Der Stunden Gottesgruß: Eine Apotheose des Lebens [2., unveränd. Aufl., Reprint 2021] 9783112513361, 9783112513354

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Der Stunden Gottesgruß: Eine Apotheose des Lebens [2., unveränd. Aufl., Reprint 2021]
 9783112513361, 9783112513354

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Der Stunden Gottesgruß Ome Apotheose des Webens.

Den deutschen Müttern geweiht von

Franziska Gräfin Schwerin.

Zweite, unveränderteAnfluge.

Leipzig

Verlag von Veit & Comp. 1859.

Molto.

ES ist nicht ein einzelner Gott, wie eine wenig aufgeklärte Phantasie das Göttliche sich einzubilden gewohnt ist, eö ist die Gottheit, die sich nicht an einem Punkte, auch nicht einmal offenbart; »hr 'Wesen ist eine ewige Offenbarung in der Welt, ihre That eine ewige Schöpfung, ibr Triumph eine ewige Menschwerdung, ihr Tempel ist die ganze Welt, ein Tempel, dem die Natur zur Arabeske und der Mensch zum Götterbilde dient, ihre wahre Wirklichkeit ist der freie, sittliche Menschengeist. Kuno Fischer, Diotima.

Gottesgeist pi suchen, zieht Ihr aus And tretet ein in.jedes Gotteshaus,

And schaut pi Kanpt und Altar hinauf, And schlaget Bibel und Gesangbuch auf; And beuget unter Priesterhand das Haupt,

Den Gott pi suchen, den die Seele glaubt! Doch daß das Menschenherz hier auf der Erde Des Gottesgeistes fch ö n st er Tempel werde —

Daß jede Stunde, die das Leben bringe,

Als Gottesgruß Euch an die Seele dringe — Daß Euer irdifch Wollen, Sein und Handeln

In einen Gotteshauch sich mög1 verwandeln —

Daß Gott so in Euch denkt, wie durch Euch spricht,

Das, Menschen, glaubet und erstrebt Ihr nicht? D Mütter, Euch vor Allen ist gegeben

Das Evangelium von dem Gott im De den,

Auf daß Ihr's Euren Kindern sollt erzählen Rnd ihrem Geist den Gottesgeist vermählen —

Und — nützend Euer heilig schöues Necht — Zu bilden ein Gott würdiges Geschlecht! Drum Euch, den Gründern einer neuen Zeit SeidieserStundenGottesgrußge weiht!

W-nc Zeit, die große Herrscherin aus Erden, A'^Die mächtige, uralte Zauberin, War einst gar miib' und matt von den Beschwerden, Die sie mit immer gleichen! Muttersinn

Und gleicher Treue, ohne Ruh'n und Rasten, Für all' die Menschen auf sich nimmt und trägt, Die oft so achtlos und so leicht verpraßten,

Was sorglich sie in ihren Schooß gelegt,

Für die sic gut zu machen und zu heilen, Stets nah zu sein mit milder Liebesthat,

Zu schützen, zu versorgen, mitzutheilen

Und bcizustehcn strebt mit weisem Rath! Sie weiß der Menschen Thorheit auszugleichen, Weiß leicht zu machen auch den schwersten Druck,

2 Weiß jeder Wunde Balsam darzurcichen,

Und schafft aus Lebenslasten Lebensschmuck!

Sie zeigt dem Menschen, still von dem zu lassen, Was ihm einst gab des Schicksals holde Gunst,

Sie mildert allen Zorn und alles Hasser: Und lehret des Vergebens schwere Kunst! Sie läßt auf Gräbern Gras und Blumen blühen, Stillt Klagen, trocknet Thränen, lindert Schmerz,

Läßt wilder Leidenschaften Braud verglühen Und gießt der Ruhe mildes Licht in's Herz! Nimmt der Verzweiflung rasenden Megären

Die Macht, die rings umher Verderben streut, Giebt für die Zukunft weise, goldene Lehren Und macht aus Gegenwart Vergangenheit; Erscheint oft neu und jung und ist doch immer

Die alte, liebe Freundin, die so gern Vom Leben streifen will den falschen Schimmer,

Um an das Licht zu zieh'n den ächten Kern.

3 Oft freilich muß der Mensch auch ihre Schwere Empfinden, doch wohl dem, der sie versteht,

Wohl dem, dem ihre ew'ge Macht und Ehre Und ihr geheiligt Recht zu Herzen geht;

Der von ihr lernt, der ihre Zeichen deutet, Der ihr Gebot mit stiller Ehrfurcht hört, Deß Seele glüht, und dessen Herz sich weitet,

Wenn gläubig er zu ihrer Fahne schwört;

Der nicht mit blindem, unbedachtem Stürmen, Mit heißem, regellosem Ungestüm

Hineinstürzt in ihr wildes Wogenthürmen, Gedankenlos und blind vertrauend ihm;

Doch der mit ernster, andachtsvoller Stille, Mit weiser, ruhiger Besonnenheit, Mit Herzensglut und markiger Geistesfülle

Ihr seines Denkens Kraft und Stütze leiht. Denn nicht ein Herrscher will die Zeit ja werden, Dem sich der Menschheit Nacken blindlings beugt,

4 Nicht ein Tyrann, vor dessen Wuthgebcrden

Vernunft und Ueberlcgung machtlos schweigt, Nein! doch ein Genins, dessen leises Schreiten, Deß Flügelschlag, und dessen milder Gruß

Dem, der's vermag, zu schauen und zu deuten,

Das Herz berührt gleich wie ein Himmelskuß! Ein Genins, den Gruft und Moder schrecket,

Der Winterschncc und Winterfrost verschmäht, Der Frühlingsblüthen rings umher erwecket Und uns mit Frühlingsahnungen umweht.

Der zu der Sonne seine Blicke lenket, Der nicht nur vorwärts, nein, auch aufwärts strebt,

Der leise flüstert: Menschenkinder, denket!

„Denn wer gedacht, nur der hat auch gelebt! „Erkennet mich! ich bin aus Gott geboren,

„Ich bin durch Gott geheiligt und geweiht, „Für den, der seines Geistes Aug' und Ohren -

„Dem ernsten Walten meines Willens leiht!

5

„Der sich mir anschließt, mir mit heiliger Freude

„Die Kraft des Kopfs, des Arms, des Herzens giebt, „Weil er auch unter meinem schlichten Kleide

„Den ew'gen Göttergeist erkennt und liebt!"

So spricht die Zeit und wirket ruhig weiter,

Iudeß der schwer sie nennt, und Jener leicht, Der als zu ernst sie schmäht, der als zu heiter, Der seufzet, weil sie fliegt, der, weil sie schleicht.

Sie lächelt still und sendet ihre Boten, Die Stunden, sorglich hin in alle Welt, Zu den Lebendigen und zu den Todten, Damit sie thun, wozu sie Gott bestellt;

Damit sie schauen aus der Menschen Treiben, Auf ihre Schwäche und auf ihre Kraft,

Auf ihres Hasses Schwinden oder Bleiben,

Auf ihrer Liebe heil'gen Lebenssaft; Auf ihres Fleißes, ihrer Trägheit Spuren In dem, was sie gewollt, gethan, gedacht,

6 In dem, was einmal sie zu Gottnaturen, Und einmal sie zu StauLgebornen macht. Damit sie schau'n, ob schlaff sie, oder tüchtig, Ob's treu ihr Herz mit Recht und Wahrheit meint,

Und ob das Leben ihnen groß und wichtig Und eines freudigen Kampfes werth erscheint. Ach, oder ob sie müd' schon im Beginnen

Statt auf der Höhe, schlaff am Ziele sind, Ob ihnen bleiern schwer die Tage rinnen,

Für deren hohen Reiz sie taub und blind! Das hat die Zeit den Stunden aufgetrcfgen, Und wenn sie einen Jahreslauf vollbracht,

Daun müssen sie erzählen ihr und sagen, Ob einen Fortschritt wohl der Mensch gemacht.

Und was sie dann in dem Gesammtberichte Als wichtig und bedeutungsvoll erkannt,

Zeigt sie dem ernsten Genius — Geschichte — Der es mit starker, eisenfester Hand

7 Dem großen Buch des Lebens einverleibet, Deß Tafeln er der fernsten Zukunft weih't,

Weil jedes Zeichen, das sein Griffel schreibet,

Noch nach Jahrhunderten so steht, wie heut'. Zwar will ein kleiner Kobold ihn verführen, Wie auch die Menschen er versucht und lockt,

Will listig in die Feder ihm dictiren, Wenn lachend auf der Schulter er ihm hockt, Viel leichteu Tand, viel seichtes, falsches Wesen,

Das des Besteh'ns und Bleibens nimmer werth, Damit die Nachwelt sehen mag und lesen,

Was Kobold ,,Zeitgeist" schenket und bescheert.

Doch die Geschichte läßt sich nicht bestechen, Ob Menschenwitz auch Kleines „herrlich" tauft,

Und furchtbar wird sie einst an dem es rächen,

Der blindlings diesem Dämon sich verkauft.

Sie schreibet ruhig fort, indeß auf Erden Aus Gegenwart gar bald Vergangenheit,

8 Aus Zukunft aber Gegenwart muß werden, Wie es die Zeit, die Herrscherin, gebeut.

Sie waltet weiter, unb die Stunden dienen, Und die Geschichte schreibt ihr ernstes Wort,

Und nur der Mensch will tilgen nicht und sühnen,

Was er an Allen sündigt, fort und fort. Ob er der Stunden Blüthenstaub vernichte

Durch Wahn und Unverstand, wird ihm nicht leid, Geschichten lernt er wohl, doch nicht „Geschichte,"

DemZeitgeist glaubt er, nicht dem „Geist der Zeit." Da schüttelt, zu den Stunden hingewendet,

Die greise Weltenmutter ernst das Haupt Und spricht: „Seid Alle von mir ausgesendet,

„Aus daß ein Herz Ihr sucht, das an mich glaubt, „Das meinen Schritten lauscht, die Zeichen beutet,

„Die ich als heil'ge Banner aufgesteckt, „Und das mit stiller Freude mich begleitet,

„Ob Stumpfsinn es auch schmäht, ob's Trägheit neckt;

9

„Daß Ihr ein Leben sucht, das Euch betrachtet „Als Boten einer hohen, heiligen Macht,

„Die Thaten liebt und Müßiggang verachtet

„Und auch das Sein des Augenblicks bewacht;

„Daß einen Geist Ihr jucht, dem die Geschichte

„Die ew'ge Offenbarung Gottes ist, „Der ihren Ausspruch „heilige Gerichte" „Zu nennen nie versäumt und nie vergißt.

„Und habt in einem Menschen Ihr verbunden „Solch' Herz, solch' Leben, solchen Geist erblickt,

„Dann kommt zurück, Ihr vielgetrcuen Stunden,

„Auf daß die frohe Botschaft mich erquickt, „Und ich dem Geist, dem Herzen mrd dem Leben „In dem, was ihm das Theuerste der Welt,

„Kann meinen ewig heil'gen Segen geben

„Durch Euch, die ich zu Dienern mir bestellt!" So sprach die Zeit.

Die Stunden aber flogen

Davon auf ihr allmächtiges Geheiß;

10

Von Stadt zu Stadt, von Land zu Land sie zogen, Bald suchten sie die Jungfrau, bald den Greis, Spät den Palast, und früh die kleine Hütte,

Den Crösus gestern, und den Bettler heut', Hier lenkten sie zur Einfalt ihre Schritte,

Und dort zur Stätte der Gelehrsamkeit, Um, wenn sie so den Jahreslaus vollendet, Zur alten Mutter Zeit zurückzugeh'n,

Und ihr, die sie zum Schauen ausgesendet,

Zu sagen, was gehört sie und gesehn.

11

stillem und erwartungsvollem Bangen,

Der Boten harrend, die nach Jahresfrist Zurückzukehren das Geheiß empfangen,

Saß Mutter Zeit; ihr ernstes Auge mißt

Der Sonne Bahn; sie darf den Strahl nicht scheuen,

Der mächtig siegend durch die Wolken bricht, Sie weiß ja stets das Dunkel zu zerstreuen

Und zieht auch das Verborgenste an's Licht. Und von dem Glanze dieses Lichts getroffen, Naht nun der Stunden jugendliche Schaar,

Doch aus den Augen strahlt kein frohes Hoffen, Kein Lächeln liegt auf Wang' und Lippenpaar.

Vielmehr mit ernstem, wehmuthsvollem Grüßen, Und mit umflortem, thränenfeuchtem Blick,

12

Kehr'n Alle sie zu ihrer Mutter Füßen Von ihrer Lebenswanderung zurück. „Beginnt", sprach diese, „daß ich cs erfahre,

„Was ihr an Menschenwort und Menschenthat „In dem von mir Euch zugcmessnen Jahre

„Mit Ohren hörtet und mit Augen sah't!" „O Herrin!" sprach darauf die erste Stunde, „Wohl haben wir, wie es Dein Wort gebot,

„Geschaut, geforscht, geprüft, doch unsre Kunde „Macht all' Dein Wünschen und Dein Hoffen todt.

„Nicht kann's Dein mütterliches Herz erfreuen," Sprach daraus die zweite „wenn wir Dir gesteh'»,

„Daß, als wir auf die alten und die neue» „Geschlechter still erwartungsvoll geseh'n,

„Wir Mißmuth, Abgestorbenheit und Kälte „Und Müssiggang und Eitelkeit geschaut,

„Und Lüg' und Haß, die jedes Glück vergällte, „Und Sinnlichkeit, die jede Lust umbaut.

13 „Daß äuß'rer Prunk die inn’vc Leere deckte,

„Und schöne Schaale faulen Kern umfing, „Daß Geistesreichthum oft Bewunderung weckte,

„Indeß das Herz in Armuth betteln ging."

„Da," sprach die dritte, „faßte uns Entsetzen,"

„Du mög'st in die Gewissenhaftigkeit „Und Treue unsers Dienstes Zweifel setzen

„Und uns aus deinem Reich entlassen heut'. „Und wir beschlossen, eh' nicht heimzukehren,

„Als bis wir in den Kelch voll Bitterkeit,



„Den unsre Hand Dir, Herrin, giebt zu leeren,

„Ein kleines Körnlein Süßigkeit gestreut." „Und diesen Tropfen," sprach die vierte Stunde, „Den einen süßen bringen wir Dir heim!

„Vernimm, o gute Mutter, unsre Kunde,

„Und schaue auf den einen zarten Keim, „Der von der Segenssaat, die Du gestreuet,

„In voller Schöne durch das Erdreich bricht,

_ u „Und eine Blüth', die ewig sich erneuet,

„Und eine kräftig süße Frucht verspricht!" „In einem Hause ist der Keim zu finden,"

So sprach die fünfte darauf, „wo Mann und Weib, „Dein Wesen zu begreifen, sich verbinden „Und zu dem Augenblicke sprechen: Bleib!

„Wo man besonnen folget Deinen Schritten, „Wo der Geschichte Wort man hoch verehrt,

„Wo nichts erfahren wird und nichts erlitten,

„Was nicht gleich einem Priester warnt und lehrt." „2a!" sprach die sechste, „diese Beiden scheinen

„In sich die Strömung der Vergangenheit, „Der Gegenwart und Zukunft zu verciuen,

„Denn der Geschichte mahnendes Geläut',

„Sie haben es mit offenem Gemüthe

„Gehört, von Deinem Geist, o Zeit, durchblitzt, „Und eines künftigen Geschlechtes Blüthe

„Voll Muth erstrebend, edel uns genützt!"

15 „Willst Du, o Herrin, diese Menschen sehen?" Frug rasch die siebente, „das Hänschen dort,

„Ans dessen Giebel in des Lenzes Wehen

„Der Storch sein Nest gebaut, das ist der Ort!" „Jetzt ist es leer," versetzte darauf die achte,

„Zu wärmern Zonen zog der Storch hinaus, „Der's mit getreuer Sorgsamkeit bewachte,

„Doch lieb und süß ist's drinnen in dem Haus. „Des Eises Blumen auf den Fensterscheiben

„Verwehren zwar in's trauliche Gemach „Hineinzuschau'n, und vor des Schneefalls Treiben „Schloß sich die Thür!" „Doch unser Flügelschlag,"

Begann die neunte, „sprenget jede Pforte, „Und thut auch die geheimsten Räume auf,

„D'rum, hohe Mutter, traue unserm Worte „Und folge uns!" „Mein kurzer Erdenlaus," Sprach drauf die zehnt', „soll eben neu erstehen, „D'rum will ich Euer Aller Führer sein!"

16

Die eilftcrief: „Laß nicht umsonst uns flehen!" Die zwölfte: „Glaube uns, und sprich nicht: Nein!"

„Wohlan!" begann die Zeit, „ich will besiegen „Den Zorn, den Eure Kunde mir erregt!

„Die Menschen, die sich um das Heil betrügen, „Das meine Hand in ihren Schooß gelegt,

„Will mit gewaltiger Strenge ich bestrafen

„Kraft meiner ew'gen Macht und Majestät, „Auf daß sie nimmer landen in dem Hasen

„Des Glücks, der meinen Jüngern offen steht! „Dem alternden Geschlecht will ich dictiren

„Die Strafe einer ew'gen Einsamkeit, „Es soll die Qual des Tantalus verspüren,

„Ja Sehnsucht nach der „ „alten guten Zeit." " „Und dem Geschlecht der Gegenwart, dem neuen

„Und lebenskräftigen, von dem Ihr sagt, „Daß es mit Eitelkeit mich zu entweihen,

„Mit Müssiggang Euch zu entehren wagt,

17

„Will ich mit unerbittlich ernster Strenge „In Fluch den Segen wenden, den Ihr gebt,

„Und dehne drum zu endlos ew'gcr Länge „Euch aus, die Ihr im Fluge sonst entschwebt!

„Doch dem Geschlecht der Zukunst, das betrogen

„Vom Zeitgeistspuk so ruh'los vorwärts treibt, „Das vielgebildet wird und vielerzogen „Und dennoch arm an Herz und Seele bleibt,

„Will zeigen ich zum warnenden Exempel

„Das tiefe Weh der Übersättigung „Als seines Strebens unheilvollen Stempel, „Auf daß eS lernt bescheid'ne Mäßigung! -

„Nun aber kommt! ich will mich Euch vertrauen „Und jetzt von Zorn und Zweifelsucht entfernt,

„Mit klaren Blicken auf die Menschen schauen,

„Die Euch geehrt, und die von mir gelernt!"

18 Und also, von den Zwölfen dicht umgeben, Schritt vorwärts sie, dem kleinen Hause zu,

Und als zehnmal, mit Senken und mit Heben Der Glockenhammcr laut gemahnt zur Ruh,

Sind sie im Zimmer.

Still, doch innig betend

Ein junges Weib d'rin auf den Knieen liegt,

Indeß, das bleiche Antlitz leise röthend, Ein Strahl des Glückes jäh' es überfliegt.

Sie denkt des Augenblicks, des stillen, süßen,

Da einst der Engel der Verkündigung Auch ihr genaht mit leisem, heil'gen Grüßen,

Und in der seligen Erinnerung, Spricht sie noch heut, wie einst, da bei der Kunde:

„Gegrüßt seist Du, Maria!" sie gezagt, „„Herr! ja ich glaube Deinem heil'gen Munde! „„Und so geschehe mir, wie Du gesagt!""

„Und wie die Jungfrau einst den Herrn geboren,

„Vor dem die Welt in Ehrfurcht sich gebeugt,

19 „Weil vor den: Geist, der ihren Leib erkoren, „Sie demuthsvoll und gläubig sich geneigt, „So kann ja auch mein Kind ein Heiland werden

„Der kranken Zeit, dem siechenden Geschlecht, „Kann unter Menschen sein, ein Mensch auf Erden, „Und doch ein Gott an Liebe, Kraft und Recht!

„Drum gieb Du, Geist des Lichtes, Deinen Segen

„Dem Kinde, das dem Licht entgegenstrebt! „Laß freudig mich vor Dir es niederlegen, „Daß eö, von Deinem Zauberkuß belebt, „Im Licht der Kraft und Liebe möge wandeln,

„Und wirken, unverzagt und unbeirrt,

„Und so sein Sein, sein Fühlen und sein Handeln, „Ein Licht von oben für die Menschheit wird!

„Laß cs dem Dienst der Zeit begeistert geben „Das Tröpflein seines Geist's und seiner Kraft,

„Laß es durchfluthen, nähren und beleben „Von der Geschichte heil'gem Lebenssaft!

20

„Daß in dem Kleinen es das Große schane,

„Im Strahl — die Sonne! in dem Menschen — Gott! „Ja sich — ein Sandkorn zn dem ew'gen Bane

„Des Gottesreiches, das trotz Wahn nnd Spott „Sich dennoch wird entwickeln nnd gestalten, „Dnrch die gewaltige Herrscherhand der Zeit, „Wenn anch zn seinem Werden nnd Entfalten

„Nnr leise Körnlein sich an Körnlein reiht! „Laß in der Stunde cs den Engel ahnen, „Den Deine Hand ihm znm Gefährten giebt,

„Es ernst zu warnen nnd es leis zu mahnen, „Und gieb, daß es die Stimme ehrt nnd liebt! „Und mir gieb Kraft, daß nichts ich möge sinnen, „Als nnr mit Herz und Seele, Geist nnd Leib,

„Das hcil'ge Werk der Mutter zu beginnen,

„Deß Du gewürdigt hast das schwache Weib! „Gieb Deinen Segen, daß ich's recht erfasse, „Was Dn gegeben mir mit diesem Glück'!

21 „Gieb, daß ich's nie aus meinem Herzen lasse, „Und daß ich stets an diesen Augenblick

„Mit all' der reinen heiligen Freude denke,

„Die jetzt mein ganzes Wesen still durchglüht, „Weil in dem Menschen, den der Welt ich schenke,

„Mein Blick mit Stolz ein Kind des Lichtes sieht. „Und nun, Du Geist der Kraft, Du Geist des Lebens, „Sei mit mir in der Stunde der Gefahr!

„Du bist ja Herr des Nehmens und des Gebens, „Und was Du thust, ist immer recht und wahr.

„Doch bitten darf ich: Geist des Lichtes, merke „Auf mich, ob Du versagst, ob Du erfüllst!

„Durchströme mich mit Deiner Kraft und Stärke, „Und dann geschehe mir, wie Du es willst!" Sie schweigt — erhebt sich — und mit leisem Läuten

Beschließt- die zehnte Stunde ihren Lauf, Die eilfte naht mit sachtem Vorwärtsschrciten, Schaut auf das Weib, schaut flehend dann hinauf,

22

Umweht das Haus, umweht das kleine Zimmer

Mit leisem, immer leiserm Flügelschlag, Durchleuchtet es mit mildem Strahlenschinlmcr,

Ruft tausend süße Engelstimmen wach, Die mit gar wundersamen Melodien Des jungen Weibes innerstes Gemüth

Erquickend und beseligend umziehen, Und als auch sie dann segnend weiter zieht,

Da hebt die zwölfte Stunde sacht den Schleier, Der der Natur geheimstes Wunder deckt, Und weihet ein zur ernsten Lebensfeier

Das Knäblcin, das der Geist des Lichts geweckt. Noch licgt's im Arm der Mutter tief geborgen, Von ihr geschützt, gesegnet und geliebt,

Noch weiß es nicht, daß es auch einen Morgen

Der Schuld, und eine Nacht der Sünde giebt. Noch schaut es ahnungslos hinein in's Leben,

Mit Engelslächeln und mit Engelsblick,

23

Noch strahlt des innern Gottes Weh'n und Weben Von Augen -, Lipp - und Wangenpaar zurück.

Es hebt den Arm, das Händchen streckt voll Sehnen

Hinein in's Leben sich, voll Kamps und Schmerz, Da quellen aus dem Aug' die ersten Thränen, Und aus dem Gotte ward ein Menschenherz! Die Stunden sehn's und schaaren sich im Kreise Um das zum Leben aufgewachte Kind,

Da spricht die Zeit: „Geheiligt sei die Reise, „Die jetzt, o Menschensohn, Dein Fuß beginnt!

„Ich will Dir nahe sein mit meinem Segen,

„Wenn Du mich immer heilig'hältst uud liebst, „Will Kraft und Fülle in Dein Walten legen, „Wenn meinem Walten Du die Ehre giebst!

„Und von den Stunden, die Dich jetzt umschweben,

„Die ich zu Freund' und Dienern Dir bestellt, „Will jeder einzigen die Kraft ich geben,

„Daß sie, so lang Du weilst auf dieser Welt,

24

„Einmal als Segensstunde Dich umschlinget, „Als Stunde, die in dem, was Dich ersüllt, „Indem, was Dich erfaßt, bewegt, durchdringet,

„Den Gott Dir zeigt, der sich darin verhüllt!

„Nicht über Dir allein sollst Du ihn schauen,

„Nicht außer Dir, nicht fern von Deinem Sein! „Nein, in Dir auch kann er sich auferbauen,

„Und auch Dein menschlich Thun kann göttlich sein! „Hört's denn, Ihr Stunden! wenn dies Kind mich ehret „Als Knabe, wie als Jüngling, Mann und Greis.

„Wenn es auf meine ernste Stimme höret,

„Dann geb' ich Euch, für ihn zum Segenspreis, „Die Kraft, ihm in des Mutterherzens Triebe,

„Im Menschenworte und in der Natur, „Wie in der Wissenschaft, der Freud', der Liebe

„Zu zeigen eines Gottes ew'ge Spur!

„Und in der Kraft auch mög' er ihn erkennen, „Auch in der Wahrheit seinen Geist erschau'n!

25 „Der Freiheit Licht auch soll er göttlich nennen, „Der Treue auch den Gottestempel bau'n!

„Und wenn ihm aus der Jugend Zauberquelle „Als Greis noch Labung und Erquickung ward,

„Dann fühle er den Gottesgeist, deß Helle „Sich in der ew'gen Jugend offenbart!

„Und endlich ahn' er Gott auch in der Palme, „Mit der der Friede seine Stirn umweht,

„Wenn meine Hand ihn einst gleich einem Halme,

„Der reif und fruchtschwer ward, vom Felde mäht! „Wohlan, ihr Stunden, weil Ihr denn vernommen „Mein Wort, laßt's treulich in Erfüllung gehn!

„Auf daß dem Knäblein mög' zu Gute kommen „Des treuen Mutterherzens treues Flehn!

„Denn dem Gebet war eine Kraft gegeben, „Fortwirkend hin in alle Ewigkeit,

„Drum ist dies Kind denn auch beschützt für's Leben,

„Was auch an Schmerz und Sünde es umdräut!"

26

So sprach die Zeit! der Stunde jede neigte Gelobend sich vor der Gebieterin

Und schwebte leis hinweg.

Sie aber beugte

Mit wahrhaft mütterlichem Liebessinn

Noch einmal sich auf ihren Schützling nieder, Zu segnen ihn für seinen Lebenslaus, Haucht einen Kuß auf seine Augenlider,

Und spricht: „Dich weckt die Zeit! wach auf! wach auf!"

27

Der ersten Stunde Grüßen. Der Gott im Mutterherzen.

S&iii Morgen war's.

Mit glänzend lichten Strahlen

Umsäumte ihn die Sonne lusterglüht, Und blendend Helle, gold'ne Fünkchen stahlen Sich in den Saal, den Blumenduft durchzieht. Inmitten lag ein Teppich, drauf erhoben

Ein Tischchen stand, mit faltig weißem Tuch

Vcrhüllt wie ein Altar, am Rande oben Ein Blumenkränzlein, das das heil'gc Buch

Und Kann' und Schaale einzurahmen strebte, Und rings umher gereiht, ein kleiner Kreis Von Menschen, deren Herz und Seele bebte

In wahrer, reiner Freude tief uud heiß!

28

Der Priester trat herzu; er beugte leise Herab sich auf ein Kindlein, süß und zart,

Das ihm nach alter, christlich frommer Weise Von Jungfrau'nhänden dargeboten ward.

Das Kindlein schlief.

Der Lippen Purpurrose

War fest geschlossen, wie der Augen Lid,

Die kleinen Händchen deckten leicht und lose Die Brust, aus der ein sanfter Athem zieht,

Doch auf dem Antlitz, das anS weißen Bauschen Wie eine Perle aus den Wellen taucht, Sieht man, wenn auch noch tiefverborgen, lauschen Den Gottcsgeist, der das Gebild durchhaucht.

Liegt's um die Augen nicht wie Engelsgrüßen?

Nicht um den Mund wie Paradiesesglück?

Strahlt von den Wangen nicht, den rosig süßen, Des Himmels reiner Zauberglanz zurück?

Ja! ohne Worte spricht dies Kind, dies kleine, Bon Menschenwürde und von Menschenkraft,

29

Bon einem Leben, das, wenn es das Reine,

Das Große, Schöne, sittlich Gute schafft, Ein Segen ist für viele Millionen, Ein Segen für die Zeit, die geht und kommt, Mag es im Herzen eines Bettlers wohnen,

Mag's eines Königs sein, genug, cs frommt. Es ist ein Ring, so spricht's, der großen Kette,

Die Gottes Hand um diese Erde spannt,

Es ist ein Tropfen in dem Strom, deß Bette

Kein Auge sicht und den wir Welt genannt! Es ist ein Halm im Felde, dessen Aehren,

Im Boden wurzelnd, auf zum Himmel sehn; Es kann vergehn — und es kann ewig währen; Es ist ein Nichts — und es ist zauberisch schön.

Denn der Gedanke muß es hell durchstrahlen,

Und wahre Liebe muß es still durchglühn,

Dann wird es, siegend über Schmerz und Qualen, Mild leuchtend über diese Erde ziehn!

30

Und ist's auch scheinbar klein und schwach gewesen, Siukt's auch hinab, in dunkle Grabesnacht, Doch war in ihm ein unvergänglich Wesen

Und eine heil'ge wunderbare Macht! Wohl dem, der solche Worte weiß zu lesen Von eines Kindleins stummem Angesicht, Der es erkennt, daß nicht der Geist des Bösen,

Nein, Gottes Bild aus diesen Zügen spricht! Wohl dem, der durch ein Kind sich reich gesegnet,

Sich Gott verbunden fühlt und nie vergißt,

Daß ihm in einem Kinde Gott begegnet, Weil göttlich rein des Kindes Seele ist!

Wohl auch dem Priester, wenn er also deutet Des Bibetwortcs heiligen Segenskern,

Denn dann ist würdiglich sein Herz bereitet, Daß er, als ein Gesendeter des Herrn

Das Taufwort spricht, das Haupt des KiudlcinS leise

Mit Wasser uetzet uud ihm tief bewegt

31 Zu seiner weiten dunklen Erdenreise Des Kreuzes Zeichen aus die Stirne legt.

So war auch dieses kleinen Täuflings Seele Zum Kampfe mit dem Leben eingeweiht,

Und — daß auch Lieb' es kräftige und stähle — Trat aus der Schaar, die um den Tisch gereiht,

Ein Jeglicher herzu, nach altem Brauche,

Und legt auf's Köpfchen leise ihm die Hand, Dann küßt's die Mutter; und bei diesem Hauche Geht, als sich Alle still hinweggewandt,

Urplötzlich leises Rauschen durch das Zimmer,

Das Knäblein, das so sanft und ruhig schlief,

Thut auf die Augen, und ein leiser Schimmer

Von einer Wonne, selig rein und tief, Taucht darin auf; man weiß es nicht zu deuten, Weil nur das Kind den holden Engel sieht,

Der eingeführt von heil'gem Glockenläuten Als erste Stunde um die Erde zieht.

32 Sie spricht zum Kinde: „Einst wirst Du erkennen

„Den hohen Segen, den ich Dir gebracht;

„Die Kirche wird ihn heil'ge Taufe nennen, „Wird von des Wassers reinigender Macht

„Erzählen, und vom Wunder, das geborgen „Im Kreuze liegt, mit dem man Dich berührt, „Und wird Dir sagen, daß der heut'ge Morgen „Dich in das Christenleben eingesührt!

„Ich aber sage Dir, nicht Priestersegen,

„Nicht Kreuz und Wasser hab' ich mir erwählt, „Um eine Wonne Dir in's Herz zu legen, „Die für das Leben Dich erquickt und stählt;

„Im Mutterherzen habe ich erbauet „Dir einen hohen, heiligen Altar.

„Die Mutterthräne hat Dich mild bethauet, „Als Wasser, deren Quelle rein und klar. „Und als der Mutter Lippen sich bewegten

„Für Dich in heißem, innigem Gebet,

33 „Als Mntterküsse Dir auf's Haupt sich legten, „Als Mutterseufzer leise Dich umweht,

„Da sank auf Dich herab als Christenorden „Das Zeichen heiliger Dreieinigkeit,

„Und Mutterliebe ist der Priester worden,

„Desz Segen Dich zum Leben eingeweiht! „So zieh' denn hin, und wird der Schmer; sich senken

„In Deine Brust, und wird Dich Glück umfah'n, „So wirst Dn meiner immerdar gedenken

„Als einer Stunde, die Dir wohlgcthan!

„Das war mein Wille; dazu hat erkoren „Mich unser Aller Mutter ja, die Zeit!

„Und nimmer geht mein Segen Dir verloren, „Denn Muttertreue bleibt in Ewigkeit."

Der Engel schwieg und schwebte leis von hinnen, Des Kindleins Blick und Lächeln folgt ihm nach,

Es wacht zum Leben aus — die Stunden rinnen Im Fluge fort — es reiht sich Tag an Tag.

34 Der Kinderstube lieblich holde Bilder Sind im Vorüberzieh'n vergessen schon,

Doch immer reiner, immer weicher, milder

Klingt jener eine süße Märchenton, Von seiner Dause weihereichcn Stunde

Hin, durch des Kuabeu sinuigeö Gemüth, Und, was der Engel sprach, war ihm zur Kunde Des reichsten, schönsten Segens ausgeblüht.

Er lernte früh erkennen und verstehen

Der Mutter Beten und der Mutter Kuß, Des MutterseufzcrS leises Segenswehen,

Der Mutterthräne süßen Himmelsgruß. Und in der Kinderstube heil'ger Stille

Hat er den Schatz des Wissens sich bewahrt, Daß Gottes Geist und Licbeöfülle In einer Mutter Sein sich offenbart.

35

Der zweiten Stunde Grüße». Der Gott im Menschenwort.

w

wieder kam ein Tag herauf; sein Finger

-ö In dichte Wolkenschleier eingehüllt,

Entfesselte den kühnen Wcltbezwinger, Deir Sturm, daß er daherbraust, laut und wild.

Dann öffnet er behend die weiten Schleusen Der Himmelswasser, daß sie ungehemmt Hinab zur Erde blühenden Fluren reisen,

Bis ihre Macht die Felder überschwemmt, Das Erdreich auswühlt und die Blumen tödtet,

Die Zweige knickt, vom Stiel die Blüthe weht, Die jüngst, vom ersten Sonnenkuß geröthet,

3ii sel'gen Zukunftsträumen sich ergeht.

36

Und auch den Menschen saßt ein tiefes Trauern,

Wenn er erschaut den Aufruhr der Natur, Und — ob umschlossen auch von sichern Manern — Verfolgt des Sturms und Regens grause Spur.

Denn nimmer kann er unabhängig bleiben,

Wie sich auch sträubt sein Geist und sein Verstand, Von der Natur geheimnißvoÜetn Treiben,

Deß Einfluß Her; mit) Seele oft empfand. Er fühlt sich fest mit ihr zusammenhangen,

Er ahnt, daß die Empfindungen der Brust Gar oft von ihr den Widerschein empfangen. Bald den des Schmerzes und bald den der Vuft.

Ihm wird so weh! er hört die Wasser strömen, Er hört den Sturm, der wild zerstörend braust. Er sieht ihn Blüth' und Blätter mit sich nehmen Und Bäume knicken mit der Riesenfanst.

Und da gedenkt er an die Ströme Thränen, Die ihm der Schmerz in>s Ange hat gedrückt,

37

Denkt an den Lebenssturm, der all die schönen

Und reichen Blüthen seines Glücks geknickt. Denkt an die dust'ge Blume seiner Jugend,

Denkt der Gelübde jener Zeit, und sieht, Daß um den lichten Sonnenblick der Tugend Die Sünde ihren Wolkenschleier zieht.

Da wird das Herz ihm schwer, die Seele bange,

Umflorten Blick's schaut er bewegt hinaus, Und flüstert leis: „O bliebe doch nicht lange „Des Sonnenscheines süße Wonne aus!" —

Doch dort — an jenen dich verhängten Scheiben

Zeigt sich kein Meuschenangesicht; kein Blick Verfolgt der Regentropfen wüstes Treiben,

Kein Ohr lauscht auf den Sturm.

Hat wohl das Glück

Sich still geborgen hinter diesem Fenster? Das Glück, das das Gewühl der Gassen flieht?

Ach, oder singen wohl die Nachtgespenster

Des Todes da ihr schaurig Grabeslied?

___ 38 __

Wir lauschen — fragen — schleichen zögernd näher,

Ein unerklärlich Zagen hemmt den Fuß, Um’3 Herz wird immer bänger uns und weher,

Wir treten ohne Wort und ohne Gruß

Jn's Zimmer ein. — In einer Nische Bogen,

Vom dunkelgrünen Vorhang fast verhüllt, Deß Falten weit und weich herniederwogen,

Steht dort ein Ruhebette.

Still und mild

Schaut aus den bauschig weichen, weißen Kissen Ein todtenbleichcs Menschenangesicht, Die männlich schönen Züge schmerzzerrissen,

Das Auge matt, als ob's im Tode bricht. Die bläulich weißen Lippen beben leise

In einem still geflüsterten Gebet, Und um ihn rauscht's und schwirrt's nach Geistcrweise, Wie wenn ein Engel durch das Zimmer geht.

„Maria!" sprach mit mattem Ton der Kranke, „Komm an mein Herz, geliebtes treues Weib,

39

„Daß ich aus tiefster Brust Dir freudig danke „Für Deine reiche Liebe! Bleib, o bleib

„In meinem Arm, auf daß am Lebensziele, „Eh' sich mein Leib von meiner Seele trennt, „Noch einmal froh und tief und ganz ich fühle,

„Daß unsre Liebe kein Ersterben kennt!" „Mein Anton!" schluchzt es leis in seinen Armen,

„O bleibe bei mir! laß mich nicht allein! „Gott wird in seiner Gnade sich erbarmen

„Und Deines theuern Lebens Schützer sein!" „Das wird er!" sprach der Kranke, „denn mein Leben

„Wird fortbestehn, ob auch in anderm Raum! „Es kann ja keinen Tod, kein Ende geben

„Für das, was über diesen kurzen Traum

„Erhaben, göttlich in uns ist und bleibet; „Für unfern Geist, für unser tief Gemüth,

„Für das, was in der Seele wogt und treibet, „Und was empor uns zu dem Ew'gen zieht!

40

„Das lebet fort! und wirst Du still Dich fragen;

„Waö war's, das an dem Gatten ich geliebt

„In Schmerz und Lust? dann wird Dein Herz Dir sagen, „Das immer doch die rechte Aittwort giebt, „Nicht seine Stirn, nicht seiner Augen Bläue,

„Nicht seiner Wange lebensfrisches Noth, „Nicht Hand und Mund, mit dein er mir der Treue

„Herzinnig freudiges Gelöbnis; bot!

„Nein! doch sein Geist, der nach dem Höchsten strebte, „Und seine Seele, die nach Wahrheit rang,

„Sein Herz, das für das Wohl der Menschheit bebte, „Und sein Gemüth, das in dem heißen Drang „Des Lebens Liebe gab und Lieb' verlangte,

„Das war es, was mich mächtig zu ihm zog,

„Weiles mir Stütze gab, wenn's um mich schwankte,

„Weil es mir Wahrheit gab, wenn's um mich log! „Und dieses Band, das geistig uns umschlungen, „Wird dauern, wenn das Antlitz auch vergeht,

41 „Deß Wort und Blick Dein liebes Her; bezwungen, „Weil in ei ne Liebe ewig treu besteht!"

So spricht der Sterbende.

Er hat mit Mühe

Das matte Haupt erhoben und erblickt

Sein Knäbchen, das gesunken auf die Kniee, Daö Köpfchen weinend in die Hände drückt.

„Mein Kind! mein Sohn! ist über Dich gekommen

„Die Wahrheit, daß Dein Vater von Dir geht? „Daß Dir der Schutz und Beistand wird genommen, „Der hier in ihm verkörpert vor Dir steht?"

So sprach sein Mund, und seine Hand berührte Des Knaben Lockenkopf; erschaut empor Und hemmt die Thräne, die im Aug' er spürte,

Als ihm des Vaters Stimme dringt an's Ohr. Er lauscht------- ihn: ist's, als hört er's um sich schwirren,

Als fühlt er eines Engels leises Weh'n, Als hielt cs ihn, daß nimmer er verirren

Und nimmer falsche Wege könne gehn.

42 „Mein Sohn"— so klingt es —„nimm den Geist der Wahrheit

„Als Vater, Tröster und Beschützer hin „Erhalte Deinem Herzensblick die Klarheit

„Das Rechte zu erschauen, mit offnem Sinn! „Sei reich an Liebe für der Menschen Schmerzen, „Sei stark im Kämpfen für der Menschheit Glück,

„Sei treu dem Ideal in Deinem Herzen „Auch in des Lebens schwerstem Augenblick! „Du bist aus Gott! Er wird Dich nie verlassen! „So bleibe denn auch Du ihm ewig treu!

„Und lerne früh, im Geiste Ihn erfassen,

„Daß Zeugniß seines Seins Dein Leben sei!

„Das Irdische vergeht, doch ewig blühet,

„Was Du mit Gott, für Gott, aus Gott gethan; „Und wer si'ir Liebe, Recht und Wahrheit glühet, „Dem kann wohl Schnterz, doch nie Verzweiflung nahn! „Bewahr' dies Wort, mein Sohn! wenn ich die Erde

„Verlassen muß, sei treu ihm für und für,

43 „Und Deines Vaters Todesstunde werde

„Nur eine Stunde reichsten Segens Dir!"

Jetzt ist es still — kein Laut — kein Ton — o Jammer —

Der Knabe lauscht — es klingt — es schwirrt auf's Neu — Jst's Engelsprache? — nein — es ist der Hammer

Der Uhr, der steigt und sinket — es schlägt Zwei!

Und dieser Glockenschlag, der leis und sachte Verklingt, bleibt ewig doch bedeutungsvoll Dem Knaben, dem er die Gewißheit brachte,

Wie in dem Wort, daß einer Brust entquoll,

Die Wahrheit, Recht und Treue in sich wahret, Als eine schöne reine Himmelssaat,

Sich Gottes heil'ge Stimme offenbaret, Sich Gottes Wort dem Menschenohre naht.

Wohl ist auch in der Bibel es zu finden, Wohl von der Kanzel spricht's des Priesters Mund, Doch jedes Menschenherz auch kann's verkünden,

Und jede Menschenlippe thut es kund!

44

Das hat dem Knaben in das Herz gegeben

Die zweite Stund' — und ob sie auch entschwebt — Bracht' sie doch die Gewißheit ihm für's Leben,

Daß Gott auch in dem Menschenworte lebt.

Dcr dritten Stunde Grüßen. Der Gott in der Natur.

E&ä rauscht der Wald! mit mächt'gem Zauberworte

F Hat seine Sprache unser Herz begrüßt, Gleich einem Märchen, das die dunkle Pforte

Vergangener Jahrhunderte erschließt. Denn jeder Baum erzählt ein Stück Geschichte,

Er hat empfunden, hat geschaut, erlebt, Die schlanke Tann', die nadelreiche Fichte, Die Espe, die gleich wie in Angst erbebt.

Der Lärch - und Buchenbaum, der blätterreiche,

Der Birkenstamm mit silberweißem G.anz, Die majestätisch stolze, schöne Eiche,

Des Ahorns vielgezackter Blätterkranz,

46

Die Esch' und Erl', an die sich schmiegt der kleine Bescheid'ne Brombeer- und Wachholderstrauch, Bis zu dein greisen, grau bemoosten Steine

Erzählen Dir, von märchenhaftem Hauch Umweht, uralte ewige Geschichten, Von Rittcrtreu und holdem Minnesang Von Raub und Mord, von grausen Vchmgerichten, Von Jägerlust und lautem Hörnerklang!

Und dann auch wieder von gebrochnen Herzen, Die sie geschützt, umhüllt, mit Trost umranscht, Von Liebesschwüren und von Liebesschmerzen,

Von Abschiedsthränen, die sie still belauscht. Denn Alles das hat in viel hundert Jahren

Der Wald, der mächt'ge Riesengeist, erschaut,

Ja, er hat's mit erlebt und mit erfahren

Und.denen, die ihn lieben, still vertraut. Und nun der Berg, der sich mit ehr'nem Fuße

Hineingegraben in der Erde Grund,

47

So stumm und starr, als hab' zu ew'ger Buße Für schwere Schuld, geschlossen sich sein Mund. Das stolz erhob'ne Haupt, mit Wolkenlocken

Umkränzt, die edle Stirne schneegebleicht,

Der Felsenleib, als müsse in ihm stocken Des Gebens Puls so starr und ungebeugt.

Ist's nicht, als könne dieser Greis erzählen

Von Grabestiefen und von Grabesnacht, Von schweren Seufzern abgeschied'ner Seelen Und wieder dann von eines Himmels Pracht?

Von Engeln, deren Sang er müsse lauschen? Von Geistern, die dem Erdenschmerz entrückt, In ew'ger Himmelswonne sich berauschen,

Weil ihres Gottes Antlitz sie erblickt? —

Und dann das Meer! In wunderbarer Schöne Liegt's vor uns da, unendlich, ewig, groß! Und süße melodienreiche Töne

Entquellen seinem wogenmächt'gen Schooß!

48

Es singt von Lieb' — wenn w i r nach Liebe fragen, Es singt von Leidenschaft — die uns durchglüht, Es singt das Gluck —das wir im Herzen tragen,

Es singt den Schmerz — der unsre Brust durchzieht. Es singt vom Feenreich vergang'ner Tage, Bon holder Elfen Tanz und Zauberblick,

Es ruft die längs verklung'ne Zeit der Sage,

Den zarten Duft der Märchenwelt zurück. Wir lauscheu tief bewegt dem süßen Liede,

Wir sehn die Wellen kommen, sehn sie gehn, Und werden nie des holden Spieles müde,

Weil wir den tiefen Ernst darin verstehn. — Und nun das Aehrenseld! wie wogt und wallet

Es geisterhaft und leis darin umher, Bald ist's ein neckisch Wispern, das verhallet,

Um zum Gebet zu werden, ernst und hehr,

Bald wiegen sich, verschlungen wie zum Reigen, Die Halme hin und her in keckem Sprung,

49 Bald bringen sie mit dcmuthövollem Beugen Dem großen Geiste ihre Huldigung,

Bald schmiegen sie, wie wenn sic müde wären, Das Köpfchen an die kühle Erd', und dann

Erheben wieder sie die vollen Aehren, Als sprächen sie zum Himmel: „Schau uns an!" Ist es nicht süß, dies Flüstern zu belauschen,

Dies Aneinanderschmiegen zu verstehn?

Nicht lockend dies gcheimnißvolle Rauschen, Dies nebelhafte Wogen, Wall'n und Weh'n, Zu schau'n mit reinem, sinnigem Gemüthe,

Und gleich den Halmen, demuthsvoll gebeugt Bor dem zu stehen, dessen Huld und Güte Das Aehrenseld den Menschenkindern zeigt,

Damit sie daran lernen, sich zu einen Zu einem großen Ganzen, stark und fest,

Damit sie sehn, daß Gott die Sonne scheinen Für leere und gefüllte Aehren läßt? —

50 Und an das Feld geschmiegt, die saftig grünen, Duftreichen Wiesen, drauf die Heerden gehn,

Und über ihnen Schwärme lustiger Bienen, Und Vöglein, die des Sanges Lust verstehn. Und hier ein Bach, deß Wellen lustig springen,

Und dort ein See, von Gras und Blatt umblüht,

Auf dessen stillen, klaren Grund zu dringen

Es unsere ganze Seele mächtig zieht,

Und Alles überwölbt und übergossen Von Himmelsbläue und von Sonnengold, Welch Zauberbild!-------- das Aug' im Schlaf geschlossen,

Liegt dort ein Knabe, jugendfrisch und hold. ,,Erwache, Kind!" Wer rief's? war's nicht ein Engel,

Der über seinem Haupt hinweggeschwebt? Der Knabe glaubt's! doch nein! auf schlankem Stengel Ein kleines blaues Glockenblümchen bebt.

Das hat geläutet, leis, und doch verständlich, Der Knabe lauscht — er zählet —„Eins — Zwei — Drei!"

51 Er springt empor, und mächtig und unendlich In alter Schöne, und doch ewig neu, In alter Pracht, und doch in neuem Glanze,

Das Kleid gewebt von Aether und Azur, Das Haupt geschmückt mit duft'gem Blüthcnkranze, Steht vor ihm da, die Zauberin — Natur! Sic grüßt ihn mild, und bald beginnt zu sprechen

Der Wald, der Berg, das Meer, das Aehrcnfeld,

Aus Wies' und See, aus kleinen Felseubächeu Entsteigen Worte, und der Knabe fällt

Ans seine Knie in seligem Entzücken,

Er fühlt in diesem heiligen Moment,

Daß der, den die Natur mit Engclsblicken Begrüßt, den freundlichsten Erzieher kennt! „Denn" — spricht der Wald — „der Vorwelt wahre Größe,

„Die heiligen Güter der Vergangenheit, „Sie ehre hoch, und tiefe Ehrfurcht flöße

„Dir ein, was durch Jahrhunderte geweiht. 4-i-

52

„Sei geistesstark und fest, sei ohne Wanken,"

— So spricht der Berg — „sei treu und wandellos, „Steig auf zu Gott mit Worten und Gedanken

„Doch liebe Deiner Erde Mutterschooß!" „Sei durch Gemeinschaft groß, durch Demuth mächtig,

„Ein Theil des Ganzen!" — mahnt das Achrenfcld. „Gedenke" — spricht das Meer — „wenn grabcsnächtig

„Dein Leben wird, an Deine innere Welt. „Gedenke, daß Dein Geist und Deine Seele

„Ties, unermeßlich und unendlich sei! „Und daß, ob Gott für Dich auch Schmerz erwähle, „Doch seine Gnade auch und seine Treu „Nicht zu ermessen sei und zu ergründen!"

„Und schaffe" — spricht der See — „daß klar und rein, „Und unbewegt von Leidenschaft und Sünden „Dein Denken und Empfinden möge sein!"

Die Wiese haucht: „Sieh! wie ich duft' und diene!"

Daö Bächlein rauscht: „Sieh! wie ich fröhlich bin!"

53

Und Blatt und Blume zeigt die Engelsmiene Und richtet Aug' und Herz zur Sonne hin,

Dem Knaben wird so selig froh zu Sinne, Der Glaube zieht in seine Seele ein,

Der Glaube, der zum seligsten Gewinne Die Wahrheit macht: Der Meusch ist nie allein!

Er ist in Ewigkeit mit Gott verbunden, Gleich wie der Wald, der Berg, das Feld, das Meer, Und wer den Gott in der Natur gesunden,

Der siehet Kraft und Liebe rings umher;

Den Gott in der Geschichte sieht der Denker, Den G o t t d e r S ch r i s t der bibclgläub'ge Christ,

Den Go tt im Leben,den Geschickelenker Fühlt oft erst der, deß Herz gebrochen ist.

Allein den Gott in der Natur zu sehen, Braucht's nur ein einfach kindliches Gemüth,

Braucht's nur ein sinnig Fühlen und Verstehen,

Braucht's nur ein Aug', das offen um sich sieht!

51

Drum hat denn auch der Knabe ifyii gefunden

Und hat so tief im Glauben ihn erkannt, Daß ihm im windesschnellen Flug der Stunden Doch diese Segcnsstnnde nie entschwand.

Der vierten Stunde Grüßen. Der Gott in Wissenschaft und Kunst. er Redner schweigt; sein Vortrag ist geendet, Und eine junge, lernbegierige Schaar Die ihm das Ohr des Geistes zugewendet,

Weil seine Rede, einfach, tief und klar, Sie mächtig zog zu andachtsvollem Lauschen,

Erhebt sich schnell, um recht nach Jugendart Des Hörsaals weite Räume zu durchranschcn.

Bald sind sie leer, und draußen stehn geschaart

Die jungen, lebenskräftigen Gestalten, Bestrebt, einander bald mit ernstem Wort

Und bald mit Scherz und Necken festzuhalten,

Dann ziehn sie plaudernd weit und weiter fort.

56 Und auch der Redner hat den Saal verlassen, Die Hallen, die so oft sich aufgethan,

Die hörbereite Jugend zu umfassen,

Stehn öd' und einsam da!

Doch nein — es nah'n

Sich ihnen rasche, jugendfrische Schritte.

Ein Jüngling ist es, kühn und keck fehl Gang,

Die Wangen roth, die Lippen, wie zur Bitte Halb aufgethan, der Körper zart und schlank.

Der Hals umwogt von dunklen Lockenwellen,

Die von dem Haupt, das frei und stolz sich hebt, In ungehemmter Fülle niederquellen,

Die Stirne hoch, das Auge geistbelebt. Er eilt so schnell, den Hörsaal zu erreichen,

Doch an der Schwelle steht er zögernd still,

Er athmet tief — sein Muth scheint zu entweichen —

Er weiß nicht, ob er gehn, ob bleiben will. Des Redners Wort hat seinen Geist erschlossen

Des Denkens tiefe reiche Wunderwelt,

57 Er kann nicht fröhlich ziehn mit den Genossen, Er muß zurück, wo ihn gefangen hält Der Wissenschaft geheime Zauberquelle,

Er muß hinein in den geweihten Raum, Muß ruhen an der lieben heiligen Stelle,

Wo „ewig grünt des Wissens gold'ner Baum." Er hört sein Rauschen, fühlet seinen Schatten, Er lehnt sich still an seinen heiligen Stamm, An dem sich Pietät und Fortschritt gatten

Zu einem Bunde schön und wundersam.

Der Vorwelt Geister steigen aus dem Grabe: Homer, und Ossian, Plato, Sophokles, Demosthenes mit seiner Rednergabe,

Horaz, Ovid und Aristoteles! Hier Theophrast, hier Sokrates der Weise!

Euripides dort, und Pythagoras!

Virgil und Taeitus auch küssen leise Dem Jüngling von der Wang' der Thräne Naß,

58

Die er mit reinsten Herzenshuldigungen Der schönen goldenen Vergangenheit, Der Vorwelt heiligen Erinnerungen, Der Blüthe Noms mit) Griechenlands geweiht.

Wohl scheint sie hin; wohl scheint in's Grab gesunken Für ewig der Antike Herrscherzeit,

Doch hat der Geist des Alterthums die Funken Des reinsten Lichtes in die Welt gestreut.

Wohl dem, der sie erkannt und eingesammelt In seiner Seele tief geheimem Schrein,

Der diesem Geiste Dankcsgrüße stammelt

Und leise bittet: O tritt bei mir ein! Der in der Jugend heil'gen Götterstunden Dem Dienste dieses Geistes sich geweiht, Der andachtsvoll den stillen Weg gefunden

Zu seinem Reich der Kraft und Herrlichkeit!

Der Jüngling that's, und wie ein heißes Sehnen,

Wie tiefe, wahre Pietät ihn treibt,

s)9

Zurückzuschauen zu dem classisch Schöllen,

Das ewig groß und ewig herrlich bleibt,

So zieht's ihn auch, mit ernstem Forschnngstricbe, Mit einem Geiste, rein und uncntwciht, Mit einem Herzen voller Dank und Liebe, Hiueinzuschaun in eine spät're Zeit.

Und was einst Klopstock gab in dein Gedichte, Das durch die Welt den Siegeslaus gemacht,

Was Leibnitz und Spinoza, Kant und Fichte,

Jacoby, Herder, Goethe, Gleim gedacht,

Was kämpfend sic erstrebten und erreichten,

Und was als einen Tempel sie erbaut, In dem der Menschengeist das heil'ge Leuchten Des Göttlichen und Großen fühlt und schaut,

Das hält im tiefsten innersten Gemüthe Der Jüngling fest und harret glanbensvoll,

Daß diese heilige Erinn'rungsblüthe Ihm eine Frucht für's Leben bringen soll.

GO

„Und diese Hoffnung soll Dich nicht betrügen," So klingt's jetzt leise an des Jünglings Ohr, Der still mit träumerisch verklärten Zügen

An einer Säule lehnt; er schaut empor, Und seine Seele jauchzt, sein Herz erbebet,

Weil er auch in dem Licht der Wissenschaft Den Gott erkennt, der ewig liebt und lebet,

Den Gott der Weisheit, und den Gott der Kraft. Froh aufzuschaun zu dieses Geistes Blitzen Und froh den Weg, den es bestrahlt, zu gehn,

Mit des Gedankens Waffe es zu schützen,

Wenn Trägheit, Stolz und Unverstand es schmähn, Das ist's, was in des Jünglings glüh'nder Seele

Als Borsatz, als Entschluß, so tief, so fest, Daß zum Gelübde er sich stärk' und stähle, D i e Stunde keimen, blühn und reifen läßt,

Die jetzt sich naht mit ihrem Glockenklingen Eins, zwei, drei, vier! Ob auch der Ton verhallt,

61 Fühlt doch der Jüngling immer neu durchdringen

Das Herz von ihrem geistigen Gehalt. Und als er dann der Sehnsucht Ziel errungen,

Als er auf Roms geweihtem Boden steht, Da ist auf's Neue ihm der Ton erklungen,

Mit dem die vierte Stunde ihn umweht;

Da ruft er: „Geist des Raphael, durchleuchte, „Geist Michel Angelows, durchglühe warm

„Das Herz, das sich vor Deiner Größe beugte!

„Correggio! nimm's in Deinen Meisterarm! „Daß es in Euch die heil'ge Drei erschaue, „Die zu der schönen Wahrheit es erhebt,

„Daß in der Kunst auch sich ein Tempel baue, „In dem der Geist des ew'gen Gottes lebt! „Und so, in Kunst und Wissenschaft geborgen, „Er segnend schreiten will durch diese Welt, „Damit vor seinem Glanze ird'schcs Sorgen

„Und ird'sches Mühen gleich dem Staub zerfällt.

62

„O hcil'ger Stunde heiliges Verkünden!

„So ruft begeist'rungsvoll des Jünglings Mund, „So oft Du wiederkchrest, sollst Du finden, „Daß ich nicht lasse von dem schönen Bund, „Den ich mit Kunst und Wissenschaft geschlossen,

„Bon Dir gesegnet und von Dir geweiht! „Und daß, von ihrem Götterglanz umflossen, „Ich glücklich Lin für Zeit und Ewigkeit!

„Und — geht im Sturm des Lebens auch verloren „So mancher schöne, reiche Jugendtraum,

„Den Herz, Gemüth und Phantasie geboren —

„Dem Schwur getreu, den in der Aula Raum,

„Uiib in dem heil'gen Nom ich mir gegeben, „Die schöne Losung meines Lebens heißt: „Auch in der Wissenschaft pulst Gottes Leben

„Und in der Kunst auch wehet Gottes Geist!"

Der fünften Stunde Grüssen. Der Gott in der Freude. Ma- soll das bunte wogende Gedränge,

Das durch die sonnbeglänzten Straßen zieht?

Was soll die fröhliche, gepiltzte Atengc, In deren Blicken Helle Freude glüht?

Was soll und will dort an den Häusern allen

Der Flaggen und Guirlanden bunt Gemisch? Hier Teppiche, die lang herniederwallen,

Dort wieder Eichenkränze voll ltiib frisch?

Um die Portale duftig Mül/nbc Bogen? Der Treppen Steingeländer grün umrankt? Das Fenstersims mit Laubwerk dicht umzogen,

Daran die Farbenpracht der Schleifen prangt?

64 Am Marktplatz dort, deß mächtige Gebäude,

Nach unsrer Väter edlem Styl gebaut, Geschmückt mit würdigem, gediegenem Kleide, Nicht Jahre, nein Jahrhunderte geschaut,

Erschallen laute fröhliche Fanfaren,

Entfaltet sich der Banner lichtes Weiß. Ein Zug scheint sich zu ordnen und zu schaaren,

Und zu durchbrechen den geschlossenen Kreis. Was soll geschehn? Was soll sich hier gestalten?

Kommt durch die Straßen eine Prozession?

Will ein gefeiert Haupt den Einzug halten?

Begeht sein Wiegenfest ein Königssohn? Non Allem nichts! und doch der Freude Bande Um Tausende geschlungen und geknüpft,

Und doch die Stadt int festlichen Gewände! Und doch Musik, bei der die Seele hüpft! Und d o ch ein Jubelruf aus tausend Kehlen!

Und aus den Fenstern doch der Tücher Wehn!

65 Und doch, wie Alt und Jung sich's froh erzählen, Ein ächtes, wahres Volksfest, — groß und schön! Ein Sängerfest! — Vielhundcrt kräftige Stimmen

Zu einem starken, vollen Klang vereint,

Ein Freudenfest! ein jauchzend Aufwärtsklimmen Zum Gott der Lust, dem ächten Menschenfreund.

Ein Bruder fest! ein inniges Umschlingen,

Ein Abthun aller Lüg' und alles Scheins; Ein Jubelfest! ein lustig Gläserklingen, Ein donnernd: Hoch! dem Genius des Weins!

Des Jünglings Busen pocht in mächt'gen Schlägen,

Sein Auge leuchtet, seine Wange brennt,

Der ganzen Menschheit jauchzt sein Herz entgegen, Weil jeden Einzelnen es Bruder nennt.

Der Strauß an seiner Brust, die schmalen Bänder Geformt zum Sternlein um ein kleines Schild,

Auf dem man gold'ne Schrift und gold'ne Ränder

Erblickt, scheint ihm des schönsten Ordens Bild.

66

Er sieht in dem gewalt'gen Menschcnwogen,

Das froh bewegt den Sängerzug umwallt,

Im sonnenglüh'nden, blauen Himmclsbogen, Von da herab des Vogels Lied erschallt,

Im Blumeuregen, der hcrniedersprühet, Von Frauenhand und Frauenblick gelenkt, Im frohen Mahl, das Herz zum Herzen ziehet,

Von keiner Form und keinem Zwang beengt, Im Wein, der glühend durch die Adern strömet,

Gleich einem lichtentstammten Feuergeist, Im Wort, das fessellos, und doch gezähmet, Sich aus der Brust und von der Lippe reißt,

Im Wiesengrün, im hehren Waldesrauschen, In Bergeshöhe, und in Thalesgrund,

In Ton und Klang, dem Ohr und Seele lauschen, Im Lied, das mächtig quillt aus Herz und Mund,

In Allem, was der frohe Tag gegeben, In Allem, was ihm Schmuck und Glanz verlieh,

67 Den Götterhauch und das verklärte Leben

Der schönen Himmelstochtcr „H a r m o n i e! “ Sie nahet ihm mit zauberischem Grüßen, Mit Lächeln, lebensvoll, und lebenöwarm, Mit Küssen, wnnderholden, wundersüßen,

Umschlingt ihn sanft mit ihrem Götterarm, Und weckt in seiner Brust die Macht der Töue, Giebt sinnig ihnen Farbe und Gestalt, Lockt sie hervor in voller Pracht und Schöne,

Läßt mit unwiderstehlicher Gewalt Hinaus sie strömen aus der Lippen Pforte,

Daß sie die Luft erfüllen rings umher,

Und durch die Macht des Klanges und der Worte Die Seele wie mit einem Feuermeer

Umrauschen, überziehn und überfluthcn,

Auf daß hinweggeschwemmt wird Sünd' und Schmerz, Und einmal doch - wenn auch nur auf Minuten — Ganz rein, ganz glücklich sei das Menschenherz. 5*

68

Ja Harmonie! bei Deinem Zauberknsse, Der Alles heiliget und Alles weiht, Sei, wie das Lied, so auch der Wein im Flusse,

Sei, wie der Ton, so auch das Wort befreit! Ja Harmonie! bei Deinem holden Walten, Das alles Edle bindet und vereint, Mög' zwanglos rein die Freude sich entfalten,

Mög' strahlen jedes Aug', das einst geweint! Auf daß im Wein, im Lied, und in der Liebe

Der ewigen, uralten, heil'gen Drei Die Weltschmerzhohlheit falle und zerstiebe, Und edle Freud' des Lebens Gottheit sei!

So ruft's begeistert in des Jünglings Seele,

So strahlt's aus seinen Blicken hell und klar, So — daß dem Fühlen nicht der Ausdruck fehle — Wird in Gesang und Wort es offenbar. Und als durch Thal und Höh'n die Töne gleiten,

Als sie durchwallen den belaubten Hain,

69 Als sich im Iubelsang die Herzen weiten, Die in dem Ernst des Gebens eng und klein,

Als von dem Thurm, der aus dem Häusermeere Der nahen Stadt hervorragt, hoch und schlank, Herübertönt, gleich wie ein Gruß der Ehre

Zum frohen Fest, dermächt'ge Glockenklang, Als er mit fünf gewaltigen Accorden Die Stunde grüßet, deren Fittig rauscht

Zum Erdenflug, da ist auch klar geworden Dem Jüngling, der den Tönen sinnend lauscht,

Daß sich das Göttliche oft tief verhüllet

In ein bescheiden irdisches Gewand, Daß Götterglanz dem Staube auch entquillet,

Wenn Göttersaat im Herzen Boden fand.

Daß also auch im Lied der reinen Freude,

Dem Ausfluß des ächt menschlichsten Gefühls, Sich nicht der Gott vom Menschen trenn' und scheide, Nein! daß auch durch den Klang des Saitenspiels,

70

Durch Jubelströme aus dem Säst der Traube, Gleich sehr, gleich rein wie durch ein laut Gebet, Gleich stark, wie durch das ernste Wort: Ich glaube!! Des Gottcsgeistes heil'ger Odem weht!

Und weil sich so die Freude ihm verkläret Zu einer gottgesegneten Gestalt,

Weiht er der Stund', die ihm dies Glück gewähret, Ein Lied des Danks, das nimmermehr verhallt.

71

Der sechsten Stunde Grüßen. Der Gott in der Liebe.

Ü^ie Wintersonne hat die kurze Reise W Beendet und zur Ruhe sich gelegt;

Ein scharfer eis'ger Wind beginnt erst leise,

Dann stark und stärker, wie er's oft wohl pflegt,

Des Schnee's Gestöber vor sich herzujagen; Verfinstert, wie mit grauem Flor bedeckt, Ist rings die Lust, die Wetterfahnen klagen, Weil sie die frühe Dunkelheit erschreckt.

Doch aus dem Zimmer schauen klar und offen

Zwei blaue Augen gleichsam suchend aus; Erwartung, Sehnsucht, Zweifelu, Fürchten, Hoffen,

Strahlt aus den Sternen in die Nacht hinaus.

72

Da knarrt der Schnee! — und war der Jungsrau bange,

Hat sie gebebt — gezittert — sie vergißt's! Und in der Rosenglut auf Stirn und Wange,

Steh'n die zwei kleinen Worte nur: „Er ist's!! Er ist's! er kommt! er hat sie nicht vergessen,

Hat nicht im Rausche sroher Jugendlust Den Weg versäumt, den er so oft durchmessen, Den Weg zu ihr, die in verschwieg'ner Brust Ein tiefes inniges Empfinden nähret,

Das sie sich selbst kaum zu gestehen wagt,

Und das doch heil'ge Wonne ihr gewähret

Und ihr von schönen sel'gen Freuden sagt. Er kommt! der Jüngling mit der starken Seele,

Dem reichen Geist, dem kindlichen Gemüth, Dem Herzen ohne Falsch und ohne Fehle, Dem Blick, der siegreich Alles zu sich zieht.

Er tritt herein, naht ihr mit sicherm Schritte, Schaut ihr in's Auge, tief und seelenvoll,

73

Und fragt — halb klingt's wie Vorwurf, halb wie Bitte,

„Hat mich Elisabeth erwartet wohl?" Sie zittert — schweigt — sie wagt nicht „Ja" zu sagen Und findet doch auch nicht die Kraft zum „Nein."

Meint, wie sie in den kurzen Wintertagen Stets voller Angst und Sorge müsse sein

Um die Geschwister — Schwestern so wie Brüder — Da aus den Schulen bis in's Vaterhaus

Ein weiter Weg, — und wie sic immer wieder Ans Fenster eile, um trotz Sturmgebraus

Und Schnee den leichten Kinderschritt zu hören, — Wie sie bis jetzt vergebens ausgeschaut,

Weil immer noch nicht heimgekommen wären

Die kleinen Schwärmer — wie d'rum jeder Laut

Sie heftig schrecke — und auch jetzt ihr Zittern Allein von dieser Sorge blieb zurück — Weil leicht sie zu erregen und erschüttern —

Und ja die Kinder doch ihr höchstes Glück!

74

Wie hold, wie eifrig war sie in dem Streben

Das Wogen ihrer tiefbewegten Brust, Das Glüh'n der Wangen, ihrer Hände Beben

Zu deuten ihm, der mit still sel'ger Lust

Den Grund der lieblichen Verwirrung ahnet, Die in der Jungfrau Wesen er erschaut, Und den's mit tausend heiligen Stimmen mahnet,

Sie ist Dein Lieb, Dein Leben, Deine Braut! Er denkt's — er beugt das Knie — er will sie fragen:

Willst Du, o theure heißgeliebte Maid Mein eigen sein in gut und bösen Tagen,

Mein eigen sein für Zeit und Ewigkeit? Darf ich den Arm um Deine Hüfte schlagen,

Will ruhn an meiner Brust Dein liebes Haupt? Willst mit dem Kuß der Liebe Du mir sagen,

Daß Du auf mich gehofft, an mich geglaubt? Will Deine Hand sich in die meine schlingen

Zu einem Bunde, der kein Ende kennt?

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Vermag Dein Herz sich ganz mir darzubringen, Weil Glut der Liebe in ihm strahlt und brennt?

So will er fragen, will ein Ende machen Der Qual, die ihn verzehrt, da knarrt die Thür, Da stürmt's herein mit kindlich frohem Lachen,

Da ruft's im Chor: Nun, Schwester! wir sind hier! Vom Frost durchzogen und vom Sturm durchrüttelt,

Doch seelenfroh! denn's war zu wunderschön, Daß so der Schnee den Schulstaub abgeschüttelt. Wie prächtig wird's nun mit dem Essen geh'n!

Gieb her! was hast Du? Milch und Butterschnitte? Wie? oder Kaffe gar und Zuckerbrot? Vielleicht auch Kuchen? Lisbeth, bitte, Bitte!

Sonst hungern Deine armen Kinder todt! Sie lächelt, beugt sich zu den Kleinen nieder, Küßt ihrer Wangen frisches Rosenpaar,

Prüft sorglich, ob auch nicht die zarten Glieder

Erfroren, streicht den Schnee vom Lockenhaar,

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Folgt dann dem kleinsten ungestümsten Dränger

Hin zu dem weiß bedeckten Kaffeetisch,

Um nicht die kindliche Geduld noch länger Umsonst zu prüfen, grausam quälerisch. Und unter Scherz und Necken streicht sie Butter

Austs Brot, füllt alle Tassen pfeilgeschwind, Ist liebevoll und ernst wie eine Mutter

Und wieder hold und fröhlich wie ein Kind!

Dem muß sie Milch, und Dem noch Sahne reichen, Der bittet: „Schneide mir daö Brot entzwei!" Der spricht: „Ich muß zur Zuckerbüchse schleichen!" Und Der: „Ich trinke heut der Tassen drei!"

Der Eine schlingt den Arm um ihren Nacken,

Der Andre zerrt an Schürze sie und Kleid; Das Schwesterchen will Abends Plinzen backen, Und frägt, ob Lisbeth auch mit hülfbereit?

Die Aeltere muß für die Puppen nähen,

Braucht Band und Spitzen, Tüll und Musselin,

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Und mit dem Kleinsten muß sie's Pferdchen sehen, Denn Sattel, Peitsch' und Zaum entzücken ihn!

Der Jüngling aber folgt mit glüh'nden Blicken Dem Thun der Jungfrau, und aus ihnen spricht

Das höchste Glück, das seligste Entzücken, Der reinsten Liebe gold'nes Strahlenlicht. Und Lisbeth geht.

Die Kinder stürmen fröhlich

Jhr nach, sie führet zu den Eltern sie,

Und auch der Jüngling folget ihr, still selig, Gelockt von ihrer Stinune Melodie.

Er weiß kaum, daß die Eltern ihn begrüßen,

Hört kaum die Bitte, heut ihr Gast zu sein, Sieht kaum der Kinderstube Thür sich schließen, Er weiß und hört und sieht nur s i e allein.

Er wagt den Genius Mozart's zu beschwören,

Der giebt auf seines Jüngers Bitten Acht Und hält, daß nichts die Liebenden mag stören,

Im Reiche der Musik getreue Wacht.

_78

In dieses Reiches heil'gcr Bracht und Schöne

Klärt sich des Herzens ungestümer Drang, Und wo der Mund verstummt, da sprechen Töne,

Und was das Wort verschweigt, das sagt der Klang. Und als mit vollen herrlichen Accorden

Der Genius Mozart's leis davongerauscht, Weil seinem Sehcrblicke klar geworden,

Daß Amor schon mit Pfeil und Bogen lauscht,

Bis er allein in diesen reinen jungen Und glüh'nden Herzen einziger Herrscher ist, Da lehnt, vom Arm des Jünglings fest umschlungen, Vom Hauche seines Mundes heiß geküßt,

Die Jungfrau ohne Furcht und ohne Zagen An des Geliebten Brust ihr lockig Haupt,

Und fühlt sich mächtig stark empor getragen

Zum Gott der Liebe, den sie freudig glaubt.

Und auch der Jüngling, dessen Seele trunken Im Anblick der Geliebten sich berauscht,

79

Der ganz in ihren holden Reiz versunken,

In sel'ger Wonne Küss' und Blicke tauscht, Auch er erkennet, daß sich Gott bewähret

Auch in der Liebe, die sein Herz durchglüht, Und daß die Lieb' erst wahrhaft sich verkläret

Für den, der in ihr Gottes Wesen sieht.

Und als er so aus's Neue Gott begegnet, Aus's Neue Gott gesunden und erkannt, Da hebt, damit auch sie den Jüngling segnet,

Die sechste Stunde ihre Gnadenhand Und rückt den Zeiger, läßt den Hammer knarren Der alten Uhr, die manches Jahr gesehn,

Bis unter Kettenrasseln — Räderschuarren, Sechs mächt'ge Schläge durch das Zimmer gehn. Der Jüngling hört's! und wenn er noch nach Jahren

Des Glockenschlags der sechsten Stunde denkt,

Die einst umrauscht von heiligen Fanfaren Den ersten Kuß der Liebe ihm geschenkt,

80

Dann fühlt er, daß ein ewig reicher Segen,

In diesem großen Augenblick ihm ward, Und daß anch in der Liebe süßem. Regen Sich Gottes Geist und Wesen offenbart.

81

Der siebenten Stunde Grüsien. Der Gott in der Kraft.

Gott für meines Volkes heil'ge Rechte!

„Vtit Gott für meines Vaterlandes Ruhm! „Mit Gott für meinen Fürsten, der nicht Knechte,

„Nein, freie Kinder will zum Eigenthum!

„Mit Gott, mit Gott! für diese reichen Schätze, „Für diese Güter, unantastbar groß,

„Zieh froh und muthig ich das Schwert und fetze

„Mein Leben ein! Jst's nicht ein schönes Loos,

„Des Vaterlandes Rettung zu erwerben, „Den Athem auszuhauchen für fein Recht?

„Für feinen Fürsten, für fein Volk zu sterben „Im blutigen, doch heiligen Gefecht?

82

„Drum laßt mich ziehn! hemmt nicht das mächt'ge Regen

„In meiner Brust, mir bleibt ja keine Wahl; „Folgt doch der Heißgeliebten reicher Segen,

„Der Mutter treu Gebet mir überall!"

So sprach der Mann und beugt bewegt sich nieder ' Mit inn'gem Kusse auf der Mutter Hand,

Und reich gesegnet hebt das Haupt er wieder,

Weil seiner Mutter Herz sein Flehen verstand. „Zieh hin! mein Sohn!" so sprach sie, „Deine Seele

„Sei stark und treu, Dein Arm sei eisenfest! „Schau auf! damit Dir nie der Glaube fehle, „Daß Gott die gute Sache siegen läßt.

„Und ihr, als einem gottgeweihten Werke,

„Nah Dich mit klarem, selbstlos reinem Sinn!

,,Ihr opf're muthig Deine Kraft und Stärke, „Ihr gieb Dein Wollen und Dein Können hin! „Dich ruft Dein Fürst! Dir winken Deine Brüder,

„Und hoffend schaut auf Dich Dein Vaterland!

83 „Nimm denn das Schwert! und leg’ es dann erst nieder, „Wenn es mit grünem Lorbeer sich umwand!"

Der Krieger schweigt! doch in des Busens Tiefen Fühlt das Gelübd' er keimen und entstehn, Die drei Gewalten, die zum Kamps ihn riesen,

Als heil'ge Tricolore anzusehn, Die vor ihm herzieht und im Schlachtenfeuer

Sich mächtig weit entfaltet und entrollt, Die Jeder schätzt, die Jedem werth und theuer

Mit ihren heiligen Farben schwarz, roth, gold. Denn schwarz wie Nacht erscheinet seinen Blicken

Sein Vaterland, von Feindesmacht bedräut, Roth glühend ist das Blut, das voll Entzücken

Des Volkes Treue seiner Rettung weiht! Und golden strahlt in seines Fürsten Krone Gerechtigkeit und Kraft und Edelsinn, Und zieht gleich einem Lichtstrom sich vom Throne

Bis zu des Landes kleinster Hütte hin. r>*

_84

Drum will auch er zu dieser Fahne schwören

Mit heilig sroh begeistertem Gemüth, Ganz soll sein H.crz, und ganz sein Arm gehören

Der hehren Drei, die ihn zum Kampfe zieht. Der Mutter Kuß hat knieend er empfangen, Ihr Wort tönt.treu in seiner Seele nach,

Da wird ein heißes, sehnsuchtsvolles Bangen

Nach der Geliebten ihm im Herzen wach. Nicht ohne ihren Segen will er ziehen,

Nicht ohne ihren Kuß zum Kampfe gehn, Ihr Athem soll noch einmal ihn durchglühen, Ihr Aug' noch einmal in das seine sehn.

Aus ihren Händen will den Helm er nehmen-, Wie von der Mutter er das Schwert empfing, Ob sie auch weint, sie -darf sich ja nicht schämen

Der Thräne, die an ihrer Wimper hing.

Die Lieb' hat ihm ein heilig Necht erworben Auf dieser Thräne reinen Diamant,

85 Und wer, der LiebeSthränc werth, gestorben, Der ruhet sanft, wo auch der Tod ihu fand.

Er will zur Jungfrau, die so bang beklommen Geharrt auf seinen wohl bekannten Schritt,

Sic wußt' und fühlt' es ja, er mußte kommen, Bringt auch sein Eintritt heut' nur Schmerzen mit.

Und als er kommt, als er sie fest umschlinget,

Als heiß sein Kuß auf ihren Lippen brennt,

Als ein „Leb wohl" aus seiner Brust sich ringet, Als er „Mein süßes holdes Lieb!" sie nennt, Da kann nichts anders denken sie und sagen,

Als: „O verlaß mich nicht! o bleibe hier!"

Kann dann den Arm um seinen Nacken schlagen Und zärtlich flehn: „Geliebter, zürnst Du mir?"

Er aber legt an's Schwert die starke Rechte Und spricht: „Die Mutter hat es mir geweiht! „Nun gieb, auf daß ich sieghaft damit fechte,

„Du mir den Helm zum Schutz in Kampf und Streit.

86

„Dann einen Händedruck, dann ein Umfangen, „Dann einen Kuß voll heiliger Liebesglut,

„Dann einen Blick noch, einen tiefen, langen,

„Und dann hinaus zum Kampf mit frohem Muth! „Was er auch bringt, was ich mir auch erwerbe, „Ob er zum Siege, ob zum Tod mich reißt,

„Die Kraft des Höchsten ist mein heilig Erbe,

„Und auch im Kampfe waltet Gottes Geist!"

So stürmt er fort, er folget seinen Brüdern,

Zieht mit dein Heere, kämpft in heißer Schlacht, Muß jeden Schwertstreich mit dem Schwert erwidern,

Muß prüfen der Geschütze Höllenmacht.

So hört er freudig der Kanone Rasseln, Bleibt muthvoll, wenn ihn die Gefahr umdrängt,

Und kennet, wenn ihn Schüsse wild umprasseln,

Nur eine Furcht — daß sich die Fahne senkt.

Da Plötzlich sieht er sie, die vor ihm schwebet, Bon Feindeshand berührt — sein Athem stockt —

87

Sein Auge flammt — sein glühend Herz erbebet — Von Angst und Wuth getrieben und gelockt,

Durchbricht sein Arm des Feindes dichte Massen, Die Seinen folgen, er dringt muthig ein,

Und ein Gefühl nur kann sein Her; ersassen, Er werde des Paladiums Netter sein!

Sein Blut entströmt, doch stürmt er muthig weiter, Er kämpft und ringt, den Blick ;u ihm gewandt, Und — Dank dem kühnen heldenmüth'gen Streiter —

Das heil'ge Banner ist in seiner Hand!

Da sinkt er hin, indeß von tausend Zungen Ein Schrei der Freude jubelnd ihn umtobt,

Und hält die Fahne innig fest umschlungen Und ruft begeist'rungsvoll: „Gott sei gelobt!" Ob auch sein Herzblut stockt, ob auch die Wunden Heiß brennen, ob die Wange auch erblaßt,

Doch hat des Strebens schönstes Ziel gefunden Der Kämpfer, als die Fahne er erfaßt!

_ b8

Das fühlt er wohl; und da man auf ein Bette

Von grünen Zweigen sanft ihn nicderlcgt, Und schnell, daß man das Hcldenleben rette,

In eine Hütt' des nahen Kirchdorfs trägt,

Und vor ihm herzicht die gewichtige Kunde Der großen That, die er mit Blut erkauft,

Und aus des Kirchenglöckleins ehrncm Munde

Ein siebenfacher Ruf sie weiht und tauft, Da zieht durch seine Seele das Empfinden,

Daß Gottes heiliger, urew'gcr Geist Auch in der Kraft sich segnend will verkünden, Auf daß des Menschen That auch göttlich heißt.

Und als nun heimgekchrt die Kriegcrschaaren,

Als Friedensruhe Fürst und Volk beglückt, Als tief vernarbt des Mannes Wunden waren,

Und wieder kräftig froh sein Auge blickt,

Als mehr und mehr die Bilder sich verwischen, Die seinem Blick entrollten Kampf und Schlacht,

89_

Da strahlt in Farben noch, in lebensfrischen, ' Was ihm der Stunden siebente gebracht!

Und ihren Segen kann er nie verlieren,

Vergessen nie, wie er in ihr erkannt, Das da, wo Großes, Heiliges will vollführcn Des Menschen Kraft, Gott seinen Geist gesandt!

Wie in des Mutterherzens heiligem Triebe, Wie in der Wissenschaft und der Natur, Im Menschenwort, und in der Macht der Liebe,

So in der Kraft auch ahnt er seine Spur.

Und sieht er künftig um die Erde wallen

Die Stund', bei deren siebenfachem Gruß Einst seiner Kraft der Segen zugefallen, Ihm wunderbar beflügelnd Hand und Fuß,

Dann leuchtet's aus in ihm, dann füllt ein wahrer

Lebend'ger Thatendurst des Mannes Brust,

Und immer deutlicher wird er und klarer Des innern Gottesgeistes sich bewußt.

90

Der achten Stunde Grüßen. Der Gott in der Wahrheit..

anch' Jahr schon war mit flammend heißen Schritten Hindurchgezogen durch des Mannes Herz; Es hatte viel gejauchzt und viel gelitten, Es hatte Seligkeit gefühlt und Schmerz.

Einst war er rasch gefolgt dem mächtigen Wogen Der Phantasie, so froh, so gern, so weit, —

Da kam des Lebens Ernst und hat gezogen Zurück ihn in die rauhe Wirklichkeit!

Dann hatte allem Großen, Guten, Schönen Er voll Begeisterung sich zugeneigt--------

Da kam die Lüge, um ihn zu verhöhnen,

Bis er des Lobgesangs sich schämt und schweigt!

91 Dann hatte er gestrebt, gekämpft, gerungen,

Daß er den Gott in sich nicht trübt und kränkt — Da kam die Sünde, und er hat, bezwungen Von ihrer Zaubermacht, das Schwert gesenkt!

Und als er sich der Wahrheit zugewendet,

Und als er gläubig ihrem Licht vertraut — Da kam die Heuchelei, die den verblendet,

Der einmal nur in's Auge ihr geschaut! Wo blieben nun die Töne und die Farben, Mit denen er das Leben sich gemalt?

Die Farbe — ach — verblich, die Töne starben, Mit Spott und Hohn ward seine Kunst bezahlt! Wo blieb das Ideal, das er getragen

So stolz im tiefsten, innersten Gemüth? Das zu verwirklichen, er Alles wagen Und Alles opfern wollt'? Es war verglüht!

Und was dereinst in jubelnden Accorden Durch seine Seele jauchzte, klar und hell,

92

Daö war zu Thränen, heiß und schwer, geworden, Zu Thränen aus des Busens tiefstem Quell!

Er sah die heil'gen Träume seiner Jugend

Als Wahn verlacht, verspottet und geschmäht, Er sah den Sieg der Schuld-, den Fall der Tugend, Deo Himmels Sturz, der Hölle Majestät!

Er sah der Liebe unfruchtbares Ringen, Er sah der Selbstsucht kalten Herrscherblick,

Er sah, wie Stolz und Ehrsucht vorwärts dringen, Und wie die Eitelkeit erringt das Glück!

D a war's geschehn! da gab er still verloren

Der Wahrheit großes heil'ges Götterspiel, Verhüllte seines Geistes Aug' und Ohren,

Und sprach: „Genuß nur ist des Lebens Ziel!

„Der Thor nur kämpft, der Schwächling nur entbehret, „Der Dumme, Geistesarme nur entsagt, „Doch der Verständige und Kluge höret

„Auf das, was ihm des Zeitgeists Stimme sagt.

93

„Du mußt Dich schmiegen" — flüstert sie ganz stille — „Die Farbe tragen, die die Welt begehrt,

„Mußt handeln, wie des Mächt'gen mächtiger Wille „Es fordert, nicht wie Dein Gefühl Dich lehrt! „Mußt heute Dem, und morgen Jenem dienen,

„Mit kacheln hören, was Dein Her; empört, „Mußt lauschen auf die Worte, Blick' und Mienen „Deß', den die Menge feiert, lobt und ehrt!

„Mußt gläubig das bejahen und bekennen,

„Für das ein tausendfältig lautes „„Nein""

„3ii Deiner tiefsten Brust Du fühlest brennen, „Mußt mit Bewußtsein falsch und treulos sein!

„Mußt schweigen, wo mit jubelndem Entzücken „Du reden möchtest, feurig stolz und kühn!

„Mußt reden, wo mit tiefgesenkten Blicken „Du still und wortlos möchtest heimwärts zichn!

„Mußt strafen, wo an's Herz Du möchtest schließen! „Mußt loben, wo Verachtung in Dir brennt!

94 „Mußt das als Segnung rufen und begrüßen,

„Was Dein Gefühl als tiefste Schmach erkennt! „Mußt dem Geehrten Deine Ehre geben „Und dem Gedrückten Deinen Druck! Mußt ihn „Den man gefeiert nennt, erhöh'n und heben! „Und den Verachteten zu Boden ziehn!

„Mußt der Geschichte Mahnungen vergessen!

„Mußt spotten dem Gebieterwort der Zeit! „Mußt mit dem Maßstab der Gesellschaft messen „Das von ihr zugestutzte, geist'ge Kleid!

„Dann wird Dein Lorbeer dauernd blühn und grünen, „Dann wird Dein Name mächtig sein und groß!

„Gebieten, herrschen wirst Du, statt zu dienen, „Und hoch beneidenSwerth nennt man Dein LooS!" Mit solchen Worten schlich und schleicht noch immer

Der Zeitgeist in die Menschenseele ein,

Mit solchen Irrlichts falschem Zauberschimmer

Zieht in der Sünde Schlamm er ihn hinein.

___ J5_

Der Schwache folgt.

Er spricht: Genuß ist Leben!

Und Thorheit wär' es, aus dem Oceau

Der Weltlust sich deu Wellen preiszugeben, Getragen von der Wahrheit schwankem Kahn. Doch von der Lüge und dem Schein gezimmert,

Das giebt ein Schiss, zum frohen Wellenspiel! Das Wörtlcin „Ich" von seiner Flagge schimmert,

Die Selbstsucht ist sein Mast, das Gold sein Kiel. Und solchem Schiff, das sich die Klugen bauen,

Es zu besteigen zu geleg'ner Zeit, Lernt auch der Mann sich lächelnd anvertrauen,

Der einst dem Dienst des Göttlichen sich weiht'. Die Lust, die eitle, giebt ihm das Geleite, Und der Genuß, und die Behaglichkeit, Sie schwimmen vor ihm her, und ihm zur Seite

Ziehn Ehrsucht und Gewinn und Eitelkeit.

Sie scherzen, tändeln, breiten weiche Kissen Und Teppiche ihm unter Haupt und Fuß,

96 Woll'n nichts von Muth und von Entsagung wissen,

Nichts von der Pflicht erhabenem ernsten Gruß. Und als der Ehrgeiz in ihm wach geworden, Da legte er ihm Lorbeer-» um die Stirn,

Diplome in die Hand, an's Herz den Orden, Ihm zu verwirren das gesunde Hirn.

Und Stunden reihten langsam sich an Stunden, Sic baten, warnten, winkten, doch der Mann,

Dem Ketten man um Haupt und Herz gewunden,

Schaut stumm und trüb die treuen Boten an! Ach, er versteht nicht mehr die sanften Worte,

Mit denen Mutter Zeit ihn ruft, sein OhrWard taub dafür, seit er die schmale Pforte Zum Dom der Wahrheit ans dem Aug' verlor.

Wohl sitzt am Tag die Pracht bei ihm zu Tische, Wohl ruht er Nachts auf seidenweichem Pfühl,'

Doch fehlt dem Wachenden des Wachens Frische, Dem Schlafenden des Schlafes süß Gefühl.

97 Und wieder war ein solcher Tag geschlichen, Und wieder eine solche Nacht dahin, Und als die Stern' dem Sonnenstrahle wichen,

Der jedes Wesen rufen lehrt: Ich bin!

Da hebet auch der Mann das Haupt vom Lager, Das schlaflos er geworfen hin und her, Streicht langsam mit der Hand, so dürr und mager,

Die Locken von der Stirn und seufzet schwer. An seiner Seele war vorbeigezogen,

Was, ach! unwiederbringlich er verlor, Er fühlte sich verarmt, getäuscht, betrogen,

Ja tief entehrt!! Entsetzt fuhr er empor,

Rang wild die Hände, stieß ein krampfhaft Stöhnen Hervor ans angstvoll bang beklommener Brust,

Und aus den Augen tropften glüh'nde Thränen,

Wie der sie weint, der sich der Schuld bewußt. Vor seinem innern Blicke steht die Stunde, Da einst des Vaters Hand sein Haupt berührt,

98

Und jene letzten Wort' aus seinem Munde,

Sie werden an sein inn'res Ohr geführt. Er hört's noch einmal: „Nimm den Geist der Wahrheit

„Als Vater, Tröster und Beschützer hin!

„Erhalte Deinem Herzensblick die Klarheit,

„Das Rechte zu erschaun mit offnem Sinn!

„Sei reich an Liebe — für der Menschheit Schmerzen! „Sei stark im Kämpfen für der Menschheit Glück! „Sei treu dem Ideal in Deinem Herzen,

„Auch in des Lebens schwerstem Augenblick! „Du bist aus Gott! er wird dich nicht verlassen,

„So bleibe denn auch Du ihm ewig treu!

„Und lerne früh im Geiste ihn erfassen, „Daß Zeugniß seines Seins Dein Leben sei!

„Das Irdische vergeht, doch ewig blühet

„Was Du mit Gott, für Gott, aus Gott gethan! „Und wer für Liebe, Recht und Wahrheit glühet, „D e m kann wohl Schmerz, doch nie Verzweiflung nahn!"

99

Er zittert — bebt — wagt langsam nur zu heben Das Haupt, das tiefe Schmach zu Boden drückt,

Fühlt die Verzweiflung, der ihn einst entheben Das Vaterwort gewollt, und angstvoll blickt

Er zu dem Licht, das in der reinen Klarheit Des Sonnenballes auf am Himmel steigt,

Und ruft begeistert: „Ja! bei Dir ist Wahrheit,

„Die jeden Morgen neu und stark sich zeigt!

„Du ew'ges Licht laß wie ein Kind mich lernen „Von Deiner Kraft und Treue heiliger Macht! „Gieb sie mir mit, daß sie gleich hellen Sternen „Hinaus mir leuchten aus der Lüge Nacht!

„Ich will, ich muß die Seele wieder tauchen „Tief in der Wahrheit lichten Zauberborn,

„Muß fühlen ihres Odems heiliges Hauchen, „Wie jetzt ich fühle ihren schweren Zorn!"

Er schweigt.

Da rührt ihn an ein lindes Wehen,

Gleich Orgeltönen rauscht's um ihn und klingt,

100

Der Kindheit Frieden fühlt er neu erstehen Und ahnet leis, daß ihm Erlösung winkt.

Daß das dreieinig hohe, heil'ge Zeichen

Von Mutterthräne und von Mutterkuß, Von Mutterseufzer einmal noch erreichen

Sein tiefgebeugtes Leben kann und muß. „Ja!" ruft er aus, „ich will die Bande brechen,

„Die mich beengt, wie auch das Urtheil sei,

„Das die Gesellschaft über mich wird sprechen,

„Der Wahrheit Zauber macht von ihr mich frei! „Das Flittergold, mit dem den Leib sie schmücket,

„Um auch den Geist zu knechten, werf' ich fort, „Und wenn sie voll Verachtung auf mich blicket,

„Wenn sie mich schmäht mit rauhem, hartem Wort, „Mir sagt, daß sie mich thöricht, unklug nenne, „So sprech' ich stolz und freudig: Wir sind quitt!

„Was hüls' es mir, ob ich die Welt gewönne, „Wenn meine Seele dadurch Schaden litt!"

101 Und er stürzt fort; die Gattin muß er wecken, Den Knaben küssen; muß die tiefe Qual, Die er getragen, endlich ihr entdecken,

Ihr sagen, was ihm Ruh' und Frieden stahl. Und wenn sie ihn versteht, wenn das Entfloh'ne

Zurückzusühren, sie auch wird erglühn,

Wenn sie's vermag, der Wahrheit Dornenkrone

Dem Diadem der Lüge vorzuziehn,

. Dann will er dankend auf die Knie fallen, Will jauchzend rufen: „Wahrheit, nimm mich hin!

„Ich will Dich lieben, Deine Wege wallen, „Dir fest und freudig weihen Herz und Sinn!"

— Und sie verstand ihn! — und an ihrem Busen Von ihren Liebesarmen fest umstrickt,

Entwichen die Megären und Medusen, Die ihn vernichtend, tödtend angeblickt. Und wo sie thronten einst, will nun regieren

Die Wahrheit, diese hohe Königin,

102

Die Jedem, der von ihr sich lässet führen, Erquickt und läutert Seele, Geist und Sinn.

Das fühlt der Mann schon jetzt.

Befreiung trinket

Die bürst’ßc Lipp’, Befreiung strahlt sein Blick, Und unter diesem Worte sterbend, sinket

Der Geist der Lüge in sein Nichts zurück.

Da naht die Stunde, deren Liebessegen Der tief Verblendete so lang verschmäht, Und ruft mit acht gewaltig ernsten Schlägen:

„Du bist erlöst! der Gott in Dir ersteht!"

Der Mann erfaßt’s; denn an dem großen Morgen Ward ihm das heilige Geheimniß klar,

Daß in der Wahrheit Gottes Geist geborgen,

Der ewig segnet ihrer Jünger Schaar. Und diesen Segen will er sich erwerben, Will immerdar ihr treuer Jünger sein,

Will leiden — will entbehren — ja will sterben — Doch sterbend sprechen: Wahrheit ich bin Dein!

103

Und oft noch, wenn im Leben ihm begegnet

Der Stunden achte, er es tief empfand, Daß sie ihn dadurch einst so reich gesegnet, Daß in der Wahrheit auch er Gott erkannt.

Der neunten Stunde Grüßen. Der Gott in der Freiheit. Webestuhl der Zeit, auf dem für Jeden

M^Die Hand, die Niemand sieht und Niemand kennt,

Ans Erdensasern und aus Himmelsfäden Das webet, was der Mensch sein Schicksal nennt,

An diesem Webstuhl hatte oft und lange Das Schifflein seine Schnellkraft schon erprobt,

Seit jener Mann beim achten Glockenklange Dem heil'gen Dienst der Wahrheit sich gelobt.

Längst hatte Glanz und Pracht sich fortgeschlichen, Die Gunst der Welt den Rucken ihm gekehrt;

105 Längst auch war die Behaglichkeit gewichen,

Und das, was als Genuß die Menge ehrt.

Statt dessen aber war in's Herz gezogen Die ächte Freude und das ächte Glück. Und von des ächten Friedens Strahlenbogen

Fiel lichter Glanz auf Haus und Herd zurück. Denn jener Mann, der von der Lüge Fesseln

So wundgedrückt sich fühlte und so krank, Der, von der Eitelkeit und Ehrsucht Nesseln

Gepeitscht, in seiner eigenen Achtung sank.

Der träge ward, weil Menschenlob ihn stützte,

Der Arbeit süßem Reiz sich zu vertraun, Der müde ward, weil Rauschgold ihn umblitzte, Nach ächtem Golde prüfend auszuschaun,

Er legte jetzt voll männlichen Entschlusses

Auf seine Schultern äuß're Dienstbarkeit, Um werth zu sein des heil'gen Götterkusses Der Freiheit, die sein Herz zum Tempel weiht.

106 Nun fühlt er, innerlich erlöst vom Zwange,

Wenn auch nach außen fest gebunden sich,

Fühlt sich durchweht von einem heil'gen Drange, Deß Glut und Wärme dem Gebete glich,

Zu wirken für der Menschheit große Sache, Für ihr geheiligtes", urew'ges Recht,

Nicht durch die That, die oft so kleine, schwache,

Nicht durch der Worte mörderisch Gefecht, Nein, durch sein ganzes volles, reiches Leben,

Sein ganzes Denken, Fühlen, Wollen, Sein,

Ja, durch fein eignes Selbst nur will er streben, Ein Stein zum Bau des Gottesreichs zu sein.

In diesem Geiste wirket er im Kleinen,

In diesem Geiste will er vor der Welt

Nicht mit dem Großen groß und mächtig scheinen,

Doch wahr und offen, wie es Gott gefällt. So flieht er offen, was sein Herz verdammte, Und ehret offen, was ihm recht erschien,

107 So strebt er treu zu sein im kleinen Amte,

Das das Vertrauen der Bessern ihm verlieh'». So lehrt die Jugend er und stützt das Alter,

So ist er jedem Menschen, der ihm naht, Ein nicht in Formen eingezwängter, kalter,

Nein, warmer Freund, mit warmem, treuem Rath.

Und wenn er dann im Schweiß des Angesichtes Sein Brod erworben nnd nun freudig eilt, Am Abend heimzukehren in sein schlichtes

Und kleines Häuschen, wo die Liebe weilt, Wenn zärtlich dann zwei Arme ihn umschlingen,

Zwei Lippen heiß berühren seinen Mund, Wenn Liebesworte süß in'S Herz ihm dringen, Der holde Knabe kräftig und gesund,

Froh plaudernd sich empor zu ranken strebet An des geliebten Vaters Kraftgestalt, Und Scherz und Neckerei das Mahl belebet,

Um das in Lieb' sich einet Jung und Alt,

108 Wenn sanft und tief der Knabe eingeschlafen,

Und sich auf's Neue regt der Gattin Fleiß, Wenn er in seines Hauses stillem Hafen So fest, so sicher sich geborgen weiß, Dann läßt er der Gedanken mächtiges Fluten Gestalt gewinnen durch der Feder Macht,

Vertraut ihr seiner Seele heil'ge Gluten,

Sagt ihr, was er gefühlt, gehofft, gedacht. Schickt's als ein Korn, mit heiligem Vertrauen, In eine Welt voll Sünde, Noth und Streit,

Nicht um die Blüthe und die Frucht zu schauen, Nein, um zu thun, wie's ihm der Geist gebeut!

Er sorget nicht, ob man's als recht erkennet, Nicht ob die große Menge es verdammt, Nicht ob man's schön, nicht ob man's herrlich nennet,

Nicht ob's entzückt, begeistert und entflammt, Nicht ob's ihm Ehr' und Ordensbänder bringe, Nicht ob's mit Gold umrahme Haus und Herd,

109 Nicht ob's ihm Lorbeer'» um die Schläfe schlinge,

Nein! nur ob's recht beleuchtet und verklärt Das heil'ge Bild der Wahrheit und der Liebe,

Das hell und klar er in der Seele trägt, Und dem, mit der Verehrung heil'gem Triebe,

Sein äuß'res Glück zu Füßen er gelegt.

Die inn're Freiheit, die er sich errungen, Drückt er als Krone auf dies schöne Bild, Und was der Dichter tiefbewegt gesungen,

Hat auch des Menschen ganzes Herz erfüllt. Und wieder saß er so in tiefem Denken,

Und neben ihm — indeß der Knabe schlief — Die Gattin, deren Blicke bald sich senken Ans's Blatt in seiner Hand, bald treu und tief

Jn's Auge ihm, um so erst ganz zu lesen,

Was seinem innersten Gemürh entströmt, Was ihr erschließt sein tiefstes reichstes Wesen, Durch nichts verhüllt, gefesselt und gelähmt.

110 Sie lächelt still; ein seliges Genügen, Ein heilig Glücksbewußtsein füllt ihr Herz,

Und treibt sie, innig sich an den zu schmiegen, Der fest, wie ein Gebild aus Stein und Erz, Unbeugsam, eisern, stark ihr jetzt erscheinet,

Seit er der Lüge Scepter von sich warf, Und wieder, was er ist, und was er scheinet, Vor Gott und vor sich selbst vereinen darf. —

Horch! klopft's da nicht? und werden Männerschritte

Und Männerstimmen nicht da außen laut?

Ja wohl! ein Fremder nahet mit der Bitte, Die Hausfrau, die verwundert auf ihn schaut, Mög' sein Erscheinen zu so später Stunde

Gestatten, ohne Zorn und ohne Schreck, Weil freudig und bedeutungsvoll die Kunde,

Die seines Kommens eigentlicher Zweck.

Zum Manne tretend sprach er drauf! „Ich weiß es, „Daß Dir der Freiheit große Sache werth!

111 ,,Jetzt fordert sie Dein Blut, statt Deines Schweißes, „Verlangt nicht Deine Feder, nein Dein Schwert!

„Ergreife es! der Augenblick ist kommen, „Wo blutig reifen soll der Knechtschaft Saat,

„Bis endlich volle Rache wir genommen „An Jedem, der tyrannisch uns genaht! „Wir wollen kämpfen, wie es Braven ziemet, „Wir wollen stehen, Mann an Mann gereiht,

„Und Jeder, der bis heute sich gerühmet, „Ein Freund des Volks zu sein, der sei bereit, „Es zu bekennen auch und zu bezeugen

„Durch freie Thaten, statt durch freies Wort,

„Sei stolz darauf, nicht länger sich zu-beugen, „Stolz auf den Ruf: Auf auf! zu Kamps und Mord!

„Zu diesen Stolzen woll'n auch Dich wir zählen,

„Du bist, gleich uns, der Freiheit treuer Sohn! „Und darum wirst und sollst Du auch nicht fehlen „Bei unserm Feldgeschrei „Revolution!"

112

„Drum sprich! Du darfst nicht schwanken oder zagen, „Mußt es bekennen, offen wie ein Held, „Wenn wir im Namen Tausender Dich fragen,

„Wo wirst Du stehen, wenn der Würfel fällt?" Da legt der Mann die Feder aus den Händen,

Erhebt gefaßt und ruhig sich und spricht: „Wenn Du mir sagst, daß Tausende Dich senden,

„So sage ich, der Eine, wahr und schlicht:

„Ich werde nie und nimmer mit Euch gehen, „Wenn Ihr des Aufruhrs blut'ge Fahne schwingt,

„Ich werde nie an Eurer Seite stehen,

„Wenn ihr ein pereat dem Herrscher bringt! „Ich werde nimmer Eure Hand erfassen,

„Die ihr mit Bruderblut beflecken wollt! „Ich werde nicht aus's Neu mich fesseln lassen!

„Nicht wieder treten in der Knechtschaft Sold! „Jetzt bin ich frei! wenn auch dem äußern Zwange „Der Dienstbarkeit ich nicht entschlüpfen darf!

113 „Frei von dem Höllenspuk, der mir so lange „Ein golden Netz um Herz und Seele warf!

„Nicht Bild und Formen will dem Spuk ich geben, „Nicht hüllen ihn in ein bestimmt Gewand, „Auf ird'sche Throne nicht will ich ihn heben,

„Kennzeichnen nicht das Haus, die Stadt, das Land, „Wo ich ihn sah, umsprüht von Höllenfunken,

„Die Kette schmieden, die den Geist erdrückt, „Wo ich ihn sah, unedler Freude trunken,

„Daß er so viel zertreten und zerknickt!

„Nicht nennen will ich ihn mit irdischem Namen, „Als GeistderLüge nur sei er gekannt,

„Der einzustreuen strebt den gist'gen Samen

„Jn's weite große Menschenackerland!

„Und wo er aufgeht, da erstickt die Liebe, „Die Wahrheit stirbt, der Freiheit Keim vergeht,

„Bis an dem großen, schönen Weltgetriebe „Ein Rädchen nach dem andern stille steht!

114 „Hier zeigt er sich als Selbstsucht, dort als Tücke, „Bald nennt er Trägheit sich, bald Eitelkeit,

„Hier schlägt die Heuchelei zu ihm die Brücke, „Dort ist's der Hochmuth, der ihm Weihrauch streut!

„Doch wo, und wie, und wann er sich gestaltet, „Mit welchem Gruß er naht, und welchem Wort,

„Ob leis, ob laut sein Wirken er entfaltet,

„Sein Ziel ist eines: Geistesmord ! „Sich diesem Tode muthvoll zu entwinden,

„Durch Wahrheit, Liebe, Treue, Demuth, Kraft,

„Das ist die Freiheit, die wir zu verkünden „Berufen sind, in unsrer Eigenschaft

„Als Menschenbürger, die dem Geist vertrauen, „Den Gott der Menschenseele eingehaucht! „Und diesen Dom der Freiheit zu erbauen,

„Wird jede, auch die kleiuste Haud gebraucht!

„Da will auch ich ein treuer Helfer werden, „Will unermüdlich bauen fort und fort!

115 „Nicht durch den Sturz der Throne hier auf Erden, „Durch Ausruhr nicht, und nicht durch Fürstenmord; „Doch durch ein stilles Auswärtsstreben

„Zu jenem Hellen wunderbaren Stern, „Der.leuchtend über unserm Haupte schweben „Und doch in's Herz hineinziehn will so gern!

„Zu jenem Stern, der uns ein Leitstern worden,

„Als er, die Welt durchleuchtend, uns gelehrt, „Es sei dem Göttlichen hier nicht durch Morden, „Nein, nur durch Lieben Siegerkrast gewährt!

„Dem laßt mich folgen! denn von ihm geführet, „Bin ich, ob vor der Welt auch arm und klein,

„Doch mit der Freiheit Diadem gezieret, „Bin stolz darauf, ein freier Mensch zu sein!"

Er schwieg.

Und um des Fremden Lippen spielte

Ein Lächeln der Verachtung und des Spotts; Er sprach: „Wenn etwa Deine Rede zielte „Auf jene Tradition des Menschengotts,

116 „Nach dem der Thoren Zahl sich Christen nennet,

„So muß bekennen ich, ohn' Zwang und Scheu, „Daß meine Seele dies Phantom nicht kennet,

„Und ich auch darin fessellos und frei! „Die Gläubigkeit laß ich den schwachen Geistern,

„Die nur, im Staube kriechend, glücklich sind,

„Und bin bemüht, mein Staunen zu bemeistern, „Daß auch ein Mann, wie Du, so klein gesinnt!"

„Wohl giebt die Gläubigkeit in unsern Tagen —

— Entgegnet ernst und milde unser Held — „Gar drückend schwere Fesseln dem zu tragen, „Der christlich fromm, und gläubig, vor der Welt „Genannt sein will, dem's an den äußern Zeichen „Und an der Form des Christenthums genügt,

„Der nicht den Geist erfaßt, den göttlich reichen, „Der jeden Schein und jede Form besiegt!

„Wer aber in dem innersten Gemüthe „Sich dem Erlöser gläubig zugewandt,

117 „Wem aus dem Kreuzesstamm die Kraft erblühte,

„Dem, den uns Gott zum Vorbild einst gesandt, „Mit Herz und Geist, mit Sinnen und Gedanken,

„Durch Blüthenbüsche und durch Dorngesträuch „Zu folgen, ohne Wahl und ohne Wanken,

„Der fühlt als Christ sich frei und stark und reich! „Er richtet nicht die Großen dieser Erde, „Bleibt unberührt von Lebens Streit und Zwist, „Und sorgt nur Eines — daß er selber werde

„Ein ächter Mensch, ein ächter wahrer Christ! „Als solcher ist er frei! im freien Wollen,

„Im freien Denken, und im freien Sein „Fühlt er in tiefster Brust ein heilig Grollen,

„Wenn ihm die Knechtschaft naht mit finsterm Dräu'n. „Dies Grollen wird zum Kampf, der Kampf zum Ringen,

„Das Ringen zum Entschluß, Entschluß zum Sieg, „Sieg aber kann nur der Gedanke bringen, „Und nur des Geistes Waffe führen Krieg!

118 „Du siehst, ich kann, ich darf nicht mit Euch gehen, „Entehrt würd' ich mich fühlen, sprach' ich Ja!"

„Doch die Entehrung Deiner Brüder sehen

„Kannst Du und stehest kalt und ruhig da?" „Die äuß're Fessel wird den nicht entehren, „Der frei geblieben ist in Herz und Geist!" „Der Egoist, wie Du, läßt sich nicht stören, „Wenn um ihn her die Welt in Stücken reißt!"

„Dem Egoismus eben zu entgehen,

„Tret' ich zurück, wenn Ihr zum Aufruhr blast." „Der Feige freilich bleibt von ferne stehen, „Wenn in dem Muth'gen jede Fiber rast." „Du willst Beschimpfung auf Beschimpfung häufen, „Drum bitt' ich: Geh!" „Du bleibst bei Deinem Wort,

„Das Schwert für's Vaterland nicht zu ergreifen?" „Das Vaterland zu schonen, werf' ich's fort!" „Nun wohl! so sei der Feigheit Fluch Dein eigen, „Und Knechtesdienst und Arbeit'Dcin Bereich!

119 „Und da Du es verschmähest, hoch zu steigen,

„So krieche wie ein Wurm! mir gilt es gleich!" Er stürmt hinaus.

Des Weibes glühende Wange

Wird weiß wie Schnee, der Gatte aber schlang Den Arm um sie und forschte: „Wird Dir bange,

„Daß dieses Fluchwort in mein Leben drang?

„O fürchte nichts! sei stark und treu! und stähle „An dem Bewußtsein Dein verzagtes Herz,

„Wo sich emporschwingt eine freie Seele, „Da zieht sie Menschenhand nicht erdenwärts! „Laß uns vereint nach dieser Freiheit ringen,

„Vereint emporschaun zu dem heiligen Quell, Aus dem sic stammt! und hörst Du wieder klingen

„Den neunten Glockenschlag, wie jetzt so hell,

„Dann laß mit ihm auf's Neue klar Dir werden, „Daß in der Freiheit eine Gottgestalt,

„Durchglüht von Götterfunken, hier auf Erden, „Dem Menschen naht, mit göttlicher Gewalt!

120

„Und wer ihr folgt, der fühlt sich Gott verbunden, „Fühlt sich von lichtem Gottesstrahl umkreist!

„Weil tief er im Gemüthe es empfunden; „Der Geist der F reih eit ist ein Gottesgeist!"

121

Der zehnten Stunde Grüßen. Der Gott in der Treue. Sfie Kraft der Jugend half den Berg ersteigen,

? Von seinem Gipfel überschaut bewegt Der Mann mit tief gedankenvollem Schweigen

Den steilen Weg, den er zurückgelegt. Jetzt geht's hinab! Zwar scheint der Weg gelichtet

Von Dornen und Gestrüpp, doch ungeschmückt,

Denn auch die Blüthen haben sich geflüchtet,

Die, aufwärts steigend, seine Hand gepflückt. Doch nein! vereinzelt steh'n sie da und winken

Dem Wandrer, der verzagt herniederblickt, Sie bieten ihm ein Tröpflein Thau zu trinken Und milden Dust, der stärket und erquickt.

122 So steigt er muthig beim hinab und findet Zum Kampfe noch so viel wie im Hinauf, Doch weil er's ernster, stärker überwindet,

So scheinet sacht und ungehemmt sein Lauf. Er schaut zurück.

Schon ist der Gipfel ferne,

Dahinter seiner Jugend Zauberland Versunken ist, gleich einem goldnen Sterne, Der unter Wolkenbergcn uns entschwand.

Er zaudert, — möchte stehen — möcht' verweilen — Umsonst! die Zeit hat den Pokal kredenzt,

Er muß ihn leeren, muß entgegeneilen

Dem Fuß des Berges, den ein Grab begrenzt.

Da treibt's ihn, stark und kraftvoll zu erfassen Den Nest des Lebens, der ihm jetzt noch bleibt,

Drängt ihn, von jener Treue nicht zu lassen, Die für das ew'gc Leben Blüthen treibt. — Und als wir so, den wir als Mann verließen,

Der sich errang der Freiheit heilig Grün,

123

Nach wenig Jahren nun als Greis begrüßen, Durch dessen Haar sich Silberfäden ziehn,

Sehn wir — will's Alter auch die Kraft ihm dämpfen — Ihn doch, gestützet auf der Treue Stab,

Mit klarem Blick durchmesfen und durchkämpsen Den Weg — wie einst hinauf — so jetzt hinab.

Er sieht das Grab, das sich da unten weitet, Doch senkt er ahnungsvoll den Stab hinein,

Der durch das ganze Leben ihn geleitet, Daß er es möge heiligen und weihn.

Wohl fühlt er, daß es Abend werden wolle,

Doch auch am Abend wirkt und schafft sich's schön, Und auch der Abend kann die segensvolle Und reiche Liebeöthat gedeihen sehn.

Noch drängt's ihn nicht, zu ruhen und zu rasten,

Noch ist nicht müde er und nicht erschlafft, Noch hat er für des Lebens Müh'n und Lasten Die alte Stärke und die alte Kraft.

124

Den Sohn hat er gebildet und erzogen Im Geist der Treue und Wahrhaftigkeit, Die in dem Kampfe mit des Schicksals Wogen

Ihm selber Schutz und Stütze gab bis heut'. Und eben heut' will er ihn von sich lassen,

Hinaus ihn senden in die weite Welt,

Daß er das Leben lerne selbst erfassen, Zart, gleich der Blume, die im Hauch zerfällt, Und doch auch stark, gleich einem Felsenriesen, Der ihm zum Kampf die Eisenstirne beut,

Er hat ihn treu gelehrt und unterwiesen,

Und doch — wie bang zagt seine Seele heut'? Ihm selbst sind sechzig Jahre heut' gegeben,

Sie überschauend, sagt ihm sein Gefühl, Sagt ihm des Herzens reuevolles Beben,

Wie oft er strauchelte, wie oft er fiel. Wie oft die Wahrheit er vom Thron gestoßen, Wie oft er in der Lüge Netz sich fing,

125 Wie oft er unbekümmert auf der großen Und breiten Sündenstraße weiter ging. Bis erst in ihm erstand zum vollen Leben

Das Wort: Mensch, sei getreu bis in den Tod!

So will ich Dir die Strahlenkrone geben Des ew'gen Lebens, dem kein Ende droht. Er sinnt dem Worte nach, dem großen, schönen,

Heut', da der Jahre sechzig ihm entstehn, Und hört wie Geisterrufen es ertönen:

„Empfange heute Deiner Treue Lohn! „Und weil in Volkesstimme sich verkündet

„Die Stimme Gottes, der sie sich erwählt, „Daß Er den Weg zum Menschenohre findet,

„So sei durch Volkesmund Dir heut' erzählt, „Daß Du der Ehrenkrone werth geblieben,

„Mit der mein Wort die ächte Treue schmückt, „Die zu zerstören, und die zu zerstieben, „Des Lebens gift'gem Hauche nicht geglückt!"

126

Er lauscht — die Geisterstimme schweigt — und leise

Beginnt mit zehnfach ernstem Glockenklang Die neue Stunde ihre kurze Reise Und grüßt den Greis mit frohem Festgesang.

Sie sorgt, daß jeder Ton mit heiliger Stille

Sich in das Herz des greisen Hörers gießt, Verkündend ihm die reiche Segenssülle,

Mit dem das Alter den Geweihten grüßt. Dann läßt sie einen Zug von Männern nahen,

Die lang' den Greis geliebt schon und geehrt, Und die auf ihn mit dem Bewußtsein sahen, Daß er der Bürgerkrone wahrhaft werth.

So reichen sie, mit biederm Händedrücken, In einfach schlichter Weise sie ihm dar, Und Einer spricht: „Sie soll, o Freund, Dich schmücken

„Als Zeuge, daß Du immer treu und wahr! „Du bist dem Vaterlande treu geblieben,

„Als Mancher treulos sich ihm abgewandt,

127

„Hast treu Dein Herz erhalten Deinen sieben, „Daß Frau und Kind in Dir die Stütze sand! „Dein äuß'res Glück, Du ließest kalt es morden,

„Um dem, was Pflicht und Ehre Dir gebot, „Was Grundsatz, Ueberzeugung Dir geworden,

„Getren zu bleiben, auch in Schmerz und Noth! „Und was Du in der Seele fühltest brennen,

„Als Deines Glaubens wahren Stern und Kern, „Du mußtest's treu auch vor der Welt bekennen,

„Getreues Zeugniß geben von dem Herrn! „Er aber, der der wandellosen Treue

„Der Kronen allerherrlichste verheißt, „Gab ihr damit die heil'ge Gottesweihe, „So daß der Geist der Treue — Gottes Geist! „Von diesem Geist warst denn auch Du durchdrungen,

„Er gab Dir Kraft in irdischer Gefahr: „Drum — bis die ew'ge Krone Du errungen, „Bringt Freundeshand die irdische Dir dar!"

128

Der Redner schweigt.

Des Greises Lippen beben,

Als wollt' er sprechen, doch vermag er nichts, Als jedem Einzelnen die Hand zu geben, Und aufzuschaun zum Urquell alles Lichts. Und dieser Blick zieht Millionen Funken

Der höchsten heiligsten Begeisterung

Hernieder in sein Herz, so daß es trunken

Erglüht, entbrennt und wieder rein und jung Sich fühlt, wie einst, da noch der Ernst des Lebens Es nicht mit seiner Eisenfaust zerdrückt,

Begeistert ruft er aus: „Nein, nicht vergebens „Hat Eure Hand dies greise Haupt geschmückt!

„Nicht ein verdientes Gut sei mir die Krone,

„Nein, Euch sei sie ein heilig Unterpfand,

„Daß ich dereinst in meinem einzigen Sohne „Euch und dem ganzen theuren Vaterland „Den ächten Bürger schenken will und werde, „Der, so im Frieden, wie im Krieg der Welt,

129

„Am Fuß des Thrones, wie am heimischen Herde,

„In Glück und Schmerzen unverbrüchlich hält „An jener Treue, die ein Licht von oben, „Ein Hauch von Gott, Geist seines Geistes ist,

„Der Treue, die mit Wahrheit eng verwoben

„Und durch die Freiheit groß gezogen ist.

„Wohl sührt sie nicht auf dornenlose Pfade, „Sie bringet Schmerz, bringt irdische Gefahr; „Allein der Weg, den sie verfolgt, ist — grade,

„Und dem Geweihten scheint er licht und klar! „Drum gebt die Krone! geistig sie zu tragen

„In tiefster Brust, das sei mein höchstes Glück! „Dort hat bis heut' ein treues Herz geschlagen,

„Und treu auch bis zum letzten Augenblick,

„Zu bleiben allem Guten, Großen, Schönen,

„Das ich auf meiner Erdenwallfahrt fand, „Gelob' ich Euch, des Vaterlandes Söhnen,

„Die mir gereicht die treue Freundeshand!

u

130 „Ja! Treue bis zum Tod! sei die Devise, „Die man auf unserm Lebensschild erblickt,

„Daß eine schönere Krone noch als diese, „Die Krone ew'gen Lebens uns einst schmückt!"

Er schweigt bewegt — doch seine Blicke leuchten, Die Freunde gehn — doch ihre Liebe bleibt In dem Symbol, das sie dem Greise reichten,

Zurück; und im Entschweben leise schreibt Die zehnte Stund' mit ihrer Geisterseder

Jn's große Buch der Zeit : Seht diesen Greis!

Ihn liebt, ihn ehrt, ihn anerkennet Jeder,

Der ächten Menschenwerth zu schätzen weiß. Kein irdisch Gut war Zielpunkt seines Strebens,

Um seine Brust schlingt sich kein Ordensband,

Nur einem Steine grub im Schacht des Lebens

Er nach, der Treue heil'gem Diamant!

Und als er ihn gefunden, als sein Leuchten Ihm einmal erst die Erdennacht verklärt,

131 Als einmal erst vor seinem Glanz sich beugten Die irdischen Sterne, die er sonst verehrt;

Da hat er fest ihn an daH Herz geschlossen

Und hat mit Stolz gefühlt, daß alle Macht Der Farben und des Lichts in Nichts zerflossen

Vor dieses Demants heil'ger Strahlenpracht. Drum fühle er, so oft ich nahen werde, So oft der zehnte Glockenschlag ertönt,

Daß in der Treue Himmel sich und Erde, Sich Menschensinn und Gottesgeist versöhnt !

Und daß in ihr, verhüllt, und doch entschleiert, Des Göttergeistes heilige Gestalt

Den großen Auferstehungsmorgen feiert

Und segnend über diese Erde wallt! Die Stunde schwebt dahin, doch ihre süßen Und ernsten Worte hat der Greis gehört

Und sinkt aus's Neu der irdischen Treu'zu Füßeu, Weil er in ihr den Gottesgeist verehrt!

132

Der eilst en Stunde Grüßen. Der Gott in der Jugend.

2|Vm Fenster steht der Greis; von Silbcrlocken

^Umrahnck das Antlitz, mild nut' klar, Und lauschet dem Geläut der Kirchenglocken, Das zum Gebete rüst der Christen Schaar.

Er lächelt still.

Mit gläubigem Vertrauen

Zieht Mancher, der dem Greise wohl bekannt, Dort in die Kirche, um den Gott zu schauen,

Den er im Leben nie und nimmer fand. Wird er ihn schauen? wird dem Christen werden,

Wenn scheu sein Blick zur Domeskuppel schleicht, Was er als Mensch, in seinem Sein auf Erden

Mit einem Blick in's Leben nicht erreicht?

-

133 Wird er am Kreuze Gottes Abbild sehen, Wenn es nicht zeigt sein eigen Herz und Haupt?

Wird am Altar sein Walten er verstehen, Wenn er in Glück und Leid nicht daran glaubt?

Wird ihm der Priester Gottes Wort verkünden, Wenn's nicht schon that der Odem der Natur?

Wird er des Glaubens Leuchte ihm entzünden, Wenn Sonn' und Sterne blieben ohne Spur?

Wird wahrhaft er in Gottes Haus sich fühlen, Wenn nicht sein Herz Haus Gottes war und blieb?

Und wird durch Predigt, Lied und Orgelspielen, — Sei's noch so theuer ihm und noch so lieb —

Er treu dem Dienste Gottes sich ergeben, Den Tag des Herrn begehend, recht und wahr, Wenn nicht ein Gottesdienst sein ganzes Leben,

Und all sein Denken Sonntagsfeier war? So klingt es fragend in des Greises Seele,

Und ein verklärend Lächeln lagert sich,

134 Aus daß dem Antlitz nicht die Jugend fehle,

Die nach Naturgesetzen längst entwich —

Aus Wang' und Stirn.

Er spricht: „Ihr geht vergebens!

„Die Kirche nicht ist Gottes schönster Thron! „Der Buchstab' nicht ist Geist! ist Quell des Lebens! „Und nicht die Bibel ist Religion! „Nein! nur im Leben ist der Gott zu finden,

„Im Weltgewühle baut er seinen Thron,

„Im Menschengeiste will sein Reich er gründen, „Und wer ihn liebt, der hat Religion!

„Gott lebt in Allem, was in Feierstunden „Gemüth und Geist erhebt ! und der Moment,

„In dem wir Gott geschaut, gedacht, empfunden, „Daß Göttersehnsucht uns im Herzen brennt,

„Hat uns zu. seinem Licht emporgetragen, „Daß göttlich es das Irdische verklärt, „Und wir nicht sondern dürfen und nicht fragen, „Was Gott und was der Erde angehört;

135 „So hat sich's mir bewährt durchs ganze Leben,

„Und jede Stunde hat mit treuer Hand

„Die Ueberzeugung mir in's Herz gegeben,

„Daß — wer im Strom des Lebens Gott nicht fand, „Wer ihn nicht sah in irdischen Gestalten,

„Wer nicht im eigenen Herzen ihn erkennt, „Wer seinen Geist nicht weben fühlt und walten

„In Allem, was er groß und herrlich nennt! „Wer ihn nicht schauet in der Freude Klarheit,

„Nicht in des Menschenwortes heil'ger Macht!

„ScinWeh'n nicht ahnt inTreue, KraftundWahrheit,

„Wem die Natur nicht seinen Gruß gebracht, „Wer nickt des Gottesgeistes mächt'ges Fluthen

„Im heil'gen Born der Wissenschaft verspürt, „Wen in der Liebe zauberischen Gluten

„Der Odem Gottes flammend nicht berührt,

„Der wird ihn auch im Dom, von Menschenhänden „Erbaut und ausgeschmückt, nie wahrhaft sehn,

136 „Und wird die heilig großen Götterspenden „Des Glaubens und des Betens nie verstehn!"

Noch eine Weile stand der Greis betrachtend Und sinnend da, dann wendet er den Blick, Und — das Gewühl der Menschen nicht beachtend —

Tritt in des Zimmers Tiefen er zurück.

Hier ist ihm wohl! denn hier ist Sabbathstille, Sein Altar steht in der Familie Schooß, Und hier zu fühlen reichste Andachtsfülle,

Das ist des Greises neidenswerthes Loos.

Er sieht den Sohn nach Treu' und Wahrheit ringen,

Und in ihm jaucht's wie in der Jugendzeit! Er sieht ein neu Geschlecht in's Leben dringen,

Das frei und stark der Wissenschaft sich weiht,

Und fühltlaus's Neue, wie vor fünfzig Jahren Sich jugendlich begeistert und bewegt;

Er kann noch heut' im Menschenwort erfahren Die Wunderkrast, die Gott hineingelegt.

137

Er hört noch heut' in Sturm und Sonnenstrahlen In Blüthe, Blatt und Frucht, in Keim und Halm,

Die Stimme Gottes zu Vieltausend Malen An's Herz ihm klingen wie ein Freudenpjalm.

Nur Eines ist gestorben und begraben, Nur eine Blume aus der Jugendzeit Kann für den Greis nicht Dust, noch Farbe haben,

Nur eine ist dem Untergang geweiht. Es ist die Blüthe seiner Jünglingsliebc,

Die auch des Mannes Leben hold verschönt Und das verworrene, dunkle Weltgetricbe Mit Aeolsharfenklängen mild durchtönt.

Die Gattin starb; und wie er sie umfaßte Als Mensch den Menschen, innig, fest und heiß, Er barg es in der Gruft, als sie erblaßte,

Und barg's für ewig — denn er ward ein Greis. Doch in ihm blieb mit seinem heil'gen Glühen

Des Jünglingsfeners ewig heißer Drang.

138 Und sehnsuchtsvoll suhlt er’s sein Herz durchziehen

Mit ungestorb’nem süßen Jugendklang. Was er geliebt, er somit’ es nie vergessen, Wie er geliebt, er suhlet es noch heut’,

Und noch der Greis kann fassen und ermessen Des Jünglings reiche Liebesseligkeit.

Denn wie sein Geist doch immer Funken sprühte,

Lebendig, kräftig, jugendstark und reich, Wie seine Seele immer noch erglühte, Für alles Groß’ und Schöne, heldengleich,

Wie, gleich dem Baum, in immer neuen'Trieben,

Verjüngung zeigt und wahret sein Gemüth, So war sein Herz auch ewig jung geblieben, Weil Liebeswärme ewig es durchzieht.

O Liebe! große Zauberin des Lebens! Durch die dem Mann so viel Erquickung ward! Bist ewig Du entflohn? und hat vergebens

Des Greises einsam Herz auf Dich geharrt?

139

So leuchtet's sinnend, fragend in den Blicken Der geistvoll ernsten, dunklen Augen auf — Da öffnet sich die Thür; mit holdem Nicken

Naht eine Jungfrau, wie von schnellem Laus Das Angesicht erglüht; dem holden Munde

Ein Lächeln aufgedrückt; auf Stirn und Wang' Gemüth und Geist vereint zu schönem Bunde

„Johanna!" — ruft der Greis — „wie bliebst Du lang?'' Da schlingen sich zwei weiche Frauenarme

Um seinen Hals, ein blondes Lockenhaupt. Lehnt sich an seine Brust, die jüngliugswarme, Und bittend klingt es: „Wenn mein Freund erlaubt,

„So bleib' ich lange, — lang'!" — die Stimme wankte —

„O könnt' ich sagen — immer — ewig hier!

„Auf daß ich's ihm mit meinem Herzen dankte, „Was mir sein Geist gegeben für und für!" „Johanna!" ruft der Greis mit Wonneschauern, „Du holde Ros' mit Jugendkraft geschmückt!

140

„Willst an dem starren öden Fels vertrauern?"

Da schaut sie auf; mit heil'gem Ernste blickt Sie ihm in's Aug' und flüstert: „Wenn ich bliebe,

„Ja, bleiben dürste, jetzt und allezeit, „So wär' es nur; weil reinste, höchste Liebe

„Mich hier gefesselt hält in Ewigkeit!"

Da bebt es durch des Greises Brust — erschüttert Preßt er die holde Jungfrau an sein Herz —

Und spricht, indeß im Aug' die Thräne zittert — „Hab' Dank für diese Wonne-, diesen Schmerz!

„Nicht halten darf ich Dich! — darf nicht vermählen

„Die duft'ge Blum' dem blätterlosen Baum, „Doch selig darf ich es mir selbst erzählen, „Daß neu erwacht der Jugend sel'ger Traum!

„Und daß ich nun mit gläubigem Vertrauen,

„In dieser ew'gen Jugend Lichtgestalt,

„Die Hülle jenes Gottcsgeist's darf schauen, „Der nicht nur über, nein, der in uns wallt!"

141 Die Jungfrau schluchzt in seinen Armen leise,

Er legt die Hände segnend auf ihr Haupt, Und ein Gebet, ein feuriges, zum Preise

Des Gottes, den er erkannt, gehofft, geglaubt, Ringt sich empor aus der bewegten Seele!

Und — daß dem heiligen Götteraugenblick Auch Festesgruß und Festgeläut nicht fehle —

Kehrt von der kurzen Wanderung zurück Die elfte Stund' und neigt mit sanftem Tönen

Sich zu dem Greise, der an ihrer Hand, Am Lebensziel, das Schönste alles Schönen, Den ew'gen Gott, in ew'ger Jugend sand.

142

Der zwölften Stunde Grüßen. Der Gott in dem Frieden.

A¥er Lebenstöne letzter ist verklungen, ^Das Lebensspiel verhallt, die Saiten ruhn.

Die Lebensmelodie ist ausgesungen, Der müde Sänger neigt sein Haupt! Was nun? Wo bleibt die Kraft, die Freudigkeit, das Streben?

Wo bleibt der Geist, die Se ele, das Gefühl? Wo bleibt das Höchste, Heiligste im Leben,

Das Herz, das glüh'nde, reiche, das so viel Gehofft, gewünscht, geliebt, geweint, gelitten?

So viel gejubelt und so viel geklagt? Wo bleibt der Wille, der so kühn gestritten?

Wo der G edanke, der zum Himmel ragt?

143

Wird Alles sterben, wenn der kleine Fnnken

In dem gebrochenen Ange ganz erlischt, Weil, wenn der Lebensbecher ansgetrnnken,

Anch für den Geist kein ne'ner wird gemischt?

So fragen Manche, die das Bett nmtranern,

In dem der Greis besiegt den letzten Feind.Er aber, der mit andachtsvollen Schanern Den Gott nnd Menschen immer fest vereint

Geahnt, geschant! er fühlt — indeß der Glanbe Seilt Antlitz mild belenchtet nnd verklärt —

Daß das nicht sterben könne mit dem Stande,

Was diesem Gott in seiner Brnst gehört! Nein! das wird leben; nnd die Feierstnnden,

In denen er den ew'gen Gottesgeist Im Erdenkleid erkannt nnd anfgefnnden,.

Und frendiglich als Gottesboten Preist,

Sie haben's in die Seele ihm gegraben:

„Des ewigen Gottes schönstes Prachtgeb an

144 „Will er im H erzen seiner Menschen haben,

„Aus daß ihr Wort und Leben göttlich sei!"

So weiß er, daß des Geistes ew'ge Jugend Nicht mit dem Tode fällt in Grabeshast, Weiß, daß der Kampf für Wahrheit, Freiheit, Tugend, Das Tauchen in den Born der Wissenschaft

Nicht untergeht; weiß, daß die Macht der Liebe, Weiß, daß der Wundersegen der Natur

Nicht mit dem Tod verwehe und zerstiebe,

Werl er in Allem schaute Gottes Spur.

Und di es er Glaube war ihm Brot des Lebens, War ihm ein Kelch urkräft'gen Feuerweins, Ein Mahl, das er voll heiligen Erbebens, Auch jetzt, am Ziele seines Erdenseins, An seines Geistes Lippen setzt und leise

— Indeß der Tod ihm schon den Athem raubt — Spricht; Bleibe bei mir, Herr! auf meiner Reise!

Und laß geschehen mir, wie ich geglaubt!"

145

Da — als ein Zeichen göttlicher Gewährung — Der Mittagssonne Strahl sein Haupt umkränzt,

Auf daß in wunderseliger Verklärung

Das Angesicht des Sterbenden erglänzt.

,,Jch bin erhört!" strahlt's von den bleichen Wangen, „Ich bin erhört!" spricht der geschloss'ne Mund, „Ich bin'erhört! gestillt ist mein Verlangen!

„Mein Glaub' ward Wahrheit!" thut sein Lächeln kund.

Und das gebroch'ne Auge, das sich müde Zum letzten Schlaf ans dieser Erde schließt,

Es spricht: „In meiner Brust ist sel'ger Friede, „In den gehüllet Gottes Geist mich grüßt!

„Er nimmt getreu in seine Vaterarme, „Was göttlich, ewig in mir war und ist, „Daß znr Unsterblichkeit es neu erwärme,

„Wenn mich des Todes kalter Mnnd geküßt. „Und wird dies beste Theil in mir gerettet, „Ist ihm ein ewig Leben zuerkannt,

146_

„Waö ist es denn, daß man den Leib gebettet

„In jenen Raum, den Menschen „Grab" genannt? „Kann das mich schmerzen? kann mich das betrüben?

„Ist das des Sorgens und des Bangens werth,

„Das Eurer Thränen werth, Ihr meine Lieben? „Hat meinem Staub denn Euer Herz gehört?

„Neiu! wer es mir geschenkt, der hat verstanden

„D e n G e i st zu finden , der den Gott verräth,

„Und der nun — frei von dieses Leibes Banden — „In eine neue Welt des Wirkens geht!"

Noch einmal heben sich des Auges Lider —

Die dunklen Sterne glühn noch einmal auf In irdischer Glut — da nnsenkt auf's Neu sich wieder

Des Götterfriedens Seligkeit darauf.

Ja, G ö t t e r f r i e d e n! denn in ihm geborgen, Erkennbar Jedem, der mit Gott verwebt,

Ruht leuchtend, wie ein lichter Frühlingsmorgen,

Der Geist des Gottes, der im Menschen lebt!

147 Austauchend noch im letzten Augenblicke,

Nimmt er dem Tode Macht und Regiment Und überglänzt die dunkle Schauerbrücke, Die uns das Diesseits von dem Jenseits trennt.

Und dieser Glanz läßt deutlich uns erschauen, Das dort nur das besteht, was hier schon ward,

Und daß sich dort nur das kann auferbauen, Was hier als Grundstein schon sich offenbart. Daß darum fest, wie Gott und Mensch verbunden,

So auch das Diesseits mit den: Jenseits ist, Und daß nur der den rechten Weg gesunden,

Der jeden Schritt nach diesem Maßstab mißt. Ihm scheint nicht Pfuhl der Sünde diese Erde,

Nicht fad' und ekel dieses Lebens Loos, Nein! jeder Morgen wirft ein neues: Werde! Ein neues: Sei getreu! in seinen Schooß. Und j e d e S t u n d e ist ihm Gottes Bote! Und jeder Augenblick ein Genius,

io*

148

Der in den Staub tritt alles geistig Todte

Und dem Lebendigen naht mit Götterkuß. Und jede Menschenseele, die er findet, Und jedes Liebeswerk, das er vollbringt,

Und jeden Schmerz, den stark er überwindet, Und jede Freude, die an's Herz ihm klingt,

Ist ihm ein Gruß von jenem Geist der Liebe,

Der über ihm und in ihm lebt und schafft,

Und daß er ihn nicht kränke und betrübe

Durch Selbstsucht, Kälte, Wahn und Leidenschaft, Ist seines Herzens Wollen, Ringen, Streben,

Ist seiner Seele innigstes Gebet,

Das immer neu ihn muß mit Gott verweben, So daß als Gottmensch er durchs Leben geht. S o hat der Greis geglaubt, gefühlt, gestritten,

S o hat das Leben würdig er erfaßt,

So neigt er nun das Haupt mit leisem Bitten:

„Herr! gieb auch mir, was Du verheißen hast!

149 „Und laß zum letzten Mal in diesem Leben

„Mich in dem Frieden, der mein Herz durchzieht, „Mit frommer Scheu erkennen und erheben „Den Gottesgeist, der in dem Menschen glüht! „Er wird mein ewig Selbst hinüberretten

„In eine neue, reiche Wunderwelt, „Wo er an neuen unbekannten Stätten „Mir neue Thätigkeit bereitet hält.

„Wie diese sei, wohin sie mich geleitet, „Was sie mir giebt, was sie mir auferlegt, „Ich hab's in diesem Leben mir bereitet,

„Das Kraft der Fortentwicklung in sich trägt."

Er schweigt — ein Lächeln noch — ein matt Bewegen Des Auges, das noch einmal Alle grüßt —

Und dann — indeß mit sanft verhallenden Schlägen

Die zwölfte Stunde ihren Kreislauf schließt — Ein leises Rauschen — wie von Geisterschritten —

Ein leises Wehen — wie von Geistergruß —

150 Dann Alles still! — der Mensch hat ausgelitten, Der Gott in ihm, der ewig leben muß,

Ruht noch gebannt aus den verklärten Zügen, Ein stiller, großer, reiner Friedensgeist, Der wortlos spricht: Es muß den Tod besiegen, Was sittlich groß und rein und göttlich heißt! Mag darum ruhen unterem Erdenhügel

Das, was aus Erdenstoffen ward gewebt, Wenn nur der Gott, von lichtem Aetherflügel

Gehalten und getragen, ewig lebt!

Und wer sein heilig, lichtgebornes Wesen In Irdischem erschauet und erkennt, Wie dieser Greis, nur der versteht zu lösen

Das große Räthsel, das man Le b en nennt. Wohl hat dem Aug' sich manche Thrän' entrungen,

Wohl perlt vom Antlitz mancher Tropfen Schweiß, Bis erst die schwere Lösung ganz gelungen, Und bis der Mensch erst ganz als Mensch sich weiß.

Doch wenn er's weiß, wenn ihm im Herzen brennet Der große heil'ge Auftrag, der ihm ward,

Wenn er mit stolzer Freude Mensch sich nennet, Weil er den Menschen schaut, mit Gott gepaart,

Dann wird er auch die letzte Lebensstunde

Als einen Genius grüßen, der so mild, Und mit so holdem und geweihtem Munde

Den Gottesgeist im Frieden ihm enthüllt.