Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren: Die Unerreichbarkeit des Zeugen gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung. Geschichtliche Untersuchung und aktuelle Problemstellung einschließlich der V-Mann-Problematik [1 ed.] 9783428470730, 9783428070732

In neuerer Zeit hat sich der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz in zahlreichen Entscheidungen mit der Frage der Rech

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Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren: Die Unerreichbarkeit des Zeugen gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung. Geschichtliche Untersuchung und aktuelle Problemstellung einschließlich der V-Mann-Problematik [1 ed.]
 9783428470730, 9783428070732

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PAUL HOFFMANN

Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren

Schriften zum Strafrecht Heft 88

Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren Die Unerreichbarkeit des Zeugen gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung. Geschichtliche Untersuchung und aktuelle Problemstellung einschließlich der V-Mann-Problematik

Von Paul Hoffmann

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hoffmann, Paul: Der unerreichbare Zeuge im Strafverfahren: die Unerreichbarkeit des Zeugen gemäss § 244 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozessordnung; geschichtliche Untersuchung und aktuelle Problemstellung einschliesslich der V-Mann-Problematik / von Paul Hoffmann. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Strafrecht; H. 88) Zugt.: Göttingen, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-428-07073-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-07073-9

Vorwort Die Arbeit wurde im Dezember 1986 von der Juristischen Fakultät der GeorgAugust-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Neuere Rechtsprechung und Literatur wurde bis zur Drucklegung berücksichtigt. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Manfred Maiwald, der das Thema anregte und die Fertigstellung der Arbeit durch kritische Durchsicht des Manuskripts und mit vielfältigen eigenen Anregungen begleitete, ohne dem Verfasser den notwendigen Freiraum bei der Beschäftigung mit diesem Problemkreis zu nehmen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Fritz Loos, der dankenswerterweise die Zweitkorrektur der Arbeit übernahm und wertvolle Anregungen gab. Nicht zuletzt gilt mein herzlicher Dank meinen Eltern und meiner Ehefrau für die in jeglicher Hinsicht geleistete Unterstützung. Schließlich bin ich dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zum Strafrecht zu Dank verpflichtet. Rheda-Wiedenbrück, im März 1990 Paul Hoffmann

Meinen Eltern

Inhaltsverzeichnis 17

Einleitung

1. Teil Begriffsbestimmung

1. Abschnitt: Der Begriff des Beweisantrags .................................

19

1. Problemstellung ................................................

19

11. Die Begriffsdefinition des Beweisantrags und ihre einzelnen Komponenten ........................................................

20

Die Definition ..............................................

20

1.

2. Die Komponenten des Beweisantrags

..........................

20

a) Die Behauptung bestimmter Beweistatsachen ................

21

b) Die Benennung bestimmter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeugenbeweis ...................................... bb) Urkundenbeweis ....................................

22 23 25

2. Abschnitt: Das Verhältnis von Beweisantragsrecht und Autldärungspflicht

27

2. Teil Die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelung

1. Abschnitt: Von der Constitutio Criminalis Carolina bis zur Reichsstrafprozeßordnung 1877 ......................................................

29

1. Die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) .........................

29

11. Die Zeit der Hexenverfolgung - Cautio Criminalis

31

III. Die preußische Kriminalordnung von 1805

33

IV. Die vorbildliche Entwicklung im französischen Strafverfahrensrecht

34

V. Die Reform des Strafverfahrens in den deutschen Staaten ............

36

VI. Die Regelungen über das Beweisantragsrecht und die Ablehnbarkeit von Beweisanträgen in der deutschen Partikulargesetzgebung vor Erlaß der RStPO 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

37

1.

Hessen-Nassau

37

Inhaltsverzeichnis

10 2. Kurhessen

38

3. Bayern

39

4. Preußen

40

5. Württemberg, Braunschweig, Sachsen, Hannover, Baden

42

6. Zusammenfassung

44

VII. Die gesetzliche Regelung in der Reichsstrafprozeßordnung 1877 und ihre Entstehungsgeschichte ..........................................

44

1. Die gesetzliche Regelung .....................................

44

2. Die Entstehungsgeschichte

46

a) Die Initiative des Gesetzgebers b) Der erste Entwurf (EI)

.......................... . .

46

...................................

46

. . . . . . . . . . . . . . ..

47

d) Die Überarbeitung durch die Reichsjustizkommission .........

c) Der zweite und dritte Entwurf (E 11 u. E III)

49

VIII. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen .........................

51

2. Abschnitt: Von der Reichsstrafprozeßordnung 1877 bis zum Ende des 2. Weltkrieges Die Ausgestaltung des Beweisantragsrechts und die Entwicklung des Ablehnungsgrundes der Unerreichbarkeit des Beweismittels in Gesetz, Rechtsprechung und Literatur .................................

54

I. Die Entwicklung bis zur Notverordnung vom 14.6.1932 ..............

54

1.

Gesetzgeberische Initiativen

..................................

a) Die Entwicklung bis zum Entwurf 1895

.....................

b) Die Entwicklung bis zum Entwurf 1919

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Die Entwicklung bis zur Notverordnung vom 14.6.1932

54 54 55 56

2. Die Ausgestaltung des Beweisantragsrechts durch das Reichsgericht und die ältere Literatur - Die Entwicklung der Ablehnungsgründe ..

59

a) Die Arbeit des Reichsgerichts ............................. aa) Die Entwicklung der Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Anfänge der AufkIärungsrüge .....................

59 59 62

b) Der Einfluß der älteren Literatur ...........................

63

11. Die Zeit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bis zum Ende des 2. Weltkrieges ..............................................

66

1.

Gesetzgeberische Initiativen

..................................

66

a) Die Verordnung über die Bildung von Sondergerichten vom 3l. März 1933 ..............................................

66

b) Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften des Strafverfahrens und des GVG vom 28. Juni 1935 ...............................

66

Inhaltsverzeichnis

11

c) Die Maßnahmenverordnung vom 1. September 1939 und die Vereinfachungsverordnung vom 13. August 1942 ...................

68

Die Stellungnahme des Reichsgerichts zum Abbau des Beweisantragsrechts durch das nationalsozialistische Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

a) Der Einfluß des § 24 der Maßnahmenverordnung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts .................................

69

b) Die Weiterentwicklung der Aufklärungsrüge durch das Reichsgericht .................................................

70

Die Rolle der Literatur beim Abbau des Beweisantragsrechts in der NSZeit .......................................................

70

III. Die Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung speziell des Ablehnungsgrundes der Unerreichbarkeit bis zum Ende des 2. Weltkrieges in Rechtsprechung und Literatur .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

2.

3.

Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

72

2. Die Behandlung in der älteren Literatur

75

1.

IV. Die gesetzliche Regelung durch das Rechtsvereinheitlichungsgesetz vom 12. September 1950 .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

V. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen .........................

77

3. Teil Die Unerreichbarkeit des Beweismittels nach gegenwärtigem Recht 1. Abschnitt: Die Einordnung des Ablehnungsgrundes der Unerreichbarkeit in das Normengeftige der Strafprozeßordnung .............................

I. Einordnung in § 244

81 81

11. Zusammenhang zwischen § 244 Abs. 3 Satz 25. Alt. und den §§ 223 und 251

83

2. Abschnitt: Grundsätzliche Voraussetzungen der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels .......................

87

I. Vorliegen eines Beweisantrags ....................................

87

Der Unterschied zwischen Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht ......................................................

87

a) Theorie der Identität von Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht ...............................................

88

b) Stellungnahme

..........................................

88

11. Die allgemeinen Gründe der Unerreichbarkeit - Versuch einer dogmatischen Differenzierung ...........................................

92

Die bisherige Einteilung in tatsächliche und rechtliche Unerreichbarkeit .......................................................

92

1.

1.

12

Inhaltsverzeichnis 2. Eigener Ansatz - Objektive und subjektive Unerreichbarkeit

3. Abschnitt: Die Unerreichbarkeit des Zeugen I. Der Zeuge als dominierendes Beweismittel in der Praxis

95 97

.............

11. Vorprüfung durch das Gericht

97 97

1.

Stellung eines Beweisantrags

97

2.

Das Nichtvorliegen anderer Ablehnungsgründe ..................

97

III. Die Fälle der objektiven Unerreichbarkeit des Zeugen

...............

99

1. In der Person des Zeugen liegende und von ihm selbst nicht zu beseitigende Hindernisse ..........................................

99

a) Tod, Verschollenheit, Geisteskrankheit, § 251 Abs. 1 Nr. 1 1. u. 2. Variante ................................................

99

b) Krankheit und Gebrechlichkeit für längere oder ungewisse Zeit 100 aa) Unmöglichkeit des Erscheinens wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit ..................................... 100 bb) Die ungewisse Dauer ................................ 102 c) Die Unerreichbarkeit bei Möglichkeit der kommissarischen Vernehmung .................................................. 102 2. Andere nicht zu beseitigende Hindernisse, die dem Erscheinen des Zeugen bei bekanntem Aufenthalt entgegenstehen, §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 223 Abs. 1 ..................................................... 103 a) Inländische Zeugen ...................................... 104 aa) Unerreichbarkeit bei Berufung des Zeugen auf das Zeugnisverweigerungsrecht .................................. 104 bb) Die Unerreichbarkeit bei Verweigerung der Aussagegenehmigung .............................................. 106 cc) Unerreichbarkeit mangels Möglichkeit, das Erscheinen zu erzwingen 107 b) Im Ausland befindliche Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Allgemeine Voraussetzung der Ablehnung wegen Unerreichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Die Unerreichbarkeit bei Aufenthalt des Zeugen in Vertragsstaaten des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (a) Ladung zur Hauptverhandlung .................... (b) Entbehrlichkeit der Ladung ....................... (c) Die Ausgestaltung der Ladung nach dem Europäischen Rechtshilfeübereinkommen ....................... (aa) Die Unzulässigkeit von Zwangsandrohungen Art. 8 EuRHiÜbK ......................... (bb) Hinweis auf die Zeugenentschädigung - Art. 9 EuRHiÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

107 107 109 109 111 112 112 113

Inhaltsverzeichnis (cc) Aufforderung des ersuchten Staates an den Zeugen zu erscheinen - Art. 10 EuRHiÜbK .......... (dd) Die ÜbersteIlung eines Häftlings als Zeuge gern. Art. 11 EuRHiÜbk ......................... (ee) Der Hinweis auf das freie Geleit gern. Art. 12 Abs. 1 und 3 EuRHiÜbK ......................... cc) Die Unerreichbarkeit bei bekanntem Aufenthalt des Zeugen im sonstigen Ausland im Rechtshilfeverkehr auf vertraglicher und vertragsloser Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (a) Zustellung einer Ladung ......................... (b) Die Zusicherung freien Geleits ........ . . . . . ....... c) Zeugen aus der DDR .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Die Auswirkungen des Grundlagenvertrages ............ bb) Unerreichbarkeit bei Ablehnung der Weiterleitung des Rechtshilfeersuchens durch Behörden der Bundesrepublik .. cc) Unerreichbarkeit des Zeugen bei der Gefahr rechtsstaatlicher Verfolgung .........................................

13 113 115 116 118 118 120 123 123 124 126

3. Die Behandlung des Beweisantrags bei "vorübergehender" Unerreichbarkeit des Zeugen, dessen Aufenthalt bekannt ist ............... 127 a) Die von der Rechtsprechung zugrunde gelegte Zeitspanne ..... 127 b) Einräumung eines Ermessensspielraums .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Das Kriterium der Schwere des Tatvorwurfs ............ bb) Die Bedeutung des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Die Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes

128 129 129 130

c) Die Notwendigkeit einer Begrenzung der "vorübergehenden" Unerreichbarkeit ............................................. 131 4. Die Unerreichbarkeit des behördlich geheimgehaltenen V-Mannes .. 132 a) Problemstellung ......................................... 132 b) Der Begriff des V-Mannes, seine Einsatzgebiete und sein Vorgehen .................................................. aa) Der Begriff des V-Mannes ...................... . ..... bb) Die Einsatzgebiete des V-Mannes ..................... cc) Das Vorgehen des V-Mannes ......................... c) Voraussetzungen für die Unerreichbarkeit des behördlich geheimgehaltenen V-Mannes .................................... aa) Zulässigkeit und rechtliche Grundlagen der Abschottung des V-Mannes durch die Behörden ........................ (a) Die Verweigerung der Aussagegenehmigung ........ (b) Die Rechtsgrundlage für die Nichtbekanntgabe des Namens und der ladungsfahigen Anschrift des VMannes ....................................... (c) Die Weigerungsgründe des § 96 ...................

133 133 135 136 137 137 137 138 140

14

Inhaltsverzeichnis (d) Weitere Weigerungsgründe - Gefährdung des Zeugen und Vertraulichkeitszusage ....................... (e) Die Entscheidungskompetenz bei der Auskunftsverweigerung (f) Der Zeitpunkt der Entscheidung der obersten Dienstbehörde ......................................... (g) Anforderungen an die Begründung der Sperrerklärung der obersten Dienstbehörde ...................... bb) Der Rechtsweg gegen die Sperrerklärung ...... . . . . . . . .. (a) Der Verwaltungsrechtsweg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (b) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Die Behandlung des Beweisantrags bei rechtswidriger Verweigerung der Auskunft über die Identität des V-Mannes .... (a) Die Gründe der Rechtswidrigkeit .................. (b) Die Reaktionen des erkennenden Gerichts .......... (aa) Die Erhebung von Gegenvorstellungen (bb) Abwarten des Justizverwaltungsverfahrens ..... (cc) Beschlagnahme der Akten (c) Die Behandlung des Beweisantrags dd) Die Behandlung des Beweisantrags bei rechtmäßiger Sperrerklärung .......................................... d) Die Rechtsfolge der Unerreichbarkeit des behördlich geheimgehaltenen V-Mannes aus der Sicht der Rechtsprechung . . . . . . .. aa) Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.5.1981 bb) Die vorläufige Bewertung des Beschlusses .............. cc) Der Beschluß des großen Senats für Strafsachen vom 17.10.1983 ......................................... dd) Analyse der Entscheidung des Großen Senats ........... ee) Die Auswirkungen des Beschlusses des Großen Senats auf die neuere Rechtsprechung .............................. (a) Die Entscheidungen des 5. Strafsenats vom 20.12.1983 und 16.4. 1985 ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (b) Das Urteil des 3. Strafsenats vom 14.11. 84 .......... (c) Das Urteil des 2. Strafsenats vom 5.12.1984 ......... (d) Das Urteil des 5. Strafsenats vom 16.4.1985 ......... (e) Der Beschluß des 5. Strafsenats vom 21. 3.1989 ...... G) Das Urteil des 2. Strafsenats vom 31. 3.1989 ......... e) Die Notwendigkeit einer Kurskorrektur der Rechtsprechung aa) Die heute noch zu lösenden Probleme ................. bb) Die "Fernwirkung" des Lösungsansatzes des Großen Senats (a) Verbot des Ausschlusses der Verteidigung bei der polizeilichen Vernehmung .............................

141 143 145 146 147 148 149 149 151 151 152 152 152 153 155 157 158 162 165 167 169 173 173 174 177 178 179 179 182 182 183 183

15

Inhaltsverzeichnis (b) Die Pflicht zur Namensnennung des V-Mannes gern. §68 bei der polizeilichen Vernehmung ................. (c) Die Konsequenz der gefundenen Lösung ........... cc) Die Lösungsansätze der Literatur und ihre Berechtigung (a) Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens .... (aa) Die Zweifelhaftigkeit des § 261 als taugliches Regulativ ................................. (bb) Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . .. (cc) Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 d der Menschenrechtskonvention (MRK) ............... (b) Rechtsrnißbrauch wegen widersprüchlichen Verhaltens dd) Modifikation des gefundenen Ergebnisses . . . . . . . . . . . . .. (a) Gefährdung des V-Mannes durch den Angeklagten oder seine Hintermänner ............................. (b) Zustimmung des Angeklagten zur Verwertung der VMann-Angaben .................................

185 187 188 188 189 194 196 198 199 199 200

f) Schlußbetrachtung ....................................... 202

IV. Die Fälle der subjektiven Unerreichbarkeit des Zeugen

203

1. Unerreichbarkeit des Zeugen wegen nicht zu ermittelnden Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 a) Die nach der Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen an die Beibringungsbemühungen des Gerichts ..................... 204 b) In Unzulässigkeit einer Durchbrechung des Beweisantizipationsverbots ................................................. 208 c) Die "Schwere der Tat" als unzulässiges Abwägungskriterium ... 210 d) Die Konsequenz der gefundenen Lösung

. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 210

2. Unerreichbarkeit des Zeugen wegen Unzumutbarkeit des Erscheinens 213 V. Die Anforderungen an die Begründung der Ablehnung des Beweisantrags

Ergebnis der Untersuchung

214

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 218

Literaturverzeichnis ..................................................... 222

Bezüglich der Abkürzungen wird verwiesen auf das Verzeichnis bei: KleinknechtiMeyer, Strafprozeßordnung, 39. Auflage, München 1989

Einleitung In neuerer Zeit hatte sich der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz in zahlreichen Entscheidungen mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels zu beschäftigen. Nach Ansicht des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Herdegen (geäußert in NStZ 1984, 97 ff., 99) hat dieser Ablehnungsgrund "in den letzten Jahren eine Aktualisierung erfahren, die es rechtfertigt, ihn an die Spitze der Erörterung der in der Praxis wichtigsten Ablehnungsgründe zu stellen". Vorrangiges Ziel dieser Arbeit ist es nicht, eine grundsätzliche Untersuchung über den Beweisantrag vorzulegen, sondern speziell den Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit des Beweismittels zu durchleuchten. Da aber die Entwicklung der Ablehnungsgründe eng verknüpft ist mit der Entwicklung des Beweisantragsrechts, kann sich die vorliegende Untersuchung nicht losgelöst allein mit dem Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit beschäftigen, da sie gleichsam in die übergeordnete Problematik des Beweisantragsrechts eingebettet ist. Da die heutige Regelung in § 244 Abs. 3 StPO das Ergebnis einer über 100jährigen Auseinandersetzung ist,ja die geschichtlichen Wurzeln noch weiter zurückgreifen, soll ein Schwerpunkt der Arbeit in der Aufarbeitung der geschichtlichen Entwicklung des Beweisantragsrechts im allgemeinen und des Ablehnungsgrundes der Unerreichbarkeit des Beweismittels im besonderen liegen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt wegen seiner besonderen Tragweite und Aktualität in der Beschäftigung mit den Aspekten der Unerreichbarkeit des Beweismittels aufgrund behördlichen Verhaltens (V-Mann Problematik).

2 Hoffmann

1. Te i I

Begriffsbestimmung 1. Abschnitt

Der Begriff des Beweisantrags I. Problemstellung Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung "zwei ihm dem Namen nach unbekannte Zeugen zu vernehmen, nämlich einen etwa dreißigjährigen, kinderlos verheirateten Arbeiter zu K. mit blondem Vollbart, welchem an einem Fuß die Zehen fehlten, und einem etwa achtzehn Jahre alten Ochsenjungen im Gasthof[Zur halben Meile] bei H. "1. Würde heute ein Gericht mit einem solchen Antrag konfrontiert, stünde das Gericht zunächst vor der Frage, ob es sich dabei überhaupt um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 32 handelte, denn nur in diesem Fall bedürfte es gern. § 244 Abs. 6 zur Ablehnung eines Gerichtsbeschlusses, und der Antrag wäre nur aus den in § 244 Abs. 3 genannten Gründen ablehnbar, beispielsweise wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels, da die Auffassung denkbar wäre, die Zeugen seien anhand der gemachten Angaben nicht zu ennitteln und daher unerreichbar. Handelte es sich dagegen um einen bloßen sogenannten Beweisennittlungsantrag 3 , bedürfte er keiner förmlichen Bescheidung4 , sondern das Gericht hätte allenfalls zu erwägen, ob die Amtsaufklärungspflicht gern. § 244 Abs. 2 es geböte, über diese Zeugen Nachforschungen anzustellen. Nur im ersteren Fall wäre der Problemkreis dieser Untersuchung tangiert, im Fall der Annahme eines Beweisennittlungsantrages dagegen nicht. Schon dieses Beispiel aus der älteren Rechtsprechung des Reichsgerichts zeigt, wie notwendig zu Beginn dieser Untersuchung eine Klärung des Begriffs RG Urt. v. 2. Juli 1886 Rep. 1611/86, zitiert nach RG GA 38 (1891) 60,61 Fn. 1). Paragraphen ohne nähere Angabe sind solche der StPO i. d. F. der Bekanntmachung vorn 7. April 1987 (BG BI. I S. 1074). 3 Darunter ist ein Antrag zu verstehen, mit dem der Antragsteller zwar vorn Gericht eine Beweiserhebung begehrt, in dem aber das Beweismittel oder die Beweistatsache nicht genügend bestimmt ist. Vgl. Bergmann, Beweisanregung, a. a. 0., S. 6. Diese Bezeichnung ist treffend, da ein solcher Antrag nicht unmittelbar die Erhebung des Beweises, sondern zunächst die Ermittlung von Beweistatsachen oder Beweismitteln erstrebt. Vgl. dazu auch Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag, a.a.O. S. 75ff. m.w.N. 4 So nach feststehender Rspr. und h. M. vgl. BGHSt 6,128,129; MDR 80, 987; NStZ 1982, 296, 297; Düsseldorf VRS 64, 216, 219; Dahs, Handbuch, a.a.O., Rn. 577; Sarstedt/ Hamm, Revision, a. a. O. Rn. 277; a. A. Schulz, GA 1981, 301 ff.; Bergmann MDR 1976, 888, 892. 1

2

2*

20

1. Teil: Begriffsbestimmung

"Beweisantrag" ist, um das Thema entsprechend einzugrenzen und für die notwendige Klarheit im Umgang mit den Begriffen zu sorgen.

11. Die Begriffsdefinition des Beweisantrags und ihre einzelnen Komponenten 1. Die Definition Die Strafprozeßordnung selbst enthält keine Definition des Begriffs "Beweisantrag". Der Gesetzgeber setzt damit offenbar den Begriff des Beweisantrags als bekannt voraus. Allenfalls aus § 219 läßt sich entnehmen, daß in dem Beweisantrag die beweisbedürftigen Tatsachen sowie die Beweismittel anzugeben sind. In Anlehnung an diese Vorschrift haben daher auch Rechtsprechung und Schrifttum eine Definition des Beweisantrags erarbeitet. Unter einem Beweisantrag i. S. d. § 244 Abs. 3 StPO 5 ist nach ständiger Rechtsprechung 6 und einhelliger Lehre 7 zu verstehen das ernsthafte, unbedingte oder an eine Bedingung geknüpfte Verlangen eines Prozeßbeteiligten, über eine bestimmte, die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung durch bestimmte, nach der StPO zulässige Beweismittel Beweis zu erheben.

2. Die Komponenten des Beweisantrags Diese Begriffsbestimmung des Beweisantrags hat jedoch für sich genommen wenig Aussagekraft; sie ist ihrerseits ausfüllungsbedürftig. So kommt es neben der Stellung eines verständlichen 8 Antrags 9 insbesondere darauf an, was unter 5 Der Begriff "Beweisantrag" wird in der StPO nicht nur in der Hauptverhandlung gebraucht, sondern findet Verwendung auch im Ermittlungsverfahren in § 163 a Abs. 2 und § 166, im Zwischen verfahren in § 201 Abs. 1, bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung in § 219 und § 225a Abs. 2 und nach Beginn der Hauptverhandlung bei Verweisung an ein höheres zuständiges Gericht in § 270 Abs. 4. Wenn im folgenden von Beweisantrag gesprochen wird, ist stets der in der Hauptverhandlung gern. § 244 Abs. 3 gestellte Beweisantrag gemeint, der sich, ebenso wie der in § 245 Abs. 2 genannte Beweisantrag, von den in den eben erwähnten Vorschriften genannten Beweisanträgen dadurch unterscheidet, daß hier die Ablehnung des Antrags nach dem Gesetz nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gestattet ist. 6 Grundlegend RGSt 13, 316, 317; 49,358,361; BGHSt 1, 29, 31; 6,128,129; aus der neuen Rspr. vgI. BGH StV 1982, 55, 56; NStZ 1981, 361, 362. 7 Kleinknecht StPO, a.a.O., § 244 Rn. 18; LöwejRosenbergjGollwitzer, StPO, a.a.O., § 244 Rn. 72; vgI. auch die zahlreichen Nachweise bei AlsbergjNüsejMeyer Beweisantrag, a.a.O., S. 36 Fn. 18. B Inhalt und Sinn des Antrags müssen verständlich sein, wobei es ausreicht, daß für das Gericht erkennbar ist, weIche Tatsache der Antragsteller aufgeklärt wissen will, was notfalls durch Auslegung zu ermitteln ist. VgI. BGH NJW 1968, 1293; OLG Celle Nds Rpfl. 1982,66,67; LöwejRosenbergjGollwitzer StPO, a.a.O., § 244 Rn. 85f.; KMRPaulus StPO, a. a. 0., § 244 Rn. 384. Die gerichtliche Fürsorgepflicht gebietet es, daß Zweifel bei der Auslegung des Antrags durch Ausübung des Fragerechts behoben werden.

1. Abschnitt: Der Begriff des Beweisantrags

21

der Behauptung einer bestimmten zu beweisenden Tatsache und der Benennung eines bestimmten Beweismittels lO zu verstehen ist ll . a) Die Behauptung bestimmter Beweistatsachen Beim Beweisantrag muß die bestimmte zu beweisende Tatsache in Form einer Behauptung angegeben werden 12, denn nur, wenn das Gericht die zu beweisende Tatsache kennt, hat es die Möglichkeit, den Beweisantrag hinsichtlich der in § 244 Abs. 3 genannten Ablehnungsgründe zu überprüfen 13. Jedoch dürfen die Anforderungen an die Tatsachenbehauptung durch den Angeklagten nicht überspannt werden, da er schwerlich in der Lage ist, selbst Ermittlungen vorzunehmen l 4, insbesondere, wenn er sich in Untersuchungshaft befindet. Es ist daher ausreichend, wenn die Beweistatsache in ihren allgemeinen Umrissen erkennbar ist 1S , oder wenn dem Beweisantrag, wie es der BGH16 unter Vgl. RGSt 51, 42 m.w.N. aus der älteren Rspr.; OLG Celle GA 1962, 216f.; Nds Rpfl. 1982, 66, 67; LöwejRosenbergjGollwitzer StPO, a.a.O., § 244 Rn. 94; AlsbergjNüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 396ff. m.w.N.; Bergmann, Beweisanregung, a. a. 0., S. 13 ff. In diesem Zusammenhang kann es jedoch ein Spannungsfeld zwischen Fürsorgepflicht und Aufklärungspflicht des Gerichts geben. Vgl. eingehend zu dieser grundsätzlichen Problemstellung Maiwald, Fürsorgepflicht, FS für G. Lange S. 745ff., 756f.; Hübner, Verfahrensgrundsätze, a.a.O., S.105ff. 9 Entscheidend ist nicht, daß das Wort "Antrag" benutzt wird, sondern daß der ernstliche Wunsch nach Beweiserhebung erkennbar gemacht wird. Vgl. Alsbergj NüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 38 m. w.N. in Fn. 12. 10 So schon die Definition von Meves in GA 40 (1892) 291 ff., 294; Miltner, Recht 6 (1902), 568. 11 Das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG NJW 1983, 1043 ff., 1045) hält die Verpflichtung des Antragstellers, die Beweistatsache und das Beweismittel bestimmt zu bezeichnen, für verfassungsrechtlich unbedenklich. Dadurch sei zwar seine mögliche Einflußnahme auf Inhalt und Umfang der gerichtlichen Sachaufklärung begrenzt, jedoch "müßte das Gericht auch Anträgen und Anregungen des Angekl. auf weitere Sachaufklärung nachgehen, in denen ein konkreter Zusammenhang zur Wahrheitsermittlung nicht aufgezeigt ist, gewänne der Angeklagte einen Einfluß auf Umfang und Dauer des Strafverfahrens, der über das zu seiner Verteidigung Gebotene hinausginge und dazu führen könnte, daß die - nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten - rechtsstaatlich geforderte Beschleunigung des Strafverfahrens ernstlich gefährdet wäre". 12 Beispiel: Der Angeklagte befand sich zur Tatzeit nicht in Köln, sondern in Bonn. Eine Zugverbindung besteht nach 23.00 Uhr zwischen diesen Städten nicht mehr. 13 Deutlich wird dies insbesondere bei dem Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung. 14 Alsbergj Nüse j Meyer, Beweisantrag, a. a. 0., S. 40; die Zulässigkeit eigener Ermittlungen des Strafverteidigers ist umstritten. Vgl. dazu Rückei, Festgabe für Peters, a. a. 0., S.265. 15 AlsbergjNüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S.41 m.w.N.; vgl. aus der neueren Rspr. BGH StV 1981, 330. Dort hatte das Landgericht einen Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, die Behauptung sei hinsichtlich der "Zeit nicht hinreichend konkretisiert". Der BGH ließ die zeitliche Einordnung "relativ kurze Zeit" vor der abgeurteilten Tat den Anforderungen an die Bestimmtheit des Beweisantrages genügen. 16 BGH JR 1951, 509.

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1. Teil: Begriffsbestimmung

Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts 17 ausdrückt, "nach dem Inbegriff der Erklärungen des Verteidigers in der Hauptverhandlung eine bestimmte Tatsachenbehauptung zugrundeliegt" . An einer bestimmten Tatsachenbehauptung fehlt es allerdings, wenn der Antragsteller nur eine Vermutung äußert, von der er hofft, daß Nachforschungen darüber zu seinen Gunsten sprechende Tatsachen ergeben! 18 Ob eine Tatsachenbehauptung vorliegt oder die Äußerung einer Vermutung, ist durch Auslegung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände zu ermitteln. 19 b) Die Benennung bestimmter Beweismittel

Kennzeichnend für die Annahme eines Beweisantrages ist ferner die Behauptung des Antragstellers, die Beweistatsache könne durch ein bestimmtes Beweismittel bewiesen werden. Nur dann ist das Gericht in der Lage zu prüfen, ob das Beweismittel geeignet und erreichbar ist 20 , was bei der vorliegenden Untersuchung speziell des Ablehnungsgrundes der Unerreichbarkeit des Beweismittels von besonderer Bedeutung ist. Bei der Benennung eines bestimmten Beweismittels reicht es aus, wenn es so individualisiert ist, daß es von anderen unterschieden, ermittelt und zur Hauptverhandlung herbeigeschafft werden kann 21 . Allerdings sind an die von der Strafprozeßordnung für den Strengbeweis zugelassenen Beweismittel, Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Augenschein hinsichtlich des Erfordernisses der Individualisierung unterschiedliche Anforderungen zu stellen. So setzt der Sachverständigenbeweisantrag grundsätzlich nicht die Benennung eines bestimmten Sachverständigen voraus, denn die Auswahl des zuzuziehenden Sachverständigen erfolgt gern. § 73 Abs. 1 ohnehin durch das Gericht 22 • RG JW 1926, 2924f. Nr. 26; JW 1927, 793, Nr. 25; JW 1930, 70, Nr. 21. BGH StV 1982, 55f.; StV 1987, 141f. m.w.N.; StV 1989, 287ff. m.w.N. = NStZ 1989, 334f. 19 BGH ebenda. 20 Vgl. Hanack, JZ 1970, 561. 21 So Alsberg(Nüse(Meyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 48 m.w.N. in Fn. 80; vgl. auch Schmidt-Hieber, JuS 1985,291 ff., 293; Bergmann, Beweisanregung, a.a.O., S. 35. 22 Vgl. K-K-Pelchen StPO, a.a.O., § 73 Rn. 3; Bergmann Beweisanregung, a.a.O., S. 25f.; Löwe(Rosenberg(Gollwitzer StPO a.a.O., § 244 Rn. 92. Eine Ausnahme von dieser Regel halten Alsberg(Nüse(Meyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 52, dann für gegeben, wenn der Antrag auf die Anhörung eines weiteren Sachverständigen gerichtet ist. Halte der Antragsteller die Anhörung eines weiteren Sachverständigen für erforderlich, weil dieser über überlegene Forschungsmittel verfüge, so sei er gehalten, den Sachverständigen zu benennen und dessen Forschungsmittel in dem Beweisantrag genau zu bezeichnen. Dies ist sicherlich zutreffend hinsichtlich der Benennung der überlegenen Forschungsmittel, und zwar aus der praktischen Erwägung heraus, daß der Antragsteller sonst Gefahr liefe, daß sein Antrag mit der Begründung abgelehnt werden könnte, durch das frühere Gutachten sei das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen (vgl. § 244 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1). Wenn der Antragsteller einen der vier im Halbsatz 2 der genannten Vorschrift aufgeführten Ausnahmegründe geltend machen will, 17

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1. Abschnitt: Der Begriff des Beweisantrags

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Bei dem Beweismittel des Augenscheins ist zum einen ein Antrag auf Einnahme desselben bei völliger Unbestimmtheit des Augenscheinsobjekts schwerlich vorstellbar 23 , und zum anderen ist es bei dieser Beweisart ausreichend, wenn das Objekt in seinen Umrissen gekennzeichnet ist 24 • Die Substantiierungspflicht des Antragstellers ist demnach in erster Linie beim Zeugen- und Urkundenbeweis relevant. Hier ist die hinreichende Individualisierung des Beweismittels Voraussetzung für die Annahme eines Beweisantrags. aa) Zeugenbeweis Im Zivilverfahren ist die Partei, die den Zeugenbeweis antritt, verpflichtet, die ladungsfahigen Personalien und eine ladungsfähige Anschrift des Zeugen anzugeben 2s . Regelmäßig wird auch im Strafverfahren der Antrag auf eine Zeugenvernehmung diese Angaben enthalten und zwar im eigenen Interesse des Antragstellers, da er sonst Gefahr läuft, daß sein Antrag wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels abgelehnt wird 26 • Voraussetzung für die Stellung eines wirksamen Beweisantrags auf Zeugenvernehmung sind jedoch die eingangs erwähnten Angaben nicht. Hier genügt jede Angabe von Tatsachen, die erforderlich ist, daß das Gericht den Namen und Aufenthaltsort des Zeugen ermitteln kann, beziehungsweise es ermöglicht, ihn so zu individualisieren, daß er zur Hauptverhandlung geladen werden kann 27. Die Nachforschungspflicht des Gerichts folgt aus der in § 244 Abs. 2 normierten Aufklärungspflicht, welche vom Gericht fordert, "die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind".28

Diese Aufklärungspflicht ist von den Anträgen der Beteiligten unabhängig 29 • so muß er hierzu entsprechende Darlegungen bringen; vgl. Jessnitzer, StV 1982, 177ff., 180. Keinesfalls obliegt jedoch in dem genannten Fall die Benennung des Sachverständigen selbst dem Antragsteller. Das liefe der klaren gesetzlichen Regelung in § 73 Abs. 1 zuwider. Auch wird diese Auffassung, soweit ersichtlich, durch keine der von Alsberg, a. a. O. in Fn. 113 genannten Entscheidungen gestützt und von keinem der dort genannten Autoren so vertreten. Wie hier OLG Celle StV 1981,608, 609; MDR 1969, 950; OLG Hamm MDR 1976, 338; Jessnitzer a.a.O.; Kleinknecht(Meyer, StPO, a.a.O., § 244 Rn. 21; KMR-Paulus, StPO, a.a.O., § 244 Rn. 389. 23 Bergmann, Beweisanregung, a.a.O., S. 35. 24 Alsberg(Nüse(Meyer, Beweisantrag, a.a.O., S.53; Bergmann, Beweisanregung, a. a. 0., S. 35; Rieker, Ablehnung, a. a. 0., S.21. Allerdings ist es beim Antrag auf Einnahme eines Augenscheins regelmäßig erforderlich, den Aufenthaltsort des Objekts so genau wie möglich anzugeben, sonst läuft der Antragsteller Gefahr, daß sein Antrag wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels abgelehnt wird. Vgl. RG JW 1925,2783,2784 Unerreichbarkeit eines in Südafrika verborgenen Schatzes. 2S Vgl. Baumbach(Lauterbach(Hartmann ZPO, a.a.O., § 373 Anm.1. 26 Alsberg(Nüse(Meyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 48. 27 Allgemeine Meinung, vgl. Alsberg(Nüse(Meyer, ebenda, mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 83.

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1. Teil: Begriffsbestimmung

Da man trefflich darüber streiten kann, welche Angaben von Tatsachen erforderlich sind, um den Zeugen so zu individualisieren, daß er geladen werden kann, gibt es in der Rechtsprechung, insbesondere der des Reichsgerichts, eine umfangreiche Kasuistik, die sich immer nur am einzelnen Fall orientieren kann 30 . Bei den in der Fußnote genannten Beispielen ist es offensichtlich, daß die Zeugen anhand der gemachten Angaben leicht zu individualisieren sind. Jedoch gibt es Grenzfälle, die mit guten Argumenten sowohl als Beweisantrag, als auch als Beweisermittlungsantrag bezeichnet werden können. So nennt Kern 31 als Schulbeispiel eines Beweisermittlungsantrags den Antrag des Angeklagten an das Gericht, "einen Mann ausfindig zu machen und als Zeugen zu laden, der zu dem Angeklagten unmittelbar nach einer Messerstecherei gesagt habe, er könne ihm bezeugen, daß er angegriffen gewesen sei". Bergmann 32 sieht demgegenüber in dem gleichen Beispiel einen Beweisantrag, da der Zeuge durch seine Beziehung zur Tat und seine angebliche Aussage gegenüber dem Angeklagten individualisiert sei. Diesen Beweisantrag will er aber wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels ablehnen, da Ermittlungen nach dem Aufenthalt des Zeugen mangels jeglicher Anhaltspunkte von vornherein aussichtslos erschienen. Hier wird die praktische Relevanz der Unterscheidung zwischen der Annahme eines Beweisantrags und der eines Beweisermittlungsantrags besonders deutlich. Folgt man hier der Ansicht Bergmanns, müßte der Richter gern. § 244 Abs. 6 einen förmlichen Beschluß erlassen, wobei er zu prüfen hätte, ob im vorliegenden Fall tatsächlich der Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit des Zeugen vorliegt, wobei die Sachlage nicht so eindeutig ist, wie Bergmann sie sieht, denn in Fällen der vorliegenden Art wird die Auffassung vertreten 33 , es müßte zunächst versucht werden, den Zeugen durch Zeitungsanzeige zu ermitteln. Unabhängig von der Frage, ob hier tatsächlich der Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit vorliegt, ist in dem von Kern gebildeten Beispiel schon die Annahme eines Beweisantrags abzulehnen, da die Angaben des Antragstellers nicht geeignet sind, den Zeugen so zu individualisieren, daß er von anderen unterschieden werden kann. Dazu sind beispielsweise, wenn schon der Name und die Anschrift des Zeugen nicht genannt werden können, folgende Angaben 28 Zum Verhältnis von Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht vgl. BVerfG NJW 1983, 1043ff., 1045; siehe dazu auch unter 1. Teil, 2. Abschnitt und 3. Teil 2. Abschnitt. 29 BGH MDR 81,455; StV 83, 495; KleinknechtjMeyer StPO, a.a.O., § 244 Rn.ll, m.w.N. 30 Vgl. die umfangreiche Zusammenstellung bei AlsbergjNüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S.49. Beispielhaft sei hier erwähnt der als Beweisantrag gewertete Antrag auf Vernehmung der Beamten, die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort dienstlich tätig waren (RG LZ 1921, Sp.660), des zuständigen Sachbearbeiters für Führerscheinsachen (BayObLG bei Rüth DAR 1980, 269). 31 Strafverfahrensrecht, a. a. 0., S. 196. 32 Beweisanregung, a. a. 0., S.40. 33 So KMR-Paulus § 244 Rn. 456; a.M. OLG Hamm DAR 1956,280.

1. Abschnitt: Der Begriff des Beweisantrags

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alternativ oder kumulativ erforderlich: Arbeitsstätte oder Arbeitgeber 34 , Aufenthaltsort, Bekanntenkreis, Personenbeschreibung, Angabe einer bestimmten Person, die ihrerseits nähere Angaben über den Zeugen machen kann 35 . Diese beispielhaften Angaben müssen aber stets zu einer Individualisierung des Zeugen dergestalt führen, daß durch die Ermittlungstätigkeit des Gerichts seine Ladung und Herbeischaffung ermöglicht wird. Hierbei ist stets von dem einzelnen Fall auszugehen. So muß die Verpflichtung des Antragstellers, ein bestimmtes Beweismittel zu benennen, auch neueren Entwicklungen Rechnung tragen. Bei dem heute verstärkten Einsatz von polizeilichen Gewährsmännern bei der Kriminalitätsbekämpfung dürfen an die Substantiierungspflicht des Antragstellers keine hohen Anforderungen gestellt werden, zumal wenn der Gewährsmann geheimgehalten wird und im Einsatz getarnt und mit wechselnder Identität gearbeitet hat. Dieses kann und darf nicht dazu führen, daß Anträge auf Vernehmung eines geheimgehaltenen Gewährsmannes stets nur in der Form des Beweisermittlungsantrags gestellt werden können. Hier muß, um ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren zu gewährleisten, selbst bei einer nur vagen Beschreibung des Gewährsmannes von einem Beweisantrag ausgegangen werden, der nur unter den engen Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 abgelehnt werden kann, da die Möglichkeit der Individualisierung des Zeugen allein in der Hand des Staates liegt 36 . Dieser Grundsatz muß auch in anderen Fällen gelten, in denen das Beweismittel "in der Hand" des Staates liegt. Ansonsten ist jedoch an dem Erfordernis der Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels, mit den oben gemachten Einschränkungen, festzuhalten, was auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht bedenklich ist 37 • bb) Urkundenbeweis

Bei der Benennung von Urkunden als Beweismittel liegen die Probleme ähnlich wie bei dem zuvor behandelten Zeugenbeweis. Auch hier ist es erforderlich, die Urkunde so genau zu bezeichnen, daß ihre Herbeischaffung möglich ist 38 • Um einen Beweisantrag zu stellen, muß daher der Besitzer der 34 Vgl. BayObLG bei Rüth DAR 1980, 269, 8. a) "Der Antrag, den zuständigen Sachbearbeiter für Führerscheinsachen einer bestimmten Behörde darüber zu vernehmen, daß dem Angeklagten in einem näher eingegrenzten Zeitraum eine Fahrerlaubnis erteilt worden sei, ist ein Beweisantrag, weil der zuständige Sachbearbeiter jederzeit durch Rückfrage bei der Verwaltungsbehörde festgestellt werden kann." 35 Vgl. RG JW 1922, 1033 Nr. 40 mit Anm. Alsberg; JW 1932,3101, Nr. 54; JW 1933, 966 Nr. 28; hierbei handelt es sich um eine Ermittlung durch Hilfsbeweismittel, die auch beim Beweisantrag zulässig ist, vgl. AlsbergjNüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 5I. 36 Vgl. ausführlich zur gesamten Problematik unten 3. Abschnitt, III. 4. 37 Vgl. BVerfG NJW 1983, 1043ff., 1045. 38 Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf die in der Hauptverhandlung nicht präsenten Urkunden. Gehört die Urkunde zu den herbeigeschafften und damit präsenten Beweismitteln, richtet sich die Ablehnung eines gestellten Beweisantrags nach

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1. Teil: Begriffsbestimmung

Urkunde oder der Ort, an dem sie sich befindet, angegeben oder so gekennzeichnet werden, daß sie vom Gericht ermittelt werden kann 39 . Häufig kommt es vor, daß nicht eine einzige, bestimmte Urkunde als Beweismittel benannt wird, sondern die Beiziehung einer ganzen Urkundensammlung begehrt wird 40 . In solchen Fällen ist es für einen Beweisantrag erforderlich, daß sich der Antrag auf bestimmte in den Akten enthaltene Urkunden oder Vorgänge bezieht41, denn beispielsweise eine Gerichtsakte ist als Ganzes keine Urkunde, sondern eine Sammlung einzelner Urkunden und Schriftstücke42 . Die Bezugnahme auf eine bestimmte Urkunde einer Urkundensammlung ist nur dann entbehrlich, wenn durch den Gesamtinhalt der Urkundensammlung eine bestimmte Tatsache bewiesen werden so1l43.

§ 245. Aber auch hier gilt nach einhelliger Meinung, daß die Urkunde oder die Urkundensammlung nur dann benutzt werden muß, wenn sie in dem Antrag auf Verwendung genau bezeichnet und ihre Fundstelle angegeben wird (vgl. BGHSt 18, 347; KleinknechtjMeyer StPO, a.a.O., § 245 Rn. 5; LöwejRosenbergjGollwitzer StPO, a.a.O., §245 Rn. 19; AlsbergjNüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 793f. m.w.N.). 39 Vgl. AlsbergjNüsejMeyer, Beweisantrag, a.a.O., S. 53. 40 Beispiele aus der Rspr.: Prozeßakten, BGHSt 6, 128; 18,347; Spurenakten, BGHSt 30,131,142; Geschäftsbücher RGSt 21, 108ff. 41 BGHSt 6, 128, 129. 42 RGSt 21, 108, 109; BGHSt 6, 128, 129. 43 Bergmann, Beweisanregung, a.a.O., S.49.

2. Abschnitt

Das Verhältnis von Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht Kurz sei noch auf das Verhältnis von Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht eingegangen. Das Gericht ist nach § 244 Abs. 2 gehalten, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Diese Aufklärungs- oder Wahrheitsermittlungspflicht44 gebietet zur Aufklärung des für die gerichtliche Entscheidung erheblichen Sachverhalts eine Beweiserhebung, sofern bestimmte Tatsachen, die dem Gericht bekannt sind oder bekannt sein müssen, dazu drängen oder es zumindest nahe legen 45 • Die Verletzung dieser Pflicht kann mit der Revision gerügt werden~. Das war nicht immer so. Die erste bekannte Entscheidung des Reichsgerichts, in der eine Aufklärungsrüge des Angeklagten Erfolg hatte, stammt aus dem Jahr 1928 47 . Die Tatsache, daß das Reichsgericht die Aufklärungsrüge bis dahin für unzulässig hielt, hat sich nach Auffassung von AlsbergjNüsejMeyer 4S auch auf den Begriff des Beweisantrags ausgewirkt. So seien die Gerichte bis zu diesem Zeitpunkt bestrebt gewesen, den Begriff des Beweisantrags möglichst weit auszulegen, da die Nichtanerkennung eines Antrags als Beweisantrag seine völlige Unbeachtlichkeit bedeutet hätte. Auch dieser Gesichtspunkt spricht dafür, heute an dem Erfordernis der Benennung einer bestimmten Beweistatsache und eines bestimmten Beweismittels für die Annahme eines Beweisantrags festzuhalten, denn heute hat der Antragsteller die Möglichkeit, mit Beweisanregungen und Beweisermittlungsanträgen auf eine weitere gerichtliche Sachaufklärung zu dringen und notfalls die Verletzung der Aufklärungspflicht vor dem Revisionsgericht zu rügen. Hier drängt sich jedoch die Frage des Verhältnisses zwischen Aufklärungspflicht und Beweisantragsrecht auf, denn die gesetzliche Regelung will auf den ersten Blick nicht ganz einleuchten. So darf man sich fragen, warum überhaupt in § 244 Abs. 3 ein Beweisantragsrecht, ausgestattet als Beweiserhebungsanspruch 49 mit gesetzlich geregelter Ablehnungsmöglichkeit, geschaffen wurde, wenn doch schon die gerichtliche Aufklärungspflicht in § 244 Abs. 2 das Gericht 44 45

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BVerfG NJW 1983, 1043, 1045. BVerfG ebenda; BGHSt 3,169,175; NJW 1978,113,114. Vgl. dazu WesseIs, JuS 1969, 1 ff.; SarstedtfHamm, Revision, a.a.O., Rn. 243ff. Vgl. RG JW 1928, 1506 Nr. 22 m. Anm. Alsberg = GS 98, 240. Beweisantrag, a. a. 0., S. 50. Schmidt-Hieber JuS 1985, 291, 292.

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1. Teil: Begriffsbestimmung

zu einer umfassenden Sachaufklärung nötigt. Hier liegt eine gewisse Dualität in der Gestaltung der Beweisaufnahme, die zunächst nicht erforderlich erscheint, da die Auffassung vertretbar ist, die Ermittlung der materiellen Wahrheit als Ziel des Strafprozesses könne auch allein durch die Amtsaufklärungspflicht gewährleistet werden. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber trotzdem ein Beweisantragsrecht normiert hat, läßt vermuten, daß er damit in besonderem Maße ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren gewährleisten zu können glaubt. Hier hat der Gesetzgeber augenscheinlich aus der Strafprozeßgeschichte gelernt. Eine wirklich befriedigende Antwort kann daher wohl nur die Entstehungsgeschichte des Beweisantragsrechts geben, denn die heutige gesetzliche Regelung in § 244 Abs. 3 stellt sich als das Ergebnis einer 100jährigen Auseinandersetzung dar, in der das Beweisantragsrecht, dessen geschichtlichen Wurzeln noch weiter zurückgreifen, gleichsam herangereift ist. Dieses Beweisantragsrecht, gesichert durch die gesetzlich normierten Ablehnungsgründe, kann nur bei genauer Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung heute richtig eingeordnet und verstanden werden. Das gilt auch dann, wenn es hier vorrangig darum geht, den Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit des Beweismittels zu untersuchen, denn die Geschichte der Ablehnungsgründe ist eng verknüpft mit der Geschichte des Beweisantragsrechts.

2. Teil

Die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelung 1. Abschnitt

Von der Constitutio Criminalis Carolina bis zur Reichsstrafprozeßordnung I. Die Constitutio Criminalis Carolina (CCC)l Mit der CCC Kaiser Karls V. erreicht die deutsche Strafverfahrensentwicklung den ersten großen Wendepunkt. Durch die Verabschiedung dieses Gesetzes auf dem Regensburger Reichstag im Jahre 1532 wurde erstmals der deutsche Rechtspartikularismus überwunden. Die sogenannte "Clausula Salvatoria" in der "Vorrede" des Gesetzes eröffnete zwar die Möglichkeit der Weitergeltung alten Landesrechts durch Beifügung der Klausel: "Doch wollen wir" (d. h. der Kaiser) ... an "alten wolherbrachten rechtmessigen vnd billichen gebreuchen nichts benommen haben", jedoch wurde durch zwingende gesetzliche Regelungen in der CCC der landesherrlichen Freizügigkeit im Strafverfahrensrecht eine enge Grenze gezogen 2 • Die weitere Bedeutung der CCC liegt in der Durchsetzung des Inquisitionsprozesses 3 • Der auf dem altgermanischen Grundsatz: "Wo kein Kläger, da kein Richter" beruhende Akkusationsprozeß wurde zwar durch die CCC nicht völlig verdrängt4, aber auch wenn ein privater Kläger auftrat, war das Verfahren im Grunde inquisitorisch 5. Die Strafverfolgung der "angegeben übelthetter" wurde "von der oberkeyt vnd ampts wegen" durchgeführt 6 • Durch die Verdrängung des altgermanischen Anklageprozesses 7 , der ein Parteiprozeß mit dem Ziel der I Eine Textfassung dieses Gesetzeswerkes findet sich u. a. in: Radbruch, Carolina (RecIams UB 2990(90a); siehe auch die Gegenüberstellung der CCC mit ihrer Vorläuferin, der Bambergischen und Brandenburgischen Halsgerichtsordnung (sog. Bambergensis), bei Zoepfl, PGO, a.a.O., S. 10ff. 2 Vgl. nur Art. 61, der eine Bestrafung des Richters vorsieht, der "des heyligen Reichs rechtmessigen ordnung widerwärtig gebraucht". Eine Aufzählung der zu beseitigenden Mißbräuche enthält auch Art. 218. 3 Henkel, Strafverfahrens recht, a. a. 0., § 8. 4 Vgl. Art. 11 u. 18 CCC. 5 Peters, Strafprozeß, a. a. 0., § 11 II S. 62. 6 Vgl. Art. 6 CCC; so auch Art. 46, 101, 106, 188, 189, 214 u. 219.

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2. Teil: Die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelung

Genugtuung des Verletzten war, setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Verfolgung und Verurteilung des Verbrechers eine staatliche Aufgabe ist. Das Strafverfahren nach der CCC beruhte daher maßgeblich auf dem Grundgedanken amtlicher, pflichtmäßiger Wahrheitserforschung 8 • D.er Beschuldigte selbst wurde zum zentralen Beweismittel. Sein Geständnis 9 , Voraussetzung für eine Verurteilung, wenn nicht zwei klassische Tatzeugen vorhanden waren, wurde bei hinreichendem Tatverdacht notfalls durch die Folter erzwungen lO • Eine Durchsicht der CCC nach Normen, die entsprechend dem § 244 Abs. 3 ein Beweisantragsrecht des Angeklagten vorsehen, sowie nach entsprechenden Ablehnungsgründen verläuft ergebnislos. Die CCC enthält keine Bestimmungen, wie der Richter bei der Beweisaufnahme zu verfahren hat 11. Die äußerst begrenzten Möglichkeiten des Beschuldigten, sich zu verteidigen, ergeben sich schon aus den Eigentümlichkeiten des Inquisitionsprozesses. Der Beschuldigte war durch seine Stellung als Untersuchungsobjekt weitgehend einer selbständigen Einflußnahme auf die Gestaltung des Beweismaterials beraubt. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, daß auch nach der CCC eine Verteidigung grundsätzlich möglich war. So durfte sich der Angeklagte eines Beistandes ("beistehender")12 bedienen. Auch hatte er das Recht, sich einen "fürsprech aus den schöpfen oder sunst zunemen" 13. Selbst die Kosten der Verteidigung wurden von der "oberkeyt" getragen, wenn "der beklagt so gantz arm, auch nit freund hett"14. Hier offenbart sich ein durchaus fortschrittlicher Geist. Gestärkt wurde die Stellung des Angeklagten auch durch die Anweisung an den Richter, alle "erkundigung" einzuziehen, "so zu erfindung der warheyt dinstlich ist" IS. Hier findet sich also schon ein erster Ansatz des Ermittlungsgrundsatzes, wie er heute in den §§ 155, 244 Abs. 2 seinen Niederschlag findet. Bei konsequenter und pflichtgemäßer Anwendung dieser Norm konnte demnach der Angeklagte, unterstützt durch seinen Verteidiger, wenn auch keinen Beweisantrag stellen, so aber zumindest eine Beweisanregung vorbringen, der nachzugehen im pflichtgemäßen Ermessen des Richters lag.

7 Dies Verfahren wurde im germanischen Rechtsgang durch den Verletzten oder seine Sippe eingeleitet. Es galten rein formale Beweismittel wie Reinigungseid, Zweikampf, Gottesurteil; vgl. näher dazu: Schmidt, Eb. Geschichte, a. a. 0., §§ 27 -29 S. 37 ff. S Henkel, Strafverfahrensrecht, a. a. 0., § 8 S. 40. 9 Die "regina probationum", Wesseis, JuS 1966, 169ff., 170. 10 Wesseis ebenda; vgl. Art. 22, 60ff. CCC. 11 Zwengel, Strafverfahren, a. a. 0., S. 40. 12 Vgl. Art. 73 CCC. 13 Vgl. Art. 88 CCc. 14 Vgl. Art. 154 CCc. 15 Vgl. Art. 8 CCC; vgl. auch Art. 6 CCc.

1. Abschnitt: Von der CCC zur Reichsstrafprozeßordnung 1877

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Auch war der Inquirent verpflichtet, dem Beschuldigten vor der Folter Hilfestellung zu geben, den gegen ihn erhobenen Vorwurf zu entkräften, da "mancher auss eynfalt oder schrecken, nit fürzuschlagen weist, ob er gleich vnschuldig ist, wie er sich des entschuldigen vnd aussfüren SOll"16. Wenn der Angeklagte den Beweis für seine Unschuld antrat, sollte der Richter die von ihm oder seinen Freunden bezeichneten Zeugen auf Kosten des Angeklagten und seinen Freunden "nit abgeschlagen, oder aberkant werden" 17 . Allerdings war der Inquirent nur gehalten, aber nicht verpflichtet, die von dem Angeklagten bezeichneten Entlastungsbeweise zu erheben. Er hatte demnach diesbezüglich einen Ermessensspielraum. Nirgends findet sich in der CCC eine Verpflichtung des Inquirenten, irgendwelchen Anträgen oder Gesuchen des Angeklagten stattzugeben 18. Grenzen gesetzt war der richterlichen Ermittlungstätigkeit auch durch die Anweisung, "dass inn allen peinlichen sachen dem rechten schleunig nachgegangen"19 werden sollte. Daher durfte auch der Verteidigungsbeweis nicht allzu lange Zeit in Anspruch nehmen 20 . Hierin kann ein erster Ansatzpunkt für die in späteren Strafprozeßordnungen enthaltene Möglichkeit der Ablehnung von Beweisanträgen gesehen werden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in der CCC sich allererste vage Ansätze der heutigen gesetzlichen Regelung hinsichtlich der Stellung und Ablehnung von Beweisanträgen - die im Inquisitionsprozeß jedoch allenfalls als Beweisanregungen zu verstehen sind - finden lassen. Wenn auch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten dem heutigen Zeitgeist entsprechend als völlig unzureichend empfunden werden müssen, darf die Zeitgebundenheit des Gesetzes nicht übersehen werden. Aus der CCC spricht ein echtes Verlangen nach Gerechtigkeit, Maß und Menschlichkeit, was für die damalige Zeit einen wirklichen Fortschritt bedeutete 21 .

11. Die Zeit der Hexenverfolgung -

Cautio Criminalis

Ein düsteres Kapitel in der deutschen Strafrechts pflege schreibt die Zeit der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert. Diese beruhte darauf, daß in der Hexerei das wohl schwerste Religionsverbrechen gesehen wurde 22 . Seinerzeit glaubte man an das leibhaftige Umgehen des Satans, was zu der weitverbreiteten Überzeugung führte, daß Teufelsbündnisse eine reale Erscheinung seien 23.

16 17

18 19

20 21 22 23

Vgl. Art. 47 CCc. Ebenda. Vgl. Schoetensack, Strafprozess der Carolina, a. a. 0., S. 38 ff. Vgl. Art. 77 CCC. Zwengel, Strafverfahren, a. a. 0., S. 39. So Peters, Strafprozeß, a. a. 0., § 11 11 S.61. Schmidt Eb., Geschichte, a.a.O., § 202 S. 209. Schmidt Eb., Geschichte, a. a. 0., ebenda.

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2. Teil: Die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelung

Eingeleitet wurde die planmäßige Hexenverfolgung durch einen von Papst Innocenz VIII. im Jahre 1484 den beiden Ketzerrichtern Institor und Sprenger erteilten Auftrag, in Deutschland die Hexerei auszurotten 24 • Für die Kirche stand dabei im Vordergrund der Kampf gegen den Ketzer 25 . In ihrem berüchtigten Hexenhammer (malleus maleficarum, 1487 26 ) gaben die beiden "Richter" Anweisungen, wie mit Hexen zu verfahren sei. Durch eine nach Art und Maß aufs willkürlichste gesteigerte Folter wurde von fast jedem Beschuldigten ein Geständnis erpreßt. Je standhafter eine Beschuldigte 27 ihre Unschuld beteuerte und ein Geständnis verweigerte, um so mehr wurde aus ihrem Verhalten auf ein Bündnis mit dem Teufel geschlossen. Die vielfachen Mahnungen der Carolina zum behutsamen Gebrauch der Folter wurden in dem Wahn der Verfolgung nicht mehr beachtet. Für die Betroffenen endete das Verfahren fast immer auf dem Scheiterhaufen. Die Suche nach Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen verläuft ergebnislos. Es galt der ungeschriebene Grundsatz: "Hexen dürfen nicht verteidigt werden"28. Da im Hexenprozeß genügend Zwangsmittel vorhanden waren, ein Geständnis zu erzwingen, wurde eine Verteidigung und ein Verteidiger als überflüssig erachtet 29 . Die Beschuldigten waren auf Gedeih und Verderb dem Inquirenten und seinen Folterknechten ausgeliefert. Diese setzten die Folter so lange fort, bis das Geständnis vorlag 30 . Aber auch zu jener Zeit gab es schon aufgeklärte Menschen, die dem Hexenwahn, und insbesondere der Art der Strafverfolgung, entgegentraten. Hervorzuheben ist hier der Jesuit Friedrich von Spee, der mit seiner im Jahre 1631 anonym herausgegebenen Cautio Criminalis 31 in eindrucksvoller Weise gegen die Folter Stellung bezog und die Ungesetzlichkeiten und Fehlsamkeit des Ermittlungsvorgehens darlegte. Von Spee setzte sich nachdrücklich und leidenschaftlich dafür ein, dem Beschuldigten in dem Verfahren Verteidigungsrechte zu gewähren. Er schrieb: "Wenn mir das Naturrecht gestattet, mich von einem geringen Vergehen zu reinigen und mich zu verteidigen, so habe ich noch viel mehr das Recht, mich von einem schweren Verbrechen zu reinigen und mich zu verteidigen" 32 .... "Eben weil es das allerschwerste Verbrechen ist, was man mir 24

Henkel, Strafverfahrensrecht, a. a. 0., § 9 S. 48.

25 Schmidt Eb., Geschichte, a. a. 0., ebenda; Henkel, Strafverfahrensrecht, a. a. 0.,

ebenda. 26 Vgl. die deutsche Übersetzung von Schmidt, 1. W. R., Hexenhammer, a.a.O. 27 Ganz überwiegend standen Frauen in dem Verdacht. 28 Zwetsloot, Hexenprozesse, a. a. 0., S. 122. 29 Zwetsloot, Hexenprozesse, a. a. 0., ebenda. 30 Vgl. Wächter, Geschichte, a.a.O., S. 317ff. 31 Vgl. die deutsche Ausgabe von Ritter, Cautio Criminalis, a. a. 0., mit einer einführenden Biographie; zu dem Autor und seinem Werk vgl. auch Sellert, NJW 1986, 1222ff. 32 Ritter, Cautio Criminalis, a. a. 0., S. 62.

1. Abschnitt: Von der CCC zur Reichsstrafprozeßordnung 1877

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vorwirft, die größte Beschimpfung die man mir antut, müßte ich mit umso größerem Eifer, umso besseren Hilfsmitteln dafür sorgen dürfen, daß es nicht auf mir sitzen bleibt"33. Hiermit hat von Spee seiner Zeit weit vorausgedacht. So hat sich heute in Rechtsprechung 34 und Literatur 35 die Erkenntnis durchgesetzt, daß bei der Frage, welche Anstrengungen das Gericht unternehmen muß, um Beweismittel herbeizuschaffen, die Schwere der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat von Bedeutung ist. Die Cautio Criminalis blieb allerdings in ihrer Zeit ohne Erfolg 36 . Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelang es den Vertretern der Aufklärung Christian Thomasius 37 , Beccaria und v. Sonnenfels 38 , der Hexenverfolgung allmählich ein Ende zu bereiten.

IH. Die preußische Kriminalordnung von 1805 Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Stellung des Beschuldigten war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Abschaffung der Folter. Richtungsweisend war diesbezüglich in Deutschland der preußische Staat unter Friedrich dem Großen. Er schaffte durch Kabinettsorder vom 3. Juni 1740, drei Tage nach seinem Regierungsantritt, die Folter ab, wenn auch zunächst versehen mit der Einschränkung: "ausser bey dem crimine laesae Majestatis, und Landesverrätherey, auch denen großen Mordthaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht oder viele Delinquenten, deren Connexion heraus zu bringen nöthig, impliciret sind"39. Durch Kabinettsorder vom 27. Juni und 4. August 1754 und vom 18. November 1756 hob Friedrich der Große auch diese Ausnahmeklausel ohne Einschränkung auf40 • Damit war aus dem Inquisitionsverfahrensrecht ein wichtiger Stein herausgebrochen 41 , wodurch jedoch nicht die "Gebrechen"42 dieses weiterhin geltenden Verfahrens geheilt wurden. Auch in der preußischen Kriminalordnung vom 11. Dezember 1805 43 , die noch das Inquisitionsverfahren enthielt, hatte der Beschuldigte kaum eine Ritter, Cautio Criminalis, a. a. 0., S. 64. Vgl. nur BGH StV 1981, 602f. 35 Vgl. die zahlreichen Nachweise bei AlsbergjNüsejMeyer Beweisantrag, a.a.O., S. 622 Fn. 34. 36 Henkel, Strafverfahrensrecht, a. a. O. § 9 S.48; Schmidt Eb., Geschichte, a. a. O. § 202 S. 210. 37 Mit seinen Werken: De crimine Magiae (1701); De origine ac progressu processus inquisitori contra sagas (1712) - zitiert nach Schmidt, Eb., Geschichte, a. a. O. § 202 S.210. 38 Henkel, Strafverfahrensrecht, a. a. O. § 9 S. 48. 39 Zitiert nach: Schmidt Eb., Geschichte, a. a. O. § 253 S. 269 f. 40 Schmidt Eb., Geschichte, a. a. 0., § 253 S. 270. 41 Peters, Strafprozeß, a. a. O. § 11 IV S. 67. 42 Schmidt Eb., Geschichte, a. a. O. § 254 S. 273. 33

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3 Hoffmann

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2. Teil: Die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelung

Verteidigungsmöglichkeit. Die Verteidigung begann erst nach Schließung der Akten und bestand in einer den Akten beigefügten Defensionsschrift44 . Allerdings findet sich in der Kriminalordnung schon eine erste Andeutung eines Rechts des Angeklagten, einen Beweisantrag zu stellen, wenn es in § 365 45 heißt: "Den Beweis der Verteidigung muß der Beschuldigte oder dessen Verteidiger entweder selbst führen, oder doch dem Richter die Mittel an die Hand geben, daß er diesen Beweis von Amts wegen aufnehmen kann." Es gab aber kein Recht des Angeklagten, daß diese Beweise tatsächlich erhoben wurden 46 und dementsprechend keine Verpflichtung des Inquirenten, sich mit Anträgen des Beschuldigten auseinanderzusetzen.47 Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, daß es zur Zeit des Inquisitionsprozesses, in der der Beschuldigte weitestgehend schutz- und rechtlos war, weder ein gesetzlich garantiertes Beweisantragsrecht, noch eine Verpflichtung des Inquirenten gab, sich mit Anträgen des Beschuldigten auseinanderzusetzen. Die Stellung des Angeklagten war rechtlos, die Macht des Untersuchungsrichters grenzenlos. 48 Für das Beweisantragsrecht gab es allenfalls, wie dargelegt, nur äußerst vage Ansatzpunkte. Dementsprechend fehlte auch eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Ablehnung von Beweisanträgen. "Von wirklich proceszualischen Rechten des Beschuldigten konnte in Wahrheit keine Rede seyn. "49 Trotzdem ist das Wissen um die Rechtlosigkeit des Beschuldigten ein gutes Fundament für die weiteren Untersuchungen, denn auf diesem Boden sind die modernen Prozeßordnungen gewachsen. Angesichts der Recht- und Machtlosigkeit des Beschuldigten im Inquisitionsverfahren erscheint es verständlich, daß dieses der Menschenwürde widersprechende Verfahren zum Angriffspunkt der Aufklärung wurde.

IV. Die vorbildliche Entwicklung im französischen Strafverfahrensrecht Auch in Frankreich hatte es bis zur Revolution ein schriftliches und geheimes Inquisitionsverfahren gegeben 50. Geistig vorbereitet durch die Aufklärer Montesquieu (1689-1755)5\ Rousseau (1712-1778) und Voltaire (1694-1778)52 43 Eine gute Übersicht über die wichtigsten Regelungen findet sich bei Peters, Strafprozeß, a. a. O. § 11 V S. 65 f. 44 Schmidt Eb., Geschichte, a. a. O. § 254 S. 272. 45 Zitiert nach Kurtze, Beweisanträge, a. a. O. S. 8.