akzeptieren und sich an dieser zu orientieren hätten. Erst in Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus brach Dietrich Bonhoeffer mit dieser Denkrichtung und verdeutlichte das durchaus obrigkeitskritische Potenzial, welches Luthers Lehre in sich barg. Eine große Breitenwirkung konnte er aber unter den Bedingungen des NS-Regimes damit nicht erzielen.

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Während des Nationalsozialismus aber blieb die obrigkeits- und staatsfixierte Mentalität hoch präsent. Über die kirchenpolitischen Lager hinweg, die sich ab 1933 rasch herausbildeten, prägte diese Haltung den Protestantismus entscheidend: Die pro-nationalsozialistischen Deutschen Christen (DC) um den ab September 1933 amtierenden Reichsbischof Ludwig Müller argumentierten mit der Zwei-ReicheLehre und erklärten auf dieser Grundlage, dass dem Reichskanzler Adolf Hitler als dem legitimen Vertreter der staatlichen Obrigkeit selbstverständlich Folge zu leisten sei.95 Auch die Bekennende Kirche (BK), die sich in Opposition zu den Deutschen Christen gebildet hatte, richtete ihre Aktivitäten nicht gegen die diktatorische Gleichschaltung von Politik und Gesellschaft, sondern auf die Abwehr von Eingriffen in die kirchliche Sphäre. Prominente Theologen wie Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller gründeten den Pfarrernotbund als wichtige Keimzelle der BK als Reaktion auf den sogenannten Arierparagrafen. Die von Deutschen Christen dominierte Altpreußische Synode beschloss auf ihrem Treffen vom 6. und 7. September 1933, dass das von der NSRegierung erlassene »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« auch für die Kirchenämter anzuwenden sei. In der Konsequenz bedeutete dieses, dass getaufte Juden aus dem Kirchendienst entlassen werden sollten. Gegen diese und andere Maßnahmen richtete sich der Widerstand der BK. Aus der Überzeugung, dass die Kirche strikt an Schrift und Überlieferung gebunden sei, leitete man die Pflicht ab, alle Versuche der politischen und insbesondere nationalsozialistischen Beeinflussung oder Vereinnahmung der Kirche abzuwehren. Der Widerstand der Bekennenden Kirche konnte eine völlige Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit dem NS-Staat, wie die DC sie anstrebte, verhindern. Auf der Ebene der Pfarreien und in den Landeskirchen widersetzen sich zahlreiche Bruderschaften, Bekenntnisgemeinschaften und einzelne Gemeinden dem Druck der Diktatur. Zudem schrumpfte die organisatorische Stärke der Deutschen Christen rasch: Interne Streitigkeiten führten dazu, dass im Jahr 1934 circa 2.000 Pfarrer bei ihnen organisiert waren. 7.000 Pfarrer aber bekannten sich zur Bekennenden Kirche. Die breite volkskirchliche Mitte hatte sich keinem der beiden kirchenpolitischen Lager zugehörig erklärt. Machtpolitisch aber hatten sich die Deutschen Christen mit der Unterstützung der NS-Bewegung 1933 durchsetzen können: Nach der Schaffung einer Evangelischen Reichskirche erreichten die Deutschen Christen bei den am 23. Juli 1933 durchgeführten Synodalwahlen die Zweidrittelmehrheit und besetzten wichtige Kirchenämter. Damit war in den Leitungsgremien und Synoden der Landeskirchen jegliche Distanz zum Staat verloren gegangen. Allein in den lutherischen Landeskirchen von Württemberg, Bayern und Hannover waren die Bischöfe nicht deutschchristlich. Nach Kriegsende war diese Situation hoch präsent und bildete den Erfahrungshintergrund, auf dem sich die evangelische Kirche neu orientierte: Wie war auf diese Situation in der jüngsten Vergangenheit zu reagieren? Wie konnte in Zukunft eine erneute »Ohnmacht der Kirche« dem Staat gegenüber vermieden werden? Die Frage nach der Neuordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland berührte also bei

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Weitem nicht nur organisatorisch-praktische Fragen, sondern war mit wichtigen theologischen Überlegungen und Grundsatzpositionen verbunden. Prominente evangelische Theologen wie Dietrich Bonhoeffer, Helmut Thielicke und andere hatten bereits vor Kriegsende ein Ende des traditionellen Kirchen- und Gemeindelebens gefordert. Die Kirche als »Heilsanstalt« habe sich in bürokratischen Formen organisiert, die zu »Verrechtlichung, Versachlichung und vor allem Entpersonalisierung« geführt hätten.96 Insbesondere die Konsistorien und damit die zentralen Verwaltungsbehörden der Landeskirchen standen aus Sicht der Kritiker für diese Fehlentwicklung. Kirche realisiere sich aber, so hielten die Reformwilligen dagegen, vor allem als Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die sich um das Evangelium sammelten.97 Deshalb sollten diese kleinen Zirkel und Gruppen in den Mittelpunkt des Kirchenlebens treten. Als lebendige Gemeinden könnten diese autonom fungieren und stünden nicht in Gefahr, noch einmal von politischen Bewegungen oder staatlichen Instanzen abhängig zu werden. Theologisch fußten diese und andere Vorstellungen aus den Kreisen der Bruderräte oft auf dem von Karl Barth formulierten Modell der »Königsherrschaft Jesu Christi«, welches auch die Bekennende Kirche in ihrer Barmer Theologischen Erklärung von 1934 aufgenommen hatte: Da Christus uneingeschränkt herrsche, könne die Politik keine Eigengesetzlichkeit für sich beanspruchen. Wie alle anderen Bereiche auch stünde das politische Gemeinwesen unter dem göttlichen Gebot, so dass sich das menschliche Recht wie auch der Staat daran zu orientieren hätten. Kirche sei somit politisch, weil sie versuche, den irdischen Staat im Sinne des himmlischen umzugestalten.98 Karl Barth hatte seine Vorstellungen von der »Königsherrschaft Christi« in Abwehr zum nationalsozialistischen Regime formuliert. In diesem Zusammenhang hatte seine Theologie gute Dienste dabei geleistet, sich geistig gegen die Übergriffe und Zumutungen der Diktatur zu wappnen. Unter den neuen politischen Vorzeichen nach 1945 aber boten diese Überlegungen kein geistliches Modell für die Zuordnung von Staat und Kirche. Weder die Theologie von der »Königsherrschaft Christi« noch die ZweiReiche-Lehre ebneten theologisch den Weg in die entstehende Demokratie. Welche Schwierigkeiten sich aus der Perspektive dieser Theologien ergaben, lässt sich an der kontroversen Diskussion um die Entstehung der Christlich Demokratischen Union (CDU) illustrieren. War es zulässig, eine Partei zu gründen, die sich dezidiert christlich verstand? Dass Theologen der bruderrätlichen Richtung, die sich am Denken Karl Barths orientierten, dieses ablehnten, liegt auf der Hand. Aus ihrer Sicht durfte Kirche nicht Teil des politischen Feldes sein, sondern hatte aus der Distanz heraus politisch zu agieren. Aber auch der lutherische Theologe Walter Künneth, der aus dem Denken der Zwei-Reiche-Lehre heraus argumentierte, konnte der Christdemokratischen Partei nur als einer zeitlich befristeten »Notlösung« etwas abgewinnen.99 Die verschiedenen theologischen Schulen boten keine Brücke in den bundesdeutschen Staat und seine Parteiendemokratie. Seinen Zugang zum politischen System der Bundesrepublik erarbeitete sich der Protestantismus dann auch eher aus der Praxis.100 Organisatorisch-institutionell wurde von den ebenso radikalen wie vagen Plänen der Kirchenerneuerer aus den Bruderräten praktisch nichts umgesetzt, im Gegenteil: Letzt-

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lich realisierte sich das unter anderem vom württembergischen Landesbischof Theophil Wurm vertretene Konzept, an die volkskirchlichen Verhältnisse der Vorkriegszeit wieder anzuknüpfen. Auch Wurm stand nicht für eine Restauration, sondern befürwortete durchaus einen energischen Austausch von Personal in den Kirchenbehörden und in den Pfarreileitungen. Aber die Strukturen der Volkskirche, die man unter dem Nationalsozialismus erhalten hatte, sollten aus der Perspektive Wurms nun keinesfalls den theologisch-organisatorischen Ansprüchen geopfert werden, wie sie Martin Niemöller und andere Vertreter der linksprotestantischen Minderheit aufgeworfen hatten. Ein Ausgleich innerhalb des protestantischen Meinungsspektrums wurde aber auch von anderer Seite verhindert. Das Modell der lutherischen Kirchen setzte stärker auf die Wiederherstellung der alten Form, welche die Kirche unter Leitung eines Bischofs mit starker Betonung des geistlichen Amtes und ohne Laienbeteiligung in Form von synodalen Elementen vorsah. Die aus diesem Geist in den Landeskirchen Bayerns, Württembergs, Hannovers und Sachsens unternommenen Versuche zur Gründung eines lutherischen Kirchenzusammenschlusses konnten nur mühsam zu Gunsten der Evangelischen Kirche in Deutschland verhindert werden. Die Konferenz der Kirchenführer im nordhessischen Treysa 1945, auf der die grundlegenden Weichenstellungen für die Kirchenorganisation beschlossen wurde, setzte mit der Gründung der EKiD (später EKD) viel mehr auf die Wiederherstellung des Alten als auf die Etablierung neuer Formen. Letztlich vollzog sich ein »Regierungswechsel innerhalb des alten Systems«:101 Die Landeskirchen und das von ihnen abgeleitete Einigungswerk schoben sich wieder vor die Bruderräte, wenn auch das Gros ihrer Leitungsgremien jetzt mit Mitgliedern der Bekennenden Kirche besetzt war. Dennoch markiert die zeitgenössisch wie auch in der Kirchengeschichte so oft gestellte Frage, ob es sich um einen Neuanfang oder eine Restauration der alten Verhältnisse gehandelt habe, nicht die entscheidenden Fluchtpunkte. Unterschlagen wird mit diesem konstruierten Gegensatz zweierlei: Die große Mehrheit der Protestanten machte eine erstaunliche Entwicklung. Ihre stark an der Nation und an der jeweiligen Obrigkeit orientierte Ausrichtung, wie sie insbesondere in den lutherischen Landeskirchen vorzufinden war, war ein gewichtiges »nicht demokratisches historisches Erbe«. Die »Repräsentation der Staatsautorität« war vom Untertanen als Obrigkeit anzuerkennen. Ihre Bedeutung und ihre Legitimität bezog sie aus ihrer Verankerung in Gott und war daher unabhängig vom Bürgerwillen. Diese Auffassung lag zunächst einmal quer zu allen demokratischen Konzepten.102 In der Praxis aber hatte diese Haltung eine beträchtliche stabilisierende Wirkung. Die Nachklänge der Zweireiche-Lehre legten es großen Teilen des Protestantismus nahe, die Verfassungsorgane der Bundesrepublik als legitime Obrigkeit anzuerkennen, sich ins neue Staatswesen zu fügen und in diesem Rahmen mitzutun. Diese Einstellung kam der Konsolidierung des repräsentativ-demokratischen Systems zweifelsohne zugute.103 Auch der zweite Strang, die Vertreter der Bruderräte und der Bekennenden Kirche, hat die politische Kultur der Bundesrepublik in wichtigen Punkten mitgeprägt: Dass die protestantische Kirche mit dem Ende des Nationalsozialismus neue Modelle der

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Selbstorganisation diskutierte, hatte zwar unmittelbar keinen Erfolg. Es entwickelte sich aber eine interne Dauerdiskussion, in der immer wieder der Ruf nach einer Reform der Kircheninstitutionen ertönte. Damit waren die alternativen kirchlichen und politischen Modelle permanent präsent: eine Kirche von der Basis her, eine starke Laienbeteiligung und die Freiheit des Einzelnen, sich gegen die Festlegungen der Institutionen zu widersetzen. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, die Gründung der Bundeswehr, die Frage nach der Wiedervereinigung der deutschen Teilstaaten – in nahezu allen politischen Debatten der frühen Bundesrepublik tauchten die genannten Denkfiguren und die damit verbundenen politischen Ideale wieder auf. Spätestens mit der starken Politisierung des Protestantismus seit Ende der sechziger Jahre gewannen sie stärker an Gewicht. Die tiefen Gräben zwischen den verschiedenen kirchenpolitischen und theologischen Fraktionen führten zu einem breiten Meinungspluralismus in der protestantischen Kirche. Daher gelang es der EKD seltener als der katholischen Kirche, in politischen oder sozialen Fragen mit einer Stimme zu sprechen. Auch der bundesdeutsche Katholizismus der 1950er Jahre war nicht monolithisch, im Gegenteil. Theologische oder weltanschauliche Fundamentaldifferenzen ließ das römische Lehramt jedoch nicht zu, und die relativ stark formierten Strukturen des politischen und sozialen Katholizismus vermittelten nach außen hin ein Bild der Geschlossenheit. Für beide Konfessionen gilt, dass ihre Vertreter von einem starken Selbstbewusstsein geprägt waren. Von einer weit verbreiteten Rechristianisierungseuphorie getragen setzten sie darauf, bei der Gestaltung des neuen Gemeinwesens entscheidend mitwirken zu können. Die Grundlage dafür war, dass man sowohl auf katholischer wie auch auf protestantischer Seite davon ausging, dem Nationalsozialismus allen Bedrängnissen und Schwierigkeiten erfolgreich widerstanden zu haben. Als selbst ernannte Sieger gegen die Diktatur setzte man nun auf eine Position der Stärke. Mit dieser Haltung wich man nicht nur der Frage nach der eigenen Anfälligkeit für die NS-Bewegung aus. Zugleich förderte diese Überzeugung den Hang dazu, die eigenen Möglichkeiten bei der politischen Neugestaltung zu überschätzen.104

Religion in der entstehenden Bundesrepublik. Die »hinkende Trennung« von Kirche und Staat Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Gründung der Bundesrepublik waren die Vorbereitungen des Grundgesetzes wie auch der Länderverfassungen. In diesen Dokumenten musste sich der Anspruch auf Rechristianisierung in den Augen mancher Kirchenführer bewähren. Deshalb versuchten sowohl die evangelische wie auch die katholische Kirche Einfluss auf die Beratungen in den Ländern wie auch auf die Aktivitäten des Parlamentarischen Rates zu nehmen. In ersten Entwürfen zum späteren Grundgesetz berührte nur einer von 20 Artikeln die Belange der Kirchen, nämlich die Frage des Religionsunterrichts. Es lag auf der Hand, dass sich weder die CDU als christliche Partei noch die Kirchenvertreter damit

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zufrieden geben würden. Die »verfassungsmäßige Sicherung des Elternrechts auf dem Gebiet der Erziehung und Schule, den Schutz des Lebens sowie die körperliche Unversehrtheit« sollten darüber hinaus auf jeden Fall berücksichtigt werden, so hatte der EKD-Vorsitzende Theophil Wurm an den Parlamentarischen Rat geschrieben.105 Das sogenannte Mitbestimmungsrecht der Eltern war eine politische Forderung, der in den Auseinandersetzungen der folgenden Jahre noch großes Gewicht zukam. Die Eltern, so verlangten katholische und evangelische Kirche unisono, sollten darüber bestimmen können, welche geistige und vor allem religiöse Ausrichtung ihr Kind nehmen solle. Praktisch setzten die Kirchenvertreter darauf, dass ihre jeweiligen Mitglieder eigene katholische oder evangelische Schulen für ihren Nachwuchs forderten. Auf diese Weise sollte der Staat dazu gebracht werden, ein umfassendes System von Konfessionsschulen zu garantieren. Ähnliche Bedeutung hatte die Forderung der Kirchen, ihr Recht auf eine öffentliche Betätigung in der geplanten Verfassung zu verbriefen. Im Ergebnis dieses Abstimmungsprozesses erreichten die beiden Konfessionskirchen eine privilegierte Stellung im politischen System der Bundesrepublik, und zwar sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene. Schon die Weimarer Verfassung, die den Schöpfern des Grundgesetzes als Folie für ihre Beratungen diente, hatte das Staat-Kirche-Verhältnis als ein geordnetes Gegenüber von weltlichem Gemeinwesen und rechtlich selbstständigen Religionsverbänden beschrieben. In diesem Sinne definierte sich auch die Bundesrepublik nicht als laizistischer Staat im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche. Stattdessen griff man weitestgehend auf die Weimarer Verfassung zurück. Die Artikel 136 bis 139 und 141 der Weimarer Verfassung übernahm man in den Artikel 140 des Grundgesetzes und garantierte damit die grundsätzliche Religionsfreiheit, die weltanschauliche Neutralität des Staates und die prinzipielle Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften.106 Die Religionsausübung wurde weiterhin als eine öffentliche Angelegenheit aufgefasst, die der Staat zwar zu garantieren hatte, auf die er inhaltlich aber keinen Einfluss nehmen durfte. Insbesondere der den Kirchen zugestandene öffentlichrechtliche Status gewährte diesen zweifelsohne »eine Vielzahl von Begünstigungen, wenn nicht gar von politischen Bevorzugungen gegenüber anderen Gruppierungen der gesellschaftlichen Pluralität«.107 Zeitgenössisch wie auch rückblickend wurde diese Konstellation als eine »hinkende Trennung« von Staat und Kirche charakterisiert.108 Mit dieser Ausgangslage waren Kooperationen in bestimmten Bereichen vorprogrammiert. Insbesondere im Bereich des Schulwesens, aber auch in karitativen Zweigen gab es Sonderregelungen, durch die die Kirchen öffentlichen Trägern gleichgestellt wurden. Staatlich geschützt wurden christliche Feiertage; in den Ländern rückte der konfessionelle Religionsunterricht zum regulären Schulfach auf. Die staatlichen Universitäten unterhielten theologische Fakultäten, die in ihrer Ausrichtung an die Weisung der Kirchen gebunden waren, zugleich konnten die Kirchen eigene Hochschulen einrichten. Mit der Gründung der Bundeswehr wurde den beiden christlichen Kirchen die Militärseelsorge juristisch garantiert und praktisch übertragen. In den Rundfunkund Fernsehmedien der staatlichen Anstalten erhielten Kirchenvertreter ebenso Sitz und Stimme wie in Enquetekommissionen und Ethikräten, die die Politik einrichtete.

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In der politischen Praxis erlaubten die getroffenen juristischen Regelungen die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass bestimmte Religionsgemeinschaften eine ausgeprägt privilegierte Stellung erhielten. Hierzu musste ihnen der Status einer nichtstaatlichen Körperschaft verliehen und öffentliche Aufgaben übertragen werden.109 Auch wenn unter bestimmten Bedingungen jede Religionsgemeinschaft diesen Status erlangen kann, entwickelte sich in der politischen Kultur der frühen Bundesrepublik eine Praxis, die vor allem auf die Zusammenarbeit des Staates mit der katholischen und der evangelischen Kirche abzielte. Ein wichtiger Aspekt dieser Regelung betraf die Kirchensteuer. Bis heute gelten die christlichen Religionsgemeinschaften in Deutschland im internationalen Vergleich als besonders reiche Kirchen. Neben Besitzungen und Schenkungen leitet sich diese Stellung vor allem aus dem spezifisch deutschen Kirchensteuersystem ab: Mit der Annahme des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 war das Recht der Kirchen fortgeschrieben, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten Abgaben zu erheben. Religiöse Gemeinschaften, die den Rang einer Körperschaft erlangten, durften fortan eine Steuer erheben, die von den staatlichen Finanzbehörden gegen ein Entgelt eingezogen und direkt vom Lohn der Beschäftigten einbehalten wurde. Damit war eine Form der Kirchensteuererhebung etabliert, die in Zeiten boomender Wirtschaft einen beachtlichen und kontinuierlichen Geldstrom garantierten. Natürlich hätten auch andere Formen der Kirchenfinanzierung Geld in die Kassen gespült, so zum Beispiel ein direkt vom Gläubigen zu zahlendes Kirchgeld oder ein Kollektensystem. Aber schon die zeitgenössische Diskussion verwies deutlich auf die quantitativen Unterschiede: Mit dem automatischen Einzug der Abgaben konnten regelmäßige und deutlich höhere Einnahmen erwartet werden. Die Entscheidung für die staatlich organisierte Kirchensteuer führte nicht nur zu mehr Geld, sondern hatte durchaus auch Konsequenzen für das zugrunde liegende kirchliche und theologische Selbstverständnis: In einem System, in dem Gemeinden Zuwendungen direkt von den Gläubigen erhalten, sind diese stärker in die Verwaltung ihres Geldes eingebunden. Zudem machen sich auch Marktmechanismen bemerkbar: Ist der Gläubige zufrieden, steigen die Einnahmen. Der unmittelbare Beitrag zur Finanzierung des Gemeindelebens kann, wenn er bewusst als Abgabe an die Kirche gegeben wird, die Bindung an diese sogar stärken. Das staats- und verwaltungsnahe System der Kirchensteuererhebung hatte diesen Effekt nicht: Der Einzelne entschied sich nicht bewusst für die Unterstützung der Religionsgemeinschaft, der er angehörte. Die Steuer wurde automatisch erhoben, solange er sich nicht bewusst zum Austritt aus der Kirche entschied. Auf diese Weise wurden mit dem gewählten Verfahren die volkskirchlichen Strukturen bürokratisch-staatlich unterstützt und in vielen Fällen praktisch und in finanzieller Hinsicht konserviert. Aus Sicht der Zeitgenossen und vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung mit dem Nationalsozialismus war die Regelung noch in anderer Hinsicht bedenklich: Sollte man den Einzug der Kirchensteuer wirklich dem Staat überlassen und sich so in große Abhängigkeit begeben? Sollte die Kirche ihre finanziellen Angelegenheiten nicht selbst regeln und

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sich vor der Gefahr hüten, dass staatliche Stellen ihr »nach der Gurgel [greifen]«, um sie gefügig zu machen?110 Grundsätzlich stellte sich auch die Frage, ob die Gemeinden selbst und nicht eine Mittelinstanz, wie etwa ein Konsistorium, die Kirchensteuer erhalten sollten. Das hätte insbesondere dem Kirchenverständnis der Bruderräte entsprochen, in dem den Gemeinden die zentrale Stellung zukam. Letztlich aber setzte sich eine zentrale Organisationsform durch, so dass die Landeskirchen beziehungsweise Bistümer zunächst über das Geld verfügten und die Mittel ihrerseits weitergaben. Begründet wurde diese Entscheidung vor allem mit pragmatischen Argumenten. Auf diese Weise ließ sich der Aufwand einer separaten Erhebung und Einziehung der Steuer durch die Kirchen reduzieren. Damit entstand aber zweifelsohne ein Machtgefälle zwischen zentraler Verwaltung und lokalen Gemeinden.111 Die anfangs getroffenen Regelungen wurden in der Folgezeit zwar verschiedentlich angepasst, blieben aber in ihrer Substanz weitgehend erhalten.112 Selbst bei der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wurde das ostdeutsche Modell des direkten Kirchgeldes zugunsten der westdeutschen Regelung abgeschafft, obwohl man, wie Kritiker bemängeln, in den fünf Ländern der ehemaligen DDR kaum von volkskirchlichen Strukturen sprechen kann und deswegen gute Gründe für eine alternative Finanzierung hätte anführen können.113 Insbesondere der Wirtschaftsboom wie auch die einsetzende Inflation bescherten den Kirchen seit Beginn der 1960er Jahre und bis zur Mitte des Folgejahrzehnts ein »dagobertinisches Zeitalter«, so der Kirchenhistoriker und Zeitzeuge Wolf-Dieter Hauschild in Anspielung auf die in Geld schwimmende Milliardärsente aus der Comicwelt Entenhausens.114 Der Bau von Kirchen boomte insbesondere in den unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnten. »Alle vierzehn Tag eine neue Kirche«, so die stolze Bilanz von Kardinal Joseph Frings am Silvesterabend 1959.115 In seinem Erzbistum Köln wurden rund 40 Prozent des Haushalts, in der Erzdiözese München-Freising sogar 67 Prozent für den Wiederaufbau oder Neubau von Kirchen genutzt.116 Später wurde das Geld dazu verwandt, in hoher Zahl Personal einzustellen. Mit Gemeinde- und Sonderpfarrdiensten wie auch speziellen Einrichtungen auf der mittleren Ebene versuchte man auf die Gruppen zu reagieren, die als neue Ziele der Seelsorge ausgemacht wurden.117 »Viele innovatorische Aktivitäten wurden deswegen provoziert und institutionalisiert, weil viel Geld vorhanden war, das irgendwie sinnvoll eingesetzt werden sollte«, stellt WolfDieter Hauschild rückblickend fest.118 Beide Entwicklungen erlaubten den Kirchen, ein breites Netz von Aktivitäten zu entfalten und stark in die Gesellschaft hineinzuwirken. In zweierlei Hinsicht aber wurden die üppigen finanziellen Möglichkeiten auch zur Belastung: In beiden Kirchen thematisierten kritische Stimmen immer wieder das Problem, ob der Reichtum zu vereinbaren sei mit dem Auftrag des Evangeliums.119 Auch von außen wurde das System wiederholt in Frage gestellt.120 Ganz handfest entwickelte sich der Reichtum, wie er seit Beginn der 1960er bis in die 1980er Jahre vorhanden war, durch die schrumpfenden Haushalte in den 1990er Jahren schnell zur Achillessehne. Seitdem sei die »Finanzkrise«, so beobachtet Hauschild für die evangelische Kirche, »zum meisterörterten Thema evangelisch-institutioneller Existenz« geworden.121 Am

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Beispiel der Diözesen Köln, München-Freising und Limburg ist im katholischen Bereich zu sehen, dass seit Mitte der 1970er Jahre Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinanderklafften. Zunächst war das zu erklären mit der bundesweiten Rezession in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wie auch der Absenkung des Kirchensteuersatzes von 10 auf 9 Prozent. In den Folgejahren vervielfachten sich dann aber Personal- und Sachkosten, so dass die Einnahmen aus der Kirchensteuer die laufenden Kosten nicht mehr deckten. Konnten zunächst noch Staatsdotationen, Spenden und Zinseinnahmen den Mangel decken, ist die Unterfinanzierung ab dem Jahr 2000 als ein strukturelles Problem deutlich ins Bewusstsein der Kirchenleitung gerückt.122 Insgesamt gesehen wurde die Bundesrepublik sicher kein klerikaler Staat. Dennoch blieben eine Reihe von Spannungen und Problemen. Die Neuerungen, die trotz des weitreichenden Rückgriffs auf die Artikel der Weimarer Verfassung zu verzeichnen waren, arbeitete 1951 der evangelische Staats- und Kirchenrechtler Rudolf Smend heraus: »Unwiderruflich und unübersehbar« sei das Verhältnis von Staat und Kirche vor dem Hintergrund der Erfahrung des Nationalsozialismus in eine neue Phase getreten. Aus kirchlicher Sicht habe man sich auf die Eigenständigkeit zurückbesonnen und aus der Verflechtung vom Staat gelöst. Der Staat hingegen habe es versäumt, seine Position gegenüber den Kirchen stärker herauszustellen. In der »notgedrungenen Kompromissformel des Bonner Grundgesetzes« habe der Gesetzgeber geglaubt, darüber hinweggehen zu können.123 So seien kirchliche Freiheitsrechte gewährt worden, ohne aber, so Smend, ihre »gleichzeitige grundsätzliche Begrenzung durch die staatliche Souveränität« zu definieren. Die Zuerkennung des Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts und damit des Öffentlichkeitsanspruchs der Kirchen sei allein positivistisch und formal erfolgt. »Nur eine inhaltliche Wesensbestimmung des Staates, die damit zugleich seine gerade der Kirche gegenüber selbstverständlich vorausgesetzte Selbstbegrenzung enthielte, kann der alten wie der heutigen grundsätzlichen Rechtslage der Kirche gegenüber dem Staat ihren rechtlichen Raum und ihre gesunde Grenze geben.«124 Die von ihm geforderte Diskussion zum Artikel 140 des Grundgesetzes blieb aus. Laut Smend wäre das ein wichtiger Anstoß für die »Wiedergewinnung einer kritisch gereinigten und darum zu verantwortenden, brauchbaren grundsätzlichen Erörterungsgrundlage für alle Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche« gewesen. So musste sich in der Praxis ein neues und praktikables Verhältnis von Zuordnung und Abgrenzung zwischen Staat und Kirche entwickeln. Die junge Bundesrepublik hatte sich eine institutionelle Ordnung gegeben, welche die Kirchen deutlich in wichtige Gesellschaftsbereiche einband. »Beide Großkirchen [waren] mit ihrer noch hohen Kirchlichkeit angesehene und einflussreiche Institutionen mit verantwortlicher Präsenz in allen Lebensbereichen der Gesellschaft.«125 In der politischen Kultur der fünfziger Jahre blieben die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen meist spannungsfrei. Allenfalls am Rande wurde diese Konstellation von einzelnen Personen oder kleineren Gruppen problematisiert. In der Regel aber galt diese Zuordnung als angemessen und richtig. Bis heute ist die Bundesrepublik ein »religionsfreundlicher Staat« und demonstriert diese Haltung nach wie vor durch die besondere Stellung, die sie den zwei christlichen

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Großkirchen zubilligt.126 Mit zunehmender politischer wie auch religiöser Pluralisierung aber sieht sich dieses Arrangement in Frage gestellt: Wie kann der Staat unter pluralisierten Bedingungen sowohl die Freiheit wie auch die Gleichbehandlung der verschiedenen religiösen Gruppen garantieren?127 Heute sind die Muslime die drittgrößte Religionsgruppe in Deutschland. Im Jahr 2000 lebten circa 3,5 Millionen islamische Gläubige in Deutschland, nur 10 Prozent von ihnen verfügten über die deutsche Staatsbürgerschaft. Für diese große Gruppe bietet das System der »hinkenden Trennung« von Kirche und Staat keinen Zugang: Der Status einer öffentlichen Körperschaft ist ihr verwehrt, da es den Muslimen in Deutschland an einer zentralen Organisation mangelt, die der Gesetzgeber als Voraussetzung formuliert hat. In der islamischen Religion selbst kollidiert der starke Gottesbezug der Rechtstradition mit der in der Bundesrepublik eingeübten Trennung von Religion und Recht, Kirche und Staat.128

Entkonfessionalisierung und Pluralisierung. Christen in Gesellschaft, Politik und Parteien. Zwischen dem Ende des Nationalsozialismus und der Etablierung einer demokratischen Praxis lag eine Phase der »Gärung«, in der obrigkeitsstaatliche und autoritäre Traditionen überwunden und eine demokratische Praxis eingeübt werden mussten.129 Die formalen Institutionen der Demokratie gaben die Alliierten vor: Pressefreiheit, die Zulassung von Parteien und vor allem den schrittweisen Aufbau einer deutschen Selbstverwaltung, ausgehend von der lokalen Ebene über die föderalen Strukturen bis hin zum Bund. Diese Setzungen mussten erst noch mit Leben gefüllt werden. Dieser Prozess war durchaus mit Schwierigkeiten verbunden: Zunächst galt es, eine weit verbreite politische Apathie und Passivität zu überwinden. Zudem waren die Formen der parlamentarischen Demokratie keinesfalls allgemein akzeptiert. Insbesondere die von amerikanischen Sozialwissenschaftlern betriebenen Studien zur »Civic Culture« in Deutschland legten eine Diskrepanz zwischen der formalen Beteiligung an demokratischen Ritualen, wie den Wahlen beispielsweise, und einer starken inneren Ablehnung der Demokratie insgesamt offen.130 Noch 1960 erklärten 82 Prozent der Protestanten wie auch der Katholiken in einer der großen religionssoziologischen Umfragen, dass sie nicht bereit seien, in eine Partei einzutreten.131 Dieses Ergebnis zeigt, dass für große Teile der Bevölkerung der Staat als Gesamtensemble immer noch oberhalb der Parteien stand, während die Parteien als Gegensatz zum Ideal einer prinzipiell konfliktlosen Gesellschaft angesehen wurden.132 Parteien seien aber, so bekundete der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann, keine »Weltanschauungsgemeinschaften«, sondern »Vehikel zur Umsetzung politischer Ziele«. Er warb immer wieder für eine pragmatische, aber partizipierende Haltung gegenüber der Demokratie. »Die Obrigkeit ist nicht mehr unser Herr, sondern soll unser Diener sein. Wir sind alle mitverantwortlich für ihre Art und ihre Entscheidung«, betonte der Gründer der Gesamtdeutschen Volkspartei Heinemann.133 Die Kanzlerschaft Adenauers zeigt die inhärente Spannung des Demokratisierungsprojektes: Der rheinische Katholik prägte einen »semiautoritären« Regierungsstil.134

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Mit seiner persönlichen Autorität und seinem Verhandlungsgeschick vereinigte er zahlreiche Kompetenzen im Amt des Bundeskanzlers und schmälerte auf diese Weise andere Verfassungsinstanzen in ihrer Bedeutung.135 Dennoch hatte dieser Regierungsstil unbeabsichtigt eine wichtige Wirkung: Mit dem Kanzler Adenauer sahen sich diejenigen zufrieden gestellt, die weiterhin für einen starken Mann an der Spitze plädierten. Schon bald galt Adenauer bei seinen Kritikern wie bei seinen Befürwortern als »bürgerlicher Ersatzkaiser«.136 Gerade denjenigen, die der Staatsform der Bundesrepublik skeptisch gegenüberstanden, bestätigte die Regierung Adenauer, dass auch unter demokratischen Verhältnissen eine ergebnisorientierte und stringente Politik möglich war. Zudem wurde in zahlreichen Punkten dezidiert wertkonservativer Haltung Rechnung getragen. Der Schutz der Familie, die starke Einbindung der Kirchen in das Erziehungswesen – sollte sich vielleicht doch die Demokratie als eine Staatsform erweisen, die eine Verwirklichung christlicher Gesellschaftsvorstellungen ermöglichte? Ein solcher Gedanke konnte eben auch als geistiger Anstoß dienen, um die neue Staatsform in bisher demokratiefernen Gruppen akzeptabel zu machen und damit zur Modernisierung unter konservativen Auspizien beizutragen. Mit Blick auf die Konfessionen galt der knorrige Rheinländer den Katholiken als einer der ihren, die Protestanten konnten auf seine »entschieden ökumenisch gesinnte und gänzlich ›unklerikale‹« Politik verweisen.137 Aber es galt nicht nur, von Religiosität bestimmte Vorbehalte gegen die Demokratie als Staatsform zu überwinden. Weiterhin prägte auch die Konkurrenz zwischen den christlichen Kirchen die politische Kultur der Bundesrepublik nachhaltig. Die Konfessionszugehörigkeit war eine Größe, der sich weder die Politik noch die Alltagskultur entziehen konnte. Zu dieser Zeit stand der sogenannte Ochsenfurter Zwischenfall symbolhaft für diese Spannungslinie: Als am 28. Juni 1953 im unterfränkischen Ochsenfurt die größte Zuckerfabrik des Landes eingeweiht werden sollte, kam es zum Eklat. Zunächst hatten Katholiken und Protestanten getrennt voneinander Gottesdienst abgehalten. Danach sollten der katholische Bischof Julius Döpfner und der evangelische Kreisdekan Wilhelm Schwinn die Fabrik gemeinsam einweihen. Die Koordinatoren des Programms hatten die Brisanz der geplanten gemeinsamen Weihehandlung vorab übersehen, jedenfalls hatten sie die Situation nicht entschärft. Der Bischof erklärte vor Ort, dass er keinen Weiheakt vornehmen könne, wenn der evangelische Geistliche im Talar anwesend sei und ebenfalls die Fabrik weihen wolle. Der Dekan sagte daraufhin seine Teilnahme entrüstet ab. Vor den Festgästen ließ sich der Zwischenfall nicht verschleiern, war doch die Segnung durch den evangelischen Geistlichen im Programm angekündigt. Die Gnostädter Reitereskorte, die den evangelischen Dekan begleiten sollte, konnte nur mit Mühe von einem Tumult abgehalten werden, der Einzug des Bischofs wurde von lauten Unmutsbekundungen begleitet, ein anwesender evangelischer CDU-Bundestagsabgeordneter kündigte lauthals Konsequenzen an.138 Der Ochsenfurter Zwischenfall war nicht nur Provinzposse, in der sich der Dünkel geistlicher Würdenträger austobte. Allein schon die Resonanz, die dieser Zwischenfall in der Presse fand, zeugte davon, dass mit diesem Konflikt eine tiefer liegende Spannungslinie berührt war, die weit in die politische Kultur der Bundesrepublik hineinreichte.139

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Wie stark diese Spannungslinie in Politik und Verwaltung verankert war, zeigt eine Auseinandersetzung Mitte der fünfziger Jahre, in der die regionale Ebene deutlich überschritten wurde. 1955 geißelte der später zum Doyen der Verwaltungswissenschaften avancierende Politikwissenschaftler Thomas Ellwein in einer »Streitschrift« den »Klerikalismus in der deutschen Politik«. Ausgangspunkt war ein katholischevangelischer Disput um die Besetzung von Führungspositionen im Bundesverteidigungsministerium. Wurden tatsächlich, wie der Hannoversche Landesbischof Hanns Lilje am 9. Oktober 1955 öffentlich beklagte, katholische Mitarbeiter in der Beförderung systematisch bevorzugt? Das Verteidigungsministerium veröffentlichte daraufhin eine Aufstellung über den Konfessionsproporz im eigenen Haus. Konnte oder durfte die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, so monierte nun eine liberale Öffentlichkeit, überhaupt der Maßstab für die Besetzung von hohen Beamtenposten sein?140 War es selbst zehn Jahre nach Kriegsende nicht gelungen, wie Ellwein 1955 generalisierend monierte, »richtungsweisende, für alle gültige Vorstellungen für das ›Miteinander‹ der Weltanschauungen zu entwickeln«?141 Die Auseinandersetzung um die Besetzung hoher Beamtenposten hatte mit der Intervention Ellweins und der anschließenden öffentlichen Diskussion einen Höhepunkt erreicht. In vielen weiteren politischen und gesellschaftlichen Bereichen war der konfessionelle Faktor spürbar. Die Diskussion darum, wie die Schulen angemessen zu organisieren seien, konzentrierte sich lange Zeit vor allem auf die Frage nach der Einrichtung von Bekenntnisschulen für die beiden Konfessionen. Die Debatte um die Gründung der Bundeswehr und die damit einhergehende Wiederbewaffnung der Republik war ebenso hochgradig mit religiösen Argumenten aufgeladen wie die Frage nach der militärischen Nutzung von Atomenergie. Selbst die Deutschlandpolitik wurde stark unter konfessionellen Gesichtspunkten diskutiert: Für eine rasche Wiedervereinigung und damit auch für mögliche Konzessionen gegenüber der DDR beziehungsweise der Sowjetunion setzten sich verschiedene protestantische Gruppierungen ein. Die Westbindungspolitik des Kanzlers begleitete hingegen fortwährend der Verdacht, dem Katholiken Adenauer sei am Schicksal der protestantischen Brüder und Schwestern im Osten schon aus konfessionellen Gründen weniger gelegen. Auch über die Deutschlandpolitik hinaus war das politische Feld stark von religiösen und insbesondere konfessionellen Spannungslinien durchzogen. Von liberaler, sozialdemokratischer wie auch von protestantischer Seite wurde wiederholt ein vermeintlicher Machtgewinn der Katholiken beklagt. Schon 1950 hatte Kurt Schumacher von der katholischen Kirche als »fünfter Besatzungsmacht« in der Bundesrepublik wie auch von Europa als einem Staatenbund gesprochen, welcher »konservativ, klerikal, kapitalistisch, kartellistisch« sei.142 Der Liberale Thomas Dehler sekundierte ihm mit der Bemerkung vom »vatikanischen Europa«; und in einer Denkschrift für die EKD-Spitze warnte der evangelische Theologe und Kirchenfunktionär Heinrich Bornkamm vor dem Vormarsch des Katholizismus in Deutschland wie auch international, der gleich in vierfacher Hinsicht stattfinde: territorial, politisch, geistig und biologisch. Auch die CDU stehe, so bemerkte Bornkamm, »unter sichtbarer oder stiller katholischer Führung« und

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gelte vielen Katholiken in ihr als »die zeitgemäße Fortsetzung des früheren Zentrums«. Die 1952 gegründete Gesamtdeutsche Volkspartei um den früheren Innenminister Gustav Heinemann basierte wesentlich auf »gesamtdeutsch-protestantischen Ressentiments« gegen die katholische Bundesrepublik.143 Politik und Gesellschaft der 1950er Jahre waren stark von religiösen Motiven und insbesondere der Grundspannung zwischen den Konfessionen geprägt. In den 1960er Jahren lässt sich eine solche Wirkung des konfessionellen Faktors nicht mehr beobachten. Dadurch heben sich die nachfolgenden Jahrzehnte deutlich von der Frühphase der Bundesrepublik ab. Verschiedene Faktoren und Lernprozesse sind für diese Veränderung verantwortlich: Auf der Ebene der Lebenswelten und der Alltagskultur verloren die mentalen und emotionalen Schranken zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen Konfessionen spürbar an Bedeutung. Ein wichtiger Indikator dafür ist die Zunahme der sogenannten »Mischehen«. Heirateten ein katholischer und ein evangelischer Partner, galt dieses als verwerflich. Die Ablehnung drückte sich schon in der Bezeichnung »Mischehe« aus. Erst seit Mitte der 1970er Jahre bürgerte sich die weniger diskriminierende Bezeichnung »konfessionsverschiedene Ehe« ein. Den Bischöfen bereitete die »Mischehenquote« vor allem in den 1950er Jahren besondere Sorgen, galt ihre Vermeidung doch als Ausweis des eigenen pastoralen Erfolgs. Auch das protestantische Kirchliche Jahrbuch für 1953 wies warnend darauf hin, dass jede vierte Ehe gemischtkonfessionell geschlossen wurde.144 Die »Mischehe« war nur ein Zeichen für den Wandel, der in der zeitgenössischen Wahrnehmung nicht breit thematisiert, am Rande aber durchaus erkannt wurde. Immer weniger Christen akzeptierten die Mahnungen ihrer Kirchenoberen, nach Möglichkeit nur Ehepartner aus der eigenen Konfession zu wählen. Schon im Jahr 1951 hatten die Standesämter 171.000 Eheschließungen zwischen zwei katholischen Partnern und 109.000 Ehen zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Konfession registriert. Nach Berechnungen der Seelsorgeämter lag damit die Quote der gemischt konfessionellen Ehen bei 64 Prozent. Dieser Anteil stabilisierte sich im ersten Drittel der 1950er Jahre, stieg dann aber seit 1958 und seit 1962 sogar sprunghaft an. 1965 lag die Quote der Ehen gemischter Konfessionen bei 79,6 Prozent und 1970 bei 88,5 Prozent. Die Zahlen dokumentieren eindrücklich, wie im Alltagsleben das Bewusstsein für Konfessionsgrenzen zunehmend schwand. Auch Umfragewerte stützen diese Interpretation. So sprachen sich im Jahr 1960 bei einer Befragung 42 Prozent der Protestanten und 56 Prozent der Katholiken dafür aus, dass sich ihre Konfessionen zu »einer einzigen christlichen Kirche« zusammenschließen sollten.145 Angesichts dieser Ergebnisse konnte von einem ausgeprägten Konfessionsbewusstsein kaum noch die Rede sein. In politischen Fragen orientierten sich Meinungsbildung und Mehrheitsfindung immer weniger am Paradigma des christlichen Glaubens oder gar der jeweiligen Konfession. Sucht man nach den Gründen für diese Entwicklung, dann liegen einige Erklärungen auf der Hand. Die mit den Kirchen verbundenen Sozialmilieus schmolzen zunehmend ab. Die Bindung zwischen Hierarchie und Laien lockerte sich. Die inner-

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halb der religiösen Gemeinschaften vertretenen politischen Positionen näherten sich dem Spektrum der politischen Überzeugungen in der Gesellschaft allgemein an. Dabei waren es nicht nur anonyme Modernisierungsprozesse, die diesen Wandel bewirkten. Insbesondere auf der Ebene der Parteien lassen sich einige der aktiv betriebenen Entwicklungen beobachten, die die Entkonfessionalisierung und Pluralisierung bewirkten. Blickt man auf die in der Bundesrepublik vertretenen Parteien, dann stechen als erstes die Christlich Demokratische Union (CDU) sowie als bayerische Regionalpartei die Christlich-Soziale Union (CSU) hervor. Mit der CDU entstand eine der erfolgreichsten Parteien im Europa der Nachkriegszeit. Wie nur wenige andere politische Zusammenschlüsse konnten diese christlich-konservativen Parteien nahezu vier Jahrzehnte lang in Deutschland die meisten Wähler hinter sich vereinen und als Fraktionsgemeinschaft im deutschen Bundestag die Politik wesentlich mitbestimmen. Schon allein deswegen spielte die CDU in der überwiegend christlich getauften Bevölkerung auch für das religiöse Feld eine besondere Rolle. Aber die Verbindung von CDU und christlichen Kirchen beschränkt sich nicht auf die statistische Überschneidung von Wählerstimmen und einer Bevölkerung, die weitgehend christlich getauft war. Schon dem Namen und dem Anspruch nach fungierte sie als christliche Sammlungsbewegung. Im Laufe der 1950er Jahre entwickelte sich die CDU zu einer Partei, die für Wähler beider Konfessionen nicht nur respektabel, sondern in hohem Masse attraktiv war. Für die Mehrheit des Katholizismus wie auch für große Teile des Protestantismus hatte sie sich zur fast selbstverständlichen politischen Heimat entwickelt. Diese Akzeptanz von Wählern beider Konfessionen erreicht zu haben, war nicht selbstverständlich. Der Erfolg der CDU in der Frühphase der Bundesrepublik basierte vor allem auf ihrer Fähigkeit, die bürgerlich-protestantischen Wähler an sich zu binden und zugleich die katholische Ausgangsbasis beizubehalten. Sie erreichte dieses mit einer Politik, die weder spezifisch konfessionell ausgerichtet noch besonders christlich war. Ihre praktisch-pragmatische Politik hatte in vielen Fällen schon in den 1950er und 1960er Jahren mit der Haltung der Kirchen nur wenig oder gar nichts gemein. Dennoch integrierte sie mit Kompromissformeln wie der von der »christlichen Weltanschauung« Angehörige beider Konfessionen und band sie in das politische Feld ein. Damit wirkte sie aktiv daran mit, Katholiken und Protestanten in die Bundesrepublik und ihr politisches System zu integrieren und dabei die Bikonfessionalität als eine Grundspannung in der deutschen Geschichte zu überwinden.146 In späteren Jahrzehnten emanzipierte sich die CDU immer weiter von den schrumpfenden Religionsgemeinschaften, ohne aber den Anspruch aufzugeben, eine christliche Partei zu sein. Bis in die 1980er Jahre spielten die verschiedenen christdemokratischen Führungspersönlichkeiten in Grundsatzfragen erfolgreich auf der Klaviatur der Religiosität. Heute sind diese Debatten abgelöst durch Diskussionen um eine mögliche deutsche »Leitkultur«, bei denen der religiöse Faktor nur noch am Rande aufscheint. Dass die CDU die Integration wie auch den Ausgleich zwischen den beiden Konfessionen schaffte, war nicht selbstverständlich: Zunächst musste Adenauer aktiv

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gegen ein Wiedererstarken der Zentrumspartei arbeiten, die sich als traditionelle politische Vertretung der Katholiken zu einer ernsthaften Konkurrenz für die CDU zu entwickeln drohte.147 Auch die Unterstützung der katholischen Bischöfe war nicht von vornherein selbstverständlich, doch stellte die Fürsprache einzelner katholischer Würdenträger, etwa des Münsteraner Kardinals Clemens August Graf von Galen, einen wichtigen Trumpf in der Auseinandersetzung dar. Letztlich spielte auch das Wiedererstarken der katholischen Verbände der CDU in die Hände, entwickelten sich doch einige der katholischen Laienorganisationen zu regelrechten Vorfeldorganisationen der Partei.148 Nach langem internen Ringen fiel dann die Entscheidung recht eindeutig aus: Nicht nur die CDU wandte sich in ihrer Wahlwerbung offensiv an die katholischen Wähler. Zugleich unterstützte die Mehrzahl der Bischöfe und ihre jeweiligen Diözesen in den Bundestagswahlen 1949 und 1953 die Union massiv nicht nur durch mehr oder minder offene Wahlaufrufe zugunsten der CDU, sondern auch dadurch, dass die kirchliche Infrastruktur in den Dienst der CDU gestellt wurde. Allein im Bistum Köln beispielsweise hatte das Diözesankomitee 46 Großkundgebungen in verschiedenen Städten organisiert sowie 13.390 Rede- und Predigtskizzen, 966 Briefe, 1.694 und 650.000 Flugblätter in die 63 Dekanate der Erzdiözese verschickt.149 Bei der nächsten Bundestagswahl 1953 stellte das Zentrum keine ernstzunehmende Konkurrenz mehr dar. Es war zur Splitterpartei weniger katholischer Regionen herabgesunken. Das Bündnis zwischen Katholiken und CDU war dadurch nicht mehr zu übersehen. Für die anstehenden Bundestagswahlen konnte sich Adenauer auf die Unterstützung der katholischen Hierarchie und des Großteiles der katholischen Vereine und Verbände verlassen. Die katholischen Bischöfe hatten sich bereits 1949 nahezu geschlossen hinter die Unionsparteien gestellt und die Katholiken gemahnt, bei der Bundestagswahl 1949 für »christlich gesinnte Abgeordnete« zu stimmen.150 Ganz in diesem Sinne veröffentlichte Anfang September 1953 mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken das höchste Laiengremium sein »Wort zu den Bundestagswahlen« und mahnte nicht nur an, die Wahlpflicht einzuhalten, sondern auch »richtig« zu wählen: »Wählt so, daß eure Stimme sicher die christlichen Kräfte stärkt.«151 Dieses enge Bündnis währte wenigstens bis zum Ende der Ära Adenauer, partiell auch noch darüber hinaus. Die Bischöfe erhofften mit ihrem Einsatz für die CDU nicht nur die im Vergleich zum Zentrum politisch erfolgreichere Partei zu unterstützen. Der weltanschauliche Gleichklang und zahlreiche personelle Verflechtungen versprachen mehr. Es schwang das Kalkül mit, über die Christdemokraten starken Einfluss auf Politik und Gesellschaft nehmen zu können. Dass diese Hoffnung trog, beziehungsweise sich nie in dem erhofften Ausmaß erfüllte, zeigte sich in verschiedenerlei Hinsicht: Schon die Koalition mit der FDP bei der Kabinettsbildung nach der Wahl 1949 irritierte beispielsweise einen der wichtigsten politischen Köpfe des Katholizismus und die rechte Hand des Kölner Kardinal Frings, den Prälaten Böhler, massiv: Lief man hier nicht Gefahr, so fragte Böhler in einem Brief an die Bischöfe, in großen Teilen der Arbeiterschaft Misstrauen

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gegen die neue Regierung zu wecken? Konnte unter diesen Vorzeichen die katholische Soziallehre, von der einzelne Formulierungen wörtlich ins Parteiprogramm der Christdemokraten aufgenommen worden waren, tatsächlich verwirklicht werden? Er riet dazu, dass Vertreter der katholischen Sozialverbände in dieser Situation gezielt katholische Abgeordnete kontaktieren sollten, um »die jetzt anstehenden Aufgaben anhand der katholischen Soziallehre durchzusprechen«.152 Das Feld, auf dem Adenauer die hochgesteckten konfessionellen Ambitionen der katholischen Kirche und ihres Milieus nachhaltig dämpfte, war das der Schulpolitik. In diesem Bereich hatte sich das Zentrum während der Weimarer Republik besonders stark engagiert. Dort sollte sich auch nach dem Krieg wieder die katholische Prägung der neuen Republik deutlich zeigen, so die geeinte Überzeugung von Episkopat und vielen katholischen Verbandsführungen. Virulent geworden war dieser Punkt vor Verabschiedung des Grundgesetzes: Zwar hatte der Parlamentarische Rat durch die Übernahme der Weimarer Kirchenartikel den Religionsunterricht wie auch das Privatschulwesen garantiert, das Elternrecht aber, also die Option, dass Schüler auf Wunsch ihrer Eltern eine konfessionell gebundene Bekenntnisschule besuchen konnten, war nicht festgeschrieben worden. Mit dem Kampf für den Erhalt des katholischen Schulwesens stritt die Kirchenführung um ein »Bollwerk« des katholischen Milieus153: Nachdem die Erhaltung katholischer Schulen bereits in der NS-Diktatur zum Gegenstand von Auseinandersetzungen geworden war, erschien es nun unmöglich, diese Position in der Bundesrepublik aufzugeben. Noch 1963 erklärte der besonders exponierte Katholik und CDU-Familienminister Franz-Josef Würmeling, dass jede Einschränkung der Garantie von Bekenntnisschulen dazu führe, »das Gewissen der Eltern durch Einführung der simultanen Zwangseinheitsschule zu vergewaltigen.«154 Letztlich verband sich hinter diesem starken Engagement der Versuch, die voranschreitende Auflösung der konfessionellen Lebenswelt wenigstens institutionell abzufedern. Als sich bei den Beratungen des Grundgesetzes andeutete, dass das Elternrecht nicht verbrieft werden würde, mobilisierten katholische Gläubige im Januar 1949 für diese so essentielle Angelegenheit. Im Parlamentarischen Rat aber war dieser Punkt bereits einem Kompromiss geopfert worden: »Während die Katholiken in Versammlungen, Eingaben etc. das Elternrecht forderten, während am 30. Januar 1949 die Organisationen und Verbände in Köln zu einer Kundgebung zusammenkamen, hatten die Christlichen Demokraten ohne jede Rücksprache mit kirchlichen Stellen diese Position bereits aufgegeben.«155 Sollte der Episkopat nun, so die kompromisslose Forderung von Vertretern wie Bischof Keller, die katholischen Abgeordneten auffordern, gegen das Grundgesetz zu stimmen? Gezielt intervenierte Adenauer nun bei Frings, Böhler und anderen, beschwor diese, sich nicht zu verweigern, und setzte sich damit letztlich durch: Die Bischofskonferenz kritisierte zwar in einer Stellungnahme, dass »für den Aufbau eines gesunden staatlichen Lebens unentbehrliche Grundsätze außer Acht gelassen werden«, beließ es aber bei dieser allgemeinen Formulierung.156 An diesem Punkt hatten die katholischen Würdenträger zum ersten Mal spürbar erfahren müssen, wie entscheidend sich die Verhältnisse geändert hatten: Die CDU war kein »politischer Ausschuss« des Katholizis-

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mus, wie es zu Weimarer Zeiten das Zentrum gewesen war. Die große Volkspartei hatte auf verschiedene Interessen und Parteiflügel Rücksicht zu nehmen. Das dämpfte die katholischen Einflussmöglichkeiten ganz erheblich. Damit war die Schuldebatte aber keineswegs ausgestanden. Diese Auseinandersetzung durchzog die gesamten 1950er Jahre. Die schulpolitischen Konfessionsdebatten gingen vor allem zu Lasten derjenigen Gruppe, die in den Debatten selbst kaum vorkam: die der Schülerinnen und Schüler. Wegen der Festlegung auf das Prinzip der Konfessionsschule stieg insbesondere in ländlichen Regionen der Anteil von Klein- und Kleinstschulen an, in denen eine zeitgemäße pädagogische Arbeit kaum möglich war. »Insbesondere den katholischen Christdemokraten ging es nicht um die pädagogischen oder beruflichen Ansprüche der Zeit, sondern um die Verankerung der christlichen Weltanschauung. Obwohl die Bevölkerungsmehrheit anders dachte, hielten sie mit einem gewissen weltanschaulichen Dogmatismus und einer starken Vergangenheitsfixierung an dem politischen Kernanliegen des Zentrums fest. Hier zeigten sich die Grenzen der scheinbar rein pragmatischen Sammlungspartei CDU.«157 Mit der bewussten Vermeidung des Themas und einer Personalpolitik, die besonders eifrige Befürworter der Konfessionsschule ins Abseits lotste, verfolgte die Parteiführung um Adenauer einen ebenso pragmatischen wie effektiven Kurs.158 Ihr Ziel war es, einerseits die katholische Position nicht offensiv zu unterminieren und andererseits die protestantischen Wähler durch einen Übereifer der anderen Konfession nicht zu verschrecken: Im Bundestagswahlkampf sah man auf Weisung der Parteiführung davon ab, mit dem Schulargument zu mobilisieren und konnte dieses umso leichter tun, da die Bildung ja laut Verfassung Ländersache war. In der Auswahl des Personals sorgte dann die CDU-Führung dafür, dass in den Folgejahren evangelische Christdemokraten oder Mitglieder der Koalitionspartner die führenden Posten der Kultusministerien übernahmen, um auf diese Weise die spezifisch katholischen Ambitionen innerhalb der CDU weniger hervorzuheben. Ein Spezifikum katholischer Politik und das zentrale Merkmal konfessioneller Identität – die Schulfrage und das Bekenntnis zur Konfessionsschule – war auf diese Weise im Sinne der eigenen Partei zunächst aufgenommen, dann eingehegt und schließlich abgemildert worden. Durch die starke Unterstützung der katholischen Kirche ergaben sich für Adenauer und die CDU-Führung aber auch schwer zu lösende Konflikte. Um das Zentrum zu verdrängen, hatte die CDU zunächst dezidiert katholische Positionen besetzen müssen und damit das Misstrauen der protestantischen Mitglieder und Wähler geweckt. In den Jahren danach brachte die demonstrative Unterstützung durch die katholische Kirche ähnliche Probleme mit sich. Einen Höhepunkt markierte die »kölnische Kardinalspolitik« von Josef Frings. Als dieser im Herbst 1948 in die CDU eintrat, schlug das hohe Wellen. Dieser Schritt stieß nicht nur bei der Besatzungsmacht auf Befremden, sondern nährte erneut das Misstrauen der Protestanten.159 Einen ähnlichen Effekt hatten die Wahlkampagnen des Münsteraner Bischofs Michael Keller 1957 zu Gunsten der CDU. »Und doch Centrum« – so hatte man nach dem Krieg in vielen protestantischen Regionen das Kürzel CDU rückwärts gelesen und verstanden. Der darin ausgedrückte

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Verdacht begleitete die Haltung der Protestanten zur CDU bis in die 1970er Jahre hinein.160 Es war aber nicht nur die vermeintliche oder tatsächliche Übermacht der anderen Konfession in der »katholischen« Partei, die den Protestanten eine so eindeutige Präferenz wie den Katholiken verstellte. Kampagnen wie sie die katholischen Bischöfe für die CDU starteten, wurden von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nie betrieben. Die Spitzenvertretung der deutschen Protestanten hielt von Beginn an deutliche Distanz zur CDU, galt es doch die stark divergierenden politischen und kirchenpolitischen Flügel unter dem eigenen Dach zu halten. Einem lutherisch geprägten Mehrheitsprotestantismus stand ein kleinerer, aber wortgewaltiger Strang gegenüber, der besonders von den Bruderräten inspiriert war. Hinzu kam, dass auch die Landeskirchen noch verschiedene Bekenntnisse hatten. Neben den Unierten und Reformierten taten sich die Lutheraner hervor; letztere umfassten wiederum eine liberale und eine orthodoxe Richtung. Setzte die Mehrheit auf die Beibehaltung oder Wiedererrichtung volkskirchlicher Strukturen, votierte die von den Bruderräten inspirierte Minderheit auf die Idee einer vorkämpferischen Gruppenkirche, die sich vor allem von den Gemeinden her konstituierte. Für die erste Gruppe war die CDU tendenziell eine politische Heimat, während sich die zweite Richtung nach einem Zwischenspiel mit der Gesamtdeutschen Volkspartei eher an der SPD orientierte. Lediglich der bürgerlich-konservative Teil des Protestantismus, wie er sich um den 1950 zum Bundestagspräsidenten gewählten Oberkirchenrat Hermann Ehlers sammelte, bekannte sich von Beginn an uneingeschränkt zu den Christdemokraten. Die CDU begann nun, systematisch Politik zu Gunsten ihrer evangelischen Mitglieder und Wähler zu betreiben, und nutzte dafür insbesondere das Instrument des Konfessionsproporzes. Obwohl niemals festgeschrieben, galt dieser doch in der Adenauer-CDU als ungeschriebenes Gesetz: Da Direktmandate vor allem von katholischen Kandidaten errungen werden konnten, wurden die Landeslisten entsprechend mit evangelischen Bewerbern besetzt. Als festgelegt wurde, dass die Landesvorsitzenden die jeweilige Mehrheitskonfession ihres Bundeslandes repräsentieren sollten, mussten zum Beispiel in Schleswig-Holstein und dem Saarland katholische Parteiführer ihre Positionen in der Landes- oder Kreisführung räumen, um Protestanten Platz zu machen. Nicht nur auf der Ebene der höchsten Staatsämter wurde wiederholt über einen Konfessionsproporz diskutiert, bei dem einem katholischen Kanzler immer ein protestantischer Bundespräsident zur Seite stehen sollte. Auch in vielen anderen Gremien gab es ähnliche Diskussionen zu einer solchen Quotierung. Zusätzlich richtete man 1952 den Evangelischen Arbeitskreis (EAK) ein: Innerhalb der Partei kam dieser Suborganisation die Aufgabe zu, protestantischen Positionen mehr Gewicht zu verleihen. Emphatisch formulierte der christdemokratische Kultusminister von BadenWürttemberg Wilhelm Hahn in seinen Erinnerungen als Ziel dieser Initiative, dass die »Sprache der CDU so übersetzt, ja gewandelt [werde], daß sie von Eierschalen des Zentrums befreit und auch mit den Vorstellungen evangelischer Ethik vereinbar

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war.«161 In der Summe gelang es dem Arbeitskreis zwar nicht, eine dezidiert inhaltliche protestantische Position zu entwickeln. Man betrieb aber eine erfolgreiche Personalpolitik zu Gunsten der eigenen Konfession und konnte allein durch die eigene Existenz nach außen demonstrieren, dass evangelische Belange in der CDU gut aufgehoben waren.162 Ohne dass Ursachen exakt voneinander abgegrenzt werden könnten, sind für die Integration der Protestanten wie auch der Katholiken und den Rückgang konfessionellen Denkens noch andere Faktoren entscheidend. Die CDU machte ihren Mitgliedern und Wählern ein weltanschauliches Angebot, das konfessionelle Eigenheiten einebnete. Zum wichtigsten Moment der Überbrückung zwischen den Konfessionen avancierte dabei der Antikommunismus. »Warum bist Du in der CDU?«, fragte ein frühes Flugblatt der Christdemokraten und antwortete: »Wir sind in der CDU, weil wir mit offenen Augen während des Krieges den bolschewistischen Osten gesehen haben: Materialistische stumpfe Menschen, die zum Werkzeug des Bolschewismus wurden […] Hierin erblicken wir eine große Gefahr, die allein gebannt werden kann durch einen großen christdemokratischen Block aller Völker Europas.«163 Die gemeinsame Front gegen den Osten – vor allem repräsentiert durch die Sowjetunion, gelegentlich aber auch durch die Machthaber in der DDR – einte nicht nur Protestanten und Katholiken, sondern war auch für andere Bundesbürger ein gewichtiges Moment der Integration in das neue Staatswesen. Konfessionelle Gegensätze, aber auch andere Unterschiede traten hinter diese allgemein empfundene Konfrontation zurück. Die frühe Bundesrepublik und die CDU/CSU als Regierungspartei setzten dieser Bedrohung den »christlich-abendländischen Kulturkreis« entgegen. Das Schlagwort markierte in Abwehr des Kommunismus nicht nur die eigene weltanschauliche Position. Zugleich stand sie auch für den gemeinsamen Nenner zwischen Unionsparteien und Kirchen. Da er frei war von einem spezifisch konfessionellen Gehalt, vermochten sich Katholiken und Protestanten gleichermaßen dieser verbalen Formel anzuschließen.164 Adenauer selbst hatte immer wieder betont, dass er nicht Politik aus einer konfessionellen Anschauung mache, wohl aber aus dem Geist einer »christlichen Weltanschauung«. Dieser Dachbegriff und die ihm verwandten Parolen blieben deshalb aber so offen und vage, dass sich unter diesem Signum sehr verschiedene Anschauungen und Richtungen sammeln konnten. Humanismus, Demokratie, soziale Verantwortung – diese catch-all-Begriffe gewannen allein Kontur durch die Kultur des Kalten Krieges, verbanden sie sich doch mit einem vehementen Antisozialismus und noch schärferen Antikommunismus. Diese und andere »programmatische Kompromißformeln«, die Adenauer im engsten Kreis seiner Berater formte, waren für die Integration der Christen unterschiedlicher Konfessionen von großer Bedeutung. Nur selten traf dieser Kurs auf dezidierten Protest. Für Mitglieder der CDU, die aus einer christlichen Überzeugung eine spezifisch religiöse oder gar konfessionell geprägte Politik machen wollten, konnte diese Nivellierung des Anspruchs eine Zumutung sein. Das Beispiel des Gründers der Wuppertaler CDU, Otto Schmidt, der aus eben diesen Gründen mit lauter öffentlicher

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Kritik 1946 aus dem Landesverband ausschied, blieb die Ausnahme von der Regel.165 Allerdings führte diese Profillosigkeit dazu, dass mit Politikern wie Gustav Heinemann oder Theodor Steltzer Protestanten aus der CDU ausschieden, deren Arbeit dezidiert darauf zielte, Christentum in praktische Politik umzusetzen. Auf der katholischen Seite waren es Linkskatholiken wie Walter Dirks, die schon rasch erkannt hatten, dass ihr Platz nicht in der CDU war. Obwohl als Gründer des Frankfurter CDU-Kreisverbandes exponiert hervorgetreten, distanzierte Dirks sich rasch, sprach der CDU den Anspruch ab als »Partei mit dem hohen C« aufzutreten und empfahl, dieses durch ein »K« für »konservativ« zu ersetzen.166 Diese und ähnliche Stimmen aber blieben die Ausnahme. Das Gros der Christen wurde durch die CDU in das politische Feld der Bundesrepublik integriert. Die Politik der CDU gegenüber den Kirchen entschärfte also zunächst einmal die Konkurrenz zwischen den Konfessionen. In betontem Gegensatz zur oft verletzenden Schärfe der Anschuldigungen und Unterstellungen zwischen Protestanten und Katholiken in der CDU blieben solche Konflikte meist folgenlos. Adenauer und die CDU-Führung moderierten diese Streitigkeiten geschickt und ließen diese konfessionellen Profilierungsversuche faktisch ins Leere laufen.167 Während der Regierungszeit Adenauers und noch bis weit in die 1960er Jahre flammte das Misstrauen zwar immer wieder auf, der gesamtgesellschaftliche Bedeutungsverlust von Religion entschärfte die Konfliktlinie allerdings mehr und mehr. Mit dem Ende der Ära Adenauer waren Streitigkeiten um den Konfessionsproporz nicht beendet, wohl aber prägte die Frage nach dem richtigen Gesangbuch die politische Auseinandersetzung immer weniger. Stattdessen traten Auseinandersetzungen um den regionalen Proporz in den Vordergrund. Die katholische Kirchenführung wie auch die katholischen Gläubigen hatten sich in dieser Konstellation gut im politischen Feld positioniert. Um den Erfolg der CDU nicht zu gefährden, äußerte man Kritik aus katholischer Sicht vor allem intern und nicht öffentlich. In diesem Prozess schliffen sich die konfessionell-katholischen Spitzen ab und machten der Orientierung am Konsensprinzip Platz. Noch deutlicher ist die Wandlung bei Teilen des protestantischen Konservatismus zu beobachten, die in der CDU eine politische Heimat gefunden hatten: Beschwörung des ›Abendlandes‹, politische Romantik, Demokratiefeindlichkeit, Nationalismus, Parteienverachtung, das Beharren auf einem positiv verstandenen deutschen Sonderweg – all diese Eigenschaften, die essentiell für ihre Selbstdefinition waren, traten zumindest in den Hintergrund, wenn sie auch nicht ganz verschwanden. Führende Vertreter dieser Richtung verstanden sich und die Nation nun ausdrücklich als Teil der westlichen Wertegemeinschaft, die es gegen den Kommunismus zu verteidigen galt.168 Auch hier schliff sich die konfessionelle Besonderheit zu Gunsten eines allgemeinen politischen Profils ab. Die »demokratische, aber auch autoritäre Führung Adenauers und der ›christlichen‹ Union als stärkster Regierungspartei [erlaubte] einen verzögerten, milden Abschied von der Mentalität der politischen Romantik als dominierender protestantischer Sicht der politischen Dinge.«169 Im Ergebnis wurden dabei nationalprotestantische Eigenheiten ebenso nivelliert wie Grundüber-

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zeugungen und Lebensformen des katholischen Milieus. Spätestens mit dem Übergang zur Volkspartei, der Öffnung hin zu neuen Wählerschichten und der Ablösung vom System Adenauer verschwand die konfessionelle Prägung. Diese Entwicklung ging konform mit allgemeinen Trends: Der politische, vor allem aber der ökonomische Erfolg des westdeutschen Staates schliff auch in diesem Bereich Grenzen ab. Die Wahrnehmung des Einzelnen weitete sich, Identitätsbewusstsein machte sich immer weniger an der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft fest, so dass die Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit für Einstellung und Verhalten zunehmend sank. Für die politische Kultur der Bundesrepublik war das eine glückliche Entwicklung, ordneten sich auf diese Weise doch die Kirchen und die in ihnen versammelten Mitglieder in die auf Konsens angewiesene Demokratie ein. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine Verwestlichung der Bundesrepublik. Für das religiöse Feld, wie es sich in der Nachkriegszeit entwickelt hatte, war dieses Konfessionsbewusstsein konstitutiv. Insoweit die CDU diese Spannung im ebenso umfassenden wie inhaltsleeren Leitbegriff der »christlichen Weltanschauung« auflöste, trug sie wohl ganz gegen den Willen Konrad Adenauers dazu bei, die Virulenz der Religion zu mindern.170 Die Frage nach dem konfessionellen Charakter der Bundesrepublik wurde nicht mit Ja oder Nein beantwortet, sondern schlicht nicht mehr gestellt. Dass diese Spannung im Zuge der deutschen Einigung vereinzelt wieder aufflammte und diesmal von katholischer Seite danach gefragt wurde, ob Deutschland nun wieder »östlicher und protestantischer« werde, zeugt von zweierlei:171 Diese Stereotypen hatten sich in Teilen der politischen Elite stark verfestigt, aber darüber hinaus fanden sie kaum Resonanz, taugten weder zum Wahlkampfthema noch zur internen politischen Auseinandersetzung. Für das Gros der Deutschen waren und sind diese Bilder und Zerrbilder völlig irrelevant geworden. Dennoch prägt diese Frühphase der Republik die politische Kultur bis heute. Nicht nur bei der Benennung von Personen für die Spitzenämter des Staates kam die alte Diskussion um den Konfessionsproporz gelegentlich wieder zur Sprache, so im März 2012 bei der Wahl des evangelischen Pfarrers Joachim Gauck zum Bundespräsidenten. Zumindest CDU-intern wurde moniert, dass neben der protestantischen Bundeskanzlerin Angela Merkel auch das höchste Staatsamt nun an eine dezidiert evangelische Persönlichkeit vergeben worden sei. Auch die Wahlforschung zeigt, wie stark Wählerverhalten nach wie vor auch durch den Faktor Religionszugehörigkeit geprägt ist: Bei der ersten Bundestagswahl stimmten von 100 katholischen Wählern 47 für die CDU/ CSU, 29 für die SPD, 8 für die FDP und 5 für die KPD. Bei den evangelischen Wählern entfielen von 100 Stimmen 26 auf CDU/CSU, 39 auf SPD, 17 auf FDP und 8 auf die KPD. Diese Aufstellung zeigt, dass von einem größeren Teil der protestantischen Wähler ausgesprochen laizistische Parteien gewählt wurden. »Zwischen den gesellschaftspolitischen Leitbildern und parteipolitischen Präferenzen von kirchlichen Amtsträgern einerseits und den Anschauungen der breiten Masse andererseits bestand im Protestantismus bereits 1948/49 eine Diskrepanz, die deutlich stärker war als im Katholizismus.«172 Zu Anfang der 1950er Jahre bestanden auch in protestantisch-konservativen Kreisen noch starke Vorbehalte gegen die Union. Nach wie vor erschien diese als zu katholisch-sozial

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und zu rheinisch-westdeutsch, so dass sich die CDU nur in den katholischen Regionen an Rhein und Ruhr als Volkspartei etablieren konnte. Auch wenn das katholische Übergewicht die Partei bis heute prägt, gelang es ihr aber, diese Beschränkung aufzubrechen und zunehmend attraktiver für den bürgerlich-konservativen Part der Protestanten zu werden. Schon bei der zweiten Bundestagswahl am 6. September 1953 stieg der Prozentsatz der evangelischen Stimmen für die CDU auf 34 Prozent und wurde bei der dritten Wahl im Jahr 1957 noch einmal mit 41 Prozent übertroffen.173 Damit ging die Strategie der CDU-Führung zur Integration beider Konfessionsgruppen voll auf. Auch die Interkonfessionalität der CDU wurde von den Wählern kaum als Problem wahrgenommen. Bei der Bundestagswahl 1953 errang die CDU/CSU trotz der internen Konfessionsquerelen einen großen Erfolg, erhielt sie doch mit 45,2  Prozent der Stimmen 243 Sitze im Bundestag. Die Gesamtdeutsche Volkspartei aber, die sich als protestantische Alternative zur überkonfessionellen und gelegentlich als katholisch wahrgenommenen CDU anbot, verblieb hingegen mit 1,2 Prozent Wählerstimmen in der politischen Bedeutungslosigkeit, bis zu ihrer Auflösung 1957. Aus Sicht der Wähler war die Zusammenarbeit der beiden Konfessionen keinesfalls ein Manko, sondern sogar wünschenswert. Politisches Engagement von Christen in der frühen Bundesrepublik war zwar keinesfalls exklusiv auf die CDU beschränkt. Dennoch waren weder die Sozialdemokratie als zweite große Volkspartei noch eine der kleineren Parteien in ähnlicher Weise bedeutsam für das religiöse Feld. Insbesondere die Liberalen blieben für das Gros der religiösen Menschen unattraktiv. Der zunächst stark nationalistische, in wechselnder Ausprägung dann wirtschaftsliberale Kurs bot für Christen nur wenig Anknüpfungspunkte.174 Zwar gaben sich Teile der FDP betont christlich. So verwies der Bundesjustizminister Thomas Dehler auf die Verankerung der liberalen Politik im Evangelium, der nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Luchtenberg würdigte wiederholt die Bedeutung der Reformation für die Gegenwart. Dennoch waren diese und andere Äußerungen eher Zugeständnisse an den religiös geprägten Zeitgeist, ohne dass auf diese Weise Mitglieder oder Wähler gewonnen werden konnten. Natürlich gab es bereits seit Kriegsende Kontakte aus den Kirchen zur Sozialdemokratischen Partei SPD. Insbesondere von protestantischer Seite konnte man an gewachsene Beziehungen anknüpfen. Mit der politischen Denkschule des religiösen Sozialismus existierte bereits eine länger währende Verbindung, die aber personell immer ausgesprochen schmal war. Persönlichkeiten wie Heinrich Albertz, Vikar und Pfarrer der Bekennenden Kirche und seit 1948 als »Flüchtlingsminister« Mitglied in der niedersächsischen Landesregierung, versuchten nach Kriegsende den Brückenschlag zwischen Arbeiterbewegung und Protestantismus. Einen Verbündeten fand er in dem Göttinger Theologieprofessor Hans-Joachim Iwand. Dieser hatte mit dem »Darmstädter Wort« der evangelischen Kirche einen der wichtigsten Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus initiiert. Insbesondere in den Vorentwürfen zu diesem Text hatte der Theologe der Bekennenden Kirche die Verdammung des Marxismus und die Distanz zur Arbeiterbewegung als »Irrweg« gegeißelt.175 In der Bundestagsfraktion

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der SPD entwickelte sich um Adolf Arndt, Wilhelm Mellies, Hans Merten und Ludwig Metzger ein protestantischer Flügel. Als sich 1957 die Gesamtdeutsche Volkspartei auflöste, stießen größere Teile davon zur SPD, darunter Gustav Heinemann, Johannes Rau, Erhard Eppler, Friedhelm Farthmann, Jürgen Schmude wie auch – als ehemalige Vorsitzende des Zentrums – Helene Wessel. Wie auch für die Katholiken war für die Protestanten das Godesberger Programm ein wichtiger Schwenk in der Kirchenpolitik der SPD. Das bis 1989 gültige Parteiprogramm stand für den Wandel von einer sozialistischen Arbeiterpartei zu einer Volkspartei. Im Zuge der Entideologisierung veränderten die Sozialdemokraten auch ihre Haltung zu den Religionsgemeinschaften. »Die Sozialdemokratische Partei achtet die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz. Zur Zusammenarbeit mit den Kirchen im Sinne einer freien Partnerschaft ist sie stets bereit.«176 Damit war das freidenkerische Moment in der SPD in den Hintergrund getreten. Die Kirchen galten nicht länger als Sachwalter allein bürgerlicher Klasseninteressen, sondern als Partner im gesellschaftlichen Feld, auf dem sie wie die Parteien auch an der Gestaltung des Gemeinwesens mitwirkten. Auch eine Reihe von symbolischen Handlungen unterstützte diese Wendung: In den Listen von Abgeordneten und Kommissionsmitgliedern wurde fortan die Konfessionszugehörigkeit mit angegeben.177 Als schließlich Willy Brandt die Rede, in der er seine Kandidatur als Kanzlerkandidat bekannt gab, mit dem Satz »So wahr mir Gott helfe« beendete, war ihm der Beifall von Teilen des Protestantismus sicher. Seit den 1960er Jahren entwickelte sich die SPD so zu dem politischen Ansprechpartner eines wichtigen Teils des bundesdeutschen Protestantismus. Zwar hatte es auch auf katholischer Seite Kontakte zur SPD gegeben, dafür standen etwa Persönlichkeiten wie Walter Dirks, Carl Amery oder Eugen Kogon. Zusätzlich hatte auch ein Kreis um den damaligen Bundestagsabgeordneten Herbert Wehner in den frühen 1950er Jahren Gespräche mit sozialpolitischen Katholiken um den Sozialethiker Pater Eberhard Welty geführt. Doch trotz einiger Schnittmengen in der Sozialpolitik blieb die katholische Forderung nach dem Elternrecht und der Konfessionsschule ein unüberwindbares Hindernis für die Sozialdemokraten.178 Insbesondere die katholischen Eliten versuchten lange Zeit, die Distanz zur SPD aufrecht zu erhalten: Als 1956 bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen die SPD in katholischen Hochburgen enorm zulegte, aktivierte das die Gegenwehr von Bischof Keller. Auf einer Veranstaltung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung gipfelte seine Position in der Behauptung, dass ein Katholik nicht sozialdemokratisch wählen könne.179 Dass Keller seinen Zuhörern diese Überzeugung so explizit einschärfen musste, ist vor allem ein Beleg dafür, wie durchlässig das Verhältnis von SPD und Katholiken bereits geworden war. Der Bischof agierte so direkt und undiplomatisch, weil sich aus Sicht der kirchlichen Hierarchie die Haltung der Katholiken zur SPD zu sehr zu entspannen drohte. Damit ahnte er eine Entwicklung voraus, die in den 1960er Jahren breitere Formen annahm: Die Verabschiedung des Godesberger Programms markierte den Endpunkt einer gewissen »Entideologisierung« der SPD und das Zweite Vatikanum öffnete die

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katholische Doktrin auch für die politische Zusammenarbeit. De facto gab es bereits vorher verschiedene Annäherungen. Bei der Bundestagswahl 1969 erreichte die SPD insgesamt 42,7 Prozent der Stimmen und konnte bei den katholischen Wählern 33 Prozent und damit 7 Prozentpunkte mehr als zuvor für sich gewinnen.180 Auch auf der diplomatischen Bühne gab es zahlreiche Kontakte: 1964 hatte Papst Paul VI. eine SPDDelegation im Vatikan empfangen. Wie heikel ein solcher Termin war, zeigt sich daran, dass die Terminabsprache an Bundesregierung und Episkopat vorbei getroffen wurde, dass während des Treffens Fotografieverbot herrschte und die Inhalte der Unterredung als vertraulich behandelt wurden. Erst als 1967 der prominente Sozialdemokrat und Bundesminister Georg Leber in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken aufgenommen wurde, war diese Art der Geheimbeziehungen zumindest bundespolitisch überwunden. In den 1970er Jahren setzte die Führung der SPD dann auch nicht auf die aufkeimenden linkskatholischen Gruppierungen, sondern warb weiterhin um die Zustimmung des MainstreamKatholizismus.181 Das Ziel der Parteiführung, die katholische Kirche zu einer Haltung der Äquidistanz gegenüber den politischen Lagern zu bewegen, wurde allerdings nur ansatzweise erreicht. Vor dem Hintergrund einer insgesamt deutlichen Entspannung zwischen katholischer Kirche und SPD gab es auch in der Folgezeit immer wieder starke Konflikte, so zum Beispiel um die Reform des Paragrafen 218, wo die sozialdemokratische Position der Abtreibungsliberalisierung der katholischen Forderung nach dem »Schutz des ungeborenen Lebens« gegenüber stand. Schon mit Blick auf die Beziehung der Religionsgemeinschaften zu den Parteien hatten sich immer wieder Momente und Tendenzen der Diversifizierung und Pluralisierung angedeutet. Wie virulent und konfliktträchtig der Lernprozess auf dem Weg zu einer veränderten Zivilgesellschaft war, zeigt sich eindringlich an einem weiteren politischen Thema: nämlich der Wiederbewaffnung Deutschlands. Schon in den so unterschiedlich aufgeladenen zeitgenössischen Bezeichnungen für dieses Problem deutet sich an, wie konfliktträchtig diese Auseinandersetzung war: Handelte es sich um eine »Wiederbewaffung«, einen »Wehrbeitrag« oder eine »Remilitarisierung«? Zudem war die Frage nicht nur mit ethischen Überlegungen aufgeladen, sondern auch eng verbunden mit grundsätzlichen Ausrichtungen und Entscheidungen zur Deutschland- und Europapolitik. In beiden Konfessionen schlug die Diskussion daher hohe Wellen, nahm aber in der jeweiligen Glaubensgemeinschaft einen völlig anderen Verlauf. Fast idealtypisch lässt sich daran illustrieren, wie unterschiedlich politischer Katholizismus und Protestantismus im politischen Feld agierten. Im Katholizismus war die Linie klar vorgegeben durch die grundsätzlich bejahende Haltung des Episkopats. Die Bischöfe ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Linie Adenauers für eine strikte Westbindung und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik stützten. Der katholische Beitrag zur Regierungspolitik ging einige Jahre später so weit, dass sieben namhafte Moraltheologen eine rechtfertigende Stellungnahme für die atomare Rüstung verfassten. Diese Stellungnahme wurde bereits zeitgenössisch überdeutlich als Gefälligkeitsschrift angeprangert und war

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auch im Katholizismus selbst umstritten.182 So lehnten beispielsweise die französischen Bischöfe den Einsatz von Atomwaffen zeitgleich strikt ab.183 Einen Vorzug habe der »katholische Leitfaden«, so spottete der Spiegel, nämlich »klar zu sein«.184 Wie in vielen anderen Politikfragen auch, sprach der Katholizismus der 1950er Jahre weitgehend mit einer Stimme. Dies tat er nicht deshalb, weil es keine gegensätzlichen Meinungen gab, sondern weil die stark formierten und hierarchischen Strukturen so prägend waren, dass die Abweichler kaum oder gar nicht zur Geltung kamen.185 Obwohl ihr ureigenes Anliegen direkt berührt war, äußerte sich die westdeutsche Sektion der pazifistischen Pax-Christi-Bewegung 1957/58 nicht öffentlich zur Diskussion um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Zu stark noch wirkte die interne Auseinandersetzung mit den Bischöfen um die Wiederbewaffnungsfrage der frühen 1950er Jahre nach. Als öffentliche Meinungsdemonstration fand dagegen die große Friedenskundgebung der Katholiken im Rahmen des 78. Deutschen Katholikentags in Berlin statt und demonstrierte Einigkeit und Geschlossenheit. In ihrer Symbolik war sie weniger ein Zeichen gegen die Aufrüstung, sondern vielmehr eine Demonstration gegen den Kommunismus und unterstützte auf diese Weise die Politik der Bundesregierung.186 »Wir bleiben unter dem Evangelium zusammen und bemühen uns um die Überwindung dieser Gegensätze«, so lautete hingegen die als »Ohnmachtsformel« bekannt gewordene Erklärung der gesamtdeutschen Synode der evangelischen Kirche zum Problem der atomaren Rüstung.187 Bei der Zusammenkunft im Spandauer Johannisstift waren Ende April 1958 die Positionen diametral auseinandergegangen. Schon die Herstellung von Atomwaffen sei moralisch nicht zu rechtfertigen, so die Gegner; unter bestimmten Umständen, so die Befürworter, sei der Einsatz von Atomwaffen ethisch verantwortbar.188 Die Vertreter der lutherischen Landeskirchen hatten es seit Beginn der Debatte abgelehnt, in Fragen der Friedenssicherung und des Militärs überhaupt mit der Bibel zu argumentieren: Gemäß der traditionellen Zwei-Reiche-Lehre galten ihnen diese und verwandte Fragen als Problem der weltlichen Sphäre, so dass es der Kirche nicht zukam, hier politische Positionen zu vertreten. Ein Großteil stützte die Position der Regierung Adenauer, der die Wiederbewaffnung für ebenso notwendig hielt wie die enge Westbindung. Der Zweig der EKD, der sich in der Tradition der Bruderräte sah, hielt mit Martin Niemöller sowie dem EKD-Präses Gustav Heinemann an der Spitze dagegen: Ihre Ethik leitete sich von der Vorstellung einer Königsherrschaft Christi in allen Lebensbereichen ab. Wegen der Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und um das Ziel der Wiedervereinigung nicht zu gefährden, plädierte man daher für einen Verzicht auf einen deutschen Verteidigungsbeitrag. Im Verbund mit der evangelischen Kirche in der DDR spielte man gelegentlich mit Konzepten von einem Dritten Weg Deutschlands zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Mehrheitsfähig waren solche Positionen aber nicht. Mehr als einmal gelangte die evangelische Kirche durch diese Debatten »an den Rand der Spaltung«.189 In den politischen Kampagnen der 1950er Jahre engagierte sich nur eine Minderheit des deutschen Protestantismus aktiv. Dennoch zeitigten die entsprechenden Bewegungen eine breite Wirkung. Viel deutlicher als

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im Katholizismus bildete sich im Protestantismus die Spannbreite politischer Überzeugungen ab, wie sie auch in der Gesamtbevölkerung vertreten war. Zudem waren die »Ohne-mich-Bewegung« gegen die Wiederbewaffnung wie auch die »Kampf dem Atomtod-Kampagne« der späten 1950er Jahre wichtige Bestandteile der Protestkultur der unruhigen 1950er Jahre. Viele ihrer Protagonisten setzten ihr Engagement in der Fundamentalliberalisierung der 1960er Jahre fort. Die unmittelbare Nachkriegszeit wie auch die 1950er Jahre waren für die Religionsgemeinschaften im politischen Feld zugleich eine Phase der Konsolidierung und der Veränderung: Ohne Zweifel wurde mit dem Grundgesetz, den entsprechenden Ländervereinbarungen und den Regelungen zur Kirchensteuer die Basis dafür geschaffen, dass die beiden christlichen Kirchen zu wichtigen Institutionen der Bundesrepublik wurden. Auf dem politischen Feld entwickelte sich eine dichte Verflechtung zwischen Kirche und Politik. Zwar war gerade die enge Liaison zwischen katholischer Kirche und CDU für die parteipolitische Ausrichtung der Union nicht immer unproblematisch, da überengagierte Geistliche häufig evangelische und kirchenferne Wähler verschreckten. Die kirchliche Einflusssphäre auf kommunal-, landes- und bundespolitischer Ebene war allerdings derart angewachsen, dass sie für Zeitgenossen etwa aus der Bildungs-, Familien- oder Medienpolitik kaum mehr wegzudenken war. In der Öffentlichkeit der fünfziger Jahre waren gesellschaftspolitische Kompetenzen von Kirche und Theologie ein nahezu unbestrittener Faktor. Auch in den Massenmedien wurde die enge Verzahnung von Kirche und Politik zwar gelegentlich diskutiert, aber nur in Ausnahmefällen wie der Debatte um den »Klerikalismus« in der deutschen Politik energisch kritisiert. Die beiden christlichen Großkirchen waren voll akzeptierte politische Diskussionspartner, deren Stimme nicht nur respektiert, sondern oftmals auch zur Legitimation eigener Deutungen herangezogen wurde. Zugleich aber deuteten sich bereits in dieser Zeit gravierende Veränderungen an. Nicht nur in der internen Öffentlichkeit der Kirchen, sondern auch darüber hinaus machte sich im Umbruch zu den sechziger Jahren ein gewisser Unmut über die symbiotischen Strukturen zwischen Kirchen und Politik bemerkbar. Diese Kritik übertrug sich im Verlauf der sechziger Jahre auf spezielle Themenfelder, unter denen die Debatten zur »Mischehe« und zur »Konfessionsschule« wohl zu den meistdiskutierten zählten. Die öffentlich erhobenen Vorwürfe eines latenten Klerikalismus und Konfessionalismus zielten auf die als unzeitgemäß empfundene Ausdehnung und Überbetonung kirchlicher Verantwortungsbereiche und gehörten zur gängigen Rhetorik.

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1.3 Glaubensverkündigung und Pastoral vom Kriegsende bis zum Beginn der 1960er Jahre Religion wird dann zum weitreichenden »fait social«, wenn sie bestimmte Aufgaben in der Gesellschaft und für die Gesellschaft übernimmt: Sie repräsentiert Gemeinschaft, sie erklärt die Wendungen des Lebens, sie motiviert zu tätiger Nächstenliebe und vieles mehr. Eine solche funktionale Analyse von Religionen sagt viel über deren gesellschaftliche Bedeutung. An der Binnenseite des religiösen Bewusstseins aber geht eine solche Betrachtungsweise vorbei. Aus Sicht der Religionsgemeinschaften selbst sind diese und ähnliche Funktionen nicht ihre vornehmlichen, sondern allenfalls abgeleitete Aufgaben. Ihrem Selbstverständnis nach agieren Religionen vor allem als Instanz der Verehrung und Verkündigung von Transzendenz. Im Mittelpunkt stehen deshalb in den großen monotheistischen Religionen Kulthandlungen verschiedener Art. Für das Christentum sind diese das Gebet und das Feiern der Messe. Hier gilt es, Tod und Auferstehung Jesu Christi zu gedenken wie auch die als heilig betrachteten Schriften zu verkünden und auszulegen. Eine solche substanzielle Definition von Religion zielt auf den Kult und die Kultausübung. In diesem Sinne nutzte beispielsweise das Mittelalter den Begriff »religiosus« vor allem zur Bezeichnung eines Ordensmannes oder eines Priesters, der sich genau diesen Aufgaben widmete. Erst in der Neuzeit entwickelte sich Religion als Begriff zu einem Kollektivsingular, mit dem verschiedene soziale und symbolische Formen und Praktiken umfasst werden. Die aktuelle Religionssoziologie konzentriert sich bei ihren Studien vor allem auf die soziale Praxis, die Religion hervorruft, und auf ihre organisatorischen Verdichtungen. Weniger im Fokus stehen die Glaubensgehalte und individuellen Überzeugungen an sich. Damit bleibt ein wichtiger Kern, der Bezug zur Transzendenz, ausgeblendet. Der protestantische Theologe Friedrich Wilhelm Graf hält es deshalb für ein entscheidendes Problem »der von Historikern, Sozialwissenschaftlern und Juristen derzeit betriebenen Religionsforschung, dass hier sehr viel von Milieu, Nation, Identität und Vergemeinschaftung die Rede ist, aber der Glaube der Frommen, ihre Frömmigkeit (oder katholisch: Spiritualität), ihr religiös codierter Habitus und nicht zuletzt ihre konfessorischen Selbstzeugnisse nur selten zur Sprache kommen.« Doch lässt sich, so die rhetorische Frage, Religionsgeschichte schreiben, wenn »das genuin Religiöse in der Religion, Emotionen und Passionen, Höllenängste und Erlösungshoffnungen« außen vor bleiben?190 Mit Blick auf die zwei Nachkriegsjahrzehnte soll im Folgenden das religiöse Denken erschlossen werden, mit dem sich Katholiken und Protestanten ihr Weltbild formten, die zurückliegenden Geschehnisse erklärten und zukünftiges Handeln ableiteten. Wie wurde – in der Sprache des Christentums gesprochen – Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi gefeiert? Wie versuchte man diese Erinnerung zu aktualisieren, zu verkünden und weiterzugeben? Wie veränderten sich Formen und Gehalte der Glaubensgemeinschaften? Dabei kann es im Sinne einer Geschichte des »gelebten Glaubens« nicht um eine Theologiegeschichte im engeren Sinne gehen. Wissenschaft-

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liche Theologie wirkt als Impulsgeber, Reflexionsinstanz, zum Teil auch als Gedächtnis der religiösen Tradition. Aber nicht theologische Fachbücher und der Fachvortrag, sondern die Gesang- und Gebetbücher der Gemeinden und die Kanzelverkündigung stehen im Mittelpunkt einer Geschichte des gelebten Glaubens. Welche Vorstellungen von Transzendenz formulierten die Religionsgemeinschaften? Wie glaubten die professionellen Kirchenmitarbeiter, Pfarrer und Seelsorger ihre Gläubigen zu erreichen? Wie versuchte man Jugend anzusprechen und den Glauben an die nächste Generation weiterzugeben?

Neuaufbrüche nach Kriegsende? »Rechristianisierung« und Schulddiskussion Religiöses Leben im Jahr 1945 entfaltete sich vor bewegtem Hintergrund: das von vielen Deutschen als Niederlage empfundene Kriegsende, die Besatzungszeit, Gefangenschaft, Hunger und andere Entbehrungen – all diese Grunderfahrungen mussten ebenso religiös gedeutet werden wie die Frage nach der zukünftigen Gestaltung des Gemeinwesens. Zunächst einmal standen die Kirchen mit ihrem religiösen Angebot in dieser Situation ganz praktisch für Kontinuität. Der Kern der Seelsorge, das Abhalten von Gottesdiensten und das Spenden der Sakramente, blieben nahezu konstant. Natürlich schränkten zunächst die Kampfhandlungen, später dann auch die Zerstörungen die rituelle Praxis ein. So mussten die äußeren Formen mitunter angepasst werden. Wegen Mangel an Kerzen wurde in der Erzdiözese Bamberg die »Zelebration ohne Licht« erlaubt. Zugleich ermahnte die Kirchenleitung ihre Pfarrer, am Gründonnerstag 1945 nicht zu viel geweihtes Öl zu verwenden, da kein Ersatz zur Verfügung stünde.191 Diesen Einschränkungen zum Trotz aber blieb der gewohnte Wochen- und Jahresturnus erhalten: Selbst am 8. April 1945, so wird aus den Diözesen berichtet, begingen noch viele Pfarreien zwischen den Fliegeralarmen die Erstkommunion. Die Staatsautorität brach zusammen, Nazifunktionäre flohen, die Besatzungstruppen standen nahe – in all dieser Unübersichtlichkeit blieb religiöses Leben in traditioneller Weise konstant. »Der Pfarrer von Burgebach hielt am Morgen des 13. April, an dem der Ort besetzt und sein Pfarrhaus vorübergehend beschlagnahmt wurde, vier Ämter. Der Pfarrer von Pregnitz saß am nächsten Tag wie jeden Samstagnachmittag im Beichtstuhl – doch erstmals allein, weil man die Besetzung unmittelbar erwartete.«192 Ohne Frage aber gab es trotz des Versuchs, am Bewährten festzuhalten zahlreiche Veränderungen: So fielen in den evangelischen Gemeinden überall dort, wo Pfarrer und Vikare zum Kriegsdienst eingezogen waren, den Pfarrersfrauen vielfältige Aufgaben zu, die weit über ihren normalen Tätigkeitskreis hinauswuchsen: Sie hielten nicht nur Bibelstunden und Lesegottesdienste, sondern übernahmen neben vielfältigen diakonischen Hilfestellungen auch Beerdigungen und Gottesdienste.193 Damit bereitete sich erstmals in einer traditionell männerdominierten Domäne ein Wandel vor. In der Zusammenbruchgesellschaft der unmittelbaren Nachkriegsjahre rückte der geistliche Stand als Träger von Kontinuität in eine besondere Stellung. Vor Ort teilte

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er die Alltagsbedrängnis der Bevölkerung, war von den Zerstörungen durch Luftangriffe und Kriegshandlungen ebenso betroffen wie diese. Er hatte Tote in den eigenen Familien und unter den Amtsbrüdern zu beklagen. Um die Not zu lindern, beherbergte er Flüchtlinge und Evakuierte. Welche große öffentliche Resonanz die Geistlichkeit in dieser Phase erreichte, lässt sich an der Silvesterpredigt des Kölner Kardinals Joseph Frings im Jahr 1946 zeigen. Das »Fringsen« wurde zur stehenden Redewendung, nachdem der Geistliche erklärt hatte, dass angesichts der großen materiellen Not »der einzelne das wird sich nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise durch seine Arbeit oder Bitten nicht erlangen kann«.194 Wahrgenommen und erinnert wurde diese Aussage als Rechtfertigung des Kohlenklaus und anderer Formen des Mundraubs. Der einschränkende Nachsatz des Bischofs hingegen, dass oftmals über den Rahmen der Selbstversorgung hinaus Diebstahl begangen worden sei und dieses »unrechte Gut« unverzüglich zurückzugeben sei, fand kaum Aufmerksamkeit. In der nach Kräften aufrecht erhaltenen Routine der Seelsorge durfte man keine bewussten theologischen oder seelsorglich-praktischen Neuorientierungen erwarten, im Gegenteil: Das Alte beizubehalten bedeutete zunächst eine gewaltige Kraftanstrengung und wurde theologisch-kirchlich sogar zur eigentlichen Leitidee. Dennoch hatten NSDiktatur und Krieg vieles verändert, die neue Rolle der Pfarrfrau deutete dies bereits an. Vor dem Hintergrund der Zusammenbruchgesellschaft und der Erfahrung des Nationalsozialismus verschoben sich bei beiden christlichen Großkirchen die Schwerpunkte ihrer Verkündigung. Der Nationalsozialismus hatte die Kirchen in ihrer Außenwirkung gestutzt. Religiöses Leben bis zum Ende der Diktatur hatte sich vor allem im Binnenbereich der Religionsgemeinschaften abspielen müssen, als Unterweisung wie auch Verehrung im Kirchenraum. Nach Kriegsende behielt man diese Ausrichtung theologisch bei und bemühte sich dem eigenen Selbstverständnis nach um eine Konzentration auf das Wesentliche. Nur eine radikale religiöse Erneuerung als Rückkehr zu Christus könne die Entwicklung zur Säkularisierung, die unter anderem als Wurzel der totalitären Systeme gesehen wurde, umkehren, so lautete der allgemeine Tenor. Gemeinschaft nach innen – Unterscheidung von der Welt – Rettung anderer: das waren die vorgegebenen Handlungsmaximen und Leitbilder, die das religionspädagogische und katechetische Schrifttum der unmittelbaren Nachkriegszeit betonte. Damit behielt man das betont ›fromme‹ Selbstverständnis der Glaubensunterweisung bei, wie es sich während des Nationalsozialismus, zum Teil auch bereits davor entwickelt hatte. Man hielt daran fest, obwohl oder gerade weil immer stärker erfahrbar wurde, dass ein größerer Teil der Gesellschaft und vor allem der jüngeren Generation der kirchlichen Lebenswelt entfremdet war. Die Sonntagspflicht auf katholischer Seite, die Mahnung zur Beteiligung an den Angeboten der Gemeinde auf protestantischer Seite; eine Verpflichtung zur christlichen Erziehung der Kinder und eine Ehe im Sinne des Glaubens – das waren jenseits aller theologischen Differenzen die drei Säulen, auf die die Konfessionskirchen ihre Angehörigen als praktische Anleitung zum eigenen Glaubenslebens verwiesen.

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Diese Schwerpunktsetzung begründeten Theologen und Kirchenmänner mit Verweis auf die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit. Die so stark verbreitete Entchristlichung, die Nicht-Beachtung Gottes hätten die Zerstörungen und das Leid des Weltkriegs und die Diktatur zur Folge gehabt. Nun müsse man umkehren und wieder entschieden christlich leben. »Das Zeitgeschehen in seiner Furchtbarkeit und Rätselhaftigkeit«, so argumentierte beispielsweise der Theologe und Mitarbeiter im Dekanat Erlangen Walter Künneth, »erfordert dringend die Deutung durch die biblische Wahrheit als ein ›apokalyptisches‹ Geschehen und Gottesgericht. Ungezählten Menschen sind durch den Zusammenbruch jede Lebensgrundlage und immanente Gläubigkeit zertrümmert. Diesem Sturz in das ›Nichts‹ und in die Verzweiflung gegenüber ist allein das Evangelium von Christus als unerschütterliches Fundament und bleibender Halt zu bezeugen.«195 Politik und Religion waren bei vielen Gläubigen und Kirchenvertretern nicht kategorial voneinander getrennt, sondern unmittelbar miteinander verschmolzen. Das Gros der Pfarrer und Kirchenfunktionäre beschrieb die soziale und kulturelle Situation nicht in politischen, sondern in metaphysischen Kategorien. Insbesondere in nationalprotestantisch geprägten Kreisen wurden so selbst die Zukunftsperspektiven der Nation aus dem Blickwinkel der Verchristlichung gedeutet. Als Beispiel dafür steht der Direktor des Predigerseminars der westfälischen Kirche Edmund Schlink. In seiner Schrift »Die Gnade in Gottes Gericht« von 1946 deutete er zunächst den Zusammenbruch Deutschlands als »Katastrophe« und »als Ankündigung des göttlichen Endgerichts.« Seine Handlungsanweisung war eindeutig: »Wenn wir nicht Buße tun und in tiefster Beugung unter Jesus Christus als den Herrn einen Neuanfang machen, werden wir verkommen und selbst die Reste deutschen Wesens, die den Nationalsozialismus und seinen Zusammenbruch überdauert haben, werden verschwinden. Wir werden zum Streusand der Weltgeschichte, zu einem bloßen Zusatz in dem großen amorphen Völkerbrei, in dem die abendländische Kultur zu versinken droht.«196 Zum Ziel der Seelsorge erklärten katholische wie evangelische Geistliche die Anleitung zu einer lebendigen Christusnachfolge, welche zu einem radikalen Entscheidungschristentum führen und in der Welt Wirkung zeigen sollte. Damit lagen die deutschen Kirchen im Trend vergleichbarer Initiativen zur Re-Evangelisierung: Auch in den USA und in Großbritannien, in Italien und Frankreich gab es ungeachtet der so unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontexte ähnliche Überlegungen und Initiativen.197 In Deutschland bildeten die Erfahrungen von Diktatur, Krieg und Zusammenbruchgesellschaft allerdings eine besondere Folie, auf der die Ausrichtung der Kirchen diskutiert wurde. Die Kirchen und ihre Vertreter vor Ort rückten insbesondere bei der Diskussion der Schuldfrage ganz ins Zentrum: Wie stark war das Gros der Deutschen in den Nationalsozialismus verstrickt? Wer trug wie viel Verantwortung für das Aufkommen der Diktatur, vor allem aber für die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden? In dieser Debatte nahmen beide Konfessionen praktisch eine ähnliche Funktion für die deutsche Bevölkerung wahr. Sie wehrten Vorwürfe der Alliierten und auch der Weltöffentlichkeit ab. Im Mittelpunkt der Diskussion stand mit der Kollektivschuldthese die

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Vorstellung von einer gemeinsamen Verantwortung aller Deutschen für die zurückliegenden Verbrechen. Dagegen regte sich enormer Widerspruch: Hatte man – der gewöhnliche Deutsche, die gewöhnliche Deutsche – nicht ausschließlich seine Pflicht und Schuldigkeit getan und Befehlen gehorcht? Die Kirchen trugen diese in Deutschland weit verbreitete Haltung nicht nur mit, sondern legitimierten sie auch durch ihren eigenen Protest gegen entsprechende Vorwürfe in besonderer Weise. Das vom Alliierten Kontrollrat erlassene »Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus« vom Frühjahr 1946 und die darauf fußende Entnazifizierungspraxis trafen auf ebenso große Ablehnung. Praktisch unterstützten die Kirchen oftmals die Deutschen, die vor den Spruchkammern des Entnazifizierungsverfahrens standen, indem sie ihnen eine nicht-nazistische Haltung bescheinigten und damit zu sogenannten »Persilscheinen« verhalfen. Mit dem Einspruch gegen die Kollektivschuldthese wuchs den beiden Kirchen viel symbolisches und soziales Kapital zu. Als »Anwälte des Volkes« bedienten sie eine Grundstimmung, aus der heraus man die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit mied. Mit ihrem Protest gegen die Entnazifizierung beförderten sie sogar die Haltung vieler Deutscher, sich selber zu ›Opfern‹ einer vermeintlichen Willkür und Unrechtspraxis der Alliierten zu stilisieren. Für die katholische Kirche resultierte diese Haltung unmittelbar aus der Deutung der Geschehnisse des Jahres 1945 und ihrer Rolle dabei. »Wir stehen am Zusammenbruch Deutschlands, unseres Vaterlandes. Die Bischöfe müssten nicht Deutsche sein, wenn sie mit ihrem Volk nicht tiefstes Mitgefühl hätten.«198 In diesem Tenor diskutierten die Bischöfe im August 1945 bei ihrer Vollversammlung und konnten sich in ihrer Interpretation auf entsprechende Äußerungen von Papst Pius XII. stützen.199 Das am 23. August 1945 verabschiedete Hirtenwort des deutschen Episkopats betonte diese Überlegung stark. Zwar formulierte es auch ein Schuldanerkenntnis. »Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei den Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben; viele leisteten durch ihre Haltung den Verbrechen Vorschub, viele sind selber Verbrecher geworden.«200 Haupttenor der Folgediskussion aber war, dass zwar einzelne versagt hatten, nicht aber die Kirche selbst. Das Bild von der intakten Institution Kirche, die der Korrumpierung durch den Nationalsozialismus widerstanden habe, hatte eine doppelte Wirkung: Nach außen hin konnte man offensiv auf Mitsprache bei der Gestaltung der neuen Gesellschaft dringen, ohne sich einer Selbstprüfung unterziehen zu müssen. Nach innen hin unterbreitete man auf diese Weise ein Integrationsangebot an all diejenigen, die zur Kirche zählten und dadurch auf ihre Vergangenheit nicht mehr allzu kritisch schauen mussten. Angestrebt wurde eine »Umkehr durch Verchristlichung«. Dazu gehörte der Kirchenleitung zufolge auch eine umfassende Befriedung der Gesellschaft im Geiste christlicher Versöhnung. Die vielen Träger des Nationalsozialismus wollte man dabei nicht ausschließen. Gerade in ihrer Verkündigung warb sie für diese Position: »Kanzelmahnungen wie ›Niemand vergelte Böses mit Bösem … Rächet nicht selbst!‹, ›Ertraget einander! … verzeihet einander,

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wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat‹, drängten ebenso auf eine sozialpsychologische Normalisierung wie die Großzügigkeit beim Ausstellen von Persilscheinen und die grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Entnazifizierung.«201 Weitere Hirtenworte wie das vom 19. Oktober 1945 waren dann auch eher Kompromisspapiere, welche die internen Spaltungen zwischen den Bischöfen in den Jahren der Diktatur zu glätten versuchten, als dass sie Wegweiser für den Umgang mit der diktatorischen Vergangenheit darstellten.202 Die Kirchenleitung verbreitete auf diese Weise eine »Atmosphäre zurückhaltender Milde«.203 Gegen diese Grundstimmung konnten die wenigen kritischen zeitgenössischen Stimmen kaum etwas ausrichten. Die Auseinandersetzung um die Haltung zur jüngsten Vergangenheit verlief im Protestantismus sowohl tief greifender als auch kontroverser. Wo die katholische Kirche das eigene Selbstbild von der intakten Gegenkraft herausstellte und daraus ihre Legitimation für das aktuelle kirchenpolitische und politische Agieren ableitete, da blieb den Protestanten dieser Weg verschlossen: Der Antritt der Regierung Hitler war in den meisten Landeskirchen mit Sympathie, zumindest aber mit der gewohnten Loyalität der Obrigkeit gegenüber aufgenommen worden. Gegen die Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC), die dem Nationalsozialismus in besonderer Weise zuarbeiteten, hatte sich 1934 die Bekennende Kirche (BK) etabliert. Im Protest gegen die Anwendung des sogenannten Arierparagrafen innerhalb der Kirche und in Ablehnung von vielen theologischen Positionen der DC hatte sich so eine innerkirchliche Opposition gebildet. Damit war nach außen hin eine Selbstgleichschaltung mit dem nationalsozialistischen System erfolgreich blockiert. Nach innen hatte dieser Prozess aber eine tiefgreifende Spaltung erzeugt. Wenn nach Kriegsende Fragen der Schuld zur Diskussion standen, dann musste das zwangsläufig weite Kreise ziehen. Damit war nicht nur die kontroverse jüngste Vergangenheit berührt, sondern auch Kernfragen zur zukünftigen Gestaltung der protestantischen Christen, organisatorisch wie theologisch. Wer eigentlich sollte von nun an für die evangelische Kirche als Gesamtheit sprechen? Wie sollte sich diese organisieren? Welcher der verschiedenen theologischen Richtungen galt es nun zu folgen? Und: Wie verhielt man sich angesichts der Erwartungen aus der internationalen Ökumene wie auch dem Inland zur Frage nach der Deutung des Nationalsozialismus und der Schuld, die für das gesamte Deutschland ebenso wie für die Kirche selbst zu diskutieren war? Auf der Versammlung der Evangelischen Kirche in Deutschland versuchte die Kirchenführung auf diese drängenden Fragen zu antworten. In einem zentralen Passus hatten die in Stuttgart versammelten Kirchenleiter ihre Haltung formuliert: »Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.«204

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Bis heute wird diese Passage als zentrale Aussage des Stuttgarter Dokuments zitiert und erinnert. Im dem Dokument stand allerdings nicht das uneingeschränkte Schuldbekenntnis im Vordergrund, wie der Wortlaut des Textes ohne seinen Kontext vermuten lassen könnte. Vielmehr war das von den Spitzen der neu gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verabschiedete Papier durch und durch von Kompromissen geprägt. Schon in diesem kleinen Passus scheinen die so unterschiedlichen in der EKDVersammlung vertretenen Positionen auf: Niemöller, der sich vom Anhänger des Nationalsozialismus zu einem der entschiedensten Gegner gewandelt hatte, legte mit dem ersten Satz und dem prägnanten »Durch uns« den Akzent auf die persönliche Schulderklärung. Aber schon der übernächste Satz ordnete die Kirche auch in die Riege derjenigen ein, die sich gegen den Nationalsozialismus gestellt hatten. Für einzelne ihrer Mitglieder traf sicher zu, dass diese Widerstand geleistet hatten. Insgesamt aber dominierte eine durch die lutherische Zwei-Reiche-Lehre fundierte obrigkeitsstaatliche und nationale Tradition, in die sich der Protestantismus hineingestellt sah. Aus diesem Geist heraus hatte sich beispielsweise in der Diskussion Theophil Wurm als Ratsvorsitzender der EKD dagegen ausgesprochen, das deutsche Schuldkonto weiter zu belasten, da die Nation doch für viele Protestanten weiterhin einen hohen Wert darstelle. In einem Brief an Niemöller im Dezember 1945 führte er aus, wie schwer es ihm falle, die besonders enge Verbindung von Volk, Vaterland und religiösem Anliegen kritisch zu betrachten, denn: »Ich bin zwar kein Preuße, aber ganz in der Tradition des Bismarckreiches aufgewachsen …«.205 Das Stuttgarter Schuldbekenntnis war somit zweifelsohne »ein Kompromiß und stellte als solcher sicherlich das damals im deutschen Protestantismus maximal Erreichbare dar«.206 Bewähren musste sich die in den Gremien der Kirchenleitung ausgehandelte Erklärung an der Basis. Und dort stieß der Vorschlag der Theologen und Kirchenfunktionäre überwiegend auf Kritik, Ablehnung und massives Unverständnis. Provoziert war diese Reaktion dadurch, dass der Originaltext erst spät veröffentlicht wurde, so dass die Schulderklärung zunächst über die Presseberichterstattung wahrgenommen wurde. Zeitungen und Zeitschriften hoben vor allem auf das Eingeständnis der deutschen Kriegsschuld ab. Aber auch nach Kenntnis des Ursprungstextes zeigte sich rasch, dass die Erklärung im Gros nicht Nachdenklichkeit auslöste, sondern Abwehr: Das Stuttgarter Bekenntnis galt dem Teil der Kirchenbasis, die sich öffentlich äußerte, als »ehr-« und »würdelos«. Empört wurde gefragt, wie die Kirche sich zu einem solchen »Landes- und Hochverrat am deutschen Volk« versteigen könne, wiederholt wurden die Verfasser als politisch kurzsichtig beschimpft.207 Stärkere Wirkung entfaltete das Stuttgarter Schuldbekenntnis, aber auch weitere Texte wie beispielsweise das sogenannte Darmstädter Wort von 1947 erst eineinhalb Jahrzehnte später. Zwar wurde in protestantischen Kreisen auch in den 1940er und 1950er Jahren immer wieder dazu aufgerufen, sich der Vergangenheit zu stellen.208 Letztlich gingen diese Initiativen aber vor allem von prominenten Theologen und Funktionären aus, und selbst in diesem elitären Kreis traf der Appell nur bei einer Minderheit auf Resonanz. Die Wirkung dieser Texte setzte allenfalls zeitversetzt ein, als sich in den 1960er Jahren die kirchenkritischen Diskussionen wiederum auf diese Dokumente bezogen.

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Auch ein anderer Zusammenhang ist zu beachten: Blickt man auf Meinungsumfragen dieser Zeit, dann stieg die Zustimmung der Deutschen zur nationalsozialistischen Vergangenheit oder doch zumindest die Bereitschaft, diese zu verteidigen, mit der Erfahrung der Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten. Die Entnazifizierung und insbesondere die damit verbundenen Spruchkammerverfahren bewirkten in weiten Kreisen das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war. Die Säuberungsverfahren mutierten nicht nur zur »Mitläuferfabrik«, durch welche massenweise Mitverantwortliche in die Kategorie des Mitläufers eingestuft wurden. Zusätzlich beförderten sie den Trend zur Selbstviktimisierung der Deutschen, die sich nun zu Opfern der alliierten Politik stilisierten. Von den Nationalsozialisten in ein verbrecherisches System getrieben und in einen Krieg gezwungen, von der alliierten Luftwaffe ausgebombt oder vertrieben, sah man sich nun mit den Diskussionen um die deutsche Schuld, vor allem aber mit den aufwändigen Entnazifizierungsverfahren neuem Unbill ausgesetzt. Die evangelischen Landeskirchen wie auch die EKD betonten zwar immer wieder, wie notwendig eine umfassende Entnazifizierung sei. Man beließ es aber bei einem verbalen Bekenntnis und verurteilte die konkret gewählten Formen. Für diese Haltung steht mit Martin Niemöller beispielsweise einer der größten Gegner dieser alliierten Politik. Vehement wandte er sich gegen die Form und das Verfahren der Entnazifizierung: Der Einzelne werde durch den Fragebogen und die Schwurgerichtspraxis dazu aufgefordert, sich selbst zu rechtfertigen und einen Nachweis der eigenen Unschuld zu erbringen. Die Suche nach Entlastungsmaterial aber, so Niemöller, fördere eben nicht die Einsicht in die eigene Schuldverstrickung, sondern bewirke ganz im Gegenteil die Abwehr jeglichen Selbstzweifels.209 Damit hatte Niemöller zweifelsohne den sozialpsychologischen Vorgang der Verdrängung, der Abwehr von Vorwürfen und der Selbststilisierung zum Opfer klar erkannt. Wie negativ die Maßnahmen der Alliierten empfunden wurden und wie stark sie den Willen zur Konfrontation mit der Vergangenheit verdrängten, zeigt sich daran, dass selbst vormals entschiedene Befürworter der Entnazifizierung ihre Haltung änderten. Die württembergische Kirchlich-theologische Sozietät beispielsweise war stark aus der Theologie Karl Barths und der Bekennenden Kirche inspiriert. Sie hatte sich noch 1946 gegen die von der EKD geübte Kritik am Befreiungsgesetz gestellt. Im März 1947 aber änderte sie ihre Position und wandte sie gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen. Der wachsende allgemeine Unmut fand seinen Anwalt in den Kirchen, die dieser Grundstimmung Ausdruck gaben und sich damit – wie in anderen Belangen auch – ganz auf einer Linie mit großen Teilen der Bevölkerung befanden. Es war die Übereinstimmung der »gut kirchlichen« mit den »gutbürgerlichen« Kreisen, weshalb die Kirchen in der Folgezeit ebenfalls zu mächtigen Fürsprechern der gesellschaftlichen und beruflichen Wiedereingliederung ehemaliger Nationalsozialisten wurden.210

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Alte Antworten auf neue Fragen. Theologie und Kirchenorganisation Die Haltung gegenüber der Entnazifizierung fügte sich ein in die pastorale Praxis und die theologisch-dogmatische Denkweise der Zeit: Wenn Schuld zu bekennen, vielleicht gar zu büßen war, dann allenfalls auf individueller Ebene. Generell aber galt die Überzeugung, dass das Unglück vor allem auf Grund der Abwendung von Gott heraufbeschworen worden war. Dagegen entwickelte insbesondere die protestantische Theologie und Verkündigung ein elaboriertes Konzept, wie eine Rückkehr zu Gott durch eine »Schau nach innen« erfolgen könne. Über alle theologisch-kirchenpolitischen Lager der protestantischen Kirche hinweg standen dafür vor allem die Bibel und die Bibellektüre, die als Weg der Neuorientierung an Jesus Christus galten. In zahlreichen volkskirchlichen Broschüren und Traktaten wurde die Welt in düsteren Farben als chaotisch beschrieben, um den Leser so auf seine Erlösungsbedürftigkeit aufmerksam zu machen. Rettung könne nur die erneute Zuwendung zu Gott bieten. »Christus oder Untergang« war die in vielen Zusammenhängen angeführte Parole.211 Aber auch die dialektische Theologie, die mit den volkskirchlichen Ambitionen der meisten Pfarrer nicht viel gemein hatte, zog ähnliche Konsequenzen aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes. Theologisch prägend war der Schweizer Theologieprofessor Karl Barth, dessen Schriften in Deutschland eine breite Wirkung in den Bruderräten und den Kreisen der Bekennenden Kirche hatten. Er erklärte zur Hauptaufgabe der zeitgenössischen Predigt, »Jesus Christus als die wahre Wirklichkeit« zu verkünden. Das sei »die Botschaft, die die christlichen Kirchen heute wie alle Zeit laut und vernehmbar verkündigen dürften und müssten.«212 Argumente wie dieses hatten die Bekennende Kirche in Auseinandersetzung mit der völkischen Theologie gestärkt, galt es doch deren Politisierung und Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus etwas entgegenzusetzen. Unter den Bedingungen der Nachkriegszeit aber wirkte diese Haltung eher weltabgewandt. In eine ähnliche Richtung zielten auch die »Göttinger Predigtmeditationen« des Theologen Hans Joachim Iwand. Er wollte mit seinen Schriften praktische Anleitungen zum Hinhören und Sich-einlassen auf Gottes Wort geben. Der Graben zwischen Universitätstheologie und der pastoralen Praxis sollte überwunden werden, indem der Prediger den geistlichen Gehalt der Bibeltexte für sich und andere erschloss. Hinter die Exegese, so ermahnte Wolfgang Scherffig als Sprecher der aus der Bekennenden Kirche entstandenen Rheinischen Bruderschaft, müssten alle anderen Fragen wie »die kirchliche Neuordnung, Wahlordnung, Schuldfrage, konfessionelle Frage, Gottesdienstgestaltung, Ökumene, politische Verantwortung des Christen usw. usw.« zurücktreten.213 Was sich in diesen und zahlreichen weiteren Beispielen ausdrückte, war die tiefe Prägung durch Bibellektüre, die sich eine kirchliche Elite von Theologen und Pfarrern erarbeitet hatte. Schon in den fünfziger Jahren aber war klar, dass diese Art der Frömmigkeit durchaus ambivalent war. Den Kirchennahen und eifrigen Bibellesern waren diese Überlegungen und Praktiken geistige Heimat, auf die große Zahl der volkskirchlich motivierten Christinnen und Christen hatten sie eine andere Wirkung:

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Angesprochen und befördert wurde der Sozialtypus eines bibelfesten, frommen, aber zugleich auch weltdistanzierten Christen. »Hierbei geschieht gar zu leicht das, was diesen Typ oft so unbeholfen und unwirksam im Verkehr mit Nichtchristen zeigt: daß sie sich einer Sprache, einer Denkweise und Ausdrucksweise bedienen, die sie von der wirklichen Durchdringung, der echten Konfrontation mit der gegebenen Welt zu entbinden scheint.«214 Die genutzten Formulierungen, ihre sprachliche Gestalt, die Bilder wirkten auf Außenstehende eher esoterisch-exklusiv, als dass sie überzeugend für den Glauben geworben und dazu eingeladen hätten. Viktor Klemperer, der als Jude die Verfolgung durch den Nationalsozialismus überlebt hatte und nun als Romanist im Nachkriegsdeutschland wirkte, kommentierte eine Radiopredigt des Theologen Otto Dibelius mit beißendem Spott: Nach einem fesselnden Beginn kam dann, so Klemperer, die »Enttäuschung«. »Man muß eben ›umkehren‹, man muß auf Jesus sehen, denn Jesus ist die dem Menschen zugekehrte, die erkennbare Seite Gottes. Nun weiß ich es genau und darf an die Güte des himmlischen Vaters glauben, trotz aller Gräßlichkeiten dieser Jahre.«215 Aber nicht nur Intellektuelle störten sich an der Rhetorik der Innerlichkeit und deren Weltabgewandtheit. Mitarbeiter der Männerseelsorge und der evangelischen Volksmission konstatierten ebenso eine große Distanz zu den kirchlichen Angeboten wie diejenigen, die mit dem Aufbau von Arbeitervereinen beauftragt waren. Das Wort von der »Predigtpleite« machte die Runde. Neun Zehntel aller Predigten seien belanglos, erreichten die »nachdenklich gewordenen, erschütterten und verzweifelten Menschen nicht«.216 Der »religiöse Frühling« erwies sich im Bereich der Theologie und Pastoral vor allem als Hoffnung einer schmalen Kirchenelite. Die Erfahrung des »totalen Krieges«, der Diktatur, aber auch der rasche Wandel der Nachkriegsverhältnisse warfen Fragen auf, die mit den traditionellen Sinndeutungsangeboten nicht mehr beantwortet werden konnten. Die Skepsis gegenüber einer vermeintlichen Rechristianisierung, wie sie an der Kirchenbasis von so manchem katholischen wie evangelischen Seelsorger geäußert wurde, war durchaus berechtigt.217 Ein Wandel in der Formulierung zentraler Glaubensinhalte setzte erst Anfang der 1960er Jahre ein. Diese Ausrichtung paarte sich mit einem Verharren in den traditionellen Strukturen protestantischer Organisation: Im Protestantismus war das als unproblematisch gedachte Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit grundlegend verändert. Seit der Reformation hatte sich die evangelische Kirche auf eine mindestens neutrale, in der Regel aber wohlwollende Obrigkeit verlassen können. »Thron und Altar« hatten auf diese Weise schon in den deutschen Kleinstaaten eng beieinander gestanden. Spätestens seit dem Kaiserreich waren beide dann noch enger zusammengerückt. Insbesondere in den Landeskirchen, in denen im Juni 1933 durch gelenkte Wahl oder durch ministeriale Order die Deutschen Christen in die Leitung gelangt waren, hatte man auf diese Weise jegliche Autonomie verloren. Wie war auf diese Situation der »Ohnmacht der Kirche« zu reagieren? Theologen wie Dietrich Bonhoeffer, Helmut Thielicke und andere hatten ein Ende der »Volkskirche« in ihrer staatsverbundenen Form gefordert. An Stelle der »Heilsanstalt« und ihres Apparates, insbesondere der Konsistorien sollten kleine Zirkel und Gruppen treten, die als lebendige Gemeinden unabhängig und autonom fungieren

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könnten.218 Die bürokratische Kirche führe zu »Verrechtlichung, Versachlichung und vor allem Entpersonalisierung.« Kirche realisiere sich aber vor allem als Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern unter dem Wort.219 Organisatorisch-institutionell wurde von diesen ebenso radikalen wie vagen Plänen praktisch nichts umgesetzt. Wichtig bleibt dennoch festzuhalten, dass mit dem Ende des Nationalsozialismus in der Selbstverständigung der protestantischen Kirche neue Modelle diskutiert wurden. Spätestens zum Ende der 1960er Jahre tauchten Fragmente von Ideen dieser Diskussion wieder auf. Kirchenpolitisch gesehen verlängerte sich der »Kirchenkampf« in mancher Hinsicht in die Nachkriegszeit. Die prominenten Vertreter der Deutschen Christen waren aus einer Diskussion ausgeschlossen, in der die Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten, aber auch mit den eigenen etablierten Positionen zu heftigen Debatten der Kirchenführerkonferenzen in Treysa 1945 und 1947 sowie in Eisenach 1948 führte: Die Bruderräte wollten eine Gesamtkirche, die von der Gemeinde her konzipiert war. Von der Basis her sollten Entscheidungen getroffen und die Kirche weiterentwickelt werden, nicht aber von einer übergeordneten Großinstanz. Die sechs Thesen der Barmer Theologischen Erklärung waren unmittelbar zur Abwehr des Nationalsozialismus und der Deutschen Christen formuliert worden. Man reklamierte ein umfassendes kirchliches Selbstbestimmungsrecht, das vom Staat zu garantieren sei. These 4 hob dann auch auf die innerkirchliche Organisation und die daraus abgeleiteten Machtverhältnisse ab: »Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen.«220 Damit wehrte man sich nicht nur in der Diktatur gegen die drohende Gleichschaltung, sondern formulierte auch weitergehende Prämissen für das evangelische Kirchen- und Kirchenrechtsverständnis in der Demokratie. »Das Prinzip einer Kirche als ekklesia semper reformanda stand gegen tatsächliche oder vermeintliche festgefahrene institutionelle Strukturen, gegen klerikale Privilegiensicherung und Herrschaftsinteressen, die den genuin religiösen Auftrag der Kirche immer wieder in den Hintergrund zu drängen schienen.«221 Dass man gerade aus dem Lager der Bruderräte so stark auf Veränderungen drängte, rührte zum einen aus dem Wunsch, die wertvollen Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nun organisatorisch auch umzusetzen. Zum anderen wussten die Vertreter dieser Richtung, dass sie in den meisten Landeskirchen nur über einen schwachen Rückhalt verfügten, so dass substanzielle Änderungen wohl nur zu einem frühen Zeitpunkt zu erreichen waren. Nur wenig aber wurde tatsächlich umgesetzt, so dass schon bald viele aus der Reihe der Bruderräte über eine Restauration der Verhältnisse klagten. Die evangelisch-lutherischen Kirchen teilten weder diese Kritik noch den generellen Ansatz der Bruderräte. Ihre Vertreter hielten dagegen und setzten sich für eine Reorganisierung der Kirche ein, wie sie vor 1933 bestanden hatte: Nicht der kleine Kreis überzeugter Christen, für den die Bruderräte plädierten, sondern breite volkskirchliche Strukturen sollten die Grundstruktur der Kirche bilden. Das geistliche Amt

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und damit der Bischof sollten an der Spitze stehen, auch den Konsistorien als Verwaltungsstrukturen sollte wieder eine wichtige Rolle zukommen. Den Räten oder den von Laien getragenen Synoden hingegen dachte man keine entscheidende Rolle zu. Schon an dieser Frontstellung zeigt sich, wie eng theologische, (kirchen)politische wie auch pragmatisch-praktische Überlegungen miteinander verschränkt waren. Die unterschiedlichen Standpunkte blieben auch über diese Diskussionen hinaus im Nachkriegsprotestantismus präsent. Auch für die katholischen Bischöfe stand die Hinwendung zu Jesus Christus als dem Kern der christlichen Botschaft vornan. Um das zu erreichen, setzten sie bei der Reorganisation des Seelsorgelebens auf Kontinuität und Neuanfang zugleich: Beibehalten wurde der Trend zur Verkirchlichung des Katholizismus, sprich: Die Fülle der Laienaktivitäten und der Vereinigungen außerhalb der Kirchenorganisation im engeren Sinne sollten eingeschränkt werden. Stattdessen wollte man sich auf die Strukturen konzentrieren, die in der Gemeinde, deren Pastoral und dort vor allem in der Messe beheimatet waren. Damit nahmen sie Elemente der liturgischen Bewegung auf, die auf eine Neuausrichtung und Verinnerlichung der Messfeier hingearbeitet hatte. Zusätzlich hatte der Nationalsozialismus die Katholiken zur Konzentration um den Altar gezwungen, als er die Aktivitäten von katholischen Vereinen und Verbänden verbot. Dem Episkopat galt die »Beschränkung auf Liturgie und Seelsorge weniger als Funktionsverlust denn als Konzentration auf das Wesentliche und damit als Gewinn.«222 Die einstmals so mächtigen katholischen Laienverbände mit ihren einflussreichen Laiengremien an der Spitze sehnten die Bischöfe nicht wieder herbei. Dennoch entstanden diese Strukturen erneut. Katholische Laienvereine, allen voran der Kolpingverein, gründeten sich auf Initiative einiger Laien und ohne Zutun der Kirchenhierarchie wieder. Die Kirchenleitung wollte und konnte dieses Engagement nicht stoppen, wohl aber amtskirchlich einbinden. Konzeptionell setzte die Bischofskonferenz auf die »Katholische Aktion« als eine neue Form der Christianisierung der Gesellschaft: Im Zentrum stand dabei die Idee, mittels einer intensiven religiösen Schulung und Formung eine Elite aktiver katholischer Laien zu bilden, die von sich aus missionarisch tätig werden sollte. Die Initiative der Laien blieb dennoch strikt der Kontrolle der Hierarchie unterstellt, die vor allem über den »heiligen Priester« vor Ort wirkte. Offiziell wahrte man – diese Lehre zog man aus der Entwicklung der azione cattolica im faschistischen Italien – strikte Distanz zu allen parteipolitischen Lagern. Dennoch konnten sich die westdeutschen Christdemokraten mindestens die 1950er Jahre hindurch de facto auf die Unterstützung der katholischen Bischöfe und Laien verlassen. Diese Neuausrichtung in der wohlgeordneten Schlachtreihe, der acies bene ordinate, der Katholischen Aktion realisierte sich allenfalls in Teilen. Aber schon als Gedankenspiel ist dieses Seelsorgemodell aufschlussreich: Deutlich zeigt sich darin, dass die Bischöfe den herkömmlichen Strukturen und Instanzen keine adäquate Verkündigung und Tradierung mehr zutrauten. Stattdessen setzte man auf ein neues Konzept, das in mancher Hinsicht an die Organisationsprinzipien linker Kaderparteien erinnerte:

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die Herausbildung eines elitären Kaders, der dann die Massen mobilisieren sollte.223 Vergleichbar dem evangelischen Entwurf der »Schau nach innen« ging es auch bei der Katholischen Aktion letztlich um einen »individualisierenden Zugriff«: Angesprochen war jeder einzelne, der sein Gewissen gemäß den christlichen Forderungen bilden und sich gehorsam gegenüber dem Priester zeigen sollte. Die besondere Form der Pastoralmacht griff damit nach den Vorstellungen der Pastoralstrategen tiefer und umfassender als in früheren Zeiten auf den Einzelnen zu.224 Nicht mehr die Praxis und die äußere Anpassung an Riten und kirchliche Praktiken waren gefragt, sondern die innere Anteilnahme und Übernahme religiöser Glaubensinhalte und kirchlicher Gebote. Anders als beispielsweise in Italien und Frankreich setzten sich in Deutschland letztlich Strukturen durch, die mit der Reinform der Katholischen Aktion nur noch lose verbunden waren. Nach Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft etablierte sich das Vereins- und Verbandswesen in den katholischen Bistümern rasch wieder, so dass eine Mischform aus Gemeindepastoral und Verbändekatholizismus entstand. Mit der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) versuchte man in Anlehnung an das französische Vorbild eine auf die Jugend gerichtete Standesorganisation zu schaffen, die wie auch die anderen Verbände den missionarischen Geist weitertragen sollte. »Spätestens gegen Ende der fünfziger Jahre kam […] die Offensive des Nachkriegskatholizismus zur ›christlichen Erneuerung der einzelnen Menschen‹ und ›Verchristlichung der Umwelt‹ zum Erliegen.«225 Die Mitgliederzahlen der Standesverbände stagnierten und bröckelten seit Beginn der 1960er Jahre. Es gelang nicht, eine katholische Laienelite in einem solchen Ausmaß zu bilden, dass diese tatsächlich als Sauerteig in die Gesellschaft hätte hineinwirken können. Spätestens mit dem Zweiten Vatikanum, das den Katholizismus auf eine grundlegende Öffnung zur Welt hin zu programmieren suchte, war auch das Konzept der acies bene ordinate nicht mehr zeitgemäß. Es wurden aber Konzepte formuliert und Prozesse angestoßen, denen für die weitere Ausprägung des religiösen Feldes große Bedeutung zuwuchs: Individualisierung im Glauben, Egalisierung des Verhältnisses zwischen Kleriker und Laien und der Anspruch auf eine gesteigerte Partizipation der Laien am geistlichen Leben und an der Kirche. Alles in allem hatten sich die Kirchen in der unmittelbaren Nachkriegszeit rasch reorganisiert und waren dabei zumindest zeitweise in eine privilegierte öffentliche Position gelangt. Ein religiös-geistlicher Neustart war in beiden christlichen Konfessionen damit nicht verbunden. Konfessionsübergreifend fanden die Brüche und Verunsicherungen, die Diktatur und Krieg zweifelsohne hervorgerufen hatten, weder in den theologischen Entwürfen noch in der pastoralen Ausrichtung Resonanz: Auf die Bedrängnisse der Nachkriegszeit, vor allem aber auf die Erfahrung von Krieg und Diktatur reagierten Theologie und Verkündigung kaum. Die ältere Generation der katholischen Heimatpfarrer hatte die Geschehnisse des Krieges vor dem Hintergrund der traditionellen kirchlichen Kriegsinterpretation gedeutet: Duldung von Leid als stellvertretende Buße für die Sünde der Welt – so die Quintessenz der Erklärung, die die Kirchen boten. Von diesem Ausgangspunkt aus suchte man auch den Neuanfang 1945 zu konzipieren und prägte die Seelsorge und die religiöse Verständigung.

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Abb. 2: Traditionelle Frömmigkeitsformen: Fronleichnamsprozession auf dem Eisernen Steg, Frankfurt am Main. (bpk / Abisag Tüllmann)

Damit aber war der Bedarf an Weltdeutung nicht gestillt. Insbesondere in der jüngeren Generation stieß diese Form der religiösen Sinngebung an ihre Grenzen. »Und wenn wir heute einmal nachdenken über das Leben, das tiefere Leben, den Tod und über Gott, dann sehen wir zuerst meist den Krieg, die Vernichtung, den Haß, die Not, das Leid. […] Wo ist Gott?«226 Diese Grundskepsis hielt sich über das Kriegsende hinaus. In katholischen Studierendenkreisen etwa verdichtete sich diese Haltung zu einem Generationenbewusstsein, dass sich durchaus selbstbewusst von den älteren Jahrgängen abgrenzte. »Woher der Redner den Mut nähme zu sprechen und so zu sprechen, wo doch er und seine Generation die Republik von Weimar zugrunde gerichtet und so Hitler und den Krieg bewirkt hätten!?« Kein Wort der Entschuldigung dafür, dass sein Haus zerstört und er nun in einer zerrissenen Uniformjacke dastünde – so protestierte ausweislich der eigenen Erinnerung der Kölner Student der Rechte Rainer Barzel 1946 gegen den Auftritt eines Zentrum-Politikers.227 Auch in der protestantischen Kirche, so resümiert Clemens Vollnhals, blieb Rechristianisierung ein »illusionäres Konzept«. Das von den Nationalsozialisten hinterlassene »geistige Vakuum« habe diese »aufgrund ihrer weltabgewandten Konzentration auf den persönlichen Glauben […] und angesichts der nachwirkenden Traditionen und Hypotheken des deutschen Protestantismus« nicht füllen können.228

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Der Ruf nach der Jugend. Vom »Neuaufbruch« zum »Klimasturz« Nirgendwo lassen sich Erfolg oder Misserfolg kirchlich-pastoraler Bemühungen besser nachvollziehen als im Bereich der Jugendpastoral. Das Christentum ist, wie die meisten Religionen auch, per se ein Glaubenssystem, das auf die Weitergabe von Glauben und religiöser Praxis an die nächste Generation angelegt und angewiesen ist. An der Frage, ob die Tradierung gelingt, entscheidet sich die Zukunft religiöser Gemeinschaften. Je weniger selbstverständlich die nachwachsenden Generationen in den Glauben und die entsprechenden Milieustrukturen hineinwuchsen, desto stärker mussten sich die christlichen Konfessionskirchen um diesen Prozess bemühen. Spätestens seit der Weimarer Republik war die Jugendbildungsarbeit in beiden Konfessionen als wichtiger Faktor der eigenen Selbsterhaltung erkannt worden.229 Sowohl in den protestantischen Landeskirchen als auch in den katholischen Bistümern wurden spezifische Formen und Organisationen der Jugendarbeit entwickelt, die dem Neuanfang nach 1945 eine klare Richtung vorgaben. Dass man sich nach Kriegsende nun besonders auf die junge Generation konzentrierte, lag allgemein im Trend. Der »Ruf an die Jugend« war allgegenwärtig und erscholl aus den Behörden der Besatzungsmächte ebenso wie aus den wieder eröffneten Schulen, Universitäten und Fürsorgeeinrichtungen. Auf die Jüngeren setzte man, wenn vom Neuanfang die Rede war. Die Gesellschaft sollte »aus dem Geiste wacher Jugendlichkeit« wiedergeboren werden, so ein idealistischer Appell des Pädagogen Karl Seidelmann. Zugleich verbanden sich mit Formulierungen wie diesen auch massive Forderungen an die Jüngeren, formuliert von Erwachsenen, die in der Situation des Zusammenbruchs ihre Autorität lediglich aus der Tradition ableiten konnten.230 Ohne Zweifel diente das laute Rufen in Richtung Jugend auch dazu, Fragen nach der Verantwortung der Eltern- und Großelterngeneration zu übertönen oder doch wenigstens in den Hintergrund zu drängen.231 Damals wie heute gilt, dass Debatten über die Jugend immer auch »ein Selbstgespräch der Gesellschaft über sich« selbst sind, welches »in den Kategorien von ›Jugend‹ geführt [wird]«.232 Die Diagnosen zur Lage der Jugend durch kirchliche Funktionäre und Seelsorger überschnitten sich in mehreren Punkten mit gesamtgesellschaftlichen Krisendiagnosen. Jugendpfleger und Sozialwissenschaftler zeichneten ein äußerst hoffnungsloses Bild, indem sie die Jugendgeneration als »bindungslose Jugend« oder als »skeptische Generation« charakterisierten. Solche Kennzeichnungen avancierten zu weit verbreiteten Generationsmarkern.233 Ähnlich wie andere Kirchenvertreter auch, schilderte Ende Oktober 1947 der Diözesanjugendseelsorger des Bistums Münster, Heinrich Roth, die Situation der Jugend in drastischen Worten: »Die Erlebnisse des jahrelangen Soldatenlebens; Individualismus, der vorläufig von der Gemeinschaftsarbeit auch im kirchlichen Bereich nichts sehen und hören will, nach dem erzwungenen langen Leben in der Masse; der Verlust kostbarer und wertvoller Jugendjahre für die persönliche und berufliche Ausbildung; die Hoffnungslosigkeit der dunklen Zukunft; die Zerstörung von Heimat und Elternhaus; das Schwinden des Vertrauens zu aller Autorität und

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Führung nach dem großen Betrug der Staatsführung; die Flucht in oberflächliche Vergnügungen.«234 Die Intention dieses und vieler anderer Berichte war klar: Eindringlich beschwor man die Dringlichkeit der Jugendseelsorge. In beiden Großkonfessionen gab die Tradition die Richtung des Neuanfangs vor, ohne dass dadurch der Weg vollständig vorgezeichnet gewesen wäre. Ein wichtiger Unterschied in der kirchlichen Jugendarbeit zur Vorkriegszeit war, dass von Seiten der Kirchenleitung eine enge Anbindung an vorhandene Kirchenstrukturen gewünscht wurde. Deshalb wurden die während der NS-Zeit vollzogenen Weichenstellungen beibehalten: Einrichtungen wie der »Landesjugendpfarrer« und die »Gemeindejugend« waren in den protestantischen Landeskirchen nicht nur eine Interimslösung des Kirchenkampfes, welche das faktische Verbot der Jugendverbände 1936 nach sich gezogen hatte. In der Nachkriegszeit avancierten sie zu leitenden Modellen der Organisation. Mittels Jugendkammern oder Jugendkonferenzen wurden Gemeinde- und Verbandsjugend in die landeskirchlichen Strukturen eingebunden. Die nach 1945 neu gegründete »Evangelische Jugend Deutschlands« definierte sich durch den Zusammenschluss der einzelnen Verbände als »freiwillige Gemeinschaft auf dem Boden der Gemeinde.«235 Auch die katholischen Bischöfe verfolgten in ihrem Bereich den Kurs einer strikten Verkirchlichung. Das Ziel war es, die vormals selbständigen Jugendverbände stärker in die Hierarchie einzubinden. Das Eigenleben und die Eigeninteressen der traditionell mitgliederstarken Jugendvereinigungen erwiesen sich aber als so stark, dass diese Konzeption nicht ohne Kompromisse durchsetzbar war. Mit dem Bund der katholischen Jugend (BDKJ) wurde deshalb ein Dachverband geschaffen, in dem Gemeindejugend und Verbandsjugend nebeneinander organisiert waren. Die Masse der BDKJ-Mitglieder aber stellte die Katholische Junge Gemeinde dar, welche über den Ortsklerus in die kirchliche Hierarchie eingebunden war und auch einen Großteil der Leitungspositionen besetzte. Diese Zentralisierungspolitik setzte sich deutlich von den früheren Formen ab. Die Verbindung zur bündisch-konfessionellen Jugendbewegung der Weimarer Republik war aber nicht vollends gekappt: Maximen wie »Jugend erzieht sich selbst« und »Jugend führt Jugend« konservierten sich in der Praxis, in der Formensprache und in den Leitbildern der Jugendarbeit: »Heilige Begeisterung für das Reich Gottes« und »ehrfürchtige Liebe zu den jungen Menschen« sollten sich idealerweise im Jungführer und in der Jungführerin widerspiegeln, die den Jugendseelsorgern sowohl auf katholischer als auch auf evangelischer Seite als die entscheidenden Faktoren bei der Gewinnung nachwachsender Generationen galten. Theologisch-pastoral herrschten ähnliche Maximen wie in der allgemeinen Seelsorge vor. Hierzu zählten die »Sammlung unter dem Wort« und die Zusammenkunft zur gemeinsamen Bibelarbeit nach einheitlichen Werk- und Leseplänen. Die praktische Arbeit orientierte sich an Formen und Gehalten, die ihren Ursprung in der Erweckungsund Gemeinschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts hatten und insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus populär geworden waren. Ein Bericht aus dem westfälischen Wehdem im Jahr 1947 gibt dabei einen typischen Ein-

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blick in die Praxis kirchlicher Jugendarbeit. »Ein Kreis von jungen Männern (durchschnittlich 12) sammelt sich an den Montag-Abenden. Sie dienen der Aussprache über mancherlei Frage des Glaubens[,] sind aber in der Hauptsache Sammlung ums Wort, das zum Gespräch führt …. Am Dienstag sammelt sich der Jungmädchenkreis (durchschnittlich 25–30) zum Singen und zur Bibelarbeit.«236 Der »Rückzug auf ein religiöses Winkeldasein« hielt sich auch dann noch, als der äußere Zwang durch die Repressionen der Diktatur nicht mehr gegeben war.237 Die treibenden Akteure dieses Rückgriffs auf die vormals erfolgreiche Formensprache und pastorale Aufladung der Jugendarbeit waren Seelsorger und Verbandsautoritäten, die bereits vor dem Nationalsozialismus im Dienst gestanden hatten. Die »Männer der letzten Stunde« vor dem Verbot der Organisationen 1933 waren nach dem Krieg auch die »Männer der ersten Stunde«.238 Auf katholischer Seite stachen der 56jährige bayerische Prälat Ludwig Wolker und der 67jährige sauerländische Priester Hermann Klens sowie profilierte Jugendseelsorger aus den Diözesen hervor. Eine hohe personelle Kontinuität ist beispielsweise in der Jugendarbeit des Bistums Münster bis in die dritte Ebene der neu oder wieder erstandenen Verbände nachzuweisen.239 Auf evangelischer Seite waren es Personen wie Manfred Müller, seit 1942 Vorsitzender der Jugendkammer der Bekennenden Kirche und nach dem Krieg Leiter der Jugendkammer der EKD, und Erich Stange, seit 1921 Reichswart des Jungmännerwerkes, die die Initiative übernahmen. Welchen Erfolg konnte diese Ausrichtung verbuchen? In ihren Märschen und Großkundgebungen zeigte sich die katholische Jugend als »wohlgeordnete Schlachtreihe«. Damit agierte sie ganz im Sinne der katholischen Aktion, an der sich zu dieser Zeit das seelsorgliche Konzept ausrichtete. Auf Seiten der protestantischen Kirche demonstrierten die Pfadfinder mit ähnlichen Ritualen Geschlossenheit. Die damit errichtete Fassade aber trog. Wie in anderen Bereichen auch folgte in der kirchlichen Jugendarbeit dem vermeintlichen »religiösen Frühling« kein Sommer, sondern – um im Bild zu bleiben – zunächst eine deutliche Abkühlung, später dann ein Klimasturz: Viele Stimmen von der Gemeinde- und Verbandsbasis beschrieben bereits in den 1950er Jahren »eine gewisse Müdigkeit« in den Aktivitäten. »Der größte Teil unserer Jugend nimmt keinen Anteil am kirchlichen Leben«, so klagte 1957 das Presbyterium in Isenstedt-Frotheim und stand damit stellvertretend für viele ähnlich klingende Beobachtungen.240 Diese zeitgenössischen Eindrücke schlugen sich durchaus in den Mitgliederzahlen nieder. Während die evangelische Pfarrjugend auf eine formelle Aufnahme in ihre Organisation verzichtete, führte die katholische Kirche und ihre Bistümer einen Mitgliedernachweis: Die Statistiken zum »Organisationsgrad katholischer Jugendlicher im Bistum Münster« zeigen, dass die Jugendorganisationen vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre hinein erodierten. Zweifellos war auch die NS-Zeit für die katholischen Jugendverbände nicht ohne Folgen: 1953 lag ihr Organisationsgrad mit 30 Prozent bereits deutlich unter dem vergleichbaren Wert von 1932, der immerhin 38 Prozent betragen hatte. Zwischen 1953 und 1963 aber beschleunigte sich die Entwicklung massiv. Der Organisationsgrad ging in dieser Zeit-

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spanne um ein Drittel zurück. Dieser Trend verlangsamte sich erst gegen Ende der sechziger Jahre und kam in den 1970er Jahren auf niedrigem Niveau zum Stillstand.241 Diese statistischen Beobachtungen decken sich mit der Selbstwahrnehmung und den Krisendiagnosen beider Konfessionen: In der Öffentlichkeit wurde Anfang der sechziger Jahre der Niedergang der Jugendarbeit zum öffentlichen Thema. In der Tageszeitung Die Welt beklagte Bernd Nellessen die wachsende Diskrepanz zwischen »Sein und Schein der deutschen Jugendverbände«. Ihre Träger, so kritisierte der Journalist, richteten sich mehr nach den Fördervorgaben als nach den Bedürfnissen ihrer Klientel. Bereits 1959 nahm ein internes Papier der Konferenz der schleswig-holsteinischen Landesjugendpastoren die publizistische Diskussion vorweg. »Es rieselt und bröckelt«, so hieß es dort. Die Seelsorger konstatierten resigniert, dass die »Jugend eben anders geworden sei« und die Verbände mittlerweile neben den »Mädchen und Jungen« stünden. In gewohnter Rhetorik forderte man »feste Burgen«, die aus der Jugendpastoral unter jungen Christen erwachsen müssten. In der katholischen Kirche verdichtete sich dieser Krisendiskurs mit zwei bis drei Jahren Verzögerung: Das 1965 in Dortmund veranstaltete Bundesjugendfest der Katholischen Jugend mit einer im Verhältnis zu früheren Treffen enttäuschenden Beteiligung konnten selbst kirchennahe Beobachter nicht mehr als die »eindrucksvolle Willenskundgebung katholischer Jugend« werten, sondern allenfalls als »Abklatsch vergangener Zeiten«, so beispielsweise die Zeitschrift Kontraste.242 Die Erosion der Verbände und der gemeindlichen Jugendarbeit hatte aber laut Statistik bereits deutlich früher eingesetzt, nämlich Mitte bis Ende der fünfziger Jahre. Sie war begleitet von starken Veränderungen innerhalb der Jugendpastoral und den Jugendorganisationen, die als Begleitumstände, als Reaktion und auch als Ursache dieses Wandels gesehen werden können: Auch wenn die kirchenoffiziellen Vorgaben und Leitbilder unverändert geblieben waren, hatte in der Praxis der bündischen Gruppen, der Verbände und der Gemeindejugend ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Schrittweise wurden die Strategien aufgegeben, die auf klare Abgrenzungen gegen die säkulare Welt zielten. Kirchliche Jugendarbeit und bündische Gruppen verstanden sich zunehmend weniger exklusiv, sondern wollten der allgemeinen Erziehung und Bildung einen zusätzlichen konfessionellen Akzent geben. Auf diese Weise, so lautete das eigene Selbstverständnis, wollte man sich bemühen, die Lebens- und Erfahrungsräume der Jugendlichen in die Religionsgemeinschaft zu integrieren. Nicht die Schaffung einer konfessionellen Sonderwelt, sondern die Etablierung als »dritte Erziehungsagentur« stand den Verantwortlichen als Ziel vor Augen.243 Innerhalb der kirchlichen Jugendzusammenschlüsse war diese Ausrichtung nicht unumstritten, im Gegenteil: Die neue Ausrichtung war ein ständiger Streitpunkt insbesondere zwischen den Generationen: Immer stärker zeigte sich ein Gefälle zwischen dem Selbstverständnis der älteren Mitglieder der Jugendverbände als Elite oder Gegenbewegung zur Welt und der Mentalität der nachwachsenden Generationen. Der Jesuitenorden hatte 1921 den Bund Neudeutschland als eine Jugendorganisation zur Seelsorge unter Gymnasiasten gegründet. In diesem durchaus exklusiven Zusammenschluss diskutierte man noch 1958 über das »Rausschmeißen«, um auf diese Weise am

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Anspruch der Elitenbildung festzuhalten. Die Ein- und Ausschlusskriterien waren bis zu diesem Zeitpunkt klar definiert. Bereits 1961 und dann verstärkt im Kontext des Zweiten Vatikanums schien eine solche Diskussion völlig abwegig, setze man nun doch auf eine »Öffnung zur Welt«. Dazu wollte man die Arbeit in den Schulen intensivieren und diskutierte zudem offen, ob und wie man sich den politischen Vorstellungen von Sozialdemokraten und später auch der Außerparlamentarischen Opposition annähern könnte. In ähnlicher Weise entwickelte sich die Jugendarbeit auf der protestantischen Seite, wenn etwa ein niedersächsischer Leiter der Christlichen Pfadfinderschaft 1963 resümierte, dass der Verband sein »Elite-Bewußtsein« werde aufgeben müssen. »Wir sind nicht besser als andere Jugendverbände. Die Christliche Pfadfinderschaft entwickelt sich allmählich zu einem Jugendverband wie jeder andere.«244 Diese Entwicklung war nicht ausschließlich das Resultat einer bewussten Anpassung an die veränderten jugendlichen Lebenswelten und Einstellungen. Stattdessen liefen dabei institutionelle, konzeptionelle und personelle Umbrüche zusammen: Personell bewegte man sich von den Ursprüngen in der bündischen Jugendbewegung oder den biografischen Erfahrungen des Kirchenkampfes weg: Nicht nur die Spitzen des Jungmännerwerkes und des auf Mädchenarbeit spezialisierten Burckhardthauses traten ab, sondern auch die bejahrten Jugendseelsorger aus der zweiten Reihe. Zwischen 1953 und 1958 gaben beispielsweise in Schleswig-Holstein 14 von 22 Landesjugendpfarrern ihr Amt auf.245 Mit der Wahl Johannes XXIII. zum Papst, der damit Nachfolger des konservativen Pius XII. wurde, war auch in der katholischen Kirche ein ähnlich rasanter wie symbolträchtiger Generationenwechsel in den Leitungsgremien zu verzeichnen. Dieser Wechsel wurde von vielen Mitarbeitern in der Jugendpastoral euphorisch begrüßt. »Wir waren die 58er, nicht die 68er«, deutete ein katholischer Jugendseelsorger, Jahrgang 1936, die Bedeutung dieses Wechsels für seine Generation.246 Hinzu trat eine institutionelle und organisatorische Neuausrichtung: Kirchliche Jugendarbeit hatte sich zunächst in Konkurrenz zu ähnlichen Initiativen des Staates oder von Parteien gesehen. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber Institutionen wie den Jugendringen nutzten aber insbesondere die kirchlichen Jugendverbände diese Vertretungsinstitutionen. Entgegen seiner ursprünglichen Zielsetzung entwickelte sich der seit 1950 existierende Bundesjugendplan zu einem Förderinstrument für die vielfältigen Vorhaben der Jugendhilfe, die den kirchlichen Initiativen enorme Möglichkeiten eröffneten. Dem Leitbild »Kampf und Kontemplation«, welches nach 1945 einen Teil der kirchlichen Jugendarbeit bestimmt hatte, mussten in Folge dieser Entwicklung seit Mitte der fünfziger Jahre Stichworte wie Hierarchie, Geschäftsordnung, Konzepte und Zuständigkeiten hinzugefügt werden. Nicht mehr der charismatische Jungführer, sondern allein der erwachsene, neben- oder hauptamtliche Geschäftsführer konnte den bürokratischen Aufwand der Mittelanwerbung und der Mittelverwaltung bewältigen. Die im Rahmen dieser Professionalisierung engagierten Pädagogen und Laientheologen, so zeigt ein Blick auf die Stellenpläne deutscher Bistümer und Landeskirchen, entwickelten sich

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zu einer neuen, immer größer werdenden Status- und Interessengruppe, die in der Folgezeit auch den Pfarrern Konkurrenz machten. Ende der sechziger Jahre führte oftmals gerade diese Gruppe der kirchlichen Mitarbeiter den Protest gegen die Kirchenhierarchie an. Diese organisatorische Einbindung zog auch eine inhaltliche Neuausrichtung nach sich bzw. bereitete diese vor: Hatte der Verband zuvor als »Heimat« für Gleichgesinnte mit religiöser Ausrichtung gegolten, avancierte er seit Ende der fünfziger Jahre zu einer Institution der allgemeinen Jugendsozialarbeit. Vormals kirchliche oder kirchennahe Bekenntnisgemeinschaften von Jugendlichen wurden auf diese Weise zunehmend organisatorisch zentralisiert, rechtlichen Regelungen unterworfen und von ihren Zielsetzungen her »vergesellschaftet«. Sollten die Jugendlichen in der unmittelbaren Nachkriegszeit mittels ihres Verbandes in das missionarische Apostolat der Kirchen integriert werden, so zielten nun die Jugendverbände auch ihrem eigenen Selbstverständnis nach darauf ab, jungen Menschen einen pädagogischen Entwicklungsraum bereitzustellen. Die Frage, ob und inwieweit diese Ausrichtung noch mit einem kirchlichen Verkündigungsauftrag in Einklang zu bringen war, entwickelte sich seit Mitte der sechziger Jahre zu einer Dauerreflexion über das Wesen und den Sinn kirchlicher Jugendarbeit und das Selbstverständnis der konfessionell bündischen Gruppierungen. Ein gemeinsames Verständnis davon, was das eigentliche Proprium christlicher oder gar konfessioneller Sozialisation sein sollte, konnte aber selbst unter den Akteuren im engeren Sinn nicht mehr hergestellt werden. Sollte kirchliche Jugendarbeit darin bestehen, dass sie Gemeinschaft stiftete? Oder gehörte doch ein kirchlicher, religiöser oder biblischer Bezug dazu? So lauteten die Grundfragen der seit 1969 in der evangelischen Kirche geführten »Polarisierungsdebatte«. Im praktischen Gruppenleben vor Ort führte das dazu, dass Exerzitien und religiöse Unterweisung zu Gunsten eines demokratisch-politischen Engagements in Schule und Gesellschaft wegfielen. Traditionelle und neue Orientierungen standen sich personifiziert durch Kirchenleitung und die hauptamtlichen Jugendfunktionäre aus den Verbänden gegenüber. Die zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen führten dabei weder zu neuen und konsensfähigen Grundlagen, noch stoppten sie die Abwanderung der Mitglieder im Sinne der Verbandsleitungen. Die hier skizzierten Entwicklungen im Bereich der Jugendorganisationen und der Jugendpastoral nahmen ihren Anfang deutlich vor dem Zweiten Vatikanum und vor dem Schwellenjahr »1968«. Damit setzten wichtige Entwicklungen weit eher ein, als sie in vielen kirchennahen Kreisen bislang verortet wurden. Nicht das Zweite Vatikanum und nicht der vermeintlich kulturrevolutionäre Charakter von »1968« erklärt den rapiden Rückgang von Kirchenbindung unter Jugendlichen. Sowohl gesamtgesellschaftlich als auch im Bereich der religiösen Jugendarbeit hatten diese beiden Ereignisse nur deshalb eine so starke Wirkung, weil zahlreiche Konventionen und scheinbar gemeinsam geteilte Werte längst erodiert waren. In den »langen fünfziger Jahren« veränderten sich die Modalitäten religiöser Sozialisation in beiden christlichen Großkonfessionen markant. Was für die kirchennahen und in den christlichen Organisationen erfassten

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Jugendlichen gezeigt werden konnte, gilt mit Blick auf die Religiosität in Deutschland insgesamt in noch größerem Maße. In diesem Sinne waren die skizzierten Entwicklungen in der Jugendarbeit durchaus Avantgardephänomene, die die Trends für das religiöse Feld insgesamt vorzeichneten.

Die Nachkriegszeit und ihr Ende

Die Nachkriegszeit und ihr Ende. »Rechristianisierung« als Ideal und Chimäre In den 1950er Jahren, so schrieb der Kirchenhistoriker Hugh McLeod, konnte man mit Blick auf Westeuropa durchaus noch von einem christlichen Kontinent sprechen.247 Auch von den drei westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland lässt sich das sagen: Sowohl die protestantische als auch die katholische Kirche sahen sich von einer großen öffentlichen Wertschätzung getragen. Zunächst von den Besatzungsmächten als wichtige Ansprechpartner im Nachkriegsdeutschland anerkannt, wurde ihnen auch in der frühen Bundesrepublik viel Respekt entgegen gebracht. Wo der Nationalismus als Leitbild völlig desavouiert war, bot sich die Religion an, um eigene Leitwerte neu zu formulieren. Rechristianisierung zur Überwindung des Säkularismus: Dieses Rezept versprach den Nationalsozialismus zu überwinden, ohne tatsächliche Veränderungen anstoßen zu müssen. So konnte diese moralische Leitlinie die Interessen vieler Deutschen bedienen. Die große Mehrheit der Bevölkerung war weiterhin nominell christlich. Eine Reihe von Wiedereintritten nährte zunächst die Illusion, dass man die massenhaften Austritte während der Zeit des Nationalsozialismus wieder kompensieren könnte. Es entwickelten sich starke Beziehungen zwischen den religiösen und den säkularen Eliten in Politik und Gesellschaft. Die »hinkende Trennung« von Kirche und Staat verhalf den christlichen Konfessionen zu einer prominenten Stellung insbesondere im Bildungswesen, das spezielle System des staatlichen Kirchensteuereinzugs garantierte eine üppige finanzielle Basis. Allen voran bot die CDU die Möglichkeit, christliche Politik auch nach Vorstellungen der Kirchen umzusetzen. Hinzu kam, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen aufwuchs und erzogen wurde, so dass die Weitergabe des Glaubens garantiert schien. Darüber hinaus hatten die Kirchen starken Einfluss auf öffentlich kommunizierte Moralvorstellungen und damit auch auf die rechtliche Kodifizierung dieser Normen. Institutioneller Aufbau und Neuaufbau der Kirchen gingen Hand in Hand mit der Etablierung bürgerlicher Vorstellungen von Moral und Anstand. All dies verdichtete sich zu einem Konglomerat, in dem die christlichen Religionsgemeinschaften in vielen Bereichen die Deutungshoheit besaßen und damit weit in die Gesellschaft hinein wirken konnten. Aber diese Skizze einer umfassenden Rekonsolidierung ist nur eine Seite der Medaille. Die unmittelbaren Nachkriegsjahre und die 1950er Jahre waren nicht nur gesamtgesellschaftlich mehr als eine »bleierne Zeit« oder eine Phase der »Restauration«.248 Mit Blick auf die Entwicklung der Religionsgemeinschaften zeigte sich, wie viel Neuanfang, Transformation, aber auch Abbruch alter Entwicklungslinien bereits von der Frühphase der Ära Adenauer bis zu Beginn der 1960er Jahre zu beobachten waren. Die Wahrnehmung einer umfassenden »Rechristianisierung« erweist sich in der Rückschau als eine Chimäre. In mancherlei Hinsicht waren es nur kurzfristige Entwicklungen, die rasch wieder abebbten. Eine komplett geschlossene religiöse Lebenswelt existierte schon vor dem Zweiten Weltkrieg nicht. In der frühen Bundesrepublik wurde es dann aber immer schwieriger, einen gewissen Zusammenhalt der kirchlichen Milieus aufrecht zu erhalten. Durch Krieg, Flucht und Vertreibung ausgelöste Bevölkerungsbewegungen, die

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steigende soziale Mobilität auf Grund des seit Ende der 1940er Jahre einsetzenden ›Wirtschaftswunders‹, eine Ausweitung des individuellen Horizontes und Weltbildes – all diese und weitere Faktoren setzten starke und nachhaltige Veränderungen in Gang. Neu war, dass sich diese Entwicklungen nicht mehr außerhalb der Religionsgemeinschaften vollzogen. War es diesen vormals gelungen, sich von Modernisierungsprozessen in einer Sonderwelt weitgehend abzuschirmen, griffen diese Mechanismen in der Bundesrepublik nicht mehr. Die Veränderungen wirkten somit auch stark in die christlich geprägten Bevölkerungsteile und ihre Milieus hinein.249 Hinsichtlich der zählbaren religiösen Praxis, die sich vor allem in Mitgliedschaft und Kirchgang ausdrückt, war der religiöse Frühling kurz, ein Sommer wurde daraus nie. Die Euphorie, die manchen Kirchenführer befiehl, entstand oft nur auf Grund von Fassaden: »Fest soll mein Taufbund immer stehen«, so sangen die deutschen Katholiken in ihren Messen. Damit verwiesen sie nicht nur darauf, dass quantifizierende Parameter kirchenintern zu einem wichtigen Ausweis religiösen Erfolgs wurden. Zugleich ist dieser Liedtext auch ein Beispiel dafür, wie stark beide Kirchen 1945 auf traditionelle Formen der Pastoral und der Frömmigkeitspraxis zurückgriffen. Die wachsende Distanzierung ihrer Gläubigen von diesen Praxisformen zeigte, dass sie das religiöse Bedürfnis nicht mehr damit stillten. »Hinter der Fassade einer ›vordergründigen Religiosität‹ [wurden] bereits Elemente ihrer Auflösung sichtbar.«250 Insbesondere in der Formulierung und Propagierung von Moralvorstellungen gingen kirchliche Lehre und bürgerliche Gesellschaft teilweise Hand in Hand: Die Familie war Kirche im Kleinen wie auch Keimzelle der Gesellschaft. Deviantes Verhalten wie sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe oder nicht-heterosexuelle Kontakte waren als Abweichung von der moralischen Norm verpönt. Im Alltagsleben aber lösten sich die Bindungen von diesen moralischen Ansprüchen immer stärker ab. Weder die kirchlichen Moralvorstellungen noch die damit verbundenen Rollenbilder für Mädchen und Jungen, Frauen und Männer bewahrten ihre Prägekraft, im Gegenteil: Der schleichende Ausmarsch aus den kirchlichen Jugendorganisationen verwies nachdrücklich auf die Erosion sowohl der christlich-religiösen Lebenswelt als auch der Tradierungskette von Generation zu Generation. Auch im politischen Bereich lockerten sich die Bindungen. Wo der Katholizismus sich noch lange an die CDU und die CSU band, bestand in der evangelischen Kirche bereits ein Veränderungsdruck, der vor allem aus der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus resultierte. Das Verhältnis von »Thron und Altar« stand traditionell für eine ausgeprägte Staatsnähe. Eine solche Konstellation war nach dem ›Kirchenkampf‹ nicht mehr denkbar. Die in den Bruderräten und in der Bekennenden Kirche ausgebildeten Überzeugungen und politischen Praxisformen ließen eine Rückkehr zum Alten nicht mehr zu.

2. Vom Aufbruch und vom Absturz in die Nachmoderne. Das religiöse Feld in den sechziger und siebziger Jahren

Die sechziger Jahre waren bewegte Jahre. Nicht nur rückblickend stehen sie für eine Phase rasanten und tief greifenden Wandels, auch zeitgenössisch wurden sie aus ganz unterschiedlicher Perspektive so wahrgenommen. »For the times they are a-changing« textete Bob Dylan 1963 und besang damit seine Interpretation der Veränderung. Aber nicht nur Rockmusiker, sondern auch Politiker empfanden das Besondere. Im selben Jahr gab Bundeskanzler Ludwig Erhard seine erste Regierungserklärung ab, worin er feststellte, dass »nicht nur die Bundesrepublik, sondern die ganze Welt im Begriff [sei], aus der Nachkriegszeit herauszutreten«.1 Der Vietnamkrieg mitsamt der weltweiten Protestbewegung gegen die amerikanische Intervention, die in Nordamerika entstehenden Bürgerrechtsbewegungen, der Mai 1968 in Paris, die Studentenrevolten in Berlin, Frankfurt und München – diese und andere Ereignisse stützen die These von den »dynamischen Zeiten«. Daneben sind es sozialhistorische, ökonomische und kulturelle Faktoren, die den Wandel demonstrieren. Die Veränderungen beschränkten sich aber nicht auf das Jahr »1968«, sondern waren vielfach langfristiger Natur:2 Mit dem Babyboom seit Anfang der sechziger Jahre verjüngte die Bevölkerung der Bundesrepublik wie in keinem anderen Jahrzehnt zuvor. Der Anteil der Bevölkerung unter 20 Jahren lag 1960 bei 28,8 Prozent, bis 1970 stieg er auf 31,1 Prozent. Hatten schon die Vertriebenen und Flüchtlinge die Bevölkerungszahl wachsen lassen, so kam mit dem Wirtschaftswunder eine erste große Welle von Einwanderern hinzu. Der Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit brachte einen massiven Strukturwandel: Immer weniger Beschäftigte arbeiteten im Primär- und Sekundärsektor der Volkswirtschaft, der Anteil des Dienstleistungssektors stieg. Mit einer Arbeitslosenquote von unter einem Prozent herrschte Vollbeschäftigung. Zugleich stieg mit den Einkommen auch der allgemeine Wohlstand. Die durchschnittlichen Einkommen in Arbeiter-, Angestelltenund Beamtenhaushalten erhöhten sich in diesem Jahrzehnt um die Hälfte auf mehr als 1.300 Deutsche Mark.3 Der Durchschnittsverdiener konnte sich nun viele Dinge leisten, die im Jahrzehnt zuvor außerhalb seines persönlichen Horizontes gelegen hatten.4 Der Freizeitanteil stieg, die Konsumgesellschaft mit ihren vielfältigen Erlebnismöglichkeiten gewann an Kontur. Hinzu kamen Veränderungen und Umbrüche im (massen)kulturellen und medialen Bereich: Das Fernsehgerät trat als zweites elektronisches Massenmedium neben das Radio.5 Auch wenn die Sender zunächst nur stundenweise oder halbtäglich ihr Programm ausstrahlten, vervielfachte sich damit die Möglichkeit für den Einzelnen, Informationen über den eigenen Lebenskreis hinaus zu erhalten und sich audiovisuell einen Eindruck von anderen Kulturen und fernen Welten zu verschaffen. Wochenzeitschriften wie Spiegel und Die Zeit oder kritische Fernsehformate wie Panorama

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erweiterten das Medienspektrum ebenso wie rororo-aktuell als neues Buchformat. Bislang wenig bekannte Formen der Unterhaltungskultur eroberten die Aufmerksamkeit vieler Menschen: Die Beatles, die Rolling Stones und viele andere avancierten zu den Vorreitern einer besonderen, immer stärker internationalisierenden Jugendkultur. Die bereits genannten, aber auch viele weitere Veränderungen markieren die sechziger Jahre als eine Phase, die vor allem von einer Lebensstilrevolution geprägt war. Die Studentenunruhen und politischen Proteste seit 1968 waren kein singuläres Ereignis, sondern stachen als Hochwassermarke einer längeren Entwicklung hervor. Die Kombination von Wandel und Innovation bei stabilen politischen Verhältnissen und rasch ansteigendem Wohlstand bahnte den Weg aus der klassischen industriegesellschaftlichen Moderne. Damit ist ein Thema berührt, welches in den vergangenen Jahren unter Stichworten wie Postmoderne, Nachmoderne oder zweite Moderne breit diskutiert wurde. Die Jahrzehnte seit Ende der sechziger Jahre unterscheiden sich grundlegend von der klassischen Moderne seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhundert. Mit Blick auf Westeuropa sprach der britische Historiker Eric Hobsbawm sogar von »erdrutschartigen Veränderungen«, »die bis heute nicht zum Stoppen gekommen« seien6: Die Reformbedürftigkeit der Sozialsysteme, die Krise des industriell-fordistischen Produktionsprozesses, die Erosion der sozial geschützten Normalarbeitsverhältnisse für den männlichen Familienernährer, die Auflösung der damit verbundenen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der modernen Kleinfamilie wie auch ein starker demografischer Wandel – schon diese wenigen Punkte auf einer keinesfalls abgeschlossenen Liste dokumentieren die Vielschichtigkeit der Veränderungen, die bis heute Politik und Gesellschaft herausfordern.

2.1 Die christlichen Religionsgemeinschaften in den 1960er und 1970er Jahren Das religiöse Feld stand im Zentrum dieser Veränderungen, waren doch sowohl die Formen der kollektiven Sinnstiftung wie auch die individuellen Identitätskonstruktionen davon massiv beeinflusst.7 Bis in die fünfziger Jahre konnten sich die Religionsgemeinschaften von den säkularen Entwicklungen zumindest teilweise in eigenen Milieus und Sozialzusammenhängen abschotten. Nun aber standen sie im Zentrum des Wandels. Dabei waren die Kirchen nicht nur passive Objekte der Entwicklung. In vielen Bereichen kamen gerade aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften Impulse und Anstöße zu weitreichenden Veränderungen. Forschungen zu beiden christlichen Kirchen betonen fast unisono, wie tief greifend dieser Wandel war: Die sechziger Jahre dürften »für keine Institution und soziale Gruppe in der deutschen Gesellschaft […] von ähnlich weitreichender Bedeutung gewesen sein wie für die katholische Kirche und die Katholiken«, so führt der emeritierte Theologieprofessor und Sozialethiker Karl Gabriel aus.8 In ähnlicher Weise resümiert auch der Kirchenhistoriker Martin Greschat für die protestantische Kirche, dass sich »innerhalb kurzer Zeit, nämlich von der Mitte der

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60er Jahre bis zum Ende des Jahrzehnts […] eine offenkundige und zunehmend rasante Veränderung der religiösen und kirchlichen Rahmenbedingungen« vollzogen habe.9 Dieser Zeitabschnitt brachte, so betont mit Hugh McLeod einer der besten Kenner der internationalen Religionsgeschichte, im Westen Europas und in Nordamerika einen ähnlich starken Bruch wie die Reformation und Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert.10 Was sind die Gründe für diesen Wandel? Warum setzt er mit einer solchen Intensität ein? Und warum in diesen Jahren? Die Beantwortung dieser Frage kann nicht monokausal geschehen. In den folgenden Ausführungen wird es stattdessen darum gehen müssen, sowohl innerhalb der Religionsgemeinschaften wie auch in ihrem Verhältnis zu Gesellschaft und Politik nach Änderungen zu suchen.

»Warum treten Sie nicht aus der Kirche aus?« Die Kirchenkrise und ihre öffentliche Thematisierung Allen frühen Erosionserscheinungen zum Trotz präsentierte sich das religiöse Feld in den fünfziger Jahren als relativ geschlossen christlich. Die Mehrheit der Bevölkerung gehörte der evangelischen oder der katholischen Kirche an, zumindest nominell war die Gesellschaft durch und durch christlich. Die Zahl der offen agnostischen oder atheistischen Menschen war verschwindend klein. Der Anteil von Muslimen, Buddhisten oder Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften war gering, in der öffentlichen Wahrnehmung kamen sie kaum vor. Nur wenige Juden hatten den Holocaust überlebt und entschieden sich für eine Existenz im postnationalsozialistischen Deutschland. Religionspluralität war als soziales Faktum unbekannt. Auf diesem Hintergrund entwickelten die beiden christlichen Kirchen in verschiedenen Bereichen eine dominierende Meinungsführerschaft. Insbesondere mit Blick auf Ehe und Familie, Sexualität und Erziehung sowie Fragen der Moral ging die staatliche Politik in vielen Fällen Hand in Hand mit den kirchlichen Verhaltensmaximen. In den sechziger und siebziger Jahren änderte sich dies. »Warum treten Sie nicht aus der Kirche aus?«, titelte die Illustrierte Stern im April 1967 und veröffentlichte unter dieser Überschrift die Ergebnisse einer Umfrage zum Glaubensleben der Deutschen.11 Offensiv und öffentlich wurde damit ein Problem verhandelt, welches schon länger virulent war: eine massive Entkirchlichung großer Teile der Gesellschaft. Ein Blick auf die statistischen Daten verdeutlicht die Konturen dieses Prozesses: 1956 gehörten von 53 Millionen Deutschen nur 2,1 Millionen einer anderen oder keiner Religionsgemeinschaft an. Bereits Mitte der siebziger Jahre hatte sich das Verhältnis deutlich verschoben. Von knapp 62 Millionen Einwohnern war zwar immer noch die große Mehrheit Mitglied einer der christlichen Kirchen, aber die inzwischen 7,45 Millionen nichtchristlichen Einwohner konnten nicht mehr ignoriert werden.12 Hinzu kam die anhaltende und sich verschärfende Erosion der Konfessionsgemeinschaften. Die Zahl der aus der katholischen Kirche austretenden Bürger schnellte nach oben: Waren 1966 rund 22.000 Katholiken ausgeschieden, so verließen 1970 schon 70.000 die Religionsgemeinschaft. In dem halben Jahrzehnt zwischen 1968 und 1973

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sank die Zahl derjenigen, die sonntags den Gottesdienst besuchten, um ein Drittel. Noch dramatischer werden die Zahlen, wenn man diese Ergebnisse nach verschiedenen Altersgruppen differenziert: Unter den 16- bis 29jährigen waren es beinahe 50 Prozent, die nicht mehr an der Messe teilnahmen. Für die Zukunft verhieß das aus Sicht der Kirchen nichts Gutes. Schon die zeitgenössischen Demoskopen hoben die beobachtbaren Trends hervor: »Die plötzliche Abwendung von der Kirche« erfasste alle Altersund Bevölkerungsgruppen, aber bei weitem nicht in gleichem Ausmaß. »Es waren vor allem Männer, die höheren Bildungsschichten, Großstadtbewohner und besonders junge Leute, die den Gottesdiensten fernblieben«.13 In gleicher Weise entwickelten sich die Zahlen in der evangelischen Kirche: Bis 1967 traten jährlich im Durchschnitt 44.000 Mitglieder aus. 1968 aber stieg dieser Wert auf 60.000, 1969 erreichte er die Marke von 112.000 und schnellte im nächsten Jahr auf 203.000 hoch. In der protestantischen Kirche gibt es kein »Kirchengebot«, welches den sonntäglichen Gottesdienst für den einzelnen Gläubigen verpflichtend macht. Die sonntägliche Gottesdienstfrequenz war deshalb im evangelischen Bereich immer niedriger als im Katholizismus, weshalb sich direkte Vergleiche zwischen den Konfessionen verbieten. Beobachtet man aber die Entwicklung innerhalb der evangelischen Kirche, dann zeigen sich im Zeitverlauf deutliche Trends: Die zwei Nachkriegsjahrzehnte von 1945 bis in die Mitte der sechziger Jahre stechen mit einem Gottesdienstbesuch von 15 Prozent als eine Zeit hervor, in der die Kirchenbindung hoch war und die Pastoren einen großen Anteil ihrer Gemeindemitglieder erreichten. Dieser hohe Prozentsatz sank innerhalb weniger Jahre: 1973 betrug die Zahl derjenigen, die sonntags die Kirche aufsuchten, nur noch 7 Prozent. Parallel zur Entwicklung in der katholischen Kirche ließen auch unter den Protestanten insbesondere die jüngeren Gläubigen vom Gottesdienstbesuch ab. Betrachtet man die Gruppe der evangelischen Christen bis zum Alter von 45 Jahren, dann hatten bis 1963 immerhin 11 Prozent von ihnen regelmäßig dem Gottesdienst beigewohnt, 1967 waren es noch sechs Prozent, 1973 nur noch drei Prozent.14 In beiden Kirchen betrieb man Ursachenforschung und beauftragte Sozialwissenschaftler und Meinungsforschungsinstitute, um dem Anstieg der Kirchenaustrittszahlen auf den Grund zu kommen. Im Kontext der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland engagierte die Deutsche Bischofskonferenz den Soziologen Gerhard Schmidtchen dazu, eine Erhebung unter den deutschen Katholiken durchzuführen. Seine Methode der Totalbefragung, bei der jedes Mitglied einen Fragebogen zugeschickt bekam, war unter Experten hoch umstritten. Es war bekannt, dass auf diese Weise der Rücklauf keinesfalls ein repräsentatives Ergebnis brachte, gaben doch gerade die besonders Engagierten und Kritischen, weniger aber die Mitte ihre Meinung kund. Die Bischöfe selbst aber wollten eine Haltung großer Offenheit demonstrieren und behielten deshalb diese Form bei. Die Studie lieferte letztlich ebenso plakative wie auch erregt diskutierte Ergebnisse.15 In detaillierten Fragebögen erfragte Schmidtchen die Differenz oder Übereinstimmung zwischen den persönlichen Wertemustern der Katholiken und denen ihrer Kirche.16 Unter anderem wollte

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er wissen, in welchen Bereichen die Gläubigen die kirchlichen Vorgaben als hilfreich oder als hinderlich ansahen. All diejenigen, so zeigten die Auswertungen, die sich von der Kirche in ihrem persönlichen Streben nach sozialer Gerechtigkeit oder auch zur Verwirklichung des eigenen Lebensglücks gebremst sahen, nahmen eine distanzierte Haltung zur Kirche ein. Die »Strukturen Kirche und Gesellschaft«, so kommentierte Schmidtchen die Zahlen, wurden von vielen Katholiken als »diskrepant« empfunden: Nicht mehr die Kirche, sondern die Gesellschaft gab Leitwerte und Muster des Selbstkonzeptes vor. »Das ist modernes säkulares Bewußtsein«, so die Studie. »Verbreitet sind Fortschrittserwartungen, Erwartungen an die Selbstgestaltungsfähigkeit des Menschen, die utopisch-religiöse Züge tragen. Die Kirche und die christliche Überlieferung werden von vielen nicht mehr als instrumentell für diese Werte empfunden. So geraten sie mit christlicher Überlieferung oder dem, was sie dafür halten, in Konflikt, geben die Beziehung zur Kirche auf«.17 Die Ergebnisse dieser Befragung wurden durch eine qualitative Studie ergänzt, die ebenfalls im Jahr 1972 Religiosität in einer Ruhrgebietsgroßstadt untersuchte18: Die Soziologin Ursula Boos-Nünning konnte zeigen, dass die Mehrheit der Katholiken eine kirchengebundene Religiosität hinter sich gelassen hatte. Viele suchten weiter nach Geborgenheit in einer höheren Macht, nach Hilfe im Glauben oder Trost in den Stunden des Todes. Sie formulierten ihre Wünsche nach wie vor in Worten und Bildern, die stark vom Christentum geprägt waren. Die Riten und Formen aber, der Sonntagsgottesdienst, die Beichte oder der Kontakt zur Gemeinde, spielten nur noch eine bescheidene Rolle dabei, diese Bedürfnisse auch zu stillen. Es waren Mischformen von informeller oder neuer Religiosität und den kirchlich tradierten Formen, die das spirituelle Leben von etwa der Hälfte der Katholiken prägte und diese als religiös oder sehr religiös auswies. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich im Protestantismus. 1972 ergab eine von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland veranlasste Erhebung, dass je nach Altersgruppe nur zwei bis neun Prozent der nach ihrem Wertesystem Befragten explizit den christlich-bürgerlichen Werten zustimmten, während 23 Prozent Freiheit und Unabhängigkeit und 25 Prozent eine fortschrittliche Gesellschaft als wichtige Ziele benannten.19 »Wie stabil ist die Kirche?«, fragte die von der EKD in Auftrag gegebene und unter diesem Titel 1972 veröffentlichte Studie. Auch diese Analyse zeigte, dass die relative Stabilität und volkskirchliche Verbundenheit insbesondere in der Gruppe der jungen Gebildeten erheblich bröckelte.20 Nicht erst in den Sechzigern, sondern schon seit Mitte der fünfziger Jahre hatten sich die Zahlen verschlechtert. In den Führungszirkeln der Kirchen und ihrer Funktionäre hatte schon ein Jahrzehnt nach Kriegsende die Überzeugung Raum gegriffen, dass das Ziel einer umfassenden Rechristianisierung nicht zu erreichen war. Zu dieser Einsicht beigetragen hatte unter anderem, dass man nun mit neuen Methoden arbeitete, um den Zustand des religiösen Lebens zu erfassen und darzustellen. Im katholischen Bereich war die frühere Zählung von Kirchenbesuchern zu einer sozialwissenschaftlich fundierten Soziographie weiterentwickelt worden. Genauer als zuvor konnte nun beispielsweise herausgefunden werden, welche Katholiken am Sonntagsgottesdienst nicht

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mehr teilnahmen und die Osterkommunion nicht mehr empfingen. Dabei zeigte sich, dass Männer und Frauen zwischen 20 und 60 Jahren, die aktiv in den Arbeitsprozess eingebunden waren, kaum noch erreicht wurden. Diese und andere Ergebnisse verdeutlichten, dass die religiösen Gemeinschaften nicht in der Lage waren, die gesamte Gesellschaft zu durchdringen. Entgegen den Hoffnungen auf Rechristianisierung erschienen sie stattdessen als ein von vielen anderen Sphären abgekoppelter Bereich.21 Beide Kirchen, so lässt sich resümierend sagen, büßten einen großen Teil ihrer Integrationskraft ein. Dabei dominierte aber nicht der radikale Bruch mit dem konfessionell organisierten Christentum. Statt sich öffentlich vernehmbar von der Kirche zu trennen, blieben viele Gläubige ihren religiösen Gemeinschaften zunächst noch verbunden. Zumindest formal waren sie weiter Mitglieder, gingen aber deutlich auf Distanz zu den Glaubenssätzen und Verhaltensanforderungen, die die Kirchen formulierten. Auch wenn sich damit in der Statistik Teile der volkskirchlichen Struktur erhielten, hatte diese Einstellungsänderung auf längere Sicht fundamentale Konsequenzen: Von »Taufscheinchristen«, die nur noch der Form halber der Kirche angehörten, konnte sicher nicht erwartet werden, die eigenen Kinder zu lebendigen Mitgliedern der Religionsgemeinschaft zu erziehen. Damit bröckelte die religiöse Sozialisation an ganz entscheidender Stelle: Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts war die Familie zur wichtigsten Trägerin religiöser Erziehung avanciert. Von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an funktionierte dieses Glied in der Tradierungskette des Christentums nur noch bedingt. Dass das Netz religiöser Sozialisation, wie es durch kirchliche Schulen, die Kinder- und Jugendverbände und durch berufsständische Vereine für Erwachsene gespannt war, immer löchriger wurde, verschärfte die Krise in der Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation zusätzlich. Hinzu tritt eine Neuerung, die die Erosion insgesamt, vor allem aber den rasanten Anstieg der Austrittszahlen zum Ende der sechziger Jahre zu erklären hilft: Die mit Hilfe der sozialwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden aufgedeckte Krise wurde in der Folgezeit zu einer weit in die Öffentlichkeit ausstrahlenden Debatte. Zuvor waren die Anzeichen für die erodierenden volkskirchlichen Strukturen, wie sie in den Statistiken und demoskopischen Untersuchungen zu Tage traten, intern in den neu gegründeten Seelsorgeabteilungen und Generalvikariaten diskutiert worden. Schon lange war beispielsweise in katholischen Kreisen vermutet worden, dass geheim gehaltene Ergebnisse existierten und Erhebungen stattgefunden hatten, die von vornherein »nur für die Bücherschränke« der Bischöfe bestimmt waren.22 In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aber avancierten diese Krisenphänomene zum öffentlich debattieren Thema. »Was glauben die Deutschen« hatte der Spiegel im Dezember 1967 gefragt und schloss damit an die Erfolgsgeschichte des Stern vom April desselben Jahres an. Das Heft hatte Zahlen und Ergebnisse einer in Auftrag gegebenen Umfrage abgedruckt und stieß damit auf breite Resonanz. »Für jeden dritten Deutschen in der Bundesrepublik ist Gott tot. Nur die Hälfte der Bundesbürger glaubt an ein Leben nach dem Tod. Die meisten Katholiken halten den Papst nicht für unfehlbar.«23 Schon mit den ersten drei Sätzen des Aufmachers in diesem Heft wurde klar, dass in

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diesem Artikel nicht Marginalien, sondern die Grundfesten christlichen Glaubens thematisiert wurden. Nach ausführlichem Zahlenwerk und bunt unterlegten Tabellen gab es eine ernüchternde Bilanz: Laut Spiegel dominierten die »Christen ohne Kirche. Sie sind nicht gegen, aber auch nicht für die Kirche. Sie wollen sie nicht abschaffen, aber halten sie für überflüssig. Nur zu Familienfesten soll sie noch dabei sein – wie eine gute alte Tante. Sie sind nicht gegen, aber auch nicht für Gott. Sie kommen ohne ihn aus, er ist für sie gestorben. Manche haben es kaum gemerkt, jedenfalls trauern sie ihm nicht nach. Sie sind nicht gegen, aber auch nicht für den Christen-Glauben. Sie glauben, was und wie es ihnen gefällt. […] Im Niemandsland zwischen Glauben und Unglauben ist die Hälfte der Deutschen seßhaft geworden. Es gibt keine Kirchengegner, die sie schrecken und in die Kirche zurücktreiben könnten. Aber es gelingt auch den Kirchenführern nicht, sie heimzuholen in die gelichteten Herden des Glaubens.«24 Alles in allem konstatierte der Artikel einen zunehmenden religiösen Indifferentismus. Immer mehr Deutsche setzten ihren Glauben aus ganz verschiedenen und auch kirchenfernen Gehalten zusammen. Mehr noch als die Diagnose selbst ist ein anderer Punkt von Bedeutung. Zweifelsohne war mit diesem Artikel wie auch anderen massenmedialen Äußerungen ein neues Stadium der Diskussion erreicht. Man stritt nun öffentlich und weithin vernehmbar über die Bedeutung dieser und anderer Umfragen. Magazine wie Spiegel und Stern besetzten die Themen und suchten dafür nach einem möglichst breiten Publikum, das den jeweiligen Titel auch kaufte. Die Beschränkung auf die Öffentlichkeit der inner circle in den Kirchen und unter ihren Gläubigen war damit gesprengt. Zudem stießen mit den Medien nun nichtkirchliche Institutionen die Debatte an, so dass die Kirchenvertreter oftmals wie Getriebene wirkten in ihren Versuchen, auf diese Veröffentlichungen zu reagieren. Laut der Berichterstattung, die die Reaktionen auf die Spiegel-Titelstory verfolgte, nahmen Studenten an der Ludwig-Maximilians-Universität München die Umfrage zum Anlass, unter ihren Kommilitonen zum Austritt aus der Kirche zu werben.25 In den ersten Stellungnahmen überwog in gewohntem Reflex die Abwehr des Berichteten: In Kirchenzeitungen und Predigten wies man die Ergebnisse der Umfrage zurück.26 So warf beispielsweise der Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur Konrad W. Kraemer dem Spiegel journalistische Verkürzungen und »schauerliche Verdrehungen« vor. »Die Behauptung vom ›toten Gott‹ eines Drittel der Deutschen erhält bei genauerer Prüfung – vorsichtig ausgedrückt – alle Merkmale eines unbewiesenen Gerüchts.«27 Der Spiegel dokumentierte in dieser Ausgabe wie auch später die Reaktionen einer Reihe von evangelischen und katholischen Theologen. Diese bemühten sich um eine differenzierte Auswertung der Ergebnisse und diskutierten mit wissenschaftlichen Mitteln die dort getroffenen Aussagen. So plädierte der Fernsehjournalist und Theologe Elmar Maria Lorey in einem Kommentar im Zweiten Deutschen Fernsehen dafür, die Ergebnisse »ohne Panik« auszuwerten und den »Mißverständnissen«, die die Studie bei vielen Gläubigen offenbare, gründlich nachzugehen.28 Diese und andere Stellungnahmen versachlichten die Auseinandersetzung um den Artikel aber nur wenig.29

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Die eigentliche Bedeutung und Auswirkung einer solchen Berichterstattung verbarg sich weniger in den Detailinformationen, als vielmehr in der expliziten und impliziten Generalaussage. Was konnte der Zeitungsleser, die Zeitungsleserin aus dem besagten Spiegel-Artikel auch bei flüchtiger Lektüre lernen? Explizit machten diese Diskussionen deutlich, dass Distanz zur Kirche keinesfalls mehr die Ausnahme war, die den Träger dieser Haltung zum Außenseiter in einer durchweg christlich geprägten Gesellschaft stempelte. Die vielen Balken- und Tortendiagramme führten ihm eindringlich vor Augen, dass ihn seine religiösen Überzeugungen allenfalls mit einer Teilmenge der Gesellschaft verbanden. Gläubig zu sein war eine Option unter anderen. Durch den Nachweis, dass es keine christliche und erst recht keine konfessionelle Deutungshoheit in der gesellschaftlichen Diskussion gab, war eine wichtige Säule der Meinungsführerschaft, wie sie die Kirchen in Fragen von Lebensführung und Moral für sich reklamierten, unterminiert. Implizit dokumentierten Berichte und Statistiken dieser Art einen veränderten Umgang mit religiösen Überzeugungen und Vorgaben: Die Macher der Studien fragten keinesfalls allein die kirchlichen Katechismen ab, sondern mischten verschiedene Elemente kirchengebundener und außerkirchlicher Religiosität zusammen; anders war die Frage nach der Kirchengebundenheit der Befragten nicht zu klären. Damit übernahmen Redakteure die Rolle eines »Religionsarrangeurs, der Versatzstücke aus christlicher Dogmatik und Glaubenswahrheit neu ordnete und so einen Trend zum religiösen Patchwork soufflierte«.30 Nicht mehr die Kirche, sondern der Einzelne wurde von den Medien zu demjenigen stilisiert, der die Deutungshoheit über seinen Glauben hatte. Insbesondere in den Illustrationen zum Stern-Artikel wurden die Gegensätze von Glauben und Nicht-Glauben deutlich untermalt: In einer Illustration schwebt die Figur Gottvaters in einer Darstellung der Schöpfungsszene von Michelangelo über den Wassern und macht sich daran, mittels eines Fingerzeigs Wasser und Erde voneinander zu trennen. Kontrastiert wird diese Darstellung mit dem Foto eines im All befindlichen Raumschiffs und der Unterschrift: »Zerstörter Himmel. Raumraketen machten die Götterwohnung von einst zum Schauplatz menschlicher Wunder«.31 Einen ähnlichen Effekt hatte die wiederum vom Stern in Auftrag gegebene Studie zu den Gottesbildern in Deutschland, die vom Allensbacher Meinungsforschungsinstitut durchgeführt wurde. »Wie sieht Gott aus«, fragte der Stern auf dem Titelblatt. Laut Eigenwerbung der Illustrierten war es dank eines »genau kalkulierten Fragenkatalogs« gelungen, »in die Schweigezone privater Gottesvorstellungen einzubrechen«.32 Damit war einerseits der Schleier der Intimität verschwunden. Andererseits konnte man mit den Ergebnissen zweierlei demonstrieren: Viele Christen verbanden mit der Vorstellung von Gott »keine bestimmte äußere Gestalt«. 72 Prozent der Protestanten und 64 Prozent der Katholiken stimmten dieser Aussage zu. Darüber hinaus demonstrierten Text und Bild auch in diesem Fall vor allem einen Trend: Pluralisierung. Gott wurde als Schöpfer, als Dreieinigkeit, als Rentner oder als mathematisch-naturwissenschaftliche Formel ins Bild gesetzt. Zudem verwiesen die zahlreich abgedruckten Bilder von Schülerinnen und

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Schülern, die ihre Gottesvorstellungen gemalt hatten, darauf, wie stark die persönlichen Glaubensvorstellungen im Vordergrund standen. Das mediale Arrangement suggerierte eines: »Die Kompetenz der Definition eines Glaubenskanons schien sich dabei immer weiter von den Kirchen wegzubewegen und sich auf jeden einzelnen Menschen zu übertragen«.33 Die Begriffe ›Privatisierung‹, ›Individualisierung‹ oder ›Synkretisierung‹ wurden zwar nicht explizit genannt, als Kernelemente der beschriebenen Prozesse aber dominierten sie die Berichterstattung wie auch deren Illustrierung deutlich.34

Christen in den 1960er Jahren. Identitätsbildung mit, neben und ohne Religion Wie die Gesellschaft insgesamt befinden sich seit den 1960er Jahren auch die religiösen Gemeinschaften in einer Phase großer Veränderung. Statt verbindlicher Regeln und Vorgaben bietet die Gesellschaft vermeintlich vielfältige Wahlmöglichkeiten und Chancen. Der Einzelne ist aus Bindungen entlassen und von Konventionen befreit. Religiöse, aber auch ethnische, soziale, politische und generationengebundene Zugehörigkeiten gestalten sich nicht nur pluraler, sondern auch instabiler. Verschiedene Modernisierungsprozesse wie auch die migrations- und globalisierungsbedingte Auflösung räumlicher Traditionszusammenhänge beschleunigen die Verflüssigung stabiler Erzählungen und Identitäten.35 Das Schwinden traditioneller Bindungen und Sicherheiten korrespondiert mit der Individualisierung von Lebensentwürfen und identitätsrelevanten Sinnstiftungsmustern. Das moderne Individuum muss seine Identität bewusst und reflexiv schaffen. Es ist in die Lage versetzt oder – so die Kehrseite dieser Entwicklung – dazu gezwungen, aus verschiedenen Möglichkeiten seinen Lebensweg zu wählen und diesen zugleich für sich und andere mit Sinn zu füllen.36 Hinter dieser abstrakten Beschreibung verbirgt sich einer der bemerkenswertesten Umbrüche des vergangenen Jahrhunderts. Der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe fasste 1976 diese Entwicklung mit dem Begriff der »Me-Decade«. Die ewige Obsession der Alchemisten, Metall in Gold zu verwandeln, fand laut dem Essayisten nun im Kult um die Persönlichkeit ein neues Betätigungsfeld: »The star was Me«.37 Die Sorge um die Modellierung der eigenen Identität wie auch das eigene Wohlergehen rückte in den Vordergrund und ließ soziale Zusammenhänge verblassen. Lebensstile wurden pluraler, überkommene soziokulturelle Milieus lösten sich auf. Die Muster primärer Vergemeinschaftung in Familie, Freundeskreis und Gesinnungsgruppe veränderten sich. In diesem Sinne war auch die Protestbewegung von »1968« keinesfalls eine politische Zäsur, sondern vorrangig eine umfassende Lebensstilrevolution und damit der Startpunkt für die Ausbildung eines »alternativen Milieus«.38 Berufsgruppen, die sich mit Deutung und Interpretation der Gesellschaft beschäftigen, versuchten diesen Wandel mit unterschiedlichen Begriffen zu fassen. Die gängige Selbstbeschreibung der Gesellschaft in »Klassen und Schichten« wurde abgelöst von neuen Modellen. Nicht mehr der Produktionsprozess und die Stellung des Einzelnen darin dienten als Achse der Analyse, sondern Kategorien wie Konsum, Freizeitverbringung, Stil- und Geschmackspräferenzen wurden mit berücksichtigt oder ersetzten die alten Sichtachsen ganz. Die zur Beschreibung

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dieses Wandels geprägten Begriffe changierten zwischen Großbegriffen wie »Postmoderne«, »Zweite Moderne«, »reflexive Moderne« oder Charakterisierungen, die einzelne Segmente fassen: Der Terminus »Risikogesellschaft«, den der Soziologe Ulrich Beck populär gemacht hat, beschreibt vor allem die Potenzierung von Wahlmöglichkeiten und damit verbundene Gefahren für Lebensführung und Alltagsverbringung des Einzelnen.39 Die Großdeutung der Gesellschaft als »Erlebnisgesellschaft«, wie sie Gerhard Schulze seit den 1970er Jahren heraufziehen sieht, zielt ebenso auf den Zusammenhang von individueller Lebensführung und deren struktureller Einbindung wie der Begriff der »Multioptionsgesellschaft« von Peter Gross.40 Gemeinsam ist allen Ansätzen die Diagnose, dass sich die sozialen Zusammenhänge verändern oder auflösen. Offen bleibt die Frage nach der Bewertung dieses Prozesses: Gibt es Gegenbewegungen, sodass ein notwendiger Zusammenhalt von Gesellschaft gewahrt bleibt? Das religiöse Feld war nicht nur Teil dieses Prozesses, sondern in Vielem sogar Schrittmacher der Veränderung. Grund hierfür ist, dass Religion ein wichtiges Moment der Persönlichkeitsbildung und Identitätsstiftung darstellt. In ihrer traditionellen Form bieten Religionen Rituale und Deutungen, die es dem Einzelnen erlauben, sich selbst in Zeit und Raum zu verorten oder auch in Beziehung zu sozialen Gruppen zu setzen.41 Insbesondere der Katholizismus, aber auch Teile des Protestantismus haben sich bis in die 1960er Jahre zu einem Deutungssystem und einer Lebensform verdichtet, die den Alltag ihrer Mitglieder prägten, sozial einbanden und verschiedene Praktiken wie auch Weltdeutungen zu einer Selbstverständlichkeit machten. Selbst zu den Hochzeiten dieser Milieuverdichtungen waren das Verständnis dieser Glaubensmodelle und die damit verbundene Praxis nie uniform. Wie die Spannung von Transzendenz und Immanenz zu leben sei, war immer umstritten. Der Konflikt um die richtige Auslegung der heiligen Schriften und die korrekte Lebenspraxis durchzieht die Geschichte jeder religiösen Gemeinschaft wie ein roter Faden. Zusätzlich entwickelten sich außerhalb der Kirchen Formen »vagierender Religiosität«, wie sie der Historiker Thomas Nipperdey für die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Monismus, dem völkischen Neuheidentum oder der religiösen Überhöhung des Lebens in der Lebensreformbewegung erkannt hat.42 Waren diese Phänomene zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch Ausnahmen von der Regel, so ist ihre Vielfalt sowohl innerhalb der Kirchen wie auch außerhalb der etablierten Konfessionen um ein Vielfaches gewachsen. In dem Maße, in dem die konfessionellen und milieuspezifischen Vorgaben erodierten, büßten auch die normativen Vorgaben der Kirchen an alltagsweltlicher und lebensgestaltender Bindekraft ein. Die Religion diffundierte, sie pluralisierte und individualisierte sich. Damit ist ein Prozess bezeichnet, der vorrangig in den religiösen Großorganisationen stattfand. »Unter dem Dach ihrer Lehren« hatte sich gleichsam eine »radikale Individualisierung des Glaubens vollzogen«.43 Nur wenige Studien geben für Deutschland Auskunft über die individuelle Aneignung religiöser Transzendenzvorstellungen und ihren Wandel.44 Zwar sind bereits zahlreiche oral-history-Projekte betrieben worden, in denen die Weitergabe erinnerter Geschichte auf generationelle Muster und Prägungen untersucht wurde.

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Dabei wurden aber kirchliche oder religiöse Erfahrungen und Orientierungsmuster meist ausgeblendet. Das ist deshalb besonders bedauerlich, weil der Erkenntniswert solcher Studien hoch ist. Ihre Ergebnisse liefern wichtige Ergänzungen und Korrektive zu den großflächigen, aber wenig erklärungskräftigen Prozessbegriffen wie »Säkularisierung«, »Individualisierung« oder »Privatisierung«. In diesem Sinne sind beispielsweise (auto)biografische Zeugnisse österreichischer Angehöriger der Unterschicht ausgewertet oder katholische Studentinnen und Studenten der 1950er und 1960er Jahre befragt worden.45 Diese Studien rekonstruieren nicht Geschichte, sondern legen in den untersuchten Gruppen die Erfahrungen frei, die sich in verschiedenen Lebensabschnitten aufgeschichtet haben. Damit bilden sie sozialgeschichtlich-quantitativ keinen repräsentativen Querschnitt ab. Dennoch verdeutlichen sie qualitativ die lebensweltlichen Mechanismen und die Logik, nach der sich Einzelne zu kirchlichen Vorgaben und ihrer eigenen Religiosität verhalten.46 Betrachtet man die Ergebnisse dieser Studien mit Blick auf den Wandel des religiösen Feldes seit den 1960er Jahren, dann wird deutlich, dass sich die dabei gewonnenen Erkenntnisse mit dem Beschreibungspotenzial der soziologischen Großbegriffe nur partiell decken. Auf der Ebene der Erinnerungen sind klare Schnitte oder Brüche kaum nachzuweisen. Statt konsistenter Zielpunkte überwiegen in der individuellen Aneignung Ambivalenzen, Inkonsistenzen und Unklarheiten.47 Im Grundtenor werden die sechziger Jahre von den befragten katholischen Christen als eine »seltsame Zeit« erinnert, in der nach neuen Orientierungen gesucht wurde. Die Hintergrundfolie dafür bietet ein relativ geschlossenes Milieu, in der der Alltag durch die kirchlich-religiöse Taktung der Zeit geprägt war. Auch wenn sich während der ersten Jahrhunderthälfte im individuellen Verhalten viele Themen der Kirchendistanzierung abzeichnen, werden sie erst in der zweiten Jahrhunderthälfte ausgelebt.48 Besonders deutlich treten Erosions- und Transformationsprozesse in den Erinnerungen katholischer Studierender in den 1950er und 1960er Jahren hervor: Vor allem die Jüngeren unter ihnen, die ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre an die Universitäten kamen, entwickelten ein ausgeprägtes Generationenbewusstsein. Weniger als die älteren Kommilitonen waren sie von Nationalsozialismus und Krieg geprägt. Das »gut katholische« Elternhaus und der Zusammenhang des Heimatdorfes waren in dieser Gruppe ein wichtiger Topos der generationellen Selbstverortung.49 Das katholische Milieu wird dabei durchaus in seinen Ambivalenzen erinnert: Die Enge der konfessionellen Welt wird mit positiven Erlebnissen in der katholischen Jugendkultur kontrastiert. Insbesondere Fahrten und Freizeitlager tauchen in den Erinnerungen immer wieder als Sonderbereiche eines unabhängigen, selbstbestimmten und dynamischen Lebens auf. Alles in allem dominiert die Erfahrung einer geschlossenen und in sich stimmigen Welt. In diesem Sinne berichtet beispielsweise der Journalist Herbert Riehl-Heyse von seiner Jugend in einem bayerischen Wallfahrtsort: »In Altötting haben wir bei der Lichterprozession ›Maria zu lieben‹ gesungen; und dann haben wir im Cafe R. bis spät in die Nacht hinein den Musikautomaten mit dem Wunsch nach dem immer selben Song gefüttert, damit Mr. Frank Sinatra der Kellnerin Rosi

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klarmachte, daß die Lady ein Tramp sei. Wenn uns endlich der amtierende Liebhaber der Kellnerin Rosi gewaltsam hinausgeworfen hat, nannten wir ihn eine blöde Sau und gingen vielleicht dafür zum Beichten. Es hat alles prima zusammengepaßt.«50 In diesem geschlossenen und intakten Milieu entwickelten viele der männlichen Angehörigen dieser Studentenjahrgänge eine relativ starke Politisierung. Im Vergleich zu früheren Alterskohorten waren sie von einer »engen Verquickung von ethischer Norm, politischem Imperativ und konkreter Aktivität«51 geprägt. In ihren Erinnerungen artikulieren sie diese Haltung deutlich. »Ganz einfach, die Hinwendung zur Gesellschaft liegt sozusagen in der Verantwortung des Christen«, so erinnert sich beispielsweise der Laientheologe und Kirchenmitarbeiter Hans Kath.52 Politisches Engagement sei dabei auf einem Weltbild gegründet gewesen, welches auf klaren Positionierungen und Abgrenzungen basierte. Motive wie die »Adoration« Konrad Adenauers, eine kämpferische Ablehnung der SPD und »Russenfurcht«, die sich aus den Erzählungen der Eltern über Kriegs- und Gefangenschaftserlebnisse ebenso speisten wie aus dem Antikommunismus des Kalten Krieges, werden wiederholt als prägende Sozialisationselemente und Fixpunkte der eigenen Sozialisation genannt. Die Mitarbeit im Jugendverband war ein ebenso verbreitetes Handlungsmuster wie die Arbeit in der CDU. Ganz im Sinne der engen Verquickung von Kirche und Gesellschaft griff der Glaube in die Welt über. »Der Einfluß eines wiedererstarkten und restrukturierten katholischen Einflußbereichs« prägte den »Wertehimmel der Aufwachsenden«.53 Zugleich wirkten diese Überzeugungen weit in den Alltag hinein, viele Entscheidungen und Handlungen waren auf diese Weise hochgradig mit Bedeutung aufgeladen: Nicht nur mit der Wahl einer politischen Partei, sondern auch mit einem bestimmten Kleidungsstil oder Musikgeschmack positionierte man sich in der Selbstwahrnehmung wie auch für die Mitmenschen für oder gegen die hoch präsenten Milieustandards. Die Milieuverhaftung dieser Generation reichte vielfach nicht »von der Wiege bis zur Bahre«, sondern endete mit der Immatrikulation. 54 Mit dem Beginn des Studiums löste sich aus Sicht der Interviewpartner die geschlossene und zumeist als stimmig empfundene Lebenswelt der Kindheit und frühen Jugend auf, weitete sich doch der räumliche wie auch weltanschauliche Horizont enorm. »›Veränderung‹ ist ein wesentliches Lebensthema praktisch aller seit der zweiten Hälfte der 30er Jahren Geborenen.«55 Als einschneidende Erfahrung werden dabei von vielen der Weggang aus der religiös geprägten Lebenswelt und die Konfrontation mit anderen Anschauungen und Denksystemen genannt. So markiert die 1929 geborene Historikerin und Lehrerin Johanna Ehler eine deutliche Grenze zwischen der Lebenswelt ihrer Kindheit und Schulzeit einerseits und der Universität andererseits. Besonders kontrastiert sie den schulischen Deutschunterricht an einem von Nonnen geleiteten Gymnasium von ihrem Studium der Germanistik: Da »hatten wir immer fleißig Rilke, Wichert, Gertrud von Le Fort und Langgässer gelesen; sie waren alle nahe bei Gott und jetzt (lacht) wurden die … kamen überhaupt nicht vor, die Klassik kam wohl vor, Klassik, Realismus alles mögliche, aber schon bei den Interpretationen war deren Beziehung zu Gott einfach kein Ansatzpunkt mehr«.56 Ähnliche Erfahrungen formuliert sie als Eindrücke aus ihrem

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Geschichtsstudium und resümiert ihre Erfahrungen: »Die Dinge, die ich eigentlich für zentral gehalten hab, die waren plötzlich irgendwie verschwunden. […] Das war eigentlich für mich überraschend, weil ich gedacht hatte, ja ohne das je zu reflektieren, daß alle Leute irgendwie ähnlich wie dieses doch religiös durchsättigte Milieu von der Schwesternschule, also daß sich das fortsetzen würde. Ich war echt überrascht und es hat ne Weile gedauert, bis ich mir klar machte, daß da ganz andere Sterne vorne hingen.« In ähnlicher Weise berichtet der 1961 diplomierte Astrophysiker Klaus Breinfeld von der tief greifenden Erfahrung, wie das Fachstudium auch eine neue Denkhaltung beförderte: den Anspruch nämlich, sich der jeweiligen Rationalität von Aussagen durch ein individuelles Verfahren zu vergewissern.57 Auf diese Weise avancierte das eigene Gewissen zu einer wichtigen Reflexionsinstanz. Kirchliche Vorgaben und Milieustandards waren damit nicht obsolet, mussten sich aber tendenziell in Konfrontation mit einem neuen Denkstil und vor dem eigenen Gewissen bewähren. Insbesondere Theologiestudenten berichteten von eindrücklichen Lernerfahrungen während ihres Studiums, die beachtliche Auswirkungen auf ihre persönliche Aneignung von Religion, Katholizismus und Kirche gehabt hätten. Prinzipiell wurden die normativen Vorgaben und der Modus ihrer Ableitung aus Tradition und Schrift als hinterfragbar und diskutierbar erkannt. Eine besondere Rolle spielten dabei die Neuaufbrüche in der Exegese des Neuen Testaments. Mit der historisch-kritischen Methode wurden verschiedene vormals als wahr angesehene Gegebenheiten fraglich. So berichtete die Laientheologin Katharina Strate von der Erschütterung, die sie als Laientheologin empfand, als die Existenz der Heiligen Drei Könige oder die Jungfrauengeburt als historische Tatsachen in Frage gestellt wurde. »Als ich das zum ersten Mal hörte, was ja heute so gängige Meinung ist, aber da erinner ich mich noch, wie mich das doch sehr bewegt hat, diese historisch-kritische Methode.« Im Gegensatz zu den älteren Studierenden, die sich als Menschen mit »großer Souveränität und Sicherheit in ihrer religiösen Orientierung und Praxis« inszenierten, berichteten die Befragten der jüngeren Generation von starken Rückwirkungen der theologischen Neuerungen auf die individuelle religiöse Praxis. In ihren Beschreibungen erklären die Interviewpartner die Veränderungen in Religiosität und Lebensstil weniger mit spektakulären Erlebnissen, sondern vor allem als eine »langsame Umorientierung«.58 Eine zentrale Rolle spielen dabei nicht nur Beobachtungen von »Doppelmoral« einzelner, die die katholische Sinnwelt in Frage stellen. Auch Änderungen im katholischen Kosmos selbst wurden zum Anlass eigener Neuorientierung. So erinnert der Journalist Riehl-Heyse, der sich zuvor als eifriger Störer von Wahlkampfveranstaltungen der Opposition beschrieben hatte, den bleibenden Eindruck, den die Einladung des SPD-Politikers Herbert Wehner an die katholische Akademie in München auf ihn machte. »[M]an kann sich kaum noch vorstellen, wie beleidigt die gutkatholischen Kreise gewesen sind über einen solchen Verrat. Und wie groß meine Genugtuung darüber war, als ich der Mutter von dem unerhörten Vorgang berichten konnte, auch davon, daß der SPD-Politiker Georg Leber angeblich richtig katholisch war.«59 In ähnlicher Weise wirkten die Ereignisse auf dem Katholiken-

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tag in Essen 1968 nach, die er als besonderes Zeichen für die »neue Zeit« erinnert. »Wieviel sich zu ändern beginnt im Vaterland, lernte ich zuerst ausgerechnet bei einem Katholikentag, wo es aber auch besonders auffällt, mir ganz besonders: Weiß ich denn nicht von zu Hause, wie staatstragend, lammfromm und langweilig Katholiken sind? […] Und jetzt hat also der Papst Paul seine berühmte Enzyklika gegen die empfängnisverhütende Pille verfaßt – und ausgerechnet von den deutschen Katholiken bekommt er dafür am meisten Ärger […]. Brandreden gegen Papst und Bischöfe werden gehalten, offene Aufrufe gibt es zum Ungehorsam. […] Dürfen die jungen Menschen, die nun dauernd den Ton angeben, das alles überhaupt? Sie tun es jedenfalls, und kein Blitz schlägt ins Gebälk der Grugahalle«. Als die Verschiebungen im katholischen Bereich sichtbar und beobachtbar wurden, begann für viele der Befragten eine Phase, in der die eingeübten Dichotomien hinterfragt wurden. Insbesondere kam dabei die traditionelle Bindung von Katholischer Kirche und CDU auf den Prüfstand. »Wir hatten ja nichts gegen die CDU. […] Sondern gegen diese Verquickung von Katholizismus und Adenauerstaat. Das war etwas, was wir nicht wollten«, so der im Ruhrgebiet aufgewachsene, spätere Journalist und Kritiker des konservativen Opus Dei, Peter Hertel.60 Aber auch bei der Mehrheit, die der CDU verbunden blieb, änderte sich die Begründung in der Selbstdarstellung. Das Kreuz auf dem Stimmzettel für die CDU oder die CSU wurde nun mit genuin politisch-weltlichen Gründen erklärt. »Die konfessionelle Identität allein begründete keine spezifische politische Entscheidung mehr.«61 Das von 1962 bis 1965 stattfindende Zweite Vatikanische Konzil wurde vor diesem Hintergrund durchaus unterschiedlich wahrgenommen. Einig sind sich die Beobachter aber darin, dass das Konzil nicht der entscheidende Bruch war, sondern eine Etappe im Transformationsprozess der sechziger Jahre. Veränderungen hatten sich, so erinnern sich Konzilsbefürworter und Konzilsgegner einhellig, bereits lange vorher angekündigt. Peter Hertel erinnert sich an das Konzil als »Katalysator eines diffusen Unbehagens« gegen das kirchliche Missionierungskonzept der fünfziger Jahre. »Und als dann das II. Vatikanische Konzil ausbrach, war das die große Freiheit. Die Öffnung, die damals geschehen ist. Und wir haben gedacht: das muß nun so sein. Daß diese Kirche in die Welt hinabgeht und auf die Welt zugeht. Und deshalb also auch der Versuch, die Befreiung in die Gesellschaft hinein. Also in die politischen Bindungen, die zu brechen.« Zugleich betont der Interviewte aber auch, dass das Konzil kein absoluter Neuanfang war. »[J]a schon 57/58 kann ich mich erinnern, haben wir darüber gesprochen und gesagt: man muß es aufbrechen. Wie kann man das machen, wir habens nicht gewußt. Und es ist auch kaum etwas gelaufen damals. Weil wir einfach in Zwängen drin waren. Aber es ist nicht so, als wenn das Konzil gekommen wär und wir hätten alle Hurra geschrieen, was völlig Neues erlebt. Also ideologisch ist das längst vorbereitet gewesen.«62 In ähnlicher Weise beschrieb die befragte Theologin Elisabeth Knell ihren Eindruck vom Zweiten Vatikanum. Ihre eigene Haltung zum Kirchenkonzil und den nachfolgenden Veränderungen aber ist deutlich kritisch. Natürlich verstehe sie den vom Konzil ausgehenden Impuls, sich stärker dem Volk zu öffnen. »Aber ich konnte nicht verstehen,

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daß es mit so’ ner langen Tradition bricht, denn ich denke, Traditionen haben ja auch was Verbindendes. Und ich betrachte mich dann doch als die Generation, die dann irgendwie rausgeschoben worden ist. Man hat einfach was genormt.« Während der Messritus vorher eine immer identische und damit verlässliche Orientierung geboten habe, beschrieb sie die Reform der Messe als »’nen ziemlichen Bruch«.63 In vielen weiteren Punkten erzählten die Studierenden der sechziger Jahre von ihrem Christentum und ihrer Christlichkeit als einer von der Kirche unabhängigen Größe. Selbst in dieser stark kirchlich gebundenen Gruppe wurde der Einzelne oder die Einzelne immer stärker Gestalter des eigenen Glaubens. Diese Entwicklung bedeutete nicht, dass die Bindungen an die religiöse Gemeinschaft plötzlich abgebrochen wären. Aber die Art und Weise, wie die bisherigen Traditionen nun erklärt und vor dem eigenen Gewissen plausibel gemacht wurden, änderte sich grundlegend. Das tägliche Tischgebet, der sonntägliche Kirchgang, die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession oder ähnliche Aktivitäten wurden nicht mehr als gegeben hingenommen, sondern in Frage gestellt und diskutiert. Damit konnte man sie prinzipiell auch ablehnen. Eine zweite sehr grundlegende Entwicklung deutet sich in den Interviews an: Die Rituale und Formen der Frömmigkeit verloren an Bedeutung für das christliche Selbstverständnis, während dem praktisch karitativen oder politischen Wirken des Einzelnen hingegen religiöse Dignität zugesprochen wurde. Glauben sollte in der Praxis wirksam werden und gesellschaftlich Relevanz zeigen, dann galt er den befragten Vertretern dieser Generation als richtig. Für ihr eigenes Verhalten hatte das große Konsequenzen. Statt Frömmigkeit im Stil ihrer Elterngeneration weiterzuleben, änderten viele auch der stark gläubigen Studenten ihre eigene durchaus als religiös empfundene Praxis. »Statt zur Messe zu gehen, schrieb man kritische Artikel, statt zu beichten, las man Hans Küng, statt Priester zu werden, wurde man Funktionär in einer Gewerkschaft.« Diese Verhaltensänderung lässt sich nicht als Säkularisierung in dem Sinne deuten, dass sich der Einzelne oder die Gruppe von ihrer Religiosität distanziert hätten. Stattdessen blieb ein christlicher Bezugsrahmen, in dem sich aber die Gewichte deutlich verschoben. Im Vordergrund stand nun die innerweltliche soziale Dimension der Religion, während sich die religiös-kultische Praxis auflöste. Der an einer kleinen Gruppe beschriebene Wandel war kein Prozess außerhalb der Kirche, sondern fand in ihrem Kern statt: Die katholischen Studierenden waren eine Gruppe, die die katholische Seelsorge vielfältig anzusprechen und zu integrieren versuchte. Der Pastoral galt der katholische Akademiker als wichtige Stütze der eigenen Glaubensgemeinschaft. Gerade in dieser Gruppe aber entwickelten sich viele Ansätze zur Neuinterpretation der früheren religiösen Überzeugungen. Insbesondere der Ausgang aus den engeren Milieustrukturen setzte diesen Prozess in Gang. Natürlich war die am Beispiel der katholischen Studierenden zu beobachtende Individualisierung und Pluralisierung mit vielfältigen weiteren Entwicklungen verbunden. Nicht nur im kirchlichen Bereich, sondern weit darüber hinaus änderten sich die individuellen Wertmuster. Selbstverwirklichung und Lebensqualität waren nach der Bildungsexpansion neue Referenzpunkte der Gesellschaft. Der Wunsch nach

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individueller Entfaltung verlieh der individuellen Freizeit eine größere Bedeutung, zumal sich durch den Rückgang der Arbeitszeit das Fenster für die freie Zeitgestaltung deutlich vergrößert hatte. Profiteure waren insbesondere die Massenmedien. Innerhalb von 20 Jahren steigerte sich seit 1970 der durchschnittliche Medienkonsum von etwa vier auf fünf Stunden täglich und stieg damit um 25 Prozent. Die Konkurrenz zur klassisch-religiösen Sozialisation wuchs damit in ganz unterschiedlichen Bereichen rasant an. Wichtig ist aber zu sehen, dass diese Subjektivitätswelle in der bundesrepublikanischen Gesellschaft auffallend und nachhaltig mit der Entwicklung im religiösen Feld korrelierte. Über das »alternative Milieu« und seine Medien breitete sich nun beispielsweise eine Art Projektrhetorik und -praxis aus. Insbesondere der Jugendgeneration ging es in Freizeit und Beruf immer wieder darum, »Projekte zu realisieren«, sei es das kollektive Wohnen, sei es das Anstoßen künstlerischer, politischer, handwerklicher, publizistischer und nicht zuletzt akademischer Initiativen. Auch die Religion wurde in ähnlicher Weise insbesondere unter formal besser gebildeten jungen Leuten unabhängig von den Kirchen als persönliches, synkretistisches Projekt entworfen.

Frei machen. Konflikte um Sex, Familie und Autorität »Essen war anders«64, so resümierte plakativ Franz-Maria Elsner als Mitglied des lokalen Vorbereitungskomitees in der offiziellen Dokumentation den 82. Deutschen Katholikentag in Essen vom September 1968. »Ein junger, ein offener, ein bewegter, ein hoffnungsvoller, ein kritischer Katholikentag« habe stattgefunden, so fasste der Essener Bischof Franz Hengsbach sehr euphemistisch zusammen, was sich auf dem Großtreffen der deutschen Katholiken zugetragen hatte. Die Großveranstaltung habe schon auf Grund der Publikumsmischung und ihrer Formen deutlich gemacht, so fügte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Bernhard Vogel rückblickend hinzu, dass der »Vergesellschaftungsprozeß in die Kirche eingegangen« sei. Im Jahr der Proteste, der Demonstrationen und der Kritik an den gesellschaftlichen Einrichtungen, stehe die Kirche mitten in der Gesellschaft und sei zu einer diskutierenden Institution geworden.65 Was war passiert? Das Katholikentreffen hatte ein bisher nicht gekanntes öffentliches Aufbegehren erlebt. Das 82. Katholikentreffen habe seiner Bedeutung nach alle früheren bei weitem übertroffen und eine »neue Periode der Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland« eröffnet, urteilte die niederländische Tageszeitung De Tijd.66 Die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung meldete nach Abschluss des Katholikentags »verschärfte Spannungen« und »schroffe Fronten«, so dass die sonst übliche »Heerschau« der katholischen Verbände und Laieninitiativen ausgefallen sei. Die linksliberale Frankfurter Rundschau feierte die Essener Veranstaltung als »gelungene Einübung des Ungehorsams«.67 In vielerlei Hinsicht hatten kritische Katholikinnen und Katholiken eine Öffentlichkeit für ihre Reformanliegen geschaffen. Zum Skandalon avancierte aber die medial breit beachtete Auseinandersetzung um das als Pillenenzyklika bekannt gewordene päpstliche Lehrschreiben Humanae Vitae. Am 25. Juli 1968 hatte Papst Paul VI. ein

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Rundschreiben für alle Katholiken erlassen. Die Lektüre war ebenso verpflichtend wie die Einhaltung der Anweisungen, die dort gegeben wurden. Der Titel des Lehrschreibens verwies auf ein sehr konkretes Thema. Mit seinen Ausführungen verbot der Papst alle Sexualpraktiken, mit denen die Befruchtung der Frau gezielt unterbunden wurde. »Jede Handlung ist verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Mittel, sei es als Mittel zum Zweck.« Die Begründung dafür lag in der besonderen Interpretation des Zusammenhangs von Ehe und Zeugung: Beim ehelichen Sexualverkehr seien die Zuneigungs- und die Zeugungsbedeutung unmittelbar miteinander verknüpft. Diesen Zusammenhang durch irgendeine Art der Empfängnisverhütung zu lösen, sei sittlich nicht zulässig. Allein die Enthaltsamkeit während der fruchtbaren Phasen des weiblichen Zyklus wurde als dafür zulässig erklärt, um eine Empfängnis zu vermeiden. Die Enzyklika formulierte »ein ausnahmslos geltendes Erfüllungsgebot, es gibt nur Befolgung oder Verstoß«.68 Der Verfasser der Enzyklika, so zeigt der Kirchenrechtler Nobert Lüdecke, wusste, dass es um mehr geht als nur um Sexualität und Zeugung. Schon die Anfangsworte »Humanae Vitae« signalisierten die Bedeutungsschwere dieses Dokuments: Mit der in die Natur von Mann und Frau eingeschriebenen inneren Struktur des Geschlechtsakts liege Gottes Plan vor, den der Papst den Gläubigen verbindlich auslegte. »Der Plan regelt nicht nur den einzelnen Geschlechtsakt, sondern mit ihm auch das Verständnis der Geschlechter, insbesondere der Frau, von Sexualität, Paar- und Elternbeziehungen, von Gewissen, menschlicher Freiheit und Vernunft.«69 Durch die Betonung der immensen Bedeutung des Gegenstandes wurde den Gläubigen durch das Lehrschreiben zugleich die Pflicht zum Gehorsam eingeschärft. Immerhin spreche der Papst für die »Kirche als Mutter und Lehrmeisterin aller Völker«. Darüber hinaus zähle nicht allein das Argument, sondern die Autorität des Papstes stütze sich auf den besonderen Beistand des Heiligen Geistes. Demgegenüber habe der einzelne Gläubige jeden Widerspruch zu unterlassen. Bischöfe, Priester und Theologen ermahnte er, »in freudiger Ergebenheit und Unterwerfung« die rechte Sprache für die Vermittlung der kirchlichen Lehre zu finden. Weder im Beichtstuhl noch in der Verkündigung dürfe der geringste Zweifel an der Position der katholischen Kirche aufkommen. Dass der Papst und sein Beraterstab wussten, wie schwer die Annahme fallen musste, illustriert ein besonderer Hinweis in der Zeitschrift Die römische Warte, in der regelmäßig Berichte und Kommentare der Vatikanzeitschrift L’Osservatore Romano für ein deutsches Publikum zugänglich gemacht wurden: Das Gehorsamsgebot gelte auch dann, wenn die Forderung selbst dem Gläubigen nicht eingängig sei, so führte der Dominikaner und Theologieprofessor Rosario Gagnebet aus. Er habe sich zu verhalten wie ein Kranker, der den Rat des ihn behandelnden Arztes nicht nachvollziehen könne, oder wie die »Soldaten des letzten Krieges […], die Anordnungen ihrer Offiziere aus[führten], ohne die Strategie der großen Führung und die Taktik ihrer unmittelbaren Vorgesetzten zu kennen«.70

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Mit dieser martialisch anmutenden Aufforderung reagierte der Theologe bereits auf das, was sich in Essen zugetragen hatte. Statt des eingeforderten Gehorsams des Soldaten oder des Vertrauens des Patienten war auf dem Deutschen Katholikentag der Gehorsam aufgekündigt worden, und zwar nicht still und heimlich, sondern laut und öffentlichkeitswirksam. »Hengsbach wir kommen, wir sind die linken Frommen.« Mit Spruchchören und -bändern hatten Mitglieder der Gruppierung ›kritischer katholizismus‹ bereits das Grußwort des Ruhrbischofs Hengsbach unterbrochen und die kircheninterne Opposition damit in die Schlagzeilen gebracht.71 Von ganz neuer, bislang kaum denkbarer Qualität waren aber die Geschehnisse in der Veranstaltung zu »Ehe und Familie«. Dieses Forum stand ganz im Zeichen der von Papst Paul VI. verkündeten Enzyklika Humanae Vitae. Spruchbänder mit Parolen wie »Sündig statt mündig«, »Gehorsam und neurotisch«, »Sich beugen und zeugen« sollten dem Bericht über das Forumsgespräch zufolge eine kritische Diskussion zum Thema provozieren, verschwanden aber bald wieder, als sich zeigte, dass das Gespräch tatsächlich in alle Richtungen offen war.72 Von den rund 3.000 Teilnehmern erklärte die Mehrheit bei 90 Gegenstimmen und 58 Enthaltungen, den Gehorsamsforderungen bezüglich der lehramtlichen Aussagen zur Empfängnisverhütung nicht folgen zu können und verlangte eine »grundsätzliche Revision der päpstlichen Lehre«. Weder dürften »Übereiferer« die einsetzende Diskussion zu einer Gehorsamsprobe hochstilisieren und diese damit zu unterbinden suchen, noch dürfte dieses Gespräch als Anlass für die radikale Ablehnung der kirchlichen Autorität dienen, forderte der Moraltheologe Johannes Gründel im Abschluss des Gesprächs. Und der Essener Gesprächsleiter Hans Schroer erklärte die Veranstaltung als Beleg dafür, dass die deutschen Katholiken dabei seien, »den Raum der Freiheit in einer Art zu betreten, die die Hürden einer wohlbehüteten Herde sprengt«. Entscheidungen zu Ehefragen könnten ohne Mitwirkungen von Eheleuten nicht getroffen werden. Man sah sich mit dem Papst verbunden in der Sorge um »ein rechtes Verständnis der Ehe«, wehrte sich aber gegen die »gouvernantenhafte Bevormundung« durch kuriale Kreise und insbesondere durch die Vatikanzeitschrift Osservatore Romano, die »fachkundige, gläubige und erwachsene Christen in die Rolle stummer Befehlsempfänger zu drängen versucht«.73 Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken als Veranstalter nahm die Protestresolution in ihre Dokumentation des Katholikentags auf. Natürlich handele es sich nicht um eine Erklärung des gesamten Katholikentags, wohl aber habe eine große Gruppe ihre Meinung artikuliert, so dass die Resolution entsprechende Beachtung verdiene.74 Die deutschen Katholiken standen mit ihrer ablehnenden Haltung nicht alleine, der Schritt des Papstes traf innerkirchlich wie auch von außen auf breite internationale Kritik.75 Besonders spektakulär war der Rücktritt des amerikanischen Weihbischofs James Patrick Shannon am 23. November 1968: Das vorgeschriebene Verhalten sei für viele seiner Gläubigen nicht lebbar. Dass es dennoch göttlicher Wille sei, könne er nicht glauben.76 Im Weltkatholizismus stellten sich zehn Bischofskonferenzen, die 56 Prozent der Diözesanbischöfe repräsentierten, kritisch zur Enzyklika und versuchten, die päpstlichen Forderungen zu entschärfen. Zu ihnen zählten auch die deutschen Bischöfe, die

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Abb. 3: Katholikentag in Essen 1968. Protest gegen die ›Pillenenzyklika‹ Humanae Vitae. (picturealliance /dpa)

in ihrer »Königsteiner Erklärung« das vom Papst ausgesprochene Gehorsamsgebot zu der Forderung abmilderten, dass der Gläubige sich ernsthaft um die Aneignung der Lehre bemühen müsse. Wer glaubt, die Entscheidung des Papstes nicht annehmen zu können, »muß sich gewissenhaft prüfen, ob er – frei von subjektiver Überheblichkeit und voreiliger Besserwisserei – vor Gottes Gericht seinen Standpunkt verantworten kann«. Gleichzeitig aber ermahnten die Bischöfe auch, »auf die Gesetze des innerkirchlichen Dialogs« zu achten, denn: »Nur wer so handelt, widerspricht nicht der recht verstandenen Autorität und Gehorsamspflicht«.77 Damit klang der wichtige Subtext deutlich durch: Die Enzyklika war ein Lehrschreiben zur Sexualität und speziell zur Empfängnisverhütung, ebenso aber war sie eine Ermahnung in Sachen Autorität und Gehorsam im Katholizismus. Humanae Vitae setzte bei einer katholischen Position an, die schon lange unterhöhlt war. Ein Großteil der Katholiken hatte sich von der Sexualmoral ihrer Kirche bereits in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre stillschweigend entfernt. Nicht nur bei der Frage nach vorehelichem Sex hielt sich das Gros der Gläubigen nicht mehr an die Vorgaben der Kirchenhierarchie und setzte sich über das Gebot der Keuschheit hinweg. Auch bei der Empfängnisverhütung distanzierten sich immer mehr Beteiligte. »Die Vorschriften für das eheliche Geschlechtsleben erachteten sie als wirklichkeitsfremd.«78 Die kirchlichen Normen beeinflussten Vorstellungswelten und Diskurse viel stärker als

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das tatsächliche Sozialverhalten. Die Rede von der sexuellen Revolution, die gemeinhin mit »1968« verbunden wird, traf im religiösen Bereich ebenso wenig zu wie für die Gesellschaft allgemein. Im privaten Verhalten war nicht der revolutionäre Bruch mit den überkommenen Konventionen die Regel, sondern eine Distanzierung von den Verhaltensvorgaben der Kirchen. Dass Sexualität mit Kirche und Christentum zusammengedacht wurde, hatte mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen nichts (mehr) zu tun. »Revolutionär« war aber die Form der öffentlichen Thematisierung dieses Dissenses. Die Erwartungen unter den Katholiken waren enorm, dass der »Ehenot« abgeholfen und die Differenz zwischen kirchlicher Lehre und Alltagspraxis überwunden werde. In den fünfziger Jahren hatte es dazu unterschiedliche Signale gegeben: Auf der einen Seite hatten katholische Autoren unerbittlich vorgerechnet, dass die Erde noch ein Vielfaches der Weltbevölkerung aufnehmen könne, so dass für Empfängnisverhütung kein Anlass bestünde.79 Auf der anderen Seite aber hatten prominente Bischöfe und Theologen wiederholt Änderungen angedeutet. 1963 hatte sich der Mainzer Weihbischof Josef Maria Reuss in einer theologischen Fachzeitschrift dafür ausgesprochen, dass Ehepaare frei und eigenverantwortlich über Familienplanung und Verhütungsmethoden entscheiden sollten.80 Der Kölner Kardinal Frings ließ in seinem Bistum 1964 eine »Ehebelehrung« verlesen. Nicht nur der kirchenrechtliche Stil war aufgegeben, sondern auch der Inhalt differierte stark: Statt die »Ehezwecke« geordnet nach ihrer Wichtigkeit zu rekapitulieren, beschrieb Frings die Ehe als »die innigste Lebens- und Liebesgemeinschaft, die es auf Erden gibt. Mann und Frau sollen in ihrer Liebe glücklich werden und in Gottes Schöpferkraft neuen Menschen das Leben schenken«.81 Noch einen Schritt weiter ging beispielsweise der Katechismus einer niederländischen Bischofskonferenz, in der körperliche Liebe und Zeugung deutlich voneinander getrennt waren: Fruchtbarkeit war der ehelichen Liebe als solcher, aber nicht jedem einzelnen Geschlechtsakt zugeordnet.82 Auch wenn in der Pastoral die hergebrachte Praxis noch dominierte, so war doch die neoscholastische Beschränkung der Sexualität auf den Akt der Zeugung von Kindern bereits abgeschwächt. Ein personales Eheverständnis kam zu einer Zeit zum Durchbruch, in der die Kirche noch die Bedeutung der Ehe als Institution betonte.83 Die Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils tat ein Übriges, die Konzilsdokumente erfüllten die Erwartungen zumindest im Ansatz: In der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes stand die eheliche Liebe gleichberechtigt neben der Zeugung und Erziehung der Kinder.84 Zum Thema der Empfängnisverhütung aber äußerte man sich nicht, hatte doch der Papst die Beratungen dazu gestoppt und eine Entscheidung an sich gezogen. Unter den Konzilsteilnehmern wurde bekannt, dass seit 1963 eine päpstliche Geheimkommission zur Frage der Bevölkerungsentwicklung arbeitete. Bereits Papst Johannes XXIII. hatte zunächst eine kleine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich nach und nach zu einem großen Kreis entwickelte. 1967 wurden dann Informationen über diese Geheimberatungen in der Presse bekannt. Als sich andeutete, dass das Expertengremium eine Änderung der bisherigen kirchlichen Praxis empfehlen könnte, schaltete Paul VI. eine Bischofskommission vor, die aber am 28. Juni 1966 nicht zu einem gemeinsamen

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Urteil kam. Die Mehrheit der Bischöfe empfahl eine Änderung der vatikanischen Linie, während ein Minderheitengutachten jede Form der Empfängnisverhütung für unsittlich und nicht zu rechtfertigen erklärte.85 Der Papst beriet dann diese Stellungnahme mit engen Vertrauten für weitere zwei Jahre, bis dann seine Enzyklika verkündet wurde. Mit Humanae Vitae zerstoben die Hoffnungen auf Reformen. Änderungen sollte es nicht geben. »Nicht wissenschaftliche Sachkompetenz und gelebte Glaubensüberzeugungen von Eheleuten sind in moralischen Fragen entscheidend, sondern allein die lehramtliche Autorität. Nicht die Doktrin hat sich dem Leben anzupassen, sondern das Leben ist durch kirchliche Menschenführung in jene rückzupassen. Das war und blieb lehramtliche Strategie.«86 Die Frage nach Autorität war der archimedische Punkt des Konflikts. Die evangelischen Landeskirchen waren in die Diskussion um das Zweite Vatikanische Konzil und die päpstliche Enzyklika allenfalls am Rande eingebunden. Da in der Struktur der EKD kein zentrales Lehramt existierte, blieb eine vergleichbar scharfe Auseinandersetzung aus, wie sie in der katholischen Kirche zu beobachten war. Zur Empfängnisverhütung etwa hatten die protestantischen Kirchen ohnehin eine moderatere Haltung eingenommen. Dennoch aber war man eng eingebunden in die Verständigung über eine neue Sexualmoral. Teile der evangelischen Kirche waren in ihrer pastoralen Praxis nicht weniger rigide gewesen als die katholische. In der Weimarer Republik hatten sich katholische wie auch protestantische Sittlichkeitsvereine gebildet, die in ihren Aktivitäten wie auch in ihren Zielen fast spiegelbildlich agierten. In der Ära Adenauer hatte man sich eng an die strenge Sexualmoral Adenauer-Deutschlands angelehnt.87 Nach 1945 dominierte aber besonders der katholische Volkswartbund dieses Feld und versuchte erfolgreich als Lobbyist auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen.88 So ist es nicht verwunderlich, dass sich zunächst protestantische Theologen an eine Neubestimmung menschlicher Sexualität machten. Ende der 1960er Jahre forderten prominente Theologen, Geistliche und Kirchenvertreter eine Liberalisierung des Scheidungsrechts, mehr Verständnis für Sex vor der Ehe und eine höhere Wertschätzung der Sexualität in der Ehe. Als Wortführer trat der Marburger Theologe Siegfried Keil hervor, der weiterhin Selbstbefriedigung, Homosexualität und alle Formen der Heterosexualität kritisierte, »wenn der andere nicht um seiner selbst willen geliebt wird, sondern nur als Objekt der eigenen Triebbefriedigung gilt.«89 Vehement setzte er sich aber für die nichteheliche Sexualität zwischen Mann und Frau ein, wenn diese liebevoll und auf eine Partnerschaft ausgerichtet sei. In der vielbeachteten Denkschrift zu Fragen der Sexualethik90 von 1971 vertrat die EKD zum Teil sehr liberale Positionen, so urteilte selbst der kirchenkritische Rezensent und Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch im Spiegel: Lese man die Äußerungen zur kindlichen Sexualerziehung und zur Masturbation, so meine man »liberale Sexualpädagogen vor sich zu haben«.91 Andere Passagen kritisierte Sigusch hingegen als rückwärtsgewandt oder mystifizierend. Der Stern, zu dieser Zeit eine der führenden Illustrierten in Deutschland, karikierte die neue Offenheit in einer Zeichnung: Ein Pastor steht vor der Kirchentür und ruft hinein: »Anziehen Kinder, der Gottesdienst fängt an!«.92

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Auch auf katholischer Seite äußerten sich Kritiker der kirchenoffiziellen Linie in diese Richtung. Der Jesuit Roman Bleistein beklagte die kirchliche Fixierung, Sexualität auf die Ehe zu beschränken, und forderte eine Revision der kirchlichen Lehre. Zwangsläufig kam in diesem Kontext auch der Zölibat zur Sprache. Diese Diskussion intensivierte sich noch einmal mit der Formierung von sogenannten Priester- und Solidaritätsgruppen, die als Fraktionen in der Kirche abweichende Meinungen vertraten und diesen Positionen eine Öffentlichkeit verschaffen wollten.93 Diese Debattenbeiträge fanden aber nur noch sehr eingeschränkt Resonanz und dienten vor allem dazu, die Mehrheitspositionen in der Kirche als rückwärtsgewandt und traditionalistisch zu markieren. Während in den sechziger Jahren Theologen und Bischöfe entweder als Autoritäten zitiert oder aber kritisiert wurden, schien nun »Religion als Referenzrahmen für das Sexualverhalten obsolet geworden zu sein«.94 Für große Teile der Bevölkerung wie für die Medien galten die Kirchen für diese Fragen nicht mehr als kompetent: In diesem Sinne stellten beispielsweise die Mitarbeiter von Eheberatungsstellen und Seelsorge-Briefkästen auf einer kirchlichen Tagung im Jahr 1965 fest, dass allein der Ratgeberredaktion einer einzigen Illustrierten täglich rund 50 Briefe zugesandt wurden, in denen Menschen um Rat in Liebes- oder Ehefragen baten. Die etwa 100 konfessionellen Beratungseinrichtungen im ganzen Bundesgebiet hätten aber zusammen nicht mal annähernd so viele Zuschriften erhalten.95 Auch wenn man diese Äußerung als Momentaufnahme wertet, so zeigte sich auch in der Praxis der kirchlichen Beratung, wie einseitig das Hilfsangebot der Kirchen wahrgenommen wurde. Kirchliche Eheberatung fungierte vor allem als Reparaturbetrieb und Krisenlöser für existierende Ehen. Dabei hatte man sich schon frühzeitig von einem institutionellkirchenrechtlichen Verständnis der Ehe verabschiedet. »Die Person mit ihren Bedürfnissen und nicht die abstrakten Werte der Institution standen […] im Mittelpunkt der Beratung.«96 Ohne Zweifel aber hinderte das Wissen um die kirchenoffiziellen Positionen die Kontaktaufnahme und Beratung. »Untreue, Leere in der Ehe, Potenzstörungen« und andere Probleme klangen in der Beratungspraxis der sechziger Jahre an, nicht aber Geburtenregelung, Empfängnisverhütung oder Abtreibung.97 Mit der »Sexwelle« der 1970er Jahre und einer boomenden Pornoindustrie pluralisierte sich auch dieses Feld: Nicht nur Sexualwissenschaftler boten ihre Expertise an, sondern auch die Erotikindustrie warb für ihre Produkte mit dem Beratungsargument. Der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen wertete diese Entwicklung im Rückblick als drastische Entfremdung zwischen der Kirche und ihren Gläubigen. Die Seelsorge sei »in diesem Intimbereich in kleinerem Umfang auf die Ärzte übergegangen, in großem und im ganz großen Umfang auf die Wochenendund Illustriertenpresse und die Versandhäuser.«98 Damit hatten sich die Positionen im öffentlichen Feld vollkommen umgekehrt: In den fünfziger Jahren hatten die Kirchen das Feld der privaten und öffentlichen Moral dominiert. Letztlich waren es vor allem die vielen Versuche zur Regulierung sexuellen Verhaltens, die Sex als Thema auf der öffentlichen Agenda hielten, ohne dass dadurch das Sexualverhalten tatsächlich wesentlich beeinflusst wurde. Spätestens mit den

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siebziger Jahren waren die Kirchen an den Rand gerückt und warben mit wenig Erfolg für ihre Positionen im Bereich der Sexualmoral. In vielen Punkten veränderten sich während der sechziger und siebziger Jahre die aus ihrem religiösen Korsett gelösten Deutungen von Familie, von Geschlechterrollen und die gesellschaftlich vertretenen Leitbilder von Sexualität. Die Kernfamilie von Vater, Mutter und einem oder mehreren Kindern galt bis in die sechziger Jahre hinein als ›natürlicher‹ Zustand familiären Zusammenlebens und avancierte auf diese Weise zur »Normalfamilie«. Die Religionsgemeinschaften hatten zu dieser Deutung massiv beigetragen. Andere Lebensformen hingegen wurden als Abweichungen markiert. Sie galten nicht als selbstgewählt, sondern in der Regel als Folge unglücklicher Umstände.99 Diese gesellschaftliche Norm änderte sich im Laufe der sechziger Jahre. Das VaterMutter-Kind(er)-Modell verschwand nicht, im Gegenteil: Sozialhistorisch blieb die Kernfamilie das meistgelebte Modell und ist es in großen Teilen bis heute. Dieses Familienmodell verlor aber seinen dominanten Status als Leitbild. Die Normalfamilie war nicht mehr allein verbindliche Norm, sondern wurde insbesondere in späteren Jahrzehnten zu einer Form unter vielen anderen Familienkonstellationen. Ihre Rolle und ihre Autoritätsformen wurden auf diese Weise entnaturalisiert.100 Geschieden und wiederverheiratet, ein Zusammenleben ohne kirchlichen Segen oder ohne staatlichen Trauschein, der bewusste Verzicht auf Kinder; Kinder aus erster Ehe in einer neuen Beziehung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, schwule Paare, die ihren Kinderwunsch durch Adoption erfüllen: viele Konstellationen existieren und wurden im Gegensatz zu früher nicht mehr als Abweichungen gebrandmarkt, sondern als legitim anerkannt. Verschiedenartigkeit wurde zur Normalität. Dieser Leitbildwechsel lässt sich besonders plastisch im Recht und in der Rechtsprechung verfolgen. Die Neuordnung der Geschlechterverhältnisse in der Ehe im Jahr 1977 zielte darauf, Mann und Frau gleichzustellen. Die Scheidung von Ehen wurde erleichtert, nichteheliche Kinder rechtlich besser gestellt und homosexuelle Lebensgemeinschaften anerkannt. All diese Veränderungen zielten in eine Richtung: Per Gesetz wurde immer weniger eine bestimmte Lebensform vorgeschrieben. Stattdessen konnte und musste der und die Einzelne aus einer Vielzahl von rechtlich gleichwertigen Konstellationen wählen. Politisch sahen sich damit die Religionsgemeinschaften und vor allem die katholische Kirche unter Druck: In den fünfziger Jahren war es ihr gelungen, Politik und Rechtsprechung insbesondere in den Bereichen Ehe und Familie maßgeblich zu beeinflussen.101 Nun mussten die katholischen Interessenvertreter verschiedene Positionen aufgeben: Mit Unterstützung von CDU und CSU hatte die katholische Kirche seit Kriegsende darauf gesetzt, eine Scheidung unter allen Umständen zu erschweren und damit die Institution der Ehe juristisch zu stabilisieren. 1970 aber wurde gegen den Widerstand der Kirchen das Nichtehelichengesetz geändert.102 Unter anderem wurden unverheiratete Mütter und ihre Kinder im neuen Gesetzestext als »Familien« bezeichnet, so dass ihre Rechtsposition stabilisiert wurde. Des Weiteren bekamen beispielsweise nichteheliche Kinder einen Anspruch auf Beteiligung am Erbe ihres leiblichen Vaters zugesprochen. Diese und viele

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andere Änderungen zielten darauf, Kinder und Eltern in nichtehelichen Zusammenhängen den »Normalfamilien« gleichzustellen. Wie zahlreiche andere Gesetzesreformen auch, offenbarte die Änderung des Nichtehelichenrechts »veränderte Parameter für die Bewertung und den Umgang mit einer anderen Lebens- und Familienform«.103 Dieser Wandel hatte auch gesellschaftliche Auswirkungen. »Die ›klassischen‹ Stereotype wurden dysfunktional: Ledige Mütter waren nicht länger als ›liederliche Frauenzimmer‹, nichteheliche Kindern nicht mehr als degenerierte Verbrecher denkbar.« An deren Stelle trat die prinzipielle Gleichberechtigung von Personen und Gruppen, die nicht dem Mehrheitsverhalten entsprachen. Mit Blick auf die gesellschaftliche Diskussion der Sexualmoral sahen sich die Kirchen ihrer vormaligen Deutungshoheit beraubt. Hatten sie in den fünfziger Jahren die Verständigung darüber teilweise dominiert, auf jeden Fall aber stark bestimmt, blieben jetzt massive Glaubwürdigkeits-, Plausibilitäts- und Kompetenzverluste zurück. Im politischen Raum bildeten sie nun eine Lobbygruppe unter anderen. Bei der Novellierung des Sexualstrafrechts beispielsweise konnte die katholische Kirche ihre Positionen nicht mehr durchsetzen.104 In der medialen Darstellung und in der öffentlichen Wahrnehmung blieb insbesondere für die katholische Kirche nur noch eine Rolle: die der rückwärtsgewandten Institution, die weiterhin ihre sexualmoralischen Positionen der fünfziger Jahre verfolgte. Die Berichterstattung fokussierte sich dabei vor allem auf Skandale. Den Anfang machte die mediale Vermarktung des »Falles« Georg Denzler. Als der Bamberger Kirchenhistoriker und katholische Pfarrer in der Gemeinde Breitbrunn am Ammersee ankündigte, seine von ihm schwangere Haushälterin zu heiraten, entzog der Augsburger Ortsbischof Josef Stimpfle ihm das Recht, als Priester zu arbeiten.105 Insbesondere in den Reaktionen der katholischen Kirche auf die Presseberichterstattung tauchten die Frontlinien der fünfziger Jahre noch einmal auf und wurden von den Medien auch entsprechend inszeniert. Während die Religionsgemeinschaften immer weniger auf die Abgrenzung zur jeweiligen Nachbarkonfession und stattdessen auf Verständigung und Ökumene setzten, trennte die mediale Wahrnehmung der Debatte um die kirchliche Sexualmoral sehr stark zwischen katholischer und protestantischer Kirche. In der Berichterstattung der sechziger Jahre dominierte der Katholizismus, da seine Position wesentlich profilierter und angreifbarer war. Er galt als hermetisch und hierarchisch, während die protestantische Kirche als dialogorientiert und weltoffen wahrgenommen wurde.106 Erst in den 1970er Jahren verblassten auch in diesem Bereich die konfessionellen Unterschiede. Mehr und mehr hob die Berichterstattung auf die Opposition von Traditionalisten und Reformern innerhalb beider Kirchen ab, sodass die Unterscheidung evangelisch-katholisch in den Hintergrund rückte. Am Beispiel der gesellschaftlich geteilten Normen über Familie, Ehe und Sexualität lässt sich ein umfassender und tief greifender gesellschaftlicher Wandel von Leitbildern beobachten. Innerhalb von nur 15 Jahren verschob sich nicht nur in Deutschland, sondern in allen (west)europäischen Gesellschaften das Normengefüge fundamental.

Die christlichen Religionsgemeinschaften in den 1960er und 1970er Jahren

»Ein so umfassender institutioneller Grundlagenwandel, der Entscheidungsmöglichkeiten und -risiken in so kurzer Zeit auf die Individuen verlagert, ist historisch beispiellos«, resümiert der Soziologe Ulrich Beck.107 Dass bis heute für viele Menschen das Leitbild der Kernfamilie prägend bleibt, widerspricht dem Befund einer grundsätzlichen Änderung nicht. »Familiare Bewährung« im Rahmen einer Kleinfamilie ist nach wie vor ein weit verbreiteter Traum von der Erfüllung des eigenen Lebens. Daneben trat aber die »berufliche Bewährung« als beinah gleichrangiges Ziel. Zugleich werden aber alternative Lebensformen automatisch und selbstverständlich als weitere Optionen mitgedacht. Problematisch war und ist dieser mentale Wandel für die Religionsgemeinschaften, die sich in besonderer Weise mit dem klassischen Familienideal verbunden hatten. Nicht nur die internen Konflikte der sechziger und siebziger Jahre wuchsen sich zu einer großen Belastung aus. Auch die grundsätzliche Orientierung auf die Familie als wichtige Instanz der religiösen Sozialisation war damit in Frage gestellt. Die mit diesem Wandel entstehenden Verwerfungen sind bis heute spürbar. Die Nostalgie nach diesem Familienideal hat sich in den christlichen Kirchen stark verfestigt. Die amerikanische Religionsethnologin Penny Edgell hat beobachtet, wie stark das traditionelle Familienideal bis heute in den amerikanischen Religionsgemeinschaften verankert ist. Erstaunlich ist, dass diese Engführung nicht allein für konservative und traditionell orientierte Gemeinden gilt. Selbst in den liberalen Religionsgemeinschaften dient die Sehnsucht nach der Familie als Hintergrundfolie der eigenen Aktivitäten: Zwar zielt man in den eigenen Äußerungen und in der Selbstdarstellung auf die umfassende Integration von Alleinerziehenden und geschiedenen Personen. In der pastoralen Praxis aber, in Liedtexten und Erzählungen, in den Gemeindeaktivitäten und im Alltagsgespräch oder allein in der Entscheidung, wann der Gottesdienst angesetzt wird, dominiert nach wie vor die Orientierung an dem traditionellen Vater-Mutter-Kind-Modell.108 Diese implizite Ausrichtung funktioniert letztlich wie ein Ausschließungsmechanismus für all diejenigen Bevölkerungsgruppen, die nicht nach diesem Modell leben: Legt man die Zustandsbeschreibungen und Zukunftsprognosen für die christlichen Religionsgemeinschaften in Deutschland zugrunde, dann bildet sich auch hier ein starkes gemeindeorientiertes Segment. Eine gewisse Betreuungsmentalität verbindet sich in dieser Gruppe mit einer stark an den kirchlichen Institutionen orientierten Praxis. Der sonntägliche Kirchgang gehört ebenso dazu wie ein kleinbürgerlicher Kulturstil, der in ähnlicher Weise diese Orientierung an der traditionalen Kernfamilie hochhält.109 In den Kirchengemeinden finden sich so Personen zusammen, die in ihrer Mentalität, in ihrem sozialen Habitus und auch in ihren Familienstrukturen zueinander passen. Das intensive Gemeindeleben bedingt ein hohes Maß an Homogenität nach innen. Nach außen stellt sich diese in seiner Kehrseite als eine Schwelle für Nichtmitglieder dar. Wer anders lebt, glaubt, arbeitet, seine Freizeit verbringt oder auch Familie lebt, gehört nicht dazu. Auf diese Weise entwickeln sich neue Schließungs- und Ausschließungsmechanismen, die dem eigenen Anspruch auf Gastfreundschaft, Offenheit, ja vielleicht sogar nach Missionierung zuwider laufen.110

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2.2 Politisierung und Pluralisierung. Religion, Politik und Gesellschaft in den 1960er und 1970er Jahren Im Laufe der fünfziger und der sechziger Jahre veränderte sich die deutsche Gesellschaft stark: War sie am Ende des Krieges noch grundlegend von der nationalsozialistischen Diktatur geprägt, erschien die Bundesrepublik zwanzig Jahre nach ihrer Gründung als »verwestlicht«. Die USA, Großbritannien, Frankreich und andere Demokratien Westeuropas standen Pate für die Etablierung eines Gemeinwesens, welches wirtschaftlich und politisch in neue Gefilde aufbrach. Dabei war weniger die schon zeitgenössisch als »Wirtschaftswunder« deklarierte rasante ökonomische Entwicklung erstaunlich, konnte man doch auf einen industriellen Grundstock aufbauen, der in Kombination mit dem Koreaboom beste Voraussetzungen bot. Atemberaubend war vor allem die Entwicklung der politischen Kultur, mit der die bundesrepublikanische Demokratie aufwarten konnte. Innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten vollzog sich in Politik und Gesellschaft, in den Institutionen und in der Kultur eine tief greifende Demokratisierung. Noch die frühe Bundesrepublik lässt sich als eine Kombination von autoritären Normen und Verhaltensmustern mit einer rasanten technisch-wirtschaftlichen Modernisierung beschreiben. Ein prägendes Merkmal war die »Politisierung von oben«: Demokratisches Engagement des Einzelnen beschränkte sich auf ein Minimum wie beispielsweise die Wahlbeteiligung. Darüber hinaus aber lebten viele obrigkeitsstaatliche Einstellungen und Verhaltensweisen fort. Von den Familien über Schule und Universität bis in die Amtsstuben hinein dominierten in vielen Bereichen des privaten wie auch des öffentlichen Lebens oftmals noch die traditionellen Autoritätsstrukturen aus Nationalsozialismus, Weimarer Republik und Kaiserreich. Mit den sechziger Jahren aber geriet diese spezifische Ausprägung der politischen Kultur unter Druck. Die überkommenen Konstellationen und politischen Wertmaßstäbe fanden immer weniger Akzeptanz. Insbesondere zeigte sich dieses in den Wahlkämpfen und politischen Auseinandersetzungen. Bundeskanzler Ludwig Erhardt hatte mit dem Konzept der »formierten Gesellschaft« 1965 einen Leitbegriff zu seiner erneuten Kandidatur gewählt, der die Einzel- und Gruppeninteressen in der hoch arbeitsteiligen und differenzierten Gesellschaft der Bundesrepublik erneut und stärker in die Orientierung auf das Gemeinwohl einbinden sollte.111 Resonanz fand Erhardt damit nicht. Selbst in der eigenen Partei ließ man das Konzept rasch wieder fallen, nachdem die Öffentlichkeit distanziert blieb. Zu offensichtlich widersprach der CDUPolitiker damit einem Zeitgeist, der das Individuelle nicht in eine »Leistungsgemeinschaft« einbinden lassen wollte. Stattdessen traf Willy Brandt im Oktober 1969 mit seinem Slogan »Mehr Demokratie wagen« den Nerv der Zeit. Der Protest der oppositionellen CDU war heftig.112 War nicht bereits seit 1949 in den Institutionen des Staates und den Verfahrensregeln von Parlament und Bundesrat Demokratie verwirklicht worden? Formal betrachtet war die Kritik berechtigt: Die alliierten Besatzungsmächte hatten im Westen Deutschlands eine

Politisierung und Pluralisierung

demokratische Ordnung nebst entsprechenden Institutionen installiert und wachten über die Einhaltung ihrer Spielregeln. Aber um darüber hinaus in einer gelebten Demokratie anzukommen, waren noch viele Schritte zu gehen. Seit Beginn der 1960er Jahre verdichteten sich verschiedene Stimmen zu einer »Zeitkritik«, die das Defizit an gelebter Demokratie in der Kanzlerdemokratie Adenauers anprangerte. Dieser Impuls mündete in die von Partizipation und Polarisierung gleichermaßen geprägte Zeit seit Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, für die »1968« als Schlagwort steht.113 Die Skepsis der Deutschen gegenüber der Demokratie, die ausgeprägte Staatshörigkeit und ein damit verbundener Untertanengeist, das Ideal konfliktfreier politischer Harmonie und die fehlende Bereitschaft zum persönlichen politischen Engagement wurden von einer Kultur der Teilhabe abgelöst. Mehr und mehr politisierten sich die Deutschen in dem Sinne, dass sie bereit waren, Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung wie auch scheinbar private Belange öffentlich zu thematisieren. Die »mündige Gesellschaft« löste als Leitbild, zum Teil auch in den Formen der politischen Kultur, die »formierte Gesellschaft« ab.114 Nicht allein der Wechsel der Opposition auf die Regierungsbank wie auch die sich verändernden Koalitionen unter den politischen Parteien standen für die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Hinzu trat, dass die seit zwanzig Jahren etablierte Staatsform von breiten Kreisen akzeptiert und gelebt wurde. Am Beispiel von Katholiken und Protestanten ließ sich beobachten, wie große Teile dieser Gruppen ihre Vorbehalte gegen die Demokratie nach und nach aufgaben und sich aktiv in das Gemeinwesen einbrachten. Für weite Teile der Bevölkerung galt, dass die Demokratie nicht nur formal bei ihnen angekommen war, sondern dass sie diese zunehmend verinnerlichten.115 Politische Extremismen waren die Ausnahme, wie ein Blick auf die linken und rechten Ränder jenseits des verfassungsgemäßen politischen Spektrums zeigt: Trotz des kurzlebigen Erfolgs der Nationaldemokratischen Partei NPD zum Ende der sechziger Jahre blieb diese ein Randphänomen. Ebenso verbreiteten die linksextremistischen Terroraktionen der Roten Armee Fraktion (RAF) zwar ein enormes Bedrohungsgefühl, konnten aber die Demokratie der Bundesrepublik nicht erschüttern. Auch international galt die Bundesrepublik seit Ende der 1950er Jahre als ein gefestigter und liberaler Rechtsstaat. Mit dieser vertieften Demokratisierung ging eine weitgehende Fundamentalliberalisierung einher: Alltagsgebaren und Umgangsformen, Wertmuster und Autoritätsstrukturen wurden offener und informeller. Vormals geschlossene Weltsichten und Deutungsmodelle lösten sich auf. Nicht zuletzt war auch die Religion als Muster individueller und gruppengebundener Sinngebung in diesen Prozess eingeschlossen. Wenn sich Gesellschaft und Politik veränderten, konnte die Verbindung zwischen Staat und Kirchen nicht gleich bleiben. In zweifacher Hinsicht verschob sich die Zuordnung: Zum einen pluralisierte sich das religiöse Feld im Ganzen. Es wurde in dem Maße vielfältiger und bunter, in dem auch die Gesellschaft pluraler wurde. Natürlich hatte es auch in den fünfziger Jahren neben Katholiken und Protestanten andere Religionsgemeinschaften gegeben. Nur: Ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft war

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ebenso gering geblieben wie ihr politischer Einfluss. Das änderte sich seit den sechziger Jahren. Die Neuetablierung jüdischer Gemeinden in Deutschland, die während des Nationalsozialismus fast vollständig zerstört worden waren, gewann ebenso viel Aufmerksamkeit wie die Muslime, deren Zahl in Deutschland zunahm. Die Religion der Anderen und die damit verbundene Vielfalt wurden von den etablierten christlichen Kirchen allerdings vor allem als Herausforderung und als Problem wahrgenommen. Trotz dieser steigenden Pluralität blieben die evangelische und die katholische Kirche weiterhin die größten religiösen Organisationen in Deutschland. Daher waren sie auch für die politischen Institutionen und insbesondere die Parteien nach wie vor die wichtigsten Ansprechpartner. Die eingespielten Verbindungen schwächten sich zwar ab, wurden aber weiter genutzt. Das katholische Büro in Bonn blieb ebenso wie die evangelische Verbindungsstelle zu Parlament und Regierung eine funktionierende Lobbyeinrichtung der Kirchen und eine wichtige Anlaufstelle für die Politik. Trotz dieser Kontinuitäten veränderten sich aber innerhalb christlicher Religionsgemeinschaften die Strukturen deutlich. Die Art und Weise, wie Christentum gelebt wurde, gestaltete sich vielfältiger. Die frühere Einheitlichkeit des Glaubensbekenntnisses wich einer stärker individuellen Ausrichtung, die Uniformität einer größeren Pluralisierung. Das hatte zur Folge, dass sich auch die Beziehungen zwischen Religion und Politik anders gestalteten. Die »Farbenlehre« der fünfziger Jahre änderte sich. »Schwarz« stand nicht mehr automatisch zugleich für katholisch und christdemokratisch. Das »Rot« der Sozialdemokraten wurde jetzt auch für Protestanten wie für Katholiken attraktiver. Die neuen sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen, die sich den Frauenrechten oder der Friedenspolitik verschrieben, fanden ihre Anhänger auch unter den Christinnen und Christen, die sich in ihren Religionsgemeinschaften für ähnliche Ziele engagierten. Ein Teil dieser Aktiven stieß dann 1980 zur Partei Die Grünen. Mit ihrem Gründungsthema Umweltpolitik zogen diese in den achtziger Jahren auch Teile der wertkonservativ-ökologisch Denkenden aus den christlichen Kirchen an, die die Bewahrung der Schöpfung zu ihrem politischen Ziel erkoren hatten. Diese Veränderungen hatten ganz praktische Folgen: Politische Parteien und Regierungsvertreter verhandelten jetzt nicht mehr nur mit hohen Kirchenvertretern, Presbyterien, Bischofskonferenzen oder christlichen Sozialverbänden, sondern diskutierten auf Kirchentagen, sprachen mit diversen religiösen Jugendgruppen und christlich inspirierten Protestbewegungen. Analog zur Entwicklung im politischen Bereich waren auch die christlichen Großkirchen in Bewegung geraten. Die Geschlossenheit der acies bene ordinate, der wohlgeordneten Schlachtreihe, wie sie Papst und Bischöfe in der katholischen Aktion als einer besonderen Form der Laienorganisation gefordert hatte, wurde abgelöst von neuer Vielfalt. In ihren Strukturen, ihren Ausdrucksformen und ihren Sprechweisen bildete sich nach und nach das Spektrum politischer und weltanschaulicher Überzeugungen und Bewegungen ab, welches auch die Gesellschaft insgesamt prägte.

Politisierung und Pluralisierung

Glaube in der Politik? Staat, Parteien und Kirchen in der Diskussion Die enge Kooperation von Staat und Kirche war in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre von den meisten gesellschaftlichen Akteuren als selbstverständlich erachtet und mitgetragen worden. Mit den Veränderungen in der politischen Kultur aber blieb diese Konstellation nicht mehr unwidersprochen. Bereits vor »1968« waren die vielfältigen und engen Verflechtungen zwischen dem politischen System und den Kirchen zu kontrovers diskutierten Themen geworden. Auf verschiedenen Ebenen wurde deutlich, dass sich das Meinungsklima veränderte, die zuvor nur sehr vereinzelte Kritik wurde jetzt stärker. Aus der Rechtswissenschaft meldete sich beispielsweise 1964 der Jurist Erwin Fischer mit der Forderung, die »hinkende Trennung von Staat und Kirche« durch eine tatsächliche Separierung beider Sphären zu ersetzen. Auf diese Weise, so glaubte der FDPMann Fischer, sei die Religionsfreiheit tatsächlich zu gewährleisten.116 Dieses Anliegen verband den Juristen mit der Humanistischen Union (HU), die 1961 als kulturpolitische Vereinigung gegründet wurde und von prominenten Intellektuellen wie Alexander Mitscherlich, Fritz Sack, Otto Schily und anderen unterstützt wurde. Ihr erklärtes Ziel war die »Befreiung des Menschen aus den Fesseln obrigkeitsstaatlicher und klerikaler Bindungen«.117 Das Engagement sei in der Bundesrepublik deswegen notwendig, so erklärte der HU-Initiator Gerhard Szczesny, weil eine »christlich-konfessionalistische Regierungspraxis« die Grundrechte von Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit zunehmend aushöhle. »Wir sind zu Mitläufern einer Verschwörung geworden, die unsere Entmündigung und Gleichschaltung diesmal im Namen der christlichen Heilslehre verlangt«, so der Gründungsaufruf in deutlicher Anspielung auf die 15 Jahre zurückliegende NS-Zeit. »Es ist hier nicht die Rede vom Recht des gläubigen Christen, sich um die Verbreitung seines Glaubens zu bemühen. Es ist die Rede von dem immer unverhüllter und anmaßender zu Tage tretenden Versuch, eine Gesellschaft, die nur zu einem Teil aus gläubigen Christen besteht, dem totalen Machtanspruch einer christlichen Sprach-, Denk- und Verhaltensregelung zu unterwerfen.« Der Journalist und Redakteur des Bayerischen Rundfunks Gerhard Szczesny hatte bereits 1959 ein viel beachtetes Buch mit dem Titel »Die Zukunft des Unglaubens« veröffentlicht, in dem er die enge Verflechtung insbesondere der Parteien mit den Kirchen kritisierte.118 Unmittelbarer Anlass der Gründung war das 1961 vom bayerischen Kultusminister Aloys Hundhammer verhängte Verbot, die Mozartoper »Die Hochzeit des Figaro« aufzuführen. Beanstandet wurde das Bühnenbild, auf dessen Plafond eine Reihe von Putten aufgemalt war. Dem Kultusminister wie auch Vertretern der katholischen Kirche galt dieses als »unsittlich«. Im Gründungsaufruf der Humanistischen Union spielte die Kritik am kirchlichen Einfluss eine herausragende Rolle: »Die demokratischen Parteien, die die religiös-weltanschauliche und kirchliche Unabhängigkeit unseres Staates zu hüten berufen sind, haben sich entweder ausdrücklich in den Dienst des christlichen Totalitarismus gestellt oder sind Gefangene einer öffentlichen Meinung, die alles verdrängt und unterdrückt,

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was am ›prinzipiell christlichen‹ Charakter der Bundesrepublik Zweifel aufkommen lassen könnte.«119 Die Humanistische Union verfügte weder über viele Mitglieder noch über weitreichende Organisationsstrukturen. 1967 gehörten ihr lediglich 4.200 Personen an, so dass ihre Reichweite immer begrenzt war. Dennoch hatte ihre Existenz eine gewisse Signalwirkung. »Nur fünf bis sechs Jahre nach ihrer Gründung gehört sie zwar nicht zu den ersten Kräften, die unsere Gesellschaft gestalten, ist aber […] ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden«, so urteilte ein zeitgenössischer Beobachter.120 Diese Aufmerksamkeit erreichte die Union vor allem durch ihr offensives Auftreten gegenüber den beiden christlichen Kirchen. Im politischen Feld war dieses Verhalten die Ausnahme und erreichte genau deshalb eine besondere Aufmerksamkeit. Politische Unterstützung fanden die Bemühungen der freidenkerischen Union nur am Rande des Parteienspektrums: Die Jungdemokraten als Nachwuchsorganisation der FDP übernahmen die kirchenkritischen Thesen aus dem Umfeld der HU und forderten die völlige Trennung von Kirche und Staat. Der Bundesparteitag der FDP im Oktober 1974 nahm diese Forderung auf und erhob sie in nochmals abgeschwächter Form zu einem Beschluss der Partei.121 Regierungspolitik wurde sie deshalb allerdings noch lange nicht: Selbst der Koalitionspartner SPD mochte diese Ansichten nicht teilen. Sowohl Willy Brandt als auch Helmut Schmidt distanzierten sich explizit von diesen Positionen. Eine starke atheistische Linie hat sich in Deutschland weder aus den freidenkerischen Traditionen der Arbeiterbewegung und des Liberalismus erhalten noch aus der Protestbewegung von 1968 entwickelt. Die frontale Kritik an der engen Verflechtung von Staat und Kirche blieb die Ausnahme. In der Regel diskutierten die Befürworter einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche einzelne Punkte der institutionellen Arrangements, die mit Gründung der Bundesrepublik und in den 1950er Jahren getroffen worden waren. So flammte immer wieder die Diskussion um die Berechtigung des halbstaatlichen Kirchensteuersystems auf. Den Kritikern galt die von den Finanzämtern eingezogene Abgabe als »fromme Schröpfung«.122 Auch andere Konstellationen wurden zu Dauerthemen: Mussten, ja durften die Kirchen Militärseelsorge leisten? Mit dem Gesetz über die Militärseelsorge vom 26. Juli 1957 hatte die evangelische Kirche einen Staatskirchenvertrag geschlossen, welcher ihr die organisatorischen und die finanziellen Möglichkeiten gab, Seelsorge unter den Soldaten der neu gegründeten Bundeswehr zu betreiben. Die katholische Kirche nahm ihre Arbeit in der westdeutschen Armee zunächst im Rahmen des Reichskonkordats von 1933 auf und arbeitete seit 1957 auf der Grundlage einer eigens dafür geschaffenen gesetzlichen Basis. Insbesondere in der evangelischen Kirche war die Frage der Militärseelsorge von Beginn an stark umstritten. Bei vielen Protestanten überwog nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs die Abneigung gegenüber allem Militärischen. Erste öffentliche Äußerungen der evangelischen Kirche zu Beginn der fünfziger Jahre konzentrierten sich daher vor allem auf Hilfeleistungen und Schutz für diejenigen, die den Kriegsdienst verweigern wollten. Als 1955 mit den Vorbereitungen für den Aufbau der Bundeswehr

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begonnen wurde, setzte die EKD-Synode im nordrheinwestfälischen Espelkamp deshalb zunächst einen Ausschuss ein, der die Unterstützung der Kriegsdienstverweigerung gewährleisten sollte.123 Auch der Abschluss eines Vertrags zur Militärseelsorge wurde entsprechend von großen Kontroversen begleitet. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau zögerte ihre Zustimmung sogar bis zum 26. April 1960 heraus.124 Hatte sich seitdem eine gewisse Normalität ergeben, so gewann die Diskussion mit der allgemeinen Politisierung zum Ende der 1960er Jahre wieder an Schärfe: Die Kriegsdienstverweigerung wurde zu einer Bewegung, die immer mehr junge Männer anzog. Zwar war der Anspruch auf die Verweigerung bereits im Grundgesetz formuliert und ein spezielles Zivildienstgesetz bereits zum April 1961 in Kraft getreten. Aber nur wenige Wehrpflichtige hatten diese Möglichkeit aktiv genutzt. Meist waren es Angehörige von Freikirchen und kleinen religiösen Gemeinschaften wie den Mennoniten oder den Quäkern, die aus religiösen Gründen den Kriegsdienst verweigerten. Popularität gewann der Ersatzdienst erst zum Ende der sechziger Jahre und entwickelte sich dann nach und nach zu einer immer größeren Bewegung. Hatten 1967 knapp 6.000 junge Männer verweigert, waren es 1968 schon fast 12.000, 1970 dann 19.363 und für das Jahr 1971 rechnete man mit bis zu 30.000 Kriegsdienstverweigerern. Dadurch aufgeschreckt begann die Bundeswehrführung darüber nachzudenken, wie diese Zahl zu senken sei. Unverhoffte Hilfe bekam sie dabei von einer Kommission von Militärseelsorgern, die aus ihrer Perspektive als Geistliche Maßnahmen empfahlen, mit denen junge Männer davon überzeugt werden könnten, ihren Wehrdienst abzuleisten. Nach Bekanntwerden dieses vertraulichen Gutachtens, provozierten die Überlegungen insbesondere in der evangelischen Kirche eine hoch kontroverse Diskussion. Erneut kam die Frage auf, in welchen Formen Soldaten seelsorglich betreut werden dürften, damit dieses Engagement dem christlichen Friedensgebot nicht zuwider laufe.125 Ähnlich wurde mit Blick auf die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen argumentiert: Der Soziologe Rütger Schäfer beklagte 1970 die »Misere der theologischen Fakultäten«. 126 Schäfer erklärte die Theologie für unwissenschaftlich und die Existenz der kirchlich kontrollierten Fakultäten als grundgesetzwidrig, schränkten diese doch die Freiheit der Wissenschaft ein. Konsequent forderte er ihre Umwandlung in religionswissenschaftliche und damit konfessionsungebundene Abteilungen der Universität. Im Ergebnis wurde kaum eine der genannten oder anderer ähnlich radikaler Forderungen tatsächlich umgesetzt und somit änderte sich auch an der engen Verbindung von Staat und Kirche wenig. Weder die lange Zeit regierende CDU/CSU noch die seit 1969 den Kanzler stellende SPD waren an Reformen interessiert, die als Übergriff in die Sphäre der Kirchen hätten interpretiert werden können. Und doch gab es gravierende Veränderungen. Dafür steht beispielsweise das Verschwinden der konfessionellen Volksschule, für deren Einrichtung und Erhalt sich insbesondere die katholische Kirche vehement eingesetzt hatte: Was in den fünfziger Jahren noch zu einem Kernelement kirchlich-katholischer Politik erklärt worden war, verschwand nun innerhalb weniger Jahre sang- und klanglos. Die noch wenige Jahre zuvor zur entscheidenden Säule des Bildungssystems stilisierte Volksschule verlor

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dieses positive Image und wurde immer stärker als Schultyp gesehen, der die als so drängend empfundene Behebung der »deutschen Bildungskatastrophe« blockierte.127 Am Anfang der wichtigsten bildungspolitischen Debatte dieses Jahrzehnts stand der »Sputnikschock«: 1957 war es der Sowjetunion gelungen, den Satelliten Sputnik erfolgreich ins All zu schießen. Der bis dahin sicher geglaubte Technologievorsprung des Westens schien gefährdet. Drohte nun der Westen und damit auch die Bundesrepublik im technologischen Wettlauf des kalten Krieges abgehängt zu werden? Diese Frage nahm 1964 der Theologe und Pädagoge Georg Picht auf, als er den Zustand des bundesdeutschen Schul- und Hochschulwesens als Bildungskatastrophe charakterisierte. In den zunächst in der Wochenzeitschrift Christ und Welt veröffentlichten Artikeln prangerte er die im internationalen Vergleich niedrigen Bildungsausgaben in Deutschland an, kritisierte die geringe Quote an Abiturienten, die großen Unterschiede zwischen Stadt und Land und forderte grundlegende Reformen des dreigliedrigen Schulsystems und der Erwachsenenbildung.128 Bei der Suche nach »Bildungsreserven« wurde eine Personengruppe nahezu sprichwörtlich: Das katholische Mädchen vom Lande galt als diejenige, die aus Sicht der Reformer für mehr Bildung gewonnen werden musste. Für das 1965 konstatierte »speziell ›katholische Bildungsdefizit‹«129 schienen vor allem die Konfessionsschulen verantwortlich. Auf jeden Fall aber standen sie der Beseitigung dieses Missstandes im Weg. Da sie wegen der Beschränkung auf Schüler einer Konfession meist nur kleine Schülerzahlen hatten, konnten sie oft nur eine Klasse pro Jahrgang bilden oder mussten altersverschiedene Schüler gemeinsam unterrichten. Für moderne Unterrichtsformen oder gar einen ausgeprägten Fachunterricht gab es keine Möglichkeit. Den neuen Anforderungen und Hoffnungen, die man in das Schulsystem setzte, war in der Sicht vieler Zeitgenossen das Modell der Konfessionsschule nicht gewachsen. Mindestens implizit wurde diese zu einer Schulform erklärt, welche eine moderne und zeitgerechte Bildung nicht leisten könne. In erstaunlich kurzer Zeit gab auch der Katholizismus sein Eintreten für die Konfessionsschule auf. Intern hatte dieser Schritt heftige Verwerfungen zur Folge: Zu den Befürwortern des Konfessionsprinzips gehörte ein Großteil des deutschen Episkopats sowie einige der katholischen Standesorganisationen. Die Anderen, die für die Aufgabe des Prinzips plädierten, waren vor allem pragmatische, macht- und bildungspolitisch argumentierende Politiker aus den Unionsparteien und aus der Kultusbürokratie.130 Nicht allein der Druck aus der jeweiligen Länderpolitik, sondern auch eine Neuorientierung des schulpolitischen Kurses durch das Zweite Vatikanum half den Katholiken dabei, sich rasch von den alten Positionen zu verabschieden. Die dazu zentrale Konzilserklärung Gravissimum Educationis vom 28. Oktober 1965 bekräftigte die Zuständigkeit des Staates für die Erziehung. Zugleich betonte das Dokument, dass ein staatliches Schulmonopol zu vermeiden sei. Die Realität der pluralistischen Gesellschaft verbiete eine einseitige Konzentration. Anlässlich des Katholikentags in Bamberg deutete der Jesuit und Redakteur der Stimmen der Zeit Wolfgang Seibel die Konzilsaussagen für die deutsche Situation. Als Idealform für

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die katholische Schulträgerschaft gelte dem Konzil »die vom Staat freie, aber mit öffentlichen Mitteln dotierte katholische Schule« und zwar deshalb, »weil sie dem Pluralismus der heutigen Gesellschaft und der weltanschaulich neutralen Struktur des modernen Staates am besten entspricht«.131 Damit war eine deutliche Absage an die Konfessionsschule alten Stils formuliert. Ende der sechziger Jahre führten diese Diskussionen dazu, dass fast alle deutschen Bundesländer die Bekenntnisschulen abschafften. Lediglich in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen stellen konfessionelle Grundschulen bis heute eine gleichberechtigte, in einigen Regionen sogar die dominierende Schulart dar. Abgesehen davon aber war innerhalb weniger Jahre dieser Standpunkt geräumt worden, den die katholische Kirche und der Katholizismus in den fünfziger Jahren noch mit allen Mitteln verteidigt hatte. Die Gründe dafür waren vielfältig. Vor allem der Systemwettbewerb zwischen Ost und West, die neuen Erfordernisse einer sich stark verändernden Wirtschaft und der politische Wunsch nach mehr Demokratie und Emanzipation hatten die alten Bildungsschranken und konfessionellen Segmentierungen weggefegt. Aber auch hier gilt: Zwar waren die Religionsgemeinschaften nicht nur passive Beobachter dieser Entwicklung, hatten sie sich doch ebenfalls in ihren Positionen entwickelt. Sie waren aber letztlich nicht Schrittmacher der Veränderungen, sondern hinkten der Entwicklung hinterher. Nicht nur im Schulkonflikt hatten sich die politischen und weltanschaulichen Lager der 1950er Jahre verändert. Katholiken und Christdemokraten zogen nicht mehr selbstverständlich an einem Strang. So verliefen die politischen Fraktionierungen im Schulstreit mitten durch diese Gruppen. Katholisch zu sein bedeutete nicht mehr automatisch christdemokratisch zu wählen oder gar CDU-Mitglied zu sein. Auch die CDU selbst legte ihr katholisches Image insofern ab, als es ihr im Laufe der 1970er Jahre gelang, auch in überwiegend evangelischen Ländern wie Niedersachsen und Hessen zur stärksten Partei zu werden. »Die Zeit der ›katholischen CDU‹ war damit endgültig vorbei.«132 Irritationen blieben nicht aus. Auf der einen Seite funktionierten die alten Mechanismen des Konfessionsproporzes weiter. Immer noch zählte beispielsweise der Evangelische Arbeitskreis der CDU (EAK) die Konfessionsangehörigkeit von Spitzenfunktionären und Abgeordneten der Partei, ohne dass dieser Faktor gesellschaftlich noch eine wichtige Rolle gespielt hätte.133 Zugleich wurden die Kirchen selbst als Partner der CDU vielgestaltiger und damit schwieriger. Die Protestbewegung der Studenten, Schüler und Lehrlinge des Jahres 1968 hatte vor den Kirchen nicht halt gemacht. Insbesondere Teile der evangelischen Landeskirchen waren stark »politisiert« worden. Diese Entwicklung irritierte die wieder auf einen Antisozialismuskurs einschwenkende CDU enorm. In der Krisenrhetorik des Kalten Krieges berichtete beispielsweise der frühere Bundesminister und Mitgründer der CDU Ernst Lemmer 1968 dem Bundesvorstand der CDU, dass in Berlin »schätzungsweise 80 Prozent der aktiven Geistlichkeit, insbesondere die gesamte jüngere Generation, auf dem Kommunisten fördernden Flügel« stünde. »Die evangelische Bevölkerung, die noch einen Funken von staatsbürgerlichem Verantwortungsbewußtsein hat, wendet sich von dieser Kirche ab und

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bemüht sich, Freikirchen zu gründen, weil diese Menschen Christen sind und Christen bleiben wollen.«134 Auch jenseits solcher Einschätzungen führten derart überspitzte Reaktionen dazu, dass insbesondere Teile der jüngeren protestantischen Geistlichkeit auf Distanz zur CDU gingen. »Das protestantische Kirchenumfeld, das unter Adenauer mühsam zur Union geführt worden war, wandte sich angesichts solcher Vorwürfe teilweise dauerhaft zur Linken.«135 Hatte die Adenauer-CDU noch auf eine großzügige Integrationspolitik gesetzt, wurden jetzt Meinungsführer aus Kirche, Bildung und Medien verschreckt. Gleichzeitig aber konnte gerade in dieser Situation das kirchliche Vorfeld der CDU eine gewisse Brückenfunktion übernehmen. So organisierte beispielsweise der Evangelische Arbeitskreis in Berlin christdemokratische Gesprächsrunden, die weit in die Hochschulen hineinreichten und so den Kontakt zu den politisierten Intellektuellen hielten. Auf der anderen Seite des Parteienspektrums verringerte sich die Distanz zwischen der SPD und den Kirchen erheblich. Nach der Regierungsbeteiligung in der großen Koalition des Jahres 1966 hatte sich die SPD 1969 schließlich ins Kanzleramt gekämpft und die »ewige Regierungspartei« CDU abgelöst. Der Erfolg war auch darauf zurückzuführen, dass die Sozialdemokraten mehr christliche Wähler für sich gewinnen konnten. Besonders im protestantischen Bereich war sie für viele zur selbstverständlichen politischen Heimat avanciert. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren sympathisierte die protestantische Führungsriege fast selbstverständlich mit den Christdemokraten, während Personen wie Martin Niemöller, Gustav Heinemann, Kurt Scharf oder der westfälische Präses Ernst Wilm die Ausnahme bildeten. Seit Ende der sechziger Jahre aber verstärkte sich die Affinität zur SPD, ein Jahrzehnt später dann auch zu der Partei Die Grünen: Eine jüngere Pastorengeneration rückte in die Kirchengemeinden, aber auch in die Führungsämter ein. Nicht allein der Status als Regierungspartei machte die Sozialdemokraten für diese Geistlichen attraktiv, sondern auch verschiedene inhaltliche Übereinstimmungen. In den siebziger Jahren wirkte vor allem die Ostpolitik Willy Brandts in diese Richtung. Nach 1982 war es der Kampf gegen die Raketenrüstung, die Atomkraft und die Bewahrung der Schöpfung, die auch Die Grünen attraktiv machten.136 Auch im Katholizismus wurde die frühere Weltanschauungsgrenze zwischen Kirche und Sozialdemokratie durchlässiger. Der Jesuit Oswald von Nell-Breuning, einer der bedeutendsten katholischen Sozialethiker seiner Zeit, sah bereits 1964 »im gesellschaftspolitischen Teil des Godesberger Programms nicht mehr und nicht weniger als ein kurz gefaßtes Repetitorium der katholischen Soziallehre«. Diese Ansicht wurde von der katholischen Hierarchie in Gestalt von Julius Kardinal Döpfner dagegen als »wenig überzeugend« abqualifiziert. Die zeitgenössischen Diskussionen um das Verhältnis von »roten« Sozialdemokraten und »schwarzen« Katholiken zeigte aber, dass die bislang vorherrschende Distanz zwischen beiden Lagern in Bewegung geriet. Außer Georg Leber und Hermann SchmittVockhausen gebe es keine prominenten katholischen Sozialdemokraten, so monierte ein Teil der Bistumspresse nach dem Wechsel zur Regierung Brandt und versuchte auf diese

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Abb. 4: Protestantischer Einsatz für den Frieden: Ostermarsch in Frankfurt am Main, 30. März 1964, in der Bildmitte läuft der protestantische Theologe Martin Niemöller. (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main)

Weise, ihren Lesern die hergebrachten Differenzen noch einmal einzuschärfen: »Zwei katholische Politiker in der sozialdemokratischen Führungscrew … Und sonst? Man nenne beispielsweise einen KAB- oder Kolping-Mann, der Bundestagsabgeordneter ist.«137 Umgekehrt hatten sich aber schon während der Kanzlerkandidatur Brandts prominente Katholiken auf Bundesebene, aber auch in regionalen Zusammenhängen für die Wahl des Sozialdemokraten eingesetzt.138 Die zum Slogan »Willy wählen« geronnene Begeisterung für den charismatischen SPD-Politiker machte auch vor den Katholiken nicht halt. Die einst so geschlossene Ablehnung wurde brüchig. Hinzu kam, dass auch die SPD darauf hinarbeitete, mögliche Distanz zu überwinden: Es war kein Zufall, dass Willy Brandt in verschiedenen Reden einen Gottesbezug einbaute. Zusätzlich richtete er 1973 zwei Kirchenreferate beim SPD-Vorstand ein, die systematisch die Beziehungen zur protestantischen und zur katholischen Kirche verbessern sollten. Als dann 1978 auf dem Freiburger Katholikentag mit Hermann Schmitt-Vockenhausen erstmals ein prominenter Sozialdemokrat als Referent in einem großen Forum des Katholikentages auftrat, war auch auf dieser Ebene eine Schranke niedergerissen.139 Wie variabel und unübersichtlich die Verhältnisse von Parteien und Religionsgemeinschaften im Vergleich zu den fünfziger Jahren geworden waren, zeigte sich

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exemplarisch im Jahr 1980. Am 21. September und damit genau zwei Wochen vor der Bundestagswahl ließen die deutschen Bischöfe einen Hirtenbrief verlesen, der deutlich als Kritik an der SPD-geführten Bundesregierung und ihrem Kanzler Helmut Schmidt zu verstehen war. Hauptmonitum war die Liberalisierung des Abtreibungsrechtes, mit dem laut Bischofskonferenz das »Grundrecht auf Leben« ausgehöhlt wurde. Zugleich aber äußerte man sich einer immer höheren Staatsverschuldung gegenüber ablehnend und mahnte an, stattdessen das bürgerschaftliche Engagement stärker zu fördern. Für die Katholiken gelte es, nun eine »sittliche Entscheidung« darüber zu treffen, »welche Werte und Ziele die Politik in den kommenden Jahren bestimmen und tragen.«140 In seinen Forderungen und Formulierungen ähnelte dieses Schreiben den Wahlhirtenbriefen der fünfziger Jahre frappierend. Allerdings evozierte diese bischöfliche Stellungnahme in der neuen politischen Situation Anfang der achtziger Jahre eine völlig andere Resonanz: Nicht nur die SPD kritisierte das Schreiben als einseitige Wahlkampfhilfe, mit der sich die Kirche unglaubwürdig machte. Auch prominente Katholiken wie Ernst-Wolfgang Böckenförde oder Franz Böckle lehnten das Vorgehen des Episkopats öffentlich ab und provozierten damit eine interne Diskussion darüber, ob die Bischofskonferenz überhaupt dazu berechtigt sei, einseitig für eine politische Partei zu votieren.141 Die Zeiten, in denen katholische Bischöfe offen und unwidersprochen für die CDU werben konnten, waren definitiv vorbei. Die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Christdemokraten variierten mehr und mehr: Die von Helmut Kohl erstmals 1980 aufgebrachte Losung von der »geistig-moralischen Wende« hatte hohe Erwartungen geweckt, die aus Sicht der katholischen Hierarchie wie auch verschiedener Verbände allerdings nicht erfüllt wurden. Mehr und mehr bildete sich auch innerhalb des Katholizismus die Meinungsvielfalt ab, die auch die Gesellschaft insgesamt prägte. Deshalb erscheint es nur folgerichtig, dass die politischen Konstellationen und Präferenzen themenabhängig variierten: In der Frage des christlichen Einflusses an den Schulen verblieb die katholische Kirche meist näher bei der CDU. In der Ausländer- und Asylpolitik orientierte sie sich näher an der SPD. Auch Teile des Verbandskatholizismus wie zum Beispiel die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung sahen sich oftmals den sozialdemokratischen Positionen näher. Mit Blick darauf, wie die bundesdeutsche Demokratie funktionierte, zeichnete sich damit eine gewisse Normalisierung ab: Die Religionsgemeinschaften verloren im Allgemeinen wie auch gegenüber ihren Mitgliedern ihre weltanschaulich-politische Mobilisierungskraft. Weniger als bisher waren Katholiken und Protestanten durch ihre kirchliche Mitgliedschaft auch in ihren politischen Präferenzen geprägt. Mehr und mehr engagierten sie sich in der Bandbreite des politischen Spektrums, welches auch gesellschaftlich vorzufinden war.

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Politik im Glauben? Schwangerschaftsabbruch und Schutz des ungeborenen Lebens als Exempel Eine allgemein stärkere Politisierung, Pluralisierung und Polarisierung in der Gesellschaft wie auch in den Kirchen – diese und andere Trends veränderten die Zuordnung von Kirche und Staat grundlegend. Die christlichen Kirchen verloren ihre besondere Stellung im politischen System der Bundesrepublik und entwickelten sich zu einer Lobbygruppe unter vielen. An keinem anderen Politikfeld lässt sich dieser Wandel besser beobachten als an den politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen um den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches. Mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen, eine Schwangerschaft abzubrechen, waren auch weitere, darüber hinausreichende Felder tangiert. Die Diskussion berührte Konzepte von Familie, Weiblichkeit, Mutterschaft und Frauenrechten ebenso wie Fragen nach Sexualität, Körperlichkeit und Empfängnisverhütung. Letztlich spielten auch Überlegungen zu Demografie und Eugenik in diese Debatte hinein. Die Kirchen sahen sich in dieser Diskussion in ihrem ureigenen Feld herausgefordert, denn nicht erst in den fünfziger Jahren hatten sich Familienpolitik und Sexualmoral zu wichtigen Feldern religiös-pastoralen Wirkens entwickelt. Im Rahmen einer Reform des Strafgesetzes plante die sozialliberale Koalition ab 1970 Änderungen bei den Möglichkeiten und Grenzen zur Beendigung von Schwangerschaften. In der bis 1976 währenden Auseinandersetzung standen sich grundsätzlich zwei Modelle gegenüber: Die von der CDU/CSU-Fraktion favorisierte »Indikationsregelung« ließ Abtreibungen nur unter medizinischen und ethischen Bedingungen zu, so zum Beispiel nach einer Vergewaltigung oder bei unmittelbarer Gefährdung für das Leben der Mutter. Nach der von den Fraktionen von SPD und FDP unterstützten »Fristenregelung« sollte sie grundsätzlich bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei sein. Nach langwierigen Beratungen entschied sich der Bundestag am 26. April 1974 mit knapper Mehrheit für eine Fristenregelung. Allerdings hatte diese Festlegung nicht lange Bestand: Auf Grund einer Klage der CDU-Opposition kassierte das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz und erklärte die Fristenlösung im Februar 1975 für verfassungswidrig. Aufgrund der Vorgaben aus Karlsruhe verabschiedete der Bundestag am 6. Mai 1976 schließlich mit der modifizierten Indikationsregelung einen Kompromiss: Der Schwangerschaftsabbruch sollte innerhalb festgelegter Fristen und unter bestimmten Indikationen straffrei bleiben. Dazu zählte eine Gefährdung des Lebens der Schwangeren (medizinische Indikation) oder eine zu befürchtende schwere Schädigung des Ungeborenen (embryopathische Indikation). Straffrei bleiben sollte die Abtreibung auch bei einer Vergewaltigung (kriminologische Indikation) oder einer sozialen Notlage der Frau (soziale Indikation). In der Öffentlichkeit provozierte dieses Vorhaben heftige Auseinandersetzungen. Einen Höhepunkt der öffentlichen Debatte markierte die Titelgeschichte der Illustrierten Stern am 6. Juni 1971. »Wir haben abgetrieben« erklärten auf Initiative der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer 374 Frauen. Damit bekannten prominente Persön-

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lichkeiten wie die Schauspielerinnen Romy Schneider, Senta Berger und Sabine Sinjen öffentlich, gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Mit ihrer Initiative verstärkten sie eine bereits seit einigen Monaten währende öffentliche Auseinandersetzung. Für die Befürworter der Reform stand das Persönlichkeitsrecht der Mutter im Vordergrund. Teilen der Frauenbewegung beispielsweise ging die Reform nicht weit genug. Mit der Parole »Mein Bauch gehört mir« stritten sie für eine völlige Streichung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch. Die Reformgegner hingegen betonten das uneingeschränkte Lebensrecht des Ungeborenen. Insbesondere die katholische Kirche forderte den grundsätzlichen Schutz des ungeborenen Lebens und verharrte weitestgehend auf dieser Position. Eine Entwicklung war auf dieser Seite nicht festzustellen. In der protestantischen Kirche hingegen entwickelte sich im Laufe der Auseinandersetzung eine differenzierte Haltung zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs und damit auch zum Problem, wie sich Kirche politisch verhalten sollte. Die beiden Kirchen bestimmten so nicht nur ihre Haltung zu den Gesetzesvorhaben und dessen Details, sondern berührten dabei auch grundsätzliche Probleme: Wie eigentlich sollte Kirche in die Öffentlichkeit wirken und sich am gesellschaftlichen Leben beteiligen? Daraus leitete sich in der evangelischen Kirche eine zweite Debatte ab: Wer durfte eigentlich legitimer Weise für die Gesamtheit sprechen? Und wie sollte geistliche Leitung praktiziert werden? Diese prinzipielle Frage stellte sich Anfang der siebziger Jahre erneut und drängend, hatten sich doch die vormals bewährten Wege verändert. Die Skala möglicher Formen kirchlicher Intervention in die Gesellschaft reichte von der Seelsorge am Einzelnen bis hin zur direkten Mitarbeit von Kirchenvertretern in politischen Entscheidungsgremien. Wie viel Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen aber sollte den Kirchen legitimer Weise zukommen? Oder – von der anderen Warte aus formuliert – wie säkular muss, kann oder darf der Staat sein, wenn es um die Formulierung grundlegender Gemeinschaftswerte geht? Besonders innerkirchlich wuchs sich der Streit um den Paragrafen 218 auch zu einer Auseinandersetzung um Autorität und Führungsanspruch einer geistlichen Leitung im Verhältnis zur Autonomie des einzelnen Kirchenmitglieds aus. Der evangelische Theologe und Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages Heinz Zahrnt betonte die besondere Bedeutung, die die Diskussion um den Abtreibungsparagrafen einnahm, und sprach 1973 vom »Planspiel 218«: Die Diskussion um den Abtreibungsparagrafen ermögliche es der Christenheit, sich in ihrer neuen Öffentlichkeitsrolle einzuüben. »Sie bildet nicht mehr wie einst die absolute Mehrheit in unserer Gesellschaft und hat daher auch nicht mehr allein das Sagen. Vielmehr kann sie künftig nur noch Mitverantwortung dafür übernehmen, daß der Kräftehaushalt der Gesellschaft bei ihrem Fortschritt in die Zukunft gesund bleibt.«142 Schon eine erste Stellungnahme vom Dezember 1970 provozierte Diskussionen genau um die von Zahrnt aufgeworfenen Fragen. Anlass des ersten ökumenischen Schreibens, welches der bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche und der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Höffner herausgaben, war nicht nur die geplante Reform des Paragrafen 218, sondern

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auch vorgesehene Änderungen im Ehescheidungsrecht wie auch die Aufhebung des Pornografieverbots. Die Stellungnahme der beiden kirchlichen Würdenträger mit dem Titel »Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung« lehnte sich in der Form und in ihrer Präsentation stark an die EKD-Denkschriften an. Die wegen ihres besonderen Layouts bald als »Orange Schrift« bekannte Publikation wurde in sehr hoher Auflage gedruckt und sogleich weit verbreitet: Nicht nur alle Mitglieder des Bundestages und die wichtigsten Presse-, Hörfunk- und Fernsehredaktionen wurden damit beschickt, sondern auch alle evangelischen und katholischen Pfarrämter. Weithin wurde es dementsprechend auch als eine kirchenoffizielle Stellungnahme wahrgenommen. Formal genommen war es aber nicht mehr als eine persönliche Stellungnahme hoher Vertreter der beiden großen Kirchen. Mit dem Gestus der Autorität des geistlichen Amtes waren auch die Überlegungen und Thesen formuliert. »Für die Ordnung von Recht und Gesellschaft gibt es sittliche Wertvorstellungen, die von allgemeiner Gültigkeit sind. An sie ist auch der Gesetzgeber gebunden. Wird dieser Grundsatz aufgegeben, dann verliert die Gesellschaft ihre Gemeinschaftsfähigkeit und die Möglichkeit, sich über eine allgemeingültige Gesetzgebung zu verständigen. Staat und Gesellschaft zerstören sich letzten Endes selbst, wenn sie einen bestimmten Grundbestand an sittlichen Überzeugungen nicht mehr als für die Gesellschaft verbindlich anerkennen.«143 Falls der Staat diese Verantwortung wegen »moderner Zeitströmungen […] voreilig« preisgäbe, besetzten »ideologische Systeme den Raum bisheriger Wertvorstellungen«. Damit drohe dann der Zerfall der Gesellschaft. Insbesondere das Verbot der Tötung menschlichen Lebens sei »ein sittliches Axiom von so fundamentaler Bedeutung für die menschliche Gemeinschaft, dass es zugleich im Recht des Staates verankert sein muss.« Der von den Autoren erhobene Anspruch auf Geltung ihrer Position aber ließ sich weder gegenüber der Politik noch gegenüber der Öffentlichkeit, ja nicht einmal innerhalb der evangelischen Kirche durchsetzen. In der innerkirchlichen Auseinandersetzung vermischten sich verschiedene Ebenen: Kontrovers diskutiert wurde nicht nur der Abtreibungsparagraf und wie sich die evangelische Kirche dazu verhalten solle, sondern auch Fragen nach innerkirchlicher Autorität und Meinungsbildung. Zunächst einmal erntete die ökumenische Initiative der zwei kirchlichen Würdenträger ein verheerendes Echo, lediglich die Kirchenpresse äußerte sich verhaltenpositiv.144 »Die Massenmedien sind über uns hergefallen wie ein Mann«, so resümierte in einem privaten Brief Hermann Kunst, der als Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung an der Entstehung der Stellungnahme unmittelbar beteiligt war.145 Die Kritik zielte auf die inhaltliche Position der »Orangen Schrift«: Die eindeutige Ablehnung jeglicher Form des Schwangerschaftsabbruchs war unter evangelischen Theologen und Sozialethikern bereits seit Beginn der sechziger Jahre kontrovers diskutiert worden. Während die katholische Kirche in der Enzyklika Humanae Vitae einen direkt gewollten und herbeigeführten Schwangerschaftsabbruch absolut ausgeschlossen hatte, fragten evangelische Wissenschaftler stärker nach Kontexten und Auswirkungen der Schwangerschaft. Neben dem Tötungsverbot, welches die Rechte des ungeborenen

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Kindes schützte, stand das Liebesgebot, welches auf die Schwangere bezogen war. Ihr Lebens- und Selbstbestimmungsrecht wurde unterschiedlich abgewogen gegen den Schutz des ungeborenen Lebens.146 Anlässlich der Diskussion um die Reform des Paragrafen 218 wurden diese theologisch-wissenschaftlichen Abwägungen nun auch politisch relevant. Zwei Monate nach Erscheinen der »Orangen Schrift« kritisierte eine »Gegendenkschrift« die Position der CDU-nahen Autoren Dietzfelbinger und Döpfner. Die Kritiker monierten vor allem, dass die »Orange Schrift« keinen überzeugenden Diskussionsbeitrag geleistet habe, sondern in ein allgemeines Räsonnement von zweifelhafter Qualität verfallen sei. »Rückfall in den Obrigkeitsstaat«, so titelte der evangelische Politikwissenschaftler Horst Zillessen. Gegen die Vorstellung einer überzeitlichen Rechtsnorm, die autoritär durchzusetzen sei, setzten die Verfasser der Gegendenkschrift auf Individualität und Emanzipation. »Ausgangspunkt aller demokratisch qualifizierten Ordnungsvorstellungen ist die gesellschaftlich vermittelte Individualität. In Bezug auf sie wird jeweils zu fragen sein, wieweit ihrem Entfaltungsdrang stattgegeben werden kann, ohne andere in dem ihren zu beinträchtigen.«147 Deutlich zeigte sich, wie weit das Meinungsspektrum zur Frage der Abtreibung wie auch anderer sittlich-moralischer Probleme auseinanderklaffte. Während Döpfner und Dietzfelbinger die »sexuelle Revolution« als »Vorbereitung und Ausdruck einer gesellschaftsrevolutionären Entwicklung bekämpften«, setzte die Gegenseite auf das entgegengesetzte Programm: Ihr galt es, nicht mehr zeitgemäße Rechtsnormen im Zeichen einer freiheitlichen Emanzipation zu überwinden. Im Ergebnis dieser Kontroverse nahmen die EKD und ihre Landeskirche keine eindeutige Position zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs ein. »Einerseits und andererseits«, »Nein und Ja« oder »Weder ja noch nein«, so drückte sich diese Kompromisshaltung bereits zeitgenössisch aus.148 Diese Haltung löste Irritationen aus, wurde wechselweise als entscheidungsschwach kritisiert oder als offen gelobt. Die große Spannbreite der internen Meinungen ließ sich jedoch nicht zu einem geschlossenen Beitrag zur politischen Diskussion bündeln. Dem Versuch, auf die parlamentarischen Beratungen oder die Vorbereitungen zur Gesetzgebung direkt Einfluss zu nehmen, waren daher nicht nur aus dem politischen Bereich Grenzen gesetzt. Auch die innerkirchliche Meinungsvielfalt blockierte ein geschlossenes politisches Vorgehen, wie es die Kirchen noch in den fünfziger Jahren praktiziert hatten. Die Kirche konnte sich nicht länger, das zeigte sich an diesem Konflikt exemplarisch, als eine Institution begreifen, die oberhalb oder außerhalb der Gesellschaft angesiedelt war. Stattdessen musste sie lernen, sich als ein Segment innerhalb der Gesellschaft zu verstehen und als solches zu agieren. Der Streit um die richtige Vorgehensweise der evangelischen Kirche war weniger ein Konflikt zwischen Kirche einerseits und dem Staat oder den Parteien andererseits. Der Zeit-Redakteur Hans Schueler kommentierte die Schrift zwar mit dem Hinweis, dass die Kirchen »mit der Bischofsschrift den Fehdehandschuh zu einem neuen Kulturkampf auf begrenztem Felde hingeworfen« habe. Schueler empfahl der Regierung, diesen aufzunehmen »und die Repräsentanten klerikaler Machtansprüche gegenüber dem Staat und einer keineswegs mehr homogenen christlichen Gesellschaft deutlich in ihre Schranken

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[zu] weisen.«149 Insgesamt aber blieb der Streit im politischen Feld sehr verhalten. Die CDU-Opposition signalisierte Zustimmung zur Position der »Orangen Schrift«, kritisierte aber verhalten die wenig politisch-diplomatische Form. Die sozialliberale Regierung hielt sich aus taktischen Überlegungen zurück und reagierte mit maßvoller Kritik und Gesprächsangeboten. Nicht ohne Hintergedanken hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Claus Arndt die »kirchlich führenden Männer« dazu aufgefordert, ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Schauplatz zu lenken und zu beobachten, »[welch] harter Kritik sie aus den eigenen Reihen ausgesetzt sind.«150 Zu innerkirchlichem Protest gab vor allem Anlass, dass die beiden Herausgeber der »Orangen Schrift« sich keinesfalls an selbst gewählte Maximen gehalten hatten. Lediglich ein Jahr zuvor, nämlich Anfang 1970, hatte die EKD eine Denkschrift veröffentlicht, die einen Rahmen für das Verfassen von offiziellen Dokumenten gesteckt hatte: Die Kernaufgabe kirchlicher Verlautbarungen sollte nicht mehr darin bestehen, den Protestantismus auf inhaltliche Positionen festzulegen. Stattdessen wurde als Aufgabe definiert, Denkanstöße zu geben, verhärtete Fronten aufzulockern und auf diese Weise zur allgemeinen Bewusstseinsbildung und zur Wertorientierung beizutragen.151 Argumentieren statt mahnen, Sachkompetenz statt Autorität – die genannten Prinzipien hatten Dietzfelbinger und Döpfner in ihr Gegenteil verkehrt. Dem Stil und Impetus nach stand die »Orange Schrift« stattdessen ganz im »Geist der obrigkeitlichen Kundmachung an das Volk.«152 Die Kritiker der Kirchenführung mahnten einen Abschied von den klassisch-paternalistischen Positionen an. Die Verfechter der traditionellen Vorstellung eines autoritativen politischen Mandats der Kirche skizzierten diese Tendenz als eine existenzielle Bedrohung der Religionsgemeinschaft. Vor der Synode der EKD 1971 zog ihr Ratsvorsitzender Dietzfelbinger drastische Parallelen, um die aus seiner Sicht existentiell-bedrohliche Situation zu charakterisieren. »Haben diejenigen ganz Unrecht«, so formulierte Dietzfelbinger zwar indirekt, aber deswegen nicht weniger provokant, »die von einer Epoche geistlicher Verwirrung und Verzweiflung reden, in deren Anfang wir uns heute befinden? Anders gesagt: Wenn nicht alles täuscht, so stehen wir heute in einem Glaubenskampf, einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht war. Das Unheimlichste dabei ist, daß dieser jetzige Kampf vielfach kaum erkannt, zu allermeist verharmlost wird und unter Tarnworten wie Pluralismus voranschreitet.«153 Die politische Auseinandersetzung um die Reform des Paragrafen 218 zog sich im Kern bis in das Jahr 1976, ohne dass die Diskussion um die Frage des Schwangerschaftsabbruchs damit beendet gewesen wäre. Die evangelische Kirche entwickelte im Laufe dieser Jahre praktisch wie auch theoretisch ein neues Verständnis vom eigenen »Öffentlichkeitsauftrag«, welches auf eine pluralismuskonforme Betätigung im politischen Raum zielte. Hatten die Interventionen der EKD-Stellen vormals vor allem auf die politischen Entscheidungsträger gezielt, richteten sie sich nun auch an die Kirche selbst. Statt Konkurrenz und Verdrängung versuchten sie nun Prozesse der Bewusstseins- und Meinungsbildung anzustoßen und auf diese Weise konstruktiv mit divergierenden Meinungen umzugehen. Das »Planspiel 218« hatte gezeigt, dass das

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»Ende der Machbarkeit«, die der aufmerksame Zeitgenosse Heinz Zahrnt prophezeit hatte, erreicht war. Die evangelische Kirche löste sich in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zunehmend davon, konkrete politische Inhalte vorzugeben. Wie auch die katholische Kirche konzentrierte sie sich praktisch darauf, Hilfs- und Unterstützungsangebote für Schwangere zu entwickeln, um diesen die Entscheidung für das Kind zu erleichtern. Nicht mehr das Strafrecht, sondern die Beratung etablierte sich als Ort des kirchlichen Beitrags zum Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch. In der politischen Diskussion nahm die EKD eine »Mittel- und Mittlerposition« ein.154 Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975, mit dem die Fristenregelung höchstrichterlich verworfen und damit die protestantische Mehrheitsmeinung bestätigt wurde, arbeitete die EKD in diesem Sinne. Erwin Wilkens, der maßgebliche Autor der kirchlichen Voten zur Abtreibungsdebatte, sah sich in der Pflicht, »Wunden zu heilen, Wogen zu glätten und an einer Regelung mitzuarbeiten, die eine breite parlamentarische und gesellschaftliche Grundlage findet.«155 In dieser wie auch in anderen politischen Fragen intervenierte die EKD mit Beiträgen, in denen sie die Grenzen und Möglichkeiten des nach christlicher Überzeugung Vertretbaren aufzuzeigen und in die gesellschaftliche Diskussion einzuspeisen versuchte. Damit entfernte man sich deutlich von der Haltung der katholischen Kirche. Der Episkopat beharrte auf einer eindeutigen Ablehnung jeglicher Form des Schwangerschaftsabbruchs. In einer gemeinsamen Erklärung von katholischer und evangelischer Kirche zur Reform des Straf- und Abtreibungsrechts 1973 war es den Bischöfen gelungen, die eigene Position zu akzentuieren und die protestantischen Differenzierungen in den Hintergrund treten zu lassen.156 Innerhalb der evangelischen Kirche provozierte dies scharfe Auseinandersetzungen. In der Konsequenz verzichtete die EKD in den Folgejahren auf jegliche ökumenische Initiative. In der katholischen Kirche ist dieser Konflikt strukturell nach wie vor ungelöst. Die Praxis lässt sich als vertikales Schisma beschreiben: Während die Hierarchie am unbedingten Nein festhält und eine praktische Beteiligung am Reflexionsprozess darüber verweigert, sind es Laieninitiativen wie Donum Vitae, die auf eine aktive Beteiligung der Katholiken an der Beratung drängen, auch wenn diese im Einzelfall zum Abbruch der Schwangerschaft führt.157 Bis heute treten die beiden Kirchen als politische Lobbygruppen in eigener Sache auf und sind dabei zum Teil recht erfolgreich.158 Dabei haben sowohl die EKD als auch die katholische Bischofskonferenz praktisch davon Abstand genommen, auf die frontale Durchsetzung politischer Positionen zu setzen. Die Einsicht, dass ein solches Vorgehen politisch weder machbar noch vom eigenen Selbstverständnis gewünscht ist, hat ebenso zu diesem Wandel der Vorgehensweise geführt wie das Wissen darum, dass mit der rapiden Entkirchlichung auch der politische Einfluss faktisch schwindet, den man in den fünfziger Jahren noch einbringen konnte. Programmatisch formulierten EKD und Bischofskonferenz die neue Haltung im Gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. »Die Kirchen wollen nicht selbst Politik machen, sie wollen Politik möglich machen«, so hieß es dort im Jahr 1997.159

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1968 in den Kirchen. Polarisierung und Pluralisierung Das Jahr »1968« ist bereits lange seines mythischen Beiklangs entkleidet worden. Vordergründig zumindest haben die Proteste der Studierenden wie auch von Schülern und Lehrlingen weder die politische Kultur der Bundesrepublik noch die Gestalt der Kirchen grundlegend verändert. Der volkskirchliche Mainstream, so hat der Zeitzeuge und Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild verschiedentlich betont, zeigte sich von diesem Ereignisgipfel der außerparlamentarischen Opposition der Jahre 1967 bis 1969 wie auch von den sozialen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre allenfalls marginal berührt. Auf der Oberfläche dominierten zweifelsohne »fundamentale Kontinuitäten in Strukturen und Mentalitäten«: Kirchenverfassung, Gemeindestruktur, pastorale Praxis und vor allem die üppige Finanzbasis – all diese Grundstrukturen blieben unangetastet. »Mindestens bis 1970« dominierte »eine Mentalität zufriedener Saturiertheit«.160 Dieser oberflächliche Eindruck aber trog. Die Hochwassermarke des politischen und kulturellen Wandels der sechziger Jahre blieb nicht ohne Folgen, im Gegenteil: In verschiedener Hinsicht prägte diese Entwicklung die Religionsgemeinschaften und die etablierten Kirchen. Die sozialen Bewegungen der 1960er Jahre wie auch das Protestjahr 1968 waren Promotor sowohl kurzfristiger wie auch mittelfristiger Veränderungen im religiösen Feld: Insbesondere an den Rändern des kirchlich-religiösen Lebens machten sich zweifelsohne Veränderungen bemerkbar. Mit den neuen sozialen Bewegungen verband sich eine Protestkultur, die vielfältig in die Kirchen hineinwirkte. Dabei gilt allerdings, dass die Religionsgemeinschaften schon längst in Bewegung waren. Die kirchlichen Ausläufer der Jugend- und Protestbewegung an der Wende zu den siebziger Jahren fielen zusammen mit der kontroversen Rezeption des Zweiten Vatikanums im katholischen und der Auseinandersetzung um die »Entmythologisierung« im evangelischen Bereich. Sozialhistorisch war die Auflösung der den Kirchen verbundenen Sozialmilieus in vollem Gange. Mit einigem Recht kann so auf das kirchliche 1968 übertragen werden, was der Jesuit und Publizist Mario von Galli mit Blick auf den Essener Protestkatholikentag in ein melodramatisches Bild fasste: Die von ihm als »Explosionsbegierige« betitelten Kirchenkritiker rannten nach seiner Darstellung »mit ihren Brandfackeln in ein Haus, aus dem schon Flammen schlugen«.161 Da verschiedene Entwicklungen zum Ende der sechziger Jahre zusammenliefen, entfaltete die Protestbewegung in beiden Konfessionen eine besondere Wirkung. Zunächst einmal waren es die unmittelbaren Versuche von Vertretern der Berliner Studentenbewegung, die eigenen Anliegen ganz praktisch in die Kirche hineinzutragen. Wo für die Katholiken der »Protestkatholikentag« von Essen im Jahr 1968 zu einem internen Erinnerungsort wurde, da war es in der evangelischen Kirche die Konfrontation zwischen Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Gemeinde und einem Teil des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS): Im Juni 1967 und damit unmittelbar nach den Protesten gegen den Besuch des persischen Schahs in Berlin hatten Studenten eine Kirche im Westend für einen Hungerstreik nutzen wollen. Ihnen

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ging es darum, auf diese Weise den Kommunarden Fritz Teufel freizupressen, der während der Demonstrationen nach dem Tod Benno Ohnesorgs verhaftet worden war. Die Kirchenleitung hatte dieses Ansinnen unterbinden können. Wenige Monate später, im Oktober 1967, fürchtete der Gemeinderat erneut eine politische Aktion und verbot der Studentengemeinde die Nutzung der Gedächtniskirche. Wohl auch in Reaktion auf diese Zurückweisung kam es im Weihnachtsgottesdienst 1967 zu einer studentischen Protestaktion. Auf Spruchbändern forderten die Demonstranten zur Solidarität mit Vietnam auf. Der Studentenführer Rudi Dutschke versuchte auf die Kanzel zu gelangen, wurde aber gewaltsam daran gehindert und im anschließenden Handgemenge am Kopf verletzt. Fotos des blutenden Dutschkes gingen durch die Zeitungen der Republik und bescherten dem Ereignis eine hohe mediale Aufmerksamkeit weit über Berlin hinaus. Im Protestantismus schloss sich diesem Zusammenstoß eine ganz grundsätzliche Diskussion an. Begann die Auseinandersetzung mit der Forderung nach einem Demonstrationsrecht für die Anliegen der Protestbewegung, entwickelte sie sich mit dem Ausschluss der Studenten aus der zentralen Kirche schließlich zu einem »handfesten politischen Lagerkampf«162: Wie politisch darf Kirche sein? Oder – aus der entgegengesetzten Perspektive argumentiert – darf sie sich politischen Anliegen verschließen? Die Berliner Ortsgemeinde vertrat die »konservative« Position, verwies auf Luthers Zwei-Reiche-Lehre und pochte mit Bezug darauf auf die strikte Trennung von Staat und Kirche. Daher stünde das Gotteshaus nicht für politische Veranstaltungen zur Verfügung. Die »Progressiven« verwiesen ihrerseits auf die Pflicht der Kirche, sich politisch zugunsten der Schwachen und Unterdrückten zu engagieren. Eine (vermeintliche) Distanzierung zur Politik höhle die eigentliche Botschaft des Christentums aus. Diese Auseinandersetzung strahlte weit über das Jahresende 1967 hinaus und behielt für lange Zeit den Charakter einer Kampflinie zwischen verschiedenen Lagern im Protestantismus und weit darüber hinaus.163 Kurzfristig griff der Impuls von »1968« auf die theologischen Fakultäten und ihre Studierenden, zum Teil auch die Lehrenden über. Ebenso waren die Studentengemeinden evangelischer und katholischer Provenienz einem massiven Politisierungsschub ausgesetzt. In diesem Bereich fand die »Kontestation« in der Kirche ihren wichtigsten Ort.164 In direkter Form lassen sich die Auswirkungen der Studentenunruhen vor allem an den Hochschulen und damit auch an deren theologischen Fakultäten und weiteren dort ansässigen kirchlichen Einrichtungen beobachten. Rasch wandelten sich vor allem die evangelischen und katholischen Studentengemeinden von vormals frommen Organisationen der Spezialseelsorge zu stark politisierten Einrichtungen. In beiden Konfessionen waren die Studentengemeinden ursprünglich zu dem Zweck gegründet worden, die für die Zeit ihrer Universitätsausbildung aus den Zusammenhang ihrer Heimatgemeinden gerissenen Studierenden weiterhin pastoral einbinden und betreuen zu können. Durch Geselligkeit stifteten sie Gemeinschaft, boten in einer Art Studium-Generale die Möglichkeit, theologisches Wissen zu vertiefen, leisteten Hilfestellungen bei ganz praktischen Fragen des Studiums, aber auch in persönlichen Schwierigkeiten. Andere kirchliche Verbände und Gemeinschaften, vor allem aber

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die konfessionell gebundenen Studentenverbindungen waren stark am Gemeindeleben beteiligt. Bis in die sechziger Jahre blieb der Anspruch erhalten, mittels religiöser Bildung ein überwölbendes Orientierungswissen zu vermitteln. Dieses Selbstverständnis kulminierte in den periodisch abgehaltenen »Missionswochen«, die unter dem Motto »Studenten halten Mission« jedes einzelne Gemeindemitglied in die Verkündigung einzubinden trachtete und mit einem umfassenden Katalog persönlicher Lebensregeln – vom »dauernden und dringenden Gebet« bis zum »zeitige[n] Schlafengehen« belegte, in denen sowohl der Anspruch einer umfassenden Missionierung der Gesellschaft als auch die lebensweltlichen Milieustandards noch einmal hervorschienen.165 Gegen »politische und gesellschaftliche Aktivität oder gar Agitation« waren die Gemeinden »meist immun«, so urteilten rückblickend Redakteure der katholischen Zeitschrift Herder-Korrespondenz.166 Das änderte sich rasant: So erinnert sich der Politikstudent Elmar Halsband, der im Sommersemester 1968 sein Studium in Göttingen aufnahm, eine Katholische Studentengemeinde (ksg) »im Umbruch« erlebt zu haben: »Einerseits die traditionelle ksg: Einen Studentenpfarrer, der schon seit vielen Jahren in dieser Gemeinde gearbeitet hatte, einen Gemeinderat, in den kath. Verbindungen noch als Organ ihre Vertreter schicken konnten, ein eher betuliches Gemeindeleben: neben Gottesdiensten einen Bibelkreis, Freizeitveranstaltungen, evtl. Vorträge. Andererseits die oppositionelle ksg: In einem Arbeitskreis, der sich damals ›Rothenfelser Hochschulring‹ nannte, wurden kontroverse theologische Themen diskutiert, z. B. Pflichtzölibat, demokratische Gemeindereform, Ökumene.«167 Der von der Studentenbewegung ausgehende und sich rasch ausbreitende Impuls, die vormals als nahezu sakrosankt angesehenen Autoritäten bezüglich ihrer Legitimation und ihres Agierens zu »hinterfragen«168 fand insbesondere in den Kirchen einen denkbar gut geeigneten Angriffspunkt. Der hochschulpolitische und gesellschaftliche Reformelan traf auf eine Situation innerkirchlicher Bewegung und Neuorientierung, wie sie unter anderem das Zweite Vatikanum angestoßen hatte. Die zeitgenössische Publizistik registrierte diesen Wandel mit Erstaunen bis Bestürzung. Unter der Rubrik »Problembericht zum Zeitgeschehen« versuchten Mitarbeiter der katholischen Herder-Korrespondenz, ihre Leser über Studentenproteste und die Entwicklung in den Hochschulgemeinden zu informieren. Galt den Autoren 1968 die »Gärung« an den bislang noch kaum politisch hervorgetretenen Studentengemeinden als bemerkenswert,169 so sahen diese 1969 die Studentengemeinden bereits »infiziert« von den Ideologemen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Bisher waren »Kanzelstürmungen« und »Diskussionsgottesdienste« laut Herder-Korrespondenz »hauptsächlich in evangelischen Kirchen« zu verzeichnen gewesen. Eine Zuspitzung sei nun aber auch im katholischen Bereich zu beobachten, so dass sich die allzulang abgekapselten katholischen Korporationen in der Studentengemeinde nun »ähnlichen ›Radikalen‹ gegenüber [sähen] wie in den Universitäten«. Als Beleg für die Veränderung innerhalb katholischer akademischer Vereinigungen dienten Erscheinungen wie der »Initiativausschuß der Katholischen Studentengemeinde West-Berlins«, der »Studentische Arbeitskreis Kritischer Katholizismus« oder der aus dem katholischen Jugendbund Quickborn hervorgegangene »Rothenfelser Kreis«.170

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Was die zeitgenössischen Akteure und Beobachter beider Lager im Reflex auf die Umbruchsituation oft in Schwarzweißkontrasten (über)zeichneten,171 war doch ein wesentlich vielschichtigerer Prozess. Nur eine Minderheit der Studentengemeinden und kirchlichen akademischen Einrichtungen war tatsächlich von dieser starken Politisierung geprägt. Auf einer Informationsreise hatten Vertreter des Dachverbandes der Studentengemeinden, der Katholischen Deutschen Studenteneinigung (KDSE) ein differenziertes Bild gewonnen. Die KDSE-Funktionäre Pater Romanus und Klaus Lang attestierten im Juli 1970172 den Studenten in der Göttinger KSG ein »mausgraues Verhalten«. Vor allem an den kleineren Hochschulen standen die Gemeinden, so der Bericht, auch auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung abseits der Hochschulpolitik. Als symptomatisch für den Großteil der von den KDSE-Vertretern besuchten Hochschulgemeinden zitierte der Bericht die Äußerung des Hamburger Studentenpfarrers: »Die Arbeit erschöpft sich z. Z. im Geselligen«, zu dem sich eine kleine Clique »wie ein Geheimbund« treffe. Diese habe kein Bedürfnis, hochschulpolitisch oder auch gemeindeintern aktiv zu werden, da früher »alles von ›oben‹ gemacht wurde«. Der ›Liturgische Arbeitskreis‹ beschränke sich auf das »Liederaussuchen«, die theologischen Gruppen seien auf zwei bis drei Teilnehmer »zusammengeschrumpft«. Allerdings waren auch Brüche zur früheren Gestalt der Hochschulgemeinden unübersehbar. Durchgängig hatten sich die Verbindungen aus der Studentengemeinde zurückgezogen, um aber – wie der Göttinger Seelsorger berichtete – »als einzige den Studentenpfarrer noch theologisch zu ›strapazieren‹«.173 Bis auf diese Ausnahme gab es kaum Nachfrage nach pastoraler Wegweisung durch den Pfarrer. Auch die katholischen Wohnheime zeigten laut der nicht vollständigen, aber von den Autoren als repräsentativ eingeschätzten Situationsanalyse kaum Interesse an der Arbeit der Studentengemeinde, waren diese doch mit eigenen Versuchen zur Lockerung von Wohnheimsatzungen beschäftigt.174 Allein ›Serviceangebote‹ wie Arbeitsgemeinschaften für Statistik, eigene Fachbüchereien oder die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten banden die Studierenden an die jeweilige Studentengemeinde. Die Momentaufnahme von 1970 zeigt die Mehrzahl der Studentengemeinden weder als theologisch-seelsorglich noch als (hochschul)politisch besonders profilierte Institutionen. Nur eine Minderheit der Hochschulgemeinden hatte den Impuls der Studentenbewegung nachhaltig rezipiert und in die eigene Arbeit umgesetzt. Eine Vorreiterrolle in dieser Gruppe nahm die junge Bochumer Studentengemeinde ein.175 Weiterhin hatten sich laut einer KDSEDiskussionsvorlage vom Februar 1971 vor allem Frankfurt, Freiburg, Berlin und »neuerdings auch Bonn« im Gefolge der 68er-Bewegung zu »progressive[n] Gemeinden« entwickelt. Damit boten die Katholischen Studentengemeinden unmittelbar nach der ›heißen‹ Phase der Studentenbewegung ein diffuses Bild: »Von den Gemeinden, deren Politisierungsphase längst und politisches Engagement gerade eben vorüber gegangen ist (wie Berlin und Freiburg), über Gemeinden, die augenblicklich politisch-theologische Theorie in Praxis umsetzen wollen (wie Frankfurt) über Gemeinden mit überwiegend bis fast ausschließlich auf Kirchenkritik ausgerichteten Standort (wie Münster) reicht das Spektrum bis zu […] Ein-Mann-Programm-Gemeinden.«176

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Zeitgenössischen Beobachtern galten insbesondere die evangelischen Studentengemeinden (ESG) als politisch aktive Zusammenschlüsse, die selbst die allgemeine Studentenschaft »links überholten«.177 Extrem spitzte sich beispielsweise der Konflikt zwischen Landeskirche und der Evangelischen Studentengemeinde in Hamburg zu. Die stark vom ordnungspolitischen Denken bestimmte Kirchenleitung traf auf einen inneren Führungszirkel der ESG, der sich ganz im Diskussions- und Radikalisierungsprozess der studentischen Linken befand.178 Die frommen Übungen wie Bibellesung und Schriftexegese waren schon rasch neuen Praxisformen gewichen. In den Räumen der ESG fanden sich Dritte-Welt-Gruppen wie auch Sympathisanten von Befreiungsbewegungen zusammen. War es angemessen, in der ESG eine Blutspendenaktion zugunsten des in Nordvietnam gegen die USA kämpfenden Vietcong durchzuführen? Diese Frage provozierte eine heftige Debatte. Was die Kirchenleitung als Zeichen von »Einseitigkeit« und »mangelnder Versöhnungsbereitschaft« zurückwies, erklärte die ESG gerade zu ihrer eigentlichen Aufgabe. Wie Jesus von Nazareth »einseitig« für die Unterdrückten eingetreten sei, so handle man nach diesem Vorbild ebenso. Der Punkt, an dem sich der Streit zuspitzte, war dann die Verbindung der ESG mit der Hausbesetzerszene in Hamburg, die wiederum enge Kontakte zur Roten Armee Fraktion (RAF) unterhielt. Als in Reaktion auf den Tod des in Hungerstreik getretenen Terroristen Holger Meins die »Bewegung 2. Juni« den Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann ermordete, distanzierte sich die ESG zwar deutlich vom »Mord als politischem Mittel«. Dennoch reagierte das Kirchenamt auf die engen Beziehungen von ESG und RAFUnterstützerszene mit der Kürzung von Stellen und Räumen. Die Situation eskalierte dann 1978, als das zu diesem Zeitpunkt zuständige nordelbische Kirchenamt die aus Protest besetzte ESG durch die Polizei räumen ließ. Der Konflikt um die Hamburger ESG war in seiner Schärfe ein Einzelfall, in der grundsätzlichen Problematik stand er aber für die Regel: Wo sollte gemeindliches Engagement anfangen, wo musste es einhalten? Auch in der KSG Münster entschied man sich dafür, größtmögliche Offenheit zu praktizieren, ohne selbst einseitig Partei zu ergreifen. Hochschulpolitischen Gruppierungen sollten die eigenen Räume offenstehen, sofern sie nicht dezidiert terroristische Ziele verfolgten, denn, so das Plädoyer eines Gemeinderatsmitglieds im April 1973: »Es sollte auch künftig nach Möglichkeit vermieden werden, daß in der KSG Sprengsätze gebastelt werden.«179 In diesen und ähnlichen praktischen Fragen hatte sich bald eine Verfahrensweise etabliert, nach der der frömmlerische Schönstatt-Hochschulkreis ebenso wie der marxistische Spartakusbund und die Anti-Imperialistische Liga in der KSG agieren konnten. In der Regel aber stand nicht die politische Diskussion im Vordergrund, sondern es waren die kleinen Veränderungen in Stil und Verhalten, die die Studentengemeinden und Fakultäten zu Vorreitern einer breiteren Entwicklung machten: Von den großen Ereignissen in Berlin, Frankfurt und andernorts hörte man nur am Rande, so erinnert sich ein Student der in Bielefeld gelegenen kirchlichen Hochschule Bethel. Als Sensation galt bereits, dass einer der Kommilitonen sich dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund an der nahe gelegenen Pädagogischen Hochschule angeschlossen hatte.

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Somit waren es in vielen Zusammenhängen eher die kleinen Veränderungen als große politische Brüche, die den Wandel markierten: Während sich im Wintersemester 1967/68 die Studenten untereinander noch siezten, verschwand diese Umgangsform im Sommer 1968 ebenso sang- und klanglos wie das gemeinsame Tischgebet.180 Entscheidend geändert hatte sich der Duktus: Über religiöse Weltanschauung und daraus abgeleitete Normen wollte man nicht mehr erbaulich belehrt werden, sondern man näherte sich diesen Themen in Arbeitskreisen und Diskussionszirkeln.181 Auch studentische alternative Lebens- und Wohnformen versuchte man durch praktische Hilfestellungen zu unterstützen, so in Münster, wenn der von der KSG getragene Martinsverein Wohnungen anmietete, um diese dann an gemischtgeschlechtliche studentische Wohngemeinschaften weiterzugeben.182 Insbesondere die zwischen Studentenmilieu einerseits und katholischem Milieu andererseits vermittelnde Arbeit der Studentenpfarrer lässt die Tragweite des lebensweltlichen Wandels erahnen, wie er vor allem hinsichtlich von Lebensform und Sexualmoral zu erkennen ist. Als Seelsorger standen die Studentenpfarrer in Fragen von Ehe und Sexualität zwischen den deutlich unterschiedlich geprägten Alterskohorten. Mitfühlendes Verständnis für die Aufregung über das zwar staatlich, aber nicht kirchlich legitimierte Paar – »Zu Ihrer Zeit war das, zumal für katholische Christen, undenkbar« – verband der münsterische Pfarrer in einem Brief an Eltern, die wegen der ›wilden Ehe‹ ihres Sohnes den Kontakt mit diesem abgebrochen hatten, mit dem Hinweis auf eine veränderte Einstellung zu Sexualität und zum Ehesakrament.183 Selbst mit der Vorstellung von der verlangten Keuschheit vor der sakramentalen Ehe groß geworden, so der Geistliche, habe er in seiner Seelsorgetätigkeit dazulernen müssen. »Fast nie«, so der Priester, »würde jemand dafür Verständnis haben, wenn ihr Verhalten als unmoralisch oder unverantwortlich erklärt würde.« In einer Zeit, »da die Sexualität als Ausdruck gegenseitiger Zuneigung und gemeinsamer Erfahrung loslösbar ist von dem Risiko, ungewollt oder unverantwortet Kinder zu zeugen, müssen alte Vorstellungen, nach denen die Sexualität um der Verantwortlichkeit und der Liebe willen auf den Raum der Ehe, d. h. der festen Bindung, beschränkt sei, neu überdacht werden.« Die Reaktion auf diesen Vermittlungsversuch ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Die kirchliche Lehre habe sich nicht geändert. Neu sei nur, daß den »jungen Leuten im Namen der Kirche nach dem Munde geredet« werde und man so mittels »fragwürdiger Thesen […] unsere Jugend vergiftet« habe. Deutlicher konnte der Konflikt zwischen den Generationen kaum zum Ausdruck kommen. Zwischen Eltern und Kindern hatten sich die Auffassungen zu den Inhalten und der Verbindlichkeit katholischer Sexualmoral grundlegend gewandelt. Der Studentenpfarrer fand sich zwischen beiden Positionen und war nicht in der Lage zu vermitteln. Auf erbitterten Protest stieß der 1971 in einem Radiointerview geäußerte Hinweis des Studentenpfarrers Waltermann, einer – so die zeitgenössische Selbstbezeichnung – studentischen »Homophilengruppe« Raum in der Katholischen Studentengemeinde zu gewähren. Den mit Vehemenz vorgetragenen Aufforderungen seitens Dritter, sich jeglicher Aktivität zugunsten von Schwulen zu enthalten, konterte Waltermann mit der Gegenfrage, ob

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denn gerade »Christen solche Minderheiten daran hindern [dürften], sich mit ihren Problemen offen auseinanderzusetzen, um aus den Minderwertigkeitsgefühlen herauszukommen?«184 Die Studentengemeinden fungierten in vielerlei Hinsicht als Experimentierfelder: In ihnen wurden neue Formen der Gemeindeorganisation und des Gottesdienstes praktiziert. In ihnen fanden Vertreter alternativer Lebensformen und sexueller Orientierungen ihre religiöse Heimat. In ihnen etablierten sich die neuen gesellschaftspolitischen Engagements, die sich später auch in vielen Gemeinden wiederfanden: Der Einsatz für den Weltfrieden und die Bewahrung der Schöpfung gehörten ebenso dazu wie die Dritte- und später dann Eine-Welt-Gruppen, in der man auf verschiedene Weise entwicklungspolitische Kooperation praktizierte. Eine breitere Wirkung entfaltete diese Entwicklung vor allem dann, als die in diesen Jahren ausgebildeten Theologen und vermehrt auch Theologinnen in den Pfarrstellen und als Religionslehrer tätig wurden. Für die evangelische Kirche erkennt Wolf-Dieter Hauschild ab 1975 einen Generationenwechsel, der diejenigen in die Leitungspositionen brachte, die vom »geistigen Umbruch der ›68er‹-Bewegung« geprägt worden waren.185 Für den Katholizismus ist zusätzlich zu bedenken, dass seit den 1970er Jahren das Studium der Theologie zunehmend von Studierenden ergriffen wurde, die später als Laien in der Kirche arbeiteten. Damit erwuchs nicht nur dem Priester in der Gemeinde in der Expertise der Laientheologen eine Unterstützung und Konkurrenz. Erstmalig kamen damit auch diplomierte Frauen in nennenswerter Zahl in die Rolle religiöser Expertinnen. Wie stark sich dadurch das Rollengefüge in der Gemeinde und ihrer Vermittlungspraxis veränderte und welche Konsequenzen dieses zeitigte, ist bislang noch offen. Die sechziger Jahre brachten aber nicht nur Veränderungen und Aufbrüche in den progressiven Segmenten der Glaubensgemeinschaften. Gesamtgesellschaftlich hat die Studentenbewegung von »1968« eine Reihe von Gegenbewegungen ausgelöst. In der europäischen Politik steht dafür insbesondere der französische Staatspräsident Charles de Gaulle, der mit drastischen Worten vom Pariser Mai als »Saustall« sprach und damit die Stimmung vieler seiner Wähler traf. Auf diese Weise sicherte er den französischen Konservativen ein weiteres Jahrzehnt die Macht. In gleicher Weise waren Margaret Thatcher, Helmut Kohl und Jaques Chirac mit dem Rückenwind einer konservativen Gegenbewegung zu »1968« in ihre Regierungsämter eingerückt. In den Religionsgemeinschaften mobilisierte das innerkirchliche »1968« ebenfalls Gegenkräfte. Zum Teil bekamen konservativ-fundamentalistische Strömungen neuen Schwung, zum Teil formierten sich Protestgruppen neu. Im Januar 1966 schlossen sich verschiedene protestantische Initiativen und Gruppen zur »Bekenntnisbewegung ›Kein anderes Evangelium‹« zusammen. Auf einer Großveranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle kamen 22.000 Anhänger zusammen und demonstrierten gegen alle »ungläubigen« Tendenzen in der evangelischen Kirche und Theologie.186 Unmittelbarer Anlass für viele der dort Versammelten war der Kölner Kirchentag von 1965: Dort veranstaltete Abende, auf denen Stücke von Berthold Brecht aufgeführt wurden, wie auch Auftritte der umstrittenen Theologen Dorothee Sölle und Günther Klein

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lösten unter pietistisch geprägten Gläubigen einen regelrechten Schock aus. Die für ihre politischen Aktionen weithin bekannten Wissenschaftler und Aktivisten waren für die stark an einer traditionellen Frömmigkeit orientierten Christen ein rotes Tuch. Noch breitere Kreise zog ein Artikel des Theologieprofessors Hans-Werner Bartsch in der Wochenzeitschrift Die Zeit vom 31. Dezember 1965: Da die moderne Exegese die biblischen Geschichten von der Geburt Jesu als Legende entlarvt habe, gelte folgerichtig, das kirchliche Weihnachtsfest abzuschaffen, so forderte der Theologe und provozierte damit erbitterten Protest.187 Die in Dortmund versammelten traditionell orientierten Kirchenvertreter und Gläubigen hielten in ihrer Kundgebung dagegen. Ihnen galten diese und andere Angriffe auf die traditionellen Bekenntnisse und Glaubenssätze als »neuer Kirchenkampf«, in dem man sich der Zersetzung der Glaubensfundamente entgegenzustellen habe.188 In dieser Konfrontation wurde eine Auseinandersetzung aktualisiert und verbreitert, die in kleineren Kreisen seit Ende der vierziger Jahre schwelte: Stein des Anstoßes war der evangelische Theologe Rudolf Bultmann mit seiner Forderung nach einer »Entmythologisierung« des Neuen Testaments. In theologischen Fachkreisen hatte er bereits 1941 mit seinem Vortrag über »Neues Testament und Mythologie« Diskussionen provoziert, ohne dass aber seine Ideen über diesen Kreis hinaus Resonanz gefunden hätten. Die Geschichten und Anschauungen des Neuen Testaments seien stark geprägt von den mythologischen Anschauungen und von der Sprache der Antike. Dem modernen Menschen sei dieses Weltbild fremd, so dass ihm auch die Aussagen der Bibel unverständlich bleiben und unglaubwürdig erscheinen müssten. So sei die Idee, dass Maria Jesus als Jungfrau geboren habe, nur auf dem Hintergrund der mythischen Vorstellung von der Zeugung von Herrscherpersönlichkeiten, nicht aber als realistische Schilderung der Vorgänge zu verstehen. Als Konsequenz daraus empfahl er nun, das Neue Testament zu entmythologisieren, um auf diese Weise die Glaubensaussagen auch zeitgenössisch verständlich zu machen.189 Bereits in den fünfziger Jahren hatte Bultmann mit seiner Art der Bibellektüre vielfachen Widerspruch provoziert. Insbesondere in Württemberg und Westfalen organisierten sich Christen, die an dem Anspruch festhalten wollten, dass die Bibel die unhinterfragte Basis des Glaubens sein müsse. Die Jungfrauengeburt, die in der Bibel berichteten Wunder, der Geister- und Dämonenglaube, die Höllenfahrt Jesu, die Auferstehung als »Wirkliches und historisches Ereignis«, die Himmelfahrt und »die Tatsache von der Wiederkunft Christi« – all diese und andere bislang für wahr gehaltenen Ereignisse schienen nun in Frage gestellt. Insbesondere pietistische Laienkreise in Württemberg fühlten sich deshalb aufs Äußerste herausgefordert. Appelle an die Kirchenleitungen wie an die theologischen Fakultäten, alles zu tun, um die damit einhergehende Verwirrung von den Gemeinden fernzuhalten, verhallten zunächst meist ungehört.190 Anfang der 1960er Jahre gründete eine Reihe von Theologen der westfälischen Landeskirche den sogenannten »Bethel-Kreis«. Damit veränderte sich die Ausrichtung der konservativen Bewegung, erweiterten die Beteiligten doch ihre Aktivitäten. Ihre

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Arbeit zielte weiterhin auf die Kirchenpolitik. Sie versuchten mittels offener Briefe Aufmerksamkeit für ihre Sache zu gewinnen und zugleich das Wirken der verschiedenen Bultmannschüler wie Herbert Braun, Ernst Fuchs, Ernst Käsemann, Günther Klein oder Willi Marxsen einzuschränken. Darüber hinaus aber verstand man sich immer mehr als Sammlungsbewegung, in der sich die verunsicherten Gläubigen organisieren konnten. In diesem Sinne wurden Buß- und Bittgottesdienste sowie lokale und regionale Zusammenkünfte veranstaltet, die sich in ihrer Form und Ausrichtung an den viel beachteten Auftritten des amerikanischen Predigers Billy Graham orientierten. Das Jahr 1966 markierte dann einen weiteren wichtigen Einschnitt für die Organisation der konservativen Bewegungen in der evangelischen Kirche. Hatten in den fünfziger Jahren vor allem Einzelpersonen oder lokal gebundene Gruppen gegen die Bultmann-Theologie opponiert, setzte man nun auf eine stärkere Organisation der im Laufe der sechziger Jahre entstandenen Initiativen. Die Dortmunder Konferenz von 1966 markierte dabei einen wichtigen Punkt der Sammlung. Das Ereignis brachte nicht nur die verschiedenen lokalen und regionalen Initiativen zusammen, die sich der Kritik der Bultmannschen Theologie verschrieben hatten. Vertreten war mit der Notgemeinschaft evangelischer Deutscher auch ein eingetragener Verein, der den Protest gegen die moderne Theologie mit der Agitation gegen die sogenannte Ostdenkschrift der EKD verband. Hatte 1965 die EKD eine Versöhnung Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn auf der Grundlage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gefordert, so stellte die Notgemeinschaft ihre Überzeugung dagegen: »Zweck des Vereins ist die Besinnung auf den Auftrag der Kirche, der in der rechten Verkündung des Evangeliums besteht. Daraus ergibt sich notwendig auch die Treue im Umkreis der irdischen Pflichten zur Familie, zum Nächsten, zu Volk und Vaterland«, so definierte die extrem konservative Laienorganisation ihre Bestimmung.191 Programmatik und Theologie der Bewegung kamen unter anderem auf der Dortmunder Großversammlung zum Ausdruck: Deren Vorsitzender Rudolf Bäumer eröffnete die Konferenz und erklärte, es gelte nun, die verschiedenen »Geister« zu prüfen. Die Theologie verkenne Jesus, wenn sie diesen nur noch als Menschen und nicht mehr als Gott ansehe.192 Hauptredner der Veranstaltung war Walter Künneth, Professor für systematische Theologie. In seinem Vortrag »Kreuz und Auferstehung Jesu« setzte er sein Bekenntnis gegen die moderne Theologie: Die »Auferstehung Jesu« sei »das fundamentum christianum«, welches jeder Christ für sich anzunehmen habe. Die Christologie stand im Zentrum des Bekenntnisses: Wenn man Jesus nur als Menschen ansehe und die »Verkündigung vom Sühnetod als eine zeitgebundene Einkleidung der Heilsbotschaft« verstehe, dann stehe der Kern des christlichen Glaubens auf dem Spiel. Wenn selbst anderen Religionen zugestanden werde, dass sich in ihnen Christus »anonym« offenbare, dann war die urreformatorische Überzeugung vom »solus Christus«, dass das Heil nur über Christus zu erreichen ist, preisgegeben. Auch die lutherische Vorstellung vom »sola scriptura«, dass sich nur in der Bibel die Offenbarung erschließe, sah man dort gefährdet, wo die Überzeugung vertreten wurde, dass die Bibel »Gottes Wort mit Menschen Wort vermischt«. Auf diese Weise werde der »Offen-

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barungsglaube der Heiligen Schrift als alleinige Autorität geleugnet.« In der Konsequenz werde die evangelische Botschaft letztlich ersetzt durch politische Bildung, den Versuchen, die Probleme der Gesellschaft zu lösen und eine weltumspannende Humanität herbeizuführen. Aus Sicht der Protestbewegung war damit der status confessionis und damit der Bekenntnisnotstand eingetreten, den man mit allen Mitteln abwehren müsse.193 Die Bekenntnisbewegung spitzte ihre Position noch einmal deutlich zu, als sie am 22. November 1967 auf einer Versammlung in Düsseldorf eine eigene Bekenntnisschrift verabschiedete. Noch dezidierter als bisher stellte man sich in die Tradition der gegen den Nationalsozialismus gerichteten Bekennenden Kirche, baute man den Text doch parallel zur Barmer Theologischen Erklärung der dreißiger Jahre auf. Immer mehr Gemeindemitglieder verlangten nach »einer eindeutigen Gegenüberstellung […], um zwischen der biblischen Wahrheit und den Irrlehren der heutigen Zeitgeist-Theologie unterscheiden zu können«. Die Verlautbarung richtete sich »gegen die Ergebnisse der historisch-kritischen Bibelexegese« und gegen den »Objektivitätsanspruch der historischen Kritik«. An dessen Stelle sah man den Heiligen Geist als das Prinzip, welches die Schriftlektüre leiten und zu Erkenntnis führen könne. In der eigenen Zeitschrift Licht und Leben wertete man die Düsseldorfer Erklärung »für bedeutsamer als die seinerzeitige ›Barmer Erklärung‹«.194 Die »Bekenntnisbewegung ›Kein anderes Evangelium‹« intensivierte ihre Arbeit und organisierte vor allem in unierten und reformierten Gemeinden im Rheinland, in Baden und anderen Regionen weitere Landesgruppen. In lutherischen Kreisen bildeten sich »kirchliche« und »evangelische Sammlungen«, die sich der Bekenntnisbewegung eng verbunden fühlten, aber dennoch eigenständig blieben. All diese Initiativen schlossen sich dann 1970 zur »Konferenz der bekennenden Gemeinschaften in Deutschland« zusammen. Nach und nach entwickelte sich unter und neben diesem Dach eine Parallelstruktur zu den Organisationsformen der Landeskirchen. Mission und Ökumene, theologische Aus- und Fortbildung fanden ebenso organisatorische Pendants wie die Publizistik und die Volksmission. Seit 1973 lud man die eigenen Anhänger zum »Gemeindetag unter dem Wort« ein und etablierte damit eine Konkurrenzveranstaltung zum Deutschen Evangelischen Kirchentag, den man wegen der Beteiligung der modernen Theologen ablehnte. Mit dem Informationsdienst der Evangelischen Allianz Idea etablierte sich neben dem von der EKD getragenen Evangelischen Pressedienst (EPD) ein eigener Informationsdienst, der vor allem die Anliegen der Bekenntnisbewegungen aufnahm. Alles in allem entstand auf diese Weise eine Parallelstruktur zu den in den Landeskirchen und der EKD gegebenen Organisationsformen. In der Osterzeit 1970 rief man dann noch einmal in dramatischen Worten zur »Sammlung aller Christen« auf, »welche den Ernst dieses Kirchenkampfes erkennen und die Losung des ersten Kirchenkampfes der dreißiger Jahre […] ›Kirche muss Kirche bleiben‹« aufnehmen wollten.195 Trotz der Aufforderung »Widerstandszentren« zu bilden, die der Entstellung der christlichen Botschaft trotzen sollten, ging man den

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letzten Schritt der Gründung einer eigenen Kirche nicht. Obwohl die Bekenntnisbewegung einer kaum verschleierten Separation von der EKD gleichkam, installierte man weder eine Gegenkirchenleitung, noch erklärte man den Bruch mit der Gesamtkirchenorganisation. Diese Zurückhaltung lässt sich unterschiedlich interpretieren: Ein Grund dafür war wohl ganz pragmatisch der drohende Verlust von Kirchensteuereinnahmen, den dieser Schritt mit sich gebracht hätte. Andererseits stellt sich auch die Frage, ob die EKD-Kirchen zu diesem Zeitpunkt in sich bereits so pluralisiert waren, dass eine scharfe Abgrenzung kaum möglich und wünschenswert erschien. Mittelfristig zeigte sich bald, dass die verschiedenen Gruppierungen vor allem die gemeinsame Ablehnung der Entmythologisierung Rudolf Bultmanns einte. Ansonsten aber waren die Gemeinsamkeiten durchaus spärlich: Dogmatisch vertrat man keine einheitliche Linie. Die Vorstellung, dass die Bibel bis in den Wortlaut hinein direkt von Gott inspiriert sei, wurde beispielsweise nur von einzelnen Protagonisten dieser Bewegung vertreten.196 Auch sozial und kirchenpolitisch waren die Unterschiede groß. Den Württemberger Pietisten, der fest in seine Landeskirche eingebunden war und seine Anliegen in deren Synoden gut vertreten sah, verband wenig mit dem vor allem missionarisch ausgerichteten evangelikalen Kritiker der etablierten Kirchenstrukturen, der allein auf die Autorität der Bibel und eine persönliche Gottesbeziehung setzte.197 Hinzu kam, dass sich die Bewegungen seit Ende der sechziger Jahre und damit parallel zu ihrer Hochzeit mehr und mehr in eine internationale Entwicklung hineingenommen sahen. Neben die Bindung an die Bibel und die Bekenntnisse trat ein missionarischer Anspruch der Bewegungen hinzu, die sich selbst als »evangelikal« bezeichneten. Die Schnittmengen zu den konservativen Bekenntnischristen waren groß, eine Scheidung zwischen beiden Bewegungen nicht gewünscht: Die gemeinsame Bindung an die Bibel und die Bekenntnisschriften verband sich mit dem Ziel, in Deutschland und auch weltweit zu evangelisieren und neue Anhänger für die eigene Form des Christentums zu gewinnen. So taucht der Begriff in Deutschland zum ersten Mal in eben diesem Kontext auf, als 1969 die Konferenz evangelikaler Missionen ins Leben gerufen wurde.198 Die hoch politisierten Studentengemeinden auf der einen und die konservativen Bekenntnisbewegungen auf der anderen Seite sind zwei Beispiele vom jeweiligen Rand des kirchenpolitischen Spektrums der sechziger und siebziger Jahre. Sie schließen an viele andere Konflikte der Zeit an, in denen sich ähnliche Strukturen der Auseinandersetzung etablierten. Über die kurz- und mittelfristigen Veränderungen hinaus, die diese innerkirchlichen Auseinandersetzungen anstießen, ist dem Protest innerhalb der Kirchen auch ganz grundsätzlich eine wichtige und weitreichende Wirkung zuzuschreiben. Auch ohne dass die breite Mehrheit der Protestanten oder Katholiken den Positionen am kirchenpolitisch rechten oder linken Rand zustimmen mochte, so dokumentierten die Auseinandersetzungen doch für das Gros der Kirchenmitglieder eines sinnfällig: Auf Fragen nach Bekenntnis und Glauben gab es mehr als nur eine Antwort. Wie religiöse Überzeugung in der Welt zu leben sei, ließ sich durchaus in verschiedenen Varianten entscheiden. Vormals hatte die Kirchenleitung und für den

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einzelnen Gläubigen der Pfarrer vor Ort eine verbindliche Position formuliert, an der sich der Protestant oder Katholik entweder zustimmend orientieren oder aber sich in Abgrenzung dazu anders verhalten konnte. Mit dem öffentlich ausgetragenen und ganz dem Zeitgeist von »1968« folgenden Auseinandersetzungen aber war nun deutlich markiert, dass es eine Bandbreite von Möglichkeiten gab, die kirchlich-dogmatischen Vorgaben zu interpretieren oder auch mit Berufung auf ursprüngliche und andere Quellen zu verwerfen. Der Streit um den »wahren Geist« des Zweiten Vatikanums im Katholischen oder die Korrektheit des Bekenntnisses im Evangelischen demonstrierte diese neue Pluralität. All diesen Auseinandersetzungen war gemeinsam, dass sie den Konflikt offen anzeigten. Richtungsstreitigkeiten hatte es in den Kirchen immer gegeben, aber im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten wurde nun die Auseinandersetzung um verschiedene Frömmigkeitspraktiken und theologische Positionen öffentlich und weithin sichtbar ausgetragen. Auf diese Weise wurde demonstriert, dass nicht eine einzige Wahrheit existierte, sondern verschiedene Haltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen möglich waren. Pluralisierung etablierte sich als Denk- und Erfahrungsmuster gegen den Verbindlichkeitsanspruch der Autorität. Dieser Wandel der Denk- und Verhaltensweisen war zum Ende der 1960er Jahre nicht mehr auf eine schmale Elite beschränkt, sondern umfasste weite Kreise.

2.3 Vom »Höllenfeuer« zur »allumfassenden Liebe«. Religiöse Sozialformen und transzendente Sinnstiftung im Wandel In den sechziger und siebziger Jahren veränderte sich nicht nur das Verhältnis der Kirchen zur Gesellschaft und zum politischen Feld. Darüber hinaus wandelten sich in diesen Jahren auch die Religionsgemeinschaften selbst. Bereits zeitgenössisch wurden diese Veränderungen wahrgenommen und kontrovers diskutiert. Ein sichtbares Zeichen dieser Entwicklung nicht allein für die katholische Kirche, sondern weit darüber hinaus war das Zweite Vatikanische Konzil, welches von 1962 bis 1965 stattfand. Papst Johannes XXIII., der das Konzil einberufen hatte, stellte den knapp 2500 obersten Kirchenfunktionären eine weitreichende Aufgabe: Nicht weniger als die pastorale und ökumenische Erneuerung der katholischen Kirche stand auf dem Programm. So umfassend das Ziel des Konzils war, so kontrovers war die Aufnahme und Diskussion seiner Ergebnisse unter den Katholiken. »In der Erschütterung« vermutete beispielsweise der Jesuit Jakob David die katholische Kirche in Deutschland im Dezember 1969.199 In einem Artikel für die Münsteraner Bistumszeitschrift Kirche und Leben zeichnete er ein düsteres Bild von der allgemeinen Stimmungslage in katholischen Kreisen. Die politische Krise der alten Ordnung – »Und Europa, unser gutes altes Europa – wer weiß wie das weitergeht?« – sei nicht im Weltlichen stecken geblieben, sondern habe auch die Kirche erreicht. »Unruhe und Umbruch greifen […] um sich. Sie haben auch das erfaßt, was gerade für uns Katholiken das Sicherste, Unbeweglichste erschien: die Kirche und den Glauben. Und was vielleicht am meisten beunruhigt:

Vom »Höllenfeuer« zur »allumfassenden Liebe«

Dieses Tauwetter und diese Stürme sind nicht nur von außen an uns herangetreten, sondern im Inneren der Kirche selbst, der Theologie, ausgebrochen. Am sichtbarsten zunächst in der jahrtausendealten Liturgie – am beunruhigendsten aber in der neuen Deutung der Offenbarung und des Glaubens.« Auf der einen Seite empfahl der Autor seinen Lesern Gelassenheit angesichts der Widrigkeiten, habe die Kirche doch schon schwerere Unwetter überstanden. David sah aber nicht nur pessimistisch in die Zukunft. »Unruhe kann auch heilsam sein«, so propagierte der Untertitel des Textes und wendete damit die vielen Veränderungen auch ins Positive. Als »Heilung« betrachtete der Jesuit vor allem den Wegfall unzeitgemäßer religiöser Praktiken und kindlich-naiver Glaubensvorstellungen, die an der wahren Annahme des Glaubens hinderten. Mit dieser Konzentration auf das Wesentliche der christlichen Lehre würde, so der Autor, die Gemeinschaft der Glaubenden immer weiter vorausschreitend »zum wahren Kern des Glaubens« geführt. Die positive Wendung, die Jakob David seiner Analyse gab, wird wohl nur bei einem Teil seiner Leser und Leserinnen auf Zustimmung gestoßen sein. Neben den Konzilsbefürwortern, die die Ergebnisse zum Teil euphorisch feierten, wurde auch eine Reihe von kritischen Stimmen laut. Zeitgenössisch war jedenfalls hoch umstritten, wie die so akut wahrnehmbaren Veränderungen zu werten seien. Sei es Ablehnung oder Euphorie – beide Wahrnehmungen verdichteten sich zur Empfindung einer umfassenden Krise. Dabei war diese Grundstimmung nicht auf den Katholizismus beschränkt. Der massive Traditionsverlust und insbesondere die erodierende Kirchenbindung, wie sie sich in Austritten und sinkenden Zahlen bei der Gottesdienstteilnahme zeigte, trafen beide christlichen Großkirchen gleichermaßen. Pluralisierung und Politisierung wurden konfessionsübergreifend als große Veränderung, gelegentlich als Chance, öfter aber noch als Bedrohung wahrgenommen. Für die Analyse des religiösen Feldes in Deutschland eröffnet diese zeitgenössische Beobachtung eine weitere Perspektive: Es waren nicht nur Einflüsse von außen, die die herkömmliche Sozialgestalt der Religionsgemeinschaften veränderten. Wenn man die Transformation des religiösen Feldes in einer Gesamtheit verstehen will, dann ist auch der Wandel der Religionsgemeinschaften selbst zu bedenken. Die christlichen Kirchen als die dominierenden Religionsgemeinschaften setzten sich aktiv mit den Herausforderungen und Möglichkeiten, den Modellen und Ideen, den Bewegungen und Problemen auseinander, die sich mit dem Wandel der Gesellschaft auftaten. Die Aufgabe des Konzils war gewaltig: Auf der einen Seite musste das Christentum die Vorstellung von Transzendenz als etwas Unverfügbares und Unwandelbares aufrechterhalten, um ihren Gläubigen Sicherheit und Ewigkeit zu garantieren. Auf der anderen Seite aber veränderten sich doch die Formen gravierend, mit denen diese Transzendenz in der Immanenz beschrieben und verfügbar gemacht wurde. Diese Transformationen lassen sich als Selbstmodernisierungen der Religionsgemeinschaften fassen. Bewusst oder unbewusst, gewollt oder getrieben reagierte man damit auf den Wandel der kulturellen Formen der Gesellschaft.200 Nicht nur das eigene Selbstverständnis, die Organisation wie auch die Formen der Verkündigung waren davon

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erfasst, sondern auch die Sprache und die Symbole, mit denen die Transzendenz in der Immanenz repräsentiert wurde.201

Das Zweite Vatikanum. Ein »Konzil der Kirche über die Kirche« und seine Rezeption Das Zweite Vatikanische Konzil zwischen 1962 und 1965 gilt weithin als das bedeutendste Großereignis der Kirchengeschichte des 20.  Jahrhunderts. Das Konzil beschloss einschneidende Veränderungen in der Geschichte der katholischen Kirche und des Katholizismus. Schon in der Wahrnehmung der Zeitgenossen stand es für eine grundlegende Erneuerung. Dieser Anspruch strahlte weit in andere Religionsgemeinschaften hinein. Im bikonfessionellen Deutschland wurde das Konzil auch in der evangelischen Kirche stark rezipiert. Auch wenn sich die Hoffnungen auf einen intensiven ökumenischen Dialog und eine Annäherung der beiden christlichen Konfessionen schon wenige Jahre nach dem Ende des Konzils bald zerschlugen, bewegte das Zweite Vatikanum das gesamte Christentum. Mit guten Argumenten sehen daher auch evangelische Theologen und Kirchenhistoriker die wichtigste Zäsur für die Kirchen in Deutschland »wohl am Beginn der sechziger Jahre«.202 Warum kam dem Konzil eine so große Bedeutung zu? Und warum folgte der von großer Euphorie begleiteten Versammlung der Bischöfe und Kardinäle dann eine Phase der Rezeption, die diesen besonderen Erwartungen keinesfalls gerecht wurde? In Deutschland, aber auch in vielen anderen nationalen Katholizismen verflog die Aufbruchsstimmung rasch und wich einer großen Ernüchterung. Zunächst einmal war das Konzil für die katholische Kirche bereits formal ein ganz besonderes Ereignis: Laut dem Codex Iuris Canonici von 1917, dem damals gültigen Kirchenrecht also, kamen zu dieser Gelegenheit mit den 2.540 stimmberechtigten Bischöfen und Kardinälen alle höheren Amts- und Würdenträger der Katholiken zusammen, um mit und unter dem Papst die höchste Lehr- und Gesetzgebungsvollmacht auszuüben.203 Mit dieser Festlegung war schon eine wichtige Entscheidung über die Kompetenzen und Möglichkeiten des Vatikanums getroffen: Das Konzil war mehr als nur ein Beratungsgremium des Papstes, galt es doch als kollektiver Amtsträger. Andererseits blieb es aber doch »unter« dem Papst. Das Konzil hatte keinen Einfluss jenseits der Grenzen, die der Papst ihm zog. Seine Beschlüsse erhielten beispielsweise nur dann verpflichtenden Charakter, wenn sie vom Papst bestätigt und von diesem veröffentlicht wurden. Umgekehrt aber war der Papst in keiner Weise auf das Konzil angewiesen oder an seine Beschlüsse gebunden. Insbesondere im Fall der Bestimmungen zur Sexualmoral machte Papst Paul VI. von seinem Primat ausgiebig Gebrauch, unterband er doch die Beratung dieser Frage auf dem Konzil und verabschiedete später das päpstliche Lehrschreiben Humanae Vitae. Ein Konzil wie das Zweite Vatikanische war kirchenrechtlich also mit einer »machtlosen Vollmacht« ausgestattet, so fasst es der Professor für Systematische Theologie, Otto Hermann Pesch.204 Wie sich dieses Paradox auflöste und welche Wirkung das Konzil entfalten konnte, entschied sich weniger auf juristischer Ebene. Von entscheidender

Vom »Höllenfeuer« zur »allumfassenden Liebe«

Bedeutung waren die Dialoge und Debatten, die das Konzil herstellen konnte, und die Ergebnisse, die es in Form von sogenannten Konstitutionen veröffentlichte. Bereits im Vorfeld waren die Erwartungen aufs Höchste gespannt: Zur schillerndsten Beschreibung des Konzils avancierte rasch der Begriff des Aggiornamento. Mit dem Anspruch auf eine »Verheutigung« der Kirche hatte Papst Johannes XXIII. das kirchliche Großereignis angekündigt und seine Intention zugleich in ein eingängiges Bild gekleidet: Es gelte die Fenster aufzureißen und frische Luft in das Innere der Kirche hineinzulassen. Wie auch der Einzelne immer wieder spirituell umkehren müsse, solle sich auch die Kirche als Institution der modernen Welt und ihren Nöten stellen und die Verkündigung des Evangeliums auf diesen Kontext hin ausrichten. Ziel war ein theologischer Disput über »die Kirche in der Welt von heute«.205 Wie sollte sich katholisches Christentum in der Moderne positionieren und ausgestalten? Mit dieser Einführung war bereits klar, dass nahezu alle Bereiche des kirchlichen Lebens berührt werden sollten. Das aus dem Glauben herrührende kirchliche Selbstverständnis, die Dogmatik, musste passgenau zu dem werden, was die Kirche in ihrer Pastoral tat und verkündigte. Abstrakt gesprochen: Transzendenz und Immanenz sollten in ihrem Verhältnis zueinander neu justiert werden. In diesem Sinne rief Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil vor allem als »Begegnung« mit der »Welt von heute« aus. Der Begriff des Dialogs entwickelte sich infolgedessen zu einem regelrechten »Hauptwort des Konzils«.206 Zu einer »Sternstunde« des Konzils, in der sich diese neue Offenheit auch in der Arbeitsweise und im Verfahren selbst realisierte, avancierte dann insbesondere die erste Sitzungsperiode. Bereits in der Eröffnungszeremonie hatte sich Papst Johannes XXIII. in verschiedenen Gesten abgesetzt vom Traditionalismus und der absolutistischen Auffassung des Papstamtes, wie es die Pius-Päpste praktiziert hatten. Angeregt auch von der Eröffnungsrede des Papstes begann die Versammlung der Konzilsdelegierten selbst Eigendynamik und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Erfolgreich setzte man sich gegen die vatikanische Kurie durch, die in vielerlei Hinsicht versuchte, den Reformeifer zu bremsen. Die Versammlung der Bischöfe und Kardinäle lehnte die vorbereiteten Wahllisten ab und wählte eigene Kandidaten in die Kommissionen und Arbeitsgruppen. In der Ausrichtung wie auch in der Arbeitsweise war das Zweite Vatikanische Konzil ein kompletter Gegenentwurf zu seinem direkten Vorgänger, dem Ersten Vatikanischen Konzil. Diese Kirchversammlung, welche 1869 und 1870 ebenfalls in Rom abgehalten worden war, hatte vor allem auf Dissoziation gesetzt, also auf die Abgrenzung zur Welt. Man versuchte sich gegen die Einflüsse der Moderne in der Kirche abzuschotten und eine eigene Gegenwelt zu errichten. Für diese Tendenz stand der 1864 von Papst Pius IX. veröffentlichte Syllabus Errorum. In dieser Liste waren von der Religionsfreiheit und der Aussöhnung der katholischen Kirche mit den anderen Religionsgemeinschaften über die Freiheit des wissenschaftlichen Fragens bis zum Sozialismus und der Demokratie die verschiedensten Haltungen als »Irrtümer des Jahrhunderts« aufgezählt und verdammt worden. Für den besonders papsttreuen Teil der Katholiken galt diese Aufzählung nicht nur als Magna Charta ihres Verhältnisses zur modernen Welt, sondern sollte auch dem Ersten Vatikanischen Konzil als Grundlage dienen. Noch direkter wurde der integrale

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Anspruch des Katholizismus mit der am 18. Juli 1870 und damit kurz vor der Sommerpause des Konzils verabschiedeten Konstitution Pastor Aeternus deutlich. In diesem Text war die Infallibilität des Papstes, also dessen Unfehlbarkeit bei Ex-Cathedra-Verkündigungen in Fragen des Glaubens festgeschrieben und damit ein deutlicher Machtanspruch formuliert worden. Deutlicher war die Frontstellung zur Welt kaum noch möglich.207 In Deutschland fand die Tendenz zur Abschottung gegen das Säkulare ihre Entsprechung in der Bildung eines speziellen katholischen Milieus, in dem sich die Gläubigen in eigenen Lebenswelten und Verkehrskreisen gegen die sich rasch verändernde Welt wappneten. Das Zweite Vatikanum trat nun mit einem vollkommen entgegensetzten Anspruch an. Im Dialog mit der Welt sollten gerade die Verfestigung und Vereinseitigungen aufgebrochen werden, die sich in Auseinandersetzung mit Reformation, Jansenismus, Aufklärung und eben auch mit der Moderne in der kirchlichen Lehre wie auch in der frommen und lebensweltlichen Praxis entwickelt hatten.208 Mit der Größe der Aufgabe, die sich das Konzil gesteckt hatte, verband sich ein Grundproblem, welches die spätere Rezeption erschwerte. »Der gewaltige Aufbruch, der das Konzil war, die Wucht der mutigsten und tiefsinnigsten Interventionen konnte im schriftlichen Ergebnis nicht eingefangen werden«, so räsonierten schon zeitgenössische Beobachter.209 Dafür war nicht nur die Komplexität der Probleme verantwortlich, derer man sich annahm. Zusätzlich waren die zentralen Erklärungen, die Konzilskonstitutionen, von dem Versuch geprägt, die internen Spannungen zwischen den unterschiedlichen Lagern der Konzilsväter nicht eskalieren zu lassen. Man behalf sich mit der Technik der Iuxtaposition und stellte progressive und konservative Formulierungen nebeneinander, um beide kirchenpolitische Lager zufriedenzustellen. Damit verfolgten Kurie und Papst das Ziel, die konservative Konzilsminderheit mit einzubinden. »Selten in der Kirchengeschichte ist eine nicht einmal qualifizierte Minderheit – […] zwischen 300 und 500 Vätern unter 2700 – auf einem Konzil so pfleglich, geradezu zartfühlend und auf Kosten des öffentlichen ›Image‹ des Papstes behandelt worden unter Inkaufnahme widersprüchlicher, jedenfalls uneindeutigerer Formulierungen der Konzilstexte«, so das ernüchternde Urteil des Theologen Otto Hermann Pesch über die Konzilstexte.210 Der Streit um die richtige Deutung der Konzilstexte und den »Geist des Konzils« prägte die Jahre seit Abschluss der kirchlichen Generalversammlung entscheidend. Trotz der Mehrdeutigkeiten aber, die in der Folgezeit kirchenpolitisch weidlich ausgenutzt wurden, lassen sich die in den Konstitutionen und Dekreten vorherrschenden Leitbilder nachzeichnen. In mehreren Punkten definierte das Vatikanum zentrale Punkte des katholischen Selbstverständnisses neu. So leitete man mit der Selbstdefinition der Kirche als »Volk Gottes« einen einschneidenden Wandel in der kirchlichen Selbstbeschreibung ein, löste man sich doch in der Konzilskonstitution Lumen gentium, aber auch in anderen zentralen Texten von einem hierarchischen und allein auf die Institution abhebenden Verständnis.211 Zugang zum göttlichen Mysterium, so definierte das Konzil, habe die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Was zunächst wie das Ergebnis eines rein theologischen Disputes scheint, hatte doch weitreichende Konsequenzen: Mit dieser Neuorientierung wurden Ortskirchen gegenüber der römischen Zentrale ebenso

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gestärkt wie die Laien gegenüber den Klerikern. Wenn das Konzil in Anlehnung an den 1. Korintherbrief formulierte, dass alle Gläubigen in Christus einen Leib bilden, dann ebnete es hierarchische Unterschiede tendenziell ein und betonte die Wertigkeit der individuellen Glaubensentscheidung. Jeder und jede Getaufte sei »zum Volk Gottes gemacht und des priesterlichen, prophetischen im königlichen Amtes Christi […] teilhaftig«.212 Diese Neuorientierung schlug sich nicht nur in theologischen Traktaten, sondern auch in der kirchlichen Praxis unter anderem im kirchlichen Liedgut nieder. »Fest soll mein Taufbund immer steh’n, ich will die Kirche hören. Sie soll mich allzeit gläubig seh’n und folgsam ihren Lehren.« In diesem populären Kirchenlied in seiner Fassung aus dem Jahr 1810 hatte man ein neues Selbstverständnis besungen, das auf die Institution fixiert war. Im katholischen Gesangbuch Gotteslob von 1974 war der Akzent deutlich zu Gunsten der Glaubenshaltung des einzelnen Gläubigen verschoben: »Ich will den Weg des Glaubens gehn und folgsam Gottes Lehren.«213 Neben der Definition der Kirche als »Volk Gottes« aber erhielten sich in der Konzilskonstitution Textstellen, die weiterhin das Konzept der hierarchischen Institution stützten. Insbesondere während des Konzils selbst musste die Frage nach der Neudefinition von Autorität nicht nur theoretisch diskutiert, sondern auch ganz praktisch angewandt werden: In welchem Verhältnis stand eigentlich die Kollegialität des Bischofs von Rom zu seinen Amtsbrüdern im Konzil einerseits und andererseits das Selbstverständnis des Papstes, als Spitze der kirchlichen Hierarchie? In einer Nota praevia explicativa wurde gegen diejenigen, die das Gewicht der Konzilsversammlung stärken wollten, herausgestellt, dass die Kollegialität nicht gegen den Primat des Papstes funktionieren könne. Insofern dieses Kollegium aus vielen zusammengesetzt sei, veranschauliche es die Vielfalt des Gottesvolkes; insofern es unter einem Haupt versammelt sei, stelle es die Einheit der Herde Christi dar. Diese Kombination von päpstlichem Primatanspruch und Kollegialitätsprinzip ging von einem völlig unrealistischen Harmoniemodell aus.214 Es bot keinerlei Anleitung dazu, wie Kirchenleitung, Priester und Laien im Kirchenalltag und vor allem im Konfliktfall Autorität und Gehorsam miteinander ins Verhältnis setzen sollten. Nach dem Vatikanum entwickelte sich diese Frage in den Ortskirchen zu einem Konfliktfeld, welches bis heute virulent ist. Die Stellung der Kirche zur Welt versuchte die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes neu zu definieren. Bislang hatte das kirchliche Lehramt auf der Grundlage einer strikten Trennung von Kirche und Welt argumentiert und vor allem versucht, das Säkulare aus dem religiösen Bereich möglichst auszuklammern. Das Vatikanum änderte die Blickrichtung grundlegend: Die Kirche solle sich in der Welt von heute den geschichtlichen Herausforderungen stellen. Ihr Engagement könne sich nicht auf abstrakte zeitlose Formeln beschränken, sondern müsse sich im Dialog realisieren. Durch diese offene Verhältnisbestimmung von Kirche und Welt wurde zum einen die Stellung des einzelnen Christen aufgewertet wie auch die Stellung zu den Nichtkatholiken neu definiert. »Durch die Treue zum Gewissen« seien die Christen mit den übrigen Menschen verbunden »im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung der vielen moralischen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen

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Zusammenleben entstehen«. Das schloss nicht nur einen Dialog mit Andersgläubigen, sondern beispielsweise auch mit Marxisten ausdrücklich ein. In eine ähnliche Richtung zielte die grundsätzliche Anerkennung und Befürwortung der Religions- und Gewissensfreiheit in dem Dekret Dignitatis Humanae. Damit zog man in politischer Hinsicht einen Schlussstrich unter den ein Jahrhundert vorher im Syllabus Errorum festgeschriebenen Abwehrkampf gegen Demokratie und Liberalismus und erkannte die Autonomie des Politischen wie auch den Meinungspluralismus an.215 Insbesondere in diesem Punkt ist die Anpassung der Kirche an Pluralisierungsund Demokratisierungsprozesse deutlich zu erkennen. Die Kirche definierte sich nicht mehr als Instanz neben oder gar über dem Staat, sondern als ein Faktor im weltanschaulichen Pluralismus. An Stelle des Anspruchs auf die Exklusivität der Wahrheit baute man nun das moderne Postulat von Toleranz und Persönlichkeitsrechten in die kirchliche Lehre ein. Gegenüber den nicht-christlichen Religionen gab man die Gegnerschaft auf und erklärte, dass »die katholische Kirche […] nichts von alledem ab[lehne], was in diesen Religionen wahr und heilig ist.«216 Die Ablehnung der Religionsfreiheit, wie es das päpstliche Lehramt im 19. Jahrhundert deutlich formuliert hatte, war nun aufgegeben zugunsten ihrer naturrechtlich begründeten Anerkennung. War man bisher immer vom Primat der dogmatischen Glaubenswahrheit ausgegangen, in deren Besitz man sich sah, wurde dieser Exklusivitätsanspruch jetzt aufgegeben. Im Offenbarungsdekret Dei Verbum vollzog man zudem einen theologischen Paradigmenwechsel, der auch für die Pastoral eine große Bedeutung hatte: Praktisch wurde insbesondere die Exegese aus der Verpflichtung auf ein positivistisches Schriftverständnis entlassen. Noch in den fünfziger Jahren hatten sich katholische Bibelwissenschaftler regelmäßig der theologischen Dogmatik unterzuordnen, indem sie entweder die aus der Schrift gelesenen Lehrsätze exegetisch zu legitimieren halfen oder in den Fragen Zurückhaltung übten, in denen ihre Ergebnisse den kirchlichen Lehraussagen widersprachen.217 Erst mit dem Konzil akzeptierte auch die katholische Kirche die sogenannte historisch-kritische Methode. Damit wurden die Bibeltexte nicht mehr als zeitlose Dokumente, sondern vor dem Hintergrund der Entstehungsumstände und ihrer Überlieferungsgeschichte gelesen und interpretiert. Damit vollzog man eine Entwicklung nach, die Teile der protestantischen Theologie bereits in der Aufklärung angestoßen hatten. Weitreichende, da für jeden kirchengebundenen Katholiken unmittelbar spürbare Auswirkungen fanden diese und andere Neuorientierungen in der Liturgiereform. Mit der Konstitution Sacrosanctum Concilium wurde der Weg dafür freigemacht, Latein als Messsprache durch die jeweilige Landessprache zu ersetzen. In Deutschland fiel damit ein wesentlicher Unterschied zwischen den seit Luther in der Muttersprache Gottesdienst feiernden Protestanten und den demonstrativ-kontrovers am Latein festhaltenden Katholiken weg. In den nicht-europäischen Ländern öffnete man den Messritus für landes- und kulturspezifische Elemente der Feier und Verehrung. Auch mit weiteren Neuerungen trug man zur Entklerikalisierung der Messe bei und wertete die Gemeinde als eigentlichen Träger der Feier auf: Der Altar rückte in das Zentrum des Kirchen-

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schiffs, der Priester zelebrierte die Wandlung nicht mehr vor und mit dem Rücken zur, sondern in und mit der Gemeinde, die Lesungen und ihre Auslegung bekamen größeres Gewicht in der Messfeier. Abstrakt betrachtet öffnete sich der Messritus damit gegenüber allen Beteiligten. Verkörperte in der tridentinischen Messe der Priester als entscheidender Akteur der Eucharistiefeier das Geheimnisvolle und das Heilige, so wurde nun die Differenz zwischen Zelebranten und Umstehenden eingeebnet. Jeder und jede sollte alles miterleben und nachvollziehen können. Der Anspruch aber, das in der Messe zu feiernde Geheimnis für alle zu öffnen, stieß rasch an seine Grenzen. Das absolute Verstehen, wie es angestrebt war, schloss automatisch mögliche Kritik ein: Der Ritus verliert seinen Anspruch als Repräsentation des Heiligen und Unverfügbaren, wenn er als historisch gewachsen erkennbar und in Einzelpunkten angreifbar wird. Die nachkonziliare Diskussion legte die Ambivalenz der Liturgiereform offen: Während die Reformbefürworter die Möglichkeiten zur Partizipation ausbauen wollten, setzten sich die Gegner dafür ein, das »Geheimnis« in den Messriten wieder ›unverkürzt‹ darzustellen.218 Bis heute klagt beispielsweise der Schriftsteller Martin Mosebach über die »Häresie der Formlosigkeit«, mit der der ehemals heilige Ritus zu einer gruppendynamischen, nabelschauhaften Veranstaltung degeneriert sei.219 Alles in allem zeigt sich eine Tendenz: Ein seit der Reformation deutlich profiliertes religiöses Gefüge von organisatorischen Strukturen, normativen Vorstellungen und Handlungsmaximen »verflüssigte« sich oder erodierte ganz. Seit dem 19. Jahrhundert und bis in die 1960er Jahre hatte die katholische Kirche sich dogmatisch und kirchenpolitisch mit durchaus modernen Mitteln gegen die Moderne positioniert. Der Anspruch auf Wahrheit und die damit verbundene Abwertung anderer Heilswege, die Tendenz zur Abkapselung gegen die Welt und die spezifischen Kontroll- und Machtstrukturen zur Aufrechterhaltung von Inklusion und Exklusivität – die »›innere Eigenart‹ der historisch so und nicht anders gewordenen katholischen Gnadenanstaltsidee« lag in einem spannungsreichen Wechselspiel zwischen sozialer Öffnung und Schließung. Im Zentrum der Kirche stand das klerikal verwaltete Monopol zur Deutung und Verwaltung des Weges zum Heil. »Extra ecclesiam nulla salus« – außerhalb der Kirche ist kein Heil, so die unmissverständliche Botschaft nach innen und außen. Das Zweite Vatikanum stellte diesen absoluten Anspruch in Frage. Indem man davon abließ, die kirchliche Gestalt dogmatisch zu rechtfertigen und festzuschreiben, gab man auch theologisch den Weg frei für den Wandel der bereits erodierenden Sozialgestalt. Wie Glauben und religiöse Überzeugungen gelebt werden, entscheidet sich allenfalls zu einem geringen Teil an kirchenoffiziellen Lehrmeinungen und Doktrinen. Dass beide Größen, das Verhalten des oder der Einzelnen und die offizielle Vorgabe, miteinander im Einklang sind, ist die Ausnahme von der Regel. Bis ins 18. Jahrhundert fielen individuelle Frömmigkeit und die in Familie, Dorf oder Gemeinde kollektiv praktizierte Religiosität mit den kirchlichen Vorgaben deutlich auseinander.220 Erst im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwand man diese Kluft. Eine moderne Organisation, der Einsatz vieler Seelsorger, die Etablierung religiöser, sozialer

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und kultureller Vereinigungen und die Einrichtung religiös motivierter Parteien ermöglichten dieses. Dieser Entwicklung entsprachen das Selbstverständnis und die Selbststilisierung der Kirche, die sich als Instanz von Herrschaft und Macht darstellte. Die Änderungen, die das Zweite Vatikanum bewirkte, entzogen dieser Vorstellung die Grundlage. Das katholische Denkgebäude wie auch die damit verbundene Sozialform brach in den Jahren nach 1960 zusammen. Das Zweite Vatikanum war nicht die alleinige Ursache dieser Entwicklung. Viele Prozesse des Abbruchs, aber auch der Um- und Neuformierung begannen bereits vor Beginn dieses kirchlichen Großereignisses. Dennoch kommt dem Konzil und den dort initiierten Veränderungen eine entscheidende Rolle zu, wurde hier doch mit der dogmatischen Selbstbeschreibung der Kirche die Achse neu definiert, die in den Macht- und Abhängigkeitskonstellationen von großer Bedeutung war. Eine umstrittene Rezeption war damit vorprogrammiert. Eine neue Sozialform der katholischen Kirche war nicht in Sicht. Zugleich waren der Definition, was kirchlich sein soll, kaum noch Grenzen gesetzt. »Damit«, so der Religionssoziologe Michael Ebertz, »gewinnt der ›symbolische Kampf‹ innerkirchlicher Interessen- und Statusgruppen um die Geltung religiöser Werte und Normen, um die Definition und Kompetenz zur Definition der religiösen Heilswahrheiten und um die Verteilung der Heilsgüter Zug um Zug an Schärfe.«221 Die Theologie und die religionswissenschaftliche Forschung haben sich mehrheitlich für die approbierten Konzilstexte und ihre Entstehung interessiert. Gut ausgeleuchtet und vielfach interpretiert sind daher der Verlauf des Konzils und die Entstehung der Konstitutionen. Die theologische Aufarbeitung war ein schwieriger Prozess, noch schwieriger aber gestalteten sich die Rezeption und die Umsetzung der Beschlüsse im kirchlichen Leben vor Ort. Eine umfassende Untersuchung der populären Rezeption des Zweiten Vatikanums in Deutschland gibt es bislang noch nicht, obwohl gerade auf dieser Ebene die eigentliche Herausforderung lag.222 Doch lässt sich die Rezeption des Vatikanums in Deutschland in ihren großen Linien nachzeichnen. Wie »1968« für die politische Kultur der Bundesrepublik avancierte das Zweite Vatikanum für die katholische Kirche zu einem zentralen Erinnerungsort, an dem sich die Geister bis heute scheiden. Schon in der Konzilsphase schwankten viele Beobachter zwischen Euphorie und Skepsis, bei nahezu allen aber gab es ein verbreitetes Gefühl der Unsicherheit. »Das Konzil stellt Weichen – aber wo der Zug ankommen wird, vermögen wir in diesem historischen Augenblick noch nicht zu sagen, weil die Kräfte der Tradition und des Fortschritts noch miteinander ringen«, so äußerte sich mit dem Kirchenhistoriker Hubert Jedin ein katholischer Theologe und Konzilsbeobachter.223 »Es kann nicht bestritten werden«, so erklärte mit Karl Rahner einer der bedeutendsten und wirkungsvollsten katholischen Theologen der 1960er und 1970er Jahre, dass »das Konzil, seine Verhandlungen und Diskussionen […] in vielen Kreisen eine tiefe Verwunderung und Beunruhigung hervorgerufen« haben.224 »Laßt die in Rom beschließen, was sie wollen, ich bleibe katholisch.«225 Im populären Witz wurde dieser wahrscheinlich erfundene Ausspruch einem Südoldenburger Bauern

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und Katholiken zugeschrieben. Zum Ausdruck kam die tiefe Verunsicherung in einem Teil des Katholizismus, der vor allem darauf setzte, dass das kirchliche Leben möglichst konstant blieb. Insbesondere Veränderungen in der Liturgie polarisierten stark: Ging hier nicht eine Praxis verloren, die lange Zeit spirituelle Heimat geboten hatte? Konnte das neue geistliche Liedgut wirklich angemessen Verehrung zum Ausdruck bringen? Welche Irritationen die neue Praxis hervorrief, belegt die Aussage des österreichischen Katholiken Felix Gamillscheg: »Wenn ich daran denke, daß wir im alten Katechismus die schlimmsten Höllenstrafen angedroht bekamen, sollten wir einmal eine Hostie in die Hand nehmen – und dann plötzlich wurde die Handkommunion eingeführt! Das war doch undenkbar!«226 Die Auseinandersetzung um die angemessene Form der Messfeier war einer der Gründe dafür, dass sich die kirchenpolitisch rechtsextreme Priesterbruderschaft St. Pius X. von der katholischen Kirche abspaltete. Umgekehrt belegen nicht wenige Zeitzeugenberichte, mit welcher Verve man insbesondere die in der Liturgiekonstitution gestellten Aufgaben annahm: »Mit Begeisterung machte sich eine Gruppe von Interessierten ans Werk,« so berichtete der Freiburger Pfarrer Dietmar Baader, »um den Chorraum der im Stil des Böhmischen Barock erbauten Stadtkirche von Donaueschingen so zu gestalten, dass die Schönheit und das historische Erbe gewahrt bliebe und gleichzeitig den Ideen der Liturgiereform Rechnung getragen wurde.«227 Partizipation als die weitgehende Beteiligung von Laien war auch in diesem Zusammenhang die Leitvokabel, die die Richtung der Veränderung vorgab. Neben der Liturgie entwickelte sich auch das in den Gemeinden und Diözesen etablierte System von Räten und Ausschüssen zu einem wichtigen Betätigungsfeld. Das Engagement verlagerte sich so tendenziell von den katholischen Verbänden und Vereinen in die Pfarrgemeinderäte. Mit diesen Änderungen konnte man der Forderung nach breiterer Partizipation Rechnung tragen. Andererseits, so ist rückblickend kritisch beobachtet worden, führte dieses Engagement auf Seiten der Reformbefürworter auch zu Verengungen der pastoralen Praxis. Franz Kamphaus, katholischer Theologe im Bistum Münster und ab 1982 Bischof des Bistums Limburg, beschrieb 1969 die fatalen Folgen eines innerkirchlichen »Kreisverkehrs«. In ähnlicher Weise äußerte sich zwei Jahre später der Bischof von Münster, Heinrich Tenhumberg, wenn er die »Verengung des Aufgabenfeldes« beklagte: »Viele Pfarrkomitees scheinen überhaupt nur noch Fragen der Liturgie, der Sakramentenspendung sowie der gottesdienstlichen Verkündigung im Blick zu haben […]. In den Tätigkeitsberichten der Komitees liest man nur wenig von der Sorge um die Arbeitswelt, die Fabriken, Kaufhäuser und Betriebe, in denen die Männer und Frauen aus der Gemeinde arbeiten, von der Sorge um gesellschaftliche Minderheiten«. Der Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg konstatiert sogar langfristige Folgen dieser Konzentration nach innen: Über viele Jahre hinweg bestimmte die Generation der Konzilsgeprägten die Tagesordnung der Pfarrgemeinden. Mit der Konzentration auf interne Probleme verringerte sich das Engagement nach außen. Das Modell der 1950er Jahre, welches die Gemeinden als kämpferischen »Aktionsverbund der Standesorganisationen« sah, war damit aufgegeben und wich einem stark verkirchlichten Selbstverständnis und Praxis.

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Den Reformbefürwortern erschien das Zweite Vatikanum als ein wichtiger, wenn auch verspäteter Schritt der Kirche, sich mit der Moderne zu versöhnen. Aus dieser Gruppe wurde vor allem der »Geist des Konzils« als eine Ablösung oder gar als Bruch mit der vorkonziliaren Vergangenheit befürwortet. Einigen Vertretern galt das Konzil aber auch als halbherziger Versuch, den schon abgefahrenen Zug der Zeit einzuholen. In den Folgejahrzehnten gab es gelegentlich die Forderung nach einem Dritten Vatikanischen Konzil, welches die noch bestehenden und neu aufgekommenen Probleme angehen solle. Konservativere Kreise deuten das Zweite Vatikanische Konzil dagegen als irreparablen Bruch mit der intransigenten Hochphase des Katholizismus. Einer der schärfsten Konzilskritiker, der später vom Papst suspendierte römisch-katholische Erzbischof Marcel Lefebvre, geißelte das Konzil als einen Akt, mit dem die Kirche an die Reformation, die Französische Revolution und ihre Prinzipien verraten worden sei.228 Blickt man auf die Amts- und Würdenträger in der katholischen Kirche, aber auch eine Reihe von prominenten Theologen, dann beobachtet man in vielen Fällen einen raschen Umschwung: Hatte man zunächst große Hoffnungen, dass das Vatikanum das Kirchenleben zu neuer Blüte brächte, überwog schon bald eine ausgeprägte Skepsis. Ursache dieses Stimmungswandels war die akute Kirchenkrise, die sich dem Konzil anschloss: Obwohl das Konzil aus der Sicht der Theologen und Kirchenfunktionäre eine behutsame und homogene Weiterentwicklung kirchlicher Traditionen ermöglichen wollte, habe der Übereifer so mancher Reform die Gläubigen verunsichert, so dass es zum Auszug vieler Gläubiger aus der Kirche gekommen sei. Betrachtet man aber die Zahlen zur organisierten Kirchlichkeit genauer, dann sticht schnell ins Auge, dass ein solcher Zusammenhang gar nicht existiert: Im Abwärtstrend der 1960er Jahre setzte sich die Entwicklung der 1950er Jahre fort. Zugleich gilt aber auch, dass das Konzil den Erosionsprozess nicht hat stoppen können.229 Dass das Konzil in vielen Kreisen vor allem als Krise, entweder als Begleiterscheinung oder gar als Ursache, wahrgenommen wurde, erklärt sich vor allem mit den viel beachteten Ereignissen im niederländischen Katholizismus. Ab Mitte der sechziger Jahre brach dort ein vormals fest organisierter und beeindruckend geschlossener Katholizismus innerhalb weniger Jahre fast vollständig zusammen.230 Dabei sticht hervor, dass dieser Wandel nicht von außen herbeigeführt wurde, sondern von innen heraus stattfand. Als wichtigste Agenten der Veränderung taten sich die niederländischen Bischöfe selbst hervor. Bereits 1965 veröffentlichte die Bischofskonferenz einen Neuen Katechismus, dessen Aussagen zur Sünde, zur Erlösung, zur Jungfräulichkeit Mariens, vor allem aber zur Stellung des Papstes in der Kirche große Kontroversen provoziert hatte. Um diesen Zwiespalt zu überbrücken, vor allem aber um die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen, eröffnete man 1966 ein niederländisches Pastoralkonzil. Diese Unternehmung geriet zu einem umfassenden »Experiment in Kirchenerneuerung und Kirchenfindung«.231 Ganz im Sinne der eigenen Auslegung der Konzilstexte versuchten die niederländischen Bischöfe Kirche primär von den religiösen

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Bedürfnissen der Menschen her zu definieren. »Ausgangspunkt war eine radikale Abwendung vom Prinzip kollektiver Identität und umgekehrt die Forderung nach einer konsequenten Individualisierung konfessioneller Identität.« Kirchenbildung sollte nun aus der praktischen Erfahrung abgeleitet werden und auf diese Weise zu Gemeinschaftsformen führen, die sich unmittelbar aus dem sozialen Umfeld ergaben.232 Man versuchte die Ansprüche auf Partizipation und Demokratisierung maximal zu erfüllen. Auf diese Weise stellte man die herkömmlichen Organisationformen der Amtskirche wie auch ihr traditionelles Hierarchieverständnis auf den Kopf. Durch diese radikale Umorientierung und Neudefinition sahen sich viele Katholiken überfordert. Eine Zuschrift an das Pastoralkonzil verglich dieses Vorhaben plastisch damit, »einem Säugling einen Teller mit Sauerkraut und Wurst vorzusetzen«.233 Die in der Folgezeit auftretenden Auseinandersetzungen zwischen einer progressiven Mehrheit und einer konservativen Minderheit spalteten den niederländischen Katholizismus tief. Ein beinah hermetisch geschlossener Katholizismus, der sich durch eine hohe Kirchlichkeit ausgezeichnet hatte, löste sich schon während und mehr noch in Folge dieses Diskussionsprozesses binnen weniger Jahre nahezu vollständig auf. Vielen Kirchenmitarbeitern und Theologen in Deutschland galt diese Entwicklung als ein Horrorszenario, welches es in Deutschland zu verhindern galt. Vorboten dafür meinte man in verschiedenen Streitigkeiten zu erkennen: In Deutschland waren der Protestkatholikentag von Essen im Jahr 1968 und der erregte Streit um die Enzyklika Humanae vitae für viele Katholiken ebenso ein Krisenzeichen wie die erbitterte Debatte um die Einstellung der Zeitschrift Publik. Von der Bischofskonferenz gegründet galt sie vielen Katholiken als das kirchenpolitische Bekenntnis zum Programm des Aggiornamento. Als die Zeitschrift dann wegen mangelnder Abonnenten eingestellt wurde, entwickelte sich um diesen Schritt ein heftiger Streit.234 Ein Versuch, die Umsetzung des Zweiten Vatikanums in produktive Bahnen zu lenken, stellt die Würzburger Pastoralsynode in den Jahren 1971 bis 1975 dar.235 Selbst Kirchenkritiker bescheinigten dem deutschen Konzil, ein »offenes Forum« mit einem hohen Maß von »Hör- und Lernbereitschaft« gewesen zu sein.236 Dennoch blieben zahlreiche Streitpunkte wie der Zölibat, das Verbot der Pille und der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ungeklärt. Entscheidender für die ausbleibende Rezeption aber war, dass die vielfach gelobten Kommissionspapiere der Würzburger Synode kaum noch Resonanz an der Kirchenbasis fanden. Eine Erneuerungsbewegung, die die Texte und Programme mit Leben hätte füllen können, fehlte ebenso wie eine Aufbruchsstimmung, wie sie nach dem Zweiten Vatikanum geherrscht hatte. Trotz einer breiten Einbindung von Delegierten wirkte die Synode doch wie eine »Reform von oben«. Diese hergebrachte Form der Verbreitung von Reformimpulsen verfing nicht mehr. Ob das Vatikanum den Glauben zukunftsfähig gemacht hatte, wie es die Reformbefürworter sahen, oder aber der Anfang vom Ende war, wie es die Reformgegner befürchteten – über diese Alternativen wurde im Katholizismus noch lange nach Abschluss des Konzils gestritten. Bezeichnender Weise verfestigte sich der Streit insbesondere unter kirchlichen Experten und ihren verschiedenen Fraktionen. In diesen

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Kreisen avancierte die Austragung dieses Konflikts zu einer Dauerbeschäftigung. Der Auszug der Enttäuschten, wie er mit dem erfolglosen Abebben der katholischen Aufbruchsbewegung zu verzeichnen war, bedeutete dabei nur einen ersten und, aus der Retrospektive, den kleineren Schritt auf dem Weg zur Formveränderung des Katholizismus. Die ausbleibende Breitenrezeption der Würzburger Synode, die als »deutsches Konzil« das Aggiornamento des Vatikanums in die Praxis der bundesdeutschen katholischen Kirche umzusetzen trachtete, war dann ein weiteres Symptom für das rapide Wegbrechen der kirchlichen Basis. Schon 1977 verwies der katholische Publizist David Seeber die eifrig um den »Geist des Konzils« ringenden Flügel des Katholizismus darauf, dass die eigentliche Gefahr für die Kirche weniger aus den Auseinandersetzungen infolge des Zweiten Vatikanums und der katholischen Variante der Studentenbewegung erwachse, sondern dass das »›Fernbleiben‹ der Heranwachsenden« die gravierendere Herausforderung darstelle. Der sich zum Ende der sechziger Jahre entwickelnde Dauerkonflikte zwischen den sich als ›progressiv‹ verstehenden Kirchenkritikern und der Hierarchie wurde unter diesen Bedingungen zu einer Auseinandersetzung zweier immer kleiner werdender Eliten. Hellsichtig beschrieb der Jesuit David Seeber diese Entwicklung: »Was an innerkirchlichem Streit geblieben ist, verliert jedenfalls angesichts der religiösen Zeitsituation und des Zögerns der Kirche angesichts dieser Situation fast jede Bedeutung […] Das eigentlich Beunruhigende könnte der Wunsch nach Ruhe sein.«237 Löst man sich von der innerkatholischen Auseinandersetzung um die Bedeutung und Deutung des Konzils, dann relativiert sich dieser Streit rasch. Das Konzil der »Kirche über die Kirche«238 war eingebunden in eine breite und viel weitreichendere Veränderung.

Kirchentage und kirchliche Akademien. Form- und Funktionswandel innerkirchlicher Öffentlichkeit Nicht allein die Strukturen, sondern auch das Selbstverständnis und die Wahrnehmung der christlichen Großkirchen änderten sich in der Bundesrepublik gravierend. Bereits seit den späten 1950er Jahren wurde die theologische und gesellschaftliche Gestalt der Kirchen neu verhandelt, und das sowohl innerhalb der Kirchen selbst wie auch in der wachsenden Öffentlichkeit der Massenmedien. Beide Diskussionsstränge zusammengenommen waren Produkt und Promotor des enormen Wandels, welches wir im religiösen Feld beobachten können. Insbesondere an den Rändern der etablierten Kirchen kam es zu zahlreichen Innovationen, die teils von den Kirchenhierarchien angestoßen wurden, teils sich an der Basis entwickelten. Ein Beispiel dafür, wie sich hergebrachte Formen der Organisation und der Öffentlichkeit neuen Bedürfnissen und Zielsetzungen anpassten, sind die Kirchen- und Katholikentage. Beide kirchliche Veranstaltungen erscheinen aktuell als religiöse Großereignisse, die vor allem durch die Masse der Teilnehmenden geprägt sind. Mehrere Zehntausend besuchen die zentralen Eröffnungs- und Abschlussgottesdienste. Erst vor kurzem hat der Protestantismus den Rekord der größten Versammlung

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von Christen in Deutschland an den Katholizismus abgetreten: Der Kölner Weltjugendtag 2005, der wesentlich als Besuch des Papstes Benedikt XVI. konzipiert war, brachte circa eine Million Menschen zusammen. Vorher waren es vor allem die protestantischen und gesamtdeutschen Kirchentage gewesen, die die höchsten Besucherzahlen für sich verbuchen konnten: So erlebten 650.000 Menschen die Abschlussveranstaltung des Evangelischen Kirchentages in Leipzig am 11. Juli 1954.239 Blickt man auf das Publikum von Kirchen- und Katholikentagen der vergangenen Jahre, dann mischen sich zwischen die ergrauten Köpfe der mittleren und älteren Generationen, die das herkömmliche Gemeindeleben in beiden Konfessionen prägen, für kirchliche Belange ungewöhnlich viele junge Leute. Anfang der 1990er Jahre lag der Anteil der unter 30jährigen sogar bei bis zu 70 Prozent. In den beiden Jahrzehnten danach glich sich die Altersstruktur der Besucher aber wieder dem Bevölkerungsdurchschnitt an. Prägend für die Gesamtkirchen wurden die Kirchen- und Katholikentage dadurch, dass sie sich als Experimentierorte für neue Formen geistlicher Musik profilierten. Vom Spiritual über den Sakropop bis zur Wiederentdeckung des Posaunenchores – viele der in den Gemeinden praktizierten Formen fanden Verbreitung über die Kirchentage. »Ein bisschen Klassenfahrt, ein bisschen Taizé, ein bisschen Pop KonzertFeeling, für jeden etwas und von allem die richtige Dosis«240 – in ihrer charakteristischen Mischung verschiedener Elemente haben diese Großveranstaltungen ein ganz eigenes Gepräge ausgebildet. Dass die alle zwei Jahre im Wechsel stattfindenden Katholiken- und Kirchentage heute vielen Beobachtern fast wie nahe Verwandte erscheinen, verdeutlicht wie stark sich diese von ihren Anfängen entfernt haben, war doch lange Zeit ihr jeweiliges konfessionelles Gepräge charakteristisch für die Veranstaltung:241 Im Fall des evangelischen Kirchentags setzte man sich nach 1945 deutlich von den national-konservativen und demokratieskeptischen Anfängen aus der Weimarer Republik ab. 1949 griff der preußische Jurist Reinold von Thadden-Trieglaff die ursprüngliche Idee von der Laieninitiative wieder auf und stieß mit den regelmäßigen Kirchentagen eine Bewegung an, die die einzelnen protestantischen Landeskirchen und Freikirchen in weltweit einzigartiger Weise miteinander vernetzte.242 Auch den Katholikentagen kam als Spitzentreffen der katholischen Laien und ihrer Dachorganisation, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, eine besondere Bedeutung für die innerkirchliche Öffentlichkeit zu, wurde doch hier Selbstverständnis und Selbstbewusstsein demonstriert.243 Seit dem Ersten Weltkrieg war die Besucherzahl der seit 1848 veranstalteten Katholikentage immer weiter gestiegen. Von außen wie von innen wurden sie entweder bewundernd oder spöttelnd als »Heerschau« oder »Herbstmanöver der Zentrumspartei« kritisiert.244 Unter dem Nationalsozialismus waren diese Veranstaltungen verboten worden, erst 1948 setzte man nach dem Krieg wieder ein. Im Unterschied zur Vorkriegszeit versah man die Veranstaltungen stärker mit sakralen Elementen, so dass sich der Katholikentag »von der politischen MassenKundgebung zur Wallfahrt«245 entwickelte. In den Veranstaltungsprogrammen der fünfziger Jahre dominierten die offiziellen Manifestationen, Gottesdienste und verschiedene Formen der Andacht. Protagonisten auf den Veranstaltungspodien waren vor allem

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geistliche Würdenträger, die als geweihte Priester den Sakralhandlungen vorstehen konnten.246 Für beide Konfessionen waren die kirchlichen Großveranstaltungen zugleich eine wichtige Gelegenheit, ihre Verbundenheit mit dem anderen deutschen Teilstaat in Szene zu setzten. Im Vordergrund stand vor allem die Wirkung nach außen: Tausende von Christen zogen singend und betend durch die Straßen einer oftmals säkularen Umgebung. Ihre Rituale und Symbole prägten zumindest zeitweise den öffentlichen Raum. Die sorgsam orchestrierten Massenveranstaltungen demonstrierten in einem oftmals säkularen Umfeld die Geschlossenheit, den missionarischen Geist und letztlich auch die Stärke der Religionsgemeinschaft. In den 1960er Jahren wandelten sich Form und Funktionen sowohl des Evangelischen Kirchentags wie auch des Katholikentags. Nach dem Bau der Mauer musste man einerseits weniger deutschlandpolitische Rücksichten nehmen. Wesentlich wichtiger war aber andererseits, dass sich der innerkirchliche Wandel nun auch in der Gestalt der Großveranstaltungen widerspiegelte. Von einer Demonstration kirchlicher Stärke und einem Ort gelebter Frömmigkeit entwickelten diese sich schrittweise zu einem Diskussionsforum unterschiedlicher kirchlicher und weltlicher Initiativen in einem kirchlich-konfessionellen Rahmen. »Mit Konflikten leben«, so lautete das Motto des 1963 in Dortmund begangenen Kirchentags. Mit ihm begann eine Reihe von Veranstaltungen, die auch als explizite gesellschaftspolitische Positionsbestimmungen gelesen werden konnten: »In der Freiheit bestehen« (Köln 1965), »Der Frieden ist unter uns« (Hannover 1967), »Hungern nach Gerechtigkeit« (Stuttgart 1969). Auf den Evangelischen Kirchentagen wie auch auf den Katholikentagen änderte sich damit auch die Arbeitsweise: Nicht mehr die frontale Vortragsveranstaltung, sondern die Arbeitsgruppe wurde zum zentralen Element der Treffen. Mitsprache und Partizipation sollten den gemeinschaftsstiftenden Charakter der Großveranstaltung mindestens ergänzen, wenn nicht gar ersetzen. Erste positive Erfahrungen mit dieser neuen Arbeitsform gaben auf katholischer Seite Anlass zu Überlegungen, die über den engeren Kontext des Katholikentags hinauswiesen. So fragte ein Berichterstatter der Stimmen der Zeit, ob es nicht angezeigt wäre, »dem Kirchenvolk auch sonst Gelegenheit zu geben, auf solche Weise seine Meinung zu äußern, etwa durch Fragekästen nach Predigt und Vortrag?« Im Gegenzug rügte der Journalist endlose und ermüdende Reden: »Das Volk läßt so etwas über sich ergehen. Aber, bei allem guten Willen: es schaltet ab. Und darin hat es ja Übung. Schade! Schade!«247 Schon den Veranstaltern des darauffolgenden Katholikentags in Hannover galten Formen der aktiven Partizipation der Katholikentagsbesucher an den öffentlichen Versammlungen als »nicht mehr hinwegzudenken vom Katholikentag«, darüber hinaus aber auch als Modell für Verkündung und Bildungsarbeit. Die Katholiken »haben das Fragen gelernt«, konstatierten die Funktionäre des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und werteten als gutes Zeichen, »daß der Gläubige Aufschluß wollte über das Was und Warum des Glaubens«.248 Und 1964 sah selbst der Präsident des Zentralkomitees, Karl Fürst zu Löwenstein, eine Analogie zwischen der im politischen Leben wohl »immer noch nicht ganz abgeschlossene[n] und oft mühsame[n] Umstellung

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unseres Volkes vom Obrigkeitsstaat zur Demokratie« und der Entwicklung im innerkirchlichen Leben, nicht ohne aber darauf zu verweisen, dass mit dieser neuen Offenheit anstelle »des althergebrachten Gehorchens« nun eine »freiwillige Disziplin der Einordnung« treten müsse.249 Die Kirchen- und Katholikentage wurden lebensweltlich bunter und politisch pluraler. Damit stieg auch das Konfliktpotenzial der Großtreffen: Auf dem Kirchentag in Stuttgart 1969 offenbarte sich den Besuchern und Beobachtern die ganze Zerrissenheit des Protestantismus. »Die fünf heißen Tage« sind »kein christliches Heimattreffen, sondern ein Kirchentag der Kontroverse, der harten Auseinandersetzung«, so kommentiert Günter Geschke als Berichterstatter des evangelischen Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts.250 Für die Großveranstaltung in Hannover hatte die Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium zu einem Boykott aufgerufen, in Stuttgart versuchte man sich mit einem eigenen Forum »Streit um Jesus« zu profilieren. Auf der kirchenpolitisch linken Seite formierten sich basisdemokratisch orientierte Kräfte, die die Arbeitsgruppe »Demokratie« zu ihrer Plattform machten. Als dann beide Flügel die Abschlusskundgebung durch Go-Ins und Statements zu sprengen versuchten, reagierte das Publikum mit Pfiffen. Im Katholizismus hatte man für den »kleinen Katholikentag« von Bamberg im Jahr 1966 den direkten Teilnehmerkreis bewusst eng gezogen. Einen »häuslichen Dialog« wollten die Veranstalter ermöglichen.251 De facto, so urteilt Grossmann überzeugend, »sahen sich die Verantwortlichen – wohl realistischer Weise – außerstande, die überall unter den Katholiken entbrannten Diskussionen im Rahmen eines Katholikentages in zukunftsweisende Bahnen zu lenken.«252 Die Kritik an dieser Vorgehensweise belegt aber, wie stark solche organisatorischen Vorgaben gegen die allgemeine Erwartungshaltung verstießen: Eine »geschlossene Veranstaltung« sei abgehalten worden, die die Masse der deutschen Katholiken von der Meinungsbildung ausgeschlossen habe.253 Spätestens auf dem Essener Katholikentreffen von 1968, welches als Protestkatholikentag in die Geschichte einging, waren dann aber nicht mehr die Gespräche der Funktionäre und die vorbereiteten Reden, sondern die Diskussionen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern »das manifeste Ergebnis dieses Treffens«254. In dieser Hinsicht vollendete sich auf dem Katholikentag von 1968, was bereits vorher angelegt war: Essen war damit die weithin wahrgenommene Demonstration einer neuen Form von institutioneller Öffentlichkeit in der Kirche. Deren Anfänge lassen sich allerdings schon Ende der fünfziger Jahre ausmachen. Protest und öffentliche Demonstration von Alternativen organisierten sich in den kommenden Jahren unterschiedlich: Auf katholischer Seite wurde der ›Katholikentag von unten‹ zu einem inoffiziellen, aber schon fast integrierten Teil der kirchlichen Großveranstaltung.255 Parallel zur sinkenden Bindekraft der Kirche präsentierte sich der Katholikentag auf diese Weise mehr und mehr als Ansammlung verschiedener Konkretisierungen des Christentums, welche mit den »Heerschauen« der fünfziger Jahre kaum noch zu vergleichen sind. Auf evangelischer Seite setzten insbesondere die evangelikalen Kreise zunächst auf Gegenveranstaltungen, die nicht in den Kirchentag

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integriert waren. Prominente Theologen wie Gerhard Bergmann oder Walter Künneth rieten Gläubigen vom Besuch des Deutschen Evangelischen Kirchentags ab. Dessen Präsident Heinz Zahrnt sahen sie als ganz offenkundig im Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis.256 Die Gegner des DEKT setzten sich von diesem ab, in dem sie sich fundamentalistisch orientierten und weiterhin am Absolutheitsanspruch der Schrift festhielten. 1973 konnte der »Gemeindetag unter dem Wort«, so die an die Bekennende Kirche angelehnte Selbstbezeichnung, sogar mehr Besucher für sich verbuchen als der Düsseldorfer Kirchentag von 1973, zu dem sich nur 7.500 Dauergäste angemeldet hatten.257 Für die religiösen Großereignisse selber waren nicht mehr Geschlossenheit oder gar Uniformität, sondern der auf den evangelischen Kirchentagen initiierte »Markt der Möglichkeiten« charakteristisch. Bei dieser 1973 in Düsseldorf erstmals gestarteten, 1975 dann als »Markt der Möglichkeiten« betitelten kommunikativen Großveranstaltung konnte und kann (fast) jede religiöse oder zivilgesellschaftliche Gruppe, Bewegung oder Organisation ihr Anliegen vorstellen und mit den Kirchentagsbesuchern diskutieren. Die Katholikentage haben ähnliche Formen übernommen, so dass auch hier die sich unter einem Dach sammelnden unterschiedlichen Glaubensentwürfe und kirchenpolitischen Positionen bunt gemischt auftreten: Neben dem Stand der Schwangerenkonfliktberatung Donum Vitae stehen die Vertreter der Legio Mariens, die sich für eine konservative Form der Marienverehrung einsetzen. Selbst ihre Veranstalter verstehen die Kirchen- und Katholikentage mittlerweile als »buntes Glaubensfest«.258 Besonders deutlich stach dieses neue Selbstverständnis hervor, als man die Außendarstellung des Katholikentags in Mainz 1998 einer Werbeagentur überlassen hatte. Ein Delfin und damit ein wichtiges Symbol des New Age avancierte zum zentralen Logo der Veranstaltung. Die Botschaft war eindeutig: Christen und christlicher Glaube seien »lebensfroh, solidarisch, kameradschaftlich wie der Delphin«. Nur mit einiger Mühe allerdings gelang es Veranstaltern und Zelebranten der Gottesdienste, dieses Bild wieder in die christliche Formen- und Zeichensprache einzubetten.259 Wie stark diese Veranstaltungsform auch das Glaubensleben (mit)formte, zeigten die Diskussionen unter Pastoraltheologen und Religionssoziologen: Seit den 1990er Jahren, speziell aber mit der Wende in das dritte Jahrtausend machen diese mit dem »Kirchentagschristen« einen neuen Typus aus: Ebenso aufgeschlossen für soziale Probleme wie für neue Formen der Spiritualität versäumen diese Christen keinen Kirchentag, während aber die Bindung an die jeweilige Heimatgemeinde nur locker ist.260 Auf der katholischen Seite haben sich nicht nur die Katholikentage in diese Richtung entwickelt. Darüber hinaus sind es vor allem die sogenannten Weltjugendtage, die eine besondere Faszination ausüben: Seit Mitte der 1980er Jahre laden der Päpstliche Rat für die Laien und das jeweilige Gastgeberland alle zwei Jahre die »Jugend dieser Welt« zu einem Treffen mit dem Papst ein. Diese Veranstaltung findet große Resonanz: So kamen zum Abschlussgottesdienst des Weltjugendtags in Manila 1995 auf den Philippinen vier Millionen Menschen. Seit dem Event in Paris 1997 treffen diese Ereignisse auch in Eu-

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Abb. 5: Kirchentag als Event und Gemeinschaftserlebnis. Hannover, Juni 1983. (© epd-bild / Norbert Neetz)

ropa auf wachsenden Zuspruch und ziehen zwischen einer halben und 1,5 Millionen Jugendliche aus aller Welt an. Immer wieder wird kontrovers diskutiert, ob es sich bei diesen Treffen eher um ein »katholisches Woodstock« oder ein »tatsächliches Glaubensfest« handelt. Diese Frage trifft den Charakter dieser kirchlichen Großveranstaltungen nicht, geht sie doch von einer falschen Alternative aus: Zweifelsohne versammeln sich zu diesen Gelegenheiten Hunderttausende auf der Suche nach ihrer Form von Spiritualität und Transzendenzbezug. Eine Erneuerung des traditionellen Glaubens- und Frömmigkeitslebens, wie es den Alltag der bundesdeutschen Kirchen prägte, ist damit aber keinesfalls verbunden. Die Kirchen- und Katholikentage stehen damit ebenso wie ihre globalisierte Variante, die Weltjugendtage, für einen neuen Typus religiöser Öffentlichkeit. Diese richtet sich an die Gläubigen, die für eine gewisse Zeit an dieser religiösen Veranstaltung teilnehmen wollen. Ob und wie sie sich gegebenenfalls in anderen Formen kirchlichen Lebens weiter engagieren, ist meist der individuellen Entscheidung überlassen. Ein zweites, stärker in die jeweilige kirchliche Organisation eingebundenes Beispiel sind die kirchlichen Akademien, die zu Recht als »Agenturen kirchlicher ›Selbstmodernisierung‹«261 beschrieben wurden. Als Mischung aus Volkshochschule und geistigem Zentrum wandelten sich diese Einrichtungen sowohl in ihrer Praxis wie auch in ihrem Selbstverständnis im Laufe der Jahrzehnte erheblich. Damit sind sie nicht nur als »programmatischer Ausdruck eines veränderten Kirchenverständ-

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nisses« zu verstehen, sondern sie fungierten zugleich auch als »Laboratorien« kirchlicher Modernisierung im Ringen um neue Organisationsformen und Selbstentwürfe.262 Zunächst starteten die Akademien als ein neuer Typus religiöser Öffentlichkeit. Zwar konnten sie an verschiedene pastorale Stränge der Vorkriegszeit anknüpfen, als Institution aber stellten die Akademien ein Novum dar. Impuls für die Gründung war sowohl in der katholischen wie auch in der evangelischen Kirche die Überzeugung, dass es spezieller Institutionen bedürfe, die nicht nur die eigenen Mitglieder schulten, sondern auch in besonderer Weise in die »Welt« hineinwirkten. Nach den Worten eines Akademieleiters aus dem Jahr 1955 ging es darum, »neue Wege und Formen zu finden, um dem heutigen Menschen nahezukommen«.263 Die Formulierung weist auf ein empfundenes Defizit hin. Der »heutige«, moderne Mensch war auf tradierten Wegen offenbar nicht mehr zu erreichen und schien seine konfessionelle Bindung zu verlieren. Akademien sollten daher – neben ihrer Funktion als Schulungsort vor allem für kirchlich Gebundene – Foren sein, die den fernstehenden Menschen einen neuen Zugang zur Konfession und Religion ermöglichten. »Stätte der Begegnung« oder des »Dialogs«, »Brücke« oder »dritter Ort« zwischen Kirche und Welt – mit diesen und ähnlichen Metaphern definierten die Akademien ihr eigenes Selbstverständnis.264 Die Initiative zur ersten Gründung einer Akademie zielte in genau diese Richtung und ging auf den protestantischen Pastor Eberhard Müller zurück. Seine erstmals im September 1945 in Bad Boll abgehaltenen Konferenzen für »Männer des Rechts und der Wirtschaft« waren ebenso Vorbild für die Akademien wie die Evangelischen Wochen der Bekennenden Kirche zwischen 1935 und 1936, die Erfahrung der NS-Dozentenlager oder auch die evangelikalen Missionsbemühungen amerikanischer Provenienz. Bis 1961 steigerte sich die Zahl der jährlich abgehaltenen Veranstaltungen auf bis zu 1.000. Mit diesen Aktivitäten erreichte man jährlich bis zu 50.000 Menschen.265 Die katholische Kirche folgte dem Beispiel der protestantischen Seite und errichtete seit Kriegsende verschiedene katholische Sozial-, Diözesan- und überdiözesane Landesakademien. Die katholischen Sozial-Institute und Sozialakademien konzentrierten sich darauf, die Grundsätze der katholischen Soziallehre zu vermitteln und so für die politische Kultur der Bundesrepublik fruchtbar zu machen. Wie weitreichend der damit verbundene Anspruch war, lässt sich am Beispiel des Sozial-Instituts des Bistums Paderborn zeigen: Die in Dortmund gelegene Kommende machte sich den Titel des Bochumer Katholikentags von 1949 »Gerechtigkeit schafft Frieden« zu eigen und konzentrierte sich auf den Aufbau einer sozialen und politischen Grundordnung auf christlich-sozialer Grundlage. Andere Einrichtungen wie das Franz-Hitze-Haus in Münster profilierten sich als eine Mischeinrichtung, in der die soziale und politische Bildungsarbeit mit einer speziellen philosophischen, theologischen und kulturellen Ausrichtung gepaart wurde.266 Während und nach dem Zweiten Vatikanum und dessen Anstoß zu einer Öffnung hin zur Welt kam es zu einer ganzen Reihe weiterer Akademiegründungen, so zum Beispiel in Trier (1962), Lingen (1963), Augsburg (1965), Berlin (1966), Nürnberg (1970) und Hamburg (1973).

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Von besonderem Interesse sind die Akademien deshalb, weil sich in ihnen wie in einem Brennglas verschiedene innerkirchliche Entwicklungen verfolgen lassen. Besonders die evangelischen Akademien taten sich als Vorreiter von Erneuerungen hervor und deklinierten das Verhältnis von Religion und Politik auf unterschiedliche Weise. Das Selbstverständnis und das Ideal der 1950er Jahre war das der »neutralen Maklerrolle«: Den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften sollten die Akademien ein »Forum« für eine innergesellschaftliche Diskussion bieten. Programmatisch formulierte die EKD diesen Anspruch noch einmal in der Denkschrift Der Dienst der Evangelischen Akademien im Rahmen der kirchlichen Gesamtaufgabe von 1963. Die Akademien sollten nicht als »Lotsen«, sondern lediglich als »Foren« fungieren, in denen gesellschaftliche Konflikte überwunden werden konnten. Das spezifische Ziel der Kirche war es, »die von den Akademien erkundeten Lebensräume in eine dauerhafte Verbindung zur Kirche zu bringen.«267 Schon eineinhalb Jahrzehnte später hatte sich diese Ausrichtung deutlich gewandelt: Kirche wurde zunehmend nicht mehr nur als »Forum« verstanden, auf dem sich unterschiedliche gesellschaftliche Positionen in einer religiös geprägten Umgebung verständigen konnten. Zunehmend sollte Kirche als »Faktor« der Politik agieren. Trotz anhaltender Widersprüche entschied sich diese Diskussion spätestens 1976 zugunsten einer stärker gesellschaftspolitischen Ausrichtung der Kirche. Zahlreiche Teilnehmer an der Sitzung des Leiterkreises der Evangelischen Akademien sprachen sich am 11. Mai für ein stärkeres gesellschaftspolitisches Engagement ihrer Einrichtungen aus. Der Direktor der Akademie Arnoldshain, Martin Stöhr, begründete diese Neuausrichtung damit, dass das Evangelium selbst dazu auffordere, Neutralität aufzugeben und sich für die Unterdrückten einzusetzen.268 In diesem Sinne änderte sich auch das Selbstverständnis der Akademien. Je nach Leitung und deren Ausrichtungen sollten sie als »Anwalt«, manchmal auch als »Emanzipationsagentur« für verschiedene gesellschaftliche Anliegen und Interessengruppen wirken. Sowohl die evangelischen wie auch die katholischen Akademien fungierten in ihrem Einsatz für die Frauen-, Friedens-, Umwelt- und Dritte Welt-Bewegung als wichtige Scharniere zu den sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre. Für verschiedene evangelische Akademien wurde insbesondere das Engagement gegen das Apartheidregime in Südafrika zu einem wichtigen Punkt der Selbstidentifikation, verband sich doch auf diesem Feld die protestantisch-ökumenische Arbeit mit dem politischen Einsatz für die Unterdrückten. Charakteristisch für die Katholischen Akademien war es, dass sie sich stärker als ihre protestantischen Pendants am Kurs der Amtskirche orientieren: In bewusster Absetzung zu den evangelischen Einrichtungen betonten sie stärker die Vorstellung von einer Dichotomie zwischen Kirche und Welt, zwischen denen die Akademien zu vermitteln hätten. Unmittelbar bezog sich dies auf den mit dem katholischen Glauben verknüpften Anspruch auf Wahrheit. Von diesem Standpunkt aus wurde dann verschiedentlich das Agieren der Schwesterakademien und der dort eröffnete »weite Raum der Unverbindlichkeit« kritisiert.269 In den politischen wie auch kirchenpolitischen Diskussionen der 1960er und 1970er Jahre wirkten sie als innerkirchliche Clearingstellen. So boten sie bei-

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spielsweise in der Auseinandersetzung um verschiedene Wege der Friedenssicherung hervorragende Diskussionsforen, ohne aber die Minderheitenmeinungen tatsächlich zu integrieren.270 Mit dieser und anderen Moderationsleistungen wie auch als think tank und Laboratorium für neue religiöse Entwürfe und Formen kam den Akademien in der binnenkirchlichen Öffentlichkeit auch über die 1980er Jahre hinaus eine wichtige Funktion zu.271 Mit Blick auf die gesellschaftliche Diskussion außerhalb der Kirchen aber zeichnete sich im Laufe der 1970er und 1980er Jahre ab, dass sowohl der Einfluss der evangelischen als auch der katholischen Akademien parallel mit dem (partei)politischen Gewicht der Konfessionsgemeinschaften sank. Innerhalb der bundesdeutschen Zivilgesellschaft entwickelten sich diese Einrichtungen zu einer Stimme unter vielen.

Das »Ende der Hölle« und die »Gott ist tot«-Theologie. Neue Konzepte und Formen von Kirche und religiösem Leben Die massive Erosion von Kirchlichkeit wie auch der Wandel der binnenkirchlichen Öffentlichkeit waren begleitet von einer ebenso dramatischen Veränderung im kirchlichen Selbstverständnis. Was und vor allem wer ist Kirche? Die Antworten, die sich sowohl in der evangelischen wie auch in der katholischen Kirche entwickelten, orientierten sich zwischen den Polen einer stark institutionalisierten Organisation Kirche und der Vorstellung von Kirche als einem losen Zusammenschluss von engagierten Einzelpersonen und Gruppen. Aus der Institution Kirche wurde die Bewegung Kirche, zu der sich ebenfalls die den Ritualen Entfremdeten zählen konnten und aus Sicht der Kirchen auch sollten. Die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis beantworteten die evangelische und die katholische Kirche immer weniger exklusiv. Feste Kriterien für die Mitgliedschaft wie auch davon abgeleitete Verhaltensregeln, wie sie die Kirche des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hatten, wurden obsolet oder traten doch zumindest in den Hintergrund der kirchlichen Praxis. An Stelle von starren und eindeutigen Ein- und Ausschlusskriterien setzte man zunehmend auf eine inkludierende Kommunikation, mit der möglichst viele angesprochen werden sollten. Kirche verstand sich nicht mehr als Gegensatz zur Welt, sondern als deren Bestandteil. Dementsprechend zählte sie nicht nur die Getauften zu ihren Mitgliedern, sondern sah sich auch in besondere Beziehung zu den Menschen »guten Willens«, so die zeitgenössische und charakteristisch unspezifische Formulierung. Tendenziell entwickelten sich die Religionsgemeinschaften weg von den Modellen der Anstaltskirche des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Stattdessen eröffnete Kirche einen nur vage umrissenen Raum, dessen Konturen aus einer Melange von Altem und Neuem bestanden. Im Mainstream der Pastoral von Katholizismus und Protestantismus wurden die Großkirchen mehr und mehr zur Kommunikations- und Erlebnisgemeinschaft ohne hierarchische Abstufungen. Während es in der theologischen Selbstbeschreibung verschiedene Versuche der Vermittlung zwischen traditionellem Kirchenkonzept und dem neuen Selbstverständnis gibt, zeichneten sich die religiöse Praxis und die Verkündigung durch eine massive Verschiebung aus. Charakteristisch für diesen Veränderungsprozess war, dass die bis-

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lang gepflegten Aussagen und Formen nicht offensiv abgelegt, sondern stattdessen in den Hintergrund traten und nur noch von Randgruppen thematisiert wurden. Zentral ist der Wandel des Gottesbildes und der damit verbundenen Jenseitsvorstellungen: Aus den jahrhundertelang angedrohten Höllenqualen, die der strafende Gott im Jenseits verhängte, wurde die Vorstellung eines »zutiefst menschlichen Gott[es]«, der in »schöpferischer Liebe [all jenes] zurechtbiegt«, das sich »diesem Zurechtbiegen nicht völlig verschließt.«272 Immanenz und Transzendenz, Diesseits und Jenseits wurden in diesem Prozess in ein völlig neues Verhältnis zueinander gerückt. In Abhängigkeit davon und parallel dazu änderte sich auch die kirchliche Praxis: Aus der autoritären Verkündigung der christlichen Botschaften wurde während der 1970er Jahre kirchliche Beratung in ›Lebensfragen‹. An die Stelle der Mission der 1950er Jahre, die autoritär zu belehren trachtete, traten nach und nach kommunikative Strategien, die auf Überzeugen, Vermitteln und Dialog zielten.273 Dieser Wandel strahlte weit aus und berührte verschiedene bislang zentrale Achsen des Glaubenslebens in Deutschland. Ablesen lässt sich dieser Wandel zunächst in der seit Ende der sechziger Jahre populär rezipierten Theologie, also in denjenigen Entwürfen, die über Universitäten und Akademien hinaus wahrgenommen wurden: Für die katholische Kirche hatte das Zweite Vatikanum mit seiner »Volk-Gottes«-Theologie einen Anstoß gegeben. Im protestantischen Bereich fand dieses seine Entsprechung in der lutherischen Vorstellung vom »Priestertum aller Gläubigen«, welches man wieder stärker hervorhob. Im Rückgriff auf den deutsch-amerikanischen Theologen Paul Tillich unterschied die protestantische Theologin Dorothee Sölle auf dem Kirchentag von 1965 zwischen einer »manifesten« und einer »latenten« Kirche, die erst zusammen Kirche ergäben.274 In deutlicher Abgrenzung zu dieser Position monierte die Evangelische Zentrale für Weltanschauungsfragen im Jahr 1968, dass die Kirche »längst unsicher geworden [sei] in ihrer Unterscheidung von ›Gläubigen‹ und ›Ungläubigen‹«.275 Vergleichbar beschrieb der katholische Theologe Karl Rahner seine Glaubensgemeinschaft als eine »Kirche der Ungleichzeitigkeit«, in der zwischen »Altchristen« und »Neuchristen« zu unterscheiden sei. Insbesondere letztere, die die Zukunft der Kirche garantierten, zeichneten sich nicht unbedingt durch die Taufe als Mitglieder aus. Man müsse, so forderte Rahner, auch »die Sympathisanten um die Kirche herum praktisch zu ihr rechnen.«276 Später verdichtete er seine diesbezüglichen Überlegungen in dem Schlagwort vom »anonymen Christentum«.277 Diese Diskussionen beschränkten sich nicht auf theologische Fachdebatten, sondern zogen weite Kreise. Die Frage nach den Inklusions- und Exklusionskriterien wurde dabei immer wieder und höchst unterschiedlich thematisiert. Ein vorläufiger Höhepunkt war eine seit 1969 unter dem Schlagwort »Polarisierungsdebatte« in den evangelischen Landeskirchen geführte Diskussion, die wenige Jahre später auch in den Katholizismus schwappte:278 Besteht Christlichkeit schon darin, dass man Gemeinschaft beziehungsweise »Agape« stiftet? Oder gehört doch ein religiöser oder biblischer Bezug dazu? Der darin aufscheinende Trend zur Inklusion markiert aber nur die Oberfläche einer Entwicklung, wie man sie auch im intellektuellen Diskurs der Theologen wiederfindet.

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Ganz gravierend zeigte sich dieser Wandel in der Um- und Neudefinition zentraler Glaubensgehalte. Vor allem in der pastoralen Praxis verschoben sich seit den sechziger Jahren die Gewichte, wurden doch Gott und Welt in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt. Nicht mehr Schuld und Vergebung, Sündenfall und Erlösung sondern persönliches Leid und Heilung waren nun die Stichworte, mit denen in den pastoralen Handreichungen, der erbaulichen Literatur oder auch in der Kirchenzeitung das Verhältnis zwischen Gott und Welt, zwischen Transzendenz und Immanenz beschrieben wurde.279 Besonders tief greifend war der Wandel im Katholizismus, der im Unterschied zum Protestantismus viel uniformer auftrat. Anhand von katholischen Predigtvorlagen der vergangenen 150 Jahre hat daher der Religionssoziologe Michael Ebertz den Wandel des Gottesbildes und der davon abgeleiteten Jenseitsvorstellungen untersucht und auf diese Weise weitreichende Veränderungen herausgearbeitet:280 Mit dem Tod, so definierte die traditionelle katholische Lehre, sei es dem Menschen verwehrt, weiterhin für sein Seelenheil zu wirken oder gar das von der Kirche verwaltete Bußsakrament zu empfangen. Dann müsse sich der Mensch unmittelbar dem Richterspruch Gottes unterwerfen. Gott erweise sich in diesem Moment nicht als umfassend gnädig, sondern als gerecht. Er teile den Seelen den jeweils angemessenen Jenseitsstatus zu: Hölle, Fegefeuer (inklusive Hoffnung auf Reinigung von der Sündenschuld) oder Himmel – die möglichen Alternativen waren klar und in ihrer Endgültigkeit unbarmherzig. Jeder und jede hatte sich zu vergegenwärtigen, einer dieser Kategorien zugeordnet zu werden. Die Tendenz dabei war klar: Der Himmel wurde als ein positives und knappes Heilsgut skizziert, das nur wenigen vorbehalten sei. Einigen, wenn nicht gar die Mehrheit der Menschen blieb in der Vorstellungswelt der katholischen Predigt nur die Hölle mitsamt ihren Qualen. Zwar wurde schon im Verlauf des 19. Jahrhunderts nur noch vage prognostiziert, wie vielen Menschen tatsächlich das Schicksal der Hölle blühe, dass es aber das Gros der Toten war, blieb unzweifelhaft. Gott erschien in diesem Zusammenhang als »unverhältnismäßig brutal, grausam, zornerfüllt, furchterregend« und auch »durch negative Affekte (wie Rache) bestimmt.« Gott konnte diesem Bild zufolge »souverän über seine vergeltende, allerdings als strafend akzentuierte Gerechtigkeit« verfügen gegenüber einem Menschen, der sich des Ausmaßes seiner eigenen, auch inneren Sündhaftigkeit nie sicher sein konnte.281 Allein Maria als Muttergottes und Fürsprecherin wie auch die Heiligen konnten diesen potenziell auf Verdammnis angelegten Zusammenhang lindern. Vor allem aber entwickelte diese Vorstellung einen unmittelbaren Handlungsbezug für das Diesseits. Zwei Einsichten und das daraus abgeleitete Verhalten erhöhten die individuellen Chancen: Nur über die Beichte und das von der Kirche verwaltete Bußsakrament wie auch über ein gottgefälliges und sündenfreies Leben konnte man sich dem Himmel nähern. Intellektuell und theologisch blieb diese Grobskizze von Tod, Sünde und Schuld nicht unwidersprochen. Ebenso wurde die Trias von Himmel, Hölle und Fegefeuer im Untersuchungszeitraum seit 1850 immer weniger thematisiert: Während zu Beginn alle drei Elemente des eschatologischen Codes benannt wurden, nahmen seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Nennungen des Fegefeuers, aber auch der

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Hölle stetig ab.282 Insbesondere Ordensgeistliche, die bei der traditionellen Volksmission auf diese Bilder und Vorstellungen zurückgriffen, wussten zu berichten, dass sich bei der Schilderung der Hölle die Laien »den Bauch vor Lachen« hielten.283 Dennoch aber dominierte dieser Duktus die katholische Unterweisung bis in die 1950er Jahre und hatte weitreichende Folgen für das Kirchenverständnis, die davon abgeleitete Stellung des Priesters wie auch die Frömmigkeit der Laien. Schon wenige Jahre später hatte sich dieser bis in die 1950er Jahre zu beobachtende Heilspessimismus in sein Gegenteil verkehrt: »Die Liebe des Vaters, das ist Jesus Christus. In ihm sind wir Kinder Gottes geworden, in ihm ist uns Heil geschenkt […]. Das ist das erste: Gott heiligt uns. Vor unserer Entscheidung für Gott steht Gottes Entscheidung für uns. Er will unser Heil. Und er wird es vollenden. Das ist unsere Hoffnung.«284 Diese Predigtvorlage aus dem Jahr 1970 steht exemplarisch für das neue Modell zur Beschreibung des Zusammenhangs von irdischem Leben und dem Jenseits. Die Hölle war zum Tabuthema geworden. Das ehemalige Schmerzsymbol des Feuers wurde, wenn es überhaupt noch verwendet wird, umgedeutet in ein »Feuer-und-Flamme-Werden« für Gottes Liebe.285 Wo »Hölle« und »Fegefeuer« zunehmend verschwanden, blieb der »Himmel« dennoch wichtig und erlebte sogar noch eine Bedeutungssteigerung. »Das ursprünglich knappe bzw. ›sozial geschlossene‹ Heilsgut des ›Himmels‹ für wenige hat sich damit […] zum offenen Heilsgut für alle gewandelt, was damit an Attraktivität einbüßt. Kurz gesagt: Das Exklusionskonzept des transzendenten Glücks ist durch ein Inklusionskonzept ersetzt wurden. Noch kürzer, aber vieldeutiger: Der Himmel ist sozusagen ›geschenkt‹.«286 Und dort, wo das »Höllenwort überhaupt noch Verwendung findet, geht ihm gewissermaßen das Feuer aus.«287 Die eschatologisch geprägte Zeichnung Gottes als einer Instanz, die strafen und begnadigen kann, wich damit der Vorstellung eines »liebenden, sanften Aller- und Immererbarmers«.288 In unserem Zusammenhang interessiert nicht, wie das Abschmelzen und Verschwinden eschatologischer Vorstellungen theologisch zu bewerten ist. Von Bedeutung sind vor allem die Konsequenzen, die diese Veränderung der traditionellen Jenseitsvorstellungen für die soziale und die kulturelle Gestalt der Kirche hatten: Wenn sich statt der Androhung von Höllenqualen nun die Gnade gleichsam von selbst zuteile, sei zwar die Reichweite und das Inklusionsvermögen dieser Vorstellung maximal gesteigert. Gleichzeitig aber ist die Spannung von Immanenz und Transzendenz aufgehoben, da das Problem der Gnade nicht mehr in Relation steht zur persönlichen Lebensführung. Mit der »Abschattung der ›Hölle‹« sei »fraglich geworden, warum man sich noch um den ›Himmel‹ bemühen« solle.289 Die Spannung zwischen Immanenz-Transzendenz als zentrale Antriebskraft religiöser Lebensgestaltung war damit intellektuell, vor allem aber in der religiösen Pastoral und Praxis aufgehoben. Welche Konsequenzen dieses »Weg- und Ausschweigen traditioneller eschatologischer Code- oder Diskursmerkmale«290 für die praktische Seelsorge zeitigte, lässt sich am Bußsakrament andeuten: War die Beichte traditionell von der Spannung zwischen Sünde und Vergebung geprägt, sollte nun auch den pastoralen Leitbildern zufolge das Gespräch zwischen Priester und Gläubigen von einer anderen Konstellation ausgehen.

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Die Beichte sollte nun vorrangig dabei helfen, persönliche Leiden in der Kommunikation zu lindern. Eine adäquate Neufassung dieses Sakraments war damit nicht erreicht. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Entkirchlichung nahm die Bedeutung aller Sakramente ab, die traditionelle Beichtpraxis aber brach komplett zusammen. Auch andere Elemente der katholischen Frömmigkeit waren damit umgewertet worden. Insbesondere die Verehrung der heiligen Maria, der als Mutter Jesu im katholischen Denken eine besondere Rolle zukam, hatte damit ihren wichtigsten Bezugspunkt verloren. Neben einigen Heiligen wurde vor allem sie als Fürsprecherin »in der Stunde unseres Todes« angerufen, so heißt es in dem zentralen Grundgebet Ave Maria. Als Frömmigkeitselement wird Maria bis heute vor allem von den Gruppierungen verehrt, die sich explizit am alten eschatologischen Code orientierten und sich am Rande oder bereits im Spektrum des christlichen Fundamentalismus bewegten. Die Frage nach dem Wesen Gottes zog in unterschiedlichen Kontexten Kreise und provozierte sehr unterschiedliche Antwortversuche. Neben der fundamentalistischen Projektion, an der Vergangenheit festhalten zu können, entwickelten sich auch andere Varianten des Umgangs mit dieser Frage. Populär wurde vor allem die »Gott ist tot«Theologie und die von ihrem Grundanliegen eng damit verbundene politische Theologie. Deren Rezeption und Verbreitung ist in Deutschland vor allem mit dem Namen Dorothee Sölle verbunden.291 Die evangelische Theologin griff eine alte Idee auf und entwickelte diese weiter. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte der Philosoph Georg Friedrich Hegel die Rede vom Tod Gottes aufgebracht. Prominente Denker wie beispielsweise Friedrich Nietzsche und Søren Kierkegaard, aber auch Theologen wie Dietrich Bonhoeffer, Rudolf Bultmann und Paul Tillich hatten diesen Gedanken formuliert. Den verschiedenen Nuancierungen der »Gott ist tot«-Theologie lag eine gemeinsame Ausgangsfrage zu Grunde: Angesichts des Leidens auf der Welt kann Gott nicht allmächtig, ewig und barmherzig gedacht werden, so der kleinste gemeinsame Nenner. Stattdessen, so die intellektuelle Lösung, müsse Gott selbst als schwach und als leidend an der Unmenschlichkeit gedacht werden. Der Zivilisationsbruch von Auschwitz stellte den besonderen deutschen Kontext dar, in dem ein alles verstehender, alles rechtfertigender und alles regelnder Gott nicht denkbar war. Konnte man sich tatsächlich vorstellen, dass »Gott in all seiner Herrlichkeit da oben thronte und solche Dinge in Auschwitz mit veranstaltet hat«, so die provozierende Frage von Dorothee Sölle.292 Vor dem Hintergrund dieser Aporie dürfe Erlösung als christlicher Grundbegriff nicht in den »Himmel« oder an das Ende der Zeit verschoben werden, sondern fände vor allem auf der Erde selbst statt. Insbesondere amerikanische und englische Theologen wie der in Deutschland überaus populäre John Robinson akzentuierten die Immanenz Gottes in der Welt und die Verpflichtung zur Aktion. Statt auf Gott als eine transzendente Instanz zu verweisen, die die Ungerechtigkeit entweder stoppt oder am Ende aller Zeiten bestraft, müsse der Einzelne selbst innerweltlich Verantwortung übernehmen und sich für eine humanitärere Welt einsetzen. Damit war auch das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz neu zu definieren: Dietrich Bonhoeffer hatte

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an die Christen appelliert, sich für ein »religionsloses Christentum« einzusetzen, sich nicht von der Welt zu distanzieren, sondern diese als das ureigene Betätigungsfeld zu begreifen.293 In ähnlicher Weise ermunterte Dorothee Sölle mit einem ihre Bücher dazu, »atheistisch an Gott zu glauben«.294 Im Kontext der religiösen, theologischen und kirchlichen Veränderungen, Abbrüche und Neuaufbrüche in den sechziger Jahren trafen diese Überlegungen anscheinend den Nerv eines größeren (Lese)Publikums. Die Entkirchlichung und die zunehmende Entflechtung von Gesellschaft und Religionsgemeinschaften hatten den Boden für eine populäre Rezeption bereitet, die die bisherige Resonanz deutlich übertraf. Den Anfang einer breiteren Diskussion dieser Überlegungen in Deutschland machte der anglikanische Bischof Robinson mit seinem Buch Honest to God, welches unter dem Titel Gott ist anders in Deutschland erschien und binnen zwei Jahren zehn Mal aufgelegt wurde.295 Die Hauptaussagen, so kommentierte der Theologe Helmut Gollwitzer den publizistischen Anklang des Buches, seien nicht neu, sondern in der Theologie »allgemein geläufig«. Nur in einer größeren Öffentlichkeit habe sich das, so Gollwitzer, noch nicht herumgesprochen, so dass die erfrischend geschriebenen Thesen Robinsons eine besondere Aufnahme fänden.296 Auch wenn Theologen wie der Protestant Jürgen Moltmann oder der Katholik Johann Baptist Metz in ihrer politischen Theologie Elemente dieses Denkens weiterentwickelten und damit weit über die engeren Fachkreise hinaus bekannt wurden, avancierte doch Dorothee Sölle zur eigentlichen Repräsentantin der Gott-ist-tot-Theologie: Enorm engagiert und ebenso streitbar wie öffentlichkeitsgewandt verband sie ihre theologischen Überlegungen mit einem starken politischen Impuls. Sie setzte sich nicht nur für die Entwicklungszusammenarbeit mit der sogenannten »Dritten Welt« und für die feministische Bewegung ein, sondern profilierte sich auch als Kirchenkritikerin: Allzu sehr hätten sich die Kirchen in Deutschland wieder auf eine Zusammenarbeit mit dem Staat und den Mächtigen eingelassen, so dass der Glaube an Jesus Christus in keiner Weise eine tatsächliche Nachfolge Christi sei. Im Gegenteil: Theologie und Kirche domestizierten Jesus und blockierten seine Botschaft, die Welt zu verändern. Das Christentum, so provozierte Sölle, gehe so lange zugrunde, wie es sich nicht aus dieser Umklammerung befreie und zu einer wahren Christusnachfolge fände.297 Über Sölles Schriften und Medienbeiträge hinaus machten vor allem die »politischen Nachtgebete« ihr Anliegen und das ihrer Mitstreiter bekannt. »Dass die ›politische Theologie‹ hierzulande mehr war als eine Variante im theologischen Literatur- und Lehrbetrieb, verdankte sie ganz wesentlich den Politischen Nachtgebeten«, so der Zeitzeuge und Theologe Peter Cornehl.298 Auf der Suche nach neuen Gottesdienstformen verbanden die Initiatoren, zu denen neben prominenten Theologinnen und Theologen auch die Journalistin Vilma Sturm wie auch der Schriftsteller Heinrich Böll zählten, Elemente der Protestkultur von 1968 mit Impulsen der politischen Theologie der Zeit. Die ökumenische Initiative startete mit einem Skandal, so dass ihr von Beginn an eine große mediale Aufmerksamkeit gesichert war: Auf dem Essener Katholikentag hatten die Veranstalter dieses Vorhaben in die Abendstunden verbannt, um das

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Publikumsinteresse möglichst gering zu halten. Die deswegen als »politisches Nachtgebet« bezeichnete Veranstaltung sollte später in Köln wiederholt werden. »CSSR – Santo Domingo – Vietnam« – für das so betitelte Nachtgebet wollte der Kölner Kardinal Frings seine Kirche nicht zur Verfügung stellen und untersagte die Nutzung kirchlicher Gebäude in seinem Bistum. Insbesondere in Auseinandersetzung mit der Leitung der protestantischen Landeskirche, in deren Kölner Antoniter-Kirche die Treffen stattfanden, prallten zwei Generationen von Kirchenleuten aufeinander: Der Präses Joachim Beckmann stellte sich nicht allein auf Grund theologischer Differenzen gegen die Veranstaltung. Darüber hinaus verbot sich für das frühere Mitglied der Bekennenden Kirche jede Funktionalisierung des Gottesdienstes. Die Politik habe ihren Ort im Gürzenich, der Kölner Festhalle, nicht im Gottesdienst, so der Theologe.299 Damit traf er in der Gruppe der Initiatoren auf Unverständnis. Sie verstanden ihre Gottesdienste als problemorientierte, auf ein Thema und den Informationsaustausch konzentrierte Veranstaltungen. »Diskriminierungen«, der § 218, Mischehen, »Strafvollzug – noch / zu human?«, »Alarmzeichen Griechenland«, »Politisches Nachtgebet vor den Wahlen«, »Diktatur des Kapitals (Kapitalistischer Städtebau)« und wiederholt der Vietnamkrieg – nahezu alle Themen, die in der außerparlamentarischen alternativen Szene diskutiert wurden, griffen die Nachtgebete auf. Referate, Appell, Agitation – in den Formen, ihrer absoluten Wortlastigkeit und auch mit Blick auf die verteilten Texte ähnelten die Zusammenkünfte eher Universitätsseminaren. Das aus der Studentenbewegung übernommene Teach-In und nicht irgendeine bis dahin praktizierte Form des christlichen Gottesdienstes stand Pate für das Politische Nachtgebet.300 Zwar war die öffentliche Aufmerksamkeit groß und es fanden sich in verschiedenen westdeutschen Städten, aber auch in den Niederlanden und in der Schweiz rasch Nachahmer. Die Kölner Gruppe aber ging bereits nach dreieinhalb Jahren auseinander. Vor allem interne Differenzen hatten zur Spaltung geführt: Wie viel praktische Nächstenliebe wollte man auf die Gefahr hin leisten, damit das bestehende System zu stützen? Welche Bedeutung sollte dem Christlichen in der Gesellschaftsveränderung zukommen? Und: Wie war in diesem Zusammenhang »Sozialismus« als wichtiger Bezugspunkt der meisten Teilnehmer zu definieren? Diese und andere Fragen führten zu unüberbrückbaren Differenzen, die das Experiment rasch enden ließen. Auf regionaler Ebene führte ein Teil der Gruppe die Nachtgebete in modifizierter Form nur noch sporadisch fort. Andere Initiatoren schlossen sich in der Initiative Christen für den Sozialismus zusammen und setzten stärker auf die politische Ausrichtung ihrer Aktivitäten. Eine bleibende Bedeutung der Politischen Nachtgebete liegt sicher darin, dass sich auf diese Weise eine neue »Stimmführerschaft« im Protestantismus und darüber hinaus etablierte. Hinzu kam, dass sich mit Dorothee Sölle eine Frau in die erste Reihe der öffentlich wahrgenommenen Theologen und Kirchenmänner geschoben und diese sogar hinter sich gelassen hatte – auch das ein Novum in einer stark männerdominierten Kirche.301 Die »Gott ist tot«-Theologie und die politische Theologie gingen einher mit der Rezeption der lateinamerikanischen Befreiungstheologie in Deutschland. Was wesent-

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lich von katholischen Theologen Südamerikas getragen wurde, fand in Deutschland bei Christen beider Konfessionen eine zum Teil euphorische Aufnahme. Theologen und Kirchenmänner wie Leonardo Boff, Oscar Romero und insbesondere Dom Helder Camara, der 1973 für den Friedensnobelpreis nominiert worden war, zogen bei ihren Vortragsreisen große Aufmerksamkeit auf sich.302 Diese Begeisterung für die lateinamerikanische Theologie erklärt sich wesentlich vor dem Hintergrund der Situation in Deutschland. Vor allem für diejenigen progressiven Christen, deren Hoffnungen auf eine umfassende Reform und Erneuerung der Kirchen in Deutschland zerstoben waren, verkörperten die lateinamerikanischen Kirchenrepräsentanten ein willkommenes Gegenbild zu der heimischen Kirchenhierarchie: Bescheiden im Auftreten, spartanisch im Lebensstil und ebenso direkt wie offen in ihren Aussagen »schienen sie eine positive Alternative zu verkörpern und wurden schon rasch als ›Propheten‹ bejubelt.«303 Hinzu trat das Image der lateinamerikanischen »Basisgemeinden« als selbst organisierte, auf die Beseitigung von Unterdrückung ausgerichtete und vor allem hoch lebendige Formen christlicher Vergemeinschaftung. Insbesondere in ihrer idealisierten Wahrnehmung boten sie vieles von dem, was in den westlichen Religionsgemeinschaften vermisst wurde. Die Begeisterung für die Theologie der Befreiung blieb indes ein ›Hype‹, der im Laufe der 1980er Jahre deutlich abkühlte. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Entkirchlichung waren es mehrere Gründe, die diese Entwicklung erklären. Die sozialen und politischen Kontexte Lateinamerikas, in denen sich die neue Interpretation des Christentums entwickelte, waren kaum mit den Zuständen in Deutschland zu vergleichen. So war beispielsweise die sozialistische und marxistische Grundorientierung vieler Befreiungstheologen in der politischen Kultur des Kalten Krieges, wie er im Deutschland der 1980er Jahre vorherrschte, kaum für größere Kreise anschlussfähig. In vielem schien die Lateinamerikabegeisterung ein Generationenprojekt derjenigen, die die Impulse der Studentenbewegung von 1968 in die christlichen Kirchen übertragen wollten. Schon wenige Jahre später trafen diese Ideen kaum noch auf Resonanz. Dennoch waren die verschiedenen Innovationen, wie sie im Kontext der »Gott ist tot«-Theologie, der politischen Theologie wie auch der Rezeption der Befreiungstheologie entstanden waren, durchaus folgenreich. Nicht allein in den Studentengemeinden, den Jugendverbänden oder den theologischen Fakultäten, sondern auch in der professionalisierten kirchlichen Entwicklungshilfe wie Misereor und Adveniat blieben diese Ansätze populär. Letztlich knüpften auch die in vielen gewöhnlichen Kirchengemeinden obligatorische Dritte-, später dann Eine-Welt-Gruppen an diesen Strang an.

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Traditionsabbruch und Transformation in den langen sechziger Jahren Für die Entwicklung der Religion in Deutschland brachten die »langen« 1960er Jahre eine entscheidende Entwicklung. Zwischen dem Ende des ersten Nachkriegsjahrzehnts und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre beschleunigte sich ein Trend, dessen Entstehung sich vorher bereits abgezeichnet hatte: Die Bindung an die traditionellen Konfessionen, ihre Organisationsformen und religiösen Praktiken nahm dramatisch ab. Die Zahl der Katholiken und Protestanten sank. Ihre Bereitschaft zum sonntäglichen Kirchgang, dem Kommunionempfang ging ebenso zurück wie die Anzahl der kirchlich geschlossenen Ehen, der Taufen und der Kinder, die in konfessionellen Schulen erzogen wurden. Die Religionsgemeinschaften in Deutschland waren damit Akteure und Objekte einer Entwicklung, wie sie auch in den Gesellschaften der USA, in Kanada, Australien und Neuseeland ebenfalls zu beobachten sind. Auch dort veränderten sich die konfessionell geprägten Lebenswelten zum Teil dramatisch.304 Ausgehend von unterschiedlichen Niveaus religiös-kirchlicher Bindung erodierten diese Zusammenhänge, manche Konstellationen wie zum Beispiel die katholische »Säule« in den Niederlanden, zerfielen fast vollständig. Die organisierte und sichtbare Religion verlor an Integrationskraft. Religiöses Leben wurde »unbestimmter, unsichtbarer, hintergründiger«.305 In den Folgejahrzehnten waren die religiösen Felder in den betrachteten Gesellschaften vielfältiger, pluralistischer und in vielen Fällen auch weniger virulent. Bedeutete diese Entwicklung auch einen Abbruch von Religiosität im Sinne einer tief greifenden Säkularisierung? Oder fand das Bedürfnis nach Orientierung an einer transzendenten Vorstellung seitdem lediglich andere Bezugspunkte und Ausdrucksformen? Während übereinstimmend gesehen wird, wie stark Entkirchlichung das religiöse Leben prägte, ist die Diskussion weitergehender Fragen jedoch hoch kontrovers. Was eigentlich war der Kern der religiösen Krise der 1960er Jahre? Handelte es sich bei diesem Prozess um einen plötzlichen Bruch oder doch eher um eine evolutionäre Entwicklung, die vor allem als eine Verstärkung langfristiger Trends zu erklären ist? Was trieb diese Entwicklung an? Daran schließt sich eine Frage an, die insbesondere in den Religionsgemeinschaften kontrovers debattiert wird: Ist dieser Wandel vor allem als Element eines umfassenden gesellschaftlichen Umbruchs zu verstehen, so dass die allgemein höhere Mobilität, der wachsende Wohlstand oder der veränderte Medienkonsum als Ursachen zu benennen sind? Oder sind es vor allem die inneren Entwicklungen in den Religionsgemeinschaften selbst, die den Bruch mit der Vergangenheit bewirkten? Wie in vielen Fällen wird man keine dieser Fragen eindeutig beantworten können. Dennoch aber wird an dieser Stelle die Zäsur betont, welche die 1960er Jahre für das religiöse Feld in Deutschland bedeuteten. »Was sich wirklich ereignete«, so lässt sich mit dem belgischen Religionshistoriker Patrick Pasture auch für die Entwicklung in Deutschland konstatieren, »ist vor allem ein fundamentaler Bruch in der Geschichte.«306 Der Himmel, der im Titel dieses Buches als Metapher für einen christlich geprägten Transzendenzbezug steht, ging in diesem Zeitraum verloren. Er war damit zwar nicht

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gänzlich verschwunden, aber doch für einen immer größeren Teil der Bevölkerung nicht mehr relevant. Schlagartig und wie »über Nacht« wurde dieser Wandel öffentlich, von vielen auch zum Maßstab des eigenen Lebens und damit weithin sichtbar.307 Ein Anstieg der Kirchenaustritte um das Vier- bis Fünffache, ein Einbruch des Gottesdienstbesuchs um ein Drittel und weitere Indizien des Umbruchs stachen in der zeitgenössischen Wahrnehmung vor allem im Kontrast zur unmittelbaren Nachkriegszeit und den 1950er Jahren hervor. Die Kirchlichkeit unmittelbar nach Kriegsende wurde in der Wahrnehmung konsequent überschätzt und auf diese Weise noch einmal überhöht. Der Absturz zum Ende der 1960er Jahre wurde deshalb umso dramatischer wahrgenommen und thematisiert. Eingebunden war dieser Prozess in einen übergreifenden gesellschaftlichen Umbruch, der in seinen Wirkungen weit über das religiöse Feld hinaus reichte. Die Konturen der klassischen Industriegesellschaft lösten sich auf. Die sozialen Strukturen und die gesellschaftliche Selbstwahrnehmung veränderten sich rasch: Die vormals so scharf empfundenen gesellschaftlichen Grenzen zwischen den Klassen und Schichten wurden schwächer und vor allem immer weniger als gesellschaftsprägend empfunden. Auch wenn sich die ökonomische Basis nicht veränderte, nahmen sich immer größere Teile der Gesellschaft jenseits von Klassen und Schichten wahr. Dazu trug unter anderem der Durchbruch des Massenkonsums bei. Die Einbindung in den globalen Warenaustausch, vor allem aber die Auswirkungen des sogenannten Wirtschaftswunders eröffnete für viele neue Möglichkeiten des Konsums. Zum Symbol für die gesteigerte Mobilität wurde das Automobil wie auch die Ferienfernreise, mit der man die gestiegene Freizeit und den Urlaub füllte. Zusätzlich löste der Fernseher das Radio als Leittechnik einer umfassenden Medialisierung weitgehend ab. Die Bilder und Informationen aus aller Welt weiteten die Wahrnehmung der Fernsehzuschauer und lenkten diese in ganz neue Richtungen. Von diesem Übergang von der Industrie- oder Hochmoderne in einen anderen Typus von Modernität war selbstredend nicht allein das religiöse Feld betroffen, sondern alle Großgruppenmilieus. So erodierte zum Beispiel das in der Weimarer Republik noch fest gefügte Arbeitermilieu innerhalb weniger Jahrzehnte und damit in einer Geschwindigkeit, die der Entwicklung in den kirchlich-religiösen Lebenswelten durchaus vergleichbar war. Über diese allgemeinen und statistisch-quantitativen Hinweise hinaus aber qualifizieren weitere Umstände die Entwicklung der langen 1960er Jahre im religiösen Bereich als einen eher kurzfristigen und massiven Bruch. Ganz zuvörderst zählt dazu die veränderte Wahrnehmung und öffentliche Thematisierung der Kirchenkrise. Bereits in den 1950er Jahren war in der kirchlichen Leitungsebene nicht unbemerkt geblieben, dass das Aufblühen organisierter Kirchlichkeit nicht auf einer soliden Basis ruhte. Diese Erkenntnis wurde aber allenfalls intern diskutiert, avancierte nicht zum Thema der öffentlichen Debatte und erst recht nicht zur Titelstory eines der auflagenstarken Magazine, wie es dann in den sechziger und siebziger Jahren geschah. Dieses veränderte Reden über die Krise war Ausfluss eines gelockerten Verhältnisses von Politik, Gesellschaft und Religion wie auch zugleich ein Beschleuniger dieses Prozesses. Medial

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war nun überaus präsent, dass eine enge Kirchenbindung nicht mehr gesellschaftliche Norm war. Religiöses Anders-Sein oder gar die Abstinenz, so war nun für jeden und jede erkennbar, stellten keinen Ausnahmefall mehr dar, sondern waren weithin als Optionen der persönlichen Lebensgestaltung erkennbar. Das gilt ebenso und in verschärfter Weise für die Normierungen in den Bereichen der Familie und der Sexualität, mit denen sich die christlichen Großkirchen besonders stark verbunden hatten. Zum Markenzeichen beider, vor allem aber der katholischen Kirche, avancierte das Festhalten an traditionellen Werten und Moralvorstellungen. Man schickte sich an, eine vermeintliche oder tatsächliche Lockerung der Sitten wieder zurückzudrehen. In diesem Bemühen sah man sich in den Jahren nach dem Krieg verbunden und unterstützt von der politischen Seite. Allein: Schon vor der Lebensstilrevolution der 1960er Jahre hatten nicht nur immer größere Teile der Gesellschaft, sondern auch der eigenen Mitglieder in diesen und weiteren Punkten die Gefolgschaft verweigert. Das Hinwegsetzen über traditionelle Normen wurde immer selbstverständlicher. Geschah dies in den 1950er Jahren noch stillschweigend, brachte der neue Duktus der Kirchenkritik auch dieses Thema in die Öffentlichkeit. Mit der Ablehnung dieser Wertvorstellungen ging oftmals auch ein Abrücken von denjenigen Institutionen einher, die mit diesen Themen besonders stark identifiziert wurden. Was in vormaligen Jahrzehnten ein meist auf kleine Kreise beschränktes Phänomen war, entwickelte sich im Laufe der fünfziger Jahre zu einem Massenphänomen. Zum Ende der 1960er Jahre und im Gefolge des kirchlichen »1968« entwickelten sich Themen der Sexualmoral selbst, aber auch die damit verbundenen Fragen nach Autorität zu den wichtigsten Streitpunkten innerhalb der Kirchen. Die Religionsgemeinschaften waren nicht nur passive Objekte, sondern auch aktive Gestalter dieses Wandels, wie sich an der Veränderung des »religiösen Codes« zeigen ließ. Der in der populären Religionsliteratur so hervorstechende Paradigmenwechsel von »Heil und Verdammnis« hin zu »Liebe«, zu »Verletzung« und anschließender »Heilung« korrespondierte eine neue Sozialfigur des Christen: nämlich die des Suchenden. Natürlich kennt die Geschichte der christlichen Kirchen eine ganze Reihe von »Gottsuchern«. Insbesondere in der monastischen Tradition, aber auch im Topos des Pilgers war die Idee des Zweifelns und Suchens immer präsent. Als Ideal und Leitbild existierte dieser Topos aber nur für eine elitäre Minderheit der Religionsgemeinschaft. Das Gros der Kirchenmitglieder sah sich verpflichtet auf Geschlossenheit und Folgsamkeit. Besonders prägnant zeigten sich diese Tendenzen im katholischen Milieu, aber auch den protestantisch-volkskirchlichen Strukturen des 19. und 20. Jahrhunderts waren ähnliche Inhalte nicht fremd. In den 1970er Jahren kehrte sich dieser Akzent um: Die zuvor dominierenden, auf klare Grenzziehungen abzielenden Exklusionssemantiken wurden schrittweise durch inkludierende Sprach- und Denkmuster ersetzt. In der Pastoral und der Verkündigung wurden die Gläubigen nicht mehr als Teil des Kollektivs oder gar als Glied der »wohlgeordneten Schlachtreihe« gesehen. Der Hauptakzent in der Gemeindepastoral verlagerte sich (und liegt vermutlich bis heute) auf der Betonung der Freiheit

Traditionsabbruch und Transformation in den langen sechziger Jahren

des Individuums, seinen Weg zu gehen, Erfahrungen zu machen und sich zu korrigieren. Der »Suchende« trat an die Stelle desjenigen, der treu der Lehre seiner Kirche folgte. Mit Vokabeln wie »Auswahlchristentum«, »Bricolage« oder »Leutereligion« beschreiben Pastoraltheologen und Religionssoziologen diese Prozesse; ihren Ausgangspunkt haben sie in den »langen« sechziger Jahren. Diese veränderten Dispositionen in der religiösen Selbstbeschreibung wie auch im individuellen Selbstverständnis vieler Gläubiger hatten gravierende Konsequenzen für die Sozialformen des Religiösen: Statt auf Abgrenzung basierende Formen der Vergemeinschaftung prägten (und prägen) instabile religiöse Identitätsbildungsprozesse mit synkretistischen Zügen und neuen, auf eine breite gesellschaftliche Inklusion zielende Praktiken das öffentliche Wirken von Religionsgemeinschaften. Diese Ausprägungen von Pluralisierung und Individualisierung im religiösen Feld, wie sie für die siebziger und achtziger Jahre kennzeichnend waren, bedeuteten den endgültigen Abschied von der historisch kulturell exzeptionellen Stellung, wie sie die Kirchen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den fünfziger Jahren innehatten. Auf diese Weise hat sich die Stellung von Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft ebenso verändert wie die Formen, in denen Religiosität individuell und kollektiv gelebt wird. Damit wurde eine Epochenschwelle überschritten und eine bestimmte Sozialform der Religion abgelöst. Diesen Bruch zwischen den 1950er und 1970er Jahren in dieser Weise zu beschreiben, bedeutet aber zugleich eine Absage an die Vorstellung, dass das religiöse Feld damit verschwunden wäre. Die »langen« 1960er Jahre haben das religiöse Feld in Deutschland dramatisch verändert, beseitigt haben sie es nicht. Stattdessen entwickelten sich offene, plurale und nur noch lose an den Großkonfessionen orientierte Formen religiösen Lebens.

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3. Aus Kirche wird Religion. Brüche und Veränderungen im religiösen Feld bis heute

Die seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu beobachtenden Konflikt- und Entwicklungslinien reichen in vielerlei Hinsicht unmittelbar an unsere Gegenwart heran. Fragen nach der Stellung der Religion allgemein, aber auch nach der Prägekraft des Christlichen in unserer Gesellschaft werden früher wie heute diskutiert. Spielt Religion in der Gesellschaft der Gegenwart eine Rolle – und wenn ja welche? Hat ihr Einfluss abgenommen, da die Gesellschaft zunehmend säkularisiert? Oder ist ganz im Gegenteil gar von einer »Wiederkehr der Götter« auszugehen?1 Eng verbunden damit ist die Frage nach der Bewertung des Einflusses des Religiösen: Ist Deutschland (noch) eine christliche Gesellschaft? Oder doch eher eine multireligiöse Nation? Die Voraussetzungen für diese und weitere Diskussionen entwickelten sich seit den 1970er Jahren, indem sich die allgemeine Wahrnehmung des religiösen Feldes öffnete. Religiöse Phänomene wurden zum Beispiel immer stärker zum Thema der Medien. In diesen permanenten öffentlichen Diskussionen änderte sich das Verständnis davon, was als Religion zu verstehen sei. Sendete der »Kirchenfunk« in den 1950er Jahren vor allem Nachrichten und Hintergrundbegriffe über die katholische und die evangelische Kirche, so berichtete in den 1970er Jahren die Abteilung »Glaubenssachen« über »Religion«. Unter diesem Sammelbegriff fasste man nun ein deutlich breiteres Spektrum von Glaubensrichtungen. »Religion« umfasste Muslime, Juden, Buddhisten und Hindus ebenso wie diejenigen, die sich dem New Age, der Astrologie, dem Okkultismus oder anderen Formen der Weltdeutung verpflichtet sahen. Verbal waren die Kirchen damit im öffentlich-medialen Sprachgebrauch zu einem Religionsanbieter unter vielen degradiert worden.2 Prinzipiell war das religiöse Feld auch in der Bundesrepublik der 1950er Jahre vielfältig, in der öffentlichen Wahrnehmung blieb es aber doch auf die zwei großen christlichen Konfessionen beschränkt. Nun rückten die Medien und ihre Berichterstattung zunehmend in das allgemeine Bewusstsein, dass es vielfältige andere Sozialformen für gelebte und geäußerte Religion gab. Die Wahrnehmung des religiösen Feldes fächerte sich sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in der wissenschaftlichen Beschreibung auf. Die Debatte um Religion und deren Entwicklung ist ebenso vielstimmig wie hochdifferenziert. Lediglich eine allgemeine Aussage wie die, dass Religion in der Öffentlichkeit wieder ein viel beachtetes Thema ist, wird rasch Konsens finden in der Gruppe derjenigen Zeitdiagnostiker, die der Bundesrepublik und ihrer Gesellschaft regelmäßig den Puls fühlen. Es lassen sich national wie international zahlreiche Phänomene beobachten, ohne dass man gleich den islamistischen Terror bemühen müsste, um der Präsenz der Religion in der Geschichte der Gegenwart gewahr zu werden. In den politischen Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa Ende der 1980er

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Jahre haben die katholische wie auch die protestantische Kirche wichtige Rollen eingenommen und demonstrierten damit, dass Religion wieder (oder immer noch) eine, auch in politischer Hinsicht gestaltende Kraft in Europa zukommt. Wo dieser Einfluss in den osteuropäischen Nachbarländern zum Teil noch bis weit in die 1990er Jahre reichte, ist für die DDR und später für das wiedervereinigte Deutschland ein zwiespältiges Bild zu zeichnen: Auf der einen Seite waren es zweifelsohne die protestantischen Landeskirchen als eine der wenigen eigenständigen Institutionen in der SED-Diktatur, die mit ihrer Existenz und mit ihren Strukturen wichtige Voraussetzungen für die friedliche Revolution boten. So hat das Ende der DDR unter anderem seine Wurzeln in den Verkündigungsblättern und Kirchenkellern und wurde nicht allein, wohl aber zu einem wichtigen Anteil von einer Oppositions- und Bürgerrechtsbewegung mit bewirkt, die maßgeblich dem protestantischen Milieu entstammte. Ebenso sehr sticht aber auch ins Auge, dass diese wichtige Funktion der protestantischen Kirche in den Jahren 1989 und 1990 sich danach weder in der Glaubenspraxis noch in der politischen Kultur des wiedervereinigten Deutschlands niederschlug: Der Osten Deutschlands ist einer der am nachhaltigsten säkularisierten Regionen Europas, und den Bonner wie auch den Berliner Politikbetrieb haben die protestantischen Oppositionellen nur am Rande geprägt.3 All diese Überlegungen zeigen in der Summe eines deutlich: Die von vielen Sozialwissenschaftlern und (vermeintlichen) Aufklärern lange Zeit gehegte Erwartung, die Religion werde im Modernisierungsprozess gleichsam von selbst verschwinden, hat sich nicht erfüllt. Die neue Sichtbarkeit des Islams, die Transformation der jüdischen Gemeinden in Deutschland durch den Zustrom neuer Mitglieder aus Osteuropa, die mediale Präsenz des Christentums in Form von Fernsehserien über Pfarrer und Nonnen oder Megaevents wie der internationale »Weltjugendtag« der katholischen Kirche zeigen vielmehr, dass mit den Begriffen Religion und Religiosität auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und der kollektiven wie individuellen Identitätssuche angesprochen sind. Aber schon die Folgerungen, die aus diesen Beobachtungen gezogen werden, gehen weit auseinander: Sind diese Phänomene tatsächlich auf eine Renaissance des Religiösen zurückzuführen? War Religion als wichtiger Faktor des gesellschaftlich-kulturellen Lebens einfach nur eine Zeit lang aus dem Fokus der Öffentlichkeit und der Wissenschaft verschwunden und wird nun wieder wahrgenommen? Oder ist das Reden über Religion doch viel stärker zu unterscheiden vom Reden aus religiöser Überzeugung, so dass wir es vor allem mit einem Diskursphänomen zu tun haben, unter dessen feuilletonistischer Oberfläche die gelebte Religiosität weiterhin erodiert? Offensichtlich ist die Tatsache, dass sich religiöses Leben heute stark vom Glauben der Väter (und Mütter) unterscheidet. Selbst dann, wenn die Konfessionsbezeichnung identisch geblieben ist, haben sich doch die mit diesem Etikett verbundenen Glaubensinhalte und -praktiken in der Regel fundamental verschoben. Die Rede von der »Rückkehr der Religionen«4 oder der »Wiederkehr der Götter«5 verdeckt daher, dass es nicht die alten Götter sind, die uns in Gestalt der neuen Religion begegnen. Vielmehr waren

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diese selbst, genauer: die Vorstellungen, die sich die Menschen von ihnen machten, in den letzten Jahrzehnten einem rasanten Transformationsprozess unterworfen. So sind beispielsweise die Gottesbilder von europäischen Christen der 1950er Jahre im heutigen religiösen und theologischen Diskurs kaum mehr anzutreffen.6 Auch sozialund strukturgeschichtlich unterlag das Christentum in Westdeutschland wie in anderen europäischen Ländern einem deutlichen Gestaltwandel: Ließ sich in den 1950er Jahren zumindest im Hinblick auf den bundesrepublikanischen Katholizismus noch mit guten Gründen von einem relativ geschlossenen sozial-moralischen Milieu reden, so erodierte dieses spätestens mit der Kirchenkrise zum Ende der 1960er Jahre, die zu einem bis heute anhaltenden massiven Mitgliederschwund der Kirchen führte.7 Insofern ist auch »Säkularisierung« im Sinne voranschreitender Entkirchlichung ein Faktum, das die Entwicklung des religiösen Lebens immens prägt.8 Wenn wir heute dennoch von einer (neuen) Präsenz des Religiösen in den modernen westlichen Gesellschaften sprechen, dann handelt es sich daher nicht um eine Rückkehr des Alten, sondern allenfalls um Formen einer neuen »post-säkularen« Religion (Jürgen Habermas), die gegenüber früheren religionsgeschichtlichen Mustern durch starke Pluralisierung und Individualisierung der persönlichen Glaubensinhalte sowie eine nicht minder starke Fragmentierung und Amalgamierung der unterschiedlichen Traditionsbezüge gekennzeichnet ist. Individuelle wie auch gruppenspezifische Sinnsuche findet vielfach in veränderten, wenn nicht sogar in neuen Kontexten statt. Auch wenn die Marktmetapher für die Beschreibung des religiösen Feldes in Deutschland nur sehr bedingt taugt, so ist auch hier die Zahl der »Anbieter« religiöser Sinn- und Deutungssysteme enorm gewachsen.9 Die »Nachfragenden« suchen nach einem persönlichen wie auch zeitlich unmittelbaren Sinnangebot und einer damit verbundenen Transzendenzerfahrung – ein Bedürfnis, das trotz verschiedener Anpassungsleistungen der etablierten Religionsgemeinschaften in den Formen traditioneller, meist familiengebundener Kirchlichkeit nicht gestillt wird. Im internationalen, vor allem aber im transatlantischen Vergleich zeigt sich rasch, dass die Zahl derjenigen, die sich in Deutschland an diesen neuen Formen der religiösen Sinnsuche orientieren, vergleichsweise klein ist.10 Da die Geschichte dieser jüngsten Vergangenheit ganz unmittelbar in unsere Gegenwart hineinspielt, sind es oftmals keine historischen Studien, sondern religionssoziologische oder im weitesten Sinne sozialwissenschaftliche Beiträge, die auf diesem Hintergrund die religiöse Landschaft zu beschreiben versuchen. Viele der dabei aufgegriffenen Entwicklungen sind noch im Fluss, so dass manche Aussagen kursorisch bleiben müssen. Hinzu kommt, dass manche der aufgestellten Diagnosen sich dezidiert auch als zeitgenössische Debattenbeiträge verstehen und somit wissenschaftliche Analyse und zeitgenössische Deutungs- und Positionierungskämpfe ineinander übergehen. Vor diesem Hintergrund wird es in den folgenden Abschnitten darum gehen, die vielfältigen Daten und Aussagen zum Zustand und zur Entwicklung des religiösen Feldes in Deutschland zu bündeln und, mit aller dabei gebotenen Vorsicht, die Trends der vergangenen drei Jahrzehnte zu beschreiben.

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3.1 Der Glaube im Leben. Diffusion und Differenzierung des religiösen Feldes Am Anfang steht eine Sondierung des Zahlenwerks, welches einen ersten Eindruck vom aktuellen Zustand wie auch von der in der jüngsten Vergangenheit zu beobachtenden Entwicklung vermittelt. Die Befunde sind vielfältig, greifen zum Teil ineinander, liefern aber auch widersprüchliche Ergebnisse, so dass mit diesem Zugriff ebenso viele Fragen angestoßen wie Antworten gegeben werden. Schauen wir auf die formalen Zugehörigkeiten zu den Religionsgemeinschaften, dann ergibt sich ein recht eindeutiger Trend: Waren laut Statistischem Bundesamt noch 1970 fast 95 Prozent der Bevölkerung Mitglied einer der großen christlichen Kirchen (49 Prozent evangelisch, 44,6 Prozent katholisch), wurden nur 3,9 Prozent als »konfessionsfrei« gezählt und 1,3 Prozent als Muslime.11 17 Jahre später hatte sich das prozentuale Verhältnis gravierend verschoben: 42,9  Prozent Katholiken und 41,6 Prozent Protestanten umfassten 1987 83,5 Prozent der Bevölkerung, 11,4 Prozent bezeichneten sich als »konfessionsfrei« und 2,7 Prozent gehörten muslimischen Glaubensgemeinschaften an. Mit der Wiedervereinigung 1990 schnellte der Anteil derjenigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehörten, in die Höhe: 22,4 Prozent Konfessionsfreie standen nun 36,9 Prozent Protestanten, 35,4 Prozent Katholiken und 3,7 Prozent Muslime gegenüber. Das Anwachsen der »Konfessionsfreien« war aber nicht nur ein Effekt der Wiedervereinigung. In beiden Teilen Deutschlands wuchs die Zahl derjenigen, die keiner Konfession angehörten, auch über 1990 hinaus, so dass diese Gruppe 2003 bereits 31,8 Prozent der Bevölkerung umfasste und quantitativ mit den beiden christlichen Konfessionen gleichzog. Wenige Jahre später schon überrundeten sie diese aber: Zum Jahresende 2007 war die Zahl der Konfessionsfreien auf 33,8 Prozent gestiegen, die von Katholiken und Evangelischen auf 30,1 Prozent bzw. 30,2 Prozent gefallen. Die dabei zu beobachtende Entwicklung schreibt sich fort: Ende 2010 sank die Zahl der Angehörigen in den christlichen Großkirchen erneut (29,3 Prozent katholisch, 29,2 Prozent evangelisch), der Anteil der Konfessionsfreien betrug 37,2 Prozent und damit, umgerechnet in absoluten Zahlen, ca. 30 Millionen der insgesamt 81,8 Millionen Einwohner in Deutschland. Zwei wenig beachtete Ergebnisse lassen sich aus diesen Zahlen ableiten: Noch ist die Mehrheit der Bevölkerung zumindest formal an eine der Religionsgemeinschaften gebunden. Verlängert man den Trend der vergangenen Jahre aber in die Zukunft, dann wird um 2025 die Mehrheit der Bevölkerung keiner der christlichen Konfessionen mehr angehören.12 Momentan sieht es so aus, so beschreibt es der Religionssoziologe Gert Pickel, »als werde Konfessionslosigkeit in den nächsten Jahrzehnten im gesamten Bundesgebiet eher zur Norm, anstatt noch eine Besonderheit darzustellen.«13 Umgekehrt verschiebt sich damit die Perspektive auf die Gruppe derjenigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören: Gelten die »Konfessionsfreien« als Konfession, dann wären sie in Deutschland die zahlenstärkste! Sowohl in der Forschung als auch in der öffentlichen Diskussion wird dieses Gesellschaftssegment aber weitgehend ausgespart. Dessen Angehörige lassen sich zwar in Abgrenzung zu den Konfessions-

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gebundenen zusammenfassen. Oftmals aber sind sie indifferent gegenüber jeglicher Art von Religion oder praktizieren andere Formen von Religion. Ein gemeinsames Ziel, das die verschiedenen Gruppen in dieser Kategorie eint, existiert nicht. Der dezidierte Impuls, die eigene Religionslosigkeit offensiv zu vertreten, ist die Ausnahme von der Regel: Nur ca. 37.000 Personen und damit ein Bruchteil der Konfessionsfreien organisierten sich in agnostischen, atheistischen oder freidenkerischen Zusammenschlüssen und versuchten aktiv die eigene Überzeugung von Wert und Sinn der Religionslosigkeit zu propagieren.14 Wie begründet die Prognose ist, dass der Anteil der Christen in der deutschen Gesellschaft schon bald unter die symbolisch wichtige Schwelle von 50 Prozent der Bevölkerung sinken wird, zeigt ein Blick auf die Entwicklung in den zwei christlichen Großkonfessionen. Berücksichtigt man den Zeitraum zwischen Wiedervereinigung und heute, ging die Zahl der Mitglieder in beiden Konfessionen zurück: Jährlich verliert die evangelische Kirche 0,6 Prozent ihrer Mitglieder. Verglichen mit 1990 hatte die evangelische Kirche in Deutschland 2008 ca. 4,9 Millionen Mitglieder weniger: 3,7 Millionen waren seit 1990 ausgetreten, 6,7 Millionen verstorben. Hinzugewonnen hatte man 4,2 Millionen neu Getaufte und 1,1 Millionen Wiedereintritte. Während aber die Sterbezahlen stiegen, gingen die Geburten und damit auch die potenziellen Taufen stark zurück. Nicht allein die geringe Geburtenrate bewirkte diese Veränderung, sondern auch eine geringere Bereitschaft die Kinder in die Kirche aufnehmen zu lassen, verstärkten das Minussaldo: Wurden Mitte der 1960er Jahre noch die Hälfte aller Neugeborenen evangelisch getauft, ist dieser Anteil seit 2000 auf unter 30 Prozent gesunken.15 Die katholische Kirche verzeichnet eine vergleichbare Entwicklung, verliert sie doch ebenfalls jährlich circa 0,6 Prozent ihrer Mitglieder. Während sich die Austrittszahlen in der katholischen Kirche in der Vergangenheit meist auf einem niedrigeren Niveau bewegten und auch die Ausschläge jeweils weniger stark waren, glich sich diese Zahl derjenigen der Protestanten an und übertraf diese im Jahr 2010 erstmals. Die Skandale um den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen in kirchlichen Einrichtungen wie auch die aus Sicht vieler Gläubiger unzureichende Reaktion der Kirchenführung führten dazu, dass circa 180.000 Katholiken und damit 50.000 mehr als im Jahr zuvor ihren Austritt erklärten. Die evangelischen Landeskirchen verzeichneten hingegen nur 150.000 Austritte.16 Insgesamt zählte die katholische Kirche im Jahr 2008 3,1 Millionen Mitglieder weniger als 1990. 5,2 Millionen Sterbefälle trugen hierzu ebenso bei wie 2,3 Millionen Austritte.17 Dem standen 4,5 Millionen Taufen und Aufnahmen gegenüber, so dass circa 60 Prozent der Verluste kompensiert werden konnten. Aber die Zahl der Täuflinge ging und geht kontinuierlich zurück: Waren es 1990 noch 310.000 neue Mitglieder, die in die Kirche aufgenommen wurden, so gab es in den vergangenen Jahren nur noch circa 200.000 Täuflinge. Obwohl die Wiedervereinigung die Zahl der Katholiken zumindest ein wenig anwachsen ließ, ist damit die Talsohle von 250.000 Taufen, die in der Mitte der 1970er Jahre erreicht war, noch einmal deutlich unterschritten worden.

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Gewichtet man die Ursachen für den Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen, dann zeigt sich rasch, wie verzerrt die öffentliche Wahrnehmung ist: Während die Zahl der Kirchenaustritte stark diskutiert wird, findet der demografische Wandel weniger Aufmerksamkeit. Dabei hat aber dieser schleichende Prozess gravierende Konsequenzen wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft auch. Selbst wenn sich von heute an niemand mehr dazu entschlösse, aus der Kirche auszutreten, verlangsamte dieses den Prozess lediglich, ohne dass aber den absoluten Zahlen nach die Entkirchlichung gestoppt wäre. Ganz unmittelbar zeigen sich die Folgen des demografischen Wandels beim sinkenden Kirchensteueraufkommen. Rechnet man mit einem durchschnittlichen jährlichen Steuerbeitrag von 150 Euro pro Kirchenmitglied, dann sind der evangelischen Kirche in den Jahren zwischen 1990 und 2008 insgesamt 7 Milliarden Euro entgangen. Diese Summe entspricht dem eineinhalb bis zweifachen Kirchensteueraufkommen eines Jahres. In der katholischen Kirche belaufen sich die Einnahmeverluste auf 4 Milliarden Euro und damit dem Kirchensteueraufkommen eines Jahres.18 Seit den 1970er Jahren hatten beide Großkirchen auf die Kirchenaustritte dadurch reagiert, dass man ein immer vielfältigeres Angebot von Seelsorge insbesondere auf der Ebene der Landeskirchen und Bistümer organisierte.19 Diese Strategie wird man wegen der finanziellen Einbußen nicht mehr weiter verfolgen können, im Gegenteil: Der Mangel an Priestern, der insbesondere auf katholischer Seite die Möglichkeiten zur Seelsorge einschränkt, wird begleitet von knapper werdenden Etats in beiden Konfessionen. Es ist zu vermuten, dass der Rückzug aus der Fläche die Erosion der in Ansätzen noch vorhandenen volkskirchlichen Strukturen verstärken wird. Diese Zahlen wie auch die daraus abgeleiteten Prognosen zeigen den Trend der Entkirchlichung deutlich. Mit dem Beginn der 1970er Jahre endet eine Phase der Religionsgeschichte, in der gelebter Glaube und Kirchlichkeit in hohem Maße deckungsgleich waren. Nicht Religion an sich, wohl aber eine ihrer Sozialformen war damit an ihr Ende gelangt. Diese Einschnitte trafen beide Konfessionen. Besonders deutlich aber lassen sich diese Veränderungen im Katholizismus zeigen, hatte dieser sich doch bereits mehrmals in seiner Geschichte »neu erfunden«: Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich die Kirche des Ancien Regime, welche stark an Adel und Grundeigentum orientiert war, zur industriellen Moderne hin entwickelt. Am Ende dieses Transformationsprozesses stand eine auf die römische Zentrale ausgerichtete Großorganisation, in der Praxis, Kultur und dogmatische Inhalte eng zusammengeführt worden waren. »Zum ersten – und zum letzten – Mal« in der Geschichte der Katholiken wurde das Leben der einfachen Mitglieder bis ins Detail geregelt.20 In unterschiedlicher Intensität, aber durchaus vergleichbar stellte sich die Entwicklung in den evangelischen Gemeinden dar: Insbesondere in den pietistischen und lutherischen Gemeinschaften hatte sich eine um die Kirchengemeinde und das Vereinswesen organisierte Glaubenspraxis entwickelt. Diese volkskirchlichen Strukturen schmolzen zu Kernmilieus mit oftmals fundamentalistischer Ausrichtung zusammen oder erodierten im Verlauf der Nachkriegszeit zunehmend. Dieser Umbruch und

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Abbruch der bis dahin »dominierenden bürgerlichen Lebensstruktur« inklusive seiner »christlich-konservativen Grundhaltung« betraf keinesfalls nur das religiöse Feld, aber »hier verdichteten sich doch in besonderer Weise die tief greifenden Veränderungen.«21 In der evangelischen Kirche wurde dieser Prozess begleitet von einer internen Diskussion darum, wie »säkular« Kirche eigentlich sein darf. Protestantische Theologen wie Friedrich Gogarten deuteten den schon zeitgenössisch deutlich wahrgenommenen Prozess positiv, werde doch im Prozess der Moderne »die Schöpfung in ihrer entsakralisierten Weltlichkeit sichtbar« und der »Glaube zu einer ›mündigen‹ Stellung in der Welt befreit«.22 Die Kirche erschien dabei nicht mehr als Gegenüber zur Welt, sondern verstand sich als ihr integraler Bestandteil. Damit erweiterte sich auch im Spektrum der etablierten Kirchen das Verständnis davon, was man unter den Religionsbegriff subsumierte. Die Öffnung zur Welt hin war ein Programm, das insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren vielen äußerst attraktiv erschien. Spätestens mit den 1980er Jahren aber hatte diese Vorstellung ihren Höhepunkt bereits überschritten. Sowohl in der Gemeindepraxis als auch auf den Kirchentagen suchte man nach neuen Formen von Spiritualität, die wieder stärker transzendenzbezogen und weltentrückt waren.23 Auch in diesem Fall führte die Entkirchlichung nicht zum Verschwinden der Religion, sondern zu vielfältigen Transformationen: Gegen Ende der 1960er Jahre entstand so eine Gemengelage von traditionalen Kirchlichkeitsformen, alten und neuen Fundamentalismen sowie unterschiedlichen Praktiken individueller Religiosität in und außerhalb der Kirchen und der christlichen Tradition. Die generelle Richtung des neuerlichen Umbruchs, der im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu beobachten ist, war eindeutig: Mehr Individualität statt Orientierung am Kollektiv, Wahl und Entscheidung statt Dogma und Verpflichtung, alles in allem flüssigere Formen gelebten Glaubens. Welche Konturen aber darüber hinaus das religiöse Feld annahm, bleibt zu ergründen. Sicher ist, dass der Umbruch aber auch ein Abbruch war: Die neuen Sozialformen religiösen Lebens waren in ihrer Breitenwirkung sehr viel begrenzter als die vorhergehenden Strukturen. Das Verständnis davon, was man gemeinhin unter Religion subsumierte, weitete sich enorm.

Die mediale Entgrenzung der Religion. Kirchenkrise und individuelle Religiosität Neben der Familie, den Kontakten zu Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft oder auch der Unterweisung in Schule und religiösen Organisationen selbst sind es vor allem die Medien, die unsere Religionskenntnisse prägen und ausbilden. Dieser Zusammenhang verstärkte sich mit der steigenden Bedeutung der Massenmedien seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Fernseher, der das Radio seit den 1960er Jahren als Leitmedium ablöste, strahlte allabendlich Bilder aus aller Welt in die Wohnungen und weitete den Horizont der Menschen damit enorm. Nochmals steigerte sich diese Entwicklung mit dem Aufkommen des Internets, welches nicht nur die Informationsflut vervielfachte, sondern auch religiöse Narrative und Symbole in den unterschiedlichsten

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Zusammenhängen neu belebte. Zumindest randständig etablierten sich sogar eigene Formen von Religiosität, die unmittelbar mit den sie tragenden Medien verbunden sind. So ließen sich, um nur ein besonders hervorstechendes Beispiel zu nennen, im Jahr 2001 circa 25.000 Australier bei der Volkszählung als Anhänger des aus der Star Wars-Filmtrilogie bekannt gewordenen Jedi-Kriegerkults registrieren.24 Speziell in Deutschland besuchten immer weniger Menschen religiöse Veranstaltungen oder wurden in ihren Familien entsprechend sozialisiert. Immer mehr kamen aber über die Medien mit religiösen Phänomenen in Berührung. Vom Radiogottesdienst der 1950er Jahre über die Berichterstattung zu kirchlichen Großereignissen wie einer EKD-Synode oder der Papst-Inthronisation bis hin zur Reportage über buddhistische Mönche und ihre Weisheitslehren – »die Medien schwangen sich zu einer zentralen Vermittlungs- und Deutungsinstanz der Religion auf«, so der Historiker Nicolai Hannig.25 Arbeitet man die verschiedenen Schritte auf dem Weg zu diesem Zustand heraus, dann lässt sich mittels der unterschiedlichen Zusammenhänge von Religion und Medien die Transformation des Verständnisses von Religion und der daraus abgeleiteten Sozialform mit erklären: In den 1950er Jahren gingen die Kirchen selbst auf Sendung. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten boten der evangelischen und der katholischen Kirche eigene Sendeplätze für Rundfunkgottesdienste und Andachten. Weitergehende Berichterstattung war eng abgestimmt mit den kirchlich bestellten Rundfunkbeauftragten. Darüber hinaus hatten die Alliierten den Einfluss der Kirchen auch in den als Aufsichtsgremien fungierenden Rundfunkräten festgelegt. In den Printmedien war der Einfluss weniger direkt, aber auch dort betonte man vor allem, wie stark die Kirchen als gesellschaftliche Stützen fungierten und verblieb sonst im engen Rahmen einer theologisch-populären Ausdeutung der kirchlichen Lehre.26 Erst in den 1960er Jahren begann sich ein kritischer Religionsjournalismus zu entwickeln, der sich unabhängig von den Kirchen positionierte. Sowohl in den Printmedien wie auch in Rundfunk und Fernsehen emanzipierten sich einzelne Journalisten und die entsprechenden Redaktionen von der Bestätigungsrhetorik der früheren Zeit. Der Religionsjournalismus profilierte sich nun zunehmend durch eine eigenständige Berichterstattung, die nicht mehr aus der Binnenperspektive erfolgte, sondern als eine Instanz der kritischen Fremdwahrnehmung fungierte. Das Gros der Medienvertreter, die sich Religionsthemen widmeten, verstand sich als Aufklärungsinstanzen, die institutionelle Missstände aufdeckten und den Gläubigen Wissen vermittelten, welches die Kirchen ihren Mitgliedern vermeintlich vorenthielten. Richtungsweisend waren dabei insbesondere Rudolf Augstein und seine Reportage »Jesus von Nazareth. Der Erwählte«. In der Weihnachtsausgabe des Spiegel im Jahr 1958 nahm er die Entdeckung der Qumran-Rollen zum Anlass einer großen Reportage über den Umgang der Kirchen mit der Heiligen Schrift. Indem er die Positionen der Theologie zum historischen Jesus mit außerchristlichen Quellen zum Leben Jesu kontrastierte, kritisierte er, dass die Kirchen zu wenig über die aus seiner Sicht brüchigen Grundlagen des biblischen Glaubens informierten.27 Bei den auf diese Weise herausgeforderten Theologen stieß

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er damit nur auf Abwehr, wissenschaftlich wies man die Einwände des Publizisten weit von sich.28 Öffentlich aber blieb mindestens die Frage, ob nicht die Kirchen bewusst historische Informationen zurückhielten, die ihnen zeitgenössisch gefährlich werden könnten. Die Autorität der Kirchen, die Bibel wie auch den historischen Jesus zu deuten, war auf diese Weise mindestens angekratzt.29 Auch in anderen Fällen beschränkten sich Journalisten immer weniger darauf, über kirchliche Großveranstaltungen und Ereignisse zu berichten, sondern gingen dazu über, selbst Themen zu setzen. Religion wurde medial entgrenzt, aus den kirchlichen Räumen hinausgetragen, in der Öffentlichkeit für alle sichtbar verankert und zum Gegenstand einer allgemeinen, kontroversen Diskussion gemacht. »Die Medien waren nicht mehr Brücke zwischen Kirche und Gemeinde, sondern eine eigenständige dritte Ebene, auf der Religion vor den Augen vieler neu verhandelt wurde.«30 Die TV-Politmagazine Panorama und Report oder die Printmedien Stern und Spiegel nahmen eine Vorreiterrolle dabei ein, kritisch über die evangelische und die katholische Kirche zu berichten. Anlass dazu boten die unterschiedlichen zeitgenössischen Konfliktfelder wie zum Beispiel die enge Verflechtung von Kirche und Staat, später dann auch die Kontroversen insbesondere zur privaten Lebensführung und der christlichen Sexualmoral. In der sogenannten »Höllenfeuer-Affäre« kritisierte der Chefredakteur des Stern, Henri Nannen, dass das Christentum und seine Institutionen immer mehr zu einem gesellschaftlichen Tabu geworden wären. Er reagierte damit auf massive Vorwürfe, die dem Stern wegen eines Berichts gemacht wurden. »Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?« hatte der Journalist Jürgen von Kornatzki gefragt und den Bogen geschlagen zu dem von ihm konstatierten Machtstreben der katholischen Kirche. Insbesondere das katholisch-fundamentalistische Ehe- und Scheidungsrecht galten ihm als Beleg dafür. In die Kritik geriet dann vor allem der Stern-Herausgeber Gerd Bucerius, der zugleich für die CDU im Bundestag saß. Seine Fraktionskollegen bedrängten Bucerius, solche und ähnlich kritische Berichte in Zukunft zu unterbinden, woraufhin der Kritisierte sein Mandat niederlegte. Der kirchenkritische Artikel hatte einen schwerwiegenden politischen Konflikt evoziert.31 Wie überall in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich im Laufe der 1960er Jahre die Nachgeschichte des Nationalsozialismus zu einem besonders spannungsreichen Sujet. Mit der Aufdeckung von personellen Kontinuitäten im kirchlichen Bereich verabschiedeten sich verschiedene Medienvertreter vom »Konsensjournalismus« der 1950er Jahre und brachen demonstrativ mit den Kirchen.32 Umgekehrt sahen sich dadurch einige der prominenten Kirchenvertreter erstmalig einer öffentlichkritischen Diskussion ausgesetzt und fühlten sich gezwungen, ihrerseits gemäß den Regeln der Mediengesellschaft zu agieren. Diese zunehmend kritische Haltung verdichtete sich zu einer Berichterstattung, in der die Kirchen immer stärker an den Rand des öffentlichen Lebens gedrängt wurden. Waren die Religionsgemeinschaften zuvor als integrale und konstitutive Bestandteile der Gesellschaft gewürdigt worden, änderte sich das mediale Bild gravierend. Die ihnen vormals selbstverständlich zugedachten Kompetenzen im Bildungsbereich, bei der

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Normierung von Familie und Sexualität oder auch in bestimmten politischen Fragen wie der Atomrüstung oder in der Kulturpolitik wurden ihnen nun abgesprochen. Was in den 1950er Jahren noch gängige Praxis war, wurde nun als obsolet empfunden: sich auf eine transzendente Größe zu beziehen oder religiös zu argumentieren, sei es in Fragen der Schulorganisation, des Rentensystems oder der nationalen Verteidigung. Insbesondere die katholische Kirche wurde in dieser Phase zur Zielscheibe der Kritik. Was Fragen von Autorität und Hierarchie betraf, lief die römisch-katholische Organisation den allgemeinen Demokratisierungstrends entgegen, so dass sie ein leicht zu skandalisierendes Objekt der Berichterstattung war. Dagegen erschien die evangelische Kirche in der Berichterstattung als vergleichsweise dialogorientiert und der Welt zugewandt. Schon rasch aber verblasste die Unterscheidung zwischen den Konfessionen, nachdem sich die Presse vor allem darauf konzentrierte, die innerkonfessionellen Differenzen zwischen traditionell orientierten Gläubigen und auf Reform bedachten Mitgliedern zu betonen.33 Zwei Motive waren in der Berichterstattung des Religionsjournalismus seit den 1960er Jahren stark präsent und prägten in besonderer Weise die Wahrnehmung der Religion und damit auch die Konturen des religiösen Feldes: Die Krise der etablierten Kirchen wurde medial stark in den Vordergrund gerückt und, eng damit verbunden, zugleich die Individualisierung von Frömmigkeit und Glaube hervorgehoben. Der Höhepunkt der Berichterstattung über die Kirchenkrise lag am Ende der sechziger und am Anfang der siebziger Jahre und damit in der Phase, in der innerkirchlich die Auseinandersetzungen besonders kontrovers verliefen. Viele Redaktionen nahmen den Zwist zwischen »Traditionalisten« und »Progressiven« mit Verve auf. Berichtete man zunächst noch mit viel Sympathie über die Reformwilligen und verurteilte allzu konservative Haltungen, so mahnte man später, dass die Kirchen die Frömmigkeit als ihr Kerngeschäft nicht vernachlässigen sollten. Am Beispiel der medialen Stilisierung von Hans Küng zeigt sich diese Trendwende deutlich: Während dem Spiegel noch zu Beginn der 1960er der Tübinger Theologe als »prominenter Gelehrter« und »bedeutendstes theologisches Talent« galt, titulierte er ihn wenige Jahre später als »aufsässigen Katholiken« und »Theologen-Rebellen«.34 Die Politisierung der Religion, wie sie bestimmte Flügel des Katholizismus und des Protestantismus vorantreiben wollten, kritisierte insbesondere die Springer-Presse, aber auch der Stern als Preisgabe des Glaubens. Die Kirchen hätten sich, so die übereinstimmende Mahnung der ansonsten so unterschiedlichen Verleger Axel Springer und Rudolf Augstein, von allzu weltlichen Dingen fernzuhalten und auf das Heil der Seelen im Jenseits zu konzentrieren. Sowohl traditionelle wie auch progressive Strömungen unterzog man einer massiven Kritik und blendete dabei die volkskirchliche Mitte weitgehend aus. Eine entsprechende Kampf- und Kriegsrhetorik verschärfte den Eindruck einer massiven innerkirchlichen Eskalation zusätzlich. Die Entwicklung eines eigenen, von den Kirchen unabhängigen Religionsjournalismus war die Voraussetzung dafür, dass sich der in den Medien vertretene Religionsbegriff seit den 1970er Jahren erweiterte. Dass die christlichen Konfessionen kein Monopol mehr besaßen, war medial präsent. Darüber hinaus demonstrierte die Bericht-

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erstattung aber auch die Pluralisierung praktisch. Die Medien »schlüpften in die Rolle des Arrangeurs unterschiedlicher Religionsstile«.35 Breit berichteten sie über religionssoziologische Ergebnisse, die die stärkere Individualisierung zeigten. Darüber hinaus gaben die Medien selbst Umfragen in Auftrag oder ließen einzelne Gläubige zu Wort kommen, die von ihren persönlichen und durchaus synkretistischen Überzeugungen und Praktiken berichteten. 1961 zum Beispiel leitete die Jugendzeitschrift Twen eine Artikelfolge mit der Aufforderung zur offenen Diskussion ein: »Acht Mädchen sprachen über Gott. Drei sagen ja, zwei nein und der Rest na ja. […] Twen eröffnet mit diesem Interview eine Diskussion über Gott, Religion, Konfession. Oder darf es darüber keine Diskussion geben? Wir meinen: Es muss sie geben.«36 Die implizite Botschaft dieser und vieler anderer Artikel war, dass Glaube verschiedene Formen haben konnte und in verschiedenen Varianten kombinierbar war. Damit waren zugleich die Ansprüche der christlichen Großkonfessionen auf Verbindlichkeit ihrer Entwürfe und Praktiken in Frage gestellt. »Kirchliche Lehren wurden zu Deutungsangeboten, die zwar weiterhin auf Resonanz stießen, deren Autoritätsansprüche aber nur noch selten reüssierten«.37 Organisierter und kirchlicher Glaube, wie ihn die evangelische und die katholische Kirche anboten, wurde auf diese Weise immer stärker in Gegensatz zur individuellen Religiosität gerückt. Diese mediale Entgrenzung ist nicht einfach in dem Sinne als Säkularisierung zu qualifizieren, dass Religion damit an den Rand gedrängt worden wäre. Das Gegenteil war der Fall: In der Summe nahm das Interesse an religiösen Fragen in den Medien zu. Religion und Glauben avancierten zu wichtigen Themen. Aber der gesellschaftliche Ort, der der Religion zugewiesen wurde, änderte sich entscheidend. Während einerseits die traditionellen Großkonfessionen in der Berichterstattung an den Rand der Gesellschaft gerückt wurden, fanden neue, bislang unbekannte Formen der Religionsausübung einen Grad an Aufmerksamkeit, der ihrer tatsächlichen Verankerung in der Gesellschaft kaum entsprach. Obwohl nur wenige Deutsche sich den neuen religiösen Bewegungen zuwandten, wurden diese zeitweise doch zu einem Boom-Thema in den Medien.

Eine »spirituelle Revolution«? Sinnsuche in neureligiösen Formen Auch wenn Entkirchlichung und Säkularisierung der maßgebliche Trend war, entwickelten sich in Europa und in Deutschland neue Formen von Religiosität. Das Gros dieser Veränderungen spielte sich unter dem Dach der Großkonfessionen ab. Sowohl die zeitgenössisch als progressiv verstandene Hinwendung der Religion zur Welt als auch ihre Engführung in traditionalistisch-fundamentalistische Bahnen stehen für diese innerkirchliche Pluralisierung. Gruppierungen und Organisationen wie die Laienbewegung Communione e Liberazione wie auch der kirchenpolitisch rechts stehende Opus Dei stehen für die große Bandbreite innerkirchlicher Gemeinschaftsformen, die sich entwickelte. Während aber die Öffentlichkeit diese innere Pluralisierung kaum wahrnahm, erregten andere religiöse Innovationen viel Interesse. Insbesondere Religions- und

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Spiritualitätsformen aus Asien und Nordamerika standen für diesen Wandel. Der Religionssoziologe Robert Ellwood hat diesen Prozess für die USA als ein »spirituelles Erwachen« bezeichnet und den Höhepunkt dieser Entwicklung auf die 1960er Jahre datiert.38 Als Gegenbewegung zur starken Rationalisierung und der Orientierung an Materialismus und Technik suchte ein Teil der Babyboomer-Generation Nordamerikas nach neuen Formen der Verzauberung der Welt. Fündig wurde man vor allem in asiatischen Religionen wie dem Buddhismus oder dem Hinduismus, aus denen man sich eklektizistisch bediente. Bereits mit dem Kolonialismus des 19. Jahrhunderts waren die asiatischen Religionen gelegentlich zur Inspiration für eine Kritik des Westens und zur Formulierung einer Gegenkultur geworden. Aber erst mit den 1960er Jahren entwickelte sich eine breite Bewegung, die diese religiösen Formen für sich nutzte. Die obligatorische Indienreise für die Angehörigen der Hippiekultur war nur die Spitze eines Trends. Am Beispiel prominenter Mediatoren wird aber schnell deutlich, dass sich dieser Trend nicht auf den kleinen Kreis subkultureller Akteure beschränkte, sondern schon bald in die popkulturelle Sphäre diffundierte: Die Beatles aus dem britischen Liverpool besuchten den Maharishi Mahesh Yogi, George Harrisons Komposition »My sweet Lord« war von der Hare Krishna-Bewegung inspiriert, und John Lennon entdeckte den Buddhismus für sich.39 Umgekehrt brachen einzelne Gurus oder ihre Schüler zu Missionsreisen in den Westen auf oder nahmen ausländische Gäste in ihre Ashrams genannten geistlichen Zentren auf, um sie dort in den entsprechenden Lehren zu unterweisen. Die asiatische Spiritualität, die im Westen auf diese Weise populär wurde, etablierte sich dort meist in der Form moderner Interpretationen einzelner Bewegungen, Schulen oder gar spezifischer Elemente des Buddhismus oder des Hinduismus. Die von diesen Weltreligionen entlehnten Formen und Inhalte wurden dem nordamerikanischen und europäischen Kontext angepasst und zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Transzendentale Meditation, die der indische Yogi Maharishi Mahesh und seine Anhänger lehrten. In ihren Ursprüngen führte sich diese auf den Hinduismus zurück, verlor aber spätestens in den 1970er Jahren den Bezug zu diesen Wurzeln nahezu vollständig. In ähnlicher Weise hatte sich die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein von ihren religiösen Wurzeln abgekoppelt und sich dem spirituellen Markt der USA wie auch anderer westlicher Gesellschaften angepasst.40 Die orange gewandeten Hare-Krishna-Anhänger, die als Moonies bekannt gewordenen Mitglieder der vom Koreaner Sun Myung Moon gegründeten Vereinigungskirche, aber auch andere Gruppen waren seit Ende der 1960er Jahre in bundesdeutschen Großstädten präsent. Auch wenn ihre Mitgliederzahlen immer klein blieben – 1971 verteilten sich beispielsweise circa 100 Moonies auf 21 Gemeindezentren – , erzielten sie doch eine große Wirkung aufgrund der Aufmerksamkeit, die ihnen in Öffentlichkeit und Politik zuteilwurde.41 Aber in diesem Fall erwiesen sich die Medien nicht einfach als Pluralisierungsagent, im Gegenteil: Die Berichterstattung stigmatisierte diese als kriminelle, vor allem auf Profit ihrer Leiter zielende Organisationen und bewirkten

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so, dass insbesondere die sogenannten Jugendsekten ihren stark weltverneinenden, apokalyptischen Zugang aufgaben und neue Formen der Mitgliedschaft propagierten. Dabei waren sie aber nur das vielleicht auffälligste Symptom an der Oberfläche eines tief greifenden Wandels. Neben den zeitgenössisch als »Sekten« bezeichneten Ablegern von fernöstlichen Religionen etablierten und re-etablierten sich vielfältige Formen, mit denen Menschen versuchten, ihr eigenes Leben spirituell zu orientieren. Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda, Reiki, Shiatsu, Zen-Meditation, Yoga, Familienaufstellung, Astrologie und schamanische Heilungsrituale fanden enormen Anklang in den meisten Gesellschaften der westlichen Welt. Wenn auch die Orientierung nach Asien dominierte, entdeckte man ebenfalls zahlreiche Formen vagierender Religiosität wie den Spiritismus oder Okkultismus neu, die im letzten Drittel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts populär gewesen waren.42 Nun aber, im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, war die Akzeptanz von außerkirchlicher Religion ungleich größer. Die verschiedenen Trends der 1960er Jahre liefen zusammen zu einer »recht ungeordneten Ansammlung verschiedener Traditionen, Abwandlungen, Häresien, Innovationen und Synkretismen«.43 Was erlaubt es, allen Unterschieden in der Erscheinung und Wirkungsweise zum Trotz, diese Bewegungen doch als einen Trend zu werten? Zunächst einmal begann der Aufschwung all dieser neureligiösen Formen etwa gleichzeitig, ihre öffentliche Beachtung stieg seit Ende der 1960er und in den 1970er Jahren steil an. Der soziale Ausgangspunkt war dabei das alternative Milieu, das insbesondere von der Studentenbewegung des Jahres 1968 getragen wurde. Hier entwickelten sich basisorientierte Kommuneprojekte, Wohn- oder Produktionsgemeinschaften, die manchmal zu Trägern neureligiöser Ideen und Praktiken wurden. Während dieses Segment schon bald auf einen kleinen Rest zusammenschmolz, liegt seine wesentliche Wirkung in einem anderen Punkt: Die neureligiös aufgeladenen Elemente der jugendlichen Protestbewegung brachen die stillschweigende Gleichsetzung von Religiosität mit kirchlichchristlicher Institutionalisierung zusätzlich auf und gaben der Suche nach neuen Formen religiösen Lebens einen weiteren Schub. In ihrer Weiterentwicklung verloren die verschiedenen Ausläufer der neureligiösen Bewegungen jeglichen Bezug zu der Gegenkultur, aus der sie ursprünglich erwachsen waren. Mit ihrer Wendung nach innen und der Anpassung an diverse Marktmechanismen waren sie anschlussfähig an die Strukturen der modernen und nachmodernen Gesellschaft. Der einst von Beatniks und Hippies praktizierte alternativreligiöse Lebensstil diffundierte in breite gesellschaftliche Bereiche. Dafür steht neben der ausufernden New Age-Literatur vor allem der Psychoboom mit seinen verschiedenen Therapieformen und Selbstformungsdiskursen, wie er in den 1970er und 1980er Jahren Raum griff. Feng Shui, Rebirthing, Yoga oder Bachblütentees waren längst »keine elitären, obskuren Praktiken mehr, sondern werden als ›uralte Weisheiten‹ zunehmend Teil der Freizeitgestaltung breiter gesellschaftlicher Schichten«.44 Holistische Ansätze finden sich heute auch im Managementtraining, mit dem höhere Angestellte zu mehr Leistungsfähigkeit im Sinne ihres Unternehmens animiert werden sollen. Auch die Wellness-

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Bewegung hat einen großen Teil der einst im Bereich des New Age beheimateten magischen Praktiken für sich adaptiert und in einen Zusammenhang gestellt, der kaum noch religiös konnotiert ist. Gemeinsam ist den sehr unterschiedlichen Angeboten die Konzentration auf das individuelle Heil und die persönliche Vervollkommnung. »Selbsterkenntnis«, »Selbstbestimmung« und »Selbstverwirklichung« – so lautete die Trias, um die esoterische Praktiken und Diskurse in den 1970er und 1980er Jahren kreisten. Zwar erhoben die New Age-Autoren durchaus einen gesellschaftsverändernden Anspruch. Den Schlüssel dazu aber bot die Veränderung des eigenen Selbst. Damit war ein deutlich anderer Akzent zu dem gesetzt, was nahezu zeitgleich in den christlichen Religionsgemeinschaften zu beobachten war: Die christlichen Großkonfessionen erlebten eine Hinwendung zur Welt. Für diesen Trend standen beispielsweise die befreiungstheologisch inspirierten Bewegungen innerhalb der Kirchen. Die esoterischen Entwürfe zielten hingegen in die entgegengesetzte Richtung, wenn sie das Selbst in den Mittelpunkt stellten. Im Zentrum dieses Selbsterfahrungsprozesses stand der eigene Körper und, davon abgeleitet, die individuelle Psyche. »Dein Körper formt dein Selbst«, so propagierte mit Stanley Keleman einer der prominenteren New Age-Autoren.45 Für ihn »als Tempel für die neuen Mysterien« habe der Einzelne Verantwortung zu tragen, um auf diese Weise zu höherer Erkenntnis zu gelangen, so George Trevelyan.46 Eine solche Therapeutisierung und Disziplinierung des Körpers als Programm der Subjektivierung war in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre noch weitgehend unbekannt.47 Transzendenzerfahrung, so propagierten die verschiedenen Fraktionen, mache der Einzelne in und mit seinem Körper und verändere auf diese Weise das eigene Bewusstsein. Die Religion wurde ebenso psychologisiert wie auch dem Körperkult und der psychischen Selbsterkundung ein sakraler Anstrich verpasst wurde. Zum Ausgangspunkt von Religion avancierten das Selbst und die subjektive Erfahrung. Transzendenzerfahrung richtet sich nicht mehr vorrangig auf ein Außen, sondern geht zunehmend vom Individuum aus. Der einzelne Mensch ist sowohl Ausgangspunkt der Erfahrungen wie auch »die Instanz, die den Sinn in seinen eigenen Erfahrungen sucht«.48 Diese Haltung ist in doppelter Weise von Bedeutung: Im Vergleich zu den christlichen Konfessionen, in denen vor allem die Vermittlung über Priester und andere Instanzen betont wird, ist damit der oder die einzelne Gläubige massiv aufgewertet. Verschiedene Religionssoziologen beschreiben dieses als eine »Selbstermächtigung des religiösen Subjekts«, die einen Großteil der Attraktivität der neureligiösen Bewegungen ausmacht.49 Damit eng verbunden etabliert sich auf diese Weise ein neuer Modus der Wahrnehmung von Religion: Im Gegensatz zum Glauben aus zweiter Hand, wie ihn die christlichen Kirchen in ihrer Pastoral bis in die 1950er Jahre hinein boten, steht in den neureligiösen Bewegungen die persönliche Erfahrung im Vordergrund. Ob es darum geht, Engelszungen reden zu hören, sich mit den Toten in Verbindung zu setzen oder sich in einen religiös-ekstatischen Zustand zu bringen – immer ist es das Individuum, welches das Höhere unmittelbar erfährt oder kosmische Energie verspürt, sei es in einem religiösen Event wie dem Weltjugendtag in Rom, sei

Der Glaube im Leben

es in der Meditationsrunde eines indischen Ashrams oder im Yogakurs im heimischen Bottrop. Die persönliche Erfahrung und der ganzheitliche Ansatz versprechen dem Einzelnen, die Zerrissenheit des modernen Lebens zu überwinden und ihn von körperlichen wie seelischen Beschwernissen zu heilen. Der Kontrast zu den etablierten christlichen Frömmigkeitsformen ist offensichtlich: Von kleinen Eliten wie den christlichen Mystikern abgesehen, zielte die Normalfrömmigkeit im Christentum nicht auf die unmittelbare, sondern auf eine vermittelte Gottesbegegnung. Die neureligiösen und esoterischen Angebote werden getragen von »Instituten«, »Akademien«, »Zentren«, aber auch einzelnen spirituellen Experten, die die entsprechenden Dienste bündeln und vereinheitlichen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise werben aktuell etwa tausend solcher Institutionen und Einzelpersonen in entsprechenden Internetforen und Zeitschriften, aber auch in Familienbildungsstätten, Biomärkten und alternativen Basaren für ihre spirituellen Dienste. Bundesweit lag Ende der 1990er Jahre die Zahl der spirituellen Heiler, Schamanen, aber auch sogenannte Hildegard-Mediziner und Kraftfeld-Propheten bei circa 10.000.50 Ohne dass genaue Zahlen zum Umsatz oder zu Gewinnen bekannt sind, zeigt doch die Zunahme dieser Aktivitäten, dass sich in diesem Bereich ein wachsender Markt entwickelt hat.51 Dieses Geflecht genau auszuloten ist allein deswegen schwierig, weil der Randbereich groß ist: Die Verbindungen und Überlappungen der neureligiösen Bemühungen zu anderen beratungsorientierten, therapeutischen oder sonstigen Angeboten im Bereich von Sexualität, Wellness, Fitness und vielen weiteren populären Formen der Körperformung, Selbstvervollkommnung und Freizeitgestaltung sind breit. Wenn diese neureligiöse Szene mit einem Vokabular beschrieben wird, welches dem ökonomischen Bereich entstammt, dann ist damit ein ganz wesentlicher Zug dieses Geflechts bereits benannt: In Absetzung von den traditionellen Religionsgemeinschaften, aber auch in Weiterentwicklung der Kleingruppenspiritualität, wie sie sich in den Kommunen etabliert hatte, entwickelte sich eine bis dato unbekannte Form religiöser Partizipation. Aus einer Mitgliedschaftsbeziehung wurde ein Zugang auf Zeit, deren Intensität der Einzelne oder die Einzelne selbst wählte. Während die großen Kirchen ihren Mitgliedern ein bestimmtes Verhalten wie Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit und vieles mehr abverlangen, formulieren die neureligiösen Institutionen vor allem Angebote, für oder gegen die sich der Klient (oder Kunde) entscheiden kann. Auf religiöse Gehalte greift man je nach persönlicher Lebenssituation und je nach Bedürfnis zurück. An die Stelle einer langfristigen, vielleicht gar lebenslangen Bindung treten auf diese Weise befristete, episodenhafte Beziehungen. Psychosekten, die ihre Mitglieder in eine fatale Abhängigkeit bringen, sind die Ausnahme. In der Regel richtet sich das Angebot nach der Nachfrage, die auf eine lockere und unverbindliche Teilnahme zielt. Für die Träger der neureligiösen Bewegungen kommt es daher viel weniger darauf an, ein stimmiges, in sich geschlossenes Weltdeutungs- und Sinnstiftungsangebot zu schaffen. Ihr »Erfolg« hängt vor allem von der Fähigkeit ab, »flexible ›Servicebeziehungen‹ zu Kunden und Klienten« aufzubauen.52 Spirituelle neureligiöse Bewegungen lassen sich, so die Beobachtung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, nicht mehr auf die

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institutionellen Formen von Religion reduzieren, sondern werden zum Bestandteil der allgemeinen Kultur. Das religiöse Feld löst sich mehr und mehr auf.53 Um die Bedeutung eines sozialen Phänomens zu beurteilen, ist es unerlässlich, seine Verbreitung zu bestimmen: Sind wir auf dem Weg in eine durch und durch spirituelle Gesellschaft, wie es der Soziologe Hubert Knoblauch prognostiziert? Oder ist die Zahl der Anhänger neureligiöser Formen wie New Age doch eher marginal? Mindestens die Hälfte aller Österreicher haben schon einmal Erfahrungen mit Therapien, Lebenshilfen oder bestimmten Meditationstechniken gemacht. Nur ein Viertel aber experimentiert nachhaltiger mit verschiedenen Praktiken, wobei das Interesse unter den jüngeren Alterskohorten tendenziell zunimmt. Die Kerngruppe der »spirituellen Wanderer«, die sich über lange Zeit und intensiv mit den einschlägigen Praktiken auseinandersetzen, ist demgegenüber eher klein und liegt bei fünf bis acht Prozent.54 Eine ähnliche Beobachtung macht der Soziologe Detlef Pollack in seiner Auswertung verschiedener religionssoziologischer Umfragen in Westdeutschland: Nur 0,5 Prozent der Westdeutschen gaben 1997 an, einer neureligiösen Gemeinschaft anzugehören, nur 1,9 Prozent im Westen und 1,2 Prozent im Osten hatten bereits an einem Meditationskurs teilgenommen. Obwohl das Interesse an Zen-Meditation oder Reiki, an Seelenwanderung, Pendeln, Hellseherei und Astrologie groß ist, haben nur wenige tatsächlich Erfahrungen mit diesen Formen außerkirchlicher Religion gemacht: 2,8 Prozent der befragten Westdeutschen vermerkten eigene Erfahrungen mit New Age. Lediglich Pendeln und Horoskope waren bekannter, wenn auch in beiden Fällen die Mehrzahl der Befragten keine hohe Meinung davon hatte. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Akzeptanz neureligiöser Ansichten und Praktiken seit den 1980er Jahren steigt, ohne dass diese zu einem Massenphänomen geworden sind.55 Zwei weitere Hinweise sind von Bedeutung, um den Einfluss dieser Szene auf das religiöse Feld insgesamt einschätzen zu können: Zum einen wird die Entkirchlichung insbesondere in den christlichen Glaubensgemeinschaften durch den Anstieg des Interesses an neureligiösen Praktiken bei weitem nicht aufgewogen. Der Abbruch traditioneller religiöser Formen geht nicht automatisch einher mit einem Aufschwung neureligiöser Religionsformen.56 Zum anderen trifft auch die Vorstellung, dass der einzelne sich von den kirchlich-christlichen Angeboten distanziert und diese Leerstelle durch die neuen Formen kompensiert, die Situation nicht. Ungefähr ein Drittel derjenigen, die starkes Interesse am neureligiösen Angebot haben, sind zugleich christlich gebunden. Yogakurs, Bachblütentherapie und Weihnachtsgottesdienst schließen sich für einen Teil der religiös Aktiven nicht aus, sondern verbinden sich biographisch ganz selbstverständlich miteinander. Die Überlappungen zwischen den traditionellen Sozialformen der Religion und ihren neuen Ausprägungen sind groß – und genau darin liegt vielleicht ihre eigentliche und weitreichende Relevanz. Wer nur Mitgliederzahlen oder die Auflagenhöhe von Publikationen heranzieht, wird die Bedeutung der neureligiösen Bewegungen nur ansatzweise erfassen, ja sogar verfehlen. Nicht die organisatorische Verdichtung oder die Zahl der Akteure machen diesen Trend für das religiöse Feld wichtig, sondern die Ausstrahlung und Verbreitung

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der damit transportierten Überzeugungen und Praktiken. Die sogenannte New-AgeBewegung war kein isoliertes Phänomen, im Gegenteil: »Esoterische Praktiken und Diskurse wurden nach ›1968‹ vielmehr öffentlich und massenhaft vermittelt und angeeignet«.57 Ohne dass hier eine einfache Beziehung zwischen Ursache und Wirkung behauptet werden soll, ist die Parallelität doch offensichtlich: Das Aufkommen und die Verbreitung der neureligiösen Bewegung ging einher mit einer umfassenden Welle der Psychologisierung und Therapeutisierung in der Gesellschaft. Die großen Kirchen waren ebenso in diesen Trend hineingenommen wie sie ihn teilweise auch aktiv mitgestalteten. Zu Recht sind daher die 1970er und 1980er Jahre auch mit Blick auf die katholische und die protestantische Religionsgemeinschaft als »therapeutische Jahrzehnte« charakterisiert worden, in denen sich die Formen der Selbstkonzeption der Kirchen wie auch der davon abgeleiteten Seelsorge stark veränderten.58 Der Mensch als Totalität war nun Ziel der Seelsorge, Körper und Geist sollten zusammengebracht und in allen Lebensphasen »therapeutisiert« werden. Statt religiöser Unterweisung setzten die kirchlichen Fachkräfte nun auf eine lebensweltliche Begleitung, die bestenfalls noch gelegentlich einen religiös eingefärbten Akzent setzte. Eine Vorreiterrolle hatten auch in diesem Bereich die kirchlichen Akademien, wenn sie auf ereignisorientierte Angebote setzten und aktiv neue Formen der Meditation und der Beratung in ihr Angebot aufnahmen.59 Mit Psychologen sowie Heil- und Sozialpädagogen, später auch den Laientheologen betraten nun völlig neue Berufsgruppen die religiöse Bühne und erweiterten das Spektrum derjenigen ganz erheblich, die als Experten auf diesem Gebiet agierten. Damit dehnte sich nicht nur der entsprechende Dienstleistungsapparat aus, sondern verstärkt fungierten auch Frauen als Expertinnen in diesem Gebiet. Auch wenn die katholische Kirche bis heute Frauen die Priesterweihe versagt und in der protestantischen Kirche die Frauenordination erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Normalfall wurde, gab es doch mit den Seelsorgehelferinnen, Pastoralassistentinnen und Katechetinnen schon immer Berufsgruppen, in denen Frauen stark vertreten waren. Mit den Absolventinnen aus der Psychologie und der Pädagogik kamen nun weitere Qualifikationsgruppen hinzu, die das männliche Monopol bei der Auslegung und Vermittlung von Religion weiter einschränkten. In vielerlei Hinsicht reagierten die Kirchen mit ihrer institutionellen Veränderung auf den Trend, den die religiöse Basis bereits deutlich markiert hatte. Entkirchlichung bedeutete nur im Ausnahmefall den absoluten Bruch mit der Institution. In der Regel äußerte sich diese in einer Distanzierung von einem durch die Kirche angeleiteten Lebenswandel. Die vormals starke Bindung ging über in einen mehr oder weniger offenen Zugang zu bestimmten Angeboten. Immer weniger äußerte sich die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft durch einen regelmäßigen Kirchgang oder die kontinuierliche Teilnahme an Gemeindeveranstaltungen. Die religiösen Angebote, vor allem die Riten an verschiedenen Lebenswenden wie Taufe, Kommunion, Konfirmation oder das christliche Begräbnis, fungierten für größere Teile wie eine Art Hintergrundmusik, die gelegentlich eingespielt wurde, deren Melodie und Takt das Leben aber nicht (mehr) bestimmten. Der stark kirchlich gebundene Christ verschwand als Sozialform

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nicht, wurde aber zu einer Randfigur. Im Spektrum der Kirchengebundenen tauchten nun andere Frömmigkeitstypen wie beispielsweise der Kirchentagschrist auf, der insbesondere die religiöse Erfahrung in der Massenveranstaltung suchte. »Die früher an den unscharfen Rändern der evangelischen Kirche angesiedelte vagabundierende Religiosität findet sich nun auch in den kirchlichen Binnenmilieus«, so beklagte beispielsweise der Theologe Friedrich Wilhelm Graf diese Entwicklung, »und synkretistisch bunte ›Cafeteria‹ mit ganzheitlicher Körpererfahrung, importierter Reinkarnationshoffnung und narzisstischer Gefühligkeit wird inzwischen auch auf Kirchentagen gefeiert.«60 Die Veränderungen als »Karneval der spirituellen Suche«, »wild wabernde Psychokulte« oder »Supermarktspiritualität« abzutun, geht aber zumindest teilweise am Phänomen vorbei.61 Es ist nicht zu verkennen, dass diese Entwicklung durchaus Vorbilder im kirchlichen Bereich selbst hat. Die großen Volkskirchen waren nie so einheitlich, wie es sich so mancher Kirchenfunktionär oder geistlicher Leiter vielleicht gewünscht hatte. Einer der Begründer der Religionssoziologie, Ernst Troeltsch, erweiterte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die von Max Weber aufgebrachte Unterscheidung von Kirche und Sekte um eine dritte Größe, den »Spiritualismus«. Dieser sei »die Verinnerlichung und Unmittelbarmachung der in Kult und Lehre verfestigten Ideenwelt zu einem rein persönlich-innerlichen Gemütsbesitz.«62 In der mittelalterlichen Mystik, der sakralen Praxis der Mönche, aber auch in bestimmten Formen der Laienfrömmigkeit war diese Tendenz immer präsent, blieb aber in der Regel auf kleine Kreise beschränkt. Zweifelsohne nahm seit Ende der 1960er Jahre der Grad noch einmal zu, in dem unter dem Dach der jeweiligen Kirche unterschiedliche Frömmigkeitspraktiken und Glaubensformen miteinander koexistierten oder, so die weniger harmonische Alternative, einen Dauerkonflikt institutionalisierten.

Die Nicht-Religiösen – Zum Porträt einer (fast) unbekannten Gruppe Die heute so populäre Diagnose einer Resakralisierung lässt eine ganz manifeste Entwicklung in den Hintergrund treten, die das religiöse Feld in besonderer Weise prägt: Der abschmelzende gesellschaftliche Konsens in religiösen Fragen brachte nicht nur eine Pluralisierung verschiedener Religionsauffassungen und -stile mit sich, sondern ließ auch die Gruppe derjenigen wachsen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören und in der Regel auch nicht religiös sind. In Deutschland zählt etwa ein Drittel der Bevölkerung zu dieser Gruppe. In der Tendenz steigt ihre Zahl, da die Konfessionslosen in den jüngeren Generationen stärker vertreten sind als in den älteren Geburtskohorten.63 Ein Blick auf die Entwicklung dieser Gruppe in den vergangenen 20 Jahren hilft nicht nur dabei, die Reichweite dieses sozialen Phänomens einzuschätzen, sondern auch ein Gespür für die Dynamik dieses Prozesses zu bekommen. 2008 gaben jeder sechste in Westdeutschland sowie zwei von Dreien in Ostdeutschland an, keiner Konfession anzugehören. Regional ist die Verteilung und die kulturelle Einbettung des Phänomens damit höchst ungleich:

Der Glaube im Leben

Im Westen Deutschlands ist der Schritt in die Konfessionslosigkeit nach wie vor eine Entscheidung gegen den gesellschaftlichen Mainstream, in dem die Konfessionszugehörigkeit immer noch die Norm ist. 19 Prozent der Bevölkerung sind eindeutig religionslos.64 Im Osten Deutschlands sind statistisch gesehen 63 Prozent ebenfalls konfessionslos und bestätigen damit denjenigen, der sich gegen die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft entscheidet. Eine Kultur der Konfessionsmitgliedschaft im Westen trifft somit auf eine Kultur der Konfessionslosigkeit im Osten. Diese Überlegungen dürfen aber nicht zu dem Trugschluss verleiten, dass allein die Wiedervereinigung den hohen Anteil von Konfessionslosen erklärt. Schaut man nur auf das Gebiet der alten Bundesrepublik, dann sieht man, dass sich auch dort seit den 1980er Jahren die Zahl der Konfessionslosen verdreifacht hat – angesichts der weniger als zwei Jahrzehnte, in der diese Entwicklung stattfand, ist das eine »massive Bewegung«.65 Bemerkenswert ist außerdem, dass sich auch in anderen Hinsichten die nach wie vor bestehenden Gegensätze zwischen den neuen und alten Bundesländern abschleifen. Schaut man neben der Mitgliedschaft auf die Kirchenpraxis, dann werden die Unterschiede blasser: Weder in West- noch in Ostdeutschland sind Kirchgang oder Mitarbeit in den Gemeinden die Regel, sondern die Ausnahme. Der Unterschied liegt vor allem in der formalen Mitgliedschaft, und auch dabei ist der Osten Avantgarde und nimmt in gewisser Hinsicht die Zukunft des Westens vorweg. Hatte insbesondere die evangelische, aber auch die katholische Kirche nach der Wiedervereinigung darauf gehofft, dass sich das Niveau der Kirchlichkeit in der ehemaligen DDR dem Westen annähern werde, hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren das Gegenteil entwickelt: Die langfristige Entwicklung steuert auf eine niedrige Konfessionsmitgliedschaft in beiden Teilen Deutschlands zu, welches vom Niveau her wahrscheinlich noch unter die Tiefstwerte sinken wird, die zur Zeit in den neuen Ländern zu verzeichnen sind.66 Neben den Kirchenaustritten ist es vor allem der Abbruch der Tradierungskette, der diesen Trend bewirkt: Immer weniger Eltern erziehen ihre Kinder in Orientierung an dem religiösen Angebot der christlichen Kirchen. Etwa zwei Drittel der im Jahr 2008 Religionslosen wurden bereits nichtreligiös erzogen. Neben diejenigen, die persönlich die Entscheidung zum Austritt getroffen haben, tritt damit die immer größer werdende Gruppe derjenigen, die in die Konfessionslosigkeit hineinsozialisiert wurden. Da Religion immer weniger zum klassischen Repertoire der Familien- oder schulischen Erziehung gehört, steigt der Anteil der Religionslosen mit dem Abbruch dieser Tradierungskette nahezu automatisch.67 Konfessionslos zu sein bedeutet nicht zwingend, religionslos zu sein. Auch jemand, der keiner Religionsgemeinschaft angehört, kann privat und für sich Formen einer religiösen Transzendenzbindung pflegen. Wahrscheinlich ist dieser Fall aber nicht! Mit verschiedenen Erhebungs- und Fragetechniken hat die Religionssoziologie ermittelt, dass mindestens 70  Prozent derjenigen, die nicht einer Konfessionsgemeinschaft angehören, nicht religiös sind und sich auch keiner Form außerkirchlicher Religiosität oder Spiritualität bedienen. In ihrem Leben spielen Fragen nach Transzendenz oder den letzten Dingen keine Rolle. Zwar gibt es bei der Hälfte von ihnen ein intellektuelles

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Interesse an und eine Auseinandersetzung mit der Religion. Dahinter aber wird sich weniger eine subjektive Religiosität verbergen als vielmehr ein ganzes Bündel von Motivationen, welches von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bis hin zu einem atheistischen Sendungsbewusstsein reichen kann. Zum Vergleich: Auch unter den Angehörigen der christlichen Kirchen machen die Meinungsforschungsinstitute jeweils einen Anteil von religionslosen Personen aus, 15 Prozent unter den evangelischen und 17 Prozent unter den katholischen Christen.68 Gesellschaftlich wie auch politisch ist die Gruppe der Religionslosen wenig beachtet und marginalisiert. In der Religionsforschung wie auch in der daran interessierten Öffentlichkeit wird Religionslosigkeit bislang vor allem als Schattenseite der Säkularisierung thematisiert. Wo Kirchenbindung erodiert, da wird vor allem Verlust konstatiert, so die geläufige Perspektive. Die Religionslosen selbst kommen solchermaßen vor allem als Vertreter von Devianz, als verirrte Gläubige oder, mit Blick auf die bundesrepublikanische Gesellschaft, als abgefallene Christen in den Blick. Allein die Bezeichnung »Konfessionslose« verrät, wie stark diese Gruppe vor allem in Abgrenzung zur (Noch-)Mehrheitsgesellschaft gedacht wird. Die Wissenschaft hat die Nicht-Religiösen dann in den Blick genommen, wenn sie organisiert waren: Am Rand der Arbeiterbewegung wie auch im liberalen Spektrum entwickelten sich nach dieser Sichtweise in den Zusammenschlüssen von Agnostikern, Atheisten und Freidenkern Potenziale, die sich mittels ihrer Forderung nach Religionsfreiheit auch für allgemeine Freiheits- und Menschenrechte stark machten. Darüber hinaus war es der Markt der Bücher und Ideen, auf dem Vertreter dieser Richtung gesichtet, in ihrem Denken analysiert und einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurden.69 Auf diese Weise etablierte sich ein Blick auf die Religionslosen, der wiederum vor allem die Ausnahme thematisierte. Die Religionslosigkeit als populäre und demografisch weitgreifende Kategorie blieb hingegen außen vor und wird erst jüngst als Thema entdeckt. Diese Zurückhaltung erklärt sich vor allem mit den Schwierigkeiten, die Gruppe der Religionslosen exakt zu bestimmen. Schon allein die Nicht-Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, die in der Regel in Deutschland über die Kirchensteuer leicht zu ermitteln ist, wurde in anderen Ländern erst spät systematisch erhoben. Vor 1961 ordneten beispielsweise im stark katholischen Irland Statistiker und Demografen all diejenigen, die nicht einer Religionsgemeinschaft angehörten, der Kategorie »not stated« oder »keine Antwort gegeben« zu.70 Erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, als die religiöse und kulturelle Dominanz der Kirchen zu erodieren begann, entwickelte sich auch eine neue Sensibilität für diese Bevölkerungsgruppe. Diejenigen, die ihre Religionsabstinenz zu einem politischen Thema machen und sich deshalb in Zusammenschlüssen organisieren, repräsentieren nur einen Bruchteil der Religionslosen insgesamt. So umfasst beispielsweise der 1993 gegründete Humanistische Verband Deutschlands und damit die größte »Kultur- und Interessenorganisation von Menschen […], die sich keiner religiösen Weltanschauung zugehörig fühlen«, gerade einmal zehntausend Mitglieder.71 Dem Gros der Religionslosen ist schlicht nicht daran

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gelegen, ihre Haltung im öffentlichen Leben aktiv zu demonstrieren oder für daraus abgeleitete Rechte zu streiten. Aber selbst für die in den verschiedensten Vereinen und Verbänden zusammengeschlossenen Aktivisten gilt, dass sie nur ein minimaler gemeinsamer Nenner verbindet. Einig ist man sich lediglich in zwei Punkten: in der Skepsis gegenüber den großen Religionssystemen wie auch den darauf basierenden Konfessionen als auch in der Abwehr des Vorwurfs, als Nicht-Religiöse verträten sie keine Werte. Schon bei der Frage aber, welche Konsequenzen aus dieser Abwehrhaltung zu ziehen sind, gehen die Vorstellungen weit auseinander.72 Während sich der kleine, in der öffentlichen Debatte aber hoch präsente Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten vor allem als scharfer Kirchenkritiker profiliert, ist anderen, wie zum Beispiel dem Verein Jugendweihe Deutschland, vor allem an der Schaffung von Alternativen gelegen. Und während sich der Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften für die Abschaffung jeglicher Kirchen- oder Religionssteuer einsetzt, erheben Mitglieder des unter seinem Dach vertretenen Bund Freireligiöser Gemeinden genau solche. Von einer politischen Bewegung mit einiger Schlagkraft ist diese nur lose verbundene Ansammlung von Gruppen und Grüppchen weit entfernt. Es deuten sich aber Änderungen in der Ausrichtung einzelner Initiativen an, die weitreichende Bedeutung auch für eine mögliche Bewegung der Religionslosen insgesamt haben könnte. Mittlerweile tritt nur noch eine Minderheit, und zwar vor allem Angehörige der älteren Generationen an, um mit den Religiösen über die »letzten Dinge« und die Berechtigung eines solchen Glaubens zu streiten. Der Humanistische Verband als jüngste Gründung beispielsweise entfernt sich von der freidenkerischen Kirchen- und Religionspolitik, die die atheistischen Vereinigungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts betrieben, und wendet sich zunehmend der Aufgabe zu, als Vertretung der Konfessionslosen im politischen Feld zu agieren. Unabhängig von Verbandsinteressen soll die politische Ordnung mit diesem Anspruch an eine wichtige Herausforderung erinnert werden: Die Auseinandersetzung um die Stellung der Religion in der Gesellschaft wird nicht nur zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften mit dem Staat als neutralem Mittler zwischen diesen geführt. Darüber hinaus wird dem pluralistisch strukturierten Gemeinwesen und seinen politischen Vertretern zunehmend auch aufgetragen, Anwalt für die Konfessionslosen und deren Interessen zu sein.

3.2 Auf dem Weg zu einer multireligiösen Gesellschaft? Pluralität als Herausforderung Das religiöse Feld in Deutschland war nie einheitlich oder allein christlich geprägt. Neben den christlichen Kirchen sind es die großen Weltreligionen Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus, die präsent waren und in der öffentlichen Wahrnehmung das religiöse Leben mit prägten und prägen.73 Die größte Religionsgemeinschaft in Deutschland nach dem Christentum ist heute der Islam: Nach einer Erhebung des

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Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von 2009 leben circa vier bis viereinhalb Millionen Muslime in Deutschland, die als Gruppe in den aktuellen Debatten um das Verhältnis von Glaube und Gesellschaft hoch präsent sind. Hinzu treten 102.000 gläubige Juden, die 2011 innerhalb der registrierten Gemeinden des Zentralrates der Juden in Deutschland organisiert waren. Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst REMID schätzt die Zahl der darüber hinaus lebenden Juden auf 90.000. Diese Gruppe umfasst vor allem Einwanderer aus den osteuropäischen Staaten, die ihre Religion in der Regel aber nicht praktizieren. Hinzu kommen circa 3.000 Juden in Gemeinden meist liberaler Ausrichtung, die nicht im Zentralrat organisiert sind. Neben den beiden großen christlichen Kirchen, denen statistisch auch die verschiedenen protestantischen Freikirchen zugeschlagen werden, und den jüdischen Gemeinden verfügen nur wenige Gemeinschaften über verlässliche und regelmäßig aktualisierte Erhebungen zur Entwicklung ihrer Mitglieder oder Anhänger, so dass diese Angaben in der Regel auf Schätzungen beruhen. Die Zahl der in Deutschland lebenden Buddhisten beläuft sich somit im Jahre 2010 auf 270.000 Menschen, die Anhänger des Hinduismus auf 110.000. Das Gros machen dabei jeweils Immigranten aus verschiedenen Herkunftsländern aus. Die Zahl der »westlichen Buddhisten« als derjenigen, die in Deutschland zum Buddhismus konvertiert sind, wird auf 130.000 geschätzt. Die Gruppe der Hindus umfasst laut Schätzung 7.500 Personen, wobei hier der Übergang zu den neuen religiösen Bewegungen fließend ist. Die Mitgliederstruktur in den neureligiösen Gemeinschaften, die von den Anthroposophen über die Anhänger des Hexenkultes Wicca bis hin zu den Angehörigen der verschiedenen Reiki-Verbände reicht, unterscheidet sich grundlegend von den Konfessionskirchen. Statistisch erfasst sind vor allem organisationsförmige Gemeinschaften, die ihren Mitgliedern eine engere Bindung vermitteln. Circa eine Million Menschen sind in höherer Intensität an verschiedene Gruppen des neureligiösen Spektrums oder anderer Richtungen gebunden. Zu bedenken ist, dass der Bereich der alternativen Spiritualität von hoher Fluktuation, losen Bindungen und auch Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften geprägt ist. Workshops, Seminare und Therapiesitzungen laden zur Teilnahme ein, ohne dass man davon bereits eine herkömmliche Mitgliedschaft ableiten könnte. Veränderte man den Blickwinkel und zählte auch lockere Bindungen oder auch das gelegentliche Ausprobieren bestimmter Praktiken mit, so beliefe sich die Anhängerschaft alternativer religiöser Angebote auf circa zwei bis drei Millionen Menschen, ohne dass man diese Personen als im herkömmlich engeren Sinne als organisatorisch gebunden betrachten könnte.74 Insbesondere mit Blick auf das Angebot an Publikationen, an spirituellen Praktiken, Kultutensilien und Veranstaltungen zeigt sich das Feld bunter denn je. In einem insgesamt schrumpfenden religiösen Feld haben vor allem die Immigration, aber auch das Aufkommen neuer Religionen und neuer Formen religiöser Bindung auch in den Großkirchen die Situation vielfältiger werden lassen.75 Ist die deutsche Gesellschaft eine multireligiöse Gesellschaft? Auch wenn der oben skizzierte erste Augenschein dafür spricht, ist die Antwort doch negativ. Nach wie vor stellen die Christen beider Konfessionen sowie der Freikirchen und anderer christlich

Auf dem Weg zu einer multireligiösen Gesellschaft?

inspirierter Gemeinschaften das Gros derjenigen, die religiös aktiv sind. Drei Viertel der Menschen im Westen wie auch ein Fünftel der Menschen im Osten Deutschlands gehören nach wie vor einer der christlichen Großkirchen an. Auch ist ihr Einfluss im gesellschaftlichen und politischen Bereich immer noch hoch. Insbesondere mit Blick auf das alte Westdeutschland lässt sich die religiöse Situation als ein »asymmetrisch religiöser Pluralismus« beschreiben.76 Wie stark die traditionelle Prägung der Religionslandschaft durch die katholische und die protestantische Kirche bis heute ist, zeigt insbesondere der Vergleich mit der Einwanderungsgesellschaft Nordamerikas, in der die öffentliche Präsenz der religiösen Pluralisierung viel höher ist. Nicht allein die Zahl religiöser Organisationen und der mit ihnen verbundenen Menschen lässt Aussagen über den Grad der Pluralisierung einer Gesellschaft zu.77 Zugleich ist die innergesellschaftliche Reflexion dieser Entwicklung interessant: Wird die Situation als pluralistisch wahrgenommen? Wollen die Bürger religiöse Pluralität? Oder empfinden sie diese eher als Bedrohung? Wie werden »fremde« Religionen und deren Angehörige beurteilt? In der Idealvorstellung entwickelt sich das Verhältnis von der Furcht vor Unterschieden über deren Akzeptanz hin zu einem Zustand, in dem Diversität als Faktor gesehen wird, der die Gesellschaft insgesamt bereichert. In politischen, aber auch ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Diskursen ist diversity als positiver Leitbegriff fest verankert. Eine europäisch vergleichende Umfrage, wie sie vom Exzellenzcluster »Religion und Politik« (Münster) in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführt wurde, beschreibt aber eine andere Haltung: Mehr als jeder zweite Deutsche gibt an, eine negative Einstellung gegenüber Muslimen zu haben (57,7 Prozent im Westen, 62,2 Prozent im Osten) und sieht die wachsende religiöse Vielfalt als Bedrohung. »Im Unterschied zu anderen Ländern ist das Bewusstsein von dem in der Pluralisierung des Religiösen und in anderen Religionsgemeinschaften verborgenen Potenzial kultureller Bereicherung und Vielfalt in Deutschland jedoch geringer ausgeprägt. Die Deutschen sehen die religiöse Pluralität und dabei insbesondere den Islam überwiegend negativ. Sie haben eine geringere Sensibilität für die Ambivalenzen des Religiösen und nur ein schwaches Bewusstsein für die in der kulturellen Vielfalt liegenden Chancen.«78 Der aktuelle Befund erklärt sich, wenn wir auf die Geschichte des Islam wie auch des Judentums im religiösen Feld der Bundesrepublik blicken.

Gekommen um zu bleiben. Der Islam in Deutschland »Muslime kämpfen für Katholiken«, so meldete Die Welt am Sonntag am 8. Januar 2012.79 Was war passiert? Wie alle Bistümer in Deutschland plante auch das Essener Ruhrbistum die Schließung und Zusammenlegung von katholischen Gemeinden. Davon betroffen waren auch sechs Gotteshäuser im Duisburger Norden und damit in unmittelbarer Nachbarschaft der größten Moschee Deutschlands. Insbesondere mit der Gemeinde Peter und Paul, so betonte der Vorsitzende des Vereins der MerkezMoschee, Muhammed Al, habe man immer regen Kontakt, ja sogar freundschaft-

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liche Beziehungen gepflegt. Der Grundstein für die enge Bindung zwischen Katholiken und Muslimen wurde mit dem »Wunder von Marxloh« gelegt. Bei der Gründung des dortigen muslimischen Gotteshauses hatten Moschee-Verein, die christlichen Gemeinden und die Stadt nicht nur reibungslos zusammengearbeitet, sondern an einem Strang gezogen und auf diese Weise deren Realisierung ermöglicht. Deshalb habe nun der muslimische Verein an den zuständigen Bischof Franz-Josef Overbeck geschrieben und darum gebeten, die katholische Gemeinde und ihr Gotteshaus nicht aufzugeben. An der Schließung führe kein Weg vorbei, so die postwendende Antwort aus dem Generalvikariat des Ruhrbistums. Nur noch 19 Prozent der im Stadtteil Lebenden seien Katholiken, die Seelsorgestruktur müsse zwangsläufig schrumpfen. »Nun«, so resümiert der Journalist, »scheint ein neues Wunder notwendig zu sein, diesmal für die Christen im Stadtteil.« Das »Wunder von Marxloh« zeigt die religiösen Akteure verschiedener Konfessionen verbündet in dem gemeinsamen Ziel, sich gegenseitig zu unterstützen. Religiöse Vielfalt, so die implizite Botschaft, verhilft dem religiösen Feld mittels Kooperation, wie in diesem Fall, aber auch durch Konkurrenz zu mehr Vitalität. Für die Geschichte des Islam in Deutschland ist die geschilderte Episode eher die Ausnahme von der Regel. Nicht Kooperation, sondern Nicht-Beachtung, Marginalisierung und Konkurrenz sind die prägenden Charakteristika. Insbesondere der Bau von Moscheen ist seit den 1990er Jahren immer wieder Anlass zu teils erbittertem Streit. Zunächst einmal wird wenig beachtet, dass Muslime schon viel länger in Deutschland präsent sind, als es die populäre Wahrnehmung wahrhaben will.80 Nach den losen Kontakten der vorhergehenden Jahrhunderte brachte zunächst der Erste Weltkrieg eine größere Zahl von Muslimen nach Deutschland. Als osmanische Kriegsgefangene in Berlin festgehalten, wurde für sie eine Moschee gebaut. Auch zu Zeiten der Weimarer Republik wirkten in Berlin Muslime, vor allem die Anhänger des Lahore-Zweigs der Ahmadija-Bewegung. Diese gründeten eine »Moslemische Gemeinschaft« und ließen 1925 eine bis heute bestehende Moschee in Berlin-Wilmersdorf erbauen. Während des Nationalsozialismus gab es Verfolgung und Repression gegen diejenigen Muslime, die beispielsweise gegen die sogenannten Rassegesetze verstießen, ohne dass es eine systematische Verfolgung gab. Andererseits avancierte beispielsweise das Islamische Zentral-Institut in Berlin ab 1942 ganz und gar zu einer Propagandaeinrichtung der Nationalsozialisten, machten sich die dortigen Gelehrten doch für einen ideologischen Brückenschlag zwischen dem Islam und dem Nationalsozialismus stark. Die Anfänge des Islam in der Bundesrepublik sind bescheiden. Zwischen Kriegsende und Anfang der 1960er Jahre wuchs die Zahl der Muslime von acht- auf sechzehntausend. Hamburg, München und Aachen entwickelten sich zu lokalen Zentren muslimischen Lebens in Deutschland, quantitativ wie auch gesellschaftlich aber blieb der Islam ein Randphänomen.81 Erst in den 1960er Jahren wuchs die muslimische Bevölkerung in Deutschland rasant an: 1971 zählte man bereits 250.000, ein Jahr später eine halbe Million. Nach dem Stand von 2009 geht man von 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime aus, die

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in Deutschland leben. Die Schwierigkeit dabei, genauere Zahlen anzugeben, erklärt sich daher, dass der Islam weder einen Aufnahmeritus noch eine den christlichen Kirchen vergleichbare Mitgliedschaft kennt. Daher schließen Wissenschaftler zumeist von der Staatsangehörigkeit der Immigranten auf deren Religionszugehörigkeit. Wie ungenau diese Methode ist, zeigt eine Korrektur, die 2008 vorgenommen wurde: Statistiker und Demoskopen hatten die Zahl der Muslime in Deutschland um eine Millionen nach oben korrigiert, da man zuvor den Blick doch auf zu wenige Herkunftsregionen eingeschränkt hatte. Ausgangspunkt für die verstärkte muslimische Einwanderung nach Deutschland war insbesondere das Anwerbeabkommen, welches die deutsche und die türkische Regierung am 30. Oktober 1961 abgeschlossen hatten und auf dessen Grundlage die Bundesanstalt für Arbeit für deutsche Unternehmen um Arbeiterinnen und Arbeiter warb. Ähnliche Vereinbarungen hatte es auch zuvor und danach gegeben, mit Italien 1955, Spanien und Griechenland 1960, mit Marokko 1963, Portugal 1964, Tunesien 1965 und Jugoslawien 1968. Das folgenreichste Abkommen dieser Art blieb aber das deutsch-türkische, war doch die damit ausgelöste Einwanderung nach Deutschland nicht nur eine sozial- und wirtschaftshistorisch wichtige Entwicklung, sondern hatte auch religionshistorisch weitreichende Folgen. Auch vom Balkan, aus dem Iran, aus Pakistan, Afghanistan und weiteren Staaten kamen Einwanderer muslimischen Glaubens. In ihrer übergroßen Mehrheit aber stammten sie doch aus der Türkei. Dabei kristallisierten sich in Deutschland rasch Zentren muslimischen Lebens heraus, die über die traditionellen Standorte hinausreichten: Neben einigen Regionen Bayerns sowie Hamburg und Hessen waren es vor allem das Ruhrgebiet und Berlin, in denen sich die muslimische Einwanderung konzentrierte und sich eigene lebensweltliche und religiöse Strukturen ausbildeten. Etwa 80 Prozent der Zuwanderer muslimischen Glaubens waren Sunniten und gehörten damit der islamischen Richtung an, die auch weltweit das Gros der Muslime stellt. Ihnen folgten die Aleviten mit 15 Prozent, die Schiiten (4 Prozent), sowie auch Angehörige einiger kleinerer Gemeinschaften.82 Die Religiosität der Immigranten entwickelte sich in engem Zusammenhang mit ihrer lebensweltlichen und rechtlichen Situation in Deutschland.83 In den sechziger und frühen siebziger Jahren war die »Arbeitsmigration« prägend. Einzelne, meist männliche Türken arbeiteten und lebten ohne ihre Familie und in oft kurzfristigen Arbeitsverhältnissen in Deutschland. Kulturell wie auch religiös war man stark an den Herkunftsländern orientiert: Nicht nur die Rentner kehrten oftmals in ihre frühere Heimat zurück, auch diejenigen, die in Deutschland verstarben, wurden ausgeflogen und an ihren Geburtsorten begraben.84 Der Wunsch, die eigene Religion zu leben, stieß unter diesen Umständen zunächst auf eine Reihe praktischer Probleme. Es fehlte an einer religiösen Organisation, an Gebetsstätten ebenso wie an Vorkehrungen dazu, dass sich Arbeitsrhythmen und Gebetszeiten koordinieren ließen. Wenn überhaupt, dann kam Hilfestellung von anderen Religionsgemeinschaften. So fanden die ersten kollektiven muslimischen Gebete meist in katholischen Kirchen, darunter dem Kölner Dom, statt.

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In der Aufnahmegesellschaft Deutschland fand der Islam zunächst aber wenig Aufmerksamkeit. Zum einen entsprach das Verhalten der Muslime genau dem vorherrschenden Bild von ihrer Religion, galt diese doch als »integrales Element einer agrarisch-vormodernen Lebensweise«. 85 Deshalb erwartete man, dass sich entweder die »Gastarbeiter« schnell wieder verabschiedeten oder sich doch bei einem längeren Aufenthalt im ›modernen‹ Deutschland an die Gegebenheiten vor Ort anpassten, sprich: dem allgemein erwarteten Säkularisierungstrend folgten und sich vom Islam distanzierten. In diesem Sinne wurde die ›fremde‹ Religion nicht als bedrohlich empfunden, sondern eher noch als Quelle säkularer Selbstbestätigung. Diese Haltung unterschied sich deutlich beispielsweise von der gesellschaftlichen Erwartungshaltung in den USA, in der gerade das Beibehalten der eigenen Religion als Voraussetzung einer erfolgreichen Ankunft in den Vereinigten Staaten gewertet wurde und wird. Anfang der 1970er Jahre änderte sich die Lebenswirklichkeit der Immigranten in Deutschland deutlich: Als mit der wirtschaftlichen Rezession im November 1973 alle Anwerbeabkommen aufgekündigt wurden, entschieden sich insbesondere viele türkische Muslime nicht wie erwartet zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer. Dieses Verhalten bekräftigte einen Trend, der sich bereits vorher angedeutet hatte: Statt nur auf Zeit in Deutschland zu bleiben, richteten sich viele Einwanderer darauf ein, dauerhaft in Deutschland zu wohnen und zu arbeiten. Sie holten ihre Familien nach, so dass der Anteil der türkischen Wohnbevölkerung in Deutschland stieg. Aus der Arbeitsmigration auf Zeit wurde eine Einwanderung und eine Ansiedlung auf Dauer.86 Parallel dazu wurde aus dem »Gastarbeiterislam«, der seine Bezugspunkte vor allem in den Herkunftsländern hatte und dorthin orientiert blieb, ein »immigrierter Islam«.87 Dieser entwickelte sich parallel mit dem Heranwachsen der zweiten und dritten Einwanderungsgeneration. In den muslimischen Gemeinschaften selbst waren Phänomene der Säkularisierung, vor allem aber der Intensivierung von Religiosität zu beobachten. Islamisch zu sein, war für diejenigen, die in Deutschland aufwuchsen, keine Selbstverständlichkeit, sondern musste vor dem Hintergrund der christlichen Mehrheitsgesellschaft erst bewusst angeeignet werden. Das Bekenntnis zum muslimischen Glauben verlangte daher dem Einzelnen eine persönliche Entscheidung ab, die fortwährend erneuert, vergegenwärtigt und begründet werden musste. Auf diese Weise, so folgert der französische Religionswissenschaftler Oliver de Roy, wurde Islamisch-Sein mehr und mehr zu einer individuellen Entscheidung, nicht mehr zu einer gegebenen kulturellen Praxis. Der praktizierte Islam entfernte sich damit von der Religiosität des Herkunftslandes und stand auf einer anderen Grundlage als die Glaubenshaltung der Eltern- und Großelterngeneration.88 Wie sich die Religiosität veränderte, war entscheidend auch von den Rahmenbedingungen geprägt, die die Mehrheitsgesellschaft vorgab. Der Prozess der Institutionalisierung, so haben insbesondere vergleichende Studien zur islamischen Immigration in verschiedenen Nationen ergeben, ist viel stärker von der Aufnahmegesellschaft und ihren religiösen, rechtlichen und politischen Voraussetzungen abhängig als von den religiösen Gebräuchen und Überzeugungen, die die Einwanderer mit-

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Abb. 6: Kleine Hinterhofmoschee im Duisburger Stadtteil Marxloh. (Foto: Peter Erik Hillenbach)

bringen. In diesem Sinne »bekommt jede Gesellschaft die Art von muslimischem Leben, die sie verdient.«89 Muslimisches Leben in Deutschland etablierte und entwickelte sich vor allem, so wird im Folgenden zu zeigen sein, innerhalb der Strukturen, die das religiöse Feld bereitstellte. Ausgangspunkt der stärkeren Institutionalisierung des Islam in Deutschland waren vor allem die seit den 1970er Jahren zahlreich entstehenden Moschee-Vereine. Um den informellen Sektor zu verlassen und in der Öffentlichkeit aktiv zu werden, wählten diese Initiativen meist die privatrechtliche Form des Vereins, wodurch diesen Gruppen zwar gewisse Steuererleichterungen gewährt wurden, aber nicht die Privilegien eines öffentlich-rechtlichen Status, wie ihn die christlichen Kirchen genossen. Erstes Ziel der Moschee-Vereine war die Errichtung von Gebetsstätten für die in Deutschland lebenden Muslime. Dazu mietete oder kaufte man Gebäude zunächst oft in Hinterhöfen oder anderen wenig repräsentativen Orten. Diese Räume dienten zugleich als Begegnungsstätten und auch als Orte der religiösen Unterweisung, so dass sie sich oftmals zu sozialen Zentren der unmittelbaren und weiteren Nachbarschaft entwickelten. Um den Erfordernissen einer muslimischen Lebensweise gerecht zu werden, eröffneten meist um diese religiösen Zentren herum spezialisierte Geschäfte und Märkte, in denen zum Beispiel Fleisch angeboten wurde, das nach islamischen Ritus geschächtet worden war und damit als halal galt. Nach und nach entwickelte sich auf diese Weise ein vielfältiges Netz von sozialen, kulturellen wie auch religiösen

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Aktivitäten, zu denen später auch eigene islamische Zeitungen und Internetangebote gehörten. Aktuell wird die Zahl der Moscheen in Deutschland auf circa 2.600 geschätzt. Der Großteil dieser Gebäude zählt nach wie vor zu den klassischen Gebetshäusern: Von innen zum Teil reich und traditionell kunstvoll dekoriert, fallen sie doch im öffentlichen Stadtbild nicht oder nur kaum auf. Insbesondere für die Phase des Gastarbeiterislam war diese Bauweise typisch. Anders als eine christliche Kirche ist eine Moschee kein geweihter Raum, erst die Anwesenheit der Betenden und Gläubigen macht sie zu einem Sakralbau und zu einem Haus Allahs. Die Voraussetzungen für das muslimische Gebet sind dabei denkbar einfach, orientiert sich der Raum doch am Vorbild des Wohnhauses des Propheten Mohammed in Medina und kann daher sehr schlicht sein. Ein sauberer Platz, eine chorförmige Gebetsnische, eine nach Mekka ausgerichtete Gebetswand, eventuell eine Kanzel und Waschgelegenheiten reichen aus, um alle Voraussetzungen zu erfüllen. Moscheen sind darüber hinaus Orte der Instruktion. Die Predigten sollen den Gläubigen Orientierung geben, sowohl in ihrem täglichen Leben als auch in ihren politischen Ansichten. Moscheen erfüllen damit eine Vielzahl von Funktionen: Hier versammeln sich die Gläubigen zum gemeinsamen Gebet, doch dienen Moscheen zugleich auch als Schulen und Sozialstationen, als Jugendzentren und Bürgerhäuser, Geschäfte und Begegnungsstätten, Kantinen und Cafés. Architektonisch demonstrierten diese ersten Gebetshäuser nicht nur die vermutete Vorläufigkeit des Islam in Deutschland, sondern standen auch für die starke soziale Zurückhaltung der Muslime im öffentlichen Leben. Der Islam in Deutschland startete als eine »Religion im Hinterhof«.90 Erste größere Moscheeneubauten gab es schon ab den fünfziger Jahren. Diese waren die Ausnahme von der Regel, zugleich auch Vorreiter für eine spätere Welle von Moscheebauten mit veränderter Ausrichtung: Der Fazle-Omar-Moschee (1957), der Imam-Ali-Moschee (1960–65) in Hamburg, der Bilal-Moschee in Aachen (1964–1968) und dem islamischen Zentrum in München (1972) haftete nicht mehr der Charakter eines Provisoriums an, sondern sie waren ein sichtbares Bekenntnis zur dauerhaften Verankerung islamischen Lebens in Deutschland. Erst in den 1980er und 1990er Jahren verließen die Moscheen dann zunehmend die Hinterhöfe und etablierten sich als zentrale Gebäude im Stadtbild. Die neugebauten islamischen Gotteshäuser der zweiten Generation wie die Fatih-Moschee in Pforzheim und insbesondere die zwischen 1993 und 1995 errichtete Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim demonstrierten damit nach außen hin, was sozialhistorisch schon längst zu Buche schlug: Die Muslime und damit der Islam waren zu einem untrennbaren Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden.91 Damit änderten sich auch Stil und Architektur islamischer Gebetshäuser in Deutschland. Nicht mehr der Ortsrand oder der unbedeutende Stadtteil, sondern zentrale Standorte in Großstädten wurden nun für die Großprojekte ausgewählt. Wenn in KölnEhrenfeld die Dachorganisation der türkischen Muslime DITIB eine Zentralmoschee errichtet, dann zielt diese Initiative auf ein Gotteshaus, welches sowohl von der Größe

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wie auch von der Repräsentation nach außen die Dimensionen früherer Moscheen in den Schatten stellt. Seit Anfang der 1990er Jahre traten immer öfter Haupt- oder Freitagsmoscheen an die Stelle von Nachbarschaftsmoscheen, öffentlich sichtbare Repräsentationsbauten haben die früheren Hinterhofgebäude abgelöst.92 Im Idealfall können Projekte zur Errichtung von Zentralmoscheen zur Verständigung zwischen Christen und Muslimen beitragen. Das nordrheinwestfälische »Wunder von Marxloh« ist ein Beispiel dafür. Eine Begegnungsstätte, ein Islam-Zentrum, aber auch die großzügige Unterstützung ihrer Finanzierung durch deutsche und europäische Stellen machen das für 1.500 Köpfe ausgelegte Gotteshaus zu einem weithin gepriesenen Vorzeigemodell. In der Regel aber ziehen diese in der Planungs- und Bauphase eine Reihe von Konflikten nach sich, die sich von den üblichen Auseinandersetzungen um öffentliche Großbauten deutlich unterscheiden. Das abstrakte Recht der Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung, wie ihn das Grundgesetz in Artikel 4 einräumt, wird konkret im Moscheebau, so dass dieser als »Lackmustest der Religionsfreiheit« fungiert.93 Welche Ausmaße dürfen Kuppel und Minarett haben? Vor allem die Frage danach, wie sich die Moschee zu benachbarten christlichen Sakralbauten und deren Kirchtürmen verhält, avanciert immer wieder zum Streitpunkt. Darf der Muezzin zum Gebet rufen? Wenn ja, wie oft und wie laut? Diskussionen um Lärmemissionen hat es auch bezüglich des Glockengeläuts von christlichen Kirchen bereits gegeben. Herausgefordert sehen sich dabei vor allem die säkularen Teile der Gesellschaft, die sich durch die praktizierte Religion beeinträchtigt sehen. Diese und ähnliche Streitpunkte werden vor Gericht ebenso ausgefochten wie in der Öffentlichkeit der Medien und der Straße. Nur allzu oft bieten Moscheebauprojekte aber über diese Fragen hinaus den Anlass zu sehr grundsätzlichen Auseinandersetzungen. Wie »Schlagbilder« (Aby Warburg) provozieren sie hoch brisante symbolische Anerkennungskonflikte. Zur Diskussion steht, welchen Stand die Muslime in der deutschen Gesellschaft haben und welche Bedeutung ihnen die nicht-muslimische Mehrheit einräumen will.94 Dabei können sich auf beiden Seiten Positionen zuspitzen: So wird ein Moscheebau dann von den beteiligten Muslimen zu einem Punkt stilisiert, an dem sich Integration zu erweisen und zu bewähren habe. »Wenn ich die Möglichkeit bekomme, eine Moschee zu bauen, sehe ich mich akzeptiert, und dann ist das hier meine Heimat«, so wird ein Mitglied des Moschee-Vereins in Wertheim am Main zitiert, der seine Identität als Deutscher weitgehend von dem Bauprojekt abhängig macht.95 Beim Bau und der Gestaltung der Moschee avancieren dann insbesondere religiöse Merkmale wie Kuppel, Minarett und Muezzin zu den Kernpunkten des Identitätskonflikts. Aus der Konfrontation in der Diasporasituation heraus tendieren manche muslimischen Gemeinden zu überkommenen Formen und Ausgestaltungen, die in islamischen Ländern in sakralen Neubauten schon weniger populär sind.96 In Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft bieten die Moscheebauten eine Projektionsfläche für Überfremdungsängste, die Furcht vor einer Parallelgesellschaft und islamistischem Terror ausdrücken. Regelmäßig wird auch die Forderung nach liberaleren Regelungen in islamischen Ländern erhoben: Während es in Deutschland der

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Verfassung entsprechend allen Religionsgemeinschaften frei steht, Gebäude für Kult und Gottesdienst zu errichten, bleibt christlichen Gemeinschaften in islamischen Ländern diese Möglichkeit oftmals verwehrt. Diesen Umstand nutzen rechtspopulistische oder rechtsradikale Gruppierungen oftmals aus und versuchen den Konflikt zusätzlich zu politisieren. Um überflüssige Konfrontationen zu vermeiden und Moscheeprojekte produktiv zu nutzen, gelte es, so der Politologe Claus Leggewie, auf Kompromisse bei den konkreten Bauprojekten hinzuarbeiten, die dabei entstehenden Diskussionen nicht zu »Alles oder Nichts«-Entscheidungen hochzustilisieren und stattdessen zum Anlass einer vertieften Begegnung werden zu lassen.97 Der Wunsch nach Wahrung der angestammten Heimat kollidiert mit dem Anspruch der islamischen Verbände, eine angemessene Repräsentation ihres religiösen Lebens zu finden. Damit ist ein Interessenkonflikt beschrieben, nicht aber ein clash of civilizations. Zugleich sollte auch im Blick bleiben, dass in lokalen Konflikten um Moscheebauprojekte die Religion meist nur eine Konfliktlinie unter vielen ist. »Zugespitzt formuliert, geht es in den Auseinandersetzungen weniger um die Verteidigung des dreieinigen Gottes gegen die islamische Variante des Monotheismus als vielmehr um die notorische Knappheit an Parkplätzen oder den alltäglich erfahrbaren Vandalismus in ›abgehängten‹ Stadtvierteln.«98 Der Problematik bei der Errichtung von Moscheen entspricht die Frage nach der religiösen Organisation des Islam in Deutschland. Hatten zunächst lokale oder regional orientierte Moscheebauvereine auch darüber hinausgehende Repräsentationsaufgaben übernommen, so traten bald schon zusätzlich Dachorganisationen auf den Plan, die sich für die Vertretung der religiösen und politischen Interessen einsetzten. Kaum einer dieser Dachverbände aber überschreitet die ethnisch-nationalen, religiös-theologischen oder politisch-ideologischen Grenzen, die innerhalb der muslimischen Gemeinschaft existieren, im Gegenteil: In vielerlei Hinsicht spiegeln diese Zusammenschlüsse oftmals die theologischen und politischen Auseinandersetzungen in den islamischen Ländern selbst. Das wohl prominenteste Beispiel bieten die verschiedenen Vertretungen der türkischen Muslime in Deutschland. Angestoßen von der scharfen Auseinandersetzung zwischen Laizismus und Islamisierung nutzten mit der Süleymanli- wie auch der Milli Görus-Bewegung zwei in der Türkei verbotene Strömungen die Möglichkeit, die Türken im Ausland für ihre Belange zu organisieren. Milli Görus wird seit einigen Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, ist aber nicht verboten. In den achtziger Jahren reagierte die staatliche Religionsbehörde der Türkei, Diyanet, darauf, indem sie mit der Türkischislamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) eine eigene Organisation schuf, der die Betreuung der im Ausland lebenden Landsleute übertragen und organisatorisch den türkischen Konsulaten zugeordnet wurde. Die DITIB betreibt zu diesem Zweck Gemeindezentren, Gebetsräume und Moscheen. Zwei Spitzenverbände versuchten nun ihrerseits die Szene zu bündeln oder, je nach Blickrichtung, zu dominieren: Zum Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) gehören neben eher linken und gewerkschaftlich organisierten Verbänden wie der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa auch die liberalere türkische Dach-

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organisation Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB). In genereller Konkurrenz dazu steht der insgesamt konservativer ausgerichtete Islamrat der Bundesrepublik Deutschland (IR), dem sich nicht nur die Milli-Gölus-Vereine, sondern auch eine Reihe anderer Gruppierungen angeschlossen haben. Aber auch damit ist keine umfassende Dachrepräsentation der Muslime in Deutschland gegeben, im Gegenteil: Zum einen repräsentieren auch ZMD und IR nur einen Teil der verschiedenen in Deutschland aktiven Gruppen und Bewegungen. Der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ), aber auch die verschiedenen Zusammenschlüsse alevitischer Muslime und Immigranten anderer Nationalitäten sind nur wenige Beispiele für die große, dort nicht repräsentierte Vielfalt. Die vom Bundesinnenminister 2006 erstmals eingeladenen Verbände repräsentieren weniger als 25  Prozent der Muslime in Deutschland. Umfragen unter den Muslimen zeigen, dass sich nur wenige von diesen Verbänden angemessen vertreten fühlen.99 Die dann einberufene Islamkonferenz reagierte darauf unter anderem damit, dass man zu den fünf Delegierten der islamischen Organisationen noch zehn unabhängige Vertreter einlud. Als noch weniger effektiv erwies sich der 2007 neu geschaffene Koordinierungsrat der Muslime, den gerade einmal zehn Prozent der befragten Muslime kennen. Der geringe Organisationsgrad erklärt sich vor allem dadurch, dass den islamischen Strömungen diese Art der Organisierung eigentlich fremd ist. Muslim ist, wer das islamische Glaubensbekenntnis vor zwei volljährigen islamischen Zeugen spricht, ein weiterer Aufnahmeritus oder eine Registrierung darüber hinaus ist unbekannt. Bis heute gibt es muslimische Stimmen, die eine weitere »Verkirchlichung« des Islam, wie sie mit der Bildung von Verbänden und Organisationen zu beobachten ist, sehr skeptisch beurteilen.100 Die verschiedenen Organisationen und Zusammenschlüsse spiegeln die ethnischen, nationalen, politischen und religiösen Unterschiede der Muslime in Deutschland und zeigen, wie vielgestaltig diese Gruppe in sich ist. Der von verschiedenen islamischen Organisationen immer wieder erhobene Anspruch, »die« Muslime in Deutschland zu vertreten, bleibt eine politische Behauptung, die den Verhältnissen nicht entspricht. Für die in Deutschland etablierten Staat-Kirche-Beziehungen ist diese Heterogenität ein Novum und damit eine besondere Herausforderung. Der deutsche Staat geht vom Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus und hat dementsprechend nicht auf eine bestimmte Form der Organisierung islamischer Interessen gedrungen. Die passive Haltung des Staates mag vorderhand wie ein liberales Zugeständnis erscheinen, auf lange Sicht kann sie sich durchaus als Nachteil erweisen. In den bewährten Bahnen der Staat-Kirche-Beziehungen zu verharren und darüber hinaus nicht tätig zu werden, bietet keine Lösungen: Das rechtliche Konstrukt der »Körperschaften des öffentlichen Rechts«, wie es neben den christlichen Großkirchen und Freikirchen auch jüdische Synagogengemeinden, die Heilsarmee oder die Zeugen Jehovas für sich in Anspruch nehmen können, greift im Fall der Muslime nicht. Bundesdeutsche Gerichte stellten mehrfach die »Dauerhaftigkeit« und die »Verfassungstreue« der antragstellenden Dachverbände in Frage. Im Jahr 2005 wurde dieser bis dahin geltende Ablehnungsgrund aufgeweicht, als das Bundesverwaltungsgericht auch den muslimischen Dachver-

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bänden den Status einer religiösen Gemeinschaft zusprach. »Das Bundesverwaltungsgericht kommt damit den Musliminnen und Muslimen in einem wichtigen Aspekt ihres religiös-theologischen Selbstverständnisses – ihrer vom kirchlichen Organisationsmodell abweichenden organisatorischen Verfasstheit – entgegen.«101 Probleme bereitet aber nach wie vor, dass aus juristischer Sicht die »Mitgliedschaft« in einer islamischen Gemeinschaft nicht eindeutig zu klären ist. Im Bereich der Politik ist vor allem die fehlende Hierarchisierung ein Problem, erschwert diese doch die Suche nach einem Ansprechpartner. »In das hiesige Staat-Kirche-System, das in mancher Hinsicht einem neokorporatistischen Kartell nahe kommt«, so urteilt Claus Leggewie, »passt der Islam a priori nicht«.102 Dennoch aber erwartet der Politologe eine Annäherung des Islam an diese Vorgaben, da die religionsrechtlichen Strukturen den einzelnen Gemeinschaften viele Vorteile böten. Von juristischer Seite aus sind die Hürden laut der jüngsten Diskussion nicht allzu hoch. Allein schon um die Legitimationsgrundlage für das Staat-Kirche-System in Deutschland nicht brüchig werden zu lassen, käme es darauf an, so urteilt der Staatsrechtler Hermann Weber, diese Regelungen so breit wie möglich anzuwenden.103 Diese Überlegungen machen rasch deutlich, dass der Wunsch nach einem Staat, der sich aus dem religiösen Feld heraushält und damit vermeintlich maximale Religionsfreiheit gewährt, eine Illusion ist. Allein dadurch, dass Gerichte und Behörden juristisch wie auch in der Verwaltungspraxis festlegen müssen, wen sie als Bestandteil des religiösen Feldes und damit als Ansprechpartner akzeptieren, gestalten sie diese Sphäre aktiv mit. Ob gewollt oder nicht, tragen sie damit zur Vereinheitlichung und »Formatierung des Religiösen« bei.104 Viele Irritationen und Schwierigkeiten in der Praxis gehen auf eine grundsätzliche Differenz zurück: Die bundesdeutschen Staat-Kirche-Beziehungen gehen von einer Trennung von Staat und Kirche aus und definieren auf dieser Grundlage dann »gemeinsame Angelegenheiten« wie zum Beispiel den Religionsunterricht, die von Kirche und Staat unabhängig und gleichgeordnet übernommen werden. Der Islam kennt dieses prinzipielle Gegenüber von Staat und Gesellschaft nicht, sondern setzt beide Sphären in eins. Deswegen mussten muslimische Gemeinschaften keine klaren Mitgliederrollen, Gemeindestrukturen oder Vertretungsorgane ausbilden, die sich nach innen gegenüber den Gläubigen und nach außen gegenüber Staat und Gesellschaft verbindlich äußern können. Religiöse Führungspersönlichkeiten oder einzelne Hochschulen können zwar für sich eine gewisse Autorität beanspruchen, füllen damit aber nicht die Lücke. Auf Seiten der muslimischen Verbände und Organisationen kann von Einmütigkeit keine Rede sein, im Gegenteil: Ihre Positionen in zentralen Fragen der Integration widersprechen einander häufig. Die Vielfalt der Zusammenschlüsse und die Beziehungen untereinander sind ebenso schwer zu überschauen wie ihre Verbindungen zu ausländischen Instanzen. Auf allen Ebenen »stößt man auf das gleiche Dilemma: Es ist kein definiertes, organisiertes mitgliedschaftliches Substrat vorhanden, dessen Organwalter in religiösen Fragen mit bindender Wirkung für ihre Gemeinschaft handeln könnten.«105

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Will man eine funktionierende und fruchtbare Zusammenarbeit, so wird dieses sowohl dem Staat wie auch den Muslimen in Deutschland eine Reihe von Veränderungen abverlangen: Der Staat wird sich nicht allein auf bislang erprobte Modelle der Beziehung zu den Religionsgemeinschaften zurückziehen können, sondern muss das System der »hinkenden Trennung« von Staat und Kirche mit Blick auf die muslimischen Gemeinschaften weiterentwickeln.106 Umgekehrt werden die islamischen Gemeinschaften und Organisationen Wege finden müssen, verlässliche, umfassende und stabile Repräsentationsformen auszubilden, die auf dem Boden des Grundgesetzes dem Staat gegenüber agieren können. Dass diese Perspektiven nicht allein theoretische Möglichkeiten sind, zeigen andere Situationen islamischer Diaspora wie zum Beispiel in Südafrika oder Österreich. Auch die jüdischen Kultusgemeinden haben in ähnlichen Problemlagen erfolgreich gemeindliche Formen gebildet.107 Vor dem Hintergrund der geschilderten Schwierigkeiten wird die Zukunft zeigen, ob es zu einer rechtlichen Gleichstellung der muslimischen Gemeinschaften mit den christlichen Kirchen kommen kann.

Zwischen Desinteresse, Furcht und Konkurrenz. Die deutsche Gesellschaft und der Islam Immer wieder sind es internationale Zusammenhänge, die das Image des Islam und damit auch die Wahrnehmung der Muslime in Deutschland beeinflussen. Schon zeitgenössisch machten viele Beobachter darauf aufmerksam, dass 1979 mit der Islamischen Revolution im Iran ein deutlicher Wandel im Bild des Islam stattfand: Der religiöse Würdenträger Ajatollah Khomeini stürzte den autokratisch regierenden Schah Mohammad Reza Pahlavi und stützte sich dabei auf religiös mobilisierte Bewegungen in der iranischen Gesellschaft. Viele internationale Beobachter fürchteten, dass sich auf diese Weise ein islamischer Gottesstaat entwickle, der auch international zu einem Sicherheitsrisiko werden könnte. Vergleichbar mit dieser über dreißig Jahre zurückliegenden Diskussion waren es in jüngster Zeit vor allem die Anschläge des 11. Septembers 2001, aber auch die Morddrohungen gegen Salman Rushdie, den Autor der Satanischen Verse, oder der Streit um die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitschrift Jyllands-Posten, die das Bild vom Islam und den Muslimen in unserer hochgradig von den Medien beeinflussten Gesellschaft prägen. Gegenüber dieser Bilderflut treten persönliche Erlebnisse und Anschauungen meist in den Hintergrund. Demoskopische Erhebungen zeigen, dass aktuell die Deutschen ein deutlich schlechteres Verhältnis zu nichtchristlichen Religionen haben als ihre europäischen Nachbarn, so das zentrale Ergebnis einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, die das Exzellenzcluster »Religion und Politik« der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 2010 durchgeführt hat.108 »Sie haben ein kritischeres Bild von Muslimen, Buddhisten, Juden und Hinduisten als die Franzosen, Holländer oder Dänen, sprechen sich häufiger als die Bevölkerung in Frankreich, Holland oder Dänemark gegen den Bau von Moscheen und Minaretten aus und sind weniger bereit, den Anhängern anderer Religionen gleiche Rechte zuzugestehen«, so der Projektleiter Detlef Pollack.

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Fragt man nach der persönlichen Haltung der Menschen zu den Mitgliedern unterschiedlicher religiöser Gruppen, treten die Unterschiede besonders deutlich hervor. Während in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden und Dänemark trotz aktueller und hoch emotional geführter Islamdebatten eine klare Mehrheit der Befragten ein positives Bild von den Muslimen hat, ist es in Deutschland nur eine Minderheit: In den alten Bundesländern haben 34 Prozent eine positive Meinung von Muslimen, in den neuen 26 Prozent. In den Niederlanden hingegen haben etwa doppelt so viele, nämlich 62 Prozent der Befragten, eine positive Haltung gegenüber Muslimen. Versucht man das Negativimage weiter zu spezifizieren, dann sind die Urteile der Westeuropäer ähnlich: Rund 80 Prozent denken beim Stichwort Islam an die Benachteiligung der Frau, circa 70 Prozent assoziieren Fanatismus mit dem Islam, etwa 60 Prozent Gewaltbereitschaft, rund 50 Prozent Engstirnigkeit. In dieser Einschätzung sind sich die befragten Westeuropäer weitgehend einig. Allein in Frankreich ist das Bild vom Islam zwar ebenfalls überwiegend durch negative Assoziationen bestimmt, die Kritik fällt aber deutlich gemäßigter aus. Versucht man die Gegenprobe und fragt nach positiven Eigenschaften des Islam, dann tritt wieder eine deutliche Differenz zwischen der Einschätzung in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zutage: Toleranz wollen dem Islam in Deutschland weniger als 5 Prozent zuschreiben, in Dänemark, Frankreich und den Niederlanden hingegen mehr als 20 Prozent, auf ebensolchem Level bewegen sich die Einschätzungen hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte und der Friedfertigkeit. »Auch bezüglich solcher Merkmale wie Toleranz, Friedfertigkeit oder Achtung der Menschenrechte stoßen wir in den Ländern außerhalb Deutschlands also nicht auf eine mehrheitlich positive Einschätzung, aber doch auf ein signifikant besseres Bild als in Deutschland.«109 Gibt es Erklärungen für diese länderspezifisch so unterschiedlichen Wahrnehmungen? Die Studie selbst bietet zwei Gründe an: Im Gegensatz zu Dänemark und dem dortigen Karikaturenstreit wie auch den Niederlanden, die durch die Ermordung des islamkritischen Regisseurs Theo van Gogh schwer erschüttert wurden, sind in Deutschland religiös aufgeladene Konflikte weniger stark sichtbar geworden, so dass die öffentliche Diskussion um die Stellung des Islam nicht so intensiv geführt wurde. In dieser Hinsicht kommt es darauf an, weiter und stärker Wissen zu vermitteln und Aufklärungsarbeit zu leisten. Zudem heben die Forscher auf die persönliche Begegnung der Befragten mit Muslimen ab. Je häufiger man Muslime trifft, desto wahrscheinlicher ist es, dass man zu ihnen ein positives Verhältnis entwickelt, so der statistisch belegte Zusammenhang. Deutlich weniger Deutsche als Franzosen berichten von persönlichen Begegnungen. In Westdeutschland haben 40 Prozent wenigstens minimalen Kontakt zu Muslimen, in den sogenannten neuen Ländern sind es nur 16  Prozent. Die Tatsache selbst, dass Kontakte zu Angehörigen fremder Religionsgemeinschaften mehrheitlich als angenehm empfunden werden, belegt, dass politische, gesellschaftliche und kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sind. »Die beachtlichen Differenzen in der Haltung gegenüber religiöser Vielfalt und religiöser Fremdheit zwischen Deutsch-

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land und den anderen untersuchten westeuropäischen Nationen zeigt allerdings auch, wie viel noch zu tun ist, bevor wir in Deutschland in der Lage sind, zu einem verträglichen Miteinander mit anderen Religionsgemeinschaften und deren Angehörigen zu kommen.«110 Leitet man die Entwicklung des Verhältnisses von Muslimen und Deutschen historisch her, dann fällt es leichter, diesen Befund einzuordnen und weiter zu qualifizieren: Die Zuwanderer aus islamischen Gesellschaften waren in den 1960er Jahren zunächst vor allem als »Gastarbeiter« gesehen worden, die ihre Arbeitskraft in Deutschland einsetzten. Mit der Rezession zu Anfang der 1970er Jahre kamen dann auch die Folgeprobleme der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer stärker in den Blick. »Die Türken kommen – rette sich wer kann« titelte Der Spiegel am 30. Juli 1973 und malte in reißerischer Manier eine drohende Katastrophe aus: »In immer größeren Schüben« schwärmten legal und illegal türkische Arbeitskräfte »von den Gestaden des Bosporus und aus dem Hochland von Anatolien ein.« Wo Kreuzberg einst echt berlinerisch war, sei nun ein neuer Lebensstil eingezogen. »Die Kneipe am Kottbusser Tor war mal echt Kreuzberg, Ecklage, Berliner Kindl, Buletten, Sparverein im Hinterzimmer. Heute rotiert am Buffet der Hammelspieß senkrecht, der Kaffee ist süß und dickflüssig, aus der Musikbox leiert orientalischer Singsang.« In all seinen Prognosen und Zerrbildern hob der Artikel vor allem auf die Konkurrenz am Arbeitsmarkt, die mangelnde Bildung und Hygiene sowie andere »Fremdartigkeiten« ab. Die Religion der Fremden spielte dabei zunächst keine Rolle.111 Politisch hatte man die Einwanderung und vor allem die Einwanderer in der ersten Phase weitgehend sich selbst überlassen. In den 1980er Jahren setzte dann ein langwährender politischer Grundsatzstreit ein, in der sich zwei antagonistische politische Konzepte gegenüberstanden: Sollte nach dem Ideal der »multikulturellen Gesellschaft« jede Gruppierung ihr Dasein nach eigenen Regeln gestalten, unbehelligt von den anderen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft? Oder war, wie CDU/CSU und FDP in ihrem Koalitionspapier von 1982 festzuschreiben versuchten, daran festzuhalten, dass Deutschland eben »kein Einwanderungsland« sei? Beide Konzepte gingen an der Realität vorbei und blockierten pragmatische Lösungen eher, als dass sie praktische Problemlösungen beförderten. Hatte die Religion der Zuwanderer zunächst keine Rolle gespielt, stieg diese aber im Laufe der 1970er Jahre zu einem wichtigen Definitionskriterium auf: Ungeachtet der nationalen, sozialen, aber auch religiösen Vielfalt der Zuwanderer wurden diese vor allem über ihre religiöse Zugehörigkeit beschrieben. An die Stelle der Türken als der größten Gruppe der Immigranten traten die Muslime, an die Stelle des »Gastarbeiters« trat der »homo islamicus«. Die Debatte in Deutschland war damit eingebunden in einen umfassenden Paradigmenwechsel, mit dem bei der Bestimmung kultureller Identität Religion zur Leitwährung aufstieg. Auf diese Weise wurden die Immigrantinnen und Immigranten zum »signifikant Anderen« stilisiert, da sich insbesondere die religiöse Differenz nutzen lässt, um die Fremdheit herauszustreichen. Bis in die vom Bundesinnenminister 2006 einberufene Islam-Konferenz setzt sich der Trend fort, kultur-

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essentialistisch von »dem« Islam zu sprechen. Damit legt man nicht nur aller Pluralität zum Trotz »die« Muslime auf bestimmte Normen, Werte und Handlungsmuster fest. Zugleich gerät auf diese Weise in den Hintergrund, dass viele Integrationsprobleme nicht als religiöse Probleme zu adressieren sind, sondern soziale, ökonomische oder politische Ursachen haben.112 Die essentialistische Bedeutung meint, dass sich die Kultur einer Gruppe objektiv anhand bestimmter Merkmale feststellen lässt. In dieser Bedeutung definiert sich die Gruppe durch ihre Kultur, wobei Kultur als eine Kombination aus Sprache, Brauchtum, Mentalität, Religion etc. aufgefasst wird. Hier wird der gruppenbezogene Kulturbegriff verwendet, wonach unter Kultur die geteilten Normen, Werte, Handlungs- und Interpretationsmuster einer Gruppe oder Gemeinschaft verstanden werden. Kulturelle Identität bedeutet in diesem Sinne zuerst einmal das inhaltliche Definieren und Festschreiben der Wesensmerkmale einer Gruppenkultur und für das Gruppenmitglied bedeutet es, dass es auf die vorgegebene Gruppenkultur festgelegt wird. Dieser Trend zur Betonung der Religiosität traf auf eine parallele Entwicklung in den Migrantenmilieus selbst. Immigration, so haben zahlreiche sozial- und kulturwissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, ist ein Prozess, der sich über mehrere Generationen erstreckt. Für die erste und die zweite Generation stellte Religion allenfalls einen Aspekt der jeweiligen Gruppenkultur. Erst in der dritten Generation wird Religion dann zum maßgeblichen Medium der Artikulation, Bewahrung und Neubestimmung ethnischer Belange.113 Untersucht man die Entwicklung der Migrationsgemeinschaften in Deutschland, dann bestätigen sich diese Überlegungen: Auseinandersetzungen um die Anerkennung von muslimischen Identitätsmarkern wie zum Beispiel das Kopftuch muslimischer Frauen oder der Bau von repräsentativen Moscheen sind ein Phänomen der achtziger und vor allem der neunziger Jahre und damit des Übergangs von der ersten zur zweiten und dritten Generation der Einwanderung. In dieser Phase etabliert sich eine »religiöse Wende«, die analog auch in den Organisationen der türkischen Einwanderer wiederzufinden ist. Diese Wiederaneignung des Islam durch die junge Generation wird von der Mehrheitsgesellschaft oftmals als »störend und angsteinflößend« empfunden.114 Eine besondere Rolle im deutschen Islamdiskurs und bei der Konstruktion des Bildes vom »homo islamicus« kam den christlichen Kirchen zu. Die evangelische und die katholische Kirche galten nicht nur allgemein als die Religionsexperten schlechthin, sondern waren auch die wichtigsten Ansprechpartner für die Politik, wenn es um das Verhältnis zum Islam ging. Muslimische Stimmen beklagten dieses schon bald als eine »groteske Situation«, werde doch die Konkurrenz zu Rate gezogen, nicht aber die Muslime selbst.115 Auch von ihrem eigenen Selbstverständnis her fühlten sich die christlichen Kirchen durch die wachsende Präsenz des Islam in besonderer Weise herausgefordert. Mitte der 1970er Jahre prognostizierte beispielsweise die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen »ein[e] ständige, an Gewicht zunehmende Präsenz des Islam in Deutschland wie in Westeuropa insgesamt.«116 Ähnlich äußerten sich Vertreter der katholischen Kirche.

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Der Islam, so der gängige Tenor in weltlichen wie in kirchlichen Medien, expandiere. Und diese Ausdehnung finde eben nicht nur in »fernen Ländern«, sondern »vor der Haustür« statt, so dass der Islam im kirchlichen Diskurs nicht nur als homogenisierte Glaubensgemeinschaft gedacht wurde, sondern auch als eine bedrohliche Konkurrenz. In diesem Sinne stellte die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 1971 heraus, dass der »totgeglaubte« Islam »wettbewerbsfähiger« geworden sei. Die neue Konkurrenz musste umso bedrohlicher wirken, da zur gleichen Zeit mittels der modernen Sozialwissenschaften der rasante Prozess der Entkirchlichung nachgewiesen worden war und in seinen Folgen breit diskutiert wurde. Wie begegneten Gesellschaft und Kirchen den muslimischen Einwanderern? Interessant ist, dass ihnen kein dezidiert religiös definiertes Gegenüber entgegengestellt wurde. Selbst die Kirchen machten nicht die »Christen« als Gegenpart stark, um ihren religiösen Kern herauszustreichen. Stattdessen betonten sie, wie hervorragend ihre eigene Religion in die bundesdeutschen Strukturen eingepasst sei. Insbesondere die evangelische Kirche, so analysiert Thomas Mittmann, betonte ihre Modernität als »›säkulare Kirche‹ und damit als adäquate Vergemeinschaftung für die ›moderne‹ westliche Gesellschaft.« Dafür stand vor allem das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum modernen Verfassungsstaat. Die katholische Kirche war mit dem Postulat der eigenen Säkularität zunächst zurückhaltender. Das Zweite Vatikanum hatte Mitte der 1960er Jahre den Weg dazu geebnet, Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christentum zu suchen. Aber auch im katholischen Bereich, so Mittmann, überwog letztlich die Forderung an den Islam, sich an die europäischen Traditionen und Interessen anzupassen.117 Auf dieser Folie der christlich-modernen Religion gab der Islam dann das Gegenbild ab: »Bis zu einer dem europäischen Christentum vergleichbaren Säkularisierung des Islam«, so stellten die Evangelischen Kommentare im Jahr 1987 fest, sei »es noch ein weiter Weg«, und erst »wenn die islamische Gesellschaft ihre eigene rationalistische Kultur schafft, werden sich die mittelalterlichen Instinkte und religiösen Exzesse aus dem Glauben des Propheten verbannen lassen«.118 Auch in der katholischen Zeitschrift Herder-Korrespondenz argumentierte man ähnlich, wenn man das Scheitern des kulturellen Wiederaufstiegs des Islam mit den unversöhnlichen Gegensätzen erklärte, die zwischen »islamischer Tradition« und »den Bedürfnissen eines modernen Staates« herrschten.119 Die Parallelen zum konservativen Abendlanddiskurs der 1950er Jahre, in dem sich ebenfalls ein westliches und spezifisch deutsches Überlegenheitsgefühl ausgedrückt habe, sind in dieser »kirchlichen Exklusionsstrategie« nicht zu übersehen.120 Mit dieser Umdefinition des Problems zu einem religiösen Konflikt waren auch die ›Rollen‹ bei der Problemlösung klar verteilt: Die Hauptverantwortung für die Integration trage die islamische Geistlichkeit, die ihren Gläubigen Antworten geben müsse auf die Frage, wie diese sich in die demokratisch westliche Gesellschaft zu integrieren habe. Zugleich boten sich die Kirchen damit als diejenigen Institutionen an, die diesen Modernisierungsprozess begleiten, vielleicht gar anleiten konnten. Das Islambild, so beklagen muslimische Stimmen selbst diese Situation, werde geprägt »durch eine auf

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Konkurrenzdenken beruhende Missionsliteratur, die den Islam bewußt abwertet und zu einer Gefahr für die Christenheit hochstilisiert«.121 Die Situation verschärfte sich Ende der 1970er Jahre. Der Sturz des persischen Schahs und die Errichtung einer islamischen Republik animierten weitreichende Befürchtungen und Fantasien. Der Islam »habe zum Angriff geblasen«, eine »Welle der Re-Islamisierung« sei im anrollen und die »weitgehenden Gefahren für die westliche Welt« nicht zu übersehen, titelten unisono verschiedene bundesdeutsche Presseorgane.122 Die kirchlichen Forderungen nach Anpassungen an die demokratische Grundordnung sowie nach Veränderungen in Theologie und Glaubensleben gingen nun Hand in Hand mit Überlegungen aus säkularen Quellen. Damit verband sich in den 1980er Jahren auch immer öfter der Appell an die muslimische Gemeinschaft, sich für mehr Religionsfreiheit in den Herkunftsländern einzusetzen. Insbesondere dann, wenn in Deutschland eine Moschee geplant wurde oder gebaut war, fehlte kaum einmal der Hinweis darauf, dass es christlichen Gemeinschaften in vielen islamischen Ländern nach wie vor verboten sei, Kirchen zu errichten. Aktuell ist das Bild vom Islam als ein potenzielles Sicherheitsrisiko nach wie vor von den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 in den USA geprägt. Die Bedrohungsszenarien nehmen immer dann an Schärfe zu, wenn in internationalen Konflikten islamistische Terroristen von sich reden machen. Skepsis gegenüber dem Islam findet sich ausweislich einer Studie des vom Bundestag 2001 eingerichteten Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin mittlerweile in allen politischen Lagern und in den verschiedensten Milieus der Gesellschaft. Hinter dieser Haltung bündeln sich ganz unterschiedliche Motive: Neben Befürchtungen um den Verlust der kulturellen Identität der Gesellschaft und Angst um die innere Sicherheit reichen die Bedrohungsgefühle bis hin zur Sorge um die Wahrung säkularer und emanzipatorischer Errungenschaften, die durch den Islam in Frage gestellt zu sein scheinen.123 Die wachsende gesellschaftliche Skepsis gegenüber dem Islam hat auch die Kirchen erfasst. In ihren offiziellen Äußerungen kommen seit der Jahrtausendwende islamkritische Positionen schärfer als zuvor zum Ausdruck. Die im November 2006 veröffentlichte Handreichung des Rates der EKD zum christlich-islamischen Dialog in Deutschland mit dem Titel »Klarheit und gute Nachbarschaft« unterscheidet sich von früheren Erklärungen durch eine größere Kühle und Distanz. Auch in diesem Fall spiegeln die Kirchen vor allem die gesellschaftliche Haltung insgesamt, die nur unzureichend zwischen den militanten islamischen Kräften und deren terroristischen Ausläufern in der arabischen Welt und den deutschen Muslimen trennt. Muslimische Verbände reagierten entsprechend enttäuscht oder verbittert auf diese Erklärung.124 Als Herausforderung im religiösen Sinne gestaltet sich die Begegnung mit dem Islam allerdings weniger auf einer (religions)politischen Ebene, sondern in der konkreten Begegnung religiös aktiver Menschen. Auch unter den Muslimen gibt es Prozesse der Individualisierung und der Pluralisierung, aber bei weitem nicht so ausgeprägt wie in der christlichen Bevölkerung. Ausweislich des von der Bertelsmannstiftung erstellten Religionsmonitors von 2008 sind 92 Prozent der in Deutschland lebenden

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Sunniten religiös, 42 Prozent sogar hochreligiös, bei den Schiiten sind es 90 und bei den Aleviten 77 Prozent. Blickt man allein auf den türkischsprachigen Teil der Muslime, dann lassen diese mit einer religiösen Prägung von 92 Prozent nicht nur die deutsche Durchschnittsbevölkerung weit hinter sich, sondern zeigen sich auch religiös aktiver als die Muslime in der Türkei, die zu 86 Prozent religiös sind. Hinzu kommt, dass viele Muslime in Deutschland ihren Glauben öffentlich leben. Für fast die Hälfte der männlichen Sunniten und ein Viertel der Schiiten sind der freitägliche Moscheebesuch und die regelmäßigen Gebete zentrale Praxis. Fasten- und Kleidungsgebote spielen für viele Muslime eine wichtige Rolle und machen ihren Glauben auch nach außen hin sichtbar. Großen Wert legen sie auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder und markieren auf diese Weise einen weiteren Unterschied zur christlichen Mehrheit. Diese und viele andere Faktoren qualifizieren die Muslime als eine in sich zwar differenzierte, aber dennoch hoch aktive Gruppe im religiösen Feld. Klingen die Glocken anders, wenn nebenan der Muezzin zum Gebet ruft? Haben die muslimische Zuwanderung und ihr Anspruch auf öffentliche religiöse Praxis das individuelle wie das kulturelle Bewusstsein für die christliche Mehrheitsreligion wachsen lassen? »Wenn in Bremen eine Grundschulklasse zur Kirchenbesichtigung kommt, sind es die kleinen Muslime, die dann alles wissen wollen. Ihr Interesse zieht die Mehrheit der kleinen (getauften) Christen mit und schafft eine neue Motivation, sich religiöse Zusammenhänge erklären zu lassen.«125 So wendet ein protestantischer Pfarrer das Aufeinandertreffen von Christentum und Islam ins Positive, berichtet aber auch von den Schwierigkeiten: Allein die Begegnung mit den islamischen Gläubigen fordere »die Bewahrung eines Irgendwiechristentums« ein, was von vielen Getauften aber mangels Wissen und Reflexion kaum geleistet werden könne. »Es fällt zunehmend schwer, überhaupt zu verstehen, worum gestritten wird.« Öfter aber geht es weniger um eine Begegnung zweier Religionen im Sinne eines christlich-islamischen Dialogs. In der Regel wird Religion als Argument vor allem vorgeschoben, um andere Positionen argumentativ zu untermauern. Wenn der Glockenschlag als europäisches Brauchtum gewertet wird, der Ruf des Muezzin aber als Lärmbelästigung gilt, dann fungiert Religion vor allem als Grundierung der vorherrschenden Kultur und des allgemein akzeptierten Brauchtums. Das öffentliche Hervortreten einer neuen Religion provoziert einen Rückgriff auf die ›eigene‹ Religion auch bei denjenigen, die sich vorher gleichgültig oder gar ablehnend gezeigt haben. Mittels Rückgriff auf ein solches »Kulturchristentum« gelingt es, die Identität der eigenen Gruppe zu stärken und den Opponenten noch stärker als fremd und anders zu markieren. Diese Reaktion hat der Soziologe Steve Bruce als »cultural defence« charakterisiert. Zugleich weist er auch darauf hin, dass diese Antihaltung nur begrenzt mobilisiert, nicht dauerhaft ist und sich mit der Zeit abschleift.126 Diese Prognose lässt darauf hoffen, dass die Haltung der »cultural defence« vor allem ein Übergangsphänomen ist. Eine pragmatische Politik des Ausgleichs wird darauf achten müssen, nicht in die damit aufgestellte Falle der religiösen Dramatisierung zu laufen. Weder darf den islamistisch-radikalen Gruppen zu Lasten der schweigenden Mehrheit der moderaten

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Muslime politisches Gewicht eingeräumt werden, noch dürfen vordergründig christlich überformte und populistische Feindseligkeiten von deutscher Seite die Oberhand bekommen. »Der« Islam wird dann zu einem selbstverständlichen Teil Europas und Deutschlands werden, wenn er in seiner Vielgestaltigkeit erkannt wird und ihm die Politik eine Chance auf einen angemessenen Platz in der Gesellschaft einräumt.

Jüdisches Leben in Deutschland Ob es jemals wieder jüdisches Leben in Deutschland geben würde? Diese Frage war 1945 keine rhetorische, im Gegenteil: Am Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem von außen erzwungenen Ende des Nationalsozialismus wurde das ganze Ausmaß der Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa aufgedeckt. Lebten 1939 über neun Millionen Juden in Europa, so waren es 1945 nur noch weniger als 3,5 Millionen. Fast 5,7 Millionen Juden hatten ihr Leben durch Verfolgung und Ermordung im Nationalsozialismus verloren. In Deutschland hatten vor der Shoa zwischen 500.000 und 600.000 Juden gelebt. Eine Volkszählung im Juni 1933 listete 502.799 Juden in Deutschland auf. Schon 1939 hatte sich diese Zahl aufgrund von Emigration und Vertreibung auf 215.000 mehr als halbiert. Als 1941 die Deportationen von Juden in die Vernichtungslager einsetzten, hatte sich ihre Zahl noch einmal auf 163.696 verringert. Eine Erhebung am 1. April des Jahres 1943 führte dann nur noch 31.897 Überlebende auf. Von den rund 15.000 Juden, die zum Kriegsende noch in Deutschland lebten, dürfte etwa ein Drittel die Verfolgung in der Illegalität überlebt haben. Die meisten der Anderen hatten in Deutschland überdauern können, weil sie in sogenannter privilegierter Ehe mit einem nicht-jüdischen Partner verheiratet waren.127 »Deutschland ist kein Boden für Juden«, hatte angesichts dieser Geschehnisse der jüdische Publizist Robert Weltsch im Jahr 1946 konstatiert und zugleich gefordert, den »Rest jüdischer Siedlung« so schnell wie möglich aufzulösen.128 Ähnlich äußerte sich Leo Baeck, überlebender jüdischer Theologe und wohl prominentester Vertreter des Reformjudentums in Deutschland, wenn er davon sprach, dass die »Epoche der Juden in Deutschland ein für alle Mal vorbei« sei. Die Hoffnung, dass »deutscher Geist und jüdischer Geist auf deutschem Boden sich treffen und durch ihre Vermählung zum Segen werden können«, habe sich nicht erfüllt.129 Noch 1948 hatte der Jüdische Weltkongress im Sinne vieler zionistischer Organisationen erklärt, dass kein Jude mehr deutschen Boden betreten werde.130 Doch trotz der Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa und trotz der Erklärung des Jüdischen Weltkongresses hat sich jüdisches Leben in Deutschland erhalten und neu entwickelt: Bereits am 11. April 1945 und damit noch vor der militärischen Kapitulation fand sich in Köln eine jüdische Gemeinde zusammen, ähnliche Initiativen in anderen Großstädten folgten.131 Hinzu kam der jüdische Anteil an den sogenannte Displaced Persons. Mit diesem Begriff bezeichnete das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte die geschätzten 13,5 Millionen Menschen, die im Krieg aus den verschiedensten Gründen ihre Heimat verlassen hatten und nun nicht

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mehr zurückkehren konnten oder wollten. Unter ihnen befanden sich viele, die vom NS-Regime als Arbeitssklaven, als »Hilfswillige« oder als Lagerhäftlinge verschleppt worden waren, so zum Beispiel auch etwa 50.000 jüdische KZ-Überlebende. Zusammen mit den jüdischen Überlebenden, die nach Kriegsende vor antisemitischen Aktionen in osteuropäischen Ländern in den Westen geflohen waren, wurden sie in sogenannten DP-Camps untergebracht. Hier fanden über 140.000 Menschen eine meist nur vorübergehende Heimat, da viele von ihnen nicht in Deutschland bleiben, sondern in die USA, Großbritannien und nach Palästina auswandern wollten. Für diese Gruppe war die Gründung des Staates Israel 1948 ein wichtiger Einschnitt, die Zahl der jüdischen DPs ging schlagartig auf 30.000 zurück, da sich nun mit der Ausreise in den neuen Staat ein von vielen Juden ersehntes Ziel erreichen ließ. Allen Entbehrungen zum Trotz entwickelte sich aber auch in diesen Aufnahmelagern dank der gemeinsamen jiddischen Sprache und des gemeinsamen Schicksals ein vielfältiges soziales und kulturelles Leben, meist aber ohne für das jüdische Leben in Deutschland dauerhafte Impulse zu geben. Die Fortsetzung jüdischen Lebens war in der Regel keine bewusste Entscheidung für das Bleiben in Deutschland. Vielmehr führten oftmals besondere, aus dem erlittenen Schicksal erwachsene Gründe dazu: Einigen der vor den Nationalsozialisten geflohenen Juden war das »Gastland« immer fremd geblieben, andere hatten keine Berufsperspektive gefunden. Wieder andere kehrten in die angestammte Heimat zurück, um nach Familienangehörigen oder Freunden zu suchen und die überkommene Lebensweise wieder aufzunehmen. Oftmals lebten sie in einer doppelten Schwierigkeit: Von Juden außerhalb Deutschlands wurde ihnen vorgehalten, das Land nicht früh genug verlassen zu haben. Aber auch von der deutschen Mehrheitsgesellschaft wurde ihnen der Start schwer gemacht. Antisemitische Übergriffe, verbale und tätliche Aggressionen, aber auch die Schändung von jüdischen Friedhöfen waren auch nach dem Ende des Nationalsozialismus anzutreffen.132 Einen Aufruf oder eine Einladung an die emigrierten Juden, nach Deutschland zurückzukehren, hat es von Seiten der deutschen Behörden oder später von der Bundesregierung nicht gegeben. Zum 50. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erklärte der 1946 nach Deutschland zurückgekehrte jüdische Literaturwissenschaftler Hans Mayer den »Verzicht auf eine Geste, die erwartet wurde und unterblieb«, für einen Fehler. »Man hat [die Verjagten] nicht zurückgeholt, man kam gar nicht auf den Gedanken.«133 Befragungen durch die amerikanische Militäradministration und durch Meinungsforschungsinstitute offenbarten, wie stark ein latenter Antisemitismus weiterhin vorhanden war. Von den Befragten antworteten 1952 noch 37 Prozent, dass es besser wäre, keine Juden im Land zu haben. Die Zahl derer, die diese Position befürworteten, sank 1956 auf 26 Prozent und bewegte sich auch in den 1960er Jahren knapp unter der 20-Prozent-Marke.134 Ein staatlicher »Philosemitismus«, wie er ebenfalls zu beobachten war, widersprach dem nicht: Insbesondere für die Regierung Adenauer wurde das Bekenntnis zur Wiedergutmachung vor allem als Instrument zur raschen Wiedereingliederung Deutschlands in die westliche Staatengemeinschaft genutzt. Auch in der Gesellschaft

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der Bundesrepublik folgte »die öffentliche Bekundung einer pro-jüdischen Haltung […] meist stereotypen Mustern und hatte hochgradig symbolischen Charakter«.135 Für die in Deutschland lebenden Juden korrespondierte die persönliche oder kollektive Erfahrung des Holocaust mit der erfahrenen Ablehnung nach 1945 und resultierte in dem Gefühl, »fremd im eigenen Land zu sein«.136 Folgt man den verschiedenen Studien, aber auch den dokumentierten Selbstaussagen, dann war jüdisches Leben in Deutschland stark von dieser Ambivalenz geprägt. Lebensgeschichtliche Interviews zeigen diese Haltung. »Meine Frau ist deutsche Jüdin, hat alles mitgemacht, KZ usw. Wir haben ’46 geheiratet. Da sie die deutsche Sprache beherrschte und gefühlsmäßig mehr an Deutschland gebunden war, haben wir [die Ausreise] verschoben. Wir wollten quasi die Letzten sein. […] Aber ich darf Ihnen dazu sagen, […] das ist auch unsere Schande heute, die meiner Frau und die meinige, dass uns aus verschiedenen Gründen nicht gelungen ist, aus Deutschland herauszukommen«, so blickte 1992 Isaac Waterstein auf sein Leben zurück, das ihn 1945 als 25jährigen in Garmisch-Partenkirchen hatte bleiben lassen.137 Auch Jahrzehnte später noch blieb für die Generation der Nachgeborenen ein großer Zwiespalt. Die Rede davon, »auf gepackten Koffern zu sitzen«, avancierte zu einer gängigen Standortbeschreibung, die oftmals Versprechen und Entschuldigung zugleich war. »Ich habe mich daran gewöhnt, hier wie selbstverständlich zu leben«, berichtet die 1946 in Deutschland geborene Gloria Kraft-Sullivan 1979. »Ob ich mich bedroht fühle? Nein. Das Leben ist trotz allem – Gott sei Dank! – auch für eine Jüdin nicht nur von der Auseinandersetzung mit altem und neuem Antisemitismus geprägt. Nein, bedroht nicht. Nur manchmal etwas unbehaglich. Auf dem legendären gepackten Koffer sitze ich deswegen zwar nicht. Doch er steht, für alle Fälle, im Keller in Reserve. Manchmal gehe ich hinunter und staube ihn ab.«138 Bis 1989, so ist von verschiedenen Autoren konstatiert worden, war für die Juden in Deutschland diese Verfolgungs- und Opfererfahrung das zentrale Element ihrer kulturellen Identität. »Hitler hat mich zum Juden gemacht«, so zitiert Erica Burgauer eine »immer wieder auftauchende Formulierung«, die diese Erfahrung zuspitzt.139 Eine Kontinuität zu den jüdischen Gemeinden vor 1941 gab es kaum, auch wenn man in einzelnen Fällen versuchte, an die lange Tradition des deutschen Judentums anzuknüpfen. In der Regel verzichtete man in den Folgejahren bewusst darauf, den Kindern deutsch-jüdische Geschichte zu vermitteln. Stattdessen boten ihnen die Gemeinden mit Informationen über den Staat Israel eine Identität jenseits der deutschen Gesellschaft an. Das führte in den Folgejahren verschiedentlich zu Spannungen zwischen der 1954 gegründeten Zionistischen Jugend Deutschland und den Gemeinden: Warben die einen offensiv für die Auswanderung nach Israel, sahen die anderen dadurch ihre Diasporaexistenz in Deutschland herabgesetzt.140 Gehen oder Bleiben? Diese existentielle Frage durchzog die jüdischen Gemeinden nicht nur in den ersten Nachkriegsjahren, sondern begleitete diese bis in die 1990er Jahre hinein. Beim Aufbau der Gemeindestrukturen fehlte es vor allem an Rabbinern und Kultusgegenständen. Die mit der amerikanischen Armee in Deutschland eingetroffenen jüdischen Geistlichen folgten meist der orthodoxen Tradition, verfügten lediglich über

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geringe Sprachkenntnisse und blieben nur kurzfristig in Deutschland. Unter diesen Voraussetzungen konnte gar nicht an das religiöse Leben vor 1933 angeknüpft werden. So trat zum Beispiel die einst in Deutschland vorherrschende liberale Tradition und Dogmatik eher in den Hintergrund. Das religiös-liberale Judentum wurde mit der deutsch-jüdischen Geschichte vor 1933 assoziiert und galt vielen als gescheitert. Stattdessen wurden Einheitsgemeinden gegründet, deren Kultus auch von den Orthodoxen akzeptiert werden konnte, so dass sowohl deutsche und die aus Osteuropa kommenden Juden wie auch verschiedene religiöse Ausrichtungen zusammengefasst waren.141 Anfang der 1950er Jahre lebten in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland nicht mehr als 25.000 jüdische Menschen, Ende 1951 hatte sich die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder nach offiziellen Angaben auf rund 21.500 reduziert. Aus den sogenannten »Ostblockstaaten« kamen Neumitglieder dazu. So gab es beispielsweise bereits in den siebziger Jahren eine erste Einwanderungswelle aus der Sowjetunion. Vor allem der Westteil Berlins wurde für die Zuwanderer zur neuen Heimat. Dennoch wuchs die jüdische Gemeinschaft nur gering an, 1989 lebten etwa 26.000 Juden in Deutschland.142 Mit der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland 1950 konsolidierte sich die Religionsgemeinschaft institutionell. Als »Körperschaft des öffentlichen Rechts« war der zentralen Vertretung der jüdischen Gemeinden ein Status zuerkannt, der eine politische Vertretung möglich machte. Kritisch betrachtet dienten die jüdischen Repräsentanten der jungen Bundesrepublik dem Ausland gegenüber als Ausweis für die eigene Neuorientierung und als Vehikel dazu, wieder in die Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden.143 Die Ausrichtung dieser Institution änderte sich, als Werner Nachmann zum Vorsitzenden gewählt wurde: Hatte sich die Zentralorganisation bis 1969 vor allem als Mahner an die Vergangenheit und Warner vor politischer Radikalisierung verstanden, setzte Nachmann auf eine stärkere Zusammenarbeit mit der Politik. Internen Kritikern galt dessen Amtszeit als eine Phase der »Honoratiorenpolitik«, die sich zu eng an die politischen Strukturen anlehnte. Insbesondere seine verteidigenden Worte zugunsten des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, der wegen seiner Amtsführung als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg in die Kritik geraten war, lösten in den Gemeinden Empörung aus. Vor allem jüngere Juden stellten die Autorität des Zentralrats als Repräsentation der deutschen Juden in Frage und kritisierten diesen als »innerlich ausgehöhlt«.144 Erst Ende der 1980er Jahre änderte sich diese Situation gravierend. Der Tod Werner Nachmanns im Januar 1988 war von der Aufdeckung einer Finanzaffäre begleitet, die seine Amtszeit zusätzlich diskreditierte und dessen Nachfolger Heinz Galinski zu einem entschiedenen Neuanfang bewog.145 Die größte Herausforderung entstand aber mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung ihres Machtbereichs. Ein Jahr nach dem Mauerfall schlossen sich im Dezember 1990 nicht nur die circa 350 in der DDR lebenden Juden dem Zentralrat der Juden in Deutschland an. Vor allem kamen auch etwa 190.000 sogenannter Kontingentsflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, von denen sich etwa die Hälfte jüdischen Gemeinden

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anschloss. Viele Beobachter und Aktive sind sich einig, dass ohne diese Einwanderung viele der existierenden jüdischen Zusammenschlüsse nicht überlebensfähig gewesen wären. Aktuell gehören dem Zentralrat der Juden in Deutschland mehr als 108 jüdische Gemeinden mit circa 105.000 Mitgliedern an. Hinzu kommen etwa 3.000 Juden, die liberalen Gemeinden angehören, und etwa 90.000 religiös nicht aktive Juden. Mit der Zuwanderung aus Osteuropa sahen sich die jüdischen Gemeinschaften vor neue Herausforderungen gestellt. Sie sind seit den 1990er Jahren ethnisch, kulturell und religiös heterogener geworden. 90 Prozent der Mitglieder in den jüdischen Gemeinden sind Neueinwanderer und deren Kinder. Sie kamen in den letzten beiden Jahrzehnten aus der ehemaligen Sowjetunion. Auch wenn sie oftmals als »Russen« bezeichnet werden, sind viele von ihnen ursprünglich Ukrainer, Weißrussen, Letten, Litauer, Kasachen oder Moldawier. Durch die Einwanderung ist die jüdische Gemeinschaft in die merkwürdige Lage gekommen, das die kleine Minderheit der deutschen Juden die Mehrheit der Einwanderer integrieren soll: Aus den 29.089 im Jahr 1990 registrierten jüdischen Gemeindemitgliedern sind bis 2008 106.435 geworden. Nach wie vor ringen mit den eingesessenen Juden und den Einwanderern zwei sehr unterschiedliche Gruppen um ein gedeihliches Miteinander. Zunächst einmal sind mit der Zuwanderung große soziale und religiöse Integrationsleistungen zu erbringen: Viele der Zuwanderer finden in ihren erlernten akademischen Berufen keinen Anschluss. Auch das Verständnis von der jüdischen Gemeinde ist unterschiedlich. Viele der neu Hinzugekommenen sehen diese mehr als kulturelle denn als religiöse Vergemeinschaftung. »Synagoge oder Kulturverein?«, in diesem Spannungsbogen bewegt sich die Diskussion zwischen deutschen und zugewanderten Juden.146 Auch der Bezug zur Vergangenheit ist dabei ein wesentlicher Aushandlungspunkt: Für die jüdischen Gemeinden in Deutschland ist die Shoa nach wie vor der zentrale historische Referenzpunkt. Natürlich wandelt sich der Bezug dazu auch in dieser Gruppe. Die Zahl der Überlebenden nimmt ab, Angehörige der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration treten an deren Stelle. Während insbesondere die Gemeinden der 1950er Jahre im innerjüdischen Diskurs entgegen den historischen Gegebenheiten als »Trauer«- oder »Liquidationsgemeinden« kritisiert wurden, die sich allein an die Vergangenheit klammerten, tariert die jüdische Gemeinschaft aktuell ihr Verhältnis zur Vergangenheit neu aus.147 Stellvertretend dafür steht der Führungswechsel an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland, wo nach der Amtszeit von Charlotte Knobloch der Vorsitz an Dieter Graumann und damit an einen Vertreter der Nachlebenden übergegangen ist. Auch wenn sich die dritte Generation ein neues Verhältnis zur Shoa erarbeitet, bleibt doch deren historische Erfahrung konstitutiv für die Beziehung zum deutschen Staat und zur Gesellschaft. Im Zentrum der kollektiven Erinnerung vieler ›russischer‹ Juden steht hingegen der Zweite Weltkrieg.148 In der sowjetischen Wahrnehmung endete der »große vaterländische Krieg« am 9. Mai 1945 mit dem Sieg über Hitlerdeutschland. Soll dieser Gedenktag auch in den jüdischen Gemeinden in Deutschland begangen werden? Die ordengeschmückte Brust der Kriegsveteranen und das gemeinsame Singen der alten

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Kampflieder sind für die russischstämmigen Juden Ausdruck ihrer kulturellen Identität. Mehr noch: Sie transportieren das Bild des jüdischen Soldaten, der als Kämpfer in der Roten Armee oder als Partisan die nationalsozialistische Diktatur besiegt hat. Für viele der deutschen Juden sind diese Erinnerungsmomente eine verstörende Art der Vergangenheitsvergegenwärtigung, die sich erheblich von bisherigen Gepflogenheiten abhebt. Die Siegerpose verstellt aus ihrer Sicht den Blick auf die Opfer der Shoa. Auch die Haltung zum Staat Israel ist in beiden Gruppen unterschiedlich: Die grundsätzliche und starke Loyalität zu Israel, wie sie die in Deutschland geprägten Juden artikulieren, trifft auf eine weniger starke Bindung der ›russisch‹ geprägten Juden. »Eine Minorität, die in der öffentlichen Selbst- und Fremdwahrnehmung wesentlich über den Holocaust definiert war«, so lässt sich der Stand heute resümieren, ist »mehr und mehr gekennzeichnet von internen Aushandlungsprozessen über die zukünftige Gestalt einer heterogenen Gemeinschaft, die ihren Platz in Deutschland mit zunehmender Selbstverständlichkeit behauptet.«149 Bei dieser Neuorientierung handelt es sich nicht allein um einen Machtkampf zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen und Interessenlagen. Zugleich wird in dieser Diskussion der religiöse, kulturelle und politische Ort des Judentums in Deutschland neu verhandelt. Konflikte können in einer solchen Situation nicht ausbleiben: Muss der Zentralrat der Juden auch die circa 3.000 liberalen Juden mit vertreten, die eigene Gemeinden gründeten und sich seit 1997 in der Union progressiver Juden zusammengeschlossen haben? Oder sind diese angehalten, ihre Belange unter dem Dach der Einheitsgemeinden und dem Zentralrat zu organisieren? Der Streit um Fördergelder ist seit dem Sommer 2004 beigelegt. Die grundsätzliche Frage nach der angemessenen Repräsentation der verschiedenen jüdischen Richtungen sowohl in politischer wie auch in religiöser Hinsicht ist damit allerdings noch nicht geklärt.150 In diesen und anderen Auseinandersetzungen verbinden sich ganz praktische organisatorische Probleme mit sehr grundsätzlichen Überlegungen, wie sie in anderen Religionsgemeinschaften auch angestellt werden: Der engagierte und viel diskutierte Aufbruch der Wenigen kann nicht verbergen, dass die Gemeinden einen immer kleineren Teil ihrer Mitglieder mit dem Angebot erreichen. Wie geht man mit der wachsenden Säkularisierung unter den Gläubigen um? Wie lässt sich eine wachsende religiöse Pluralität nach außen hin repräsentieren? Wie viel Einheit untereinander und wie viel Pluralität sollen und dürfen sein? Wie säkular dürfen sich die Gemeinden mit ihren sozialen und kulturellen Angeboten verstehen, wie stark muss und soll die religiöse Praxis im Vordergrund stehen? Der Generationenwechsel, die Zuwanderung aus Osteuropa wie auch die Neuaufbrüche und Wiedergewinnung verschiedener theologisch-religiöser Richtungen – die Vielgestaltigkeit jüdischen Lebens, wie sie sich in diesen und in weiteren Prozessen ausdrückt, ist ein Indiz für die Vitalität dieser Gemeinschaft. Während mancher Beobachter noch für offen hält, ob die Neuausrichtung erfolgreich sein wird, werten andere das deutsche Judentum mit seinen liberalen und orthodoxen Neuaufbrüchen mittlerweile als die »dynamischste jüdische Diaspora in Europa«.151

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In diesem Wandlungsprozess ist das gesellschaftliche Umfeld ein entscheidender Faktor: Die Renaissance jüdischer Zentren, Ausbildungs- und Kulturstätten wie zum Beispiel die Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg oder das Abraham-GeigerKolleg in Potsdam werden von einem regen gesellschaftlichen Interesse getragen. Ein Großteil der Studierenden, aber auch viele Besucher jüdischer Kultureinrichtungen oder einschlägiger Veranstaltungen und Ausstellungen sind selbst keine Juden. Sie kommen aus Neugierde, um zu lernen oder der kulturellen Unterhaltung wegen. Auch wenn man diese kulturelle Anziehungskraft nicht mit gelebter Religiosität verwechseln darf, ergeben sich damit doch vielfältige Chancen zu einem Austausch mit der nichtjüdischen Umwelt. Dieser Trend verdeckt auch nicht, dass es weiterhin verschiedene Ausprägungen von Antisemitismus gibt. Deutlich wird aber auch, dass dieser als eine gesellschaftlich breit akzeptierte Grundhaltung ausgedient hat. An die Stelle eines weitgehend ritualisierten, manchmal auch erstarrten Philosemitismus der alten Bundesrepublik ist ein offenes und gleichermaßen geschichts- wie religionssensibles Interesse am Austausch getreten. Um diesen Wandel, vielleicht auch die Entspannung des Verhältnisses zwischen Juden und nichtjüdischer Umwelt zu verstehen, lohnt ein Blick auf Veränderungen im religiösen Feld insgesamt: Die religiöse Minderheit, an der sich die Mehrheitsgesellschaft zwecks eigener Identitätsbildung abarbeitet, ist heute nicht mehr das Judentum, sondern der Islam. In den 1980er und 1990er Jahren stritt das Feuilleton am Beispiel von Themen, die mit dem Nationalsozialismus verbunden waren, darüber, wer »wir« sind und wer dazugehört. Zwei Beispiele von vielen zeigen diese Tendenz: Im Historikerstreit des Jahres 1986 stritten der Historiker Ernst Nolte und der Philosoph Jürgen Habermas um die Frage, wie geschichtswissenschaftlich und öffentlich mit der Shoa umzugehen sei. 1998 warnte der Schriftsteller Marin Walser bei seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vor der »Moralkeule« der deutschen Vergangenheit und einer Instrumentalisierung von Auschwitz. In all diesen und weiteren Identitätsdebatten stand das Judentum stets im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ohne diese Haltung ganz zu verdrängen, ist in den vergangenen Jahren oftmals an Stelle der retrospektiven Auseinandersetzungen mit der Shoa eine Auseinandersetzung mit der muslimischen Einwanderung getreten. Ein einfaches Beispiel zeigt die momentane Diskussionslage: Während jedem Bürgermeister und jeder Bürgermeisterin die Synagoge vor Ort als wichtiges Symbol gelebter Toleranz und Pluralität gilt, ist der Streit beim Bau einer Moschee in vielen Fällen kaum zu vermeiden. Zu dieser Entspannung des Verhältnisses der jüdischen Gemeinden zur nichtjüdischen Bevölkerung hat auch die veränderte Haltung der christlichen Kirchen beigetragen. Jahrhundertelang waren sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche Träger eines ausgeprägten Antijudaismus, der religiös begründet war und in der politischen und sozialen Praxis fließend übergehen konnte und vielfach überging in einen rassistisch fundierten Antisemitismus. Auch wenn bereits vor, besonders aber nach der Shoa, unter christlichen Theologen nachdenklichere Töne angeschlagen wurden, hielten beide christlichen Konfessionen an verschiedenen antijudaistischen Stereotypen auch nach 1945 fest.

Auf dem Weg zu einer multireligiösen Gesellschaft?

Zu den gängigen Argumentationsmustern gehört die Vorstellung von der Substitution, wie sie beispielsweise Vertreter der Bruderräte im Darmstädter Wort zur Judenfrage im Jahr 1948 aufgriffen: Die Juden hätten ihren Status als »erwähltes Volk« mit der Kreuzigung Christi verwirkt. Der »alte Bund« Gottes mit dem Volk Israel sei ersetzt worden durch den »neuen Bund« mit der Christenheit. Zwar erkannten die Bruderräte in den Juden den irrenden Bruder, »den [die Kirche] liebt und ruft«, deuteten aber dennoch die jüngste Vergangenheit aus dem Zusammenhang der traditionellen Substitutionstheologie, wenn sie »Israel unter dem Gericht« als »stete Warnung Gottes an seine Gemeinde« erklärten. »Dass Gott nicht mit sich spotten lässt, ist die stumme Predigt des jüdischen Schicksals, uns zur Warnung, den Juden zur Mahnung, ob sie sich nicht bekehren möchten zu dem, bei dem allem auch ihr Heil steht.«152 In der katholischen Kirche hatten antijudaistische Überzeugungen beispielsweise in der Karfreitagsliturgie Ausdruck gefunden. In einer der »großen Fürbitten« wurde alljährlich für die »treulosen Juden« gebetet. Gott möge ihnen den »Schleier von ihren Herzen« wegnehmen, ihnen zur Erkenntnis Jesu Christi verhelfen und sie so der »Verblendung ihres Volkes« und der »Finsternis« entreißen, so lautete die 1884 vorgenommene Übersetzung der lateinischen Messtexte ins Deutsche.153 In der evangelischen Kirche setzte die Erklärung der EKD-Synode in Berlin-Weißensee von 1950 deutlich andere Akzente, wenn sie sich in der Erklärung »Schuld an Israel« vom Gedanken der Verwerfung Israels distanzierte: »Wir bekennen uns zu der Kirche, die aus Judenchristen und Heidenchristen zu einem Leib zusammengefügt ist und deren Friede Jesus Christus ist. Wir glauben, daß Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist«, so hieß es in den Sätzen 2 und 3 der insgesamt acht Punkte umfassenden Erklärung. Die Synodalen gestanden die eigene Schuld am Holocaust ein und riefen ihre Gläubigen dazu auf, den Juden »brüderlich zu begegnen« und gegen den Antisemitismus vorzugehen.154 Viele zivilgesellschaftliche, zum Teil auch überkonfessionelle Zusammenschlüsse wie die Aktion Sühnezeichen oder die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit mühten sich um eine Verbesserung des christlich-jüdischen Dialogs, blieben aber in ihrem Einfluss begrenzt. Auch Vertreter beider christlicher Theologien in Deutschland wie Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann oder Elisabeth SchuesslerFiorenza nahmen es als besondere Herausforderung an, einen christlichen Glaubensentwurf »nach Auschwitz« zu entwickeln. Eine besondere Wirkung erzielte der viel diskutierte »Synodalbeschluss zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden«, wie ihn die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland am 11. Januar 1980 fasste. Darin kehrte man sich bewusst von der Vorstellung der »Judenmission« ab und betonte stattdessen die bleibende Erwählung Israels durch Gott.155 Zwei Jahrzehnte nach der Shoa vollzog die katholische Kirche eine, laut Kardinal Lehmann, »fast totale Kehrtwendung«. Zwar hatte es bereits Initiativen zur Neudefinition des Verhältnisses zu den Juden gegeben, diese waren aber in der Breite ohne Resonanz geblieben.156 In der Erklärung »Nostra aetate« argumentierten die Konzilsväter des Zweiten Vatikanum gegen den Vorwurf des »Gottesmordes«, der jahrhunderte-

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lang Grundlage für Diskriminierung und Verfolgung gewesen war. »Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.« Auch dürfe »man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern«. Schließlich heißt es: »Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben.«157 Die Kirche änderte Liturgie und Lehre, was bis heute zu einer deutlichen Entspannung des Verhältnisses zwischen katholischer Kirche und Judentum geführt hat. Dennoch kommt es immer wieder zu Irritationen, die die Jahrhunderte alten Konfliktlinien erneut aufscheinen lassen, so zum Beispiel, als 2008 Papst Benedikt XVI. eine Fürbitte für die Juden in der wieder aufgewerteten tridentinischen Karfreitagsliturgie veröffentlichte, die den christlichen Missionsgedanken gegenüber den Juden erneut stärkte. Auch die Aufhebung der Exkommunikation gegen den Bischof der Priesterbruderschaft St. Pius X. und Holocaustleugner Richard Williamson provozierte hoch kontroverse Diskussionen. In der aktuellen Diskussion um die rituelle Beschneidung im Judentum wie im Islam haben sich Vertreter sowohl der evangelischen wie auch der katholischen Kirche dafür ausgesprochen, dass beide Religionsgemeinschaften diese jahrhundertealte Praxis beibehalten können. Christen, Juden und Muslime setzen sich damit gemeinsam für die Religionsfreiheit ein. Man wird das nicht zuerst für ein Indiz der Annäherung zwischen den Weltreligionen nehmen müssen. Darin zeigt sich wohl vor allem ein auch in den christlichen Kirchen wachsendes Bewusstsein dafür, dass in einer tendenziell religiös unmusikalischen Gesellschaft religiöse Riten insgesamt auf dem Prüfstand stehen. Strukturell betrachtet hat die Debatte um die Beschneidung viele Parallelen nicht nur mit der Diskussion um das von muslimischen Frauen getragene Kopftuch, sondern auch mit dem Streit um das christliche Kruzifix im Klassenzimmer, das 1995 höchstrichterlich aus den Schulen verbannt wurde. Allen drei Diskussionen gemeinsam ist ein Misstrauen gegen die religiösen Riten. Das Kreuz wird als Missions- und Propagandainstrument gewertet und unterliegt damit genau der Skepsis, die aus dem Kopftuch ein Vehikel der weiblichen Unterdrückung und aus der Beschneidung die Verstümmelung von minderjährigen Jungen macht. Dass in der Diskussion nicht eine Glaubensgemeinschaft allein betroffen ist, zeigt deutlich, wie groß generell das Potenzial für Reibung und Konflikt zwischen gelebter Religiosität und Gesellschaft ist.

Auf dem Weg in eine entchristlichte Gesellschaft?

3.3 Auf dem Weg in eine entchristlichte Gesellschaft? Die Frage, wie prägend das Christentum für die Gesellschaft (noch) war oder sein sollte, ist in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder diskutiert worden. Insbesondere in den Kirchen selbst, aber auch in den Medien gaben Überlegungen zu dieser Frage den Anstoß zu umfänglichen Verständigungen über den eigenen Standort. Auch in der Christdemokratischen Union ist die Debatte um das »hohe C« ein ebenso fest etabliertes wie kraftloses Ritual der Parteikritik von innen.158 1990 war die Frage nach der Bedeutung des Christentums in der Gesellschaft mehr als eine Feuilletondebatte. Mit der Wiedervereinigung kamen zwei in religiöser Hinsicht sehr unterschiedliche Teilstaaten zusammen. In Westdeutschland hatte sich eine Beziehung zwischen Staat und Kirche etabliert, die den Religionsgemeinschaften vielfältige Möglichkeiten und eine Reihe von Privilegien einräumte. Auch wenn die volkskirchlichen Strukturen umfassend erodierten, blieben unter diesen Umständen doch mehr als zwei Drittel der Bevölkerung den Kirchen über die Taufe mindestens formal verbunden. Die fünf »neuen« Bundesländer boten in vielerlei Hinsicht den kompletten Gegenentwurf zum religiösen Feld in Westdeutschland. Die SED-Diktatur hatte darauf gesetzt, den Einfluss der Kirchen, die christliche Prägung der Gesellschaft, aber auch den Glauben des Einzelnen zu schmälern und nach Möglichkeit komplett zu brechen. Der Politik der Rechristianisierung im Westen war die Politik der Entkirchlichung und der Entchristlichung im Osten diametral entgegengesetzt. In Abhängigkeit von der sowjetischen Führungsmacht verfolgte die Spitze der einheitssozialistischen Partei eine politische Linie, die maßgeblich den Prozess der tief greifenden Entkirchlichung bewirkte. »Dass eine Region von der Größe der früheren DDR innerhalb von vier Jahrzehnten dem Christentum geistig und kulturell derartig entfremdet werden konnte, dürfte in der Geschichte Europas ein unvergleichbarer Vorgang sein«, so urteilt mit dem katholischen Theologen Konrad Feiereis ein Geistlicher, der lange in der DDR gearbeitet und gelehrt hatte.159 Die Zahlen geben ihm Recht: Innerhalb von vierzig Jahren war aus der protestantischen Volkskirche, die im Jahr der Staatsgründung 1949 noch über 80 Prozent der Bevölkerung umfasste, eine Minderheitengemeinschaft von 25 Prozent geworden. Der Anteil der Katholiken ging im selben Zeitraum von etwa 11 auf 4 Prozent zurück, während die Zahl der Konfessionslosen von sieben auf knapp 70 Prozent anstieg.160 Die weitgehende Säkularisierung in den sogenannten fünf neuen Ländern ist global einzigartig und verschafft Ostdeutschland eine »internationale Spitzenstellung«.161 Allenfalls in Estland und Tschechien sind seit dem Zweiten Weltkrieg ähnlich massive Einbrüche von Kirchlichkeit und Religiosität zu verzeichnen. In der ehemaligen DDR stechen insbesondere die Geschwindigkeit und die Nachhaltigkeit dieses Prozesses besonders hervor. Innerhalb von nur dreißig Jahren verloren die Kirchen zwei Drittel ihrer Mitglieder. Zwar konnten sich im katholischen Eichsfeld oder in Teilen des protestantischen Erzgebirges noch christlich inspirierte Lebenswelten halten. Dem standen aber andere Regionen und Industriezentren gegenüber, in denen christliches

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Leben kaum noch einen gesellschaftlichen Bezug finden konnte. Nachhaltig ist dieser Prozess insofern, als dass sich die vielfach gehegten Erwartungen einer Renaissance des Christentums nach dem Fall des SED-Regimes nicht erfüllt haben. Die Wiedervereinigung hat das religiöse Feld in Deutschland massiv verändert. Diese Feststellung darf aber nicht zu dem Schluss verleiten, dass allein die Wiedervereinigung Ursache der massiven Transformation des Religiösen in Deutschland ist. Auch in Westdeutschland veränderte sich die gesellschaftliche Stellung der Religion stark. Die enge Allianz von Kirchen und Politik, wie sie typisch war für die 1950er Jahre, löste sich auf. Die Prägekraft des Christentums ging nicht nur politisch und institutionell, sondern auch für immer mehr Menschen und deren Lebensführung zurück. Bedeutete diese Entwicklung den »Tod« des Christentums, wie ihn beispielsweise der Historiker Callum Brown für Großbritannien diagnostiziert?162 Nicht nur für die britischen Inseln ist diese These als überzogen kritisiert worden, auch mit Blick auf die deutsche Gesellschaft zeigt sich die Entwicklung differenzierter: Ohne Zweifel kamen weite Teile der institutionellen Bindung und der etablierten Frömmigkeitspraxis an ihr Ende. Die Entkirchlichung ist ein Trend, der die beiden Großkonfessionen in Deutschland stark geprägt hat und dies auch in Zukunft weiter tun wird. Daneben aber traten neue soziale und kulturelle Formen, mit denen sich Einzelne innerhalb und außerhalb der christlichen Tradition religiös positionierten.

Sonderfall Ostdeutschland? Die Entwicklung des religiösen Feldes in der DDR und in den neuen Bundesländern Als 1989 das SED-Regime zusammenbrach, erwarteten viele eine Renaissance des religiösen Lebens in der untergehenden DDR. Waren nicht über vierzig Jahre lang die Bürgerinnen und Bürger Ostdeutschlands zur religiösen Abstinenz gezwungen worden? Musste sich jetzt nicht dieses Verhalten in sein Gegenteil umkehren? Dafür sprach doch insbesondere die wichtige Rolle, die vor allem evangelische Christen und partiell auch die evangelische Kirche als Institution in der friedlichen Revolution spielte. In den Pfarrhäusern und Kirchenkellern hatte sich seit Ende der 1970er Jahre die Oppositionsbewegung formiert. Pfarrer und Pfarrerinnen, aber auch viele andere Mitarbeiter der evangelischen Kirche waren maßgeblich am Sturz des SED-Regimes beteiligt. Nicht zuletzt ein Blick auf die politische Elite der DDR-Opposition, die nach der Vereinigung noch in der ersten Reihe des Politikbetriebs stand, zeigt ihren Einfluss deutlich: Joachim Gauck, Markus Meckel, Rainer Eppelmann, Marianne Birthler und einige mehr standen zu DDR-Zeiten im Dienst der evangelischen Kirche und setzten ihre Karrieren in der Politik des wiedervereinigten Deutschland fort. Dennoch verflogen die Hoffnungen der Kirchenvertreter auf sich rasch füllende Gotteshäuser schnell. Die kurze Hochzeit während der friedlichen Revolution verstetigte sich nicht zu einem dauerhaften Aufschwung, im Gegenteil: Bis heute ist der Anteil von Nichtgläubigen wie auch von überzeugten Atheisten in der ehemaligen DDR besonders groß. Eine Studie der Universität Chicago, die 2008 den Gottesglauben vergleichend

Auf dem Weg in eine entchristlichte Gesellschaft?

in 42 Ländern untersucht hat, erklärte die Ostdeutschen gar zu den »weltweit größten Gott-Zweiflern«.163 In den neuen Ländern, so lässt sich über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sagen, herrscht eine Kultur der Konfessionslosigkeit. Da drei Viertel der Bevölkerung konfessionslos sind, ist dieses Nichtbekenntnis stark in der Lebenswelt verankert und gilt als selbstverständlich. Ähnlich wie sich in stark religiös geprägten Gesellschaften die Kirchenmitgliedschaft von den Eltern auf die Kinder überträgt, so verhält es sich auch umgekehrt im Fall des Desinteresses oder der erklärten Abwendung. Der Anteil derjenigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören und auch kein Interesse an religiösen Fragen bekunden, stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Momentan spricht nichts dafür, dass sich dieser Trend umkehrt. Wie tief greifend dieser Bruch war und wie erstaunlich rasch er sich ereignete, zeigt sich im Vergleich mit der Situation unmittelbar nach Kriegsende 1945: Zwar war in einigen Regionen Ostdeutschlands die Bevölkerung bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts weniger kirchengebunden als anderswo. So ging zum Beispiel die Abendmahlbeteiligung in vielen protestantischen Gebieten Mitteldeutschlands bereits seit 1910 zurück und unterschied sich damit signifikant von anderen Teilen Deutschlands.164 Ein höherer Grad an Industrialisierung, eine starke Zu- und Abwanderung und eine damit verbundene stärkere Auflösung traditioneller religiöser Zusammenhänge waren Ursachen dieser Entwicklung. Katholiken waren in diesen Regionen wenig vertreten. Allein im Eichsfeld hatte sich eine katholische Lebenswelt ausgebildet, die sich in Ansätzen auch über die DDR hin erhalten konnte. Die eigentliche Veränderung setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein: 91 Prozent der Bevölkerung gehörten 1945 einer der christlichen Kirchen an. 45 Jahre später war es nur noch ein Viertel. Religiöse Praxis wie auch die Teilnahme an den Übergangsriten wie Taufe, Hochzeit oder Beerdigung wurde zur Ausnahme von der Regel. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Eine Antwort liegt auf der Hand, erklärt vieles, aber nicht alles: Hauptursache für den Rückgang der Kirchlichkeit war die staatlich betriebene politische Überformung der Gesellschaft. Mit der Etablierung des Parteiregimes ging eine Politik der Diskriminierung und Zurückdrängung der christlichen Kirchen einher. In ihrem Selbstbild präsentierte sich die DDR als ein atheistischer Staat. Auch wenn sich die antikirchliche Politik der Staatspartei SED mit den Jahren modifizierte und generell abschwächte, bestand doch im Weltbild prinzipiell kein Zweifel daran, dass in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft für Religion jeglicher Art kein Platz war. Nur wider besseren Wissens und gegen die Erkenntnisse von Natur- und Gesellschaftswissenschaften konnte man aus Sicht des Marxismus-Leninismus an religiösen Überzeugungen festhalten. Christlicher Glaube galt als unmodern, überkommen und irrational.165 Hinzu kam, dass machtpolitisch insbesondere die evangelische Kirche der SED ein Dorn im Auge sein musste: Nach der Gleichschaltung der politischen Parteien war dies die einzige Großorganisation, die relativ autonom und unabhängig von staatlichem Einfluss agieren konnte und nicht zuletzt auch deshalb zu einem wichtigen Ausgangspunkt der friedlichen Revolution avancierte. Trotz dieser weltanschaulichen und machtpolitischen Gegnerschaft setzte die SED aber nicht auf bedingungslose Konfrontation zu den Kirchen. Schon allein

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aus innenpolitischem Kalkül, aber auch aus deutschlandpolitischen Überlegungen wollte man eine Auseinandersetzung, in der sich womöglich große Teile der volkskirchlich gebundenen Christen gegen die Parteilinie gestellt hätten, zunächst nicht provozieren. Der Kampf zwischen Staat und Kirche entschied sich vor allem daran, wer die Loyalität ihrer Mitglieder und damit große Teile der Bevölkerung gewinnen konnte. Das Staat-KircheVerhältnis war daher vielfältig in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen eingebettet. Solange die Macht nicht gesichert war, verfolgte die SED eine vergleichsweise liberale Religionspolitik. Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) hatte eine strikte Trennung von Staat und Kirche vorgegeben. Zugleich aber hatte die Führung der Besatzungsverwaltung auch signalisiert, dass die Religionsgemeinschaften in den »antifaschistisch-demokratischen Aufbau« mit einbezogen werden sollten. Den Kirchen wurde so zum Beispiel zugestanden, die Entnazifizierung in den eigenen Reihen selbst zu regeln. Gelegentlich setzten sich Vertreter der SMAD sogar für die Kirchen ein, wenn örtliche SED-Funktionäre diese zu stark bedrängten. Ganz gemäß diesen kirchenpolitischen Grundlinien garantierte die DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949 »volle Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die ungestörte Religionsausübung«. Weiterhin erlaubte sie den Religionsgemeinschaften, »zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen«. Hierzu gehörte auch das Recht auf die Erteilung von Religionsunterricht in den Schulräumen.166 Seit der Staatsgründung 1949 aber verschärfte die SED ihre Politik gegenüber den Kirchen. Der Konflikt eskalierte 1952/53 im Streit um die Junge Gemeinde als der zentralen Jugendorganisation der evangelischen Kirche wie auch um die Einführung der Jugendweihe seit 1954. In beiden Auseinandersetzungen zielte die SED darauf, die Kirchen in ihrem Einfluss auf die Jugend zu schwächen, um auf diese Weise ein Monopol auf die Sozialisation der nächsten Generation zu erreichen. Agententätigkeit für den Westen, Arbeit gegen den Staat wie auch massive Dienstverfehlungen von kirchlichen Mitarbeitern – mit einem ganzen Arsenal von Vorwürfen begründete die SED, warum ab 1952 die Bahnhofsmission geschlossen, kirchliche Heime und Pflegeeinrichtungen enteignet, die Kirchensteuer nicht mehr, wie im Rückgriff auf die Weimarer Reichsverfassung bislang praktiziert, vom Staat eingezogen und die Arbeit der Jungen Gemeinde eingeschränkt wurde. Diese antikirchlichen Maßnahmen waren begleitet von massivem Vorgehen in anderen Bereichen, welches darauf abzielte, den auf der II. SED-Parteikonferenz beschlossenen »Aufbau des Sozialismus« zu forcieren. Wer sich in der Jungen Gemeinde engagierte, musste damit rechnen, vom Besuch der Oberschule ausgeschlossen zu werden. Erst mit dem von der Sowjetunion diktierten »Neuen Kurs« im Juni 1953 drosselte die SED das Tempo und änderte damit auch die Vorgehensweise gegen die Kirchen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Volkserhebung am 17. Juni 1953 verfolgte man gegenüber den Kirchen zumindest für kurze Zeit wieder einen zurückhaltenden Kurs. Innerparteilich bedeuteten diese Schwenks eine schwierige Neuorientierung: Viele Mitglieder der staatlichen Jugendorganisation waren zuvor stark gegen die Junge Gemeinde mobilisiert worden und mussten nun wieder gebremst werden.

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Die Kirchen sahen sich unter den gegebenen Verhältnissen durchaus als Sieger dieser Auseinandersetzung. Erfolgreich hatte man an der Jungen Gemeinde festhalten und die eigene Mitgliedschaft in diesem Kampf mobilisieren können. Eben diese Überzeugung aber, in der Auseinandersetzung mit der SED durchaus mithalten zu können, sollte ihnen dann kurze Zeit später im Kampf um die »Jugendweihe« zum Verhängnis werden: Die »Jugendweihe« war keine DDR-Erfindung, sondern blickte in der Arbeiterbewegung auf eine länger verwurzelte Tradition zurück. Schon zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte dieser Ritus in freireligiösen Gemeinden den Übergang vom Kind zum Jugendlichen markiert. In der Arbeiterbewegung war die Jugendweihe während der Weimarer Republik populär geworden, aber selbst in den eigenen Reihen doch immer ein Randphänomen geblieben. Die Bedeutung der kirchlichen Übergangsriten wie Taufe, Hochzeit und Beerdigung hatte sie nicht ernsthaft in Frage stellen und erst recht nicht brechen können. Genau aus diesem Grund schreckte die SED 1949 noch vor der Einführung der Jugendweihe zurück, fürchtete man doch den Einfluss der Kirchen und ihrer Anhänger. Selbst der Großteil der SED-Mitglieder sei noch konfessionell gebunden, führte ein Beitrag in der Parteizeitschrift Der Funktionär aus, so dass eine harte Linie wenig Erfolg versprechend sei.167 Erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre gab man diese Zurückhaltung auf. Nach einer kurzen Phase der Zurückhaltung nach der Volkserhebung des 17. Juni 1953 forcierte die Staatspartei ihren Kurs des Gesellschaftsumbaus erneut und verstärkte dabei auch den Einsatz gegen die Kirchen. Mit der Einführung der Jugendweihe zielte man vor allem darauf, das kirchliche Monopol auf die Übergangsriten zu brechen. Mit der Taufe, der Konfirmation oder der Firmung, der Hochzeit und dem Begräbnis hatten bislang christliche Formen das Leben vieler Menschen an entscheidenden Stellen geprägt. Damit sollte jetzt Schluss sein, wenn die Jugendweihe als staatliches Angebot der Konfirmation mindestens an die Seite gestellt wurde oder diese gleich ganz ablöste. Höhepunkt der jeweiligen Feier war die Aufnahme der 14jährigen Kinder in den Kreis der Erwachsenen. Das dazu gesprochene Gelöbnis veränderte sich im Laufe der Jahre stark und spitzte sich politisch durchaus zu. 1954 verpflichteten sich die Heranwachsenden zum Einsatz für ein einheitliches Deutschland. Schon die im Jahr 1957 veröffentlichte Fassung ließ die Sprechenden geloben, ihre »ganze Kraft für die edle Sache des Sozialismus einzusetzen« und »für die Freundschaft der Völker einzutreten und mit dem Sowjetvolk und allen friedliebenden Menschen der Welt den Frieden zu sichern und zu verteidigen«.168 Die Entwicklung des Gelöbnistextes steht paradigmatisch für die ideologische Eskalation des Konflikts insgesamt: Der Staat hatte zunächst weiterhin vorgeschützt, weltanschaulich neutral zu sein, obwohl sowohl der Zeitpunkt der Jugendweihe wie auch deren Ausrichtung diese eindeutig als Konkurrenz zu Firmung und Konfirmation bestimmten. Warum, so suggerierte das Vorgehen der SED, sollten nicht beide Rituale, das weltliche und das kirchliche, nebeneinander stehen? Die evangelische wie auch die katholische Kirche hatten gegen die Einführung des staatlichen Übergangsritus bei den staatlichen Stellen energisch protestiert. Von ihren Gläubigen verlangten beide

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Konfessionsgemeinschaften eine strikte Entscheidung, als sie Konfirmation beziehungsweise Firmung und Jugendweihe für unvereinbar erklärten. Wer an der staatlichen Jugendweihe teilnahm, dem wurde die kirchliche Segenshandlung verweigert. Einen Zwischenweg sollte es nach Ansicht der Kirchenleitungen nicht geben. Die ersten Monate des Konflikts schienen den Kirchenoberen Recht zu geben: Große Teile der Bevölkerung hielten zunächst an den traditionellen religiösen Formen fest, selbst SED-Mitglieder wählten in manchen Orten für ihre Kinder lieber die kirchliche Variante der Firmung statt des sozialistischen Ersatzritus. Erst ab 1957 wendete sich das Blatt. Die Jugendweihe wurde nach und nach zu einem Massenereignis und auf Dauer zu einer »Volkssitte«, an der sich später bis zu 90 Prozent der Familien beteiligten.169 Eine konzertierte Aktion von staatlichen Stellen und politischen Organisationen hatte diesen Umschwung bewirkt: Mit Walter Ulbricht sprach der Generalsekretär des ZK der SED und damit der mächtigste Mann im Staate am 29. September im thüringischen Sonneberg zu circa 1.000 Jugendlichen und deren Eltern. Anlässlich ihrer Jugendweihe forderte er dazu auf, alte und überlebte Glaubenssätze über Bord zu werfen. Der vormals aufrecht erhaltene Eindruck, die SED verhalte sich gegenüber den Religionen neutral, war damit aufgegeben.170 Nicht nur die Parteien und die Massenorganisationen, sondern auch die staatlichen Schulen hatten sich um steigende Teilnehmerzahlen zu bemühen. Das Freiwilligkeitsprinzip wurde aufgehoben. Wer nicht teilnahm, musste mit Nachteilen in der Schule, beim Studium oder im Beruf rechnen. Mit der Zeit verlor die Jugendweihe diese politische und kämpferische Note und wurde in weiten Teilen der Bevölkerung nicht nur als selbstverständlich, sondern auch als eher entpolitisiertes Fest und besonderes Familienereignis akzeptiert. Die Kirchen gingen aus diesem Konflikt als klare Verlierer hervor: Auf längere Sicht folgten nur wenige und dort vor allem Pfarrerskinder und Kinder strenger Katholiken der kirchlichen Weisung und verweigerten sich der Jugendweihe. Die katholische Kirche hielt bis zuletzt an der Unvereinbarkeit von Firmung und Jugendweihe fest und beschritt damit den Weg einer maximalen Abgrenzung vom diktatorischen Umfeld. In der evangelischen Kirche baute man hingegen verschiedene Brücken, mit denen man auch die Teilnehmer an der Jugendweihe wieder in die eigene Gemeinschaft zu integrieren suchte. Dennoch aber rückten Konfirmation und Firmung an den Rand des kirchlichen Lebens. In einer Situation der direkten Entscheidung, so hatte dieser Konflikt gezeigt, waren viele Kirchenmitglieder nicht bereit, den Vorgaben der religiösen Autoritäten zu folgen. Beide Kirchen waren als traditionsbewusste Gegeninstitutionen zum Staat in diesen Konflikt gestartet, mussten sich aber von diesem Selbstbild verabschieden. Sich neu zu bestimmen bedeutete einen besonderen Spagat: Auf der einen Seite galt es, gegen die staatlichen Repressionen und Übergriffe die eigene Identität zu bewahren. Auf der anderen Seite aber stand man vor der Herausforderung, auf eine sich rasant verändernde Gesellschaft zu reagieren, wollte man doch in dieser den christlichen Glauben leben und verbreiten. Nicht nur allgemeine Modernisierungsprozesse, sondern auch der diktatorisch betriebene Umbau der Machtverhältnisse und Sozialstrukturen zog

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nach sich, dass die Kirchen neue Handlungsfelder, Formen und Ausdrucksweisen für die Vermittlung ihrer Glaubensinhalte in der Welt finden mussten. Beide Aufgaben – einerseits die Identität zu wahren und andererseits doch weiter in die Gesellschaft hinein zu wirken – forderten fast entgegengesetzte Strategien: Identitätswahrung bedeutete praktisch, sich stärker auf sich selbst zurückzuziehen und sich entschieden gegen die Welt abzuschotten. Am Verkündigungsauftrag nicht nur für die kleine Herde, sondern für alle festzuhalten, meinte hingegen, sich auf das System der DDR und ihre davon geprägte Gesellschaft auch unter den politischen Vorzeichen des SED-Staates einzulassen. Die beiden christlichen Religionsgemeinschaften schlugen durchaus unterschiedliche Wege ein, um sich unter diesen Bedingungen zu behaupten.171 Schon allein wegen ihrer großen Mitgliederzahl und dem davon abgeleiteten politischen Gewicht prägten die protestantischen Landeskirchen das religiöse Feld wie auch die DDR-Gesellschaft in besonderem Maße. Wie schwierig es war, unter diesen Umständen den Spagat zwischen Identitätswahrung und gesellschaftlicher Öffnung zu leisten, zeigt ein Blick auf die Mitgliederzahlen der protestantischen Landeskirchen: Zeitgleich mit dem Konflikt um die Junge Gemeinde gingen die Mitgliederzahlen zurück und verringerte sich die Beteiligung an kirchlichen Ritualen. 1953/1954 sanken die Tauf- und Konfirmationszahlen in der evangelischen Kirche um ein Sechstel, die Austrittszahlen nahmen ebenfalls um 15 Prozent zu. In den Jahren zwischen 1957 und 1959, als Staat und Kirche um die Jugendweihe stritten, brachen die Tauf- und Konfirmationszahlen jeweils um etwa ein Drittel ein. Auch diejenigen, die selbst nicht aus der Kirche austreten wollten, entschieden sich in dieser Phase staatlicher Repression gegen die Taufe ihrer Kinder, um diesen Nachteile und mögliche Konflikte zu ersparen. Die ohnehin hohen Austrittszahlen verdoppelten sich. Jährlich traten nun aus der evangelischen Kirche 2,5 Prozent der Mitglieder aus. Wie hoch diese Zahl ist, zeigt sich im Vergleich mit der Bundesrepublik. Auch dort gab es zum Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre eine Austrittswelle, die als dramatisch und bedrohlich beurteilt wurde. Ihr höchster Stand aber belief sich 1974 auf lediglich 0,8 Prozent der evangelischen Gläubigen.172 Die Kirchenleitungen in der DDR hatten, so demonstrierte die Auseinandersetzung um die Jugendweihe, den Kampf um die Gefolgschaft der Bevölkerung verloren. Konnten sie in dem Streit um die Junge Gemeinde und die Jugendweihe noch im Bewusstsein agieren, eine traditionsreiche, mächtige und mitgliederstarke Organisation zu repräsentieren, die sich gegen den Staat behaupten konnte, hatte sich diese Überzeugung nun als Illusion entpuppt. Die protestantischen Kirchenleitungen blieben bis zum Ende der 1980er Jahre stark von dieser Erfahrung geprägt. Eine direkte Kraftprobe mit dem Staat versuchten die Kirchenleitungen nicht mehr und stellten das politische System auch nicht mehr fundamental in Frage. Stattdessen versuchten sie ihre eigene Position auf dem Verhandlungsweg zu stärken. In Spitzengesprächen zwischen Staat und Kirche verzichteten die Vertreter der evangelischen Kirche auf eine grundsätzliche Kritik am diktatorischen Charakter der DDR und setzten stattdessen auf eine Politik der kleinen Schritte, mit der man mehr Handlungsspielräume in der Pastoral wie auch

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für die eigene Kirchenpolitik zu erreichen suchte. Auch gegenüber den eigenen Mitgliedern agierte man vorsichtiger. Die Kirchenleitung zwang ihre Gläubigen nicht mehr, sich eindeutig »pro Kirche« und »contra Staat« zu positionieren. Stattdessen verfolgte sie vielmehr das Ziel, möglichst breite Kreise in der Kirche zu halten. Wie erklärt sich dieser Wandel? Mehrere Entwicklungen führten dazu, dass die evangelische Kirche ihre Position in der DDR in den 1960er Jahren und danach neu justierte: Die großen sozial- und machtpolitischen Umwälzungen wie die Bodenreform oder die umfassenden Enteignungen im Industriebereich waren ebenso abgeschlossen wie auch die Parteien gleichgeschaltet waren. Mit guten Gründen gilt der Mauerbau vom August 1961 als heimlicher oder zweiter Gründungstag der DDR, mit dem sich auch die Form der Machtausübung veränderte. Auch wenn die Repressionen gegen politisch Andersdenkende nicht nachließen, veränderte sich der diktatorische autoritäre Zugriff und wurde subtiler. Hinzu kam, dass die Allpräsenz des Staates immer stärker auch in den Alltag der Kirche eingriff. »Kein Dach konnte ohne die Zustimmung der Staatsorgane gedeckt, kein Gast aus dem Ausland eingeladen, kein Nachrichtenblatt gedruckt, keine Freizeit veranstaltet werden.«173 Die Abhängigkeit war mit den Händen zu greifen und wuchs immer weiter. Sollte man sich angesichts dieser Zustände tatsächlich in einem Dauerkonflikt aufreiben oder doch nach einem Arrangement mit dem Staat suchen? Der Mauerbau schränkte auch die Verbindungen zum westdeutschen Protestantismus derartig ein, dass von dort keine Stützung mehr erwarten werden konnte. Gemeinsame Stellungnahmen und politische Aktivitäten erschienen auch deshalb immer schwieriger realisierbar, weil die kirchliche und gesellschaftliche Situation in beiden Teilen Deutschlands sich so unterschiedlich entwickelte. Wie sollte sich, um nur ein Beispiel zu nennen, die evangelische Kirche gesamtdeutsch zum Problem der Verweigerung des Wehrdienstes äußern, wenn doch die Situation der Bausoldaten in der DDR von der der Zivildienstleistenden in der Bundesrepublik so grundverschieden war? Nicht zuletzt die eigenen Theologen lieferten Argumente dafür, die Totalopposition zum SED-Staat aufzugeben. Verfehlte die Kirche nicht ihre Aufgabe der Verkündigung und der Seelsorge, wenn sie vor allem gegen den Staat auftrumpfte? Die Christen dürften keine Parteigänger des Westens, sondern müssten Brückenbauer im Kampf zwischen Ost und West sein, so mahnte Johannes Hamel in seiner 1957 veröffentlichten und viel beachteten Schrift »Christ in der DDR«.174 Mit dieser stark spiritualisierenden und jede politische Perspektive aufgebenden Position blieb er in der Minderheit, markierte aber dennoch die Richtung, in die auch viele andere Theologen und Synoden gingen: Die Evangelisch lutherische Kirche in Deutschland wie auch die Evangelische Kirche der Union als Zusammenschluss der altpreußischen Landeskirchen hielten in ihrer Kritik an der Diktatur fest, interpretierten die Zustände in der DDR aber so offen, dass sie zugleich ein Engagement ihrer Mitglieder in der Gesellschaft befürworteten.175 In diesem Prozess der Konsolidierung und des Sich-Einrichtens stellte sich auch für die evangelische Kirche immer drängender die Frage, welche Rolle sie selbst in der Gesellschaft der DDR einnehmen sollte. Als Kirche gegen den Sozialismus zu

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sein, erschien wenig aussichtsreich, zumal man vor allem Gefahr lief, die eigenen Mitglieder zu überfordern. »Eine Zeugnis- und Dienstgemeinschaft in der DDR wird ihren Ort genau zu bedenken haben: In dieser so geprägten Gesellschaft nicht neben ihr, nicht gegen sie«, so formulierte der seit dem Juni 1969 von der ehemals gesamtdeutsch agierenden EKD getrennte Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK).176 »Nicht gegen, nicht neben, sondern im Sozialismus« wollte man Kirche sein.177 Mit dieser Formel bekräftigte die BEK nicht nur ihren Anspruch auf einen legitimen Platz in der DDR-Gesellschaft, sondern auch ihre Absicht, in dieser Gesellschaft zu wirken und diese mit zu gestalten. Auch wenn diese Formulierung von der SED und von systemkonformen Kreisen innerhalb der Kirche gerne und bewusst in die Richtung einer weitgehenden Anpassung gedeutet wurde, war damit der Anspruch der Kirche auf Autonomie gegenüber dem Staat nicht aufgegeben. Die Rede von der »Kirche im Sozialismus« drückte vor allem die Überzeugung aus, dass sich christliches Leben nicht nur in einer bürgerlichen Ordnung, sondern auch in einer sich sozialistisch nennenden Gesellschaft realisieren ließ. Damit öffnete sich die evangelische Kirche entschieden gegenüber der Gesellschaft. Ob dieser Kurswechsel hin zur »Kirche im Sozialismus« richtig war? Um diese Frage ist nach 1989 erbittert gestritten worden. Trotz allen Wandels blieb die Kirche, so lässt sich im Rückblick sicher sagen, für viele Menschen in der DDR deswegen attraktiv, weil sie sich ein hohes Maß an Eigenständigkeit bewahren konnte. Als einzige nichtstaatliche Organisation konnte sie Autonomiespielräume institutionell offen halten. Sie besaß eigene Ausbildungsstätten, eigene Finanzierungsmöglichkeiten, eigene Öffentlichkeitszugänge und eigenständige Entscheidungsorgane. Die Kirchen hatten damit das Potenzial zur Sperrigkeit, zum Anderssein und zum Unangepassten. Deswegen galten sie der SED weiterhin als ein »unkalkulierbarer Fremdkörper« im eigenen Staat, auf dessen Überwachung und Infiltrierung die Machthaber der DDR viel Mühe verwandten.178 Gerade deswegen nahm aber auch in Teilen der kirchenfernen Bevölkerung das soziale Prestige der Kirchen im Lauf der 1980er Jahre zu. Viele empfanden die Religionsgemeinschaft als attraktiv, weil sie Raum bot für eine Weltsicht und politische Überzeugungen jenseits der staatlichen Einheitsideologie. Am greifbarsten ist der Zusammenhang bei den zahlreichen Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, die ihre Oppositionsarbeit unter dem Dach der Kirche organisierten. Aber auch darüber hinaus suchten vor allem jüngere Leute und diejenigen, die eher am Rande der sozialistischen Gesellschaft standen, die Nähe des Alternativmodells Kirche. Das Pfarrhaus stand nicht nur für ein religiöses Angebot, sondern auch für einen alternativen Lebensstil. Der Pfarrer war ein Außenseiter der DDR-Gesellschaft und genau deshalb für bestimmte Kreise eine interessante Person. Aus eben diesem Grund zog beispielsweise das Theologiestudium nicht nur religiös Interessierte an, sondern auch diejenigen, die nach theoretischen Alternativen zu den weltanschaulich gleichgeschalteten Universitäten suchten. Nicht auf der Ebene der Spitzengespräche zwischen Staat und Kirche, sondern aus diesen Zusammenhängen an der Kirchenbasis entwickelten sich im letzten Jahr-

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zehnt der DDR wichtige Impulse. Mit dem »Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen«, den der Jugendpfarrer Rainer Eppelmann und der SED-Dissident Robert Havemann gemeinsam im Januar 1982 veröffentlichten, war deutlich geworden, dass sich die Oppositionsinitiativen nicht auf den kirchlichen Binnenraum beschränken wollten, sondern offensiv politisch und gegen die Diktatur agierten.179 Die Kirchenführung selber vertrat diese Oppositionsrolle nicht, im Gegenteil: Zwar trat sie den Staatsvertretern gegenüber gelegentlich entschiedener auf, aber weiterhin setzte sie auf Konfliktabbau und Verständigung. Erst im September 1989 verließen die Kirchenspitzen ihre auf Ausgleich bedachte Linie und distanzierten sich deutlich vom SED-Regime. Attraktiv waren für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstrationsbewegung die vielfältigen Möglichkeiten, die sich in und mit der Kirche boten: Nicht nur die Nicolaikirche in Leipzig, sondern zahlreiche weitere Gotteshäuser waren in den Städten der DDR die Ausgangspunkte der Protestbewegung, die den Sturz des SEDRegimes maßgeblich bewirkte. »Der Herbst 1989 war für die Kirchen eine einzigartige Ausnahmesituation: Niemals sonst waren sie dem Volk so nahe«, beschreibt der ostdeutsche Theologieprofessor Peter Maser euphorisch die Erfahrung des Herbstes 1989.180 Absolut gesehen aber blieb sie von der Mehrheit der Bevölkerung bis zuletzt getrennt, so konstatiert der Soziologe Detlef Pollack.181 Selbst in der friedlichen Revolution sprachen allenfalls einige ihrer Vertreter für einen Teil der Bevölkerung. Spätestens in dem Moment, als führende Kirchenfunktionäre der BEK vor einer schnellen Wiedervereinigung warnten, deckten sich deren politische Ansichten nicht mehr mit dem Gros der Bevölkerung. Für viele, die im Herbst 1989 in die Kirchen geströmt waren, blieb die christliche Lebenswelt doch fremd. Nicht religiöse Fragen oder Bedürfnisse, sondern politische Anliegen hatten sie in die Kirche gebracht. »Die massenhafte Begegnung von Bevölkerung und Kirchen der DDR blieb eine auf wenige Monate beschränkte Episode.«182 Einen anderen Weg als die protestantische Kirche hatte die vergleichsweise kleine katholische Kirche eingeschlagen. Ihre Existenz in der DDR war von einer doppelten Diasporasituation geprägt. Gemeinsam mit der evangelischen Kirche sah sie sich als Minderheit mit einem religions- und kirchenfeindlichen Staat konfrontiert. Gleichzeitig war sie auch im Vergleich zu den Protestanten nur eine Minorität. Allein im Eichsfeld, in Teilen der Lausitz sowie in und um Erfurt bildeten sich katholische Enklaven, die sich über die DDR-Zeit hielten. Unmittelbar nach Kriegsende hatten die Flüchtlingsströme den Anteil der Katholiken in der Sowjetischen Besatzungszone zeitweise auf 12,2 Prozent hochschnellen lassen. Ihren Höchststand erreichte die Zahl der Katholiken mit 2,77 Millionen in den Jahren 1949 und 1950. Zu den größten Herausforderungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre gehörte es, nicht nur Not und Zerstörung zu überwinden, sondern für diese Personengruppe auch ein religiöses Angebot zu organisieren. Weit über die Staatsgründung hinaus blieb die katholische Kirche eine »Flüchtlingsund Vertriebenenkirche«.183 Viele derjenigen, die aus ihrer ursprünglichen Heimat zunächst bis in die Sowjetische Besatzungszone und DDR migriert waren, machten dort nicht Halt, sondern siedelten in den Westen über. Bis zum Mauerbau 1961 nahm

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die Stärke der Katholiken um 1,1 Millionen ab. Allein zwischen Staatsgründung 1949 und Volksaufstand am 17. Juni 1953 sank die Zahl um 860.000. Für diesen Rückgang war die Fluchtbewegung ebenso verantwortlich wie die Entkirchlichung durch die religionsfeindliche Politik der Staatsführung. Ein aktives katholisches Bekenntnis führte zu politischer und sozialer Diskriminierung. Insbesondere die 1950er Jahre waren von einer offenen Kirchenverfolgung geprägt. In den Jahren zwischen Mauerbau und Ende der DDR verringerte sich die Zahl der Katholiken um weitere 670.000. Dieser Trend wurde durch den Mauerfall und das Ende der DDR keinesfalls gestoppt, sondern verschärfte sich noch einmal: Die Gemeinschaft der Katholiken in den sogenannten neuen Ländern schrumpfte in den Jahren zwischen 1989 und 1991 noch einmal um knapp 140.000 Mitglieder.184 In der katholischen Kirche in der DDR wurden verschiedene Selbstbilder geprägt. Die Beschreibung der Zustände und die Beschwörung von Wunschbildern gingen dabei Hand in Hand: Der SED-Staat bleibe für die Katholiken ein »fremdes Haus«, welches man nicht gebaut habe und dessen tragende Fundamente man für falsch halte, so führte mit Bischof Otto Spülbeck der Apostolische Administrator des Bistums Meißen auf dem Kölner Katholikentag von 1956 aus. Man wolle an diesem Gebäude nicht mitbauen, sich wohl aber dafür einsetzen, »daß wir selbst in diesem Haus noch menschenwürdig und als Christen leben können«.185 Nach Jahren der starken Konfrontation blieb seit Ende der 1950er Jahre diese Positionsbestimmung prägend. Im August 1961 entwickelten Kirchen- und Staatsvertreter in mehreren Spitzengesprächen eine »Geschäftsgrundlage« für das zukünftige Miteinander. Die Kirche versprach »›Loyalität‹ […] zum Staat der DDR in Form öffentlicher ›politischer Abstinenz‹«.186 Dafür garantierte der Staat die Einheit der Kirche wie auch insbesondere des Bistums Berlin, indem man dem im Ostteil der Stadt residierenden Berliner Bischof Alfred Bengsch ungehindert in den Westteil der Stadt reisen ließ. Die Gemengelage von Konflikten und partiellen Kooperationen führte politisch zu einer gewissen Routine, in der sich beide Seiten einrichteten. Aus Sicht der katholischen Kirche half diese Konstellation dabei, die eigene Identität zu bewahren. Der Preis dafür war ein weitgehender Rückzug auf sich selbst. Eine partielle Neuorientierung ist erst zum Ende der DDR zu beobachten, als sich katholische Laien und Priester der Demonstrationsbewegung des Herbstes 1989 anschlossen. Ein zweites Bild, welches der DDR-Katholizismus für sich selbst gebrauchte, war das von der »kleinen Herde«. 187 Zum einen spielte man damit auf die Diasporasituation an, in der sich die katholische Kirche befand. Zum anderen griff dieses Sprachspiel auch auf einen pastoralen Topos in der katholischen Kirche zurück, nach dem sich der pastor bonus, der gute Hirte, um seine Schafe kümmert. Neben der Fürsorge und der Zuversicht, die dieses Bild beinhaltet, ist damit auch ein hierarchisches Verhältnis beschrieben. Eine Politik der »loyalen Distanz«, wie sie die katholische Kirche gegenüber dem SED-Staat praktizierte, war auf eine hohe Geschlossenheit in den eigenen Reihen angewiesen. Diese diente ebenso dem Schutz der eigenen Mitglieder wie auch der Kontrolle nach innen, dem Gebot, dass niemand den abgesteckten Rahmen durch-

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brach. Was in den Zeiten von massiver staatlicher Repression gegen die Kirche, wie sie in den fünfziger Jahren zu beobachten war, erfolgreich und mit großer Berechtigung dazu diente, ein Bollwerk zu schmieden, verlor später aber diese Funktion. Mit der Rezeption des Zweiten Vatikanum in der DDR wurden die Ambivalenzen deutlich sichtbar: Das Konzil der Kirche über die Kirche hatte theologisch die Öffnung zur Welt angeregt, einer stärkeren Pluralität den Weg geebnet und die Stellung der Laien gegenüber dem Klerus und der Hierarchie gestärkt. Auch die Katholiken in der DDR waren in diese und weitere weltkirchliche Zusammenhänge eingebunden und damit dazu aufgefordert, ihre Position zu überdenken. Es mussten Formen des Dienstes für die Menschen des Landes gefunden werden, ohne die eigene Identität preiszugeben und sich in das sozialistische System integrieren zu lassen. Zudem ergriff der mit Beginn der 1970er Jahre verstärkt zu beobachtende Individualisierungsschub auch die Katholiken der DDR. Die moralisch zum Teil rigiden kirchlichen Leitbilder für die Gestaltung des individuellen Lebens waren gegenüber den Gläubigen kaum noch durchzusetzen. Zugleich griff, wie im Westen auch, zunehmend die Entkirchlichung: Der Gemeindekatholizismus franste an den Rändern deutlich aus. Nicht mehr die Fluchtbewegung, sondern individuelle Austritte und der praktische Rückzug aus der Kirche ließen die Gemeinden schrumpfen. Dem Katholizismus drohte eine »Verrentnerung« seiner Gläubigen.188 Auch wenn wenig von den internen Konflikten und Pluralisierungsprozessen an die außerkirchliche Öffentlichkeit drang, war der DDR-Katholizismus zum Ende der 1980er Jahre viel weniger homogen als gemeinhin angenommen. Im Zentrum der Religionsgemeinschaft stand nach wie vor die Kerngemeinde derjenigen, die sich vor allem an den traditionellen Formen der Frömmigkeit und den Gottesdiensten orientierten. Besonders wichtig war in diesem Segment die Orientierung am jeweiligen Priester wie auch an der Kirchenhierarchie. An den Rändern dieses Gemeindekatholizismus entwickelten sich in den 1970er und 1980er Jahren neue spirituelle Gruppen und Bewegungen, die vor allem nach innen Reformen und kirchenpolitisch einen modernen Kurs forderten. Diese kleine, von Laien wie von Priestern getragene Gegenelite zu den Bischöfen, drängte durchaus selbstbewusst auf Änderungen, wurde aber in einem fatalen Zusammenspiel von Kirchenleitung und staatlichen Repressionsorganen ausgebremst: Wo dem Ministerium für Staatssicherheit jede Art der kritischen Bewegung verdächtig war, da galt auch der Kirchenhierarchie ein Ausscheren aus der »Herde« als Bedrohung des kirchenpolitischen Kurses nach innen und außen. Die Zersetzungsaktivitäten der Stasi griffen dann gelegentlich Hand in Hand mit den innerkirchlichen Disziplinierungsmaßnahmen.189 Befördert wurde diese Entwicklung nicht nur durch die weltkirchliche Einbindung und die Orientierung am Katholizismus im Westen, der ein deutliches »1968« erlebte. Hinzu kam ein Generationenwechsel im Episkopat, für den insbesondere der Bischofswechsel in Berlin stand: 1980 übernahm Joachim Meisner nicht nur die Leitung des Bistums, sondern zwei Jahre später auch den Vorsitz der Berliner Bischofskonferenz. Er löste mit Alfred Bengsch einen der Kirchenoberen ab, die in besonderer Weise für die

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Politik der Abschottung gegenüber dem Staat standen und sich auch der Rezeption des Zweiten Vatikanum konsequent verweigert hatten. Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die für die Öffnung der Kirche zur Welt stand, hatte Bengsch nicht unterschrieben. Zum Ende der »Ära Bengsch« hatte der DDR-Katholizismus seinen kirchenpolitischen Spielraum gegenüber dem Staat ausgelotet und konnte diese kleinen Freiräume weitgehend behaupten. Zugleich war die Kirche mit dem Konzept der »kleinen Herde« aber auch deutlich an die Grenzen ihrer Außenwirkung gestoßen. Vor diesem Hintergrund nahm der wohl einflussreichste katholische Theologe in der DDR, der Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, eine neue Standortbestimmung vor. »Nicht Bekämpfung des Kommunismus, sondern Aufbau des Leibes Christi« in der DDR, war sein Programm, welches in vielen Bereichen der katholischen Kirche in den siebziger und achtziger Jahren handlungsleitend wurde.190 Sein Nachfolger im Erfurter Bischofsamt, Joachim Wanke, nahm diesen Impuls auf und entwickelte Ansätze für eine neue pastorale Praxis. In seiner breit rezipierten »Standortbestimmung« vom Oktober 1981 zeichnete er ein Bild von den Aufgaben der Kirche, welches sich deutlich von der Selbstpositionierung der 1950er Jahre unterschied. »Wir wollen auch hierher gehören, nicht weil wir nicht anders können, sondern weil wir um dieses Landes willen, um seiner Menschen willen einen Weg suchen wollen, um das Evangelium Jesu Christi auf ›mitteldeutsch‹ zu buchstabieren.« In seinen Ausführungen vor zwei Priesterkonferenzen in Erfurt und Heiligenstadt konstatierte er auch, dass die Kirche »auf diesem Weg der echten Einbettung der Frohbotschaft in diese konkrete Welt […] noch wenig vorangeschritten« sei.191 Alles in allem mühte sich eine in der DDR sozialisierte Generation von Katholiken, die Fixierung auf das Staat-Kirche-Verhältnis zu überwinden und den Diasporakatholizismus aus seiner Engführung zu befreien. Treffend ist diese neue Ausrichtung als Prozess »katholischer Identitätsbildung« beschrieben worden, die aber immer unter einem deutlichen »weltanschaulichen Generalvorbehalt« stand.192 Ausdruck dieser neuen Ausrichtung war das Katholikentreffen in Dresden 1987, bei dem 100.000 dort versammelte Gläubige das neue katholische Selbstbewusstsein und den Anspruch auf Weltgestaltung demonstrierten. Ob dieser Versuch, die selbst gewählte Isolation zu verlassen, angebracht, vielleicht gar erfolgreich war, wird kontrovers diskutiert. Aus der Vogelperspektive lässt sich sicher sagen, dass dieser Neuaufbruch politisch kaum Wirkung hatte. Beim Zusammenbruch der DDR beispielsweise trat die katholische Kirche als Institution nicht in Erscheinung. Nach 1990 wurde diese politische Abstinenz vereinzelt dann auch durchaus kritisch diskutiert.193

Vom Ende der »Priesterkirche«. Neue Rollen und Strukturen im religiösen Feld Säkularisierung als Entkirchlichung: Dieser Trend prägte in den vergangenen Jahrzehnten das religiöse Feld in der alten Bundesrepublik, in der DDR wie auch im wiedervereinigten Deutschland in besonderer Weise. Es wäre allerdings falsch, diese Entwicklung zu verabsolutieren. Eine gewichtige Beobachtung spricht dagegen: Nach wie

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vor sind die christlichen Kirchen die wichtigsten Institutionen, die religiöse Interpretation und Praxis bereitstellen. Sie haben sich diese dominante Stellung dadurch bewahren können, dass sie sich selbst tief greifend verändert und dem Transformationsdruck der Nachkriegszeit nachgegeben haben.194 Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Katholik, der mit der Frömmigkeitspraxis der 1950er Jahre groß geworden ist, wird in einem aktuellen Jugendgottesdienst sein Modell der Messe nur noch ansatzweise wiederfinden. Eine solche Anpassung war aber nicht nur die Voraussetzung für die bleibende Relevanz, sondern brachte auch Kosten mit sich. Da monotheistische Religionen auf einem absoluten Wahrheitsanspruch gründen, ist jede Veränderung schwer zu vermitteln, sowohl nach innen wie nach außen. Hinzu kommt, dass gerade die »Sperrigkeit« und Unangepasstheit des von den Kirchen repräsentierten religiösen Lebens gegenüber den Entwicklungen in der Gesellschaft einen Teil ihrer Attraktivität ausmacht. Religiöse Gemeinschaften repräsentieren damit ein Modell, das der ›Welt‹ substanziell entgegengesetzt ist und für viele Gläubige gerade mit dieser Eigenschaft einen besonderen Anziehungspunkt darstellt. Innerhalb der Religionsgemeinschaften ist daher heiß umkämpft, ob Veränderungen möglich, notwendig oder erlaubt sind und wenn ja, in welchem Ausmaß. Andererseits aber sind Transformationen und Veränderungen der Normalzustand in den Kirchen. Nicht nur in den vergangenen Jahrzehnten, sondern immer wieder passten Religionsgemeinschaften ihre Ausdrucksformen, ihre Praxis und ihre innere Struktur der historischen Aktualität an. Die gegenwärtig zu beobachtende Entkirchlichung muss daher keineswegs zwangsläufig das Ende des Christentums mit sich bringen. Insbesondere eine Beobachtung widerspricht dieser Vermutung in hohem Maße. Weltweit ist das Christentum auf dem Vormarsch, die Zahl der Anhänger steigt in zunehmendem Maße. Nicht das Christentum an sich steckt also in einer Existenzkrise, sondern ausschließlich das europäische Christentum sieht sich in einigen seiner nationalen Hochburgen mit einer rapiden Entleerung der Kirchen konfrontiert. Diesen Wandel aber – und auch dieser Hinweis spricht gegen die Vorstellung eines simplen Absterbens der christlichen Kirchen – erdulden die Religionsgemeinschaften nicht tatenlos, sondern reagieren darauf in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Diese Veränderungen sind zum Teil gewollt und reflektiert, zum Teil unbewusst, immer aber von einem massiven Veränderungsdruck erzwungen. Seit den 1960er Jahren lösen sich die Sozialformen der Kirchen auf, die sich in Auseinandersetzung mit der Moderne seit 1800 entwickelt haben. An verschiedenen Segmenten lässt sich zeigen, wie tief greifend diese Transformationen die innere Gestalt der Religionsgemeinschaften prägen. Dazu gehören die neuen Rollenzuschreibungen an Kleriker und Laien, bei denen sich die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse nahezu umgekehrt haben. Auch das Entstehen eines professionell-organisatorischen Sektors in verschiedenen Dienstleistungs- und Servicebereichen wie Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten hat die interne Struktur der Kirchen stark verändert. Viele dieser Prozesse sind noch im Fluss. Es lassen sich aber mit Blick in die vergangenen Jahr-

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zehnte doch Trends und grundsätzliche Verschiebungen aufzeigen, die auch die Zukunft prägen werden. Eine der wesentlichen Veränderungen betrifft die Rollenzuschreibungen und Rollenerwartungen an die einzelnen Mitgliedergruppen innerhalb der Religionsgemeinschaften. Besonders dramatisch war und ist dieser Wandel im Verhältnis von Laien und Klerus. Über eineinhalb Jahrhunderte lang spielten Priester, Pfarrer und Pfarrerinnen, aber auch Ordensleute als religiöse Experten eine besondere Rolle. Mit der Weihe oder der Ordination erhöht, standen sie den Gottesdiensten vor, legten die Schrift aus und erteilten Segen und Sakramente. Im Beziehungsgeflecht der Kirchen kam ihnen damit eine ganz besondere Stellung zu. Für das Gros der Gläubigen waren sie das eigentliche »Gesicht« der Religionsgemeinschaft, verkörperten diese vor Ort und fungierten somit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein als das wichtigste Bindeglied zwischen privater Lebenswelt und der Organisation Kirche. Für diese Rolle waren sie nicht allein durch die Weihe prädestiniert: Die Kandidaten hatten sich einer strengen Auswahl unterworfen und waren durch das theologische Studium und eine zusätzliche Seminarausbildung auf ihre Tätigkeit vorbereitet. In welchem Grad die Gruppe der Priester professionalisiert wurde und wie sich damit ein stark ausgeprägtes Priesterideal entwickelte, lässt sich insbesondere an der römisch-katholischen Kirche zeigen. Die Kurie modernisierte die Priesterausbildung, offiziell seit dem Trienter Konzil des 16. Jahrhunderts, tatsächlich wohl erst seit Ausgang des 18. Jahrhunderts. Modellgebend war das in Münster vom Generalvikar Franz von Fürstenberg erdachte System der Priesterausbildung: Neben einem wissenschaftlichen Studium wurde mit Beginn des 19. Jahrhunderts auch der Besuch eines Priesterseminars verpflichtend. Diese Art der Ausbildung brachte ein hohes Maß an theologischer und standesethischer Disziplinierung mit sich.195 Dieser besonderen Stellung der Kleriker entsprach die Selbstbeschreibung, die theologische Deutung wie auch die Ansprüche an diese Gruppe, wie sie vor allem in der Phase der vermeintlichen Rechristianisierung in den 1950er Jahren formuliert wurden. »Lehren, Heiligen, Führen«, so benannte beispielsweise der Münsteraner Bischof Michael Keller programmatisch die drei pastoralen Aufgaben priesterlicher Sendung. Durch die Feier der Eucharistie, die Spendung der Sakramente und die Verkündigung solle der Priester, allen säkularen Tendenzen der modernen Zeit zum Trotz, die Seelen heiligen. Als Teilhaber an der Führungshoheit des Papstes und der Bischöfe sei der Priester explizit zur Führung seiner Gemeinde bestimmt, wobei sich dieser Anspruch immer am Vorbild Jesu Christi zu orientieren habe.196 »Zuerst und vor allem muß der Priester ein homo Dei, ein Mann Gottes, ein großer Beter, sein«, so erklärte der Bischof in einem Artikel 1959 und setzte zugleich voraus, mit dieser Beschreibung des Priesterideals auch den Wünschen der Gemeinde zu entsprechen. »Im Grunde genommen wollen die Menschen heute – selbst wenn sie sich dessen nicht ausdrücklich bewußt sind – den heiligen, den ehrlich frommen Priester, der es allerdings mehr ist, als zeigt, den Priester, der ›die Messe lebt‹.« Erhabenheit, Größe, heilige Berufung, Sendungsbewusstsein – mit diesen und anderen Vokabeln belegte und überhöhte der Bischof die Gruppe der katholischen Priester. Zur Ausübung des Amtes

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genüge nicht, so führte der Oberhirte auf einer Feier zur hundertjährigen Gründung des Priesterseminars aus, »irgendeine Stufe der Vollkommenheit«, sondern es werde »ein hervorragender Geist der Tugend« verlangt. »Zwischen einem Priester und einem rechtschaffenen Laien sollte ein Unterschied sein wie zwischen Himmel und Erde. Die priesterliche Tugend muß sich daher nicht nur vor schwerer Sünde hüten, sondern auch vor dem geringsten Fehler«, mit diesen Worten zitierte Keller Papst Pius X.197 Deutlicher konnte man die Differenz zwischen Klerikern und Laien kaum noch markieren. Auch in Teilen der evangelischen Kirche gab es eine vergleichbare sakrale Überhöhung der Rolle des Pfarrers. Insbesondere die lutherische Neoorthodoxie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Preußen einflussreich wurde, betonte das priesterliche Charisma des Pfarrers, zu dessen Bestimmung sie die Verwaltung der Sakramente und die Verkündigung zählte. Der kritischen Universitätstheologie standen sie skeptisch gegenüber und sahen auch in der religiösen Untermauerung liberaler Kulturwerte allenfalls einen Angriff auf Evangelium und Kirchenlehre. In der pietistischen Ausrichtung waren es die persönliche Frömmigkeit und besondere Glaubenstiefe, die den Geistlichen qualifizierten und vom normalen Gläubigen abhoben. Wie die katholischen Priester unterschieden sich auch die Vertreter dieser Strömung durch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit und ihre Kleidung vom normalen Gläubigen: Dem römischen Priesterkragen des Collarhemds entsprach das evangelische Beffchen. Diese weiße Halsbinde schloss den dunklen, meist schwarzen Talar ab und wurde je nach Bekenntnis unterschiedlich getragen und gebunden. Die Amtskleidung diente evangelischen wie katholischen Geistlichen als eine Art Uniform, die die Person des Pfarrers hinter die Würde des Amtes zurücktreten ließ.198 Liberale und stark in die Gesellschaft eingebundene sogenannte kulturprotestantische Pfarrer verbanden hingegen individuelle Frömmigkeit mit kritischer Rationalität und modernem Bildungsglauben. Dabei rückten Gelehrsamkeit, persönliche Leistung und Bürgerlichkeit in den Mittelpunkt des Amtsethos, während Frömmigkeit und Religiosität weniger stark betont waren. Das Amt wurde nicht der Gemeinde gegenübergestellt, »sondern erhielt sein ›Dekorum‹ vor allem durch die ›Autoritäts- und Vertrauensperson‹ des Pfarrers als ›gelehrten Bürgers‹«.199 Allen Unterschieden in der Amtsauffassung der rationalistischen, orthodoxen und pietistischen Gemeinden zum Trotz entwickelte sich eine gemeinsame Klammer, welche das Berufsbild dominierte: Das Pfarramt war eine »Totalrolle«, in der der Amtsinhaber höchsten Ansprüchen genügen musste, sowohl in seiner professionellen Tätigkeit wie auch in der persönlichen Lebensführung. Mal galt er als Muster bürgerlichen Lebens, als Initiator höherer Bildung, dann auch als Volkserzieher, Sittenwächter und später als Keimzelle deutschen Lebens – in vielfältiger und wechselnder Weise wurden das evangelische Pfarrhaus und seine Bewohner symbolisch überhöht und auch politisch vereinnahmt. Selbst in den 1970er Jahren, als die positive Wertung sich in ihr Gegenteil verkehrte und das Pfarrhaus nun als Element eines deutschen Sonderwegs kritisiert wurde, schien unter veränderten Vorzeichen noch die Sonderrolle durch, die man dem Pfarrerstand zugesprochen hatte.200

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Das Pfarrer- und Priesterideal des 19. Jahrhunderts zog sich in seinen Grundzügen bis in das 20. Jahrhundert hinein. Die damit verbundene sakrale und ethische Überhöhung bildete den Hintergrund einer Debatte, bei der die Fallhöhe für diese Statusgruppe beträchtlich war. Das Schlagwort »Priesterkrise« wurde seit Ende der 1960er Jahre zunächst in kirchlichen Zeitschriften, rasch aber auch in den nicht-religiös gebundenen Blättern thematisiert. Das Bild des Priesters wandelte sich massiv. Die von der katholischen Kirche in Auftrag gegebenen demoskopischen Untersuchungen hatten auch Priester befragt. Eines »der markantesten und zugleich aufregendsten Ergebnisse« der Umfrage zur Würzburger Synode 1974 sah der Dogmatikprofessor und spätere Kardinal Karl Lehmann darin, wie weit gefächert das Spektrum unterschiedlicher pastoraler und theologischer Positionen unter den Klerikern war.201 Der Leiter der Befragung, Gerhard Schmidtchen, resümierte lapidar, dass »es kaum eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung mehr gibt, über die Priester einer Meinung wären und über die sie sich nicht sehr deutlich äußerten in dem einen oder anderen Sinn.«202 Hinzu kamen, so formulierte eine Kommission der Würzburger Pastoralsynode, »Identifikationsprobleme« insbesondere der jüngeren Priester mit der Institution Kirche: die Reform kirchlicher Strukturen und insbesondere der Zölibat, die Verpflichtung zur Ehelosigkeit, und viele andere Punkte stießen bei den jüngeren Klerikern auf Widerspruch. 203 Nicht einmal darüber, wie das eigene Amt auszuüben sei, herrschte Einhelligkeit. In dieser Uneinigkeit traf sich die katholische Priesterschaft mit den evangelischen Pastorinnen und Pastoren. War die Konzentration auf die Verkündigung, wie sie sich in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur entwickelt hatte, noch ein angemessenes Leitbild für den Pfarrer der 1970er Jahre? Der Pfarrergeneration, die sich als »Anwalt des Wortes« verstanden hatte, war es tendenziell wichtiger gewesen, eine »gute Predigt« zu halten, als »die Allerwelts-Gespräche mit den Leuten in den Häusern oder auf der Straße« zu führen, die »nicht zum theologisch Wesentlichen vorstoßen.«204 Durch die programmatische Hinwendung zur Welt, für die insbesondere die politische Theologie der 1970er Jahre in ihren verschiedenen Facetten stand, gerieten derartige Positionen unter Druck. Größere Teile der Kirche orientierten sich an gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen, setzten auf Emanzipation und Weltverbesserung. Damit erweiterte sich auch das Spektrum dessen, was ein Pfarrer zu leisten hatte: Partizipationsmöglichkeiten und Urteilsfähigkeit der Gemeindemitglieder sollten im Sinne einer politischen Neuausrichtung gefördert werden. Darüber hinaus hatte der Pfarrer verstärkt als Seelsorger zu fungieren und den Gemeindemitgliedern bei der Bewältigung von Lebenskrisen beizustehen. Sozialarbeiter, Mediator, Therapeut – die mehrfache Erweiterung seiner Rolle ließ die theologische Kompetenz des Pfarrers in den Hintergrund treten. Vom »Zeugen« über den »Berater« zum »Krisenagenten« – mit diesen Begriffen lässt sich die Entwicklung des Pfarrerbildes vom Kriegsende bis in die 1970er Jahre charakterisieren, wie es sich in den Selbstbeschreibungen, aber auch in den Erwartungen an diesen Berufsstand zeigt. Als Folge dieser internen Debatten avancierte sowohl unter den evangelischen Pfarrern wie auch im katholischen Klerus eine Frage

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zum Dauerkonflikt: Sollte man sich in seiner Amtsführung eher zur Gemeinde hin und damit »horizontal« orientieren? Oder galt es, sich doch eher »vertikal« auszurichten und damit die spirituelle Autorität zu betonen, die der Priester verkörperte? Wie groß die Bandbreite des Amtsverständnisses wie auch der Erwartungen von außen war, zeigt sich an den jeweiligen Extrempositionen: der heilige Mann als großer Beter mit direkter Verbindung zu Gott stand neben dem mehr oder weniger säkularisierten Sozialarbeiter, der vor allem auf Beratung und Lebensbegleitung setzte. Dem in dieser Diskussion aufbrechenden Zwiespalt entsprach der Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung und Darstellung des Priesters: Allein im Kino der fünfziger Jahre tauchte die Sozialfigur des an seinem Amt zweifelnden Priesters auf. Generell aber dominierte ein traditionelles Bild, welches im Priester einen Mann des Glaubens, den Verwalter der Sakramente und eine vor allem im Ländlichen beheimatete Autorität sah. Seit Ende der fünfziger Jahre änderte sich diese Visualisierung, erschien doch nun eine Reihe von zölibatskritischen Filmen, die den Priester als eine Person zeichneten, die an den Dogmen der Amtskirche scheiterte. Seit Mitte der 1960er Jahre übernahm dann die Presse stärker die Meinungsführerschaft und prägte eine alternative Darstellung: Neben das traditionelle Priesterbild trat nun der Geistliche, der gegen die institutionell vorgegebenen Rollenverhältnisse protestierte. Ein Extremfall dieser Darstellung wird auf einer Fotografie erkennbar, die Der Spiegel anlässlich der Celler Konferenz 1968 und 1969 veröffentlichte. Auf den verschiedenen Treffen versammelten sich kritische Theologiestudierende, die eine Implementierung neomarxistischer Anstöße seitens kritischer Theorie und Studentenbewegung in der evangelischen Kirche forderten. Dem Leser präsentierte das Foto eine Reihe von laut rufenden, bärtigen jungen Männern vor einem Mao-Plakat. Versehen mit der Bildunterschrift »Rote Bibeln« unterschied sich diese Szene nicht von anderen Darstellungen studentischen Protests und gab keine Hinweise auf einen kirchlichen oder religiösen Hintergrund.205 Das Stereotyp des kirchlichen Rebellen verdrängte das Bild von »Hochwürden« zwar nicht, trat aber mindestens neben die konventionelle Darstellung und pluralisierte das Bild des Pfarrers.206 Der große Kontext dieser Veränderungen war die Diskussion um traditionelle Formen von Autorität. Aus dem Polizisten, der vormals als Verkörperung der Staatsgewalt galt, wurde »dein Freund und Helfer«. An den Universitäten verloren die Professoren nicht nur ihre Talare, sondern es wurde auch eine Selbstverwaltung installiert, die den Studenten mehr Mitspracherechte einräumte. Dieser Trend beschränkte sich nicht nur auf säkulare Bereiche, sondern griff auch in klerikales Terrain ein: Die öffentliche Stellung und das Image des Geistlichen veränderten sich. Innerhalb der Kirchen fand diese Veränderung ihre Entsprechung in der Gründung eigener Priesterund Solidaritätsgruppen. Nach dem Vorbild von Gewerkschaften setzten sich diese für bessere Arbeitsbedingungen, aber auch für Mitbestimmung und theologische Reformen ein. Sie sahen sich damit ganz dem Zeitgeist der sich deutlich an das weltliche »1968« anlehnenden katholischen Kontestation verpflichtet.207 Ein solches Ausscheren aus der traditionellen Hierarchie und der wieder herausgestellten geistlichen Verbundenheit mit dem Bischof war wenige Jahre vorher noch undenkbar gewesen.

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Theologisch entwickelte schließlich das Zweite Vatikanum entscheidende Impulse innerhalb des katholischen Bereichs. Die Konzilsväter verzichteten darauf, eine exklusiv juridische Theologie des Klerus zu formulieren, sondern ordneten das Priestertum dem Oberbegriff Gottesvolk zu. Stärker noch als die evangelischen Pfarrer und Pfarrerinnen hatte daher der katholische Klerus seine Rolle neu zu definieren. Auf der einen Seite stand die neu formulierte Vorstellung vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen, die eine deutlich nivellierende Tendenz hatte und die Amtsautorität in Frage stellte. Auf der anderen Seite blieb der Selbstanspruch und zum Teil auch die Erwartung, dass sich ein Priester deutlich von den übrigen Gläubigen unterscheide. Dieser Umstand machte den verunsicherten Klerus schon in der Wahrnehmung der Zeitgenossen zum »Konzilsgeschädigten«.208 Parallel zu der internen Diskussion wuchs seit den siebziger Jahren auch die Aufmerksamkeit für die sinkenden Priesterzahlen. Immer weniger junge Männer entschlossen sich zu Theologiestudium und Priesterweihe. Schon im September 1965 berichtete die Wochenzeitschrift Der Spiegel, dass die Bischöfe von Aachen, Essen, Münster und Paderborn eine Werbeagentur damit beauftragt hatten, nach den Ursachen für die sinkenden Zahlen zu suchen: Die befragten katholischen Schüler monierten, dass der Priesterberuf seine »soziale Wertstellung« verloren habe und zu geringen Verdienst bei einer prinzipiell unbegrenzten Arbeits- und Dienstzeit biete.209 Die »Priesterfrage« rückte mehr und mehr an zentrale Stelle der kirchlichen Reformdiskussion und wurde zu »einem ›Seismographen‹ für die vielfältige innere Unruhe« innerhalb der katholischen Kirche.210 »Sterben die Priester aus?« fragte ein populärer Buchtitel 1973 und nahm damit eine Entwicklung in Augenschein, die immer deutlicher zum Tragen kam. Laut Auskunft der Deutschen Bischofskonferenz sank die Zahl der Neupriester deutlich: Wurden 1962 noch 557 Priester geweiht, pendelte sich deren Zahl in den 1980er Jahren zwischen zwei- und dreihundert ein. 2010 erreichte die Zahl der Priesterweihen mit 81 einen vorläufigen Tiefstand.211 Die evangelische Kirche leidet bislang nicht an einem Pfarrermangel. Wenn auch bis 2020 eine ganze Reihe von Pfarrern pensioniert wird, so scheint Berechnungen aus dem Jahr 2011 zufolge die Zahl der Theologiestudierenden groß genug, um den Bedarf zu decken.212 Zwei wesentliche Unterschiede zur Praxis im katholischen Bereich erklären diese abweichende Entwicklung: Die Gliedkirchen der EKD lassen einerseits die Ordination von Frauen zu, andererseits gilt kein Zölibat.213 Der für die katholische Kirche deutlich hervortretende Priestermangel wird von einer bis heute andauernden Debatte um den Zölibat der Priester begleitet.214 In dem 1989 erschienenen Buch »Kleriker«, erstellte der Priester und Psychoanalytiker Eugen Drewermann nach eigenen Aussagen das »Psychogramm eines Ideals«: Autoritätshörigkeit bis zur Selbstverleugnung und die massive Verdrängung sexueller Bedürfnisse ließen den Klerus laut Drewermann als psychisch zutiefst deformiert erscheinen.215 Die darum entbrannte Diskussion war Produkt und Promotor des Zerfalls eines Priesterideals, das in besonderer Weise mit der katholischen Sexualmoral verknüpft war. Die Frage nach der Zulassung von verheirateten Männern und Frauen zum Priesteramt wird immer

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wieder heftig diskutiert. Die Forderungen nach Veränderungen verhallen aber bislang ungehört, wollen doch Episkopat wie auch Rom an der bisherigen Form festhalten. Den bislang absoluten Tiefpunkt erreichte die Debatte um das katholische Priestertum durch den – ab 2009 zunächst in den USA, später auch in Deutschland und anderen Ländern – aufgedeckten sexuellen Missbrauch, den katholische Geistliche und Ordensleute an ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen verübt hatten. Nicht nur die Taten selbst, sondern ebenso die Versuche der Kirche, eine Aufklärung zu verhindern und die Opfer zu diffamieren, führten zu einer massiven Vertrauenskrise auch in den Kreisen der nach wie vor engagierten Christen. Parallel zum Niedergang des Priesterideals und zum Rückgang der Anwärter, die dieses Amt übernehmen wollen, gewann innerhalb der Kirchen eine neue Gruppe an Gewicht und Einfluss: die der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht mehr durch ein geistliches Versprechen an die Religionsgemeinschaft gebunden wurden, sondern durch Arbeits- und Tarifverträge. Nur zum kleineren Teil sind diese Menschen Theologen oder in der Pastoral beschäftigt. Der Großteil von ihnen übernimmt Tätigkeiten in kirchlich getragenen, aber von öffentlicher Hand finanzierten Institutionen, die nicht im engeren Sinne »religiös« sind. Wie groß diese Mitarbeitergruppe ist, verdeutlicht ein kurzer Blick auf die großen Wohlfahrtseinrichtungen der beiden christlichen Kirchen. 2005 beschäftigte der Caritasverband 499.313 Menschen, das Diakonische Werk mit 452.244 nur unerheblich weniger. Ein Vergleich mit anderen Unternehmen verdeutlicht die Dimension dieser Zahlen: Der Technikkonzern Siemens beschäftigt weltweit 426.000 Mitarbeiter, der Autobauer Daimler Chrysler etwa 363.000 und sein Konkurrent Volkswagen circa 324.800. Der Caritasverband ist derzeit der größte nicht-öffentliche Arbeitgeber in Europa. Im Bereich der sogenannten freien Wohlfahrtspflege sind beide christlichen Kirchen Großunternehmer, die andere Verbände wie das Deutsche Rote Kreuz, den Paritätischen Wohlfahrtsverband oder die Arbeiterwohlfahrt an Umsatz wie auch an Mitarbeiterzahlen weit hinter sich lassen.216 Diese Entwicklung hat sowohl für die Kirchen als Träger wie auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitreichende Konsequenzen: Das religiöse Proprium der kirchlichen Sozialeinrichtungen wird immer undeutlicher, wie sich allein an der Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft zeigen lässt. 1950 standen im Caritasverband 60.447 Ordensleuten 45.611 Laien gegenüber. Mehr als die Hälfte der etwas über hunderttausend Mitarbeiter war durch geistliche Gelübde gebunden. 1990 gehörten von 347.566 Mitarbeitern noch 21.110 einem Orden an oder waren Priester. Der Anteil der Geistlichen an dem mehr als verdreifachten Mitarbeiterstamm belief sich damit auf etwas mehr als sechs Prozent. Mit diesem Mitarbeiterwachstum reagierte man auf einen steigenden Bedarf und eine damit einhergehende Spezialisierung. Nicht mehr die Hingabe einer treu sorgenden Nonne, einer Diakonisse oder eines Ordensbruders, sondern die spezialisierte Kompetenz einer Ärztin oder eines Pflegers stand und steht für die Leistungsfähigkeit des Sozial- und Gesundheitssystems. Insgesamt, so resümiert Karl Gabriel seine

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ausführlichen Studien zu diesem Segment der katholischen Kirche, »wird der Klerus immer mehr zu einer schrumpfenden und überalterten Führungsschicht des arbeitsorganisatorischen Handlungsgefüges der Kirche.«217 Auch in der Tätigkeit selbst verlor sich der christliche Anspruch immer mehr, wie sich am Beispiel der Beratungsangebote der Kirchen zeigen lässt. Zielte die Eheberatung in den 1950er Jahren noch ganz dezidiert auch auf eine Missionstätigkeit, so trat dieser Gedanke in späteren Jahrzehnten völlig in den Hintergrund. Stattdessen wollte man zu einem gelingenden Leben beitragen, das im Idealfall auch religiös inspiriert sein mochte. Seit Mitte der 1970er Jahre drängten die Kirchen, die die Beratungsarbeit zahlreicher Einrichtungen der Ehe- und Familienhilfe finanzierten, erfolglos auf eine stärkere religiöse und kirchliche Rückbindung. Die »humanwissenschaftliche Professionalisierung« schritt unaufhörlich voran. Religion trat im Kontext dieser Beratungsarbeit immer mehr in den Hintergrund, das ehemals christliche Selbstverständnis von Caritas und Diakonie wurde zunehmend konturlos.218 Mit den rasanten Veränderungen des Sozialstaats sowie im medizinischen und im pflegerischen Bereich erlebten Caritas und Diakonie seit den 1950er Jahren eine grundlegende Transformation. Wie ließ sich das christlich und konfessionell orientierte Profil wahren und zugleich mit der Modernisierung und Professionalisierung, die der Fortschritt des Sozialstaats abverlangt, Schritt halten? Erste Versuche, die Laienmitarbeiter und -mitarbeiterinnen in konfessionellen berufsständischen Gemeinschaften zu organisieren und dort eine besondere konfessionelle Identität zu stiften, erwiesen sich rasch als wirkungslos. Die Konzeption einer »geistlichen Dienstgemeinschaft« bezog sich auf das Idealbild vom Bischof und seinen Priestern oder einer Ordensgemeinschaft, in denen sich alle Beteiligten im Glauben verbunden sahen. Damit orientierte man sich nicht nur völlig realitätsfremd an einem konfliktfreien Zustand. Zugleich verwehrte man damit den Arbeitnehmern ganz grundlegende Rechte: Ein System der Mitarbeitervertretung, aber auch die Möglichkeit, die Arbeit zu Durchsetzung eigener Belange niederzulegen, war in kirchlichen Einrichtungen lange Zeit unbekannt. In ähnlicher Weise ringen bis heute kirchliche Ausbildungsstätten wie Fach(hoch)schulen, an denen religiöse Bildung und fachliche Ausbildung miteinander kombiniert werden sollen, immer wieder darum, beide Ansprüche miteinander auszutarieren.219 Zudem verlangen die Kirchen ihren Mitarbeitern eine besondere Loyalität auch in der Lebensführung ab. Im Konzept der »geistlichen Dienstgemeinschaft« kollidiert die grundgesetzlich geschützte Bekenntnisfreiheit des Einzelnen mit dem ebenfalls gesetzlich geschützten Tendenzschutz in Wirtschaftsbetrieben. Was vormals als geistige Fundierung des gemeinsamen Arbeitens gedacht war, erweist sich nun als Quelle ständiger Auseinandersetzungen: Darf der wiederverheiratete, geschiedene Erzieher einen katholischen Kindergarten leiten, die lesbische Ärztin in einem evangelischen Krankenhaus operieren? Diese und ähnliche Fragen führen immer wieder zu Gerichtsverfahren, bei denen verschiedene Rechtsprinzipien miteinander kollidieren. Caritas und Diakonie betreiben im statistischen Mittel zwischen 40 und 50 Prozent der Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, in Regionen wie dem Rheinland,

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in Baden-Württemberg oder in Bayern steigt ihr Anteil aber auf bis zu 80 Prozent. Für Berufsgruppen wie Erzieher, Sozialpädagogen, aber auch Mediziner ist unter diesen Umständen eine Kirchenmitgliedschaft praktisch verpflichtend. Umgekehrt ist es in vielen Fällen gar nicht mehr möglich, eine konfessionelle Bindung vorauszusetzen. Bei der Übernahme von Wohlfahrtseinrichtungen in der ehemaligen DDR war es praktisch unmöglich, auf dieser Zugangsvoraussetzung zu bestehen. In besonderer Weise herausgefordert sieht sich der geistliche Stand durch diejenigen Hauptamtlichen, die direkt in der Pastoral mitarbeiten. Pastoralreferenten und -referentinnen sind zwar nicht geweiht, verfügen aber über eine identische theologische Ausbildung. Gemeindeassistenten sind durch ein Fachhochschulstudium auf ihre Aufgabe zum Teil praxisnäher vorbereitet als die geweihten Theologen. Schon in den Stellenplänen für die 1970er Jahre wies das besonders arg vom Priestermangel gebeutelte Bistum Limburg 176 Priester, 20 Kapläne und 306 hauptamtlich tätige Laien für die Pastoralseelsorge aus. 2001 standen den 9.605 Ordens- und Weltpriestern 7.107 Gemeindeassistenten und Pastoralreferenten gegenüber.220 Der Einzug der Laientheologen war dabei von einer intensiven Debatte begleitet, in der vor allem Kleriker befürchteten, die neuen Pastoralmitarbeiter könnten zu wenig Bindung an ihr Amt und ihre Kirche haben. Auch die Rolle des Klerus veränderte sich damit grundlegend: Der charismatische Mann Gottes musste sich zumindest partiell zum Teamleiter entwickeln, der die Arbeit von verschiedenen Seelsorgekräften koordinierte. »Das Gesicht der traditionellen ›Priesterkirche‹«, so resümiert Ziemann, »hat sich durch das Vordringen der Laientheologen in den Siebzigerjahren vermutlich stärker als durch jede andere Entwicklung verändert.«221 Aber nicht nur mit den Laientheologen ist den Priestern Konkurrenz erwachsen. Auch das Verhältnis von Priestern und Laien hat sich nahezu umgekehrt: In der katholischen Bildsprache galt das einfache Kirchenmitglied lange Zeit als Teil einer großen Herde, welches vom klerikalen Hirten zu führen und anzuleiten sei. Im Zuge der Nachkriegszeit sind aus den »ehemaligen Schafen anspruchsvolle Konsumenten« geworden, während der »einstige autoritäre Hirte« zum »überforderten Dienstleister« wurde.222

Neue Formen der religiösen Selbstverortung in, neben und außerhalb der Kirchen »Wenn ich tot bin, bin ich tot. Dann ist alles aus«, erklärte der ehemalige Autorennfahrer Niki Lauda seine Jenseitsvorstellungen in einem Interview vom 4. April 2012. Anlass war der Wiedereintritt des prominenten Österreichers und Luftfahrtunternehmers in die katholische Kirche. Nicht seine Kritik am Papst und an der Kirchenhierarchie, sondern vor allem seine Vorstellungen vom Tod erregten den Widerspruch frommer Katholiken. Rechtgläubig war das nicht, was der frühere Rennfahrer hier äußerte. Durfte er Kernaussagen des christlichen Credos leugnen? Welcher Priester, so empörte sich ein Kommentator auf der konservativen Internetplattform kath.net, habe es denn hier versäumt, die Erwachsenenkatechese vorzunehmen? Oder, so mutmaßten

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andere Besucher der Website, sei es auch der Kirche selbst nur um einen Taufscheinchristen und dessen sicher nicht schmale Kirchensteuer gegangen?223 Der Prominenz des ehemaligen Spitzensportlers wegen erregte der Fall von Niki Lauda Aufmerksamkeit. Demonstrativ forderten die konservativen Katholiken Rechtgläubigkeit und eine davon abgeleitete religiöse Praxis von Lauda ein, um auf eine weit verbreitete und aus ihrer Sicht tadelnswerte Laxheit im Glauben hinzuweisen. Selbst die Leser und Kommentatoren bei kath.net verkannten aber nicht, dass ihre Forderung sowohl bei bekannten Personen, als auch darüber hinaus kaum durchsetzbar wäre. Letztlich verhielt sich der Rennfahrer im Umgang mit den religiösen Vorgaben seiner Religionsgemeinschaft wie die meisten anderen Christinnen und Christen auch. Er suchte aus, was ihm plausibel erschien, er lehnte ab, was darüber hinausging. Bastel- oder Patchworkreligiosität, Auswahl- oder Pick and mix-Christentum, Bricolage – mit diesen und ähnlichen Begriffen versuchen Soziologen, Pastoraltheologen und Vertreter anderer Wissenschaften zu fassen, wie Menschen heute mit den Vorgaben institutionalisierter Religion umgehen. All diesen Umschreibungen und Sprachbildern liegt eine Beobachtung zu Grunde: Die Auflösung traditionaler Strukturen entlässt das Individuum aus gewachsenen Bindungen. An Stelle von Bindungen und Zwang treten individuelles Auswahlverhalten und eigene Entscheidungen. Die Distanz zwischen den institutionell formulierten Glaubensangeboten und der jeweils individuell gelebten Religiosität wächst. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Den »eigenen Gott«, dem man sich in Kontemplation und persönlicher Zwiesprache nähert, hat es für bestimmte Menschen immer gegeben. Für den gewöhnlichen Gläubigen aber war der individuelle Direktkontakt nicht vorgesehen. Stattdessen war die Gotteserfahrung eingebunden in Dogmen, Rituale, Liturgien und vorgegebene Exegesen der religiösen Urtexte. Spätestens seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts wurde man in die Religionsgemeinschaft hineingeboren, in ihre Riten und Vollzüge hineinsozialisiert mit dem Effekt, dass die traditionellen Formen übernommen werden sollten und wurden. Mit den sechziger Jahren aber schwächte sich dieser Zusammenhang ab: Der oder die Einzelne lösten sich aus der Vormundschaft der konfessionellen, ja sogar der religiösen Vorgaben insgesamt. Der einzelne Gläubige stellte sich entweder einen eigenen Cocktail religiöser Überzeugungen zusammen oder betätigte sich eben nicht mehr spirituell. »From ›Church‹ to ›Choice‹«, von der Kirchenbindung zur individuellen Wahl – mit dieser prägnanten Formel beschrieb der britische Religionssoziologe Stephen Hunt den Trend.224 Will man diesen Wandel verstehen, dann kann man sich bei der Erklärung nicht auf das religiöse Feld allein beschränken. Ursachen und Wirkungen dieser Veränderungen liegen tiefer und reichen weit in die Gesellschaft hinein. Mit der »zweiten Moderne« setzte um die 1970er Jahre ein Veränderungsschub ein, der die verschiedensten Ebenen berührte und »sozialen Wandel von revolutionärer Qualität« mit sich brachte.225 Auf verschiedenen Ebenen lässt sich dieser Wandel zeigen: Im sozioökonomischem Bereich sind es die Krise des fordistischen Produktionsprozesses, die Erosion der sozial

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geschützten Normalarbeitsverhältnisse für den männlichen Familienernährer, die Auflösung der damit verbundenen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der modernen Kleinfamilie wie auch der starke demografische Wandel. Damit einher ging die Erosion der soziokulturellen Milieus, die Pluralisierung der Lebensstile wie auch veränderte Vergemeinschaftungsformen insbesondere in der Familie, im Freundeskreis und in Gesinnungsgruppen. Damit veränderte sich auch das Individuum in seinen Lebenserfahrungen, in seinen Lebensentwürfen und -praktiken.226 Die Chiffre »1968« stand schon für viele Zeitgenossen für eine umfassende Lebensstilrevolution, bei der die Ausbildung eines »alternativen Milieus« den sichtbarsten Effekt eines breiten Wandels markierte. In den USA sprach der amerikanische Essayist Tom Wolfe von der »Me-Decade«, in der die Sorge um die Modellierung der eigenen Persönlichkeit wie auch das eigene Wohlergehen im Vordergrund stand.227 Sozialwissenschaftlich beobachtet wurden diese Werte- und Mentalitätsverschiebungen durch entsprechende Studien des Allensbacher Instituts für Meinungsforschung, die eine Abwertung der Pflicht- und Akzeptanzwerte zugunsten der persönlichen Selbstentfaltung konstatierten.228 Obwohl zunehmend kritisch beurteilt wird, ob solche demoskopischen Ergebnisse tatsächlich eine Mentalitätsverschiebung abzubilden in der Lage sind, avancierte der »Wertewandel« bald zum politischen Kampfbegriff.229 An vielen Indizien lässt sich zeigen, dass in der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung das Kollektiv zu Gunsten des Individuums zurücktrat. Mit dieser Akzentverlagerung änderten sich Bindungen und Autoritätsstrukturen nicht allein in den Religionsgemeinschaften: So sahen sich auch Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Vereine damit konfrontiert, dass ihre Mitgliederschaft bröckelte und unstet wurde. Das Gesundheitswesen, die Medien und andere Institutionen fanden sich einem Publikum gegenüber, welches die eigenen Ansprüche veränderte: Patienten, Zöglinge, Wähler, Arbeitnehmer, Kläger, Zuschauer und Konsumenten wollten ihre Zuschauerrolle verlassen und drängten auf Partizipation und Inklusion oder – so die Alternative in Feldern wie der Politik oder dem Konsum – verweigerten sich dem angebotenen Zusammenhang. Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte der Religionssoziologe Thomas Luckmann eine derartige Entwicklung für die Kirchen hellsichtig prognostiziert: Da der Anspruch der Religion auf Sinnstiftung in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft immer weniger verfange, werde die Beziehung zur Transzendenz privatisiert. »Ist die Religion erst einmal zur ›Privatsache‹ geworden, kann das Individuum nach freiem Belieben aus dem Angebot ›letzter‹ Bedeutungen wählen.« Leitend seien dann lediglich die »Vorlieben, die sich aus seiner sozialen Biografie ergeben«.230 So sehr sich diese Beobachtungen als richtig erwiesen haben, so zweifelhaft aber sind die weiteren Folgerungen, die Luckmann zieht. Seine Metapher von der »unsichtbaren Religion« geht davon aus, dass die Religion danach in einer sozialen und kulturellen Gestalt auftrete, die nicht mehr als Religion im herkömmlichen Sinn zu identifizieren sei. »Kleine Transzendenzen«, bei denen die Erfahrung des Göttlichen vom Einzelnen reproduzierbar sei, hätten die großen Deutungssysteme der traditionellen Religionen

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abgelöst. In der New-Age-Meditation, im Bodybuilding-Studio oder im Fanclub eines Fußballvereins ließe sich, so Luckmann, die Erfahrung von Transzendenz unmittelbar, wiederholbar und in der Kleingruppe immer wieder abrufen. Zumindest für das religiöse Feld in Deutschland scheint diese Entwicklung so nicht eingetreten zu sein. Erneut gilt es, der Teilung Deutschlands Rechnung zu tragen und den Osten gesondert zu betrachten: Entgegen den Erwartungen verharrte das Gros der Menschen im Osten in einer soliden und anscheinend dauerhaften Religionslosigkeit. Nicht allein diktatorischer Zwang bewirkte die Religionslosigkeit, sondern – so zeigen biografische Interviews – viele Menschen haben sich die Distanz zur Transzendenz aktiv angeeignet und in ihr Lebenskonzept integriert. Von vielen wird die Entscheidungssituation zwischen Staat und Kirche als selbstverständlich empfunden und nicht mehr hinterfragt. »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist«, so äußert sich einer der Befragten und steht damit für eine weit verbreitete Haltung.231 Dieses Entweder-Oder der Mitgliedschaftslogik haben auch die Kirchen selbst befördert, als sie Jugendweihe und Konfirmation für unvereinbar erklärten. Viele derjenigen, die in die SED eintraten oder einen staatsnahen Beruf ergriffen, gingen davon aus, dass der Staat ihm abverlangen konnte, seine Kirchenmitgliedschaft zu beenden. Für viele machte Konfessionslosigkeit zu DDR-Zeiten das Leben unkomplizierter, die Kirchenmitgliedschaft hingegen barg Risiken und konnte zu Konflikten führen. Diese Sichtweise auf die Religion internalisierten große Teile der Bevölkerung unabhängig von ihren weiteren politischen Überzeugungen. Hinzu trat, dass sich eine zweite Konfliktlinie tief in die Anschauungen eingeprägt hat. Die wissenschaftliche Weltdeutung, so hatte die SED immer wieder propagiert, vertrage sich nicht mit einem religiös motivierten Weltbild. Rationalität und Religion wurden und werden nach wie vor von vielen als krasser Gegensatz aufgefasst. Wesentlich, so folgert Monika Wohlrab-Sahr aus ihren Untersuchungen, ist die Säkularität im Osten eine von der SED-Diktatur erzwungene Haltung, die aber an Überzeugungen anknüpfen oder diese stiften konnte, die die Religionslosigkeit unterstützten.232 Unter den Bedingungen der »forcierten Säkularität« bildeten sich eigene Werte aus, die zum Teil die Funktion religiöser Überzeugungen übernahmen und vor allem nach 1990 zusätzlich nostalgisch verklärt wurden. Der Gemeinschaftserfahrung der Jahre bis 1990 wird der kalten Gesellschaft des wiedervereinigten Deutschlands gegenübergestellt. Die auf das Gemeinwohl bedachte »ehrliche Haut« wird als Gegenentwurf zum kapitalistischen Raffzahn aufgebaut, die Arbeit zu einem Wert stilisiert, die den Menschen in die Gemeinschaft integriert und ihm Würde verleiht. Wenn es ein religiöses Interesse gibt, dann sind es die davon abgeleiteten Haltungen, die dieses motivieren: Gemeinschaftserfahrung, Kritik am Materialismus, aber auch die denkerische und kreative Arbeit am Selbst finden insbesondere Angehörige der jüngeren Generation eher in den neureligiösen Bewegungen als in den großen Religionsgemeinschaften. Im Gros aber fehlen insbesondere in den Familien, die bereits in der zweiten Generation konfessionslos sind, jegliche christlich-religiöse Anknüpfungspunkte. Viele DDRBürgerinnen und -bürger »waren von allen Glaubens- und religiösen Wissensbeständen

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so weit entfremdet, dass sie selbst, als es politisch leicht möglich gewesen wäre, keinen Weg zum Glauben oder zur Kirche zu finden vermochten.«233 Die Kirchen sind insgesamt weniger durch andere Religionsanbieter herausgefordert, sondern vor allem durch eine weit verbreitete religiöse Indifferenz. Insbesondere die evangelische Kirche konnte vom Zusammenbruch des SEDRegimes und der Wiedervereinigung nicht profitieren. Viele derjenigen, die sich vor 1989 von der Gemeinschaft Kirche als Gegenmodell zum sozialistischen Staat angezogen fühlten, distanzierten sich nach der Wiedervereinigung. Das politische System der Bundesrepublik bot andere zivilgesellschaftliche Freiräume, so dass die kirchliche Ersatzöffentlichkeit an Relevanz verlor. Aber auch für diejenigen, die sich religiös gebunden fühlten, verloren die Kirchen an Attraktivität. Die Religionsgemeinschaften im Osten leiden unter dem Gestaltwandel, den sie im Zuge der Einbindung in die kirchlichen Strukturen der Bundesrepublik mit einer gewissen Zwangsläufigkeit gemacht haben. Aus den religiösen Gemeinschaften der Kerngemeinden wurde mit der Angleichung an die westdeutschen Verhältnisse eine kirchliche Organisation, die viel von ihrem früheren Charisma verlor. Bezog insbesondere die evangelische Kirche einen beträchtlichen Teil ihres Ansehens daraus, dass sie als Institution wahrgenommen wurde, die der Bevölkerung gegen den Staat beistand, änderte sich ihr Image mit der Wiedervereinigung deutlich: Religionsunterricht an staatlichen Schulen, ein staatliches Finanzierungssystem, eine beamtenähnliche Pfarrerbesoldung, Militärseelsorge in der Armee – mit der Anpassung an die bundesdeutschen Strukturen wurde die Kirche aus Sicht vieler Menschen jetzt als Element des Staates angesehen.234 In Westdeutschland war die Ausgangssituation für die persönliche Aneignung von Religion entgegengesetzt: Die Mitgliedschaft zu einer Konfession war lange Zeit die Norm und ist es in Teilen noch heute. Ein Austritt aus der Kirche ist daher nicht selbstverständlich. Er birgt tendenziell mehr Nachteile als der Verbleib in der Religionsgemeinschaft, droht doch eventuell eine soziale Stigmatisierung. Das »belonging without believing«, die Kirchenmitgliedschaft ohne religiöse Überzeugung, ist daher ein weit verbreitetes Phänomen. Das konfessionell geprägte religiöse Feld stützt die traditionellen Formen von Religion. Andere Sozialformen der Religionsausübung etablieren sich hingegen nur in bescheidenem Umfang: Weder die neureligiösen Bewegungen noch eine privat gelebte Spiritualität sind quantitativ betrachtet ein großer Faktor im religiösen Feld. Erfahrungen mit Zen-Meditation, Buddhismus oder anderen Formen alternativer Religion haben laut Meinungsumfragen weniger als fünf Prozent aller Deutschen gemacht. Und selbst da, wo die Erfahrungen dichter sind, etwa beim Wahrsagen oder bei der Astrologie, beurteilten die Befragten ihre Erfahrungen meist negativ.235 Auch angesichts von Individualisierung und Pluralisierung sind die großen Kirchen nach wie vor die bedeutendsten religiösen Institutionen in Deutschland. Sie stellen das religiöse Vokabular, die Bilder und Vorstellungen bereit, mit denen sich Individuen religiös orientieren und ausdrücken. Diese Kontinuität verdeckt aber nur sehr oberflächlich den starken Wandel, dem auch die evangelische und die katholische Kirche unter-

Auf dem Weg in eine entchristlichte Gesellschaft?

lagen. Beide christlichen Kirchen haben ihre Monopolstellung nicht nur auf Grund ihrer privilegierten Position in Politik und Gesellschaft bewahren können. Hinzu kommt, dass sich die Kirchen selbst verändert haben. Sie haben nicht nur Yoga, Meditation und neureligiöse Formen in ihre Angebote aufgenommen, sondern auch den Modus ihrer Inszenierung des Religiösen grundlegend verändert: Immer mehr und immer stärker beeinflussten die Adressaten, was Kirche sein soll. Nicht mehr die Setzungen der Institution, sondern das Nachfrageverhalten und die religiösen Bedürfnisse der Gläubigen bestimmten zunehmend, wie Glaube zelebriert wurde.236 Die Erosion bei der Bindung eigener Mitglieder, die Konkurrenz durch Jugendsekten und andere Anbieter, aber auch neu formulierte theologische Ansätze standen am Anfang der Veränderung. Es galt nicht nur attraktiver zu werden, sondern auch mehr Partizipation und Mitsprache zu ermöglichen und zugleich Themen aufzugreifen, die die Angesprochenen bewegten. Wie in vielen anderen Bereichen auch, hatten die kirchlichen Akademien und die Kirchen- bzw. Katholikentage eine Vorreiterrolle bei der »Eventisierung« kirchlicher Formate, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren zu beobachten war.237 Workshops, Arbeitskreise, Tagungen und andere neue Veranstaltungsformen erfüllten dabei verschiedenste Funktionen: Sie reagierten auf die Forderung nach einer Demokratisierung der kirchlichen Strukturen. Sie ermöglichten religiöse Erfahrungen und »Selbstverwirklichung«. Sie führten im Idealfall religiös Suchende an die Kirchen heran, die mit den traditionellen Formen nicht zu gewinnen waren. Ein Beispiel dafür sind die an der Akademie in Bad Boll 1979 eingeführten »Werkstätten Feministische Theologie«. Programmatisch formulierten die Veranstalterinnen den Anspruch, dass »Frauen bei ihrer Suche nach einer eigenen Identität selbst Subjekt des theologischen Arbeitens und Handelns« werden müssten und ihre »eigenen Erfahrungen« mit einbringen sollten.238 Ähnliche Formate gehörten bald auf den Kirchen- und Katholikentagen ebenso wie die offenen Gottesdienste zum stark frequentierten Standardrepertoire. Damit ist bereits angedeutet, dass auch die Liturgie Veränderungen unterworfen war. Die »Liturgische Nacht« beispielsweise etablierte eine Gottesdienstform, die alle Sinne und Erfahrungsebenen ansprechen sollte. Zusätzlich waren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht mehr allein passive Rezipienten, sondern dazu aufgefordert, den von den Veranstaltern vorgegebenen Rahmen aktiv zu füllen: Nach einem musikalischen oder meditativen »Opening« schlossen sich eine »Kommunikationsphase«, eine Prozession wie auch ein Abendmahl an. Wichtiger Bestandteil war ein »Spielraum«, in dem allen Gästen die Möglichkeit eröffnet wurde, »zu tun, zu erleben, was ihnen Spass macht«.239 Das Event lebt per Definition von den Zuschauern, die der Veranstaltung mit ihrer Beteiligung einen ganz eigenen Charakter geben. Es eröffnet den Teilnehmern eigene Erfahrungsmöglichkeiten, indem es ihre Themen aufgreift, die sich aber nicht unbedingt mit dem traditionellen Zweck der Gottesverehrung decken müssen. Nicht zuletzt sind viele dieser Formen lediglich temporär und binden die Teilnehmer nicht dauerhaft. »Konzepte von ›Kirche‹ wurden vermehrt an die individualisierten Muster der Lebensführung angepasst und zwar so sehr, dass es dabei häufig weniger um die

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Aus Kirche wird Religion

zukünftige Gestaltung von ›Kirche‹, als vielmehr um die der individuellen ›christlichen Existenz‹ überhaupt ging, die auch ›nichtkirchliche‹ Züge annehmen konnte.«240 Der Ruf nach Biographisierung und Authentizität, wie ihn viele Einzelne verspürten, wurde in den Kirchen durchaus gehört. Indem man darauf reagierte und verstärkt auf Partizipation, Relevanz und Erfahrung setzte, beförderte man zugleich diese Haltung und den Anspruch darauf. Auch in früheren Zeiten hatten sich die Großkirchen immer wieder den Zeitumständen angepasst. In der Regel aber war es der politische Status Quo, dem man Rechnung trug. Seit den 1970er Jahren waren es dann verstärkt die Bedürfnisse und Wünsche derjenigen, die man für sich zu gewinnen suchte, an denen man sich ausrichtete. Damit übernahm man in vielerlei Hinsicht die Tendenzen gesellschaftlicher Pluralisierung, Fragmentierung und Relativierung. Diese Neuorientierung bedeutete ohne Zweifel eine radikale Abkehr von einer jahrhundertelang geübten Praxis. Auch in den Kirchen selbst wurde Religion offener, pluraler und hintergründiger.

Gott in Deutschland – Rückblick und Ausblick

Der historische Rückblick hat uns bis an die Gegenwart herangeführt. Einen verlässlichen Blick in die Zukunft lässt diese Analyse allerdings nicht zu. Die Trends der vergangenen Jahrzehnte können wir nicht linear fortschreiben, um auf diese Weise eine Prognose zu erhalten. Auch in den Jahrzehnten zwischen Kriegsende und neuem Jahrtausend hat sich das religiöse Feld nicht geradlinig entwickelt. In Abgrenzung von den Säkularisierungstheorien, die einen Automatismus zwischen Modernisierung und Religionsverlust behaupten, haben wir uns bemüht, Prozesse des Wandels als Ergebnisse von konkreten Konflikten und Entscheidungen zu zeigen: Was als Religion gelten soll, wie sie sich intern ausdifferenziert, welche Bedeutung ihr für die Gesellschaft wie auch für den einzelnen zukommt und zukommen soll – all diese Fragen werden ausgehandelt zwischen Staat, Religionsgemeinschaften, politischen und sozialen Akteuren. Die Einsicht, dass die Entwicklung prinzipiell offen ist, gilt auch für die Zukunft. Und doch lassen sich im Rückblick Trends erkennen, die nicht nur die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte charakterisieren. Zusätzlich markieren sie im Sinne einer »Problemgeschichte der Gegenwart« die Felder, auf denen auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine besondere Dynamik zu vermuten ist.1 Insofern kann der Rückblick zumindest im Ansatz auch einen problemorientierten Ausblick bieten. Aus der Vogelperspektive betrachtet, dominiert zunächst der Wandel: Die längste Zeit in der Menschheitsgeschichte war das soziale Leben von Religion durchtränkt, in vielen Gemeinschaften und Sozialräumen dieser Welt ist es immer noch so! Für Westund Mitteleuropa war über eineinhalb Jahrtausende das Christentum die Religion, welche eine wichtige Stellung in der Gesellschaft eingenommen hatte. Gemessen an früheren Zeiten und an ihren Möglichkeiten, Gesellschaft mitzuprägen, sind Religion und religiöses Leben an den Rand gerückt, ohne aber – das ist wichtig zu betonen – ihre Bedeutung verloren zu haben. Diese Transformation sucht die Metapher im Buchtitel zu beschreiben: Der Himmel als Sinnbild für den Bezug auf eine Transzendenz hat sich nicht aufgelöst, er ist nicht verschwunden. Wohl aber hat sich seine Bedeutung nicht nur für immer mehr Menschen in Deutschland verändert, in der Tendenz ist der Himmel auch für immer größere gesellschaftliche Zusammenhänge verloren gegangen. Eine kurz- oder auch mittelfristige Rückkehr zu den früheren Formen oder ein »Wiederfinden« des »alten Himmels« ist nicht zu erwarten. Dieser Verlust des Himmels ist nicht selbstverständlich und erst recht nicht naturgegeben. Das religiöse Feld in Deutschland unterscheidet sich eklatant von vielen anderen auf der ganzen Welt. Als Kontrastfolie bieten sich die USA an, die als hochmoderne Gesellschaft eine deutlich andere Entwicklung genommen haben. Auch dort verloren die großen Kirchen des Protestantismus der Lutheraner, Baptisten und

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Gott in Deutschland

Methodisten wie auch der Katholizismus an Mitgliedern und an Ausstrahlung in die Gesellschaft. Parallel zu dieser, im Vergleich zu Europa durchaus bescheidenen Säkularisierung, entwickelte sich ein vor Vitalität vibrierender Religionsmarkt. In den USA sind verschiedene Anbieter von religiöser Sinndeutung aktiv, verbreiten ihre Lehren, können ohne hohe institutionelle Schranken oder staatliche Einflüsse in Konkurrenz zueinander um Anhänger werben und versuchen, ihren Ansichten auch politisch Geltung zu verschaffen. Die Situation in Deutschland scheint demgegenüber weit weniger vital zu sein. Aber nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt sind die Religionen auf dem Vormarsch. Der große Gewinner ist nicht allein der Islam, wie es immer wieder politisch-instrumentell behauptet wird. Noch erfolgreicher als die Nachfolger Mohammeds breiten Christen ihre Botschaft aus. Dabei sind es aber nicht Angehörige der katholischen oder protestantischen Konfession, sondern evangelikale Bewegungen, die auf große Erfolge verweisen können. Ein Beispiel dafür sind die Pentecostals, die sogenannte Pfingstbewegung. Aus einer 1906 in Los Angeles gegründeten methodistischen Kleingruppe entwickelte sich sehr schnell einer der quantitativ bedeutendsten Stränge des Christentums, der sich in Nord-, aber auch in Südamerika und auf dem afrikanischen Kontinent verbreitete: Waren 1970 in den Pfingstkirchen gerade einmal sechs Prozent der Christen weltweit organisiert, so entsprach ihr Anteil im Jahr 2006 bereits einem Drittel. Auf rund 500 Millionen wird die Zahl der Pfingstler derzeit geschätzt, hinzukommen circa 150 Millionen Charismatiker, die in den traditionellen christlichen Kirchen organisiert sind.2 In Afrika, Asien, Lateinamerika, im Nahen Osten und in Nordamerika floriert Religion heute wie eh und je. In vielen Fällen scheint ihre Bedeutung sogar zu wachsen, da vielerorts die Politik der Religion einen größeren Raum überlässt als zuvor.3 Schon diese wenigen Beobachtungen zeigen eins deutlich: Nicht Religion im Allgemeinen stirbt ab, im Gegenteil. Stattdessen sind es die christlichen Religionsgemeinschaften in Deutschland und anderen Gesellschaften Westeuropas, die eine tiefgreifende Entkirchlichung und damit gemessen an ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit früherer Jahrzehnte einen massiven Bedeutungsverlust erleiden. Jahrhundertelang wurde das Christentum von Europa aus getragen. Die großen Missionsbewegungen wie auch die theologischen Impulse kamen aus Ländern wie Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien und von den stark europäisch geprägten Ablegern dieser Religionsgemeinschaften in den USA. Diese Dominanz ist definitiv vorbei, die Verhältnisse haben sich rigoros umgekehrt. Das Christentum verlagert seinen Schwerpunkt von Europa in andere Teile der Welt. Europa ist zur Ausnahme von der Regel geworden.4 Vor dieser Folie tritt noch schärfer hervor, wie ungewöhnlich die Entwicklung in Deutschland ist. Von religiöser Vitalität, geschweige denn von Aufbruch kann hier nicht die Rede sein. Wer die Gründe für diese Sonderentwicklung bestimmen will, muss zunächst in den beiden christlichen Großkonfessionen suchen, stellen doch Protestanten und Katholiken in Deutschland nach wie vor die größten religiösen Gemeinschaften. Ist das Christentum in Deutschland tot? So fragten unter dem Eindruck der als dramatisch empfundenen Entkirchlichungserscheinungen die Zeitgenossen in den 1970er Jahren.

Rückblick und Ausblick

Auch der britische Religionssoziologe Callum Brown hat in einem jüngst erschienenen Buch den Tod des christlichen Großbritannien proklamiert.5 Mit Blick auf Deutschland lautet die Diagnose anders: Das Christentum an sich ist nicht tot. Wohl aber sind die spezifischen Sozialformen an ihr Ende gekommen, die vor allem der Katholizismus, in Teilen auch der Protestantismus in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten ausgebildet haben: die Kirche als Organisation, die auf zugeschriebener (nicht freiwilliger) Mitgliedschaft beruht und für ihre Angehörigen Rollen vorgibt, die diese weitgehend unabhängig vom eigenen Willen zu erfüllen haben. Für das Scheitern der »Anstaltskirche«, die Max Weber schon vor Jahrzehnten im Katholizismus identifiziert hat, steht vor allem die massive Entkirchlichung, die zwischen 1945 und heute zu beobachten ist. Nicht nur die Kirchenmitgliedschaft ging zurück, sondern auch der Besuch der Gottesdienste, der Empfang der Sakramente und viele andere Formen der Beteiligung sanken. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Trend zu Ende wäre. Aktuell sind es weniger Austrittswellen wie in den 1970er Jahren, sondern vielmehr lässt die demografische Entwicklung die volkskirchlichen Strukturen weiter erodieren. Diese Entwicklung verändert die Sozialgestalt der Kirchen von Grund auf. Die aktuellen Veränderungen heben sich besonders von den überschäumenden Hoffnungen auf Rechristianisierung in der unmittelbaren Nachkriegszeit deutlich ab und lassen sich in einen weit ausgreifenden Trend der Säkularisierung einordnen: Bereits seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, regional schon früher, nahm die Kirchenbindung ab. Dieser Trend wurde durch die antikirchliche Politik des Nationalsozialismus zeitweise massiv beschleunigt. Die religiöse Entwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit glich diesen Ausschlag nur zum Teil aus. Der Trend zum Kirchenaustritt blieb auch ohne politischen Druck, er verstetigte und beschleunigte sich im letzten Drittel der 1960er Jahre mit großer Dynamik. Aber nicht der Anstieg der Austrittszahlen zum Ende der 1960er Jahre markiert die wichtigste Veränderung. Nicht sozial-, sondern diskursgeschichtlich wandelte sich das religiöse Feld entscheidend. Nach dem Zweiten Weltkrieg starteten beide Großkirchen mit dem Anspruch einer umfassenden Rechristianisierung, die sich vor allem in einer tiefen christlichen Prägung der Gesellschaft ausdrücken sollte. Natürlich hat es in Deutschland eine Gesellschaft, die durch und durch von christlichen Glaubens- und Moralvorstellungen geprägt gewesen wäre, nie gegeben. Als Wunschund als Schreckbild existierte diese Vorstellung allenfalls in der Fantasie derjenigen, die meinten, daraus politischen oder sonstigen Profit schlagen zu können. Dennoch war die bundesrepublikanische Gesellschaft bis in die Mitte der 1960er Jahre in wichtigen Bereichen stark vom Christentum und seinen Ordnungs- und Moralvorstellungen geprägt. Bezeichnenderweise waren es viel weniger Fragen der Ökonomie oder der staatlichen Ordnung, die christlich-religiös fundiert werden sollten. Gerade die Gestaltung des Wirtschaftslebens wie auch des Sozialstaates in der Bundesrepublik, bei dessen Schaffung mitgewirkt zu haben beide Kirchen unter dem Stichwort der sozialen Marktwirtschaft bis heute für sich reklamieren, lief letztlich an den Vorstellungen der Kirchen vorbei.

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Stattdessen waren es die vielfältigen Fragen von Stil und Moral, kulturellem Ausdruck, öffentlicher Vergnügung, Kunst und Kultur, die für die Ausprägung des Verhältnisses von Kirche, Gesellschaft und Staat im Mittelpunkt standen. In diesen Bereichen der individuellen wie kollektiven Identitätspolitik gingen staatliche Ordnungsbestrebungen und religiöse Überzeugungen Hand in Hand. Vor allem mit Blick auf Familie, Ehe und Sexualität, Fragen der Bildung und Erziehung war dieser Einfluss frappierend. Was gut war und was böse, was sich ziemte und was man zu meiden hatte, wie man sich verhielt und was man nicht tat – viele dieser Normen definierten die beiden Großkonfessionen mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit nicht nur für ihre Mitglieder, sondern weit darüber hinaus. Diese Feststellung bedeutet nicht, dass diese Vorgaben gesellschaftlich auch gegriffen hätten und umgesetzt worden wären. Insbesondere in den unmittelbaren Nachkriegsjahren war die deutsche Gesellschaft beispielsweise von der Verwirklichung der christlich überhöhten Idealfamilie weit entfernt. Aber die öffentliche Verständigung über die Belange, an denen sich das private Leben mit dem öffentlichen verband, war in hohem Maße kirchlich beeinflusst. Das Vokabular, die Formen, die Bilder und Sprachbilder stammten aus einem christlich geprägten Repertoire und formten zum Beispiel auch die Politik der Regierung Adenauer. An den Rändern aber zeichnete sich schon in den 1950er Jahren ab, was ab den 1970er Jahren dann mit Händen zu greifen war: Die Deutungskraft der christlichen Kirchen bröckelte nicht nur an den Stammtischen, sondern auch in den Kindergärten und Schulhöfen, vor allem aber über den Betten der Ehepaare und der Nicht-Verheirateten. In den 1970er Jahren war die Allgegenwart des christlichen Moraldiskurses dann Vergangenheit. Weder mit Blick auf das Verhalten ihrer Mitglieder noch mit Blick auf das öffentliche Agieren war das Christentum noch Leitkultur der deutschen Gesellschaft.6 Vieles hat dazu beigetragen, dass die kurze Episode zu Ende ging, in der sich gesellschaftlicher Mainstream, politische Macht und kirchliche Vorgaben zu decken schienen. Das Ende der Ära Adenauer löste im politischen Bereich die Allianz zwischen Kirchen und Regierung. Die Bande zur Koalitionsregierung von CDU und SPD, später dann zur SPD-Regierung unter Willy Brandt mussten erst einmal geknüpft werden. Die Zugehörigkeit zur Organisation Kirche war zunehmend weniger durch politische Macht oder sozialen Druck gestützt. Auch ältere Motive wie die soziale Absicherung durch religiös getragene Netzwerke oder sozialpolitische Institutionen waren immer weniger oder nicht mehr ausschlaggebend, da der säkulare Sozialstaat die Religionsgemeinschaften schon lange in dieser Rolle abgelöst hat. Auch innerhalb der Kirchen veränderte sich viel: Die Agenda der Diskussionspunkte und Streitthemen erweiterte sich. Insbesondere in der EKD verschwand der gemeinsame Kern gelegentlich hinter der Vielfältigkeit der Stimmen und der Kontroversen zwischen links und rechts, zwischen Progressiven und Traditionalisten. Aber auch die in der katholischen Kirche nach außen aufrecht erhaltene Konsensfassade zerbröselte rasch zu einer Vielfalt von (kirchen)politischen Positionen. Theologisch gab dabei das Zweite

Rückblick und Ausblick

Vatikanum einen entscheidenden Anstoß zur Öffnung und verlieh den Reform- und Veränderungsimpulsen zusätzlichen Elan. Entscheidend aber waren nicht die politischen, die sozialen oder theologischen Rahmenbedingungen. Im Kern der Veränderung stand das Verhalten der vielen Einzelnen: Sie richteten sich nicht mehr nach den religiösen Rollenvorgaben, heirateten nicht mehr allein Angehörige der eigenen Konfession und erzogen ihre Kinder so, wie es ihnen gutdünkte oder von der weltlichen Pädagogik und der vielfältigen Ratgeberliteratur angeraten wurde. Sie distanzierten sich von den Kirchen, entweder leise durch den inneren Rückzug oder laut durch den Austritt. Diejenigen, die verblieben, pochten auf eigene Ansprüche und richteten Forderungen an die Kirchenoberen. Religion, die mit ihr verbundenen Weltdeutungen und daraus abgeleitete Verhaltensanforderungen, wurden nicht mehr als gegeben hingenommen, sondern diskutiert und verhandelt. Diese Haltung war Teil eines grundlegenden Prozesses, der durch das Schlagwort der Individualisierung nur unzureichend beschrieben wird: Die Auflösung traditioneller Bindungen und Sicherheiten, wie sie beispielsweise nationale, ethnische, aber auch religiöse Zugehörigkeit boten, korrespondierte mit der Verflüssigung und Individualisierung stabiler Erzählungen und Identitäten. Das moderne Individuum, so hat der Soziologe Anthony Giddens idealtypisch erarbeitet, muss seine Identität selbsttätig und reflexiv schaffen.7 Damit ist eine automatische und unreflektierte Bindung an ein religiöses System oder eine sonstige Weltanschauung in Frage gestellt. Die vormals selbstverständliche Übernahme von Dogmen, Riten und Moralvorstellungen, in deren System man von Geburt an hineinsozialisiert wurde, wandelte sich zur Ausnahme; das Hinterfragen, das persönliche Aneignen und gegebenenfalls das Verwerfen der Tradition avancierte zur Regel. Religiosität wurde zu einer Option unter mehreren. Die damit verbundene Veränderung hat am nachdrücklichsten der kanadische Philosoph Charles Taylor herausgearbeitet. Die Gesellschaft wandelte sich von einem Sozialzusammenhang, in dem »es praktisch unmöglich war, nicht an Gott zu glauben, zu einer Gesellschaft […], in der dieser Glaube auch für besonders religiöse Menschen nur eine menschliche Möglichkeit neben anderen ist«.8 Diese Option war geistesgeschichtlich spätestens mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bekannt, kam aber nur als Randphänomen zum Tragen. Religiöse Dissidenz oder gar eine aktive Religionslosigkeit waren in der Vormoderne die Ausnahme, die die Regel bestätigte. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts schlug diese Denk- und Verhaltensmöglichkeit auch sozialgeschichtlich breit durch und erfasste nahezu das gesamte religiöse Feld. Was bedeutete das Aufkommen dieser Option? Entledigte sich nun – überspitzt gefragt – das vormals geknechtete Individuum seiner Ketten, zu denen die Religion von Kritikern wie Karl Marx und anderen hinzugezählt wurde? Konnte der Einzelne nun frei wählen und zu seinem »wahren Ich« finden? Im Überschwang der Postmodernediskurse ist gelegentlich eine solche Emanzipationsgeschichte erzählt worden. Dabei bleibt außer Acht, wie stark die individuelle Suche nach Sinnstiftung eingebunden ist in die mentalen Strukturen und ihre mediale Vermittlung. Der Mensch ist nicht

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freier, sondern bewegt sich nur in anderen Zusammenhängen und Entscheidungszwängen. Immer noch sind es Märkte, Angebotsstrukturen und Sprachregelungen, die die religiösen Angebote markieren, aus denen der Einzelne wählen oder von denen er sich abwenden kann. Individualisierung macht den Einzelnen weder glücklicher noch lässt sie diesen authentischer oder mit sich selbst versöhnt erscheinen. Die Möglichkeit der Wahl birgt den Zwang zur Auswahl. Wie das Ergebnis dieses Prozesses ausfällt, ist höchst ambivalent. Natürlich wird derjenige, der sich von Religion bedrückt fühlte, eine Befreiung empfinden. Andere aber, die eine diffuse Sehnsucht nach Religion artikulieren, können diese inhaltlich nun weniger präzisieren und bleiben religiös heimatlos zurück. Was sich entwickelte und dauerhaft verankerte, war der Anspruch auf Selbstbestimmung, Selbstbetätigung und Selbstverwirklichung. Das Individuum und seine eigene Persönlichkeit wurde zum wichtigen Maßstab. Seine eigene innere Stimme zu hören und mit sich selbst wie auch der Welt im Einklang zu sein – an dieser Maxime maß nicht nur der Einzelne sich selbst, sondern auch seine Umgebung. Der Wunsch, aber auch die Forderung nach Authentizität wurde zum Zauberwort.9 Die Suche nach Sinn wendete sich nach innen. In diese Entwicklung waren die christlichen Kirchen als die wichtigsten Anbieter von Weltdeutung und Sinnstiftung in hohem Maße eingebunden. Regeln und Traditionen wurden hinterfragbar, die Institutionen mussten sich am neuen Maßstab der Glaubwürdigkeit messen lassen. Damit überspannte der »heilige Baldachin« (Peter Berger) nicht mehr selbstverständlich das Leben des Einzelnen, sondern wurde zum Objekt eines Aushandlungsprozesses. Zeitgleich weitete sich das Wissen um andere Religionen und Sinnangebote: Die Konfessionsgrenzen waren überwiegend gefallen, die theologisch-dogmatischen Unterschiede spielten praktisch keine Rolle mehr. Eine mentale oder gar lebensweltliche Separierung von Protestanten und Katholiken gab es nur noch in den Wunschträumen von Kirchenfunktionären. Wissen über fernöstliche Religionen und Sinnangebote wurde durch die Medien verbreitet, New Age und die in diesem Kontext aufkommenden Praktiken körperlicher und psychischer Selbstformung traten ihren Siegeszug an. Das Wissen um und das Bewusstsein für religiöse Pluralität wuchsen in dem Zeitraum, in dem auch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft immer weniger sozial oder politisch gestützt wurde. Diese Entwicklung wurde zusätzlich dadurch angeregt, dass sich auch die christlichen Großkonfessionen selbst in diese Richtung entwickelten. Sie waren Produkt und Promotor eines Prozesses, in dem das Individuum, seine Selbstsicht und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückten. Ablesen lässt sich dies am Wandel der Leitbilder innerhalb der Religionsgemeinschaften: Nicht der Glaubende, der fest in der Institution und ihren Riten verankert ist, sondern der »Suchende« wurde zu dem Sozialtyp, den auch die Pastoral der Großkirchen verstärkt ansprach. Traditionell waren Verkündigung, religiöse Praxis und Tradierung vertikal orientiert und hierarchisch organisiert. Der Himmel, hier verstanden als Metapher für eine transzendente Größe, bildete den Ausgangs- und Endpunkt des religiösen Kosmos. Die heiligen Schriften offenbarten, was der

Rückblick und Ausblick

Wille Gottes war. Priester repräsentierten nicht nur Gott auf Erden, als Experten legten sie zudem die Schriften aus und wiesen die Gläubigen in die Formen eines gottgefälligen Lebens ein. Die Gläubigen verhielten sich entsprechend und richteten ihre Gebete zum Himmel. Der zu erringende Preis war hoch: Es winkte das ewige Leben und der Eingang in den Himmel oder, falls man sich nicht entsprechend verhielt, der zeitlich ebenfalls unbegrenzte Absturz. Das System war in sich geschlossen und letztlich exklusiv: Wer sich auf die Regeln einließ, gehörte dazu. Der Rest konnte nicht mit Seelenheil rechnen. Insbesondere im Katholischen stilisierte sich die Kirchenorganisation zu dem Nadelöhr, durch welches allein Zugang zur Transzendenz zu erlangen war. Bis in die 1950er Jahre hinein war dieses Modell der Idealtyp religiösen Lebens, wie es sich in den Gemeinden und Pfarreien realisieren sollte. Stärker als in anderen Phasen der Kirchengeschichte gelang es im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am ehesten, Hochreligion, populäre Frömmigkeit und Alltagswelt in eine Synthese zu bringen. Insbesondere diese Verquickung der verschiedenen Sphären unterscheidet diese Phase von der Situation heute, wo weite Teile des Alltagslebens und der kulturellen, politischen und sozialen Vorstellungen nicht mehr vom Christlichen berührt werden. Zusätzlich hat sich auch der Modus religiöser Kommunikation grundlegend gewandelt: Das Kirchenmitglied, der Laie oder – um in der traditionellen Bildersprache der christlichen Kirchen zu sprechen – das Schaf wurde zum Klienten, den die Kirche zu gewinnen und zu umsorgen hatte. Verkündigung und Belehrung wurden dementsprechend zur Pastoral und zur Seelsorge. Sie zielte darauf, in existenziellen Krisen und bei der Menschwerdung insgesamt zu helfen und – wenn es denn gut lief aus Sicht der Kirchen – diese Prozesse gegebenenfalls religiös einzuhegen. Auch hier illustriert ein Beispiel den Wandel von der exklusiven zur inklusiven Kommunikation treffend. »Schulgottesdienste sind wie Lebkuchen«, erklärt der Autor einer religionspädagogischen Zeitschrift 1991. Da ihnen Tabletten als Darreichungsform für Medizin noch unbekannt waren, hätten die Mönche des Mittelalters heilende Kräuter und Säfte mit einem wohlschmeckenden Arzneikuchen vermengt. Wie der Lebkuchen, so führt der Religionspädagoge die Analogie fort, würden auch Schulgottesdienste von frommen Menschen »gebacken« und sollten allen »gut tun«, die an ihnen teilnehmen. »Sie sollen gut schmecken, Freude machen, trösten, Wunden heilen und für das Leben stärken.«10 Das Beispiel zeigt, wie pastorale Praxis inkludierend gedacht wird. Bildlich gesprochen: Der Seelsorger breitet seine Arme weit aus und versucht möglichst viele Menschen in diese Zusammenhänge einzubinden, ihnen Selbsterfahrung und spirituelle Erfahrungen zu ermöglichen. Sind aus den Kirchenmitgliedern umworbene Klienten geworden, so avancierte der Hirte zu einem Anbieter geistiger Serviceleistungen, der sein eigensinnig gewordenes Publikum suchen muss, im Idealfall überzeugen und somit festhalten kann.11 Für das gegenteilige Modell steht das Bild des Hirten, der die Schafe hegt und pflegt, aber anders gesehen auch kontrolliert und drangsaliert. Die mit diesem Modus verbundene Definition von Mitgliederrollen mit klaren Verhaltensanforderungen und Regeln existiert zwar noch in Bereichen der lehramtlichen Verkündigung und der Theologie, ist aber in der pastoralen Praxis nur noch bedingt handlungsleitend.

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Wie sich dieser strukturelle Wandel individuell auswirkt, was gläubige Menschen aus dieser Situation machen, ist lediglich als Trend zu fassen und hat durchaus unterschiedliche Ausprägungen: Für das Gros der Mitglieder der traditionell volkskirchlichen Religionsgemeinschaften aber ist bewusst erarbeitete »individualisierte Kirchenmitgliedschaft« weder üblich noch subjektiv gewünscht. Stattdessen findet sich beim Normalchristen eine meist unreflektierte Herkunftsreligiosität, bei der die Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgemeinschaft ebenso viel mit Heimatgefühl, emotionaler Geborgenheit und sozialer Angepasstheit wie mit einem religiösen Bedürfnis zu erklären ist. Wenn diese Rahmenbedingungen wegbrechen oder sich auflösen, wie es in Ostdeutschland mit der Etablierung der SED-Diktatur geschah und es auch in Westdeutschland seit Ende der 1960er Jahre zunehmend beobachtet werden konnte, dann löst sich dieses lockere Arrangement: Man tritt aus, weil man diese Geborgenheit nicht mehr spürt, sich über die Kirchensteuer oder einen der vielen Skandale ärgert oder – mit Blick auf die ehemalige DDR – weil es politisch opportun war. Die Alternative dazu ist der Verbleib in der Kirche, wobei dies oft eher durch Gewohnheit oder Trägheit, nicht aber durch eigene religiöse Überzeugung motiviert ist. Dass unter diesen Umständen die Tradierungskette reißt und die nächste Generation in der Familie nicht mehr in den überkommenen Glauben hineinsozialisiert wird, verwundert wenig. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass ein Trend sich mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen wird: die Erosion der jetzt bestehenden Formen von Kirchlichkeit. Im Osten Deutschlands wird es nicht gelingen, die Entwicklung aus der Zeit der DDR zurückzudrehen und volkskirchliche Strukturen zu etablieren. Die im Westen Deutschlands verbliebenen volkskirchlichen Strukturen werden sich weiterhin und zunehmend auflösen. Ganz profane Gründe wie die demografische Entwicklung und der damit verbundene Rückgang im Kirchensteueraufkommen befeuern diese Entwicklung zusätzlich. In der katholischen Kirche kommt ein eklatanter Mangel an Priestern hinzu. Schon in den vergangenen Jahrzehnten haben die Kirchen damit beginnen müssen, Pfarrstellen abzubauen, Gemeinden zusammenzulegen und sich auf diese Weise aus der Fläche zurückzuziehen. Für den Teil der religiös Interessierten und der aktiv Suchenden bedeutete dieser strukturelle Wandel, sich stärker als zuvor selbst zu orientieren. Der individuelle Anspruch auf religiöse Authentizität verschränkte sich mit der Verflüssigung religiöser Dogmen und Überzeugungen in den Kirchen selbst. Damit entwickelten sich die deutschen Volkskirchen zu stark pluralisierten Organisationen. Natürlich waren auch in der Vergangenheit die Kirchen nie so uniform gewesen, wie es die Kirchenoberen gewünscht hatten. Nun aber schob sich die Diversität stark in den Vordergrund. In den Religionsgemeinschaften koexistieren bis heute ganz unterschiedliche Frömmigkeitsstile und Glaubensformen mit- und nebeneinander: Neben den frommen Katholiken und Protestanten tritt der Gelegenheitschrist, der vor allem an Weihnachten und Ostern die Messe besucht und den vor allem die Angst vor einem Tod ohne christliche Beerdigung in der Kirche hält; neben den rosenkranzbetenden Angehörigen der Legio Mariae tritt der Herz-Jesu-Katholik, der seine Erfüllung in der praktischen Nächstenliebe sieht;

Rückblick und Ausblick

neben den traditionellen Lutheraner tritt das protestantische Mitglied der Partei Die Grünen, das sich für die Bewahrung der Schöpfung ebenso engagiert wie für basisdemokratische Elemente in der Gesellschaft. Kirchenintern sind es neben den Riten und der Gottesdienstordnung vor allem Fragen der Lebensführung, an denen sich zwischen den unterschiedlichen Gruppen Diskussionen entzünden. Die Forderung nach Glaubwürdigkeit und Authentizität der Institution rückte in den Mittelpunkt der Erwartungen engagierter Kirchenmitglieder. Insbesondere der Zwiespalt zwischen den formulierten höheren Ansprüchen und der kirchlichen Praxis belastet die Religionsgemeinschaften schwer, da das Potenzial zu innerem Zwist und zu Verwerfungen erheblich steigt. Ein Beispiel illustriert das Problem konfligierender Inklusionspraxis und Exklusionsregeln recht gut: Darf ein geschiedener und wiederverheirateter Katholik das Sakrament der heiligen Kommunion empfangen? Papst Benedikt XVI. bezeichnete die daraus entstehenden Konflikte im Juni 2012 auf dem Weltfamilientreffen in Mailand als ein »großes Leiden der heutigen Kirche« und hält nichtsdestotrotz eisern an der ablehnenden Position fest – zumindest in der Theorie. Zweifelhaft wird diese Haltung dann, wenn selbst die Kirchenführung großzügig von ihrer konsequenten Durchsetzung absieht: Bei einer Privataudienz, die der Papst anlässlich seines 85. Geburtstages dem bayerischen Ministerpräsidenten gewährte, kniete auch der in zweiter Ehe lebende Horst Seehofer nieder und empfing vom Papst selbst die Kommunion. Damit handelte das Oberhaupt der Katholiken so, wie es wohl das Gros der katholischen Priester getan hätte. Welcher Priester erfragt schon vor dem Austeilen der Hostie den Ehestatus des Kommunikanten oder wendet sich ab, wenn er einer wiederverheirateten Person gegenübersteht? Wenn aber nun kein einfacher Dorfpfarrer, sondern der Papst selbst gegen die eigenen Maximen handelt, was bleibt dann vom Anspruch der Organisation Kirche übrig?12 Warum in anderen Fällen weniger prominenten und ebenfalls wiederverheiratet geschiedenen Gemeindemitgliedern dieses Sakrament verweigert wird, kann dann mit religiösen Beweggründen der Beteiligten kaum noch erklärt werden. Der kirchlich getragene Weltbild-Verlag, der einen Teil seines Umsatzes mit erotischer Literatur macht; Angehörige einer jungen Bischofsgeneration, die gesteigerten Wert auf eine prunkvolle Außenrepräsentation mit luxuriösen Autos und Privatkapellen legen; allen anderen Punkten vorweg der interne und öffentliche Umgang mit dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, dessen sich einige Geistliche schuldig gemacht haben und der für das Selbstverständnis der katholischen Kirche wie ein Schlag ins Gesicht gewirkt hat – der Streit um diese und andere Fragen kreist um den Anspruch auf Glaubwürdigkeit und belastet die katholische Kirche intern schwer. Wurde diese Art von Kritik in früheren Jahren und Jahrzehnten als Protesthaltung einiger kirchenpolitischer Linksausleger beiseite gewischt, so hat sie sich mittlerweile weit verbreitet. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Generalabrechnung des früheren italienischen Erzbischofs und einflussreichen Kardinals Carlo Maria Martini. »Unsere Kirchen sind groß und leer, unsere Bürokratie wird immer größer, unsere Bräuche sind aufgeblasen und unsere Gewänder pompös«, so der 2005 als Papstnachfolger gehandelte Martini kurz vor seinem Tod.

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Empfängnisverhütung, die Stellung der Frau in der Kirche, der Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen – seine Agenda der kritischen Auseinandersetzung deckt sich mit der internen Konfliktgeschichte der vergangenen vierzig Jahre.13 Der Protestantismus scheint dagegen derzeit besser darauf vorbereitet zu sein, die innere Pluralisierung zu bewältigen. Dazu trägt bei, dass ein religiöser Individualismus schon im reformatorischen Grundimpuls anerkannt und bestätigt wird. Die Kritik an der Kirche als Institution ist somit urprotestantisch. Die 2007 gestartete Reformdekade für eine »Kirche der Freiheit« soll bis 2017, der 500. Wiederkehr von Luthers Thesenanschlag in Wittenberg, neuen Schwung bringen.14 Tatsächlich ist auf der Ebene von Gremien und Entwurfspapieren einiges in Bewegung gekommen. Auf Kritik stößt aber die ausgeprägt betriebswirtschaftliche Sprache des Papiers, nährt sie doch die Befürchtung, dass die Landeskirchen und Gemeinden wie Unternehmen geführt werden sollen. Hinzu kommt die Angst vor einer zunehmenden Zentralisierung des Protestantismus. Viele der in katholischen Kreisen stark umstrittenen Fragen sind zugunsten einer liberaleren Lösung geregelt: Aber weder die Frauenordination noch die selbstverständliche Eheschließung ihrer Priester noch die Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen haben den Trend der Auszehrung stoppen können. Stattdessen formiert sich eine konservative protestantische Kritik, die einen Verlust von religiöser Substanz und zu starke Anlehnung an den Zeitgeist beklagt.15 Für beide Großkirchen, so zeigt sich, ist die Vermittlung zwischen Einheit und Vielfalt eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Wenn sich die Kirchen nicht zu gesellschaftlich bedeutungslosen Randgruppen zurückentwickeln wollen, in denen sich allenfalls noch die Häuflein der Aufrechten sammeln, werden sie sich als großes Dach verstehen müssen, unter dem unterschiedliche Grade von Kirchennähe und eine ganze Reihe von Frömmigkeitsstilen zugelassen sind. Man wird diejenigen nicht verschrecken dürfen, die ihren traditionellen Glauben leben wollen. Man wird den Engagierten und spirituell Suchenden Freiräume und Partizipationsmöglichkeiten eröffnen und zugleich versuchen müssen, attraktiv für diejenigen zu bleiben, die nur gelegentlich pastorale Angebote nutzen und ihre spirituellen Bedürfnisse stillen wollen. Aus Sicht der traditionellen Kirchenpraxis des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bedeutet das vielfach nicht weniger als die Quadratur des Kreises. Christliche Lebensformen scheinen in der Welt dann besonders erfolgreich zu sein, wenn es ihnen gelingt, sich in den Zusammenhang der Gesellschaft zu integrieren, eigene Inhalte mit anderen gesellschaftlichen Themen zu verbinden, zu außerreligiösen sozialen Gruppen in Beziehung zu treten und sich zugleich durch den Transzendenzbezug ein eigenes Profil zu bewahren. Nur noch in wenigen und zudem sehr kleinen Segmenten scheint das aktuell zu gelingen. Beispiele dafür sind das Zusammenlaufen des christlich motivierten Einsatzes für die Bewahrung der Schöpfung mit der ökologischen Bewegung oder der christliche Einsatz für den Frieden, der sich mit vergleichbaren zivilgesellschaftlichen Initiativen verbindet. Die Voraussetzungen für eine erneute breite Verankerung oder auch für grundlegende interne Reformen sind allerdings generell nicht gut: Die besondere Mischung von Auszehrung und Fragmentierung im Inneren und der breite Schwund

Rückblick und Ausblick

von gesellschaftlicher Verankerung lassen keine gute Zukunftsprognose für die volkskirchlichen Strukturen zu. Was bedeutet der beobachtete Säkularisierungsprozess für das religiöse Feld insgesamt? Betrachtet man die verschiedenen Religionsgemeinschaften als Konkurrenten um die Aufmerksamkeit eines an Transzendenz interessierten Publikums, dann läge es nahe anzunehmen, dass sich das religiöse Feld zunehmend pluralisiert und andere Religionsgemeinschaften stärker werden. Was in vielen Gesellschaften und vor allem in den USA zu beobachten ist, scheint in Deutschland aber nur in geringem Maße einzutreten. Religion außerhalb der Kirchen bleibt verhältnismäßig schwach. Die katholische und die evangelische Kirche sind so stark institutionalisiert, dass es daneben nur wenig Platz für andere Religionsgemeinschaften zu geben scheint. Selbst diejenigen, die sich außerhalb der Institutionen religiös-spirituell betätigen, beziehen eine Vielzahl ihrer Symbole und ihrer Sprache letztlich aus dem christlichen Fundus. Die Aneignung funktioniert aber auch in die entgegengesetzte Richtung: Fernöstliche Meditationsmethoden, Zen-Buddhismus, Ausdruckstanz – viele Praktiken anderer Religionen und sonstiger Provenienzen sind mittlerweile in einem wenig scharf definierten christlichen Dunstkreis aufgegangen. Der Preis dafür ist eine wachsende Unverbindlichkeit und Beliebigkeit, die intern Widerspruch hervorruft. Mit Blick auf die religiöse Praxis in Westdeutschland hat Karl Gabriel den gegenwärtigen Zustand des religiösen Feldes treffend als einen »asymmetrischen religiösen Pluralismus« beschrieben: Das insgesamt stark erodierende und sich pluralisierende religiöse Feld wird weiterhin stark durch die großen Kirchen geprägt.16 Weitet man den Blick auf das gesamte Deutschland, dann treten beide Faktoren – Pluralismus wie Asymmetrie – noch deutlicher hervor und bekommen zusätzlich eine dezidiert religionspolitische Note: Nicht nur vier Millionen Muslime, deren Religion natürlich ein Teil Deutschlands ist, haben die Verhältnisse stark verändert. Auch die Wiedervereinigung 1990 hat sichtbar gemacht, was als Trend schon lange angelegt war: Ein Drittel der Deutschen ist nicht mehr religiös gebunden. Auf dem Hintergrund dieser Beobachtung zeichnet sich auch eine Asymmetrie deutlich ab: Dass die Großkonfessionen nicht nur im alten Westen, sondern auch in den weitgehend entchristlichten sogenannten neuen Ländern meist die einzigen religiösen Institutionen sind und damit das Feld weiterhin dominieren, erklärt sich weniger aus der Attraktivität und Ausstrahlungskraft der christlichen Glaubensinhalte. Der Grund dafür ist vor allem ihre staatliche und institutionelle Stützung. Mit großer Selbstverständlichkeit hat die Politik im Zuge der Wiedervereinigung auf das religionspolitische Instrumentarium der alten Bundesrepublik zurückgegriffen, um das Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Religion zu regeln. Nicht nur im Fall der Wiedervereinigung gilt, dass Religionspolitik in Deutschland vor allem in der Verwaltung des Status-Quo besteht. Gelegentliche Störfaktoren versucht man in das bestehende System des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften einzupassen, ohne aber an der Grundstruktur des kooperativen Verhältnisses von Staat und christlichen Kirchen etwas zu verändern. Dieses dilatorische Ver-

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halten steht in krassem Kontrast zu dem Wandel der religiösen Verhältnisse. Die 1950er Jahre, in denen Religion noch mit den christlichen Kirchen gleichgesetzt werden konnte, sind sowohl in West- wie auch in Ostdeutschland passé. Es ist offensichtlich, dass die für die Zeit seit 1945 beschriebene Erosion wie auch Pluralisierung des religiösen Feldes zunehmen wird. Für die Zukunft, so lassen die Ergebnisse des historischen Rückblicks vermuten, ist diese Konstellation fatal, und zwar aus mindestens zwei Gründen: Insgesamt, so scheint es, unterschätzt die deutsche Politik wie auch die Gesellschaft die Aufgaben, die sich mit einer zunehmenden Pluralisierung des religiösen Feldes ergeben. Angesichts der bis heute zu beobachtenden Entwicklung wäre es Illusion zu glauben, dass sich Staat und Gesellschaft in der religionspluralen Zukunft religiös abstinent und auf diese Weise »neutral« verhalten könnten. Eine solche Haltung, die die Religion völlig als Privatsache sieht, entspringt in mancherlei Hinsicht den Säkularisierungsfantasien des 20. Jahrhunderts. Staat und Zivilgesellschaft werden sich aktiver als bisher an der Realität einer religiös plural werdenden Gesellschaft abarbeiten müssen, nehmen religiöse Konflikte doch zu und werden vielfältiger. Die Unbeholfenheit, mit der zum Beispiel in der Debatte um die Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen agiert wurde, deutet darauf hin, wie wenig Gesellschaft und Politik auf diese Aufgabe vorbereitet sind. Die neue Situation erfordert aber nicht nur eine aktivere, sondern auch eine inhaltlich veränderte Religionspolitik. Die Pluralisierung des religiösen Feldes stellt die Selbstgenügsamkeit fundamental in Frage, mit der die »hinkende Trennung« von Staat und christlichen Kirchen praktiziert wird. Nach wie vor sind in Deutschland die Verbindungen von Staat und Gesellschaft zu den beiden christlichen Großkonfessionen besonders ausgeprägt. In der Vergangenheit profitierten davon beide Seiten, zum Teil ist es auch heute noch eine für beide Beteiligte vorteilhafte Situation: Aus Sicht der Politik waren die Kirchen nicht nur gut eingepasst in das gesellschaftliche System und damit unproblematisch. Zusätzlich zeichneten sie auch verantwortlich für die moralische Basis der Bonner Republik. Aus Sicht der Kirchen waren und sind es die vielen Privilegien und Zugeständnisse, die diese Konstellation attraktiv machen: Staatlich garantierter Religionsunterricht, das Kirchensteuersystem und vieles mehr ermöglichte die Konservierung volkskirchlicher Strukturen trotz der bröckelnden Basis. Kritisch ließe sich aus einer binnenkirchlichen Perspektive allerdings fragen, ob zu viel Ein- und Anpassung an den staatlich-administrativen Rahmen inklusive der damit einhergehenden Versorgungsmentalität mancher Amtsinhaber den begeisternden Impuls der christlichen Botschaft eher verblassen lassen hat. Im deutschen Katholizismus hat diese Diskussion jüngst neue Nahrung aus ganz unerwarteter Richtung bekommen: Papst Benedikt XVI. forderte bei seinem Deutschlandbesuch 2011 eine »Entweltlichung« der Kirche, denn das »missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche« trete klarer zutage. »Die von materiellen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.« »Säkularisierungen« wie »die Enteignung von Kirchengütern, […] die Streichung von Privilegien oder Ähnliches« seien in dieser Hinsicht für die Kirche eine

Rückblick und Ausblick

Hilfe gewesen, sich auf ihre Wurzeln und ihren Auftrag zu besinnen.17 Das Rätselraten ist groß, was Benedikt damit gemeint haben könnte. Insbesondere in der Hierarchie des deutschen Katholizismus ordnete man die Äußerungen allein der Theologie Benedikts zu und ging davon aus, dass der langjährige Theologieprofessor und katholische Würdenträger Joseph Ratzinger an dieser Stelle geschwiegen habe. Weder habe der Papst den Rückzug der Kirche in eine sich selbst genügende abgeschottete Institution gefordert noch eine Abschaffung der besonderen Rechtsstellung der Kirchen in Deutschland, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und versuchte auf diese Weise vergeblich die Diskussion zu kanalisieren. Schon bald allerdings entsprach die Bandbreite der Interpretationen dem ganzen Spektrum kirchenpolitischer und theologischer Positionen im Katholizismus. Ganz unabhängig davon, wie die Äußerung des Papstes tatsächlich gemeint war, ist vor allem auffällig, wie schnell und folgenlos sich selbst dieser Diskussionsanstoß im Ritual der innerkatholischen Selbstbeschäftigung verlor.18 Aus Sicht von Staat und Gesellschaft ist die Ausgangslage angesichts einer wachsenden religiösen Pluralität eindeutig: Ein »Weiter so« mit Blick auf die privilegierte Stellung der protestantischen und der katholischen Kirche verbietet sich dann, wenn diese Ausrichtung andere Religionsgemeinschaften wie auch die Belange der Nichtreligiösen außen vor lässt. Staatliche Religionspolitik wird sich mehr als bislang darüber qualifizieren müssen, die einzelnen Religionsgemeinschaften gleich und damit gerecht zu behandeln. Aktuell stellt sich dieses Problem vor allem hinsichtlich des Islam in Deutschland. Nicht nur in der öffentlichen Berichterstattung, in der er oftmals vor allem als fremdländische Gefahr im Zusammenhang mit islamistischen Bewegungen wahrgenommen wird, stößt der Islam an eine gläserne Decke. Katholische und evangelische Vertreter sitzen nicht nur in den Rundfunk- und Fernsehräten, sondern beraten auch als »Sektenexperten« die Politik, wenn es um die Einschätzung anderer Religionen geht. Ganz grundsätzlich konserviert die deutsche Religionspolitik so den Einfluss der christlichen Kirchen, stellt diese etwa gegenüber dem Islam besser und vergisst dabei, dass das Christentum zwar das persönliche Bekenntnis vieler Bürger ist, nicht aber die deutsche Staatsreligion. Erst langsam zeigen sich Ansätze zu einer Aufhebung der »hinkenden Trennung« von Staat und christlichen Kirchen, indem Religiösen unterschiedlicher Bekenntnisse gleiche Möglichkeiten eingeräumt werden und – auch das ist eine wichtige Aufgabe – die wachsende Gruppe der Nichtreligiösen Beachtung findet. Aktuell ist die Religionspolitik vor allem durch verfassungsrechtliche Regelungen und die Staatskirchenverträge stark auf die beiden Großkirchen zugeschnitten. Das gängige juristische Instrument der Körperschaft öffentlichen Rechts, mit dem Politik und Gesellschaft diese besonderen Institutionen in das öffentliche Leben integrieren, baut etwa für den Islam Hürden auf, die für diesen theologisch und organisatorisch kaum zu überwinden sind. Der bundesweit erste reguläre Islamunterricht in Nordrhein-Westfalen, der Vertrag zwischen dem Stadtstaat Hamburg und der islamischen Gemeinschaft wie auch die Einrichtung von drei Zentren für Islamische Theologie an deutschen Universitäten sind erste Schritte in

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eine Richtung, die auf eine politische Gleichberechtigung der verschiedenen Religionsgemeinschaften zielt. Eine Gleichbehandlung der verschiedenen religiösen Gemeinschaften aber ist die Voraussetzung und die Basis dafür, dass Staat und Gesetzgeber ihrerseits den Religionsgemeinschaften einen Rahmen für deren Wirken in der Gesellschaft vorgeben können.19 Als wichtigste Maßgabe muss den Religionen abverlangt werden, den modernen Verfassungsstaat zu akzeptieren. Der säkulare Staat kann weder ein religiös begründetes Mandats- oder Vetorecht dulden noch ein göttliches Recht akzeptieren, das sich außerhalb oder gar oberhalb der weltlichen Gesetzgebung wähnt. Religion kann sich nur im Rahmen des Rechtsstaats entfalten. Seinerseits hat der deutsche Staat die Religionsfreiheit in der Verfassung verankert und festgelegt, dass diese nur durch den Anspruch anderer Werte eingeschränkt werden kann, die ebenfalls Verfassungsrang haben. Zudem bietet die freiheitliche Gesellschaft der Bundesrepublik den religiösen Gruppen alle Möglichkeiten, nicht nur ihre Religion zu leben, sondern auch ihre Ansichten in der Zivilgesellschaft zur Geltung zu bringen. Diese Voraussetzungen sollten den Religionsgemeinschaften die Anerkennung des institutionellen staatlichen Rahmens leicht machen. Auch für die Religionsgemeinschaften ist die Tolerierung und Anerkennung des Staates keine Selbstverständlichkeit, sondern erfordert durchaus eine Reihe von Anpassungsleistungen. Dieser Schritt ist beileibe nicht nur ein Problem des Islam, sondern betrifft prinzipiell alle Religionsgemeinschaften. Innerhalb des Katholizismus hat beispielsweise erst das Zweite Vatikanum endgültig die Voraussetzungen dazu geschaffen. Aktuell lässt sich vor allem in islamischen Gesellschaften beobachten, dass die Frage nach der Lösung des Staates aus einer unmittelbaren religiösen Begründung umstritten ist. Die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime und ihre Verbände aber stellen den deutschen Verfassungsstaat und seine Grundlagen nicht in Frage, sondern akzeptieren diesen uneingeschränkt. Wenn der Abstand des Staates zu allen Religionsgemeinschaften grundsätzlich gleich ist und zugleich auch die Rechte der Nichtreligiösen gewährleistet sind, dann spricht nichts gegen eine kooperative Ausgestaltung des Verhältnisses. Die enge Verbindung von Katholizismus und Protestantismus mit der bundesdeutschen Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre hat für beide Parteien durchaus fruchtbar gewirkt. Damit man diesen Nutzen weiterhin hat, werden sowohl Staat und Gesellschaft wie auch die Religionsgemeinschaften selbst ein Interesse daran entwickeln müssen, dass sich religiöse Gruppierungen nicht abkapseln, sondern im Dialog mit der Gesellschaft und untereinander bleiben. Den Religionen ist damit aufgetragen, die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens in der pluralen Gesellschaft zu befördern. Das setzt grundsätzlich die Fähigkeit und die Bereitschaft voraus, die Begegnung mit anderen Religionen auszuhalten und religiösen Pluralismus wie auch die damit verbundenen Irritationen und Verunsicherungen produktiv zu verarbeiten. Ein Beispiel dafür bieten die konfliktträchtigen Karikaturen zu religiösen Identifikationsfiguren wie Jesus oder Mohammed: Wer über sich und seine Religion nicht lachen kann, der muss das auch

Rückblick und Ausblick

nicht. Er wird aber tolerieren müssen, wenn andere dies tun, solange dieses nicht den juristisch definierten Tatbestand der Blasphemie erfüllt. Auch das ist eine Prämisse, die sich keinesfalls vordergründig und aktuell an oder gar gegen den Islam richtet: Insbesondere die katholische Kirche hat auf die Herausforderung der Pluralisierung zu Beginn der Moderne mit einer Abschottung der eigenen Lebenswelten reagiert. Erst in einem langwierigen Lernprozess hat sich der Katholizismus wieder öffnen können. Auch die interreligiöse Verständigung ist keinesfalls einfach: Wie schwer die Anerkennung der jeweiligen Nachbarreligion nicht als gleich, aber doch als ebenbürtig ist, zeigt schon der Blick auf die zunächst stockenden, aktuell sogar weitgehend zum Stillstand gekommenen Bemühungen um die Ökumene zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland. Allen intellektuellen wie auch praktischen Problemen zum Trotz ist der Versuch, die Beziehungen zwischen den religiösen Gemeinschaften und der Gesellschaft produktiv zu gestalten, jede Anstrengung wert. Die großen christlichen Kirchen, die weiteren Weltreligionen und auch die kleineren Religionsgemeinschaften sind heute aus Deutschland nicht wegzudenken. Sie bieten nicht nur ihren jeweiligen Mitgliedern eine religiöse Heimat, sondern leisten auch wichtige Beiträge für die Zivilgesellschaft. Durch ihre Interventionen animieren sie das Gemeinwesen zur Diskussion der eigenen ethischen Grundlagen und bereichern damit dessen Selbstverständigung. Die jeweilige Religionsgemeinschaft muss dieses aber im Bewusstsein tun, dass sie als eine Stimme unter vielen agiert und keine exklusiven Ansprüche entwickeln kann, die über die Kraft des Arguments oder der politischen Mobilisierung hinausgehen. Zwar waren die christlichen Kirchen in der Geschichte wichtige Protagonisten bei der Diskussion moralischer Werte. Ein Monopol darauf aber haben sie keinesfalls. Viele Werte wie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die Anerkennung von Kinderrechten und deren Schutz oder auch die demokratische Fundierung unserer Politik können zwar auch religiös begründet werden, sind aber doch wesentlich von anderen Bewegungen und Kräften gesellschaftlich und politisch durchgesetzt worden. Um in der gesellschaftlichen Selbstverständigungsdebatte produktiv mitmischen zu können, müssen die Religionsgemeinschaften ihrerseits der Versuchung widerstehen, in eine fundamentalistische Selbstbeschränkung abzugleiten. Stattdessen sollten sie auf einen selbstreflexiven Glauben setzen und ein hohes Maß an Offenheit und Dialogfähigkeit gegenüber der Gesellschaft wie auch anderen Religionen entwickeln. Eine solche Haltung eröffnete ihnen beste Chancen dafür, ein wichtiger Bezugspunkt für die so vielfältigen religiösen Bedürfnisse der Menschen zu sein wie auch weiterhin einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt und zur Gestaltung der Gesellschaft zu leisten.

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Anmerkungen

Der verlorene Himmel – Wonach dieses Buch fragt und wie es darauf antworten will 1 Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD 2002, zitiert nach Pollack, Rückkehr des Religiösen?, S. 190. 2 Vgl. »Mitgliederschwund bei den Katholiken«, in: Süddeutsche Zeitung vom 29. 07. 2011. 3 Ebertz, Kirche im Gegenwind, S. 56. 4 Damian van Melis u. a., Siegerin in Trümmern. 5 Nipperdey, Religion im Umbruch, S. 7. 6 Vgl. Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. 7 Graf, Die Wiederkehr der Götter, S. 30–50; ders./Große Kracht, Einleitung. 8 Zur Diskussion dieses Problems vgl. Pickel, Religionssoziologie, S. 16–19; Ziemann, Sozialgeschichte der Religion, S. 26–30. 9 Damit setzt sich dieser Zugriff ab z. B. vom Konzept in Knoblauch, Populäre Religion. 10 Zur Operationalisierung des Luhmannschen Religionsbegriffs vgl. Ziemann, Codierung von Transzendenz. 11 Vgl. Roy, Heilige Einfalt. 12 Danièle Hervieu-Léger hat das für den französischen Katholizismus als Exkulturation beschrieben. Vgl. dies., Catholicisme. 13 Vgl. Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen, S. 17–42. 14 Vgl. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit.

1. Ein christliches Deutschland? Selbstverortungen und Illusionen nach 1945 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Vgl. Hoffmann, Germany is No More, S. 598. Vgl. Broszat, Von Stalingrad zur Währungsreform. Ediert in Löffler, Bischof Clemens August Graf von Galen, S. 1305. Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 108. Vgl. Resch, Mehr als man glaubt. Martin Niemöller, »Lieber russische Diktatur als Dauerspaltung«, in: Die Neue Zeitung vom 17. Dezember 1949, S. 2. Rundschreiben vom 22. Januar 1945, zitiert nach: Vollnhals, Die evangelische Kirche, S. 154. Stimmungsbericht an den Landeskirchenrat vom 4. 9. 1945, in: Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Vorgänge bei der militärischen Besetzung; zitiert nach Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 114. Brumlik, Jüdisches Leben, S. 8. Pasture/Kenis, The Transformation, S. 7. Vgl. Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau. Zahlen auf der Grundlage der kirchenamtlichen Statistiken hier und für das Folgende bei Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen, S. 101–163. Vgl. zu den Austrittszahlen Hockerts, Die Sittlichkeitsprozesse, S. 185–189. Vgl. Fellner, Katholische Kirche in Bayern, S. 79–81, das folgende Zitat ebd., S. 80. Ziemann, Das Ende der Milieukoalition, S. 93. Vgl. Schildt/Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 26. Vgl. Löwenstein, Religiöse Einkehr, S. 463–470.

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Anmerkungen zu S. 28–39

18 Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 47. 19 Vgl. Ziemann, Religion and the Search for Meaning, S. 691; Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen. 20 Vgl. Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 36. 21 Vgl. Ziemann, Katholische Kirche und Sozialwissenschaften, S. 59–75. 22 Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 52. 23 Ebd., S. 46. 24 Münster, Die Aussichten des Christentums, S. 903. 25 Vgl. Fitschen, Die Politisierung des Protestantismus. 26 Damberg, Kirchliche Zeitgeschichte der BRD, S. 386. 27 Hürten, Aufbau, Reform und Krise, S. 398. 28 Zitiert nach Fellner, Katholische Kirche in Bayern, S. 70. 29 Zeiger, Die religiös-sittliche Lage, S. 35. 30 Ebd., S. 38. 31 Zitiert nach Ziemann, Codierung von Transzendenz, S. 386. 32 Vgl. zur Forschungsgeschichte wie auch zum Konzept: Arbeitskreis für kirchliche Zeitgeschichte, Katholiken zwischen Tradition und Moderne. 33 Klöcker, Katholisch. 34 Vgl. hierzu und zum Folgenden Reeken, Kirchen im Umbruch. 35 Ebd., S. 419. 36 Vgl. Ziemann, Das Ende der Milieukoalition. 37 Vgl. Wuthnow, The Restructuring of American Religion, S. 71; zusammenfassend und mit ausführlichen Literaturbelegen Hellemans, Transformation der Religion. 38 Vgl. Damberg, Kirchliche Zeitgeschichte der BRD, S. 388. 39 Vgl. ders., Religiöser Wandel, S. 183–190. 40 Ebertz, Aufbruch in der Kirche, S. 17. 41 Ziemann, Codierung von Transzendenz, S. 384. 42 Vgl. Wirsching, Agrarischer Protest, S. 58. 43 Pädagogisches Handbuch, S. 434. 44 Vgl. Hirtenbrief der deutschen Bischöfe über die Kriegsfolgen vom 20. August 1946, zitiert nach Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 67. 45 Vgl. Häring, Ehe in dieser Zeit, S. 178, 190. 46 Roy, Heilige Einfalt, S. 57. 47 Vgl. Tyrell, Katholizismus und Familie. 48 Vgl. Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 50 f. 49 Zitiert nach Mühlfeld/Schönweiss, Nationalsozialistische Familienpolitik, S. 61. 50 Vgl. Opielka, Familie und Beruf, S. 4. 51 Vgl. Kolinsky, Women in Contemporary Germany, S. 24. 52 Herzog, Desperately Seeking Normality. 53 Vgl. Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 279. 54 Vgl. Beilmann, Eine katholische Jugend, S. 112. 55 Willenbacher, Zerrüttung und Bewährung, S. 618. 56 Vgl. Kaelble, Sozialgeschichte Europas; Niehuss, Familie, Frau und Gesellschaft. 57 Vgl. Oertzen, Teilzeitarbeit. 58 Vgl. Herzog, Desperatley Seeking Normality. 59 Vgl. Steinbacher, Wie der Sex nach Deutschland kam, S. 242–266. 60 Ebd., S. 354. 61 Ebd. 62 Friedeburg, Die Umfrage in der Intimsphäre, S. 48 f. 63 Vgl. als zeitgenössische Beschreibung dieses Phänomens: Bohne, Das Geschick der zwei Millionen. 64 Vgl. Davis, Rebuilding the Soul.

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Zitiert nach Schreuder, Kirche im Vorort, S. 432. Ebd., S. 436. Vgl. Menne, Kirchliche Sexualethik, S. 251. Vgl. die autobiografischen Skizzen in Scheule, Beichte und Selbstreflexion, S. 78. Vgl. Kaufmann, Die heutige Tradierungskrise, S. 60–73. Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 236. NN, Polarität der Geschlechter, S. 362. Vgl. Rohde-Dachser, Die Sexualerziehung Jugendlicher; Schwenger, Antisexuelle Propaganda. Zur Tradition dieses Gedankens vgl. Muckermann, Stauungsprinzip. Detailliert dazu Ruff, Katholische Jugendarbeit. NN, Jahresthema: Das christliche Menschenbild, S. 1. Vgl. Ruff, Catholic Elites, S. 262. Vgl. Münchmeier, Die Vergesellschaftung von Wertgemeinschaften. Vgl. Koetzle/Beckmann, Twen. Vgl. NN, »Der Sex hat seine Schuldigkeit getan«. NN, »Sex mal Sex«, S. 40. Gründel, »Du sollst nicht«, S. 44. Parallel dazu die Entwicklung in Schweizerischen katholischen Frauenzeitschriften. Vgl. Künzler, Sexualmoral, S. 137–151. Vgl. für den Bereich der Liturgie Fuchs, Gefährliche Modernität; Großbölting, »Wie ist Christsein heute möglich?«, S. 68 f. Die zentralen Entwicklungen skizziert Lange, Ehe- und Familienpastoral, S. 196–204. Greeley, Religion in Europe, S. 83. Vgl. Ellwoord, The Fifties Spiritual Marketplace, S. 230. Zum »Abstinence Only«-Programm der »Alliance for Families«, welches die Bush-Regierung im Sexualkundeunterricht der staatlichen Schulen fördert, vgl. Chwallek, »Sex, nein danke!«, in: FAZ vom 23. Juli 2002. TB Krone vom 1. 9. 1945, Archiv der Christlichen Demokratie und Politik, S. 277; zitiert nach Gauly, Kirche und Politik, S. 25. Vgl. Braun u. a., Die lange Stunde Null. Vgl. ebd. Aufbau und Entfaltung, S. 3469. Vgl. Gotto, Die katholische Kirche. Sauer, Westorientierung im deutschen Protestantismus?, S. 5. Vgl. Nipperdey, Religion im Umbruch, S. 100. Vgl. Bergen, Twisted Cross. Diem, Restauration oder Neuanfang, S. 48. Vgl. Kaiser, Der Zweite Weltkrieg, S. 228. Vgl. Immer, Bekenntnissynode. Vgl. Klein, Westdeutscher Protestantismus, S. 457. Vgl. Greschat, Kirchen und Öffentlichkeit. Boyens, Treysa 1945, S. 48. Vgl. Lepp, Wege des Protestantismus, S. 176. Vgl. Sauer, Westorientierung im deutschen Protestantismus, S. 40 f. Vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, S. 305 f. Nicolaisen/Schulze, Die Protokolle des Rates, S. 686 f. Vgl. Wittreck, Bonn ist doch Weimar. Bald, Neue Konturen, S. 52. Zum Begriff siehe Stutz, Die päpstliche Diplomatie, S. 54. Vgl. Heinig, Der Körperschaftsstatus. Denkschrift zu der beabsichtigen Kirchensteuerreform in den Evangelischen Kirchen von West-

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Anmerkungen zu S. 53–61

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falen und der Rheinprovinz. Wuppertal-Elberfeld vom 10. August 1946, Evangelisches Zentralarchiv B 13/B 3; zitiert nach Kampmann, Die Neuordnung, S. 87 f. Zur Entwicklung im Bereich der katholischen Kirche und einer eingehenden Würdigung siehe Schlief, Die Entwicklung der Kirchensteuer. Vgl. Engelhardt, Die Kirchensteuer. Vgl. Romberg, Die Einführung der Kirchensteuer. Hauschild, Evangelische Kirche, S. 65. Predigt Sr. Eminenz am Silvesterabend 1959, S. 9. Vgl. Oehmen-Vieregge, Wandlungsprozesse, S. 27. Vgl. Tripp, Struktureller Wandel, S. 74 f. Hauschild, Evangelische Kirche, S. 65. Eine in sich tendenziöse Wiedergabe dieser Diskussion bei Lohmann, Reizthema Kirchensteuer. Vgl. Wilken, Unser Geld. Hauschild, Evangelische Kirche, S. 65. Vgl. Oehmen-Vieregge, Wandlungsprozesse, S. 26. Smend, Staat und Kirche, S. 5. Dieses Zitat und das folgende ebd., S. 13. Lepp, Wege des Protestantismus, S. 175. Vgl. Nolte, Religion und Bürgergesellschaft. Vgl. Rink, »Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.«; Brugger, Trennung, Gleichheit, Nähe. Vgl. Reuter, Religionen im Prozess von Migration. Vgl. Kuhlemann, Nachkriegsprotestantismus, S. 26. Vgl. Almond/Verba, The Civic Culture. Vgl. Schmidtchen, Protestanten und Katholiken, S. 214. Vgl. Kuhlemann, Nachkriegsprotestantismus, S. 28. Heinemann/Koch, Einspruch, S. 58 f. Jarausch, Die Umkehr, S. 179. Vgl. Doering-Manteuffel, Strukturmerkmale. Jarausch, Die Umkehr, S. 183. Hehl, Konfessionelle Irritationen, S. 169. Vgl. Materialdienst des konfessionskundlichen Instituts. Evangelischer Bund – Konfessionskundliches Institut vom Mai–August Nr. 3/4, 1953, S. 48–53. Vgl. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 197. »Wohin die Reise geht«, in: Der Spiegel vom 16. November 1955, S. 13 f. Ellwein, Klerikalismus, S. 252. Die Zitate im Folgenden nach Hehl, Konfessionelle Irritationen, S. 178 f. Greschat, Konfessionelle Spannungen, S. 19. Evangelische Kirche in Deutschland, Kirchliches Jahrbuch 1953, S. 437. Schmidtchen, Protestanten und Katholiken, S. 459 ff. So ein Diskussionsbeitrag von Rudolf Morsey 1986, dokumentiert in Buchheim, Konrad Adenauer, S. 109. Vgl. Schmidt, Zentrum oder CDU. Vgl. Gauly, Kirche und Politik, S. 151. Ebd., S. 172. Fitzek, Katholische Kirche, S. 88. Zentralkomitee der deutschen Katholiken, »Ein Wort zur Wahl«. Zitiert nach Gauly, Kirche und Politik, S. 173. Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 423. Zitiert nach Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 128. Schewick, Die katholische Kirche, S. 113.

Anmerkungen zu S. 62–77

156 Die deutschen Bischöfe: Erklärung zum geplanten Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 11. 2. 1949, in: Baadte, Rauscher, Dokumente deutscher Bischöfe, S. 289. 157 Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 138. 158 Vgl. ebd., S. 135. 159 Vgl. The British Zone Review Nr. 19 vom 8. Juni 1946. 160 Vgl. Bösch, »Zu katholisch«, S. 396. 161 Hahn, Ich stehe dazu, S. 92. 162 Vgl. Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 427. 163 Stubbe da Luz, Von der »Arbeitsgemeinschaft« zur Großstadtpartei, S. 406–408. 164 Vgl. Gauly, Kirche und Politik, S. 156 f. 165 Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 64. 166 Dirks, Schwierige Nachbarschaft, S. 15. 167 Vgl. Hehl, Konfessionelle Irritationen, S. 185. 168 Vgl. die aufschlussreiche Studie von Sauer, Westorientierung im deutschen Protestantismus? 169 Klein, Westdeutscher Protestantismus, S. 468. 170 Greschat, Konfessionelle Spannungen, S. 31. 171 Spiegel-Interview mit Volker Rühe, in: Der Spiegel vom 18. Juni 1990. 172 Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 166. 173 Schmidtchen, Protestanten und Katholiken, S. 322. 174 Vgl. Klein, Westdeutscher Protestantismus, S. 320 f. 175 Ebd., S. 413 f. 176 Godesberger Programm, S. 15, in: URL http://www.spd.de/linkableblob/1816/data/godesberger_ programm.pdf, (3. 11. 2012). 177 Vgl. Koch, Willy Brandt, S. 260–266. 178 Vgl. Hering, Die Kirchen als Schlüssel, S. 242 f. 179 Vgl. Brehm, SPD und Katholizismus. 180 Ummenhofer, Hin zum Schreiten, S. 52 f. 181 Vgl. Hering, Die Kirchen als Schlüssel, S. 251. 182 Vgl. Auer, Ein katholisches Wort zur atomaren Rüstung. 183 Vgl. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, S. 285. 184 »Billigt Gott A-Bomben?«, in: Der Spiegel vom 14. Mai 1958, S. 50–52. 185 Vgl. dazu Doering-Manteuffel, Katholizismus und Wiederbewaffnung. 186 Vgl. Gerster, Von Pilgerfahrten zu Protestmärschen, S. 324. 187 Ringhausen, Die Kirchen, S. 38. 188 Vgl. Hoeth, Die Wiederbewaffnung Deutschlands, S. 422. 189 Lepp, Einleitung, S. 15. 190 Graf, Von der Baustelle, S. 10. 191 Hierzu und zum Folgenden Blessing, »Deutschland in Not, wir im Glauben …«, S. 61. 192 Ebd. 193 Vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, S. 65. 194 Trippen, Josef Kardinal Frings, S. 227–334. 195 Zitiert nach Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 162. 196 Schlink, Die Gnade in Gottes Gericht, S. 28, 49. 197 Vgl. Beck, Westfälische Protestanten. 198 Nr. 1030/II, Protokoll der Plenarkonferenz der Deutschen Bischöfe, in: Akten deutscher Bischöfe, S. 673. 199 Vgl. Repgen, Die Erfahrung des Dritten Reiches, S. 131. 200 Nr. 1030/IIb, Hirtenwort des deutschen Episkopats, Fulda, in: Akten deutscher Bischöfe, S. 689 f. 201 Blessing, »Deutschland in Not, wir im Glauben …«, S. 70. 202 Hummel, Gedeutete Fakten, S. 513. 203 Großbölting, »Wie ist Christsein heute möglich?«, S. 512–518.

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Anmerkungen zu S. 77–94

204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250

Greschat, Die Schuld der Kirche, S. 102. Wurm an Niemöller am 30. 12. 1945, zitiert nach Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 152. Eine Darstellung der Diskussionslage ebd., S. 134–136; Zitat auf S. 136. Ebd., S. 136–140. So als Nachweis einer abbrechenden Kontinuitätslinie bei Pollack, Rückkehr des Religiösen, S. 223–235. Vgl. Greschat, Die evangelische Christenheit, S. 209–211. Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 143. Ebd., S. 162. Barth, Die christlichen Kirchen, S. 102. Zitiert nach Greschat, Die evangelische Christenheit, S. 300. Evangelische Welt vom 1. 7. 1949, zitiert nach Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 163. Zitiert nach Greschat, Die evangelische Christenheit, S. 296. Zitiert nach Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 164. Vgl. Kösters, Kirche und Glaube. Vgl. Kaiser, Der Zweite Weltkrieg, S. 228. Diem, Restauration oder Neuanfang, S. 48. Busch, Die Barmer Thesen. Kaiser, Der Zweite Weltkrieg, S. 232. Hürten, Kurze Geschichte, S. 244. Vgl. Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 506. Vgl. Große Kracht, Die katholische Welle der ›Stunde Null‹, S. 176–183. Damberg, »Radikal katholische Laien an die Front!«, S. 158. Schleicher, Aus Feldpostbriefen, S. 315. Vgl. Holzapfel, Das Kreuz der Weltkriege. Barzel, Ein gewagtes Leben, S. 71. Hier zitiert nach Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 457. Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 163. Götz Olenhusen, Jugendreich, S. 159. Vgl. ebd., S. 261. Vgl. auch Allerbeck/Rosenmayr, Einführung in die Jugendsoziologie, S. 2. Vgl. den Forschungsüberblick von Boll, Jugend im Umbruch. Hornstein, Nachwort, S. 561. Schelsky, Die skeptische Generation; Bondy/Eyferth, Bindungslose Jugend. Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 316. Ordnung der »Evangelischen Jugend in Deutschland (EJD)« vom 15./16. Mai 1946, zitiert nach Haasler, Evangelische Jugendarbeit, S. 74. Bericht der Kg. Wehdem an Kreisjugendpfarrer Wellmer, Hüllhort, über die Jugendarbeit in der Gemeinde, Advent 1947, zitiert nach Beck, Westfälische Protestanten, S. 367. Ebd., S. 368. Ruff, The Wayward Flock, S. 187. Vgl. Damberg, Abschied vom Milieu?; Ruff, Catholic Elites. Zitiert nach Beck, Westfälische Protestanten, S. 367. Zahlen nach Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 307–416. Zitiert nach Schwab, Kirchlich, kritisch, kämpferisch, S. 76. Vgl. Schwab, Geschichte der evangelischen Jugendarbeit, S. 76. Buschmann, Zur Einführung, S. 3. Vgl. Großbölting, Wiederbelebung, S. 68. Großbölting, »Wie ist Christsein heute möglich?«, S. 262. McLeod, The Religious Crisis, S. 31. Vgl. die Grundthese des Sammelbandes von Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau. Vgl. Gabriel, Die Katholiken in den 50er Jahren, S. 430. Kleßmann, Kontinuitäten und Veränderungen, S. 417.

Anmerkungen zu S. 95–104

2. Vom Aufbruch und vom Absturz in die Nachmoderne. Das religiöse Feld in den sechziger und siebziger Jahren 1 Behn, Die Regierungserklärungen, S. 114. 2 Nachweise und Zahlenangaben zu den nachgenannten Phänomenen bei Schildt, Materieller Wohlstand, S. 21–53. 3 Rytlewski/Opp de Hipt, Die Bundesrepublik Deutschland in Zahlen, S. 141 ff. 4 Vgl. Schildt, Materieller Wohlstand, S. 26. 5 Vgl. Hickethier/Hoff, Geschichte des deutschen Fernsehens. 6 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 402–431, 404. 7 Als sehr hellsichtiger Aufriss vgl. Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom. 8 Gabriel, Zwischen Aufbruch und Absturz, S. 528. 9 Greschat, Protestantismus und Evangelische Kirche, S. 546. 10 McLeod, The Religious Crisis, S. 1. 11 Stern, Nr. 13, 1967. 12 Eicken/Schmitz-Veltlin, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder, S. 589. 13 Köcher, Religiös in einer säkularisierten Welt, S. 175. 14 Zahlenangaben nach Greschat, Protestantismus und Evangelische Kirche, S. 547. 15 Vgl. Ziemann, Katholische Kirche und Sozialwissenschaften, S. 167–187. 16 Vgl. Schmidtchen, Zwischen Kirche und Gesellschaft. 17 Ebd., S. 68. 18 Zur Methode und zu den Ergebnissen vgl. Boos-Nünning, Dimensionen der Religiosität. 19 Vgl. Schmidtchen, Gottesdienst in einer rationalen Welt. 20 Hild, Wie stabil ist die Kirche? 21 Vgl. Ziemann, Katholische Kirche und Sozialwissenschaften, S. 338. 22 Zitiert nach ebd., S. 153. 23 »Diesseits und Jenseits«, in: Der Spiegel, Nr. 52, 1967, S. 38–52, S. 38. 24 Ebd., S. 52. 25 »Was glaubt wohl Gott vom Spiegel?«, in: Der Spiegel Nr. 6, 1968, S. 44. 26 Vgl. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 324 ff. 27 »Was glaubt wohl Gott vom Spiegel?«, in: Der Spiegel Nr. 6, 1968, S. 44. 28 Ebd., S. 44. 29 Vgl. ebd., S. 67. 30 Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 323. 31 Stern, Nr. 13, 1967, zitiert nach ebd., S. 321. 32 Schnippke, »Wie sieht der liebe Gott aus?«, in: Stern, Nr. 52, 1968. Zitiert nach Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 325. 33 Ebd., S. 326. 34 Ebd. 35 Vgl. Häußler, Reflexive Identität und Authentizität, S. 230–249. 36 Vgl. Giddens, Modernity and self-identity, S. 52. 37 Wolfe, »The ›Me‹ Decade and the Third Great Awakening«, in: New Yorker vom 23. August 1976, S. 26–40, 32. 38 Reichardt/Siegfried, Das Alternative Milieu. 39 Beck, Risikogesellschaft. 40 Schulze, Die Erlebnisgesellschaft; Gross, Die Multioptionsgesellschaft; Beck, Reflexive Modernisierung. 41 Vgl. Knoblauch, Religion, Identität und Transzendenz. 42 Nipperdey, Religion im Umbruch, S. 143 ff. 43 Graf/Große Kracht, Einleitung, S. 14 f. 44 Als Ausnahme siehe Heller u. a., Religion und Alltag.

279

280

Anmerkungen zu S. 105–115

45 Siehe hierzu und zu den folgenden Ausführungen die exzellente Studie von Schmidtmann, Katholische Studierende. 46 Vgl. Heller, Zur Sozialgeschichte des Katholizismus, S. 297. 47 Vgl. Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 479. 48 Vgl. Heller, Zur Sozialgeschichte des Katholizismus, S. 298. 49 Vgl. Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 423. 50 Riehl-Heyse, Ach, du mein Vaterland, S. 156. 51 Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 458. 52 Ebd., S. 457. 53 Ebd., S. 433 f. 54 Vgl. Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 417. 55 Ebd., S. 467. 56 Dieses Zitat und das folgende ebd., S. 443. 57 Ebd. 58 Ebd., S. 467. 59 Riehl-Heyse, Ach, du mein Vaterland, S. 75 f. 60 Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 475. 61 Ebd., S. 477. 62 Zitiert nach Schmidtmann, Katholische Studierende, S. 476. 63 Zitiert nach ebd., S. 483. 64 Elsner, Essen war anders, S. 15. 65 Vgl. ebd., S. 19. Elsner bezieht sich dabei auf eine Zwischenbilanz des Präsidenten des ZdK, Bernhard Vogel, vom 29. September. 66 Ebd., S. 18. 67 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. September 1968 und Frankfurter Rundschau gleichen Datums. Zum Pressespiegel insgesamt vgl. die Einträge in Hehl/Hürten, Der Katholizismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 626 f. 68 Lüdecke, Humanae Vitae, S. 534. 69 Ebd., S. 535 70 Gagnebet, Die Autorität der Enzyklika Humanae Vitae, S. 269. 71 Hengsbach, Grußwort, S. 169. Zum »kritischen Katholikentag« vgl. Gorlas, Umfunktionierter Katholikentag. 72 Dazu und zum Folgenden: Mitten in dieser Welt, S. 280–285 (Bericht über das Forumsgespräch). 73 Zur Diskussion um die Enzyklika Humanae Vitae vgl. Schatz, Zwischen Säkularisation und Zweitem Vatikanum, S. 323. Ein wichtiges zeitgenössisches Dokument ist die sogenannte Königssteiner Erklärung der deutschen Bischöfe. Vgl. Wort zur seelsorglichen Lage nach dem Erscheinen der Enzyklika »Humanae Vitae« vom 30. August 1968. 74 Vgl. Mitten in dieser Welt, S. 173. 75 Vgl. z. B. Joannes, The Bitter Pill. 76 Vgl. Lüdecke, Humanae Vitae, S. 536. 77 Deutsche Bischofskonferenz, Dokumente, S. 470. 78 Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 215, 225. 79 Vgl. Mosshammer, Werkbuch der katholischen Mädchenerziehung. 80 Vgl. Reuss, Eheliche Hingabe und Zeugung. 81 Zitiert nach Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 165. 82 Vgl. Glaubensverkündigung für Erwachsene. 83 Vgl. Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 165. 84 Vgl. Gaudium et Spes, in: URL http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/ documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_lt.html, (27. 8. 2012). 85 Vgl. Sartory/Sartory, Strukturkrise einer Kirche. 86 Lüdecke, Humanae Vitae, S. 542.

Anmerkungen zu S. 115–126

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Vgl. Raeder, Warum werden so viele Ehen unglücklich. Vgl. Steinbacher, Wie der Sex nach Deutschland kam, S. 32. Keil, Sexualität – Erkenntnisse und Maßstäbe, S. 17. Vgl. Evangelische Kirche in Deutschland, Denkschrift zu Fragen der Sexualethik. Sigusch, »Liebe kann doch nichts dafür«, in: Der Spiegel, Nr. 26, 1971, S. 136–137, S. 137. Stern, Nr. 49, 1971, abgedruckt in Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 467. Zur nachkonziliaren Diskussion vgl. Großbölting, »Wie ist Christsein heute möglich?« Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 298. Ebd., S. 287. Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau, S. 366. Ebd., S. 364. Hutten, Die sexuelle Revolution, S. 112. Vgl. Beck, Der eigene Gott, S. 155 ff. Vgl. ebd., S. 156. Vgl. Simon, Katholisierung des Rechts? Vgl. dazu Buske, Die Debatte über ›Unehelichkeit‹. Dieses Zitat und das folgende Buske, Die Debatte über ›Unehelichkeit‹, S. 346. Vgl. Faulstich, Die Kultur der 70er Jahre, S. 211–219. Vgl. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 297. Vgl. ebd., S. 304. Beck, Der eigene Gott, S. 158. Vgl. Edgell, Religion and Family. Vgl. Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 182. Vgl. Ebertz, Kirche im Gegenwind, S. 136 ff. Rede von Bundeskanzler Ludwig Erhard auf dem XIII. CDU-Parteitag im März 1965 in Düsseldorf, in: Archiv der Gegenwart 1965, S. 1776. Vgl. Brandt, Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969. Stenographische Berichte, 6. Deutscher Bundestag, 5. Sitzung vom 28. 10. 1969, S. 33 f. Vgl. Siegfried, Politisierungsschübe, S. 32 ff. Metzler, Am Ende aller Krisen?, S. 91 f. Vgl. Jarausch, Die Umkehr, S. 201–204. Fischer/Härdle, Trennung von Staat und Kirche. Dieses Zitat und das folgende Szczesny, Aufruf zur Gründung einer Humanistischen Union vom 6. 6. 1961, in: URL http://www.humanistische-union.de/wir_ueber_uns/geschichte/geschichtedetail/back/geschichte/article/aufruf-zur-gruendung-einer-humanistischen-union/, (26. 3. 2012). Szczesny/Heer, Die Zukunft des Unglaubens. Szczesny, Aufruf zur Gründung einer Humanistischen Union vom 6. 6. 1961, in: URL http://www. humanistische-union.de/wir_ueber_uns/geschichte/geschichtedetail/back/geschichte/article/ aufruf-zur-gruendung-einer-humanistischen-union/, (26. 3. 2012). Hofmann, Die Humanistische Union, S. 3. Vgl. Esch, »Freie Kirche im freien Staat«. Schelz, Die fromme Schröpfung. Vgl. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg, S. 256. Vgl. ebd., S. 268. Vgl. Bieber, Ist die Truppe noch zu retten?, S. 22. Schäfer, Die Misere der theologischen Fakultäten. Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe. Vgl. ebd. Erlinghagen, Katholisches Bildungsdefizit. Vgl. Grossmann, Zwischen Kirche und Gesellschaft, S. 468. Seibel, Die Aussagen des Konzils, S. 206.

281

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Anmerkungen zu S. 127–140

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Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 418. Vgl. ebd., S. 416. Bundesvorstand 10. 5. 1968, in: ACDP VII-001–017/2, zitiert nach ebd., S. 406. Ebd. Vgl. Hauschild, Kontinuität im Wandel. Deutsche Tagespost vom 2. Dezember 1969. Vgl. Damberg, Bernd Feldhaus und die »Katholische Gesellschaft für Kirche und Demokratie«. Vgl. Hering, Die Kirchen als Schlüssel, S. 252. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Wort der deutschen Bischöfe zur Bundestagswahl vom 25. August 1980, http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/deutschebischoefe/DB27.pdf, (3. 4. 2012). Vgl. Hering, Die Kirchen als Schlüssel, S. 254 f. Zahrnt, »Planspiel 218 oder das Ende der Machbarkeit aller Dinge«, S. 3. Dieses Zitat und das folgende Döpfner/Dietzfelbinger, Das Gesetz des Staates, S. 12 f. Vgl. Mantei, Nein und Ja zur Abtreibung, S. 67 f. Zitiert nach ebd., S. 68. Vgl. ebd., S. 37 f. Zillessen, Rückfall in den Obrigkeitsstaat. Vgl. Mantei, Nein und Ja zur Abtreibung, S. 572. Schueler, Aufruf zum Kulturkampf, in: Die Zeit vom 8. Januar 1971. Arndt, Erfüllt § 218 des Strafgesetzbuches noch seinen Zweck? Vgl. Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen, in: Die Kirchenkanzlei der evangelischen Kirche in Deutschland, Die Denkschriften der EKD, S. 43–76. Odin, Das politische Wort der Kirche, S. 6. Kirchenkanzlei der EKD, Berlin 1971, S. 33 f. Mantei, Nein und Ja zur Abtreibung, S. 574. Brief an Benda vom 5. März 1975; zitiert nach ebd., S. 575. Vgl. »Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Reform des § 218«, in: Ernst, Alarm um die Abtreibung, S. 85–90. Vgl. Eilers, Zehn Jahre donum vitae. Vgl. Liedhegener, Macht, Moral und Mehrheiten. Vgl. Heimbach-Steins/Lienkamp, Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, S. 7. Hauschild, Evangelische Kirche, S. 59. Zitiert nach Elsner, Essen war anders, S. 19. Gettys, Wie politisch darf die Kirche sein?, S. 227. Vgl. Hannig, Axel Springer, Rudolf Augstein und die mediale Politisierung der Religion. Zur zeitgenössischen Prägung und Rezeption des Begriffs im deutschsprachigen Raum vgl. die Erläuterungen im Artikel NN, »Im Zeichen der Kontestation«. Vgl. BA Münster, Akte Nr. 81, unpag.: Studentenmission 1954–58–63. NN, »Ideologische Auseinandersetzungen«, S. 182. Halsband, Erinnerungsbericht, S. 163. Krockow, Die Deutschen in ihrem Jahrhundert, S. 309: »Zwar als Wortprägung barbarisch, aber als Kennzeichen einer Einstellung präzise, machte seit 1968 ein Begriff Karriere: das ›Hinterfragen‹.« Vgl. NN, »Gärung in den Studentengemeinden«, S. 274. Einen ersten Eindruck vom publizistischen Echo in der Bibliographie von Hehl/Hürten, Der Katholizismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 205 f. NN, »Zu den Studentenunruhen«, S. 227. Die Vereinnahmung der mehrdeutigen Texte des Zweiten Vatikanums sowohl durch »Traditionalisten« als auch durch »Progressive« weisen nach Hauer/Zulehner, Aufbruch in den Untergang?, S. 27–32.

Anmerkungen zu S. 140–151

172 Dazu und im Folgenden KHG-Archiv Münster: KDSE 1970/71, unpag.: »Liebe Mitbrüder«, gez. Pater Romanus, datiert vom Juli 1970. 173 Vgl. ebd. Gleichlautende Angaben machen Kiel, Braunschweig (»Degenerationsschwierigkeiten« der Verbindungen), Hannover (»stark rückläufige Tendenz«). Vgl. dazu Kühr, Katholische und evangelische Milieus, S. 256. 174 Vgl. KHG-Archiv Münster, KDSE 1970/71, unpag.: »Liebe Mitbrüder«, gez. Pater Romanus, datiert vom Juli 1970. 175 Vgl. Hücking, Kann die katholische Studentengemeinde »Avantgarde der Kirche« sein?, S. 72: »Am wirkungsvollsten war die revolutionäre Bewegung unter den katholischen Studenten bisher an der neuen Ruhr-Universität in Bochum.« 176 KHG Münster, Akte KDSE 1970, unpag.: Thomas Gawron, Diskussionsmaterial zur Arbeit der KDSE, Vorlage 4 zum Gemeindevertretertag in Münster, Februar 1971. 177 Dazu und im folgenden KHG-Archiv Münster: KDSE 1970/71, unpag.: »Liebe Mitbrüder«, gez. Pater Romanus, datiert vom Juli 1970. 178 Vgl. Linck, »Jetzt hilft nur noch eine Flugzeugentführung!«. 179 Ebd., unpag.: Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 4. 4. 1973. 180 Vgl. Kaiser, Resümee, S. 290. 181 Vgl. BA Münster, KSG Nr. 6, unpag.: Semesterbericht zum Sommersemester 1969: »1. Das Interesse an Vorträgen und auch an Podiumsdiskussionen geht zurück. Dafür ist das Interesse und die Beteiligung an Arbeitsgruppen und regelmäßig tagenden Ausschüssen mit aktiver und intensiver Arbeit gewachsen. Nicht nur die mehr rezeptive Teilnahme an Vorträgen wird kritisch gesehen, vor allem ein überwiegend auf Bildung ausgerichtetes Programm.« 182 Vgl. Interview Kerstiens, in: Großbölting, »Wie ist Christsein heute möglich?«, S. 173. 183 Vgl. den Briefwechsel in BA Münster, KSG Nr. 143. 184 Vgl. dazu exemplarisch den Briefwechsel in BA Münster, KSG Nr. 143: Schreiben H.L. an Studentenpfarrer Waltermann, datiert vom 5. 5. 1971. 185 Hauschild, Evangelische Kirche, S. 62. 186 Hammann, Rudolf Bultmann, S. 431. 187 Vgl. Die Zeit vom 31. 12. 1965. 188 Vgl. Bäumer u. a., Weg und Zeugnis. 189 Bultmann, Neues Testament und Mythologie; vgl. Nüssel, Rudolf Bultmann. 190 Vgl. Hermle, Die Evangelikalen als Gegenbewegung. 191 Mecklenburg, Handbuch deutscher Rechtsextremismus, S. 381 f. 192 Vgl. Stratmann, Kein anderes Evangelium, S. 66 f. 193 Bäumer u. a.,Weg und Zeugnis, S. 128 f., 169, 205; Hermle, Die Evangelikalen als Gegenbewegung, S. 346 f. 194 Zitiert nach ebd., S. 338. 195 Bäumer u. a., Weg und Zeugnis, S. 125. 196 Vgl. Holthaus, Fundamentalismus in Deutschland, S. 261. 197 Vgl. Hermle, Die Evangelikalen als Gegenbewegung, S. 348. 198 Vgl. Jung, Die deutsche evangelikale Bewegung. 199 David, In der Erschütterung. 200 Zum Konzept der Selbstmodernisierung von Religionsgemeinschaften vgl. Hellemans, Transformation der Religion. 201 Vgl. Tyrell, Religionssoziologie, S. 450; Ziemann, Sozialgeschichte der Religion, S. 163. 202 Vgl. Nowak, Geschichte des Christentums, S. 10; auch Hauschild, Evangelische Kirche, S. 58. 203 Die Schilderung hier und in den folgenden Abschnitten stützt sich auf Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil. 204 Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, S. 29. 205 Ebd., S. 77. 206 Pottmeyer, Modernisierung in der katholischen Kirche, S. 132.

283

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Anmerkungen zu S. 152–163

207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247

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Vgl. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, S. 36 f. Vgl. Smolinsky/Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit, S. 190. Seeber, Das Zweite Vatikanum, S. 352. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, S. 373. Ebd., S. 356 f. findet sich eine Auflistung der »ambivalenten Ergebnisse«. Alle Konzilstexte sind zitiert nach Hünermann, Die Dokumente. Ebd., LG 31, S. 130–132. Zitiert nach Ebertz, Deinstitutionalisierungsprozesse im Katholizismus, S. 384. Vgl. Hünermann, Die Dokumente, LG 22, S. 111–112. Vgl. Smolinsky/Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit, S. 186. Hünermann, Die Dokumente, Nostra Aetate 2, S. 357–358. Vgl. Ebertz, Deinstitutionalisierungsprozesse im Katholizismus, S. 385. Vgl. Fuchs, Gefährliche Modernität. Mosebach, Häresie der Formlosigkeit. Vgl. Holzem, Religion und Lebensformen. Ebertz, Deinstitutionalisierungsprozesse im Katholizismus, S. 394. Vgl. aber Arens, Der unvollendete Aufbruch; Schmidt, Das Bistum Essen. Jedin, Lebensbericht, S. 219. Rahner, Kirche im Wandel, S. 437. Zitiert nach Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, S. 21. Hauer/Zulehner, Aufbruch in den Untergang?, S. 52. Zitiert wird der Zeitzeuge Felix Gamillscheg. Gallegos Sánchez, Aggiornamento, S. 83. Vgl. Lefebvre, Offener Brief, S. 149. Vgl. Soetens, Impulsions et limites, S. 624. Als erste Rekonstruktion der Ereignisse vgl. Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 521–613. Roes, Het Pastoraal Concilie, S. 20. Zum Zitat und danach Damberg, Abschied vom Milieu?, S. 611. Zitiert nach ebd., S. 602. Vgl. Albrecht, Politik und Konfession, S. 535–564. Vgl. Bertsch, Gemeinsame Synode; ders. u. a., Gemeinsame SYNODE. Werners, Erfahrungen mit der Würzburger Synode, S. 34. Seeber, »Das falsche Konfliktgerede«, S. 384. Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, S. 24. Vgl. Schroeter-Wittke, Der deutsche Evangelische Kirchentag, S. 214. Vgl. Grossmann, Katholikentage und Kirchentage, S. 573. Vgl. ebd., S. 561. Vgl. ebd., S. 564. Grundlegend zu Geschichte und Funktion der Katholikentage Hürten, Spiegel der Kirche; Grossmann, Artikel »Katholikentage«. Zitiert nach Hürten, Spiegel der Kirche, S. 86. Roegele, Pilgerziel Messehalle, in: Rheinischer Merkur vom 3. September 1982. Vgl. dazu und zur Entwicklung allgemein Großbölting, Als Laien und Genossen das Fragen lernten. Rössler, »Neue Formen auf dem Katholikentag«, S. 11. Der offizielle Bericht gibt Auskunft über das Procedere der Forumsgespräche. Vgl. Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Unsere Sorge, S. 84–86. Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Glauben, Danken, Dienen, S. 138. Schlußwort von Karl Fürst zu Löwenstein, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, in: Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Wandelt Euch durch ein neues Denken, S. 375–378, 376. Geschke, »Die fünf heißen Tage«. Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Auf Dein Wort hin, S. 390.

Anmerkungen zu S. 163–173

252 Großmann, Zwischen Kirche und Gesellschaft, S. 176 f. 253 Archiv des Zentralkomitees der deutschen Katholiken 2202/2, Analyse der Pressestimmen zum 81. Deutschen Katholikentag vom 13.–17. 6. 1966 in Bamberg, zitiert nach Großmann, Zwischen Kirche und Gesellschaft, S. 176. 254 Hürten, Spiegel der Kirche, S. 97 f. 255 Vgl. ebd., S. 101. 256 Vgl. Jung, Die deutsche evangelikale Bewegung, S. 116. 257 Vgl. Schroeter-Wittke, Der deutsche Evangelische Kirchentag, S. 219. 258 Gesamtprogramm des Katholikentags online, in: URL http://www.katholikentag.de/de/service/ texte/maerz_2012/gesamtprogramm_des_katholikentags_online.html, (5. 11. 2012). 259 Gilles, Durch das Auge der Kamera, S. 221. 260 Vgl. Lehmann, Schlussdiskussion, S. 358. 261 Mittmann, Kirchliche Akademien, S. 225. 262 Ders., Moderne Formen, S. 217. 263 Zitiert nach ders., Kirchliche Akademien, S. 55. 264 Ebd., S. 13. 265 Zahl bei Ziemann, Religion and the Search for Meaning, S. 698 266 Vgl. Mittmann, Kirchliche Akademien, S. 47 f. 267 Evangelische Kirche in Deutschland, Der Dienst der Evangelischen Akademien, S. 15. 268 Vgl. Mittmann, Moderne Formen, S. 226. 269 Zitiert nach Ebd., S. 230 270 Vgl. Mittmann, Kirchliche Akademien, S. 121. 271 Siehe dazu das folgende Kapitel. 272 Ebertz, »Tote Menschen haben keine Probleme«?, S. 294. 273 Vgl. Mittmann, Moderne Formen, S. 218 f. 274 Sölle, Kirche ist auch außerhalb der Kirche. 275 Wöller, Meinungen über Jesus, S. 14. 276 Rahner, Strukturwandel der Kirche, S. 38 f., 76. 277 Rahner/Neufeld, Selbstvollzug der Kirche, S. 494. 278 Vgl. Stettner, Missionarische Schülerarbeit, S. 76 f. 279 Vgl. Ziemann, Codierung von Transzendenz. 280 Vgl. Ebertz, Die Zivilisierung Gottes, insbesondere S. 202–338. 281 Vgl. ebd., S. 335. 282 Vgl. ebd., S. 198 f. 283 Zitiert nach Ziemann, Codierung von Transzendenz, S. 401. 284 Zitiert nach Ebertz, Die Zivilisierung Gottes, S. 347. 285 Ders., Tote haben (keine) Probleme?, S. 250. 286 Ebd. 287 Ebertz, Die Zivilisierung Gottes, S. 349. 288 Ebd., S. 343. 289 Ziemann, Codierung von Transzendenz, S. 401 f. 290 Ebertz, Die Zivilisierung Gottes, S. 341. 291 Hierzu und zum Folgenden Herzog, The Death of God in West Germany. 292 Brauck, »Theologin ohne Elfenbeinturm«, in: Frankfurter Rundschau vom 28. April 2003. 293 Zu den verschiedenen Interpretationen dieser Überlegungen Bonhoeffers vgl. Neumann, Religionsloses Christentum. 294 Sölle, Atheistisch an Gott glauben. 295 Vgl. Herzog, The Death of God in West Germany, S. 439. 296 Gollwitzer, Christentum leicht gemacht? Helmut Gollwitzer über John A. T. Robinson: »Gott ist anders«, in: Der Spiegel, Nr. 26, 1964, S. 78–79. 297 Vgl. Sölle u. a., Stellvertretung.

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Anmerkungen zu S. 173–188

298 299 300 301 302 303 304 305 306 307

Cornehl, Dorothee Sölle, S. 266. Seidel u. a., Aktion politisches Nachtgebet, S. 132 ff. Vgl. Cornehl, Dorothee Sölle, S. 276 f.; auch Ziemann, Religion and the Search for Meaning, S. 699. Vgl. Cornehl, Dorothee Sölle, S. 279. Vgl. Câmara, Friedensreise 1974; vgl. Ziemann, Religion and the Search for Meaning. Ziemann, Religion and the Search for Meaning, S. 701. Vgl. die breiten Nachweise in McLeod, The Religious Crisis. Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 60. Pasture, Christendom and the Legacy of the Sixties, S. 113. Vgl. Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 67.

3. Aus Kirche wird Religion. Brüche und Veränderungen im religiösen Feld bis heute 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

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Graf, Die Wiederkehr der Götter. Vgl. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 358. Vgl. aus der zahlreichen Literatur jüngst Wohlrab-Sahr u. a., Forcierte Säkularität, S. 13, passim. Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen. Graf, Die Wiederkehr der Götter. Siehe dazu den anregenden Essay von Graf, Missbrauchte Götter. Vgl. McLeod, The Religious Crisis. Siehe Pollack, Säkularisierung; ders., Rückkehr des Religiösen? Siehe hierzu Knoblauch, Populäre Religion. Pollack, Rückkehr des Religiösen?, S. 86 ff. Tendenziell fällt die Zahl der Muslime in den Statistiken zu hoch aus, da oftmals alle Immigranten aus einem muslimischen Land automatisch als religiös gebunden gezählt wurden. Neuere statistische Materialien wie zum Beispiel der Bertelsmann-Religionsmonitor legen aber nahe, dass sich mit Blick auf den Stand 2008 in dieser Gruppe je nach Glaubensrichtung auch ein Anteil von Nicht-Religiösen befindet, der sich zwischen 16 Prozent (Schiiten) und 31 Prozent (Sunniten) bzw. 32 Prozent (Aleviten) bewegt. Vgl. Heine/Spielhaus, Sunniten und Schiiten, S. 26. Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Religionszugehörigkeit, Deutschland. Bevölkerung 1970–2011, in: URL http://fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Religionszugehoerigkeit/ Religionszugehoerigkeit_Bevoelkerung_1970_2011.pdf, S. 5, (20. 6. 2012). Pickel, Atheistischer Osten, S. 75. Patalong, »Unter Gottlosen«, in: URL http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/atheistengottlose-fordern-moralmonopol-der-kirche-heraus-a-835692.html, (21. 6. 2012). Die Zahlen nach Eicken/Schmitz-Veltlin, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder. NN, »Zahl der Kirchenaustritte steigt um 40 Prozent«, in: URL http://www.sueddeutsche.de/ politik/katholische-kirche-in-der-krise-zahl-der-kirchenaustritte-steigt-um-prozent-1.1081955, (21. 6. 2012). Vgl. Eicken/Schmitz-Veltlin, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder, S. 583 ff. Vgl. ebd., S. 579, 583. Vgl. Oehmen-Vieregge, Wandlungsprozesse. Hellemans, Transformation der Religion, S. 31. Greschat, Protestantismus und Evangelische Kirche, S. 545. Zitiert nach Hölscher, Wie »säkular« darf Kirche sein?, S. 43. Vgl. ebd., S. 47. Vgl. Piasecki, Religion in der Mediengesellschaft, S. 89. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 388. Vgl. ebd., S. 45. Augstein, »Jesus von Nazareth. Der Erwählte«, in: Der Spiegel Nr. 52, 1958. Vgl. Pesch/Stachel, Augsteins Jesus; Pesch/Stachel, Augsteins Jesus. Eine Dokumentation.

Anmerkungen zu S. 189–202

29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

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Vgl. Hannig/Städter, Die kommunizierte Krise, S. 164. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 390. Vgl. Ders./Städter, Die kommunizierte Krise, S. 165 f. Zum Begriff: Hodenberg, Die Journalisten; vgl. Hannig, Die Affäre Waltermann. Vgl. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 304. Zitiert nach Ders./Städter, Die kommunizierte Krise, S. 172. Ders., Die Religion der Öffentlichkeit, S. 180. Zitiert nach Ders./Städter, Die kommunizierte Krise, S. 168. Ders., »Wie hältst du’s mit der Religion?«, S. 184. Ellwood, The Sixties Spiritual Awakening. Vgl. Pasture, Religious Globalisation. Diese und weitere Belege finden sich ebd., S. 81 ff. Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit, S. 380. Vgl. Nipperdey, Religion im Umbruch, S. 143 ff. Barker, Neue religiöse Bewegungen, S. 337. Hero, Die neuen Formen, S. 16 f. Keleman, Dein Körper. Trevelyan/Rae, Eine Vision des Wassermannzeitalters. Eitler, »Alternative« Religion, S. 341. Knoblauch, Populäre Religion, S. 129. Gebhardt u. a., Die Selbstermächtigung. Vgl. Hero, Die neuen Formen, S. 13 f. Eine erste Erkundung auf einer spärlichen Datengrundlage bei Höllinger/Tripold, Ganzheitliches Leben, S. 223–266. Hero, Die neuen Formen, S. 206. Bourdieu/Egger, Das religiöse Feld, S. 245. Höllinger/Tripold, Ganzheitliches Leben, S. 268 f. Vgl. Pollack, Rückkehr des Religiösen?, S. 146 f. Vgl. Dubach, Religiositätsprofile, S. 515. Eitler, »Selbstheilung«, S. 171. Ziemann, The Gospel of Psychology. Vgl. Ziemann, Zwischen sozialer Bewegung. Graf, Die Wiederkehr der Götter, S. 259. Belege für diese Formulierungen und weitere Hinweise bei Höllinger/Tripold, Ganzheitliches Leben, S. 13 ff. Troeltsch, Die Soziallehren, S. 967. Vgl. Wohlrab-Sahr, Das stabile Drittel. Vgl. dazu und weiter ebd., S. 158. Pickel, Atheistischer Osten, S. 45. Vgl. ebd., S. 74. Vgl. Wohlrab-Sahr, Das stabile Drittel, S. 164. Vgl. ebd., S. 159. Vgl. Groschopp, Dissidenten; für Großbritannien Budd, Varieties of Unbelief. Vgl. Brown, The People of ›No Religion‹, S. 54. Vgl. Fincke, Woran glaubt, wer nicht glaubt?, S. 6. Bei der Darstellung der einzelnen Organisationen folge ich Fincke, Woran glaubt, wer nicht glaubt? Alle Zahlen repräsentieren den aktuellen Stand des Religionswissenschaftlichen Informationsdienstes REMID. REMID, Religionen & Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland: Mitgliederzahlen, in: URL http://www.remid.de/index.php?text=info_zahlen, (26. 7. 2012). Vgl. ebd. Vgl. Krech/Hero, Die Pluralisierung.

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Anmerkungen zu S. 202–218

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Gabriel, Die Kirchen in Westdeutschland. Beckford, Social Theory, S. 77. Pollack, Studie: »Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt«. Welt am Sonntag vom 8. Januar 2012, NRW S. 3. Vgl. Abdullah, Halbmond; Wokoeck, Wie lässt sich. Reuter, Religionen im Prozess von Migration, S. 383. Hanifzadeh, Islam; Reuter, Religionen im Prozess von Migration. In der anschließenden Skizze folge ich Reuter, Religionen im Prozess von Migration. Vgl. Beinhauer-Köhler, Moscheen in Deutschland, S. 25. Dieses Zitat und das folgende Reuter, Religionen im Prozess von Migration, S. 379. Vgl. dazu Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, S. 225 f. Vgl. Reuter, Religionen im Prozess von Migration. Zum Konzept der entkulturierten Religion vgl. Roy, Heilige Einfalt. Rath, Western Europe, S. 287: »In this sense, every society gets the brand of Islam it deserves.« Abdullah, Religion im Hinterhof. Zur Bedeutung der Mannheimer Moschee vgl. Kraft, Islamische Sakralarchitektur, S. 257, passim. Vgl. Frishman/Khan, The Mosque. Leggewie, Auf dem Weg zum Euro-Islam?, S. 22. Vgl. ders., Warum es Moscheebaukonflikte gibt, S. 118. Beinhauer-Köhler, Moscheen in Deutschland, S. 37. Vgl. ebd. Leggewie, Auf dem Weg zum Euro-Islam? Bielefeldt, Das Islambild, S. 22. Haug u. a., Muslimisches Leben, S. 173–181. Vgl. Aries, Islamische Kirchenlosigkeit. Reuter, Religionskulturen, S. 396. Leggewie, Auf dem Weg zum Euro-Islam?, S. 13. Vgl. Weber, Muslimische Gemeinschaften, S. 107. Roy, Heilige Einfalt, S. 257. Loschelder, Religiöse Unterweisung, S. 205. Stutz, Die päpstliche Diplomatie, S. 54. Vgl. Loschelder, Religiöse Unterweisung, S. 209. Hierzu und zum Folgenden: Pollack, Studie: »Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt«. Vgl. auch Leibold/Kummerer, Religiosität und Vorurteile. Pollack, Studie: »Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt«, S. 3. Ebd., S. 4. »Die Türken kommen – rette sich wer kann«, in: Der Spiegel Nr. 31, 1973. Vgl. Schönwälder, Einwanderung und ethnische Pluralität. Vgl. dazu sehr hellsichtig Tezcan, Das muslimische Subjekt. Vgl. Schiffauer, Religion und Identität. Tietze, Islamische Identitäten, S. 29. Vgl. Abdullah, Der Islam, S. 108. Mildenberger, Dialog der Religionen, S. 2; zitiert nach Mittmann, Säkularisierungsvorstellungen, S. 274. Vgl. ebd., S. 286. NN, Islamisches Glaubensfeuer, S. 491 f. Vöcking, Innerislamische Entwicklungen, S. 109. Vgl. Mittmann, Säkularisierungsvorstellungen, S. 280. Abdullah, Der Islam, S. 109. Eine Zusammenstellung bei Mittmann, Säkularisierungsvorstellungen, S. 281. Vgl. Bielefeldt, Das Islambild.

Anmerkungen zu S. 218–233

124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Vgl. die Skizze ebd. Kahlert, Wir, die unser Heil annehmen, S. 19. Bruce, Secularization, S. 50. Zahlen nach Zentralrat der Juden in Deutschland, Vorgeschichte; Herzig, Jüdische Leben, S. 62 ff. Maor, Der Wiederaufbau, S. 9. Zitiert nach Schoeps, Mein Weg, S. 237. Vgl. Richarz, Juden in der Bundesrepublik, S. 14. Vgl. die Skizze bei Müller, Zur Bedeutung von Religion, S. 52 ff. Vgl. Herzig, Jüdische Geschichte, S. 264. Mayer, »Als der Krieg zu Ende war. Wir haben uns zu rasch mit der Vergangenheit eingerichtet«, in: Die Zeit vom 1. 2. 1982. Zitiert nach Benz/Bergmann, Vorurteil und Völkermord, S. 402. Stern, »Ein freundlich aufgenähter Davidstern«, S. 732. Vgl. den einschlägigen Buchtitel Broder/Lang, Fremd im eigenen Land. Heenen-Wolff, Im Land der Täter, S. 85. Broder/Lang, Fremd im eigenen Land, S. 240 f. Hierzu und zum Folgenden Burgauer, Zwischen Erinnerung und Verdrängung, S. 51. Vgl. ebd., S. 54. Herzig, Jüdische Geschichte, S. 273. Vgl. Zentralrat der Juden in Deutschland, Judentum in der BRD. Vgl. Bodemann/Geis, Gedächtnistheater. Ebd., S. 41. Vgl. Müller, Zur Bedeutung von Religion, S. 83 f. Körber, Puschkin oder Thora, S. 250; vgl. auch Müller, Zur Bedeutung von Religion, S. 90. Zum Begriff vgl. Bodemann/Geis, Gedächtnistheater, S. 56–79. Vgl. hierzu und zum Folgenden Körber, Puschkin oder Thora. Ebd., S. 254. Volker Hasenauer, »Schritt für Schritt. Der Streit zwischen Zentralrat und Union entspannt sich«, in: Jüdische Allgemeine Zeitung vom 22. 7. 2004, S. 2. Bodemann, In den Wogen, S. 188. Zur Diskussion allgemein vgl. Müller, Zur Bedeutung von Religion, S. 101 f. Rendtorff u. a., Die Kirchen und das Judentum, S. 540–544. Zitiert nach Wolf, Papst und Teufel, S. 108. Evangelische Kirche in Deutschland, Kirchliches Jahrbuch 1950, S. 5 f. Rendtorff u. a., Die Kirchen und das Judentum, S. 605 ff. Vgl. zur Entwicklung Aring, Christen und Juden. Vgl. Damberg, Die Katholiken und die Juden. Hünermann, Die Dokumente, S. 355–362. Vgl. zuletzt Ockenfels, Das hohe C. Materialien der Enquete-Kommission, Bd. VI/1, S. 585. Vgl. Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 373–445. Wohlrab-Sahr u. a., Forcierte Säkularität, S. 117. Brown, The Death of Christian Britain. Harms, Beliefs About God. Zur Formulierung vgl. »Ostdeutsche sind größte Gott-Zweifler der Welt«, in: Die Welt vom 29. 4. 2012, in: URL http://www.welt.de/106201680, (28. 10. 2012). Vgl. dazu Hölscher/Bendikowski, Datenatlas. Schmidt-Lux, Labor omnia vincit, S. 405. Vgl. Maser, Die Kirchen in der DDR, S. 18. Helmberger, Blauhemd und Kugelkreuz, S. 237. Zitiert nach ebd., S. 237. Ebd., S. 238, 241.

289

290

Anmerkungen zu S. 233–247

170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216

Zitiert nach Pollack, Rückkehr des Religiösen?, S. 262. Vgl. ebd., S. 265. Pollack, Integration vor Entscheidung, S. 145 f. Pollack/Richter, Protestantische Theologie, S. 695. Hamel, Christ in der DDR. Vgl. Pollack/Richter, Protestantische Theologie, S. 705 ff. Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Kirche als Lerngemeinschaft, S. 172 f. Punge/Zander, Zum Gebrauch des Begriffes Kirche, S. 6. Goerner, Die Kirche als Problem, S. 1. Vgl. Maser, Die Kirchen in der DDR. Ebd., S. 149. Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 445. Maser, Die Kirchen in der DDR, S. 145. Pilvousek, »Innenansichten«. Alle Zahlen nach ebd., S. 1135 ff. Zitiert nach Haese, Katholische Kirche, S. 16. Vgl. Schäfer, Staat und katholische Kirche, S. 456. Vgl. Ehm, Die kleine Herde, S. 204. Grütz, Katholizismus in der DDR-Gesellschaft, S. 471. Vgl. Großbölting, Nachkonziliarer Katholizismus. Vgl. Friemel, »Nicht Bekämpfung«; zur Person und zur Theologie Aufderbecks vgl. Grütz, Katholizismus in der DDR-Gesellschaft, S. 107–121. Abgedruckt in Pilvousek, Kirchliches Leben, S. 237–250, 237. Kösters, Sozialistische Gesellschaft, S. 138. Vgl. Pilvousek, Katholizismus und katholische Kirche. Vgl. Damberg/Hellemans, Wie sich Kirche verändert. Vgl. Schulte-Umberg, Profession und Charisma. Dazu und zu den folgenden Zitaten Keller, Priesterliche Heiligkeit. Ebd., 61. Vgl. Janz, Bürger besonderer Art. Owetschkin, Die Suche, S. 319. Vgl. Janz, Das Pfarrhaus, S. 236. Vgl. Lehmann, Bleibendes und Wandelbares. Schmidtchen, Priester in Deutschland, S. XII. Vgl. Bertsch, Gemeinsame Synode, S. 597–603, 600. Zitiert nach Owetschkin, Zeuge – Berater – Krisenagent, S. 41. Vgl. Städter, Visuelle Deutungen, S. 107 f. Vgl. ders., Verwandelte Blicke. Vgl. Großbölting, »Wie ist Christsein heute möglich?«, S. 99–101. Roegele, Krise oder Wachstum?, S. 101. »Priester-Werbung«, in: Der Spiegel Nr. 39, 1965, S. 18. Hemmerle/Weber, Der priesterliche Dienst, S. 8. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Zeitreihe: Priesterweihen 1962–2010. Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg, »EKD-Experte: Kein unbewältigbarer Pfarrermangel zu erwarten«. Ein aktueller Debattenbeitrag zur Rolle des evangelischen Pfarrers bei Graf, Kirchendämmerung, S. 50–69. Vgl. Siefer, Sterben die Priester aus? Drewermann, Kleriker. Vgl. Frerk, Caritas und Diakonie, S. 21–44.

Anmerkungen zu S. 247–265

217 Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 186. Vgl. auch ders., Caritas und Sozialstaat. 218 Kaminsky/Henkelmann, Die Beratungsarbeit, S. 90. 219 Vgl. Henkelmann/Kunter, Diakonie und Caritas. 220 Vgl. Ziemann, Zwischen sozialer Bewegung, S. 389 und Anmerkung 133. 221 Ebd., S. 390. 222 Hellemans, Das Zeitalter, S. 178. 223 Brüggler, »Problem liegt beim Papst«, in: URL http://www.news.at/a/niki-lauda-problempapst-324010, (14. 9. 2012); »Eintritt in die Kirche, aber kein Glaube an ein Leben nach dem Tod«, in: URL: http://www.kath.net/detail.php?id=35972, (14. 9. 2012). 224 Hunt, Religion and Everyday Life, S. 95. 225 Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom, S. 10. 226 Vgl. als soziologische Skizze Reckwitz, Das hybride Subjekt, S. 441–630. 227 Wolfe, »The ›Me‹ Decade and the Third Great Awakening«, in: URL http://nymag.com/news/ features/45938/, (19. 9. 2012). 228 Vgl. Noelle-Neumann, Werden wir alle Proletarier? 229 Vgl. Rödder, Vom Materialismus zum Postmaterialismus. 230 Luckmann, Die unsichtbare Religion, S. 141. 231 Vgl. Wohlrab-Sahr u. a., Forcierte Säkularität, S. 331. 232 Vgl. Dies., Forcierte Säkularität oder Logiken der Aneignung. 233 Pollack/Müller, Die religiöse Entwicklung, S. 143. 234 Vgl. Neubert, »Gründlich ausgetrieben«. 235 Vgl. Pollack, Säkularisierung, S. 149–182. 236 Vgl. Mittmann, »Christliche Identität«, S. 156. 237 Vgl. ebd. 238 Zitiert nach ebd., S. 161. 239 Zitiert nach ebd., S. 167. 240 Ebd., S. 168.

Gott in Deutschland – Rückblick und Ausblick 1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. Die Zahlen nach Graf, Der eine Gott, S. 4. Vgl. Toft u. a., God’s Century. Vgl. Davie, Europe: The Exceptional Case. Vgl. Brown, The Death of Christian Britain. Aus einer intellektuellen Perspektive betrachtet ist Hans Joas ohne weiteres zuzustimmen, dass die Sexualmoral keine intellektuelle Herausforderung für die christliche Lehre ist und dass die Kirchen zu diesem Thema »alle ihre Sätze aus dem Liebesethos gewinnen« muss. Joas, Glaube als Option, S. 215 f. Damit wird aber meines Erachtens die lebensweltliche Sprengkraft unterschätzt, die dieses Themenfeld entwickelt hat. Vgl. grundlegend Giddens, Modernity and Self-Identity. Taylor, Ein säkulares Zeitalter, S. 15. Vgl. Taylor, The Ethics of Authenticity; Saupe, Authentizität. Rupp, Schulgottesdienste, S. 157. Vgl. Hellemans, Transformation der Religion, S. 190. Boenke, »Seehofer schweigt sich über verbotene Kommunion aus«, in: Die Welt vom 16. August 2012, in: URL http://www.welt.de/108648500, (16. 10. 2012). »Die Abrechnung des Kardinal Carlo Martini«, in: URL http://www.spiegel.de/panorama/kardinalcarlo-martini-rechnete-im-letzten-interview-mit-kirche-ab-a-853395.html, (21. 10. 2012). Rat der EKD, Kirche der Freiheit.

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Anmerkungen zu S. 266–270

15 Eine Skizze jüngerer innerprotestantischer Debatten bei Graf, Kirchendämmerung. 16 Gabriel, Die Kirchen in Westdeutschland, S. 121. 17 Papst Benedikt XVI., »Die Entweltlichung der Kirche«, in: URL http://www.faz.net/aktuell/politik/ inland/2.2294/papst-benedikt-xvi-die-entweltlichung-der-kirche-11370087.html, (8. 11. 2012). 18 Eine Skizze der innerkirchlichen Diskussion bei Erbacher, Entweltlichung der Kirche? 19 In Anlehnung an Habermas, Glaube und Wissen, S. 10.

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Dank

Den unmittelbaren Anstoß zu diesem Buch gaben der Wechsel an die Universität Münster und die Mitarbeit im dortigen Exzellenzcluster »Religion und Politik«. Ohne die produktive Diskussionsatmosphäre unter den Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Disziplinen wie auch ohne die Freistellung vom Lehrbetrieb, die mir zeitweise möglich war, hätte es nicht geschrieben werden können. Aus dem Team des Lehrstuhls Neuere und Neueste Geschichte haben mich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Erstellung des Buches unterstützt: Die ersten inhaltlichen Schritte hat Nicolai Hannig mit mir diskutiert, organisatorisch hat Claudia Knigge den Anfang begleitet. In wechselnder Besetzung haben die »Himmel«-Hilfskräfte geholfen. Fabian Behre, Malte Berndt, Benedikt Brunner, Julia Bühner, Matthias Friedmann, Manuela Knopik, Bianka Litschke, Laura Maring, Svenja Schnepel und Annette Wiesmann haben Literatur recherchiert, Bücher besorgt, Kopien angefertigt und Korrektur gelesen. Zusammen mit den weiteren Kolleginnen und Kollegen des Arbeitsbereichs hat Alexia Ibrahim mit ihrer ebenso ruhigen wie umsichtigen Art dafür gesorgt, dass der Lehrstuhlbetrieb weiterlief. Besonderen Dank schulde ich Helene und Markus Goldbeck, die mich in großartiger Weise begleitet haben. Sie haben den Text mehrmals Korrektur gelesen und bei der Einrichtung des Anmerkungsapparats geholfen. Ihr Mitdenken und ihre kritischen Fragen waren mir intellektuelles Vergnügen und Herausforderung zugleich. Dass alle dennoch verbliebenen Fehler und Schwächen zu meinen Lasten gehen, versteht sich von selbst. Martina Kayser, die Cheflektorin des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht, hat sich des Projekts von Beginn in besonderer Weise angenommen. Sie hat nicht nur den Text sorgsam und mit viel Einfühlungsvermögen gegengelesen, sondern auch beharrlich darauf gedrängt, dass es weiter geht.  Gewidmet ist dieses Buch meinen akademischen Lehrern Arnold Angenendt und Hans-Ulrich Thamer, die auf ganz unterschiedliche, aber letztlich doch kongeniale Weise mein Interesse an der Geschichte des religiösen Lebens geprägt haben. Münster, im November 2012

Register Personenregister Adenauer, Konrad 17, 19, 26, 29, 38, 43, 55 ff., 59–66, 69 f., 93, 106, 121, 128, 221, 260 Albertz, Heinrich 67 Arndt, Adolf 68 Arndt, Claus 135 Aufderbeck, Hugo (Bischof) 241 Augstein, Rudolf 188, 190 Baader, Dietmar 157 Baeck, Leo 220 Barth, Karl 48, 79 f. Bartsch, Hans-Werner 144 Barzel, Rainer 85 Bäumer, Rudolf 145 Beck, Ulrich 104, 119 Beckmann, Joachim 174 Benedikt XVI. (Papst) 161, 228, 265, 268 f. Bengsch, Alfred (Bischof) 239–241 Berger, Peter 262 Berger, Senta 132 Bergmann, Gerhard 164 Birthler, Marianne 230 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 130 Böckle, Franz 130 Boff, Leonardo 175 Böhler, Wilhelm 46, 60 f. Böll, Heinrich 173 Bonhoeffer, Dietrich 24, 46 ff., 81, 172 Boos-Nünning, Ursula 99 Bordieu, Pierre 196 Bornkamm, Heinrich 57 Boventer, Hermann 41 Brandt, Willy 68, 120, 124, 128 f., 260 Braun, Herbert 145 Brecht, Berthold 143 Breinfeld, Klaus 107 Brown, Callum 230, 259 Bruce, Steve 219 Bucerius, Gerd 189 Bultmann, Rudolf 144 f., 147, 172 Burgauer, Erica 222 Camara, Helder 175 Carl, Heidi 40 Chirac, Jaques 143 Cornehl, Peter 173 Damberg, Wilhelm 157

David, Jakob 148 f. Davie, Grace 15 Dehler, Thomas 57, 67 Denzler, Georg 118 Dibelius, Otto 81 Dietzfelbinger, Hermann 132, 134 f. Dirks, Walter 17, 65, 68 Döpfner, Julius (Kardinal) 56, 128, 134 f. Drenkmann, Günter von 141 Drewermann, Eugen 247 Dutschke, Rudi 138 Dylan, Bob 95 Ebertz, Michael 12, 34, 156, 170 Edgell, Penny 119 Ehler, Johanna 106 Ehlers, Hermann 63 Ellwein, Thomas 57 Ellwood, Robert 192 Elsner, Franz-Maria 110 Eppelmann, Rainer 230, 238 Eppler, Erhard 68 Erhard, Ludwig 95, 120 Farthmann, Friedhelm 68 Faulhaber, Michael (Kardinal) 31 Feiereis, Konrad 229 Filbinger, Hans 223 Fischer, Erwin 123 Friedeburg, Ludwig von 38 f. Frings, Joseph (Kardinal) 31, 46, 53, 60 ff., 74, 114, 174 Fuchs, Ernst 145 Fürstenberg, Franz von (Generalvikar) 243 Gabriel, Karl 96, 248, 267 Gagnebet, Rosario 111 Galen, Clemens August von (Bischof) 22 f., 25, 60 Galinski, Heinz 223 Galli, Mario von 137 Gamillscheg, Felix 157 Gauck, Joachim 11, 66, 230 Gaulle, Charles de 143 Geschke, Günter 163 Giddens, Anthony 261 Goebbels, Joseph 36 Gogarten, Friedrich 187 Gogh, Theo van 214

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Register

Gollwitzer, Helmut 173 Graf, Friedrich Wilhelm 15, 72, 198 Graham, Billy 145 Graumann, Dieter 224 Greeley, Andrew M. 42 Greschat, Martin 96 Gross, Peter 104 Grossmann, Thomas 163 Grün, Anselm 11 Gründel, Johannes 42, 112 Gundlach, Gustav 22 Habermas, Jürgen 183, 226 Hahn, Wilhelm 63 Halsband, Elmar 139 Hamel, Johannes 236 Hannig, Nicolai 188 Häring, Bernhard 36 Harrison, George 192 Hauschild, Wolf-Dieter 53, 137, 143 Havemann, Robert 238 Hegel, Georg Friedrich 172 Heinemann, Gustav 55, 58, 65, 68, 70, 128 Hengsbach, Franz (Bischof) 110, 112 Hertel, Peter 108 Hitler, Adolf 24, 45, 47, 77, 85, 222 Hobsbawn, Eric 96 Hockerts, Hans Günter 14 Höffner, Joseph (Kardinal) 132 Hundhammer, Aloys 123 Hunt, Stephen 251 Iwand, Hans-Joachim 67, 80 Jedin, Hubert 156 Johannes XXIII. (Papst) 90, 114, 148, 151 Kamphaus, Franz (Bischof) 157 Käsemann, Ernst 145 Käßmann, Margot 11 Kath, Hans 106 Keil, Siegfried 115 Keleman, Stanley 194 Keller, Michael (Bischof) 61 f., 68, 243 f. Khomeini, Ruhollah Musavi (Ajatollah) 213 Kierkegaard, Søren 172 Klein, Günther 143, 145 Klemperer, Viktor 81 Klens, Hermann 88 Knell, Elisabeth 108 Knoblauch, Hubert 196 Knobloch, Charlotte 224 Kogon, Eugen 68 Kohl, Helmut 130, 143

Kornatzki, Jürgen von 189 Kraemer, Konrad W. 101 Kraft-Sullivan, Gloria 222 Krone, Heinrich 43 Küng, Hans 109, 190 Künneth, Walter 48, 75, 145, 164 Kunst, Hermann 133 Lang, Klaus 140 Lauda, Andreas Nikolaus (Niki) 250 f. Lawetzki, Romanus 140 Leber, Georg 69, 107, 128 Lefebvre, Marcel 158 Leggewie, Claus 210, 212 Lehmann, Karl (Kardinal) 227, 245 Lemmer, Ernst 127 Lennon, John 192 Lilje, Hans (Bischof) 57 Lorey, Elmar Maria 101 Löwenstein, Karl Fürst zu 162 Luchtenberg, Paul 67 Luckmann, Thomas 252 f. Lüdecke, Norbert 111 Luther, Martin 46, 138, 154, 266 Martini, Carlo Maria (Kardinal) 265 Marx, Karl 261 Marxsen, Willi 145 Maser, Peter 238 Mayer, Hans 221 McKinsey, Alfred Charles 38 McLeod, Hugh 93, 97 Meckel, Markus 230 Meins, Holger 141 Meiser, Hans (Bischof) 24 Meisner, Joachim (Bischof) 240 Mellies, Wilhelm 68 Merkel, Angela 66 Merten, Hans 68 Merz, Georg 24 Metz, Johann Baptist 173, 227 Metzger, Ludwig 68 Mitscherlich, Alexander 123 Mittmann, Thomas 217 Moltmann, Jürgen 173, 227 Moon, Sun Myung 192 Mosebach, Martin 155 Müller, Eberhard 166 Müller, Ludwig (Bischof) 24, 47 Müller, Manfred 88 Münster, Clemens 30 Nachmann, Werner 223 Nannen, Henri 189

Personenregister

Nell-Breuning, Oswald von 128 Nellessen, Bernd 89 Niemöller, Martin 24, 47, 49, 70, 78 f., 128 f. Nietzsche, Friedrich 172 Nipperdey, Thomas 13, 104 Nolte, Ernst 226 Ohnesorg, Benno 138 Overbeck, Franz Josef (Bischof) 204 Pahlavi, Mohammed Reza (Schah) 137, 213, 218 Pasture, Patrick 176 Paul VI. (Papst) 69, 108, 110–115, 150 Pesch, Otto Hermann 150, 152 Picht, Georg 126 Pickel, Gert 184 Pius IX. (Papst) 151 Pius X. (Papst) 157, 244 Pius XII. (Papst) 45, 76, 90 Pollack, Detlev 196, 213, 238 Rahner, Karl 156, 169 Rau, Johannes 68 Reuss, Josef Maria (Bischof) 114 Riehl-Heyse, Herbert 105, 107 Robinson, John (Bischof) 172 f. Rölli-Alkemper, Lukas 39 Romero, Oscar 175 Roth, Heinrich 86 f. Roy, Oliver de 206 Rushdie, Salman 213 Sack, Fritz 123 Schäfer, Rütger 125 Scharf, Kurt 128 Scherffig, Wolfgang 80 Schily, Otto 123 Schlink, Edmund 75 Schmidt, Helmut 124, 130 Schmidt, Otto 64 Schmidtchen, Gerhard 98 f., 245 Schmitt-Vockhausen, Hermann 128 f. Schmude, Jürgen 68 Schneider, Romy 132 Schreuder, Osmund 39 Schroer, Hans 112 Schueler, Hans 134 Schuessler-Fiorenza, Elisabeth 227 Schulze, Gerhard 104 Schumacher, Kurt 57 Schwarzer, Alice 131 Schwinn, Wilhelm 56 Seeber, David 160 Seehofer, Horst 265

Seibel, Wolfgang 126 Shannon, James Patrick 112 Sigusch, Volkmar 115 Sinjen, Sabine 132 Smend, Rudolf 54 Sölle, Dorothee 143, 169, 172 ff. Springer, Axel 190 Spülbeck, Otto (Bischof) 239 Stange, Erich 88 Steltzer, Theodor 65 Stimpfle, Josef (Bischof) 118 Stöhr, Martin 167 Strate, Katharina 107 Sturm, Vilma 173 Szczesny, Gerhard 123 Taylor, Charles 261 Tenhumberg, Heinrich (Bischof) 157 Teufel, Fritz 138 Thadden-Trieglaff, Reinold von 161 Thatcher, Margaret 143 Thielicke, Helmut 48, 81 Tillich, Paul 169, 172 Trevelyan, George 194 Troeltsch, Ernst 198 Ulbricht, Walter 234 Vogel, Bernhard 110 Walser, Martin 226 Waltermann, Reinhold 142 Wanke, Joachim (Bischof) 241 Warburg, Aby 209 Waterstein, Isaac 222 Weber, Herrmann 212 Weber, Max 198, 259 Wehner, Herbert 68, 107 Weltsch, Robert 220 Welty, Eberhard 68 Wessel, Helene 68 Wilkens, Erwin 136 Willamson, Richard 228 Wilm, Ernst 128 Wohlrab-Sahr, Monika 253 Wolf, Notker 11 Wolfe, Tom 103, 252 Wolker, Ludwig 88 Würmeling, Franz-Josef 61 Wurm, Theophil (Bischof) 49, 51, 78 Yogi, Maharishi Mahesh 192 Zahrnt, Heinz 132, 136, 164

319

320

Register

Zeiger, Ivo 31 Ziemann, Benjamin 250

Zillessen, Horst 134 Zollitsch, Robert (Bischof) 269

Ortsregister Aachen 204, 208, 247 Altötting 105 Augsburg 118, 166 Auschwitz 172, 226 Bad Boll 166, 255 Bamberg 73, 118, 126, 163 Berlin 70, 95, 127 f., 137–141, 166, 182, 204 f., 215, 218, 223, 227, 238 ff. Bielefeld 141 Bochum 140, 166 Bonn 54, 122, 140, 182, 268 Bottrop 195 Breitbrunn am Ammersee 118 Burgebach 73 Celle 246 Donaueschingen 157 Dortmund 89, 143 ff., 162, 166 Dresden 241 Düsseldorf 146, 164 Eisenach 82 Erfurt 238, 241 Erlangen 75 Espelkamp 125 Essen 33, 42, 108, 110, 112 f., 137, 159, 163, 173, 203, 247 Frankfurt a. M. 65, 85, 95, 129, 140 f. Freiburg i.Br. 129, 140, 157 Fulda 46 Garmisch-Partenkirchen 222 Göttingen 67, 80, 139 f. Hamburg 140 f., 166, 204 f., 208, 269 Hannover 162 f., 165 Heidelberg 226 Heiligenstadt 241 Isenstedt-Frotheim 88 Karlsruhe 131 Köln 31, 46, 53 f., 60 ff., 74, 85, 114, 132, 143, 161 f., 174, 205, 208, 220, 239

Leipzig 161, 238 Limburg 54, 157, 250 Lingen 166 Liverpool 192 Los Angeles 258 Mailand 265 Mainz 31, 114, 164 Manila 164 Mannheim 208 Marburg 115 Medina 208 Meißen 239 Mekka 208 München 27, 34, 53 f., 95, 101, 107, 204, 208 Münster 22 f., 25, 60, 62, 86 ff., 140 ff., 148, 157, 166, 203, 213, 243, 247 Nürnberg 166 Ochsenfurt 56 Paderborn 166, 247 Paris 95, 143, 164 Pforzheim 208 Potsdam 226 Quickborn 139 Rom 24, 151, 153, 156, 194, 248 Santo Domingo 174 Sonneberg 234 Stuttgart 77 f., 162 f. Treysa 49, 82 Trier 166 Tübingen 190 Washington 24 Wertheim am Main 209 Wittenberg 266 Würzburg 24, 159 f., 245 Wuppertal 64